Internationales Steuerstrafrecht [2 ed.] 9783504387105

Die Bekämpfung der internationalen Steuerhinterziehung steht seit Jahren im Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Sie führ

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German Pages 1200 [1088] Year 2021

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Internationales Steuerstrafrecht [2 ed.]
 9783504387105

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Schaumburg/Peters

Internationales Steuerstrafrecht

Internationales

Steuerstrafrecht herausgegeben von

Prof. Dr. Harald Schaumburg

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn, Honorarprofessor an der Universität zu Köln

Dr. Sebastian Peters

Rechtsanwalt, Köln, Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln bearbeitet von

Dr. Markus Adick

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Bonn

Dr. Nils Häck

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn

Dr. Sebastian Peters

Rechtsanwalt, Köln, Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln

Prof. Dr. Harald Schaumburg

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn, Honorarprofessor an der Universität zu Köln

2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage

2021

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2021, Rz. ...

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-27003-2 © 2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: PMGi – Agentur für intelligente Medien GmbH, Hamm Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort zur 2. Auflage Seit Erscheinen der 1. Auflage sind sechs Jahre vergangen und die Begrifflichkeit des Internationalen Steuerstrafrechts hat sich mittlerweile fest etabliert. Die Zahl der Ermittlungsverfahren mit grenzüberschreitendem Bezug hat nochmals deutlich zugenommen. Die zwischenzeitlichen Entwicklungen und weitgehenden Änderungen im Steuerstrafrecht betreffen gleichermaßen das Steuerrecht und das Strafrecht. Aus unserer Sicht also eine Reihe von Gründen, um sich einer Neuauflage unseres Handbuchs zu widmen. Im Bereich des Internationalen Steuerrechts geht es insbesondere um die durch das AntiBEPS-Gesetz erfolgte Neufassung des § 90 Abs. 3 AO, wodurch die für die internationale Einkünfteabgrenzung bedeutsame Verrechnungspreisdokumentation vom Umfang her erheblich erweitert wurde. Von Bedeutung ist ferner die durch die §§ 138d – 138h AO in 2019 eingeführte Meldepflicht für bestimmte grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Die vorstehend nur beispielhaft aufgeführten Neuregelungen dienen erklärtermaßen der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und haben daher wie viele andere schon bestehende oder neu eingeführte Regelungen unmittelbar strafrechtliche Relevanz. Das Strafrecht ist ebenfalls durch zahlreiche Änderungen geprägt. Hierzu zählen in verfahrensrechtlicher Hinsicht vor allem die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union und die Reform des Rechts der (grenzüberschreitenden) Abschöpfung von Vermögen. Flankierend zu den vorgenannten steuerlichen Vorschriften erfolgte mit § 370 Abs. 3 Nr. 6 AO die Aufnahme des Regelbeispiels der Verwendung von Drittstaatsgesellschaften als Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall. Die Rechtsprechung des EuGH zur Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung mündete in der Einführung von § 25f UStG. Gleichsam wirft das Verbandssanktionengesetz seine Schatten auch im Steuerstrafrecht voraus. Erstmals aufgenommen wurde das Kapitel „Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren“, das aus der Feder von Dr. Markus Adick, einem erfahrenen Strafverteidiger, stammt. Mit Dr. Nils Häck haben wir einen weiteren Autor gewinnen können, der seit vielen Jahren als Fachanwalt für Steuerrecht tätig ist und der in unserem Handbuch die Überarbeitung wichtiger Kapitel zum Internationalen Steuerrecht übernommen hat. Bonn, im November 2020

Harald Schaumburg und Sebastian Peters

V

Vorwort zur 1. Auflage

Vorwort zur 1. Auflage Die Bekämpfung der internationalen Steuerhinterziehung steht seit Jahren im Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Es geht hierbei unter anderem um die pressewirksame Aufdeckung von Schwarzgeldkonten im Ausland und von als Umsatzsteuerkarusselle bekannt gewordenen grenzüberschreitenden Mehrwertsteuer-Hinterziehungen, die Jahr für Jahr in der Europäischen Union zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe führen. Besonders aktuell ist die Bekämpfung von sog. aggressiven Steuermodellen. Diese sind darauf gerichtet, das internationale Steuergefälle zu nutzen und hierbei die Gewinne dort entstehen zu lassen, wo sie den geringsten Steuerbelastungen ausgesetzt sind. Derartige Gestaltungen sind allerdings im Grundsatz nicht illegal, und zwar auch dann nicht, wenn steuerliche Lücken zulasten des Steueraufkommens einzelner Staaten genutzt werden. Eine Steuerhinterziehung ist erst dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige einer ihm auferlegten Sachverhaltsaufklärung nicht nachkommt oder gegenüber den Finanzbehörden falsche Angaben macht, wenn er also eine Pflichtverletzung begeht. Ob dies der Fall ist, beantwortet sich nach den Regeln des Internationalen Steuerrechts mit seinen Teilrechtsgebieten Außensteuerrecht und Doppelbesteuerungsrecht, wobei auch die Einwirkungen des Unionsrechts eine Rolle spielen. Mit diesem Handbuch wird erstmals eine umfassende Darstellung des Internationalen Steuerstrafrechts vorgelegt. Neben den Grundzügen des Internationalen und Europäischen Strafrechts sowie des Internationalen Steuerrechts bildet die Darstellung der zwischenstaatlichen Amts- und Rechtshilfe einen Schwerpunkt. Die hierfür maßgeblichen Rechtsvorschriften sind weit gestreut und nicht aufeinander abgestimmt. So können nicht nur die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch die Finanzbehörden Auskünfte beanspruchen, die für steuerstrafrechtliche Zwecke verwendet werden dürfen. Darüber hinaus werden in einem gesonderten Kapitel für die in der Praxis wichtigsten Fallgruppen die steuerlichen und steuerstrafrechtlichen Problemstellungen anhand von Beispielen erörtert, sodass insoweit eine wichtige Hilfestellung im Umgang mit dem Internationalen Steuerstrafrecht geboten wird. Bonn, im Oktober 2014

VI

Harald Schaumburg, Sebastian Peters

Inhaltsübersicht Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden sich jeweils am Anfang der einzelnen Kapitel. Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite V

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII

1. Teil Einführende Grundlagen

Rz. 1.1

Seite 1

A. Das Normengefüge (Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1

6

B. Zur Normenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.31

20

C. Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.53

31

D. Europäisches Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.57

33

E. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.63

36

F. Charta der Grundrechte in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.66

40

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1

43

B. Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.4

45

C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.28

52

D. § 154 StPO im Hinblick auf ausländische Strafverfahren und Verurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.41

57

A. Europäischer Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.1

62

B. Mehrfache Strafverfolgung/Art. 54 SDÜ/Art. 50 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . .

4.18

69

C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.24

71

Kapitel 1 Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts (Schaumburg) Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts (Schaumburg)

Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht (Peters)

Kapitel 4 Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren/ Verbot der Doppelbestrafung (Peters)

VII

Inhaltsübersicht Rz.

Seite

A. Einfluss des Unionsrechts auf das deutsche Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . .

5.1

90

B. Einbettung des nationalen Legalitätsprinzips in die europäische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.3

90

C. Auswirkungen auf das deutsche Legalitätsprinzip und den Tatbestand der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.11

93

D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.16

94

E. Steuerfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.18

95

F. Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.20

96

G. Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) . . . .

5.22

97

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.1

104

B. Auslöser für internationale Steuerstrafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.4

105

C. Verfahrensgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.8

107

D. Exkurs: Inländische Sammelauskunftsersuchen/Gruppenanfragen . . . . . . . .

6.29

113

E. Steuerliche Verwertungsverbote/Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.43

118

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.51

120

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe . . . . . . . . 6.143

147

H. Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.303

191

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) . . . . . . . . . . 6.386

216

K. Grenzüberschreitende Arrestierung, Einziehung und Sicherstellung von Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.533

254

2. Teil Internationales Steuerstrafverfahren Kapitel 5 Einführung in das internationale Steuerstrafverfahren (Peters)

Kapitel 6 Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/ Ermittlungsverfahrens (Peters)

Kapitel 7 Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren (Adick)

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1

266

B. Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.7

267

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.22

272

VIII

Inhaltsübersicht Rz.

Seite

8.1

289

A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.1

297

B. Inanspruchnahme und Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.9

300

10.1

343

B. Eingehende Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.76

369

C. Ausgehende Rechtshilfe/Kleine Rechtshilfe/Grenzüberschreitende Beweismittelerlangung – Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.123

385

D. Landesspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.142

391

E. Strafverfolgungsübernahmeersuchen/Unaufgeforderte Übermittlung von Informationen (Schweiz/Liechtenstein/Österreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.189

407

3. Teil Internationale Amts- und Rechtshilfe Kapitel 8 Überblick über die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 9 Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen (Schaumburg)

Kapitel 10 Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) (Peters) A. Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4. Teil Steuerhinterziehung, Selbstanzeige, Korruption und Schmiergelder Kapitel 11 Steuerhinterziehung (Peters) A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.1

414

B. Geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.2

414

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.7

416

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.1

611

B. Voraussetzungen der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.3

612

C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.28

618

Kapitel 12 Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht (Peters)

IX

Inhaltsübersicht Rz. D. Sperrgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.59

Seite 626

E. Selbstanzeige bei Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.89

638

F. Fremdanzeige zugunsten Dritter (§ 371 Abs. 4 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.95

639

G. Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.98

640

H. Umfang der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.99

641

I. Fertigung der Selbstanzeige/Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.101

641

J. Selbstanzeige und § 398 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.106

642

K. § 398a AO und Strafklageverbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.109

643

Kapitel 13 Korruption und Schmiergelder (Peters) A. Korruption im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts . . . . . . . . . . . .

13.1

646

B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.37

656

C. Benennungsverlangen nach § 160 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.52

660

D. Korruption und Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.77

667

5. Teil Grundzüge des Internationalen Steuerrechts Kapitel 14 Materielles Steuerrecht (Schaumburg und Häck) A. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14.1

670

B. Außensteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.10

672

C. Doppelbesteuerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.276

770

Kapitel 15 Mitwirkungspflichten (Schaumburg) A. Allgemeine Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.1

787

B. Erweiterte Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.4

788

C. Gesteigerte Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15.9

790

D. Dokumentationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.13

791

E. Besondere Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.20

794

F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten . . . . . . . 15.22

795

G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . 15.34

799

X

Inhaltsübersicht Rz.

Seite

16.1

805

B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.11

809

6. Teil Pflichtverletzungen im Internationalen Steuerrecht Kapitel 16 Ertragsteuerrecht (Schaumburg und Häck) A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 17 Erbschaftsteuerrecht (Schaumburg) A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17.1

939

B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17.4

940

A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.1

956

B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.8

959

A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19.1

990

B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19.3

991

A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.1

997

B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.5

999

A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21.1

1003

B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21.4

1004

A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.1

1012

B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.5

1013

Kapitel 18 Umsatzsteuerrecht (Schaumburg und Adick)

Kapitel 19 Grunderwerbsteuerrecht (Schaumburg)

Kapitel 20 Versicherungsteuerrecht (Schaumburg)

Kapitel 21 Energiesteuerrecht (Schaumburg)

Kapitel 22 Tabaksteuerrecht (Schaumburg)

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1019 XI

XII

Abkürzungsverzeichnis

A, Abschn.

Abschnitt

a.F.

alte Fassung

ABl. EG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis Januar 2003)

ABl. EU

Amtsblatt der Europäischen Union (ab Februar 2003)

ADG

Österreich: Amtshilfe-Durchführungsgesetz

AdV

Aussetzung der Vollziehung

AEAO

Anwendungserlass zur Abgabenordnung

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AG

Aktiengesellschaft; Amtsgericht; "Die Aktiengesellschaft" (Zeitschrift)

AGB

Allgemeine Geschäftsbedingungen

AK

Alternativkommentar

AktG

Aktiengesetz

AktStR

Aktuelles Steuerrecht (Zeitschrift)

AlkStG

Alkoholsteuergesetz

Alt.

Alternative

AMG

Arzneimittelgesetz

AmtshilfeRLUmsG

Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordnung

AOA

Authorized OECD Approach

AO-StB

Der AO-Steuer-Berater (Zeitschrift)

APA

advance pricing agreements

ARHG

Österreich: Bundesgesetz über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen – Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz

ARHV

Österreich: Verordnung des Bundesministers für Justiz über den Auslieferungsverkehr und den zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen – Auslieferungs- und Rechtshilfeverordnung

Art.

Artikel

ASA

Archiv für Schweizerisches Abgaberecht (Zeitschrift)

AStBV (St)

Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer)

AStG

Außensteuergesetz

ATLAS

Automatisiertes Tarif- und Lokales Zoll-Abwicklungs-System

XIII

Abkürzungsverzeichnis Aufl.

Auflage

AuslG

Ausländergesetz

AuslV D-USA

Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika

AWD

Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (Zeitschrift)

B/W

Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch (Loseblatt)

BAnz.

Bundesanzeiger

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landgericht

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

BBA

Betrugsbekämpfungsabkommen EU – Schweiz

BeitrRLUmG

Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften

BetrVerfG

Betriebsverfassungsgesetz

BewG

Bewertungsgesetz

BFH

Bundesfinanzhof

BFH/NV

Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Zeitschrift)

BFH/PR

Entscheidungen des BFH für die Praxis der Steuerberatung (Zeitschrift)

BFHE

Entscheidungssammlung des BFH

BfJ

Bundesamt für Justiz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGE

Schweiz: Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts

BGHR

BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofes

BGHSt

Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen

BierStG

Biersteuergesetz

BiFD

Bulletin for International Fiscal Documentation

BKA

Bundeskriminalamt

BKAG

Bundeskriminalamtgesetz

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BMG

Bundesmeldegesetz

BNatSchG

Bundesnaturschutzgesetz

BpO

Betriebsprüfungsordnung

BPolG

Bundespolizeigesetz

BR

Bundesrat

BRAK

Bundesrechtsanwaltskammer

XIV

Abkürzungsverzeichnis BranntwMonG

Branntweinmonopolgesetz

bspw.

beispielsweise

BStBl.

Bundessteuerblatt

BT

Bundestag

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

Buchst.

Buchstabe

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGK

Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BWG

Österreich: Bankwesengesetz

BZSt

Bundeszentralamt für Steuern

CCN

Common Communication Network

CLO

Central Liaison Office

CSI

Common System Interface

CybercrÜbk

Übereinkommen über Computerkriminalität

D/P/M

Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer (Loseblatt)

DAV

Deutscher Anwaltverein

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

DBA

Doppelbesteuerungsabkommen

DBG

Schweiz: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer

DFGT

Deutscher Finanzgerichtstag (Tagungsband)

DK

Der Konzern (Zeitschrift)

DOJ

Department of Justice (US-Justizbehörde)

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

Drucks.

Drucksache

D-spezial

Deutschland Ost spezial (Zeitschrift)

DStJG

Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (Tagungsband)

DStR

Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

DStRE

Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (Zeitschrift)

DStZ

Deutsche Steuer-Zeitung

DV, DVO

Durchführungsverordnung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

DVP

Deutsche Verwaltungspraxis (Zeitschrift)

-E

Entwurf

EBA

Europäische Beweisanordnung

ECBA

European Criminal Bar Associaton XV

Abkürzungsverzeichnis EEA

Europäische Ermittlungsanordnung

EFG

Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (Zeitschrift)

EFTA

European Free Trade Association – Europäische Freihandelsassoziation

EF-VO

Einreise-Freimengen-Verordnung

EG

Europäische Gemeinschaft

EGAHiG

EG-Amtshilfegesetz

EG-AHiRL

EG-Amtshilferichtlinie

EGAO

Einführungsgesetz zur Abgabenordnung

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

EGGVG

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam

Einf.

Einführung

EJG

Eurojust-Gesetz, Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/ 187/JI) des Rates vom 28.2.2000 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität

EJN

Europäisches Justizielles Netz

EMCS

Excise Movement and Control System (EDV-gestütztes Beförderungs- und Kontrollsystem für verbrauchsteuerpflichtige Waren)

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EMRK-PR7

Protokoll Nr. 7 zur Europäischen Menschenrechtskonvention

EnergieStG

Energiesteuergesetz

EnergieStV

Energiesteuer-Durchführungsverordnung

EPICC

Euregio-Police-Info-Cooperation-Center

EPPO

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft

ErbBstg

Erbfolgebesteuerung (Zeitschrift)

ErbR

Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis

ErbSt

Erbschaftsteuer

ErbStB

Der Erbschaft-Steuer-Berater (Zeitschrift)

ErbStDV

Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung

ErbStG

Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz

ErbStR

Erbschaftsteuer-Richtlinien

ESt

Einkommensteuer

EStB

Der Ertrag-Steuer-Berater (Zeitschrift)

EStDV

Einkommensteuer-Durchführungsverordnung

XVI

Abkürzungsverzeichnis EStG

Einkommensteuergesetz

EStV

Eidgenössische Steuerverwaltung

ET

European Taxation (Zeitschrift)

EU

Europäische Union

EU-AHG

EU-Amtshilfegesetz (Österreich)

EUAHiG

EU-Amtshilfegesetz

EU-AHiRL

EU-Amtshilferichtlinie

EUAlÜbk

Europäisches Auslieferungsübereinkommen (v. 13.12.1957)

EU-AuslÜbk

EU-Auslieferungsübereinkommen (v. 27.9.1996)

EUBeitrG

EU-Beitreibungsgesetz

EUBeitrRL

Richtlinie über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen

EUBestG

Gesetz zu dem Protokoll vom 27.9.1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften

EuGeldwäscheÜbk

Europäisches Geldwäsche-Übereinkommen

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGHE

Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuHB

Europäischer Haftbefehl

EU-JZG

Österreich: Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union

EuR

Europarecht (Zeitschrift)

EuRhÜbk

Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (1959)

EU-RhÜbk

Übereinkommen vom 29.5.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union

Europol

Europäisches Polizeiamt

EU-SchK

EU-Schiedsverfahrenskonvention

EUStA

Europäische Staatsanwaltschaft

EUStBV

Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung

EUVereinfAuslÜbk

EU-Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren

EUZ

Zeitschrift für Europarecht

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

E-VD

Elektronisches Verwaltungsdokument (im Rahmen des EMCS)

EWIV

Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung

EWIV-VO

Verordnung über die Schaffung einer Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung XVII

Abkürzungsverzeichnis EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)

F/W/B/S

Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar (Loseblatt)

FA

Finanzamt

FATCA

Foreign Account Tax Compliance Act

FD-StrafrR

Fachdienst Strafrecht

FG

Finanzgericht

FGO

Finanzgerichtsordnung

FinMin.

Finanzministerium

FinStrG

Österreich: Finanzstrafgesetz

FL

Fürstentum Liechtenstein

FR

Finanz-Rundschau (Zeitschrift)

FRL

Fusions-Richtlinie

FS

Festschrift

FStR

IFF Forum für Steuerrecht (Zeitschrift)

FuR

Familie und Recht (Zeitschrift)

FVerlV

Funktionsverlagerungsverordnung

FVG

Gesetz über die Finanzverwaltung

F/W/K

Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland – Schweiz (Loseblatt)

G/J/W

Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2. Aufl. 2017)

G/K/G/K

Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA-Kommentar (Loseblatt)

GA

Goltdammer's Archiv für Strafrecht (Zeitschrift)

GAufzV

Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung

GEG

Gemeinsame Ermittlungsgruppe

gem.

gemäß

ggf.

gegebenenfalls

GenG

Genossenschaftsgesetz

GesR

GesundheitsRecht (Zeitschrift)

GewSt

Gewerbesteuer

GewStG

Gewerbesteuergesetz

GG

Grundgesetz

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

GmbHR

GmbH-Rundschau (Zeitschrift)

GmbH-StB

Der GmbH-Steuerberater (Zeitschrift)

XVIII

Abkürzungsverzeichnis GRCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

GrEStG

Grunderwerbsteuergesetz

GrSt

Grundsteuer

GrStG

Grundsteuergesetz

GS

Gedächtnisschrift

GuV

Gewinn- und Verlustrechnung

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

GwG

Geldwäschegesetz

h.M.

herrschende Meinung

H/H/R

Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, Kommentar (Loseblatt)

H/H/Sp

Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, Kommentar (Loseblatt)

Halbs.

Halbsatz

Hdb.

Handbuch

HFR

Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift)

HGB

Handelsgesetzbuch

HK

Heidelberger Kommentar: Gerke/Julius/Temming/Zöller (Hrsg.), Strafprozessordnung (6. Aufl. 2019)

H/K/G/R

Haun/Kahle/Goebel/Reiser, Außensteuerrecht (Loseblatt)

HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Hrsg., hrsg.

Herausgeber, herausgegeben

HStR

Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HZA

Hauptzollamt

i.d.F.

in der Fassung

i.d.R.

in der Regel

IBFD

International Bureau of Fiscal Documentation

IBR

Immobilien & Baurecht (Zeitschrift)

ICTR

International Criminal Tribunal for Rwanda

ICTY

International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia

IFSt, ifst

Institut Finanzen und Steuern

IGH

Internationaler Gerichtshof

INF

Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift)

InfAust

Abkommen auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe und des Auskunftsaustausches

XIX

Abkürzungsverzeichnis IntBestG

Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17.12.1997 über die Bekämpfung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr

Interpol

Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation

IRG

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

IRS

Internal Revenue Service

IRSG

Schweiz: Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen – Rechtshilfegesetz

IRSV

Schweiz: Verordnung über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen – Rechtshilfeverordnung

i.S.d.

im Sinne des

ISI

Informationssystem der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen

ISR

Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift)

IStGH

Internationaler Strafgerichtshof

IStR

Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)

IStR-LB

IStR-Länderbericht (Zeitschrift)

i.V.m.

in Verbindung mit

IWB

Internationale Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift)

IZA

Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

JbFSt

Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht

J/J/R

Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, Kommentar (8. Aufl. 2015)

JR

Juristische Rundschau (Zeitschrift)

JStG

Jahressteuergesetz

Jura

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JZ

Juristenzeitung (Zeitschrift)

K/S/M

Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommentsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt)

KaffeeStG

Kaffeesteuergesetz

Kap.

Kapitel

KF-VO

Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung

KG

Kommanditgesellschaft; Kammergericht

KK

Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung (8. Aufl. 2019)

KMR

Kleinknecht/Müller/Reitberger, Kommentar zur Strafprozessordnung (Loseblatt)

KonsVerBELV

Deutsch-Belgische Konsultationsvereinbarungsverordnung

KÖSDI

Kölner Steuerdialog (Zeitschrift)

XX

Abkürzungsverzeichnis KSt

Körperschaftsteuer

KStDV

Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung

KStG

Körperschaftsteuergesetz

KStR

Körperschaftsteuer-Richtlinien

LR

Löwe-Rosenberg Kommentar zur Strafprozessordnung

L/S

Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, Kommentar (Loseblatt)

LFGB

Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch

LG

Landgericht

LJZ

Liechtensteinische Juristenzeitung (Zeitschrift)

LK

Leipziger Kommentar, StGB

LUNA

Länderumfassende Namensauskunft

MA

Musterabkommen

m.E.

meines Erachtens

MeldFortG

Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens

Mio.

Million(en)

MiZi

Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen

MK

Musterkommentar; Münchener Kommentar

MRRG

Melderechtsrahmengesetz

MWSTG

Schweiz: Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer

MwStR

MehrwertSteuerrecht (Zeitschrift)

MwStSystRL

Mehrwertsteuersystemrichtlinie

MwSt-ZVO

Mehrwertsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung

MZK

Modernisierter Zollkodex

NdsRpfl

Niedersächsische Rechtspflege (Zeitschrift)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

Nr.

Nummer

NRW

Nordrhein-Westfalen

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

Neue Zeitschrift für Strafrecht, Rechtsprechungs-Report

NWB

Neue Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift)

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

NZWiSt

Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

ö

österreichisch

OECD

Organization for Economic Cooperation and Development

OECD-MA

OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen XXI

Abkürzungsverzeichnis OECD-MK

OECD-Musterkommentar

OFD

Oberfinanzdirektion(en)

ÖJZ

Österreichische Juristen-Zeitung (Zeitschrift)

OLAF

Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (Office de la AntiFraude)

OLG

Oberlandesgericht

O/S/L

Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, Kommentar (Loseblatt)

OWiG

Ordnungswidrigkeitengesetz

OZEAN

Online-Zugriff der Finanzverwaltung auf Ein-/Ausfuhrdaten

PGR

Liechtenstein: Personen- und Gesellschaftsrecht

PIF-Übereinkommen

Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (Protection des intérêts financiers)

PIStB

Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift)

PJZS

Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen

PolKG

Österreich: Bundesgesetz über die internationale polizeiliche Kooperation – Polizeikooperationsgesetz

PStR

Praxis Steuerstrafrecht (Zeitschrift)

R/K/L

Reiß/Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt)

RB, Rb

Rahmenbeschluss

RbDatA

Rahmenbeschluss 2006/960 JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union

RbEuHB

Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten

RefE

Referentenentwurf

REIT

Real Estate Investment Trust

REITG

Gesetz über deutsche Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen

RETT

Real Estate Transfer Tax

RFH

Reichsfinanzhof

RGSt

Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RHG

Liechtenstein: Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

R/H/N

Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG Kommentar (2015)

RhV D-…

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ... über die Rechtshilfe in Strafsachen

XXII

Abkürzungsverzeichnis R/H/vL

Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG Kommentar (3. Aufl. 2019)

RiStBV

Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren

RiVASt

Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten

RIW

Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift)

RL

Richtlinie

RNotZ

Rheinische Notar-Zeitschrift

Rs.

Rechtssache

Rspr.

Rechtsprechung

RStBl.

Reichssteuerblatt

Rz.

Randzahl

S/H/S

Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, UmwStG, Kommentar (8. Aufl. 2018)

S/K/K

Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz – Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar (Loseblatt)

S/L

Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Kommentar (6. Aufl. 2020)

S/R

Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, Kommentar (Loseblatt)

S/S/vHH

Sieber/Satzger/von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht (2. Aufl. 2014)

SAM

Steuermagazin (Zeitschrift)

SCE

Societas Cooperativa Europea = Europäische Genossenschaft

SCE-VO

Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft

SchaumweinStG

Schaumwein und Zwischenerzeugnissteuergesetz

SchSt

Schenkungsteuer

SchVG

Schuldverschreibungsgesetz

SchwarzArbG

Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz

S/D

Schönfeld/Ditz, DBA Kommentar (2. Aufl. 2019)

SDÜ

Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen

SE

Societas Europea = Europäische Aktiengesellschaft = Europa-AG

SEC

United States Securities and Exchange Commission

SEED

System for Exchange of Excise Data (Sammlung der für die Beförderung unter Steueraussetzung relevanten Daten aller Wirtschaftsbeteiligten der EU und deren Austausch zwischen den Mitgliedstaaten)

SE-VO

Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)

SJZ

Schweizerische Juristen-Zeitung (Zeitschrift)

XXIII

Abkürzungsverzeichnis SK

Systematischer Kommentar (zur StPO in Bänden, zum StGB Loseblatt)

sog.

so genannt

SpuRt

Zeitschrift für Sport und Recht

SR

Schweiz: Systematische Sammlung des Bundesrechts

SRÜ

UN-Seerechtsübereinkommen

ST

Der Schweizer Treuhänder (Zeitschrift)

STAhG

Schweiz: Steueramtshilfegesetz

StB

Der Steuerberater (Zeitschrift)

Stbg

Die Steuerberatung (Zeitschrift)

StbJb

Steuerberater-Jahrbuch

StBp

Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift)

StBW

Steuerberater Woche (Zeitschrift)

StC

Steuer Consultant (Zeitschrift)

SteAHG

Liechtenstein: Steueramtshilfegesetz

SteuerHBekG

Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz

SteuerHBekV

Steuerhinterziehungsbekämpfungs-Verordnung

SteuerStud

Steuer & Studium (Zeitschrift)

StEW

Steuern in der Elektrizitätswirtschaft (Zeitschrift)

StGB

Strafgesetzbuch

StHG

Schweiz: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden

StPO

Strafprozessordnung

STR

Steuer Revue (Zeitschrift)

StraBEG

Gesetz über die strafbefreiende Erklärung

StraFo

Strafverteidiger Forum (Zeitschrift)

StrbEG

Gesetz über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen

StRR

StrafRechtsReport (Zeitschrift)

StuB

Steuern und Bilanzen (Zeitschrift)

StuW

Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)

StV

Strafverteidiger (Zeitschrift)

StW

Die Steuer-Warte (Zeitschrift)

SWZ/RSDA

Schweizerische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht

T/G/J/G

Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Kommentar (Loseblatt)

T/K

Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar (Loseblatt)

T/L

Tipke/Lang, Steuerrecht (23. Aufl. 2018)

XXIV

Abkürzungsverzeichnis TabStG

Tabaksteuergesetz

T/G/J/G

Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt)

TIEA

Tax Information Exchange Agreement

TKG

Telekommunikationsgesetz

TKÜ

Telekommunikationsüberwachung

TKÜV

Telekommunikations-Überwachungsverordnung

u.a.

und andere; unter anderem

ÜberstÜbk

Europäisches Überstellungsabkommen

Ubg

Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift)

UmwG

Umwandlungsgesetz

UmwStE

Umwandlungssteuererlass

UmwStG

Umwandlungssteuergesetz

Unterabs.

Unterabsatz

UR

Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift)

UStAE

Umsatzsteuer-Anwendungserlass

UStB

Der Umsatz-Steuer-Berater (Zeitschrift)

UStBG

Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz

UStDV

Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung

UStG

Umsatzsteuergesetz

usw.

und so weiter

u.U.

unter Umständen

UVR

Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift)

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

UZK

Unionszollkodex

V/B/B

Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise (5. Aufl. 2020)

V/L

Vogel/Lehner, DBA, Kommentar (6. Aufl. 2015)

VAG

Versicherungsaufsichtsgesetz

VerbrauchStSystRL

Richtlinie 2008/118/EG über das allgemeine Verbrauchsteuersystem

VerbrauchSt-ZVO

Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung

VerfGH

Verfassungsgerichtshof

VersSt

Versicherungsteuer

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verfassungsgerichtshof

VN-OK-Übk

Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität

VO

Verordnung XXV

Abkürzungsverzeichnis vO/L

von Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (2. Aufl. 2020)

VSt

Vermögensteuer

VStG

Österreich: Verwaltungsstrafgesetz

V/S/W

Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz (5. Aufl. 2017)

VWG

Verwaltungsgrundsätze

VZ

Veranlagungszeitraum

W/A/D

Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch (2. Aufl. 2018)

W/S/G

Wöhrle/Schelle/Gross, Außensteuergesetz, Kommentar (Loseblatt)

WIB

Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift); Belgien: Einkommensteuergesetz

wistra

Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht

WM

Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift)

W/R/S

Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht (2. Aufl. 2015)

WuB

Kommentierte Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht (Zeitschrift)

WÜD

Wiener Übereinkommen für Diplomaten

WÜK

Wiener Übereinkommen für Konsuln

WÜRV

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

z.B.

zum Beispiel

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZAUBER

Zentrale Datenbank zur Auswertung und Speicherung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und Entwicklung von Risikoprofilen

ZBestG

Schweiz: Zinsbesteuerungsgesetz

ZBstA

Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der EU und der Schweiz; Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der EU und Liechtenstein

ZBStG

Liechtenstein: Zinsbesteuerungsgesetz

ZErb

Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis

ZEuS

Zeitschrift für Europarechtliche Studien

ZEV

Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge

ZFdG

Zollfahndungsdienstgesetz

ZFE

Zeitschrift für Familien- und Erbrecht

ZfZ

Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern

ZInsO

Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht

ZinsRL, ZiRL

Zins-Richtlinie

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis

XXVI

Abkürzungsverzeichnis ZIS

Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik

ZIV

Zinsinformationsverordnung

ZJS

Zeitschrift für das Juristische Studium

ZK

Zollkodex

ZollV

Zollverordnung

ZollVG

Zollverwaltungsgesetz

ZP

Zusatzprotokoll

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZSteu

Zeitschrift für Steuern und Recht

ZStW

Zeitschrift für die Gesamte Strafrechtswissenschaft

ZVG

Zwangsversteigerungsgesetz

ZWH

Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen

XXVII

XXVIII

1. Teil Einführende Grundlagen Kapitel 1 Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts Literatur: Kommentare zu §§ 369 – 412 AO und zu §§ 1, 3 StGB; Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. München 2018, § 1 Rz. 1 ff.; Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht, 2. Aufl. München 2018, § 1, § 14 Rz. 1 ff.; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl. München 2020, 1 ff.; Gless, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. Basel 2015, Rz. 1 ff.; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, 5. Aufl. Heidelberg 2017, Rz. 12 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. Heidelberg 2015, 1 f.; Safferling, Internationales Strafrecht, Berlin/Heidelberg 2011, § 2 Rz. 1 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. Baden-Baden 2018; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 1.1 ff.; Schiemann, Deutsches Strafrecht rund um die Welt? Herausforderungen des Strafanwendungsrechts, JR 2017, 339; Schramm, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. München 2018, 1 f.; Sieber in Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. Baden-Baden 2014, Einführung Rz. 2 ff.; Werle/ Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl. Tübingen 2020, 43 ff.

Das Steuerstrafrecht umfasst alle Normen, die straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen wegen Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze androhen.1 Angesprochen sind damit die in den §§ 369 – 376 AO sowie in sonstigen Steuergesetzen geregelten Straftatbestände, womit nicht materiell auf den steuerrechtlichen Unrechtsgehalt, sondern formal allein auf die normative Verankerung an einem Steuergesetz abgestellt wird.2 Das Steuerstrafrecht enthält allerdings Blankettstrafnormen, in deren Rahmen auf die blankettausfüllenden Normen des materiellen und formellen Steuerrechts zurückzugreifen ist.3 Diese Verknüpfung von Strafrecht einerseits und Steuerrecht andererseits bestimmt die Reichweite des Steuerstrafrechts. Das Internationale Steuerstrafrecht wird daher gleichermaßen durch das Internationale Strafrecht und das Internationale Steuerrecht geprägt.

1.1

Der Begriff des Internationalen Strafrechts ist nicht normativ verankert, ist kein rechtstechnischer Begriff. Er hat daher letztlich nur Bedeutung für die Verständigung. Im Hinblick darauf werden nachfolgend zum Internationalen Strafrecht alle Teilgebiete des Strafrechts ge-

1.2

1 Joecks in J/J/R8, Einleitung Rz. 1. 2 Ransick in Kohlmann, § 369 AO Rz. 16; Rüping in H/H/Sp, § 369 AO Rz. 12. 3 So die Rspr.: BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, wistra 2011, 458, Rz. 59; BVerfG v. 29.4.2010 – 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, wistra 2010, 396 (403); BVerfG v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201 (208); BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 295/01, BGHSt 47, 138 (141); BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, StV 2007, 468; BGH v. 9.10.2007 – 5 StR 162/07, DStR 2008, 144; BGH v. 20.11.2008 – 1 StR 354/08, BGHSt 53, 45 (53) = UR 2009, 577; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 (229) = UR 2009, 899 m. Anm. Sterzinger; BGH v. 9.12.2015 – 1 StR 256/15, NStZ 2016, 296 (298); dagegen im Sinne eines normativen Verständnisses z.B. Samson, DStJG 6 (1983), 99 (105 ff.); Ransieck in FS Tiedemann, 2008, 171 (186 ff.); Bülte, BB 2010, 1759 ff.; vgl. den Überblick bei Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 20 ff.; Krumm, T/K, § 370 AO Rz. 2 und bei Peters, H/H/Sp, § 370 AO Rz. 41; ferner Rz. 10.8 ff.

Schaumburg | 1

Kap. 1 Rz. 1.2 | Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts

zählt, die einen rechtlichen oder tatsächlichen Auslandsbezug aufweisen.1 Im Vordergrund steht hierbei der grenzüberschreitende Charakter des Strafanwendungsrechts, das alle Normen erfasst, die den Anwendungsbereich des innerstaatlichen Strafrechts festlegen.2 Zum Internationalen Strafrecht zählt ferner das Rechtshilferecht, soweit es der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung3 dient.4 Die vorgenannten Teilgebiete des Internationalen Strafrechts beruhen im Wesentlichen auf Normen, die von der Quelle her zum nationalen Recht zählen. Darüber hinaus wird das Internationale Strafrecht aber auch durch internationale Rechtsquellen geprägt. Dies betrifft insbesondere das Völkerstrafrecht, aus dem allerdings wegen des verfassungsrechtlich verankerten Gesetzlichkeitsprinzips (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) keine unmittelbar geltenden Sanktionsbestimmungen abzuleiten sind.5 Im Vordergrund stehen daher jene Normen, die Völkerstrafrecht in nationales Recht umsetzen.6 Darüber hinaus ist auch das Europäische Strafrecht von Bedeutung. Hierbei handelt es sich weniger um unmittelbar geltendes Primär- und Sekundärrecht als vielmehr um in nationales Recht umgesetztes Sekundärrecht, das als blankettausfüllende Norm Teil der betreffenden (nationalen) Strafrechtsnorm wird.7

1.3

Der Begriff des Internationalen Steuerrechts ist kein Systembegriff, sondern lediglich ein Ordnungsbegriff, der letztlich ebenfalls nur für die Verständigung Bedeutung hat. Im Hinblick darauf werden zum Internationalen Steuerrecht alle Normen gezählt, die steuerlich relevante, auslandsbezogene Sachverhalte erfassen.8 Es handelt sich hierbei um Normen, die der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sind. Auf einer weiteren Stufe lassen sich diese Normen aufteilen in solche, die der Vermeidung der Doppelbesteuerung dienen (Doppelbesteuerungsrecht), und in alle übrigen Normen mit Auslandsbezug (Außensteuerrecht).9 Während es kein dem Völkerstrafrecht entsprechendes Völkersteuerrecht gibt, hat das Europäische Steuerrecht eine besondere Bedeutung erlangt.10 Hierbei handelt es sich um Steuerrecht, das auf primäres und sekundäres Unionsrecht sowie auf sonstige europarechtliche Rechtsquellen zurückzuführen ist oder von diesem beeinflusst wird.11

1 Ähnlich Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 2 Rz. 1; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 131; Schramm, Internationales Strafrecht2; Gardocki, ZStW 98 (1986), 703 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 1 Rz. 2, wonach der Begriff „Transnationales Strafrecht“ für zutreffender gehalten wird. 2 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 2 Rz. 4; Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht², § 16 Rz. 2; zum Teil abweichend Ambos in MK³, vor § 3 StGB Rz. 1; Hoyer in SK-StGB9, Vor §§ 3 – 7 Rz. 1; vgl. Rz. 3.1 ff. 3 Z.B. Auslieferung oder Vollstreckungshilfe. 4 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 2 Rz. 5. 5 Hierzu Schmitz in MK-StGB³, § 1 StGB Rz. 25; Roxin, StGB, AT I4, § 5 Rz. 20 f.; vgl. ferner Rz. 2.53 ff. 6 Vgl. etwa das Völkerstrafgesetzbuch v. 30.6.2002, BGBl. I 2002, 2254. 7 Vgl. hierzu Schmitz in MK-StGB³, § 1 StGB Rz. 23 f.; Sieber in S/S/vHH2, Einführung Rz. 2 ff.; ferner der Überblick bei Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 31 ff. 8 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 1.4. 9 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 1.4. 10 Zu Einzelheiten Englisch in T/L23, § 4 Rz. 1 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.45 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1.1 ff. 11 Englisch in T/L23, § 4 Rz. 1 ff.; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht², Rz. 1 ff.; Musil in Musil/ Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rz. 14; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 1.7; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1.1 ff.

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Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts | Kap. 1

Der Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts hat somit ebenso wie die Begriffe des Internationalen Strafrechts und des Internationalen Steuerrechts im Wesentlichen nur Bedeutung für die Verständigung. Wenn daher im Folgenden vom Internationalen Steuerstrafrecht die Rede ist, so sind damit jene dem Strafrecht zuzuordnenden Normen angesprochen, die einen auch steuerlich relevanten Auslandsbezug aufweisen.

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1.4

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Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts A. Das Normengefüge (Überblick) I. Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte 1. Gesetzlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . 3. Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . 5. Doppelbestrafungsverbot . . . . . . . . . . . 6. Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . 7. Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . II. Völkerrechtliche Normen 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . 3. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . 4. Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . III. Supranationale Normen (Unionsrecht) B. Zur Normenhierarchie I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1 2.5 2.7 2.8 2.10 2.12 2.13 2.14 2.16 2.21 2.25 2.26 2.31

II. Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rang völkerrechtlicher Verträge . . . . . IV. Rang supranationaler Normen (Unionsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rang innerstaatlicher Normen . . . . . . C. Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Europäisches Strafrecht I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäisches Kriminalstrafrecht . . . . . III. Unionsrechtliche Schranken 1. Primärrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . 2. Sekundärrechtliche Vorgaben . . . . . . . E. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Charta der Grundrechte in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.33 2.34 2.37 2.52 2.53 2.57 2.59 2.60 2.62 2.63 2.66

Literatur: Kommentare zu Art. 25, 59, 103, 104 GG; Art. 4, 6 EGV; Art. 86, 267, 288, 325 AEUV, Art. 47, 50, 52 GRCh, Art. 5, 6, 46 EMRK, §§ 2, 4, 369, 370, 393 AO, §§ 1, 2 StGB und OECD-MA; Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. München 2018, 97 ff., 442 ff.; von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl. Heidelberg 2019, Rz. 184 ff.; Bergmann, Zeitliche Geltung und Anwendbarkeit von Steuerstrafvorschriften, NJW 1986, 233 ff.; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, Tübingen 1993, 407 ff.; Dannecker, Der zeitliche Geltungsbereich von Strafgesetzen und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts, in FS Schroeder, Heidelberg 2006, 761; Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 5. Aufl. München 2020, 85 ff.; Dörr in Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. München 2018, 536 ff.; Enderle, Blankettstrafgesetze, – verfassungs- und staatsrechtliche Problem von Wirtschaftstatbeständen, Frankfurt 2000; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 5 Rz. 1 ff.; Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht, 2. Aufl. München 2018, § 16 Rz. 19 ff.; Gaede, Zeitgesetze im Wirtschaftsstrafrecht und rückwirkend geschlossene Ahndungslücken, wistra 2011, 365 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl. München 2013, 73 ff.; Gleß, Zum Begriff des mildesten Gesetzes (§ 2 Abs. 3 StGB), GA 2000, 224; Grünwald, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Gesetzlichkeitsprinzip, in FS Kaufmann, Heidelberg 1993, 433; Hackner, Das teileuropäische Doppelverfolgungsverbot insbesondere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, NStZ 2011, 425 ff.; Harms/Heine, EG-Verordnung und Blankettgesetz, in FS Amelung, Berlin 2009, 393; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. Heidelberg 2015, 147 ff.; Heintschel von Heinegg in Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. München 2018, 453 ff., 470 ff.; Herdegen, Europarecht, 21. Aufl. München 2019, 173 ff.; Herdegen, Völkerrecht, 19. Aufl. München 2020, 125 ff.; Hobe, Europarecht, 9. Aufl. München 2017, Rz. 173 ff.; Jäger, Christian, Grund und Grenzen des Gesetzlichkeitsprinzips im Strafprozessrecht, GA 2006, 615; Kuhlen, Zum Verhältnis von Bestimmtheitsgrundsatz und Analogieverbot, in FS Otto, Köln 2007, 99 ff. 89 ff.; Kuhnert, Zur Rückwirkung des milderen Steuerstrafgesetzes, NStZ 1982, 276; Maiwald, Bestimmtheitsgebot, tatbestandliche Typisierung und die Technik der Regelbeispiele, in FS Gallas, Berlin 1973, 137; Müller-Dietz, Abschied vom Bestimmtheitsgrundsatz im Straf-

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Kap. 2 Rz. 2.1 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts recht?, in FS Lenckner, München 1998, 179; Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. Köln 2015, § 1 Rz. 20 ff.; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, Berlin 2000, 63 ff.; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 8. Aufl. München 2018, 105 ff.; Niehaus, Blankettnormen und Bestimmtheitsgebot vor dem Hintergrund zunehmender europäischer Rechtssetzung, wistra 2004, 206 ff.; Papier, Der Bestimmtheitsgrundsatz, in DStJG 12 (1989), 61; Pieper, Rechtsquellen, in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, München, B I.; Ransiek, Bestimmtheitsgrundsatz, Analogieverbot und § 370 AO, in FS Kohlmann, Köln 2003, 171; Rüping, Blankettnormen als Zeitgesetze, NStZ 1984, 451 ff.; Safferling, Internationales Strafrecht, Berlin/Heidelberg 2011, 76 ff.; Satzger, Die Internationalisierung des Strafrechts als Herausforderung für den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, JuS 2004, 943; Satzger, Die zeitliche Geltung des Strafgesetzes, ein Überblick über das intertemporale Strafrecht, Jura 2006, 746 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. Baden-Baden 2018, 90 ff.; 250 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 2.1 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2020, Rz. 3.1 ff.; Schomburg/SuominenPicht, Verbot der mehrfachen Strafverfolgung, Kompetenzkonflikte und Verfahrenstransfer, NJW 2012, 1190 ff.; Schroeder, Die zeitliche Geltung der Strafgesetze, in FS Bockelmann, München 1979, 785; Schroeder, Die Justizgrundrechte des Grundgesetzes, JA 2010, 167 ff.; Schulze-Osterloh, Unbestimmtes Steuerrecht und strafrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz, in DStJG 6 (1983), 43; Sommer, Das „mildeste Gesetz“ i.S. des § 2 Abs. 3 StGB, Königstein 1979, 52; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. München, 2017, Rz. 23 ff.; Stettner, Unionsrecht und nationales Recht, in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, München, A IV.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Aufl. Köln 2000, 118 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. Berlin 1984, 321 ff.; Vogel, Abkommensbindung und Missbrauchsabwehr, in FS Höhn, Bern/Stuttgart/Wien 1995, 461 ff.; Walter, Ist Steuerstrafrecht Blankettstrafrecht?, in FS Tiedemann, Köln 2008, 969 ff.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl. Tübingen 2020, Rz. 189 ff.

A. Das Normengefüge (Überblick) I. Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte 1. Gesetzlichkeitsprinzip 2.1

Die für das Strafrecht und somit zugleich auch für das (Internationale) Steuerstrafrecht maßgebliche Grundlagenentscheidung des Grundgesetzes1 ist das in Art. 103 Abs. 2 GG geregelte Gesetzlichkeitsprinzip, wonach u.a. gewährleistet sein muss, „dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht“.2 Eine entsprechende europarechtliche Fundierung enthält Art. 49 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GrCh.

2.2

Die Bezugnahme auf das in Orientierung an Art. 103 Abs. 2 GG in § 1 StGB verankerte Gesetzlichkeitsprinzip erfolgt im Steuerstrafrecht über § 369 Abs. 2 AO, der eine Verweisung auf die „allgemeinen Gesetze über das Strafrecht“3 enthält, womit insbesondere der Allgemeine 1 Die Terminologie zu den in Art. 103 GG enthaltenen Garantien ist uneinheitlich; vgl. hierzu nur den Überblick bei Remmert in Maunz/Dürig, Art. 103 GG Rz. 2. 2 So die Formulierung im Beschluss des BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., NStZ 2010, 626 (Rz. 71 dort nicht abgedruckt). 3 Es handelt sich um eine dynamische Verweisung; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 14, Ransiek in Kohlmann, § 369 AO Rz. 81; Schmitz in MK-StGB3, § 369 AO Rz. 30; zu den Grenzen der dynamischen Verweisung unter dem Gesichtspunkt der Rechtstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit BVerfG v. 1.3.1978 – 1 BvR 786, 793/70, 168/71 u. 95/73, BVerfGE 47, 285 (312 ff.); BVerfG. v. 17.2.2016 – 1 BvL 8/10, BVerfGE 141, 143 (174 ff.); BVerfG v. 21.9.2016 – 1 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38.

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A. Das Normengefüge (Überblick) | Rz. 2.4 Kap. 2

Teil des StGB angesprochen ist. Hiernach darf eine Tat nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege). Diese Beschränkung auf Gesetze, die gleichermaßen den Straftatbestand und die Strafandrohung betrifft,1 bezieht sich auf geschriebene Gesetze mit der Folge, dass etwa strafbegründendes oder strafschärfendes Gewohnheitsrecht ausscheidet.2 Demgegenüber sind Strafmilderung und Strafaufhebung per Gewohnheitsrecht zulässig.3 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für Ordnungswidrigkeiten.4 Zu den geschriebenen Gesetzen zählen alle (geschriebenen) Rechtsnormen,5 und zwar förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen, autonome Satzungen sowie völkerrechtliche und supranationale Normen, die im Internationalen Steuerstrafrecht eine besondere Bedeutung haben (hierzu Rz. 2.26). Grundlage für die Verhängung von Freiheitsstrafen muss allerdings stets ein förmliches Gesetz sein (Art. 104 Abs. 1 GG),6 sodass Rechtsverordnungen nur dann maßgeblich sind, wenn die entsprechende gesetzliche Ermächtigung (Art. 80 Abs. 1 GG) die möglichen Straftatbestände sowie Art und Höchstmaß der Strafen festlegt.7

2.3

Da die Straf- und Bußgeldtatbestände der §§ 369 ff. AO Blankettvorschriften sind,8 muss auch das in Bezug genommene materielle und formelle (deutsche)9 Steuerrecht dem Gesetzlichkeitsprinzip entsprechen.10 Damit ergibt sich ein weitgehender Gleichlauf mit dem im Steuerrecht geltenden Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung,11 das in den §§ 3 Abs. 1, 38 AO besonders verankert ist. Eine Einengung ergibt sich aber insoweit, als Straftatbestand und Strafandrohung nur aufgrund geschriebener Gesetze zulässig sind. Hieraus folgt, dass

2.4

1 BVerfG v. 21.6.1977 – 2 BvR 308/77, BVerfGE 45, 363. 2 BVerfG v. 3.7.1962 – 2 BvR 15/62, BVerfGE 14, 174 (185); BVerfG v. 26.2.1969 – 2 BvL 15, 23/68, BVerfGE 25, 269 (285 f.); BVerfG v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108 (115); BVerfG v. 11.11.1986 – 1 BvR 718/83 u.a., BVerfGE 73, 206 (235); BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; Kühl in Lackner/Kühl29, § 1 StGB Rz. 3; Hecker in Schönke/Schröder30, § 1 StGB Rz. 8 ff.; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 19. 3 BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 (172); BGH v. 25.6.1953 – 3 StR 80/53, BGHSt 5, 12 (23); BGH v. 24.11.1955 – 5 StR 311/55, BGHSt 8, 360 (381); BGH v. 23.10.1957 – 2 StR 458/56, BGHSt 11, 241 (244 f.); Hecker in Schönke/Schröder30, § 1 StGB Rz. 8 ff. 4 Zur Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG auch für Ordnungswidrigkeiten BVerfG v. 11.2.1976 – 2 BvL 2/73, BVerfGE 41, 314 (319); BVerfG v. 1.12.1992 – 1 BvR 88, 576/91, BVerfGE 87, 399 (411); Remmert in Maunz/Dürig, Art. 103 GG Rz. 56; Pieroth in Jarass/Pieroth15, Art. 103 GG Rz. 62 m. w.N. 5 Vgl. § 4 AO. 6 BVerfG v. 3.7.1962 – 2 BvR 15/62, BVerfGE 14, 174 (186). 7 BVerfG v. 27.3.1979 – 2 BvL 7/78, BVerfGE 51, 60 (70); BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329 (340); BVerfG v. 22.6.1988 – 2 BvR 234/87, 1154/86, BVerfGE 78, 374 (382); BVerfG v. 21.9.2016 – 1 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38, Rz. 34, 39; BVerfG v. 25.10.1991 – 2 BvR 374/90, NJW 1992, 2624; Pieroth in Jarass/Pieroth15, Art. 103 GG Rz. 78. 8 Im Folgenden wird der Rechtsprechung gefolgt; vgl. Rz. 11.20 ff. 9 So der Grundsatz; vgl. BGH v. 26.7.1967 – 4 StR 38/67, BGHSt 21, 277 ff. (279); OLG Karlsruhe v. 21.2.1985 – 4 SS 1/85, NStZ 1985, 317; Ausnahme: § 370 Abs. 6 Satz 2 AO (harmonisierte Verbrauchsteuergesetze anderer EU-Mitgliedstaaten), BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, wistra 2014, 145; BVerfG v. 3.5.2018 – 2 BvR 463/17 (2. Kammer), wistra 2018, 336 mit dem Hinweis, dass die in Bezug genommene – inhaltlich eindeutige – Rechtsvorschrift nicht (mehr) in Kraft sein muss. 10 BVerfG v. 7.5.1968 – 2 BvR 702/65, BVerfGE 23, 265 (270); BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BVerfG v. 7.5.2008 – 2 BvR 2392/07, NJW 2008, 3205 (3206); BVerfG v. 21.1.2016 – 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38, Rz. 46. 11 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I², 118 ff.; Hey in T/L23, § 3 Rz. 230 ff.

Schaumburg | 7

Kap. 2 Rz. 2.4 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

auch die in den §§ 369 ff. AO enthaltene Bezugnahme auf das materielle und formelle Steuerrecht nur geschriebene Gesetze erfasst.1 Soweit die §§ 369 ff. AO eine (direkte) Bezugnahme auf Unionsrecht enthalten – Beispiel: § 370 Abs. 6 Satz 2 AO – gelten die vorgenannten Grundsätze nur für gegenüber dem Bürger unmittelbar wirksames Recht (z.B. EU-Verordnungen), nicht aber für noch umzusetzendes Recht (z.B. EU-Richtlinien).2

2. Bestimmtheitsgebot 2.5

Das in Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB verankerte Gesetzlichkeitsprinzip erfährt eine Konkretisierung bzw. Ergänzung insbesondere durch das Bestimmtheitsgebot.3

2.6

Nach dem Bestimmtheitsgebot muss das Gesetz eine „konkretisierbare Aussage darüber treffen, welche Verhaltensweisen mit Strafe bedroht sein sollen und wo die Grenze des Strafbaren verläuft“.4 Mit anderen Worten: Die Gesetze müssen so konkret sein, dass Strafbarkeit und Anwendungsbereich der Tatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.5 Im Hinblick darauf gilt für die Auslegung von Strafnormen u.a. ein sog. Verschleifungsoder Entgrenzungsverbot,6 wonach die Auslegung derjenigen Begriffe, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten beschreibt, nicht zu einer Aufgabe der durch die Tatbestandsmerkmale bewirkten Eingrenzung der Strafbarkeit führen darf.7 Dieses Verbot schließt es insbesondere aus, Straftatbestandsmerkmale in einer Weise auszulegen, dass sie vollständig in einem anderen Tatbestandsmerkmal aufgehen, also zwangsläufig mit diesem mitverwirklicht werden.8 Wegen der Bezugnahme der §§ 369 ff. AO als Blankettvorschriften auf das materielle und formelle Steuerrecht gilt das Bestimmtheitsgebot auch für die konkret zur Anwendung 1 Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 18. 2 Zu Einzelheiten Cornelius, NZWiSt 2014, 173. 3 Das BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 (171), bezeichnet Gesetzlichkeitsprinzip, Bestimmtheitsgebot, Analogie- und Rückwirkungsrecht als aus dem Nulla-poena-Prinzip abgeleitete Gewährleistungen. 4 BVerfG v. 22.6.1988 – 2 BvR 234/87, BVerfGE 78, 374 (381 f.); BVerfG v. 1.9.2008 – 2 BvR 2238/ 07, NStZ 2009, 83; BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010, 754; BGH v. 22.7.2004 – 5 StR 85/04, wistra 2004, 393. 5 Vgl. BVerfG v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108 (114); BVerfG v. 20.10.1992 – 1 BvR 698/89, BVerfGE 87, 209 (223); BVerfG v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135 (153); BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 (171); BVerfG v. 18.9.2006 – 2 BvR 2126/05, NJW 2007, 1193; BVerfG v. 8.11.2006 – 2 BvR 578/796/02, BVerfGE 117, 71 (111); BVerfG v. 26.6.2008 – 2 BvR 2067/07; NJW 2008, 3346; BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 (338); BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010, 754; BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08,BVerfGE 126, 170 (195); BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, wistra 2014, 145; vgl. auch EuGH v. 25.9.1984 – C-117/83, ECLI:EU:C:1984:288 – Könecke, EuGHE 1984, 3291; EuGH v. 18.11.1987 – C-137/85, ECLI:EU:C:1987:493 – Maizena, EuGHE 1987, 4603, wonach das Bestimmtheitsgebot aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt und zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts (Unionsrechts) zählt; entsprechendes gilt für Art. 49 Abs. 1 GRCh; vgl. EuGH v. 3.5.2007 – C-303/05, ECLI:EU:C:2007:261 – Werefeld. 6 BVerfG v. 10.1.1985 – 1 BvR 718, 719, 722, 723/89, BVerfGE 92, 1 ff. (16 f.); BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, 105, 491/09, BVerfGE 126, 170 ff. (198); BVerfG v. 20.6.2012 – 2 BvR 1048/11, BVerfGE 131, 268 ff. (307); BGH v. 3.12.2013 – 1 StR 526/13, wistra 2014, 139 Rz. 8; zu Einzelheiten Krumm in T/K, § 369 AO Rz. 22; Peters in H/H/Sp, § 30 AO Rz. 4.5. 7 Von BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 537/12, wistra 2013, 199 zur Bezifferung aufgrund unrichtiger Feststellungsbescheide nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO erlangter nicht gerechtfertigter Steuervorteile i.S.d. § 370 Abs. 1 AO verneint. 8 BGH v. 3.12.2013 – 1 StR 526/13, wistra 2014, 139 Rz. 8.

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A. Das Normengefüge (Überblick) | Rz. 2.7 Kap. 2

kommenden blankettausfüllenden Normen.1 Da auch für das Steuerrecht das Bestimmtheitsgebot2 verbindlich ist,3 ergeben sich insoweit im Grundsatz keine Anwendungsdivergenzen.

3. Analogieverbot Das an den Gesetzgeber gerichtete Bestimmtheitsgebot wird durch das Verbot der strafbegründenden und strafschärfenden Analogie ergänzt (Analogieverbot).4 Eine Analogie zugunsten des Täters ist zulässig.5 Die Grenze zwischen zulässiger Auslegung und verbotener Analogie wird durch den äußerst möglichen umgangssprachlichen Wortsinn der Norm gebildet,6 sodass jede Rechtsanwendung, die tatbestandserweiternd „über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht“, ausgeschlossen ist.7 Im Hinblick darauf ist auch eine teleologische Reduktion von Strafnormen unzulässig, die eine Strafbarkeit einschränken oder ausschließen.8 Diese Wortlautschranke gilt uneingeschränkt auch für die verfassungskonforme und unionskonforme Auslegung.9 Das durch Art. 103 Abs. 2 GG und durch Art. 7 EMRK (vgl. hierzu Rz. 2.63) abgesicherte Analogieverbot gilt nicht nur für die §§ 369 ff. AO selbst, sondern auch für die blankettausfüllenden Normen des materiellen und formellen Steuer1 BVerfG v. 7.5.2008 – 2 BvR 2392/07, NJW 2008, 3206; BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010; BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BGH v. 19.12.1990 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 ff. (272); Hecker in Schönke/Schröder30, § 1 StGB Rz. 25; Joecks, wistra 2006, 401 ff.; Niehaus, wistra 2004, 206 ff.; zu Einzelheiten Gaede in Flore/Tsambikakis2, § 369 AO Rz. 75 ff. 2 Abzustellen ist auf den „Verständnishorizont“ des von der Steuernorm „Betroffenen“ und nicht etwa auf dessen Berater; Hey in T/L23, § 3 Rz. 245; zu den entsprechenden Differenzierungen BVerfG v. 15.3.1978 – 2 BvR 927/76, BVerfGE 48, 48 (57 ff.); BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/ 08, 105, 491/09, BVerfGE 126, 170 (221). 3 BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/03 u.a., BStBl. II 2007, 896 (903); Hey in T/L23, § 3 Rz. 243 ff.; Papier in DStJG 12 (1989), 61 ff.; Papier in DFGT 1 (2004), 33 ff. (28 ff.); Ruppe in DFGT 4 (2007), 61 ff.; großzügig allerdings BVerfG v. 12.10.2010 – 2 BvL 59/06, HFR 2011, 86. 4 BVerfG v. 3.7.1962 – 3 BvR 15/62, BVerfGE 14, 174 (185); BVerfG v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83, BVerfGE 73, 206 (234); BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329 (340); BVerfG v. 10.1.1995 – 1 BvR 718/89 u.a., BVerfGE 92 (112); BVerfG v. 9.12.2004 – 2 BvR 930/04, NJW 2005, 2142; BVerfG v. 19.3.2007 – 2 BvR 2273/06, NJW 2007, 1666; BVerfG v. 7.5.2008 – 2 BvR 2392/ 07, NJW 2008, 3206; BVerfG v. 1.9.2008 – 2 BvR 2238/07, NJW 2008, 3627; BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 (194); BVerfG v. 21.9.2016 – 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 28, Rz. 32; BVerfG v. 3.5.2018 – 2 BvR 463/17, ZWH 2018, 248 Rz. 20; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 25.1; Hecker in Schönke/Schröder30, § 1 StGB Rz. 25; Kühl in Lackner/Kühl29, § 1 StGB Rz. 5; Kuhlen in FS Otto, 2007, 99; vgl. auch aus der Sicht von Art. 49 GRCh, EuGH v. 8.7.2008 – T-99/04, ECLI:EU:T:2008:256 – AC-Treuhand AG, EuGHE 2008, II-1501; Alber in Tettinger/ Stern, Europäische Grundrechte-Charta, 2006, Art. 49 GRCh Rz. 6. 5 BGH v. 11.2.1955 – 2 StR 173/54, 175/54, BGHSt 7, 190; BGH v. 30.6.1956 – 1 StE 8/56, BGHSt 9, 310; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 19; Hecker in Schönke/Schröder30, § 1 StGB Rz. 31. 6 BVerfG v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108 (114.); BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/ 85, BVerfGE 75, 329; BVerfG v. 20.10.1992 – 1 BvR 698/89, BVerfGE 87, 209 (224.); BVerfG v. 10.1.1995 – 1 BvR 718/89 u.a., BVerfGE 92, 1 (12); BVerfG v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135 (157); BVerfG v. 18.9.2006 – 2 BvR 2126/05, NJW 2007, 1193; BVerfG v. 1.9.2008 – 2 BvR 2238/07, NJW 2008, 3627. 7 So BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820. 8 BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, NJW 2011, 3778; BGH v. 14.5.1996 – 1 StR 1/96, BGHSt 42, 158 (161 f.); zur Kritik an dieser Entscheidung Krumm in T/K, § 369 AO Rz. 21 m.w.N. 9 Schmitz in MK-StGB³, § 1 StGB Rz. 91 ff.; Hecker in Schönke/Schröder30, § 1 StGB Rz. 37; Kühl in Lackner/Kühl29, § 1 StGB Rz. 6; Kuhlen in FS Otto, 2007, 103.

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2.7

Kap. 2 Rz. 2.7 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

rechts.1 Hierdurch ergeben sich erhebliche Anwendungsdivergenzen, weil ein Analogieverbot im Steuerrecht verfassungsrechtlich nicht abgesichert ist und tatsächlich auch nicht praktiziert wird.2 Dementsprechend sind im Steuerrecht auch teleologische Reduktion und Extension zulässig, ohne dass es auf die für das Strafrecht maßgebliche Wortlautschranke ankäme.3

4. Rückwirkungsverbot 2.8

Aus Art. 103 Abs. 2 GG i.V.m. § 2 StGB ergibt sich das Verbot der Rückwirkung von Strafbarkeit und Strafe zum Nachteil des Täters (Rückwirkungsverbot).4 Kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot ist allerdings in den Fällen gegeben, in denen sich das Recht während der Tat geändert hat: § 2 Abs. 2 StGB stellt klar, dass das Recht anzuwenden ist, das bei Beendigung der Tat gilt, sodass es durchaus zu einer Verschlechterung der Rechtssituation für den Täter kommen kann, falls überhaupt die Tat schon zu Beginn strafbar war.5 Eine Besonderheit enthält § 2 Abs. 3 StGB, wonach für den Fall, dass sich das Recht zwischen der Tat und der Entscheidung geändert hat, das jeweils mildeste Recht anzuwenden ist.6 Diese Meistbegünstigungsklausel7 gilt allerdings nicht für sog. Zeitgesetze (§ 2 Abs. 4 StGB), zu denen nicht nur kalendermäßig begrenzte, sondern auch solche Gesetze gehören, die erkennbar nur als vorübergehende Regelung für sich ändernde wirtschaftliche oder sonstige zeitbedingte Verhältnisse gedacht sind.8 Das Rückwirkungsverbot betrifft nur den Gesetzgeber, nicht aber die Rechtsprechung.9 Dennoch erzeugt auch die höchstrichterliche Rechtsprechung einen vergleichbaren Vertrauenstatbestand,10 so dass auch insoweit Vertrauensschutz geboten ist.11 1 Vgl. BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, NJW 2011, 3778 Rz. 58; BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/ 85, BVerfGE 75, 329 (342 ff.); BGH v. 17.12.1970 – KRB 1/70, BGHSt 24, 54 (61 f.). 2 Zu Einzelheiten Englisch in T/L23, § 5 Rz. 74 ff. 3 Zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 381 f. 4 Vgl. BVerfG v. 19.10.1977 – 2 BvR 689/76, BVerfGE 46, 188; BVerfG v. 18.9.2008 – 2 BvR 1817/ 08, NJW 2008, 3769; BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 (194); Hecker in Schönke/Schröder30, § 2 StGB Rz. 1; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 29; Krumm in T/K, § 369 AO Rz. 14. 5 BGH v. 19.11.1993 – 2 StR 468/91, NStZ 1994, 123 (124); OLG Hamm v. 21.1.2009 – 3 SS 476/08, NVwZ-RR 2009, 701; OLG Karlsruhe v. 19.3.2001 – 2 Ws 193/00, NStZ 2001, 654; Hecker in Schönke/Schröder30, § 2 StGB, Rz. 13; Kühl in Lackner/Kühl29, § 2 StGB Rz. 2. 6 So auch die Vorgabe von Art. 49 Abs. 1 Satz 2 GRCh; zu einem Anwendungsfall EuGH v. 2.5.2018 – C-574/15, ECLI:EU:C:2018:295 – Mauro Scialdone, UR 2018, 481 m. Anm. Reiß. 7 Hierzu BVerfG v. 18.9.2008 – 2 BvR 1817/08, NJW 2008, 3769; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1983, 407 ff.; Sommer, Das „mildeste Gesetz“ im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, 1979, 62. 8 BGH v. 2.11.1951 – 2 StR 212/51, NJW 1952, 72; BGH v. 9.3.1954 – 3 StR 12/54, BGHSt 6, 30 (37); BGH v. 14.12.1994 – 5 StR 210/94, wistra 1995, 107; BGH v. 27.8.2010 – 1 StR 218/10, wistra 2011, 70; bei Durchführung des Unionsrechts verbleibt es allerdings im Anwendungsbereich von Art. 49 Abs. 1 Satz 3 GrCh bei der Meistbegünstigung; hierzu Gaede, wistra 2011, 365. 9 BVerfG v. 8.2.1972 – 1 BvR 170/71, BVerfGE 32, 311 (319); BVerfG v. 24.10.1996 – 2 BvR 1851, 1853, 1875, 1852/94, BVerfGE 95, 96 (132); BGH v. 20.3.1995 – 5 StR 111/94, BGHSt 41/101 (111 f.); BGH v. 8.4.2010 – 5 StR 491/09, wistra 2010, 263. 10 Dementsprechend auch insoweit ein Rückwirkungsverbot annehmend z.B. Gaede in Flore/Tsambikakis2, § 369 AO Rz. 98; Schmitz in MK-StGB3, § 1 StGB Rz. 37; Schulze-Osterloh, DStJG 6 (1983) 43 (60 f.); vgl. im Übrigen die Literaturübersicht bei Remmert in Maunz/Dürig, Art. 103 Abs. 2 GG Rz. 128 ff. und Krumm in T/K, § 369 AO Rz. 14 f. 11 Die Rspr. des BVerfG (BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170, 199, 210, 230) erstreckt daher die Garantiefunktion vor Art. 103 Abs. 2 GG insofern auf nachteilige Rechtsprechungsänderung, soweit durch die bisherige Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist.

10 | Schaumburg

A. Das Normengefüge (Überblick) | Rz. 2.9 Kap. 2

Obwohl das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Rückwirkungsverbot sich nur auf das Strafrecht bezieht, gilt aufgrund des Rechtsstaatprinzips i.V.m. den betroffenen Grundrechten ein entsprechendes Rückwirkungsverbot auch für Steuergesetze.1 Im Hinblick darauf besteht ein weitgehender Gleichlauf, sodass für die durch die §§ 369 ff. AO in Bezug genommenen blankettausfüllenden Normen des Steuerrechts im Wesentlichen die gleichen Grundsätze gelten.2 Das bedeutet, dass nicht nur rückwirkend in Kraft gesetzte steuerbegründende oder steuerverschärfende Rechtsnormen (echte Rückwirkung), sondern auch solche mit tatbestandlicher Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung) nicht nachträglich eine Strafbarkeit begründen können. Maßstab hierfür ist also stets das „strenge“ strafrechtliche Rückwirkungsverbot mit der Folge, dass die im Steuerrecht maßgebliche Veranlagungszeitraumrechtsprechung3 im Steuerstrafrecht unangewendet bleibt. Für die blankettausfüllenden Normen des Steuerrechts hat im Übrigen die Meistbegünstigungsklausel des § 2 Abs. 3 StGB besondere Bedeutung.4 Hier gelten folgende Grundsätze: Wird das Steuerrecht zugunsten des Täters rückwirkend, also auch für frühere Veranlagungszeiträume geändert, gilt uneingeschränkt das mildere Recht. Wird dagegen das Steuerrecht zugunsten des Täters nur ab einem bestimmten Veranlagungszeitraum geändert, sodass für zurückliegende Veranlagungszeiträume das vorangegangene Recht gültig bleibt, gilt das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) nur ab dem Veranlagungszeitraum, zu dem es in Kraft getreten ist.5 Dementsprechend bleibt eine Steuerrechtsnorm, die seitens des BVerfG für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt worden ist, solange maßgeblich, wie sie (befristet) weiterhin anwendbar bleibt.6 Das bedeutet, dass insoweit auch eine verfassungswidrige Steuer hinterzogen werden kann.7 Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die betreffende Steuerrechtsnorm durch das BVerfG für nichtig erklärt wird. Da ein hierauf begründeter Steueranspruch nicht existent ist, kann eine Steuerhinterziehung nicht gegeben sein, sodass insoweit allenfalls ein strafloses Wahndelikt vorliegt.8 Obwohl das (steuerliche) Rückwirkungsverbot nur an die Adresse des Gesetzgebers gerichtet ist, erstreckt sich dessen Gewährleistung auch auf die höchstrichterliche Steuerrechtsprechung und darüber hinaus 1 BVerfG v. 3.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748 u.a., BVerfGE 127, 61; BVerfG v. 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BStBl. II 2012, 932; BVerfG v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, FR 2014, 326; vgl. den Überblick bei Hey in T/L23, § 3 Rz. 260 ff. 2 Vgl. zu den Besonderheiten hinsichtlich der Differenzierung zwischen echter und unechter Rückwirkung insbesondere zur sog. Veranlagungszeitraumrechtsprechung des BVerfG Hey in T/L23, § 3 Rz. 261 ff. 3 BVerfG v. 3.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 (80); BVerfG v. 14.5.1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 (251 ff.). 4 Vgl. BGH v. 8.1.1965 – 2 StR 49/64, BGHSt 20, 177; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138; Satzger, Jura 2006, 746 (751); Rüping, NStZ 1984, 451; vgl. auch BVerfG v. 22.8.1994 – 2 BvR 1884/93, NJW 1995, 315 f.; BGH v. 9.3.1954 – 3 StR 12/54, BGHSt 6, 30 ff.; BGH v. 14.12.1994 – 5 StR 210/94, BGHSt 40, 378 (381); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138 (143); Meyberg, PStR 2010, 278 (280 f.). 5 BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, wistra 1987, 139; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 27. 6 BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138; BGH v. 9.10.2007 – 5 StR 162/07, DStR 2008, 144; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 31; Muhler in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 44 Rz. 9. 7 BGH v. 7.1.2001 – 5 StR 395/01, BStBl. II 2002, 259; BayObLG v. 11.3.2003, wistra 2003, 315; BFH v. 24.5.2000 – II R 25/99, BStBl. II 2000, 378; BFH v. 27.10.2000 – VIII B 77/00, BStBl. II 2001, 16; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 31; Peters in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 68 f.; Lang, StuW 2003, 289 ff. (295); a.A. Seer in T/L23, § 23 Rz. 2; Tipke in FS Kohlmann, 2003, 555 (574 ff.); Salditt in FS Tipke, 1995, 475 ff. 8 Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 30; Joecks, wistra 2006, 401 ff.

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Kap. 2 Rz. 2.9 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

auch auf Verwaltungsvorschriften. In allen Fällen besteht eine vergleichbare Vertrauensbasis für den Steuerpflichtigen.1 Hat dieser in Orientierung an die Rechtsprechung des BFH oder/ und an geltende Verwaltungsvorschriften Dispositionen getroffen, können diese durch spätere rückwirkende, verschärfende Änderungen nicht eine Strafe wegen Steuerhinterziehung auslösen.2 Soweit blankettausfüllende Normen des Steuerrechts gegen das mit Vorrang ausgestattete Unionsrecht (zur Normenhierarchie Rz. 2.31 ff.) verstoßen, sind sie zwar nicht unwirksam, sie dürfen aber dennoch im konkreten Fall nicht angewendet werden.3 Hieraus folgt, dass auch insoweit eine Steuerhinterziehung ausgeschlossen ist.4 Eine derartige Neutralisierungswirkung wird nicht nur in den Fällen ausgelöst, in denen nationales Recht und unmittelbar anwendbares Unionsrecht miteinander unvereinbare Normbefehle enthalten, sondern auch dann, wenn etwa unionsrechtlich verbürgte Grundfreiheiten entgegenstehen.5 Einer Entscheidung des EuGH bedarf es hierfür nicht.6 Ist eine dementsprechende Entscheidung ergangen, wirkt sie grundsätzlich zurück.7 Allerdings kann die Unanwendbarkeit des dem Unionsrecht widersprechenden nationalen Rechts dadurch begrenzt sein, dass die Entscheidung des EuGH selbst in ihrer zeitlichen Rückwirkung eingeschränkt wird.8

5. Doppelbestrafungsverbot 2.10

Zu den in Art. 103 GG aufgeführten grundrechtsgleichen Rechten gehört auch das Doppelbestrafungsverbot (Art. 103 GG Abs. 3 GG), wonach niemand wegen derselben Tat auf Grund allgemeiner Strafgesetze mehrmals bestraft werden darf (ne bis in idem). Diese Gewährleistung ist im Grundsatz zwar binnenorientiert und allein an den deutschen Staat adressiert,9 eine Erweiterung erfährt sie aber insbesondere durch Art. 50 GRCh und Art. 54 SDÜ.10

2.11

Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in Kap. 4 (Rz. 4.1 ff.) verwiesen.

1 Vgl. hierzu den Überblick bei Hey in T/L23, § 3 Rz. 280 ff. 2 Jedenfalls wird die Schuld (Verbotsirrtum) auszuschließen sein; vgl. Krumm in T/K, § 369 AO Rz. 15. 3 EuGH v. 17.12.1970 – C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114 – Internationale Handelsgesellschaft, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 9.3.1978 – C-106/77, ECLI:EU:C:1978:49 – Simmenthal, EuGHE 1978, 629; EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31 – Schumacker, EuGHE 1995, I-249; EuGH v. 12.12.2002 – C-324/00, ECLI:EU:C:2002:749 – Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11 802 = FR 2003, 182; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671 = FR 2008, 927; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731; zu weiteren Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 4.20. 4 Zu Fällen sog. echter Kollisionen Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 15 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 78 ff. 5 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 82; entsprechendes gilt für Kollisionen mit der GrCh; vgl. EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:280 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27, Rz. 45. 6 Engelhart in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 6 Rz. 82; vgl. hier Rz. 2.44. 7 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 28.9 ff.; Kokott/Henze in FS Spindler, 2011, 278 (281 ff.). 8 Hierzu Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV6, Art. 267 AEUV Rz. 39; Schaumburg in Schaumburg/Englisch², Europäisches Steuerrecht, Rz. 28.9 ff.; Henze/Kokott, NJW 2006, 177 ff. 9 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (15); BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2012, 1202. 10 Zur EMRK vgl. Rz. 2.63.

12 | Schaumburg

A. Das Normengefüge (Überblick) | Rz. 2.16 Kap. 2

6. Unschuldsvermutung Aus der verfassungsrechtlich verankerten Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt der Grundsatz: Keine Strafe ohne Schuld.1 Das bedeutet zugleich, dass bis zum Nachweis der Schuld die Unschuld vermutet wird.2

2.12

Diese Unschuldsvermutung (in dubio pro reo) ist ausdrücklich in Art. 48 GRCh und in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankert.3

7. Selbstbelastungsfreiheit Jeder hat das Recht, sich nicht selbst beschuldigen oder belasten zu müssen (nemo tenetur). Dieses aus der verfassungsrechtlich garantierten Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Selbstbelastungsverbot4 hat im Steuerstrafrecht eine besondere Bedeutung im Hinblick auf steuerliche Mitwirkungsverpflichtungen (§ 393 AO).5

2.13

II. Völkerrechtliche Normen 1. Einführung Zu den Völkerrechtsnormen zählen völkerrechtliche Verträge, das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Kulturvölker.6

2.14

Die drei vorgenannten völkerrechtlichen Rechtsquellen werden allgemein dem Statut des Internationalen Gerichtshofs7 entnommen. Das IGH-Statut8 enthält als weitere Entscheidungsmaßstäbe richterliche Entscheidungen des IGH und anerkannte Lehrmeinungen. Indessen handelt es sich hierbei nicht um Rechtsnormen, sondern lediglich um Rechtserkenntnisquellen, also um Hilfsmittel zur Feststellung bereits existierender Völkerrechtsnormen.9

2.15

2. Völkerrechtliche Verträge Völkerrechtliche Verträge – Willenseinigungen zwischen Völkerrechtssubjekten, deren Gegenstand die Begründung oder Änderung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten ist10 – kön-

1 BVerfG v. 9.7.1997 – 2 BvR 1371/96; BVerfGE 96, 245 (249); BVerfG v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/ 10 u.a., BVerfGE 133, 168 (197); BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14, BVerfGE 140, 317, Rz. 53 ff. 2 BVerfG v. 14.6.2007 – 2 BvR 1447/05 u.a., BVerfGE 118, 112 (231); BVerfG v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 (199). 3 Vgl. hierzu auch Rz. 2.65 ff. 4 BVerfG v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 (201); vgl. auch EuGH v. 7.1.2004 – C 204/00, ECLI:EU:C:2004:6 – Aalborg; EGMR v. 8.4.2004 – 38544/97, IR 2005, 423; vgl. zur EMRK auch Rz. 2.62. 5 Vgl. hierzu Rz. 5.27. 6 Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 190; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.4. 7 BGBl. II 1973, 505; zum IGH Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 948 ff., Heintschel von Heinegg in Ipsen, Völkerrecht7, Einl. Kap 3 Rz. 1 ff. 8 Art. 38 Abs. 12 IGH-Statut. 9 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 78. 10 Zum Begriff Herdegen, Völkerrecht19, § 15 Rz. 1 ff.

Schaumburg | 13

2.16

Kap. 2 Rz. 2.16 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

nen entweder zwischen zwei (bilaterale Verträge) oder mehreren Völkerrechtssubjekten (multilaterale Verträge) geschlossen werden.

2.17

Deutschland hat ein enges Netz von bilateralen Völkerrechtsverträgen abgeschlossen, um so die grenzüberschreitende Unterstützung in Strafrechtsangelegenheiten sicherzustellen. Im Wesentlichen geht es hier um die grenzüberschreitende Vollstreckungshilfe sowie um die Auslieferung bzw. Durchlieferungshilfe. Daneben bestehen bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen (DBA)1 und Abkommen auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe und des Auskunftsaustausches (InfAust),2 die durchweg auch für Steuerstrafsachen gelten.

2.18

Von den multilateralen Völkerrechtsverträgen mit strafrechtlichem Inhalt haben neben dem IStGH-Statut3 (s. Rz. 2.55) und der EMRK insbesondere die Abkommen eine Bedeutung, die unter dem Dach des Europarats geschlossen worden sind. Die EMRK4 statuiert verschiedene strafrechtlich relevante Gewährleistungen, die allerdings in Deutschland bereits weitgehend sowohl durch Verfassungsrecht als auch durch materielles und formelles Strafrecht abgesichert sind.5 Zu den unter dem Dach des Europarats abgeschlossenen Abkommen mit materiell-strafrechtlicher Ausrichtung6 zählt insbesondere auch das Übereinkommen über Geldwäsche.7 Schließlich sind auch zahlreiche verfahrensrechtliche Abkommen des Europarats im Zusammenhang mit Auslieferung und Vollstreckung von Bedeutung.8 Hierzu zählen etwa das europäische Auslieferungsübereinkommen9 und das Europäische Rechtshilfeübereinkommen10 (mit Zusatzprotokollen)11. Darüber hinaus gibt es weitere EU-Übereinkommen,12 die allerdings nunmehr weitgehend durch die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (RL EEA) ersetzt werden (s. Rz. 6.170 ff.). Die Rechtshilfeabkommen, die im Wesentlichen eine Reihe von formellen Erleichterungen für Rechtshilfeersuchen beinhalten, werden innerhalb der EU zudem weitgehend überlagert vom Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)13. Eine Besonderheit stellen schließlich die Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommen der EU mit den USA dar.14 Diese von der EU abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge ergänzen die zwischen den Mitgliedstaaten und den USA abgeschlossenen bilateralen Rechtshilfeabkommen.15

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Vgl. die Übersicht in Nr. 1 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 15.1.2020, BStBl. I 2020, 163. Vgl. die Übersicht in Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 15.1.2020, BStBl. I 2020, 168. IStGH-Statut v. 17.7.1998, BGBl. II 2000, 1393. Gesetz v. 7.8.1952, BGBl. II 1952, 685. Zu Einzelheiten im Überblick Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 16 ff. Vgl. hierzu die Übersicht bei Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 2; Hackner/Schieholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, Rz. 12. In Deutschland in Kraft getreten am 1.1.1999, BGBl. II 1998, 519; BGBl. II 1999, 200. Vgl. hierzu die Übersicht bei Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 10 f. EUAlÜbk v. 13.12.1957, BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1976, 1778, BGBl. II 1982, 995; BGBl. II 1994, 299. EuRhÜbk vom 20.4.1959, BGBl. II 1964, 1386; EG-VollstrÜbk, BGBl. II 1997, 1351; Eu-RhÜbk, BGBl. II 2005, 650. ZP I v. 17.3.1978, BGBl. II 1990, 124, BGBl. II 1991, 909; ZP II v. 8.11.2001, BGBl. II 2014, 1038; BGBl. II 2015, 520. Vgl. die Übersicht bei Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 11. BGBl. II 1993, 1013; hierzu im Überblick Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 25 ff. ABl. EU 2003 Nr. L 181, 25; ABl. EU 2009 Nr. L 325, 4; vgl. Rz. 10.183 ff. Zu den Problemen dieser Abkommen Spinellis in FS Eser, 2005, 873.

14 | Schaumburg

A. Das Normengefüge (Überblick) | Rz. 2.22 Kap. 2

Zu den bilateralen Völkerrechtsverträgen mit steuerrechtlichem und steuerstrafrechtlichem1 Inhalt gehören insbesondere die DBA sowie Verträge mit verschiedenen Bündnispartnern und sonstige zwischenstaatliche Vereinbarungen.2 Hierzu gehören z.B. das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA über die von der Bundesrepublik Deutschland zu gewährenden Abgabenvergünstigungen für die von den USA im Interesse der gemeinsamen Verteidigung geleisteten Ausgaben vom 15.10.1954, ratifiziert durch das Offshore-Steuergesetz vom 18.8.1955,3 sowie das NATO-Truppenstatut vom 19.6.1951 und das Zusatzabkommen hierzu vom 3.8.1959.4 Von Bedeutung sind schließlich Informationsaustauschabkommen, die auch Steuerstrafsachen betreffen.5

2.19

Zu den multilateralen Völkerrechtsverträgen mit steuerrechtlichem Inhalt zählen das Wiener Übereinkommen vom 18.4.1961 über die diplomatischen Beziehungen (WÜD),6 welches am 11.12.1964 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten ist,7 ferner das Wiener Übereinkommen vom 24.4.1963 über konsularische Beziehungen (WÜK),8 das für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 7.10.1971 gilt,9 sowie die auf der Grundlage des Art. 293 EG a.F. ergangene sog. Schiedsverfahrenskonvention.10

2.20

3. Völkergewohnheitsrecht Völkergewohnheitsrecht ist eine allgemeine ständige Übung der Staaten, die von der Überzeugung der beteiligten Staaten getragen ist, dass eine Rechtspflicht zu deren Befolgen besteht.11 Unter das Völkergewohnheitsrecht fallen insbesondere die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die gem. Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts sind, den übrigen Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen.

2.21

Art. 25 GG lässt offen, aus welcher völkerrechtlichen Rechtsquelle die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gespeist werden. Der Wortlaut der Bestimmung, der insoweit keine Einschränkung enthält, deutet darauf hin, dass sowohl Gewohnheitsrecht, Vertragsrecht als auch allgemeine Rechtsgrundsätze zu diesen Rechtsquellen gehören. Indessen ergibt sich aus dem Verhältnis von Art. 25 GG einerseits zu Art. 59 Abs. 2 GG andererseits, dass völkerrechtliche Verträge als Rechtsquellen für die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ausscheiden. Für die

2.22

1 Soweit es um grenzüberschreitende Auskünfte geht (Art. 26 OECD-MA, MA-InfAust). 2 Hierzu der Überblick BMF v. 15.1.2020, BStBl. I 2020, 162. 3 BGBl. II 1955, 821, zuletzt geändert durch Gesetz v. 24.6.1976, BGBl. I 1975, 1509; DVO v. 23.3.1964, BGBl. I 1964, 224. 4 BGBl. II 1961, 1218. 5 Zum Stand der Abkommen Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 15.1.2020, BStBl. I 2020, 162. 6 BGBl. II 1964, 957. 7 BGBl. II 1965, 147. 8 BGBl. II 1969, 1585. 9 BGBl. II 1971, 1285; zu weiteren Einzelheiten zum WÜD und WÜK Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 11; Engelschalk in V/L6, Art. 28 OECD-MA Rz. 5 ff. 10 90/436/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10; Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. C 202, 1; Ergänzung ABl. EU 2005 Nr. C 160, 11; vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 23.1 ff. 11 Vgl. Art. 38 Abs. 16 IGH-Statut; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 122 ff.; Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 19 Rz. 2 ff.; Herdegen, Völkerrecht19, § 16 Rz. 1 ff.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 196 ff.; zu den wichtigsten Theorien, die zum Entstehen und zur rechtlichen Geltung von Völkergewohnheitsrecht vertreten werden Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 346 ff.; Verdross, ZaöRV 29 (1969), 635 ff.

Schaumburg | 15

Kap. 2 Rz. 2.22 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

Einbeziehung von Völkervertragsrecht enthält nämlich Art. 59 Abs. 2 GG eine dem Art. 25 GG vorgehende Sonderregelung dahingehend, dass völkerrechtliche Verträge grundsätzlich durch die entsprechenden Vertragsgesetze zu innerstaatlichem Recht werden und damit lediglich Gesetzesrang haben,1 mit der Folge, dass innerstaatliches Recht völkerrechtliche Verträge überspielt (Treaty overriding).2 Im Hinblick darauf hat etwa die EMRK im Unterschied zur Rechtslage in anderen Staaten3 nur einfachgesetzlichen Rang.4

2.23

Zum strafrechtlichen Völkergewohnheitsrecht werden im internationalen Kontext u.a. die Inhalte des Tokioter Militärgerichtshofs sowie der Ad-hoc-Gerichtshöfe ICTY bzw. ICTR5 gezählt. Darüber hinaus haben die Haager Landkriegsordnung von 1907, die Genfer Abkommen von 1949 sowie die Völkermordkonvention völkergewohnheitsrechtliche Geltung.6 Soweit die völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätze, zu denen etwa auch das Gesetzlichkeitsprinzip (hierzu s. Rz. 2.65) gehört, nicht ohnehin bereits normativ (schriftlich) im nationalen Recht verankert sind, bleibt den entsprechenden Rechtsgrundsätzen die verbindliche Wirkung versagt, wenn sie strafbegründend oder strafschärfend wirken.7

2.24

Als steuerrechtliches Völkergewohnheitsrecht8 hat sich das Verbot für jeden Staat herausgebildet, die Steuerpflicht aufgrund seiner Steuergesetze ohne jegliche räumliche oder persönliche Schranke auszudehnen.9 Hiernach dürfen also nur solche Sachverhalte der einseitigen steuerrechtlichen Regelung eines Staates unterworfen werden, die eine tatsächliche Anknüpfung (genuine link) zum regelnden Staat aufweisen.10

4. Allgemeine Rechtsgrundsätze 2.25

Unter den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Kulturvölker versteht man die übereinstimmenden Grundsätze, die sich aus dem innerstaatlichen Recht der Staaten entnehmen und auf internationale Sachverhalte übertragen lassen.11 Für das Internationale Steuerstrafrecht 1 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316 f.); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Herdegen in Maunz/ Dürig, Art. 25 GG Rz. 9 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth15, Art. 59 GG Rz. 19; Streinz in Sachs8, Art. 59 GG Rz. 63; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 168 f. 2 BVerfG v. 5.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191; hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.24 f. 3 Österreich, Schweiz, Frankreich, Spanien; vgl. die Nachweise bei Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 2. 4 Vgl. zu den damit verbundenen Problemen Gerards, Die Europäische Menschenrechtskonvention im Konstitutionalisierungsprozess einer gemeinsamen Grundrechtsartung, 2007, 132 ff.; vgl. Rz. 2.60. 5 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 15 Rz. 4; vgl. auch Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 207 ff. 6 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 15 Rz. 5; vgl. auch Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 207 ff. 7 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 17 Rz. 12; Werle, JZ 2001, 885 (889). 8 Hierzu Croxatto, StuW 1964, 879 ff. 9 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.13. 10 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (369); BVerfG v. 14.5.1968 – 2 BvR 544/63, BVerfGE 23, 288 (309 f.); BFH v. 26.4.1963 – III 237/58 U, BStBl. III 1963, 413; BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 781 f.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.13. 11 Vgl. Art. 38 Abs. 1 C IGH-Statut; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 383; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 89; Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 20 Rz. 1 ff.; die Abgrenzung zum Völkergewohnheitsrecht ist nicht eindeutig; hierzu Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 205.

16 | Schaumburg

A. Das Normengefüge (Überblick) | Rz. 2.26 Kap. 2

sind jene allgemeinen Rechtsgrundsätze von Bedeutung, die rechtslogische Regeln beinhalten. Hierzu gehören die Sätze „lex posterior derogat legi priori“, „lex specialis derogat legi generali“ sowie einige allgemeine Grundsätze materieller Natur, wie das Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie der Grundsatz von Treu und Glauben.1

III. Supranationale Normen (Unionsrecht) Supranationale Normen sind Rechtsnormen, die von zwischenstaatlichen Organisationen erlassen werden und die zu ihrer Wirksamkeit keiner Transformation in innerstaatliches Recht bedürfen; Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gilt insoweit nicht.2 Derartige supranationale Normen beinhaltet das europäische Unionsrecht (Europarecht), das sich aus den sog. Integrationsverträgen3 ableitet. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das primäre Unionsrecht (EUV/AEUV), dessen Bestimmungen unmittelbar anwendbar sind, soweit sie unbedingt sind und aufgrund ihrer inhaltlichen Bestimmtheit keiner weiteren Umsetzung bedürfen.4 Das sekundäre Unionsrecht wird auf der Grundlage von Primärrecht gesetzt,5 z.B. durch Verordnungen und Richtlinien. Während die Verordnungen sich an jedermann richten und im gesamten Unionsbereich unmittelbar geltendes Recht darstellen (Art. 288 Abs. 2 AEUV), sind Adressaten der Richtlinien lediglich die Mitgliedstaaten. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ist jede Richtlinie für den Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Eine EU-Verordnung muss nicht mehr in nationales Recht umgesetzt werden, sodass sie insoweit unmittelbare Rechtsnormqualität hat.6 Sie ist unmittelbar verbindlich sowohl für Personen des Privatrechtes als auch für alle staatlichen Stellen.7 EU-Richtlinien sind demgegenüber grundsätzlich kein für den Unionsbürger unmittelbar wirkendes Recht. Etwas anderes gilt nur, wenn eine EU-Richtlinie von einem Mitgliedstaat nicht, nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden ist: Sie erzeugt – soweit sie hinreichend bestimmt und unbedingt ist – für den Bürger unmittelbar geltendes Recht mit der Folge, dass sich dieser gegenüber dem Mitgliedstaat, der die Richtlinie nicht fristgemäß oder ordnungsgemäß umgesetzt hat, unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall auf die Richtlinienregelung zu seinen Gunsten berufen kann.8 1 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 163; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 89. 2 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.15 ff. 3 Ursprünglich EG-Vertrag; überarbeitet durch den am 7.2.1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag); Zustimmungsgesetz v. 28.12.1992, BGBl. II 1992, 1251; durch den Vertrag von Amsterdam v. 2.10.1997; Zustimmungsgesetz BGBl. II 1998, 387; durch den Vertrag von Nizza v. 26.2.2001, Zustimmungsgesetz BGBl. II 2001, 1667; und durch den Vertrag von Lissabon v. 13.12.2007, Zustimmungsgesetz BGBl. II 2008, 1038. 4 Grundlegend EuGH v. 5.2.1963 – C-26/62, ECLI:EU:C:1963:1 – van Gend & Loos, EuGHE 1963, 1 ff. (24 ff.). 5 Hierzu Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 23; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 64. 6 Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 43; Hobe, Europarecht9, Rz. 419; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 75. 7 Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 42; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 78 ff. 8 EuGH v. 5.2.1981 – C-154/80, ECLI:EU:C:1981:38 – Staatsecretaris van Financiën/Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, EuGHE 1981, I-445; EuGH v. 2.2.1984 – C-70/83, ECLI:EU:C:1984:71 – Kloppenburg, EuGHE 1984, I-1075; EuGH v. 26.2.1986 – C-152/84, ECLI:EU:C:1986:84 – Marshall, EuGHE 1986, I-723; EuGH v. 27.6.1989 – C-50/88, ECLI:EU:C:1989:262 – Kühne, EuGHE 1989, I-1925; EuGH v. 25.5.1993 – C-193/91, ECLI:EU:C:1993:203 – Mohsche, EuGHE 1993, I-2615 = UR 1993, 309 m. Anm. Widmann; vgl. den Überblick bei Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 86 ff.

Schaumburg | 17

2.26

Kap. 2 Rz. 2.27 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

2.27

EU-Verordnungen haben als unmittelbar geltendes Recht im Strafrecht nur eine eingeschränkte Bedeutung, weil es einstweilen noch kein europäisches Kriminalstrafrecht gibt.1 Allerdings enthält Art. 103 Abs. 2 Buchst. a AEUV eine unionsrechtliche Rechtsetzungskompetenz für die Verhängung von Geldbußen auf der Grundlage von EU-Verordnungen.2 Schließlich werden auch die Aufgaben von OLAF3 durch auf Art. 280 Abs. 4 EG a.F. beruhende EU-Verordnungen4 festgelegt (zu Einzelheiten Rz. 10.51). EU-Verordnungen haben demgegenüber besondere Bedeutung im Zollrecht.5 Im Bereich des Steuerrechts spielen sie eine nur geringe Rolle.6 Auf der Grundlage der Art. 82 ff. AEUV kann die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) durch EU-Richtlinien geregelt werden. Derartige EU-Richtlinien haben bislang aber noch keine Bedeutung erlangt, weil die noch nach altem Recht erlassenen Rahmenbeschlüsse7 betreffend PJZS unverändert fortgelten.8 Aufgrund verschiedener EU-Richtlinien sind schließlich zahlreiche Vorschriften des Steuerrechts harmonisiert worden. Dies gilt insbesondere für das Umsatzsteuerrecht,9 Verbrauchsteuerrecht,10 Bilanzrecht11 und das Recht der Unternehmensbesteuerung.12 1 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 7 Rz. 2; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 4 Rz. 58; vgl. Rz. 2.59. 2 Vgl. etwa Art. 23 Abs. 1 Kartellverordnung, Verordnung (EG) Nr. 1/2003, ABl. EG 2003 Nr. L 1, 1; hierzu Wahl in S/S/vHH2, Europäisches Strafrecht, § 7 Rz. 1 ff. 3 Office de la Lutte Anti-Fraude (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung). 4 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. L 136, 1; Verordnung (EG) Nr. 1074/1999 (Euratom) des Rates v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. L 136, 8. 5 Z.B. der gemeinsame Zolltarif, Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates v. 23.7.1987, ABl. EG 1987 Nr. L 256, 1; Witte in Witte, UZK7; Vor Art. 1 Rz. 1 ff.; Verordnung (EG) 1186/2009 des Rates v. 16.11.2009 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen, ABl. EG 2009 Nr. L 324, 13; Verordnung des Rates Nr. 1182/71 v. 3.6.1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine, ABl. EG 1971 Nr. L 124; Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1. 6 Vgl. MWSt-ZusammenarbeitsVO, Verordnung (EU) Nr. 904/2010 v. 7.10.2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, ABl. EU 2010 Nr. L 268, 1. 7 Vgl. die Aufzählung bei Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 33. 8 Art. 9 f. des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen, ABl. EU 2010 Nr. L 83, 322. 9 Z.B. Richtlinie v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MWStSystRL), ABl. EU 2006 Nr. L 347, 1. 10 Richtlinie 2008/118/EG über das allgemeine Verbrauchsteuersystem (VerbrauchStSystRL), ABl. EU 2008 Nr. L 112, 21. 11 4. Richtlinie des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Art. 54 Abs. 3g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. EG 1978 Nr. L 222, 1; EU-Modernisierungsrichtlinie v. 18.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 178, 16; hierzu Böcking/Wiederhold, Der Konzern 2003, 394. 12 Z.B. Richtlinie 2009/133/EG über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat v. 19.10.2009, ABl. EU 2009 Nr. L 310, 34, geändert durch Richtlinie 2013/13 EU v. 13.5.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30 (Fusionsrichtlinie); sowie Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011 über das gemeinsame System der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8 (Mutter-Tochter-Richtlinie) sowie Richtlinie des Rates v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten 2003/49/EG, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 49, geändert durch Richtlinie 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU 2006 Nr. L 363, 129 (Zins-/Lizenzrichtlinie).

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A. Das Normengefüge (Überblick) | Rz. 2.30 Kap. 2

Neben den EU-Verordnungen und EU-Richtlinien zählen auch noch Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen zum sekundären Unionsrecht.1 Während Beschlüsse durchweg rechtsverbindliche Einzelfallregelungen sind,2 erzeugen Empfehlungen und Stellungnahmen keine verbindliche Wirkung.3 Im Steuerrecht haben Empfehlungen nur geringe Bedeutung erlangt. Entscheidungen steuerrechtlichen Inhalts sind ebenfalls bisher nur vereinzelt ergangen.4 Schließlich gehören auch völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten zu den zum sekundären Unionsrecht zählenden unionsrechtlichen Rechtsquellen.5 Als multilaterale Abkommen werden sie erst durch Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten verbindlich. Im Steuerrecht haben sie bisher kaum Bedeutung erlangt.6

2.28

Neben primärem und sekundärem Unionsrecht als Hauptquellen des Unionsrechts ist das sog. Tertiärrecht von Bedeutung, das aufgrund sekundärrechtlicher Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen von Kommission und Rat erlassen wird (Art. 290 AEUV). Hierzu zählt auch die eingeräumte Ermächtigung an die Kommission, „nicht wesentliche“ Vorschriften des Sekundärrechts zu ergänzen oder zu ändern sowie Durchführungsbestimmungen zum Sekundärrecht zu erlassen (Art. 291 Abs. 2 AEUV).7 Darüber hinaus haben als Neben- oder Komplementärquellen über die bereits erwähnten Rechtsquellen hinaus noch Bedeutung: Entschließungen, Erklärungen, Kommuniqués und Mitteilungen.8

2.29

Der dem vorgenannten sekundären Unionsrecht als primäres Unionsrecht zugrunde liegende AEUV erzeugt partiell ebenfalls unmittelbar geltendes Recht, soweit dessen Bestimmungen self-executing sind.9 Zu den Bestimmungen, die dem Unionsbürger subjektive Rechte verleihen, gehören im Steuerrecht insbesondere die die Grundfreiheiten – Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV), Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV), Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) – regelnden Normen des AEUV. Zum primären Unionsrecht zählen neben dem AEUV selbst z.B. auch der EURATOM-Vertrag, die entsprechenden Beitrittsverträge, Änderungen und Ergänzungen der Verträge, das Unionsgewohnheitsrecht, die Charta der

2.30

1 Hierzu die Übersicht bei Ruffert in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 288 AEUV Rz. 15; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 113 ff. 2 Art. 288 Abs. 4 AEUV; hierzu Mager, EuR 2001, 661 ff. 3 Hierzu Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 200 ff.; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7, § 9 Rz. 127. 4 Z.B. die Entscheidung des Rates 90/640/EWG v. 3.12.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 349, 19, aufgrund deren Deutschland ermächtigt wurde, abweichend von der 6. EG-Richtlinie für Umsätze an die sowjetischen Truppen bis zu deren Abzug Steuerbefreiungen auszusprechen (UR 1991, 41). 5 Hierzu gehört auch das SDÜ; vgl. BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2012, 1202; Thym in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 77 AEUV Rz. 15. 6 Vgl. allerdings die sog. Schiedsverfahrenskonvention (90/436/EWG, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10; Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. C 202, 1; Ergänzung ABl. EU 2005 Nr. C 160, 11); s. hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.914 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 23.1 ff. 7 Hierzu im Überblick Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 31; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 19; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 3.15 ff. 8 Hierzu Ruffert in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 288 AEUV Rz. 95 ff.; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7, § 9 Rz. 145 ff. 9 Grundlegend EuGH v. 5.2.1963 – C-26/62, ECLI:EU:C:1963:1 – van Gend & Loos, EuGHE 1963, 1 ff. (24 ff.).

Schaumburg | 19

Kap. 2 Rz. 2.30 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

Grundrechte der EU (GRCh)1 sowie die geschriebenen und ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze der Union.2

B. Zur Normenhierarchie I. Überblick 2.31

Das Normengefüge des Internationalen Steuerstrafrechts stellt sich als eine gegliederte Rechtsordnung dar, innerhalb derer eine Normenhierarchie besteht, die den einzelnen Rechtsnormen eine bestimmte Rangstufung zuweist.3 Die Rangstufung der Rechtsnormen ist notwendig, weil nur so eine gesicherte Rechtsanwendung möglich ist. Eine Normenhierarchie ist nur zwischen völkerrechtlichen und innerstaatlichen sowie innerhalb innerstaatlicher Normen feststellbar. Eine Normenhierarchie innerhalb völkerrechtlicher Normen gibt es aus der Sicht des Völkerrechts im Grundsatz nicht, sodass Völkergewohnheitsrecht, völkerrechtliche Verträge und allgemeine Rechtsgrundsätze prinzipiell gleichrangig nebeneinanderstehen.4

2.32

Auf der Ebene der vorgenannten völkerrechtlichen Normen werden Konflikte allerdings durch die allgemeinen Konflikte vermeidenden Rechtsanwendungsregeln gelöst. So geht stets der besondere Rechtssatz dem allgemeinen (lex specialis derogat legi generali) und der spätere Rechtssatz dem früheren vor (lex posterior derogat legi priori). Für die völkerrechtliche Praxis hat das die bedeutsame Folge, dass ein völkerrechtlicher Vertrag regelmäßig völkerrechtliches Gewohnheitsrecht als spezielleres Recht verdrängt.5 Das gilt insbesondere dann, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag ausdrücklich oder inzidenter bestehendes völkerrechtliches Gewohnheitsrecht kodifiziert.6

II. Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts 2.33

Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen „allgemeine Regeln des Völkerrechts“, zu denen Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze zählen,7 den „Gesetzen“ vor. Diese Bestimmung verankert den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor Bundesgesetzen oder Landesgesetzen. Im Falle der Kollision ist daher Bundes- und Landesrecht unanwendbar.8 Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind aber nicht mit Überverfassungsrang ausgestattet. Dies ergibt sich aus Art. 79 Abs. 3 GG, in dem Art. 25 GG nicht unter jenen Artikeln 1 Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV; Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 6 EUV Rz. 12. 2 Solche sind: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Grundsatz des Verwaltungsschutzes, Grundsatz der Rechtssicherheit, Grundsatz des Verbots von Rückwirkungen belastender Rechtsakte, Grundsatz des rechtlichen Gehörs; vgl. hierzu die Hinweise bei Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 31 ff. 3 Vgl. zu Folgendem Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.20 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 4.1 ff. 4 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 413 f.; Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 23 Rz. 1; da die allgemeinen Rechtsgrundsätze zumeist wenig konkret sind, kommen sie insoweit nur subsidiär und zur Lückenausfüllung völkerrechtlicher Verträge zur Anwendung; hierzu Stein/von Buttlar/ Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 166 f. 5 Zu Einzelheiten Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 23 Rz. 2 ff.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 153 f., 159. 6 So etwa durch das IStGH-Statut; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 80 f., 208 ff. 7 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 195 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 159 f. 8 Streinz in Sachs8, Art. 25 GG Rz. 93.

20 | Schaumburg

B. Zur Normenhierarchie | Rz. 2.34 Kap. 2

aufgeführt ist, die durch das Grundgesetz nicht geändert werden dürfen. Schließlich sieht Art. 100 Abs. 2 GG keine Kontrolle des Verfassungsrechts anhand allgemeiner Regeln des Völkerrechts vor. Allgemeine Regeln des Völkerrechts können daher nach Art. 25 GG nur insoweit Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung sein, als sie nicht dem Verfassungsrecht widersprechen. Das Verfassungsrecht hat somit gegenüber den allgemeinen Regeln des Völkerrechts Vorrang.1 Die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln sind daher im Rang zwischen den formellen Gesetzen und dem Grundgesetz angesiedelt.2

III. Rang völkerrechtlicher Verträge Völkerrechtliche Verträge stehen, da Art. 25 GG nicht gilt, durch Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 GG im Rang von Bundesgesetzen.3 Das gilt für völkerrechtliche Verträge auf dem Gebiet des Strafrechts und des Steuerrechts gleichermaßen, und zwar auch dann, wenn sie allgemein geltende Rechtsgrundsätze enthalten. So hat z.B. die EMRK durch einfachgesetzliche Transformation4 lediglich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes,5 obwohl Art. 6 Abs. 3 EUV die in der EMRK verankerten Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts qualifiziert.6 Insoweit handelt es sich nämlich lediglich um eine unionsrechtliche Rechtserkenntnisquelle und nicht etwa um eine Rechtsquelle mit der Folge, dass sie in der Normenhierarchie nicht in das mit Vorrang ausgestattete Unionsrecht aufsteigt.7 Das Grundgesetz geht in seiner prinzipiellen, insbesondere sich aus Art. 25 GG ergebenden Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern.8 Es überlässt vielmehr die Erfüllung der bestehenden völkerrechtlichen Vertragspflichten der Verantwortung des Gesetzgebers. Solange also nicht völkerrechtliche Verträge durch Zustimmungsgesetz Bestandteile der innerstaatlichen Rechtsordnung geworden sind (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG), stellen sie keine Rechtsnormen dar. Insbesondere führt auch der völkerrechtlich anerkannte Grundsatz „pacta sunt servanda“ nicht dazu, dass ein völkerrechtlicher Vertrag, dem 1 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 7.4.1965 – 2 BvR 227/64, BVerfGE 18, 441 (448); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Herdegen in Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rz. 7 f., 35, 42. 2 Herdegen in Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rz. 78; Streinz in Sachs8, Art. 25 GG Rz. 88; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 159 f.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 201. 3 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316 f.); BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 33; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; BFH v. 13.7.1994 – I R 120/93, BStBl. II 1995, 129 = FR 1994, 829; BFH v. 17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781 = FR 1995, 707; Streinz in Sachs8, Art. 59 GG, Rz. 63; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5. 4 Gesetz v. 7.8.1952, BGBl. II 1952, 685, 953; BGBl. II 1954, 14. 5 BVerfG v. 29.5.1990 – 2 BvR 254/88, BVerfGE 82, 106 (120); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/ 04, BVerfGE 111, 307, BVerfG v. 25.9.2009 – 2 BvR 1113/06, HFR 2010, 69; BGH v. 9.11.2010 – 5 StR 394/10 u.a., NStZ 2011, 149 f.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 2; Safferling, Internationales Strafrecht, § 13 Rz. 22. 6 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 16. 7 Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 6 EUV Rz. 7; Geiger in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV6, Art. 6 EUV Rz. 26; Jarass, GRCh3, Einl. Rz. 32, 40; Art. 52 GRCh Rz. 64; zur Rechtsquelle wird die EMRK erst durch den gem. Art. 6 Abs. 2 EUV vorgesehenen Beitritt der EU; vgl. hierzu Kerkmann-Wittzack, DÖV 2005, 152 (153). 8 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (362 f.); BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (177 f.).

Schaumburg | 21

2.34

Kap. 2 Rz. 2.34 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

nicht durch ein förmliches Gesetz gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zugestimmt wurde, als in innerstaatliches Recht überführt gilt.1

2.35

Im Hinblick darauf ist etwa § 2 Abs. 1 AO, der den Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen, insbesondere von DBA, vor Steuergesetzen normiert, weitgehend leerläufig. § 2 Abs. 1 AO kann als einfaches Bundesgesetz die Rangregel des Art. 59 Abs. 2 GG nicht suspendieren.2 Die Regelung des § 2 Abs. 1 AO hätte – um konstitutive Wirkung entfalten zu können – mit qualifizierter Mehrheit (Art. 79 Abs. 2 GG) in das Grundgesetz zu Art. 25 GG eingeführt werden müssen.3 § 2 Abs. 1 AO hat daher allenfalls deklaratorische Bedeutung.4 Indessen beruht diese nicht darauf, dass völkerrechtliche Verträge eingehalten werden müssen. Zwar ist der Satz „pacta sunt servanda“ eine grundlegende Bestimmung des Völkergewohnheitsrechts und zugleich eine allgemeine Regel des Völkerrechts,5 hierdurch werden die Normen der völkerrechtlichen Verträge selbst aber noch nicht in allgemeine Regeln des Völkerrechts mit Vorrang vor dem anderen innerstaatlichen Recht umgewandelt.6 Hieraus folgt, dass ein treaty override im Grundsatz zulässig ist.7 Die bloß deklaratorische Bedeutung des § 2 AO lässt sich allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer völkerrechtsfreundlichen Auslegungsregel feststellen. Aus Art. 25 GG ergibt sich nämlich die grundsätzliche Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes8 mit der Folge, dass nationale Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen sind, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht entsteht.9 Das ändert aber nichts daran, dass entsprechend dem Lex-Posterior-Grundsatz nachfolgendes ranggleiches innerstaatliches Recht ältere völkervertragliche Regelungen im Umfang des Widerspruchs außer Kraft setzt, es sei denn, die ältere Regelung ist spezieller als die jüngere.10 In diesem Zusammenhang entfaltet § 2 Abs. 1 AO dadurch Bedeutung, dass er dem Lex-specialis-Grundsatz gegenüber dem Lex-posterior-Grundsatz Vorrang einräumt,11 so dass insoweit die (normtechnische) Spezialität insbesondere von DBA geklärt ist. Dieses Spezialverhältnis kann allerdings – verfassungsrechtlich zulässig – durch ein innerstaatliches Gesetz suspendiert werden, soweit ein dahingehender Gesetzesbefehl hinreichend deutlich wird.12 Das ist in all jenen Fällen so, in denen sich der Gesetzgeber der Formulierung „ungeachtet des Abkommens“ bedient. Hieraus folgt, 1 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfG 141, 1 Rz. 47; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Seer, IStR 1997, 481 (483). 2 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 48. 3 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 1a; Seer, IStR 1997, 481 (484); zur Rechtslage im Ausland Lehner in V/ L6, Grundlagen Rz. 203 ff. 4 Kritisch unter dem Gesichtspunkt der Normenwahrheit Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 1. 5 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (178); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; vgl. auch Art. 26 WÜRV. 6 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (177 f.); BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 47; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Birk in H/H/Sp, § 2 AO Rz. 161. 7 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 45 ff.; ein treaty override führt allerdings zu einer Störung der auf der Grundlage bi- und multilateraler Verträge angelegten internationalen Zusammenarbeit; hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.25. 8 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (362); BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (17); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317). 9 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1. 10 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, Rz. 50; hierzu Lehner, IStR 2016, 217; Frotscher, IStR 2016, 561; Hummel, IStR 2016, 335. 11 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6b. 12 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 50, 72; Nettesheim in Maunz/Dürig, Art. 59 GG Rz. 187; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6b.

22 | Schaumburg

B. Zur Normenhierarchie | Rz. 2.37 Kap. 2

dass bei einem bloß normativen Widerspruch zwischen völkerrechtlichem Vertrag und innerstaatlichem Recht der völkerrechtliche Vertrag als spezielleres Recht entsprechend § 2 Abs. 1 AO Vorrang hat. Das gilt unabhängig davon, ob das betreffende innerstaatliche Recht vor oder nach dem völkerrechtlichen Vertrag geschaffen worden ist.1 Enthält allerdings das abweichende innerstaatliche Recht eine Treaty-overriding-Klausel („ungeachtet des Abkommens“), wird das innerstaatliche Recht gegenüber dem völkerrechtlichen Vertrag zum spezielleren Recht, und zwar auch gegenüber späteren völkervertraglichen Regeln.2 Sollte kein eindeutiges Spezialitätenverhältnis festgestellt werden können, ist entsprechend dem Verfassungsgebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung derjenigen Auslegungsmöglichkeit der Vorzug zu geben, die die innerstaatliche Wirksamkeit der völkervertraglichen Regelung aufrechterhält.3

2.36

IV. Rang supranationaler Normen (Unionsrecht) Der Rang supranationaler Normen4 innerhalb der Normenhierarchie des Internationalen Steuerrechts hängt im Wesentlichen davon ab, welche Wirkung den supranationalen Normen zukommt.5 Handelt es sich um Normen, die sich von ihrem Inhalt her an die einzelnen Staaten wenden und diese Staaten lediglich verpflichten, etwa durch staatliche Akte ihre innerstaatliche Gesetzgebung in bestimmter Weise zu ergänzen oder zu ändern,6 so schaffen diese Normen durchweg nicht unmittelbar auch gegenüber dem Bürger anwendbares Recht,7 sind also non self executing.8 Bei diesen Normen stellt sich die Frage nach dem Rangverhältnis grundsätzlich nicht.9 Innerstaatliche Normen, die aufgrund einer derartigen verpflichtenden supranationalen Norm erlassen werden, haben im innerstaatlichen Recht hinsichtlich Dauer und Grad ihrer Wirksamkeit keine bevorzugte Stellung gegenüber gleichartigen innerstaatlichen Normen.10

1 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6b; Frotscher, IStR 2016, 561 (562). 2 BFH v. 25.5.2016 – I R 64/13, DStR 2016, 2087 = ISR 2016, 360 m. Anm. Kempermann; Schwarz, Treaty overriding und § 50d EStG, 287 f.; Kempermann, ISR 2016, 360 (362); Frotscher, IStR 2016, 561 (565 ff.); Trinks/Frau, IWB 2016, 308 (311); a.A. Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6b; Benz/Rosenberg in FS Haarmann, 2015, 301 (320). 3 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (362); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316 f.); BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, Rz. 71; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5. 4 Zum Unionsrecht als supranationales Recht Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 38. 5 Zu den einzelnen Normengruppen des EU-Rechts Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 19 ff.; Hobe, Europarecht9, 394 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 218 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 3.1 ff. 6 Art. 288 Abs. 3 AEUV für EU-Richtlinien. 7 Die EuGH-Judikatur verwendet den Begriff „unmittelbare Wirkung“; zu weiteren terminologischen Differenzierungen Grabitz in DStJG 11 (1988), 33 (38 f.). 8 Hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 185 ff., 203 speziell zu EU-Richtlinien. 9 Bei Verstoß gegen die Umsetzungspflicht erzeugen EU-Richtlinien indessen unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkung mit der Folge, dass sie sodann Teil der Normenhierarchie werden; zu Einzelheiten Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 91 ff.; ferner nachfolgend Rz. 2.36 f. 10 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, Rz. 1721; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.27; Götz, NJW 1992, 1849 (1852).

Schaumburg | 23

2.37

Kap. 2 Rz. 2.38 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

2.38

Die Bestimmungen des EUV und des AEUV beanspruchen allerdings unmittelbare Geltung, soweit sie den Unionsbürgern subjektive Rechte verleihen.1 In Art. 288 Abs. 2 AEUV ist zudem die unmittelbare Wirkung von EU-Verordnungen normiert. Eine vergleichbare Regelung für EU-Richtlinien findet sich nicht. Hieraus folgt indessen nicht, dass EU-Richtlinien keine den EU-Verordnungen vergleichbare verbindliche Wirkung erzielen können. So ist eine EU-Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Sie überlässt den nationalen Gesetzgebungsorganen lediglich die Wahl der Form und der Mittel.2 Die Mitgliedstaaten sind daher nicht berechtigt, von EU-Richtlinien einseitig abzuweichen und auf den von den EU-Richtlinien geregelten Gebieten mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften anderen Inhalts zu erlassen.3 Bei entsprechenden Verstößen kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) einleiten.

2.39

Solange die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist,4 entfaltet die EU-Richtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung für den Unionsbürger. Das Gleiche gilt, sobald die Richtlinie in vollem Umfang ordnungsgemäß umgesetzt wurde. In diesem Fall gehen die unmittelbaren Wirkungen von den seitens des jeweiligen Mitgliedstaates erlassenen Umsetzungsmaßnahmen aus.5 Insoweit erlangen EU-Richtlinien keinen formellen Rang im nationalen Recht. Sie sind damit grundsätzlich auch nicht Glied der Normenhierarchie.

2.40

Solange indessen eine EU-Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden ist, kann sich jeder Bürger auf diese EU-Richtlinie zu seinen Gunsten6 berufen, sofern die Bestimmungen in der EU-Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen und sie zu ihrer Anwendung keines Ausführungsaktes mehr bedürfen.7 In diesem Fall erlangt die EU-Richtlinie eine gegenüber dem nationalen Recht mit Vorrang8 ausgestattete unmittelbare Wirkung, sodass einzelnen Bürgern nicht entgegengehal1 So z.B. die Grundfreiheiten; vgl. Classen in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 22 Rz. 1 ff. 2 Art. 288 Abs. 3 AEUV. 3 Sog. negative Sperrwirkung oder Stand-still-Effekt; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 98; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 219; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 4.58. 4 Während der Umsetzung dürfen keine Vorschriften erlassen werden, die geeignet sind, die Erreichung des in der betreffenden Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich infrage zu stellen; EuGH v. 18.12.1997 – C-129/96, ECLI:EU:C:1997:628 – Wallonie, EuGHE 1997, I-7411; EuGH v. 22.11.2005 – C-144/04, ECLI:EU:C:2005:709 – Mangold, EuGHE 2005, I–9981; vgl. hierzu Frenz, EWS 2011, 33 ff. 5 EuGH v. 19.1.1982 – C-8/81, ECLI:EU:C:1982:7 – Becker, EuGHE 1982, 53 (70). 6 Eine unmittelbare Wirkung zulasten des Unionsbürgers ist ausgeschlossen, EuGH v. 12.5.1987 – C-372/85, ECLI:EU:C:1987:222 – Traen, EuGHE 1987, I-2141; EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 – Kolpinhuis, EuGHE 1987, 3982; EuGH v. 3.5.2005 – C-387/02, ECLI:EU: C:2005:270 – Berlusconi, EuGHE 2005, I-3565; zu weiteren Einzelheiten insbesondere bei EURichtlinien mit Doppelwirkung, Classen, EuZW 1993, 83 ff. 7 EuGH v. 5.2.1981 – C-154/80, ECLI:EU:C:1981:38 – Staatsecretaris van Financiën/Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, EuGHE 1981, I-445; EuGH v. 25.5.1993 – C-193/91, ECLI:EU: C:1993:203 – Mohsche, EuGHE 1993, I-2615 = UR 1993, 309 m. Anm. Widmann; zu den Voraussetzungen im Einzelnen Jarass, NJW 1990, 2420 (2422 f.); Classen, EuZW 1993, 83 ff.; ferner Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 49. 8 EuGH v. 22.2.1984 – C-70/83, ECLI:EU:C:1984:71 – Kloppenburg, EuGHE 1984, 1075; EuGH v. 26.2.1986 – C-152/84, ECLI:EU:C:1986:84 – Marshall, EuGHE 1986, 723; EuGH v. 14.7.1988 – C207/87, ECLI:EU:C:1988:409 – Weissgerber, EuGHE 1988, 4433; aus der Rspr. des BFH: BFH v. 11.10.2012 – V R 9/10, DStR 2012, 2331 = UR 2013, 56; BFH v. 24.10.2013 – V R 17/13, MwStR 2014, 166 = UR 2014, 147.

24 | Schaumburg

B. Zur Normenhierarchie | Rz. 2.42 Kap. 2

ten werden kann, die EU-Richtlinie sei noch nicht oder abweichend umgesetzt worden. Eine unmittelbare Richtlinienwirkung kommt unter den vorgenannten Voraussetzungen allerdings dann nicht in Betracht, wenn subjektiv-öffentliche Rechte von Unionsbürgern keine Rolle spielen.1 Die unmittelbare Wirkung der Richtlinien beruht damit letztlich auf Rechtsschutzgesichtspunkten zugunsten des einzelnen Bürgers (Mindestgarantie) und Sanktionsaspekten zulasten der Mitgliedstaaten,2 die in Entschädigungsansprüchen geschädigter Bürger gegen den betreffenden Mitgliedstaat (Staatshaftung) einmünden können.3 Normativ ergibt sich das Recht des Unionsbürgers, sich auf die unmittelbare Wirkung der EU-Richtlinie zu berufen, aus Art. 288 Abs. 3 AEUV i.V.m. Art. 4 Abs. 3 EUV. Hieraus folgt, dass z.B. die Finanzverwaltung verpflichtet ist, die Vorschriften der Richtlinie ggf. entgegen den damit nicht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften zugunsten des Bürgers anzuwenden.4 Da EU-Richtlinien nur die nationalen Gesetzgebungsorgane verpflichten (Art. 288 Abs. 3 AEUV), darf die Finanzverwaltung demgegenüber die EU-Richtlinien nicht zulasten des Bürgers anwenden.5 Ebenso wenig kann die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens hierdurch begründet werden oder zum Nachteil des Einzelnen verschärfend wirken.6

2.41

Die innerstaatlichen Gerichte haben bei der Auslegung der nationalen Durchführungsregelungen auf den Inhalt der EU-Richtlinien abzustellen,7 und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung nicht vorliegen.8 Diese Verpflichtung findet ihre Schranken allerdings in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil des Unionsrechts

2.42

1 EuGH v. 11.8.1995 – C-431/92, ECLI:EU:C:1995:260 – Kommission/Deutschland, EuGHE 1995, I-2189/2220; zur objektiven unmittelbaren Richtlinienwirkung Epiney, DVBl. 1996, 409 ff.; Pechstein, EWS 1996, 261 ff. 2 Ausführlich hierzu Jarass, NJW 1990, 2420 (2422). 3 EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90, ECLI:EU:C:1991:428 – Francovich, EuGHE 1991, I-5403 bei Richtlinienverstoß; EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Köbler, EuGHE 2003, I10239; EuGH v. 5.3.1996 – C-46/93, ECLI:EU:C:1996:79 – Brasserie du Pêcheur, EuGHE 1996, I1029 bei Grundfreiheitsverstoß; vgl. auch EuGH v. 12.12.2006 – C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774 – Test Claimants in the FII Group Litigation, EuGHE 2006, I-11753; EuGH v. 23.4.2008 – C-201/ 05, ECLI:EU:C:2008:239 – Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation, HFR 2008, 985; BGH v. 24.10.1996 – III ZR 127/91, EuZW 1996, 761; hierzu im Überblick Hobe, Europarecht9, 619 ff. und Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 24.36 ff. 4 EuGH v. 22.6.1989 – C-103/88, ECLI:EU:C:1989:256 – Fratelli Constanzo, EuGHE 1989, I-1839; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 3.11. 5 EuGH v. 12.5.1987 – C-372/85, ECLI:EU:C:1987:222 – Traen, EuGHE 1987, I-2141; EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 – Kolpinghuis, EuGHE 1987, 3969 (3982); Jarass, NJW 1990, 2420 (2421); hierdurch darf es aber nicht zu überschießenden Begünstigungsregelungen kommen; so BFH v. 7.7.2011 – V R 36/10, BFH/NV 2011, 2192 = UR 2012, 64. 6 EuGH v. 3.5.2005 – C-387/02, ECLI:EU:C:2005:270 – Berlusconi, EuGHE 2005, I-3565; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 19; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 46; vgl. auch Satzger, JZ 2005, 998 ff.; Dannecker in FS Schroeder, 2006, 768. 7 BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (242 ff.); EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 – Kolpinghuis, EuGHE 1987, 3969 (3982). 8 EuGH v. 10.4.1984 – C-14/83, ECLI:EU:C:1984:153 – Colson, EuGHE 1984, 1891; EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 – Kolpinghuis, EuGHE 1987, 3969 (3986); EuGH v. 20.9.1988 – C-31/87, ECLI:EU:C:1988:422 – Beentjes, EuGHE 1988, 4635 (4662); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (237 ff.); BFH v. 28.9.1988 – X R 6/82, BStBl. II 1989, 122; BFH v. 20.1.1988 – X R 48/81, BStBl. II 1988, 557; BFH v. 11.3.1988 – V R 30/84, BStBl. II 1988, 643.

Schaumburg | 25

Kap. 2 Rz. 2.42 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

sind, und zwar insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot.1

2.43

Im Verhältnis zu den nationalen Gerichten hat der EuGH die abschließende Entscheidungsbefugnis über die Auslegung des AEUV und über die Gültigkeit und die Auslegung der EURichtlinien (Art. 267 AEUV). Dagegen entscheidet der EuGH weder über nationales Recht noch über die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht.2 Indessen überprüft grundsätzlich3 (s. Rz. 2.50) aber auch nicht das BVerfG die Vereinbarkeit des Unionsrechts mit den Grundrechten des Grundgesetzes.4 Deshalb werden innerstaatliche Rechtsvorschriften, die EU-Richtlinien umsetzen, nicht an den Grundrechten gemessen, wenn das Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt.5

2.44

Ist die Frage der Gültigkeit oder Auslegung von EU-Richtlinien entscheidungserheblich, können die nationalen Instanzgerichte diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Das Vorlageverfahren wird durch einen Vorlagebeschluss des Gerichts eingeleitet.6 Letztinstanzliche Gerichte sind gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, es sei denn, die richtige Anwendung des Unionsrechts ist derart offenkundig, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel verbleibt.7

2.45

Rahmenbeschlüsse, die insbesondere im Bereich Polizeilicher und Justizieller Zusammenarbeit (PJZ) in der Vergangenheit auf der Grundlage von Art. 34 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b EUV erlassen wurden und noch weiterhin Bedeutung haben,8 sind zwar wie EU-Richtlinien für die Mitgliedstaaten verpflichtend,9 sie erzeugen aber anders als EU-Richtlinien keine unmittelbaren Rechte für die Unionsbürger.10 Dennoch sind nicht umgesetzte Rahmenbeschlüsse im Wege einer für die Mitgliedstaaten verpflichtenden rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Strafrechts zu berücksichtigen.11

2.46

Soweit supranationale Normen unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Recht beanspruchen, also die Bestimmungen des AEUV, soweit sie den Unionsbürgern, wie etwa die Grundfreiheiten, subjektive Rechte verleihen, EU-Verordnungen und nicht fristgemäß oder

1 2 3 4 5 6 7

8 9 10 11

EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431 – Kolpinghuis, EuGHE 1987, 3969 (3982). EuGH v. 3.10.1985 – C-249/84, ECLI:EU:C:1985:393 – Profant, EuGHE 1985, 3250. Anders zuletzt BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 1651/15 u.a., juris. BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339; BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147; hierzu Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7, § 10 Rz. 15 ff. BVerfG v. 4.10.2011 – 1 BvL 3/08, BFH/NV 2011, 2220. Zum Vorlageverfahren Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rz. 13 ff.; im Überblick Pechstein, EU-Prozessrecht4, Rz. 740; Seer in T/K, EuR Rz. 30 ff. Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 5.1 ff. EuGH v. 6.10.1982 – C-283/81, ECLI:EU:C:1982:335 – CILFIT, EuGHE 1982, 3415; hierzu Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rz. 51 ff. ("Acte Clair"); vgl. auch BFH v. 10.1.2007 – I R 87/03, BStBl. II 2008, 22; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671 = FR 2008, 927; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731. Vgl. den Überblick über wichtige Rahmenbeschlüsse bei Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 33. EuGH v. 16.6.2005 – C-105/03, ECLI:EU:C:2005:386 – Pupino, EuGHE 2005, 5285. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 7 Rz. 6. EuGH v. 16.6.2005 – C-105/03, ECLI:EU:C:2005:386 – Pupino, EuGHE 2005, 5285; vgl. zu Einzelheiten Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 10 Rz. 79 ff.

26 | Schaumburg

B. Zur Normenhierarchie | Rz. 2.47 Kap. 2

ordnungsgemäß umgesetzte EU-Richtlinien, ergibt sich die entsprechende Rangregel aus Art. 23 Abs. 1 GG.1 Diese Bestimmung besagt nicht nur, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten zulässig ist, sondern auch, dass Normen der Organe der zwischenstaatlichen Einrichtungen vom ursprünglich ausschließlichen Hoheitsträger anzuerkennen sind und kraft dieser Anerkennung entgegenstehendes nationales Recht überlagern und verdrängen.2 Das gilt auch gegenüber völkerrechtlichen Verträgen und allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die nach Maßgabe des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bzw. gem. Art. 25 GG Bestandteil der nationalen Rechtsordnung sind. Da sich das Unionsrecht ohnehin an den allgemeinen Regeln des Völkerrechts orientiert und zudem auch im Lichte des Völkerrechts auszulegen ist,3 kommt diesem Rangverhältnis keine besondere Bedeutung zu.4 Aus unionsrechtlicher Sicht besteht ein unbedingter Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem innerstaatlichen Recht,5 und zwar kraft EU-Rechts selbst (Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 288 AEUV)6 und nicht etwa kraft eines nationalen Anwendungsbefehls.7 Neben den supranationalen Normen des sekundären Unionsrechts werden hierbei auch die den Unionsbürgern subjektive Rechte verleihenden Bestimmungen des AEUV8 in den Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht9 einbezogen.10 Das gilt auch dann, wenn das nationale Recht später erlassen wurde.11 Aus dem Anwendungsvorrang folgt, dass entgegenstehende Normen des nationalen Straf- und Steuerrechts zwar nicht unwirksam sind, sie dürfen aber im konkreten

1 Art. 23 Abs. 1 GG ist lex specialis zu Art. 24 Abs. 1 GG; zur Funktion des Art. 23 (Art. 24) GG Grabitz in DStJG 11 (1988), 33 (39 f.). 2 BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (174); BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (375); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (242 f.); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (182 ff.). 3 EuGH v. 14.7.1998 – C-284/95, ECLI:EU:C:1998:352 – Safety Hi-Tech, EuGHE 1998, I-4301. 4 Vgl. die Hinweise bei Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 152 ff. 5 Auch gegenüber DBA; hierzu Vedder in Lehner/Thömmes u.a., Europarecht und Internationales Steuerrecht, 1 (7 f.); zu Einzelheiten Cordewener/Schnitger, StuW 2006, 50 ff.; Schönfeld, StuW 2006, 79 ff. 6 Hierzu EuGH v. 15.7.1964 – C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66 – Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251 (1253); seitdem ständige Rechtsprechung des EuGH v. 17.12.1970 – C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114 – Internationale Handelsgesellschaft, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 9.3.1978 – C-106/77, ECLI:EU: C:1978:49 – Simmenthal, EuGHE 1978, 629; EuGH v. 11.1.2000 – C-285/98, ECLI:EU:C:2000:2 – Kreil, Slg. 2000, I-69; vgl. ferner BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671 = FR 2008, 927; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 47 ff.; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 1 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 4.18. 7 Grundlegend EuGH v. 15.7.1964 – C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66 – Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251 (1253); vgl. ferner Geiger in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV6, Art. 4 EUV Rz. 20 ff. 8 Insbesondere die Grundfreiheiten. 9 Hierzu zählen nicht nur generell-abstrakte Rechtsvorschriften (Normen), sondern auch individuell-konkrete Regelungen (Verwaltungsakte); EuGH v. 29.4.1999 – C-224/97, ECLI:EU:C:1999:212 – Ciola/Land Vorarlberg, EuGHE 1999, I-2517. 10 EuGH v. 15.7.1964 – C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66 – Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251; BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (171); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (182 ff.); BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701. 11 EuGH v. 15.7.1964 – C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66 – Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251 (1271); EuGH v. 9.3.1978 – C-106/77, ECLI:EU:C:1978:49 – Simmenthal, EuGHE 1978, 629 (644).

Schaumburg | 27

2.47

Kap. 2 Rz. 2.47 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

Fall nicht angewendet werden.1 Diese Neutralisierung bewirkt für das (Internationale) Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht, dass bei einer Kollision des in Bezug genommenen Steuerrechts mit Primärrecht die Tatbestandsmäßigkeit von vornherein nicht gegeben ist.2 Entsprechendes gilt im Übrigen für ein vollständiges Strafgesetz.3

2.48

Innerhalb des Unionsrechts gebührt dem Primärrecht vor dem Sekundärrecht4 und dort den Verordnungen und Entscheidungen vor den Richtlinien der Vorrang.5

2.49

Supranationales Recht (Unionsrecht) geht im Grundsatz auch dem nationalen Verfassungsrecht vor.6 Hieraus folgt etwa, dass entgegen Art. 19 Abs. 3 GG der Grundrechtsschutz auch auf juristische Personen aus EU-Staaten zu erstrecken ist, weil anderenfalls ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot wegen Staatsangehörigkeit gegeben wäre (Art. 18 AEUV).7 Der Anwendungsvorrang unmittelbar wirkender supranationaler Normen gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht Deutschlands gilt allerdings nur unter Vorbehalt,8 und zwar nur insoweit, als die supranationalen Normen überhaupt in den innerstaatlichen Bereich eindringen (Grundrechtsschranke).9 Art. 23 Abs. 1 GG10 führt nämlich nicht ipso iure zu einem schrankenlosen Einbruch supranationaler Normen in die Verfassung. Die Schranken der Öffnung der nationalen Rechtsordnung sind in Art. 23 Abs. 1 GG selbst enthalten, und zwar dahingehend, dass die Öffnung der nationalen Rechtsordnung dort ihre Grenze findet, wo unabdingbare Bestand-

1 EuGH v. 17.12.1970 – C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114 – Internationale Handelsgesellschaft, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 9.3.1978 – C-106/77, ECLI:EU:C:1978:49 – Simmenthal, EuGHE 1978, 629; EuGH v. 11.7.1989 – C-170/88, ECLI:EU:C:1989:216 – Ford España/État espagnol, Slg. 1989, 2305; EuGH v. 13.3.1997 – Rs. C-358/95, Morellato, Slg. 1997, I-1431; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/ 06, BStBl. II 2008, 671 = FR 2008, 927; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731; zu weiteren Einzelheiten Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 32 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 8 f.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 44; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 80; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 4.19. 2 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 11. 3 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 11; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 80; a.A. im Sinne eines Rechtfertigungsgrundes Weigend, ZStW 105 (1993), 774 ff. (781). 4 EuGH v. 9.11.2010 – C-92/09, ECLI:EU:C:2010:662 – Volker und Markus Schecke und Eifert, EuZW 2010, 939; hierzu im Überblick Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 226; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 37 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 4.6 ff. 5 Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 227; Kotzur in Geiger/ Khan/Kotzur, EUV/AEUV6, Art. 288 AEUV Rz. 5; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 44 ff. 6 EuGH v. 17.12.1970 – C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114 – Internationale Handelsgesellschaft, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 11.1.2000 – C-285/98, ECLI:EU:C:2000:2 – Kreil, EuGHE 2000-I, 69. 7 BVerfG v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, GRUR 2012, 53. 8 BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (174); BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (375); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (242 f.); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (174); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267; BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 1651/15 u.a., juris; vgl. hierzu auch Schaumburg in Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 4.21 ff.; zur Rechtslage in anderen EU-Staaten im Überblick Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 28 ff. 9 Hierzu Hirsch, NJW 1996, 2457 (2458 f.). 10 Früher Art. 24 Abs. 1 GG.

28 | Schaumburg

B. Zur Normenhierarchie | Rz. 2.50 Kap. 2

teile des Verfassungsgefüges angetastet werden.1 Die immanenten Schrankenwirkungen des Art. 23 Abs. 1 GG erlauben also keine supranationalen Normen, die die Identität der geltenden Verfassung (Verfassungsidentität) durch Einbruch in die sie konstituierenden Strukturen aufheben.2 Die Grenzen hierfür sind indessen sehr weit gezogen, sodass es im Ergebnis darauf ankommt, ob die Verfassung der supranationalen Gemeinschaft (EU) den Grundvorstellungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland noch entspricht.3 Dies ist vom BVerfG im Grundsatz bejaht worden.4 Solange daher die EU einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, wird das betreffende Unionsrecht grundsätzlich5 nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüft.6 Damit hat das BVerfG seiner eigenen Entscheidungskompetenz selbst Grenzen gesetzt. Die Kompetenzweite der Rechtsprechung des BVerfG wird hierbei durch das Verhältnis von nationalem Verfassungsrecht und Unionsrecht determiniert. In diesem Zusammenhang kommt es auf den parallelen Grundrechtsschutz der Europäischen Union an. Solange die Europäische Union einen entsprechenden Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union gewährleistet, übt das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von sekundärem Unionsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich Deutschlands in Anspruch genommen wird, grundsätzlich nicht aus.7 Ein derartiger paralleler Grundrechtsschutz ist derzeit in weiten Bereichen gewährleistet, sodass den 1 BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 1 (40); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (174). 2 BVerfG v. 29.5.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271; BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (372, 375 f.); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (235); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (174); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE u.a., BVerfGE 123, 267; BVerfG v. 7.11.2011 – 2 BvR 987, 1485, 1099/10, BVerfGE 129, 124; BVerfG v. 21.6.2016 – 2 BvR 2728/13 u.a., RIW 2016, 519, Rz. 121, 139; BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 1651/15 u.a., juris. 3 BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 1 (41); vgl. ferner Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 240 f. 4 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339; BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223; BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267. 5 Ausnahme in Fällen „ersichtlicher Grenzüberschreitungen“, BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267; BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 1651/15 u.a., juris. 6 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (387); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223; BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (174 f.); BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 (161 ff.); BVerfG v. 13.3.2007 – BvF 1/05, BVerfGE 118, 79; vgl. nachfolgend Rz. 2.50. 7 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 – Solange II, BVerfGE 73, 339 (387); das BVerfG nahm in seiner Entscheidung BVerfG v. 29.5.1974 – 2 BvL 52/71 – Solange I, BVerfGE 37, 271 (285), eine weitergehende Prüfungskompetenz in Anspruch, nämlich „solange der Integrationsprozess der Gemeinschaft noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist“; vgl. dagegen die Korrekturen durch „Solange II“ (BVerfGE 73, 339) und „Bananenmarkt“ (BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/ 97, BVerfGE 102, 147) zu „Solange I“ und „Maastricht“ (BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155); einschränkend zuletzt auch BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 – Lissabon, BVerfGE 123, 267 und BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a. – ESM, RIW 2012, 692 ff. (699), wonach ge-

Schaumburg | 29

2.50

Kap. 2 Rz. 2.50 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

verfassungsrechtlichen Vorbehalten gegenüber dem Anwendungsvorrang des unmittelbar wirkenden supranationalen Rechts keine praktische Bedeutung zukommt.1 Das BVerfG hat sich indessen das Prüfungsrecht dahin gehend vorbehalten, ob Einrichtungen der Organe der EU das primäre Unionsrecht in einer Weise handhaben oder fortbilden, die den Rahmen des durch Art. 23 Abs. 1 GG legitimierten Integrationsprogramms sprengt und damit vom deutschen Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt ist.2 Das bedeutet insbesondere, dass die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz auf die EU ebenso wie Blankettermächtigungen an dieselbe vom BVerfG nicht akzeptiert werden.3 Das BVerfG behält sich hierbei vor, in solchen Fällen die Unverbindlichkeit der daraus hervorgehenden Rechtsakte für den deutschen Hoheitsbereich festzustellen und deutschen Organen unter Berufung auf die Souveränität Deutschlands eine Befolgung von Rechtsakten zu verbieten, die aufgrund insbesondere extensiver Auslegung von europarechtlichen Befugnisnormen erlassen wurden.4 Angesprochen ist hier auch die vielfach kritisierte dynamische Interpretation der europäischen Verträge5 sowie die sog. Implied powers-Doktrin des EuGH, wonach der Union neben den geschriebenen auch all jene Kompetenzen zugestanden werden, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt.6 Damit werden im Ergebnis der Rechtsprechung des EuGH insoweit Grenzen gesetzt, als sie bislang auf eine weite Auslegung der Befugnisnormen gerichtet war, um im AEUV angelegte Ziele zu erreichen.7 Damit steht insbesondere die Rechtsfortbildung des EuGH,8 wie sie in der Vergangenheit insbesondere durch die Doktrin der unmittelbaren Anwendung von Richtlinien9 (zu Einzelheiten Rz. 2.40) und der Einführung einer mitgliedstaatlichen Haftung bei Verletzung primären Unionsrechts10 ihren Ausdruck gefunden hat, auf dem Prüfstand der „Superrevisionsinstanz“11 des BVerfG.12

1 2

3 4 5 6 7 8 9 10

11 12

prüft wird, ob der unantastbare Kerngehalt der „Verfassungsidentität des Grundgesetzes“ gewahrt ist; zuletzt auch BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 1651/15 u.a., juris. Dazu Nettesheim, Jura 2001, 686 ff. BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 1 (30 f.); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (235, 242); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 ff.; BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 (161 ff.); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267. BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (187 f.); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a., BVerfGE 123, 267 (349); BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a., RIW 2012, 692 ff. (699). BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 ff.; hierzu Häde, BB 1993, 2457 (2462); Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (976); zuletzt auch BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 1651/15 u.a., juris. Hierzu Bleckmann, NJW 1982, 1177 ff. BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267; zu Einzelheiten Winkler in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 352 AEUV Rz. 79 ff. Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (976). Hierzu Neßler, RIW 1993, 206 ff. BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (249 ff.). EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90, ECLI:EU:C:1991:428 – Francovich, EuGHE 1991, I-5403; EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Köbler, EuGHE 2003, I-10239; hierzu der Überblick bei Classen in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7, § 14 Rz. 11 ff.; ferner Moran, IStR 1993, 573 ff.; Jarass, NJW 1994, 881 ff. So Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (977) mit Hinweisen auf die Rechtsverfolgungsmöglichkeiten im Rahmen von Verfassungsbeschwerden und abstrakten Normenkontrollverfahren. Vgl. hierzu nur BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267; zuletzt BVerfG v. 18.3.2014 – 2 BvR 1390/12 u.a., NJW 2014, 1505 (1511 ff.); zuletzt BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 1651/15 u.a., juris.

30 | Schaumburg

C. Völkerstrafrecht | Rz. 2.53 Kap. 2

Neben der vorbezeichneten durch Art. 23 Abs. 1 GG errichteten Grundrechtsschranke ergibt sich eine weitere gegen die vorrangige Anwendbarkeit des Unionsrechts gerichtete Schranke aus Art. 38 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip: Durch eine Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen auf die EU darf der Kerngehalt der demokratischen Legitimation der deutschen Staatsgewalt und der Einflussnahme auf ihre Ausübung nicht entleert werden.1 Diese Kompetenzschranke lässt daher ein rechtsverbindliches unmittelbares Tätigwerden der EU im innerstaatlichen Rechtsraum nur zu, wenn dieser im Zustimmungsgesetz hinreichend bestimmbar normiert worden ist,2 sodass spätere wesentliche Änderungen des im AEUV angelegten Integrationsprogrammes und seiner Handlungsermächtigungen ohne ausdrückliche Vertragsänderung durch das Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt sind. Damit ist die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz auf die EU sowie die Erteilung von Blankettermächtigungen an dieselbe verfassungsrechtlich untersagt.3

2.51

V. Rang innerstaatlicher Normen Die Normenhierarchie des innerstaatlichen Rechts ergibt sich aus dem Grundgesetz. Art. 79 GG bestimmt den Vorrang des Verfassungsrechts vor Bundesgesetzen. Ein Vorrang von Bundesgesetzen einschließlich der vom Bund erlassenen Rechtsverordnungen vor Landesrecht besteht insoweit, als Bundesrecht und Landesrecht einander widersprechen (Art. 31 GG). Den beiden nachgeordnet sind schließlich autonome Satzungen, insbesondere Gemeinderecht (Art. 28 Abs. 2 GG). Schließlich gehen formelle Gesetze den Rechtsverordnungen vor (Art. 80 GG).4

2.52

C. Völkerstrafrecht Das Völkerstrafrecht umfasst alle völkerrechtlichen Normen, die unmittelbar eine Strafbarkeit begründen, ausschließen oder in anderer Weise regeln.5 Der Begriff „Völkerstrafrecht“ definiert sich somit von der Rechtsquelle her und ist, soweit auch Steuerstrafrecht rechtlich oder tatsächlich mit Auslandsbezug betroffen ist, Bestandteil des Internationalen Steuerstrafrechts. Da indessen das Völkerstrafrecht unmittelbar selbst nur Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Agressionsverbrechen normativ erfasst,6 hat das Völkerstrafrecht für das Steuerstrafrecht bislang keine Bedeutung erlangt. Durch das in den §§ 369 ff. 1 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (182 ff.); BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 (161 ff.); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a., BVerfGE 123, 267 (349); BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a., RIW 2012, 692 (699 ff.). 2 Vgl. hierzu die in Schrifttum diskutierte Kompetenzüberschreitung des EuGH v. 26.2.2013 – C617/10, ECLI:EU:C:2013:280 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27 zum Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 50 GRCh; vgl. Rabe, NJW 2013, 1407 f.; Weiß, EuZW 2013, 287 ff.; Wilke, IWB 2013, 325 ff.; Einzelheiten zum Doppelbestrafungsverbot Rz. 4.1 ff. 3 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (188); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a., BVerfGE 123, 267 (349); BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a., RIW 2012, 692 (699 ff.); BVerfG v. 18.3.2014 – 2 BvR 1390/12 u.a., NJW 2014, 1505 (1509 ff.). 4 Hierzu insgesamt Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 40 ff. 5 So Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 97; ähnlich Ambos, Internationales Strafrecht5, § 5 Rz. 1; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 12 Rz. 1; Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Rz. 3; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 82. 6 So die Kernverbrechen, die in den Art. 5 – 8 IStGH-Statut aufgeführt werden; hierzu im Überblick: Ambos, Internationales Strafrecht5, § 7 Rz. 117 ff.

Schaumburg | 31

2.53

Kap. 2 Rz. 2.53 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

AO in Bezug genommene Steuerrecht spielen allerdings auch Steuerrechtsnormen eine Rolle, die von ihrer Quelle her dem Völkerrecht zuzuordnen sind. Angesprochen sind hier insbesondere die zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen, Informationsaustausch- und Rechtshilfeabkommen, die als blankettausfüllende Normen zu berücksichtigen sind.

2.54

Das Völkerstrafrecht ist im Wesentlichen im IStGH-Statut1 verankert und ist insoweit tatsächlich internationales (supranationales) Kriminalstrafrecht. Der auf der Grundlage des IStGH-Statuts errichtete IStGH wird allerdings nicht ohne Weiteres tätig, sondern nur aufgrund einer Staatsbeschwerde, einer Anklage durch den Chefankläger oder aufgrund eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrats.2 Voraussetzung ist allerdings, dass die betreffenden nationalen Strafgerichte ihre Gerichtsbarkeit nicht selbst ausüben.3

2.55

Die Regelungen des IStGH-Statuts umfassen materielles Völkerstrafrecht4 und Völkerstrafprozessrecht.5 Soweit es um materielles Völkerstrafrecht geht, kodifiziert das IStGH-Statut weitgehend völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, wodurch dem verfassungsrechtlich verankerten Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG) allerdings noch nicht entsprochen wird (hierzu s. Rz. 2.2). Zwar ist das IStGH-Statut durch das IStGH-StatutsG6 in deutsches Rechts transformiert worden (Art. 59 Abs. 2 GG), die im IStGH-Statut enthaltenen Straftatbestände als solche sind aber wegen mangelnder Self-executing-Wirkung nicht unmittelbar Bestandteil des innerstaatlichen materiellen Strafrechts.7 Diese wirken lediglich im Zuständigkeitsbereich des IStGH. Die entsprechende Kodifikation enthält allerdings das VStGB8, wodurch im Ergebnis deutsches Völkerstrafrecht begründet wird.9 Hierdurch sind die deutschen Strafverfolgungsbehörden in der Lage, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen.

2.56

Soweit es um das im IStGH-Statut verankerte Völkerprozessrecht geht, handelt es sich im Ergebnis um eine eigene Strafprozessordnung,10 die weitgehend dem kontinentaleuropäischen Typus entspricht. So ist etwa die Anklagebehörde der Objektivität verpflichtet (Art. 54 Abs. 1 Buchst. a IStGH-Statut), wobei die Rechte des Angeklagten den allgemeinen menschenrechtlichen Standards entsprechen.11 Hierzu gehören etwa die Unschuldsvermutung (Art. 66 Abs. 1 IStGH-Statut), das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 67 Abs. 1 IStGH-Statut), das Recht auf effektive Verteidigung (Art. 67 Abs. 1 Buchst. b IStGH-Statut) und das Recht auf Schweigen, ohne dass hieraus negative Folgen gezogen werden dürfen (Art. 67 Abs. 1 Buchst. g IStGHStatut).12 Das IStGH-AusführungsG13 regelt schließlich die Zusammenarbeit mit dem IStGH. 1 IStGH-Statut v. 17.7.1998, BGBl. II 2000, 1394. 2 Im Überblick Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 316 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 14 Rz. 12 ff. 3 Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut; zu diesem Grundsatz der Komplementarität Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht5, Rz. 312 ff. 4 Zu Einzelheiten Ambos, Internationales Strafrecht5, § 7 Rz. 1 ff. 5 Hierzu Ambos, Internationales Strafrecht5, § 8 Rz. 1 ff. 6 IStGH-StatutsG v. 17.7.1998, BGBl. I 2000, 1393. 7 Hierzu Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 17 Rz. 13. 8 Völkerstrafgesetzbuch v. 30.6.2002, BGBl. I 2002, 2254. 9 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 90; zu Einzelheiten: Werle, JZ 2002, 725 ff.; Werle, JZ 2003, 87 ff.; zum VStGB im Überblick Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 17 Rz. 6 ff. 10 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 8 Rz. 1. 11 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 8 Rz. 52. 12 Vgl. auch den Überblick bei Ambos, Internationales Strafrecht5, § 8 Rz. 52. 13 IStGH-Ausführungsgesetz v. 21.6.2002, BGBl. I 2002, 2144.

32 | Schaumburg

D. Europäisches Strafrecht | Rz. 2.57 Kap. 2

D. Europäisches Strafrecht I. Allgemeines Zum Europäischen Strafrecht1 zählen alle Normen, die auf primäres und sekundäres Unionsrecht sowie auf sonstige europarechtliche Rechtsquellen zurückzuführen sind oder von diesen beeinflusst werden.2 Erfasst werden hier insbesondere nationale Strafvorschriften, die auf europarechtliche Normen verweisen.3 Angesprochen sind damit im Wesentlichen diejenigen deutschen Strafrechtsnormen, die ein Ver- oder Gebot des Europarechts bewehren. Derart in Bezug genommene Ge- oder Verbotsnormen müssen unmittelbare Wirkung entfalten mit der Folge, dass vor allem EU-Verordnungen in Betracht kommen (s. Rz. 2.27).4 Erfasst werden aber auch EU-Richtlinien, soweit sie in nationales Recht umgesetzt worden sind.5 Zu diesen Blankettstrafnormen mit Europabezug gehört im Bereich des Steuerstrafrechts insbesondere § 370 Abs. 6 Satz 2 AO, wonach auch die Hinterziehung von Umsatzsteuern und harmonisierten Verbrauchsteuern strafbar ist, soweit diese Steuern von einem anderen EU-Mitgliedstaat verwaltet werden.6 Soweit sich ein Europabezug im vorgenannten Sinne ergibt, gelten die für die Anwendung des Unionsrechts allgemein gültigen Anwendungsregeln. Das bedeutet, dass in den Fällen, in denen etwa blankettausfüllende Normen gegen EU-Richtlinien verstoßen, diese Normen wegen des unionsrechtlichen Vorrangs der Richtlinien (s. Rz. 2.40) nicht angewendet werden dürfen (s. Rz. 2.47). Insoweit liegt schon kein tatbestandsmäßiges Verhalten vor.7 Diese Neutralisierungswirkung8 gilt auch dann, wenn die von deutschen Strafnormen in Bezug genommenen ausländischen blankettausfüllenden Normen nicht richtig umgesetzt worden sind. Konkret: Widerspricht das in einem anderen EU-Staat umgesetzte Verbrauchsteuerrecht der Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie, kann insoweit der Tatbestand der Hinterziehung von in einem anderen EU-Mitgliedstaat verwalteten harmonisierten Verbrauchsteuern (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO) nicht erfüllt werden. Im Übrigen gelten die allgemeinen für die Auslegung von Unionsrecht maßgeblichen Grundsätze. Das bedeutet, dass etwa auf EU-Richtlinien beruhende blankettausfüllende Normen für Zwecke der Anwendung deutschen Strafrechts richtlinienkonform auszulegen sind.9 Schließlich sind die Einwirkungen der Grundfreiheiten auf die blankettausfüllenden Normen insbesondere des Steuerrechts zu berücksichtigen mit der Folge einer verpflichtenden primärrechtskonformen Auslegung.10 1 Es handelt sich lediglich um einen Verständigungsbegriff; vgl. Ambos, Internationales Strafrecht5, § 9 Rz. 18; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 1 Rz. 5. 2 Sieber in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, Einf. Rz. 5; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 1 Rz. 5; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 7 Rz. 3 als europäisches Strafrecht im weiteren Sinne bezeichnet; zum Europäischen Strafrecht im engeren Sinne werden dagegen nur die Strafnormen der Europäischen Union selbst gezählt; vgl. Sieber in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, Einf. Rz. 3. 3 Hierzu Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 57 ff. 4 Art. 288 Abs. 2 AEUV. 5 Cornelius, NZWiSt 2014, 173 ff. 6 Zu Einzelheiten Tully/Merz, wistra 2011, 121 ff. 7 Satzger in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 9 Rz. 39; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 80; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 11. 8 Zu Einzelheiten Satzger in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 9 Rz. 39 ff. 9 Satzger in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 9 Rz. 50 ff.; vgl. hierzu Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 89 ff. 10 Vgl. nur EuGH v. 5.10.1994 – C-165/91, ECLI:EU:C:1994:359 – van Munster, EuGHE 1994 I – 4661; EuGH v. 26.9.2000 – C-262/97, ECLI:EU:C:2000:492 – Engelbrecht, EuGHE 2000, I-7321; zur unionsrechtskonformen Auslegung im Strafrecht allgemein Satzger in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 9 Rz. 55.

Schaumburg | 33

2.57

Kap. 2 Rz. 2.58 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

2.58

Zum Europäischen Strafrecht gehören schließlich auch die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie in der Charta der Grundrechte in der Europäischen Union (GRCh) verankerten strafrechtlich relevanten Regelungen.1

II. Europäisches Kriminalstrafrecht 2.59

Es gibt zwar bereits ein europäisches Sanktionensystem, wonach auf der Grundlage von EUVerordnungen unmittelbar Geldbußen und sonstige finanzielle Sanktionen und Rechtsverluste verhängt werden können,2 um ein europäisches Kriminalstrafrecht handelt es sich hierbei aber nicht.3 Die Schaffung eines europäischen Kriminalstrafrechts ist aber in einigen Sachbereichen ohne Weiteres möglich. So enthalten etwa Art. 325 Abs. 4 und 33 AEUV Ermächtigungsgrundlagen, um unmittelbar anwendbare Straftatbestände für Zwecke der Betrugsbekämpfung4 und des Schutzes des Zollwesens5 zu erlassen. Schließlich ermöglicht auch Art. 79 Abs. 2 Buchst. c, d AEUV die Bekämpfung illegaler Einwanderung und des Menschenhandels auch mit Mitteln des Strafrechts.6 Für das Steuerstrafrecht gibt es derartige Ermächtigungsgrundlagen nicht.

III. Unionsrechtliche Schranken 1. Primärrechtliche Vorgaben 2.60

Aufgrund der sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Loyalitätspflicht aller Mitgliedstaaten ergibt sich das Gebot, kein nationales Strafrecht zu erlassen bzw. aufrechtzuerhalten, das unionsrechtswidrig ist.7 Daraus folgt eine strikte Orientierung insbesondere an den unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten. Hierdurch wird für das nationale Strafrecht eine Obergrenze hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen und der Rechtsfolge (Sanktionsart und Sanktionshöhe) einer Straftat gezogen.8 Von der Tatbestandsseite her sind im Anwendungsbereich des Steuerstrafrechts die blankettausfüllenden Normen des Steuerrechts angesprochen, die in besonderer Weise den Schrankenwirkungen der Grundfreiheiten ausgesetzt sind.9 Sofern also die in Bezug genommenen steuerrechtlichen Normen unvereinbar sind mit den Grundfreiheiten, dürfen die betreffenden Steuerrechtsnormen nicht angewendet werden mit 1 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 1 Rz. 5. 2 Vgl. etwa Art. 103 Abs. 2 Buchst. a AEUV, der im Wesentlichen Verstöße gegen das Kartellverbot aufführt, für die gem. Art. 101 AEUV und Art. 23 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 auch juristische Personen sanktionsrechtlich zur Verantwortung herangezogen werden können; vgl. etwa EuG v. 15.12.2010 – T-141/08 – E.ON/Kommission, EuZW 2011, 230. 3 Hierzu Vogel in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 5 Rz. 1; Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt4, Kap. 2 Rz. 60 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 8 Rz. 9; vgl. auch BGH v. 21.4.1995 – 1 StR 700/94, BGHSt 41, 127 (131). 4 Waldhoff in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 325 AEUV Rz. 18; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 14 Rz. 15 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 9 Rz. 22 ff.; Zimmermann, Jura 2009, 845 f. (846). 5 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 8 Rz. 25; Safferling, Internationales Strafrecht, § 10 Rz. 43; Möller, ZfZ 2011, 39 ff. (41). 6 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 8 Rz. 26; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 9 Rz. 23; Walter, ZStW (117) 2005, 918 f. 7 EuGH v. 14.7.1977 – C-8/77, ECLI:EU:C:1977:131 – Sagulo, EuGHE 1977, 1495. 8 Hierzu im Überblick Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 10 ff. 9 Im Überblick Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 7.1 ff.; Englisch in T/L23, § 4 Rz. 24 ff.

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D. Europäisches Strafrecht | Rz. 2.61 Kap. 2

der Folge, dass insoweit von vornherein etwa der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist.1 Soweit es um die Rechtsfolgen geht, hat sich die sich allein aus nationalem Recht ergebende Sanktionshöhe vor allem am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit2 und am Diskriminierungsverbot3 zu orientieren.4 Nach den gleichen Grundsätzen beurteilt sich schließlich auch die Sanktionsart. Hiernach darf die Sanktion nicht in erster Linie darauf abzielen, eine Grundfreiheit unverhältnismäßig zu beschneiden.5 Die sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Loyalitätspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der EU als Ganzes umfassen auch die Pflicht der Mitgliedstaaten, ihr nationales Strafrecht in den Dienst der Union zu stellen, um deren Rechtsgüter zu schützen (sog. Assimilierung).6 Hieraus ergeben sich gewisse Mindestvorgaben aufgrund derer auch in strafrechtlicher Hinsicht die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten sind.7 Diese Untergrenze bedeutet, dass die angedrohten Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen (sog. Mindesttrias).8 Angesprochen sind damit insbesondere die finanziellen Interessen der Union, die die Zölle als Einfuhr bzw. Ausfuhrabgaben erfassen. Es geht hierbei insbesondere um die Betrugsbekämpfung, die in Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV verankert ist. Die sich hieraus ergebende Sanktionierungspflicht9 findet allerdings ihre Grenze: Die nationale Verfassungsidentität hat Vorrang vor der sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden allgemeinen Loyalitätspflicht.10 Im Übrigen enthält Art. 325 Abs. 4 AEUV eine Sonderregelung, auf deren Grundlage etwa durch Verordnung für Zwecke der Betrugsbekämpfung supranationale Straftatbestände und ergänzend hierzu gem. Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1, 2 AEUV entsprechende strafverfahrensrechtliche Vorschriften erlassen werden dürfen.11 Schließlich ist Art. 86 AEUV die Grundlage für die inzwischen geschaffene Europäische Staatsanwaltschaft.12 Unabhängig davon wird der strafrechtliche Schutz der Finanzinteressen der EU durch die auf Grundlage von Art. 83 Abs. 2 AEUV ergangene PIF-Richtlinie13 gewährleistet.

1 Vgl. Satzger in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 9 Rz. 39; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 78 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 11. 2 Art. 5 Abs. 4 EUV: allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts; vgl. Calliess in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 5 EUV Rz. 44. 3 Art. 18 AEUV. 4 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 11 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 7 Rz. 46. 5 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 24 unter Hinweis auf EuGH v. 19.1.1999 – C-348/96, ECLI:EU:C:1999:6 – Donatella Calfa, EuGH 1999, I-11. 6 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 7 Rz. 1 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 26 ff. 7 Grundlegend EuGH v. 21.9.1989 – C-68/88, ECLI:EU:C:1989:339 – Kommission/Griechenland, EuGHE 1989, 2965; vgl. hierzu Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 7 Rz. 24. 8 Zu Einzelheiten Hecker, in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 10 Rz. 4, 9 ff., 13. 9 Sehr weitgehend EuGH v. 8.9.2015 – C-105/14, ECLI:EU:C:2015:555 – Taricco u.a., UR 2016, 367. 10 EuGH v. 5.12.2017 – C-42/17, ECLI:EU:C:2017:936 – M.A.S. und M.B. 11 Waldhoff in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 325 AEUV Rz. 18. 12 Suhr in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 86 AEUV Rz. 8 ff.; Engelhart in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 6 Rz. 168; zu Einzelheiten Rz. 10.59 ff. 13 Richtlinie (EU) 2017/1371, ABl. EU 2017 Nr. L 198, 1.

Schaumburg | 35

2.61

Kap. 2 Rz. 2.62 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

2. Sekundärrechtliche Vorgaben 2.62

Die sekundärrechtlichen Vorgaben für das nationale Strafrecht ergeben sich vor allem durch EU-Richtlinien, die darauf gerichtet sind, das Strafrecht in bestimmten Sachbereichen zu harmonisieren.1 Die Harmonisierungswirkung durch Richtlinien betrifft sowohl die Tatbestandsals auch die Rechtsfolgenseite. Angesprochen sind damit insbesondere die im Steuerstrafrecht in Bezug genommenen Normen des Steuerrechts, soweit diese EU-Richtlinien umsetzen. Sind die EU-Richtlinien nicht ordnungsgemäß oder nicht fristgerecht in innerstaatliches Steuerrecht umgesetzt worden, können sie unmittelbar zugunsten des Unionsbürgers angewendet werden, wenn die EU-Richtlinien hinreichend genau und von keinen weiteren Bedingungen abhängig sind (s. Rz. 2.40). Dies kann ohne Weiteres dazu führen, dass aufgrund der unmittelbaren Richtlinien-Anwendung der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt ist. Im Übrigen dienen die Richtlinien2 der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität. Erfasst werden hier vor allem die Bereiche besonders schwerer Straftaten.3 Die Ermächtigungsgrundlage des Art. 83 Abs. 1 AEUV, wonach die richtlinienbasierte grenzüberschreitende Kriminalitätsbekämpfung möglich ist, hat wegen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV geregelten Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung allerdings nur eine begrenzte Reichweite. Sie enthält insbesondere keine Kompetenz-Kompetenz (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 EUV)4 mit der Folge, dass die Union die grenzüberschreitende Kriminalitätsbekämpfung nicht ohne Weiteres z.B. auf grenzüberschreitende Steuerstraftaten erstrecken darf.5 Dies gilt auch für die auf der Grundlage des Art. 83 Abs. 2 AEUV beruhenden strafrechtlichen Rechtsangleichungsmaßnahmen, die in Betracht kommen, wenn sie unerlässlich sind, um die Unionspolitik in einen harmonisierten Bereich durchführen zu können (Annexkompetenz).6

E. Europäische Menschenrechtskonvention 2.63

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, der darauf gerichtet ist, die allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Europa verbindlich umzusetzen.7 Der EMRK, zu deren Vertragsstaaten die Mitgliedstaaten des Europarates gehören, kommt als völkerrechtlicher Vertrag im Rang eines förmlichen Bundesgesetzes8 in der Normenhierarchie (s. Rz. 2.31 ff.) zwar kein unmittelbarer Anwendungsvorrang zu,9

1 Ermächtigungsgrundlagen: Artt. 82 Abs. 2, 83 Abs. 1, 2, 325 Abs. 4 AEUV. 2 Früher Rahmenbeschlüsse, die allerdings fortgelten; vgl. den Überblick bei Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 33. 3 Vgl. hierzu die in der Vergangenheit erlassenen Rahmenbeschlüsse bei Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 33; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 11 Rz. 10 ff. 4 Vgl. Suhr in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 83 AEUV Rz. 19 ff. 5 Dementsprechend dürfen deutsche Ratsvertreter einem etwaigen Erweiterungsbeschluss gem. Art. 83 Abs. 1 Abs. 3 AEUV nur nach Inkrafttreten eines entsprechenden formellen Gesetzes zustimmen (§ 7 Abs. 1 IntVG); vgl. hierzu auch BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010 u. a., BVerfGE 123, 267 (412, 436); BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a., RIW 2012, 692 (699). 6 Zu Einzelheiten Hecker in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 10 Rz. 15 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 8 Rz. 36 ff. 7 Meyer-Ladewig/Nettesheim in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer4, Einl. EMRK Rz. 32; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 7. 8 Vgl. BVerfG v. 29.5.1990 – 2 BvR 254/88, BVerfGE 82, 106 (120). 9 BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316); BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931, Rz. 86 ff.; BFH v. 23.2.2006 – III B 44/05, BFH/NV 2006, 1297;

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E. Europäische Menschenrechtskonvention | Rz. 2.65 Kap. 2

wegen der in der EMRK verankerten Grundfreiheiten und der ihr damit zukommenden Bedeutung ist im Rahmen der Auslegung nationaler Strafrechtsnormen aber stets demjenigen Auslegungsergebnis der Vorzug zu geben, das konventionskonform ist.1 Diese konventionskonforme Auslegung hat nicht nur Bedeutung für die Auslegung einfachen nationalen Rechts, sondern auch für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Garantien des GG2 sowie schließlich gem. Art. 52 Abs. 3 GRCh auch für die Auslegung der in der EU-Grundrechtscharta (GRCh) verankerten Grundrechte.3 Eine entsprechende Verbindlichkeit ergibt sich auch aus Art. 6 Abs. 3 EUV, wonach die Grundrechte der EMRK als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts zu berücksichtigen sind.4 Hieraus folgt zugleich, dass der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der über die Einhaltung der EMRK zu wachen hat,5 bei der Auslegung der EUGrundrechte besondere Bedeutung zukommt.6 Die EMRK entfaltet lediglich einen subsidiären Grundrechtschutz (Art. 13, 35 EMRK). Das bedeutet, dass die in ihr verankerten Grundrechte lediglich einen Mindeststandard gewähren, sodass weitergehende durch das jeweilige nationale Recht gewährte Rechte hierdurch nicht eingeschränkt werden (Art. 53 EMRK).7 Der EGMR, dessen Entscheidungen gem. Art. 59 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG alle staatlichen Organe und Gerichte bindet,8 wird daher auch stets erst nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs tätig (Art. 35 Abs. 1 EMRK).9

2.64

In der EMRK sind in dem für das Steuerstrafrecht bedeutsamen Zusammenhang folgende Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte verankert:10

2.65

1

2 3 4 5 6 7 8 9 10

Meyer-Ladewig4, Einl. EMRK Rz. 33, Giegerich in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 2 Rz. 16 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 2; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 12; Böse, NStZ 2002, 670; Schramm, JuS 2013, 1095. Vgl. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317); BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rz. 86 ff.; vgl. Meyer-Ladewig/Nettesheim in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer4, Einl. EMRK Rz. 19; Giegerich in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 2 Rz. 20 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 13. Sofern hierdurch keine Einschränkung oder Minderung des Grundrechtschutzes nach dem GG bewirkt wird; BVerfG v. 14.11.1990 – 2 BvR 1462/87, BVerfGE 83, 119 (128); BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931, Rz. 88 ff. Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 52 GRCh Rz. 21 ff.; Jarass3, Art. 52 GRCh Rz. 56 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 15 f. Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 6 EUV Rz. 5, 12; Kraus in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 3 Rz. 66; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 15. Zur Funktion des EGMR Kadelbach in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 30 Rz. 7 ff.; im Überblick: Ambos, Internationales Strafrecht8, § 10 Rz. 13 ff. EuGH v. 15.10.2002 – C-247/99, ECLI:EU:C:2002:582 – Elf Atochem/Kommission, EuGHE 2002, I-8375; EuGH v. 22.10.2002 – C-94/00, ECLI:EU:C:2002:603 – Roquette Frères, EuGHE 2002, I9011; Jarass3, Art. 52 GRCh Rz. 65. Vgl. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (329); BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931, Rz. 90; Thienel in Karpenstein/Mayer2, Art. 53 EMRK Rz. 5 ff. BVerfG v. 25.9.2009 – 2 BvR 1113/06, HFR 2010, 69; Meyer-Ladewig/Brunozzi in Meyer-Ladewig/ Nettesheim/von Raumer4, Art. 46 EMRK Rz. 17. In Steuersachen ist eine Vorlage an den EGMR nicht vorgesehen; vgl. BFH v. 15.11.2006 – XI B 17/06, BFH/NV 2007, 474; BFH v. 31.7.2003 – XI E 6/03, BFH/NV 2003, 1603; BFH v. 31.3.1996 – XI R 82/94, BStBl. II 1996, 518; FG Hamburg v. 28.10.2010 – 3 K 81/10, EFG 2011, 1082. Vgl. auch die Übersicht bei Kreicker in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 51; speziell zum Steuerrecht Reiß in GS Trzaskalik, 2005, 473 ff.

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Kap. 2 Rz. 2.65 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

– Voraussetzungen eines Freiheitsentzugs, wonach dieser überhaupt nur dann zulässig ist, wenn bestimmte Haftgründe vorliegen (Art. 5 Abs. 1 Buchst. a – f EMRK). Darüber hinaus gilt zugunsten des Inhaftierten ein Informationsrecht (Art. 5 Abs. 2 EMRK) sowie ein Anspruch darauf, umgehend einem Richter vorgeführt zu werden (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK).1 – Recht auf ein faires Verfahren: Hierzu gehört der Grundsatz der Waffengleichheit, der beispielsweise dann nicht gewahrt ist, wenn ein Haftbefehl unzureichende Angaben enthält und zudem die Akteneinsicht verweigert wird (Art. 5 Abs. 4 EMRK).2 Das Recht auf ein faires Verfahren3 ist ferner dann tangiert, wenn das Strafverfahren unangemessen lang andauert (Art. 6 Abs. 1 EMRK).4 Dementsprechend wurde früher bei festgestellter überlanger Verfahrensdauer in der Praxis der deutschen Strafgerichte eine Reduzierung der Strafe vorgesehen.5 Nunmehr wird in der Urteilsformel zum Ausdruck gebracht, dass ein Teil der verhängten Strafe bereits als vollstreckt gilt.6 Ein faires Verfahren umfasst auch die Selbstbelastungsfreiheit, wonach aus dem Recht zum Schweigen keine negativen Folgen gezogen werden dürfen.7 Diesem Nemo-tenetur-Grundsatz wird im Steuerstrafrecht durch § 393 Abs. 1 Satz 2 AO entsprochen.8 Das gilt allerdings nicht für § 393 Abs. 2 Satz 2 AO, wonach von Beschuldigten in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbarte Tatsachen und Beweismittel für eine Straftat, die nicht Steuerstraftat ist, verwendet werden dürfen, wenn an der Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht.9 Schließlich beinhaltet das 1 Hierzu im Überblick: Dörr in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 13; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 48 ff. 2 Vgl. hierzu EGMR v. 9.7.2009 – Mooren, EuGRZ 2009, 566, Rz. 124; EGMR v. 11.3.2008 – Falk, NStZ 2009, 164; EGMR v. 13.2.2001 – Lietzow, NJW 2002, 2013, Rz. 44; weitere Hinweise bei Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer4, Art. 5 EMRK Rz. 89 ff. 3 Dieses Konventionsrecht gilt nicht im Besteuerungsverfahren; vgl. EGMR v. 12.7.2001 – 44759/98 – Ferazzini/Italien, Slg. 2001 – VII, 10; zu weiteren Hinweisen Hahn, IStR 2011, 437 ff. 4 Der EGMR hat im Urteil EGMR v. 10.2.2005 – Uhl, StV 2005, 475 ein neunjähriges Strafverfahren und mit Urteil EGMR v. 13.1.2011 – Hoffer und Annen, NJW 2011, 3353 ein sechseinhalbjähriges Verfahren vor dem BVerfG beanstandet; vgl. den Überblick bei Grabenwarter/Pabel in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 14 Rz. 113 ff.; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer4, Art. 6 EMRK Rz. 207; durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BGBl. I 2011, 2302, ist nunmehr ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet, zu Einzelheiten Althammer/Schäuble, NJW 2012, 1 ff.; allgemein zum Beschleunigungsgebot Liebhart, NStZ 2017, 254. 5 Zu diesem früher geltenden Strafabschlagsmodell Fischer67, § 46 StGB Rz. 129; vgl. auch BGH v. 17.1.2008 – GSSZ 1/07, BGHSt 52, 124; BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 90/09, BStBl. II 2010, 835; BGH v. 21.12.2010 – 2 StR 344/10, StV 2011, 406; BGH v. 15.3.2011 – 1 StR 429/09, StV 2011, 407. 6 Zu dieser Vollstreckungslösung BGH v. 17.1.2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 (kein Nebeneinander von Strafabschlagsmodell und Vollstreckungslösung); im Ergebnis gebilligt durch EGMR v. 22.1.2009 – Kaemena und Thöneböhn, StV 2009, 561. 7 EGMR v. 29.6.2007 – O‘Halloran und Francis, NJW 2008, 3549 Rz. 53 ff.; EGMR v. 10.1.2008 – Lückhof und Spanner, ÖJZ 2008, 375 Rz. 47 ff.; EGMR v. 5.4.2012 – Yves Chambaz, IStR-Länderbericht Heft 11/2013, 1; Grabenwarter/Pabel in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 2 Rz. 14 Rz. 164 ff.; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer4, Art. 6 EMRK Rz. 129 ff., 212. 8 Drüen in T/K, § 393 AO Rz. 41; Joecks in J/J/R8, § 393 AO Rz. 8. 9 Zu den verfassungsrechtlichen Problemen im Einzelnen Joecks in J/J/R8, § 393 AO Rz. 70 ff.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 242 ff.; Tormöhlen in H/H/Sp, § 393 AO Rz. 180 ff.; Meyer-Mews, DStR 2013, 161 ff.

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E. Europäische Menschenrechtskonvention | Rz. 2.65 Kap. 2

Recht auf ein faires Verfahren auch den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Gewährleistung einer effektiven Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK).1 – Unschuldsvermutung, wonach jedem das Recht zusteht, nicht als einer Straftat schuldig bezeichnet oder behandelt zu werden, bevor seine Schuld gerichtlich festgestellt worden ist,2 und die im Wesentlichen für die Beweislastverteilung im Strafverfahren3 Bedeutung erlangt (Art. 6 Abs. 2 EMRK). Hierdurch wird der In-dubio-pro-reo-Grundsatz auch durch die EMRK abgesichert.4 Dass eine zulasten des Beschuldigten gehende Beweislastverteilung konventionswidrig ist, hat im Steuerstrafrecht in den Fällen eine besondere Bedeutung, in denen das in Bezug genommene Steuerrecht derartige Beweislastregeln, Vermutungen und Fiktionen enthält: Sie sind im Grundsatz im Strafrecht ohne Bedeutung.5 – Gesetzlichkeitsprinzip, wonach in Übereinstimmung mit Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB der Nulla-poena-sine-lege-Grundsatz verankert wird (Art. 7 EMRK).6 Erfasst wird damit neben dem Bestimmtheitsgebot und dem Analogieverbot7 auch das Rückwirkungsverbot.8 Für das Steuerstrafrecht hat insbesondere das Rückwirkungsverbot besondere Bedeutung: Rückwirkend in Kraft gesetzte steuerbegründende oder steuerverschärfende Rechtsnormen können nicht nachträglich eine Strafbarkeit begründen (zu Einzelheiten Rz. 2.8). – Doppelbestrafungsverbot, aufgrund dessen innerhalb desselben Staates eine Tat nicht mehrfach strafrechtlich verfolgt werden darf (Art. 4 Abs. 1 EMRK-PR7).9 Dieses konventionsrechtliche Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) gilt allerdings immer nur für einen Staat und hindert nicht die Strafverfolgungsbehörden anderer Staaten, wegen ein und derselben Tat eine erneute Bestrafung auszusprechen.10 Ein kodifiziertes oder ein völkergewohnheitsrechtliches transnationales ne bis in idem gibt es demgegenüber nicht.11 Ein Doppelbestrafungsverbot innerhalb der EU ergibt sich allerdings aus Art. 54 SDÜ12 und Art. 50 GRCh (vgl. hierzu Rz. 4.8 ff.). 1 Zu Einzelheiten: Grabenwarter/Pabel in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 14 Rz. 143 ff.; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer4, Art. 6 EMRK Rz. 221 ff.; Esser in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 58 Rz. 1 ff. 2 Vgl. EGMR v. 30.3.2010 – 44418/07 – Poncelet/Belgien, NJW 2011, 1789; Grabenwarter/Pabel in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 2 Rz. 14 Rz. 167. 3 Nicht erst nach Anklageerhebung; EGMR v. 21.2.1984 – Oztürk, EuGRZ 1985, 62. 4 EGMR v. 28.4.2005 – A.L., NJW 2006, 1113 Rz. 31; vgl. auch Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer4, Art. 6 EMRK Rz. 211 ff. 5 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 73 ff. m.w. Differenzierungen; Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Volk in FS Kohlmann, 2003, 579 ff. (580). 6 Hierzu Kadelbach in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 15; im Überblick Kreicker in S/S/ vHH, Europäisches Strafrecht2, § 51 Rz. 81 ff. 7 EGMR v. 22.3.2001 – Streletz, NJW 2001, 3035 Rz. 50; vgl. auch Kadelbach in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 15 Rz. 25 m.w.N. 8 EGMR v. 22.3.2001 – Strelek, NJW 2001, 3035 Rz. 50; EGMR v. 17.12.2009 – M, NJW 2010, 2495 Rz. 133 ff.; Kadelbach in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG², Kap. 15 Rz. 26 ff.; im Überblick: Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 86 ff. 9 Von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert. 10 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (23); Kreicker in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht, § 51 Rz. 67; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 96. 11 Vgl. BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (15, 18 ff.); BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2012, 1202; BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (338). 12 Schengener Durchführungsübereinkommen, BGBl. II 1993, 1010; weitgehend inhaltsgleich auch Art. 1 des EG-ne-bis-in-idem-Übereinkommens, BGBl. II 1998, 2226; BGBl. II 2002, 600; zu Einzelheiten Hackner, NStZ 2011, 425; im Überblick: Eser in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 36 Rz. 70 ff.

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Kap. 2 Rz. 2.66 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts

F. Charta der Grundrechte in der Europäischen Union 2.66

Die Grundrechtscharta (GRCh) verfolgt das Ziel, bereits aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen folgende Rechte allgemein verbindlich zu machen. Diese Verbindlichkeit ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 EUV.1 Damit sind die in der GRCh verankerten Grundrechte dem primären Unionsrecht zuzuordnen, sodass sie in der Normenhierarchie (hierzu s. Rz. 2.48) oben angesiedelt sind.2 Auf der Ebene des Primärrechts ergibt sich allerdings keine Rangfolge zwischen der GRCh einerseits und dem übrigen Primärrecht andererseits.3 Dagegen hat die GRCh Vorrang gegenüber dem sekundären Unionsrecht mit der Folge, dass dieses im Zweifel grundrechtskonform auszulegen ist.4 Im Hinblick auf den Primärrechtscharakter der GRCh und ihre uneingeschränkte Verbindlichkeit sind nationale Rechtsvorschriften, die gegen die in der GRCh verankerten Grundrechte verstoßen, nicht anwendbar.5 Diese für die EU-Mitgliedstaaten maßgebliche Verbindlichkeit gilt bei Durchführung des Rechts der Union, also für die Anwendung des primären und sekundären Unionsrechts sowie für die Anwendung des nationalen Rechts nach Umsetzung von Richtlinien (Art. 51 Abs. 1 GRCh).6 In dem für das Steuerstrafrecht maßgeblichen Zusammenhang ergibt sich, dass die GRCh nicht nur auf das Strafrecht selbst, sondern auch auf die blankettausfüllenden Normen des Steuerrechts anzuwenden ist. Von Bedeutung sind hier insbesondere die in Art. 47 ff. GRCh verankerten justiziellen Rechte. Die hiervon ausgehenden Schutzwirkungen entsprechen weitgehend denen der EMRK. So verlangt etwa Art. 47 Abs. 2 GRCh ein faires Verfahren,7 das neben dem Recht auf Gehör und auf Waffengleichheit das Recht beinhaltet, dass innerhalb angemessener Frist entschieden wird.8 Von Bedeutung sind ferner, und zwar ebenfalls in Parallele zur EMRK, die in Art. 48 GRCh verankerte Unschuldsvermutung sowie die garantierten Verteidigungsrechte bei der Strafverfolgung.9 Schließlich führen die in Art. 49 Abs. 1 GRCh formulierten Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit bei Strafverfahren10 auf das in Art. 7 Abs. 1 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG geregelte Gesetzlichkeitsprinzip zurück, das insoweit eine mehrfache Absicherung erfährt. Soweit die GRCh ein Doppelbestrafungsverbot11 enthält (Art. 50 GRCh), geht dessen Reichweite über dasjenige Verbot hinaus, das in Art. 103 Abs. 3

1 Aufgrund des sog. Lissabon-Vertrages mit Wirkung zum 1.12.2009; Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 6 EUV Rz. 12. 2 EuGH v. 19.1.2010 – C-555/07, ECLI:EU:C:2010:21 – Kücükdeveci, EuGHE 2010 I-395; Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 6 EUV Rz. 12; Jarass, Einl. GRCh3 Rz. 12; Jarass, NStZ 2012, 611 ff. (611). 3 Jarass, Einl. GRCh3 Rz. 13 f. 4 Zu Einzelheiten Jarass, Einl. GRCh3 Rz. 53 f. 5 Streinz in Streinz3, Art. 6 EUV Rz. 2; Jarass, Einl. GRCh3 Rz. 73. 6 Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 51 GRCh Rz. 8; Jarass, Art. 51 GRCh3 Rz. 16 ff.; zu dieser begrenzten Reichweite Huber, NJW 2011, 2385 ff. (2387 ff.). 7 Zu Einzelheiten Jarass, NJW 2011, 1393 ff. (1396 f.). 8 Zu Einzelheiten Blanke in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 47 GRCh Rz. 16 f.; Jarass, Art. 47 GRCh3 Rz. 31 ff.; Jarass, NJW 2011, 1393 ff. (1397 f.). 9 Jarass, Art. 48 GRCh3 Rz. 1 ff., 13 ff.; Jarass, NStZ 2012, 611 ff. (613 f.). 10 Zu Einzelheiten Gaede, wistra 2011, 365 ff.; Jarass, NStZ 2012, 611 ff. (615 f.). 11 Eine Doppelbestrafung ist bei einem Nebeneinander von verwaltungsrechtlicher (steuerlicher) und strafrechtlicher Sanktion nicht gegeben; EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:280 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27; hierzu Widmann, UR 2014, 5 ff.; anders bei verwaltungsrechtlichen Sanktionen mit repressiver Zielsetzung, soweit diese nicht verhältnismäßig sind; EuGH v. 20.3.2018 – C-524/15, ECLI:EU:C:2018:197 – Luca Menci, UR 2018, 489; hierzu Bock, ZWH 2018, 169; Pflaum, wistra 2018, 391.

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F. Charta der Grundrechte in der Europäischen Union | Rz. 2.66 Kap. 2

GG1 und Art. 4 Abs. 1 EMRK-PR72 geregelt ist. Art. 50 GRCh erfasst nämlich nicht nur die doppelte Bestrafung innerhalb eines Staates, sondern – ebenso wie Art. 54 SDÜ –3 auch die Doppelbestrafung durch zwei oder mehrere Mitgliedstaaten in der EU oder durch einen Mitgliedstaat und die Union.4 Eine Doppelbestrafung ist daher nicht gehindert, wenn zuvor eine strafrechtliche Verurteilung in einem Drittstaat erfolgt ist.5

1 Vgl. BVerfG v. 17.1.1961 – 2 BvL 17/60, BVerfGE 12, 62 (66); BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (15 f.); BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2011, 1202. 2 Von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert. 3 Das Doppelbestrafungsverbot nach Art. 50 GRCh gilt nur nach Maßgabe der einschränkenden Vollstreckungselemente des Art. 54 SDÜ, also nur dann, wenn neben der rechtskräftigen Aburteilung wegen derselben Tat die angesprochene Strafe auch vollstreckt wurde oder die Vollstreckung unmöglich war; vgl. EuGH v. 27.5.2014 – C-129/14, ECLI:EU:C:2014:586 – PPU – Spasic, NJW 2014, 3007; EuGH v. 5.6.2014 – C-398/12, ECLI:EU:C:2014:1057 – M, NJW 2014, 3010; BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2012, 1202; BGH v. 1.12.2010 – 2 StR 420/10, NJW 2011, 1014; a.A. z.B. Schomburg/Suominen-Picht, NJW 2012, 1190; kritisch auch Gaede, NJW 2014, 2990. 4 Charta-Erläuterungen, ABl. EU 2007 Nr. C 303, 31; Blanke in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5, Art. 50 GRCh Rz. 1; Jarass, Einl. Art. 50 GRCh3 Rz. 8 f. 5 Streinz in Streinz3, Art. 50 GRCH Rz. 9; Jarass, Art. 50 GRCh2 Rz. 10, 4; allerdings Berücksichtigung bei der Strafzumessung; vgl. EuGH v. 13.2.1969 – C-14/68, ECLI:EU:C:1969:4 – Wilhelm u. a., EuGHE 1969, 1.

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Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht A. B. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. C. I. II. III.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien Territorialitiätsprinzip . . . . . . . . . . . . Ubiquitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . Flaggenprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . Schutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzverteilungsprinzip . . . . . . Unionsschutzprinzip . . . . . . . . . . . . . Personalitätsprinzip (aktives/passives) Nichtverfolgung nach § 153c StPO Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlungsstand . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1 3.4 3.12 3.18 3.19 3.21 3.22 3.23 3.24 3.25 3.28 3.31 3.33

IV. Zeitliche Grenzen der Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Reichweite der Einstellungsbefugnis . VI. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausländische Aburteilungen . . . . . . . VIII. Anrechnung ausländischer Strafen . . IX. Rechtsfolgen und Wiederaufnahme . D. § 154 StPO im Hinblick auf ausländische Strafverfahren und Verurteilungen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Urteile und Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Außereuropäische Urteile und Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.34 3.35 3.36 3.37 3.39 3.40

3.41 3.43 3.46

Literatur: Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. München 2018; Landau, Verwirklichung eines europaweiten „ne bis in idem“ im Rahmen der Anwendung des § 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO?, in FS Söllner, München 2000, 627; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. Baden-Baden 2018; Schomburg/Suominen-Picht, Verbot der mehrfachen Strafverfolgung, Kompetenzkonflikte und Verfahrensfehler, NJW 2012, 1190; Wagner, Probleme des § 153c StPO, GA 1958, 204.

A. Einführung Das Strafanwendungsrecht regelt sowohl die Frage nach der Strafberechtigung des Staates als auch die Frage nach dem anwendbaren Strafrecht. Fehlt die Strafberechtigung, liegt ein Prozesshindernis vor.1 Da es sich bei dem Strafanwendungsrecht um nationales Recht handelt, ist jeder Staat grundsätzlich frei, sein Strafrecht auf sämtliche Sachverhalte anzuwenden. Begrenzt wird diese Autonomie allein durch das völkerrechtliche Nichteinmischungsgebot, da ohne sinnvollen Bezug zwischen normierendem Staat und normierten Sachverhalt die Folge eine Verletzung der fremden Souveränität wäre. Voraussetzung ist daher stets ein sog. „genuine link“, also ein „sinnvoller Anknüpfungspunkt“, der die Erstreckung der deutschen Strafgewalt sinnvoll erscheinen lässt.2 1 BGH v. 22.1.1986 – 3 StR 472/85, BGHSt 34, 3 = NJW 1986, 2895; Engelhart in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 2 Rz. 2; Ambos in MK-StGB3, § 3 StGB Rz. 4, 5. 2 BGH v. 30.4.1999 – 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64 (66); Ambos, Internationales Strafrecht5, 15 ff.; Safferling, Internationales Strafrecht, 13 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 9; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 6 ff.; Ambos in MK-StGB3, Vor §§ 3-7 StGB Rz. 21 ff.

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3.1

Kap. 3 Rz. 3.2 | Internationales Strafanwendungsrecht

3.2

In einer Zwei-Stufen Prüfung ist zunächst zu prüfen, ob der strafrechtsrelevante Lebenssachverhalt eine besondere Nähebeziehung zu dem die Strafgewalt beanspruchenden Staat aufweist. Sodann ist zu prüfen, ob der Ausübung extraterritorialer Strafgewalt ein völkerrechtliches Verbot entgegensteht, wobei insoweit nur das Willkür- und das Rechtsmissbrauchsverbot in Betracht kommen.1 Die unzulässige Einmischung in fremdstaatliche Souveränität ist zu vermeiden. Das internationale und europäische Strafrecht wird daher wesentlich von den im Folgenden aufgeführten Prinzipien bestimmt, die sich aber in jedem Fall an dem Nichteinmischungsgebot, welches Art. 25 GG folgend als allgemeine Regel des Völkerrechts den innerstaatlichen Gesetzen vorgeht, messen lassen müssen. Die Folge dieser Systematik ist, dass für die Verfolgung ein und desselben Sachverhalts mehrere Staaten berufen sein können. D.h. die im Folgenden aufgeführten Prinzipien überschneiden sich teilweise. Beispiel: Der spanische Geschäftsmann A betreibt von Italien aus ein Umsatzsteuerkarussell oder Streckengeschäfte, indem er aus Deutschland (vermeintlich) Autos importiert. Sämtliche Buch- und Belegnachweise genügen nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen und sind mitunter gefälscht.

Im konkreten Fall sind Italien und Deutschland bereits über das Territorialitätsprinzip wegen des im jeweiligen Land belegenen Tatorts zur Strafverfolgung berufen. Spanien gelangt über das aktive Personalitätsprinzip zu einer Strafverfolgung. Art. 103 Abs. 3 GG regelt lediglich den innerstaatlichen Grundsatz des „ne bis in idem“ (Verbot der Doppelbestrafung), hindert aber nicht die mehrfache Strafverfolgung. Auch Art. 54 SDÜ regelt auf europäischer Ebene nur ein zwischenstaatliches Doppelbestrafungsverbot, besagt aber nichts über die Berechtigung zur Strafverfolgung. Dass überhaupt ein Ermittlungsverfahren geführt wird, besagt nämlich noch nicht, dass es letztlich auch zu einer Verurteilung kommt.

3.3

Für den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts ist die Frage nach dem Strafanwendungsrecht von zunehmender Bedeutung.2 Auch wenn die Steuerhinterziehung stets das abstrakte Rechtsgut des vollständigen und rechtzeitigen Steueraufkommens im Inland schützt, mithin bereits hierüber die deutsche Strafgewalt begründet ist (vgl. § 370 Abs. 7 AO)3, tauchen immer mehr Fallgestaltungen auf in denen bereits am Anfang des Verfahrens genau zu prüfen ist, ob das geschützte Rechtsgut überhaupt tatsächlich betroffen ist. Beispiel: A führt auf dem Papier Kraftfahrzeuge steuerfrei nach Bulgarien aus. Tatsächlich werden die Kraftfahrzeuge in die Türkei verbracht um dort die anfallende Luxussteuer zu hinterziehen. Bei genauer Prüfung wäre das geschützte Rechtsgut unter keinen Umständen betroffen, da die Hinterziehung der türkischen Luxussteuer auch nicht über § 370 Abs. 6 AO geschützt wird (vgl. Rz. 11.328 ff.).4 A führt Autos aus Libyen nach Deutschland über Frankreich ein, um diese dann nach einiger Zeit von Deutschland aus über die Niederlande nach Afrika zurück zu veräußern.

Daher sollen die maßgeblichen Prinzipien unter besonderer Berücksichtigung der Steuerhinterziehung und damit einhergehender Delikte der Vollständigkeit halber und zum besseren Verständnis des Internationalen Steuerstrafrechts in ihren Grundlagen dargestellt werden. 1 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 10; so auch Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 4 Rz. 2 ff. 2 Vgl. auch Engelhart in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 2 Rz. 2; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.1. 3 § 370 Abs. 7 AO lautet: „Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.“ 4 Davon zu unterscheiden ist die steuerliche Frage, ob die Steuerfreiheit aus Sanktionszwecken zu versagen sein kann, so FG Köln v. 19.2.2019 – 8 K 2906/16, juris; a.A. FG Rheinland-Pfalz v. 28.5.2019 – 3 K 1391/17, juris.

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B. Prinzipien | Rz. 3.7 Kap. 3

B. Prinzipien I. Territorialitiätsprinzip Durch das 2. Strafrechtsreformgesetz1 (StrRG) wurde im Jahr 1975 das von 1940 – 1974 geltende Personalitätsprinzip durch das Territorialitiätsprinzip abgelöst.2 Das deutsche Strafrecht ist demnach nicht mehr auf jede Tat eines Deutschen anwendbar, sondern auf jede in Deutschland begangene Tat, unabhängig davon von wem sie begangen wird und welcher Nationalität der Täter oder das Opfer angehören.3 Gem. § 3 StGB gilt deutsches Strafrecht für alle Taten, die im Inland begangen werden.4 Für nicht im Inland begangene Taten regeln die §§ 4 – 7 StGB die Voraussetzung der Anwendung deutschen Strafrechts.

3.4

Inland ist, entsprechend dem staatsrechtlichen Inlandsbegriff, das gesamte Staatsgebiet, in dem deutsches Strafrecht aufgrund hoheitlicher Strafgewalt seine Ordnungsfunktion geltend macht.5 Dazu gehören neben dem Landgebiet auch deutsche Exklaven, Zollgebiete, Küstengewässer, nationale Eigengewässer (Seehäfen, Meeresbuchten) sowie der Luftraum.6 Der Ort der Tat bestimmt sich über § 9 StGB:

3.5

(1) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte. (2) Die Teilnahme ist sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt, so gilt für die Teilnahme das deutsche Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.

Was die Steuerhinterziehung betrifft, so tritt die Steuerverkürzung als tatbestandsmäßiger Erfolg im Inland ein, mithin ist der Tatbestand des § 370 AO dann erfüllt, wenn es zu einer Verkürzung einer inländischen Steuer kommt.

3.6

Durch flankierende völkerrechtliche Vereinbarungen ist ergänzend geregelt, in welchem Raum ein Staat seine Strafgewalt ausüben darf. So findet etwa nach dem deutsch-schweizerischen Abkommen auf Straftaten, die bei einer vorgeschobenen deutschen Grenzabfertigungsstelle in der Schweiz aus Anlass der Grenzkontrollen begangen werden, bereits deut-

3.7

1 Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG), verkündet am 4.7.1969, BGBl. I 1969, 717, in Kraft getreten am 1.7.1975. 2 Zu der angedachten Einführung eines Europäischen Territorialitätsprinzips vgl. den Entwurf des „Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der EU“ http://ec.europa.eu/anti_frud/green_paper/corpus/de.doc (Stand: 01/2011). 3 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 22ff.; Safferling, Internationales Strafrecht, 13 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 12; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 49 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.1; Engelhart in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 2 Rz. 6. 4 Zur dogmatischen Einordnung vgl. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 4 ff. 5 BGH v. 26.11.1980 – 3 StR 393/80; BGH v. 7.3.1984 – 3 StR 550/83, BGHSt 30, 1; BGH v. 7.3.1984 – 3 StR 550/83, BGHSt 32, 297; Fischer67, vor §§ 3 – 7 StGB Rz. 12; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.1. 6 Vgl. auch Fischer67, vor §§ 3 – 7 StGB Rz. 12.

Peters | 45

Kap. 3 Rz. 3.7 | Internationales Strafanwendungsrecht

sches Strafrecht Anwendung.1 Dies ergibt sich aus den Bestimmungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der schweizerischen Eidgenossenschaft über die Einrichtung nebeneinanderliegender Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung in Verkehrsmitteln während der Fahrt.2 Beispiel: Der Deutsche A hat in seinem Auto eine Vielzahl an gefälschten Buch- und Belegnachweisen sowie Depotaufstellungen für Schweizer Konten. Zudem ist A betrunken und führt aus Gründen der eigenen Sicherheit eine Schusswaffe im Handschuhfach bei sich. Deutsche Beamte halten A auf schweizerischem Hoheitsgebiet an, kontrollieren diesen und verbringen den A, nachdem dieser gegen die Anordnung der Blutentnahme gewaltsam Widerstand leistet, auf deutsches Hoheitsgebiet. A wird in Deutschland angeklagt.

3.8

Nach Art. 4 Abs. 1 dieses Abkommens gelten in der im Gebietsstaat gelegenen Zone, in der die Bediensteten des Nachbarstaates zur Grenzabfertigung berechtigt sind, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Nachbarstaates, die sich auf die Grenzabfertigung beziehen, in gleicher Weise wie in der Gemeinde des Nachbarstaates, der die Grenzabfertigungsstelle zugeordnet ist. Sie werden von den Bediensteten des Nachbarstaates im gleichen Umfang und mit allen Folgen wie im eigenen Staatsgebiet durchgeführt. Die Strafgewalt obliegt nach Art. 4 Abs. 2 des Abkommens den Gerichten und Behörden des jeweiligen Nachbarstaates.3 Ein Bezug zum Grenzübertritt von Personen ist zu bejahen, wenn im konkreten Fall ein innerer sachlicher Zusammenhang mit dem Grenzübergang besteht, wie im Beispielsfall mit der angedachten Einreise per Kfz. Nicht ausreichend wäre, wenn der A im obigen Beispiel auf der Schweizer Seite lediglich auf einen deutschen Kontaktmann wartet und diesem die Unterlagen übergeben will.

3.9

Gleiches gilt für deutsche Zollabfertigungsstellen in Bezug auf Belgien,4 die Niederlande,5 Österreich,6 Tschechien7 und Polen.8 Ebenso gehören Geschäfts- und Wohnräume ausländischer Diplomaten ungeachtet der Exterritorialität zum Inland.9

3.10

Besondere Bedeutung erlangt das Territorialitätsprinzip im Zusammenhang mit den Steuerordnungswidrigkeiten (§§ 377 ff. AO), für die gem. § 377 Abs. 2 AO die Vorschriften des Ersten Teils des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten gelten, soweit die Bußgeldvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen. Mithin auch die §§ 5, 7 OWiG, wonach das OWiG grundsätzlich nur auf Inlandstaten Anwendung findet. Die praxisrelevante Norm des § 130 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) gilt nicht für im Ausland begangene Handlungen. 1 OLG Karlsruhe v. 11.4.2005 – 3 Ws 99/05, NStZ-RR 2006, 87; BGH v. 21.1.1983 – 2 StR 698/82, BGHSt 31, 216. 2 Abkommen v. 1.6.1961, BGBl. II 1962, 879, geändert durch das Abkommen v. 12.4.1989, BGBl. II 1991, 292, die aufgrund der Zustimmungsgesetze v. 1.8.1962, BGBl. II 1962, 877, und v. 21.12.1990, BGBl. 1991, 292, innerstaatliches Recht geworden sind und als speziellere Regelung den Anwendungsbereich deutscher Strafgesetze über die allgemeinen Vorschriften der §§ 3 ff. StGB hinaus erweitern. Abrufbar unter http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/topics/intla/intrea/dbstv/data_t/t_6.html. 3 OLG Karlsruhe v. 11.4.2005 – 3 Ws 99/05, NStZ-RR 2006, 87. 4 BGH v. 21.1.1983 – 2 StR 698/92, BGHSt 31, 215. 5 BGH v. 6.3.1992 – 3 StR 398/91, NStZ 1992, 338. 6 BayObLG v. 26.5.1981 – Rreg 4 St257/80, ZfZ 1981, 339. 7 BayObLG v. 8.2.2001 – 4 St RR 9/2001, NStZ-RR 2001, 217. 8 BGH v. 9.2.2000 – 5 StR 650/99, NStZ 2000, 321. 9 LG Köln v. 14.7.1982 – 3 Ss 378/82, NJW 1982, 2740.

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B. Prinzipien | Rz. 3.14 Kap. 3 Beispiel: Der für eine deutsche Firma in Mazedonien tätige A schließt mit dem Regierungsmitglied B einen Beratungsvertrag ab, um ein für die deutsche Firma ungünstiges Gesetz zu verhindern. Die deutsche Firma verbucht das Entgelt als Betriebsausgaben. Im Nachhinein kann im deutschen Ermittlungsverfahren nicht sicher nachgewiesen werden, dass ein Verstoß gegen das IntBestG vorliegt; die Voraussetzungen für den Nachweis eines Verstoßes gegen § 130 OWiG wären jedoch erfüllt, da es die deutsche Firma unterlassen hat, die Tätigkeiten des A genauer zu kontrollieren (z.B. § 91 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG). Eine Geldbuße gegen das Unternehmen scheitert am Territorialitätsprinzip. In Betracht kommt allenfalls ein Vorgehen nach § 29a OWiG (Verfall).

Für die leichtfertige Steuerverkürzung ordnet hingegen § 378 Abs. 1 Satz 2 AO die entsprechende Geltung von § 370 Abs. 4 – 7 AO an, sodass auch im Ausland begangene Taten erfasst werden. Die (leichtfertige) durch das Unternehmen begangene Steuerhinterziehung/-verkürzung bleibt also verfolgbar. Eine Ausnahme vom Territorialitätsprinzip findet sich in § 370 Abs. 6 Satz 2 AO im Falle der Hinterziehung ausländischer Eingangsabgaben. Das deutsche Strafrecht gilt hinsichtlich dieser Tat unabhängig vom Tatort.1

3.11

II. Ubiquitätsprinzip § 9 StGB normiert das sog. Ubiquitätsprinzip: „Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte“ (§ 9 Abs. 1 StGB). Tatortbegründend wirkt auch der Eintritt der schweren Folge eines erfolgsqualifizierten Delikts oder der objektiven Bedingung der Strafbarkeit (z.B. § 283 Abs. 1 StGB) im Inland.

3.12

Handelt ein Mittäter im Inland, wird dies den anderen Beteiligten zugerechnet, mithin werden auch deren Tatbeiträge als im Inland begangen betrachtet.2 Ein Tatort ist für jeden der mittäterschaftlich agierenden Angeklagten dort begründet, wo einer von ihnen gehandelt hat, selbst wenn sich das Handeln auf Tatbeiträge beschränkt, die für sich gesehen nur Vorbereitungshandlungen sind. Dies gilt auch dann, wenn sich das Handeln eines Mittäters auf Tatbeiträge beschränkt, die für sich gesehen nur Vorbereitungshandlungen sind.3 Zur Begründung stellt der BGH auf das Prinzip der wechselseitigen Zurechnung und die Gemeinschaftlichkeit der Tatbegehung (§ 25 Abs. 2 StGB) ab, da der gemeinschaftliche Angriff auf das geschützte Rechtsgut4 von jedem Ort ausgeht, an dem einer der Mittäter seinen Tatbeitrag leistet und damit i.S.d. § 9 Abs. 1 StGB handelt. Da sich jeder Mittäter den Tatbeitrag des anderen zurechnen lassen muss, kann für die Tatortbestimmung nichts anderes gelten.

3.13

Für das Steuerstrafrecht normiert § 369 Abs. 2 AO, dass für Steuerstraftaten die allgemeinen Gesetze über das Strafrecht gelten, soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze nichts ande-

3.14

1 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.1. 2 BGH v. 23.10.2018 – 1 StR 234/17, GmbHR 2019, 401; BGH v. 14.4.2011 – 1 StR 458/10, wistra 2011, 335 (336); BGH v. 4.12.1992 – 2 StR 442/92, BGHSt 39, 88 (90) zur Inbrandsetzung eines Kfz auf belgischem Hoheitsgebiet zum Zwecke des Versicherungsbetrugs in Deutschland; vgl. bereits RGSt 11, 20 (23); 13, 337 (339); 57, 144 f.; BGH v. 6.4.1976 – 4 StR 108/76; Ambos in MKStGB3, § 9 StGB Rz. 10 f. 3 BGH v. 4.12.1992 – 2 StR 442/92, BGHSt 39, 88 (90). 4 BGH v. 4.12.1992 – 2 StR 442/92, BGHSt 39, 88. Zur Bedeutung und zum geschützten Rechtsgut bei der Steuerhinterziehung vgl. Rz. 11.2.

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Kap. 3 Rz. 3.14 | Internationales Strafanwendungsrecht

res bestimmen. § 370 Abs. 7 AO1 besagt, wie eingangs erwähnt, ausdrücklich, dass § 370 Abs. 1 – 6 AO unabhängig auch für Taten gelten, die außerhalb des Geltungsbereichs der AO begangen werden.2 Soweit Verkürzungserfolge im Inland eintreten, ergibt sich die Strafbarkeit eines im Ausland Handelnden bereits unmittelbar aus § 9 Abs. 1 StGB.

3.15

Der praktische Anwendungsbereich der Vorschrift des § 370 Abs. 7 AO ist indes gering, da alle denkbaren Fallkonstellationen mit Auslandsbezug über die gem. § 369 Abs. 2 AO anwendbaren allgemeinen Grundsätze des Internationalen Strafrechts erfasst werden.3 Als Gegenbeispiel werden mitunter Veranlagungssteuern angeführt, bei denen der Taterfolg erst mit Bekanntgabe des Festsetzungsbescheids eintrete und es daher möglich sei, dass der Verkürzungserfolg auch im Ausland angesiedelt sei; etwa bei Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung aus dem Ausland heraus und späterer Zustellung an den ausländischen Aufenthaltsort.4 Weder der Ort der Tathandlung noch der des Erfolgseintritts lägen dann im Inland, sodass gem. § 9 Abs. 1 StGB das deutsche Strafrecht nicht zur Anwendung käme, gäbe es § 370 Abs. 7 AO nicht.5 Gleiches gelte für die Unterlassung, da Ort der Begehung im Falle des Unterlassens dort ist wo der Täter hätte handeln müssen; eine Steuererklärung aber nicht im Inland abzugeben sei.6

3.16

Dagegen spricht aber, dass für die Annahme eines inländischen Tatorts ausreichend ist, dass entweder die Tathandlung oder der Taterfolg im Inland stattfindet bzw. hätte stattfinden sollen. Mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids werden allein der Erfolgszeitpunkt und womöglich der Verjährungsbeginn, nicht aber der Erfolgsort der Steuerhinterziehung verlagert. Durch die in § 9 Abs. 1 StGB enthaltene Wendung „zum Tatbestand gehörender Erfolg“ ist der Kreis der erfolgsrelevanten Vorgänge weiter zu fassen; der Taterfolg ist, dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 AO „und dadurch Steuern verkürzt“ folgend, bereits mit der unrichtigen Festsetzung der Steuer verwirklicht.7

3.17

In der Unterlassungsvariante ist gem. § 9 Abs. 1 StGB für den Tätigkeitsort auf die gebotene Pflichterfüllung (Abgabe der Steuererklärung und Eingang beim zuständigen Finanzamt, vgl. §§ 149 AO, §§ 25, 46 EStG, § 56 EStDV) abzustellen. Der Erfolgsort des Versuchs und der Vollendung liegt in beiden Fällen bei dem inländischen zuständigen Veranlagungsfinanzamt, da die Vollendung eintritt, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für das betreffende Kalenderjahr abgeschlossen hat.8 Die Auslegung des Merkmals „zum Tatbestand gehörender Erfolg“ muss sich an der ratio legis des § 9 StGB ausrichten.9 Nach dem Grundgedanken der Vorschrift soll deutsches Strafrecht – auch bei Vornahme der Tathandlung im Ausland – Anwendung finden, sofern es im Inland zu der Schädigung von Rechtsgütern oder 1 Eingeführt durch das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz (UStBG) v. 25.8.1992, BGBl. I 1992, 1548, neugefasst durch EG-FinSchG v. 22.9.1998, BGBl. II 1998, 2322. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Kohlmann in FS Hirsch, 577 (584). Vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79 ff. 2 Hierzu Kohlmann in FS Hirsch, 577 (584), der in § 370 Abs. 7 AO eine eigenständige Sonderregelung für das internationale Steuerstrafrecht sieht und die §§ 3 – 7, 9 StGB insoweit für unanwendbar hält. Denn die Strafbestimmungen des 8. Teils der AO (§§ 369 – 376) gehen seiner Ansicht nach den allgemeinen Strafvorschriften als leges speciales vor. 3 So auch Kohlmann in FS Hirsch, 577 (593). 4 Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (5). 5 Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (5). 6 Vgl. auch Ambos in MK-StGB3, § 9 StGB Rz. 14, 15. 7 So auch Ambos in MK-StGB3, § 9 StGB Rz. 14, 15. 8 So auch Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 48 f.; a.A. Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (5). 9 Vgl. BGH v. 12.12.2000 – 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212.

48 | Peters

B. Prinzipien | Rz. 3.19 Kap. 3

zu Gefährdungen kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist. Daraus folgt, dass das Merkmal „zum Tatbestand gehörender Erfolg“ i.S.d. § 9 StGB nicht ausgehend von der Begriffsbildung der allgemeinen Tatbestandslehre ermittelt werden kann.1

III. Flaggenprinzip Das in § 4 StGB beinhaltete Flaggenprinzip besagt, dass der Staat, dessen Flagge ein Schiff oder dessen Staatszugehörigkeitszeichen ein Luftfahrzeug zu führen berechtigt ist (d.h. vorrangig kommt es auf den Ort der Registrierung an), die Strafgewalt für an Bord begangene Taten in Anspruch nehmen darf.2

3.18

Beispiel: Das unter deutscher Flagge in einem deutschen Hafen registrierte Schiff des deutschen A, welches indes von ausländischen Personen benutzt wird, wird von ausländischen Behörden im Rahmen eines Verfahrens wegen Zigaretten- oder Drogenschmuggels in internationalen Gewässern durch ausländische Ermittlungsbehörden aufgebracht. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wird bei der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft im Wege der (einstweiligen) Rechtshilfe im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Eildienstes der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses für das in Rede stehende Schiff beantragt.

IV. Weltrechtsprinzip Nach dem Weltrechtsprinzip oder Universalitätsprinzip ist jeder Staat berechtigt, seine Strafgewalt auf Taten zu erstrecken, unabhängig davon, wer die Tat begangen hat, wo sie begangen wurde und ungeachtet der Nationalität des Tatopfers.3 Voraussetzung ist jedoch, dass sich die Tat gegen weltweit anerkannte Kulturwerte und Rechtsgüter richtet, an deren Schutz ein gemeinsames Interesse aller Staaten besteht.4 Dies ist unproblematisch in den Fällen des Verstoßes gegen das VStGB,5 wie sie im Statut von Rom niedergelegt wurden.6 Im Falle eines Völkermords ist jeder Staat berechtigt, den Sachverhalt nach seinem Strafrecht abzuurteilen, unabhängig davon, wo, von wem und an wem die Tat begangen wurde.7 Eine Entlastung erfährt die deutsche Strafrechtspflege durch § 153f StPO, wonach der Verzicht auf Ermittlungen nahegelegt wird, wenn die Tat keinerlei Inlandsbezug aufweist und der Tatort-

1 BGH v. 12.12.2000 – 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212 unter Verweis auf BGH v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235 (242). 2 Ambos in MK-StGB3, § 4 StGB Rz. 15; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.2; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 4 Rz. 12; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 42, Safferling, Internationales Strafrecht, 21; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 25 ff. 3 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 560 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 73; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 48, Safferling, Internationales Strafrecht, 28 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 90 ff.; Möhrenschläger in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 3 Rz. 48 f. 4 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 73; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 48, Safferling, Internationales Strafrecht, 28 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 90 ff. 5 Näher hierzu Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 17 Rz. 38; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 48. 6 BGBl. II 2000, 1394. 7 Belgien etwa verabschiedete 1993 ein Gesetz, wonach Kriegsverbrechen in Belgien ungeachtet des Orts der Tat bestraft werden konnten, mit der Folge, dass Klagen gegen den seinerzeitigen israelischen Ministerpräsidenten bezüglich 1982 verübter Massaker an Palästinensern in libanesischen Flüchtlingslagern anhängig gemacht wurden.

Peters | 49

3.19

Kap. 3 Rz. 3.19 | Internationales Strafanwendungsrecht

staat, der Heimatstaat des Täters die Verfolgung übernimmt oder ein internationaler Gerichtshof sich für zuständig erklärt.1

3.20

Nach § 6 StGB gilt das deutsche Strafrecht, unabhängig vom Recht des Tatorts, ferner für im Ausland begangene Taten wie Kernenergie-, Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen, Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (Piraterie), Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft sowie Förderung des Menschenhandels, unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln, Subventionsbetrug und Taten, die aufgrund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden.2 Zum Schutz staatlicher Einnahmen existiert daher die Regelung des § 370 Abs. 7 AO. Über § 6 Nr. 8 StGB, § 370 Abs. 7 AO trägt das deutsche Strafanwendungsrecht der aus Art. 325 AEUV zu entnehmenden unionsrechtlichen Verpflichtung Rechnung, das jeweilige nationale Strafrecht zum Schutze der EU-Finanzinteressen zu funktionalisieren.

V. Schutzprinzip 3.21

Das Schutzprinzip ermöglicht die Anwendung deutschen Strafrechts auf solche Handlungen, die inländische Rechtsgüter gefährden oder verletzen.3 Jedem Staat soll die Möglichkeit gegeben werden, seine oder die von der Strafrechtsordnung getragenen Rechtsgüter umfassend zu schützen. Im Weiteren wird nochmals unterschieden zwischen dem Staatsschutzprinzip und dem Individualschutzprinzip. Das Staatsschutzprinzip besagt, dass sich ein Staat Angriffen auf seine politische und militärische Integrität mit strafrechtlichen Mittel erwehren darf.4 Das Individualschutzprinzip, auch passives Personalitätsprinzip genannt,5 bewirkt den strafrechtlichen Schutz inländischer Tatopfer oder sonstiger inländischer Individualschutzgüter im Ausland, wie etwa § 5 Nr. 7 StGB die Bekämpfung der Wirtschaftsspionage (§§ 203, 204 StGB und §§ 17 – 19 UWG), wonach das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts für im Ausland begangene Taten gilt. Voraussetzung ist jedoch, dass das Unternehmen a) ein Inlandsbetrieb, b) seinen Sitz im Inland hat (§ 106 HGB; § 5 AktG; §§ 4a, 7 Abs. 1 GmbHG oder c) seinen Sitz im Ausland hat, aber – etwa als Tochtergesellschaft – von einem Unternehmen mit Sitz im Inland abhängig ist und dem Konzernverbund angehört (§§ 18 Abs. 1, 329 ff. AktG). Gleichordnungskonzerne werden hingegen nicht erfasst.6

VI. Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege 3.22

Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB gilt das deutsche Strafrecht für andere Taten, die im Ausland begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht 1 Vgl. auch BT-Drucks. 14/8524, 14. 2 Etwa Art. 100, 105 SRÜ v. 10.12.1982 zur Verankerung des Weltrechtsprinzips für die Piraterie; Art. 14, 19 Abkommen über die Hohe See v. 29.4.1958, BGBl. 1972, 1091. 3 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 73; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 48, Safferling, Internationales Strafrecht, 28 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 67. 4 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 46; Ambos in MK-StGB3, vor §§ 3 – 7 StGB Rz. 40. 5 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 78 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 45, Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 67 ff. 6 Fischer67, § 5 StGB Rz. 7.

50 | Peters

B. Prinzipien | Rz. 3.24 Kap. 3

ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist.1 Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege beruht auf dem Gedanken der Solidarität der Staaten hinsichtlich der Verbrechensbekämpfung.2 Voraussetzung ist jedoch, dass die Tat nach dem Recht des Begehungsortes strafbar ist, was mitunter zu der Problematik der Feststellung der ausländischen Strafbarkeit durch den inländischen Richter führt. Die Nichtauslieferung selbst muss feststehen und ggf. von Amts wegen auch noch bis zur Entscheidung der Revisionsinstanz ermittelt werden, da andernfalls ein Prozesshindernis vorliegt.3 Vor Anwendung des deutschen Strafrechts hat das Gericht eine verbindliche Feststellung der nach §§ 12, 74 IRG zuständigen Stelle einzuholen, dass eine Auslieferung nicht erfolgt.4 Zudem sind im Rahmen der Urteilsfindung Wertentscheidungen der jeweils anderen Rechtsordnung zu berücksichtigen, auch wenn diese den eigenen entgegenstehen.5

VII. Kompetenzverteilungsprinzip Ähnlich den Regelungen der Doppelbesteuerungsabkommen im Steuerrecht, existiert zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und aus Zweckmäßigkeits- und Gerechtigkeitsgründen das Kompetenzverteilungsprinzip.6 Eine Überschneidung der Geltungsbereiche der Strafrechtsordnungen soll durch entsprechende Vereinbarungen zwischen den Staaten vermieden und Doppelbestrafungen ausgeschlossen werden. Die Kompetenz liegt nach diesen Vereinbarungen zumeist bei dem Wohnsitzstaat des Täters. Auf europäischer Ebene ist am 15.12.2009 der Rahmenbeschluss zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren7 in Kraft getreten, der die direkte Konsultation der betroffenen Behörden vorschreibt. Insbesondere den nachteiligen Folgen parallel geführter Verfahren soll entgegengewirkt werden, um unnötigen Aufwand an Zeit und Ressourcen der betroffenen zuständigen Behörden zu vermeiden. Erklärtes Ziel ist es, unnötige parallele Strafverfahren zu vermeiden, die zu einem Verstoß gegen den Ne-bis-in-idem-Grundsatz führen könnten.8 Die praktische Abstimmung der beteiligten Behörden geschieht in der Praxis via Eurojust und zukünftig über die Europäische Staatsanwaltschaft (hierzu unter Rz. 10.59 ff.).

3.23

VIII. Unionsschutzprinzip Die Europäische Union verfügt bislang über keine eigene Strafverfolgungsbehörde und so besagt das Unionsschutzprinzip, dass die Mitgliedstaaten Taten, die sich gegen die Interessen

1 Vgl. auch Fischer67, § 7 StGB Rz. 9a f.; Ambos in MK-StGB3, § 7 StGB Rz. 27 ff.; Möhrenschläger in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 3 Rz. 45 f. 2 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 78 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 53 ff.; Safferling, Internationales Strafrecht, 32 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 114. 3 BGH v. 17.5.1991 – 2 StR 183/90, NJW 1991, 3104. 4 BGH v. 22.2.1963 – 4 StR 9/63, BGHSt 18, 283 (287); Fischer67, § 7 StGB Rz. 11. 5 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 4 Rz. 16, § 5 Rz. 93 ff. 6 Fischer67, Vor §§ 3 – 7 StGB Rz. 3; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 4 Rz. 15; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 57 ff. 7 Rahmenbeschluss 2009/948/JI des Rates v. 30.11.2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABl. EU 2009 Nr. L 328, 43. 8 Nr. 12 des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI des Rates v. 30.11.2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABl. EU 2009 Nr. L 328, 43.

Peters | 51

3.24

Kap. 3 Rz. 3.24 | Internationales Strafanwendungsrecht

der EU richten, verfolgen und bestrafen dürfen, wenn diese im Ausland verübt werden, z.B. Subventionsbetrug.

IX. Personalitätsprinzip (aktives/passives) 3.25

Das Verhalten eines Menschen beurteilt sich nach dem aktiven Personalitätsprinzip1 stets nach dem Strafrecht seines Herkunftslandes.2 Nach § 5 Nr. 8 Buchst. b StGB können etwa sog. „Sextouristen“, wegen im Ausland begangenen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen unabhängig vom Recht des Tatorts oder einer Verfolgung durch die dortigen Behörden wegen §§ 176 – 176b, 182 StGB bestraft werden. Gleiches gilt etwa über § 5 Abs. 1 Nr. 12 StGB für die im Ausland begangenen Taten eines deutschen Amtsträgers (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 StGB) oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Beispiel: Der deutsche Finanzbeamte A nimmt während seines Urlaubs in Kenia einen geldwerten Vorteil des kenianischen Geschäftsmanns B an, der sich in naher Zukunft mit seiner Firma im Veranlagungsbezirk des A niederlassen will. A teilt dies weder seinem Dienstherrn mit noch gibt er den geldwerten Vorteil in seiner Steuererklärung an. Sowohl wegen der im Ausland unter Umständen nicht strafbaren Vorteilsannahme (§ 331 StGB) als auch wegen der Steuerhinterziehung kann A in Deutschland belangt werden.

3.26

Seine Rechtfertigung findet dieses Prinzip in dem Gedanken, dass der Staat von seinen Staatsbürgern an jedem Ort der Welt die Einhaltung der Strafgesetze verlangen kann. Zum Tragen kommt dieses Prinzip immer dann, wenn die Tat in Staaten begangen wird, deren Rechtsordnung ein Auslieferungsverbot für eigene Staatsangehörige vorsieht, wie das deutsche Grundgesetz in Art. 16 GG. Die Flucht ins Heimatland nach Begehung der Straftat verhindert eine Strafverfolgung mithin nicht.3

3.27

Das passive Personalitätsprinzip bestimmt hingegen die Anwendung deutschen Strafrechts auf im Ausland begangene Taten gegen Deutsche als Opfer. Etwa Verschleppung eines Deutschen im Ausland (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 StGB) oder Vorenthalten eines Kindes im Ausland (§ 5 Abs. 1 Nr. 6a StGB).

C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO I. Einführung 3.28

Das Legalitätsprinzip fußt unter anderem im Rechtsstaatsprinzip, das eine effektive Strafrechtspflege zur Sicherung des Rechtsfriedens und des Rechtsgüterschutzes fordert, sowie im Gleichheitsgrundsatz.4 Es versteht sich von selbst, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht jeder Auslandstat nachgehen können, derentwegen eine Verfolgung möglich wäre. Über § 153c StPO ist den deutschen Strafverfolgungsbehörden in Abweichung vom grund-

1 Enthalten in §§ 5 Nr. 3a, 5b, 8, 9, 11a, 12, 14a, 15 StGB; Ambos in MK-StGB3, § 7 StGB Rz. 19– 26. 2 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 4 Rz. 7; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 43, Safferling, Internationales Strafrecht, 21, 24; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 37, 70 ff. 3 Ambos in MK-StGB3, § 7 StGB Rz. 19. 4 BVerfG v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, 610/63 und 2/64, BVerfGE 20, 162 (222); Rieß in FS Dünnebier, 1982, 149 (152, 157 f.); zum Ganzen Peters in MK-StGB3, § 153c StPO.

52 | Peters

C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO | Rz. 3.31 Kap. 3

sätzlich geltenden Legalitätsprinzip daher die Möglichkeit eingeräumt, bei Auslands- und Distanzdelikten ausnahmsweise von der Verfolgung abzusehen.1 Die bisherige Anwendung in der Praxis ist recht selten. Oftmals werden entsprechende Verfahren mittels Strafverfolgungsübernahmeersuchen an die zuständige ausländische Strafverfolgungsbehörde abgegeben oder das Verfahren wird nach § 154f StPO eingestellt. Die Staatsanwaltschaft kann indes von der Verfolgung solcher Straftaten gänzlich absehen, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangen worden sind oder die ein Teilnehmer an einer außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangenen Handlung in diesem Bereich begangen hat (Nr. 1) oder die ein Ausländer im Inland auf einem ausländischen Schiff oder Luftfahrzeug begangen hat (Nr. 2). Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat ferner absehen, wenn wegen der Tat im Ausland schon eine Strafe gegen den Beschuldigten vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen nicht ins Gewicht fiele oder der Beschuldigte wegen der Tat im Ausland rechtskräftig freigesprochen worden ist. Die bisherige praktische Bedeutung der Norm ist, gemessen an der Zahl der Ermittlungsverfahren in Deutschland, verhältnismäßig gering.

3.29

Die (potenziellen) Anwendungsfälle sind hingegen breit gefächert und es sollte in Anbetracht der Zunahme von Straftaten mit grenzüberschreitendem Bezug zur Effektuierung der beschränkten, heimischen Ermittlungsressourcen vermehrt davon Gebrauch gemacht werden, wenn die Tat bereits am Tatort verfolgt wird. Vornehmlich bei Begleitdelikten zur Steuerhinterziehung, etwa Bestechung im geschäftlichen Verkehr oder Vorteilszuwendungen an ausländische Amtsträger, kann hinsichtlich der diesbezüglichen Tatbestände ein frühzeitiges Vorgehen nach § 153c StPO und eine entsprechende Erörterung mit den Ermittlungsbehörden angezeigt sein.

3.30

Beispiel: Das deutsche Unternehmen T wendet zur Erlangung regulatorischer Vorteile Mitgliedern des maßgeblichen staatlichen Entscheidungsgremiums des außereuropäischen Landes M geldwerte Vorteile in Form von Beraterverträgen zu, die in Wirklichkeit Schmiergeldzahlungen darstellen. Die Gelder werden bei der deutschen Firma zu Unrecht als Betriebsausgaben erfasst. In diesem Fall könnte es sich anbieten, die Strafverfolgung in Deutschland auf die Steuerhinterziehung zu beschränken und hinsichtlich der Bestechungsvorwürfe nach § 153c StPO zu verfahren, wenn nicht der ausländische Staat um Übernahme der Strafverfolgung ersucht wird.

II. Zuständigkeit Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 153c Abs. 4, 156 StPO) liegt das Recht zur Einstellung des Verfahrens allein bei der Staatsanwaltschaft. Der Zustimmung des Gerichts bedarf es ebenso wenig wie der des Beschuldigten oder eines Verletzten. Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens kann die Staatsanwaltschaft in den Fällen des § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, Abs. 3 StPO die Klage zurücknehmen und das Verfahren einstellen (§ 153c Abs. 4 StPO).2 Die Verortung der Entscheidungsbefugnis bei der Staatsanwaltschaft als Teil der Exekutive, und nicht beim Gericht, liegt im politischen Charakter der Entscheidung begründet. Auch bei einer Einstellung nach Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Gericht nicht zu prüfen, ob die

1 Vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79. 2 Das Anknüpfen an die Erhebung der Klage ist eine sprachliche Unschärfe, die die Möglichkeit der Rücknahme vor der Eröffnung des Hauptverfahrens nicht einschränkt.

Peters | 53

3.31

Kap. 3 Rz. 3.31 | Internationales Strafanwendungsrecht

besonderen Voraussetzungen des § 153c Abs. 4 StPO sowie die allgemeinen des § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, Abs. 3 StPO tatsächlich vorlagen.

3.32

Zuständig ist die nach § 143 GVG ermittelnde Staatsanwaltschaft. Nr. 94 Abs. 3, 4, Nr. 95 Abs. 2 RiStBV sehen jedoch vor, dass in den Fällen des § 153c Abs. 3 StPO unverzüglich eine Entscheidung des Generalstaatsanwalts zu suchen ist.1 Da die Entscheidung allein der Staatsanwaltschaft obliegt, haben Polizei, Steuer- und Zollfahndung beim ersten Zugriff unverzüglich die Möglichkeit zu eröffnen, darüber zu entscheiden. Anders als in § 156 StPO normiert, kann eine bereits erhobene Anklage in derartigen Fällen gem. § 153c Abs. 4 StPO unter den dort näher normierten Voraussetzungen jederzeit einseitig zurückgenommen werden. Ein Strafklageverbrauch tritt hierdurch nicht ein.

III. Ermittlungsstand 3.33

Zur Anwendung des § 153c StPO muss ein Ermittlungsverfahren ebenso wenig eingeleitet sein, wie überhaupt Ermittlungen gegen einen bestimmten Beschuldigten im Gange sein müssen.2 Der Sachverhalt muss auch nicht vollständig durchermittelt oder ausermittelt sein.3 Es handelt sich um eine Einstellung aus Opportunitätsgründen, die auch der Verfahrensvereinfachung dienen soll. Das bloße Vorliegen eines Anfangsverdachts i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO ist ausreichend; anderenfalls liefe der Normzweck der Ressourcenschonung leer.4 Ermittelt sein muss freilich, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 153c StPO in seiner jeweils anzuwendenden Ausprägung vorliegen. Auch muss wegen der Sonderzuständigkeit des Generalbundesanwalts in § 153c Abs. 5 StPO das (Nicht-)Vorliegen einer Katalogtat beurteilbar sein. In jedem Fall ist indes zu prüfen, ob überhaupt ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt. Ist dies der Fall, bedarf es keiner weitergehenden Ermittlungsmaßnahmen.

IV. Zeitliche Grenzen der Normanwendung 3.34

Eine Einstellung ist in jedem Fall bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens möglich. Nach diesem Zeitpunkt gilt nur hinsichtlich des § 153c Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 3 StPO das Immutabilitätsprinzip des § 156 StPO, nach dem eine Rücknahme der öffentlichen Klage nach der Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mehr möglich ist (§ 153c Abs. 4 StPO). In den Fällen des § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und Abs. 3 StPO ist hingegen weiterhin eine Einstellung, selbst in der Rechtsmittelinstanz, unter den in § 153c Abs. 4 StPO genannten Voraussetzungen möglich. Dies gilt selbst bei Teilrechtskraft.5

V. Reichweite der Einstellungsbefugnis 3.35

Die Einstellung nach § 153c StPO umfasst die gesamte prozessuale Tat. Es ist nicht möglich, wie in § 154a StPO die Strafverfolgung auf einzelne Straftatbestände zu beschränken.6 § 153c StPO hindert freilich die Anwendung des § 154a StPO nicht. Sind an einer Straftat mehrere beteiligt, ist nach § 153c StPO nicht zwingend für alle Beteiligten eine einheitliche Einstellung 1 Der Verweis auf § 153c Abs. 2 StPO ist ein Redaktionsversehen, vgl. Esser/Fischer, JZ 2010, 217 (219 mit Fn. 32). 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 153c StPO Rz. 2. 3 Diemer in KK8, § 153c StPO Rz. 3; Gercke in HK6, § 153c StPO Rz. 2. 4 Peters in MK-StGB3, § 153c StPO Rz. 11. 5 Plöd in KMR, § 153c StPO Rz. 13. 6 Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 153c StPO Rz. 9.

54 | Peters

C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO | Rz. 3.37 Kap. 3

nach § 153c StPO vorzunehmen. Die Norm enthält – mit Ausnahme der Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in § 153c Abs. 1 Satz 2 StPO – keine Begrenzung auf bestimmte Delikte oder Deliktsarten. Insbesondere ist sie nicht auf Vergehen beschränkt, sondern umfasst auch Verbrechen.

VI. Ermessen Im Rahmen des § 153c StPO kommen nicht allein materiell-rechtliche Erwägungen zum Tragen. Vielmehr stehen die Verfahrensökonomie und politische Interessen im Mittelpunkt. Insbesondere zu § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 StPO wird betont, dass dieser „ganz ausnahmsweise“ ein „echtes Ermessen“ einräumt (Opportunitätsprinzip im weiteren Sinne, das nicht nur in strikter „Rechtsanwendung“ besteht).1 Die Ausübung des Ermessens der Staatsanwaltschaft wird von einer Abwägung bestimmt.2 Zu beantworten ist die Frage, „ob aus der Sicht des deutschen Strafrechts ein öffentliches Interesse an der Verfolgung gerade dieser Tat mit Auslandsberührung besteht.“ Dabei sind das öffentliche Strafverfolgungsinteresse, welches sich zuvorderst aus den Strafzwecken der Spezial- und der Generalprävention bemisst, und andere öffentliche Interessen, die durch eine Strafverfolgung berührt werden, gegenüberzustellen und gegeneinander abzuwägen.3 Eine Einstellung liegt nahe, wenn der Ermittlungsaufwand außer Verhältnis gegenüber dem Verfolgungsbedürfnis oder den in Aussicht stehenden Ergebnissen steht. In die Ermessenserwägung einzubeziehen sind abstrakt die Schwere der Straftat, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, das Ausmaß der Konfliktsituation eines Täters in einer ausländischen Rechtsordnung,4 ein (mangelndes) präventives Interesse, Erwägungen der Außenpolitik, Schwierigkeiten der Aufklärung5 und unverhältnismäßige Schwierigkeiten der Strafverfolgung.

3.36

Beispiel Im obigen Beispiel (Rz. 3.7) könnte beispielsweise ausschlaggebend sein, dass das außereuropäische Land im Bereich der Korruption, wenn überhaupt, nur ansatzweise tatsächlich Rechtshilfe leistet und weitere Ermittlungen nur unter erschwerten Bedingungen möglich sind.

VII. Ausländische Aburteilungen Die Einstellungsmöglichkeit nach der ersten Alternative des § 153c Abs. 2 StPO hängt von der Frage ab, ob die im Inland zu erwartende Strafe nach der Anrechnung der ausländischen nicht ins Gewicht fiele. Dies ist dann der Fall, wenn kein wesentlicher Strafrest verbleibt, was im Wege eines Vergleichs zu ermitteln ist. Stellt man die Straferwartung in Deutschland und die vollstreckte Auslandsstrafe gegenüber, so muss der Unterschied zwischen beiden relativ gering sein. Ferner ist zu vermeiden, dass das generelle Strafverfolgungsinteresse eine erhebliche Beeinträchtigung erfährt.6 Die Gewichtigkeit der Rechtsfolgendifferenz lässt sich abstrakt schwerlich umreißen. Maßgeblich ist der jeweilige Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände.7 Mitunter ist das Ermessen der Staatsanwaltschaft auf Null

1 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 152 StPO Rz. 8, 7; für den gesamten § 153c StPO Gercke in HK6, § 153c StPO Rz. 1; Plöd in KMR, § 153c StPO Rz. 1, 4; Diemer in KK8, § 153c StPO Rz. 1; Krey/Pföhler, NStZ 1985, 145 (148). 2 Peters in MK-StGB3, § 153c StPO Rz. 30. 3 Esser/Fischer, JZ 2010, 217 (220). 4 Heimeshoff, DRiZ 1977, 19 (20). 5 Heghmanns/Scheffler, Hdb. zum Strafverfahren, 2008, Rz. V.113. 6 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 153c StPO Rz. 12. 7 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 153d StPO Rz. 7.

Peters | 55

3.37

Kap. 3 Rz. 3.37 | Internationales Strafanwendungsrecht

reduziert.1 Von Einfluss kann an dieser Stelle der Resozialisierungsanspruch des Beschuldigten, der einem erneuten Ermittlungsverfahren und ggf. einem zweiten Hauptverfahren ausgesetzt wird, sein.2

3.38

Die zweite Alternative des § 153c Abs. 2 StPO stellt bei einem ausländischen rechtskräftigen Freispruch keine zusätzlichen Anforderungen an die Möglichkeit einer Einstellung und ist insbesondere im Zusammenhang mit Art. 54 SDÜ zu sehen.3 Liegen die Voraussetzungen des Art. 54 SDÜ vor, ist eine Einstellung zwingend. Ermessenserwägungen gegen eine Einstellung können sein, ob das ausländische Recht dem deutschen Rechtsverständnis grundsätzlich entgegenläuft und der Freispruch hierauf beruht.4 Für eine Einstellung spricht hingegen, wenn der bestehende Unterschied zwischen den Rechtsordnungen hinnehmbar erscheint.5 Stets ist jedoch eine umfassende Abwägung aller Umstände des jeweiligen Falles vonnöten.

VIII. Anrechnung ausländischer Strafen 3.39

Über § 51 Abs. 3 StGB kann eine im Ausland bereits vollstreckte Strafe im Falle der neuerlichen Verurteilung wegen derselben Tat im Inland angerechnet werden.6 Der Anrechnungsmaßstab bestimmt sich nach § 51 Abs. 4 StGB.7 Beispiele: a) A wird nach der Verurteilung in Italien wegen Steuerhinterziehung zur weiteren Aburteilung nach Deutschland überstellt. b) X begeht in Deutschland zehn Raubüberfälle auf Tankstellen und flüchtet mit seiner Beute nach Spanien, wo er erneut eine Tankstelle überfällt. Wegen dieser (gesamtstrafenfähigen) Tat wird er in Spanien zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe wird A zur weiteren Strafverfolgung nach Deutschland überstellt.

In der Praxis findet idealerweise eine Abstimmung der Behörden untereinander statt, etwa via Eurojust oder im deutschsprachigen Raum auch auf dem „kleinen Dienstweg“. So können zwischen den Strafverfolgungbehörden Vereinbarungen hinsichtlich der zu verfolgenden Komplexe getroffen und eine Doppelbearbeitung vermieden werden.

IX. Rechtsfolgen und Wiederaufnahme 3.40

Der Entscheidung von der Verfolgung abzusehen, kommt keine Rechtskraftwirkung zu.8 Die Einstellung nach § 153c StPO hindert eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht. Insbesondere tritt kein Strafklageverbrauch ein.9 Denn der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat ist kein zentrales Kriterium für die Einstellung.10 Wird die Einstellung verweigert, kann hierauf die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Gercke in HK6, § 153c StPO Rz. 3; Landau in FS Söllner, 2000, 627, 644. Gercke in HK6, § 153c StPO Rz. 8. Vgl. auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 153c StPO Rz. 12, Einl. 177a. Bloy, GA 1980, 161 (178). Bloy, GA 1980, 161 (178). Safferling, Internationales Strafrecht, 514; zum Verhältnis zu Art. 54 SDÜ vgl. Fischer67, § 51 StGB Rz. 16. Zum Ganzen auch Fischer67, § 51 StGB Rz. 16 ff. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 153c StPO Rz. 1 unter Verweis auf LG Gießen v. 23.2.1984 – 2 Qs 783/83, StV 1984, 327. LG Gießen v. 23.2.1984 – 2 Qs 783/83, StV 1984, 327; anders noch die Vorinstanz, vgl. AG Gießen v. 24.10.1983 – 51 Ls 9 Js 19306/82, StV 1984, 238, die allgemein Ablehnung erfährt. Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 153c StPO Rz. 40.

56 | Peters

D. § 154 StPO im Hinblick auf ausländische Strafverfahren und Verurteilungen | Rz. 3.43 Kap. 3

Revision nicht gestützt werden; eine gerichtliche Nachprüfung findet auch bei einer Verweigerung der Anwendung des § 153c StPO nicht statt.

D. § 154 StPO im Hinblick auf ausländische Strafverfahren und Verurteilungen I. Einführung Nach § 154 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat absehen, wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt (Absatz 1 Nr. 1). Ferner kommt eine Einstellung in Betracht, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint (Absatz 1 Nr. 2). Nach Erhebung der öffentlichen Klage obliegt diese Möglichkeit auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem erkennenden Gericht. Fällt die rechtskräftig erkannte Strafe nachträglich weg, kommt eine Wiederaufnahme in Betracht. Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, sofern nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden. § 154 StPO findet auch dann Anwendung, wenn der Täter bereits im Ausland verurteilt wurde oder dort gegen ihn ein Verfahren noch anhängig ist.

3.41

Beispiel: A wird wegen der Hinterziehung von Einkommensteuer im Jahr 2005 in Höhe von 1.000 Euro vor einem deutschen Gericht im Jahr 2010 angeklagt. Es wird im Zuge der Ermittlungen bekannt, dass A bereits im Jahr 2006 wegen versuchten Totschlags in Österreich zu einer Freiheitsstrafe von 5 ½ Jahren verurteilt wurde, die er teilweise verbüßt hat. A wird wie im vorherigen Fall in Deutschland angeklagt; aus den Akten ergibt sich jedoch, dass gegen A in Russland ein Verfahren wegen Raubes anhängig ist bzw. er dort bereits rechtskräftig verurteilt wurde.

In beiden Fällen kommt nach hier vertretener Ansicht eine Verfahrensweise nach § 154 StPO in Betracht.

3.42

II. Europäische Urteile und Strafverfahren Auf europäischer Ebene ist mit dem EU-Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates vom 24.7.2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren1 zwischenzeitlich eine Lösung ge1 Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates v. 24.7.2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren, ABl. EU Nr. L 220 v. 15.8.2008, 32 – 34; der in das innerstaatliche deutsche Recht umgesetzt worden ist durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates v. 6.10.2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen und des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates v. 24.7.2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren (Umsetzungsgesetz Rahmenbeschlüsse Einziehung und Vorverurteilungen – EinzVorvRUG), BGBl. I 2009, 3214.

Peters | 57

3.43

Kap. 3 Rz. 3.43 | Internationales Strafanwendungsrecht

funden, sodass eine Anwendung auf Verurteilungen innerhalb Europas unzweifelhaft ist.1 Der Rahmenbeschluss legt die Minimalverpflichtungen fest, wie die in einem Mitgliedstaat ergangenen früheren Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren in einem anderen Mitgliedstaat gegen dieselbe Person wegen einer anderen Tat berücksichtigt werden müssen.

3.44

Als Grundsatz soll gelten, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat nach innerstaatlichem Recht ergangene Verurteilung mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- oder materiell-rechtlichen Wirkungen versehen werden sollte, wie sie die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt (Art. 5).2 Der Rahmenbeschluss enthält keine Verpflichtung zur Berücksichtigung solcher früherer Verurteilungen, wenn beispielsweise die im Rahmen anwendbarer Rechtsinstrumente erhaltenen Informationen nicht ausreichen, wenn eine innerstaatliche Verurteilung für die Tat, die der früheren Verurteilung zugrunde lag, nicht möglich gewesen wäre oder wenn die früher verhängte Sanktion dem innerstaatlichen Rechtssystem unbekannt ist.

3.45

Ziel des Rahmenbeschlusses ist es, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilung gleichwertige Wirkungen entfaltet wie eine im Inland ergangene Entscheidung, sowohl in der Phase vor dem eigentlichen Strafverfahren als auch während des Strafverfahrens und der Strafvollstreckung. Liegen bei einem Strafverfahren in einem Mitgliedstaat Informationen über eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene frühere Verurteilung vor, so sollte so weit wie möglich vermieden werden, dass die betreffende Person schlechter behandelt wird, als wenn die frühere Verurteilung im Inland erfolgt wäre. Erste Entscheidungen zur Berücksichtigung einer nach innerstaatlichen Maßstäben gesamtstrafenfähigen ausländischen Vorverurteilung liegen bereits vor.3

III. Außereuropäische Urteile und Strafverfahren 3.46

Die untergerichtliche Rechtsprechung bejaht – soweit ersichtlich – von jeher eine Anwendbarkeit von § 154 StPO hinsichtlich im Ausland ergangener Verurteilungen.4 Der Zweck des § 154 StPO, die Verfahrensbeschleunigung, wird auch gefördert, wenn Strafverfahren mit Rücksicht auf ausländische Strafverfahren wegen anderer Taten eingestellt werden.5 Auch aus der amtlichen Begründung und dem Wortlaut6 des § 154 StPO ergibt sich nicht das Gegenteil; ebenso wie die §§ 153c, 154b StPO keine abschließende Sonderregelung für eine Einstellung 1 Vgl. auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 154 StPO Rz. 1a; Teßmer in MK-StPO1, § 154 StPO Rz. 35. 2 Eine Harmonisierung der in den verschiedenen Rechtsordnungen für frühere Verurteilungen vorgesehenen Rechtswirkungen durch diesen Rahmenbeschluss ist jedoch nicht beabsichtigt und in anderen Mitgliedstaaten ergangene frühere Verurteilungen müssen nur in dem Maße berücksichtigt werden wie im Inland nach innerstaatlichem Recht ergangene Verurteilungen (Art. 5). 3 BGH v. 27.1.2010 – 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677. 4 LG Bonn v. 6.4.1973 – 9 KLs 9/70, NJW 1973, 1566; LG Essen v. 13.11.1991 – 21 (51/91), StV 1992, 223; LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505; a.A. Teßmer in MK-StPO1, § 154 StPO Rz. 36. 5 LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505 unter Verweis auf Dauster, NStZ 1986, 145; Beseler, NJW 1970, 370; LG Bonn v. 6.4.1973 9 – KLs 9/70, NJW 1973, 1566; Im konkreten Fall wurde der in Deutschland im Jahr 1990 wegen Hehlerei und Beihilfe zum versuchten Betrug Angeklagte zwischenzeitlich durch ein französisches Gericht zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe nebst Zollstrafe von 26.440 frz. Francs verurteilt. 6 LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505 unter Verweis auf Ratz, NJW 1970, 1668; Dauster, NStZ 1986, 145; LG Bonn v. 6.4.1973 – 9 KLs 9/70, NJW 1973, 1566.

58 | Peters

D. § 154 StPO im Hinblick auf ausländische Strafverfahren und Verurteilungen | Rz. 3.49 Kap. 3

eines Strafverfahrens mit Auslandsbezug darstellen. Denn § 154b StPO betrifft ausschließlich die Strafverfolgung von Ausländern und regelt nicht die Frage der Verfolgung von im Inoder Ausland straffällig gewordenen Deutschen. § 153c StPO regelt allein die Einstellung des Verfahrens, bei dem eine Aburteilung oder Verfolgung derselben Tat im Ausland vorliegt.1 Schließlich sind die unterschiedlichen Schutzrichtungen von § 154 und §§ 154b, 153c StPO anzuführen. § 154 StPO dient der Verfahrensbeschleunigung, §§ 154b, 153c StPO der Rücksichtnahme auf die vorrangige Strafgewalt eines fremden Staates. Auch aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich nichts Gegenteiliges, zumal alle drei Vorschriften zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingeführt wurden und bereits von daher von nicht von einem einheitlichen Regelungswillen auszugehen ist. Die Einführung von § 154 StPO erfolgte bereits 1924.2 § 154b StPO wurde 1929 eingefügt3 und § 153c StPO sogar erst 1940.4 Gegen einen einheitlichen Willen spricht auch, dass die §§ 154, 154b StPO sich an Gericht und Staatsanwaltschaft wenden, § 153c StPO hingegen allein die Staatsanwaltschaft betrifft. Als Gegenargument für den Fall eines noch schwebenden ausländischen Strafverfahrens wird zum einen der Regelungszusammenhang zu den §§ 153c, 154b StPO angeführt und vorgetragen, dass es dem deutschen Staatsanwalt oder dem erkennenden Gericht nicht zuzumuten sei, eine Bewertung hinsichtlich eines ausländischen Strafverfahrens zu treffen, insbesondere was dessen Dauer und Ergebnis betrifft.5

3.47

Der Wortlaut des § 154 StPO steht einer Anwendung auf ausländische Strafverfahren oder Verurteilungen indes nicht entgegen. Neutral formuliert ist von einer „anderen Tat“ die Rede. Die deutsche Strafgerichtsbarkeit ist auch nicht als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Vorschrift hineinzulesen, da hierfür jeglicher Anhaltspunkt fehlt.6

3.48

Dem Argument der fehlenden Einschätzungsmöglichkeit durch den zur Entscheidung berufenen Staatsanwalt ist zuzugeben, dass die Einschätzung der Verfahrensdauer, des Verfahrensablaufs und die qualitative Einordnung der verhängten Sanktion sich in der Tat nicht sogleich immer aufdrängen oder bekannt sind. Gleichwohl würde man jedoch unzweifelhaft über die Anwendung des § 154 StPO auch im Falle eines schwebenden Verfahrens nachdenken, wenn feststünde, dass ein in Deutschland wegen Steuerhinterziehung in geringem Umfang zu Verfolgender sich wegen des (dringenden) Verdachts der räuberischen Erpressung in russischer Untersuchungshaft befindet. Zudem unterscheiden sich die typischen für eine Einstellung nach § 154 StPO in Betracht kommenden Bezugsstraftaten in sämtlichen Ländern

3.49

1 2 3 4 5

So auch Gallandi, NStZ 1987, 353. § 24 der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege v. 4.1.1924, RGBl. I, 18. Auslieferungsgesetz v. 23.12.1929, RGBl. I, 755. Art. II Abs. 2 der Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 154 StPO Rz. 1a; Teßmer in MK-StPO, § 154 StPO Rz. 34 ff., Gallandi, NStZ 1987, 353 (354). Zur Lösung schlägt er die Einführung eines § 154 Abs. 6 StPO vor, wonach die Einstellung im Hinblick auf Auslandssachverhalte dann möglich sein soll, wenn es sich bei der Tat um eine Auslandstat handelt, die von einem ausländischen Gericht rechtskräftig abgeurteilt worden ist, wenn und soweit eine Überprüfung der für die rechtskräftige Aburteilung relevanten Verfahrenstatsachen im Rechtshilfewege nach entsprechender Anwendung der Vorschriften für den Rechtshilfeverkehr in Strafsachen möglich ist. 6 LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505; Dauster, NStZ 1986, 145 (147); Ratz, NJW 1970, 1668. Auch die für die praktische Strafrechtsanwendung bedeutsamen Regelungen der RiStBV sehen, obwohl das Problem bekannt ist, eine Beschränkung auf inländische Taten nicht vor.

Peters | 59

Kap. 3 Rz. 3.49 | Internationales Strafanwendungsrecht

nicht sonderlich. Bei Zweifelsfragen verbleibt überdies immer noch der Weg der Rechtshilfe oder über das Bundesamt für Justiz Auskünfte einzuholen.

3.50

Es sind vor allen Dingen Zweckmäßigkeitsüberlegungen, die für eine Anwendung auf ausländische Verurteilungen sprechen. Eine Verfahrensbeschleunigung kann auch bei der Einbeziehung ausländischer Taten erfolgen.1 Mitunter wurde dem entgegnet, dass Praktikabilitätserwägungen eine Erstreckung auf ausländische Urteile hindern. Moniert wurde vor allem, dass die notwendigen Informationen über den Ausgang des ausländischen Verfahrens nicht innerhalb der in § 154 Abs. 4 StPO normierten Dreimonatsfrist nach Rechtskraft der ausländischen Verurteilung vorlägen.2 Der Hauptanwender des § 154 StPO, die Staatsanwaltschaft, ist nicht an die Dreimonatsfrist gebunden.3 Zudem ist das Zeitargument angesichts der zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten und steten Verbesserung im Bereich der Rechtshilfe (vgl. hierzu Rz. 10.22) nicht mehr stichhaltig. Insbesondere wenn vorab im Wege der Rechtshilfe bereits Erkenntnisse über das ausländische Verfahren vorliegen, ist oftmals für weitere Nachfragen der direkte Weg, etwa via E-Mail oder Telefon, eröffnet, um sich über das weitere Verfahren zu informieren. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass mittlerweile auf verhältnismäßig einfachem Wege beispielsweise die Polizeibehörden und Zollbehörden Informationen über das ausländische Strafverfahren und gegebenenfalls eine ausländische Verurteilung „auf dem kurzen Dienstweg“ erhalten können. So ist es den Ermittlungsbehörden möglich über Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes Informationen aus dem betreffenden Staat zu erhalten. In der Regel sind auch Anfragen per E-Mail problemlos möglich. Auf europäischer Ebene wurde die Datenbank ECRIS eingerichtet (vgl. hierzu Rz. 10.9, 10.22). Ebenso spricht die Existenz des Rahmenbeschlusses an sich für eine Ausdehnung auf sämtliche Strafverfahren. Wenn eine Ausdehnung auf europäischer Ebene bereits möglich ist, dann ist nicht ersichtlich, was einer außereuropäischen Praxis entgegensteht, sofern entsprechend gesicherte Erkenntnisse über das außereuropäische Bezugsverfahren in Deutschland vorliegen.

3.51

Dem kann ein Verzicht auf den deutschen Strafanspruch nicht entgegengehalten werden. Eine solche Betrachtungsweise entspräche einem Souveränitätsdenken, das weder von der deutschen Strafprozessordnung, noch vom materiellen Strafrecht in dieser Form geschützt wird. Es ist zulässig, gängige Praxis und nach der Rechtsprechung des BGH4 und dem EURahmenbeschluss sogar mitunter Verpflichtung des erkennenden Gerichts, ausländische Strafurteile in die Urteilsfindung mit einzubeziehen.5 Gleichsam sind ausländische Urteile als täterbezogenes Strafschärfungsmerkmal anerkannt.6

1 Dauster, NStZ 1986, 145 (147). 2 Kohlhaas, NJW 1970, 796, der jedoch nicht die heutigen technischen Möglichkeiten und Institutionen wie Eurojust, Europol, und das Bundesamt für Justiz vor Augen gehabt haben dürfte. In diesem Sinne auch Dauster, NStZ 1986, 145 (148). 3 LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505; BGH v. 26.6.1981 – 3 StR 83/81, BGHSt 30, 165; BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1 (7); Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 154 StPO Rz. 21a. 4 BGH v. 27.1.2010 – 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677. 5 Dauster, NStZ 1986, 145 (147). 6 Fischer67, § 46 StGB Rz. 38a.

60 | Peters

Kapitel 4 Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren/Verbot der Doppelbestrafung A. I. II. B. I. II. III. IV. C. I. II. 1. 2. 3.

Europäischer Grundrechtsschutz Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . Mehrfache Strafverfolgung/Art. 54 SDÜ/Art. 50 GRCh Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 54 SDÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 50 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis von Art. 54 SDÜ zu Art. 50 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtskräftige Aburteilung . . . . . . . . . Österreichisches Straferkenntnis . . . . . Belgische „Transactie“ . . . . . . . . . . . . . Niederländische „Transactie“/Einstellung nach § 153a StPO . . . . . . . . . . . . .

4.1 4.12

4.18 4.19 4.21 4.23

4.24 4.25 4.29 4.33 4.37

4. Beschränkter Strafklageverbrauch bei Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.40 5. Selbstanzeige als Aburteilung i.S.d. Art. 54 SDÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.41 6. Art. 54 SDÜ im Ordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.45 7. Innerstaatliche Kombination von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.47 8. Die Versagung der Steuerfreiheit als Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.56 9. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.59 III. Begriff derselben Tat/Idem 1. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . 4.60 2. Schlussfolgerung für die Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.67 IV. Vollstreckung 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.71 2. Steueramnestie als Vollstreckung . . . . 4.72

Literatur: Bender, Der Transitschmuggel im europäischen „ne bis in idem“, wistra 2009, 176; Biehler, Konkurrierende nationale und internationale strafrechtliche Zuständigkeit und das Prinzip ne bis in idem, ZStW 116 (2004), 256; Böse, Der Grundsatz „ne bis in idem“ in der Europäischen Union, GA 2003, 744; Böse, Ausnahmen von grenzüberschreitenden „Ne bis in idem? – Zur Fortgeltung der Vorbehalte nach Art. 55 SDÜ, in FS Kühne, Heidelberg 2013, 519; Bülte, J., Verwertung von im Ausland erlangten Beweismitteln und Anwendungsvorrang des Unionsrechts als Grenze von Verfahrensrechten im nationalen Strafprozess, ZWH 2013, 219; Burchard/Brodowski, Art. 50 Charta der Grundrechte der Europäischen Union und das europäische ne bis in idem nach dem Vertrag von Lissabon, StraFo 5/2010; Geiger, Strafrechtsharmonisierung aus Luxemburg?, EuZW 2002, 705; Hackner, Das teileuropäische Doppelbestrafungsverbot insbesondere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, NStZ 2011, 425; Harms/Heine, Ne bis in idem – Es führt kein Weg am EuGH vorbei, in FS Hirsch, München 2008, 85; Heger, Das europäische Doppelbestrafungsverbot, in FS Kühne, Heidelberg 2013, 565; Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“ 2005; Kokott, Bedeutung und Wirkungen deutscher und europäischer Grundrechte im Steuerstrafrecht und Steuerstrafverfahren, NZWiSt 2017, 409; Radtke/Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europäischen Union, NStZ 2003, 281; Risse, Die Anwendbarkeit von EU-Grundrechten im prozessualen und materiellen Strafrecht, HRRS 204, 93; Rübenstahl/Krämer, Das Doppelbestrafungsverbot nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen, European Law Reporter 2003, 180; Schomburg/Suomen-Picht, Verbot der mehrfachen Strafverfolgung, Kompetenzkonflikte und Verfahrenstransfer, NJW 2012, 1190; Stein, Ein Meilenstein für das europäische „ne bis in idem"!, NJW 2003, 1162; Wegner, Iterum iterumque in idem? Einschränkungen des europäischen Mehrfachverfolgungsverbots bei Zusammentreffen von Kriminalstrafe und anderen Sanktionstypen, HRRS 2018, 205.

Peters | 61

Kap. 4 Rz. 4.1 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

A. Europäischer Grundrechtsschutz I. Einführung 4.1

Zu den unmittelbaren Auswirkungen auf den Tatbestand des § 370 AO vgl. Kapitel 11 (Rz. 11.1). Die Rechtsquellen und das Normengefüge des Internationalen Steuerstrafrechts wurden in Kapitel 2 dargestellt; ebenso die allgemeinen Voraussetzungen des europäischen Strafrechts, der unionsrechtlichen Schranken und die Charta der Grundrechte in der Europäischen Union. Von zunehmender Bedeutung in Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung mit grenzüberschreitendem Bezug in der europäischen Union ist, wie sich die eingangs erwähnten Unionsgrundsätze und Unionsgrundrechte im Strafrecht (zu den Auswirkungen auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung vgl. Rz. 11.52 ff.) und im Strafverfahrensrecht auswirken. Der EuGH macht stets deutlich, dass im europäischen Steuerstrafrecht europäische Grundrechtsstandards anzuwenden sind.1 In der Rechtssache Steffens2 gelangte der EuGH bspw. sogar zu einem Beweisverwertungsverbot wegen der Verletzung des Rechts zur Gegenprobe (unter Berufung auf Art. 6 EMRK). Die Richtlinie zur Lebensmittelüberwachung sah ein weitreichendes Recht auf eine Gegenprobe vor, welches aus dem nationalen Strafprozessrecht bzw. aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht nicht hergeleitet werden konnte. Der Einfluss der europäischen Grundrechte auf bestimmte Bereiche des Straf- und Strafverfahrensrechts kann es im Einzelfall notwendig machen, die Grundrechtsstandards in der Anwendung von Strafrecht und auch im Strafverfahrensrecht differenziert zu bestimmen.3

4.2

Ungeklärt ist bislang die Frage, ob und inwieweit sich der Beschuldigte in einem Strafverfahren mit europäischem Bezug z.B. bei Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern neben den europäischen Grundrechten zugleich auch auf deutsche Grundrechtsstandards und deutsche Verfahrensrechte berufen kann, wenn diese im Einzelfall über die Gewährleistungen aus der EMRK und der GRCh hinausgehen und zudem eine Beeinträchtigung der Durchführung europäischen Rechts bedeuten könnten.4

4.3

In der Sache Dzivev5 führte der EuGH aus, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, auch weiterhin den nationalen Grundrechtsstandard anzuwenden, soweit dadurch einerseits der Grundrechtsschutz nicht verringert wird und andererseits der Foren, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt werden.6 Infolgedessen erging die Taricco7 Entscheidung, wonach eine nationale Rechtsvorschrift mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist, wenn durch die darin geregelte zu kurze Verjährungsfrist die Ahndung schwerer Betrugstaten in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen verhindert wird. Eine solche Vorschrift darf nach dem EuGH nicht angewendet werden. Das nationale Gericht muss jedoch bei seiner Entscheidung über die Nichtanwendung die Grundrechte der betroffenen Person berücksichtigen, insbesondere darf Art. 49 GRCh nicht verletzt werden. Die Gewährleistung von nationalen Grundrechten in nationalen Strafverfahren über die Standards der EU hinaus ist im Bereich

1 2 3 4 5 6 7

EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27, Rz. 37. EuGH v. 25.11.1998 – T-222/97, ECLI:EU:T:1998:267 – Steffens. Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 33. Vgl. auch Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 33. EuGH v. 17.1.2019 – C-310/16, ECLI:EU:C:2019:30 – Dzivev, UR 2019, 311. EuGH v. 17.1.2019 – C-310/16, ECLI:EU:C:2019:30 – Dzivev, UR 2019, 311. EuGH v. 8.9.2015 – C-105/14, ECLI:EU:C:2015:555 – Taricco u.a., UR 2016, 367.

62 | Peters

A. Europäischer Grundrechtsschutz | Rz. 4.7 Kap. 4

des Mehrwertsteuerrechts aber nur insoweit zulässig, wie noch keine unionsweite Harmonisierung stattgefunden hat. Der Generalanwalt geht davon aus, dass nur wenn die konkrete Regelung eindeutig durch das Unionsrecht besteht vorbestimmt ist, keinen inhaltlichen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten zulässt und im konkreten Einzelfall auch anwendbar ist, eine derart weitreichende Harmonisierung vorliegt, die möglicherweise dazu führen kann, dass eine nationale Vorschrift keine Anwendung findet. Bülte folgert daraus, dass, soweit das Recht der Mitgliedstaaten insofern nicht voll harmonisiert ist als die nationalen Rechtsvorschriften nicht von einer derartigen textlichen oder hinreichend engen funktionalen Vorwegnahme erfasst sind, doppelte Grundrechtsstandards gelten, wenn die jeweilige Regelung in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Dabei werden die Vorgaben der GRCh zum Mindeststandard und die nationalen Grundrechte sind anzuwenden. Bülte weist zutreffend darauf hin, dass innerhalb dieser Kategorie Differenzierungen möglich sind, da der Grad der Harmonisierung auseinanderfallen kann. Ebenfalls zu Recht weist er darauf hin, dass das allgemeine Strafverfahrensrecht und das Recht der Steuererhebung weitestgehend nicht harmonisiert sind, hingegen im praktischen Hauptanwendungsfall des Umsatzsteuerstrafrechts die Grundsatzvorgaben der Europäischen Union gelten. Dies hat die praktische Konsequenz, dass in diesem Bereich jede einzelne Vorschrift im Sinne einer „Microbetrachtung“ genau anzuschauen ist, um den Grad der Harmonisierung festzustellen.1

4.4

Wert zu legen ist in diesem Zusammenhang auf die Feststellung, dass der EuGH insofern nur die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht feststellen, nicht aber das nationale Gericht zu einer Nichtanwendung des nationalen Rechts zwingen kann.

4.5

Daneben gelten weitere rechtsstaatliche Unionsgrundsätze. Zu nennen sind hier die Grundsätze des Art. 49 GRCh des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Gesetzlichkeitsprinzip und das Milderungsgebot. Die europäischen Grundrechte im Strafverfahren sind beispielsweise in Art. 7 40,48 GRCh (Recht auf ein faires Verfahren) normiert.

4.6

Von besonderer praktischer Bedeutung im europäischen Steuerstrafrecht ist die Regelung des ne bis in idem (Art. 50 GRCh, Art. 54 SDÜ).2 Dies erfasst die Mitgliedstaaten der EU, Island, Norwegen und die Schweiz.3

4.7

Denn im Europäischen und Internationalen Steuerstrafrecht kommt es überproportional häufig vor, dass zugleich mehrere Staaten an der Strafverfolgung beteiligt oder zur Strafverfolgung berufen sind, bspw. bei Streckengeschäften, Umsatzsteuerkarussellen oder im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Hinterziehung von Verbrauchsteuern. Vor diesem Hintergrund gilt es in besonderem Maße – insbesondere wenn europäische Mitgliedstaaten beteiligt sind – die möglichen Implikationen und Auswirkungen ausländischer Strafverfahren auf das deutsche Strafverfahren im Auge zu behalten. So waren in der Vergangenheit beispielsweise deutsche Steuerstrafverfahren deswegen einzustellen, weil hinsichtlich des identischen Sachverhalts – und nur auf den kommt es an – bereits in einem europäischen Mitgliedstaat eine Einstellung nach Opportunitätsvorschriften erfolgt war.

1 Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 35; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Bobek v. 25.7.2018 – C-310/16, ECLI:EU:C:2018:623 – Dzivev, Rz. 92, 102. 2 Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 43 f. 3 Einer förmlichen Bindung an die Auslegung von Art. 54 SDÜ durch den EuGH unterliegt die Schweiz nicht, berücksichtigt diese aber.

Peters | 63

Kap. 4 Rz. 4.8 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

4.8

Es ist innerhalb aller rechtsstaatlichen Ordnungen ein anerkannter Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf.1 In der Bundesrepublik ist dieser Grundsatz in Art. 103 Abs. 3 GG verankert: (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

4.9

Als Folge der materiellen Rechtskraft entsteht ein absolutes Verfahrenshindernis im Hinblick auf ein mögliches Folgeverfahren wegen derselben Tat. Art. 103 Abs. 3 GG gilt jedoch – wie in anderen Ländern auch – 2 nur für innerstaatliche Urteile.3

4.10

Auf internationaler Ebene, d.h. mit grenzüberschreitender Wirkung für Strafurteile, existiert ein solcher Grundsatz jedoch nicht.4 Das völkerrechtliche Doppelbestrafungsverbot hindert nur die mehrfache Aburteilung derselben Tat im Inland. Es existiert keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die es gebietet, die Strafverfolgung gegen eine Person wegen eines Lebenssachverhalts zu unterlassen, dessentwegen sie bereits in einem dritten Staat verfolgt und rechtskräftig abgeurteilt ist.5 Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 22.11.1984 und Art. 14 Abs. 7 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1969 (IPBPR)6 fordern gleichsam nur ein innerstaatliches „ne bis in idem“. Auch das unionsrechtliche, als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannte Ne-bis-in-idem-Prinzip statuiert grundsätzlich nur ein rechtsordnungsinternes Doppelbestrafungsverbot auf Unionsebene. Nach § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB wäre allenfalls eine bereits ausgeurteilte ausländische Strafe anzurechnen oder nach § 153c StPO zu verfahren. Ein in Weißrussland abgeurteilter Täter ist de lege lata nicht davor geschützt, wegen derselben Tat neuerlich in Deutschland verfolgt zu werden.7

4.11

Gegenläufige Bemühungen des Europarates liefen bisher weitestgehend ins Leere. Das Europäische Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28.5.1970, welches in Art. 54 den Ne-bis-in-idem-Grundsatz beinhaltet, haben bisher nur 21 der 47 Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert. Auch das entsprechende EG-ne-bis-in-idem-Überein1 Exemplarisch sei auf das 7. Zusatzprotokoll zur EMRK verwiesen; zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 561 ff.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 36 ff. 2 Mit Ausnahme der Niederlande, vgl. auch Radtke/Busch, EuGRZ 2000, 423. 3 Ambos in MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 StGB Rz. 65; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 163 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 2; Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 20. 4 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (18) = NJW 1987, 2155; BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (340); Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 112 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 92; Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 2 Rz. 93; Safferling, Internationales Strafrecht, 514 spricht von rechtsordnungsinterner Bedeutung; kritisch bereits Schomburg, StV 1999, 244 (249); Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191); vgl. auch unter Rz. 2.62, 2.63. 5 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (18) = NJW 1987, 2155; BVerfG v. 4.12.2007 – 2 BvR 38/06, BVerfGK 13, 7 (13); BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (340); Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 112 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 92; Safferling, Internationales Strafrecht, 515. Zur Vermeidung der möglichen Kompetenzkonflikte konkurrierender Strafverfolgung vgl. RB 2009/948/JI v. 30.11.2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten im Strafverfahren, ABl. EU 2009 Nr. L 328, 42, wobei das Verfahren jedoch weder justitiabel noch obligatorisch ist, Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 12 Rz. 4. 6 BGBl. II 1973, 1533; BGBl. II 1976, 1068; BGBl. II 1979, 1218; BGBl. II 1991, 1111. 7 Zum Ganzen vgl. auch Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 18.

64 | Peters

A. Europäischer Grundrechtsschutz | Rz. 4.13 Kap. 4

kommen (EG-ne-bis-in-idem-Übk) ist bislang nicht von allen Staaten ratifiziert. Allein Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, die Niederlande, Österreich und Portugal wenden dieses Übereinkommen vorzeitig an.

II. Historische Entwicklung Für das Verständnis der Geltung der Europäischen Grundrechte im internationalen Steuerstrafverfahren ist besonderes Augenmerk auf die historische Entwicklung des Tatbestands der Steuerhinterziehung zu legen.

4.12

Die Schaffung des EG-Binnenmarktes zog einige Änderungen der Regelungen über die Anwendbarkeit des Steuerhinterziehungstatbestandes auf ausländische Steuern nach sich. Das USt-BinnenmarktG1 fügte § 370 Abs. 6 Satz 1 AO drei neue Sätze an, in denen die Geltung der Tatbestandes auf Hinterziehungen von Umsatzsteuern, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften verwaltet werden, angeordnet wurde, falls die Gegenseitigkeit zur Zeit der Tat verbürgt und dies in einer vom BMF mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassenden Rechtsverordnung festgestellt war. Der ehemalige § 370 Abs. 6 Satz 2 AO wurde zu Absatz 7. Das VerbrSt-BinnenmarktG2 dehnte die Regelung auf harmonisierte Verbrauchsteuern aus. Da das USt-Binnenmarktgesetz § 370 Abs. 6 Satz 2 AO a.F. unverändert zu Absatz 7 gemacht hatte, also nur die Geltung der Absätze 1 – 5 anordnete, bezog sich die Regelung ihrem Wortlaut nach nicht auf Hinterziehungen ausländischer Eingangsabgaben und Steuern nach Absatz 6. Dieses gesetzgeberische Versehen3 beseitigte das EGFinSchG4. Durch die Ersetzung des Wortes „Eingangsabgaben“ durch die Wörter „Einfuhr- und Ausfuhrabgaben“ in § 370 Abs. 6 Satz 1 AO passte das Steueränderungsgesetz 20015 die Regelung an die in § 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG und Art. 4 Nr. 10, 11 ZK verwendete Terminologie an. Art. 9 Nr. 11 JStG 20106 hob die Sätze 3 und 4 des § 370 Abs. 6 AO auf und beseitigte durch diese Streichung des Erfordernisses einer Verbürgung der Gegenseitigkeit, die in einer vom BMF zu erlassenden RechtsVO hätte festgestellt werden müssen, das Leerlaufen der Vorschrift. Die erforderliche Anpassung des Absatzes 6 an die geänderte europäische Rechtslage nahm Art. 12 BeitrRLUmsG7 vor, indem „Europäische Gemeinschaft“ durch „Europäische Union“ ersetzt wurde und Satz 2 nun auf Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG verweist. Art. 3 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen v. 21.12.20078 änderte § 370 Abs. 3 AO, der unter Verwendung der Regelbeispieltechnik einen erhöhten Strafrahmen für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung androht. In § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO strich das Gesetz das – schwer eingrenzbare – Merkmal „aus grobem Eigennutz“. Zudem fügte der Gesetzgeber ein weiteres Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung als Nr. 5 in § 370 Abs. 3 Satz 2 AO ein. Es droht den erhöhten Strafrahmen für bandenmäßig begangene Umsatz- und Verbrauchsteuerhinterziehungen an. Die Regelung ersetzt den zugleich aufgeho-

1 2 3 4 5 6 7 8

V. 25.8.1992 (BGBl. I 1992, 1548). V. 21.12.1992 (BGBl. I 1992, 2150). Joecks in J/J/R8, Rz. 48. V. 22.9.1998 (BGBl. II 1998, 2322). V. 20.12.2001 (BGBl. I 2001, 3794). V. 8.12.2010 (BGBl. I 2010, 1768). V. 7.12.2011 (BGBl. I 2011, 2592). BGBl. I 2007, 3198 (3209).

Peters | 65

4.13

Kap. 4 Rz. 4.13 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

benen § 370a AO. Der Gesetzgeber beugte sich damit der heftigen Kritik, die in Rspr.1 und Literatur2 wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG an diesem 2001 durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz3 geschaffenen Verbrechenstatbestand geäußert worden und trotz der schon sieben Monate nach der Einführung erfolgten Korrektur des § 370a AO durch das 5. Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes4 nicht verstummt war.

4.14

Der Steuerhinterziehungstatbestand schützte ursprünglich nur inländische Steuern. § 370 Abs. 1, 3 und 4 AO benutzt allerdings – wie seine Vorgängervorschriften auch – den Begriff Steuer, ohne ihn auf inländische Steuern zu beschränken, sodass bei isolierter Betrachtung des Tatbestandes auch die Hinterziehung ausländischer Abgaben unter den Wortlaut subsumiert werden könnte. § 1 beschreibt aber den Anwendungsbereich der AO, und damit auch der Steuerhinterziehung. Sie gilt danach für die Hinterziehung von Steuern – zu denen gem. § 3 Abs. 3 AO auch Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 4 Nr. 10, 11 ZK (bzw. Art. 5 Nr. 15, 16 UZK)5 gehören – einschließlich der Vergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden, sowie der von den Gemeinden verwalteten Realsteuern (§ 1 Abs. 2, § 3 Abs. 2) und steuerlichen Nebenleistungen (§ 1 Abs. 3, § 3 Abs. 4). Auf ausländische Steuern findet der Tatbestand somit grundsätzlich keine Anwendung.6 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Steuerhinterziehungstatbestandes erfolgt auch nicht durch die §§ 3 ff. StGB, die in bestimmten Fällen die Geltung des deutschen Strafrechts für Auslandstaten anordnen, und zwar nicht einmal dann, wenn ein Deutscher Abgaben eines ausländischen Staates hinterzieht. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB unterliegen deutsche Staatsbürger zwar der deutschen Strafgewalt, wenn die Auslandstat am Tatort mit Strafe bedroht ist, was bei einer Steuerhinterziehung i.d.R. der Fall sein wird. Angewendet wird auf die Auslandstat aber das deutsche Strafrecht, nicht etwa das des Tatorts, bei einer Steuerhinterziehung also § 370 AO. Wie soeben dargelegt, stellt dieser Tatbestand jedoch – die Ausdehnung des Anwendungsbereichs in den Absätzen 6 und 7 außer Betracht gelassen – eben nur die Hinterziehung der bundesrechtlich oder durch Recht der Europäischen Union geregelten Steuern, die von Bundes- oder Landesfinanzbehörden bzw. den Gemeinden verwaltet werden, unter Strafe. Daher darf ein Deutscher, der in Frankreich die von ihm dort zu zahlende Einkommensteuer hinterzieht, von den deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht strafrechtlich verfolgt werden. Zwar liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB (deutsche Staatsangehörigkeit; Strafbarkeit am Tatort) an sich vor, da die Vorschrift aber lediglich die Anwendung des deutschen Strafrechts ermöglicht, § 370 Abs. 1 AO jedoch in einem solchen Fall nicht eingreift, bleibt der Täter in

1 BGH v. 20.4.2004 – 5 StR 11/04, NJW 2004, 1885 (1886); BGH v. 22.7.2004 – 5 StR 85/04, NJW 2004, 2990 (2991); BGH v. 28.10.2004 – 5 StR 276/04, NJW 2005, 374 (375 f.); BGH v. 11.1.2005 – 5 StR 510/04, wistra 2005, 147 (148); BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 271/04, wistra 2005, 145 (147); BGH v. 6.9.2006 – 5 StR 156/06, wistra 2007, 18. 2 Z.B. Gaede, HRRS 2004, 318 (319 f.); Gast-de Haan, DStR 2003, 12 ff.; Harms in FS Kohlmann, 2003, 413 (419 ff.); Klein, StV 2005, 459 (460 ff.); Langrock, wistra 2004, 241 ff.; Park, wistra 2003, 328 (329 ff.); Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983 (2984 ff.). 3 V. 19.12.2001 (BGBl. I 2001, 3922). 4 V. 23.7.2002 (BGBl. I 2002, 2715). 5 Verordnung (EU) Nr. 952/2013 v. 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1. 6 BayObLG v. 20.12.1979 – RReg. 5 St 237/79, NJW 1980, 1057; OLG Hamburg v. 18.2.1964 – 2 Ss 1/64, JR 1964, 350 (352), m. Anm. Schröder, JZ 1964, 353.

66 | Peters

A. Europäischer Grundrechtsschutz | Rz. 4.16 Kap. 4

Deutschland – wie in allen Fällen, in denen das deutsche Strafrecht ausschließlich inländische Rechtsgüter schützt – straflos.1 Die Erstreckung des nationalen Steuerstrafrechts auf ausländische Abgaben ist in der Geschichte nicht ganz ohne Vorbild. In der früheren Gesetzgebung fanden sich ähnliche Vorschriften, so z.B. in Art. 1 des Preußischen Gesetzes über die Bestrafung der Zollvergehen gegen fremde Staaten, in welchen durch Handelsverträge die Gegenseitigkeit verbürgt ist,2 im Reichsgesetz betr. Zuwiderhandlungen gegen die Österreichisch-Ungarischen Zollgesetze3 und im Reichsgesetz über die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die Zollvorschriften und die Ein-, Aus- und Durchfuhrbestimmungen benachbarter Zollgebiete.4

4.15

Die Regelungen in § 392 Abs. 5 RAO 1967/68, § 370 Abs. 6, 7 AO vollziehen die Stadien des Europäischen Einigungsprozesses nach. Die Einführung des § 392 Abs. 5 RAO durch das 2. AOÄndG verstanden die Entwurfsverfasser als Anstoß zur Rechtsvereinheitlichung der EWG.5 Die Vorschrift wies noch recht strenge Voraussetzungen auf, denn sie erfasste nur die Eingangsabgabenhinterziehung unter Verwendung unrichtiger Belege und forderte ausdrücklich die Sicherung des Doppelbestrafungsverbots. Die späteren Erweiterungen und Änderungen setzten überwiegend Verpflichtungen aus Europäischen Rechtsakten oder Abkommen mit anderen Staaten um. § 353 Abs. 6 EAO verzichtete auf das einschränkende Merkmal der Verwendung unrichtiger Belege. Zudem wurde nicht mehr gefordert, dass die Eingangsabgaben einem anderen Mitgliedstaat zustehen, weil der Rat der Europäischen Gemeinschaften vom 21.4.1970 beschlossen hatte, die Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften zu ersetzen; der Entwurf stellte deshalb darauf ab, dass die Eingangsabgaben von einem anderen EWG-Staat verwaltet wurden.6 Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Eingangsabgaben von EFTA- und assoziierten Staaten, die in § 370 Abs. 6 EAO 1977 vorgesehen war, dann aber bereits durch das EGStGB eingeführt wurde, beruhte auf den mit diesen Staaten zwischenzeitlich abgeschlossenen Abkommen. Durch die Neufassung des § 370 Abs. 6, 7 AO kam Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag nach. Die Mitgliedstaaten sind schon durch Art. 4 Abs. 3 Satz 2 EUV angehalten, „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder aus Handlungen der Organe der Union ergeben“, zu ergreifen. Der EuGH hat diese Pflicht dahingehend konkretisiert, dass jeder Mitgliedstaat Verstöße gegen das Unionsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regelungen ahnden müsse, die bei gleichartigen Verstößen gegen das nationale Recht angewendet werden.7 Art. 325 AEUV – vormals Art 280 EGV, davor Art. 209a EGV – bestimmt dies ausdrücklich zur Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten. Gemeint ist damit sowohl die Einnahmeseite als auch die Ausgabenseite. Der deutsche Gesetzgeber hatte

4.16

1 BGH v. 26.7.1967 – 4 StR 38/67, BGHSt 21, 277 (280); BGH v. 17.12.1968 – 1 StR 161/68, BGHSt 22, 282 (285); BGH v. 31.7.1979 – 1 StR 21/79, BGHSt 29, 85 (88); BGH v. 2.3.1994 – 2 StR 604/ 93, BGHSt 40, 79 (81) = JR 1996, 34 m. Anm. Rengier; BayObLG v. 20.12.1979 – RReg. 5 St 237/ 79, NJW 1980, 1057; OLG Hamburg v. 18.2.1964 – 2 Ss 1/64, JR 1964, 350 (352); OLG Hamburg v. 19.9.1985 – 1 Ss 128/85, NJW 1986, 336; OLG Karlsruhe v. 9.5.1985 – 4 Ss 63/85, NJW 1985, 2905. 2 V. 22.8.1853 (PrGS 1853, 926). 3 V. 17.7.1881 (RGBl. 1881, 247). 4 V. 15.8.1943 (RGBl. I 1943, 539). 5 BT-Drucks. V/1812, 23. 6 BT-Drucks. VI/1982, 195. 7 EuGH v. 21.9.1989 – C-68/88, ECLI:EU:C:1989:339 – Kommission/Griechenland.

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Kap. 4 Rz. 4.16 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

diese Grundsätze schon vor dem Maastrichter Vertrag weitgehend umgesetzt und durch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der AO und damit auch des Steuerhinterziehungstatbestandes auf Steuern, Zölle und Abschöpfungen – heute Einfuhr- und Ausfuhrabgaben –, die durch das Recht der Europäischen Union geregelt sind, erreicht, dass deren Einnahmen in gleicher Weise strafrechtlich geschützt werden wie das nationale Steueraufkommen (vgl. § 3 Abs. 3 AO i.V.m. Art. 4 Nr. 10, 11 ZK, Art. 5 Nr. 15, 16 UZK). Wie dargelegt, bedarf der Schutz der EU-Einnahmen ausdrücklicher Regelungen zur Einbeziehung in den Schutzbereich der entsprechenden nationalen Normen, da Steuerdelikte grundsätzlich auf den Schutz des nationalen Steuer- und Zollaufkommens beschränkt sind.1 Durch die versehentlich versäumte Änderung des § 370 Abs. 7 AO im USt-BinnenmarktG bestand nach zutreffender Auffassung2 allerdings vom Inkrafttreten der Neuregelung am 1.1.1993 bis zur Beseitigung dieses Versehens durch das EGFinSchG vom 22.9.1998 eine Strafbarkeitslücke für reine Auslandstaten, d.h. solche, die nicht schon nach §§ 4 ff. StGB der deutschen Strafgewalt unterliegen.3 Durch die Streichung des zuvor in § 370 Abs. 6 Sätze 3, 4 AO enthaltenen Gegenseitigkeitserfordernisses ist der deutsche Steuerhinterziehungstatbestand nunmehr uneingeschränkt auf die in § 370 Abs. 6 Satz 2 AO genannten Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden, anwendbar.

4.17

Fraglich ist jedoch, ob dies nur für Taten gilt, die nach Inkrafttreten des JStG 2010 am 14.12.2010 begangen wurden oder die Streichung des Erfordernisses der Verbürgung der Gegenseitigkeit die Verfolgung von „Altfällen“ ermöglicht. Träfe die h.M., die das Gegenseitigkeitserfordernis als objektive Bedingung der Strafbarkeit betrachtet,4 zu, so würde § 2 Abs. 3 StGB gelten mit der Folge, dass das mildeste Gesetz anzuwenden wäre, also die alte Fassung des § 370 Abs. 6 Sätze 2 – 4 AO, nach der die dort genannten Taten mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit straflos waren. Dieser Sicht steht aber bereits der Wortlaut der früheren Regelung („[...] werden nur verfolgt, [...]“) entgegen, der dafür spricht, dass es sich bei dem Gegenseitigkeitserfordernis nicht um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, sondern um eine Verfolgungsvoraussetzung, somit eine – prozessuale – Verfahrensregelung handelt. Für diesen Befund streiten zudem historische und teleologische Argumente.5 Da das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG grundsätzlich nicht für das Verfahrensrecht gilt,6 führt der Wegfall des Gegenseitigkeitserfordernisses dazu, dass vor dem 14.12.2010 begangene Taten nunmehr verfolgt werden können.7 Die Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25.2.1992, auf deren Art. 3 Abs. 1 § 370 Abs. 6 Satz 2 AO bis zum Inkrafttreten des Beitrei-

1 Vgl. Dannecker in Eser/Huber, Strafrechtsentwicklung in Europa, 1965, 2018; Johannes, ZStW 83 (1971), 531 (549); Möhrenschlager in Dannecker, Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 162 (163); Wolffgang/Ulrich, EuR 1998, 616 (638). 2 BayObLG v. 28.11.2000 – 4 St RR 117/2000, NStZ 2001, 320 (321); LG Kiel v. 10.6.1997 – IX KLs 1/97, NStZ 1998, 200 (201 f.); Bender, wistra 2001, 161 (164 f.); Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (6). A.A. BGH v. 21.2.2001 – 5 StR 368/00, wistra 2001, 263 (264); OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 1 Ws 316/95, wistra 1996, 193 (196). 3 Zur Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts gem. § 4 StGB auf eine Beihilfe, die auf einem unter deutscher Flagge fahrenden Schiff zur ausländischen EU-Steuerhinterziehung geleistet wurde, s. OLG Schleswig v. 17.9.1997 – 3 Ws 284/97, wistra 1998, 30, m. Anm. Döllel, wistra 1998, 70. 4 Keßebömer/Schmitz, wistra 1995, 1 (4); Ransiek in Kohlmann, § 370 Rz. 557. 5 Eingehend dazu Tully/Merz, wistra 2011, 121 (122 ff.). 6 BVerfG v. 26.2.1969 – 2 BvL 15, 23/68, BVerfGE 25, 269 ff.; BVerfG v. 29.11.1989 – 2 BvR 1491/ 87; 2 BvR 1492/87, BVerfGE 81, 132 ff.; BVerfG v. 18.9.2008 – 2 BvR 1817/08, NJW 2008, 3769. 7 Tully/Merz, wistra 2011, 121 (124 f.).

68 | Peters

B. Mehrfache Strafverfolgung/Art. 54 SDÜ/Art. 50 GRCh | Rz. 4.20 Kap. 4

bungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes am 1.1.2012 verwies, durch die Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.20081 mit Wirkung zum 1.4.2010, berührt die Strafbarkeit der bis zum 31.12.2011 begangenen Taten i.Ü. nicht, da es sich nicht um die „Ausfüllungsnorm“ eines Strafblanketts, sondern eine bloße Konkretisierung der ausländischen Verbrauchsteuern handelt, auf die der deutsche Steuerhinterziehungstatbestand anwendbar ist.2

B. Mehrfache Strafverfolgung/Art. 54 SDÜ/Art. 50 GRCh I. Überblick Ein Hindernis für die Strafverfolgung tritt ab endgültiger Verfahrenseinstellung nach Art. 54 SDÜ bzw. Art. 50 GRCh in den Mitgliedstaaten der EU, Island, Norwegen und der Schweiz ein, wenn das Verfahren durch ein Gericht oder eine „zur Mitwirkung bei der Strafrechtspflege“ berufene Behörde3 eingestellt worden ist und es sich um eine Entscheidung mit Sanktionscharakter handelt, bei der „das dem Beschuldigten vorgeworfene unerlaubte Verhalten“ durch zu erfüllende Auflagen geahndet und die Strafklage nach nationalem Recht mit der Folge „endgültig verbraucht“ wird, dass erneute Ermittlungen nur vor dem Hintergrund neuer Belastungstatsachen oder bei außerordentlichen Rechtsbehelfen zulässig sind.4

4.18

II. Art. 54 SDÜ Im Jahre 1995 wurde das Schengener Durchführungsabkommen5 verabschiedet und die Regelung des Art. 54 SDÜ trat in Kraft:6

4.19

Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, daß im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.

Irland und Großbritannien wenden die Bestimmung gem. Art. 1 der Ratsbeschlüsse v. 29.5.20007 und 28.2.20028 an. Norwegen, Island und die Schweiz wenden das SDÜ als assoziierte Staaten an. Die Anwendbarkeit von Art. 54 SDÜ im Hinblick auf die Schweiz ergibt sich nach Inkrafttreten des im Rahmen der „Bilateralen II“ geschlossenen Assoziierungsabkommens zwischen der Schweiz, der EG und der EU vom 26.10.2004, in Kraft getreten am 12.12.2008. Zum 1.5.2004 traten zehn weitere Staaten der EU bei, die den Schengen-Besitzstand vollständig zu übernehmen hatten. Der Geltungsbereich des SDÜ erstreckt sich demnach auf 30 Staaten. 1 ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 2 Ransiek in Kohlmann, § 370 Rz. 556; Tully/Merz, wistra 2011, 121 (125 f.). 3 Dies gilt nach Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 95 auch hinsichtlich der Finanzämter für Fahndung und Strafsachen im Steuerstrafverfahren, soweit diese nach § 399 i.V.m. § 385 Abs. 1, § 386 Abs. 2 AO die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrnehmen (unter Verweis auf EuGH v. 5.4.2017 – C-217/15 u. C-350/15, ECLI:EU:C:2017:264 – Orsi und Baldetti, UR 2017, 421). 4 Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 95 m.w.N. 5 BGBl. II 1993, 1010. 6 Zur Historie vgl. Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 12, 13. 7 ABl. EG 2000 Nr. L 131, 43. 8 ABl. EG 2002 Nr. L 64, 20.

Peters | 69

4.20

Kap. 4 Rz. 4.21 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

III. Art. 50 GRCh 4.21

Der Grundsatz des „ne bis in idem“ ist auch allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts und in Art. 50 der am 7.12.2000 in Nizza verkündeten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) niedergelegt.1 Der dahinterstehende Sinn ist, dem europäischen Freizügigkeitsgrundrecht zu größtmöglicher Wirkung zu verhelfen, da niemand in seiner Freizügigkeit gehindert sein darf, wenn er befürchten müsste innerhalb der EU wegen einer bereits abgeurteilten Tat erneut verfolgt zu werden.2 Die mit dem Vertrag von Lissabon rechtsverbindlich3 in Kraft getretene Grundrechtscharta der EU (Art. 6 Abs. 1 EUV) beschreibt den Ne-bisin-idem-Grundsatz in Art. 50 GRCh wie folgt: Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.

4.22

Im Gegensatz zu Art. 54 SDÜ fehlt das Vollstreckungselement.

IV. Das Verhältnis von Art. 54 SDÜ zu Art. 50 GRCh 4.23

Das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 54 SDÜ sollte durch Art. 50 GRCh weder verdrängt noch modifiziert werden; Art. 54 SDÜ besitzt nach wie vor Gültigkeit und ist als zulässige Einschränkung des Art. 50 Abs. 1 GRCh zu werten.4 Voraussetzung des Eingreifens des Doppelbestrafungsverbots ist daher, dass die Sanktion aus dem ersten Urteil bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.5 Die Gegenansicht, die bereits eine mehrfache Strafverfolgung für unzulässig hält, ist de lege lata abzulehnen.6 Angesichts des Fehlens eines hinreichenden Systems zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten und mangels eindeutiger Zuweisungsregeln für transnationale Strafverfahren7 muss eine Strafverfolgung mindestens solange möglich sein, bis gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Alsdann kommt ggf. eine (vorläufige) Einstellung des Verfahrens in Betracht.

1 EuGH v. 15.3.1967 – C-18/65, ECLI:EU:C:1967:6 – Gutmann; EuGH v. 13.12.1984 – C-78/83, ECLI:EU:C:1984:393 – Usinor; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 63. 2 Schomburg, NJW 2000, 1833. 3 Jedoch ohne Bindungswirkung für Polen, Tschechien und das Vereinigte Königreich. 4 Zum Verhältnis von Art. 54 SDÜ zu Art. 50 GRCh vgl. BGH v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10, NStZRR 2011, 7 ff.; LG Aachen v. 8.12.2009 – 52 Ks 9/08, StV 2010, 237; Ambos in MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 StGB Rz. 68; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 68; Safferling, Internationales Strafrecht, 516; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 167; Burchard/Brodkowski, StraFo 2010, 179; für eine Verdrängung von Art. 54 SDÜ durch Art. 50 GRCh Reichling, StV 2010, 237; Zöller in FS Krey, 2010, 518; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 563; Heger in FS Kühne, 565, 568 f.; Böse in FS Kühne, 519 (524, 525). 5 BGH v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10, NStZ-RR 2011, 7 ff.; LG Aachen v. 8.12.2009 – 52 Ks 9/08, StV 2010, 237; Ambos in MK-StGB2 Vor §§ 3 – 7 StGB Rz. 68; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 68; Safferling, Internationales Strafrecht, 516; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 167 ff.; Burchard/Brodkowski, StraFo 2010, 179; a.A. unter Berufung auf den Wortlaut Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191); Böse, GA 2011, 504. 6 Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191); Böse, GA 2011, 504. 7 Dies bemängeln auch Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1192 ff.), die als Konsequenz zur Vermeidung von Grundrechtsverletzungen de lege ferenda ein einheitliches Rechtssystem zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten fordern.

70 | Peters

C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.27 Kap. 4

C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung I. Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH Seit Abschluss des Vertrags von Lissabon entscheidet der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV i.V.m. Art. 267 Unterabs. 1 Buchst. b AEUV über die Auslegung von Art. 54 SDÜ.1 Das im Jahr 2008 eingeführte Eilverfahren im Rahmen der Vorabentscheidungskompetenz hilft über die mit der Anrufung des EuGH einhergehenden Verfahrensverzögerungen hinweg. Der für die praktische Rechtsanwendung bedeutsame Art. 54 SDÜ beinhaltet drei Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen:

4.24

– eine rechtskräftige Aburteilung – wegen derselben Tat, – Vollstreckungselement.

II. Rechtskräftige Aburteilung Keine größeren Probleme wirft die Frage nach der Aburteilung auf, wenn der Beschuldigte rechtskräftig im Wege der Hauptverhandlung freigesprochen2 oder zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt wurde.3 Es macht auch keinen Unterschied, ob das Gericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung4 aussetzte oder die Entscheidung im Strafbefehlsweg5 erging. Gleichsam genügt die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) den Anforderungen des Art. 54 SDÜ. Es kommt allein auf die Verfahrensbeendigung an.

4.25

Zwischenzeitlich hat der EuGH eine Relativierung des Grundsatzes der Freiheit vor Doppelbestrafung vorgenommen. Anders als im deutschen Verfassungsrecht handelt es sich nicht um eine unabwendbare Schrankenschranke sondern ausschließlich um ein unabwendbares Prozessgrundrecht. Art. 50 GRCh ist gleichsam im Lichte von Art. 52 GRCh zu betrachten. Danach kann eine Einschränkung des Grundsatzes und damit eine doppelte Verhängung einer als Strafe anzusehenden Sanktion nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRCh gerechtfertigt sein.6

4.26

Die Bekämpfung der Hinterziehung der Mehrwertsteuer sieht der EuGH dabei stets als eine solche, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung an. Der EuGH hält eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen für gerechtfertigt, wenn zur Erreichung eines solchen Ziels mit diesen Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen komplementäre Zwecke ver-

4.27

1 Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1192), die zu Recht eine Zulassungsbeschwerde für den Beschuldigten und die Staatsanwaltschaft fordern. 2 Auch solche aus Mangel an Beweisen, EuGH v. 28.9.2006 – C-150/05, ECLI:EU:C:2006:614 – van Straaten, EuGHE 2006, I-9327. 3 BGH v. 28.2.2001 – 2 StR 458/00, NStZ 2001, 557; BGH v. 28.1.2006 – 1 StR 534/06, NStZ-RR 2007, 179; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 43; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 172 f.; Nehm in FS Steiniger, 2003, 372; Radtke/Busch, NStZ 2003, 287; Böse, GA 2003, 745; Dannecker in FS Kohlmann, 2003, 607; zum Ganzen auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/ Schmitt5, Kap. 24 Rz. 95. 4 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 43; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 172 f.; Nehm in FS Steiniger, 2003, 372. 5 Hierzu Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 58. 6 EuGH v. 20.3.2018 – C-524/15, ECLI:EU:C:2018:197 – Menci, UR 2018, 489; EuGH v. 27.5.2014 – C-129/14, ECLI:EU:C:2014:586 – Spasic.

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Kap. 4 Rz. 4.27 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

folgt werden, die gegebenenfalls verschiedene Aspekte desselben rechtswidrigen Verhaltens betreffen.1

4.28

Umstritten war lange, ob auch Einstellungen, etwa nach § 153a StPO oder „Vergleiche“, wie die niederländische und belgische Transactie unter den Begriff der Aburteilung zu fassen sind. Bereits mit Urteil vom 11.2.20032 hat der EuGH entschieden, dass das in Art. 54 SDÜ aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung auch für Verfahren gilt, in denen die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaates ohne Mitwirkung eines Gerichts ein in diesem Mitgliedstaat eingeleitetes Strafverfahren einstellt, nachdem der Beschuldigte bestimmte Auflagen erfüllt und insbesondere einen bestimmten, von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrag entrichtet hat.3

1. Österreichisches Straferkenntnis 4.29

Keinen Strafklageverbrauch soll ein österreichisches Straferkenntnis entfalten.4 Es handelt sich dabei nach Ansicht des BayObLG unter Berufung auf die bei der österreichischen Justiz eingeholte Stellungnahme nicht um ein Gerichtsurteil oder eine von einem ordentlichen Gericht erlassene Strafverfügung oder eine verfahrensabschließende Entscheidung anderer Art. Die Ahndung einer österreichischen Verwaltungsübertretung erfolgt von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft. Berufungen gegen Verwaltungsstraferkenntnisse werden vor einem unabhängigen Verwaltungssenat verhandelt, welcher kein Gericht darstellt, sondern eine weisungsfreie Verwaltungsbehörde ist, weswegen die Verwaltungsverfügung nicht einem rechtskräftigen Gerichtsurteil i.S.d. Art. 54 SDÜ gleichgestellt werden kann.5

4.30

Zunächst ist zu bemerken, dass es für die Frage, ob einem österreichischen Straferkenntnis die Wirkung des Art. 54 SDÜ zukommt, auf die Sichtweise des EuGH vor dem Hintergrund der europäischen Grundfreiheiten ankommt und nicht die Sichtweise der österreichischen Justiz maßgeblich sein kann. Betrachtet man den Aufbau und den Inhalt des österreichischen Verwaltungsstrafgesetzes (VStG)6 genauer, ist vor dem Hintergrund der jüngeren EuGHRechtsprechung fraglich, warum die Wirkung des Art. 54 SDÜ einem Straferkenntnis versagt bleiben sollte. Nach Darlegung der allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit wie Zurechnungsfähigkeit (§ 3 VStG), Schuld (§ 5 VStG), Anstiftung und Beihilfe (§ 7 VStG), Verhängung einer Freiheitsstrafe (§ 11 VStG)7 oder Strafbemessung (§ 19 VStG), folgt ein verfahrensrechtlicher Teil (§§ 23 – 52b VStG), dem sich ein Strafvollstreckungsteil anschließt. Für einen Strafklageverbrauch spricht in diesem Zusammenhang insbesondere die Regelung des § 10 Abs. 2 VStG:

1 EuGH v. 20.3.2018 – C-524/15, ECLI:EU:C:2018:197 – Menci, UR 2018, 489. 2 EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge; vgl. auch EuGH v. 29.6.2016 – C-486/14, ECLI:EU:C:2016:483 – Kossowski, StraFo 2016, 282. 3 Hierzu Anagnostopoulos in FS Hassemer, 2010, 1123; Eser in FS Meyer, 2006, 514; kritisch Nehm in FS Steininger, 2003, 381; Schomburg in FS Eser, 2005, 835; Vogel in FS Schroder, 2006, 889; für zu weitgehend hält Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 176 f., die Annahme eines generellen Strafklageverbrauchs bei einer Einstellung nach § 153a StPO, bejaht jedoch einen beschränkten Strafklageverbrauch im Ergebnis was Vergehenstatbestände betrifft. 4 BayObLG v. 26.5.2000 – 1 StR 67/00, StV 2001, 263. 5 BayObLG v. 26.5.2000 – 1 StR 67/00, StV 2001, 263. 6 Abrufbar unter http://www.jusline.at/Verwaltungsstrafgesetz_(28VStG)29.html oder österreichisches BGBl. Nr. 52/1991 zuletzt geändert öBGBl. I Nr. 111/2010. 7 Eine Freiheitsstrafe darf nur verhängt werden, wenn dies notwendig ist, um den Täter von weiteren Verwaltungsübertretungen gleicher Art abzuhalten.

72 | Peters

C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.34 Kap. 4 (2) Soweit für Verwaltungsübertretungen, insbesondere auch für die Übertretung ortspolizeilicher Vorschriften, keine besondere Strafe festgesetzt ist, werden sie mit Geldstrafe bis zu 218 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen bestraft.

Freiheitsstrafen sollen auch nach Ansicht des EGMR regelmäßig einen strafrechtlichen Charakter begründen.1

4.31

Ebenso sieht das österreichische Finanzstrafgesetz in § 53 FinStrG eine Ahndung sowohl durch das Gericht als auch in genau bestimmten Fällen durch die Finanzstrafbehörden vor. Weiter spricht für einen zumindest beschränkten Strafklageverbrauch, dass auch deutschen Verurteilungen zu Bußgeldzahlungen und rechtskräftigen Bußgeldbescheiden eine derartige Wirkung insoweit zukommen soll, als nicht entsprechend den Voraussetzungen von § 85 OWiG die Verurteilung nach einem Strafgesetz herbeizuführen ist.2 Zur Begründung wird auf den repressiv-punitiven Charakter des Bußgelds abgestellt.3 Daher sollte auch dem österreichischen Straferkenntnis die gleiche Wirkung beigemessen werden, d.h. dass die Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen sein kann, sondern nur noch bei Vorliegen einer Straftat.4

4.32

2. Belgische „Transactie“ Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten in einem vom BGH zu entscheidenden Fall im Jahr 1998 vor, in Hamburg, Antwerpen, Brüssel und andernorts gemeinschaftlich u.a. belgische Eingangsabgaben in Höhe von knapp 3 Mio. Euro verkürzt zu haben.5 Das diesbezüglich von den belgischen Behörden parallel geführte Verfahren endete im Jahr 1991 mit einer „administratieve Transactie“ nach belgischem Recht. Deren Voraussetzung und Wirkung beschreibt das belgische Justizministerium auf die Anfrage des BGH wie folgt:6

4.33

„Der verwaltungsrechtliche Vergleich (administrative transactie) gemäß dem Allgemeinen Gesetz über Zoll und Verbrauchsteuern (Art. 263 und 264) erfolgt auf Vorschlag des Finanzministeriums, Amt für Zoll und Verbrauchssteuern. Der verwaltungsrechtliche Vergleich ist das Ergebnis eines Angebots zur gütlichen Beilegung seitens der Verwaltungsbehörde an die Person, die beschuldigt wird, eine Straftat begangen zu haben. Stimmt die Person dem zu, wird die Strafklage hinfällig. [...] Die Folge aus diesem Vergleich zwischen der Behörde und dem Beschuldigten besteht darin, dass die Strafklage bei Erfüllung der in dem Vergleich niedergelegten Auflagen entfällt. [...] Dies wird gewöhnlich durch den Zusatz ‚non bis in idem‘ gekennzeichnet.“

Der Inhaber der begünstigten Firma verpflichtete sich zur Zahlung der angefallenen Zölle, einer Zollstrafe und der Säumniszuschläge. Die belgische Rechtsordnung nahm dafür die Nie-

1 EGMR v. 8.6.1976 – 5100/71 – Engel u.a. v. Niederlande – Rz. 85 = EuGRZ 1976, 221 (231); EGMR v. 21.2.1984 – 8544/79 – Öztürk v. Deutschland – Rz. 50, 53 f. = EuGRZ 1985, 62 (67 f.) 2 Vgl. auch Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 62, 63. 3 Ablehnend auch Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 30, der eine restriktive Interpretation des Aburteilungsbegriffs vor dem Hintergrund des Art. 31 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) ebenfalls ablehnt. 4 Im Ergebnis lag das BayObLG daher richtig, da das österreichische Straferkenntnis anlässlich einer Trunkenheitsfahrt erging, die nach hiesigem Recht angesichts einer Blutalkoholkonzentration von 1,93 Promille den Tatbestand des § 316 Abs. 2 StGB erfüllt. 5 Vgl. BGH v. 2.2.1999 – 5 StR 596/96, wistra 1999, 193; vgl. hierzu Schomburg, StV 1999, 246; Hecker, JA 2010, 15. 6 BGH v. 2.2.1999 – 5 StR 596/96, wistra 1999, 193.

Peters | 73

4.34

Kap. 4 Rz. 4.34 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

derschlagung des Steuerstrafverfahrens vor. Nach vollständiger Erfüllung der Zahlungspflicht war eine neuerliche Strafverfolgung wegen derselben Sache ausgeschlossen.

4.35

Das Landgericht Hamburg lehnte zunächst die Eröffnung des Hauptverfahrens ab.1 Das OLG Hamburg hob den Nichteröffnungsbeschluss auf und eröffnete das Verfahren vor der großen Strafkammer, da die Transactie kein Urteil sondern lediglich eine Verwaltungsentscheidung sei.2 Das LG Hamburg stellte das Verfahren nunmehr wegen eines Verfahrenshindernisses ein.3 Der BGH hob das Urteil des LG Hamburg auf die Revision der Staatsanwaltschaft auf und verwies die Sache zurück.4 Zwar ließ der BGH die Beantwortung der Rechtsfrage mangels Entscheidungserheblichkeit5 ausdrücklich offen und verweist auch auf die Antwort der belgischen Regierung, was die Frage des Strafklageverbrauchs der Transactie in Belgien selbst betrifft. Nämlich, dass auch nach belgischem Recht ausländischen Transacties keine strafklageverbrauchende Wirkung im Verhältnis zur belgischen Strafbefugnis zuerkannt wird und daher im Sinne des Gedankens der Gegenseitigkeit auch keine weitergehende Anerkennung erwartet werden könne.

4.36

Denn ursprünglich begründeten in Belgien ausländische Strafurteile das Verbot der Doppelverfolgung und -bestrafung nur für Taten, die außerhalb Belgiens begangen worden sind.6 Der BGH nahm aber gleichwohl verklausuliert Bezug auf die fortschreitende Integration der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die sich daraus ergebende Notwendigkeit weitgehender Kooperation auch im rechtlichen Bereich und betonte, dass die Transactie in ihrer Wirkung einer gerichtlichen Maßnahme gleichkommt.7

3. Niederländische „Transactie“/Einstellung nach § 153a StPO 4.37

Mit Urteil vom 11.2.20038 hat der EuGH entschieden, dass das in Art. 54 SDÜ aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung auch für Verfahren gilt, in denen die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaates ohne Mitwirkung eines Gerichts ein in diesem Mitgliedstaat eingeleitetes Strafverfahren einstellt, nachdem der Beschuldigte bestimmte Auflagen erfüllt und insbesondere einen bestimmten, von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrag entrichtet hat.9 Denn zum einen ist nämlich nach Abschluss eines solchen Verfahrens der Beschuldigte als rechtskräftig abgeurteilt i.S.d. Art. 54 SDÜ und die in diesem Verfahren verhängte Sanktion als vollstreckt im Sinne der Vorschrift anzusehen, sobald der Beschuldigte die ihm erteilten Auflagen erfüllt hat. Zum anderen, so der EuGH, sind die Wirkungen eines solchen Verfah1 2 3 4 5 6 7 8 9

LG Hamburg v. 14.9.1995 – 615 KLs 3/93, wistra 1995, 358. OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 1 Ws 316/95, wistra 1996, 193. LG Hamburg v. 24.6.1996 – 615 KLs 3/93 151 Js 170/91, wistra 1996, 359. BGH v. 2.2.1999 – 5 StR 596/96, wistra 1999, 193. Die Transactie verpflichtete unmittelbar nur das Unternehmen und nicht die Angeklagten persönlich. Dannecker in FS Kohlmann, 593 (599); Art. 13 Abs. 1 der Einführungsvorschriften des belgischen Code de Construction Criminell/Wetboek for Strafvordering. Vgl. auch Schomburg, StV 1999, 246 (247). EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge; vgl. auch EuGH v. 29.6.2016 – C-486/14, ECLI:EU:C:2016:483 – Kossowski, StraFo 2016, 282. Hierzu Anagnostopoulos in FS Hassemer, 2010, 1123; Eser in FS Meyer, 2006, 514; kritisch Nehm in FS Steininger, 2003, 381; Schomburg in FS Eser, 2005, 835; Vogel in FS Schroder, 2006, 889; für zu weitgehend hält Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 176 f., die Annahme eines generellen Strafklageverbrauchs bei einer Einstellung nach § 153a StPO, bejaht jedoch einen beschränkten Strafklageverbrauch im Ergebnis was Vergehenstatbestände betrifft.

74 | Peters

C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.40 Kap. 4

rens mangels eines ausdrücklichen gegenteiligen Hinweises in Art. 54 SDÜ als für die Anwendung des darin vorgesehenen Verbots der Doppelbestrafung ausreichend anzusehen, auch wenn in diesem Verfahren kein Gericht tätig wird und die darin getroffene Entscheidung nicht in Form eines Urteils ergeht. Auch für die niederländische Transactie und eine Einstellung nach § 153a StPO ist die Geltung des Art. 54 SDÜ mittlerweile anerkannt. In der verbundenen Rechtssache Gözütok/Brügge hatte1 hatte der Beschuldigte Gözütok die ihm von der niederländischen Staatsanwaltschaft angebotenen Vergleiche (niederländische Transactie) angenommen und erfüllt. Gegen Zahlung einer Geldauflage wurde die gegen ihn eingeleitete Strafverfolgung beendet. Kurz nach Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung in den Niederlanden erhob die Staatsanwaltschaft Aachen wegen derselben Tat Anklage gegen ihn. Ein Strafverfahren gegen den Deutschen Brügge2 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil einer belgischen Staatsangehörigen in Belgien stellte die Staatsanwaltschaft Bonn gegen Zahlung einer Geldauflage von 1.000 DM gem. § 153a Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO ein. Wegen derselben Tat wurde Brügge vor der Rechtsbank van Eerste Aanleg Veurne/Belgien angeklagt.

4.38

Der EuGH folgt in seinem Urteil vollumfänglich den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 19.9.2002 und kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass im Rahmen derartiger Verfahren die Strafverfolgung durch eine Entscheidung einer Behörde beendet wird, die zur Mitwirkung bei der Strafrechtspflege in der betreffenden nationalen Rechtsordnung berufen ist. Der EuGH weist darauf hin, dass das dem Beschuldigten vorgeworfene unerlaubte Verhalten geahndet wird durch ein solches Verfahren, dessen Wirkungen (wie sie das anwendbare nationale Recht vorsieht) von der Verpflichtung des Beschuldigten abhängen, bestimmte, von der Staatsanwaltschaft festgelegte Auflagen zu erfüllen.

4.39

„Angesichts dessen ist festzustellen, dass der Betroffene als hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Tat rechtskräftig abgeurteilt i.S. des Art. 54 des Durchführungsübereinkommens anzusehen ist, sofern die Strafklage aufgrund eines Verfahrens der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art endgültig verbraucht ist.“

Dies gilt indes nicht, wenn ein Beschluss der Staatsanwaltschaft, mit dem das Strafverfahren beendet und das Ermittlungsverfahren gegen eine Person vorbehaltlich der Wiedereröffnung des Strafverfahrens oder der Aufhebung des Beschlusses ohne die Auferlegung von Sanktionen endgültig eingestellt wird, nicht als rechtskräftige Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift eingestuft werden kann. Dies gilt insbesondere, wenn aus der Begründung des Beschlusses hervorgeht, dass dieses Verfahren eingestellt wurde, ohne dass eingehende Ermittlungen durchgeführt worden wären, wobei die unterlassene Vernehmung des Geschädigten und eines möglichen Zeugen ein Indiz für das Fehlen solcher Ermittlungen darstellen.3 Die Anwendung von Art. 54 SDÜ auf eine solche Entscheidung hätte nämlich die Wirkung, dass die konkrete Möglichkeit, das dem Angeschuldigten angelastete rechtswidrige Verhalten in den betroffenen Mitgliedstaaten zu ahnden, erschwert oder gar ausgeschlossen würde.

4. Beschränkter Strafklageverbrauch bei Verbrechen Einschränkend gilt jedoch, dass im Hinblick auf Verbrechen bei einer Einstellung nach § 153a StPO oder einer gleichgelagerten ausländischen Vorschrift insoweit auch nur ein beschränkter 1 EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge. 2 EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge. 3 EuGH v. 29.6.2016 – C-486/14, ECLI:EU:C:2016:483 – Kossowski, StraFo 2016, 282.

Peters | 75

4.40

Kap. 4 Rz. 4.40 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

Strafklageverbrauch in Betracht kommt.1 Ein innerstaatlicher beschränkter Strafklageverbrauch kann auch in transnationaler Hinsicht nur ein beschränktes Doppelverfolgungsverbot zur Folge haben.2 Der EuGH übersieht insoweit die Regelung des § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO und eine andere Sichtweise hätte eine Privilegierung schwerer Straftaten zur Folge.3

5. Selbstanzeige als Aburteilung i.S.d. Art. 54 SDÜ 4.41

Ob auch eine Selbstanzeige nach § 371 AO den Voraussetzungen des Art. 54 SDÜ genügt, ist fraglich.4 Die Selbstanzeige ist nach einhelliger Meinung ein persönlicher Strafaufhebungsgrund, wodurch der bereits entstandene Strafanspruch rückwirkend beseitigt wird. Der Wortlaut des § 371 AO spricht von „wird straffrei“. Nach den Grundsätzen des EuGH in Sachen Gözütok/Brügge5 genügt jedwede endgültige verfahrensbeendende Entscheidung. Dies wäre mit Aufdeckung des Sachverhalts und Entrichtung der Steuer durch den Steuerpflichtigen der Fall. Andererseits hat eine Selbstanzeige, auch wenn sie alle der in § 371 AO normierten Voraussetzungen erfüllt, die Einleitung eines Strafverfahrens zur Folge (§ 386 Abs. 2, § 399 AO), welches förmlich eingestellt wird, wenn der Steuerpflichtige die entsprechende Nachzahlung leistet und kein Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 AO vorliegt. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO gilt indes kein beschränkter transnationaler Strafklageverbrauch.6

4.42

Dass die Auflage allein in der Erfüllung der Steuerpflicht liegt, steht dem nicht entgegen.7 Bei § 153a StPO kommt ebenso eine Einstellung allein gegen die dem Beschuldigten ohnehin obliegende Schadenswiedergutmachung (§ 153a Abs. 1 Nr. 1 StPO) oder Erfüllung der gesetzlich ohnehin bestehenden Unterhaltsverpflichtung (§ 153a Abs. 1 Nr. 4 StPO) in Betracht. Auch der EuGH differenziert insoweit nicht, sofern die Einstellung nur endgültig ist.

4.43

Hingegen führt die Feststellung der Voraussetzung der Selbstanzeige in der Hauptverhandlung zum Freispruch und nicht zur Einstellung des Verfahrens.8

4.44

Auch ein weiterer Gedanke spricht für eine Erstreckung des Art. 54 SDÜ auf die Selbstanzeige: Die Selbstanzeige geht über die Voraussetzungen des § 153a StPO insoweit hinaus, als diese Einstellung endgültig ist und nicht aufschiebend bedingt. Zahlt der Täter bei einer Einstel-

1 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 72, 75, fordert einen nach nationalem Recht endgültigen Verbrauch der Strafklage und will die Anforderungen an die abschließende Wirkung der abschließenden Entscheidung nicht zu gering veranschlagen; für einen beschränkten Strafklageverbrauch auch Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 28, 36; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 176 f., der die fehlende Präzisierung des Merkmals der gerichtlichen Aburteilung durch den EuGH moniert und einen unbeschränkten Strafklageverbrauch für zu weitgehend erachtet; Safferling, Internationales Strafrecht, § 12 Rz. 77 ff.; Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in Idem im europäischen Strafrecht, 2004; Eicker, Transnationale Strafverfolgung, 2004, 119; Böse, GA 2003, 747; Kühne, GA 2005, 195 (212). 2 Kritisch und eindrucksvoll zur Reichweite eines vorschnellen Strafklageverbrauchs auch Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1192). 3 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 176 f.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 36; einschränkende Tendenzen auch bei Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 75; Appl in GS Vogler, 2004, 109 (121). 4 Bender, wistra 2009, 176 (179). 5 EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge. 6 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 127 m.w.N.; Kniebühler, Ne bis in idem, 244. 7 Bender, wistra 2009, 176 (179). 8 Vgl. OLG Frankfurt v. 18.10.1961 – I Ss 854/61, NJW 1962, 974.

76 | Peters

C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.46 Kap. 4

lung nach § 153a StPO nicht die vollständige Geldauflage oder stellt sich die Tat später als Verbrechen dar, kann das Verfahren wieder aufgenommen werden. Daraus ließe sich folgern, dass eine erfolgreiche, wirksame Selbstanzeige, unabhängig davon, ob sie zu einer Verfahrenseinstellung im Vorverfahren oder zu einem Freispruch in der Hauptverhandlung führt, Straflosigkeit für alle im Gebiet der Vertragsstaaten begangenen Straftaten, die mit der aufgrund der Selbstanzeige in Deutschland außer Verfolgung gestellten Zollstraftat als eine Tat im Sinne der EuGH-Rechtsprechung gelten, zur Folge hat.1 Die Nachzahlungspflicht besteht für den Täter nur im Umfang des § 371 Abs. 3 AO, soweit Steuern „zu seinen Gunsten“ hinterzogen sind. Die Höhe ist konkret zu berechnen mit der Folge, dass etwa derjenige nichts zahlen muss, der allein seinen Tatbeitrag aufdeckt, wenn er nur einen Vorteil für die Tat, aber nicht aus der Tat hat, wie etwa der Transportlohn eines Spediteurs für die Beförderung unverzollter Zigaretten. Auch mit Einführung des § 398a AO und dem nicht aufgenommenen Strafklageverbrauch bei gleichzeitiger Anlehnung der Vorschrift an § 153a StPO dürfte der Streit nicht zuungunsten eines (beschränkten) Strafklageverbrauchs entschieden sein.2 Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sich hierüber keine Gedanken gemacht hat (vgl. zur Neuregelung und zu den erhöhten Zuschlägen nach § 398a AO Rz. 12.109 ff.).

6. Art. 54 SDÜ im Ordnungswidrigkeitenverfahren Besondere Bedeutung erlangt vor dem Hintergrund der Renaissance der § 30 OWiG (Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen) und § 130 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) die Frage der Geltung von Art. 54 SDÜ hinsichtlich der Verurteilung oder Verhängung von Bußgeldbescheiden. Solchen kommt in dem aus § 85 OWiG ersichtlichen Umfang die Wirkung des Art. 54 SDÜ zu. Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden oder hat das Gericht über die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat rechtskräftig entschieden, so kann dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden (§ 84 Abs. 1 OWiG). Das rechtskräftige Urteil über die Tat als Ordnungswidrigkeit steht auch der Verfolgung als Straftat entgegen. Dem rechtskräftigen Urteil stehen der Beschluss nach § 72 OWiG und der Beschluss des Beschwerdegerichts über die Tat als Ordnungswidrigkeit gleich (§ 84 Abs. 2 OWiG). Gleiches gilt für einen Freispruch. Eine Wiederaufnahme und damit eine neuerliche Verurteilung sind nur unter den Voraussetzungen des § 85 OWiG möglich. Für die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftige Bußgeldentscheidung abgeschlossenen Verfahrens gelten die §§ 359 – 373a StPO entsprechend. Die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Betroffenen, die auf neue Tatsachen oder Beweismittel gestützt wird (§ 359 Nr. 5 StPO), ist nicht zulässig, wenn gegen den Betroffenen lediglich eine Geldbuße bis zu 250 Euro festgesetzt ist (§ 85 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) oder seit Rechtskraft der Bußgeldentscheidung drei Jahre verstrichen sind (§ 85 Abs. 2 Nr. 2 OWiG)

4.45

Die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Betroffenen ist gem. § 85 Abs. 3 OWiG unter den Voraussetzungen des § 362 StPO allein zu dem Zweck zulässig, die Verurteilung nach einem Strafgesetz herbeizuführen. Zu diesem Zweck ist sie auch zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder i.V.m. den früher erhobenen Beweisen geeignet sind, die Verurteilung des Betroffenen wegen eines Verbrechens zu begründen. Gleichsam ist wegen des repressiv-punitiven Charakters ein rechtskräftiger behörd-

4.46

1 Bender, wistra 2009, 176 (179). 2 BT-Drucks. 17/5067, 20, denn auch wenn § 398a AO selbst keinen beschränkten Strafklageverbrauch normiert, wird jedoch von einer weiteren Verfolgung abgesehen.

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Kap. 4 Rz. 4.46 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

licher Bußgeldbescheid als Aburteilung i.S.d. Art. 54 SDÜ anzusehen.1 Wegen § 84 Abs. 1 OWiG besteht jedoch nur ein beschränkter transnationaler Strafklageverbrauch.

7. Innerstaatliche Kombination von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen 4.47

Art. 50 GRCh/Art 54 SDÜ stehen einer Kombination von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen, etwa bei der Verhängung von Steuerzuschlägen, nicht entgegen.2 Die Mitgliedstaaten sind nicht daran gehindert, zur Ahndung derselben Tat der Nichtbeachtung von Erklärungspflichten, etwa im Bereich der Mehrwertsteuer, steuerliche und strafrechtliche Sanktionen zu kombinieren. Die Mitgliedstaaten können, um die Erhebung der Einnahmen aus der Mehrwertsteuer in ihrer Gesamtheit und damit den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, die anwendbaren Sanktionen frei wählen.3 Eine Kombination von verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen wird als unschädlich erachtet, solange die verwaltungsrechtliche Sanktion keinen strafrechtlichen Charakter i.S.d. Art. 50 GRCh hat.

4.48

Derweil hat der europäische Gerichtshof jedoch eine Einschränkung des Grundsatzes der Freiheit vor Doppelbestrafung insoweit vorgenommen, als dass es sich nicht um eine abwägbare Schranken-Schranke handelt, sondern um ein unabwendbares Prozessgrundrecht. Art. 50 Buchst. GRCh ist daher im Lichte von Art. 52 GRCh zu betrachten, was bedeutet, dass eine Einschränkung des Grundsatzes und damit eine doppelte Verhängung einer Sanktion nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRCh gerechtfertigt sein können.4

4.49

Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRCh dürfen Einschränkungen dieser Rechte und Freiheiten unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Insbesondere die Bekämpfung der Hinterziehung und die vollständige Erhebung der Mehrwertsteuer hat der EuGH als solche, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung angesehen. Eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen kann dann gerechtfertigt sein, wenn zur Erreichung eines solchen Ziels mit diesen Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen komplementäre Zwecke verfolgt werden, die gegebenenfalls verschiedene Aspekte desselben rechtswidrigen Verhaltens betreffen.5 Eine doppelte Bestrafung ist mit dem Verhält1 Vgl. EGMR v. 21.2.1984 – 8544/79 – Öztürk v. Deutschland, EuGRZ 1985, 62; Hecker, StV 2001, 306 (310); Kniebühler, Ne bis in idem, 251; Barrot, ZJS 2010, 701 ff. 2 EGMR v. 15.11.2016 – 24130/11, 29758/11 – A and B v. Norway, Rz. 117 f., 118; EuGH v. 20.3.2018 – C-524/15, ECLI:EU:C:2018:197 – Menci, UR 2018, 489; EuGH v. 20.3.2018 – C-537/ 16, ECLI:EU:C:2018:193 – Garlsson Real Estate, EuGH v. 20.3.2018 – C-596/16, ECLI:EU: C:2018:192 – Di Puma; hierzu die Entscheidungen jeweils im Einzelfall darstellend Wegner, HRRS 2018, 205; EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27; vgl. hierzu Bülte, ZWH 2013, 265; vgl. auch Heger in FS Kühne, 565 (571 f.); Rönnau/ Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93; zur Anwendbarkeit nationaler und europäischer Grundrechtsstandards vgl. auch Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 292 f.; zu den Auswirkungen der EU-Grundrechte auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung vgl. Rz. 11.52 ff.. 3 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27, Rz. 34 f. = ZWH 2013, 232 m.w.N. 4 Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap 2 Rz. 91 ff. 5 EuGH v. 20.3.2018 – C-524/15, ECLI:EU:C:2018:197 – Menci, UR 2018, 489, Rz. 44.

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C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.51 Kap. 4

nismäßigkeitsgrundsatz jedoch nur dann vereinbar, wenn die Sanktionen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der mit der nationalen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist und unter mehreren gleich wirksamen Mitteln zugleich das mildeste Mittel gewählt ist. Bei der Bewertung der Erforderlichkeit ist nach der Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen, ob die Regelung, die eine solche Kumulierung vorsieht, klare und präzise Regelungen aufstellt, die es dem Bürger ermöglichen, vorherzusehen, bei welchen Handlungen und Unterlassungen eine solche Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktion infrage kommt.1 Die Beurteilung der strafrechtlichen Natur von Steuerzuschlägen richtet sich nach folgenden Kriterien, die auch für die Frage nach der strafrechtlichen Qualifikation an sich herangezogen werden und auf die so genannte „Engel Rechtsprechung“ des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückgehen: die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, die Art der Zuwiderhandlung und die Art und der Schweregrad der angedrohten Sanktion.2 Der Mitgliedstaat muss insofern nachweisen, dass die Verfahren sich zulässigerweise ergänzen, indes nicht verdoppeln. Die Verfahren müssen zeitlich verbunden sein, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und vorhersehbar sein. Ob eines der Verfahren abgeschlossen ist, ist unerheblich für die Beurteilung der hinreichenden Verbundenheit.3 Umso schwächer die zeitliche Verbindung, desto schwerer wiegt die Darlegungslast des Mitgliedsstaates.4

4.50

Art. 50 GRCh ist mithin dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der eine Person, die die geschuldete Mehrwertsteuer nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen abgeführt hat, in einem Strafverfahren verfolgt werden kann, obwohl sie wegen derselben Tat bereits mit einer bestandskräftigen Verwaltungssanktion strafrechtlicher Natur i.S.d. Art. 50 GRCh belegt wurde, sofern diese Regelung

4.51

– eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung hat, die eine solche Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen rechtfertigen kann, nämlich die Bekämpfung von Mehrwertsteuerstraftaten, wobei mit den Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen komplementäre Zwecke verfolgt werden müssen, – Regeln zur Gewährleistung einer Koordinierung enthält, mit der die zusätzliche Belastung, die sich für die Betroffenen aus einer Kumulierung von Verfahren ergibt, auf das zwingend Erforderliche beschränkt wird, und – Regeln vorsieht, mit denen sichergestellt werden kann, dass die Schwere aller verhängten Sanktionen auf das im Verhältnis zur Schwere der betreffenden Straftat zwingend Erforderliche beschränkt wird.5 Dies ist zunächst durch die nationalen Gerichte zu prüfen (zu den Auswirkungen im Hinblick auf die Zuschläge bei der Selbstanzeige nach § 398a AO vgl. Rz. 12.109 ff.).6 1 EuGH v. 20.3.2018 – C-524/15, ECLI:EU:C:2018:197 – Menci, UR 2018, 489, Rz. 48 f. 2 EGMR v.10.2.2009 – 14939/03 – Zolothukhin v. Russia, Rz. 52 ff.; EGMR v. 16.6.2009 – 13079/03 – Ruotsalainen v. Finland, Rz. 46; EGMR v. 15.11.2016 – 24130/11, 29758/11 – A and B v. Norway, Rz. 105 ff., 117 ff; Kokott, NZWiSt 2017, 409; EuGH v. 5.6.2012 – C-489/10, ECLI:EU: C:2012:319 – Bonda, Rz. 37 ff.; EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27, Rz. 34 f. 3 EGMR v. 15.11.2016 – 24130/11, 29758/11 – A and B v. Norway, Rz. 126. 4 EGMR v. 15.11.2016 – 24130/11, 29758/11 – A and B v. Norway, Rz. 120 ff., 124, 130 ff. 5 EuGH v. 20.3.2018 – C-524/15, ECLI:EU:C:2018:197 – Menci, UR 2018, 489. 6 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27, Rz. 37.

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Kap. 4 Rz. 4.52 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

4.52

Bemerkenswert ist, dass der EuGH nunmehr auch Zuschläge in Höhe von 30% unter bestimmten Voraussetzungen nicht als Strafe ansieht, sondern dies für unionsrechtskonform erachtet, auch im Falle bereits rechtskräftig abgeschlossener Bußgeldverfahren, sofern nur die Geldauflage im Bußgeldverfahren angerechnet wird. Dem Vorabentscheidungsverfahren in der Sache Menci lag ein italienisches Verwaltungsverfahren zugrunde. Der Beschuldigte unterließ die fristgerechte Abführung von Mehrwertsteuern. Das Verfahren endete mit einer Entscheidung der italienischen Finanzverwaltung, wonach neben der nachträglichen Abführung der geschuldeten Mehrwertsteuer ein Steueraufschlag i.H.v. von 30% der Steuerschuld als Verwaltungssanktion erhoben wurde. Nachdem die Rechtskraft der Entscheidung eingetreten war, wurde wegen desselben Sachverhalts ein Steuerstrafverfahren eingeleitet.1

4.53

Auch wenn im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht verwaltungsbehördliche Entscheidungen nach dem OWiG gem. § 86 Abs. 2 OWiG nur im Falle gerichtlicher Entscheidungen eine Sperrwirkung entfalten, spricht allein die Höhe des Aufschlags von 30 % mehr für die Annahme einer Strafe. Letztlich ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die Verhältnismäßigkeit der konkreten Anwendung dieser Regelung im Rahmen des Ausgangsverfahrens zu beurteilen und dabei die Schwere der betreffenden Steuerstraftat gegen die Belastung abzuwägen, die sich für den Betroffenen aus der Kumulierung der im Ausgangsverfahren fraglichen Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen konkret ergibt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat insoweit entschieden, dass eine Kumulierung von steuer- und strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, mit denen derselbe Verstoß gegen Steuergesetze geahndet wird, den in Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK verankerten Grundsatz ne bis in idem nicht verletzt, wenn es zwischen dem Steuerverfahren und dem Strafverfahren einen hinreichend engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang gibt.2 Es ist Sache des nationalen Gerichts, sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Ausgangsverfahrens zu vergewissern, dass die Belastung, die sich für den Betroffenen aus der Anwendung der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung und aus der nach ihr zulässigen Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen konkret ergibt, nicht außer Verhältnis zur Schwere der begangenen Straftat steht. Zu bemängeln ist, dass der EuGH zunächst noch den Schweregrad des Zuschlags von 30% erkennt und deutlich hervorhebt, indes im Weiteren die Höhe des Zuschlags völlig außen vor lässt und die Entscheidung auf die nationalen Gerichte überträgt. Es hätte näher gelegen, sich – auch anhand des konkreten Falls – wie im Fall Åkerberg Fransson3 – zur Höhe des Zuschlags zu äußern.

4.54

Es stellt sich überdies die Frage, wie eine Anrechnung bspw. aussehen soll, wenn in Deutschland auf die Hinterziehung von Umsatzsteuern in Millionenhöhe ein Zuschlag von 30 % erhoben würde, indes der Beschuldigte nach der Rechtsprechung des BGH zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe zu verurteilen wäre. Denkbar wäre, einen Härteausgleich vorzunehmen oder bereits bei der Strafzumessung die Geldbuße „einzupreisen“.

4.55

Mit Blick auf die deutschen Säumniszuschläge wird vor dem o.g. Hintergrund zukünftig fraglich sein, ob diese bei einem Zinssatz von de lege lata 0,5 % pro Monat nicht zukünftig als Strafe zu qualifizieren sind, da hier verschiedene Aspekte desselben rechtswidrigen Verhaltens betroffen sind.4 1 EuGH v. 20.3.2018 – C-524/15, ECLI:EU:C:2018:197 – Menci, UR 2018, 489; vgl. die Anmerkung von Pflaum, wistra 2018, 391; vgl. auch die Kritik bei Wegner, HRRS 2018, 205 ff. 2 EGMR v. 15.11.2016 – 24130/11, 29758/11 – A and B v. Norway. 3 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27. 4 So auch Pflaum, wistra 2018, 391, 392.

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C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.58 Kap. 4

8. Die Versagung der Steuerfreiheit als Sanktion Die Versagung mehrwertsteuerlicher Vergünstigungen ist nicht per se im Sinne der Engel Rechtsprechung als Strafe einzuordnen. Der repressive Charakter ist jedoch erfüllt, wenn eine Mehrwertsteuerverkürzung mit einem Zuschlag von 30 % geahndet wird.1 In jedem Falle entscheidendes Kriterium ist, wie gravierend der Eingriff den Einzelnen trifft. Der EuGH erkennt die Versagung von Vorsteuerabzug und Steuerbefreiungen im unionsinternen Warenverkehr durchweg als Nachteile an. Diese können schwerer wiegen als verwaltungsrechtliche Sanktionen. Sanktionen dürfen in keinem Fall auf den gleichen Betrag wie die „Steuervergünstigung“ hinauslaufen.2 Die Sanktion darf daher nicht so einschneidend sein wie die Versagung der Steuervergünstigung. Die bloße Versagung der Steuervergünstigung wird nicht als Sanktion angesehen.3 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass dem Steuerpflichtigen Vorsteuerabzug und Steuerbefreiung kumulativ versagt werden können.4

4.56

Infolge des nun unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes können die Mitgliedstaaten daher „nur“ eine Geldbuße oder finanzielle Sanktionen verhängen, um die Missachtung von Formerfordernissen zu ahnden.5 Die vollständige Versagung des Vorsteuerabzugs ist nur im Falle des Betrugs und der Schädigung des Staatshaushalts vom Unionsrecht gedeckt.6 Die Versagung des Vorsteuerabzugs ist keine Strafe i.S.d. Art. 47 GRCh.7 Dies scheint insofern widersprüchlich, als dass eine derart weitreichende Sanktion nur bei Vorliegen einer Straftat angeordnet werden kann. Daher gilt insoweit auch das strafrechtliche Rückwirkungsverbot, etwa dass des Art. 49 GRCh nicht.8 Die Konsequenz kann sein, dass sogar Verjährungsfristen im Strafrecht rückwirkend geändert werden. Der EuGH geht davon aus, dass wenn entsprechende Verkürzungen dazu führen, dass schwere Betrugsfälle in größerem Ausmaß nicht mehr verfolgbar wären, die nationalen Gerichte alles tun müssten, damit der entsprechende Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Verfolgung des Mehrwertsteuerbetrugs nachkommt. Erforderlichenfalls dürfe das nationale Gericht die neue Verjährungsvorschrift nicht anwenden. Statt einer unionsrechtswidrigen müsste dann eine unionsrechtskonforme nationale Regelung zur Anwendung kommen.

4.57

Zu Recht wird betont, dass eine potentielle dreifach Sanktionierung bei grenzüberschreitenden Lieferungen und Leistungen innerhalb der Union gegen die Neutralität der Mehrwert-

4.58

1 EuGH v. 29.7.2010 – C-188/09, ECLI:EU:C:2010:454 – Profaktor Kulesza, Rz. 28; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., Rz. 50; Kokott, NZWISt 2017, 409 (411). 2 EuGH v. 17.7.2014 – C-272/13, ECLI:EU:C:2014:2091 – Equoland, UR 2015, 75, Rz. 46 f. 3 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Italmoda, UR 2015, 106, Rz. 61. 4 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében, UR 2012, 591, Rz. 42. 5 EuGH v. 8.5.2008 – C-95/07 und C-96/07, ECLI:EU:C:2008:267 – Ecotrade, UR 2008, 512, Rz. 66 f.; EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14, ECLI:EU:C:2016:690 – Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos, UR 2016, 795 m. Anm. Maunz, Rz. 43 und 47 f.; EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14, ECLI: EU:C:2016:691 – Senatex, UR 2016, 800 m. Anm. Maunz, Rz. 42. 6 EuGH v. 17.7.2014 – C-272/13, ECLI:EU:C:2014:2091 – Equoland, UR 2015, 75, Rz. 41; EuGH v. 6.9.2012 – C-324/11, ECLI:EU:C:2012:549 – Tóth, UR 2012, 851; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger. 7 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Italmoda, UR 2015, 106, Rz. 61. 8 EuGH v. 8.9.2015 – C-105/14, ECLI:EU:C:2015:555 – Taricco u.a., UR 2016, 367.

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Kap. 4 Rz. 4.58 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

steuer verstößt.1 Dies insbesondere auch deswegen, weil die mehrfache Versagung von Steuervergünstigungen gleich gegen mehrere Täter in Betracht kommt. Im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich bei der Steuerhinterziehung nach noch herrschender Ansicht auch weiterhin um einen Blankettstraftatbestand handelt, ist eine derartige Sichtweise nicht unproblematisch (vergleiche Rz. 11.20).

9. Zusammenfassung 4.59

Für das Merkmal der Aburteilung bedarf es einer verfahrensbeendenden Entscheidung einer zur Mitwirkung an der Strafrechtspflege berufenen Behörde, der Ahndungswirkung zukommt und die zu einem Strafklageverbrauch nach nationalem Recht führt.2 Hierunter fallen auch Transacties, das österreichische Straferkenntnis, Bußgeldbescheide, Einstellungen nach §§ 1533, 153a StPO, der gerichtliche Nichteröffnungsbeschluss gem. §§ 204, 211 StPO und die strafbefreiende Selbstanzeige in dem Umfang, wie sie zum Strafklageverbrauch nach dem jeweiligen nationalen Recht führen. Die Gemeinsamkeit der vorgenannten Ahndungen besteht weitestgehend darin, dass es für die Einleitung eines neuen Verfahrens neuer Tatsachen oder neuer Beweise bedarf.4

III. Begriff derselben Tat/Idem 1. Rechtsprechung des EuGH 4.60

Umstritten war lange, was unter dem Begriff derselben Tat bzw. der Tat in europäischer Hinsicht zu verstehen ist.5 Derweil hat der EuGH jedoch entschieden,6 dass Art. 54 SDÜ dahingehend auszulegen ist, dass maßgebendes Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist. Dies gilt unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse. Ausdrücklich betont der EuGH, dass sich aus Art. 54 SDÜ, der den Ausdruck „derselben Tat“ verwendet, ergibt, dass diese Vorschrift nur auf das Vorliegen der fraglichen Tat abstellt und nicht auf ihre rechtliche Qualifizierung. Bezugnehmend auf die Schlussanträge des Generalanwalts führt der EuGH aus, dass das Recht auf Freizügigkeit nur dann effektiv gewährleistet wird, wenn der Urheber einer Handlung weiß, dass er sich, wenn er in einem Mitgliedstaat verurteilt worden ist und die Strafe verbüßt hat oder ggf. endgültig freigesprochen worden ist, im Schengen-Gebiet frei bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, dass er in einem anderen Mitgliedstaat

1 Kokott, NZWiSt 2017, 409, 413, die darauf hinweist, dass eine solche Vorgehensweise sehenden Auges nicht vollends zufriedenstellend ist und zutreffend auf die möglichen Friktionen hinweist. Sie stellt deutlich heraus, dass das maßgebliche Augenmerk des EuGH auf dem Schutz der finanziellen Interessen der Union liegt. 2 Vgl. zum Ganzen auch die vertiefende Darstellung bei Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 30 ff. 3 Vgl. Strafgericht Eupen v. 27.1.1999 – 37.22.1.1157.94, wistra 1999, 479; ablehnend hierzu Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 60; Radtke/Busch, NStZ 2003, 281 (286). 4 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 182 f. 5 Vgl. hierzu auch die Vorlageentscheidung des BGH v. 30.6.2005 – 5 StR 342/04, NStZ 2006, 106; EuGH v. 9.3.2006 – C-436/04, ECLI:EU:C:2006:165 – van Esbroek; BGH v. 12.12.2013 – 3 StR 531/12, NJW 2014, 1025. Zum Ganzen auch Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 2 Rz. 91 ff.; Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 101 ff. 6 Grundlegend EuGH v. 9.3.2006 – C-436/04, ECLI:EU:C:2006:165 – van Esbroek.

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C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.65 Kap. 4

deshalb verfolgt wird, weil diese Handlung in der Rechtsordnung des letztgenannten Mitgliedstaates einen unterschiedlichen Verstoß darstellt. Der EuGH führt weiter aus: „Wegen der fehlenden Harmonisierung der nationalen Strafvorschriften würde ein Kriterium, das auf der rechtlichen Qualifizierung der Tat oder auf dem geschützten rechtlichen Interesse beruht, ebenso viele Hindernisse für die Freizügigkeit im Schengen-Gebiet errichten, wie es Strafrechtssysteme in den Vertragsstaaten gibt. Demnach ist das einzige maßgebende Kriterium für die Anwendung von Art. 54 SDÜ das der Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände.“

Einschränkend fügt der EuGH jedoch hinzu, dass die endgültige Beurteilung Sache des zuständigen nationalen Gerichts ist, welches feststellen muss, ob die fragliche materielle Tat einen Komplex von Tatsachen darstellt, die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbunden sind.

4.61

Im konkreten Fall ging es um den Transport unverzollter Zigaretten quer durch Europa über mehrere Grenzen hinweg. Der EuGH sah hierin eine einheitliche Tat, da die Kurierfahrt ohne größere Zwischenstopps erfolgen sollte.1 Etwas anderes kann gelten, wenn wesentliche zeitliche Zäsuren zu verzeichnen sind, wie eine längere Zwischenlagerung, oder eine Vermengung mit weiteren Gütern erfolgt.

4.62

Der EuGH bestätigte die von ihm vertretene Sichtweise in seinem Urteil vom 28.9.2006.2 Er hatte erneut darüber zu entscheiden, was unter derselben Tat i.S.d. Art. 54 SDÜ zu verstehen ist, insbesondere ob der Besitz von etwa 1 kg Heroin in den Niederlanden im oder um den Zeitraum vom 27.3. bis 30.3.1983 dieselbe Tat darstellt wie der Besitz von etwa 5 kg Heroin in Italien am oder um den 27.3.1983, wenn berücksichtigt wird, dass die Partie Heroin in den Niederlanden ein Teil der Partie Heroin in Italien war. Zu entscheiden war ferner über die Frage, ob die Ausfuhr einer Partie Heroin aus Italien in die Niederlande dieselbe Tat wie die Einfuhr derselben Partie Heroin aus Italien in die Niederlande war.

4.63

Der EuGH bejahte das Vorliegen derselben Tat und wiederholte, dass einziges maßgebliches Kriterium für die Anwendung von Art. 54 SDÜ das der Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände, ist. Auch hier folgte der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts, der das objektive Element des Idem als zwei objektiv aufzugliedernde Aspekte beschreibt. Zum einen seien Raum und Zeit zu beachten, sodass, wenn bei beiden Größen Übereinstimmung herrsche, der konkrete Sachverhalt nicht künstlich in voneinander getrennte Handlungen aufgeteilt werden könne. Zum anderen dürfe, ohne den Bereich des Faktischen zu verlassen, die Verknüpfung von Täter und Tat auf der physischen Ebene nicht vernachlässigt werden. Ein einheitlicher Zeitraum, ein einheitlicher Raum, aber auch ein einheitlicher Vorsatz seien hier Anhaltspunkte.

4.64

Anhand dieser Trilogie sei zu prüfen, ob die von dem Grundsatz ne bis in idem verlangte Übereinstimmung besteht, natürlich in dem Sinne, dass die drei Aspekte nicht vollständig zusammenfallen müssen. Der Ort könne sich ändern, die Straftat könne sich in die Länge ziehen und in verschiedene Einzelhandlungen zerfallen, für die Bestrafung aber eine einheitliche Tat bleiben. Schließlich sei nicht ausgeschlossen, dass sich gelegentlich der Vorsatz des Täters ändere und trotzdem die Tat unverändert bleibe. Zur Beurteilung der faktischen Identität sei

4.65

1 Vgl. auch BGH v. 9.6.2008 – 5 StR 342/04, BGHSt 52, 275 ff.; Bender, wistra 2009, 176 (179). 2 EuGH v. 28.9.2006 – C-150/05, ECLI:EU:C:2006:614 – van Straaten, StV 2007, 57.

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Kap. 4 Rz. 4.65 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

dabei auch die materielle Seite der in den beiden Verfahren verfolgten Taten zu untersuchen, unabhängig von ihrer rechtlichen Qualifizierung und den durch ihre Bestrafung geschützten Gütern und Interessen in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten oder in den Regelungen des Besitzstands von Schengen.

4.66

Der EuGH geht mithin wie der BGH1 von einem sog. faktischen prozessualen Tatbegriff aus, wonach eine prozessuale Tat vorliegt, wenn es sich bei natürlicher Betrachtungsweise um einen einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang handelt, innerhalb dessen der Beschuldigte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll.2 Entscheidend ist das sog. idem factum, nicht das idem crimen. Dabei muss zwischen den einzelnen Verhaltensweisen des Täters eine innere Verknüpfung bestehen dergestalt, dass ihre getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden werden müsste.3 Ein einheitlicher Vorsatz genügt für sich genommen nicht,4 kann jedoch ein Anhaltspunkt sein.5

2. Schlussfolgerung für die Steuerhinterziehung 4.67

Für den Bereich der Steuerhinterziehung bestimmt sich das idem factum neben dem Besteuerungszeitraum und der betroffenen Steuerart insbesondere über den abgeurteilten Sachverhalt und welche Steueransprüche daraus aus deutscher Sicht resultieren. Beispiel: A will ein Unternehmen nach günstigem Erwerb mit geringstmöglichen steuerlichen Auswirkungen zu einem Preis von 100 Mio. an die in Großbritannien ansässige B veräußern und nimmt steuerliche Beratung in Anspruch.6 A gründet auf Anraten seiner steuerlichen Berater die belgische Kapitalgesellschaft C nebst schweizerischer Tochtergesellschaft S, wobei letztere die Anteile an der Gesellschaft A zunächst erwerben, halten und schlussendlich an die B verkaufen soll. A veräußert sein Unternehmen zunächst mit notariellem Kaufvertrag an die belgische Gesellschaft C zu einem Preis von 10 Mio. Kurze Zeit später veräußert die schweizerische Tochtergesellschaft die Gesellschaft A für 100 Mio. an B. A erklärt in Deutschland lediglich den Veräußerungserlös von 10 Mio., abzüglich der von ihm getätigten Anschaffungskosten. In Belgien unterbleibt die Abgabe einer Steuererklärung. Bücher werden nicht geführt und Unterlagen über die belgische Gesellschaft nicht vorgehalten.

4.68

Nach belgischem Recht kommt eine Bestrafung des A wegen Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe einer Körperschaftsteuererklärung innerhalb der in Art. 310 WIB (belgisches 1 BGH v. 12.12.2013 – 3 StR 531/12, NJW 2014, 1025. 2 BGH v. 5.11.1969 – 4 StR 519/68, BGHSt 23, 141 (145); BGH v. 17.4.1984 – 1 StR 116/84, NStZ 1984, 469. 3 Kritisch zum Ganzen Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 182 f.; Böse, EWS 2007, 204; Böse, GA 2003, 758, der auf den Gedanken des Tatbegriffs im EG-Wettbewerbsrecht zurückgreift; in diese Richtung auch Dannecker in FS Kohlmann, 2003, 593 (604). 4 EuGH v. 18.7.2007 – C-367/05, ECLI:EU:C:2007:444 – Kraaijenbrink, NJW 2007, 3416 (3417). 5 BGH v. 9.6.2008 – 5 StR 342/04, NStZ 2009, 458. 6 Der Sachverhalt ist stark vereinfacht dargestellt, entspricht aber einer Fallkonstellation aus der Praxis. Auf Seiten der steuerlichen Berater ging man davon aus, dass die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung aus Belgien heraus steuergünstiger wäre als ein Direktverkauf aus Deutschland heraus. Die belgischen Behörden gingen jedoch davon aus, dass der belgischen Gesellschaft ein sog. außerordentlicher Erlös zugekommen sei, der unter Anwendung von Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 WIB 1992 zu versteuern gewesen wäre und eine nach Art. 192 WIB 1992 grundsätzlich mögliche Steuerbefreiung wegen des Vorliegens eines Scheingeschäfts (Art. 344 WIB 1992) nicht in Betracht komme.

84 | Peters

C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.71 Kap. 4

Einkommensteuergesetz) 1992 vorgesehenen Frist und die Nichtvorlage aller Bücher und Unterlagen gem. Art. 315 WIB 1992 in Betracht. Aus Art. 351 WIB 1992 ergibt sich für die belgischen Finanzbehörden die Möglichkeit, die zu versteuernden Einkünfte im Wege der Schätzung zu bestimmen.1 Grundlage wäre der vollständige Veräußerungserlös von 100 Mio. A und seinen steuerlichen Beratern gelingt es, im Rahmen des deutschen Steuer- und Steuerstrafverfahrens im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung die Finanzbehörde davon zu überzeugen, dass die Besteuerung weit unter dem Wert von 100 Mio. zu erfolgen hat. Hinsichtlich des strafrechtlichen Vorwurfs erfolgt unter Hinweis auf die steuerliche Beratung und allenfalls nachzuweisende Leichtfertigkeit i.S.d. § 378 AO eine Einstellung nach § 153a StPO, die sich hinsichtlich des Sachverhalts auf den Inhalt der tatsächlichen Verständigung stützt. A zahlt die fällige Steuer sowie die Geldauflage unverzüglich und das Strafverfahren wird endgültig eingestellt.

4.69

In diesem Fall steht einer weiteren Strafverfolgung in Belgien wegen Steuerhinterziehung und unterlassener Buchführung die Wirkung des Art. 54 SDÜ entgegen. Der gesamte Sachverhalt war Gegenstand der tatsächlichen Verständigung und Grundlage der staatsanwaltlichen Einstellungsverfügung. Für ein idem factum und damit die Wirkung des Art. 54 SDÜ spricht insbesondere, dass das gesamte Geschäft so von Anfang an geplant war und ein diesbezüglicher durchgängiger, einheitlicher Wille bestand. Letztendlich für eine einheitliche Tat muss aber sprechen, dass in einer Zusammenschau der besonderen Konstellation Rechnung zu tragen ist. Die Veräußerung sollte unter Umgehung des deutschen Fiskus vonstatten gehen, und die gewählte Konstruktion macht nur bei einheitlicher Betrachtung Sinn. Ansonsten hätte es der Zwischenschaltung der belgischen und schweizerischen Gesellschaft nicht bedurft und es hätte ein Direktverkauf von Deutschland aus erfolgen können.

4.70

IV. Vollstreckung 1. Einführung Weitere Voraussetzung des Art. 54 SDÜ ist, dass die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann (Vollstreckungsbedingung).2 Die Wendung „vollstreckt ist“ bedeutet, dass die Sanktion vollständig, d.h. auch bei Verhängung zweier Hauptstrafen,3 erledigt sein muss, etwa durch Ver-

1 Art. 444 WIB 1992 bestimmt ergänzend, dass bei Nichtabgabe der Erklärung oder im Falle einer unvollständigen oder unrichtigen Erklärung, die Summe, die auf den nicht angegebenen Einkünfteteil geschuldet wird, um einen Steuerzuschlag erhöht werden kann. Dieser wird je nach Art und Schwere des Verstoßes gemäß einer Tabelle festgelegt, deren Staffelung der belgische König bestimmt, wobei der Aufschlag zwischen 10% und 200% der Steuern liegt, die auf den nicht angegebenen Einkünfteteil geschuldet werden. Der Gesamtbetrag der auf den nicht angegebenen Einkünfteteil geschuldeten Steuern und der Steuerzuschläge darf jedoch nicht höher sein als der Betrag der nicht angegebenen Einkünfte. Art. 449 WIB 1992 sieht unbeschadet der sog. Verwaltungssanktion, der Schätzung nebst Zuschlag, eine Gefängnisstrafe von acht Tagen bis zu zwei Jahren bzw. alternativ oder kumulativ eine Geldbuße von 250 Euro bis zu 12.500 Euro gegen denjenigen vor, der in betrügerischer Absicht oder mit der Absicht zu schaden gegen die Bestimmungen des WIB 1992 oder seiner Ausführungserlasse verstößt. 2 Zum Ganzen EuGH v. 27.5.2014 – C-129/14, ECLI:EU:C:2014:586 – Spasic; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 187 ff. 3 EuGH v. 27.5.2014 – C-129/14, ECLI:EU:C:2014:586 – Spasic, zu einem Fall, wo die Geldstrafe bereits gezahlt, die Freiheitsstrafe indes noch nicht vollstreckt war.

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4.71

Kap. 4 Rz. 4.71 | Europäischer Grundrechtsschutz im Strafverfahren

büßung, Zahlung, Erfüllung oder gem. § 56g StGB förmlichem Erlass der Bewährungsstrafe. Die zweite Variante ist erfüllt, wenn die Vollstreckung der verhängten Sanktion bereits eingeleitet wurde oder noch andauert. Hierunter fällt nach allgemeiner Ansicht auch die Strafaussetzung zur Bewährung, da der Verurteilte zumeist die ihm aus dem Bewährungsbeschluss (§ 268a Abs. 1 StPO) auferlegten Auflagen (§§ 56b–d, 59a Abs. 2, §§ 68a, 68b StGB) zu erfüllen hat.1 Probleme bereitet mitunter allein die Frage, ob nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann, etwa im Zusammenhang mit Amnestien, Gnadenentscheidungen oder Vollstreckungsverjährung.2

2. Steueramnestie als Vollstreckung 4.72

Für den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts relevant wird die Frage des Vollstreckungselements im Zusammenhang mit der Beurteilung von Amnestien oder Begnadigungen. Wegen ihres überwiegend politischen Charakters wird mitunter die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung verneint.3 Nach hier vertretener Ansicht sind zur optimalen Gewährleistung der Grundfreiheiten bei der Auslegung der transeuropäischen Ne-bis-in-idem-Regelung auch Gnadenakte und Amnestien als verfahrenshindernd anzuerkennen.4

4.73

In der Bundesrepublik fanden zwei Steueramnestien statt:5 im Jahr 19906 und in den Jahren 2004/20057. Die nächste Amnestie ist allein eine Frage der Zeit8 und in vielen europäischen Ländern ein beliebtes Instrument, zusätzliche Gelder einzubringen.9 Die Amnestie 2004/2005 bezog sich auf verkürzte Steuern in dem Zeitraum 1993 bis 2002. Die Nacherklärung erfolgte über die sog. „Strafbefreiende Erklärung“, ein zu der Amnestie begleitend erstelltes Formular. Die pauschale Abgabe betrug 25 % bzw. 35 % auf der Basis einer reduzierten Bemessungsgrundlage, sodass die effektive Steuer deutlich unter den normalen Sätzen lag. Neben der strafrechtlichen und steuerlichen Abgeltung dieser Jahre waren gleichzeitig auch Besteuerungszeiträume vor 1993 bereinigt. Die Steueramnestie fand für jedwede Art von steuerpflichtigen Einnahmen Anwendung. Die Strafbefreiende Erklärung orientierte sich an den Voraussetzungen einer Selbstanzeige nach § 371 AO. Die Straffreiheit kam allen Tatbeteiligten zugute und betraf die einfache, die leichtfertige und die verbrechensmäßige Steuerhinterziehung (§§ 370, 370a, 371 AO) sowie die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26c UStG). Nicht erfasst waren darüber hinausgehende Straftaten, die im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung begangen wurden. 1 EuGH v. 18.7.2007 – C-288/05, ECLI:EU:C:2007:441 – Kretzinger, NJW 2007, 3412 (3414); BGH v. 3.11.2000 – 2 StR 274/00, BGHSt 46, 187; BR-Drucks. 283/97, 10; Kniebühler, Ne bis idem, 228; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 79. 2 Vgl. hierzu ausführlich Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 47 ff. 3 Schlussantrag des Generalanwalts Colomer v. 8.4.2008 – C-297/07 ECLI:EU:C:2008:206 – Bourquain. 4 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 81; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 47; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 190; Plöckiner/Leidmühler, wistra 2003, 88. 5 Zum Ganzen vgl. Joecks/Randt, Steueramnestie 2004/2005. 6 Sog. „Zinsamnestie“ in dem Gesetz über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen (StrbEG), Art. 17 Steuerreformgesetz 1990 v. 25.7.1988, BStBl. I 1988, 259. 7 Nach Beschlussfassung im Bundestag am 19.12.2003 passierte das Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (StraBEG) noch am selben Tag den Bundesrat und trat zum 30.12.2003 in Kraft. 8 Vgl. auch Düll, IFSt-Schrift Nr. 410, 27. 9 Vgl. die Amnestie in Spanien 1991, Österreich 1993; Italien 2001, 2009; Großbritannien hat seit 2007 drei Amnestien angeboten; USA 2009, Frankreich 2009, Niederlande 2009.

86 | Peters

C. Art. 54 SDÜ in der praktischen Anwendung | Rz. 4.74 Kap. 4

Entscheidend für die Annahme eines Vollstreckungselements im Falle einer Amnestie spricht, dass der Gesetzgeber den Umfang der persönlichen Strafbefreiung genau festlegt, wie seinerzeit in § 4 StraBEG. Der Staat verzichtet zum Zweck der Steuermehreinnahme bewusst auf den ihm zustehenden Strafanspruch. Es kommen die gleichen Argumente zum Tragen, wie sie auch für die strafbefreiende Selbstanzeige angeführt wurden. Umgekehrt gilt die Wirkung des Art. 54 SDÜ aber auch für Amnestien in den Schengenstaaten. Der im Verurteilungsstaat getroffenen Entscheidung gilt es größtmöglichen Respekt entgegenzubringen und zu inländischer Anerkennung zu verhelfen. Dabei sind auch womöglich abweichende Rechtsgrundsätze und Gerechtigkeitsvorstellungen anzuerkennen.1 Die Anerkennung ausländischer Amnestien ist eine logische Konsequenz des europäischen Gedankens.

1 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 51.

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4.74

88 | Peters

2. Teil Internationales Steuerstrafverfahren Kapitel 5 Einführung in das internationale Steuerstrafverfahren A. Einfluss des Unionsrechts auf das deutsche Legalitätsprinzip . . . . . . . . . 5.1 B. Einbettung des nationalen Legalitätsprinzips in die europäische Rechtsordnung I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 II. Primäres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . 5.5 III. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 IV. Sekundäres Unionsrecht . . . . . . . . . . . 5.7 V. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 VI. Charta der Europäischen Grundrechte 5.10

C. Auswirkungen auf das deutsche Legalitätsprinzip und den Tatbestand der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Steuerfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . .

5.11 5.16 5.18 5.20

5.22 5.27

Literatur: Beckemper, Nemo-tenetur im Steuerstrafrecht, ZIS 2012, 221; Berchner, Die Neufassung der AStBV (St) aufgrund des neuen Selbstanzeigenrechts, NZWiSt 2012, 171; Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, Heidelberg 2006; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, Berlin 2002; Esser, Die Europäische Staatsanwaltschaft: Eine Herausforderung für die Strafverteidigung, StV 2014, 494; Gotzens, Grenzüberschreitung im Steuerfahndungsverfahren, in FS Streck, Köln 2011, 519; Jähnke, Das Legalitätsprinzip – eine Maxime gemeineuropäischen Rechts, ZIS 2020, 241; Jesse, Das Nebeneinander von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, DB 2013, 1803; Kreutzer/ Scheuing/Sieber, Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, Baden-Baden 1997; Magnus, Die endgültige EU Verordnung zur europäischen Staatsanwaltschaft, HRRS 2018, 143; Matthes, Zwischen Durchsuchung und Rasterfahndung – Verdachtsbegründung und Ermittlungsmöglichkeiten der Steuerfahndung, wistra 2008, 10; Meyer/Hölscheidt, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 5. Aufl., Baden-Baden 2011; Müller, Die Stufen des Tatverdachts bei der Hinterziehungstat und deren Konsequenzen, AO-StB 2011, 276; Pohl, Vorbehalt und Anerkennung – Der europäische Haftbefehl zwischen Grundgesetz und Europäischem Primärrecht, Baden-Baden 2009; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, Köln 2001; Satzger, Die potentielle Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft – Plädoyer für ein Komplementaritätsmodell, NStZ 2013, 206; Tsambikakis, Der Haftbefehl im Steuerstrafverfahren, PStR 2013, 159; Weißer, Brauchen wir ein europäisches Strafgesetz, in FS Rengier, München 2018, 477; Weßlau, Vorfeldermittlungen – Probleme der Legalisierung „vorbeugender Verbrechensbekämpfung“ aus strafprozessrechtlicher Sicht, Berlin 1989; Zöller, Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Nachrichtendiensten, Heidelberg 2002; vgl. auch die Literaturnachweise vor Rz. 11.1.

Peters | 89

Kap. 5 Rz. 5.1 | Einführung in das internationale Steuerstrafverfahren

A. Einfluss des Unionsrechts auf das deutsche Legalitätsprinzip 5.1

Der Zielsetzung dieses Buches folgend, beschränkt sich die Darstellung des Steuerstrafverfahrens im Allgemeinen vornehmlich auf unmittelbar auslandsrelevante Aspekte. Ergänzend werden jedoch allgemeine Probleme des innerdeutschen Rechts erörternd einbezogen, soweit sich hieraus Konsequenzen ergeben. Vor dem Hintergrund der nunmehr zu errichtenden europäischen Staatsanwaltschaft kommt jedoch auch dem europäischen Strafverfahren und dessen Voraussetzungen verstärkte Bedeutung zu.

5.2

Schweizerische, luxemburgische oder liechtensteinische Schwarzgeldkonten und die Nichterklärung der daraus resultierenden Erträge sind kein Phänomen der Neuzeit. Steuerhinterziehung findet von jeher auch grenzüberschreitend statt. Der größte Vorteil ausländischer Bankkonten, Depots, Trust oder Stiftungen bestand noch bis vor kurzem darin, dass das Entdeckungsrisiko relativ gering war. Die internationale Amts- und Rechtshilfe in Steuerstrafsachen hinkte lange Zeit der Amts- und Rechtshilfe in allgemeinen Strafsachen hinterher. Mit dem Zusammenwachsen Europas und der Verstärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität durch Einrichtungen wie OLAF (vgl. Rz. 10.51)1, Eurojust (vgl. Rz. 10.46) und Europol (vgl. Rz. 10.43) und eine Verstärkung im Bereich des Informationsaustauschs in Steuer- und Strafsachen gelangen auch Sachverhalte mit internationalen Bezügen in das Visier der Ermittlungsbehörden; nicht ohne Auswirkung auf das in Deutschland herrschende Legalitäts- und Akkusationsprinzip. Der geschätzte jährliche Steuerausfall von 50 Milliarden Euro im Bereich der Umsatzsteuer führte letztlich zur Einführung der europäischen Staatsanwaltschaft.

B. Einbettung des nationalen Legalitätsprinzips in die europäische Rechtsordnung I. Ausgangslage 5.3

Der EU-Sondergipfel von Tampere im Oktober 1999 war der Startschuss einer Betonung des rechtspolitischen Ziels der Schaffung eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (vgl. nunmehr Art. 4 Abs. 2 Buchst. j, Art. 67 ff. AEUV). Wie die damit in Abkehr von der klassischen Prärogative der Mitgliedstaaten für das Feld der Strafrechtspflege notwendige Vereinheitlichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten oder ein äquivalenter Angleichungsmechanismus (z.B. die gegenseitige Anerkennung nationaler gerichtlicher Entschei-

1 Beschluss der Kommission v. 28.4.1999 zur Errichtung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ABl. EG 1999 Nr. L 136, 20; Verordnung (EG) Nr. 1073/99 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.5.1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ABl. EG 1999 Nr. L 136, 1; Verordnung (Euratom) Nr. 1074/99 des Rates v. 25.5.1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ABl. EG Nr. L 136 v. 25.5.1999, 8; vgl. nunmehr KOM 2013 (533) endg. v. 17.7.2013; Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.9.2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates, ABl. EU 2013 Nr. L 248, 1; sämtliche Beschlüsse und Verordnungen betreffend OLAF sind abrufbar unter http://ec.europa.eu/anti_fraud/about-us/legal-framework/index_en.htm.

90 | Peters

B. Einbettung des nationalen Legalitätsprinzips in die europäische Rechtsordnung | Rz. 5.7 Kap. 5

dungen im Strafverfahren) aussehen, sei im Folgenden mit der Fokussierung des Blicks auf das Legalitätsprinzip dargestellt. Von einer gemeinsamen Strafprozessordnung, die einheitlich für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Geltung beansprucht, ist der derzeitige Harmonisierungsgrad jedoch noch weit entfernt. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass das Strafrecht „stärker als andere Materien Ausdruck nationaler Souveränität [und] in weiten Teilen politisches Recht“ ist.1 Es gilt daher, die normativen und rechtspolitischen Aussagen herauszufiltern, die Einfluss auf das Legalitätsprinzip deutscher Prägung haben. Bei der Diskussion einer europäischen Strafverfolgung nimmt das Legalitätsprinzip freilich keine zentrale Position ein, sondern ist vielfach nur mittelbar berührt. Die „Europäisierung des Strafrechts“ wird meist unter dem Aspekt des materiellen Rechts und der Methoden im Ermittlungsverfahren diskutiert.2

5.4

II. Primäres Unionsrecht Da der Europäischen Union den Prinzipien der enumerativen Einzelermächtigung und der Subsidiarität folgend eine generelle, bereichsunabhängige Kompetenz für das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht nicht zukommt, ist eine Vereinheitlichung insbesondere über die ehemals als „Dritte Säule der EU“ konzipierte (polizeiliche und) justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zu suchen, die nunmehr in Art. 82–86 AEUV geregelt ist. Ziel ist eine Koordination der Strafverfolgungstätigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten.

5.5

III. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung Art. 82 AEUV enthält das Ziel einer gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen, das gem. Art. 82 Abs. 2 AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU mit Leben gefüllt werden muss.3 Insbesondere besteht ein Vorbehalt für die Berücksichtigung der Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten. Hierunter dürfte sich auch das Legalitätsprinzip subsumieren lassen; allerdings ist dieses ohnehin nur mittelbar berührt, da sich die gegenseitige Anerkennung auf gerichtliche Entscheidungen bezieht und dem Legalitätsprinzip allenfalls Grenzen zieht.

5.6

IV. Sekundäres Unionsrecht Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wurde im Rahmen des Art. 82 Abs. 1 Buchst. a AEUV insbesondere durch die Einführung des Europäischen Haftbefehls mit Leben gefüllt. Die reichhaltige Debatte hierum bedarf in diesem Kontext keiner Vertiefung, da die in §§ 151, 152 StPO inkorporierten Prozessmaximen allenfalls am Rande betroffen sind. Weitere Ausgestaltungen einer gegenseitigen Anerkennung sind z.B. der Rahmenbeschluss zur gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen4 sowie der Rahmenbeschluss über die An1 Tiedemann, in Kreutzer/Scheuing/Sieber, Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, 133 (134). 2 Vgl. etwa Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001; Tiedemann, in Kreutzer/Scheuing/Sieber, Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, 133 ff. 3 EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge, NJW 2003, 1173; vgl. auch Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 24; Gleß in S/L/G/H6, III B 3a Rz. 1, 8 ff. 4 RB 2005/214/JI des Rates v. 24.2.2005, ABl. EU 2005 Nr. L 76, 16.

Peters | 91

5.7

Kap. 5 Rz. 5.7 | Einführung in das internationale Steuerstrafverfahren

wendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke der Vollstreckung in der Europäischen Union.1 Eine Regelung i.S.d. Art. 82 Abs. 1 Buchst. b AEUV stellt Art. 54 SDÜ dar. Stellt ein Schengener Vertragsstaat ein Strafverfahren ohne Mitwirkung eines Gerichts gegen bestimmte Auflagen – insbesondere die Zahlung eines von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrags –ein, so ist dies in Deutschland ein Verfahrenshindernis für ein erneutes Verfahren (näher Rz. 4.1 ff.).2

V. Europäische Menschenrechtskonvention 5.8

Die Verfolgung von Straftaten durch den Staat dient auch dem Schutz des Bürgers. Das staatliche Gewaltmonopol bringt nicht nur eine Macht des Staates, sondern zugleich eine Schutzfunktion des von Straftaten bedrohten oder verletzten Bürgers mit sich. Dennoch enthält die Europäische Menschrechtskonvention (EMRK), die den Rang eines einfachen Bundesgesetzes einnimmt, keine unmittelbaren Aussagen zum Legalitäts- und Offizialprinzip oder zum Akkusationsprinzip. Vielmehr nimmt sie einen Blickwinkel ein, aus dem der Bürger vor unverhältnismäßigen Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen ist.3 Der Strafverfolgung werden also primär Fesseln angelegt; nicht aber zwingt die EMRK zu Ermittlungen oder öffentlichen Anklagen. Indizien für eine Verfolgungspflicht finden sich aber zum einen in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK, nach dem jede Person ein Recht auf Sicherheit hat. Allerdings ist der Begriff der „Sicherheit“ hier synonym mit der ebenfalls erwähnten „Freiheit“ zu verstehen. Insofern ist also wiederum die Perspektive eines Schutzes vor dem und nicht durch den Staat und seine Behörden eingenommen.

5.9

Zum anderen betont Art. 8 Abs. 2 EMRK als Rechtfertigung eines Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens die nationale und öffentliche Sicherheit sowie den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Zu berücksichtigen ist freilich nicht nur der unmittelbare Wortlaut der Konvention, sondern auch ihre Interpretation und Ausfüllung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Geschieht ein schwerwiegender Eingriff in ein Individualrechtsgut, das unter dem Schutz der EMRK steht, so ist demnach unter der Geltung der Konvention eine effektive und umfassende staatliche Aufklärung selbst dann geboten, wenn der Eingriff nicht von der staatlichen, sondern einer privaten Seite ausgegangen ist.4 So ist ein Vertragsstaat beispielsweise unter dem Aspekt eines effektiven Lebensschutzes gem. Art. 2 EMRK verpflichtet, wegen eines Einsatzes tödlicher Gewalt, auch durch Private, effektiv ermittelnd tätig zu werden, und zwar auch dann, wenn der Tod nicht eingetreten ist, es aber zu schweren körperlichen Verletzungen gekommen ist.5 Es genügt allerdings eine offizielle, unabhängige, effektive Ermittlung; ein Strafverfahren im eigentlichen Sinne ist nicht gefordert. Ein allgemeines Recht des Bürgers auf Einleitung eines Strafverfahrens verbürgt die Konvention nicht.6 Wie auch im deutschen Recht ist es den Strafverfolgungsbehörden erlaubt, ihre Strafverfolgungsbemühungen ressourcenökonomisch einzusetzen und je nach Tatvorwurf zu variieren.7 1 RB 2008/909/JI des Rates v. 27.11.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 327, 27. 2 EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge, StV 2003, 201 (202), Rz. 33. 3 Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, 102. 4 Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, 102. 5 EGMR v. 8.7.1999 – 23657/94 – Cakici v. Türkei, Reports 1999-IV; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, 105. 6 Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, 814. 7 Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, 109.

92 | Peters

C. Auswirkungen auf das deutsche Legalitätsprinzip | Rz. 5.13 Kap. 5

VI. Charta der Europäischen Grundrechte Das in Art. 46 GRCh proklamierte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf umfasst, wie auch die vergleichbaren Verbürgungen in Art. 19 Abs. 4 GG bzw. dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch und Art. 13 EMRK, nicht einen Anspruch auf Durchführung eines Strafverfahrens. Selbiges folgt auch nicht aus Art. 6 GRCh, nach dem jeder Mensch das Recht auf Freiheit und Sicherheit hat. Denn wie auch in Art. 5 EMRK ist der Begriff der Sicherheit hier gleichbedeutend mit dem der Freiheit.1 Letzterer wiederum umschreibt die „Habeas-corpus-Rechte“. Als Verfahrenshindernis mittelbare Bedeutung für das Legalitätsprinzip entfaltet schließlich Art. 50 GRCh, der ein Verbot der Doppelbestrafung enthält.

5.10

C. Auswirkungen auf das deutsche Legalitätsprinzip und den Tatbestand der Steuerhinterziehung Insbesondere die normative Verankerung der Europäischen Staatsanwaltschaft und die entsprechenden Ausführungen der Kommission im Grünbuch zeigen, dass auch auf europäischer Ebene die Akkusations- und die Offizialmaxime Platz greifen sollen; die Strafverfolgung wird also nicht Privaten überlassen und der Grundsatz ist die Trennung von Richter und Ermittlungsbehörde. Dies entspricht auch der Rechtstradition der Mitgliedstaaten.

5.11

Interessanter erscheinen die Auswirkungen auf das deutsche Legalitätsprinzip, obschon auch diese nach derzeitigem Stand nicht unerheblich sind. Eine gegenseitige Anerkennung nationaler strafrechtlicher Entscheidungen i.S.d. Art. 67 Abs. 3, Art. 82 Abs. 1, 2 AEUV und die Etablierung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (vgl. Erwägungsgrund 66 der EUStA-VO)2 können Auswirkungen auf das Legalitätsprinzip in Deutschland zeitigen, indem dieses eine Begrenzung erfährt.3 Sollte nämlich vorrangig die Europäische Staatsanwaltschaft zuständig sein oder ein anderer Mitgliedstaat bereits ein Strafverfahren durchgeführt haben, entfällt für den deutschen Staatsanwalt die Pflicht aus § 152 Abs. 2 StPO.

5.12

Gleichzeitig kann es aber auch zu einer aus den europäischen Verträgen entnommenen Weiterung der Verfolgungspflicht kommen. Die entsprechenden Verträge haben als europäisches Recht Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten der EU.4 Nationale Vorschriften, welche die Erfüllung der Pflicht zur Ahndung unmöglich machen, sind unangewendet zu lassen, d.h. Möglichkeiten der Ahndung sind zu ergreifen.5 Sind strafprozessuale Verfahrensakte nach den Vorstellungen des Grünbuchs und mit Einschränkungen nach der Entschließung

5.13

1 Bernsdorff in Meyer/Hölscheidt, Charta der Grundrechte der Europäischen Union5, Art. 6 GrCh Rz. 12. 2 Verordnung 2017/1939 v. 12.10.2017 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), ABl. EU 2017 Nr. L 283, 1; vgl. auch Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates v. 12.10.2017 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und zur Änderung weiterer Vorschriften, abrufbar unter https://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_EUStA.pdf;jsessionid=C6716E3BAB62D00376F0178ABE205131.1_cid297?__blob=publicationFile&v=1. 3 Vgl. auch Jähnke, ZIS 2020, 241. 4 Jähnke, ZIS 2020, 241 (243). 5 Jähnke, ZIS 2020, 241 (243) unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 9.12.1997 – C-265/95, ECLI:EU: C:1997:595 – Kommission/Frankreich, Rz. 30.

Peters | 93

Kap. 5 Rz. 5.13 | Einführung in das internationale Steuerstrafverfahren

des Europäischen Parlaments allgemein gegenseitig anzuerkennen, so kann dies auch für die Beweiserhebung gelten. Ein Beispiel ist das spanische Recht, nach dem anders als nach § 100a Abs. 2 der deutschen StPO eine Überwachung des Telefonverkehrs bei jeder Straftat möglich ist und das auch Beweissurrogate genügen lässt. Solche Erkenntnisse wären bei einer weitgehenden gegenseitigen Anerkennung in einem deutschen Strafverfahren verwertbar.1 Ist das solchermaßen nur nach dem nationalen Recht eines anderen Mitgliedstaates strafprozessual ordnungsgemäß gewonnene Beweismittel das einzige Beweismittel, so kann ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 StPO nicht mit dem Bestehen eines unselbständigen Beweisverwertungsverbots begründet werden. Auf die eigentlich vorgenommene Abwägung kommt es dann gar nicht an.

5.14

Auf der Ebene des Anfangsverdachts sind Art. 54 SDÜ und Art. 50 GRCh zu sehen. Selbst die Verfahrenseinstellung in einem Mitgliedstaat kann zu einem Strafklageverbrauch führen2 und damit in Deutschland ein Verfahrenshindernis darstellen. Nach wie vor wird durch das europäische Recht nicht verhindert, dass die Strafverfolgungsbehörden mehrerer europäischer Mitgliedstaaten parallele Ermittlungsverfahren durchführen. In Ermangelung einer solchen Kollisionsregel ist auf dem Boden des deutschen Legalitätsprinzips zu entscheiden, ob aufgrund einer stellvertretenden Strafverfolgung durch einen anderen Mitgliedstaat von der Verfolgung einer Tat abgesehen werden kann.3

5.15

Ausgeklammert soll im vorliegenden Rahmen bleiben, ob das Legalitätsprinzip deutscher Prägung eine Vorbildwirkung bei der Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft ausüben sollte. Denn diese Frage hängt mit der hier nicht zu bewerkstelligenden rechtsvergleichenden Perspektive, insbesondere mit Blick auf England, die Niederlande und Frankreich, ab.4 Rechtspolitisch sind theoretisch vier miteinander kombinierbare Wege auszumachen, die eine staatliche Strafverfolgung auch auf europäischer Ebene lenken können:5 (1) tatsächliche Bedingungen, die eine Orientierung am Legalitätsprinzip wahrscheinlich machen, (2) eine nachrangige Privat- oder Popularklage, (3) ein Klageerzwingungsverfahren und (4) die Strafbewehrung einer Nichtverfolgung. Gegenwärtig ist aber die Meinungsbildung noch im Fluss.

D. Ausblick 5.16

Der Einfluss des Europarechts auf das deutsche Strafrecht wird zunehmend größer, insbesondere angesichts der Regelungen von § 370 Abs. 6, 7 AO. Im Steuerrecht stehen regelmäßig Gesetze und Entscheidungen auf dem Prüfstand des EuGH. Vor diesem Hintergrund wird es immer bedeutsamer, schon zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens den Sachverhalt hinsichtlich etwaiger europarechtlicher oder internationaler Implikationen zu überprüfen. Aus der Praxis heraus ist zu bemerken, dass nicht selten aus Rechtsgründen ein Anfangsverdacht verneint und die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt wird, etwa weil eine steuerrechtlich bedeutsame Vorfrage beim BFH oder EuGH anhängig ist, gleichgelagerte Fälle kürzlich entschieden wurden oder 1 Zu diesem Beispiel Tiedemann in FS Eser, 2005, 889 (891). 2 EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge, StV 2003, 201 (202); vgl. auch die Ausführungen in Rz. 4.1 f. 3 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, 2006, 22. 4 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, 2006, 23. 5 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, 2006, 272 und 289, der freilich eine Privat- oder Popularklagebefugnis für untauglich hält und aufgrund der Maßgabe einer Ressourcenschonung Variante (1) bevorzugt.

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E. Steuerfahndung | Rz. 5.19 Kap. 5

bereits aufgrund der Komplexität und rechtlichen Schwierigkeit eines steuerlichen Sachverhalts in keinem Fall ein leichtfertiges Verhalten nachzuweisen wäre. Auf der anderen Seite häufen sich Fälle, in denen aufgrund europarechtlicher Vorgaben bspw. eine Steuerfreiheit aus Sanktionszwecken versagt und ein nationales Steuerstrafverfahren eingeleitet wird. Für den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts bleibt abzuwarten, wie sich die gemeinsamen Bemühungen entwickeln, die fiskalischen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten noch besser zu schützen und die finanziellen Interessen der EU zu sichern. In jedem Fall wird eine Ausdehnung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit die Folge sein. Fälle wie der um den europaweiten Emissionszertifikatehandel und insbesondere die immer noch hohe Schädigung des Umsatzsteueraufkommens legen dies nahe.

5.17

E. Steuerfahndung Gem. § 386 Abs. 1 Satz1 AO ermittelt bei dem Verdacht einer Steuerstraftat die Finanzbehörde den Sachverhalt. „Finanzbehörde“ sind das Hauptzollamt, das Finanzamt, das Bundeszentralamt für Steuern1 und die Familienkasse. Nach § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO ist die Aufgabe der Steuerfahndung die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten, die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in derartigen Fällen und die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle. Die Finanzbehörde führt das Ermittlungsverfahren gem. § 386 Abs. 2 AO in den Grenzen der § 399 Abs. 1, §§ 400, 401 AO selbständig durch, wenn die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt. Dies gilt nicht, wenn ein Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen ist. In diesem Fall ist die Staatsanwaltschaft zuständig. Diese kann im Übrigen jederzeit ein ihr bekanntes Steuerstrafverfahren an sich ziehen (Evokationsrecht). Indem die Steuerfahndung auch die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln hat, wird sie doppelfunktional tätig.2 Nach § 393 Abs. 1 AO richten sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Im Besteuerungsverfahren sind jedoch im Sinne des Nemo-tenetur-Grundsatzes Zwangsmittel gegen den Steuerpflichtigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Insoweit hat die Steuerfahndung stets deutlich zu erkennen zu geben, in welcher Funktion sie tätig wird. Die Zuständigkeit der Steuerfahndung ist nicht auf strafrechtlich unverjährte Zeiträume beschränkt.3 Die Arbeitsweise der Steuerfahndung wird im Wesentlichen bestimmt durch die Anweisungen zum Strafund Bußgeldverfahren (AStBV).4

5.18

Die Zollfahndungsämter und die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden sowie ihre Beamten haben im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (Entgegennahme von Strafanzeigen, Einleitung Strafverfahren, Recht des ersten Zugriffs, Eilkompetenzen, Belehrungspflicht). Sie haben auch Befugnisse

5.19

1 Vgl. zur geplanten Aufgabenerweiterung des BZSt durch § 208a AO-E (BT-Drs. 19/22850 – JStG-E 2020 2 Kritisch hierzu Schwedhelm in FS Streck, 2011, 561 (568). 3 BFH v. 16.12.1997 – VII B 45/97, BStBl. II 1998, 231; BFH v. 15.6.2001 – VII B 11/00, BStBl. II 2001, 624; FG Hessen v. 8.11.1996 – 4 V 3735/96. 4 Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer), AStBV (St) 2020 (BStBl. I 2019, 1142).

Peters | 95

Kap. 5 Rz. 5.19 | Einführung in das internationale Steuerstrafverfahren

nach § 399 Abs. 2 Satz 2 AO sowie die Befugnis zur Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen (§ 110 Abs. 1 StPO); ihre Beamten sind Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. Führt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren in Strafsachen durch, so hat die Bußgeld- und Strafsachenstelle nach § 402 Abs. 1 AO nur dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden des Polizeidienstes nach der Strafprozessordnung, insbesondere nach § 161 und § 163 StPO sowie die Befugnisse nach § 399 Abs. 2 Satz 2 AO. Beschuldigte, Zeugen und Sachverständige sind nicht verpflichtet, auf Ladung vor ihr zu erscheinen.

F. Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft 5.20

Die Ermittlungskompetenz geht auf die Staatsanwaltschaft über, wenn sich in einem zunächst wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung geführten Verfahren abzeichnet, dass tateinheitlich oder tatmehrheitlich weitere Nichtsteuerstraftaten in Rede stehen.1 Die Entscheidung über die Abgabe eines Steuerstrafverfahrens ergeht gem. § 386 Abs. 4 AO und ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Die Finanzbehörde kann die Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abgeben. Die Staatsanwaltschaft kann die Strafsache jederzeit an sich ziehen (Evokationsrecht). In der Praxis erfolgt im letzteren Fall häufig gem. § 386 Abs. 4 Satz 3 AO eine Rückübertragung des Verfahrens zur Fortführung der Ermittlungen an die Steuerfahndung. Die unverzügliche Abgabe kommt nach Ansicht der Finanzbehörde (vgl. Nr. 22 AStBV) insbesondere in Betracht, wenn besondere Umstände es angezeigt erscheinen lassen, dass das Ermittlungsverfahren unter der Verantwortung der Staatsanwaltschaft fortgeführt wird, was namentlich der Fall ist, wenn – eine Maßnahme der Telekommunikationsüberwachung beantragt werden soll; – die Anordnung der Untersuchungshaft (§§ 112, 113 StPO) geboten erscheint; – die Strafsache besondere verfahrensrechtliche Schwierigkeiten aufweist; – weitere Straftaten in Rede stehen; – Freiheitsstrafe über einem Jahr zu erwarten ist; – gegen Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, Mitglieder eines Landtages oder Diplomaten ermittelt wird; – ein Amtsträger der Finanzverwaltung der Beteiligung verdächtig ist; – die Wirksamkeit der Selbstanzeige in Rede steht.2

5.21

Nach hier vertretener Ansicht ist bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stets die Staatsanwaltschaft mit der Verfahrensherrschaft zu betrauen. Bereits die aufgeführten Abgabegründe zeigen auf, dass über den einfachen Normalfall hinausgehende Verfahren, sprich Verfahren der mittleren und schweren Kriminalität, abgegeben werden sollen. Hinzu kommt, dass es im Internationalen Strafrecht und Steuerstrafrecht die jeweiligen Souveränitätsansprüche als auch wechselseitige staatliche Strafansprüche zu berücksichtigen gilt. Zwar steht der Staatsanwaltschaft stets das Evokationsrecht zu, oftmals erfährt die Staatsanwaltschaft jedoch erst, 1 Zur Frage der Unterbrechung der Verjährung durch die Finanzbehörde bei Zusammentreffen mit Allgemeindelikten vgl. BGH v. 24.10.1989 – 5 StR 238/89, wistra 1990, 59; OLG Braunschweig v. 24.11.1997 – Ss (S) 70/97, wistra 1998, 71. 2 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, StBW 2010, 497 m. Anm. Marfels.

96 | Peters

G. Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) | Rz. 5.24 Kap. 5

wenn überhaupt, in einem weit fortgeschrittenen Stadium oder bei Beantragung eines Strafbefehls von entsprechenden Verfahren.

G. Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) I. Einführung Das Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren ist in § 393 AO normiert und bereits Gegenstand vielfältiger Untersuchungen.1 Die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren richten sich nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Es gilt der Grundsatz der Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit beider Verfahren.2 Der Beschuldigte ist im Steuerstrafverfahren im Gegensatz zum Besteuerungsverfahren3 zu keiner aktiven oder wahrheitsgemäßen Mitwirkung verpflichtet. Im Besteuerungsverfahren sind Zwangsmittel entsprechend dem Nemo-tenetur-Grundsatz gegen den Steuerpflichtigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten (§ 393 Abs. 1 AO). Soweit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung seiner steuerrechtlichen (Mitwirkungs-) Pflichten offenbart hat, dürfen diese Kenntnisse gem. § 393 Abs. 2 AO gegen ihn nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist. Eine Ausnahme sieht § 393 Abs. 2 Satz 2 AO für Straftaten vor, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO besteht. Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft hingegen rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, dürfen im Besteuerungsverfahren verwendet werden (§ 393 Abs. 3 AO).

5.22

Zwangsmittel sind nur die in § 328 AO benannten Mittel. Kein Zwangsmittel i.S.d. § 393 AO ist die in der Praxis häufig anzutreffende Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, wenn der Steuerpflichtige von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht.4

5.23

Für den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts bedeutsam ist insbesondere das Zusammenspiel von § 393 AO und den erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten, wie z.B. § 90 Abs. 2 und 3 AO oder §§ 16, 17 AStG. Daneben treten die erleichterten Schätzungsmöglichkeiten bzw. die Vermutungsregel des § 162 Abs. 2 und 3 AO, indem bei

5.24

1 Beckemper, ZIS 2012, 221; Böse, wistra 2003, 47; Gotzens/Wagner, PStR 2003, 207; Jäger, PStR 2002, 49; Braun, DStZ 1999, 570; Dörn, DStZ 1999, 245; Streck/Spatscheck, wistra 1998, 334; List, DB 2006, 469; Rolletschke, wistra 2004, 924; Webel in Flore/Tsambikakis, §§ 393 AO ff.; Jesse, DB 2013, 1803. 2 BT-Drucks. VII/4292, 46; BVerfG v. 15.10.1990 – 2 BvR 385/87, wistra 1991, 175; BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 392; BFH v. 19.8.1998 – XI R 37/97, BStBl. II 1999, 7; BFH v. 19.9.2001 – XI B 6/01, BStBl. II 2002, 4; BFH v. 19.10.2005 – X B 88/05, BFH/NV 2006, 15; BFH v. 9.3.2011 – X B 153/10, BFH/NV 2011, 956. 3 BVerfG v. 13.5.2009 – 2 BvL 19/08, BFH/NV 2009, 1771; BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, StV 2005, 316; BFH v. 14.5.2008 – V B 227/07, BFH/NV 2008, 1371; BFH v. 19.10.2005 – X B 88/05, BFH/NV 2006, 15. 4 BFH v. 19.10.2005 – X B 88/05, BFH/NV 2006, 15; FG Münster v. 31.10.2000 – 5 K 6660/98, EFG 2001, 401; FG München v. 4.5.2010 – 13 V 540/10, juris; BFH v. 19.9.2001 – XI B 6/01, BStBl. II 2002, 4; BFH v. 13.1.2006 – VIII B 7/04, BFH/NV 2006, 914.

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Kap. 5 Rz. 5.24 | Einführung in das internationale Steuerstrafverfahren

bestimmten Verstößen widerlegbar vermutet wird, dass die inländischen steuerpflichtigen Einkünfte höher als erklärt sind. Die Finanzverwaltung schätzt dabei eher zu hoch als zu niedrig. Die Grenze ist erst da erreicht, wo eine Strafschätzung1 in Rede steht, wobei die Grenzen jedoch fließend sind und der Nachweis einer Strafschätzung im Zweifel schwerlich zu führen sein wird.2 Das Verhältnis von Besteuerungsverfahren und Strafverfahren ist dabei bis heute nicht allseits befriedigend gelöst. Sei es, was das Verhältnis von Umsatzsteuervoranmeldung zur Umsatzsteuerjahreserklärung betrifft oder die Auswirkungen auf womöglich strafbefangene nachgelagerte Jahre.

5.25

Indes ist anerkannt, dass die Strafbewehrung der Erklärungspflicht für ein bestimmtes Veranlagungsjahr solange suspendiert wird, wie für dieses Veranlagungsjahr ein Strafverfahren anhängig ist, wobei ein anhängiges Strafverfahren gleichwohl nicht die Nichtabgabe oder die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung für nachfolgende Veranlagungszeiträume rechtfertigt.3 Zudem besteht für zutreffende Angaben des Steuerpflichtigen ein strafrechtliches Verwendungsverbot, wenn die Angaben zu einer mittelbaren Selbstbelastung für zurückliegende strafbefangene Besteuerungszeiträume führen.4 Der BGH führt insoweit aus:5 „Die Erfüllung der steuerrechtlichen Offenbarungspflichten ist dem Steuerpflichtigen nur dann zumutbar, wenn die – im Besteuerungsverfahren erzwingbaren – Angaben in einem Strafverfahren nicht gegen ihn verwendet werden dürfen (vgl. Joecks in FS für Kohlmann, 2003, S. 451, 463). Das Verbot des Selbstbelastungszwanges führt daher dazu, daß die Erklärungen eines Beschuldigten, die er in Erfüllung seiner weiterbestehenden steuerrechtlichen Pflichten für nicht strafbefangene Besteuerungszeiträume und Steuerarten gegenüber den Finanzbehörden macht, allein im Besteuerungsverfahren verwendet werden dürfen. Für das laufende Strafverfahren dürfen diese Informationen, soweit sie unmittelbar oder auch mittelbar zum Nachweis einer Steuerhinterziehung für die zurückliegenden Steuerjahre führen können, nicht herangezogen werden.

5.26

Im Ergebnis wird es bei Auslandssachverhalten eine taktische und ggf. unter kaufmännischen Gesichtspunkten zu beantwortende, einzelfallbezogene Frage sein sowie vom prognostizierten Entdeckungsrisiko und der Ermittlungswahrscheinlichkeit abhängen, ob der Steuerpflichtige die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten erfüllt. Die immer stärker werdende transnationale Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet des Steuerstrafrechts spricht dabei jedoch tendenziell für eine kooperative Verfahrensweise des Steuerpflichtigen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch auf steuerlichem Wege erlangte Auskünfte im Strafverfahren verwendet werden dürfen (Rz. 9.24).

II. Überblick über das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung 5.27

– Der Steuerpflichtige ist steuerrechtlich zur Abgabe richtiger Steuererklärungen auch dann verpflichtet, wenn gegen ihn ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist. – Zwangsmittel (§ 328 AO) sind im Besteuerungsverfahren insoweit unzulässig, als sich der Steuerpflichtige einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit selbst bezichtigen müsste (nemo tenetur se ipsum prodere/accusare).

1 BFH v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381; BFH v. 19.9.2001 – XI B 6/01, BStBl. II 2002, 4. 2 Vgl. etwa FG Münster v. 15.3.2005 – 12 K 3958/03, EFG 2005, 1327 zum oberen Schätzungsrahmen. 3 BGH v. 23.1.2002 – 5 StR 540/01, NJW 2002, 1733; BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NJW 2002, 1134; BFH v. 18.11.2013 – X B 237/12, BFH/NV 2014, 369. 4 BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, wistra 2005, 148. 5 BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, wistra 2005, 148.

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G. Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) | Rz. 5.27 Kap. 5

– Verweigert der Steuerpflichtige (berechtigt oder unberechtigt) Angaben, darf das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO schätzen. – Für denselben Zeitraum, für den ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, ist die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen suspendiert, wenn sich der Steuerpflichtige nicht auf rechtmäßigem Weg (Rücktritt oder Selbstanzeige) aus seiner Konfliktlage befreien kann. – Für nicht vom Ermittlungsverfahren betroffene Besteuerungszeiträume bestehen die Steuererklärungspflichten strafrechtlich auch dann fort, wenn ein inhaltlicher Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren besteht. – Die Erklärungspflicht wird (per se) auch nicht bei Einkünften aus Straftaten suspendiert (z.B. Bestechungsgelder als sonstige Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG).1 – Der Nemo-tenetur-Grundsatz berechtigt nicht zur Abgabe einer inhaltlich falschen Steuererklärung oder Wiederholung falscher Angaben. – Es kommt zu einem strafrechtlichen Verwendungsverbot allein hinsichtlich derjenigen Angaben, die zu einer mittelbaren Selbstbelastung für die (zurückliegenden) bereits von einem Ermittlungsverfahren erfassten Jahre und Steuerarten führen.

1 BGH v. 5.5.2004 – 5 StSR 139/03, wistra 2004, 391 (392), wobei jedoch angesichts der möglichen Durchbrechung des Steuergeheimnisses gem. § 30 AO eine Reduzierung des Erklärungsumfangs in Betracht kommt, d.h. die Einkünfte müssen nur betragsmäßig, aber nicht unter Benennung der Einkunftsquelle benannt werden.

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100 | Peters

Kapitel 6 Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/ Ermittlungsverfahrens A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Auslöser für internationale Steuerstrafverfahren . . . . . . . . . . . . . . C. Verfahrensgrundlagen I. Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . . . II. Prozessualer Tatbegriff . . . . . . . . III. Vorermittlungen und Vorfeldermittlungen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zum Anfangsverdacht 4. Staatsanwaltliche Vorermittlungen 5. Aussetzung des Verfahrens . . . . . . D. Exkurs: Inländische Sammelauskunftsersuchen/Gruppenanfragen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sammelauskunftsersuchen an inländische Banken bei offenen Auslandstransfers . . . . . . . . . . . . III. Cash-Kreditkartenkonten . . . . . . IV. Tafelpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Weitere Anforderungen an Sammelauskunftsersuchen . . . . . . . . . VI. Pflicht zur Anzeige des in ausländischen Zweigniederlassungen inländischer Kreditinstitute verwahrten Vermögens des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Weiterleitung von Kontrollmaterial über Kapitalanlagen in der Schweiz durch Steuerfahndung . E. Steuerliche Verwertungsverbote/ Verjährung I. Verletzung der steuerrechtlichen Verfahrensvorschriften bei der Informationsgewinnung . . . . . . . . . II. Verjährungsunterbrechung . . . . III. Überprüfung des Anfangsverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen

6.1 6.4 6.8 6.12 6.17 6.18 6.21 6.22 6.28

6.29 6.35 6.36 6.37 6.38

6.39 6.40

6.43 6.44 6.46

I. Herausgabe/Sicherstellung/Beschlagnahme 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlagnahmebeschluss . . . . . . . 3. Beschlagnahmeobjekte . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schutz des Beratungsverhältnisses a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlagnahme beim steuerlichen Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlagnahme beim Verteidiger 7. Entbindung von der Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Aufhebung der Beschlagnahme . . 9. Bestätigung der Beschlagnahme . . II. Durchsuchung 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchsuchung beim Verdächtigen (§ 102 StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchsuchung beim Unverdächtigen (§ 103 StPO) . . . . . . . . . . . . . . 4. Durchsuchungszweck . . . . . . . . . . 5. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Durchsuchungsantrag . . . . . . 7. Der Durchsuchungsbeschluss . . . . 8. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . 9. Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Durchsicht von Papieren (§ 110 StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Zufallsfunde . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Durchsuchungsobjekte a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchsuchung der Beraterkanzlei c) Durchsuchung beim Verteidiger d) Durchsuchung beim Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Durchsuchung von Unternehmen/Banken . . . . . . . . . . . . . . . . f) EDV-Anlagen/E-Mail Postfächer

6.51 6.56 6.57 6.58 6.59 6.65 6.66 6.69 6.70 6.74 6.75 6.77 6.80 6.81 6.83 6.85 6.87 6.89 6.100 6.101 6.102 6.103 6.104 6.105 6.109 6.110 6.112 6.114

Peters | 101

Kap. 6 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens III. Exkurs: Reichweite des Steuergeheimnisses im Ermittlungsverfahren 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchbrechung des Steuergeheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuergeheimnis und Durchsuchung bei Dritten . . . . . . . . . . . IV. Rechtsschutz gegen Durchsuchungsmaßnahmen und Beschlagnahmen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweckmäßigkeitsüberlegungen . . 3. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auskunft über den Anzeigeerstatter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verhaltenshinweise bei Durchsuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen/StrEG . . . . . . G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übersicht möglicher Rechtshilfehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einzelmaßnahmen . . . . . . . . . . . IV. Schwedische Initiative 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Anforderungen . . . . . . 3. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zurückhaltung von Informationen oder Erkenntnissen bei eingehenden Ersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Spontanauskünfte . . . . . . . . . . . . . 6. Länderspezifische Besonderheiten 7. Verwendung der Daten . . . . . . . . 8. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Europäische Ermittlungsanordnung (§ 91a ff. IRG) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . 4. Ablehnungsgründe (§ 91e IRG) . . 5. Übermittlung der Beweismittel . . 6. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Relevante Einzelmaßnahmen im Steuerstrafrecht mittels EEA . . . 1. Einziehung und Sicherstellung von Vermögenswerten mittels EEA . .

102 | Peters

6.119 6.122 6.125

6.126 6.128 6.129 6.130 6.140 6.141

6.143 6.145 6.146 6.147 6.155 6.157 6.158 6.162 6.163 6.165 6.166 6.170 6.174 6.186 6.192 6.194 6.195 6.203 6.207

2. Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.208 3. Ersuchen um Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.211 4. Beweisanträge auf Vernehmung im Ausland befindlicher Zeugen . . . . 6.214 5. Vernehmung mittels Videokonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.219 6. Videokonferenz nach EEA . . . . . . 6.224 7. Ersuchen um Durchsuchung/Beschlagnahme/Herausgabe . . . . . . 6.226 8. Überwachung des Fernmeldeverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.231 9. Überwachung des Fernmeldeverkehrs mittels EEA . . . . . . . . . . . . . 6.235 10. Ausgehende Ersuchen im Übrigen 6.238 11. Eingehende Ersuchen . . . . . . . . . . 6.241 12. Sonstige grenzüberschreitende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.242 13. Anwesenheit deutscher Beamter im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.244 VII. Sonstige Aspekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit . 6.247 VIII. Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Erkenntnisse 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . 6.250 2. Die Verwertungsverbote im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.255 3. Unionsrechtliche Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.265 4. Verwertungsverbot und Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.271 5. Verwertbarkeit ausländischer Telefonüberwachungsmaßnahmen . . 6.273 6. Verwertbarkeit von „Steuer-CDs“ und sonstigen Daten/Erkenntnissen Dritter im Ermittlungsverfahren a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.281 b) Kombinierter Ansatz . . . . . . . . . 6.288 c) Beweiserhebung/-verwertung im Rahmen der Hauptverhandlung/ Urteilsfindung . . . . . . . . . . . . . . 6.292 d) Überprüfung der Beweisführungskette (chain of evidence) . . . . . . 6.300 H. Untersuchungshaft I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.303 II. Der dringende Tatverdacht . . . . 6.306 III. Inhaltliche Anforderungen an den Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.310 IV. Die Haftgründe 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.313

Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens | Kap. 6 2. Flucht und Fluchtgefahr a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.314 b) Wohnsitz im Ausland . . . . . . . . . 6.318 c) Straferwartung . . . . . . . . . . . . . . . 6.321 d) Beraterfehler . . . . . . . . . . . . . . . . 6.324 3. Verdunkelungsgefahr . . . . . . . . . . 6.325 4. Apokryphe Haftgründe . . . . . . . . . 6.329 V. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . 6.332 VI. Vollstreckung des Haftbefehls 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.334 2. Die Vorführung . . . . . . . . . . . . . . . 6.335 3. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . 6.336 4. Beschränkungen in der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.338 VII. Außervollzugsetzung des Haftbefehls 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.344 2. Die Sicherheitsleistung . . . . . . . . . 6.345 3. Außervollzugsetzung und Beschleunigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . 6.346 VIII. Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (§ 121 Abs. 1 StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.352 IX. Vermögensbeschlagnahme gem. § 290 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.355 X. Der europäische Haftbefehl 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.356 2. Der Spezialitätsgrundsatz . . . . . . . 6.364 3. Ablehnungsmöglichkeiten . . . . . . 6.366 XI. Erzwingungshaft bei Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.367 XII. Rechtsmittel 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.370 2. Haftprüfung (§ 117 StPO) . . . . . . 6.371 3. Haftbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . 6.372 XIII. Vermögenabschöpfung 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.374 2. Anordnung des dinglichen Arrests nach AO (Grundzüge) . . . . . . . . . 6.376 3. Arrestschuldner . . . . . . . . . . . . . . . 6.378 4. Arrestanspruch . . . . . . . . . . . . . . . 6.379 5. Arrestgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.382 J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.386 II. Einziehung 1. Grundzüge der Einziehung . . . . . . 6.392 2. Zeitliche Anwendbarkeit . . . . . . . . 6.399 3. Einziehung als Strafe . . . . . . . . . . . 6.402

III. Überblick über die wichtigsten Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.406 IV. Einziehung des Tatertrages/Wertersatzes (§ 73 Abs. 1, § 73c StGB) 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.407 2. Höhe der Einziehung . . . . . . . . . . 6.412 3. Vertreterfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.419 V. Mehrere Tatbeteiligte/Abtrennung von Verfahrensbeteiligten . 6.426 VI. Einziehung bei Unternehmen . . . 6.433 VII. Abzugsfähigkeit bestimmter Aufwendungen (§ 73d StGB) . . . . . . 6.437 VIII. Erlöschen des Steueranspruchs bei Verständigungsverfahren . . . 6.438 IX. Anrechnung gezahlter Steuern . . 6.448 X. Einziehung von Taterträgen bei Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.451 XI. Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft (§ 76a StGB) 1. Grundsätze der erweiterten Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.460 2. Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft bei Katalogtaten . . . 6.468 3. Einziehung Vermögen unklarer Herkunft bei Dritten . . . . . . . . . . . 6.474 XII. Nachträgliche Einziehung . . . . . . 6.477 XIII. Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten . . . . 6.478 XIV. Praktische Überlegungen . . . . . . 6.479 XV. Strafprozessuale Sicherungsmaßnahmen/Vermögensarrest (§§ 111b ff. StPO) 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.481 2. Verhältnis von steuerlichen und strafrechtlichen Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.483 3. Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung (§§ 111e ff. StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.502 XVI. Verfahrensablauf im Ermittlungsverfahren 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.505 2. Arrestantrag/Arrestbeschluss . . . . 6.507 3. Sicherungsgründe . . . . . . . . . . . . . 6.515 4. Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.522 5. Sicherung der Vermögenswerte . . 6.524 6. Absonderungssrecht des Fiskus . . 6.528 XVII. Absehen nach § 421 StPO . . . . . . 6.529 XVIII. Notveräußerung . . . . . . . . . . . . . . 6.531

Peters | 103

Kap. 6 Rz. 6.1 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens XIX. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . K. Grenzüberschreitende Arrestierung, Einziehung und Sicherstellung von Vermögenswerten . . . . I. Vorläufige Sicherung . . . . . . . . . II. Sicherung mittels Europäischer Ermittlungsanordnung . . . . . . . . III. Gegenseitige Anerkennung von Sicherstellung und Einziehungsentscheidungen 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . .

6.532 6.533 6.534 6.536

6.538 6.541

3. Inhalt der Verordnung a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . c) Formeller Ablauf . . . . . . . . . . . . d) Versagungsgründe . . . . . . . . . . . e) Vollstreckungsverfahren . . . . . . f) Beteiligte Behörde . . . . . . . . . . . 4. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vollstreckungshilfe bei Einziehungsentscheidungen . . . . . . . . .

6.543 6.544 6.545 6.547 6.549 6.555 6.559 6.560 6.567

Literatur: Ahlbrecht, Die Europäische Ermittlungsanordnung oder EU-Durchsuchung leicht gemacht, StV 2013, 114; Ahlbrecht, Europäische Ermittlungsanordnung – Durchsuchung à la Europäischer Haftbefehl, StV 2018, 601; Ambos, Beweisverwertungsverbote, Berlin 2010; Apitz, Auskunftsersuchen der Steuerfahndung im Rahmen von Vorfeldermittlungen, StBp 2006, 224; Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europäischen Union, 2007; Böse, Die Europäische Ermittlungsanordnung – Beweistransfer nach neuen Regeln?, ZIS 2014, 152; Brodowski, Strafrechtsrelevante Entwicklungen in der Europäischen Union, ZIS 2020, 285; Bülte, Verwertung von im Ausland erlangten Beweismitteln und Anwendungsvorrang des Unionsrechts als Grenze von Verfahrensrechten im nationalen Strafprozess – Zu BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 und EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 und 399/11, ZWH 2013, 219; Duda/Schubert, Die Europäische Ermittlungsanordnung, IWB 2018, 760; Gleß, Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung, Baden-Baden 2006; Kaufmann, Europäische Staatsanwälte überall, DRiZ 2013, 390; Keller, Europa treibt zentrale Justiz-Projekte voran, DRiZ 2014, 86; Leonhart, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, Berlin 2017; Löwe-Krahl, Ausländische Konten: Meldepflicht der Banken, PStR 2007, 26; Matthes, Noch Sammelauskunftsersuchen oder schon „Rasterfahndung“, PStR 2007, 166; Matthes, Zwischen Durchsuchung und Rasterfahndung – Verdachtsbegründung und Ermittlungsmöglichkeiten der Steuerfahndung, wistra 2008, 10; Nagler, Verteidigung gegen im Ausland gewonnene Ermittlungsergebnisse, StV 2013, 324; Neu, Voraussetzungen und Grenzen sogenannter Sammelauskunftsersuchen, EFG 2008, 759; Pawlik, Zur strafprozessualen Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter ausländischer Bankdaten, JZ 2010, 693; Pitsch, Strafprozessuale Beweisverbote, Hamburg 2009; Rüsken, Außenprüfung, Nachschau und Steuerfahndung im Rechtsstaat, in DStJG 31 (2008), 243; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, Berlin 2006; Seitz, Der Ankauf von Steuerdatensätzen in strafrechtlicher und strafprozessualer Sicht, Ubg 2014, 380; Stiebig, Die Zurechnung von Verfahrenshandlungen in Vertragsstaaten der EMRK, ZJS 2012, 614; Swoboda, Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im deutschen Strafverfahren, HRRS 2014, 11; Tischbein, Zu den Voraussetzungen eines Sammelauskunftsersuchens der Steuerfahndung, WuB X § 30a AO 1.03; Trossen, Verwertungsverbot bei zielgerichteter Erforschung der Verhältnisse dritter Personen, EFG 2004, 1421; Wedelstädt, Sammelauskunftsersuchen – Zulässigkeit, Rechtsschutz, AO-StB 2011, 19; Weidemann, Zur Zulässigkeit des Sammelauskunftsersuchens aufgrund von § 208 I 1 Nr. 3 AO, wistra 2006, 452; vgl. die Literaturnachweise vor Rz. 12.1.

A. Einleitung 6.1

Das Steuerstrafverfahren im Internationalen Steuerstrafrecht ist stets ein reguläres, innerstaatliches strafrechtliches Ermittlungsverfahren, für welches neben den einschlägigen Vorschriften der AO die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren (subsidiäre) Anwendung fin104 | Peters

B. Auslöser für internationale Steuerstrafverfahren | Rz. 6.4 Kap. 6

den (§ 385 AO), mithin auch die EMRK, das IRG, ggf. DBA (zu den Auswirkungen im Bereich der Amts- und Rechtshilfe s. Rz. 8.1 ff.) und sonstige innerstaatliche Strafverfahrenvorschriften.1 Die Besonderheit besteht darin, dass supranationale Normen und insbesondere die Rechtsprechung des EuGH noch stärker in den Fokus rücken und auch andere Rechtsordnungen, bspw. das Strafverfahrensrecht anderer Staaten, von Bedeutung sind. In Ermangelung eines zumindest auf europäischer Ebene nicht harmonisierten/einheitlichen Strafverfahrensrechts kann dies bisweilen zu praktischen Schwierigkeiten führen, bspw. was die Anordnung und Verwertung von Erkenntnissen aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen betrifft. Das Steuerstrafverfahren wird für die ermittelnden Beamten konkretisiert durch die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) -AStBV 2020.Diese stellen eine Arbeitshilfe dar, können jedoch die einschlägigen Rechtsgrundlagen weder einschränken noch erweitern oder darüber entscheiden, welcher Rechtsauffassung im Zweifel zu folgen ist.2 Die AStBV sollen ihrer Zielsetzung nach der einheitlichen Handhabung des Gesetzes dienen und die reibungslose Zusammenarbeit der zur Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten berufenen Stellen der Finanzbehörden untereinander, mit anderen Stellen der Finanzbehörden sowie mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften gewährleisten (Einführung Abs. 1 AStBV).

6.2

Im Hinblick auf das Internationale Steuerstrafrecht treffen die AStBV nur wenige Aussagen. Als Rechtsgrundlagen der zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen wird knapp auf die multi- und bilateralen Verträge sowie – ergänzend, für die dort nicht geregelten Fragen – auf das IRG und die RiVASt verwiesen. Anschließend findet sich der Hinweis, dass Rechtshilfeverkehr auch bei vertragslosem Zustand möglich ist und sich in diesem Fall ausschließlich nach nationalem Recht, insbesondere dem IRG richtet (Nr. 1 Abs. 2 AStBV).

6.3

B. Auslöser für internationale Steuerstrafverfahren Die Auslöser für internationale Steuerstrafverfahren sind vielfältig. Oftmals ergeben sich Verdachtsmomente aus der Betriebsprüfung, etwa wenn auffällige Zahlungen ins Ausland entdeckt werden und ein Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG in Rede steht. Ebenso sind Trusts, Stiftungen, Briefkasten- oder Domizilgesellschaften im Ausland verstärkter Beobachtung unterzogen. Von zunehmender Bedeutung ist auch die Gewinnverlagerung in sog. Steueroasen und der gesamte Komplex, was Verrechnungspreise betrifft. Nach Erstattung einer Selbstanzeige erfolgt ebenso die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, um die Wirksamkeit selbiger zu überprüfen.3 Aber auch Auffälligkeiten in der regulären Steuererklärung können Anlass bieten, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten, etwa wenn plötzlich ausländische Kapitalerträge erklärt werden. Innerhalb der Behörden besteht zudem die Möglichkeit, Informationen auszutauschen, z.B. im Wege sog. Kontrollmitteilungen. Vielfach ergeben sich auch aus bereits geführten Strafverfahren Anhaltspunkte für weitere Steuerstraftaten. Insbesondere Erbschaften und Schenkungen führen immer wieder zur Einleitung von Strafverfahren. In jüngerer Zeit werden auch vermehrt Korrekturen nach § 153 AO zum Ge1 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 23f. 2 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 27, die ebenfalls eine unmittelbare Außenwirkung ablehnt, zu Recht jedoch auf eine Selbstbindung der Verwaltung abstellt. 3 Kritisch hierzu J.R. Müller, Selbstanzeige2, Rz. 114 ff., 215.

Peters | 105

6.4

Kap. 6 Rz. 6.4 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

genstand von (Vor-)ermittlungen. Die ist Teils dem Umstand geschuldet, dass die Korrekturerklärung „selbstanzeigefest“ gestaltet wird, oder der Tatsache, dass Finanzämter zunehmend für steuerstrafrechtliche Problematiken sensibilsiert sind oder sich des Flankenschutzes bedienen. Insbesondere im Bereich digitaler Dienstleistungen kommt es häufig zu der Situation, dass Unternehmen nachträglich eine Steuerpflicht im Inland erkennen und entsprechende Korrekturen vornehmen. Beispiel: A unterhält über Jahre hinweg ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz. Nach seinem Tod wird das Konto auf den Namen seiner Frau umgeschrieben. Die deutschen Behörden erhalten hierüber eine Geldwäscheverdachtsanzeige nach dem GwG. Unternehmen A gibt während der laufenden – mit atmosphärischen Spannungen belasteten – Betriebsprüfung eine Korrekturerklärung im Hinblick auf die unterbliebene Weitergabe ausländischer Skonti an die inländische Muttergesellschaft. Die steuerlichen Auswirkungen sind erheblich. Schon aufgrund der Höhe der Korrektur schaltet die Betriebsprüfung die örtliche Steuerfahndung ein. Das ausländische Unternehmen A erkennt, dass die von ihm aus dem Ausland heraus angebotenen und in Deutschland in Anspruch genommenen Streaming Dienstleistungen steuerpflichtig sind.

6.5

Ebenso sind die Zollbehörden zu Mitteilung befugt und verpflichtet, etwa wenn beim Grenzübertritt Bargeld oder Bargeld gleichgestellte Mittel1 von mehr als 10.000 Euro festgestellt werden.2 Die Zollbeamten sind befugt, die Einhaltung der Anmeldung, auch mittels körperlicher Durchsuchung, sicherzustellen. Für die Bewertung ausländischer Barmittel gilt der jeweilige Tageskurs.

6.6

Auch Umsatzsteuer-Nachschauen gem. § 27b UStG münden gelegentlich in der Einleitung von Strafverfahren. Schließlich sind Selbstanzeigen, Anzeigen durch private Dritte (ehemalige Mitarbeiter, Ehegatten) zu nennen. Weitere mögliche Ermittlungsmaßnahmen/Erkenntnisquellen sind: – Auskunftseinholung (§§ 161, 163 StPO), – Identitätsfeststellung (§§ 163b, 127 StPO), – Telefonüberwachung bei Katalogstraftaten, – Anzeigen Dritter, – Observation (z.B. zur Frage der Ansässigkeit), – Zeugenvernehmung, – Beschuldigtenvernehmung, – Chi-Quadrat Test, – Auswertung von Chiffre Anzeigen,3 – Mitteilung nach § 31b AO bei Verdacht auch Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung, – Ankauf von Steuer CDs, – Mitteilung bei Grundstücksgeschäften (§ 18 GrEStG), 1 Schecks, Zahlungsanweisungen, Wechsel, Solawechsel, Aktien, Schuldverschreibungen, Zinsscheine. 2 Zum Ganzen auch J.R. Müller, Selbstanzeige2, Rz. 130. 3 BFH v. 17.3.1992 – VII 122/91, BFH/NV 1992, 791.

106 | Peters

C. Verfahrensgrundlagen | Rz. 6.9 Kap. 6

– internationaler Informationsaustausch, – Rechtshilfe, Rechtshilfeübernahmeersuchen. Hinzu kommt, dass die Steuerfahndung auch unbekannte Steuerfälle zu erforschen hat und daher anders als Polizei und Staatsanwaltschaft „aktiv auf die Jagd“ nach Steuersündern geht und dabei mitunter sehr einfallsreich ist. Verstärkt in den Fokus geraten sind zuletzt Anbieter elektronischer Dienstleistungen (Video on Demand, E-Tickets, Online Streaming von Sportveranstaltungen). Praktisch bislang unbedeutsam, aber zukünftig zu erwarten ist der gesamte Bereich der Kryptowährungen.1

6.7

C. Verfahrensgrundlagen I. Anfangsverdacht Voraussetzung für die Einleitung eines Strafverfahrens ist stets ein Anfangsverdacht. Den Begriff des Anfangsverdachts kennt die StPO nicht. Das Gesetz umschreibt das hiermit gemeinhin bezeichnete Erfordernis als das Vorliegen „hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte“.2 Sinn und Zweck des Anfangsverdachts ist es, den Bürger vor unnötigen, unbegründeten und unangemessenen staatlichen Übergriffen, insbesondere Willkür zu schützen. Der Begriff des Anfangsverdachts umschreibt ein Moment, bei welchem der Bürger mit strafprozessualen Zwangsmaßnahmen rechnen muss und ab dem er als Beschuldigter zu behandeln, und damit insbesondere nach § 136 Abs. 1 Satz 2, 3 StPO zu belehren ist. Der Anfangsverdacht verhindert zugleich, dass die Ermittlungsbehörden grenzenlos und ohne einen konkreten Bezug zu einer Straftat Daten erheben und sammeln.3 Ein den Verfolgungszwang auslösender Anfangsverdacht liegt vor, wenn es nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist,4 mithin die Möglichkeit einer späteren Verurteilung besteht.5 Die Möglichkeit bezieht sich auf vier Komponenten:

6.8

– Tatbegehung, – Subsumtion der Tat unter einen Straftatbestand, – Nachweis der Tatbegehung mit prozessual zulässigen Beweismitteln, – Fehlen von Verfahrenshindernissen. Das erforderliche Maß an Gewissheit ist um ein Vielfaches geringer als etwa ein hinreichender Tatverdacht, der zur Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens führt (§§ 170 Abs. 1, 203 StPO), oder gar ein dringender Tatverdacht, der erhebliche Grundrechtseingriffe zulasten des Beschuldigten rechtfertigt (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). 1 Zum Ganzen Heuel in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1852 ff. 2 Zum Ganzen Ebert, Der Tatverdacht im Strafverfahren, 2000; Kammann, Der Anfangsverdacht, 2003; Schulz, Normiertes Misstrauen, 2001; zum Anfangsverdacht im Steuerstrafverfahren Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 124 ff.; Hellmann in FS Kühne, 2013, 235 ff. 3 Kammann, Der Anfangsverdacht, 2003, 53. 4 BVerfG v. 23.7.1982 – 2 BvR 8/82, NStZ 1982, 430; BVerfG v. 18.1.1994 – 2 BvR 1912/93, NJW 1994, 783; BGH v. 21.4.1988 – III ZR 255/86, NJW 1989, 96 (97); Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt63, § 152 StPO Rz. 4; Freund, GA 1995, 13; Kuhlmann, NStZ 1983, 130. 5 Zum Anfangsverdacht im Steuerstrafverfahren vgl. auch Mavany in Löwe/Rosenberg27, §152 StPO Rz. 41.

Peters | 107

6.9

Kap. 6 Rz. 6.10 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.10

Eine für Steuerstrafverfahren bedeutsame und für die Strafprozessordnung aufschlussreiche, freilich nicht bindende inhaltliche Ausgestaltung des Legalitätsprinzips findet sich in § 10 Abs. 1 Satz 1 BpO, wonach der die Ermittlungspflicht der Strafverfolgungsbehörde begründende Verdacht grundsätzlich nur dann angenommen werden kann, wenn sich dieser auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte stützen lässt. Hierzu existieren gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder.1 Dort ist gleichsam festgelegt, dass bloße Vermutungen eine Mitteilungspflicht des Betriebsprüfers nicht auszulösen vermögen. Vielmehr müssen Anhaltspunkte für die mögliche Durchführung eines Strafverfahrens vorliegen, die im Weiteren exemplarisch ausgeführt werden, etwa wenn sich bei sog. Kontrollmitteilungen eine fehlende Verbuchung ergibt. Auch das bloße Durchführen von Kalkulationen und Verprobungen, wie Richtsatzverprobungen, Geldverkehrsrechnungen, Zeit-Reihen-Vergleiche oder Abweichungen der Betriebsergebnisse von amtlichen Richtsatzsammlungen, kleinere Buchführungsmängel und offensichtliches schuldloses Verhalten führen per se nicht zur Annahme eines Anfangsverdachts.2 In jedem Falle unzulässig ist es, bereits aufgrund grenzüberschreitender Bezüge des steuerlichen Verfahrens auf mögliche strafrechtliche Implikationen zu schließen. Eine solche Tendenz ist insbesondere vor dem Hintergrund der Regelung des §§ 370 Abs. 3 Nr. 6 AO (Verwendung von Drittstaatsgesellschaften) in jüngerer Zeit zu beobachten. Auch die bloße Nutzung ausländischer Konten oder das Verwenden ausländischer Depots sind per se nicht geeignet, einen Anfangsverdacht zu begründen.

6.11

Umgekehrt soll ein Anfangsverdacht anzunehmen sein bei gewichtigen Differenzen, ungebundenen Privatentnahmen, schwerwiegenden Buchführungsmängeln, verschwiegenen oder irreführenden Bankkonten, wesentlich zu niedrig bewerteten Aktiv-Beständen, wesentlich zu hoch bewerteten Passiv-Beständen, Selbstanzeigen, Belegfälschung. Steht fest, dass eine Straftat begangen wurde, kann auch aus einem legalen Verhalten einer Person ohne Weiteres auf einen Anfangsverdacht geschlossen werden.3 Anders zu beurteilen sind Fälle, in denen eine konkrete Straftat noch nicht bekannt ist, bestimmte legale Handlungen einer Person es jedoch nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheinen lassen, dass sich die Person strafbar gemacht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann in solchen Fällen ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat durch ein an sich legales Verhalten begründet werden, wenn weitere Anhaltspunkte hinzutreten.4 Im Internationalen Steuerstrafrecht wird dies bei steuerlichen Gestaltungen der Fall sein, bei denen die Gesamtumstände strafrechtliche Rückschlüsse zulassen, bspw. wenn für die Einschaltung einer Offshore Gesellschaft kein plausibler Grund ersichtlich ist, oder an sich einfach gelagerte Sachverhaltskonstellationen (z.B. Erwerb von Wohneigentum) künstlich mittels Einschaltung von (ausländischen) Zwischengesellschaften verkomplizieert werden oder Treuhänder, Mittelsmänner oder Finanzintermediäre eingesetzt werden. 1 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden zu Anwendungsfragen zu § 10 Abs. 1 BpO v. 31.8.2009 – 3-S 1400/2, BStBl. I 2009, 829. 2 Vgl. auch die Beispiele bei J.R. Müller, Selbstanzeige2, Rz. 10. 3 BVerfG v. 20.9.2018 – 2 BvR 708/18, juris unter Verweis auf Schmitt in MeyerGoßner/Schmitt61, § 152 StPO Rz. 4a; Hoven in Fischer/Hoven, Verdacht, 2016, 117, 121 und 132; siehe auch Peters in MK-StPO, § 152 StPO Rz. 39. 4 BVerfG v. 20.9.2018 – 2 BvR 708/18, NStZ-RR 2019, 118 unter Verweis auf BVerfG v. 23.3.1994 – 2 BvR 396/94, juris, Rz. 16–19; BVerfG v. 15.8.2014 – 2 BvR 969/14, juris, Rz. 38; siehe dazu auch LG Regensburg v. 10.10.2014 – 2 Qs 41/14, StRR 2015, 106, Rz. 17; Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt63, § 152 StPO Rz. 4a; Jahn in Fischer/Hoven, Verdacht, 2016, 147, 157; Hoven, NStZ 2014, 361 (365 ff.).

108 | Peters

C. Verfahrensgrundlagen | Rz. 6.16 Kap. 6

Vor dem Hintergrund, dass die Finanzbehörde auch unbekannte Fälle zu erforschen hat, ist dies in der Praxis nur dann ein Problem, wenn die Finanzverwaltung bereits die Grenze zum Anfangsverfacht überschritten hat, gleichwohl rein im steuerlichen Verfahren tätig ist, etwa Auskünfte auf steuerlichem Wege einholt, obgleich bereits ein strafrechtliches Rechtshilfeersuchen angezeigt wäre. Mit Blick auf ein womögliches Verwertungsverbot ist in geeigneten Fällen der Zeitpunkt der Bejahung des Anfangsverdachts genau zu prüfen.

II. Prozessualer Tatbegriff Wegen unterschiedlicher Steuern und jeweils isoliert zu betrachtender Veranlagungszeiträume und vor dem Hintergrund des grenzüberschreitenden Bezugs mit Blick auf eine womögliche Doppelbestrafung oder ggf. einen bereits eingetretenen Strafklageverbauch kommt dem prozessualen Tatbegriff im Internationalen Steuerstrafrecht besondere Bedeutung zu.

6.12

Ggf. kommt die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige in Betracht, wenn die Steuerstraftaten im Rahmen der Durchsuchung nicht entdeckt werden und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den im Durchsuchungsbeschluss aufgeführten Taten stehen. (vgl. bspw. zur Frage der Selbstanzeige bei der Hinterziehung ausländischer Steuern nach § 370 Abs. 6 AO.

6.13

Der Begriff der Tat im prozessualen Sinne bestimmt den Prozessgegenstand, und zwar vor allem in folgender Hinsicht:

6.14

– Begrenzung des Verhandlungsstoffes (§§ 151, 155 Abs. 1 StPO); – Gegenstand der Urteilsfindung ist nur die in der Anklage und im Eröffnungsbeschluss gem. § 207 StPO bezeichnete Tat (§ 264 Abs. 1 StPO); – Umfang der Rechtskraft (Art. 103 Abs. 3 GG: ne bis in idem): Prozesshindernis für ein neues Strafverfahren wegen derselben Tat. Im Ermittlungsverfahren erlangt der Tatbegriff vor allem an folgenden Punkten Bedeutung:

6.15

– Am Ende des Ermittlungsverfahrens muss der Staatsanwalt die Taten im prozessualen Sinne formell abschließen, denn nur diese sind Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung. – Nur eigenständige Taten i.S.d. § 264 StPO können Gegenstand einer Teileinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO sein. – Bei Einstellungsverfügungen nach § 154 bzw. § 154a StPO kommt es entscheidend darauf an, ob eine oder mehrere Taten im prozessualen Sinne vorliegen. – Taten, die hiervon nicht umfasst sind, sind nicht Verfahrensgegenstand, sodass ggf. noch eine wirksame Selbstanzeige in Betracht kommt. Beispiel: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen A aufgrund einer anonymen Anzeige wegen des Verdachts der Bestechung und Steuerhinterziehung für die Jahre 2011 und 2010. Entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse werden erlassen und vollstreckt. Auch in den Jahren 2008 und 2009 hat A Steuern verkürzt, die jedoch mit dem Tatvorwurf in keinerlei Zusammenhang stehen.

Ggf. kommt die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige in Betracht, wenn die Steuerstraftaten im Rahmen der Durchsuchung nicht entdeckt werden und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den im Durchsuchungsbeschluss aufgeführten Taten stehen.

Peters | 109

6.16

Kap. 6 Rz. 6.17 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

III. Vorermittlungen und Vorfeldermittlungen 1. Überblick 6.17

Die Arbeit der Steuerfahndung beginnt früher als die Arbeit der Staatsanwaltschaft, da es ihre Aufgabe ist, auch unbekannte Steuerfälle zu erforschen. Sie wird insofern doppelfunktional tätig.

2. Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung 6.18

Geben die der Steuerfahndung bekannten Tatsachen einen Anfangsverdacht nicht her, ist auch kein förmliches Ermittlungsverfahren einzuleiten.1 Abzugrenzen in diesem Zusammenhang sind jedoch sog. Vor- oder Initiativermittlungen und Vorfeldermittlungen2 oder proaktives Handeln.3 Erstere sollen zur Klärung beitragen, ob die tatsächlich bereits vorhandenen Tatsachen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens tragen.4 Vorfeldermittlungen hingegen sollen überhaupt erst der Gewinnung solcher Tatsachen dienen. Nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ist es Aufgabe der Steuerfahndung, auch unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln (vgl. auch Nr. 146 Abs. 1 AStBV 2017). Was die Finanzbehörde darunter versteht, ist in Nr. 122 AStBV 2017 niedergelegt, nämlich Maßnahmen zur Gewinnung von Erkenntnissen, ob ein Verdacht gegeben und ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Die Einschränkungen des § 93 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 und des § 97 Abs. 2 und 3 AO gelten gem. § 208 Abs. 1 Satz 2 AO nicht; d.h. die Steuerfahndung kann unmittelbar Auskünfte von Dritten verlangen, ohne dass der Betroffene zunächst heranzuziehen oder zu informieren ist.

6.19

In tatsächlicher Hinsicht liegt der Schwerpunkt der Steuerfahndung bei der softwaregestützten Auswertung,5 etwa von Online-Auktionen im Hinblick darauf, ob es sich um einkommenund umsatzsteuerpflichtige Vorgänge handelt. Ein Schwerpunkt ist weiter die Beobachtung von Grundstücks- und Immobilienveräußerungen und Handel mit hochwertigen Kraftfahrzeugen bzw. Ersatzteilen im In- und Ausland.

6.20

In Betracht kommen weiter mediale Veröffentlichungen zu angedachten Sitzverlegungen oder Verschmelzungen von Firmen, Zuzug- oder Wegzug bekannter Persönlichkeiten. So kommt es etwa regelmäßig zu sog. Geldwäscheverdachtsanzeigen, wenn im Rahmen des Zuzugs in die Bundesrepublik auch Gelder auf deutsche Konten transferiert werden. Beispiel: A veräußert aus Angst um seine Sicherheit seine ausländische Firma und emigriert in die Bundesrepublik. Den in seinem Heimatland versteuerten Veräußerungserlös transferiert er auf eine deutsche Bank, die eine Geldwäscheverdachtsanzeige (§ 11 GwG) erstattet. Aus der eingeholten Auskunft des Einwohnermeldeamts erfährt die Steuerfahndung, dass A bereits vor der Veräußerung über einen Zweitwohnsitz in Deutschland verfügte. Im konkreten Fall unterstellte die Steuerfahndung und später die Staatsanwaltschaft, der Veräußerungserlös sei in Deutschland zu versteuern gewesen, da A bereits überwiegend in der BRD aufhältig gewesen sei und somit unbeschränkt steuerpflichtig war.

1 Dahs, NJW 1985, 1114; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 152 StPO Rz. 4. 2 Hierzu Artzt, Vorfeldermittlungen, 2002; Hoppe, Vorfeldermittlungen, 1999; Zöller, Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen, 2002; Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 216. 3 Zum Ganzen Weßlau in FG Hilger, 2003, 59; Weßlau, Vorfeldermittlungen, 1989. 4 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, §152 StPO Rz. 4a. 5 Etwa mittels der Programme ZIVED, XPider oder IDEA oder durch Verwendung elektronischer Verprobungsmethoden.

110 | Peters

C. Verfahrensgrundlagen | Rz. 6.24 Kap. 6

3. Abgrenzung zum Anfangsverdacht Ein Verdachtsgrad im Sinne eines Anfangsverdachts ist nicht erforderlich. Ein hinreichender Anlass genügt und liegt vor, wenn aufgrund besonderer Anhaltspunkte oder allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt. Dieser hinreichende Anlass ist jedoch abzugrenzen von sog. „Ermittlungen ins Blaue hinein“, die unzulässig sind.1

6.21

4. Staatsanwaltliche Vorermittlungen Im Übrigen sind lediglich Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft zulässig.2 Die Ablehnung der Zulässigkeit von Vorfeldermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft gründet darauf, dass ohne irgendwelche Tatsachen ein Anfangsverdacht zu verneinen und ein Einschreiten nach dem Legalitätsprinzip nicht geboten ist.3 Die Begrenzungsfunktion des Anfangsverdachts zum Schutz des Bürgers vor unberechtigter Strafverfolgung würde ausgehebelt. Vorfeldermittlungen sind vielmehr präventiv ausgerichtete Arbeit der Ermittlungsbehörden. Die Zulässigkeit von Vorermittlungen wird durch die Anzeigepflichten des § 159 Abs. 1 StPO indiziert, die Anlass zu Vorermittlungen geben können.4 Durch die Zulassung von Vorermittlungen wird der Betroffene eher geschützt, als dass sie ihm schaden. Die mitunter faktisch diskreditierende und stigmatisierende Wirkung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens kann auf diese Weise vermieden werden, wenn sich auch hiernach kein Anfangsverdacht ergeben hat. Vorermittlungen werden in der Praxis in der Regel nicht unter einem Js-, sondern einem AR-Aktenzeichen geführt.5

6.22

Das Vorermittlungsverfahren unterscheidet sich dabei nicht unerheblich vom Ermittlungsverfahren. Der Betroffene erlangt keinen Beschuldigtenstatus. Strafprozessuale Eingriffs- und Zwangsmaßnahmen sind unzulässig.6 Treffen die Staatsanwaltschaft, die Steuerfahndung oder die Polizei eine Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen, ist der Tatverdächtige jedoch nach dem Rechtsgedanken des § 397 Abs. 1 AO in den Beschuldigtenstatus gerückt. Der Anfangsverdacht ist dann konkludent bejaht und ein Ermittlungsverfahren durch einen Willensakt der Staatsanwaltschaft, der Steuerfahndung oder Polizei eingeleitet.7

6.23

Eine solche Vorgehensweise bietet sich insbesondere dann an, wenn Unternehmen proaktiv an die Staatsanwaltsschaft herantreten, etwa weil im Rahmen einer Betriebsprüfung oder aus sonstigen Anlässen heraus ein Korrekturbedarf festgestellt worden ist. Die Erfahrung zeigt, dass eine frühzeitige Einbindung der Staatsanwaltschaft mitunter geeignet ist, weitere aus dem Strafverfahren an sich resultierende Konsequenzen zu vermeiden. Die Ablehnung der Aufnahme von Ermittlungen erfolgt nach § 152 StPO und hat die Konsequenz, dass anders als bei einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, ein förmliches Ermittlungsverfahren, das

6.24

1 BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BStBl. II 1997, 499 (505); BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01, BStBl. II 2002, 495. 2 LG Offenburg v. 25.5.1993 – Qs 41/93, NStZ 1993, 506 f.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, §152 StPO Rz. 4a; Lange, DRiZ 2002, 264. 3 Mavany in Löwe/Rosenberg27, §152 StPO Rz. 41. 4 Die Gegenansicht lehnt auch die Zulässigkeit von Vorermittlungen mit dem Argument ab, nach einer Anzeige i.S.d. § 159 Abs. 1 StPO liege ein Anfangsverdacht vor, Wölf, JuS 2001, 478. 5 Zur Kritik vgl. Gross in FS Dahs, 2005, 249 (260). 6 Lange, Vorermittlungen, 268 ff.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, §152 StPO Rz. 4a. 7 BGH v. 27.2.1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214 (228); BGH v. 28.2.1997 – StB 14/96, 2 BJs 65/ 95 – 3 – StB 14/96, NStZ 1997, 398.

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Kap. 6 Rz. 6.24 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

einen Anfangsverdacht voraussetzt, im Nachgang kein schaler Beigeschmack bleibt, der ggf. Konsequenzen für etwaige Vergaberegister oder Compliance Maßnahmen zeitigt. Auch presse- und damit reputationstechnisch ist es stets eher von Vorteil, wenn das Unternehmen kommunizieren kann, dass die Aufnahme von Ermittlungen mangels Anfangsverdachts abgelehnt, als dass ein Ermittlungsverfahren eingestellt wurde.

6.25

Beispiel: Das international tätige Unternehmen A erlangt über die Innenrevision Erkenntnisse, dass die im Ausland gegründete Gesellschaft zur Zentralisierung des Einkaufs vor Ort tatsächlich nicht mehr in dem Umfang tätig ist, wie dies noch zu Beginn der Fall war. Die dort zuvor tätigen Mitarbeiter – insbesondere der Geschäftsführer – arbeiten mehr und mehr aus dem Inland heraus und halten sich – wenn überhaupt – nur noch einmal die Woche in den Geschäftsräumlichkeiten auf. Im Zuge der Vorermittlungen ergibt sich, dass die Geschäftsführer der ausländischen Gesellschaft seit drei Jahren keine doppelte Haushaltsführung mehr geltend machen und sich auch die Wegstrecken massiv reduziert haben. Die deutsche Muttergesellschaft hatte von alldem keine Kenntnis. Insbesondere die Geschäftsführer spiegelten die ganze Zeit vor, dass der gesamte operative Geschäftsbetrieb – wie seinerzeit anwaltlich beraten vereinbart – vor Ort stattfindet.

6.26

Das oben genannte Beispiel zeitigt insbesondere im Hinblick auf eine Verrechnung von Leistungen der ausländischen Tochtergesellschaft zur Mutter erhebliche Konsequenzen. Daneben sind in nicht unerheblichem Maße umsatzsteuerrechtliche Probleme in einer Vielzahl von Ländern betroffen, wenn der gesamte Einkauf für das weltweit tätige Unternehmen über die eine Tochtergesellschaft zentralisiert wurde. Auch vor dem Hintergrund des neuen Unternehmensstrafrechts und vor dem Hintergrund der exkulpierenden Wirkung von ComplianceMaßnahmen, insbesondere was den Vorsatz betrifft, muss es in derartigen Fällen von Anfang an Ziel des Unternehmens sein, ein etwaiges Organisationsverschulden der deutschen Muttergesellschaft zu widerlegen.

6.27

Eine Untätigkeit des Unternehmens hätte hingegen die (unangenehme) Folge der Einleitung eines Strafverfahrens und eine mögliche Geldbuße gegen das Unternehmen zur Folge. Wenn dann noch im Rahmen einer Durchsuchung Anhaltspunkte dafür gefunden werden, dass die deutsche Mutter um die Probleme wusste, indes untätig blieb, ist in der Praxis davon auszugehen, dass mindestens der Vorsatz in Form des Dolus Eventualis festgeschrieben ist. Für eine strafbefreiende Selbstanzeige bliebe in solch einer Situation kein Raum mehr. Aus der Praxis heraus ist zu konstatieren, dass Strafverfolgungsbehörden in besonderem Maße darauf Rücksicht nehmen, wenn unternehmensintern ein noch in genauerem Umfang festzustellender Korrekturbedarf festgestellt, dies aber unverzüglich gegenüber womöglich späteren beteiligten Behörden kommuniziert wird.

5. Aussetzung des Verfahrens 6.28

Hängt die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon ab, ob ein Steueranspruch dem Grunde nach besteht, ob Steuern verkürzt oder ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind, so kann das Strafverfahren gem. § 396 AO ausgesetzt werden, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Hierüber entscheidet im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft, im Verfahren nach Erhebung der öffentlichen Klage das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen.1 Ein Anspruch des Beschuldigten besteht nur in den Fällen der Ermessensreduktion auf Null.2 Der Sinn und Zweck der Norm liegt darin, widersprechende 1 BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126; BGH v. 4.4.1951 – 1 StR 92/51, BGHSt 1, 92; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, NJW 1987, 1273. 2 BGH v. 19.12.1990 – 3 StR 90/90, NStZ 1991, 240.

112 | Peters

D. Exkurs: Inländische Sammelauskunftsersuchen/Gruppenanfragen | Rz. 6.30 Kap. 6

Entscheidungen zu vermeiden. Während der Aussetzung des Verfahrens ruht die Verjährung. Eine solche Verfahrensweise kommt im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts häufiger vor, da hier steuerliche Vorfragen in der Regel entscheidungserheblich sind. Sie ist indes ausgeschlossen, wenn das Finanzgericht oder die Finanzbehörde erklärt hat, die eigene Entscheidung bis zur abschließenden Klärung des Sachverhalts im Strafverfahren auszusetzen.1 Auch kommt eine Aussetzung nicht in Betracht, wenn der Steueranspruch feststeht und lediglich die Höhe des verkürzten Betrags fraglich ist, etwa in Schätzungsfällen.2

D. Exkurs: Inländische Sammelauskunftsersuchen/Gruppenanfragen I. Einführung Besondere Bedeutung für den Bereich der Vorfeldermittlungen im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts kommt den vonseiten der Steuerfahndung initiierten Sammelauskunftsersuchen, die sich an Kreditinstitute und/oder Anleger richten und in denen bestimmte Informationen über steuerlich relevante Vorgänge erfragt werden, zu. Besonderes Interesse gilt dabei von jeher Überweisungen/Transaktionen mit Auslandsbezug, da per se vermutet wird, dass ein Großteil der daraus resultierenden Erträge in der Folgezeit nicht der Besteuerung unterworfen wurde. Auch so genannte Gruppenanfragen, insbesondere in Bezug auf Onlineplattformen/Internetauktionshäuser und sonstige entgeltliche Onlinedienste (Videochat und Streamingpakttformen),3 werfen nunmehr strafrechtliche Fragestellungen auf, beispielsweise was die Tatentdeckung für die Selbstanzeige betrifft (vgl. Rz. 12.79).

6.29

Gruppenersuchen sind dabei bereits unterhalb der Schwelle eines strafrechtlichen Anfangsverdachts möglich. Der BFH fordert in ständiger Rechtsprechung für Nachforschungen sowohl nach unbekannten Steuerpflichtigen als auch nach bisher unbekannten steuerlichen Sachverhalten lediglich einen hinreichenden Anlass.4 Ein solcher liegt vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte (z.B. wegen der Besonderheit des Objektes oder der Höhe des Wertes) oder aufgrund allgemeiner Erfahrung (auch konkreter Erfahrungen für bestimmte Gebiete) die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt und daher eine Anordnung bestimmter Art angezeigt ist. Für ein berechtigtes Auskunftsverlangen ist aber ausreichend, dass die Steuerfahndung im Rahmen einer Prognoseentscheidung im Wege vorweggenom-

6.30

1 BGH v. 6.6.1973 – 1 StR 82/72, NJW 1973, 1562. 2 BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, NStZ 2007, 589; vgl. auch Mellinghoff, Stbg 2014, 97 (103, 104). 3 Zu den Voraussetzungen vgl. BMF-Merkblatt, BStBl. I 2015, 928, 938 f., Nr. 4.1.3; Roth, Sammelauskunftsersuchen und internationale Gruppenanfragen, 150 ff.; Czakert in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 26 Rz. 60; Stahl, KÖSDI 14, 18687, 18692. 4 Zum Begriff des hinreichenden Anlasses vgl. Urteile/Beschlüsse BFH v. 24.3.1987 – VII R 30/86, BStBl. II 1987, 484 – Vermittlungsprovisionen an Kreditvermittler; BFH v. 24.10.1989 – VII R 1/ 87, BStBl. II 1990, 198 – Auskunftsersuchen an Bank wegen ausgestellter Bescheinigungen über Finanzierungskosten; BFH v. 11.3.1992 – II R 129/88, BStBl. II 1992, 707 – Erhebung von Versicherungsteuer; BFH v. 17.3.1992 – VII R 122/91, BFH/NV 1992, 791 – Verkaufsanzeigen für Yachten im Anzeigenheft eines Yachtmaklers; BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BStBl. II 1997, 499 – Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung im Veranlagungszeitraum 1993; BFH v. 28.10.1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424 – Befugnisse der Steuerfahndung im Bankenbereich; BFH v. 25.7.2000 – VII B 28/99 – Tafelpapierentscheidung; BFH v. 4.11.2000 – I B 17/00, BStBl. II 2000, 648 – kein Bankgeheimnis bei Steuerfahndungsprüfung; BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01 – zur Rechtmäßigkeit eines Sammelauskunftsverfahrens; BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, IStR 2013, 794 (798).

Peters | 113

Kap. 6 Rz. 6.30 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

mener Beweiswürdigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auskunft zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag.1 Die allgemeine, in jedwedem Zusammenhang nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen oder Umsätze nicht erklärt werden – insbesondere wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit gering ist – genügt in diesem Zusammenhang nicht, um die Ermittlungsmaßnahmen des Finanzamts als „hinreichend veranlasst“ und nicht als Ausforschung „ins Blaue hinein“ erscheinen zu lassen.2

6.31

Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein hinreichender Anlass für Ermittlungen der Steuerfahndung zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle nach den §§ 93, 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO auch dann vorliegen kann, wenn bei Betriebsprüfungen Steuerverkürzungen aufgedeckt worden sind, die durch bestimmte für die Berufsgruppe typische Geschäftsabläufe begünstigt worden sind.3 Ein solcher begünstigender Geschehensablauf ergibt sich insbesondere, wenn Veräußerungen/Dienste über Synonyme oder Künstlernamen angeboten werden und die entsprechenden Server zudem noch im Ausland ggf. in Drittländern belegen sind, mit denen kein Rechtshilfeabkommen besteht (z.B. Server in besetzten Palästinensergebieten, Server an unbekannten Orten, Darknet).

6.32

Ermittlungen „ins Blaue hinein“, Rasterfahndungen, Ausforschungsdurchsuchungen oder ähnliche Ermittlungsmaßnahmen sind unzulässig.4 Eines konkreten Tatverdachts, wie er bei der Einleitung eines Strafverfahrens erforderlich ist, bedarf es für das Auskunftsersuchen im Rahmen von Vorfeldermittlungen nicht. Es genügt, wenn die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt.5 Beispiel: Es ergeht vonseiten der Steuerfahndung die Anfrage an eine deutsche Bank, Auskunft zu geben über sämtliche Gelder, die an ausländische Trusts, etwa auf die Cayman Islands, weitergeleitet wurden.

6.33

Das Sächsische Finanzgericht6 ging in einem gleichgelagerten Fall davon aus, dass es sich um eine unzulässige Rasterfahndung handelte. Der BFH7 bestätigte die Ansicht des Sächsischen Finanzgerichts und führt aus: 1 BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, BFHE 241, 211 = BStBl. II 2014, 225 unter Hinweis auf BFH v. 5.10.2006 – VII R 63/05, BFHE 215, 40 = BStBl. II 2007, 155; BFH v. 16.1.2009 – VII R 25/08, BFHE 224, 201 = BStBl. II 2009, 582; BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01, BFHE 198, 42 = BStBl. II 2002, 495, unter II.2.b aa; vgl. auch BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05, BVerfGE 118, 168 = BStBl. II 2007, 896, unter C.I.2.c bb. 2 Nds. FG v. 30.6.2015 – 9 K 343/14, juris, Rz. 99, das hinreichende Moment ergab sich aus der Zusammenschau der diesem zur Kenntnis gelangten Umstände (branchenspezifischen Erfahrungswerte) und Fakten im Zusammenhang mit den vorhandenen Erfahrungswerten beim Online-Handel. Die Finanzverwaltung hatte festgestellt, dass in rund 40 % der an die Finanzämter übergegebenen und geprüften Fälle die Nutzer ihre über die in Rede stehende Online-Plattform erzielten steuerpflichtigen Umsätze und Einnahmen nicht oder nicht vollständig versteuert hatten. 3 Nds. FG v. 30.6.2015 – 9 K 343/14, juris, Rz. 112, unter Verweis auf BFH v. 5.10.2006 – VII R 63/ 05, BStBl. II 2007, 155; Nds. FG v. 27.8.2013 – 8 K 78/12, EFG 2014, 99 (Rev. BFH II R 17/14). 4 Vgl. BFH v. 29.10.1986 – VII R 82/85, BFHE 148, 108 = BStBl. II 1988, 359; BFH v. 24.3.1987 – VII R 30/86, BFHE 149, 404 = BStBl. II 1987, 484; BFH v. 17.3.1992 – VII R 122/91, BFH/NV 1992, 791; BFH v. 16.7.2002 – IX R 62/99, BFHE 199, 451 = BStBl. II 2003, 74. 5 BFH v. 29.10.1986 – VII R 82/85, BFHE 148, 108 = BStBl. II 1988, 359. 6 FG Sachsen v. 24.10.2007 – 1 K 1925/06, DStRE 2008, 837, hierzu Weigel, AO-StB 2008, 182; Neu, EFG 2008, 759. 7 BFH v. 16.1.2009 – VII R 25/08, BStBl. II 2009, 582; vgl. hierzu die Anmerkungen von Krain, AOStB 2009, 161; Wegner, PStR 2009, 127.

114 | Peters

D. Exkurs: Inländische Sammelauskunftsersuchen/Gruppenanfragen | Rz. 6.36 Kap. 6 „Die allgemeine, in jedwedem Zusammenhang nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen nicht erklärt werden – insbesondere wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit gering ist, wie bei Einkünften der hier vom Streit betroffenen Art –, genügt in diesem Zusammenhang nicht, um die Ermittlungsmaßnahmen des FA als ‚hinreichend veranlasst‘ und nicht als Ausforschung ‚ins Blaue hinein‘ erscheinen zu lassen, wenn anders die in der ständigen Rechtsprechung des BFH vorgenommene Unterscheidung zwischen solchen Ermittlungen und sog. „Rasterfahndungen“ einerseits und andererseits durch hinreichende, konkrete Anhaltspunkte, welche die Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen in besonderem Maße wahrscheinlich erscheinen lassen, veranlassten Ermittlungen jede Bedeutung verlieren soll.“

Ist ein hinreichender Anlass für Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung gegeben, scheidet die Annahme einer Rasterfahndung oder einer Ermittlung ins Blaue hinein aus.1 Die Finanzbehörde darf eine Auskunft von Personen, die nicht am Besteuerungsverfahren beteiligt sind, nur verlangen, wenn sie zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist.2

6.34

Dass die Daten auf ausländischen Servern gespeichert sind, steht der Auskunftserteilung an das Finanzamt in technischer Hinsicht nicht entgegen, soweit der Betroffene auf die Daten im Rahmen der ihr nach dem Datenverarbeitungsvertrag obliegenden Aufgaben und Pflichten zugreifen kann.3 Ggf. hat er hierfür Sorge zu tragen.

II. Sammelauskunftsersuchen an inländische Banken bei offenen Auslandstransfers Im Zusammenhang mit Sammelauskunftsersuchen an inländische Banken bei offenen Auslandstransfers wird der hinreichende Anlass für die auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO gestützten Ermittlungen der Steuerfahndung aufgrund allgemeiner Erfahrung bejaht, insbesondere aufgrund der aus anderen bereits abgeschlossenen Bankenverfahren gewonnenen Erkenntnisse mit gleichem Lebenssachverhalt (Geldtransfers nach Luxemburg).4 Es wird als gerichtsbekannt angenommen, dass sich in den 90er Jahren eine Vielzahl von örtlichen und überörtlichen (Raiffeisen-, Volks-)Banken und (Kreis-)Sparkassen wegen Geldtransfers nach Luxemburg mit Steuerfahndungsmaßnahmen konfrontiert sahen. Der BFH geht davon aus,

6.35

„dass gerade in der Zeit vor Einführung der 35%igen Quellensteuer auf Kapitaleinkünfte im Jahr 1993 viele Anleger nach Wegen gesucht und Wege eingeschlagen haben, um Vermögenswerte [...] dem Steuerfiskus zu verbergen“.5

III. Cash-Kreditkartenkonten Cash-Kreditkartenkonten eignen sich nicht dazu, bar eingezahlte Geldbeträge unentdeckt ins Ausland zu verbringen. Die Verwendung eines legitimationspflichtigen Kontos zur Einzahlung von Schwarzgeld birgt eher die Gefahr der Enttarnung, als dass es der Verschleierung 1 BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01, BStBl. II 2002, 495. 2 BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, IStR 2013, 794 zu Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung zu Daten in Luxemburg der Nutzer einer Handelsplattform. 3 BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, IStR 2013, 794 (798). 4 FG Nürnberg v. 12.10.2004 – VI 345/2003 unter Verweis auf BFH v. 28.10.1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424; BFH v. 6.2.2001 – VII B 277/00, BStBl. II 2001, 306; BFH v. 15.6.2001 – VII B 11/00, BStBl. II 2001, 624. 5 BFH v. 15.6.2001 – VII B 11/00, BStBl. II 2001, 624 (625).

Peters | 115

6.36

Kap. 6 Rz. 6.36 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

von Zahlungswegen dient.1 In einem konkreten Fall wurde mangels weiterer verdachtsbegründender Momente und wegen einer Vielzahl bloßer Vermutungen eine unzulässige Rasterfahndung angenommen.

IV. Tafelpapiere 6.37

Allein die Inhaberschaft sog. Tafelpapiere, verbunden mit der Einlieferung in die Sammeldepotverwahrung, begründet wegen der grundsätzlichen Legalität und Üblichkeit derartiger Geschäfte keinen hinreichenden Verdacht.2 Eine unzulässige Rasterfahndung kann nicht nur dann vorliegen, wenn jedwede Anhaltspunkte für steuerlich erhebliche Umstände fehlen, sondern auch dann, wenn ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren in einem Kreditinstitut mit einem bestimmten Auftrag dazu benutzt wird, ohne Rücksicht auf einen etwaigen Zusammenhang mit diesem Auftrag bestimmte Verhaltensweisen von Kunden dieses Kreditinstituts in ihrer Totalität oder jedenfalls möglichst vollständig zu erfassen mit dem Ziel, in allen Fällen undifferenziert, d.h. unabhängig von der Höhe der festgestellten Beträge oder von sonstigen Besonderheiten, die Vorgänge auf ihre steuerlich korrekte Erfassung einer Überprüfung zu unterziehen.

V. Weitere Anforderungen an Sammelauskunftsersuchen 6.38

Die Anforderungen für die Einholung einer Sammelauskunft gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 AO gehen im Rahmen der Steuerfahndung nicht über die Anforderungen hinaus, die der Steuerfahndung bei den Ermittlungen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO auferlegt sind.3 Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen sind eingehalten, wenn das Auskunftsverlangen zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und – gemessen an der Bedeutung der Angelegenheit – notwendig und verhältnismäßig erscheint sowie dem Adressaten des Ersuchens die Erteilung der Auskunft möglich und zumutbar ist.4

VI. Pflicht zur Anzeige des in ausländischen Zweigniederlassungen inländischer Kreditinstitute verwahrten Vermögens des Erblassers 6.39

Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung forderte die Steuerfahndungsstelle die Bank auf, alle von der Betriebsstätte in London verwalteten Vermögensgegenstände und Forderungen, die bei dem Tod eines inländischen Erblassers zu dessen Vermögen gehörten oder über die dem Erblasser zur Zeit seines Todes die Verfügungsmacht zustand, dem jeweils für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt anzuzeigen und der Steuerfahndungsstelle eine Mehrfertigung zu übersenden.5 Im konkreten Fall wurde eine „Rasterfahndung“ nach bestimmten Bankkunden verneint, sondern lediglich die Durchsetzung der gesetzlichen Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 ErbStG angenommen, der die Klägerin bis dahin nicht nachgekommen war. In der jahrelangen Nichterfüllung der Anzeigepflicht durch die Bank und die

1 FG Köln v. 27.9.2005 – 6 K 5353/04, EFG 2006, 161. 2 BFH v. 25.7.2000 – VII B 28/99, BStBl. II 2000, 643 unter Verweis auf Nds. FG v. 4.12.1998 – X 524/98 V, EFG 1999, 149. 3 FG Baden-Württemberg v. 14.7.2005 – 4 V 24/04, EFG 2005, 1822. 4 Vgl. BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BFHE 183, 45 = BStBl. II 1997, 499; BFH v. 16.1.2009 – VII R 25/08, BStBl. II 2009, 582. 5 BFH v. 31.5.2006 – II R 66/04, BFHE 215, 520; vgl. hierzu Löwe-Krahl, PStR 2007, 26; Heinrichshofen, ErbStB 2007, 32; Kilches, BFH/PR 2007, 113.

116 | Peters

D. Exkurs: Inländische Sammelauskunftsersuchen/Gruppenanfragen | Rz. 6.42 Kap. 6

Klägerin liegt nach Ansicht des BFH ein „konkreter Moment“, der das Tätigwerden der Steuerfahndung als geboten erscheinen lässt.

VII. Weiterleitung von Kontrollmaterial über Kapitalanlagen in der Schweiz durch Steuerfahndung Die Steuerfahndung darf Kontrollmaterial über von einem inländischen legitimationsgeprüften Konto aus getätigte Kapitalanlagen in der Schweiz bei hinreichendem Anlass an das Wohnsitz-Finanzamt weiterleiten, ohne dass ein strafrechtlicher Anfangsverdacht bestehen muss.1 Werden etwa im Rahmen einer Fahndungsprüfung bei einer Bank Belege aufgefunden, wonach von einem inländischen Depotkonto bei dieser Bank Gelder auf ein Konto bei einer Schweizer Bank überwiesen und ein Teilbetrag in der Folgezeit zurücküberwiesen wurde, genügt dies zur Bejahung eines Anfangsverdachts nicht.

6.40

Ein strafrechtlicher Verdacht, der weitergehende prozessuale Maßnahmen rechtfertigt, ist allein wegen der Überweisung eines hohen Betrags auf das Schweizer Konto nicht begründet, wenn die Überweisung in banküblicher Weise von einem gem. § 154 Abs. 2 AO legitimationsgeprüften Konto vorgenommen wird.2 Ein hinreichender Anlass kann indes anzunehmen sein, wenn aufgrund der gesamten Umstände für ein Tätigwerden im Steuerverfahren ein von einem solchen konkreten Verdacht unabhängiger hinreichender Anlass bestand. Dies können beispielsweise die Höhe des in die Schweiz überwiesenen Betrags und das Schweizer Bankgeheimnis (das mitunter Steuerpflichtige zu Kapitalanlagen in der Schweiz veranlasst, um die inländische Besteuerung zu vermeiden) sein.3

6.41

Gleiches gilt, wenn Feststellungen getroffen wurden, wonach auch Unterlagen über nicht anonymisierte Zahlungsvorgänge für die Untersuchung Beweisbedeutung haben konnten, etwa wenn angesichts der von der Bank angebotenen Möglichkeiten der Geldanlage bei deren Auslandsniederlassungen und nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis der Verdacht bestand, dass diese Anlagemöglichkeiten von den Anlegern vor allem zum Zweck der Steuerhinterziehung genutzt wurden.4 § 30a Abs. 3 AO ist so auszulegen, dass Kontrollmitteilungen nicht nur bei Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts gegen den Bankkunden, sondern bereits bei einem hinreichenden Anlass für ein Tätigwerden im Steuerverfahren gefertigt und ausgeschrieben werden dürfen.5 Die Befugnis der Steuerfahndung zur Weiterleitung des Kontrollmaterials an das Finanzamt ergibt sich aus § 208 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 194 Abs. 3 AO.6

6.42

1 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9 mit Anm. Bauhaus, AO-StB 2006, 10; Wegner, PStR 2006, 124. 2 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9 unter Verweis auf BFH v. 6.2.2001 – VII B 277/00, BFHE 194, 26 = BStBl. II 2001, 306 und BFH v. 29.1.2002 – VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749. 3 Vgl. auch Ruegenberg, Das nationale und internationale Steuergeheimnis im Schnittpunkt von Besteuerungs- und Strafverfahren, 2001, 126 f. 4 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9. 5 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9 unter Verweis auf BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BFHE 183, 45 = BStBl. II 1997, 499; und BFH v. 15.12.1998 – VIII R 6/98, BFHE 187, 302 = BStBl. II 1999, 138. 6 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9.

Peters | 117

Kap. 6 Rz. 6.43 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

E. Steuerliche Verwertungsverbote/Verjährung I. Verletzung der steuerrechtlichen Verfahrensvorschriften bei der Informationsgewinnung 6.43

Ein Verwertungsverbot im Strafverfahren bei Verletzung der steuerrechtlichen Verfahrensvorschriften bei der Informationsgewinnung wird gemeinhin abgelehnt.1 Die Frage nach einem Verwertungsverbot ist im Besteuerungsverfahren nach abgabenrechtlichen Vorschriften, ggf. unter Einbeziehung vorrangiger Verfassungsgrundsätze zu beantworten (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO). Ein allgemeines, gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht nach allgemeiner Ansicht im Besteuerungsverfahren nicht.2 Auch eine Fernwirkung von Verfahrensverstößen ist weder im Gesetz vorgesehen noch verhältnismäßig. Es würde dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, Feststellungen nur deswegen nicht der Besteuerung zugrunde zu legen, weil in früheren Stadien des Verfahrens Verfahrensfehler gemacht worden sind, während bei Steuerehrlichen alle Feststellungen uneingeschränkt der Besteuerung zugrunde gelegt werden und damit die unredlichen Steuerpflichtigen gegenüber den ehrlichen Steuerpflichtigen besser gestellt würden.3 Selbst in rechtswidriger Weise sichergestellte Beweismittel unterliegen dann keinem Verwertungsverbot, wenn sie ohne Rechtsverstoß hätten erlangt werden können (vgl. Rz. 6.255 ff. zum Verwertungsverbot). Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, nicht nur gegen die Maßnahmen der Steuerfahndung vorzugehen, sondern auch Beschwerde gegen die richterlichen Durchsuchungsbeschlüsse einzulegen.

II. Verjährungsunterbrechung 6.44

Neben den allgemeinen Regelungen zur strafrechtlichen Verjährungsunterbrechung des § 78c Abs. 1 StGB kommt im Internationalen Steuerrecht der Regelung des § 78c Abs. 1 Nr. 12 StGB besondere Bedeutung zu, wonach jedes richterliche Ersuchen, eine Untersuchungshandlung im Ausland vorzunehmen, die Verjährung unterbricht. Hierunter sind namentlich Rechtshilfeersuchen oder innerstaatliche Rechtshilfe durch konsularische Vertretung der Bundesrepublik im Ausland zu fassen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass ausländische Strafverfolgungsübernahmeersuchen nicht auf die Unterbrechung der Verjährung gerichtet sind.4

6.45

Im Übrigen gelten die allgemeinen Anforderungen an die Unterbrechung der Verjährung, d. h. die entsprechende Handlung muss sich gegen eine bestimmte Person und auf eine bestimmte Tat beziehen. Unzulässig und keine Verjährung bewirkend, ist indes die mitunter zu beobachtende Verfahrensweise gegen mehrere Beteiligte auf Grundlage hypothetischer Sachverhalte einzuleiten, mit dem Ziel die Verjährung gegen alle zu unterbrechen (bspw. wenn mehrere Sachverhaltsvarianten denkbar sind, aber nur eine verwirklicht sein kann). Nach hier vertretener Ansicht kommt eine Verjährungsunterbrechung hinsichtlich eines Allgemeindelikts bei Handlungen der Finanzbehörde nur dann in Betracht, wenn es sich um eine einheitliche prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO handelt. Der Gesetzgeber hat sich mit § 386 Abs. 1

1 2 3 4

FG Baden-Württemberg v. 5.2.2007 – 6 K 408/02, juris. FG Baden-Württemberg v. 5.2.2007 – 6 K 408/02, juris. FG Baden-Württemberg v. 5.2.2007 – 6 K 408/02, juris; Joecks J/J/R8, § 393 AO Rz. 53. Fischer67, § 78c StGB Rz. 22.

118 | Peters

E. Steuerliche Verwertungsverbote/Verjährung | Rz. 6.48 Kap. 6

Satz 1 AO bewusst dafür entschieden, die Finanzbehörden lediglich mit Kompetenzen hinsichtlich des Verdachts einer Steuerstraftat auszustatten.1 Beispiel: Entdeckt ein Betriebsprüfer nicht abzugsfähige Schmiergeldzahlungen nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 EStG und belehrt er den Steuerpflichtigen gem. § 10 BpO2 über die Einleitung des Strafverfahrens und darüber, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren gem. § 393 Abs. 1 Satz 2 AO nicht mehr erzwungen werden kann, ist zunächst nur die Verjährung hinsichtlich der Steuerhinterziehung unterbrochen. Eine Verjährungsunterbrechung hinsichtlich darüber hinaus verwirklichter Untreuen oder Korruptionstaten ist nur dann zu bejahen, wenn es sich um eine einheitliche prozessuale Tat handelt.

III. Überprüfung des Anfangsverdachts Der Verdachtsbegriff unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle nach § 23 EGGVG.3 Die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten sind keine Justizverwaltungsakte, sondern Prozesshandlungen.4 Gegen Handlungen der Staatsanwaltschaft, die die Einleitung, den Ablauf oder die Beendigung des Strafverfahrens betreffen, ist dem Betroffenen allein die Dienstaufsichtsbeschwerde gegeben. Missbraucht die Staatsanwaltschaft ihren Beurteilungsspielraum, kann darin ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegen.5 Dieser ist nach einer Verfahrensrüge im Revisionsverfahren zu beachten. Ein Verstoß wird zumeist im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt.6

6.46

Der Staatsanwaltschaft ist bei der Prüfung, ob ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 StPO vorliegt, in tatsächlicher Hinsicht ein Beurteilungsspielraum und auch in rechtlicher Hinsicht eine gewisse Freiheit bei der Bildung ihrer Auffassung eröffnet. Die darauf gestützte Entscheidung, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, ist im Amtshaftungsprozess nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.7

6.47

Unvertretbar ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nur dann, „wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die Einleitung der Ermittlun-

6.48

1 Zur Frage der Unterbrechung der Verjährung durch die Finanzbehörde bei Zusammentreffen mit Allgemeindelikten vgl. BGH v. 24.10.1989 – 5 StR 238/89, wistra 1990, 59; OLG Braunschweig v. 24.11.1997 – Ss (S) 70/97, wistra 1998, 71; Fischer67, § 78c StGB Rz. 6a unter Verweis auf OLG Frankfurt v. 5.9.1986 – 1 Ws 163/86, wistra 1987, 32, der keine unterbrechende Wirkung durch Handlungen der Finanzbehörde hinsichtlich tatmehrheitlich oder tateinheitlich begangener Allgemeindelikte annimmt. 2 Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung – BpO 2000 – v. 15.3.2000, Bundesanzeiger Nr. 58, S. 4898, BStBl. I 2000, 358, zuletzt geändert durch Art. 1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift v. 22.1.2008, BStBl. I 2008, 274. 3 So aber die rechtspolitische Forderung von Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241 (2246 ff.); zum Ganzen auch Matthes in Kohlmann, § 404 AO Rz. 64 f.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 127, Peters in MK-StPO, § 152 Rz. 55. 4 OLG Hamm v. 6.1.1984 – 1 VAs 12/84, NStZ 1984, 280; OLG Hamburg v. 28.8.1984 – VAs 10/ 84, NStZ 1984, 567; Kammann, Der Anfangsverdacht, 2003, 180. 5 BGH v. 21.7.2005 – 1 StR 78/05, JR 2006, 300 mit Anm. Lesch. 6 BGH v. 18.11.1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 335 (Lockspitzel). 7 OLG Düsseldorf v. 27.4.2005 – I-15 U 98/03, 15 U 98/03, NJW 2005, 1791 unter Verweis auf BGH v. 21.4.1988 – III ZR 255/86, NJW 1989, 96; BGH v. 15.5.1997 – III ZR 46/96, WM 1997, 1755; BGH v. 23.10.2003 – III ZR 9/03, NJW 2003, 3693; vgl. hierzu Lorz, NJW 2005, 2657; Neuling, StV 2006, 332.

Peters | 119

Kap. 6 Rz. 6.48 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

gen gegen den Beschuldigten nicht mehr verständlich ist.“1 Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist bereits dann amtspflichtgemäß, wenn der als möglich angenommene Sachverhalt in rechtlich vertretbarer Weise eine Strafbarkeit des Beschuldigten annehmen lässt.2

6.49

Fehlen indes hinreichende Angaben zum Tatverdacht, kann eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme (z.B. Beschlagnahme) aufgehoben werden.3 Das Willkürverbot erfasst letztlich nur Extremfälle eines fehlenden oder evident vorhandenen Anfangsverdachts.4 Eine Ermittlung ist nur in den seltensten Fällen unzulässig, weil der Verdachtsgrad zu niedrig war. Anderenfalls wäre die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege gefährdet. Letztlich bewegt sich der Staatsanwalt bei der Beurteilung des Anfangsverdachts im Dreieck der Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) und der Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB) sowie der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB).5

6.50

Ungeachtet dessen ergeben sich jedoch aus einer Überprüfung des Anfangsverdachts durch den Verteidiger nicht selten Argumentationsmöglichkeiten im Hinblick auf den weiteren Fortgang des Verfahrens. In der Praxis ist freilich zu bemängeln, dass die inhaltlichen Voraussetzungen des Anfangsverdachts und der darauf basierenden Zwangsmaßnahmen vielfach, wenn überhaupt, nur unzureichend überprüft oder überhaupt nicht moniert werden.

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen I. Herausgabe/Sicherstellung/Beschlagnahme 1. Einführung 6.51

Die Führung eines Tatnachweises ist nach der Strafprozessordnung nur mit Beweismitteln möglich. In Steuerstrafverfahren sind dies in der Regel Urkunden (Rechnungen, Verträge, Lieferscheine, Umsatzaufstellungen) und elektronische Dateien. Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind gem. § 94 Abs. 1 StPO in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.6 Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, bedarf es der Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO).

6.52

Die Strafprozessordnung sieht ein abgestuftes System der Erlangung gegenständlicher Beweismittel vor. Auf der untersten Stufe steht die Sicherstellung von Beweismitteln (§ 94 StPO), alsdann folgt die Verpflichtung zu Herausgabe nach § 95 StPO für Dritte (der Beschuldigte ist zur Mitwirkung nicht verpflichtet), erst wenn Gegenstände nicht freiwillig herausgegeben werden, folgt gem. § 94 Abs. 2 Satz 1, § 98 Abs. 1 StPO die Beschlagnahme, die ggf. aber nicht zwingend mit der Durchsuchung durchgesetzt wird.

1 BGH v. 21.4.1988 – III ZR 255/86, NJW 1989, 96; OLG Dresden v. 21.2.2001 – 6 U 2233/10, StV 2001, 581. 2 Vgl. auch LG Bonn v. 15.2.2008 – 1 O 414/03, juris; Fluck, NJW 2001, 202. 3 BVerfG v. 3.9.1991 – 2 BvR 279/90, NJW 1992, 551. 4 Vgl. etwa LG Bielefeld v. 14.1.1999 – Qs 701/98 I, NStZ 1999, 581. 5 OLG München v. 3.4.1985 – 2 Ws 232/85, NStZ 1985, 549 (550). 6 Zum Ganzen auch Hauschild in MK-StPO, § 94 StPO Rz. 3, 10 f.; Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 320 ff.; Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 30 ff.

120 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.57 Kap. 6 Beispiel: Steuerberater A befindet sich im Besitz von tatrelevanten Unterlagen, die keinem Beschlagnahmeverbot unterliegen. Er bittet jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit um eine förmliche Beschlagnahme.

Die Mitnahme zur Durchsicht ist keine Beschlagnahme.

6.53

Wer einen Gegenstand, der als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein kann in seinem Gewahrsam hat, ist nach § 95 Abs. 1 StPO verpflichtet, ihn auf Erfordern der Strafverfolgungsbehörde vorzulegen und auszuliefern. Im Falle der Weigerung können gegen ihn die in § 70 StPO bestimmten Ordnungs- und Zwangsmittel festgesetzt werden (§ 95 Abs. 2 Satz 1 StPO). Das gilt jedoch nicht bei Personen, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind (§ 95 Abs. 2 Satz 2 StPO). Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, sieht § 94 Abs. 2 StPO deren Beschlagnahme vor.

6.54

Ein Herausgabeverlangen bietet sich immer dann an, wenn Gewissheit herrscht, dass sich ein beschlagnahmefähiger Beweisgegenstand im Gewahrsamsbereich eines herausgabepflichtigen Adressaten befindet – also nicht etwa im Gewahrsamsbereich des Beschuldigten –, es zur Erlangung des Gegenstandes nicht auf einen Überraschungseffekt ankommt, die Maßnahme erfolgversprechend ist, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung nicht entgegensteht und weder ein das Ermittlungsverfahren bedrohender Verlust der begehrten Sache zu befürchten ist noch etwaige Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind.1 Dies entspricht der allgemeinen Sachlage, wenn eine Dursuchung bei Dritten zur Erörterung steht, da diese in der Regel schon aus Gründen der Publizität ein Interesse daran haben, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren und sich andernfalls womöglich nach § 258 StGB (Strafvereitelung) strafbar machen. In der Praxis kann daher oftmals auf eine Durchsuchung verzichtet und das damit möglicherweise einhergehende Aufsehen vermieden werden.

6.55

2. Beschlagnahmebeschluss Antragsberechtigt sind im Steuerstrafverfahren neben der Sta auch die Finanzbehörde (§ 399 AO). Die zu beobachtende Praxis, dass die Finanzbehörden Durchsuchung oder Beschlagnahmebeschlüsse vorformulieren und über die StA dem Ermittlungsrichter beim Amtsgericht zuleiten, ist mithin nicht zu beanstanden. Der Beschlagnahmebeschluss kann wegen der weiten Gesetzesformulierung „Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können“ bereits ergehen, wenn nur die Möglichkeit besteht, dass der zu beschlagnahmende Gegenstand Beweisbedeutung haben kann. Erst nach einer gründlichen Auswertung der Beweismittel kann in der Regel die Relevanz festgestellt werden bzw. oftmals ergibt sich eine Relevanz auch erst im späteren Verlauf des Verfahrens. Ob der Gegenstand später beweiserheblich ist, ist irrelevant. Der Beschlagnahmebeschluss kann daher durchaus weit, indes nicht uferlos, gefasst werden.

6.56

3. Beschlagnahmeobjekte Beschlagnahmt werden können sämtlich Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können (§ 94 StPO). Dies können Sachen beweglicher Art, aber

1 LG Saarbrücken v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534; auf gleicher Linie bereits LG Berlin v. 9.4.2008 – 523 Qs 35/08, ZInsO 2008, 865; LG Potsdam v. 8.1.2007 – 25 Qs 60/06, ZIP 2008, 287; Stiller, ZInsO 2011, 1633; zum Ganzen auch Hauschild in MK-StPO, § 94 StPO Rz. 5.

Peters | 121

6.57

Kap. 6 Rz. 6.57 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

auch Daten, Datenträger, Computerausdrucke etc. sein. Bei Urkunden kann unter Umständen die Anfertigung einer beglaubigten Kopie ausreichend sein, wenn es auf das Original nicht zwingend ankommt. Dem Beschuldigten kann gestattet werden, Kopien von Urkunden oder Datenträgern (auf seine Kosten) zu fertigen. Die bloße Möglichkeit bzw. eine potenzielle Beweisbedeutung reichen aus.1

4. Zuständigkeit 6.58

Beschlagnahmen dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) angeordnet werden (§ 98 Abs. 1 StPO). Der Beamte (Steuerfahndung, Polizei, Staatsanwalt), der einen Gegenstand ohne gerichtliche Anordnung beschlagnahmt hat, soll binnen drei Tagen die gerichtliche Bestätigung beantragen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war oder wenn der Betroffene und im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener Angehöriger des Betroffenen gegen die Beschlagnahme ausdrücklichen Widerspruch erhoben hat. Der Betroffene kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen (§ 98 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich nach § 162 StPO. Der Betroffene kann den Antrag auch bei dem Amtsgericht einreichen, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat; dieses leitet den Antrag dem zuständigen Gericht zu. Der Betroffene ist über seine Rechte zu belehren.

5. Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO) 6.59

Der Beschlagnahme unterliegen in Anknüpfung an die Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 52 stopp ff. nicht: – schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die nach § 52 oder § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b das Zeugnis verweigern dürfen; – Aufzeichnungen, welche die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b – 3b StPO Genannten über die ihnen vom Beschuldigten anvertraute Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt; – andere Gegenstände einschließlich der ärztlichen Untersuchungsbefunde, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3b StPO Genannten erstreckt.

6.60

Der hinter § 97 StPO stehende Sinn und Zweck ist es, die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts durch Zugriff auf entsprechende Unterlagen zu verhindern. Zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind nach § 53 Abs. 1 Nr. 2, 3 StPO Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte. Der Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts ist auf die im Rahmen der Berufsausübung anvertrauten oder bekanntgewordenen Tatsachen begrenzt.2 Die Begrifflichkeiten der anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen sind weit auszulegen.

6.61

Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO genannten Personen reicht, ist die Beschlagnahme von Gegenständen unzulässig. Dieser Beschlagnahmeschutz erstreckt sich auch auf Gegenstände, die von den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO genannten Personen ihren Hilfspersonen (§ 53a StPO) anvertraut sind. Dies gilt entspre1 Zum Ganzen auch Hauschild in MK-StPO, § 94 StPO Rz. 21. 2 BGH v. 20.2.1985 – 2 StR 561/84, BGHSt 33, 148 = NJW 1985, 2203.

122 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.65 Kap. 6

chend, soweit die Hilfspersonen (§ 53a StPO) der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO genannten Personen das Zeugnis verweigern dürften (§ 97 Abs. 4 StPO). Die Beschränkungen der Beschlagnahme gelten dann nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist, oder wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren. Beschlagnahmeverbote, die im Inland gelten, beanspruchen auch im Ausland Geltung, etwa wenn diese im Wege der Rechtshilfe erlangt werden sollen. Die Anordnung der Durchsuchung ist bereits unzulässig. Auch eine Beschlagnahme über § 108 StPO (Zufallsfund) kommt nicht in Betracht. Die Beschränkungen der Beschlagnahme gelten nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist.

6.62

Greifen die Schutzvorschriften der StPO nicht ein, schließt dies eine schutzwürdige Vertrauensbeziehung nicht allgemein aus. Beschlagnahmeverbote können sich auch unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben, wenn wegen der Eigenart des Beweisthemas unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird.1 Dies kann der Fall sein bei besonders geschützten Verteidigungsunterlagen2 oder wenn ein besonders sensibler Bereich der Privatsphäre3 betroffen ist oder wenn durch die Beschlagnahme prozessuale Schutzvorschriften umgangen würden, etwa wenn durch die Strafverfolgungsbehörden bewusst ein sog. Rollentausch vorgenommen wurde, indem z.B. eine Beschuldigteneigenschaft bejaht wurde.4

6.63

Soweit Gegenstände zum Zwecke der Besteuerung vorzulegen sind, können die Berufsgeheimnisträger auch bei einem gleichzeitig durchgeführten Strafverfahren die Vorlage von Urkunden, Wertsachen, Geschäftsbüchern und sonstigen Aufzeichnungen, die sie für den Beteiligten aufbewahren, nicht verweigern (§ 104 Abs. 2 Satz 1 AO). § 97 StPO gilt für das Besteuerungsverfahren nicht. Dabei steht die Führung von Geschäftsbüchern und sonstigen Aufzeichnungen der Aufbewahrung gleich (§ 104 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Vorlage kann nach § 328 AO erzwungen werden. Für Zwecke des Strafverfahrens darf eine Vorlage aufgrund der für das Besteuerungsverfahren geltenden Vorschriften indes nicht verlangt werden.

6.64

6. Schutz des Beratungsverhältnisses a) Überblick Weiterhin umstritten ist die Beschlagnahmefähigkeit von Buchführungsunterlagen, soweit sie sich beim (steuerlichen) Berater befinden (§ 97 Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine Belehrung über eine womögliche Beschlagnahmefreiheit ist nicht erforderlich. Die entsprechenden Rechte werden als bekannt vorausgesetzt. Gegenstände die ein Berufsgeheimnisträger von Dritten erhalten hat, können grds. beschlagnahmt werden. Davon ausgenommen sind Verteidigungsunterlagen. 1 BVerfG v. 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 unter Verweis auf BGH v. 13.11.1997 – 4 StR 404/97, BGHSt 43, 300 = NStZ 1998, 471 (472). 2 BVerfG v. 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84) unter Verweis auf BVerfG v 30.2.2002 – 2 BvR 2248/00, NStZ 2002, 377. 3 BVerfG v. 8.3.1972 – 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373 = NJW 1972, 1123. 4 BGH v. 13.11.1997 – 4 StR 404/97, BGHSt 43, 300 = NStZ 1998, 471 (472).

Peters | 123

6.65

Kap. 6 Rz. 6.66 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

b) Beschlagnahme beim steuerlichen Berater

6.66

Von praktisch hoher Relevanz ist die Frage, ob und inwieweit Schriftstücke (Buchhaltung, Geschäftskorrespondenz, Bilanzen etc.) des Beschuldigten oder Dritten, etwa wenn dieser die Gesellschaft des Beschuldigten leitet, beschlagnahmefähig sind, wenn sich die Unterlagen beim Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer befinden.1

6.67

Eine enge Auffassung geht von einem generellen Beschlagnahmeverbot aus.2 Mitunter wird zum Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts gem. § 53 StPO3 die Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO bejaht, solange der Berater die Unterlagen noch für seine Tätigkeit benötigt.4 Überwiegend wird jedoch von einer Beschlagnahmefreiheit ausgegangen.5

6.68

Deliktsgegenstände, d.h. Tatwerkzeuge und Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht, zur Tat gebraucht oder bestimmt sind oder aus der Tat herrühren, unterfallen gem. § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht dem Beschlagnahmeverbot, etwa gefälschte Belege, rückdatierte Verträge etc. Vor dem Hintergrund der Regelungen, die den Schutz des Mandatsverhältnisses betreffen, sind solche Unterlagen nicht vom Beschlagnahmeverbot erfasst, die dem Berater lediglich zur Aufbewahrung übergeben wurden („Asyl“). c) Beschlagnahme beim Verteidiger

6.69

Gem. § 97 Abs. 1 Nr. 1 – 3 i.V.m. § 53 Nr. 2 StPO sind schriftliche Mitteilungen zwischen Verteidiger und Beschuldigten (Verteidigerpost),6 Aufzeichnungen über anvertraute oder bekannt gewordene Mitteilungen und Umstände oder andere Gegenstände, die dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen, beschlagnahmefrei, auch wenn sie von Dritten herrühren.7 Vom Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO („andere Gegenstände“) sind alle Gegenstände erfasst, die durch das geschützte Vertrauensverhältnis hervorgebracht wurden, auch wenn sie außerhalb der Sphäre des Verteidigers „entstanden“ sind. Bankunterlagen (Vermögensübersichten, Erträgnisaufstellungen) unterfallen dem Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO, wenn sie vom Berater selbst angefordert oder diesem vom Mandanten übergeben wurden, etwa mit dem Zweck, eine (strafbefreiende) Nacherklärung (§§ 153, 371 AO) zu fertigen. Dienen die Unterlagen der privilegierten Tätigkeit eines Verteidigers/Steuerberaters, kann aus § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO keine Differenzierung danach hergeleitet werden, ob der Beschuldigte 1 Zum Ganzen umfassend Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 37 ff.; Häcker in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 93 Rz. 15 ff.; Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 326 ff. 2 Vgl die Ausführungen bei Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 310, indes unter Verweis auf ältere und wohl überholte Rechtsprechung. 3 Die Beschlagnahmefreiheit entfällt mit der Entbindung von der Schweigepflicht (§ 53 Abs. 2 StPO). 4 LG Dresden v. 22.1.2007 – 5 Qs 34/2006, 5 Qs 34/06, wistra 2007, 237; LG Hamburg v. 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394; LG Frankfurt a.M. v. 15.10.2002 – 5/12 Qs 39/02, 5-12 Qs 39/02, DStR 2004, 290; LG Chemnitz v. 20.9.2000 – 4 Qs 8/00, wistra 2000, 476; LG Chemnitz v. 15.1.1999 – 5 Qs 2/99, wistra 1999, 154; grds. für Beschlagnahmefähigkeit LG München v. 23.4.1988 – 19 Qs 3/88, wistra 1988, 326; LG Stuttgart v. 4.4.1990 – 14 Qs 53/90, wistra 1990, 282; Mössner/Moosburger, wistra 2006, 211. Zur Darlegungspflicht der Ermittlungsbehörden, dass Unterlagen beschlagnahmefähig sind, AG Düren v. 16.7.2007 – 14 Gs 943/07, nv. 5 Zum Ganzen auch Hauschild in MK-StPO, § 97 StPO Rz. 35 f. 6 Solche Mitteilungen sind ausnahmsweise auch beim Mandanten selbst beschlagnahmefrei, BGH v. 13.8.1973 – 1 BJs 6/71, StB 34/73, NJW 1973, 2035; OLG Koblenz v. 6.7.1995 – 2 Ws 391/95, StV 1995, 570. 7 OLG Frankfurt v. 21.6.2005 – 3 Ws 499/05, 3 Ws 501/05, NStZ-RR 2005, 270; zum Ganzen auch Hauschild in MK-StPO, § 97 StPO Rz. 29.

124 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.72 Kap. 6

seinen Verteidiger mündlich über den Sachverhalt informiert, entsprechende Unterlagen überlässt oder diese erst anfertigen lässt.1

7. Entbindung von der Schweigepflicht Die oben genannten Beschränkungen entfallen bei einer wirksamen Entbindung von der Schweigepflicht. Die Entbindungserklärung führt dazu, dass vormals beschlagnahmefreie Gegenstände beschlagnahmefähig werden, also auch die Regelung des § 95 StPO gilt, mithin der Zeuge zur Herausgabe verpflichtet ist.

6.70

Eine Entbindung kann grundsätzlich nur von demjenigen erklärt werden, zu dessen Gunsten diese Pflicht begründet ist. Der Träger des Geheimhaltungsinteresses ist jedoch nicht stets mit dem Anvertrauenden identisch. Der Berufsgeheimnisträger soll lediglich nicht verpflichtet sein, ohne Einwilligung des Berechtigten sein Wissen preiszugeben. In Fällen natürlicher Personen ist dies in der Regel unproblematisch; bei mehreren Beteiligten müssen alle zustimmen. Eine juristische Person handelt hingegen durch ihre Organe, so dass auch nur diese eine wirksame Entbindungserklärung abgeben können. Streitig ist insbesondere, ob es einer Entbindungserklärung der Altgesellschafter bzw. der ausgeschiedenen Organe bedarf, die womöglich von den Maßnahmen betroffen sind. Die Rechtsordnung geht vom Grundsatz her nicht von einem schützenswerten Interesse der juristischen Person an strafbaren Handlungen zu ihren Gunsten oder in ihrem Interesse aus, weswegen sich das gem. § 97 StPO geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Berufsgeheimnisträger und juristischer Person nicht auf deren Organe erstreckt.2

6.71

Dahinter steht der Gedanke, dass die Organe ausschließlich im eigenen Interesse der juristischen Person handeln, wie dies auch in § 43 GmbHG (Haftung der Geschäftsführer) oder § 93 AktG (Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder) normiert ist. Das Bundesverfassungsgericht betont in diesem Kontext ausdrücklich die rechtliche Eigenständigkeit der juristischen Person auch im Zusammenhang mit den Beschlagnahmevorschriften.3 Es wird vornehmlich darauf abgestellt, dass das Interesse der Vertreter einer juristischen Person und das Interesse der vertretenen juristischen Person sich einerseits entsprechen können, sich andererseits aber auch diametral entgegenstehen; insbesondere bei Straftaten zu Lasten der Gesellschaft.4 Mit einer im Vordringen befindlichen Auffassung ist die Entbindungserklärung des aktuellen Organs, etwa des Insolvenzverwalters oder aktuellen Vorstands, Geschäftsführers, für ausreichend zu erachten.5 Denn nur derjenige kann eine Entbindungserklärung abgeben,

6.72

1 LG Dresden v. 22.1.2007 – 5 Qs 34/2006, 5 Qs 34/06, wistra 2007, 237 (239); LG Stuttgart v. 20.2.1997 – 13 Qs 2/97, DStR 1997, 1449; LG Fulda v. 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, wistra 2000, 155. 2 BVerfG v. 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84) unter Verweis auf Nack in KK, § 97 StPO, Rz. 6; Schäfer in Löwe/Rosenberg27, § 97 StPO Rz 8; offengelassen unter Hinweis auf ein fehlendes „mandantsähnliches Vertrauensverhältnis“ bei LG Hamburg v. 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942. 3 BVerfG v. 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84). 4 BVerfG v. 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84). 5 OLG Nürnberg v. 18.6.2009 – 1 Ws 289/09, NZI 2009, 817; vgl. auch die Anmerkung v. Dierlamm, StV 2011, 144; auf gleicher Linie LG Hamburg v. 6.8.2001 – 616 Qs 41/01, NStZ-RR 2002, 12; LG Lübeck v. 7.6.1977 – 4 Qs 171/77, NJW 1978, 1014; Priebe, ZIP 2011, 312 (316); Passarge, BB 2010, 591 (593); a.A. OLG Celle v. 2.8.1985 – 1 Ws 194/85, wistra 1986, 83; OLG Koblenz v. 22.2.1985 – 2 VAs 21/84, NStZ 1985, 426; OLG Düsseldorf v. 14.12.1992 – 1 Ws 1155/92, wistra 1993, 120; LG Bonn v. 29.10.2001 – 37 Qs 59/01, NJW 2002, 2261; AG Tiergarten v. 10.6.2004 – 351 Gs 4495/02, wistra 2004, 319; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 53 StPO Rz. 46; Dierlamm, StV 2011, 144; Münchhalffen, StV 1993, 347; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz2, Rz. 697.

Peters | 125

Kap. 6 Rz. 6.72 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

zu dessen Gunsten diese Schweigepflicht begründet ist, wobei unerheblich ist, wer den zugrundeliegenden Mandatsauftrag faktisch erteilt hat.1 Einer Entbindungserklärung der im Vorhinein ausgeschiedenen Organe bedarf es aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht.2 Der früher überwiegend vertretenen Ansicht ist aus mehreren Gründen nicht zu folgen.3 Abberufene Organe haben zum einen keinerlei Einfluss mehr auf die Geschicke und Belange der Gesellschaft.4 Insbesondere bei der Aufarbeitung früheren, sie betreffenden Fehlverhaltens wäre das Erfordernis einer Entbindungserklärung durch diese auch widersinnig.

6.73

Aus den vorgenannten Erwägungen kann auch bei der Entbindung von Rechtsanwälten, Steuerberatern oder gemischten Sozietäten nichts anderes gelten, wenn Vertragspartner die juristische Person ist. Etwas anderes gilt hinsichtlich des Erklärungsberechtigten freilich dann, wenn Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ggf. in einer Person vereint tätig werden, Gegenstand des Mandats auch eine persönliche Beratung im Hinblick auf womögliche strafrechtliche Implikationen ist und das Organ besonderes persönliches Vertrauen für sich in Anspruch nimmt.5 Das LG Hamburg spricht insoweit von einem „mandatsähnlichen Vertrauensverhältnis“.6 In diesen Fällen kann die Tätigkeit als Rechtsanwalt, Steuerberater und/oder Wirtschaftsprüfer nicht isoliert betrachtet werden. Die Ausführung des Mandats beinhaltet dann eine tatsächliche, personal geprägte Verständigung zwischen dem Berater und den zu beratenden Personen. In derartigen Fällen entfaltet § 53 StPO unmittelbar Schutzwirkung auch für die natürlichen Personen.7 Dies gilt jedoch nicht, wenn sich bereits aus den aufgefundenen Beweismitteln, etwa den Mandatsbedingungen, dem Mandatsvertrag oder anhand von sonstigem Schriftverkehr ergibt, dass lediglich und ausschließlich die Beratung des Unternehmens geschuldet ist und insbesondere keine strafrechtliche Beratung in Rede steht oder eine solche ausdrücklich ausgeschlossen ist.

8. Aufhebung der Beschlagnahme 6.74

Die Beschlagnahme ist aufzuheben, wenn der Grund entfallen ist, sie unzulässig war oder der Gegenstand zu Beweiszwecken nicht mehr erforderlich ist.8 Die Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung führt nur bei schwerwiegenden Mängeln zur Aufhebung der Beschlagnahme.9 Die Gegenstände sind an den Empfangsberechtigten herauszugeben. Im Falle der freiwilligen 1 OLG Nürnberg v. 18.6.2009 – 1 Ws 289/09, NZI 2009, 817 unter Verweis auf OLG Oldenburg v. 28.5.2004 – 1 Ws 242/04, NStZ 2004, 570. 2 LG Bochum v. 15.3.2005 – 12 Qs 4/05, PStR 2006, 102 mit Anm. Weyand, PStR 2006, 103. 3 A.A. OLG Hamburg v. 29.12.1961 – Ws 756/61, NJW 1962, 689 (691); OLG Düsseldorf v. 14.12.1992 – 1 Ws 1155/92, StV 1993, 346; OLG Celle v. 2.8.1985 – 1 Ws 194/85, wistra 1986, 83; OLG Koblenz v. 22.2.1985 – 2 VAS 21/84, NStZ 1985, 426 (427); OLG Schleswig v. 27.5.1980 – 1 Ws 160, 161/80, NJW 1981, 294; LG Saarbrücken v. 26.5.1995 – 8 Qs 73/95, wistra 1995, 239; LG Berlin v. 5.3.1993 – 505 AR 2/93, wistra 1993, 278; Flor, JR 1953, 368 (369); Göppinger, NJW 1958, 241 (243); Hackel, NJW 1969, 2257 (2258); Koch, DB 1958, 1040; Rogall, NStZ 1983, 414. 4 Passarge, BB 2010, 591 (593). 5 Vgl. auch AG Bonn v. 12.3.2010 – 51 Gs 557/10, NJW 2010, 1390 mit Anm. Hamm NJW 2010, 1332; BGH v. 30.11.1989 – III ZR 113/88, NJW 1990, 510; gleichlautende Erwägungen auch bei BVerfG v. 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84). 6 LG Hamburg v. 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942; vgl. auch Sidhu, NJW 2011, 881; von Galen, NJW 2011, 945; Jahn, StV 2011, 151. 7 AG Bonn v. 12.3.2010 – 51 Gs 557/10, NJW 2010, 1390. 8 Zum Ganzen auch Hauschild in MK-StPO, § 94 StPO Rz. 50. 9 BVerfG v. 27.6.2007 – 2 BvR 1276/07, wistra 2007, 417; BVerfG v. 2.7.2009 – 2 BvR 2225/08, NJW 2009, 3225.

126 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.77 Kap. 6

Herausgabe erfolgt dies an denjenigen, der die Gegenstände herausgegeben hat. Im Falle der Beschlagnahme sind die Gegenstände an den letzten Gewahrsamsinhaber zurückzugeben. Es handelt sich um eine Holschuld, so dass die Gegenstände dort zurückzugeben sind, wo sie aufbewahrt wurden.1 Im Falle weiterer Wege oder umfangreicher Beweismittel kann es sich anbieten, eine Spedition bzw. Lieferservice mit der Abholung zu beauftragen. Die Kosten trägt der Betroffene. Datenträger sind zu löschen.

9. Bestätigung der Beschlagnahme Der Beamte, der einen Gegenstand ohne gerichtliche Anordnung beschlagnahmt hat, soll gem. § 98 Abs. 2 StPO binnen drei Tagen die gerichtliche Bestätigung beantragen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war oder wenn der Betroffene und im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener Angehöriger des Betroffenen gegen die Beschlagnahme ausdrücklichen Widerspruch erhoben hat. Der Betroffene kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen.

6.75

Eine einzelfallbezogene Darlegung der Finanzbehörde oder der StA, warum welche Beweismittel benötigt werden, ist freilich nicht geschuldet. Es reicht für die Bestätigung der Beschlagnahme i.S.d. § 94 StPO indes aus, wenn die in Rede stehenden Beweismittel „für die Untersuchung von Bedeutung sein können“. Dies ist dann gegeben, wenn die Möglichkeit nicht fern liegt, dass der Gegenstand für die Beweisfrage, sei es zur Be- oder Entlastung des Beschuldigten oder sonst für die Untersuchung, Bedeutung gewinnen kann.2 Eine potentielle Beweisbedeutung reicht aus. Da die Auswertung der Beweismittel in der Regel noch andauert, kann bereits aus praktischen Gründen nicht einzelfallbezogen dargelegt werden, welches Beweismittel letztlich (noch) benötigt wird oder ggf. später nach Auswertung weiterer Beweismittel doch noch von Bedeutung sein kann.3 Eine einzelfallbezogene und konkrete Prüfung hinsichtlich eines jeden einzelnen Beweismittels ist zudem nicht veranlasst.4 Es kann sein, dass sich in den beschlagnahmten Beweismitteln nach Sichtung vor Ort Dokumente befinden, die letztendlich keine direkte Beweisrelevanz erlangen und so im laufenden Ermittlungsverfahren keine Verwendung finden werden. Dies ist aber letztlich Wesenselement des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, welches gerade allein auf einem einfachen Tatverdacht beruhen kann. Letztlich kommt es nur auf die im Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung bestehende potenzielle Beweisbedeutung der Dokumente an.5 Etwas anderes gilt hinsichtlich der Frage, ob bestimmte Unterlagen einem Beschlagnahmeverbot unterliegen.

6.76

II. Durchsuchung 1. Überblick Nicht nur begrifflich sondern auch gedanklich sind die Herausgabe und Beschlagnahme von Beweismitteln strikt vom tatsächlich geprägten Zwangsmittel der Durchsuchung abzugrenzen.

1 BGH v. 3.2.2005 – III ZR 271/04, NJW 2005, 988; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 94 StPO Rz. 22; zum Ganzen auch Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, 462. 2 Vgl. LG Bonn v. 5.3.2012 – 27 Qs 26/11, juris unter Verweis auf LG Bonn v. 16.3.2005 – 37 Qs 08/05. 3 Vgl. insoweit auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 94 StPO Rz. 6; Hauschild in MK-StPO, § 94 StPO Rz. 14,21; in diese Richtung auch LG Bonn v. 5.3.2012 – 27 Qs 26/11, juris, Rz. 14. 4 Vgl. bereits LG Bonn v. 5.3.2012 – 27 Qs 26/11, juris. 5 LG Bonn v. 5.3.2012 – 27 Qs 26/11, juris.

Peters | 127

6.77

Kap. 6 Rz. 6.77 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

Hinter den Vorschriften zur Durchsuchung steht das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Art. 13 Abs. 1 und 2 GG lauten: (1) Die Wohnung ist unverletzlich. (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

6.78

Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen ein elementarer Lebensraum gewährleistet, wo er das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greifen Durchsuchungsmaßnahmen schwerwiegend ein. Der Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG erstreckt sich auch auf geschäftlich genutzte Räume, die nicht allgemein zugänglich sind.1 Die Durchsuchung sowohl bei Beschuldigten, als auch bei Zeugen ist daher nur unter engen Voraussetzungen möglich.

6.79

Die Durchsuchung ist das mitunter wichtigste Ermittlungsinstrument in einem Steuerstrafverfahren. Nur so ist es in der Regel möglich, den Nachweis zu führen, dass Steuern hinterzogen wurden, etwa was nicht erfasste Einkünfte bei Gewerbebetrieben betrifft. Hierzu ist es in aller Regel erforderlich, insbesondere die Buchhaltung des Beschuldigten zu sichten oder Erkenntnisse über weitere, nichtversteuerte Einkünfte zu erlangen (Schattenbuchführung, Kassenmanipulation, Schwarzverkäufe etc.).

2. Durchsuchung beim Verdächtigen (§ 102 StPO) 6.80

Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.2 Die Durchsuchung gehört zu den wichtigsten Ermittlungsinstrumenten der Steuerfahndung. Spätestens mit Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses ist dem Beschuldigten die Einleitung des Verfahrens bekannt zu geben. Der Verdächtige muss noch nicht Beschuldigter sein. Es gelten die allgemeinen Anforderungen und Voraussetzungen.3 Auch bei Durchsuchungen im Ausland aufgrund eines Rechtshilfeersuchens beanspruchen die deutschen Verfahrensnormen Geltung. Bei Durchsuchungen in Unternehmen kann die Durchsuchung nur auf solche Räume ausgedehnt werden, auf welche der Beschuldigte unmittelbar Zugriff hat. Andere Räumlichkeiten sind nach § 103 StPO zu durchsuchen.4

3. Durchsuchung beim Unverdächtigen (§ 103 StPO) 6.81

Bei anderen Personen als dem Beschuldigten, also Unverdächtigen Dritten und/oder Zeugen, sind Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO nur zur Ergreifung des Beschuldigten 1 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518. 2 Zum Ganzen Hauschild in MK-StPO, § 102 StPO Rz. 2 ff.; Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 30 ff. 3 Zum Ganzen Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 194 ff.; zum Wirtschaftsstrafrecht Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 80 ff. 4 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 Rz. 1037.

128 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.84 Kap. 6

oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet.1 Aufgrund der Unverdächtigkeit des Anordnungsadressaten der durch sein Verhalten auch aus Sicht der Ermittlungsbehörden in keiner Weise Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, sind erhöhte Anforderungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu stellen.2 Hinsichtlich der in Rede stehenden Berufsgruppen ist ergänzend die Regelung des § 160a StPO zu beachten. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Betroffene aus persönlichen Gründen oder aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten die Kooperation verweigert. Erst wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, der Betroffene werde einem gerichtlichen Herausgabebeschluss unter Androhung von vollstreckbaren Ungehorsamsfolgen nicht nachkommen, kann eine Durchsuchung angezeigt sein. Bis dahin ist das verpflichtende Herausgabeverlangen das geeignete, erforderliche aber auch ausreichende prozessuale Instrument. Zur Nachtzeit dürfen gem. § 104 StPO die Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum nur bei Verfolgung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Verzug oder dann durchsucht werden, wenn es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt. Diese Beschränkung gilt nicht für Räume, die zur Nachtzeit jedermann zugänglich oder die der Polizei als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen, als Niederlagen von Sachen, die mittels Straftaten erlangt sind, oder als Schlupfwinkel des Glücksspiels, des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution bekannt sind (bspw. auch Diskos und Bordelle). Die Nachtzeit umfasst in dem Zeitraum vom ersten April bis dreißigsten September die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und in dem Zeitraum vom ersten Oktober bis einunddreißigsten März die Stunden von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Die Durchsuchung nach § 103 StPO bei einer nicht verdächtigen Person, die durch ihr Verhalten auch aus Sicht der Ermittlungsbehörden in keiner Weise Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, stellt besondere Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit.3

6.82

4. Durchsuchungszweck Der Zweck einer Durchsuchung ist das Auffinden von Beweismitteln (Ermittlungsdurchsuchung) oder die Ergreifung des Beschuldigten (Ergreifungsdurchsuchung). In letzterem Fall ist ein Haftbefehl nicht erforderlich, wenn der Beschuldigte etwa nur angehört oder etwa eine körperliche Untersuchung durchgeführt werden soll (Blutprobe, DNA Probe).

6.83

Die Ermittlungsdurchsuchung bezweckt die Verfolgung von Spuren und die Auffindung aller Gegenstände, die der Beschlagnahme unterliegen. Die Gegenstände müssen nicht bereits genau bestimmt sein, wenngleich der Antrag/Beschluss nicht völlig uferlos sein darf.

6.84

1 Zum Ganzen Hauschild in MK-StPO, § 103 StPO Rz. 2 ff. 2 BVerfG v. 3.7.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804; BVerfG v. 9.2.2005 – 2 BvR 984/04, NStZRR 2005, 203 = WM 2005, 480 f.; BVerfG v. 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670); LG Koblenz v. 1.3.2004 – 10 Qs 61/03, wistra 2004, 438; LG Berlin v. 18.3.2004 – 505 Qs 12/04, wistra 2004, 319; LG Saarbrücken v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 103 StPO Rz. 1a; Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 80. 3 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518; BVerfG v. 3.6.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804 (1805).

Peters | 129

Kap. 6 Rz. 6.85 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

5. Zuständigkeit 6.85

Durchsuchungen dürfen gem. § 105 StPO nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) angeordnet werden.1 Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 StPO ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist. Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dürfen nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein.

6.86

Der Begriff der Gefahr im Verzug ist eng auszulegen und wird bei Steuerstrafsachen eher selten in Betracht kommen.2

6. Der Durchsuchungsantrag 6.87

Bereits der Durchsuchungsantrag ist ausreichend zu begründen, muss tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthalten und erkennen lassen, dass eine Auseinandersetzung mit der Sache stattgefunden hat. Lediglich bei einfach gelagerten Sachverhalten kommt eine Bezugnahme auf entsprechende Anregungen der Steuerfahndung oder Polizei in Betracht. Im (Internationalen) Steuerstrafrecht sind insbesondere Ausführungen zur Steuerpflicht und zu den betroffenen Ländern erforderlich und – wie sonst auch – Angaben zu den betroffenen Zeiträumen und den betroffenen Steuerarten. Hierauf ist auch deswegen besonderes Augenmerk zu verwenden, da der Durchsuchungsbeschluss einem etwaigen späteren Rechtshilfeersuchen beizufügen ist und die erbetene Rechtshilfe auch deswegen verweigert werden kann, wenn die Notwendigkeit entsprechender strafprozessualer Maßnahmen nicht ausreichend dargetan ist.

6.88

Die aufzuklärende Straftat bzw. das vorgeworfene Verhalten ist daher so genau zu umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls und dem jeweiligen Ergebnis der Ermittlungen möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich ist.3 Die Art oder der mögliche Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, sind anzugeben. Soweit eine genaue Bezeichnung des gesuchten Beweismaterials nicht möglich ist, sind die erwarteten Beweismittel annäherungsweise – ggf. in Form beispielhafter Angaben, ohne jedoch ins floskelartige zu verfallen („Unterlagen aus denen sich ein Fallbezug ergibt“) – zu beschreiben.4 Aus der Praxis heraus ist zu konstatieren, dass sich in der Regel wenig Einwendungen gegen Durchsuchungsanträge finden, obleich diese die Grundlage für den späteren Beschluss bilden und teils identisch Eingang finden. Ggf. bietet es sich an eine dienstliche Erklärung einzuholen, ob der Durchsuchungsantrag vorab per E-Mail an den zuständigen Ermittlungsrichter übermittelt wurde, um die Eigenständigkeit der Prüfung nachzuvollziehen.

1 Hauschild in MK-StPO, § 105 StPO Rz. 2 ff. 2 Vgl. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 191, 218; Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 82. 3 BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvR 1619/00, NStZ 2002, 372 (373). 4 BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 120/90, NJW 1992, 763.

130 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.92 Kap. 6

7. Der Durchsuchungsbeschluss Der Durchsuchungsbeschluss muss ebenfalls inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Durchsuchungen ist zu bedenken, dass der inländische Durchsuchungsbeschluss dem Rechtshilfeersuchen beigefügt wird und von den ausländischen Behörden umgesetzt wird. Bereits vor diesem Hintergrund ist insbesondere bei (zeitgleich) grenzüberschreitenden Durchsuchungen in besonderem Maße darauf zu achten, dass die Anforderungen der Rechtsprechung an die Wirksamkeit eines Durchsuchungsbeschlusses gewahrt sind.

6.89

Der Durchsuchungsbeschluss ergeht in der Regel schriftlich, kann aber auch mündlich erlassen werden, etwa wenn sich im Rahmen der Durchsuchung neue Durchsuchungsobjekte oder Tatbeteiligte ergeben und schnelles Handeln geboten ist.

6.90

Neben den Voraussetzungen für den entsprechenden Antrag gelten nochmals gesteigerte Anforderungen.1 Formelhafte Wendungen zum Tatverdacht „wegen Steuerhinterziehung in nicht rechtsverjährter Zeit“ oder „Umstände, die den Verdacht einer Steuerstraftat nahelegen“ genügen ebenso wenig wie „beweisrelevante Gegenstände“ als Ziel der Durchsuchung. Die einschlägigen Tatbestände sind aufzuführen. Ggf. kommt ein steuerliches Verwertungsverbot in Betracht, wenn der Durchsuchungsbeschluss bspw. nur auf Bestechung lautet, die Steuerfahndung indes mit durchsucht.2 Es sind konkrete Anhaltspunkte für jede Tat, Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum erforderlich.3 Der bloße Hinweis auf „Karussellgeschäfte“ genügt nicht.4 Die aufzufindenden Beweismittel sind so genau wie möglich zu bezeichnen. Ist dies nicht möglich, hat zumindest eine näherungsweise Konkretisierung soweit möglich zu erfolgen. Das Bundesverfassungsgericht formuliert dies, wie folgt:5

6.91

Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 ; 42, 212 ; 103, 142 ). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 42, 212 ; 103, 142 ). Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Tat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Der Schutz der Privatsphäre darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 20, 162 ; 42, 212 ).

Die im Durchsuchungsbeschluss aufgeführte Anordnung der „Beschlagnahme“ ist, sofern nicht bereits eine hinreichende Konkretisierung (z.B. Jahresabschluss 2011, Rechnungen FA x f. Zeitraum 2012-2013) erfolgt, sondern lediglich eine gattungsmäßige Umschreibung 1 Vgl. auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 105 StPO Rz. 5 ff.; zum Ganzen auch Matthes, wistra 2008, 11; Hauschild in MK-StPO, § 102 StPO Rz. 11, § 105 StPO Rz. 19. 2 FG Köln v. 22.9.2016 – 13 K 66/13, AO-StB 2017, 104. 3 BVerfG v. 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, wistra 1997, 223 (225); BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvR 1619/ 00, NJW 2002, 1941; LG Münster v. 27.11.2003 – 9 Qs 29/03; LG Bielefeld v. 22.11.2007 – Qs 587/ 07, wistra 2008, 117; LG Koblenz v. 6.12.2000 – 10 Qs 24/2000, StV 2001, 501; Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 83. 4 BVerfG v. 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05, NJW 2009, 2516. 5 BVerfG v. 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05, NJW 2009, 2518.

Peters | 131

6.92

Kap. 6 Rz. 6.92 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

(Buchhaltung, Rechnungen etc.) stattfindet, nur eine Richtlinie für die Durchsuchung. Die gesuchten und sicherzustellenden Beweismittel müssen jedoch soweit möglich hinreichend genau bestimmt sein, damit dem Betroffenen die freiwillige Herausgabe zur Abwendung der Zwangsmaßnahme möglich ist.1

6.93

Der Durchsuchungsbeschluss ist in jedem Fall kritisch zu überprüfen und ggf. anzufechten. Die genaue Prüfung ist schon deswegen unerlässlich, weil für nicht von dem Beschluss erfasste Taten die Möglichkeit zur Selbstanzeige verbleibt.

6.94

Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen, die weder die dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten benennen noch die beweiserheblichen Unterlagen hinreichend konkret bezeichnen, sondern nur von den Unterlagen sprechen, die zur Aufklärung des (nicht näher bezeichneten) Sachverhalts dienlich sind, sind nicht geeignet, die Verfolgungsverjährung zu unterbrechen.2

6.95

Die Möglichkeit zur Vollstreckung von Durchsuchungsbeschlüssen ist zeitlich befristet auf sechs Monate. Geringfügige Überschreitungen sind unschädlich (ca. eine Woche); der Beschluss wird nach Ablauf jedoch nicht automatisch unwirksam.

6.96

Was das Internationale Steuerstrafrecht betrifft, ist besonderes Augenmerk auf die Frage der Steuerpflicht und des Besteuerungsrechts zu legen. Wird etwa die Ansässigkeit im Inland behauptet, bedarf es auch hierfür konkreter Anhaltspunkte. Durch nichts belegte Vermutungen oder Behauptungen ins Blaue hinein genügen nicht. Beispiel: Die Steuerfahndung in A behauptet in ihrer Anregung auf Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses, der in der Schweiz gemeldete B sei tatsächlich in Deutschland ansässig. Zum Beweis der Tatsache führt sie das Ergebnis einer Observation an, wonach an einem dem B gehörigen Haus in Deutschland regelmäßig das Licht angeht und abendlich zu verschiedenen Tageszeiten die Rollläden heruntergelassen werden. Erkenntnisse über Aufenthalte des B persönlich enthält der Bericht nur für wenige Tage. Tatsächlich verwandte B aus Gründen des Einbruchsschutzes Zeitschaltuhren. Die vorherige Vernehmung von Zeugen unterblieb.3

6.97

Im Hinblick auf die Steuerhinterziehung gelten die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts vom 4.7.2006:4 Den Darlegungsanforderungen für den Verdacht einer Steuerhinterziehung genügt ein Gericht nicht, wenn lediglich behauptet wird, Einnahmen seien nicht versteuert worden. Damit ist eine Tathandlung nach § 370 Abs. 1 AO nicht einmal ansatzweise beschrieben. Es bleibt schon offen, welche Steuer gemeint ist. Am wahrscheinlichsten sind wohl Umsatz-, Gewerbe-, Körperschaft- und Einkommensteuer. Keine dieser Steuern entsteht indes allein dadurch, dasPetitAnfangs ein Unternehmer Einnahmen verzeichnen kann. Selbst das vollständige Verbrauchen oder Verbergen sämtlicher Einnahmen erfüllt auch dann nicht einen der Straftatbestände des § 370 AO, wenn dies sogleich mit der Absicht verbunden wird, keinerlei Steuern zahlen zu wollen. Tathandlungen sind falsche oder pflichtwidrig unterlassene Erklärungen gegenüber den Finanzbehörden. Selbst zu einer im Ermittlungsverfahren ausreichenden vergröbernden Schilderung des Verdachts einer Steuerhinterziehung gehört es daher, dass

1 BGH v. 15.10.1999 – 2 BJs 20/97 – 2 – StB 9/99, NStZ 2000, 154 (155); LG Krefeld v. 13.3.1992 – 21 Qs 58/92, wistra 1993, 317; vgl. auch BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518; BVerfG v. 3.6.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804 (1805). 2 BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 219. 3 Zu einer ähnlichen Fallkonstellation unter Hinweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip vgl. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 277f. 4 BVerfG v. 4.7.2006 – 2 BvR 950/05, wistra 2006, 418.

132 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.100 Kap. 6 angegeben wird, welche Steuer und welcher steuerbare Gegenstand betroffen sind und durch welche Verletzung einer steuerrechtlichen Verpflichtung die Steuerverkürzung oder der Steuervorteil bewirkt worden sein soll. Die befassten Gerichte hätten die angegriffenen Beschlüsse auf eine Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) als Vortat stützen können; fern liegt diese Annahme nicht. Sie hätten dazu benennen müssen, welche Steuererklärung oder Voranmeldung pflichtwidrig unterlassen oder falsch abgegeben wurde und welche Steuer dadurch verkürzt wurde.

Die Anordnung einer Dauerdurchsuchung oder von Mehrfachdurchsuchungen, um nicht (nur) Beweismittel aufzufinden, sondern z.B. durch die Beobachtung des Kassenbetriebs oder Vernehmungen von Mitarbeitern die aktuellen Geschäfts- bzw. Umsatzzahlen des betroffenen Steuerpflichtigen zu ermitteln,1 ist unzulässig. Es handelt sich bei einer Durchsuchung vor dem Hintergrund des Grundrechts des Art. 13 GG um eine Einzelermächtigung, die bei wiederholter Anwendung eines neuen Anlasses und einer erneuten richterlichen Prüfung bedarf.2 Die allgemeine, systematische Überprüfung des Geschäftsablaufs bei Steuerpflichtigen als Beschuldigten dient nicht dem Auffinden von Beweismitteln oder der Ergreifung eines Verdächtigen (vgl. § 102 StPO), sondern der Überwachung der steuerrechtlichen Pflichten, wie sie das Besteuerungsverfahren als Steueraufsicht (§ 209 ff. AO) oder Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG) kennt.

6.98

Kritisch zu sehen ist es auch, wenn der Durchsuchungsbeschluss, insbesondere wenn er zeitgleich nach § 103 StPO gegen unbeteiligte Dritte ergeht, unter Hinweis auf § 30 AO keine weiteren Ausführungen enthält. Zumindest dem Grunde nach muss der Vorwurf nachvollziehbar sein.

6.99

8. Verhältnismäßigkeit Die Anordnung der Durchsuchung muss verhältnismäßig sein, d.h. es dürfen keine gleich geeigneten, genauso effektiven, aber weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kommen (Vernehmung von Zeugen, Einholung behördlicher Auskünfte). Besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit stellt zudem eine Durchsuchung nach § 103 StPO bei einer nicht verdächtigen Person.3 Es müssen konkrete Gründe dafürsprechen, dass der zu suchende Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden kann. Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten Zweck verhältnismäßig sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen (z.B. Herausgabeverlangen mit Abwendungsbefugnis). Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten.

1 So LG Münster v. 5.2.2003 – 9 Qs 8/03, nv., dazu PStR 2003, 125 betr. die Anordnung der „regelmäßigen Durchsuchung für die Dauer von zwölf Kalenderwochen“. 2 Ebenso LG Hamburg v. 5.5.2003 – 620 Qs 29/03, wistra 2004, 36; a.A. Webel, wistra 2004, 36 (37). 3 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518; BVerfG v. 3.6.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804 (1805).

Peters | 133

6.100

Kap. 6 Rz. 6.101 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

9. Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses 6.101

Der Durchsuchungsbeschluss ist innerhalb eines halben Jahres zu vollstrecken. Es handelt sich dabei um keine Verwirkungsfrist,1 sondern lediglich um einen Zeitpunkt, ab dem eine neuerliche richterliche Überprüfung der Verdachtslage zu veranlassen ist. Nach Ablauf der sechs Monate ist von einer veränderten Sachlage und damit einer überholten Durchsuchungsanordnung auszugehen.2 Entsprechendes gilt für Beschlagnahmebeschlüsse.3 Es bedarf dann einer erneuten richterlichen Prüfung und Durchsuchungsanordnung. Die zur Begründung herangezogenen Beweismittel und Erkenntnisse können älter als sechs Monate sein.4 Der Durchsuchungsbeschluss ist nicht automatisch mit Fristablauf rechtswidrig.5 Der Inhaber der Räume hat bei der Durchführung der Durchsuchung gem. § 106 StPO ein Anwesenheitsrecht. Mit Vollzug der Durchsuchung ist der Durchsuchungsbeschluss verbraucht.6 Dem Betroffenen ist es zu gestatten, sich mit seinem Berater in Verbindung zu setzen. Ein Arrest des Betroffenen ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, er werde Beweismittel manipulieren oder vernichten.7 Gleiches gilt für eine sog. „Telefonsperre“ oder eine vorherige Festnahme des Beschuldigten.8 Indes kann der Beschuldigte in Störerhaft genommen werden, wenn er die Durchsuchungsmaßnahmen aktiv stört. Beispiel: Im Rahmen der Durchsuchung bei dem Beschuldigten A wegen Korruption und Steuerhinterziehung, greift dieser den eingesetzten Beamten immer wieder dazwischen, wirft Unterlagen durcheinander, stellt sich absichtlich in den Weg, verschüttet absichtlich Kaffee über seinen Schreibtisch und Laptop und droht schließlich damit, im Keller den Gashahn aufzudrehen und das Haus in die Luft zu jagen.

10. Durchsicht von Papieren (§ 110 StPO) 6.102

Die Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen steht grundsätzlich nur der Staatsanwaltschaft/StraBU (§ 386 Abs. 2 AO) und auf deren Anordnung ihren Ermittlungspersonen und über § 404 Satz 2 AO im Falle der Anweisung der Steuerfahndung zu. Im Übrigen sind die Ermittlungsbeamten zur Durchsicht der aufgefundenen Papiere nur dann befugt, wenn der Inhaber die Durchsicht ausdrücklich genehmigt. Andernfalls sind die Papiere, deren Durchsicht für geboten erachtet wird, in einem Umschlag, der in Gegenwart des Inhabers mit Amtssiegel zu verschließen ist, an die Staatsanwaltschaft/StraBU abzuliefern. Sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Durchsuchung im Zeitpunkt der Durchsicht gem. § 110 StPO (ersichtlich) nicht mehr gegeben, ist die Durchsicht nicht mehr zulässig.

11. Zufallsfunde 6.103

Werden bei Gelegenheit einer Durchsuchung Gegenstände gefunden, die zwar in keiner Beziehung zu der Untersuchung stehen, aber auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten,

1 So aber LG Berlin v. 24.9.2002 – 508 Qs 115/02, NStZ 2004, 102. 2 BVerfG v. 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, wistra 1997, 223 (226); diese Größenordnung erlaubt aber ein Überschreiten um wenige Tage: LG Zweibrücken v. 23.9.2002 – Qs 103/02, NJW 2003, 156, für eine Verwirkung: LG Berlin v. 24.9.2002 – 508 Qs 115/02, NStZ 2004, 102. 3 LG Neuruppin v. 11.7.1997 – 14 Qs 59 Js 315/96, NStZ 1997, 563 (564). 4 BVerfG v. 15.12.2004 – 2 BvR 1873/04, BVerfGK 4, 303 – 305, gegen LG Berlin v. 24.9.2002 – 508 Qs 115/02, NStZ 2004, 102. 5 Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 83. 6 BVerfG v. 12.2.2004 – 2 BvR 1687/02, StV 2004, 633. 7 Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 86. 8 LG Frankfurt v. 26.2.2008 – 5/26 Qs 6/08, NJW 2008, 2201.

134 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.107 Kap. 6

sog. Zufallsfunde, können diese einstweilen in Beschlag genommen werden. Die sog. gezielte Suche nach Zufallsfunden ist unzulässig.

12. Durchsuchungsobjekte a) Einführung Als Durchsuchungsobjekte kommen Räume und Wohnungen in Betracht, die der Verdächtige innehat. Die Befugnis zur Nutzung ist unbeachtlich. Dazu gehören Arbeits-, Betriebs- und Geschäftszimmer, Bankschließfächer. Auch Räume in einem Dienst- oder Bürogebäude (Mietbüros) können erfasst sein. Ferner kann die Person des Verdächtigen und seine Kleidung durchsucht werden; ebenso ihm gehörige oder von ihm genutzte Kraftfahrzeuge etc.

6.104

b) Durchsuchung der Beraterkanzlei Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so muss sowohl das Ausmaß der Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts (Art 12 Abs. 1 GG) als auch der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant bei der Angemessenheitsprüfung berücksichtigt werden.1

6.105

So darf eine Rechtsanwalts- oder Steuerberaterkanzlei nicht ohne weiteres zur flächendeckenden Aufklärung, etwa wie dort Mandanten hinsichtlich bestimmter steuerrechtlicher Fragestellungen beraten werden, durchsucht werden. Zulässig ist dies nur dann, wenn und soweit sich das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen in der Kanzlei tätige Berufsträger richtet, hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine flächendeckende Beteiligung an Straftaten der Mandanten vorliegen und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Durchsuchung beim beschuldigten Berufsgeheimnisträger gegeben sind.2

6.106

Beispiel: Die steuerzentrierte Kanzlei XYZ ist bekannt für aggressive Steuergestaltungsmodelle und steht im Verdacht, Mandanten zur Gründung ausländischer Basisgesellschaften zu animieren. Dies geschieht mit dem Wissen, dass es sich lediglich um eine Briefkastengesellschaft handelt. Um die gewünschten steuerlichen Auswirkungen zu erreichen und entsprechend zu dokumentieren, unterhält die Kanzlei über einen Strohmann eine Bürorepräsentanz vor Ort.

Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in dessen Räumlichkeiten, bringt dies zudem regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers grds. sicher wähnen dürfen.3 Dadurch werden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt. Bei der Anwendung strafprozessualer Eingriffsermächtigungen ist zudem das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts (Art. 12 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Dies bedingt nach zutreffender Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme.4 1 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518; BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29 (48), zum Ganzen auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 345; Peters in Kohlman, § 399 AO Rz. 38 ff. 2 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518. 3 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518. 4 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518.

Peters | 135

6.107

Kap. 6 Rz. 6.108 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.108

Es ist mit Art. 13 Abs. 1 GG zudem nach Ansicht des BVerfG nicht vereinbar, Kanzleiräume von Rechtsanwälten als nichtverdächtigen Dritten, die den Beschuldigten nach Auffassung der Ermittlungsbehörde hinsichtlich bestimmter steuerrechtlicher Fragestellungen beraten haben sollen, auf der Grundlage von § 103 StPO zu durchsuchen, um Unterlagen über die Beratung von Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren in keinem Zusammenhang stehen, zu erhalten und um hieraus Rückschlüsse auf den Inhalt der Beratung des Beschuldigten zu ziehen.1 c) Durchsuchung beim Verteidiger

6.109

Zunächst gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Von besonderer Bedeutung ist zudem die Regelung des § 160a StPO: Danach sind Ermittlungsmaßnahmen gegen einen Rechtsanwalt, die voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die dieser das Zeugnis verweigern darf, unzulässig. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwendet werden.2 Gem. § 97 Abs. 1 Nr. 1 – 3 i.V.m. § 53 Nr. 2 StPO sind schriftliche Mitteilungen zwischen Verteidiger und Beschuldigten (Verteidigerpost),3 Aufzeichnungen über anvertraute oder bekannt gewordene Mitteilungen und Umstände oder andere Gegenstände, die dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen, beschlagnahmefrei. Dies gilt auch, wenn sie von Dritten herrühren.4 Ähnlich der Problematik bei der Sicherstellung von Buchführungsunterlagen ist fraglich, inwieweit beim Verteidiger oder Steuerberater befindliche Bankunterlagen (Vermögensübersichten, Erträgnisaufstellungen) dem Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO unterfallen, wenn sie vom Berater selbst angefordert oder diesem vom Mandanten übergeben wurden, etwa mit dem Zweck, eine (strafbefreiende) Nacherklärung (§§ 153, 371 AO) zu fertigen. Dienen die Unterlagen der privilegierten Tätigkeit eines Verteidigers/Steuerberaters, kann aus § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO keine Differenzierung danach hergeleitet werden, ob der Beschuldigte seinen Verteidiger mündlich über den Sachverhalt informiert, entsprechende Unterlagen überlässt oder diese erst anfertigen lässt.5 Vom Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO („andere Gegenstände“) sind alle Gegenstände erfasst, die durch das geschützte Vertrauensverhältnis hervorgebracht wurden, auch wenn sie außerhalb der Sphäre des Verteidigers „entstanden“ sind. Der Beschlagnahmeschutz ist nicht nach § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO ausgeschlossen, da Bankunterlagen grds. keine Tatwerkzeuge für Steuerstraftaten, sondern allenfalls Beweismittel sind.6 d) Durchsuchung beim Steuerberater

6.110

Wegen des schutzwürdigen Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsgeheimnisträgern und Mandanten, die nicht Beschuldigte und daher unbeteiligte Personen sind,7 dürfen nur die Unterlagen bzw. Daten bzgl. der verfahrensbeteiligten Personen gesucht und sichergestellt wer-

1 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518. 2 Zum Ganzen ausführlich Schwarz, wistra 2017, 4. 3 Solche Mitteilungen sind ausnahmsweise auch beim Mandanten selbst beschlagnahmefrei, BGH v. 13.8.1973 – 1 BJs 6/71, StB 34/73, NJW 1973, 2035; OLG Koblenz v. 6.7.1995 – 2 Ws 391/95, StV 1995, 570. 4 OLG Frankfurt v. 21.6.2005 – 3 Ws 499/05, 3 Ws 501/05, NStZ-RR 2005, 270. 5 LG Dresden v. 22.1.2007 – 5 Qs 34/2006, 5 Qs 34/06, wistra 2007, 237 (239); LG Stuttgart v. 20.2.1997 – 13 Qs 2/97, DStR 1997, 1449; LG Fulda v. 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, wistra 2000, 155. 6 So auch LG Fulda v. 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, wistra 2000, 155 (158). 7 Hierzu BVerfG v. 17.10.2011 – 2 BvR 2100/11, wistra 2012, 179.

136 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.113 Kap. 6

den, nicht aber „Zufallsfunde“ bzgl. anderer Mandanten.1 Zu diesem Zwecke hat eine Vorsichtung entsprechend § 110 StPO zu erfolgen.2 In besonderem Maße kommt die Regelung des § 160 Abs. 2 StPO zum Tragen.3 Durchsuchungen beim Steuerberater stellen besondere Anforderungen an die Frage der Verhältnismäßigkeit. Erforderlich ist eine Straftat von erheblicher Bedeutung.4 In amtsrichterlichen Beschlüssen fehlt es vielfach an einer eigenständigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit, was die Durchsuchung beim Steuerberater betrifft. Weiterhin umstritten ist die Beschlagnahmefähigkeit von Buchführungsunterlagen, soweit sie sich beim steuerlichen Berater befinden (§ 97 Abs. 2 Satz 1 StPO). Überwiegend wird zum Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts gem. § 53 StPO5 die Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO bejaht, solange der Berater die Unterlagen noch für seine Tätigkeit benötigt (z.B. zur Erstellung der Jahresabschlüsse/Fertigung der Steuererklärung).6 Deliktsgegenstände, d.h. Tatwerkzeuge und Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht, zur Tat gebraucht oder bestimmt sind oder aus der Tat herrühren, unterfallen gem. § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht dem Beschlagnahmeverbot, etwa gefälschte Belege, rückdatierte Verträge etc.

6.111

e) Durchsuchung von Unternehmen/Banken Die Durchsuchung von Unternehmen ist rechtmäßig, wenn sich der Tatvorwurf gegen die Geschäftsführer/Organe des betroffenen Unternehmens richtet und die Straftaten in Funktion als Organ begangen wurden.7 Eine gesamte Durchsuchung des Unternehmens und nicht nur der tatrelevanten Teilbereiche kommt in Betracht, wenn der Beschuldigte Zugriff auf die entsprechenden Unternehmensteile hat.

6.112

Kreditinstitute sind für sich genommen unverdächtige Dritte. Rechtsgrundlage ist daher § 103 StPO. Wenngleich an die Duldungsverpflichtung geringere Anforderungen zu stellen sind, ist ein Herausgabeverlangen vorrangig. § 30a AO begründete bis zu seiner Streichung für die Kreditinstitute gegenüber Auskunftsbegehren der Steuerfahndung kein Mitwirkungsverweigerungsrecht und stand zu keiner Zeit strafrechtlichen Ermittlungen entgegen. Für strafprozessuale Zufallsfunde gilt § 108 StPO, jedoch muss sich aus dem Zufallsfund ein strafprozessualer Anfangsverdacht ergeben. Ausforschungsdurchsuchungen sind indes unzulässig.8

6.113

1 BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, wistra 2005, 295; BVerfG v. 5.5.2008 – 2 BvR 1801/06, wistra 2008, 301; BVerfG v. 6.5.2008 – 2 BvR 384/07, StV 2008, 393; allg. dazu Kutzner, NJW 2005, 2652; Viskorf, DB 2005, 1929 (1930). 2 Vgl. Rüping, DStR 2002, 2020 (2022). Zur Sichtung sichergestellter Papiere, um über deren Beschlagnahmefähigkeit zu entscheiden, s. OLG Jena v. 20.11.2000 – 1 Ws 313/00, wistra 2001, 73 (76). 3 Zum Ganzen ausführlich Schwarz, wistra 2017, 4. 4 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 244. 5 Die Beschlagnahmefreiheit entfällt mit der Entbindung von der Schweigepflicht (§ 53 Abs. 2 StPO). 6 LG Dresden v. 22.1.2007 – 5 Qs 34/2006, 5 Qs 34/06, wistra 2007, 237; LG Hamburg v. 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394; LG Frankfurt a.M. v. 15.10.2002 – 5/12 Qs 39/02, 5-12 Qs 39/02, DStR 2004, 290; LG Chemnitz v. 20.9.2000 – 4 Qs 8/00, wistra 2000, 476; LG Chemnitz v. 15.1.1999 – 5 Qs 2/99, wistra 1999, 154; grds. für Beschlagnahmefähigkeit: LG München I v. 23.4.1988 – 19 Qs 3/88, wistra 1988, 326; LG Stuttgart v. 4.4.1990 – 14 Qs 53/90, wistra 1990, 282; Mössner/Moosburger, wistra 2006, 211. Übersicht bei Müller, StBp 2008, 159. Zur Darlegungspflicht der Ermittlungsbehörden, dass Unterlagen beschlagnahmefähig sind: AG Düren v. 16.7.2007 – 14 Gs 943/07, nv. 7 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 212. 8 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 224, 226, § 404 AO Rz. 265 ff.

Peters | 137

Kap. 6 Rz. 6.114 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

f) EDV-Anlagen/E-Mail Postfächer

6.114

Die Sicherung und Beschlagnahme von EDV-Anlagen, elektronischen Speichermedien1 und E-Mail-Postfächern2 ist mittlerweile problemlos möglich.3 Wenngleich den Beschuldigten keine Verpflichtung zur Mitwirkung trifft, kann die Herausgabe von Passwörtern, Keys oder Dongles zur Abwendung einer Beschlagnahme oder Versiegelung sämtlicher Räumlichkeiten angezeigt sein. Der wirtschaftliche Betrieb kann so aufrechterhalten werden. Dritte sind entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 95 StPO zur Mitwirkung verpflichtet (etwa der Systemadministrator).

6.115

In der Regel verfügen die Ermittlungsbehörden über ausreichende Speichermedien. Was die Speicherung von E-Mail-Postfächern betrifft (Outlook etc.), hat es sich in der Praxis bewährt, lediglich die konkret von dem Beschluss erfasste Kommunikation zu sichern,4 etwa indem vorher ein entsprechender Ordner unter Outlook angelegt wird, die mittels Suchfunktion zusammengestellten E-Mails dort hinein kopiert werden und dieser Ordner dann exportiert wird. Die Sicherung von Smartphones, Blackberrys etc. wird bei Dritten (z.B. bei Beratern) nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, da zumeist ein Abgleich mit dem Netzwerkrechner stattfindet. Andernfalls sollte auf einer zeitnahen „Spiegelung“ bestanden werden. Die vorherige Einrichtung einer Rufumleitung kann zweckdienlich sein.

6.116

Die Durchsicht eines ggf. im Ausland belegenen elektronischen Speichermediums (Server, Intranet, Cloud5 etc.) bei dem von der Durchsuchung Betroffenen darf gem. § 110 Abs. 3 StPO auch auf hiervon räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von dem Speichermedium aus zugegriffen werden kann (auch durch Verwendung von Passwörtern), erstreckt werden, wenn andernfalls der Verlust der gesuchten Daten zu besorgen ist. Daten, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können, dürfen gesichert werden; § 98 Abs. 2 StPO gilt entsprechend. Unzulässig ist trotz der Regelung des § 110 Abs. 3 StPO, wegen Verstoß gegen das Territorialitätsprinzip ein Onlinezugriff auf im Ausland befindliche Daten, auch was EMails betrifft, (sog. „Transborder Searches“), etwa solche auf ausländischen Servern.6 Allein zur Abwendung eines Beweismittelverlusts kommt eine Sicherung über Art. 29 bzw. Art. 32 EuCybercrimeÜbk in Betracht. In diesem Fall ist nach vorläufiger Sicherung der Rechtshilfeweg zu beschreiten. Ein Verstoß kann unter Umständen zu einem Beweisverwertungsverbot 1 Vgl. hierzu BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, wistra 2005, 295 (dazu im Eilverfahren v. 17.7.2002 – 2 BvR 1027/02; BGH v. 5.8.2003 – 2 BJs 11/03 – 5 StB 7/03, wistra 2003, 432 m. Anm. Burhoff, PStR 2003, 268; OLG Jena v. 20.11.2000 – 1 Ws 313/00, wistra 2001, 73 (76); Spatscheck/ Spatscheck, PStR 2000, 188; Braun, PStR 2012, 856. 2 Vgl. BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43 = NJW 2009, 2431; BVerfG v. 2.3.2006 – 2 BvR 2099/04, BVerfGE 115, 166 = wistra 2006, 217; BVerfG v. 29.6.2006 – 2 BvR 902/06, PStR 2006, 220 = CR 2007, 383; BGH v. 31.7.1995 – 2 BJs 94/94 – 6, NJW 1997, 1934; BGH v. 31.7.1995 – 1 BGs 625/95, CR 1996, 488; LG Mannheim v. 30.11.2001 – 22 KLs 628 Js 15705/500, StV 2002, 242; LG Hanau v. 23.9.1999 – 3 Qs 149/99, NJW 1999, 3647; Dübbers, StV 2000, 355; Bär, CR 1995, 489 (490). 3 Grundlegend und umfassend: BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 94 StPO Rz. 16a, 19a; hierzu auch Gotzens in FS Streck, 2011, 519 (525); Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 105; zum Ganzen auch Hauschild in MK-StPO, § 94 StPO Rz. 21; Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 332 ff.; ausführlich und nach Fallgruppen unterscheidend Zerbes/El-Ghazi, NStZ 2015, 425. 4 Zum Übermaßverbot vgl. Hauschild in MK-StPO, § 94 StPO Rz. 32. 5 Eingehend Zerbes/El-Ghazi, NStZ 2015, 425 (431). 6 Zum Ganzen Gercke, StraFo 2009, 271; Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 88a; Bär in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 28 Rz. 140.

138 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.120 Kap. 6

führen, wenn der Verstoß sich als willkürlich oder absichtlich darstellt.1 Außerhalb des Geltungsbereichs von Art. 32 EuCybercrimeÜbk kann an eine analoge Anwendung von Art. 31 RL-EEA bzw. Art. 20 Abs. 4 EU-RhÜbk gedacht werden.2 Bei E-Mails sind zudem vier Phasen zu unterscheiden: die der Absendung, die der Lagerung im Postfach, die des Abrufens und die der abgerufenen Nachricht. Eingriffe in der ersten und dritten Phase bedürfen eines Beschluss nach § 100a StPO.3 End- oder zwischengespeicherte Emails können nach § 94 StPO beschlagnahmt werden.

6.117

Im Hinblick auf EDV Anlagen und elektronisch geführte Akten steuerlicher Berater hat es sich in der Praxis bewährt, entsprechend den höchstrichterlichen Vorgaben lediglich das betreffende Mandantenverzeichnis und die dazugehörige elektronische Akte zu sichern.4 Schon aus Verhältnismäßigkeitsgründen ist die Suche hierauf zu beschränken, wenngleich eine grobe Durchsicht angezeigt sein kann. Die „gezielte Suche nach Zufallsfunden“ (§ 108 StPO) ist freilich unzulässig. Bereits der Durchsuchungsbeschluss sollte zeitlich und sachlich bzw. inhaltlich umgrenzt sein. Eine unbeschränkte Beschlagnahme ist auch bei Durchsuchungen beim Beschuldigten nur ausnahmsweise zulässig.5 Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherten Daten ist allenfalls dann verhältnismäßig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der gesamte Datenbestand, auf den zugegriffen werden soll, für das Verfahren potentiell beweiserheblich ist.

6.118

III. Exkurs: Reichweite des Steuergeheimnisses im Ermittlungsverfahren 1. Einführung Gemäß § 30 Abs. 1 AO haben Amtsträger das Steuergeheimnis zu wahren und oftmals ist die Durchbrechung des Steuergeheimnises der Auftakt eines Ermittlungsverfahrens, das nicht selten in strafprozessuale Zwangsmaßnahmen mündet. Von daher ist dieser Punkt insbesondere von Bedeutung, was die rechtmäßige Anordnung von Durchsuchungen betrifft.

6.119

Die Offenbarung der Kenntnisse ist zulässig, wenn hierfür ein zwingendes öffentliches Interesse besteht (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn

6.120

– Verbrechen und vorsätzliche schwere Vergehen gegen Leib und Leben oder den Staat und seine Einrichtungen verfolgt werden oder verfolgt werden sollen; – Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden oder verfolgt werden sollen, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden unter öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern.

1 BVerfG v. 16.3.2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684; BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917, 1923; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 110 StPO Rz. 10. 2 Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 88a. 3 Zum Ganzen BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431; Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt63, § 100a StPO Rz. 6b, § 94 StPO Rz. 16a. 4 Vgl. auch BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917; BVerfG v. 17.7.2002 – 2 BvR 1027/02, wistra 2002, 378; BVerfG v. 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669. 5 Vgl. auch BGH v. 24.11.2009 – StB 48/09 (a), NJW 2010, 1297.

Peters | 139

Kap. 6 Rz. 6.121 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.121

Der Begriff des zwingenden öffentlichen Interesses bedarf als unbestimmter Rechtsbegriff der inhaltlichen Konkretisierung und die in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO enthaltene Wendung „namentlich“ zeigt auf, dass die dort aufgeführten Fallgruppen nicht abschließend geregelt sind. Dem Anwendungserlass der Abgabenordnung (AEAO) folgend, enthält § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO eine beispielhafte Aufzählung von Fällen, in denen ein zwingendes öffentliches Interesse zu bejahen ist. Bei anderen Sachverhalten wird ein zwingendes öffentliches Interesse dann angenommen, wenn sie in ihrer Bedeutung einem der in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO erwähnten Fälle vergleichbar sind (Punkt 8 zu § 30 AEAO). Der Verbrechensbegriff i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 5a AO bestimmt sich nach § 12 Abs. 1 StGB und erfasst solche Straftaten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. Als vorsätzliche schwere Vergehen gegen Leib und Leben oder gegen den Staat und seine Einrichtungen kommen der AEAO folgend nur solche Vergehen in Betracht, die eine schwerwiegende Rechtsverletzung darstellen und dementsprechend mit Freiheitsstrafe bedroht sind (Punkt 8.2 AEAO). Unter den Begriff der Wirtschaftsstraftat i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO fallen Straftaten hingegen nicht schon deswegen, weil sie nach § 74c GVG zur Zuständigkeit des Landgerichts gehören. Der Anwendungserlass geht davon aus, dass in diesem Einzelfall unter Abwägung der Interessen zu prüfen ist, ob die besonderen Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO gegeben sind. Dies deckt sich mit der Ansicht des Finanzausschusses, der nicht wollte, dass alle in § 74c GVG aufgeführten Straftaten per se zur Offenbarung berechtigen.1 Letztlich dürfen vorsätzlich falsche Angaben des Betroffenen den Strafverfolgungsbehörden gegenüber offenbart werden (§ 30 Abs. 5 AO).

2. Durchbrechung des Steuergeheimnisses 6.122

Der BFH geht davon aus, dass ein zwingendes öffentliches Interesse nur dann anzunehmen ist, wenn im Falle des Unterbleibens der Mitteilung die Gefahr besteht, dass schwere Nachteile für das allgemeine Wohl des Bundes, eines Landes oder einer anderen öffentlich rechtlichen Körperschaft zu befürchten sind.2 Der BFH folgert aus der Gewichtigkeit der in § 30 Abs. 4 AO angeführten Beispielsfälle ebenfalls, dass über sie hinaus nur in Ausnahmefällen von ähnlicher Gewichtung ein zwingendes öffentliches Interesse an der Durchbrechung des Steuergeheimnisses angenommen werden darf. Das Niedersächsische Finanzgericht legt diese Grundsätze ebenfalls seiner Entscheidung zugrunde und hielt daher die Veröffentlichung einer Erschleichung von Subventionen in Höhe von DM 350.000 für gerechtfertigt.3

6.123

Auf gleicher Linie hierzu liegt das Urteil des BFH vom 12.2.1981.4 Das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung wurde verneint, wenn bei einem Schaden in Höhe von 1 Mio. Euro der zuständige Finanzbeamte eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft vornimmt. Der BGH bedient sich in einem jüngeren Urteil ebenfalls der Kriterien des BFH.5 Für den dort entschiedenen Fall einer unerlaubten Veranstaltung von Glückspielen wurden jedoch die tatbestandlichen Voraussetzungen verneint. Das OLG Hamm misst den Fallgruppen in § 30 Abs. 4 Nr. 5a – c AO ebenfalls die Qualifikation einer Auslegungsrichtlinie bei und stellt auf das Kriterium der Vergleichbarkeit ab:6

1 2 3 4 5 6

BT-Drucks. 7/4292; Kruse in T/K, § 30 AO Rz. 124. BFH v. 10.2.1987 – VII R 77/84, BFHE 149, 387. Nds. Finanzgericht v. 12.9.1990 – II 627/90 V, EFG 1991, 436. BGH v. 12.2.1981 – III ZR 123/79, NJW 1982, 1648. BGH v. 31.5.1994 – 5 StR 557/93, NStZ 95, 27. OLG Hamm v. 14.7.1980 – 1 VAs 7/80, NJW 1981, 356.

140 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.126 Kap. 6 „Nach § 30 Abs. 4 Nr. 5b ist das zwingende öffentliche Interesse hinsichtlich der Offenbarung solcher Kenntnisse zu bejahen, die für die Verfolgung solcher Wirtschaftsstraftaten erforderlich sind, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens eine erhebliche Störung der wirtschaftlichen Ordnung herbeiführen oder eine erhebliche Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder die ordnungsmäßige Arbeit der Behörden oder öffentlichen Einrichtungen verursachen können.“

Die Aufnahme eines generalklauselartigen Offenbarungsgrundes ist auch deswegen notwendig, weil eine abschließende Aufzählung der Gründe, welche die Durchbrechung des Steuergeheimnisses rechtfertigen, praktisch nicht möglich ist. Der Begriff des „zwingenden öffentlichen Interesses“ ist jedoch restriktiv auszulegen, um eine Aushöhlung des Steuergeheimnisses zu vermeiden. Zur inhaltlichen Bestimmung der Reichweite des Steuergeheimnisses sind die durch den BFH aufgestellten Grundsätze anzuwenden.1 Besondere Bedeutung erlangt diese Regelung im Wechselspiel zur Selbstanzeige. Diese wird zwar in Erfüllung der steuerlichen Pflichten abgegeben, indes sind Straftaten nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ausgenommen.

6.124

Beispiel: Unternehmen A entschließt sich zur Abgabe einer Selbstanzeige, nachdem intern sog. „Schwarze Kassen“ in Milliardenhöhe aufgetaucht sind, die zur Zahlung von Schmiergeldern an ausländische Amtsträgergedacht waren. Ein Strafverfahren gegen die Verantwortlichen wegen Untreue und Korruption ist eine zulässige Durchbrechung.

3. Steuergeheimnis und Durchsuchung bei Dritten Bislang nicht geklärt ist, wie sich das Steuergeheimnis auf die Begründung eines Durchsuchungsantrags- und Beschlusses nach § 103 StPO auswirkt. Bei der Begründung einer Durchsuchungsanordnung nach § 103 StPO ist nach einer Ansicht auch im Steuerstrafverfahren zu berücksichtigen, dass das Steuergeheimnis nach § 30 AO gilt. Danach dürfen Dritten die Verhältnisse des Beschuldigten grundsätzlich nicht mitgeteilt werden. Entsprechend müssen Beschlüsse nach § 103 StPO im Steuerstrafverfahren knapper begründet werden.2 Nach anderer Ansicht ist auch dem Dritten der Grund mitzuteilen, warum in seine Grundrechte eingegriffen wird.3 Der, bei dem eine Durchsuchung durchgeführt werden soll, ist danach zumindest so genau zu informieren, dass er Grund und auch Ziel und Zweck der Durchsuchungsmaßnahmen nachvollziehen kann, um diese gegebenenfalls zu akzeptieren oder im Beschwerdeweg anzugreifen. Auch eine etwaige mündliche Erläuterung des Tatvorwurfs durch die mit der Beschlagnahme befassten Beamten der Steuerfahndung kann eine ausreichende Darlegung in der richterlichen Anordnung nicht ersetzen. Um die Strafnorm des § 355 StGB nicht leerlaufen zu lassen, anderseits aber § 103 StPO und den Interessen des Betroffenen Rechnung zu tragen, darf der Beschluss diejenigen steuerlich relevanten Daten des Beschuldigten enthalten, die für die Überprüfungsmöglichkeit des Dritten unbedingt erforderlich sind.

6.125

IV. Rechtsschutz gegen Durchsuchungsmaßnahmen und Beschlagnahmen 1. Überblick Gegen die richterliche Beschlagnahmeanordnung, die richterliche Bestätigung nach § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO, die Ablehnung des Antrags nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO und gegen die 1 BFH v. 10.2.1987 – VII R 77/84, BFHE 149, 387. 2 LG Konstanz v. 17.1.21998 – 1 Qs 98/98, wistra 2000, 118. 3 LG Bielefeld v. 22.11.2007 – Qs 587/07, wistra 2008, 117.

Peters | 141

6.126

Kap. 6 Rz. 6.126 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

Durchsuchungsanordnung ist das Rechtsmittel der Beschwerde (§ 304 StPO) gegeben.1 Beschwerdeberechtigt sind insbesondere der Beschuldigte, der letzte Gewahrsamsinhaber oder der Inhaber einer Urkunde, die in Ablichtung zu den Akten genommen wurde. Voraussetzung ist jedoch eine unmittelbare Beschwer, d.h. der Beschuldigte kann nicht die Anordnung der Durchsuchung bei seiner Bank anfechten, jedoch die Beschlagnahme seiner Kontounterlagen.2 Die Beschwerde ist nicht fristgebunden, sofern der Betroffene noch beschwert ist.

6.127

Im Übrigen gelten die allgemeinen Voraussetzungen und Anforderungen. Gegen die umfassende Sicherstellung eines Datenbestandes zum Zweck der Durchsicht (§ 110 StPO) kann unter entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgegangen werden.

2. Zweckmäßigkeitsüberlegungen 6.128

– Rechtsbehelfe haben grds. keine aufschiebende Wirkung. Eine andauernde Durchsuchung/Beschlagnahme kann nicht gestoppt werden. Bis es zu einer Entscheidung kommt, ist die Maßnahme oft erledigt. – Eine förmliche Beschwerde wird ohne vorherige Akteneinsicht, die in diesem Stadium regelmäßig nicht gewährt werden wird,3 kaum Erfolg haben.4 – Mitunter kann es ratsam sein, eine fehlerhafte Anordnung bestehen zu lassen.5 Bleibt die Beschwerde erfolglos, werden durch die Bestätigung die Weichen für das spätere Verfahren gestellt und die Rechtsansicht der Verfolgungsbehörde zementiert. – Ob Beschwerde einlegt wird ist stets eine Einzelfrage und es sollte nicht per se oder reflexartig Beschwerde eingelegt werden. – Beschwerden stehen ggf. einer einvernehmlichen Lösung entgegen.

3. Akteneinsicht 6.129

Die zumindest teilweise Akteneinsicht kann nicht unter Hinweis auf § 147 StPO (Gefährdung des Untersuchungszwecks) versagt werden, wenn bei dem Beschuldigten durchsucht wurde.6 Der Rechtsstaatsgedanke gebietet es, dass der von einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme Betroffene noch im gerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Eingriffs Gelegenheit erhält, sich in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen gegen die Eingriffsmaßnahme und den zu Grunde liegenden Vorwurf zu verteidigen.7 Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft kann die gerichtliche Entscheidung beantragt werden. 1 Zum Ganzen auch Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 87 ff.; vgl. auch Hauschild in MK-StPO, § 98 StPO Rz. 39. 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 98 StPO Rz. 31, § 105 StPO Rz. 15. 3 Streck/Spatscheck/Talaska, Die Steuerfahndung5, Rz. 405. 4 S. dazu Streck, StV 1984, 348; LG Saarbrücken v. 12.11.1998 – 8 Qs 188/98, wistra 1999, 116. 5 Wegen fehlender Verjährungsunterbrechung (s. BGH v. 27.5.2003 – 4 StR 142/03, wistra 2003, 382) oder zwecks späterer Geltendmachung von Beweisverwertungsverboten (vgl. BGH v. 18.4.2007 – 5 StR 546/06, BGHSt. 51, 285 = wistra 2007, 314; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 94 StPO Rz. 21). 6 LG Neubrandenburg v. 16.8.2007 – 9 Qs 107/07, NStZ 2008, 655; LG Berlin v. 18.2.2010 – 536 Qs 1/10, StV 2010, 352; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 111f StPO Rz. 25b; a.A. LG Saarbrücken v. 24.8.2005 – 8 Qs 81/05, NStZ-RR 2006, 80; zum Ganzen auch Börner, NStZ 2007, 680; Börner, NStZ 2010, 417; Hauschild in MK-StPO, § 105 StPO Rz. 44. 7 Zur Reichweite der Akteneinsicht vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 147 StPO Rz. 13 ff.

142 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.133 Kap. 6 Beraterhinweis: Der Berater sollte regelmäßig selbst einen Blick in die beschlagnahmten Beweismittel werfen, insbesondere wenn daraus im späteren Verfahren etwaige Rückschlüsse gezogen werden. Dies geschieht selbst in großen Verfahren eher selten. Grundsätzlichen haben die Ermittlungsbehörden auch entlastende Umstände zu ermitteln. Eine persönliche Durchsicht der Beweismittel kann jedoch mitunter förderlich sein und der Berater erhält ein allumfassendes Bild von dem Verfahren.

4. Auskunft über den Anzeigeerstatter Insbesondere bei dem Ankauf von Steuer-CDs ist immer wieder fraglich, inwieweit ein Akteneinsichtsrecht des Verteidigers besteht (zur Vewertbarkeit im Rahmen der Hauptverhandlung vgl. auch unter Rz. 6.300).

6.130

Umstritten ist die Frage, ob ein bei der Finanzbehörde zu Unrecht Angezeigter einen Anspruch auf Benennung des Anzeigeerstatters, d.h. des Denunzianten, hat. Das hängt davon ab, wieweit man den Schutzbereich, den das Steuergeheimnis (§ 30 AO) gewährt, umreißt. Eine explizite Anspruchsnorm auf Preisgabe des Namens eines Anzeigeerstatters enthält die AO nicht. Dem Verlangen könnte aber § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO entgegenstehen. Fraglich ist, ob der Name des Anzeigeerstatters dem Steuergeheimnis unterfällt, eine Offenbarung durch das Finanzamt also unzulässig wäre.

6.131

Durch das Steuergeheimnis werden die „Verhältnisse eines anderen“, die in einem der in Absatz 2 genannten Verfahren bekannt geworden sind, geschützt. „Andere“ in diesem Sinne sind – unstrittig – z.B. Auskunftspersonen (vgl. § 93 AO), Steuerberater u.a. Der BFH zählt hierzu aber auch die Namen von Informanten, wie Anzeigeerstatter, V-Männer und sonstige Fahndungshelfer der Finanzverwaltung.1 Die Motive des Anzeigeerstatters seien für die Verwertung steuerlich relevanter Mitteilungen unbeachtlich. Nur ausnahmsweise könne die im Ermessen der Finanzbehörde stehende Offenbarung unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 und 5 AO nicht nur zulässig, sondern bei erheblicher Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen sogar geboten sein. Grds. unterliege der Hinweisgeber aber dem Schutz des § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO und könne die Geheimhaltung seines Namens verlangen.2

6.132

Nach diesem Rechtsverständnis hat die Finanzverwaltung zwar im Einzelfall eine Offenbarungsbefugnis, aber keine Offenbarungsverpflichtung. Nunmehr hat der BFH seine Auffassung modifiziert.3 Danach besteht zwar kein Anspruch des Stpfl. darauf, den Namen des Informanten zu erfahren, wohl aber ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung, der sich zu einem Auskunftsanspruch verdichten kann, wenn das allgemeine Persönlichkeits-

6.133

1 BFH v. 7.12.2006 – V B 163/05, BStBl. II 2007, 275; BFH v. 8.2.1994 – VII R 88/92, BStBl. II 1994, 552 m. Anm. Rößler, DStZ 1995, 419; BFH v. 7.5.1985 – VII R 25/82, BStBl. II 1985, 571; zum Ganzen Peters in Kohlmann, § 397 AO Rz. 57 ff. 2 BFH v. 8.2.1994 – VII R 88/92, BStBl. II 1994, 552 m. Anm. Rößler, DStZ 1995, 419; BFH v. 7.5.1985 – VII R 25/85, BStBl. II 1985 571; ebenso Drüen in T/K, § 30 AO Rz. 15; so auch die Auffassung der Finanzverwaltung, vgl. BMF v. 18.3.1981 – IV A 7 – SO 130 – 19/81, DB 1981, 771; Bayerisches Landesamt für Steuern v. 20.11.2006 – S 0130 – 34 St 41 N; OFD Magdeburg v. 28.2.2003 – S 0313 - 123-St 251, DStZ 2003, 665; Erl. FinMin. Schlesw.-Holst. v. 3.3.1992 – VI 320 b – SO 720 – 32, DStR 1992, 617. 3 BFH v. 7.5.2001 – VII B 199/00, BFH/NV 2001, 1366 m. Anm. Heerspink, PStR 2001, 211; BFH v. 19.11.2002 – VII B 123/02, BFH/NV 2003, 294; BFH v. 7.12.2006 – V B 163/05, BStBl. II 2007, 275; BFH v. 28.12.2006 – VII B 44/03, BFH/NV 2007, 853; abweichend Heerspink in Kohlmann, § 392 AO Rz. 392, 412, der sich in dem Falle für eine Unverwertbarkeit ausspricht, unter Verweis auf Kirkpatrick, wistra 2019, 264.

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Kap. 6 Rz. 6.133 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

recht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG überwiegt.1 Zur Überprüfung der Ermessensentscheidung kann das Finanzamt ausnahmsweise gem. § 86 FGO gezwungen sein, dem Finanzgericht die gesamte Akte (einschließlich der Handakte des Fahnders) vorzulegen.2

6.134

Ob die Einsichtsbeschränkungen des § 86 FGO verfassungsgemäß sind, hat der BFH3 bezweifelt. Zur Offenbarungsbefugnis des § 30 Abs. 5 AO (vorsätzlich falsche Angaben) führte er aus, dass diese nur gegenüber den Strafverfolgungsbehörden bestehe, der Beschuldigte aber gem. § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO informiert werden dürfe, da auch dieser die „Durchführung eines Strafverfahrens“ veranlassen könne und die Möglichkeit haben müsse, sich gegen ungerechtfertigte Angriffe zur Wehr zu setzen. Die Offenbarungsbefugnis könne sich in außergewöhnlichen Fällen zu einer Offenbarungsverpflichtung verdichten, wenn nur so ein effektiver Rechtsschutz i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet sei.4 § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO setze zudem keine vorsätzlichen Falschangaben voraus. Die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens spreche nicht a priori gegen die Durchbrechung des Steuergeheimnisses.

6.135

Dieser Ansicht nach ist für die begehrte Auskunft der Finanzrechtsweg eröffnet.5 Seit dem 1.4.2005 entscheidet gem. § 86 Abs. 3 FGO ausschließlich der BFH, ob die Weigerung des Finanzamts, Akteneinsicht zu gewähren, rechtmäßig ist.6 Der Ausschlussgrund des § 33 Abs. 3 FGO greift nicht ein. Es handelt sich um eine Abgabenangelegenheit gem. § 33 Abs. 2 FGO.

6.136

Anderer Auffassung nach ist der Schutz des Informanten nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO mit dem Sinn und Zweck des Steuergeheimnisses, das als Gegenstück zur Mitwirkungspflicht des Stpfl. anzusehen ist7 und vorrangig dem privaten Geheimhaltungsinteresse des Stpfl. diene, nicht zu vereinbaren.8 Auch aus den Gesetzesmaterialien lasse sich nichts Gegenteiliges schließen. Bei Informanten handele es sich nicht um auskunftspflichtige Dritte, auf deren Schutz der in § 30 AO 1977 geänderte Gesetzeswortlaut „Verhältnisse eines anderen“ (anders noch die Vorläuferbestimmung des § 22 RAO: „Verhältnisse des Steuerpflichtigen“) abzielen sollte.9 Danach besteht uneingeschränkt ein Anspruch auf Benennung des Anzeigeerstatters, der nicht durch § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO geschützt wird. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Aus der Erweiterung des Wortlauts in § 30 AO („Verhältnisse eines anderen“) kann nicht zwingend auf den Schutz von Informanten geschlossen werden. Da dem Gesetzgeber zum damaligen Zeitpunkt die Problematik bekannt war,10 hätte er wohl eine klarere Regelung getroffen. Auch wird der Finanzverwaltung regelmäßig der Name des Informanten, will man ihn denn zu den Verhältnissen eines anderen zählen, nicht in einem der in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a – c AO 1 Ebenso FG Köln v. 3.5.2000 – 11 K 6922/1998, EFG 2000, 933; zur Abwägung auch Nds. FG v. 17.3.2005 – 6 K 865/03, EFG 2005, 1068; BFH v. 9.1.2007 – VII B 134/05, BFH/NV 2007, 1141. 2 Anders noch BFH v. 25.7.1994 – X B 333/93, BStBl. II 1994, 802 im Hinblick auf § 86 Abs. 1 Abs. 3 Satz 1 FGO. 3 BFH v. 7.5.2001 – VII B 199/00, BFH/NV 2001, 1366. 4 Unter Hinweis auf BVerfG v. 27.10.1999 – 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106 = NJW 2000, 1175. 5 Vgl. auch FG Köln v. 3.5.2000 – 11 K 6922/1998, EFG 2000, 933 m. Anm. Wolsfeld, PStR 2000, 222 sowie Nds. FG v. 17.3.2005 – 6 K 865/03, EFG 2005, 1068. 6 BFH v. 7.12.2006 – V B 163/05, BStBl. II 2007, 275. 7 Vgl. BVerfG v. 17.7.1984 – 2 BvE 11/83 u. 15/83, NJW 1984, 2271. 8 KG v. 6.6.1985 – Zs 1048/84 – Ws 50/85, NJW 1985, 1971; Alber in H/H/Sp, § 30 AO Rz. 6, 8 f.; Streck/Olbing, BB 1994, 1267; Eilers, DB 1986, 19; Schuhmann, wistra 1996, 16; Gosch, StBp 1994, 217; Wolffgang, Informantenschutz, 415. 9 So ausdrücklich die Begründung zu § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO in BT-Drucks. VI/1982, 100. 10 Zum früheren Streitstand BFH v. 25.4.1967 – VII 151/60, BStBl. II 1967, 572; Jedelheuser, Steuerrechtliche Anzeige und Steuergeheimnis, Diss., Würzburg 1964.

144 | Peters

F. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen | Rz. 6.139 Kap. 6

genannten Verfahren bekannt geworden sein, was auch gegen die vorbezeichnete Gesetzesauslegung spricht.1 Diese einengende Auslegung des § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO wird auch von Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit geteilt, die sich damit ausdrücklich gegen die Auffassung des BFH gewandt haben.2 Die Identität des Unbekannten ist etwa nach Ansicht des LG Hamburg nicht durch das Steuergeheimnis vor Offenbarung geschützt. Weder verdiene der gewissenlose, wenigstens aber leichtfertige Denunziant rechtlichen Schutz vor Strafverfolgung noch seien Gründe ersichtlich, den Informanten einer FinB anders zu behandeln als andere Anzeigeerstatter.3 Selbst wenn man den Geheimnisschutz auf diese Personen erstrecken wolle, sei der Tatbestand des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO nicht erfüllt, denn dem FA sei die Identität nicht „in einem Verwaltungsverfahren“ bekannt geworden, sondern bereits vor Verfahrensbeginn.

6.137

Nach hier vertretener Ansicht ist entscheidend, ob die Angaben des Dritten in (eigenen) steuerlichen Angelegenheiten erfolgten, bspw. bei Abgabe einer Selbstanzeige oder Nacherklärung nach § 153 AO, die auch Konsequenzen für ggf. Dritte zeitigt.4 In diesem Falle handelt sich um originäre steuerliche Verhältnisse eines anderen. In diesem Falle muss einer der gesetzlich normierten Durchbrechungstatbestände gegeben sein.

6.138

Beispiel: A legt im Rahmen einer Nacherklärung offen, dass die Aufwendungen für Beraterverträge zu Unrecht nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG als Betriebsausgaben abgezogen wurden. Aus der Nacherklärung ergibt sich ein entsprechender Anfangsverdacht hinsichtlich einer Korruptionsstraftat begangen durch den jeweiligen Vertragspartner. Oder: Die Finanzverwaltung kauft eine von einem Dritten erstellte Daten-CD an. Der Name des Erstellers wird nicht preisgegeben.

Im Übrigen ist der Hinweisgeber oder Anzeigende wie jeder andere Zeuge im Strafverfahren zu behandeln,5 es sei denn es wurde eine wirksame Vertraulichkeitszusage getätigt.6 Ein überwiegendes Interesse an der Benennung des Anzeigenerstatters wird insbesondere schon dann gegeben und nicht zu verwehren sein, wenn dieser eigene Bekundungen abgegeben hat, mithin die Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Zeugen in Rede steht. Entsprechende (Beweis-)anträge dürften auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 3d EMRK (Konfrontationsrecht) schwerlich abzulehnen sein, wonach jeder Angeklagte das Recht hat, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten.Hat der Anzeigeerstatter absichtlich oder in Kenntnis der Unrichtigkeit gehandelt, so macht er sich wegen falscher Verdächtigung (§ 164 StGB) strafbar und hat dem zu Unrecht Angezeigten den ihm entstandenen Schaden (auch die aufgewandten Steuerberatungs- und Anwaltskosten) gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 164 StGB zu ersetzen. Zudem können ihm nach § 469 StPO die Kosten des Verfahrens auferlegt werden (vgl. auch Nr. 92, 139 III RiStBV).

1 Eilers, DB 1986, 19; a.A. Drüen in T/K, § 30 AO Rz. 15. 2 LG Hamburg v. 19.2.2002 – 631 Qs 9/02, wistra 2002, 193. 3 LG Hamburg v. 19.2.2002 – 631 Qs 9/02, wistra 2002, 193; ebenso LG Saarbrücken v. 15.12.2006 – 8 Qs 110/06, wistra 2007, 78 = PStR 2007, 30 sowie bereits KG v. 6.6.1985 – Zs 1048/84-Ws 50/ 85, NJW 1985, 1971. Zur Akteneinsicht des Beschuldigten nach Einstellung des Strafverfahrens vgl. LG Frankfurt a.M. v. 29.6.2005 – 5/2 AR 3/2005 u.a., StraFo 2005, 379. 4 Peters in Kohlmann, § 397 AO Rz. 58 f.; vgl. auch Randt in J/J/R8, § 392 AO Rz. 82. 5 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 147 StPO Rz. 15a unter Verweis auf Dorrien, wistra 2013, 374. 6 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 147 StPO Rz. 15a.

Peters | 145

6.139

Kap. 6 Rz. 6.139 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

V. Verhaltenshinweise bei Durchsuchungen 6.140

– keine Panik, Ruhe bewahren und steuerstrafrechtlich versierten Berater hinzuziehen; – bitten, das Erscheinen des Beraters abzuwarten; – zu den Tatvorwürfen Schweigen; – eine „konstruktive“ Durchsuchungsatmosphäre schaffen; – keine freiwillige Herausgabe, wenngleich Hilfe beim Heraussuchen unschädlich ist; – die Durchsuchung aktiv begleiten und schauen, ob die sichergestellten zusammengetragenen Unterlagen vom Durchsuchungsbeschluss erfasst werden; – ggf. Versiegelung der Unterlagen und direkte Vorlage an Ermittlungsrichter verlangen, etwa bei Streit über Beschlagnahmefreiheit; – Kopien von dringend benötigten Unterlagen fertigen; – Kontrolle des Sicherstellungsprotokolls; – Sicherung wichtiger Kontakte bei Mitnahme von Mobiltelefonen; – Abwägung treffen hinsichtlich Nachfahndung, „Manchmal kommen sie wieder“; – Abstecken von „Minenfeldern“ und „offenen Flanken“; – Hinwirken, dass Durchsuchung auf die Tatvorwürfe beschränkt wird und nicht in eine umfassende „Hausbesichtigung“ umschlägt; insbesondere was die Durchsicht der persönlichen Gegenstände betrifft, wird eine kursorische Durchsicht meist ausreichen, es sei denn es bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Unterlagen, etwa Depot- und Erträgnisaufstellungen oder Kontounterlagen, gezielt versteckt wurden; – Abwägung des Risikos einer Untersuchungshaft, etwa mit Blick auf längerfristige Auslandsaufenthalte; – ggf. Information von Geschäftspartnern; – keine inhaltliche Diskussion über den Beschluss; die Maßnahme findet so oder so statt; eine Klärung juristischer Unzulänglichkeiten erfolgt ggf. im Anschluss über den Beschwerdeweg; – Aufzeichnung der Telefonnummern und E-Mail-Adressen der Sachbearbeiter/StA, ggf. Durchwahl erfragen.

VI. Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen/StrEG 6.141

Wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt (z.B. Verdienstausfall, Verteidigerkosten)1, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn ablehnt (§ 2 Abs. 1 StreG). Andere Strafverfolgungsmaßnahmen sind gem. § 2 Abs. 2 StreG: – die einstweilige Unterbringung und die Unterbringung zur Beobachtung nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Jugendgerichtsgesetzes; 1 Vgl. BGH v. 9.6.1981 – 4 ARs 4/81, BGHSt. 30, 152 (157); BGH v. 18.9.1975 – III ZR 139/73, BGHZ 65, 170 = NJW 1975, 2341.

146 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.144 Kap. 6

– die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 der StPO; – Maßnahmen des Richters, der den Vollzug des Haftbefehls aussetzt (§ 116 StPO); – die Sicherstellung, die Beschlagnahme, der Arrest nach den §§ 111d und 111o StPO sowie die Vermögensbeschlagnahme nach § 111p StPO und die Durchsuchung, soweit die Entschädigung nicht in anderen Gesetzen geregelt ist. Die Entschädigung ist ausgeschlossen für die Beschlagnahme und den Arrest (§§ 111b – 111d StPO), wenn der Verfall oder die Einziehung einer Sache angeordnet oder von einer solchen Anordnung nur deshalb abgesehen worden ist, weil durch den Verfall die Erfüllung eines Anspruchs beseitigt oder gemindert worden wäre, der dem Verletzten aus der Tat erwachsen ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 StreG). Die Entschädigung ist auch ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Die Entschädigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Beschuldigte sich darauf beschränkt hat, nicht zur Sache auszusagen, oder dass er unterlassen hat, ein Rechtsmittel einzulegen (§ 5 Abs. 2 S. 1 StreG). Die Entschädigung kann ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch veranlasst hat, dass er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 StreG). Ersetzt wird in allen Fällen der Vermögensschaden. Für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, beträgt die Entschädigung 25 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung. Die Entscheidung über eine Entschädigung nach StreG ergeht nur auf Antrag des Beschuldigten. Der Antrag ist innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Mitteilung über die Einstellung des Verfahrens zu stellen. In der Mitteilung ist der Beschuldigte über sein Antragsrecht, die Frist und das zuständige Gericht zu belehren. Gegen die Entscheidung des Gerichts ist die sofortige Beschwerde (§ 304 StPO) zulässig. Wird die Entschädigungspflicht rechtskräftig festgestellt, ist der Anspruch auf Entschädigung binnen von sechs Monaten bei der Staatsanwaltschaft geltend zu machen, welche die Ermittlungen im ersten Rechtszug zuletzt geführt hat.

6.142

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe I. Überblick Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Steuerstrafverfahren machen nicht an der Grenze halt. Insbesondere im Zusammenhang mit der Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften, bei Ansässigkeitsfragen, bei Schwarzgeldkonten oder im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerhinterziehung sind grenzüberschreitende Ermittlungen mittlerweile der Regelfall. Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen mittels ausgehender Ersuchen beurteilt sich zunächst nach deutschem Recht. Von daher sind zunächst stets die o.g. inländischen Voraussetzungen zu prüfen. Es gilt der Grundsatz, dass ein Ersuchen dann zulässig ist, wenn die erbetene Maßnahme auch nach deutschem Recht rechtmäßig ist.

6.143

Erst dann ist zu prüfen, ob eine völkerrechtliche Übereinkunft spezielle Regelungen zu der beabsichtigten Ermittlungsmaßnahme enthält. Aus dem Rechtssatz „locus regit actum“ folgt, dass sich die Erledigung des Rechtshilfeersuchens regelmäßig nach dem Recht des ersuchten Staates richtet. In Fällen des EU-RhÜbk kann der ersuchende Staat nach Art. 4 Abs. 1 EURhübk verlangen, dass Verfahrensvorschriften des ersuchenden Staates zur Anwendung kommen („lex forum regit actum“).

6.144

Peters | 147

Kap. 6 Rz. 6.144 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

II. Übersicht möglicher Rechtshilfehandlungen 6.145

– Europäische Ermittlungsanordnung (Rz. 6.170 ff.); – Schwedische Initiative (Rz. 6.147 ff.).

III. Einzelmaßnahmen 6.146

– Vernehmung und Beschaffung von Aussagen von Personen; – Erteilung von Auskünften und Überlassung von Schriftstücken und anderen Unterlagen, einschließlich Auszügen aus Strafregistern; – Fahndung nach Personen und Sachen, einschließlich deren Identifizierung; – Durchsuchung und Beschlagnahme; – Herausgabe von Gegenständen, einschließlich der Überlassung von Beweisstücken; – Überstellung von Häftlingen und anderen Personen zur Beweiserhebung oder zur Unterstützung von Ermittlungen; – Zustellung von Schriftstücken, einschließlich solcher, die auf das Erscheinen von Personen gerichtet sind; – besondere Ermittlungsmethoden wie zum Beispiel Überwachung des Fernmeldeverkehrs, verdeckte Ermittlungen und kontrollierte Lieferungen; – Unterstützung bei Verfahren in Bezug auf Sicherstellung und Einziehung von Vermögenswerten, Rückerstattung, Beitreibung von Geldstrafen; – sonstige Unterstützung, soweit sie im Einklang mit dem Ziel des jeweiligen es Vertrags steht und nicht mit dem Recht des ersuchten Staates unvereinbar ist; – besondere Ermittlungsmethoden wie zum Beispiel Überwachung des Fernmeldeverkehrs, verdeckte Ermittlungen und kontrollierte Lieferungen; – Unterstützung bei Verfahren in Bezug auf Sicherstellung und Einziehung von Vermögenswerten, Rückerstattung, Beitreibung von Geldstrafen; – sonstige Unterstützung, soweit sie im Einklang mit dem Ziel des jeweiligen es Vertrags steht und nicht mit dem Recht des ersuchten Staates unvereinbar ist.

IV. Schwedische Initiative 1. Einführung 6.147

Die sog. Schwedische Initiative geht zurück auf den Rahmenbeschluss 2006/960 JI des Rates vom 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.1 Der auf eine Initiative Schwedens zurückgehende Rahmenbeschluss ist der erste vom Rat ver1 RB 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26); zum Ganzen auch Beyer, AO-StB 2013, 351.

148 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.151 Kap. 6

abschiedete Rechtsakt zur Umsetzung des sog. Grundsatzes der Verfügbarkeit. Der Grundsatz der Verfügbarkeit besagt, dass unionsweit Strafverfolgungsbeamte und -beamtinnen in einem Mitgliedstaat, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben Informationen benötigen, diese aus einem anderen Mitgliedstaat erhalten können und dass die Strafverfolgungsbehörde in dem anderen Mitgliedstaat, die über diese Informationen verfügt, sie – unter Berücksichtigung des Erfordernisses in diesem Staat anhängiger Ermittlungen – für den erklärten Zweck bereitstellt.1 Grundsätzlich soll es keinen Unterschied mehr zwischen innerstaatlichen und europäischen Strafverfolgungsbehörden machen, wenn es darum geht, bei den Strafverfolgungsbehörden vorhandene oder verfügbare Informationen zur Verfügung zu stellen.2 Der Rahmenbeschluss fand seine innerstaatliche Umsetzung in den §§ 117a, 117b AO, was die Bereitstellung von Informationen an Mitgliedsstaaten bei sog. eingehenden Ersuchen betrifft. Die in dem Rahmenbeschluss niedergelegten Anforderungen gelten jedoch auch für ausgehende Ersuchen inländischer Behörden.

6.148

Die Oberfinanzdirektionen der Länder haben in 2013 eine einheitliche Handhabung festgelegt. Ziel des Rahmenbeschlusses ist es, die Regeln festzulegen, nach denen die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten wirksam und rasch bestehende Informationen und Erkenntnisse zum Zwecke der Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen oder polizeilicher Erkenntnisgewinnungsverfahren austauschen können. Der Rahmenbeschluss lässt sowohl gegenwärtige oder zukünftige, in diesem Fall aber nicht entgegenstehende, bilaterale oder multilaterale Übereinkünfte und Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern und die Rechtsakte der Europäischen Union über die Rechtshilfe oder die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen3 und Steuersachen als auch die bilateralen und multilateralen Vereinbarungen zur Amtshilfe in Steuersachen unberührt.4 Dazu zählen auch alle von Drittländern festgelegten Bedingungen zur Verwendung der von ihnen übermittelten Informationen.5 Praktischer Vorteil auf den Rahmenbeschluss gestützter Ersuchen ist die schnellere Informationsgewinnung, angesichts der im Rahmenbeschluss geregelten Fristen.

6.149

Der Rahmenbeschluss verpflichtet nicht dazu, Informationen oder Erkenntnisse in dem Mitgliedstaat, der das Ersuchen um Bereitstellung von Informationen oder Erkenntnissen entgegennimmt, durch Zwangsmaßnahmen im Sinne des nationalen Rechts zu erlangen.

6.150

Die „zuständige Strafverfolgungsbehörde“ im Sinne des Rahmenbeschlusses ist jede nationale Polizei-, Zoll oder sonstige Behörde, die nach nationalem Recht befugt ist, Straftaten oder kriminelle Aktivitäten aufzudecken, zu verhüten und aufzuklären und in Verbindung

6.151

1 Vgl. auch den sog. Prüm-Beschluss: Beschluss 2008/615/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Vertiefung der Zusammenarbeit, insbes. zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ABl. EU 2008 Nr. L 210, 1 und Beschluss 2008/616/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Durchführung des Beschlusses 2008/615/JI zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbes. zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ABl. EU 2008 Nr. L 210, 12. 2 BT-Drucks. 17/5096, 14. 3 BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 – 66/06, BStBl. I 2006, 698. 4 Vgl. auch Art. 11 Ziff. 3,4 des RB 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26). 5 Vgl. Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen v. 25.5.2012 – IV B 6 - S 1320/07/10004:006, BStBl. I 2012, 599.

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Kap. 6 Rz. 6.151 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

mit diesen Tätigkeiten öffentliche Gewalt auszuüben und Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.1 In Deutschland sind dies auch die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, nicht aber die Straf- und Bußgeldsachenstellen und Staatsanwaltschaften. Diese können jedoch die Steuerfahndung mit den entsprechenden Aufgaben betrauen.

6.152

Ersuchen können sowohl aus Gründen der Aufklärung begangener Straftaten (§§ 117a, 117b, 385 Abs. 1 AO, § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO, repressiver Bereich)2 als auch aus präventiven Gründen (§ 117a AO) gestellt werden. In diesem Fall müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Übermittlung dieser personenbezogenen Daten dazu beitragen könnte, eine solche Straftat zu verhindern (§ 117a Abs. 3 AO).

6.153

Auch im Rahmen von Vorermittlungen ist ein Ersuchen zulässig. Es können alle Informationen und/oder Erkenntnisse erbeten werden, auf die die ersuchte ausländische Strafverfolgungsbehörde unmittelbar selbst oder mittelbar über Dritte Zugriff hat. Die Übermittlungspflicht gilt indes nur für vorhandene Informationen/Erkenntnisse. Für eingehende Ersuchen wird davon ausgegangen, dass vorhanden diejenigen Daten sind, aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich der ersuchten Dienststelle, die sich aus dort liegenden Papierakten oder elektronischen Datenbeständen (direkter Onlinezugriff) ergeben.

6.154

Die ersuchte Behörde ist zur Vornahme weiterer Ermittlungen nicht verpflichtet, kann dies aber freiwillig tun, etwa bei Ersuchen um eine Ortsbesichtigung zur Abklärung eines Wohnsitzes/Geschäftsanschrift, soweit Zwangsmaßnahmen nicht erforderlich sind (§ 117a Abs. 6 Nr. 1 AO, § 92 Abs. 4 Ziff. 1 IRG). Zwangsmaßnahmen sind indes unzulässig.

2. Inhaltliche Anforderungen 6.155

Die Übermittlung personenbezogener Daten bei eingehenden Ersuchen ist nur zulässig, wenn das Ersuchen mindestens folgende Angaben enthält: – die Bezeichnung und die Anschrift der ersuchenden Behörde; – die Bezeichnung der Straftat, zu deren Verhütung die Daten benötigt werden; – die Beschreibung des Sachverhalts, der dem Ersuchen zugrunde liegt; – die Benennung des Zwecks, zu dem die Daten erbeten werden; – den Zusammenhang zwischen dem Zweck, zu dem die Informationen oder Erkenntnisse erbeten werden, und der Person, auf die sich diese Informationen beziehen; – Einzelheiten zur Identität der betroffenen Person, sofern sich das Ersuchen auf eine bekannte Person bezieht, und – Gründe für die Annahme, dass sachdienliche Informationen und Erkenntnisse im Inland vorliegen.

6.156

Der Zweck, zu welchem die Informationen oder Erkenntnisse erbeten werden, ist zwingend und hinreichend anzugeben. Denn auf dieser Grundlage beurteilt die ersuchte Behörde nach 1 Art. 2 Buchst. a des RB 2006/960 JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26). 2 Vgl. Nr. 124 Abs.3 Buchst. a RiVASt.

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G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.158 Kap. 6

dem sog. Inlandstandard, ob die erbetenen Informationen erteilt werden können. Überdies bilden die Angaben zum beabsichtigten Verwendungszweck den Rahmen, innerhalb dessen die ersuchende Behörde die übermittelten Informationen ggf. auch direkt als Beweismittel im Besteuerungs- und im Strafverfahren verwenden darf. Die ersuchte Behörde hingegen kann in ihrem Antwortschreiben den Verwertungsumfang der übermittelten Informationen ausdrücklich bestimmen. Gleiches gilt für ausgehende Ersuchen auf Grundlage des Rahmenbeschlusses.

3. Fristen Der Rahmenbeschluss sieht für die Erledigung des Ersuchens unterschiedlich lange Fristen vor, je nach Dringlichkeit. Die Frist beträgt:

6.157

8 Stunden bei – dringenden Ersuchen; – Katalogstraftaten, – wenn die Information unmittelbar verfügbar ist 1 Woche bei – nicht dringenden Ersuchen; – Katalogstraftaten – wenn die Information unmittelbar verfügbar ist 2 Wochen bei – übrigen Fällen Können die benannten Fristen nicht eingehalten werden, sind die Gründe hierfür anzuführen.

4. Zurückhaltung von Informationen oder Erkenntnissen bei eingehenden Ersuchen Die zuständige Strafverfolgungsbehörde darf die die Zurverfügungstellung von Informationen oder Erkenntnissen gem. § 117a Abs. 5 AO nur verweigern, wenn konkrete Gründe für die Annahme bestehen, dass die Zurverfügungstellung der Informationen oder Erkenntnisse – wesentliche nationale Sicherheitsinteressen des ersuchten Mitgliedstaats beeinträchtigen würde, oder – den Erfolg laufender Ermittlungen oder eines laufenden polizeilichen Erkenntnisgewinnungsverfahrens oder die Sicherheit von Personen gefährden würde, oder – eindeutig in keinem Verhältnis zu den Zwecken, für die um sie nachgesucht wurde, stehen würde oder für diese Zwecke irrelevant ist.

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6.158

Kap. 6 Rz. 6.159 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.159

Die Datenübermittlung nach § 117a Abs. 1 und 3 AO unterbleibt gem. § 117a Abs. 5 Nr. 1 – 4 AO zwingend, wenn – hierdurch wesentliche Sicherheitsinteressen des Bundes oder der Länder beeinträchtigt würden; – die Übermittlung der Daten zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen in Widerspruch stünde; – die zu übermittelnden Daten bei der ersuchten Behörde nicht vorhanden sind und nur durch das Ergreifen von Zwangsmaßnahmen erlangt werden können oder – die Übermittlung der Daten unverhältnismäßig wäre oder die Daten für die Zwecke, für die sie übermittelt werden sollen, nicht erforderlich sind.

6.160

Die Datenübermittlung kann nach § 117a Abs. 6 AO unterbleiben, wenn – die zu übermittelnden Daten bei den mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Finanzbehörden nicht vorhanden sind, jedoch ohne das Ergreifen von Zwangsmaßnahmen erlangt werden können; – hierdurch der Erfolg laufender Ermittlungen oder Leib, Leben oder Freiheit einer Person gefährdet würde oder – die Tat, zu deren Verhütung die Daten übermittelt werden sollen, nach deutschem Recht mit einer Freiheitsstrafe von im Höchstmaß einem Jahr oder weniger bedroht ist.

6.161

Bezieht sich das Ersuchen auf eine strafbare Handlung, die nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder weniger bedroht ist, so kann die zuständige Strafverfolgungsbehörde die Zurverfügungstellung der erbetenen Informationen oder Erkenntnisse verweigern.

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde hat die Zurverfügungstellung von Informationen oder Erkenntnissen zu verweigern, wenn die zuständige Justizbehörde den Zugang zu den erbetenen Informationen und den Austausch dieser Informationen gem. Art. 3 Abs. 4 nicht genehmigt hat.

5. Spontanauskünfte 6.162

Sowohl zum Zweck der Strafverfolgung (§§ 92c, 61a Abs. 2 – 4 IRG) als auch zur Verhütung von Straftaten (§§ 117a Abs. 3 AO) kann die Steuerfahndung Informationen und Erkenntnisse auch ohne Ersuchen an die ausländische Strafverfolgungsbehörde übermitteln. Nach dem sog. Inlandsstandard ist Voraussetzung in beiden Fällen, dass eine entsprechende Mitteilung im Rahmen von § 30 AO auch an eine inländische Strafverfolgungsbehörde zulässig wäre. Zudem muss es sich um eine Straftat aus dem Katalog zum Europäischen Haftbefehl oder um eine gleichwertige Tat (z.B. Steuerhinterziehung) handeln.1

6. Länderspezifische Besonderheiten 6.163

Für die Schweiz stellt der Rahmenbeschluss eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des Abkommens zwischen der Europäischen Union, der Eu-

1 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538 (541) Tz. 6.4.

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G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.167 Kap. 6

ropäischen Gemeinschaft und der Schweiz über die Assoziierung bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands dar, die in den in Art. 1 H des Beschlusses 1999/437/EG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2004/860/EG des Rates vom 25.10.2004 über die Unterzeichnung im Namen der Europäischen Gemeinschaft und die vorläufige Anwendung einiger Bestimmungen dieses Abkommens und mit Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2004/849/EG des Rates vom 25.10.2004 über die Unterzeichnung im Namen der Europäischen Union und die vorläufige Anwendung einiger Bestimmungen dieses Abkommens genannten Bereich fallen.1 Der räumliche Geltungsbereich für Liechtenstein ergibt sich aus dem Protokoll vom 28.2.2008 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen und Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen Besitzstandes (SR 0.362.311).

6.164

7. Verwendung der Daten Daten, die nach dem Rahmenbeschluss 2006/960/JI an die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Finanzbehörden übermittelt worden sind, dürfen gem. § 117b AO nur für die Zwecke, für die sie übermittelt wurden, oder zur Abwehr einer gegenwärtigen und erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit verwendet werden. Für einen anderen Zweck oder als Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren dürfen sie nur verwendet werden, wenn der übermittelnde Staat zugestimmt hat. Von dem übermittelnden Staat für die Verwendung der Daten gestellte Bedingungen sind zu beachten. Die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Finanzbehörden erteilen dem übermittelnden Staat auf dessen Ersuchen zu Zwecken der Datenschutzkontrolle Auskunft darüber, wie die übermittelten Daten verwendet wurden (§ 117b Abs. 2 AO).

6.165

8. Rechtsschutz Eine Unterrichtungspflicht des Betroffenen im Vorhinein oder Nachhinein ist nicht vorgesehen. Ein einstweiliger Rechtsschutz ist davon abhängig, dass der Steuerpflichtige von dem Auskunftvorhaben Kenntnis hat oder von dem Eingang eines entsprechenden Ersuchens erfährt. Im präventiven Verfahren ist der Finanzrechtsweg zu beschreiten (§ 33 FGO). Im repressiven Verfahren ist der ordentliche Rechtsweg zu beschreiten (§ 13 GVG). Auch nach Vollzug der Maßnahme muss wegen der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eine Überprüfung möglich sein, insbesondere was die Zulässigkeit und etwaige Verwertungsverbote betrifft.2

6.166

Anfragen auf Grundlage der Schwedischen Initiative werden zukünftig für nicht unerhebliche Probleme – vornehmlich im strafprozessualen Bereich – sorgen. Zunächst ist fraglich, wie die Validität und Vollständigkeit der übermittelten Informationen beurteilt werden kann. So reicht allein die nicht näher untermauerte Behauptung einer ausländischen Behörde nicht aus, bei einem Geschäftspartner handele es sich um einen Scheinunternehmer, um die Steuer-

6.167

1 Vgl. auch Bundesgesetz v. 12.6.2009 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der anderen Schengen-Staaten – BBl. 2009, 4493. 2 Beyer, AO-StB 2013, 351 (354).

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Kap. 6 Rz. 6.167 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

freiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen.1 Zu Recht ist daher zu fordern, dass die Auskunft fundiert zu sein hat und ggf. mit Beweismitteln zu unterlegen ist. In keinem Fall kann die bloße Behauptung einer ausländischen Behörde ausreichend sein.

6.168

Um eine Vermischung von polizeilichen mit justiziellen Kompetenzen zu vermeiden, enthält der RbDatA2 klare Regelungen über die Verwendung der übermittelten Daten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens. Der Gesetzgeber hat zwar den durch die Umsetzung des RbDatA zu erwartenden größeren Informationsaustausch mit einer erheblich erweiterten Zahl möglicher Empfänger erkannt und Erschwernisse bei der Kontrolle darüber, was mit den weitergeleiteten Daten geschieht, gesehen. Eine allseits befriedende Lösung wurde jedoch nicht gefunden. Den StA und Gerichten wurde lediglich im Rahmen von § 92 IRG die Möglichkeit gegeben, in Zweifelsfällen die Rechtmäßigkeit des Datenaustauschs sowohl im innerstaatlichen als auch im grenzüberschreitenden Bereich auf Veranlassung der jeweils zuständigen Polizeibehörde vorab zu überprüfen.3 In diesen Fällen soll die durch § 478 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO bestimmte Kompetenzverteilung eingreifen.4 Nicht klar ist aber, wann ein Zweifelsfall vorliegt bzw. ob eine Verpflichtung für die Strafverfolgungsbehörden in diesen Fällen besteht. Über § 385 Abs. 1 AO gilt diese Einschränkung auch für die Steuerfahndung.

6.169

Zu beachten ist auch, dass Anfragen auf Grundlage der Schwedischen Initiative unter Umgehung der besonderen Förmlichkeiten eines strafrechtlichen Rechtshilfeersuchens und in erster Linie formlos per E-Mail erfolgen; insbesondere was die sprachliche Abfassung und die sprachliche Genauigkeit des Ersuchens betrifft.5 Zudem entscheidet über das Ersuchen ein Sachbearbeiter der Strafverfolgungsbehörde, wohingegen ein förmliches strafrechtliches Rechtshilfeersuchen von speziell geschulten, qualifizierten und befähigten Rechtshilfedezernenten der StA abgefasst wird. Anders als bei der steuerlichen Amtshilfe erfolgt das Ersuchen durch eine Strafverfolgungsbehörde, und im Falle zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte könnte sich für die ausländische Behörde eine Veranlassung ergeben, ihrerseits dem Legalitätsprinzip folgend ein Strafverfahren einzuleiten.

1 Beyer, AO-StB 2013, 351 (352) unter Verweis auf FG Münster v. 5.2.2004 – 15 V 5805/03, DStRE 2004, 651. 2 RB 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU, ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26; umgesetzt in Deutschland durch das Gesetz über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU v. 21.7.2012, BGBl. I 2012, 1566, §§ 117a, 117b AO, § 92 IRG; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des RB 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU (sog. Schwedische Initiative) im Bereich der Steufa v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538; zum Ganzen auch Beyer, AO-StB 2013, 351; Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355; Zöller, ZIS 2011, 64; BT-Drucks. 17/5096. 3 BT-Drucks. 17/5096, 18. 4 BT-Drucks. 17/5096, 123. 5 Vgl. auch die Bedenken von Beyer, AO-StB 2013, 351 (353), der die Gewährleistung eines hinreichenden Standards an Fremdsprachenkenntnissen fordert und die Gefahr ebenfalls in übereilten und sprachlich nicht korrekten Anfragen bzw. Antworten sieht; in diese Richtung auch Weßlau in SK-StPO4, § 478 StPO Rz. 12.

154 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.171 Kap. 6

V. Die Europäische Ermittlungsanordnung (§ 91a ff. IRG) 1. Überblick Im europäischen Strafrecht setzt sich zunehmend der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung durch. Mit der Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) besteht erstmals ein einheitliches Instrument im Bereich der Beweisrechtshilfe (§§ 91a ff. IRG).1 Die Idee einer vereinfachten und praxisgerechten Rechtshilfe in Beweissachen unter Berücksichtigung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung geht bereits auf die Tagung des Europäischen Rates vom 15./16.10.2009 in Tampere und auf Überlegungen im Haager Programm des Europäischen Rates zur Stärkung von Freiheit Sicherheit und Recht in der Europäischen Union vom 4. und 5.11.2004 zurück.2 Zur Entstehung und Stärkung eines Europäischen Rechtsraumes sollte neben Maßnahmen zur Bildung des gegenseitigen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit der jeweils anderen mitgliedsstaatlichen Rechtsordnung auch forciert darauf hingewirkt werden, dass bestehende rechtliche Hindernisse in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen abgebaut werden. Ermittlungen in grenzüberschreitenden Fällen sollten hierdurch besser koordiniert und konzentriert werden.3 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Umsetzung der sog. Schwedischen Initiative, zurückgehend auf den Rahmenbeschluss 2006/ 960 JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (RbDatA).4 Hier wurde der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen umgesetzt.5

6.170

Rat und Parlament haben am 14.3.2014 die endgültige Fassung der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (RL EEA) verabschiedet6 und einen einheitlichen Rahmen für

6.171

1 Vgl. auch Hauschild in MK-StPO, § 105 StPO Rz.45. 2 Vgl. auch den sog. Prüm Beschluss: Beschluss 2008/615/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Vertiefung der Zusammenarbeit, insbes. zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität (ABl. EU 2008 Nr. L 210, 1) und Beschluss 2008/616/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Durchführung des Beschlusses 2008/615/JI zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbes. zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität (ABl. EU 2008 Nr. L 210, 12). 3 ABl. EU Nr. C 53, 1; Erwägungsgrund Nr. 3.3 des Haager Programms des Europäischen Rates zur Stärkung von Freiheit Sicherheit und Recht in der Europäischen Union. 4 RB 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EU 2008 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26). Umgesetzt in Deutschland durch das Gesetz über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union v. 21.7.2012, BGBl. I 2012, 1566, §§ 117a, 117b AO, § 92 IRG; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des RB 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (sog. Schwedische Initiative) im Bereich der Steuerfahndung v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538; zum Ganzen auch Beyer, AO-StB 2013, 351; Keber/Trautmann, Kriminalistik, 2011, 355; Zöller, ZIS 2011, 64; BT-Drucks. 17/5096. 5 Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europäischen Union, 2007. 6 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 27.2.2014 zu dem Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (09288/2010 – C7-0185/2010 – 2010/0817(COD)); Rats-Dok. 7788/14 (Annahme im Rat am 14.3.2014); zum Ganzen krit. Ahlbrecht, StV 2013, 114 (120), der gar von einer Verweige-

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Kap. 6 Rz. 6.171 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

den strafprozessualen Beweistransfer innerhalb der EU geschaffen. Die Richtlinie ersetzt u.a. die Europäische Beweisanordnung1, deren Frist zur Umsetzung im Januar 2011 verstrichen ist, ohne dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten, u.a auch Deutschland, mit einer Umsetzung begonnen hat.2

6.172

Die Europäische Ermittlungsanordnung ersetzt sowohl die Europäische Beweisanordnung, die Europäische Sicherstellungsanordnung und die auf europäischen Übereinkommen basierende sonstige Rechtshilfe3,4 soweit die Europäische Ermittlungsanordnung Anwendung findet (Art. 34 EEA).

6.173

Die Europäische Beweisanordnung war in ihrem Anwendungsbereich ohnehin beschränkt, da sie nur für bereits vorhandene Beweismittel galt. Die Europäische Sicherstellungsanordnung war lediglich auf eine Sicherstellung beschränkt. Um die Übergabe der sichergestellten Gegenstände zu erreichen, musste der Rechtshilfeweg beschritten werden. Ein solches System des Nebeneinanders von verschiedenen Regelungen für den Bereich der Beweismittelrechtshilfe auf europäischer Ebene wurde durch die Kommission als „zu stark zersplittert und zu kompliziert“ befunden.5

2. Verfahren 6.174

Eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden „EEA“) ist gem. Art. 1 EEA eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats („Anordnungsstaat“) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer, auch vorläufiger (Art. 32 EEA) Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat („Vollstreckungsstaat“) zur Erlangung von Beweisen erlassen oder validiert wird.6 Die Europäische Ermittlungsanordnung kann nur von einem Staatsanwalt, Richter/Ermittlungsrichter erlassen oder bestätigt werden (Art. 2 Buchst. c EEA), oder jeder anderen vom Anordnungsstaat bezeichneten zuständigen Behörde,

1 2 3

4

5 6

rung prozessualer Waffengleichheit spricht; zur Kritik auch BRAK-Stellungnahme-Nr. 10/2010; DAV-Stellungnahme Nr. 29/2011; ECBA-Statement 9145/10; BT-Beschl. v. 7.10.2010; BR-Drucks. 280/10; Stellungnahme Deutscher Richterbund Nr. 59/10; Kaufmann, DRiZ 2013, 390; Bischoff in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 9 Rz. 46 f. RB 2008/978/JI des Rates v. 18.12.2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABl. EU 2008 Nr. L 350, 72. Vgl. BT-Drucks. 17/1543. Protokoll des Rates gem. Art. 34 des Vertrags über die Europäische Union erstellt zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EG 2001 Nr. C 326, 2); Rechtsakt des Rates v. 29.5.2000 über die Erstellung des Übereinkommens – gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EG 2000 Nr. C 197, 1). Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen v. 20.4.1959 (EuRhÜbK), BGBl. II 1964, 1386; Zusatzprotokolle v. 17.3.1978 und 8.11.2001; Europäisches Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten v. 8.11.1999; Übereinkommen v. 29.5.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RhÜbk). Vgl. bereits Grünbuch der Europäischen Kommission zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen in einem anderen Mitgliedstaat, KOM (2009) 624 endg., 5; a.A. BR-Drucks. 280/10, 3. Zum Verfahren auch Leonhart, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, 38 ff.

156 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.179 Kap. 6

die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist,1 wobei im letzteren Fall eine Validierung durch einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt im Anordnungsstaat zu erfolgen hat (Art. 2 Buchst. c Ziffer ii EEA). In Deutschland kann dies aber nicht durch die Polizeibehörden oder die Steuerfahndung geschehen. Die Europäische Ermittlungsanordnung kann auch in Bezug auf die Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, erlassen werden. Insofern wird auch dem Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen Rechnung getragen. Auch vorläufige Maßnahmen sind nach Art. 32 EEA möglich, um die Vernichtung, Veränderung, Entfernung, Übertragung oder Veräußerung von Gegenständen, die als Beweismittel2 dienen können, zu verhindern.

6.175

Der Erlass einer EEA kann gem. Art. 1 Abs. 3 EEA auch von einer verdächtigen oder beschuldigten Person oder in deren Namen von einem Rechtsanwalt beantragt werden, soweit dies im Rahmen der geltenden Verteidigungsrechte im Einklang mit dem nationalen Strafverfahrensrecht möglich ist (Waffengleichheit).

6.176

Wie beim Europäischen Haftbefehl, folgt die EEA dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (vgl. Art. 82 AEUV).3 Bei dem Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung sind die Voraussetzungen und Schranken zu beachten, wie bei vergleichbaren innerstaatlichen Ermittlungen (Art. 6 Abs. 1 Ziffer b EEA). Die Bindung an innerstaatliches Recht entfällt mithin nicht, so dass insbesondere die Möglichkeit des „Forum-Shoppings“ grds. nicht eröffnet wird;4 so können etwa die hohen inländischen Hürden bzgl. einer Überwachung der Telekommunikation nicht umgangen werden.5

6.177

Die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und die Beweiserhebungen im Rahmen dieser Ermittlungsgruppen sind auf Grundlage dieser Richtlinie nicht möglich.

6.178

Die Übermittlung der EEA erfolgt durch Übersendung der Anordnungsbehörde an die Vollstreckungsbehörde (vgl. Art. 7 EEA). Eine Ermittlung der zuständigen Vollstreckungsbehörde und eine Übermittlung der EEA ist auch über das Europäische Justizielle Netzwerk (EJN)6 möglich (Art. 7 Abs. 4, 5 EEA). Die örtliche Zuständigkeit der Gerichte ist bspw. in § 92d IRG-E normiert.

6.179

1 Zur Kritik vgl. Ahlbrecht, StV 2013, 114 (116) unter Verweis auf BT-Beschl. v. 7.10.2010, der die Anordnungskompetenz als überdehnt ansieht und bei grundrechtsintensiven Ermittlungsmaßnahmen, z.B. bei Wohnungsdurchsuchungen, eine Umgehung des deutschen Richtervorbehalts und damit eine Aushöhlung verfassungsrechtlich verankerter Schutzrechte des Beschuldigten und Drittbetroffener befürchtet. 2 Daraus dürfte zu folgern sein, dass eine grenzüberschreitende Vermögenabschöpfung von der Europäischen Ermittlungsanordnung nicht erfasst ist, da der Rahmenbeschluss ausdrücklich von Beweismitteln spricht. 3 EuGH v. 11.2.2003 – C-187/01, ECLI:EU:C:2003:87 – Gözütok und Brügge, NJW 2003, 1173; vgl. auch Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 24. 4 So aber die Befürchtung von Ahlbrecht, StV 2013, 114 (120). 5 Böse, ZIS 2014, 152 (153). 6 Beschl. 2008/976/JI des Rates v. 16.12.2008 über das Europäische Justizielle Netz (ABl. EU 2008 Nr. L 348, 130).

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Kap. 6 Rz. 6.180 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.180

Das Novum gegenüber sämtlichen bisherigen Verfahrensweisen liegt jedoch in der – wenngleich praxisfernen1 – Fristenregelung des Art. 11 EEA (§ 91g f. IRG). Eine Entscheidung über die EEA ist bereits sobald wie möglich, jedoch maximal innerhalb von 30 Tagen zu treffen (Art. 12 Abs. 3 EEA). Sofern keine Hinderungsgründe nach Art. 15 EEA vorliegen und die erbetenen Informationen nicht bereits vorhanden sind, ist die Ermittlungsmaßnahme sodann innerhalb von 90 Tagen durchzuführen, wobei diese Frist nach Benachrichtigung des Anordnungsstaates in begründeten Ausnahmefällen um höchstens 30 Tage verlängert werden kann (Art. 12 Abs. 5 EEA). Insbesondere die zeitliche Komponente wird erheblich zur Beschleunigung von Strafverfahren beitragen, wenn man bedenkt, dass Rechtshilfeersuchen mitunter über ein Jahr Zeit in Anspruch nehmen können, ohne dass in jedem Fall ein zufriedenstellendes Ergebnis garantiert ist.

6.181

Der weitere praktische Vorteil besteht in dem Erlass des zu verwendenden Formblattes (Art. 5 EEA, Anhang A)2. Dies ist lediglich auszufüllen und zu unterzeichnen und kann direkt übersandt werden.

6.182

Die EEA hat insbesondere die folgenden Angaben zu enthalten (§ 91j IRG): – Angaben zur Anordnungsbehörde und gegebenenfalls zur validierenden Behörde; – Gegenstand und Gründe der EEA; – die erforderlichen verfügbaren Angaben zu der/den betroffenen Person(en); – eine Beschreibung der strafbaren Handlung, die Gegenstand der Ermittlungen oder des Verfahrens ist, sowie die anwendbaren Bestimmungen des Strafrechts des Anordnungsstaats; – eine Beschreibung der erbetenen Ermittlungsmaßnahme(n) und der zu erhebenden Beweismittel.

6.183

Die Vollstreckungsbehörde erkennt gem. Art. 9 Abs. 1 EEA eine nach dieser Richtlinie übermittelte EEA ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Vollstreckungsbehörde einen Versagungsgrund oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung geltend macht.

6.184

Die Vollstreckungsbehörde hält gem. Art. 9 Abs. 2 EEA zwingend die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren ein, etwa was Belehrungen, Anwesenheitsrechte und Verteidigerkonsultationen betrifft. Die Anordnungsbehörde kann gem. Art. 9 Abs. 4 EEA darum ersuchen, dass eine oder mehrere Behörden des Anordnungsstaats die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats bei der Vollstreckung der EEA unterstützen, soweit die benannten Behörden des Anordnungsstaats in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall an der Durchführung der in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme(n) mitwirken könnten.

6.185

Die im Vollstreckungsstaat anwesenden Behörden des Anordnungsstaats sind gem. Art. 9 Abs. 5 EEA bei der Vollstreckung der EEA an das Recht des Vollstreckungsstaats gebunden. 1 Gem. § 91g Abs. 1 Satz 2 IRG-E soll über die Bewilligung von Ersuchen um eine Sicherstellung von Beweismitteln unverzüglich und soweit möglich innerhalb von 24 Stunden nach Eingang des Ersuchens entschieden werden. 2 Abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7TA-2014-0165+0+DOC+XML+V0//DE (abgerufen am: 15.7.2020).

158 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.188 Kap. 6

Für sie sind damit keine Strafverfolgungsbefugnisse im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats verbunden, es sei denn, die Wahrnehmung solcher Befugnisse im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats steht im Einklang mit dem Recht des Vollstreckungsstaats und dem zwischen der Anordnungsbehörde und der Vollstreckungsbehörde vereinbarten Umfang.

3. Verhältnismäßigkeit Die Europäische Ermittlungsanordnung ist in ihrem Anwendungsbereich weder auf erhebliche Straftaten noch auf bestimmte Delikte bzw. Deliktsgruppen beschränkt. Die Unverhältnismäßigkeit der angeordneten Ermittlungsmaßnahme wird in Art. 11 EEA nicht ausdrücklich als Ablehnungsgrund erwähnt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist jedoch von der Vollstreckungsbehörde zu beachten.1 Beispielsweise kann die Vollstreckungsbehörde die Anordnungsbehörde konsultieren, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die angeordnete Maßnahme nicht erforderlich oder unverhältnismäßig ist (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 EEA). Eine solche einseitige Prüfung zur Wahrung verfassungsrechtlicher Prinzipien ist nach Ahlbrecht aber bereits deswegen nicht ausreichend, weil es bislang an einem EU-einheitlichen Verständnis des Begriffs der Verhältnismäßigkeit fehlt.2

6.186

Indes spricht die Regelung des Art. 10 Abs. 3 EEA für eine grundsätzliche Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und zumindest für eine eingeschränkte Prüfungskompetenz des Vollstreckungsstaates. Denn die Vollstreckungsbehörde kann eigenmächtig auf eine andere als in der Europäischen Ermittlungsanordnung angegebene Maßnahme zurückgreifen, wenn diese mit weniger einschneidenden Mitteln das gleiche Ergebnis erreicht.3 Die Vollstreckungsbehörde kann auch dann auf eine andere als die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme zurückgreifen, wenn die von der Vollstreckungsbehörde gewählte Ermittlungsmaßnahme mit weniger einschneidenden Mitteln das gleiche Ergebnis wie die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme erreichen würde. Insofern beinhaltet die EEA erstmals ausdrücklich Erwägungen zur Zweckmäßigkeit und zur Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. In diesem Fall besteht indes eine Unterrichtungspflicht ggü. der Anordnungsbehörde (Art. 10 Abs. 4 EEA). Damit wird der zum Teil erhobenen Kritik Rechnung getragen, wie sie insbesondere aus den Erfahrungen mit dem Europäischen Haftbefehl resultiert.4 In jedem Fall ist einer ausufernden Anwendung im Bereich von Bagatellstraftaten entgegenzuwirken.

6.187

Indes liegt der EEA prinzipiell der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zugrunde, so dass sich grds. eine Pflicht zur Vollstreckung ergibt. Die EEA normiert nur für bestimmte Fälle ausdrücklich einen Versagungsgrund, nämlich dann, wenn die der Ermittlungsanordnung zugrunde liegende Handlung nach dem Recht des Vollstreckungsstaates keine Straftat darstellt (Art. 11 EEA).

6.188

1 Böse, ZIS 2014, 152 (158). 2 Ahlbrecht, StV 2013, 114 (116) unter Verweis auf die Stellungnahme Deutscher Richterbund Nr. 59/10. Im Weiteren verweist Ahlbrecht auf die Erfahrung im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl und fordert daher Regelungen, die es dem Vollstreckungsstaat ermöglichen, die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen und ggf. die Vollstreckung der Ermittlungsanordnung zu versagen. 3 Vgl. die weiteren Argumente bei Böse, ZIS 2014, 152 (158); kritisch hierzu Ahlbrecht, StV 2013, 114 (116). 4 Vgl. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Initiative für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, abrufbar unter http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-europa/2011/januar/stellungnahme-der-brak-2011-10.pdf (abgerufen am: 15.7.2020).

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Kap. 6 Rz. 6.189 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.189

Eine vollständige Neuerung gegenüber bisherigen Ermittlungsinstrumenten und eine wirkliche Verbesserung der Rechtshilfe beinhaltet Art. 10 EEA (Rückgriff auf eine Ermittlungsmaßnahme anderer Art). Die Vollstreckungsbehörde greift danach, „wann immer möglich“, auf eine nicht in der EEA vorgesehene Ermittlungsmaßnahme zurück, wenn – die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht besteht oder – die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stehen würde.

6.190

Nach dem sog. Effektivitätsgebot ist indes durch alle Mitgliedsstaaten folgendes Minimum an verfügbaren Ermittlungsmaßnahmen zu gewährleisten: – die Erlangung von Informationen oder Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der Vollstreckungsbehörde befinden, wenn die Informationen oder Beweismittel nach dem Recht des Vollstreckungsstaats im Rahmen eines Strafverfahrens oder für die Zwecke der EEA hätten erlangt werden können; – die Erlangung von Informationen, die in Datenbanken der Polizei oder der Justizbehörden enthalten sind und zu denen die Vollstreckungsbehörde im Rahmen eines Strafverfahrens unmittelbar Zugang hat; – die Vernehmung eines Zeugen, eines Sachverständigen, eines Opfers, einer verdächtigen oder beschuldigten Person oder einer dritten Partei im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats; – eine nicht invasive Ermittlungsmaßnahme nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsstaats; – die Identifizierung von Inhabern eines bestimmten Telefonanschlusses oder einer bestimmten IP-Adresse.

6.191

Allein wenn die in der EEA angegebene Maßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht besteht oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stehen würde und es keine andere (gleich geeignete) Ermittlungsmaßnahme gibt, die zu dem gleichen Ergebnis führen würde wie die erbetene Ermittlungsmaßnahme, teilt die Vollstreckungsbehörde der Anordnungsbehörde mit, dass es nicht möglich war, die erbetene Unterstützung zu leisten (Art. 10 Abs. 5 RL EEA).

4. Ablehnungsgründe (§ 91e IRG) 6.192

Die Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung sind in Art. 11 EEA normiert und gegenüber dem ursprünglichen Entwurf1 erheblich erweitert worden.2 Die Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA im Vollstreckungsstaat kann versagt werden, wenn 1 Zur Kritik vgl. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Initiative für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, abrufbar unter http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-europa/2011/januar/stellungnahme-der-brak-2011-10.pdf (abgerufen am: 15.7.2020). Insgesamt ist festzustellen, dass der Kritik in weiten, wenngleich nicht allen Teilen, entsprochen wurde. 2 Zum Ganzen auch Leonhart, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, 48 ff.

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G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.194 Kap. 6

– nach dem Recht des Vollstreckungsstaats Immunitäten oder Vorrechte bestehen, die es unmöglich machen, die EEA zu vollstrecken, oder wenn Vorschriften zur Bestimmung und Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien bestehen, die es unmöglich machen, die EEA zu vollstrecken; – die Vollstreckung der EEA in einem bestimmten Fall wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen schaden, die Informationsquelle gefährden oder die Verwendung von Verschlusssachen über spezifische nachrichtendienstliche Tätigkeiten voraussetzen würde; – die EEA in einem Verfahren nach Art. 4 Buchst. b und c erlassen wurde und die Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zulässig wäre; – die Vollstreckung der EEA dem Grundsatz ne bis in idem zuwiderlaufen würde; – die EEA sich auf eine Straftat bezieht, die außerhalb des Hoheitsgebiets des Anordnungsstaats und ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats begangen worden sein soll, und die Handlung, aufgrund deren die EEA erlassen wird, im Vollstreckungsstaat keine Straftat darstellt; – berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme mit den Verpflichtungen des Vollstreckungsstaats nach Art. 6 EUV und der Charta unvereinbar wäre; – die Handlung, aufgrund deren die EEA erlassen wurde, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats keine Straftat darstellt, es sei denn, sie betrifft eine Straftat, die unter den in Anhang D aufgeführten Kategorien von Straftaten genannt wird- wie von der Anordnungsbehörde in der EEA angegeben – und sofern die Straftat im Anordnungsstaat mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist, oder – die Anwendung der in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats auf eine Liste oder Kategorie von Straftaten oder auf Straftaten, die mit einem bestimmten Mindeststrafmaß bedroht sind, beschränkt ist, und die Straftat, die der EEA zugrunde liegt, keine dieser Straftaten ist. Betrifft die EEA eine Straftat in Verbindung mit Steuern oder Abgaben, Zöllen und Devisen, so kann die Vollstreckungsbehörde gem. Art. 11 Abs. 3 EEA die Anerkennung oder Vollstreckung nicht aus dem Grund ablehnen, dass das Recht des Vollstreckungsstaats keine gleichartigen Steuern oder Abgaben vorschreibt oder keine gleichartige Steuer- oder Abgabe-, Zollund Devisenregelung enthält wie das Recht des Anordnungsstaats. Es gelten auch hier die gleichen Einschränkungen, wie beim Europäischen Haftbefehl.

6.193

5. Übermittlung der Beweismittel Die Vollstreckungsbehörde übermittelt gem. Art. 13 EEA dem Anordnungsstaat unverzüglich und unmittelbar die Beweismittel, die aufgrund der Vollstreckung der EEA erlangt wurden oder sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden. Ähnlich den Regelungen zum Europäischen Haftbefehl, findet hier ein System der Übergabe statt. Die Übermittlung des Beweismittels kann gem. Art. 13 Abs. 3 EEA indes so lange ausgesetzt werden, bis über einen Rechtsbehelf entschieden wurde. Dies gilt indes nicht, wenn in der EEA ausreichende Gründe dafür angegeben werden, dass eine sofortige Übermittlung für die Peters | 161

6.194

Kap. 6 Rz. 6.194 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

ordnungsgemäße Durchführung ihrer Ermittlungen oder die Wahrung von individuellen Rechten unerlässlich ist. Die Übermittlung des Beweismittels wird zwingend ausgesetzt, wenn sie der betroffenen Person einen schweren und irreparablen Schaden zufügen würde.

6. Rechtsmittel 6.195

Art. 14 EEA (§ 91i IRG) normiert, soweit ersichtlich, erstmals und ausdrücklich Rechtsbehelfe; wenngleich bereits über Art. 47 Abs. 1 GRCh gegen den Erlass und die Vollstreckung einer EEA gerichtlicher Rechtsschutz sowohl im Anordnungsstaat als auch im Vollstreckungsstaat1 zu gewährleisten ist.2 Die Aufspaltung3 ist insofern dem Grundsatz der Staatenimmunität geschuldet; zudem besteht der Vorteil darin, dass das in dem jeweiligen Staat zuständige Gericht besser mit dem anwendbaren Verfahrensrecht betraut ist.4 Eine inzidente Prüfung ist indes nicht ausgeschlossen, etwa im Hinblick auf den ordre-public Vorbehalt (§ 73 IRG). Auch ein sog. „Brückenkopf-Modell“ ist in der Diskussion, wonach Einwendungen von betroffenen Personen, die keine förmlichen Rechtsbehelfe sein müssen, gegen die sachlichen Gründe für den Erlass einer EEA auch an die Vollstreckungsbehörde gerichtet werden können.5

6.196

Die Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass gegen die in einer EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahmen Rechtsbehelfe eingelegt werden können, die den Rechtsbehelfen gleichwertig sind, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zur Verfügung stehen würden. Die Vorschrift verpflichtet indes nicht zur Einführung neuer oder rechthilfespezifischer Rechtsbehelfe. Hierfür gelten im deutschen Recht insbesondere die Rechtsbehelfe der StPO (Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, Beschwerde gem. § 304 StPO).

6.197

Die Anfechtbarkeit von – positiven oder ablehnenden – Bewilligungsentscheidungen im Rahmen von eingehenden Ersuchen auf der Grundlage der RL EEA ist zu bejahen, da die Entscheidungen subjektive Rechte berühren, vgl. § 91e Abs. 3 und § 91f Abs. 4 IRG.

6.198

Erstmals normiert wird ein Suspensiveffekt. Nach § 91i Abs. 3 IRG kann die Übermittlung von Beweismitteln an den ersuchenden Mitgliedstaat ausgesetzt werden, bis über einen Rechtsbehelf entschieden worden ist, der eingelegt wurde: – in dem ersuchenden Mitgliedstaat gegen den Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung oder – im Geltungsbereich dieses Gesetzes.

1 Zur Rechtswegspaltung vgl. Böse, ZIS 2014, 152 (159). 2 Zur Beschuldigtenstellung und zu den Rechtsbehelfen vgl. auch Leonhart, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, 93 ff. 3 Zur Problematik der sog. Spiegelverteidigung Vogel/Burchard in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, § 77 IRG Rz. 43. 4 Kritisch jedoch zu Recht Ahlbrecht, StV 2013, 114 (117); Heydenreich, StV 2012, 439 (444), bspw. wenn der im Vollstreckungsstaat Betroffene (z.B. ein Zeuge) die Sachentscheidung im Anordnungsstaat anfechten muss und sich bereits durch die räumliche Entfernung und die sprachliche Hürde Erschwernissen ausgesetzt sieht. Für eine transnationale Dimension des Rechtsschutzes daher Böse, ZIS 2014, 152 (160), der eine Pflicht zur Weiterleitung des Rechtsbehelfs an den Anordnungsstaat vorschlägt. 5 Vgl. Referentenentwurf zur EEA, S. 27.

162 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.203 Kap. 6

Die Einzelheiten in Bezug auf das auszuübende Ermessen sind streitig.1 Die Möglichkeit zum Aufschub der Übermittlung von Beweismitteln besteht unabhängig davon, ob ein Rechtsbehelf im Einzelfall aufschiebende Wirkung hat. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die grenzüberschreitende Beweisgewinnung und die Verteidigung dagegen für die betroffenen Personen besondere Belastungen mit sich bringen können.

6.199

Die Mitgliedstaaten haben gem. Art. 14 Abs. 1 EEA darüber hinaus dafür Sorge, dass gegen die in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahmen gleichwertige Rechtsbehelfe eingelegt werden können, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zur Verfügung stehen. Dies gilt bereits für die Rechtsmittelbelehrung (Art. 14 Abs. 3 EEA), entsprechende innerstaatliche Fristen (Art. 13 Abs. 4 EEA) sowie eine entsprechende aufschiebende Wirkung (Art. 13 Abs. 6 EEA). Wobei ein Suspensiveffekt nur dann gilt, wenn dies in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen der Fall wäre. Die sachlichen Gründe für den Erlass der EEA können hingegen nur durch eine Klage im Anordnungsstaat angefochten werden (Art. 13 Abs. 2 EEA). Die Garantie der Grundrechte im Vollstreckungsstaat bleibt davon freilich unberührt.

6.200

Die erfolgreiche Anfechtung der Beweiserhebung im Vollstreckungsstaat bewirkt nicht automatisch die Unverwertbarkeit des Beweismittels im Anordnungsstaat.2 Es gelten insofern die allgemeinen Grundsätze, d.h. die Frage nach der Beweisverwertung richtet sich nach dem Recht des Staates, in dem das Strafverfahren geführt wird. Der Anordnungsstaat soll jedoch gem. Art. 14 Abs. 7 EEA die erfolgreiche Anfechtung der Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA im Einklang mit seinem nationalen Recht berücksichtigen.3 Unbeschadet der nationalen Verfahrensvorschriften haben die Mitgliedstaaten indes sicherzustellen, dass in einem Strafverfahren im Anordnungsstaat bei der Bewertung der mittels einer EEA erlangten Beweismittel die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet werden.

6.201

Einen spezifischen Rechtsbehelf zur Überprüfung der sogenannten Leistungsermächtigung sieht das deutsche Rechtshilferecht im Übrigen in § 61 Abs. 1 Satz 2 IRG vor. Es besteht ein Anrufungsrecht des Einzelnen zum Oberlandesgericht nach § 61 Abs. 1 Satz 2 IRG; indes nur bei Rechtshilfehandlungen, die auf Herausgabe gerichtet sind (§ 66 IRG). Antragberechtigt sind zudem nur Dritte, nicht die von der Rechtshilfe unmittelbar betroffenen Personen. In allen anderen Fällen greift die sogenannte Integrationslösung, die sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes stützt. Personen, die unmittelbar von der Rechtshilfe nach § 66 IRG oder von anderen Formen der sonstigen Rechtshilfe betroffen sind, können danach Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Rechtshilfe im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Vornahmehandlung vorbringen.4

6.202

VI. Relevante Einzelmaßnahmen im Steuerstrafrecht mittels EEA 1. Kontenabfragen/Informationen über Bank- und sonstige Finanzgeschäfte nach EEA Die grenzüberschreitende Einholung von Informationen bei Banken kann zum Einen auf dem klassischen – freilich mühseligen – Rechtshilfeweg erfolgen. Nach Art. 26 Abs. 1 EEA 1 Vgl. Referentenentwurf zur EEA, S. 84. 2 Gleß, Beweisrechtsgrundsätze eine grenzüberschreitenden Strafverfolgung, 413; Heydenreich, StV 2012, 439 (444); Böse, ZIS 2014, 152 (161). 3 Kritisch hierzu Heydenreich, StraFo 2012, 439 (444). 4 BVerfG v. 24.6.1997 – 2 BvR 1581/95; OLG Dresden v. 20.11.2010 – OLG Ausl 74/10, NStZ-RR 2011, 146; vgl. auch OLG Stuttgart v. 9.11.2015 – 1 Ars 54/15, wistra 2016, 127; Johnson in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, § 61 IRG Rz. 12; Mertens, NStZ-RR 2015, 270 (273) m.w.N.

Peters | 163

6.203

Kap. 6 Rz. 6.203 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

kann nunmehr auch eine EEA erlassen werden, um festzustellen, ob eine natürliche oder juristische Person, gegen die das betreffende Strafverfahren geführt wird, Bankkonten bei einer im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats niedergelassenen Bank unterhält, kontrolliert oder entsprechend bevollmächtigt ist (Art. 26 Abs. 2 EEA).1 Bejahendenfalls können sämtliche Angaben zu den identifizierten Konten übermittelt werden. Die Anordnungsbehörde hat in der EEA die Gründe anzugeben, weshalb die erbetenen Auskünfte für das betreffende Strafverfahren wahrscheinlich von wesentlichem Wert sind und weshalb sie annimmt, dass die Konten von Banken im Vollstreckungsstaat geführt werden, und – soweit dies möglich ist – welche Banken möglicherweise betroffen sind. Die EEA kann auch darauf gerichtet sein, Konten zu ermitteln, für die eine Person, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, eine Vollmacht besitzt. Die Vorschrift entspricht Art. 1 Abs. 1 Satz 2 ZP-EuRhÜbk.

6.204

Eine EEA kann gem. Art. 27 Abs. 1 EEA freilich auch erlassen werden, um Angaben über bestimmte Bankkonten sowie über Bankgeschäfte zu erlangen, die während eines bestimmten Zeitraums über ein oder mehrere in der EEA angegebenes/angegebene Bankkonto/Bankkonten getätigt wurden (Kontoverdichtungen), einschließlich der Angaben über sämtliche Überweisungs- und Empfängerkonten. Auch hier sind die Gründe dafür anzugeben, weshalb die erbetenen Auskünfte für das betreffende Strafverfahren für relevant erachtet werden. Dies dürfte insbesondere im Hinblick auf weitere Empfängerkonten gelten. In keinem Fall darf die EEA zur fishing expedition werden.

6.205

Unabhängig von der Einholung von Bankauskünften mittels EEA (Art. 26, 27 EEA) können nach Art. 1 Abs. 5 und Art. 2 Abs. 4 ZP-EuRhübk die Mitgliedsstaaten die Erledigung von Auskunftsersuchen zu Bankkonten und Bankgeschäften bei Einholung auf Grundlage des EuRhübk von den gleichen Bedingungen abhängig machen, die für Ersuchen um Durchsuchung oder Beschlagnahme gelten. Bei Auskunftsersuchen zu Bankgeschäften bietet es sich daher an, diesbezügliche Beschlagnahmebeschlüsse beizufügen. Oftmals ist nach dem Recht des ersuchten Staates eine formelle Beschlagnahmeanordnung erforderlich.

6.206

Für gespeicherte Daten ist ebenfalls ein Beschlagnahmebeschluss nach §§ 94, 98 StPO erforderlich. Dieser ist auch ausreichend, wenn diese vom Durchsuchungsort räumlich getrennt sind, sich also auf Servern befinden. Die Durchsicht eines elektronischen Speichermediums am Durchsuchungsort darf im Falle eines drohenden Datenverlustes auch auf räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von dem Speichermedium aus zugegriffen werden kann, erstreckt werden (§ 110 Abs. 3 StPO vgl. auch unter Rz. 6.116/Transboarder Searches).2 Ein drohender Datenverlust ergibt sich regelmäßig bereits daraus, dass der Betroffene mit Vollzug der Maßnahme um das Verfahren weiß und es ein Leichtes wäre, die Daten zu löschen.

1. Einziehung und Sicherstellung von Vermögenswerten mittels EEA 6.207

Auf europäischer Ebene ist die grenzüberschreitende Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder sonstigen Beweismitteln möglich, wenngleich in der Praxis schwierig und bislang eher die Ausnahme. Auch die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) trifft hierzu keine explizite Aussage. Was den grenzüberschreitenden Arrest in Strafsachen betrifft, wird sich in Zukunft zeigen, inwiefern die EEA herangezogen werden kann. Ausweislich des Wort1 Vgl. auch Leonhart, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, 83 ff. 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 94 StPO Rz. 4, 16; zum direkten Zugriff auf ausländische Server vgl. Lackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe, 196.

164 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.211 Kap. 6

lauts beziehen sich die vorläufigen Maßnahmen nach der EEA (Art. 32 EEA) nur auf Beweismittel. Die Möglichkeit eines Arrestes wurde nicht geregelt.

2. Zustellungen Die Zustellung1 von Schriftstücken im Ausland kann durch unmittelbare Übersendung, mittels förmlichen Rechtshilfeersuchens oder durch konsularische Zustellung bewirkt werden. Die unmittelbare Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein ist innerhalb der EU und der Schengen Assoziierungsstaaten die Regel (§ 77 Abs. 1, § 37 Abs.1 StPO, § 183 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Bei Staaten, die das Eu-RhÜbk nicht ratifiziert haben und für die Schengen-Assoziierungsstaaten gilt Art. 52 Abs.1 SDÜ.2 Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Empfänger der deutschen Sprache nicht oder nicht ausreichend mächtig ist, soll die Übersetzung veranlasst werden.

6.208

Enthält das zuzustellende Schriftstück eine Aufforderung zum Erscheinen, können die Rechtsfolgen, die beim Ausbleiben eintreten, angegeben werden. Zwangsmaßnahmen dürfen beschuldigten Personen indes nur unter dem Hinweis angedroht werden, dass diese im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates nicht vollstreckt werden können.3 Gegen Zeugen und Sachverständige ist eine solche Androhung unzulässig; auf die besondere Notwendigkeit darf jedoch hingewiesen werden.4

6.209

Deutsche Behörden dürfen in strafrechtlichen Angelegenheiten mit Personen, die im Ausland wohnen – gleichgültig ob sie Deutsche oder Ausländer sind – unmittelbar schriftlich oder fernmündlich nur dann in Verbindung treten, wenn nicht damit zu rechnen ist, dass der ausländische Staat dieses Verfahren als einen unzulässigen Eingriff in seine Hoheitsrechte beanstandet. Als unbedenklich werden aus deutscher Sicht Eingangsbestätigungen, Zwischenbescheide, Terminsabstimmungen, Benachrichtigungen von der Aufhebung eines Termins sowie Mitteilungen über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens an Beschuldigte, Antragstellerinnen und Antragsteller erachtet, sprich Verhaltensweisen die keine originäre hoheitliche Tätigkeit im Sinne einer Eingriffsverwaltung darstellen.5

6.210

3. Ersuchen um Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen Der persönliche Eindruck von einem Zeugen ist in der Regel durch nichts zu ersetzen.6 In einem Ersuchen um Vernehmung von Beschuldigten oder Zeugen bzw. Sachverständigen7 ist gem. Nr. 117 RiVASt anzugeben, ob die Vernehmung durch ein Gericht, durch eine Staats1 Vgl. auch Nr. 115, 116 RiVASt. 2 Eine für die gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Praxis überaus hilfreiche Liste findet sich in Anlage III zu Anhang II der RiVASt, die Urkunden auflistet, die gem. Art. 52 SDÜ zwischen den Mitgliedsstaaten der EU unmittelbar durch die Post zugestellt werden können, wobei aufgelistet ist, ob dies mittels formloser Mitteilung (fM) oder mittels Zustellung (ZU) zu erfolgen hat. 3 Nr. 116 RiVASt. 4 Ggf. kommt auch die Zusicherung sog. „Freien Geleits“ in Betracht, vgl. Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe3, Rz. 185. 5 Die Schweiz äußert indes derzeit Vorbehalte und besteht auch in diesen Fällen auf der Einhaltung des Rechtswegs. 6 Zur Bedeutung der Unmittelbarkeit des Zeugenbeweises vgl. BGH v. 25.4.2002 – 3 StR 506/01, NJW 2002, 2403; BGH v. 26.8.2003 – 1 StR 282/03, NStZ 2004, 347. 7 Vgl. auch Nr. 77, 117 RiVASt.

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6.211

Kap. 6 Rz. 6.211 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

anwaltschaft oder eine andere Behörde erfolgen soll. Bei einem Ersuchen um richterliche Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen ist anzugeben, ob um eidliche oder uneidliche Vernehmung ersucht wird. Steht der Person, die vernommen werden soll, ein Recht zur Verweigerung der Aussage, der Auskunft oder der Eidesleistung zu, ist unter wörtlicher Anführung oder Beifügung in Ablichtung der deutschen Gesetzesbestimmungen darum zu bitten, die Person vor der Vernehmung über das ihr nach den deutschen Vorschriften etwa zustehende Recht zur Verweigerung zu belehren. Es muss sichergestellt werden, dass dieses Recht nicht unterlaufen wird.

6.212

Die Vernehmung im Ausland befindlicher Beschuldigter oder Zeugen kann durch unmittelbare schriftliche Anhörung (Nr. 121 Abs. 2 RiVASt), mittels förmlichen Rechtshilfeersuchens (Nr. 117 RiVASt), durch eine konsularische Vernehmung (Nr. 130 Abs. 2 RiVASt) oder durch Vernehmung im Wege der Videokonferenz erfolgen. Eine schriftliche oder ggf. telefonische Zeugenauskunft oder schriftliche Anhörung des Beschuldigten kommt im Anwendungsbereich der EEA und des SDÜ in Betracht. Mittels EEA (Art. 10 Abs. 2c) ist nunmehr auch die Vernehmung im Wege der Videokonferenz (Art. 24 EEA) und im Wege der Telefonkonferenz (Art. 25 EEA) möglich.

6.213

Die Vernehmung durch eine deutsche Auslandsvertretung ist keine Rechtshilfe, sondern gem. § 15 KonsularG i.V.m. Nr. 128 – 132 RiVASt innerstaatliche Amtshilfe. Ausgehende Ersuchen sind nach Maßgabe von Nr. 117 RiStBV abzufassen.1 In dem Ersuchen ist anzugeben, ob sie durch ein Gericht, durch eine Staatsanwaltschaft oder eine andere Behörde erfolgen soll.

4. Beweisanträge auf Vernehmung im Ausland befindlicher Zeugen 6.214

Weniger ein Problem der Rechtshilfe denn ein strafprozessuales Problem sind entsprechende Beweisanträge auf Ladung und/oder Vernehmung eines im Ausland befindlichen Zeugen in der Hauptverhandlung. Beispiel: Für die Frage, welchem der beiden in Betracht kommenden Staaten das Besteuerungsrecht zusteht, kommt es darauf an, wo der Angeklagte nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 2 DBA Kanada 19812 ansässig war.3 Die Verteidigung benennt hierfür eine Reihe von ausländischen Zeugen.

1 Vgl. hierzu auch RiVASt Muster 32 und 32a. 2 Art. 4 Abs. 2 DBA Kanada 1981 entscheidet insoweit darüber, welcher der beiden Vertragsstaaten als Ansässigkeitsstaat und welcher als Quellenstaat zu behandeln ist, wenn eine Person nach Art. 4 Abs. 1 DBA Kanada 1981 in beiden Staaten ansässig ist. Dem danach gegebenen Ansässigkeitsstaat steht dann das Besteuerungsrecht für die Gewinne des Unternehmens zu. Etwas anderes gilt, wenn das Unternehmen in dem jeweils anderen Staat über eine Betriebsstätte verfügt (vgl. Art. 7 Abs. 1 DBA Kanada 1981), der dann der sog. Quellenstaat ist. 3 Zu sog. „Ansässigkeitsanträgen“ vgl. BGH v. 6.9.2011 – 1 StR 633/10, NZWiSt 2012, 229 (Fall Schreiber). Dort stellte die Verteidigung einen Antrag mit dem Ziel die Ansässigkeit des Angeklagten Schreiber in Kanada zu beweisen und benannte zum Beweis der Tatsache eine Vielzahl von Zeugen und weshalb diese hierzu Bekundungen treffen können. Besondere Bedeutung maß der BGH in diesem Fall dem sog. Konnexitätserfordernis zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung bei. Darunter ist im Falle des Zeugenbeweises zu verstehen, dass der Antrag erkennen lassen muss, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll, vgl. hierzu auch BGH v. 3.11.2010 – 1 StR 497/10, NStZ 2011, 169. In jedem Fall ist anzuraten, konkret darzulegen, wieso und was der Zeuge zur Ansässigkeit bezeugen kann. Vgl. auch Nagler, StV 2013, 328.

166 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.218 Kap. 6

Die Ladung des Zeugen erfolgt entweder mittels unmittelbarer Zustellung per Post, wenn dieser Weg vertraglich zugelassen ist (Art. 52 SDÜ), über die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik, mittels Europäischer Ermittlungsanordnung oder im Wege der Zustellung durch den ersuchten Staat (Art. 7 Abs. 1 EU-RhÜbk, Art. 3 ZP-EuRhÜbk). Das Erscheinen kann indes nicht mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden (Art. 8 EuRhÜbk, Art. 52 SDÜ, § 59 IRG). Gem. Art. 12 EuRhÜbk kann einem Zeugen jedoch „freies Geleit“ zugesichert werden1 und die unterbliebene Aufnahme einer solchen Zusicherung einen Revisionsgrund bilden.2 In jüngerer Zeit kommt es auch häufiger vor, dass wenn ein Zeuge sich nicht bereit erklärt zur Vernehmung nach Deutschland zu reisen, das erkennende Gericht nebst allen Prozessbeteiligten sich auf dem Rechtshilfeweg ins Ausland begibt und der Vernehmung durch einen örtlichen Richter beiwohnt, der zuvor im Rechtshilfewege übersandte Fragen an den Zeugen richtet.

6.215

Der Aufenthalt eines Zeugen im Ausland hebt seine Erreichbarkeit mithin nicht auf. Ein entsprechender Beweisantrag kann nur dann abgelehnt werden, wenn die Vernehmung nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (vgl. auch § 244 Abs. 5 StPO).3 Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandzeugen kann ferner abgelehnt werden, wenn dieser nach den vorliegenden polizeilichen und richterlichen Vernehmungsniederschriften nicht erforderlich ist.4 Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO darf die Ladung eines Zeugen im Ausland nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts auch dann zurückgewiesen werden, wenn das Gericht aufgrund hinreichender Anhaltspunkte die sichere Überzeugung erlangt, dass durch die beantragte Einvernahme eine weiterführende und bessere Sachaufklärung nicht zu erwarten ist.5 In diesen Fällen entfällt auch die Pflicht zur Prüfung, ob eine Vernehmung im Rechtshilfewege möglich ist. Kommt es auf die Vernehmung des Zeugen an bzw. ist eine solche aus Aufklärungsgesichtspunkten heraus geboten, stehen mehrere Wege zur Verfügung.

6.216

Die Nichterreichbarkeit eines Auslandszeugen darf nur dann festgestellt werden, wenn alle der Bedeutung seiner Aussage entsprechenden Bemühungen des Gerichts, ihn zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu veranlassen, erfolglos geblieben sind auch zukünftig nicht absehbar ist, dass er erscheint. Insofern muss versucht werden, den Zeugen direkt oder durch den ausländischen Staat zur Hauptverhandlung zu laden.6

6.217

Die Nichterreichbarkeit ist durch Beschluss nach § 244 Abs. 6 StPO festzustellen.7 Bei der Prüfung der Aufklärungspflicht hat das Gericht die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen und ist insoweit von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Kommt das Gericht

6.218

1 Vgl. Empfehlung R (83) 12 des Ministerkomitees der Mitgliedstaaten des Europarates betreffend das freie Geleit für Zeugen in Anwendung des Art. 12 EuRhÜbk vom 23.9.1983. 2 BGH v. 21.3.1984 – 2 StR 700/83, NStZ 1984, 375. 3 Zum Ganzen Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 244 StPO Rz. 78. 4 BGH v. 15.12.1994 – 4 StR 684/94, juris. 5 BGH v. 8.6.2011 – 3 StR 49/11, NStZ 2011, 646; zum notwendigen Inhalt eines entsprechenden Beweisantrags vgl. BGH v. 29.4.2010 – 1 StR 644/09, StV 2010, 556; kritisch hierzu Nagler, StV 2013, 324 (329) unter Verweis auf BT-Drucks. 12/1217, 36, der das Beweisantragsrecht in den Fällen von Auslandszeugen gar liqudiert sieht. 6 Vgl. Art. 5 EU-RhÜbk, Art. 52 SDÜ. 7 Die Begründungspflicht hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Hierzu darf sich das Gericht später nicht in Widerspruch setzen.

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Kap. 6 Rz. 6.218 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht wird bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine – des Tatrichters – Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen würde, ist die Ablehnung des Beweisantrags nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs nicht zu beanstanden.1

5. Vernehmung mittels Videokonferenz 6.219

Besondere Bedeutung im Internationalen Steuerstrafrecht wird zukünftig die Vernehmung mittels Videokonferenz erlangen. Über § 247a StPO i.V.m. Art. 24, 25 EEA ist eine solche Vernehmung mittels Videokonferenz möglich. Im Internationalen Steuerstrafrecht ist dieser Weg von besonderer Bedeutung, wenn es um die Vernehmung einer Vielzahl von Personen, etwa zur Frage des gewöhnlichen Aufenthalts, der Ansässigkeit oder den Ort der kaufmännischen Geschäftsleitung geht. Beispiel: Die Finanzverwaltung in A glaubt angesichts einer Wohnungsgröße von lediglich 16 qm bei einem Einkommen von 250.000 Euro im Jahr nicht, dass der deutsche Staatangehörige B als sog. Expat überwiegend in Tokyo/Japan aufhältig ist, zumal er noch über ein Zimmer im elterlichen Haus verfügt und die dortige Anschrift als Zustellungsadresse gebraucht. Zum Beweis benennt B eine Vielzahl von Zeugen mit denen er einen Großteil seiner beruflichen und freien Zeit verbringt. A behauptet, der Ort der geschäftlichen Oberleitung läge in Dubai und benennt mehrere vor Ort ansässige Vertrags- und Geschäftspartner, mit denen er Verhandlungen geführt hat.

6.220

Ausweislich der Gesetzesbegründung2 soll die neue Vorschrift auch internationalen Tendenzen Rechnung tragen, auf neue Kommunikationsmittel zurückzugreifen und dabei auch die Videotechnologie einzusetzen, mit deren Hilfe Schwierigkeiten bei der Vernehmung von Auslandszeugen überwunden werden können. Erreichbar ist nach § 247a StPO nunmehr auch ein Zeuge, wenn er aus der Hauptverhandlung heraus mittels einer zeitgleichen Bild-Ton-Übertragung an einem anderen Ort vernommen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Vernehmungsort im Ausland liegt, sofern eine solche Vernehmung im Wege der Rechtshilfe möglich ist und die Art ihrer Durchführung einer solchen nach § 247a StPO im Inland weitgehend entspricht. Entscheidend ist insbesondere, dass eine unbeeinflusste Vernehmung möglich ist, bei der die Verhandlungsleitung bei dem Vorsitzenden liegt und die ungeschmälerte Ausübung der prozessualen Befugnisse aller Prozessbeteiligten gewährleistet ist.3 Die bloße Aufzeichnung einer kommissarischen Vernehmung durch das Gericht des Aufenthaltsstaates des Zeugen unter Teilnahme deutscher Verfahrensbeteiligter genügt nicht den Anforderungen des § 247a StPO. Es fehlt an der Sachleitung durch den Vorsitzenden und es mangelt an interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten.

6.221

In diese Richtung zielende Beweisanträge sollten nicht ohne Erwägung der Möglichkeiten einer Videokonferenz abgelehnt werden.4 Die Frage, ob nur eine Vernehmung des Zeugen vor 1 Vgl. BGH v. 26.10.2006 – 3 StR 374/06, juris; BGH v. 9.6.2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322 (2323); BGH v. 21.12.2010 – 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116 (117). 2 BT-Drucks. 13/9063, 4 f. 3 BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, NJW 1999, 3788 unter Verweis auf Rieß, NJW 1998, 3240 (3242). 4 Zum Ganzen vgl. BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, NJW 1999, 3788; BGH v. 9.10.2007 – 5 StR 344/07, NStZ 2008, 232; BGH v. 28.1.2010 – 3 StR 274/09, NJW 2010, 2365, vgl. hierzu Rose, NStZ 2012, 18.

168 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.225 Kap. 6

dem erkennenden Gericht die nach Sach- und Rechtslage erforderliche Ausschöpfung des Beweismittels gewährleistet oder ob auch eine kommissarische oder audiovisuelle Vernehmung zur Sachaufklärung tauglich ist, hat das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Die für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Erwägungen müssen aber schlüssig ergeben, weshalb die kommissarische oder audiovisuelle Vernehmung zur Sachaufklärung ungeeignet und daher ohne jeden Beweiswert ist.1 In keinem Fall darf es einem Angeklagten zum Nachteil gereichen, dass dem Verfahren eine Auslandstat zugrunde liegt oder die Tat jedenfalls einen starken Auslandsbezug aufweist und die Beweisführung infolgedessen im Wesentlichen auf ausländische Beweismittel zurückgreifen muss. Es gelten die oben dargestellten Grundsätze zur Vernehmung von Auslandszeugen. Dem legitimen Anliegen, sich gegen aus dem Ausland stammende und belastende Beweismittel/Erkenntnisse durch die Benennung von im Ausland ansässigen Entlastungszeugen zu verteidigen, ist in der Weise Rechnung zu tragen, dass an die Ablehnung eines solchen Beweisantrags strengere Maßstäbe anzulegen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Ermittlungsverfahren (aufwendige) Rechtshilfeersuchen ohne nähere Begründung unterlassen wurden, obleich diese sich aufgedrängt hätten (bspw. zeitgleiche Durchsuchung auch der niederländischen Geschäftsräumlichkeiten).

6.222

Viele Gerichte halten bereits Anlagen vor, die eine Vernehmung mittels Videokonferenz ermöglichen. Auch eine Vernehmung über Programme wie iChat, Facetime, Skype, z.B. eine Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren, wird aber als unkritisch zu sehen sein, wenn die rechtlichen Standards gewahrt sind und die Beteiligten zustimmen.

6.223

6. Videokonferenz nach EEA Für eine Vernehmung im Wege der Videokonferenz oder sonstiger audiovisueller Übertragung gelten nach Art. 24 Abs. 5 EEA nunmehr konkrete Regeln.

6.224

Bei der Vernehmung ist ein Vertreter der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats – bei Bedarf unterstützt von einem Dolmetscher – anwesend, der auch die Identität der zu vernehmenden Person feststellt und auf die Einhaltung der wesentlichen Grundsätze des Rechts des Vollstreckungsstaats achtet (Art. 24 Abs. 5 Buchst. a Satz 1 EEA). Zwischen den zuständigen Behörden des Anordnungsstaats und des Vollstreckungsstaats sind gegebenenfalls Schutzmaßnahmen zu treffen (Stimmverzerrung, Verfremdung, Art. 24 Abs. 5 Buchst. b EEA). Die Vernehmung ist unmittelbar von oder unter Leitung der zuständigen Behörde des Anordnungsstaats nach deren nationalem Recht durchzuführen (Art. 24 Abs. 5 Buchst. c EEA). Auf besonderen Wunsch des Anordnungsstaats oder der zu vernehmenden Person hat der Vollstreckungsstaat sicherzustellen, dass die zu vernehmende Person bei Bedarf von einem Dolmetscher unterstützt wird (Art. 24 Abs. 5 Buchst. d EEA). Der Beschuldigte und auch der Verdächtige sind vor der Vernehmung darüber zu belehren, welche Verfahrensrechte ihnen nach dem Recht des Vollstreckungsstaats und des Anordnungsstaats zustehen, insbesondere was das Aussageverweigerungsrecht betrifft. Zeugen und Sachverständige können sich auf das Aussageverweigerungsrecht berufen, das ihnen nach dem Recht des Vollstreckungs- oder des Anordnungsstaats zusteht. Hierüber hat ebenfalls 1 BGH v. 28.1.2010 – 3 StR 274/09, NJW 2010, 2365.

Peters | 169

6.225

Kap. 6 Rz. 6.225 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

eine Belehrung stattzufinden. In der Praxis war es bislang so, dass die relevanten Vorschriften insoweit mitübermittelt wurden (Art. 24 Abs. 5 Buchst. d EEA). Sofern nichts anderes vereinbart wird, gilt Art. 24 Abs. 3, 5, 6 und 7 für Vernehmungen per Telefonkonferenz sinngemäß.

7. Ersuchen um Durchsuchung/Beschlagnahme/Herausgabe 6.226

Ausgehende Ersuchen um Durchsuchung und Beschlagnahme1 stehen wegen der besonderen Eingriffsintensität in der Regel unter dem Vorbehalt der beiderseitigen Strafbarkeit.2 Einem Rechtshilfeersuchen in die Schweiz wegen bloßer Steuerhinterziehung würde nicht entsprochen.

6.227

Ausgehende Ersuchen um Durchsuchung, Beschlagnahme und Herausgabe müssen nach Nr. 114 RiVASt – die ersuchende Stelle; – Gegenstand und Grund nebst Sachverhaltsdarstellung; – die Person und die Durchsuchungsorte; – und die Bezeichnung der strafbaren Handlung enthalten.

6.228

Die aufzufindenden Gegenstände sind – genau wie bei innerstaatlichen Durchsuchungsbeschlüssen – so konkret wie möglich zu bezeichnen. Im Steuerstrafrecht ist insofern stets auf die betroffenen Steuern und Zeiträume zu achten. Mitunter reicht eine zusammenfassende Sachverhaltsschilderung nicht, sondern es ist zusätzlich eine Beweiswürdigung unter Benennung des konkreten Beweismittels erforderlich.3 Die nach innerstaatlichem Recht zuvor ergangenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse sind beizfügen. Für diese gelten die allgemeinen Voraussetzungen.

6.229

Nach Art. 1 Abs. 5 und 2 Abs. 4 ZP-EuRhübk können die Mitgliedsstaaten die Erledigung von Auskunftsersuchen zu Bankkonten und Bankgeschäften von den gleichen Bedingungen abhängig machen, die für Ersuchen um Durchsuchung oder Beschlagnahme gelten. Bei Auskunftsersuchen zu Bankgeschäften bietet es sich daher an, diesbezügliche Beschlagnahmebeschlüsse beizufügen. Oftmals ist nach dem Recht des ersuchten Staates eine formelle Beschlagnahmeanordnung erforderlich.

6.230

Für gespeicherte Daten ist ebenfalls ein Beschlagnahmebeschluss nach §§ 94, 98 StPO erforderlich. Dieser ist auch ausreichend, wenn diese vom Durchsuchungsort räumlich getrennt sind, sich also auf Servern befinden. Die Durchsicht eines elektronischen Speichermediums am Durchsuchungsort darf im Falle eines drohenden Datenverlustes auch auf räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von dem Speichermedium aus zugegriffen werden kann, erstreckt werden (§ 110 Abs. 3 StPO).4 Ein drohender Datenverlust ergibt sich regel-

1 Vgl. auch Nr. 114 RiVASt. 2 Vgl. auch Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, c EuRhÜbk und Art. 51 SDÜ. 3 Zu den Besonderheiten im Hinblick auf ausgehende Ersuchen in die USA vgl. Bischoff in MüllerGugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 9 Rz. 94. 4 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 94 StPO Rz. 4, 16; zum direkten Zugriff auf ausländische Server vgl. Lackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe, 196.

170 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.236 Kap. 6

mäßig bereits daraus, dass der Betroffene mit Vollzug der Maßnahme um das Verfahren weiß und es ein Leichtes wäre, die Daten zu löschen. Nach den Regelungen der EEA können Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse nunmehr auch direkt übermittelt werden.

8. Überwachung des Fernmeldeverkehrs Die Überwachung der Telekommunikation kommt gem. § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, b StPO nur in den Fällen von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO bzw. bei gewerbsmäßigem, gewaltsamen und bandenmäßigem Schmuggel in Betracht.1 Hauptanwendungsbereich in der Praxis ist die organisierte, bandenmäßige Umsatzsteuerhinterziehung und Zigarettenschmuggel.

6.231

Überwacht werden kann Festnetz- und Mobiltelefonie. Die Anordnung hat schriftlich zu erfolgt durch Beschluss des Ermittlungsrichters (§ 100b StPO). Nur bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung durch die StA getroffen werden. Der Tatverdacht muss weder dringend noch hinreichend, sondern darf lediglich nicht unerheblich sein. Die Anordnung ist auf drei Monate zu befristen. Die Anordnung gegen Verteidiger und Rechtsanwälte ist grds. unzulässig, es sei denn es besteht ein sog. Verstrickungsverdacht.2

6.232

Die Anordnung muss folgende Punkte beinhalten

6.233

– soweit möglich, der Name und die Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Maßnahme richtet; – die Rufnummer oder eine andere Kennung des zu überwachenden Anschlusses oder des Endgerätes, sofern sich nicht aus bestimmten Tatsachen ergibt, dass diese zugleich einem anderen Endgerät zugeordnet ist; – Art, Umfang und Dauer der Maßnahme unter Benennung des Endzeitpunktes. Eine Wohnraumüberwachung gem. § 100c StPO kommt hingegen nicht in Betracht. Zu beachten ist jedoch, dass der Katalog in § 100c StPO Straftaten enthält, die teils mit der Verwirklichung von Steuerstraftaten einhergehen (besonders schwerer Fall der Geldwäsche, besonders schwere Fälle der Bestechung, Bildung einer kriminellen Vereinigung).

6.234

9. Überwachung des Fernmeldeverkehrs mittels EEA Vertragliche Regelungen zur grenzüberschreitenden Überwachung des Telefonverkehrs sind selten.3 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen ergeben sich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft aus dem Eu-RhÜbk bzw. nunmehr aus Art. 30 der Europäischen Ermittlungsanordnung.

6.235

Die EEA hat gem. Art. 30 Abs. 1 folgende Angaben zu enthalten:

6.236

– Angaben, die zum Zwecke der Identifizierung der Zielperson der Überwachung erforderlich sind; – die gewünschte Dauer der Überwachung und 1 Vgl. auch Nr. 77a RiVASt. 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 100a StPO Rz. 21 f. 3 Vgl. jedoch Art. 17 – 23 Eu-RhÜbk; Art. 20 VN-OK-Übk.

Peters | 171

Kap. 6 Rz. 6.236 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

– ausreichende technische Daten, insbesondere die Zielkennung, damit gewährleistet wird, dass die EEA vollstreckt werden kann.

6.237

Zusätzlich zu den in Art. 11 EEA genannten Versagungsgründen kann die Vollstreckung einer EEA versagt werden, wenn die Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde. Der Vollstreckungsstaat kann seine Zustimmung von der Erfüllung jeglicher Bedingungen abhängig machen, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zu erfüllen wären. Die Vollstreckung selbst kann durch unmittelbare Übertragung oder Überwachung und Aufzeichnung erfolgen (Art. 30 Abs. 6 EEA).

10. Ausgehende Ersuchen im Übrigen 6.238

Auch sonstige ausgehende Ersuchen um Überwachung der Telekommunikation sind zunächst an die gleichen Voraussetzungen geknüpft, wie eine Überwachung im Inland. Ein Rechtshilfeersuchen mit dem Ziel der Durchführung einer Telefonüberwachung im Ausland darf nur dann gestellt werden, wenn der Verdacht einer Katalogtat i.S.d. § 100a StPO gegeben ist. Für die Steuerhinterziehung kommt dies nur bei besonders schweren Fällen gem. § 370 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 AO, bei gewerbs- oder bandenmäßigem Schmuggel gem. § 373 AO sowie gewerbsmäßiger und bandenmäßiger Steuerhehlerei gem. § 374 Abs. 2 AO in Betracht. Es bedarf in jedem Fall eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses. Dies gilt nur dann nicht, wenn Bestandsdaten, etwa aus vorhergegangenen, abgeschlossenen oder gerade durchgeführten Maßnahmen der ausländischen Behörden übersandt werden sollen.1

6.239

Das ausgehende Ersuchen soll ferner – entsprechend. Art. 17 Eu-Rhübk – folgende Punkte enthalten – die Angabe der Behörde, die das Ersuchen stellt; – eine subsumtionsfähige Sachverhaltsdarstellung; – eine Bestätigung, dass eine rechtmäßige Überwachungsanordnung im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Ermittlung erlassen wurde (es empfiehlt sich stets, einen entsprechenden Beschluss in beglaubigter Ablichtung beizufügen); – Angaben zum Zwecke der Identifizierung der Zielperson; – eine Angabe des strafbaren Verhaltens, das der Ermittlung zugrunde liegt; – die gewünschte Dauer der Überwachung; – nach Möglichkeit ausreichende technische Daten, insbesondere die Netzanschlussnummer; – eine Versicherung, dass die Erkenntnisse nur für die im Ersuchen benannten Straftaten verwendet werden; – eine Versicherung, dass die Überwachungsprotokolle vernichtet werden, sobald diese nicht mehr benötigt werden und – eine Versicherung, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung entsprechend § 100a Abs. 4 StPO gewahrt wird. 1 Vgl. Art. 39 SDÜ, Nr. 124 Abs. 2, 3 RiVASt.

172 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.243 Kap. 6

Obige Ausführungen gelten sinngemäß für den Einsatz sonstiger technischer Geräte. Die generelle Frage der Verwertung wurde in Art. 18 Eu-Rhübk nicht geregelt. Auch die EEA trifft hierzu keine Aussage.

6.240

Beweisverwertungsverbote können indes aus einer etwaigen Bedingung des ersuchten Staates nach Art. 18 Abs. 5b und Art. 18 Abs. 6 Satz 2 Eu-RhÜbk oder aus der Fortsetzung der Überwachung nach Art. 20 Eu-RhÜbk folgen.

11. Eingehende Ersuchen Sonstige eingehende Ersuchen um Durchführung einer Überwachung des Telekommunikationsverkehrs können sowohl vertraglos (§ 59 Abs. 1 IRG) als auch auf der Grundlage einer völkerrechtlichen Vereinbarung nach § 1 Abs. 3 IRG erledigt werden. Zulässig ist die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs gemäß § 77 IRG nach Maßgabe der entsprechenden Bestimmungen der StPO (§§ 100a, 100b, 101). Es gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze und Voraussetzungen für die Anordnung einer Telefonüberwachung. In der Regel sichert die ausländische Behörde dabei zu, dass:

6.241

– die Voraussetzungen der Telefonüberwachung vorlägen, wenn diese im ersuchenden Staat durchgeführt werden müsste; – die gewonnenen Erkenntnisse nur zur Aufklärung der in dem Ersuchen genannten Straftat (en) verwendet werden und – die Überwachungsprotokolle vernichtet werden, sobald sie zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich sind.

12. Sonstige grenzüberschreitende Maßnahmen Eine grenzüberschreitende Observation ist nur in den in Art. 40 Abs. 7 SDÜ genannten Fällen möglich.1 Die Steuerhinterziehung ist hiervon nicht umfasst. Hiervon zu unterscheiden ist die grenzüberschreitende Nacheile, etwa im Rahmen von Grenzkontrollen oder den Fällen des Schmuggels.

6.242

Der Einsatz verdeckter Ermittler (§ 110a StPO) kommt nach hier vertretener Ansicht allenfalls in den Fällen von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 und § 373 AO in Betracht (vgl. § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Es muss sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln, so dass eine Anwendung wohl nur im Falle organisierter Umsatzsteuerkarusselle und schwerer bandenmäßiger Steuerhinterziehung in Betracht kommt. Es gelten die allgemeinen Voraussetzungen. Teilweise Ermächtigungen oder Anhaltspunkte für den grenzüberschreitenden Einsatz verdeckter Ermittler enthalten Art. 14 EU-RhÜbk, Art. 19 2. ZP-EuRhÜbk, Art. 17 CH-PolV, Art. 23 Neapel II;

6.243

1 Mord, Totschlag, schwere Straftat sexueller Natur, vorsätzliche Brandstiftung, Fälschung und Verfälschung von Zahlungsmitteln, schwerer Diebstahl, Hehlerei und Raub, Erpressung, Entführung und Geiselnahme, Menschenhandel, unerlaubter Verkehr mit Betäubungsmitteln, Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften über Waffen und Sprengstoffe, Vernichtung durch Sprengstoffe, unerlaubter Verkehr mit giftigen und schädlichen Abfällen, schwerer Betrug, Schleuserkriminalität, Geldwäsche, illegaler Handel mit nuklearem und radioaktivem Material, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Sinne der Gemeinsamen Maßnahme 98/733/JI des Rates vom 21.12.1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, terroristische Straftaten im Sinne des RB 2002/475/JI des Rates vom 13.6.2002 über die Bekämpfung des Terrorismus.

Peters | 173

Kap. 6 Rz. 6.243 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

Art. 20 VN-OK-Übk.1 Eine tragfähige, inhaltlich ausgestaltete Rechtsgrundlage, die über die bloße Eröffnung der Möglichkeit zum Einsatz verdeckter Ermittler hinausgeht, besteht indes nicht.

13. Anwesenheit deutscher Beamter im Ausland 6.244

Deutsche Ermittlungsbeamte (Steuerfahnder, Staatsanwälte) und Richter dürfen im Ausland keine Amtshandlungen vornehmen.2 Es besteht jedoch die Möglichkeit, bei Amtshandlungen im Ausland mit Genehmigung des jeweiligen ausländischen Staates anwesend zu sein. Die Teilnahme einer deutschen Richterin oder Beamtin oder eines deutschen Richters oder Beamten an Amtshandlungen im Ausland bedarf der Genehmigung des ausländischen Staates, die in der Regel nur bei besonderen, schwerwiegenden Fällen erteilt wird. Der Sinn und Zweck besteht darin, die Souveränität des ersuchten Staates zu wahren und wohl auch darin einem Dienstreisetourismus entgegenzuwirken. Gleichwohl sollte in geeigneten Fällen, wie sonst auch,3 persönlich an den Ermittlungshandlungen teilgenommen werden. Zwar beschränkt sich die Teilnahme in der Regel auf die bloße Anwesenheit; mit Einverständnis des Betroffenen besteht jedoch die Möglichkeit, die Maßnahme aufgrund der Sach- und Verfahrenskunde des anwesenden deutschen Ermittlungsbeamten abzukürzen und so den Eingriff möglichst gering zu halten. Die Fertigung eigener Protokolle und Vermerke ist zulässig. In jedem Fall ist aber die gebotene Zurückhaltung zu üben und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich um eine originäre ausländische Maßnahme handelt.

6.245

Hingegen können im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen nach Art. 13 Eu-RhÜbk deutsche Ermittlungsbeamte in einem anderen Mitgliedstaat mit der Durchführung von Ermittlungshandlungen unmittelbar betraut werden. Die grenzüberschreitende Nacheile nach Art. 41 SDÜ ist für Steuerfahndungsbeamte nicht möglich. Auch die EEA sieht mittlerweile Teilnahmemöglichkeiten ausländischer Beamter vor (Art. 8 Abs. 2, Art. 9 Abs. 4, 5, 17, 18 EEA).

6.246

Gänzlich unzulässig ist die mitunter zu beobachtende Praxis, dass Steuerfahnder privat Erkenntnisse und Unterlagen bei Behörden im Ausland vor Ort einholen, etwa im Rahmen eines dortigen Urlaubs oder im Falle privater Aufenthalte vor Ort aus anderen Gründen.

VII. Sonstige Aspekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit 6.247

Zwei Neuerungen auf europäischer Ebene – eine Verordnung über Europäische Herausgabeund Sicherheitsanordnungen4 und eine Richtlinie betreffend die Bestellung von Vertretern zu Zwecken der Beweiserhebung in Strafverfahren5 – tragen auf Grundlage des Art. 82 AEUV 1 Zum Ganzen auch Lackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe, 219. 2 Vgl. auch Nr. 140, 142 RiVASt. 3 Nr. 3 RiStBV sieht ausdrücklich persönliche Ermittlungen in bedeutsamen oder rechtlich oder tatsächlich schwierigen Fällen vor und auch im Internationalen Steuerstrafrecht ist der persönliche Eindruck durch nichts zu ersetzen. 4 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen, COM/2018/225 final – 2018/0108 (COD). 5 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Regeln für die Bestellung von Vertretern zu Zwecken der Beweiserhebung in Strafverfahren, KOM (2018) 226 endg. v. 17.4.2018; vgl. auch Beschluss des Rates v. 5.2.2019 über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über den grenzüberschreitenden Zugang zu elektronischen Beweismitteln für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, COM (2019) 70.

174 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.251 Kap. 6

dem Umstand Rechnung, dass Beweismittel oftmals nur in elektronischer Form vorhanden sind und sich deren Standort sekundenschnell weltweit verändern kann (z.B. Userdaten betreffend AirBnB, Ebay, Facebook etc.). Das neue Instrument der Herausgabe und Sicherheitsanordnung wird die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) für das Einholen von Beweismitteln nicht ersetzen, gibt den Behörden aber ein zusätzliches Werkzeug an die Hand. Auch hier kommt der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Tragen. Die Verordnung führt bindende Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen ein. Beide Anordnungen müssen, wie die EEA, von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats erlassen oder validiert werden. Eine Anordnung kann zur Sicherung und Herausgabe von Daten erlassen werden, die von einem Diensteanbieter in einem anderen Staat gespeichert wurden und die als Beweismittel in strafrechtlichen Ermittlungen oder Strafverfahren erforderlich sind. Beide Anordnungen können Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste, sozialer Netzwerke oder von Online-Marktplätzen, Anbietern anderer Hosting-Dienste und Anbietern von Internetinfrastruktur wie Registern von IP-Adressen und Domänennamen oder – wo es diese gibt – ihren Vertretern zugestellt werden. Die Übermittlung erfolgt in Form eines Zertifikats über eine Europäische Herausgabeanordnung (EPOC) oder eines Zertifikats über eine Europäische Sicherungsanordnung (EPOC-PR). Einige Diensteanbieter haben bereits entsprechende Plattformen eingerichtet, damit Strafverfolgungsbehörden Ersuchen einreichen können. Innerhalb von 10 Tagen ist das entsprechende Ersuchen zu beantworten. Sofern der Anbieter die Daten trotz der Herausgabepflicht nicht herausgibt, ist der nächste Schritt ein Vollstreckungsverfahren. Die Vollstreckungsbehörde erkennt die Anordnung grundsätzlich ohne weitere Prüfung an. Ergänzend müssen Dienstanbieter einen Vertreter in der Union bestellen, der Beweisbeschlüsse der zuständigen nationalen Behörden in Strafverfahren entgegennimmt, befolgt und durchsetzt. Die Richtlinie wählt als Anknüpfungspunkt die Niederlassung oder das Anbieten von Diensten in der Union, nach denen bestimmte Dienstanbieter zu Zwecken der Beweiserhebung in Strafverfahren einen Vertreter in der Union bestellen müssen.

6.248

Die Europäische Sicherungsanordnung erlaubt nur die Sicherung von Daten, die zum Zeitpunkt der Entgegennahme der Anordnung bereits gespeichert waren, und nicht den Zugang zu Daten zu einem späteren Zeitpunkt nach Entgegennahme der Europäischen Sicherungsanordnung.

6.249

Entsprechende Rechtsmittel sind in Art. 15, 16 der Verordnung 2018/0108 normiert.

VIII. Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Erkenntnisse 1. Grundsätzliches Von zunehmender Bedeutung und vermehrt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen ist die Frage nach der Verwertbarkeit ausländischer Erkenntnisse.1 Vielfach steht die Frage im Raum, ob im Ausland die dortigen gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen, überhaupt rechtliche Mindeststandards eingehalten wurden oder ob eine vergleichbare Maßnahme nach deutschem Recht überhaupt möglich gewesen wäre.

6.250

Im Wege der Rechtshilfe im Ausland erlangte Erkenntnisse sind im deutschen Strafverfahren grundsätzlich unter denselbenVoraussetzungen verwertbar wie im Inland erlangte Beweis-

6.251

1 Zur Frage der Verwertbarkeit insgesamt vgl. auch unter Rz. 6.255.

Peters | 175

Kap. 6 Rz. 6.251 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

mittel.1 So können etwa Vernehmungsniederschriften wie die Protokolle einer inländischen richterlichen Vernehmung verlesen werden.2

6.252

Ausländische Verfahrensfehler sind hierbei grundsätzlich unbeachtlich. Die Frage der Beweisgewinnung an sich richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates (locus regit actum). Etwas anderes gilt nur gem. Art. 4 EU-RhÜbk (forum regit actum).3 Die Prüfung erfolgt hierbei regelmäßig in zwei Schritten: 1. Sind die Beweise im ersuchten Staat nach dortigem Recht zulässig erhoben? 2. Verstoßen die dortigen Regelungen und das Verfahren gegen wesentliche inländische Grundsätze?

6.253

Eine Zurechnung des Verfahrensgangs in Mitgliedstaaten der EMRK unabhängig davon, ob die konkret betroffenen Verfahrenshandlungen dem jeweils nationalen Verfahrensrecht entsprechen oder nachteilig für den Beschuldigten sind oder nicht, findet nicht statt.4 Die Verwertbarkeit mittels Rechtshilfe eines ausländischen Staates gewonnener Beweise richtet sich nach der Rechtsordnung des um diese Rechtshilfe ersuchenden Staates.5

6.254

Eine für das Steuerstrafrecht bedeutsame Einschränkung hinsichtlich der Verwertbarkeit findet sich zunächst in Art. 50 Abs. 3 SDÜ, wonach der ersuchende Staat nur mit vorheriger Zustimmung des ersuchten Staates die erlangten Erkenntnisse für andere als in dem Ersuchen bezeichnete Ermittlungsverfahren verwendet.

1 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe3, Rz. 237; zum Ganzen auch Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, 2006. 2 BGH v. 17.12.1982 – 2 StR 635/82, NStZ 1983, 181; BGH v. 14.1.2001 – 3 StR 438/00, StV 2001, 663. 3 Schomburg/Hackner in S/L6, Vor § 68 IRG Rz. 11 ff. 4 BGH v. 17.3.2010 – 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70 unter Verweis auf EGMR v. 15.6.1999 – Nr. 18360/91 – Andreou/Turkey; EKMR v. 14.4.1998 – Nr. 20652/92 – Djavit An/Turkey; vgl. Grabenwerter, EMRK3, § 13 Rz. 42 m.w.N., wonach eine Beschwerde gem. Art. 35 Abs. 3 MRK für unzulässig zu erklären ist, wenn die gerügte Handlung oder Unterlassung dem beklagten Staat nicht zuzurechnen ist; vgl. auch Nagler, StV 2013, 324 (325), der moniert, dass die Entscheidungen nicht auffindbar seien, und stattdessen auf EGMR v. 27.10.2011 – Nr. 25303/08 – Stojkovic/ Frankreich und Belgien, verweist, wo einem in Belgien Inhaftierten der Beistand eines Verteidigers verweigert wurde, nachdem dieser aufgrund französischen Rechtshilfeersuchens vernommen werden sollte, und Frankreich wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. c EMRK verurteilt wurde, da der ersuchende Staat auf die Einhaltung der Fairness hätte achten müssen. Daraus wird gefolgert, dass eine Zurechnung dann stattfindet, wenn beide Staaten zur Beachtung der Garantien der EMRK verpflichtet sind, vgl. Nagler, StV 2013, 324 (326) unter Verweis auf Gaede, JR 2006, 292 (294), der eine Zurechnung auch dann vornehmen will, wenn für den ersuchten Staat die EMRK nicht gilt, und als Beispiel das Waterboarding in Guantanamo inhaftierter Personen anführt und im Übrigen das Erfordernis einer zurückhaltenden Beweiswürdigung moniert; vgl. auch Bülte, ZWH 2013, 265 ff. 5 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 21, zur Übermittlung tschechischer TÜ-Erkenntnisse unter Verweis auf BGH v. 4.3.1992 – 3 StR 460/91, NStZ 1992, 394; BGH v. 10.8.1994 – 3 StR 53/ 94, NStZ 1994, 595 (596); BGH v. 14.2.2001 – 3 StR 438/00, NStZ-RR 2002, 67; BGH v. 1.4.1992 – 5 StR 457/91, BGHSt 38, 263 (265 f.); vgl. auch BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317 = HFR 2005, 477 für im Wege der Rechtshilfe aus der Schweiz beschlagnahmte Unterlagen; Deutscher, StRR 2013, 143; Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 81; Böse, ZStW 114 (2002), 148 (149, 152 und 180); Gleß, JR 2008, 317 (321); Jahn, Gutachten für den 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 117; vgl. auch Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess, 2006, 264 ff.; einschränkend hingegen Perron, ZStW 112 (2000), 202 (219), hinsichtlich der Verwertung der Ergebnisse im Ausland durchgeführter Telekommunikationsüberwachung; zum Ganzen auch Nagler, StV 2013, 324; Bülte, ZWH 2013, 219.

176 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.257 Kap. 6

2. Die Verwertungsverbote im Überblick Die Frage, wann gleichwohl ein Verwertungsverbot anzunehmen sein kann, ist kasuistisch und von Pragmatismus geprägt.1

6.255

Wann ein Verwertungsverbot anzunehmen sein kann, ist grundsätzlich vom Einzelfall abhängig.2 Nach der sog. einzelfallbezogenen Abwägung wird überprüft, ob mit der bei der Beweiserhebung verletzten Vorschrift ein Interesse des Angeklagten geschützt wird welches gewichtiger ist als das Interesse an der Effizienz der Strafverfolgung und der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege an sich.3 Die Frage, wann gleichwohl im Zusammenhang mit im oder aus dem Ausland oder im Wege der Rechtshilfe erlangten Erkenntnissen ein Verwertungsverbot anzunehmen sein kann, ist kasuistisch von Pragmatismus geprägt und wenig einheitlich.4 Die Problematik liegt darin begründet, dass ein Verstoß gegen inländische oder ausländische Rechtshilfevorschriften nicht unmittelbar den Rechtskreis des Beschuldigten/Angeschuldigten berührt (Rechtskreistheorie).5

Verwertungsverbote können sich zunächst aus der Missachtung der Souveränität fremder Staaten ergeben, etwa bei eigenmächtigen grenzüberschreitenden Handlungen ohne Rechtshilfeersuchen oder bei einer bewussten Missachtung der inhaltlichen Reichweite des Ersuchens.6

6.256

Aus einem bloßen Verstoß gegen das Territorialprinzip kann ein Beweisverwertungsverbot zugunsten des Beschuldigten indes nicht hergeleitet werden. Sein Rechtskreis ist insofern nicht betroffen. Etwas anderes kann gelten, wenn der Rechtshilfeweg willkürlich und absichtlich umgangen wird und die völkerrechtliche Norm individualschützenden Charakter entfaltet.7 Mitunter wird davon ausgegangen, dass, auch wenn das Territorialprinzip sich primär auf die Souveränität des jeweiligen Staates bezieht, im Bereich der Rechtshilfe durch die konkrete Ermittlungsmaßnahme unmittelbar zumindest auch in die individuelle Rechtsstellung des Betroffenen eingegriffen wird.8 Es bleibt abzuwarten, ob das BVerfG bei seiner Auffassung bleibt oder nicht in bestimmten Fällen Grenzen setzt, zumindest bei willkürlichen Verstößen.

6.257

Beispiel: Zur Vermeidung eines aufwendigen Rechtshilfeersuchens beschließen die im Grenzgebiet zur Schweiz wohnhaften Steuerfahnder A und B, jeweils vor und nach dem Dienst bei dem in der Nähe von Basel wohnhaften C vorbeizufahren und zu überprüfen, ob er sich dort nicht nur vorübergehend aufhält. 1 Schomburg/Hackner in S/L6, Vor § 68 IRG Rz. 11d; Nagler, StV 2013, 324 (326). 2 Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 457. 3 BGH v. 21.2.1964 – 4 StR 519/63, NJW 1964, 1139 (1143); BGH v. 17.3.1983 – 4 StR 640/82, NJW 1983, 1570 (1571); BGH v. 25.9.2007 – 5 StR 116/01, NJW 2008, 307 (309); BGH v. 20.12.2007 – 3 StR 318/07, NJW 2008, 1090 (1092) (Verstoß gegen Belehrungspflicht); Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 460, 463 der von einem „bunten Strauß an Abwägungskriterien“ spricht, indes auch schutzzweckbezogenen Ansätzen den Vorzug gibt; zum Ganzen auch Löffelmann, Die normativen Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren, 2008; Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, 2003. 4 Nagler, StV 2013, 324 (326). 5 BGH v. 21.1.1958 – GSSt 4/57, BGHSt 11, 213, 216f.; zur Kritik vgl. auch Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 457. 6 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, unter Verweis auf Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 81; Gleß, Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung, 2006, 141 ff.; Gleß, JR 2008, 317 (323 ff.). 7 BVerfG v. 16.3.2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684 (2686); BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/ 02, NJW 2005, 1917 (1923); BVerfG v. 12.10.1978 – 2 BvR 154/74, BVerfGE 63, 343; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434. 8 Spatscheck/Alvermann, IStR 2001, 33 (37).

Peters | 177

Kap. 6 Rz. 6.258 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.258

Ein Verwertungsverbot ergibt sich ferner aus der Missachtung bestehender Spezialitätsvorbehalte oder wenn die ausländische Regierung einer Verwertung zu Informationszwecken überlassener Dokumente widerspricht.1 Ein etwaiger Mangel kann durch Zustimmung geheilt werden. Eine Zurechnung von Verfahrensfehlern des ersuchten Staates findet grundsätzlich nicht statt,2 es sei denn, der Verstoß ist den deutschen Behörden zurechenbar.3 Beweisverwertungsverbote im Zusammenhang mit Beweisrechtshilfe können sich indes aus der inländischen Rechtsordnung des ersuchenden Staates4 oder aus völkerrechtlichen Grundsätzen ergeben,5 angenommen etwa bei unzulässigen Eingriffen in das Souveränitätsrecht eines anderen Staates, z.B. bei bewusster Umgehung der Rechtshilfe.6

6.259

Ein Verwertungsverbot hinsichtlich im Rahmen der Rechtshilfe gewonnener Beweise kann sich im Grundsatz zudem aus der Verletzung rechtshilferechtlicher Bestimmungen selbst ergeben. Dies kann der Fall sein wenn etwa entgegen Art. 4 Abs. 1 EU-RhÜbk im ersuchten Staat eine richterliche Vernehmung ohne die gem. § 168c StPO erforderliche Benachrichtigung des Verteidigers erfolgt ist.7 Ist der ersuchte ausländische Staat rechtshilferechtlich zur Vornahme der erbetenen Beweiserhebung nach dem Recht des ersuchenden Staates verpflichtet, ergibt sich ein inländisches Beweisverwertungsverbot grundsätzlich aus der Verletzung der maßgeblichen inländischen Beweiserhebungsregeln.8 Der BGH vertritt indes die einschränkende Ansicht, dass ein aus der Nichteinhaltung rechtshilferechtlicher Bestimmungen abgeleitetes Verwertungsverbot lediglich dann in Betracht zu ziehen ist, wenn den entsprechenden Regelungen (auch) ein individualschützender Charakter – wenigstens im Sinne eines Schutzreflexes – zukommt.9

6.260

Ein Verwertungsverbot besteht ferner, wenn unverzichtbare allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze nicht eingehalten wurden oder bei mehreren möglichen Verfahrensweisen bewusst auf eine die strengeren deutschen Vorschriften unterlaufende Verfahrensweise hingewirkt wurde.10 Etwaigen Beweisgewinnungsdefiziten ist in jedem Fall im Rahmen der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen. Gleiches gilt, wenn lediglich teilweise Beweismittel zur Verfügung gestellt werden.11 Dem Umstand, dass potenziell entlastende Beweismittel nicht beigebracht werden können, ist durch eine vorsichtige Beweiswürdigung und etwaige Anwendung des Zweifelssatzes Rechnung zu tragen. Namentlich kamen diese Grundsätze in Verfahren wegen Terrorismus zum Tragen, doch insbesondere im Internationalen Steuerstrafrecht 1 Vgl. BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (344). 2 BGH v. 17.3.2010 – 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70 = NStZ 2010, 410, mit Anm. Stiebig, StraFo 2010, 281; BGH v. 14.1.2001 – 3 StR 438/00, StV 2001, 663; vgl. auch Sommer, StraFo 2010, 284; Mosbacher, JuS 2010, 689; zum Ganzen Stiebig, ZJS 2012, 614. 3 Schomburg/Hackner in S/L6, Vor § 68 IRG Rz. 11 ff. 4 Zu Verstößen gegen § 136a StPO bei im Ausland vernommenen Zeugen vgl. Nagler, StV 2013, 324 (327). 5 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, unter Verweis auf Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 81; Gleß, Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung, 2006, 141 ff.; Gleß, JR 2008, 317 (323 ff.); Bülte, ZWH 2013, 265. 6 BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (343 f.). 7 BGH v. 15.3.2007 – 5 StR 53/07, NStZ 2007, 417 bzgl. Art. 4 Abs. 1 EU-RhÜbk. 8 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 23, unter Verweis auf BGH v. 19.3.1996 – 1 StR 497/ 95, NJW 1996, 2239 (2240). 9 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 25, unter Verweis auf BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (343 f.), verneinte aber im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot. 10 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe3, Rz.229. 11 Vgl. BGH v. 9.6.2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322.

178 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.265 Kap. 6

sind Fallgestaltungen denkbar, in denen es dem Beschuldigten faktisch nicht möglich ist, entlastende Unterlagen beizubringen: Sei es, weil ausländische Banken sich generell weigern, sog. Negativbestätigungen beizubringen; sei es, weil entlastende Zeugen nicht beigebracht werden können oder Unterlagen durch fremde Staaten nicht übersandt werden. Kein Verwertungsverbot ergibt sich aus Verstößen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens oder Verstößen gegen die EMRK, die nicht durch den Einfluss der deutschen Strafverfolgungsbehörden hervorgerufen wurden und bei denen diese auch keine kompensierenden Maßnahmen (etwa Videovernehmung) ergreifen konnten. Eine allgemeine Zurechnung des Verfahrensgangs wird, wie dargelegt, abgelehnt.1 Ein Beweisverwertungsverbot etwa wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK kommt aufgrund von Verstößen gegen rechtshilferechtliche Bestimmungen als solche nur in Betracht, wenn sich das Strafverfahren insgesamt als unfair erweist. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist anerkannt, dass aus der Verletzung von Vorschriften des nationalen Rechts über die Beweiserhebung nicht zwingend ein Beweisverwertungsverbot resultiert, wenn das entsprechende Verfahren trotz des Verstoßes insgesamt als fair anzusehen ist.2 Ggf. sind Verstöße oder Unzulänglichkeiten jedoch bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.

6.261

Problematisch ist auch weiterhin die Beschaffung von Beweismitteln im Ausland durch private Personen. Die Vorschriften zu den Beweisverwertungsverboten richten sich grundsätzlich nur an Strafverfolgungsbehörden. Es gelten die Ausführungen des BVerfG zum Verwertungsverbot, etwa im Fall des Ankaufs von Steuerdaten-CDs.3

6.262

Die Unverwertbarkeit im Ausland erhobener Beweise kann ferner gegeben sein, wenn die Beweiserhebung unter Verletzung völkerrechtlich verbindlicher und dem Individualrechtsgüterschutz dienender Garantien – wie etwa Art. 3 EMRK – oder unter Verstoß gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze im Sinne des ordre public (vgl. § 73 IRG) erfolgt ist.4

6.263

Die Regelungen zur Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) enthalten bzgl. der Verwertung des sichergestellten, übermittelten oder erlangten Beweismaterials im Anordnungsstaat keine ausdrückliche Aussage. Die Beurteilung richtet sich weitestgehend nach dem im Anordnungsstaat geltenden Strafverfahrensrecht (vgl. Art. 14 Abs. 7 Satz 2 EEA).5

6.264

3. Unionsrechtliche Beweisverwertungsverbote Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts zwingt die Mitgliedstaaten zu einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Strafrechts (Rz. 2.37 ff.). Aus dem Anwendungsvorrang folgt, dass entgegenstehende Normen des nationalen Straf- und Steuerrechts zwar nicht

1 BGH v. 17.3.2010 – 2 StR 397/09, NJW 2010, 2224. 2 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 29, unter Verweis auf EGMR v. 23.5.1999 – Nr. 25444/94 – Pélissier und Sassi/Frankreich, NJW 1999, 3545 f., Rz. 45 f. 3 Seitz, Ubg 2014, 380; Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 278. 4 Sog. (eingeschränkter) Prüfungsmaßstab, d.h. inzidenter findet doch eine Kontrolle der ausländischen Beschlüsse statt, BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 38; s. auch Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 83; Gleß, JR 2008, 317 (321 ff.); Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess, 2006, 122 ff. und 133 f.; Schuster, NStZ 2006, 657 (662); kritisch auch Nagler, StV 2013, 324 (326); zu den weiteren Konsequenzen auch Bülte, ZWH 2013, 265. 5 Böse, ZIS 2014, 152 (161).

Peters | 179

6.265

Kap. 6 Rz. 6.265 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

unwirksam sind, sie dürfen aber im konkreten Fall nicht angewendet werden.1 Diese Neutralisierung bewirkt für das (Internationale) Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht, dass bei einer Kollision des in Bezug genommenen Steuerrechts mit Primärrecht die Tatbestandsmäßigkeit von vornherein nicht gegeben ist.2

6.266

Zunehmend von Bedeutung – insbesondere bei der Frage nach einem Beweisverwertungsverbot – wird sein, inwieweit europäische Grundrechtsstandards und der europäische Grundrechtsschutz zur Anwendung kommen. Im Raum steht die Frage, inwieweit sich der Beschuldigten im Strafverfahren wegen einer „europäiisierten“ Straftat neben dem deutschen Grundrechtsstandard auf den europäischen Standard berufen kann, vor allem wenn diese über die Gewährleistungen aus der EMRK und der GRCh hinausgehen und eine Beeinträchtigung der Durchführung europäischen Rechts bedeuten könnten.3 Bereits in der Fransson Entscheidung hat der EuGH die Geltung der europäischen Grundrechtsstandards auch im europäischen Steuerstrafrecht deutlich gemacht.4

6.267

Verbietet die an unionsrechtlichen Vorgaben orientierte Auslegung die Anwendung einer bestimmten Beweisgewinnungsvorschrift einer nationalen Strafprozessordnung, resultiert daraus nach neuerer Tendenz ein unionsrechtliches Beweisverwertungsverbot, wenn in einem konkreten Verfahren dennoch von dem Beweismittel Gebrauch gemacht wird.5 Bislang ging der BFH davon aus, dass entsprechenden Beweismitteln lediglich ein geminderter Beweiswert zukommt.6 Diese Auffassung dürfte so nicht mehr uneingeschränkt haltbar sein. Beweismittel, die nach nationalem Recht einer vorherigen richterlichen Anordnung bedürfen, dürfen bspw. im Strafverfahren nicht verwertet werden, wenn die Anordnung von einem unzuständigen Gericht erlassen wurde.7 Dies gilt ungeachtet des Grundsatzes der wirksamen Strafverfolgung wegen Mehrwertsteuer Straftaten.

6.268

Auf der anderen Seite kann jedoch ein nationales Beweisverwertungsverbot verdrängt werden, wenn die Verwertung auf Grundlage einer Maßnahme der gegenseitigen Anerkennung zur Verwendung transnational erlangter Beweismittel erfolgt und dem Schutz der Unionsinteressen durch das Strafrecht dient (zur Verwertbarkeit ausländischer Telefonüberwachung vgl. unter Rz. 6.273)8.

1 EuGH v. 17.12.1970 – C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114 – Internationale Handelsgesellschaft mbH/ Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 9.3.1978 – C-106/77, ECLI:EU:C:1978:49 – Amministrazione delle finanze dello Stato/Simmenthal, EuGHE 1978, 629; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731; zu weiteren Einzelheiten Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 32 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 8 f.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 49 f.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 77; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.19. 2 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 9 Rz. 11. 3 Vgl. auch Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 2 Rz. 64. 4 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:280 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27. 5 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 49. 6 BGH v. 25.7.2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93 (103). 7 EuGH v. 17.1.2019 – C-310/16,ECLI:EU:C:2019:30 – Dzivev u.a., UR 2019, 311. 8 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 38; siehe auch Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 83; Gleß JR 2008, 317 (321 ff.); Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess, 2006, 122 ff. und 133 f.; Schuster, NStZ 2006, 657 (662); kritisch auch Nagler StV 2013, 324 (326).

180 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.271 Kap. 6 Beispiel: Ein unzuständiges Gericht in Bulgarien ordnete in einem Steuerstrafverfahren die Überwachung der Telekommunikation gegen mehrere Beschuldigte an. Im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens fragte das bulgarische Gericht – nach Aussetzung des Verfahrens – beim EuGH an, ob die so gewonnenen Erkenntnisse verwertbar seien.

Die Mitgliedstaaten haben bei der Strafverfolgung darauf zu achten, dass Verstöße gegen das Unionsrecht, insbesondere im Hinblick auf das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und die harmonisierten Regelungen hierzu, nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen ähneln, die bei nach Art und Schwere gleichzeitigen Verstößen gegen das nationale Recht gelten. Dabei haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die strafverfahrensrechtlichen Regelungen des nationalen Rechts eine wirksame Ahndung ermöglichen. Die Verpflichtung, eine wirksame Erhebung der Unionsmittel zu garantieren, entbindet die nationalen Gerichte jedoch nicht von der gebotenen Achtung der in der Charta garantierten Grundrechte und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, da die wegen Mehrwertsteuerstraftaten eingeleiteten Strafverfahren eine Durchführung des Unionsrechts i.S.d. Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellen. Im Bereich des Strafrechts sind diese Rechte und allgemeinen Grundsätze nicht nur im Strafverfahren, sondern auch im Ermittlungsverfahren zu beachten, sobald gegen den Betroffenen eine Beschuldigung erhoben wird.1 Aus den Anforderungen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit und der Rechtsstaatlichkeit folgt nach Ansicht des EuGH insbesondere, dass die Sanktionsgewalt grundsätzlich nicht außerhalb der gesetzlichen Grenzen ausgeübt werden kann, in denen eine Behörde nach dem Recht ihres Mitgliedstaats ermächtigt ist. Der EuGH stellt klar, dass ein solcher Eingriff gem. Art. 52 Abs. 1 der Charta nur zulässig ist, wenn er gesetzlich vorgesehen, unter Achtung des Wesensgehalts dieses Rechts und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen tatsächlich entspricht. Auch in einem ähnlichen Fall entschied der EuGH, dass wenn dem Beschuldigten das Recht auf eine Gegenprobe verwehrt worden ist, aus der Verletzung dieses Rechts nach einer Gesamtbewertung auf der Grundlage von Art. 6 Buchst. i MRK ein Beweisverwertungsverbot hergeleitet wurde.

6.269

Festzuhalten bleibt, dass entgegen der bisherigen Tendenzen in der Rechtsprechung, die von einem lediglich geminderten Beweiswert ausgehen, nunmehr auch unmittelbar geltende Beweisverwertungsverbote im nationalen Recht Konsequenz sein können.

6.270

4. Verwertungsverbot und Anfangsverdacht Ob und inwieweit Tatsachen, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, zur Begründung eines Anfangsverdachts und für weitere Maßnahmen, etwa eine Durchsuchung, herangezogen werden dürfen, betrifft die Vorauswirkung von Verwertungsverboten2 und ist im Kontext der Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten zu verorten. Es ist anerkannt, dass Verfahrensfehler, die ein Verwertungsverbot für ein Beweismittel zur Folge haben, nicht ohne Weiteres Fernwirkung für das gesamte Strafverfahren begründen.3 Die Ablehnung eines auf den Anfangsverdacht ausstrahlenden grundsätzlichen Verwertungsverbots ist ferner dadurch

1 EuGH v. 17.1.2019 – C-310/16,ECLI:EU:C:2019:30 – Dzivev u.a., UR 2019, 311 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 5.12.2017 – C-42/17, ECLI:EU:C:2017:926 – M.A.S. und M.B., UR 2018, 81 m. Anm. Reiß‚ Rz. 52, EuGH v. 5.6.2018 – C-612/15, ECLI:EU:C:2018:392‚ Kolev u. a., Rz. 68 und 71, sowie EuGH v. 20.3.2018 – C-596/16 und C-597/16, ECLI:EU:C:2018:192 – Di Puma und Zecca‚ Rz. 31. 2 Zur Fernwirkung von Beweisverboten vgl. Reinecke, Die Fernwirkung von Beweisverboten, 1990. 3 BVerfG v. 8.12.2005 – 2 BvR 1686/04, BVerfGK 7, 61; BGH v. 6.8.1987 – 4 StR 333/87, NJW 1988, 1223.

Peters | 181

6.271

Kap. 6 Rz. 6.271 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

gerechtfertigt, dass das Strafverfahren durch einen Verfahrensverstoß nicht zur vollständigen Lähmung kommen soll. Eine Vorauswirkung kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Insofern ist eine Abwägung vorzunehmen, in welche auf der einen Seite die Schwere des Rechtsverstoßes, der zu dem Beweisverwertungsverbot führt, und auf der anderen Seite die Schwere der Tat, hinsichtlich derer ein Anfangsverdacht begründet werden soll, einzubeziehen ist.1 In jedem Fall aber darf eine unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot gewonnene Tatsache nicht zur Rechtfertigung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen herangezogen werden.2 Die fehlerhaft gewonnenen oder einem Verwertungsverbot unterliegenden Erkenntnisse dürfen verwertet werden, wenn sie nicht allein auf eine unzulässige Beweiserhebung gestützt werden.3 Dies gilt auch bei Ermittlungen und bei durch Privatpersonen beschafften Beweismitteln.4

6.272

Es besteht im Übrigen kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist.5 Anders als im anglo-amerikanischen Recht, wo entsprechende Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote der Disziplinierung der eingesetzten Beamten dienen, steht im deutschen Strafrecht die Ermittlung des Sachverhalts und die funktionstüchtige Strafrechtspflege, mithin die effektive Verfolgung von Straftaten im Vordergrund. Zudem bestehen hinreichende anderweitige Möglichkeiten zur Disziplinierung rechtsfehlerhaft handelnder Ermittlungsbeamter.

5. Verwertbarkeit ausländischer Telefonüberwachungsmaßnahmen 6.273

Von zunehmender Bedeutung auch im Internationalen Steuerstrafrecht, insbesondere im Bereich der internationalen Umsatzsteuer- oder Tabaksteuerhinterziehung ist, auch vor dem Hintergrund des europäischen Grundrechtsschutzes die Frage nach der Verwertbarkeit ausländischer Ergebnisse von Telefonüberwachungsmaßnahmen.6 Die Problematik besteht darin, dass in einigen Ländern die Voraussetzungen für eine Genehmigung erheblich geringer sind als in Deutschland, wo die Steuerhinterziehung nur unter den in § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a – c StPO genannten Voraussetzungen, nämlich in den Fällen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO, in den Fällen des gewerbsmäßigen, gewaltsamen und bandenmäßigen Schmuggels nach § 373 AO oder in den Fällen der Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 2 AO, mithin bei nur bei sog. Katalogtaten, die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung in Betracht kommt. Problematisch ist insoweit, dass ein nationales Beweisverwertungsverbot verdrängt werden kann, wenn die Verwertung auf Grundlage einer Maßnahme der gegenseitigen Anerkennung zur Verwendung transnational erlangter Beweismittel erfolgt und dem Schutz der Unionsinteressen durch das Strafrecht dient.7 1 BVerfG v. 29.6.2005 – 2 BvR 866/05, NJW 2005, 2766; BGH v. 22.2.1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355; BGH v. 12.4.1989 – 3 StR 453/88, BGHSt 36, 167 = NJW 1989, 2760. 2 BGH v. 22.2.1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 152 StPO Rz. 4b, § 100a StPO Rz. 35. 3 Vgl. hierzu BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46; OLG Hamm v. 19.10.2006 – 3 Ss 363/06, NStZ 2007, 355. 4 Vgl. zum Ganzen Brunhöber, GA 2010, 571 (586, 587). 5 BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46 unter Verweis auf BVerfG v. 27.4.2000 – 2 BvR 75/94, NJW 2000, 3557. 6 Vgl. zu den internationalrechtlichen Grundlagen auch Günther in MK-StPO, § 100a StPO Rz. 218a; generell zur Frage der TKÜ und der Verkehrsdatenabfrage bei der Steuerhinterziehung vgl. Kramer, NJW 2014, 1561. 7 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 38; siehe auch Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 83; Gleß JR 2008, 317 (321 ff.); Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess, 2006, 122 ff. und 133 f.; Schuster, NStZ 2006, 657 (662); kritisch auch Nagler, StV 2013, 324 (326).

182 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.277 Kap. 6 Beispiel: Gegen eine in Deutschland operierende Bande wird in Deutschland wegen der Hinterziehung von Tabaksteuern ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg erbittet von den tschechischen Kollegen in Prag die Übersendung der Ergebnisse der gegen den Lieferanten von A geführten Telefonüberwachung (Abschriften), sowie die Erkenntnisse aus Observationen, Abschriften von Zeugenvernehmungen und sonstiger relevanter Unterlagen.1

6.274

Die Leitsätze des BGH lauteten: 1. Die Verwertbarkeit mittels Rechtshilfe eines ausländischen Staates erlangter Beweise bestimmt sich nach dem inländischen Recht. 2. Auf diesem Weg gewonnene Beweise unterliegen trotz Nichteinhaltung der maßgeblichen rechtshilferechtlichen Bestimmungen keinem Beweisverwertungsverbot, wenn die Beweise auch bei Beachtung des Rechtshilferechts durch den ersuchten und den ersuchenden Staat hätten erlangt werden können. 3. Ist die Rechtshilfe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union geleistet worden, darf bei der Beurteilung der Beweisverwertung im Inland nur in eingeschränktem Umfang geprüft werden, ob die Beweise nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchten Mitgliedstaates rechtmäßig gewonnen wurden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die dortige Beweiserhebung nicht auf einem inländischen Rechtshilfeersuchen beruht.

Entscheidend mit Blick auf die in Deutschland geführte Hauptverhandlung und entsprechende Beweisanträge waren indes zunächst die folgenden Ausführungen des BGH:

6.275

Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob der hier vorliegende Verstoß gegen die in Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 CZ-ErgV EuRhÜbk für die Gewährung von Rechtshilfe durch Herausgabe von Unterlagen aus Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung geforderten rechtshilferechtlichen Voraussetzungen überhaupt zu einem inländischen Beweisverwertungsverbot führen kann. Der Senat neigt insoweit der Auffassung zu, dass ein aus der Nichteinhaltung rechtshilferechtlicher Bestimmungen abgeleitetes Verwertungsverbot lediglich dann in Betracht zu ziehen ist, wenn den entsprechenden Regelungen (auch) ein individualschützender Charakter – wenigstens im Sinne eines Schutzreflexes (so bereits BGH, Urteil vom 8. April 1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 343 f.) – zukommt.

Die Norm muss mithin zunächst auch einen individualschützenden Charakter haben, um überhaupt den Rechtskreis des Angeklagten zu berühren. Im Folgenden führt der BGH aus, warum den in Rede stehenden Regelungen individualschützender Charakter zukommen könnte. Dies gilt es im Einzelfall zu prüfen und herauszuarbeiten. Dies kann dann z.B. der Fall sein, wenn die Erledigung des Rechtshilfeersuchens, wie bspw. in Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 CZ-ErgV EuRhÜbk, von dem Vorliegen der jeweiligen vom nationalen Recht für die Überwachung der Telekommunikation verlangten Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Indes lehnte der BGH ein Verwertungsverbot im Weiteren ab.

6.276

Bei der Beweisverwertung von Erkenntnissen, die aus einer durch den ersuchten ausländischen Staat originär durchgeführten, nicht durch ein deutsches Rechtshilfeersuchen veranlassten Telekommunikationsüberwachung stammen, ist den inländischen Strafgerichten die Rechtmäßigkeitsprüfung der ausländischen Anordnungsbeschlüsse am Maßstab des ausländischen Rechts aus völker- und unionsrechtlichen Gründen verwehrt.2 Es sei mit dem hin-

6.277

1 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris. 2 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 33. Als Begründung wird ein Eingriff in die fremde staatliche Souveränität angeführt. A.A. Perron, ZStW 112 (2000), 202 (219); Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess, 2006, 111 ff., 245 f.; Schuster, NStZ 2006, 657 (661); Schuster, StV 2014, 198; Pitsch, Strafprozessuale Beweisverbote, 2009, 148 ff.; vgl. auch Swoboda, HRRS 2014, 10; vgl. auch die Anmerkung von Bülte, ZWH 2013, 219.

Peters | 183

Kap. 6 Rz. 6.277 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

ter dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung stehenden Gedanken des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten nicht zu vereinbaren, eine in einem Mitgliedstaat ergangene, dort nicht aufgehobene gerichtliche Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung als rechtswidrig zu bewerten, die Gerichte des Entscheidungsstaates hätten ihre eigene nationale Rechtsordnung nicht eingehalten.1 Zudem führt der BGH an, dass auch wenn die Beurteilung der Verwertbarkeit eines im Ausland erhobenen Beweises sich nach der inländischen Rechtsordnung bestimmt, eine mit der Rechtswidrigkeit der ausländischen Beweiserhebung begründete Unverwertbarkeit des erhobenen Beweises unter den hier vorliegenden tatsächlichen Gegebenheiten mit einem Eingriff in die Souveränität des ausländischen Staates einhergehen würde.

6.278

Ausdrücklich wird die Literaturmeinung abgelehnt, wonach hinsichtlich der Überwachung von Telekommunikation bei Verwertung im Ausland gewonnener Informationen das inländische Strafgericht nicht ungeprüft von der Rechtmäßigkeit der Anordnungsentscheidung ausgehen dürfe, sondern die Einhaltung der ausländischen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen „zusätzlich kontrollieren“ müsse.2

6.279

Widersprüchlich – weil ausländische Erkenntnisse privilegierend – ist es dann aber, wenn – nach Widerspruch – für die Verwertbarkeit im Inland durch die Überwachung der Telekommunikation gewonnener Informationen eine umfassende Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen gefordert wird.3 Ein aus dem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz resultierendes Verfahrenshindernis führt nicht zur Nichtigkeit eines Urteils oder zu einem Verwertungsverbot.4

6.280

Neben der Frage nach der generellen Verwertbarkeit stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Beweiswert. Beispiel: Die deutsche Steuerfahndung erhält lediglich die Verschriftlichung der ausländischen Telefonüberwachung. Es wird – mangels Vorhandensein der originalen Audiodateien – nicht überprüft, ob die Verschriftlichung auch tatsächlich mit den Gesprächen übereinstimmt.

6. Verwertbarkeit von „Steuer-CDs“ und sonstigen Daten/Erkenntnissen Dritter im Ermittlungsverfahren a) Grundlagen

6.281

Sowohl im Amts- und Rechtshilfewege als auch über den Ankauf von Dritten werden Datenträger mit Inhalten über steuerliche Sachverhalte mit Inlandsbezug Gegenstand von Ermittlungsverfahren. Insbesondere im Zusammenhang mit den sog. Steuer-CDs5, aber auch im Zu1 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 35. 2 Perron, ZStW 112 (2000), 202 (219); Pitsch, Strafprozessuale Beweisverbote, 2009, 148 ff. 3 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris, Rz. 36; BGH v. 7.3.2006 – 1 StR 316/05, BGHSt 51, 1; BGH v. 7.3.2006 – 1 StR 534/05, StV 2008, 63 (65); BGH v. 1.8.2002 – 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 365. 4 BGH v. 9.2.2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 = NJW 2012, 1301; zu einem möglichen Verwertungsverbot vgl. BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317 = HFR 2005, 477; BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, HFR 2005, 477; BGH v. 10.1.2007 – 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit kritischer Anmerkung Lagodny, der moniert, dass sich sämtliche Instanzen über den durch die Schweiz formulierten Spezialitätsvorbehalt hinweggesetzt hätten. Vgl. hierzu im Nachgang BVerfG v. 8.6.2010 – 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08, NJW 2011, 591. Zu einem Beweisverwertungsverbot bei sonstiger Rechtshilfe auch BFH v. 21.6.1989 – X R 20/88, NJW 1990, 2492. 5 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 687 ff., 735 ff.

184 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.284 Kap. 6

sammenhang mit sonstigen übermittelten Erkenntnissen (Leaks oder sonstige unrechtmäßig entwendete Daten) stellt sich immer häufiger die Frage, ob und inwieweit Tatsachen, die ggf. einem Beweisverwertungsverbotunterliegen, zur Begründung eines Anfangsverdachts und für weitere Maßnahmen, etwa eine Durchsuchung, herangezogen werden dürfen. Zudem stellt sich häufig die Frage nach dem Beweiswert. Daran anschließend stellt sich die bislang ungeklärte Frage der Verwertbarkeit im Rahmen der Urteilsfindung Beispiel: Die Finanzverwaltung kauft regelmäßig CDs mit Daten aus unbekannten und ggf. dubiosen Quellen an. Teils werden hierfür Gelder bezahlt. In einem Fall stellt sich heraus, dass ein Bankmitarbeiter durch Mitglieder der Organisierten Kriminalität zur Beschaffung der Daten mittels Androhung von Gewalt gegen dessen Familie genötigt wurde. Im Nachgang zum Ankauf der CD beantragt die Strafsachen- und Bußgeldstelle den Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen. Die deutsche Finanzverwaltung erhält via BND über ausländische Nachrichtendienste Informationen über ausländische Konten. Woher die Informationen des ausländischen Nachrichtendienstes stammen bzw. wie entsprechende Zeugenaussagen zustande kamen, ist nicht bekannt. Eine anonyme Hackergruppe bietet gegen Zahlung von Bitcoins aus dem Ausland stammende steuerlich relevante Daten über vermögende Privatpersonen in Deutschland an. Das Justizministerium der Vereinigten Staaten teilt der deutschen Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens steuerstrafrechtlich relevante Sachverhalte mit. Die entsprechenden Zeugenausssagen kamen in einer Drucksituation zustande.

Die hier zu erörternden Konstellationen betreffen ebenfalls die Frage der Vorauswirkung von Verwertungsverboten.1 Dies ist im Kontext der Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten zu verorten.Es ist mithin zwischen der Verwertbarkeit für Zwecke der Annahme eines Anfangsverdachts und der Verwertbarkeit für Zwecke einer strafrechtlichen Aburteilung zu differenzieren.2

6.282

Es ist anerkannt, dass Verfahrensfehler, die ein Verwertungsverbot für ein Beweismittel zur Folge haben, nicht ohne Weiteres Fernwirkung für das gesamte Strafverfahren begründen.3 Die Ablehnung eines auf den Anfangsverdacht ausstrahlenden grundsätzlichen Verwertungsverbots ist dadurch gerechtfertigt, dass das Strafverfahren durch einen Verfahrensverstoß nicht zur vollständigen Lähmung kommen soll. Eine Vorauswirkung kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht.

6.283

Insofern ist eine Abwägung vorzunehmen, in welche auf der einen Seite die Schwere des Rechtsverstoßes, der zu dem Beweisverwertungsverbot führt, und auf der anderen Seite die Schwere der Tat, hinsichtlich derer ein Anfangsverdacht begründet werden soll, einfließen.4 In jedem Fall aber darf eine unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot gewonnene Tatsache nicht zur Rechtfertigung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen herangezogen werden.5 Die fehlerhaft gewonnenen oder einem Verwertungsverbot unterliegenden Erkenntnisse dürfen verwertet werden, wenn sie nicht allein auf eine unzulässige Beweiserhebung gestützt wer-

6.284

1 Zur Fernwirkung von Beweisverboten vgl. Reinecke, Die Fernwirkung von Beweisverboten, 1990; zum Ganzen auch Ruggeri, ZIS 2015, 456. 2 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 707. 3 BVerfG v. 8.12.2005 – 2 BvR 1686/04, BVerfGK 7, 61; BGH v. 6.8.1987 – 4 StR 333/87, NJW 1988, 1223. 4 BVerfG v. 29.6.2005 – 2 BvR 866/05, NJW 2005, 2766; BGH v. 22.2.1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355; BGH v. 12.4.1989 – 3 StR 453/88, BGHSt 36, 167 = NJW 1989, 2760. 5 BGH v. 22.2.1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 152 StPO Rz. 4b, § 100a StPO Rz. 35.

Peters | 185

Kap. 6 Rz. 6.284 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

den.1 Dies gilt auch bei Ermittlungen und bei durch Privatpersonen beschafften Beweismitteln.2

6.285

Es besteht indes kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist.3 Anders als im anglo-amerikanischen Recht, wo entsprechende Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote der Disziplinierung der eingesetzten Beamten dienen, steht im deutschen Strafrecht die Ermittlung des Sachverhalts, die funktionstüchtigen Strafrechtspflege, mithin die effektive Verfolgung von Straftaten im Vordergrund. Zudem bestehen hinreichende anderweitige Möglichkeiten zur Disziplinierung rechtsfehlerhaft handelnder Ermittlungsbeamter. Die Vorschriften zu den Beweisverwertungsverboten richten sich grundsätzlich nur an Strafverfolgungsbehörden.

6.286

Das Bundesverfassungsgericht verneinte in seinem Beschluss vom 9.11.20104 in Bezug auf das Ermittlungsverfahren ein Verwertungsverbot der von einem Informanten angekauften CD mit Daten Liechtensteiner Bankkunden.5 Ein Beweisverwertungsverbot sei nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen anzunehmen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind.6 Auch die untergerichtliche Rechtsprechung lehnt ein Beweisverwertungsverbot ab.7

6.287

Der VerfGH RP8 hält indes eine Zurechnung des Handelns von Informanten und damit ggf. ein Verwertungsverbot dann für möglich, wenn der Staat zukünftig verstärkt, bewusst, planvoll oder auch konkludent9 die Zusammenarbeit mit Privaten intensiviert und entsprechende Daten ankauft.10 Wird bewusst und in ständiger Übung11 bei der Informationsbeschaffung durch staatliche Behörden gegen Beweiserhebungsvorschriften verstoßen, liegt nach Ansicht 1 Vgl. hierzu BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46; OLG Hamm v. 19.10.2006 – 3 Ss 363/06, NStZ 2007, 355. 2 Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 483, der die fatale Signalwirkung für zukünftige Datendiebe hervorhebt und auf den drohenden Vertrauensverlust in die Integrität der Strafverfolgung abstellt; vgl. zum Ganzen Brunhöber, GA 2010, 571 (586, 587). 3 BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46 unter Verweis auf BVerfG v. 27.4.2000 – 2 BvR 75/94, NJW 2000, 3557. 4 BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; vgl. auch LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434. 5 Vgl hierzu die Beiträge von Beyer, AO-StB 2011, 5; Rüsken, BFH/PR 2011, 112; Vahle, DVP 2011, 170; Wohlers, JZ 2011, 252; Kaiser, NStZ 2011, 383; Coen, NStZ 2011, 433; Lipsky, PStR 2011, 4; Joecks, SAM 2011, 21; Seitz, Ubg 2014, 380; Wenzel, StBW 2010, 1125; Schäfers, StBW 2011, 34; Trüg, StV 2011, 111; Loritz, WuB VII D § 102 StPO 1.11; Hillmer, ZFE 2011, 140; Flore in Flore/ Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 458 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 687 ff.; Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 273; Nickolai in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 26 Rz. 69. 6 BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46 unter Verweis auf BVerfG v. 15.7.1998 – 2 BvR 446/98, NJW 1999, 273 (274); BVerfG v. 16.3.2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684 (2686); VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434. 7 LG Düsseldorf v. 17.9.2010 – 150 Gs 1175/10, AO-StB 2010, 327; in steuerlicher Hinsicht vgl. FG Köln v. 15.12.2010 – 14 V 2484/10, DStRE 2011, 1076; FG Münster v. 20.1.2014 – 2 K 2074/12 F, PStR 2014, 117. 8 VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434, Rz. 40. 9 VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434, Rz. 58; hierzu auch Kaspar, GA 2013, 206 (216, 220). 10 Hierzu Seitz, Ubg 2014, 381. 11 Zu diesem Aspekt Kaspar, GA 2013, 206 (220).

186 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.291 Kap. 6

des VerfGH RP auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht ein strafrechtliches Verwertungsverbot äußerst nahe.1 Es sei daher denkbar, dass zukünftig gleichsam mosaikartig eine Situation entstehen könnte, die es als gerechtfertigt erscheinen lässt, das Handeln eines privaten Informanten der staatlichen Sphäre zuzurechnen. Behörden dürfen nicht jedes auf Eigeninitiative beruhende unrechtmäßige Einwirken Dritter auf private Schutzgüter bewusst ausnutzen. Maßgebliches Kriterium soll sein, wie häufig der Ankauf entsprechender Informationen erfolgt und ob bereits wiederholt von denselben Personen Daten angekauft wurden. b) Kombinierter Ansatz Zunächst gilt es, sich die oben genannten Grundsätze und Einzelfälle zu vergegenwärtigen, wann ein Verwertungsverbot anzunehmen sein kann. Nach hier vertretener Ansicht kommt es vor dem Hintergrund der allgemeinen Grundsätze und in Anbetracht der entschiedenen Einzelfälle zunächst ganz entscheidend darauf an, inwieweit der Staat an der Beschaffung entsprechender Daten bereits im Vorfeld (aktiv)mitgewirkt hat2 und sich daher das Verhalten zurechnen lassen muss. Relevant ist insofern, inwiefern der Veräußerer tatsächlich freiverantwortlich gehandelt hat und ob dieser vor Beschaffung der Informationen mögliche Abnehmer bereits kontaktiert hat.

6.288

Der entgeltliche Erwerb von entsprechenden Daten – insbesondere aus dem Ausland und ggf. unter Verstoß gegen dortige Strafvorschriften erlangten Daten – muss die absolute Ausnahme bleiben und im konkret zu begründenden Einzelfall von außerordentlich hohem staatlichem Interesse sein.3 Andernfalls hätte dies eine fatale Signalwirkung für zukünftige Datendiebe und einen drohenden Vertrauensverlust in die Integrität der Strafverfolgung zur Folge.4

6.289

Ein einfaches, auch auf anderem Wege sicherzustellendes Interesse, wie die Sicherung des Steueraufkommens, die Gleichheit der Besteuerung etc. reicht nach hier vertretener Auffassung nicht. Insofern ist es Aufgabe des Gesetzgebers für entsprechende Abkommen zu sorgen, z.B. was den automatischen Informationsaustausch oder generell die Möglichkeiten der Verbesserung der Amts- und Rechtshilfe betrifft.

6.290

Neuere Tendenzen gehen in die Richtung, eine Verwertbarkeit nur in den Fällen des § 370 Abs. 3 AO bei bandenmäßiger Umsatz- oder Verbrauchsteuerhinterziehung anzunehmen.5 Bei der Hinterziehung von Ertragsteuern soll auf den Strafrahmen abzustellen sein; wegen des Fehlens einer Vergleichbarkeit zu den Fällen des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO soll jedoch ein Verwertungsverbot anzunehmen sein.6 Dem ist unter Beachtung der vorgenannten Erwägungen zuzustimmen.

6.291

1 VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434, Rz. 40, 60 unter Verweis auf BGH v. 18.4.2005 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 (293). 2 Seitz, Ubg 2014, 381 (382). 3 Zu einer möglichen Strafbarkeit der Ankäufer vgl. LG Düsseldorf v. 11.10.2010 – 4 Qs 50/10, NStZ-RR 2011, 84; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434, Rz. 44 f.; Seitz, Ubg 2014, 381 (382); Trüg, StV 2011, 111; Trüg/Habetha, NStZ 2008, 481; Ignor/ Jahn, JuS 2010, 390; Pawlik, JZ 2010, 693; Spernath, NStZ 2010, 307. 4 Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 483 unter Verweis auf Ignor/Jahn, JuS 2010, 390 (394). 5 Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 273 f. 6 Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 271 f.

Peters | 187

Kap. 6 Rz. 6.292 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

c) Beweiserhebung/-verwertung im Rahmen der Hauptverhandlung/Urteilsfindung

6.292

Ungeklärt ist bislang die gerichtliche Verwertbarkeit illegal oder zweifelhaft erlangter Daten im Rahmen einer Hauptverhandlung1 und der mögliche Beweiswert2 der jeweiligen Daten.3 Auch wenn die Frage der Verwertbarkeit zum Zwecke der Annahme eines Anfangsverdachts bzw. dringenden Tatverdachts an sich in der Rechtsprechung geklärt zu sein scheint, existieren noch keine entsprechenden Entscheidungen, was eine strafrechtliche Verurteilung betrifft.4 Hier müssen die Tatgerichte jeweils im Einzelfall entscheiden.5 Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung entscheidet das Gericht gem. § 261 StPO nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.6 Voraussetzung der Urteilsfindung ist, dass der Schuldspruch auf einer tragfähigen Beweisgrundlage aufbaut, die die objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Beweisergebnisses ergibt.7 Insoweit gelten die allgemeinen Anforderungen.

6.293

Bei der Steuerhinterziehung wird namentlich zu beachten sein, dass die bloße Verletzung von Mitwirkungspflichten allenfalls indizielle Bedeutung haben kann. Auch die bloße Anlage von Kapital im Ausland berechtigt nicht zu der Annahme, dass damit automatisch steuerpflichtige Einkünfte erzielt werden und ggf. damit eine Steuerhinterziehung einhergeht.8 Das AG Nürnberg führte in seinem Urteil vom 2.8.2012 hierzu aus: „Es spricht zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass nicht benötigte Gelder zinsträchtig angelegt werden. Einen dahin gehenden, allgemein gültigen Grundsatz gibt es indes nicht.9 [...] Letztlich handelt es sich nur um eine (zwar naheliegende und insgesamt recht wahrscheinliche, für eine Verurteilung indes nicht ausreichende) Vermutung der Steuerhinterziehung.“10

6.294

Besonders problematisch wird es, wenn etwa der Ersteller der Datenträger, der Veräußerer und der Ankäufer nicht unmittelbar im Rahmen einer Hauptverhandlung befragt werden können; bspw. was die Validität der Daten und die Umstände des Ankaufs betrifft.11 Insofern wird auf die Ausführungen des VerfGH RP12 verwiesen, wonach es sich nicht um eine ständige und bewusste Übung handeln darf. Der sog. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung13 greift nur, wenn die Beweise auch im Ausland zulässig erhoben wurden. Aber auch dann sind Fälle denkbar, in denen zwar die Beweiserhebung an sich ggf. nicht zu beanstanden ist, indes der Beweiswert in Rede steht, etwa wenn nur Abschriften einer Telefonüberwachung oder sonstige Beweissurrogate vorliegen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Zur Verwertbarkeit im Steuerverfahren vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 707. Hierzu AG Nürnberg v. 2.8.2012 – 46 Ds 513 Js 1382/11, ZWH 2014, 114. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 1219; Heuel, AO-StB 2011, 3 (5). Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 484, der ein abweichendes Ergebnis hinsichtlich der „harten“ unmittelbaren Verwertbarkeitsfrage zum Schuldnachweis in einem Strafverfahren nicht ausschließt; „Rechtslage nach wie vor offen“ Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 706. Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 484 unter Verweis auf Kudlich, ZWH 2011, 35. Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 199. BVerfG v. 30.4.2003 – 2 BvR 2045,02, NJW 2003, 2444, vgl. hierzu Böse, JR 2004, 40; Herdegen, NJW 2003, 3513. AG Nürnberg v. 2.8.2012 – 46 Ds 513 Js 1382/11, ZWH 2014, 114; vgl. auch die Anmerkungen von Ebner, ZWH 2014, 116; Reichling, wistra 2014, 247; Schönwälder, NZWiSt 2013, 476. AG Nürnberg v. 2.8.2012 – 46 Ds 513 Js 1382/11, ZWH 2014, 114. AG Nürnberg v. 2.8.2012 – 46 Ds 513 Js 1382/11, ZWH 2014, 114. Heuel, AO-StB 2011, 3 (5). VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434, Rz. 40. Ambos, Internationales Strafrecht5, § 9 Rz. 26 f., § 10 Rz. 60.

188 | Peters

G. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Beweisrechtshilfe | Rz. 6.298 Kap. 6

Entsprechende Beweisanträge dürften nur schwerlich abzulehnen sein, wenn das Gericht nicht sogar von sich aus verpflichtet ist, entsprechende Sachaufklärung zu betreiben. Das erkennende Gericht hat bereits gem. § 244 Abs. 2 StPO zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (Amtsermittlungsgrundsatz)1. Ein Gericht kommt bereits deshalb seiner Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung nicht ausreichend nach, wenn es ein erreichbares sachnäheres Beweismittel nicht nutzt.2 Die Ermittlung des wahren Sachverhalts ist das zentrale Anliegen des Strafprozesses.3

6.295

Beispiel: Der in der Schweiz tätige Bankmitarbeiter A hat angesichts neuer Sicherheitsvorkehrungen in der Bank in Bezug auf vermögende Kunden die Anfangs- und Endstände, sowie zwischenzeitliche Spekulationsgewinne und Geschäfte über die Veräußerung von Aktien etc. handschriftlich mit Bleistift auf kleine Zettel notiert. Die Ergebnisse trägt er allabendlich in seinem Computer in einer Exel Tabelle zusammen. Im Rahmen der Hauptverhandlung bestreitet der B nicht, Steuern hinterzogen zu haben. Er bestreitet indes die Höhe der Erträge und äußert die Vermutung, dass auch Transaktionen von Familienmitgliedern Eingang in die Liste gefunden habe. Die Zettel des A befinden sich nicht bei den Asservaten, sondern nur die gefertigte Liste.

Entsprechende Beweisanträge dürften auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK (Konfrontationsrecht) schwerlich abzulehnen sein, wonach jeder Angeklagte das Recht hat, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten.

6.296

Auch für die Frage der Strafzumessung kann die Beweismittelgenese bedeutsam sein. Neben der in der Hauptverhandlung gewonnenen Überzeugung sind die Anforderungen an die schriftliche Urteilsbegründung zu beachten. Auch hier wird es zu Schwierigkeiten kommen, wenn weder die näheren Umstände bzgl. des Ankaufs noch der vollständige Inhalt entsprechender Datenträger im Rahmen der öffentlichen Hauptverhandlung erörtert werden.

6.297

Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann.4 Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen).5 Die Urteilsgründe haben nicht nur die Summe der vorsätzlich verkürzten Steuern zu beinhalten, sondern auch deren Berechnung im Einzelnen anzugeben.6 Die Steuerhinterziehung selbst kann nicht geschätzt werden,7 wohl aber die Höhe der verkürzten Steuer. Es ist fraglich, wie eine den höchstrichterlichen Anfor-

6.298

1 Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 39. 2 BGH v. 17.10.1983 – GSSt 1/83, NJW 1984, 157. 3 BVerfG v. 12.1.1983 – 2 BvR 864/81, NJW 1983, 1043; vgl. auch BGH v. 17.10.1983 – GSSt 1/83, NJW 1984, 157 zur gerichtlichen Vernehmung von Vertrauenspersonen der Polizei; Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 139. 4 OLG München v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, juris unter Verweis auf BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08. 5 BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639. 6 OLG München v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, juris unter Verweis auf BGH v. 7.4.1978 – 5 StR 48/ 78. 7 Olgemöller/Reddig, Stbg 2007, 225.

Peters | 189

Kap. 6 Rz. 6.298 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

derungen genügende Darstellung der Steuerhinterziehung an sich erfolgen soll, wenn etwa der Veräußerer derartiger CDs nicht benannt ist und damit nicht geladen werden kann, bzw. entsprechende Anträge auf Herausgabe der Originaldaten ins Leere laufen.

6.299

Mit Blick auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz1 dürfte ebenfalls problematisch sein, wenn lediglich entsprechende Urkunden bspw. Aufzeichnungen oder Mitschriften Gegenstand der Urteilsfindung sind, das sachnähere Beweismittel – im obigen Beispiel der Bankmitarbeiter – indes nicht im Rahmen der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen wird. Es gilt der Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis.2 d) Überprüfung der Beweisführungskette (chain of evidence)

6.300

In geeigneten Fällen gilt es, die sog. Beweisführungskette (chain of evidence) zu überprüfen.3 Für den Beschuldigten und das Gericht muss nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen die Ermittlungsbehörden letztlich von der Richtigkeit der Angaben auf ausländischen „SteuerCDs“ überzeugt sind. Im Zeitalter der modernen und immer besser werdenden Möglichkeiten graphischer Manipulation elektronischer Dokumente und angesichts der zunehmenden Computerkriminalität mit all ihren Erscheinungsformen, wie Hacking, Phishing oder Farming, muss sicher ausgeschlossen werden können, dass es sich um Fälschungen handelt. Der folgende Fall mag die Probleme verdeutlichen: Beispiele: 1. Zur Aufbesserung seiner Finanzen besorgt sich der Hacker A über entsprechende Hackerboards im Internet Kreditkartennummern, in- und ausländische Kontodaten sowie weitere persönlicheInformationen einer Vielzahl teils prominenter Personen. Mittels eines Grafikprogramms fälscht er entsprechende Depot- und Erträgnisaufstellungen einer Schweizer Bank. In der Folgezeit geriert er sich als ehemaliger ausländischer Banker und bietet die von ihm erstellte CD zum Kauf an. Das Amtsgericht erlässt im Ermittlungsverfahren entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse und tatsächlich werden bei einem Teil der Beschuldigten entsprechende Steuerhinterziehungen aufgedeckt, die jedoch nicht mit den Informationen von der CD zusammenhängen. 2. Mitglieder der organisierten Kriminalität bedrohen einen Bankmitarbeiter und dessen Familie mit dem Tod, um an entsprechende Informationen über Steuerhinterziehungen zu gelangen und den Ermittlungsbehörden zum Kauf anzubieten.

6.301

Als erstes muss es möglich sein, den Veräußerer der CD zu sämtlichen Umständen der Beschaffung, Verarbeitung und Weitergabe der Informationen als Zeugen zu vernehmen. Nur so lässt sich etwa klären, ob die Unterlagen „echt“ sind oder lediglich bankinterne „Planspiele“ darstellen, die dem Kunden nur mögliche Renditen vor Augen führen. Zur Beantwortung der Frage nach einem Verwertungsverbot muss es gleichsam möglich sein, den Veräußerer befragen zu können. Auch wenn Bankmitarbeiter handschriftlich Daten übertragen und dann weitergeben, muss es möglich sein die Unterlagen der Steuerfahndung mit den Originalen abzugleichen. Schreibfehler, Übertragungsfehler und dergleichen können nie ausgeschlossen werden. Beispiel: Der Schweizer Bankmitarbeiter A notiert handschriftlich die Kontostände von Kunden. Versehentlich rutscht er eine Kommastelle nach rechts und der Kontostand beträgt nunmehr 1.000.000 statt 100.000. Die Steuerfahndung übernimmt diese Zahl. 1 Kudlich in MK-StPO, Einl. Rz. 121, 182 ff. 2 Ausführlich Kreicker in MK-StPO, § 250 StPO Rz. 2 ff. 3 Zu den finanzgerichtlichen Auswirkungen bei Beweismitteln dubioser Herkunft vgl. auch FG Rheinland-Pfalz v. 14.12.2011 – 2 K 1427/11, NZWiSt 2012, 398.

190 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.305 Kap. 6

Kann nicht sicher beurteilt werden, ob die auf einer Steuer-CD befindlichen Daten zutreffend sind, gilt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung aus § 261 StPO.1 Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Schweiz keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten leistet, mithin auch auf diesem Weg eine Verifizierung nicht möglich ist (vgl. Rz. 10.153).

6.302

H. Untersuchungshaft I. Überblick Im Zusammenhang mit internationalen Steuerstrafverfahren kommt es überproportional häufig zur Anordnung der Untersuchungshaft. Dies liegt zum einen darin begründet, dass vielfach die Täter im Internationalen Steuerstrafrecht über Wohnsitze, Vermögen und sonstige Bezüge ins Ausland verfügen, hingegen die Möglichkeiten der Amts- und Rechtshilfe nicht ausreichend sind, insbesondere was nicht EU-Staaten betrifft. Beispielsweise ist die Arrestierung von Vermögenswerten in Drittstaaten wie zum Beispiel der Türkei nahezu aussichtslos. Gleiches gilt für Auslieferungsersuchen. Daneben ist jedoch mitunter in der Praxis zu beobachten, dass die bestehenden Möglichkeiten der Rechtshilfe unbekannt sind und es in Unkenntnis dessen vorschnell zur Beantragung und zu einem Erlass von Untersuchungshaftbefehlen kommt. Auch dem Umstand, dass die Mitgliedstaaten der EU nahezu in sämtlichen Fällen des Internationalen Steuerstrafrechts mittlerweile umfassend Rechtshilfe leisten, wird insbesondere vor dem Hintergrund der europäischen Grundfreiheiten mitunter nicht ausreichend Rechnung getragen.

6.303

Die Untersuchungshaft darf gem. § 112 Abs. 1 StPO gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht. Es gelten insoweit die allgemeinen Anforderungen, Voraussetzungen und Einschränkungen für den Erlass eines Haftbefehls.2 Ein Haftgrund besteht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen wird (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, Fluchtgefahr).

6.304

Die Untersuchungshaft darf nur in streng begrenzten Ausnahmefällen angeordnet werden. Denn sie wird als Sonderopfer des Beschuldigten für die Allgemeinheit verlangt.3 Der Eingriff in die Freiheit ist daher nur hinzunehmen, wenn und soweit einerseits wegen dringenden auf konkrete Anhaltspunkte gestützten Tatverdachts begründete Zweifel an der Unschuld des Verdächtigen bestehen, andererseits der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann als dadurch, dass der Verdächtige vorläufig in Haft genommen wird.4

6.305

1 Vgl. auch die Würdigung der Zeugenaussage des FG Rheinland-Pfalz v. 14.12.2011 – 2 K 1427/11, NZWiSt 2012, 398. 2 Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 55; zum Ganzen Schlothauer/ Weider, Untersuchungshaft5; vgl. auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 415 ff.; Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 392 ff. 3 BVerfG v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243; BVerfG v. 14.11.2012 – 2 BvR 1164/12, juris. 4 BVerfG v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243.

Peters | 191

Kap. 6 Rz. 6.306 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

II. Der dringende Tatverdacht 6.306

Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls ist das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts, der sich von dem sog. hinreichenden Tatverdacht oder dem Anfangsverdacht erheblich unterscheidet.1 Der dringende Tatverdacht ist gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte eine Straftat tatsächlich begangen hat.2

6.307

Im Steuerstrafrecht besteht die Problematik bisweilen darin, dass der Verdacht zu Beginn des Verfahrens oder bei Beantragung eines Untersuchungshaftbefehls ggf. zeitgleich mit der Beantragung eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses in der Regel weniger verifizierbar ist als ein dringender Tatverdacht im Kernstrafrecht. Oftmals steht die Frage im Raum, ob die vom Steuerpflichtigen gewählte steuerliche Gestaltung ein erlaubtes Mittel zur Steuerersparnis im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG ist oder ein Verschleierungsmodell für eine ggf. verwirklichte Steuerstraftat; nach Ansicht des BVerfG steht es dem Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, die für ihn günstigste steuerliche Gestaltung zu wählen.3 Im Steuerstrafrecht besteht die weitere Problematik darin, dass die Bejahung des dringenden Tatverdachts von der Existenz des Steueranspruchs abhängt.4 Insbesondere Rechtsfragen muss der Ermittlungsrichter beantworten und darf sich nicht mit dem dringenden Tatverdacht begnügen.5 Es gilt auch im Steuerstrafrecht der Grundsatz „iura novit curia“. Beweismaßerleichterungen, die im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren infolge verweigerter Mitwirkung des Steuerpflichtigen an der Aufklärung des Sachverhalts eintreten, dürfen bei der Feststellung der Steuerhinterziehung dem Grunde nach nicht genutzt werden.6 Der dringende Tatverdacht ist zu verneinen, wenn die Ermittlungen trotz einer „nicht unerheblichen Verdachtslage“ lückenhaft sind, weil notwendige Untersuchungen nicht durchgeführt wurden, so dass mit einer Verurteilung ohne weitere zeitaufwendige Nachforschungen nicht zu rechnen ist.7

6.308

Stehen komplexe steuerliche Gestaltungen im Raum, kann es sich im Einzelfall anbieten, deren Hintergründe und steuerliche Sinnhaftigkeit zu erörtern, um den Vorwurf der Hinterziehung auf diesem Weg zu entkräften. Idealiter verfügt der Berater bereits über Anschreiben an die Finanzverwaltung, in denen das verwandte Modell offengelegt wurde. Auch insofern ist der Steuerpflichtige gut beraten, zweifelhafte oder grenzwertige Konstruktionen von vornherein offenzulegen.8

6.309

Vornehmliches Ziel des Beraters im Rahmen der Haftsituation muss sein, einem unberechtigten Steueranspruch konstruktiv entgegenzutreten und diesen zur Vermeidung der Anordnung

1 Böhm/Werner in MK-StPO, § 112 StPO Rz. 20 ff. 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 112 StPO Rz. 5, 6. 3 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23, 34/57, BVerfGE 237, 249 (250). Die Grenze, ohne freilich zugleich eine Strafbarkeit zu begründen, ist erst bei einer missbräuchlichen Gestaltung i.S.d. § 42 AO zu sehen. So auch BFH v. 25.1.1994 – IX R 97/90, IX R 98/90, BStBl. II 1994, 738 = UR 1995, 27 = FR 1994, 570; BFH v. 16.1.1996 – IX R 13/92, BFHE 179, 400 (402) = FR 1996, 391 = FamRZ 1996, 859. 4 Vgl. etwa KG v. 16.5.2000 – 2 AR 21/00 – 4 Ws 96/00, juris; kritisch Schwedhelm, BB 2010, 731 (732) der moniert, dass das Vorliegen des objektiven Tatbestandes der Steuerhinterziehung in der Regel nicht geprüft, sondern aufgrund der Behauptungen der Steuerfahndung unterstellt wird. 5 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 112 StPO Rz. 5 unter Verweis auf Lüttger, GA 57, 211. 6 Schwedhelm, BB 2010, 731 (733). 7 OLG Karlsruhe v. 1.9.2003 – 1 Ws 235/03, wistra 2004, 276. 8 Hierzu Schaumburg, Finanzstrafrecht, 2003, 177 (180); Harms, Stbg. 2005, 12 (14); Breuer, AOStB 2004, 14 (17); Blumers, StbJb 1983/84, 319 (335).

192 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.312 Kap. 6

oder des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu entkräften.1 Dabei gilt es im Auge zu behalten, dass hierüber ein Ermittlungsrichter entscheidet, der in der Regel nur selten über eine tiefergehende steuerrechtliche Sachkunde verfügt. Insofern kann es sich anbieten, an den zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft heranzutreten, dessen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls für das Gericht bindend ist (§ 120 Abs. 3 Satz 1 StPO). In jedem Fall ist der Haftbefehl anzupassen, wenn sich der Tatvorwurf ändert.2

III. Inhaltliche Anforderungen an den Haftbefehl Der Haftbefehl ist gem. § 114 StPO zu begründen. Die Begründungspflicht dient dabei nicht nur der Selbstkontrolle des Gerichts und der Ermöglichung der Prüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft durch das Beschwerdegericht, sondern vor allem auch der verlässlichen Unterrichtung des Beschuldigten.3 Die Pflicht gilt insbesondere für den dringenden Tatverdacht, welcher mit Tatsachen begründet werden muss, aus denen die Annahme der großen Wahrscheinlichkeit der Verurteilung des Beschuldigten folgt. Hierzu gehören auch eine nachvollziehbare Darstellung des Steueranspruchs als Voraussetzung für eine Steuerhinterziehung und eine nachvollziehbare Darstellung des Steuerschadens, da dieser in der Regel ausschlaggebend für die Annahme der Fluchtgefahr und von besonderer Relevanz im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist.4

6.310

Folgende Formulierung ist beispielsweise unzureichend, weil inhaltsleer: „Er ist dieser Tat dringend verdächtig aufgrund der Feststellungen am Tatort sowie des weiteren polizeilichen Ermittlungsergebnisses.“ Schätzungen der Finanzbehörde dürfen nicht ungeprüft übernommen werden. Auch die Übernahme von Vermutungen genügt nicht.5 Es muss bereits im Haftbefehl vielmehr nachvollziehbar dargelegt sein, dass und warum der Ermittlungsrichter sich von der Richtigkeit des Ergebnisses im Rahmen der Grundsätze strafprozessualer Ermittlungen überzeugt hat,6 wenngleich nicht die Anforderungen wie an eine Darstellung im Urteil gelten können.

6.311

Es liefe den gesetzlichen Prämissen zuwider, etwa aus geschätzten Mehreinnahmen auf eine entsprechende Steuerverkürzung zu schließen, mit der zu erwartenden hohen Sanktion ohne Weiteres Fluchtgefahr zu begründen und womöglich eine entsprechend hohe Kaution festzusetzen. Insbesondere die gesetzlich normierte Voraussetzung des dringenden Tatverdachts bedingt eine umso sorgfältigere Prüfung einer stets mit Unsicherheiten behafteten Schätzung. Die bloße pauschale Bezugnahme auf die „polizeilichen Erkenntnisse“ oder die Anregung der Steuerfahndung zur Beantragung der Untersuchungshaft reichen für die Begründung eines

6.312

1 Zu einem sog. Stiftungsfall eindrucksvoll LG Krefeld v. 21.10.2011 – 22 KLs 47/09, PStR 2012, 1, wo von einem zunächst angenommenen Schaden von ca. 1,3 Mio Euro letztlich 225.000 Euro verblieben. 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 114 StPO Rz. 18, zur Ausnahme bei laufender Hauptverhandlung in Umfangsverfahren vgl. OLG Köln v. 15.11.2011 – 2 Ws 650/11, NStZ-RR 2012, 125. 3 Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 392 ff.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 114 StPO Rz. 4 ff.; OLG Karlsruhe v. 6.4.2001 – 3 Ws 31/01, StV 2002, 147; OLG Hamm v. 5.8.2002 – 2 Ws 335/02, NStZ-RR 2002, 335; OLG Brandenburg v. 8.1.1997 – 2 Ws 329/96, StV 1997, 140. 4 Zum Schaden vgl. OLG Brandenburg v. 8.1.1997 – 2 Ws 329/96, StV 1997, 140. 5 OLG Frankfurt v. 18.8.1992 – 1 Ws 144/92, StV 1992, 583. 6 Rüping, wistra 2000, 11 (12) unter Verweis auf BGH v. 4.5.1990 – 3 StR 72/90, MDR 1990, 1067 = NStZ 1990, 496.

Peters | 193

Kap. 6 Rz. 6.312 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

dringenden Tatverdachts keinesfalls aus.1 Gegen das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und gegen einen entsprechenden Steueranspruchs kann etwa sprechen, dass die Finanzbehörde trotz Kenntnis aller Umstände keinen Arrest nach § 324 AO anordnet.2 Auch aus der bloßen Verletzung von Mitwirkungspflichten im Übrigen können in strafrechtlicher Hinsicht für sich genommen keine nachteiligen Schlüsse zu Lasten des Beschuldigten gezogen werden. Andernfalls würde das Selbstbelastungsverbot umgangen.

IV. Die Haftgründe 1. Überblick 6.313

Ein Haftgrund3 besteht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen: – festgestellt wird, dass der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, – bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder – das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde – Beweismittel vernichten, verändern, beiseiteschaffen, unterdrücken oder fälschen oder – auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder – andere zu solchem Verhalten veranlassen, – und wenn deshalb die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr). Die Haftgründe sind abschließend. Der in § 112a StPO normierte Haftgrund der Wiederholungsgefahr findet bei der Steuerhinterziehung keine Anwendung.

2. Flucht und Fluchtgefahr a) Überblick

6.314

Flucht und Fluchtgefahr ist im Internationalen Steuerstrafrecht der wohl am häufigsten anzutreffende Haftgrund. Ein Sich-Entziehen ist anzunehmen, wenn der Beschuldigte konkret ein Verhalten zeigt, das den Erfolg hat, dass der Fortgang des Strafverfahrens dauernd oder wenigstens vorübergehend durch Aufhebung der Bereitschaft des Beschuldigten verhindert wird, für Ladungen und Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen.4 Hierbei genügen auch Manipulationen tatsächlicher Art, etwa wenn sich der Beschuldigte in einen Zustand der Verhandlungs- oder Vollstreckungsunfähigkeit versetzt (z.B. Nichteinnahme von Medikamenten).5

1 2 3 4

OLG Oldenburg v. 26.11.2007 – 1 Ws 554/07, wistra 2008, 119. OLG Oldenburg v. 26.11.2007 – 1 Ws 554/07, wistra 2008, 119. Vgl. auch den Überblick bei Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 392 ff. BGH v. 4.11.1970 – 4 Ars 43/70, BGHSt 23, 380 (384); OLG Düsseldorf v. 20.3.1986 – 1 Ws 1102/ 85, MDR 1986, 779 = NJW 1986, 2204; Böhm/Werner in MK-StPO, § 112 StPO Rz. 35 ff. 5 OLG Hamm v. 22.2.2011 – 4 Ws 54/11, juris; in diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass § 81a StPO nicht als Ermächtigungsgrundlage für längerfristige freiheitsentziehende Maßnahmen in Betracht kommt, etwa zur Überwachung der Medikamenteneinnahme, vgl. Peters, StRR 2010, 212.

194 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.317 Kap. 6

Fluchtgefahr besteht, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher machen, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten wird.1 Dabei erfordert die Beurteilung der Fluchtgefahr die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere der Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat, seiner Persönlichkeit, seiner Lebensverhältnisse, seines Vorlebens und seines Verhaltens vor und nach der Tat.2 Hiervon zu unterscheiden sind die sog. Fluchtanreize, d.h. Umstände, die die Annahme begründen, der Beschuldigte werde diesen Anreizen auch erliegen.

6.315

Anhaltspunkte für eine zu bejahende Fluchtgefahr können sein:

6.316

– eine hohe Straferwartung; – kein fester Wohnsitz;3 – konkrete Auslandsbeziehungen; – bereits getroffene Fluchtvorbereitungen; – Transfer von Geldern.

6.317

Dagegen sprechen gegen eine Fluchtgefahr folgende Umstände: – familiäre, soziale, wirtschaftliche Bindungen;4 – hohes Alter des Beschuldigten, schlechter Gesundheitszustand; – Kautionszahlung; – fehlende finanzielle Mittel zur Flucht; – ausreichende finanzielle Mittel zur Schadenswiedergutmachung; – Wohnsitz im Ausland zur Arbeitsaufnahme;5 – Rückkehr von Auslandsreise trotz Kenntnis des Haftbefehls;6 – unterbliebene Flucht bei Kenntnis des Strafverfahrens. Unzulässig, weil floskelhaft und ohne konkrete Begründung sind folgende Ausführungen im Haftbefehl: „Der Beschuldigte ist nach Auflösung seines Wohnsitzes derzeit ohne festen Wohnsitz und ohne feste Bindungen und geht einer geregelten Arbeit nicht nach. Aufgrund dessen so wie der Höhe der zu erwartenden Strafe besteht mehr Wahrscheinlichkeit für die Erwartung, dass er sich dem Verfahren zu entziehen sucht, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren ohne weiteres stellen.“

1 2 3 4 5 6

Böhm/Werner in MK-StPO, § 112 StPO Rz. 41 m.w.N. OLG Naumburg v. 2.12.2009 – 1 Ws 789/09, StraFo 2010, 112. LG Kleve v. 7.6.2011 – 120 Qs 55/11. OLG Hamm v. 27.1.2003 – 2 Ws 19/03, StV 2003, 509. OLG München v. 22.2.2002 – 3 Ws 95/02, StV 2002, 205. OLG Hamm v. 27.1.2003 – 2 Ws 19/03, StV 2003, 509 (510); OLG Hamm v. 27.12.2002 – 2 Ws 38/02, StV 2003, 512 (513).

Peters | 195

Kap. 6 Rz. 6.318 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

b) Wohnsitz im Ausland

6.318

Allein der Umstand, dass jemand, ob Deutscher oder Ausländer, einen weiteren oder seinen ausschließlichen Wohnsitz im Ausland hat, begründet für sich genommen ohne weitere Anhaltspunkte, die die Annahme einer reellen Fluchtgefahr rechtfertigen, (noch) nicht die Anordnung der Untersuchungshaft.1 Dies gilt insbesondere für EU-Ausländer,2 da andernfalls ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorliegt.3 Erforderlich sind stets einzelfallbezogene und konkrete Umstände, aus denen auf eine tatsächlich existierende Fluchtgefahr geschlossen werden kann. Bloße Mutmaßungen oder allgemeine Befürchtungen genügen nicht.

6.319

Zur Begründung einer Fluchtgefahr bei einem im Ausland ansässigen Beschuldigten sind tatsächliche, konkrete Anhaltspunkte dafür erforderlich, dass er sich von dort an einen den Strafverfolgungsbehörden unbekannten Ort absetzen oder sich sonst dem Verfahren in Deutschland entziehen wird.4 Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist bei einem Beschuldigten oder ggf. bereits Angeklagten, der sich im Ausland aufhält, ohne flüchtig zu sein oder sich dort verborgen zu halten, trotz einer im Falle einer Verurteilung hohen Straferwartung nicht gegeben, wenn er – durch konkrete Tatsachen belegt – ernsthaft bereit ist, sich dem Verfahren zu stellen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen5 und Ladungen Folge zu leisten,6 sei es auch unter der Bedingung, im Falle des Erscheinens nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt zu werden.7

6.320

Etwas anderes gilt, wenn der Beschuldigte ausdrücklich zu erkennen gibt, dass er sich dem Verfahren nicht stellen will.8 Ein rein passives Verhalten genügt indes nicht (Nichtbefolgung einer staatsanwaltlichen Ladung).9 Auch ein Umzug oder Wegzug aus steuerlichen Gründen

1 Vgl. auch OLG Celle, Beschl. v. 8.9.2019 – 3 Ws 102/19, juris; KG v. 8.2.2016 – 5 Ws 12/16, juris; KG. v. 21.8.2014 – 1 Ws 61/14, juris; OLG Karlsruhe v. 15.10.1998 – 2 Ws 222/98, StV 1990, 36; OLG Köln v. 13.3.1998 – 2 Ws 115/98, StV 1998, 269; OLG Naumburg v. 10.10.1996 – 1 Ws 101/ 96, wistra 1997, 80; OLG Köln v. 18.3.2005 – 2 Ws 32/05, StV 2006, 25; OLG Celle v. 20.3.2009 – 1 Ws 141/09, NStZ 2010, 202; OLG Dresden v. 24.2.2005 – 1 Ws 29/05, StV 2005, 224; OLG Brandenburg v. 17.1.1996 – 2 Ws 183/95, StV 1996, 381; OLG Hamm v. 15.4.2004 – 2 Ws 111/04, NStZ-RR 2004, 278; zum Ganzen auch Grau, NStZ 2007, 10; Dahs/Riedel, StV 2003, 416; Böhm, NStZ 2001, 633; Gercke, StV 2004, 675; Schultheis, NStZ 2013, 87. 2 Vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 50, der davon ausgeht, dass jedwede Berücksichtigung der EU-Ausländereigenschaft verboten ist. 3 Gercke, StV 2004, 675; Püschel, StraFo 2009, 136, einschränkend Schomburg/Hackner in S/L6, § 15 IRG Rz. 21, Vor § 68 IRG Rz. 19a unter Verweis auf Art. 5 Nr. 3 RbEuHB, wonach die Auslieferung davon abhängig gemacht werden kann, dass eine Rücküberstellung zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe erfolgt; Böhm/Werner in MK-StPO, § 112 StPO Rz. 58; Freund, Die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Flucht und Fluchtgefahr gegen EU-Ausländer, 2010, 129 ff. 4 Einschränkend LG Kleve v. 7.6.2011 – 120 Qs 55/11, NStZ-RR 2011, 342. 5 Zu einem Fall, bei dem bei einem Geschäftsmann mit Auslandskontakten bereits eine Ladung zur Hauptverhandlung ergangen war vgl. KG v. 7.3.2013 – 4 Ws 35/13, StraFo 2013, 375. 6 OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04, StV 2005, 33. 7 OLG Schleswig v. 31.1.2011 – 1 Ws 24/11, StV 2011, 419. 8 OLG Hamm v. 15.4.2000 – 2 Ws 111/04, NStZ-RR 2004, 278; OLG Stuttgart v. 11.3.1998 – 1 Ws 28/98, NStZ 1998, 428; KG v. 1.3.2013 – 4 Ws 14/13, StV 2013, 516; abweichend Lagodny, StV 1999, 35. 9 BGH v. 4.11.1970 – 4 Ars 43/70, BGHSt 23, 380 (384); OLG Köln v. 18.3.2005 – 2 Ws 32/05, StV 2006, 25; abw. OLG Köln v. 7.8.2002 – 2 Ws 358/02, NStZ 2003, 219; vgl. auch OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04, StV 2005, 33; OLG Hamm v. 15.4.2000 – 2 Ws 111/04, NStZ-RR 2004, 278 mit Anm. Hilger, StV 2005, 33.

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H. Untersuchungshaft | Rz. 6.322 Kap. 6

ins Ausland begründet für sich genommen nicht die Annahme von Fluchtgefahr, wenn sich nicht zugleich nach außen hin der Wille manifestiert, sich dem Strafverfahren auf Dauer zu entziehen.1 Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte von jeher im Ausland ansässig ist, dort arbeitet und seinen Wohnsitz auch nicht aufgeben will.2 Andererseits kommt ggf. die Anordnung von Untersuchungshaft in Betracht, wenn der Beschuldigte nachweislich Gelder ins Ausland transferiert hat, dort über gefestigte soziale Bindungen oder Wohneigentum verfügt und/oder von dort keine Auslieferung wegen Steuerhinterziehung erfolgt (z.B. Schweiz).3 c) Straferwartung Der BGH hat sich in der jüngeren Vergangenheit wiederholt zur Frage der Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung geäußert und die Anforderungen an eine bewährungsfähige Strafe bei der Hinterziehung hoher Summen erheblich verschärft.4 Dies ist nicht ohne Auswirkungen auf die Anordnung der Untersuchungshaft geblieben.

6.321

Allein eine erhebliche Straferwartung trägt jedoch nach der ständigen und einheitlichen Rechtsprechung der OLG die Annahme einer Fluchtgefahr nicht.5 Hierfür spricht insbesondere im Steuerstrafrecht folgende praktische Überlegung: Gerade in Steuerstrafsachen ist im Falle einer Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe der sog. offene Vollzug (§ 10 Abs. 1 StVollzG) eher die Regel denn die Ausnahme.6 Die damit einhergehenden Vorzüge, etwa die Aufnahme einer Außenbeschäftigung (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) oder die Möglichkeit von Hafturlaub (§ 13 StVollzG) würde sich der Beschuldigte verspielen, wenn er sich nicht dem Verfahren stellt, der Hauptverhandlung unentschuldigt fernbleibt und aus einer bestehenden Untersuchungshaft heraus den Strafvollzug antreten müsste. Die Straferwartung kann daher insbesondere in Steuerstrafverfahren nur Ausgangspunkt für die Erwägung sein, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden.7

6.322

1 OLG Celle v. 20.3.2009 – 1 Ws 141/09, NStZ 2010, 202. 2 LG Hamburg v. 1.3.2002 – 620 Qs 19/02, StV 2002, 205. 3 OLG Celle v. 20.3.2009 – 1 Ws 141/09, StraFo 2009, 204 vgl. auch Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 55. 4 BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, ZWH 2012, 148; BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11, BFH/NV 2011, 1468; BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 = NJW 2009, 528; vgl. hierzu Wulf, DStR 2009, 459; Schwedhelm/Talaska, GmbH-StB 2011, 54; Trüg, IBR 2009, 117; Stahl, KÖSDI 2009, 531; Peters, NZWiSt 2012, 201. 5 OLG Naumburg v. 2.12.2009 – 1 Ws 789/09, StraFo 2010, 112; OLG Karlsruhe v. 26.6.2009 – 2 Ws 229/09, BeckRS 2009 24254;OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04 = StV 2005, 33; OLG Celle v. 11.10.1949 – Ws 203/49, NJW 1950, 240; KG v. 17.5.1965 – 1 AR 930/61, NJW 1965, 1390; OLG Köln v. 21.7.1995 – 1 Ws 23/95, StV 1995, 475; OLG Hamm v. 28.1.2000 – 2 Ws 27/ 2000, NStZ-RR 2000, 188; OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04, StV 2005, 33; einschränkend für eine Straferwartung von deutlich über zwei Jahren KG v. 16.11.2011 – 3 Ws 577/11 – 1 AR 1697/11, StraFo 2012, 62; hiergegen KG v. 3.11.2011 – 4 Ws 96/11 – 1 AR 58/11, StV 2012, 350; OLG Frankfurt v. 3.1.2014 – 1 Ws 206/13, StraFo 2014, 73; Böhm/Werner in MK-StPO, § 112 StPO Rz. 52. 6 KG v. 3.11.2011 – 4 Ws 96/11 – 1 AR 58/11, StV 2012, 350; zu diesem Aspekt auch Münchhalffen in FS Riess, 2002, 348 (352). 7 OLG Naumburg v. 2.12.2009 – 1 Ws 789/09, StraFo 2010, 112; Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt63, § 112 StPO Rz. 24.

Peters | 197

Kap. 6 Rz. 6.323 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.323

Andererseits ist zu konstatieren, dass (noch) nicht alle Staaten in gleichem Umfang Rechtshilfe bei Steuerstraftaten leisten, mitunter die Auslieferung bei bloßen Fiskaldelikten verweigern, etwa die Schweiz nach Art. 32 ff. IRSG.1 Vielfach ist die internationale Rechtshilfe in Strafsachen auch durch Erschwernisse tatsächlicher Art gekennzeichnet und in der Praxis mitunter mühselig. Nicht jedes Land ist gleich kooperativ und gleichermaßen zügig. d) Beraterfehler

6.324

Im Zusammenhang mit der Frage nach der Auslieferung kommt es immer wieder zu nachteiligen Beraterempfehlungen. Aus der jüngeren Vergangenheit sind Fälle bekannt, in denen dem Beschuldigten die Existenz eines gegen ihn gerichteten Haftbefehls in Deutschland bekannt war und ihm anwaltlich geraten wurde, sich dem Verfahren in Deutschland nicht zu stellen. Begründet wurde dies in Unkenntnis der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen zumeist damit, dass einem Auslieferungsersuchen nur geringe Chancen eingeräumt wurden. Stattdessen wurde auf die Untätigkeit und Bequemlichkeit der Strafverfolgungsbehörden spekuliert. Übersehen wird in diesem Zusammenhang vielfach die Möglichkeit der Passentziehung bei deutschen Staatsbürgern (§§ 8, 7 PaßG), wobei in den meisten Fällen der Entzug des Passes auch durch die ausländischen Behörden vollstreckt wird – etwa in Thailand – mit der Folge, dass sich der Betreffende nunmehr unberechtigt in dem Land aufhält und ggf. Abschiebehaft droht. In vielen Ländern kommt zudem eine eigene Strafbarkeit nach dortigem Recht in Betracht, wenn der Betreffende ohne Pass dort aufhältig ist. In solchen Situationen bietet es sich an, gemeinsam mit Staatsanwaltschaft und Gericht nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Der Haftgrund der Fluchtgefahr dürfte schwerlich zu halten sein, wenn der Beschuldigte sich in Kenntnis des Haftbefehls nach Deutschland begibt und sich dem Verfahren stellt.2

3. Verdunkelungsgefahr 6.325

Die Annahme dieses Haftgrundes setzt ein Verhalten des Beschuldigten voraus, das den dringenden Verdacht begründet, durch bestimmte Handlungen werde auf sachliche oder persönliche Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert (z.B. Bedrohung von Zeugen).3 Da die bloße Gefahr ausreicht, ist eine prognostische Entscheidung zu treffen, wobei die konkrete Handlung nicht eindeutig festgestellt werden muss.4 Die Verdunklungsgefahr lässt sich jedoch nicht allein aus der Eigenart des dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikts der Steuerhinterziehung ableiten.5 Dies würde zu einer nicht hinnehmbaren gesetzlichen Vermutung 1 So die Erwägungen bei OLG Celle, Beschl. v. 8.9.2019 – 3 Ws 102/19, juris; eine Auslieferung kommt jedoch in Betracht bei „schwerer illegaler persönlicher Bereicherung mit staatlichen Geldern“ und Geldwäsche, vgl. Schw. Bundesgerichts Lausanne EuGRZ 2006, 425. 2 OLG Hamm v. 27.1.2003 – 2 Ws 19/03, StV 2003, 509 (510); OLG Hamm v. 27.12.2002 – 2 Ws 38/02, StV 2003, 512 (513). 3 Vgl. auch BT-Drucks. IV/1020 Satz 2; OLG Hamm v. 6.2.2002 – 2 Ws 27/02, wistra 2002, 236; Niemeyer in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 62 ff.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 418; Park, wistra 2001, 250; Böhm/Werner in MK-StPO, § 112 StPO Rz. 62 ff. 4 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 112 StPO Rz. 31. 5 OLG Köln v. 20.9.1996 – 2 Ws 492/96, StraFo 1997, 28 (29); Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 55; zum Ganzen auch Dahs in FS Dünnebier, 1982, 234; Münchhalffen in FS Riess, 2002, 347 bejahend hingegen noch OLG Koblenz v. 28.1.1976 – 1 Ws 35/76, OLGSt StPO § 112 Satz 37; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 112 StPO Rz. 30, der jedoch einschränkend auf die Würdigung der konkreten Umstände der Tat abstellt.

198 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.329 Kap. 6

führen.1 Für die Annahme von Verdunklungsgefahr müssen vielmehr weitere Umstände hinzukommen, aus denen konkret und durch Tatsachen belegt auf die Gefahr der verdunkelnden Einflussnahme geschlossen werden kann. Dazu sind alle Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Da die Untersuchungshaft keine Beugehaft und der Beschuldigte nicht verpflichtet ist sich zur Sache einzulassen, darf Verdunkelungsgefahr auch nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Beschuldigte das Versteck der Beute nicht preisgibt.2 Gleiches muss gelten, wenn der Beschuldigte seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.

6.326

Auf die fahnderische Erfahrung, dass, wer seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und sich passiv verhält, auch Beweismittel manipuliert, kann der Haftbefehl nicht gestützt werden. Wie dargelegt, ist ein aktives Einwirken erforderlich, da andernfalls das Selbstbelastungsverbot umgangen würde.

6.327

Wenn die Verdunkelungshandlungen nicht geeignet sind, die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren, darf nach allgemeiner Ansicht die Untersuchungshaft nicht angeordnet bzw. aufrechterhalten werden.3 Der Haftgrund liegt somit nicht vor, wenn der Sachverhalt in vollem Umfang aufgeklärt und die Beweise so gesichert sind, dass der Beschuldigte die Wahrheitsermittlung nicht mehr behindern kann, selbst wenn er dies wollte. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Beschuldigte unlauter handelt oder berechtigt ist, über das Beweismittel zu verfügen. Sinn und Zweck der Norm ist die Sicherung des staatlichen Strafanspruchs. Verdunkelungsgefahr kann jedoch angezeigt sein, wenn – freilich unter Berücksichtigung der jeweiligen Taten und Tatbeiträge – das Gesamtkonstrukt der Tat auf Verdunkelung angelegt ist, etwa bei organisierter Umsatzsteuerhinterziehung, organisierter Kriminalität im Bereich des Zigarettenschmuggels oder bandenmäßiger Steuerhinterziehung. Im Rahmen der Ermittlung gegen Verantwortliche von Unternehmen und insbesondere bei der mittlerweile standardmäßigen Sicherung der elektronischen Daten, insbesondere des E-Mail-Verkehrs, kommt in besonderem Maße der Umstand zum Tragen, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr entfällt, wenn der Sachverhalt in vollem Umfang aufgeklärt und die Beweise so gesichert sind oder gesichert werden können, dass der Beschuldigte die Wahrheitsermittlung nicht mehr behindern kann, selbst wenn er dies wollte.

6.328

Beispiel: Der Beschuldigte A versteckt Depot- und Erträgnisaufstellungen in einer ihm gehörigen aber nirgends verzeichneten Jagdhütte. Ein Fahndungsbeamter entdeckt die Unterlagen dennoch und erwirkt den Erlass eines Haftbefehls wegen Verdunkelungsgefahr.

4. Apokryphe Haftgründe Von immer wiederkehrender Bedeutung sind die sog. apokryphen Haftgründe, also solche Haftgründe, die keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden haben, gleichwohl aber vielfach für die Anordnung und Vollziehung der Untersuchungshaft ausschlaggebend sein sollen.4 1 2 3 4

OLG Hamm v. 6.2.2002 – 2 Ws 27/02, PStR 2002, 76. OLG Frankfurt v. 26.6.2009 – 1 Ws 58/09, StV 2009, 652. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 112 StPO Rz. 35. Paeffgen, NJW 1990, 537; Münchhalffen, StraFo 1999, 332; ablehnend Lemme, wistra 2004, 288; informativ die Aussagen von Verteidigern und Strafverfolgern bei Theile, wistra 2005, 327; Schwedhelm, BB 2010, 731, (732, 733): „Hintergrund ist, dass selbst die hartgesottensten Hinterzieher nach längerer Untersuchungshaft eine deutlich größere Geständnis- und Kooperationsbereitschaft zeigen als zuvor. Welcher Ermittler kann von sich sagen, dieser Versuchung immer widerstanden zu haben?“. Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 388.

Peters | 199

6.329

Kap. 6 Rz. 6.330 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.330

Der Beantragung und dem Erlass des Untersuchungshaftbefehls werden mitunter folgende unlautere Beweggründe unterstellt: – Erhöhung oder Begründung einer Geständnisbereitschaft („U-Haft schafft Rechtskraft“); – Förderung der Kooperationsbereitschaft; – Aufbau einer Drohkulisse und Drucksituation, Verleihung von Nachdruck (etwa durch Verhaftung vor Ostern, Weihnachten, Urlaub etc.); – Erleichterung der Ermittlungen; – Herbeiführung von Zeugenaussagen, etwa gegen Unternehmensverantwortliche; – Verfahrenssicherung; – Erfüllung des öffentlichen und dienstlichen Erwartungsdrucks; – Verbesserung der Karrierechancen; – Erzielung eines vorweggenommenen Schadensausgleichs.

6.331

Die Grundproblematik besteht darin, dass die sog. apokryphen Haftgründe – ihr Vorhandensein unterstellt – (in der Regel) nicht offen Eingang in den Haftbefehlsantrag oder die richterliche Entscheidung finden; mithin im Rahmen der Beschwerde allenfalls eingeschränkt zur Überprüfung stehen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung wird daher im Wesentlichen zwischen Verteidigern, Hochschullehrern und Justizpraktikern auf der Basis eigener beruflicher Erfahrung geführt.1 Objektiv festzuhalten ist, dass ein Verfahren von allen Seiten vordringlicher und effektiver betrieben wird, wenn der Beschuldigte sich in Untersuchungshaft befindet. Zu konstatieren ist aber auch, dass es seltsam anmutet, wenn Haftbefehle unmittelbar, ggf. noch am Tag der Vorführung, sogleich gegen hohe Kautionen – die im Falle einer rechtskräftigen Steuerfestsetzung dem Fiskus zukommen sollen2 – außer Vollzug gesetzt werden oder das Strafverfahren (zeitnah) mit einer Einstellung nach § 153a StPO, einer Geldstrafe, einer Bewährungsstrafe oder Freiheitsstrafe im mittleren Bereich endet. Dass die Mehrzahl der im Steuerstrafecht unbedingt verhängten Freiheitsstrafen letztlich im sog. offenen Vollzug verbüßt werden, sei nur der Vollständigkeit halber neuerlich erwähnt. Die Situation wird im Steuerstrafrecht zukünftig neben der Veränderung des Klimas im gesamten Steuer- und Steuerstrafrecht noch dadurch verschärft werden, dass Hinterzieher hoher Summen oftmals über nicht unerhebliche finanzielle Mittel verfügen und mithin ein Teufelskreis aus Straferwartung, Fluchtanreiz und Fluchtmöglichkeit bei Vorhandensein potentieller Widergutmachungsmöglichkeit entstehen kann.

V. Verhältnismäßigkeit 6.332

Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO darf die Untersuchungshaft nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht.3 Das BVerfG hat wiederholt darauf hingewiesen, dass „der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten“ ist.4 Das bedeutet, 1 2 3 4

Vgl. Theile, wistra 2005, 327. Krit. hierzu Münchhalffen in FS Riess, 2002, 348 (354). BVerfG v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243. BVerfG v. 28.2.1991 – 2 BvR 86/91, NJW 1991, 2821.

200 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.334 Kap. 6

dass der Eingriff in die Freiheit nur hinzunehmen ist, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann.1 Vielfach wird moniert, dass Haftbefehle, nicht nur in Steuerstrafsachen, mit leichter Hand gefertigt werden2 oder bereits unterschriftsreife Haftbefehlsentwürfe vorgelegt werden. Folgende Ausführungen sind unzulässig: „Die Anordnung der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung auch nicht außer Verhältnis. Weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 StPO) begründen nicht die Erwartung, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann.“ In jedem Fall ist in besonderem Maße dem Umstand Rechnung zu tragen, dass nichtvorbestrafte, sozial integrierte und ggf. in einem Beschäftigungsverhältnis stehende oder selbständige Ersttäter in der Regel besonders haftempfindlich sind. Vor dem Hintergrund der möglicherweise weitreichenden Folgen der Untersuchungshaft, etwa in Bezug auf die Fortführung eines Unternehmens, den möglichen Verlust des Arbeitsplatzes oder sonstiger negativer Folgen, gilt es in jedem Fall genau zu prüfen, ob die Anordnung der Untersuchungshaft verhältnismäßig ist. Als Alternative zur Untersuchungshaft kommt in geeigneten Fällen die Passentziehung gem. §§ 8, 7 Abs. 1 Nr. 1, 4 PaßG in Betracht. Dies ist bereits dann möglich, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass sich jemand dem Strafverfahren oder seinen steuerlichen Pflichten entziehen will.

6.333

VI. Vollstreckung des Haftbefehls 1. Überblick Der Haftbefehl wird durch die Staatsanwaltschaft (§ 36 Abs. 2 Satz 1 StPO) bzw. unmittelbar durch die Ermittlungsbeamten vollstreckt.3 Er erlaubt die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten zum Zwecke der Ergreifung, nicht aber die Durchsuchung der Wohnung von Dritten.4 Dem Beschuldigten ist bei der Verhaftung eine Abschrift des Haftbefehls auszuhändigen; beherrscht er die deutsche Sprache nicht hinreichend, erhält er zudem eine Übersetzung in einer für ihn verständlichen Sprache. Ist die Aushändigung einer Abschrift und einer etwaigen Übersetzung nicht möglich, ist ihm unverzüglich in einer für ihn verständlichen Sprache mitzuteilen, welches die Gründe für die Verhaftung sind und welche Beschuldigungen gegen ihn erhoben werden (§ 114a StPO). Der Beschuldigte ist alsdann unverzüglich und schriftlich in einer für ihn verständlichen Sprache über seine Rechte zu belehren. In der Belehrung ist der Beschuldigte gem. § 114b StPO namentlich darauf hinzuweisen, dass er – unverzüglich, spätestens am Tag nach der Ergreifung, dem Gericht vorzuführen ist, das ihn zu vernehmen und über seine weitere Inhaftierung zu entscheiden hat; – das Recht hat, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen; – zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen kann;

1 2 3 4

BVerfG v. 28.2.1991 – 2 BvR 86/91, NJW 1991, 2821. Schwedhelm, BB 2010, 731 (732). Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 422 f. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 114 StPO Rz. 20.

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6.334

Kap. 6 Rz. 6.334 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

– jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen kann; – das Recht hat, die Untersuchung durch einen Arzt oder eine Ärztin seiner Wahl zu verlangen und – einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens benachrichtigen kann, soweit der Zweck der Untersuchung dadurch nicht gefährdet wird. Gemäß § 114c StPO ist zwingend, auch bei ausdrücklichem Widerspruch, ein Angehöriger zu benachrichtigen.1

2. Die Vorführung 6.335

Der Beschuldigte ist nach der Verhaftung unverzüglich einem Richter vorzuführen (§§ 115, 115a StPO). Dies dient u.a. der Prüfung, ob der Vorgeführte mit der im Haftbefehl benannten Person identisch ist und ob der Haftbefehl noch besteht. Zudem hat das Gericht den Beschuldigten unverzüglich nach der Vorführung über den Gegenstand der Beschuldigung zu vernehmen (§ 115 Abs. 2, § 115a Abs. 2 StPO). Dabei ist ihm die Gelegenheit einzuräumen, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen (§ 115 Abs. 3 StPO). Hinweis: In jedem Fall sollten der Berater und ggf. ein Strafverteidiger der Vorführung beiwohnen. Mitunter bietet es sich an, auch die ermittelnden Steuerfahndungsbeamten beizuziehen oder ggf. den zuständigen Staatsanwalt. Denn vielfach wird der Erlass eines Haftbefehls beantragt, ohne dass ein persönlicher Eindruck des Beschuldigten vorhanden ist. Gerade im Rahmen der Vorführung ist der persönliche Eindruck des Beschuldigten jedoch von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Mitunter kann auf diesem Wege bereits eine Außervollzugsetzung erreicht werden. Für in diesem Zusammenhang gestellte Beweisanträge gilt § 166 StPO (Notbeweisaufnahme), d.h. die Beweiserhebung ist durch den vernehmenden Richter durchzuführen, wenn die Beweiserhebung die Freilassung des Beschuldigten begründen kann. Erheblich ist in diesem Zusammenhang alles, was zur Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls führen kann.2 Die Ablehnung eines entsprechenden Antrags ist zu protokollieren. Eine Beschwerdemöglichkeit gegen die ablehnende Entscheidung besteht nicht.3

3. Akteneinsicht 6.336

Anlass zu Auseinandersetzungen bietet im Zusammenhang mit der Vorführung bzw. der Festnahme des Beschuldigten immer wieder die Frage nach der Akteneinsicht des Verteidigers und deren Reichweite.4 Nach der Rechtsprechung des EGMR folgt aus Art. 5 Abs. 4 EMRK ein Anspruch des Untersuchungsgefangenen auf ein kontradiktorisches Verfahren. Die „Waffengleichheit“ zwischen den Verfahrensbeteiligten muss gewährleistet sein.5 Daran fehlt es, wenn dem Verteidiger der Zugang zu Schriftstücken in der Ermittlungsakte versagt

1 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 114c StPO Rz. 6 m.w.N. 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 116 StPO Rz. 5, Schlothauer, StV 1995, 159. 3 Zum Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung vgl. aber OLG Köln v. 22.8.2008 – 2 Ws 411/08, juris; OLG Hamm v. 6.11.2001 – 2 Ws 271/01, juris. 4 Zum Ganzen Heerspink in Kohlmann, § 392 AO Rz. 40 ff.; Börner, NStZ 2007, 680; Börner, NStZ 2010, 417. 5 EGMR v. 9.7.2009 – Nr. 11364/03 – M./Deutschland, EuGRZ 2009, 566 (577 f.), Rz. 121, 125 = StV 2010, 490 (491) mit Anm. Pauly.

202 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.341 Kap. 6

wird, die für die wirksame Anfechtung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlich sind. Es reicht insoweit nicht aus, den Verteidiger lediglich mündlich über die in der Akte dokumentierten Tatsachen und Beweismittel zu informieren. Der Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe – insbesondere die Bezugnahme auf eine vorangegangene Entscheidung der Kammer des EGMR – deutet darauf hin, dass nach Auffassung des EGMR Art. 5 Abs. 4 EMRK nicht zwingend die Gewährung von Einsichtnahme in den gesamten Akteninhalt erfordert, sondern nur in die von der StA vorgelegten sowie vom Gericht herangezogenen Teile der Akte, auf die der Verdacht im Wesentlichen gestützt wird.1 Insofern ist jedoch dem nunmehr in § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO normierten Anspruch Rechnung zu tragen.2 Die Staatsanwaltschaft genügt von vornherein dem Gebot, durch Anlegung von Zweitakten oder durch die Bereitstellung der Akte in elektronischer Form, Verzögerungen des Verfahrens zu vermeiden.3

6.337

4. Beschränkungen in der Untersuchungshaft Soweit es zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a StPO) erforderlich ist, können dem Beschuldigten gem. § 119 StPO Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass

6.338

– der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen; – Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind; – die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf; – der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird; – die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Maßgeblich sind die Gründe im Haftbefehl. Die Aufzählung ist nicht abschließend („insbesondere“), so dass auch weitere Beschränkungen in Betracht kommen, wie z.B. eine Fesselung, Verbot der Einbringung bestimmter Gegenstände.

6.339

Die Anordnungen trifft das Gericht oder die Staatsanwaltschaft oder die Vollzugsanstalt, wenn die Entscheidung des Gerichts nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann. Die Anordnung ist dem Gericht binnen drei Werktagen zur Genehmigung vorzulegen, es sei denn, sie hat sich zwischenzeitlich erledigt. Der Beschuldigte ist über Anordnungen in Kenntnis zu setzen. Die Anordnung schließt die Ermächtigung ein, Besuche und Telekommunikation abzubrechen sowie Schreiben und Pakete anzuhalten.

6.340

Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann gem. § 119 Abs. 2 Satz 2 StPO die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staats-

6.341

1 EGMR v. 9.7.2009 – Nr. 11364/03 – M./Deutschland, EuGRZ 2009, 566 (577 f.), Rz. 121, 125 = StV 2010, 490 (491) mit Anm. Pauly. 2 § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO lautet: Liegen die Voraussetzungen von Satz 1 vor und befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft oder ist diese im Fall der vorläufigen Festnahme beantragt, sind dem Verteidiger die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlichen Informationen in geeigneter Weise zugänglich zu machen; in der Regel ist insoweit Akteneinsicht zu gewähren., vgl. hierzu BT-Drucks. 16/13097, 19. 3 BVerfG v. 10.12.1998 – 2 BvR 1998/98, juris.

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Kap. 6 Rz. 6.341 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

anwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar. Dies ist in der Praxis regelmäßig der Fall. Sofern die Überwachung der Telekommunikation angeordnet ist, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann auch durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikation über die Mitteilungspflicht zu unterrichten.

6.342

Die §§ 148, 148a StPO (Verkehr mit dem Verteidiger/Beschränkungen) bleiben von § 119 StPO unberührt. Das Verteidigungsverhältnis muss durch Vollmacht und Angabe der Strafsache ausgewiesen sein.

6.343

Gegen Beschränkungen nach § 119 StPO kann die gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.

VII. Außervollzugsetzung des Haftbefehls 1. Überblick 6.344

Der Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, ist gem. § 116 StPO auszusetzen,1 wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich: – die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle (in der Regel eine Polizeistation) zu melden (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 StPO); – die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 StPO); – die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 StPO); – die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 StPO). Die Außervollzugsetzung wegen Verdunkelungsgefahr liegt nach § 116 Abs. 2 StPO im Ermessen des Gerichts, namentlich durch die Anweisung, nicht mit Mitbeschuldigten oder Zeugen in Kontakt zu treten.

2. Die Sicherheitsleistung 6.345

Im Steuerstrafrecht wird ein Haftbefehl häufig gegen Sicherheitsleistung („Kaution“) außer Vollzug gesetzt. Die Einzelheiten der Sicherheitsleistung regelt § 116a StPO. Die Sicherheit ist durch Hinterlegung in barem Geld, in Wertpapieren, durch Pfandbestellung oder durch Bürgschaft geeigneter Personen zu leisten. Der Richter setzt Höhe und Art der Sicherheit nach freiem Ermessen fest (§ 116a Abs. 2 StPO). Im Steuerstrafrecht wird die Zahlung der Kaution

1 Zum Ganzen auch Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, 396 f.

204 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.348 Kap. 6

vielfach davon abhängig gemacht, dass diese im Falle einer rechtskräftigen Steuerfestsetzung dem Fiskus zukommen soll.1 Die Gefahr besteht hier darin, Aspekte der Verfahrenssicherung mit solchen der Schadenswidergutmachung zu vermengen. § 116 StPO ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips und keine Möglichkeit zur verdeckten Rückgewinnung. Die Finanzverwaltung verfügt selbst über ausreichende Möglichkeiten, den Steueranspruch sicherzustellen. Es dürfen keine unzumutbaren Verhaltensanforderungen an den Beschuldigten gestellt werden. Die Sicherheitsleistung darf auch keinen Strafcharakter tragen oder sonst ein von den Haftgründen nicht gedecktes Ziel verfolgen.2 Allein der verfahrenssichernde Aspekt ist zu berücksichtigen. Dies wird umso deutlicher, je höher vermeintlicher und tatsächlicher Steueranspruch differieren. 20 – 30 % der hinterzogenen Summe dürften jedoch angemessen sein.

3. Außervollzugsetzung und Beschleunigungsgrundsatz Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls kann auch wegen Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes angezeigt sein. Der im Recht auf Freiheit der Person verankerte Beschleunigungsgrundsatz3 in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen.4 Denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist.5 Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher in der Regel der weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.

6.346

Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. An dessen zügigen Fortgang sind mit steigender Dauer der Untersuchungshaft umso strengere Anforderungen zu stellen.6

6.347

Dieser Gedanke liegt auch der Regelung des § 121 StPO zugrunde, der bestimmt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht

6.348

1 Krit. hierzu Münchhalffen in FS Riess, 2002, 348 (354). 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 116 StPO Rz. 5; LG Dortmund v. 6.8.1997 – 14 (V) Qs 46/ 97, OLG Frankfurt v. 18.8.1992 – 1 Ws 144/92, StV 1992, 583. 3 BVerfG v. 13.5.2009 – 2 BvR 388/09, StV 2009, 479; EGMR v. 22.1.2009 – Nr. 45749/06 und 51115/06 – Kaemena und Thöneböhn/Deutschland, StV 2009, 561; BVerfG v. 13.10.2016 – 2 BvR 1275/16, AO-StB 2017, 98. 4 BVerfG v. 14.11.2012 – 2 BvR 1164/12, juris; BVerfG v. 13.10.2016 – 2 BvR 1275/16, AO-StB 2017, 99. 5 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris. 6 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris.

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Kap. 6 Rz. 6.348 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Wie sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte ergibt, handelt es sich dabei um eng begrenzte Ausnahmetatbestände.1

6.349

Der Beschleunigungsgrundsatz beansprucht auch für das Zwischenverfahren nach den §§ 199 ff. StPO Geltung. Selbst wenn das Verfahren etwa aus Gründen der Komplexität der im Raum stehenden wirtschaftlichen Vorgänge erhebliche tatsächliche und/oder rechtliche Schwierigkeit aufweist, rechtfertigt dies ein Zuwarten nicht.2

6.350

Weiter ist grundsätzlich durch geeignete Maßnahmen der Gerichtsorganisation Sorge dafür zu tragen, dass den Erfordernissen des Beschleunigungsgebots entsprochen wird. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist mithin verletzt, wenn sich das Verfahren infolge vermeidbarer gerichtsorganisatorischer Fehler oder Versäumnisse erheblich verzögert.3 Es hat nicht der Beschuldigte zu vertreten und es kann ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn seine Haftsache nicht binnen angemessener Zeit zur Verhandlung gelangt, weil dem Gericht die personellen oder sächlichen Mittel fehlen, die zur ordnungsgemäßen Bewältigung des Geschäftsanfalls erforderlich wären.4 Der Gesetzgeber hat sich bewusst für die im Haftrecht normierten kurzen Fristen entschieden, und allenthalben wird in der Praxis der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen propagiert. Allein kurzfristige Engpässe sind geeignet, eine Haftfortdauer dann zu rechtfertigen, wenn sie nicht oder kaum vorhersehbar und vermeidbar waren.

6.351

Auf das Gewicht der in Rede stehenden Straftaten, etwa Hinterziehung von Umsatzsteuer in Millionenhöhe, kommt es grundsätzlich nicht an. Die Anforderungen des Beschleunigungsgebots werden nicht dadurch herabgesetzt, dass die der Strafverfolgung unterliegenden Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstrafenerwartung im Raum steht.5 Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden.6

VIII. Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (§ 121 Abs. 1 StPO) 6.352

§ 121 Abs. 1 StPO bestimmt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantierte Freiheit der Person nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Dies gebietet es, den Freiheitsbeschränkungen, die vom Standpunkt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege aus erforderlich sind, ständig den Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegenzuhalten.7 Zwi1 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris; BVerfG v. 24.8.2010 – 2 BvR 1113/10, EuGRZ 2010, 674 (676). 2 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris. 3 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris; BVerfG v. 13.10.2016 – 2 BvR 1275/16, AO-StB 2017, 98. 4 Vgl. BVerfG v. 12.12.1973 – 2 BvR 558/73, BVerfGE 36, 264 (273 ff.). 5 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris. 6 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris unter Verweis auf BVerfG v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 421 (428); BVerfG v. 24.8.2010 – 2 BvR 1113/10, EuGRZ 2010, 674 (676). 7 OLG Nürnberg v. 21.4.1997 – Ws 1394/95 unter Verweis auf BVerfG v. 12.12.1973 – 2 BvR 558/ 73, BVerfGE 36, 264 (270); BVerfG v. 6.2.1980 – 2 BvR 1070/79, BVerfGE 53, 152 = MDR 1980, 822 (158).

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H. Untersuchungshaft | Rz. 6.355 Kap. 6

schen diesen beiden Belangen ist abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt. Ferner ist zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößern wird. Bei der Feststellung der Voraussetzungen von § 121 Abs. 1 StPO kommt es entscheidend darauf an, ob die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ihrerseits alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen. § 121 Abs. 1 StPO lässt nur in begrenztem Umfang eine Fortdauer der Untersuchungshaft zu und ist nach allgemeiner Meinung eng auszulegen.1 Eine Untersuchungshaftfortdauer über sechs Monate hinaus kann etwa nicht mit dem Umfang des gegen weitere Personen geführte Ermittlungsverfahrens gerechtfertigt werden, wenn das Verfahren gegen den in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten schon Monate vor der Anklageerhebung abschlussreif war und hätte abgetrennt werden können.2 Die Untersuchungshaft darf auch nicht aufrechterhalten werden, um weitere Straftaten zu ermitteln und aufzuklären, die selbst nicht Gegenstand des Haftbefehls sind.3

6.353

In den Fällen des § 121 StPO legt das zuständige Gericht die Akten auf Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem OLG vor (OLG Vorlage). Der Beschuldigte und sein Verteidiger sind vorher anzuhören. Das OLG kann den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 StPO aussetzen (§ 122 Abs. 3 StPO). Sind in derselben Sache mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft, kann das OLG über die Fortdauer der Untersuchungshaft auch solcher Beschuldigter entscheiden, für die es noch nicht zuständig wäre (§ 122 Abs. 6 StPO). Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO ruht derweil (§ 121 Abs. 3 Satz 1 StPO)

6.354

IX. Vermögensbeschlagnahme gem. § 290 StPO Als Zwangsmittel zur Gestellung eines abwesenden Beschuldigten, gegen den die öffentliche Klage bereits erhoben ist, kann, wenn Verdachtsgründe vorliegen, die den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen würden, sein Vermögen durch Gerichtsbeschluss mit Beschlag belegt werden.4 Der dahinterstehende Sinn und Zweck der Regelung ist es, die Gestellung des Abwesenden durch Entzug seiner finanziellen Mittel zu erzwingen und auf diesem Wege die Durchführung der Hauptverhandlung zu ermöglichen. Die fehlende Möglichkeit der Auslieferung steht der Vermögensbeschlagnahme nicht entgegen. Das Gericht entscheidet von Amts wegen oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Der Beschluss ist zu begründen, wobei die abstrakte Bezeichnung der Vermögensbeschlagnahme genügt. Die Bekanntmachung richtet sich nach § 291 StPO, durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger. Mit Bekanntmachung verliert der Angeschuldigte die Verfügungsbefugnis (absolutes Verfügungsverbot, § 291 StPO). Die Beschlagnahme ist aufzuheben, wenn der Abwesende nicht mehr tatverdächtig ist, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, das Verfahren wegen eines Prozesshindernis ein1 BVerfG v. 6.8.1990 – 2 BvR 918/90, NJW 1991, 689; BVerfG v. 4.8.1994 – 2 BvR 1291/94, NStZ 94, 553. 2 OLG Oldenburg v. 15.2.2010 – HEs 3/10, StraFo 2010, 198. 3 OLG Oldenburg v. 15.2.2010 – HEs 3/10, StraFo 2010, 198. Die der Entscheidung zugrunde liegende Situation war u.a. dadurch gekennzeichnet, dass die Sachverhalte übersichtlich und die den Beschuldigten betreffenden Beweismittel seit längerer Zeit ausgewertet waren; eine bandenmäßige Begehung wurde ihm nicht vorgeworfen. 4 Zum Ganzen Börner, NStZ 2005, 547, zugleich Anm. zu KG v. 14.3.2005 – 5 Ws 585/04.

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6.355

Kap. 6 Rz. 6.355 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

gestellt wird, oder der Abwesende nunmehr für das Strafverfahren zu Verfügung steht, etwa durch Selbstgestellung, Auslieferung, Verhaftung. Beispiel: A ist wegen Steuerhinterziehung in Höhe von ca. 1,5 Mio. Euro angeklagt. Noch im Zwischenverfahren setzt er sich angesichts der Rechtsprechung des BGH zur Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung aus Angst vor einer unbedingten Freiheitsstrafe ins Ausland ab. Das Gericht beschließt die Vermögensbeschlagnahme und teilt den Beschluss nach Veröffentlichung dem Vormundschaftgericht zur Durchführung der Abwesenheitspflegschaft (§ 1911 BGB) mit. Der Pfleger stellt das Vermögen sicher, so dass A hierüber nicht mehr verfügen kann.

X. Der europäische Haftbefehl 1. Allgemeines 6.356

Bei dem Europäischen Haftbefehl1 handelt es sich nicht um einen Haftbefehl eigener Art sondern um ein Fahndungsinstrument, d.h. eine justizielle Entscheidung, die in einem EU-Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.2

6.357

Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl (RbEuHB). Dabei handelt es sich nicht um einen eigenen Haftbefehlstyp, sondern vielmehr um ein Fahndungsinstrument, das auf der Anerkennung eines im ersuchenden Staat nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 112 ff. StPO) erlassenen nationalen Haftbefehls beruht.3 Der Europäische Haftbefehl ersetzt allein das bisherige (umständliche) Auslieferungsverfahren durch ein vereinfachtes System der Übergabe.

6.358

Ein Europäischer Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer Verurteilung zu einer Strafe oder der Anordnung einer Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate beträgt (Art. 2 Abs. 1 RbEuHB). Bei anderen Straftaten kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats darstellen, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat (Art. 2 Abs. 4 RbEuHB).

6.359

Liegen die Voraussetzungen des EuHB vor, d.h. wird der inländische Haftbefehl antragsgemäß erlassen, erfolgt die Einstellung des durch den Dezernenten der Staatsanwaltschaft vorgefertigten und durch den Ermittlungsrichter förmlich erlassenen Eu-HB in Absprache mit

1 Vgl. Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (RbEuHB) v. 13.6.2002, ABl. EG 2002 Nr. L 190, 1, der zurückgeht auf die Schlussfolgerung des Europäischen Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen aus dem Jahre 2000. 2 Zum Ganzen Hecker, Europäisches Strafrecht5, S. 430 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 43 ff.; Pohl, Der europäische Haftbefehl zwischen Grundgesetz und Europäischem Primärrecht, 2009; Böhm, NJW 2006, 2529. 3 Vgl. Art 1 Abs. 1, Abs. 2 RbEuHB, ABl. EG 2002 Nr. L 190, 2; Rosenthal, ZRP 2006, 105; Böhm, NJW 2006, 2592.

208 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.363 Kap. 6

dem Fahndungsdezernenten in das Schengener Informationssystem („SIS“ bzw. „SISone4all“) und der Beschuldigte wird nach der Festnahme den jeweiligen Behörden übergeben. Der Europäische Haftbefehl ist eine justizielle Entscheidung, die in der von dem Rahmenbeschluss vorgeschriebenen Form ausgefertigt wird. Das Formblatt des Europäischen Haftbefehls ist dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl als Anhang beigefügt. Dieses Formblatt muss verwendet werden, auch wenn dies aus den Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten möglicherweise nicht immer eindeutig hervorgeht. Da das Formblatt in der Regel die einzige Grundlage für die Festnahme und die spätere Übergabe der gesuchten Person ist, ist es mit besonderer Sorgfalt auszufüllen, um unnötige Ersuchen um zusätzliche Angaben zu vermeiden.

6.360

Beispiel: A hat in Deutschland im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells Steuern in zweistelliger Millionenhöhe verkürzt und sich ins europäische Ausland, allem Anschein nach in die Niederlande, abgesetzt. Die Staatsanwaltschaft erwirkt bei dem zuständigen Ermittlungsrichter den Erlass eines Haftbefehls, fertigt mittels Formblatt einen EuHB und stellte diesen nach Erlass durch das Amtsgericht in die entsprechenden Fahndungssysteme ein. A wird kurze Zeit später in Amsterdam festgenommen und nach Vorführung vor den dortigen Richter nach Deutschland zur weiteren Strafverfolgung überstellt.

Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls gem. Art 4 RbEuHB verweigern, wenn in einem der in Art. 2 Abs. 4 RbEuHB genannten Fälle die Handlung, aufgrund derer der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt. In Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls jedoch nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats. Daraus wird zum Teil gefolgert, dass bei Fiskalstraftaten der ersuchende Mitgliedstaat es in der Hand habe, durch den Erlass eines EuHb jegliche noch bestehende Auslieferungsbeschränkung im Fiskalbereich auszuschalten.

6.361

Die Auslieferung aus Deutschland in einen EU-Mitgliedsstaat kann nach den Vorschriften über den EuHB (Art. 2 Abs. 1 RbEuHB) erfolgen, wenn die Tat nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedsstaates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens 12 Monaten bedroht ist, mithin bei sämtlichen Steuerstraftaten des § 369 AO.1 § 3 IRG findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Auslieferung in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates. Steuerstraftaten fallen nicht unter § 81 Nr. 4 IRG, wonach die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt.

6.362

In jedem Fall ist aber auch bei Vorliegen einer Katalogtat eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen, ob die Sachdarstellung einen nachvollziehbaren Rückschluss auf die in Rede stehende Katalogtat zulässt.2 Die zugrundeliegende Tat muss hinreichend konkretisiert sein.3 Gleichsam ist eine Tatverdachtsprüfung durchzuführen, mit der womöglich eine Verweigerung der Auslieferung einhergehen kann.4 Die Tatverdachtsprüfung ist insbesondere im Be-

6.363

1 Zum Ganzen Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 43 f. 2 OLG Karlsruhe v. 10.8.2006 – 1 AK 30/06, NJW 2006, 3509. 3 Hierzu vgl. OLG Köln v. 8.1.2010 – AuslA 106/09; OLG Karlsruhe v. 18.6.2007 – 1 AK 72/06, NStZ-RR 2007, 376. 4 OLG Karlsruhe v. 18.6.2007 – 1 AK 72/06, NStZ-RR 2007, 376.

Peters | 209

Kap. 6 Rz. 6.363 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

reich des Internationalen Steuerstrafrechts für die Frage von Bedeutung, ob der in Rede stehende Steueranspruch überhaupt besteht.

2. Der Spezialitätsgrundsatz 6.364

Der im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl stets zu beachtende sog. Spezialitätsgrundsatz stellt sicher, dass der Auszuliefernde im ersuchenden Staat ausschließlich wegen der Tat strafrechtlich verfolgt und belangt wird, derentwegen die Auslieferung vom ersuchten Staat bewilligt wurde.1 Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrundeliegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates jedoch nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht.2 Eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates nicht, etwa wenn eine Verurteilung wegen Einzeltaten statt wegen fortgesetzter Handlungen erfolgt. Das Gleiche gilt, wenn das Strafgesetz später geändert wird (wie seinerzeit bei Aufhebung des Verbrechenstatbestandes des § 370a AO), ebenso, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.3

6.365

Hinreichend, aber erforderlich im Bereich des Steuerstrafrechts ist, dass sämtliche zur Aburteilung kommenden Taten nach Art des Delikts, den betroffenen Steuerarten, den jeweiligen Veranlagungszeiträumen und der Begehungsweise identisch mit den im Europäischen Haftbefehl umrissenen Teilakten des dort beschriebenen Lebenssachverhalts sind.4

3. Ablehnungsmöglichkeiten 6.366

Der RbEuHB enthält eine Vielzahl weiterer Ablehnungsmöglichkeiten (Art. 3 Nr. 1, 3 RbEuHB).5 Die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats lehnt die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls u.a. deswegen ab, weil die Straftat, aufgrund derer der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war. Die Vollstreckung kann zudem versagt werden, wenn keine Straftat vorliegt (Art. 4 Nr. 1 RbEuHB), wenn bereits eine Strafverfolgung im Gange ist (Art. 4 Nr. 2 RbEuHB), eine rechtskräftige Verurteilung eines Drittstaates vorliegt (Art. 4 Nr. 5 RbEuHB), die Strafverfolgung- oder Strafvollstreckung verjährt ist (Art. 4 Nr. 4 RbEuHB). Auch eine Rücküberstellung zur Strafvollstreckung kann mit der Auslieferung verknüpft werden (Art. 5 Nr. 3 RbEuHB).

1 Vgl. BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 (295). 2 BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 (295) unter Verweis auf BGH v.22.7.2003 – 5 StR 22/03, NStZ 2003, 684; BGH v. 11.1.2000 – 1 StR 505/99, NStZ-RR 2000, 333; BGH v. 6.3.1985 – 2 StR 782/84, NStZ 1985, 318; BGH v. 28.5.1986 – 3 StR 177/86, NStZ 1986, 557; Schomburg/Hackner in S/L6, § 72 IRG Rz. 20. 3 BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 (295). 4 BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 (295). 5 Vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 43.

210 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.369 Kap. 6

XI. Erzwingungshaft bei Ordnungswidrigkeiten Wird bei Steuerordnungswidrigkeiten, etwa bei leichtfertiger Steuerverkürzung gem. § 378 AO oder bei einer Steuergefährdung (§ 379 AO), eine Geldbuße verhängt, kommt im Falle der Nichtzahlung die Anordnung der Erzwingungshaft in Betracht.1 Gem. § 96 Abs. 1 OWiG kann nach Ablauf der in § 95 Abs. 1 OWiG bestimmten Frist das Gericht auf Antrag der Vollstreckungsbehörde oder, wenn ihm selbst die Vollstreckung obliegt, von Amts wegen Erzwingungshaft anordnen, wenn:

6.367

– die Geldbuße oder der bestimmte Teilbetrag einer Geldbuße nicht gezahlt ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 OWiG); – der Betroffene seine Zahlungsunfähigkeit nicht dargetan hat (§ 96 Abs. 1 Nr. 2, § 66 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b OWiG); – er nach § 66 Abs. 2 Nr. 3 OWiG belehrt ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 OWiG) – und keine Umstände bekannt sind, welche seine Zahlungsunfähigkeit ergeben (§ 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG). Ergibt sich, dass dem Betroffenen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, den zu zahlenden Betrag der Geldbuße sofort zu entrichten, so bewilligt das Gericht eine Zahlungserleichterung oder überlässt die Entscheidung darüber der Vollstreckungsbehörde (§ 96 Abs. 2 Satz 1 OWiG). Eine bereits ergangene Anordnung der Erzwingungshaft wird aufgehoben (§ 96 Abs. 2 Satz 2 OWiG). Für die Vollstreckung der Erzwingungshaft gilt gem. § 97 Abs. 1 OWiG § 451 Abs. 1 und 2 der StPO. Der Betroffene kann die Vollstreckung der Erzwingungshaft jederzeit dadurch abwenden, dass er den zu zahlenden Betrag der Geldbuße entrichtet (§ 97 Abs. 2 OWiG). Macht der Betroffene nach Anordnung der Erzwingungshaft geltend, dass ihm nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, den zu zahlenden Betrag der Geldbuße sofort zu entrichten, so wird dadurch die Vollziehung der Anordnung nicht gehemmt (§ 97 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Das Gericht kann jedoch die Vollziehung aussetzen (§ 97 Abs. 3 Satz 2 OWiG).

6.368

Besonderheiten gelten im Zusammenhang mit der Insolvenz des Beschuldigten im Rahmen der Verhängung von Geldbußen. Hier ist zu unterscheiden zwischen Geldbußen, die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verhängt werden. Für Geldbußen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, kommt die Anordnung der Erzwingungshaft nicht in Betracht. Geldstrafen und Geldbußen, Bußgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten, sind ausweislich des Wortlauts von § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachrangige Insolvenzforderungen. Es liefe der eindeutigen gesetzgeberischen Wertung zuwider, diese nachrangigen Forderungen im Wege der Anordnung der Erzwingungshaft durchzusetzen.2

6.369

1 Vgl. auch Nr. 121 Abs. 4 AStBV 2013. 2 LG Hannover v. 7.9.2009 – 48 Qs 101/09, NdsRpfl 2011, 78; LG Flensburg v. 26.8.2011 – II Qs 48/ 11, SchlHA 2012, 77; AG Pinneberg v. 11.7.2007 – 31 OWi 147/07, juris; AG Ahrensburg v. 9.2.2011 – 52 OWI E 471/10, ZInsO 2011, 1257; ebenso LG Berlin v. 19.1.2005 – 504 Qs 138/04, VRS 110, 438 (439); LG Hechingen v. 24.5.2007 – 1 Qs 49/07, NZI 2009, 187; Petershagen, ZInsO 2007, 703; LG Hannover v. 7.9.2009 – 48 Qs 101/09, NdsRpfl 2011, 78; LG Flensburg v. 26.8.2011 – II Qs 48/11, SchlHA 2012, 77.

Peters | 211

Kap. 6 Rz. 6.369 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

Für nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verhängte Geldbußen kommt hingegen die Anordnung der Erzwingungshaft in Betracht.1

XII. Rechtsmittel 1. Überblick 6.370

Der Haftbefehl ist zwingend aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt (§ 120 Abs. 3 StPO). Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen. Da der Haftbefehl oftmals auf Anregung der Steuerfahndung/Strafsachen- und Bußgeldstelle erfolgt, kann es angezeigt sein, sich vor Beantragung einer Haftprüfung oder Einlegung einer Haftbeschwerde mit dem zuständigen Staatsanwalt ins Benehmen zu setzen.

2. Haftprüfung (§ 117 StPO) 6.371

Solange der Beschuldigte in Untersuchungshaft ist, kann er jederzeit die gerichtliche Prüfung beantragen, ob der Haftbefehl aufzuheben oder dessen Vollzug nach § 116 StPO auszusetzen ist (Haftprüfung). Neben dem Antrag auf Haftprüfung ist die Beschwerde unzulässig. Das Recht der Beschwerde gegen die Entscheidung, die auf den Antrag ergeht, wird dadurch nicht berührt.2 Der gem. § 126 StPO zuständige Richter kann einzelne Ermittlungen anordnen, die für die künftige Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft von Bedeutung sind, und nach Durchführung dieser Ermittlungen eine neue Prüfung vornehmen. Voraussetzung ist, dass der Haftbefehl bereits vollzogen ist (d.h. nicht bei Überhaft). Die Entscheidung ergeht nach mündlicher Verhandlung, sofern dies beantragt wurde oder das Gericht dies für erforderlich erachtet. Ist die Untersuchungshaft nach mündlicher Verhandlung aufrechterhalten worden, hat der Beschuldigte einen Anspruch auf eine weitere mündliche Verhandlung nur, wenn die Untersuchungshaft mindestens drei Monate und seit der letzten mündlichen Verhandlung mindestens zwei Monate gedauert hat (§ 118 Abs. 3 StPO). Die Staatsanwaltschaft ist vorher anzuhören. Der Antrag auf Haftprüfung ist gegenüber der Haftbeschwerde vorrangig. Der Haftrichter kann den Haftbefehl aufheben, abändern oder außer Vollzug setzen. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, der zu begründen ist.

3. Haftbeschwerde 6.372

Die sog. Haftbeschwerde erfolgt gem. § 304 StPO. Sie kann auch gegen nicht vollzogene Haftbefehle eingelegt werden. Sie ist nicht fristgebunden und kann jederzeit erhoben werden. Beschwerdeberechtigt ist der Beschuldigte bzw. sein Vertreter. Mit der Haftbeschwerde kann die Aufhebung oder Außervollzugsetzung erreicht werden. Ebenso besteht die Möglichkeit, ein-

1 LG Deggendorf v. 28.3.2012 – 1 Qs (b) 62/12, ZInsO 2012, 2206; LG Potsdam v. 14.9.2006 – 21 Qs 108/06, wistra 2006 475; LG Berlin v. 15.1.2007 – 504 Qs 7/07, NZV 2007, 373; LG Neuruppin v. 7.12.2005 – 13 Qs 85/05, juris; App, EWiR 2004, 187 (188); vgl. auch LG Hannover v. 7.9.2009 – 48 Qs 101/09, NdsRpfl 2011, 78, das ebenfalls zwischen Geldbußen vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens differenziert und nur im letzteren Fall die Erzwingungshaft für zulässig erachtet; ebenso LG Flensburg v. 26.8.2011 – II Qs 48/11, SchlHA 2012, 77; App, EWiR 2007, 409; Stollenwerk, NZV 2010, 125; Schuster, NZV 2009, 538; Wieser, DZWIR 2007, 72. 2 Zum Konkurrenzverhältnis vgl. auch Böhm/Werner in MK-StPO, § 117 StPO Rz. 44.

212 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.373 Kap. 6

zelne Tatvorwürfe und Haftgründe auszuscheiden. Die Entscheidung erfolgt in der Regel nach Aktenlage; nur in Ausnahmefällen nach mündlicher Verhandlung. Das Beschwerdegericht entscheidet bei Fehlerhaftigkeit des Haftbefehls selbst (§ 309 Abs. 2 StPO). Es kann den Haftbefehl anpassen oder ggf. einen neuen Haftbefehl erlassen. Im Haftbeschwerdeverfahren während laufender Hauptverhandlung unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht vornimmt, nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht.1 In die Beurteilung des dringenden Tatverdachts durch das Tatgericht kann das Beschwerdegericht nur dann eingreifen und diese durch eine abweichende Entscheidung ersetzen, wenn der Inhalt der angefochtenen Haftentscheidung grob fehlerhaft ist und den dringenden Tatverdacht aus Gründen bejaht oder verneint, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht vertretbar sind.2

XIII. Vermögenabschöpfung Alvermann/Talaska, Die Zuordnung eines dinglichen Arrests im Fall einer Steuerhinterziehung, wistra 2008, 239; Bach, Verhältnis von strafprozessualem dinglichem Arrest und steuerlichem dinglichem Arrest im Steuerstrafverfahren i.S.v. § 386 Abs. 2 AO, JR 2010, 286; Bittmann, Vom Annex zur Säule: Vermögensabschöpfung als 3. Spur des Strafrechts, NZWiSt 2016, 131; Bittmann/Kühn, Der Arrestgrund beim strafprozessualen dinglichen Arrest, wistra 2002, 248; Bode/Peters, Vermögensabschöpfung über den Tod hinaus – Die Neuregelung der strafrechtlichen Haftung der Erben, Pflichtteilsberechtigten oder Vermächtnisnehmer für das Verhalten des Erblassers, ZWH 2018, 45; Bruschke, Dinglicher Arrest im Steuerrecht, DStR 2003, 54; Emmert, Konkretisierung des Bruttoprinzips durch Rückkehr zum Nettoprinzip, NZWiSt 2016, 449; Fleckenstein, Die strafrechtliche Abschöpfung von Taterträgen bei Drittbegünstigten, Berlin 2017; Frind, Neuregelung von Vermögenssicherungen im strafrechtlichen Bereich zu Lasten der insolvenzrechtlichen Gläubigergemeinschaft?, NZI 2016, 674; Gebauer, Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, ZRP 2016, 101; Greeve, Das neue Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, ZWH 2017, 277; Heim, Gesetz zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, NJW-Spezial 2017, 248; Hellerbrand, Der dingliche Arrest zur Sicherung des Verfalls im Ermittlungsverfahren, wistra 2003, 201; Köllner/Cyrus/Mück, Referentenentwurf des BMJV zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung – Insolvenzverwalter als „Staatsanwalt Nummer 2“?, NZI 2016, 329; Köllner/Mück, Reform der staatlichen Vermögensabschöpfung, NZI 2017, 593; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 375 AO; Madauß Vermögensabschöpfung im Steuerstrafverfahren – Verhältnis von StPO-Arrest und AO-Arrest, NZWiSt 2012, 128; Maciejewski/Schumacher, Die steuerrechtliche Behandlung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, DStR 2016, 2553; Maciejewski/Schumacher, Endlich eine (steuerrechtliche) Lösung? – Verbleibender Abstimmungsbedarf zwischen Strafund Steuerrecht nach der Reform der Vermögensabschöpfung, DStR 2017, 2021; Mansdörfer, Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung – von der Rückgewinnungshilfe zum Entschädigungsmodell, jM 2017, 122; Meißner/Schütrumpf, Vermögensabschöpfung, München 2018, Rz. 330 ff.; Meyer, „Reformiert die Rückgewinnungshilfe!“ – Denkanstöße für eine Generalüberholung der Vermögensabschöpfung, ZStW 127 (2015), 241; Meyer, Die selbstständige Einziehung nach § 76a StGB-E, oder: Don't bring a knife to a gunfight; StV 2017, 343; Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 5. Aufl. Stuttgart 2012; Reitemeier, Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, ZJJ 2017, 354; Rettke, Einziehung und Vermögensarrest im Steuerstrafverfahren, wistra 2017, 417; Rhode, Die strafrechtliche Opferentschädigung im neuen Gewand, wistra 2018, 65; Rönnau, Beweiserleichterungen im kommenden Vermögensabschöpfungsrecht, in FS Ostendorf, Baden-Baden 2015, 707 ff.; Rönnau, Die Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2. Aufl.

1 OLG Stuttgart v. 12.9.2007 – 4 Ws 305/07, juris; OLG Koblenz v. 16.4.2013 – 2 Ws 152/13. 2 OLG Stuttgart v. 12.9.2007 – 4 Ws 305/07, juris unter Verweis auf BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3; OLG Stuttgart v. 12.10.2006 – 2 Ws 218/2006; OLG Jena v. 4.9.2006 – 1 Ws 304/06; OLG Düsseldorf v. 8.11.2005 – 1 Ws 233/05; OLG Rostock v. 28.1.2004 – 1 Ws 20/04.

Peters | 213

6.373

Kap. 6 Rz. 6.373 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens München 2015; Rönnau/Begemeier, Die neue erweiterte Einziehung gem. § 73a Abs. 1 StGB-E: mit Kanonen auf Spatzen?, NZWiSt 2016, 260; Rönnau/Begemeier, Grund und Grenzen der Bruttoabschöpfung, GA 2017, 1; Roth, Der StPO-Arrest im Steuerstrafverfahren – Ausschluss des Steuerfiskus von der Rückgewinnungshilfe nach § 111b Abs. 2 und 5 StPO?, wistra 2010, 335; Schmid/Winter, Vermögensabschöpfung in Wirtschaftsstrafverfahren – Rechtsfragen und praktische Erfahrungen, NStZ 2002, 8; Theile, Art. 14 GG und der strafprozessuale dingliche Arrest, StV 2009, 161; v. Webel, Rückgewinnungshilfe in Steuerstrafverfahren – unzulässig oder unverzichtbar und zwingend?, wistra 2004, 249; Weidemann, Vermögensabschöpfung im Steuerstrafrecht, PStR 2018, 8; Weingartz/Lenßen, Überlegungen zum Sicherungsinteresse bei der Vermögensabschöpfung im Zusammenhang mit Steuerstraftaten, Stbg 2011, 82; Wengenroth, Die neue strafrechtliche Vermögensabschöpfung und das Besteuerungsverfahren, PStR 2017, 310; Wulf, Dinglicher Arrest in Steuerfahndungsverfahren, Steuerfahndung und Steuerstreit, Beratungs Akzente 44 (2007), 67.

1. Einführung 6.374

Der hinter den Regelungen zur Vermögensabschöpfung bzw. Vermögenssicherung stehende Sinn und Zweck ist, dass Verbrechen sich letztlich finanziell nicht lohnen soll und dem Täter die aus der Tat erwachsenen Vorteile nicht verbleiben sollen; selbst wenn das Opfer keine Ansprüche geltend macht (Auffangrechtserwerb, vgl. § 111i Abs. 5 StPO). Durch die strafprozessualen und steuerlichen Arrestregelungen wird sichergestellt, dass spätere Vollstreckungsmaßnahmen, etwa bedingt durch Vermögensverschiebungen des Beschuldigten, nicht ins Leere laufen.

6.375

Der Arrest dient nicht der endgültigen Befriedigung des Fiskus, sondern nur der einstweiligen Sicherung der Vollstreckungsmöglichkeiten als solche sowie des schnellen, effektiven Zugriffs auf das Vermögen des Steuerpflichtigen.1

2. Anordnung des dinglichen Arrests nach AO (Grundzüge) 6.376

Die Anordnung des dinglichen Arrests ist ein selbständiger Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO, der die Feststellung enthält, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Geldanspruch besteht, für den ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist.2 Örtlich und sachlich zuständig ist gem. § 324 Abs. 1 Satz 1 AO die Finanzbehörde, die für die Festsetzung des zu sichernden Anspruchs zuständig wäre. Zuständig für die Vollziehung der Arrestanordnung ist die Vollstreckungsstelle des Veranlagungsfinanzamtes.

6.377

Die Anordnung des Arrests liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Nach herrschender Meinung bedarf das Entschließungsermessen keiner besonderen Begründung, da es sich insoweit nur um ein eingeschränktes Ermessen, in Form des sog. intendierten Ermessens handelt.3 Bei mehreren Schuldnern bedarf es einer Begründung des Auswahlermessens nur dann, wenn die Anordnung nicht gegen alle erfolgen soll, die die Voraussetzungen des § 324 AO erfüllen.

3. Arrestschuldner 6.378

Arrestschuldner kann jeder Vollstreckungsschuldner sein, d.h. neben dem Steuerschuldner auch eine Person, die für eine Steuer haftet oder verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden. 1 BFH v. 25.4.1995 – VII B 174/94, BFH/NV 1995, 1037. 2 Loose in T/K, § 324 AO Rz. 28 f. m.w.N. 3 FG Saarland v. 1.3.2005 – 1 K 246/04; Loose in T/K, § 324 AO Rz. 29 m.w.N.

214 | Peters

H. Untersuchungshaft | Rz. 6.383 Kap. 6

4. Arrestanspruch Der zu sichernde Anspruch muss gem. § 324 Abs. 1 Satz 1 AO auf eine sich aus den Steuergesetzen ergebende Geldforderung gerichtet sein. Dabei handelt es sich vor allem um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i.S.d. § 37 AO, also um Steuern (§ 3 Abs. 1 AO), steuerliche Nebenleistungen, Haftungsansprüche, Ansprüche auf Rückgewähr unberechtigt erfüllter Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 Abs. 2 AO und Ansprüche auf Duldung der Befriedigung aus einem Gegenstand wegen eines Geldanspruchs aus einem Steuerschuldverhältnis.

6.379

Die Arrestanordnung hat die Bezeichnung der zu sichernden Geldforderung jeweils nach Steuerart, Steuerhöhe und Besteuerungszeitraum zu enthalten, ggf. mit der Folge der Nichtigkeit1 (Konkretisierungsgebot der §§ 119 Abs. 1, 157 AO).

6.380

Die für den steuerlichen Arrest erforderliche Wahrscheinlichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der Sachverhalt, auf dessen Grundlage der Arrestanspruch schlüssig wäre, wahr zu sein scheint. Davon kann ausgegangen werden, wenn nach Abwägung aller Umstände mehr Gründe für als gegen das Bestehen des in der Arrestanordnung bezeichneten Anspruchs bestehen.2

6.381

5. Arrestgrund Der steuerliche Arrest kann gem. § 324 Abs. 1 Satz 1 AO angeordnet werden, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass die Beitreibung der Steuerschuld ansonsten vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die Umstände in ihrer Gesamtheit geeignet sind, bei der Finanzbehörde bei ruhiger und vernünftiger Abwägung die Besorgnis aufkommen zu lassen, dass ohne die Arrestanordnung der Anspruch nicht verwirklicht werden könnte.3 Für die Annahme eines Arrestgrundes genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Er muss nicht zur vollen Überzeugung feststehen, sondern eine Mutmaßung des Geschehensablaufs reicht aus.4

6.382

Der Arrestgrund ergibt sich in der Praxis zumeist aus einem in der Gesamtschau aller Umstände zu beurteilenden Verhalten des Arrestschuldners, das den bestehenden Zustand des pfändbaren Vermögens verändert, wodurch die Vollstreckungsmöglichkeiten der Finanzbehörde vereitelt werden könnten.5

6.383

– Verschieben von Vermögenswerten auf eine andere Person; – Verschleuderung von Vermögenswerten durch den Steuerpflichtigen oder Übertragungen auf nahe Angehörige; – einseitige Begünstigung eines Gläubigers; – beabsichtigte Belastung des einzigen noch zur Verfügung stehenden Wertgegenstandes bis zur Wertgrenze; 1 Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 36 m.w.N. 2 FG Hamburg v. 6.9.1999 – IV 86/99, juris; FG Hessen v. 10.1.1996 – 6 K 1804/90, EFG 1996, 414; FG Baden-Württemberg v. 18.12.1989 – IX K 243/89, EFG 1990, 507 (511); Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 24. 3 BFH v. 13.12.1962 – IV 410/58, HFR 1963, 222; BFH v. 25.4.1995 – VII B 174/94, BFH/NV 1995, 1037; BFH v. 26.2.2001 – VII B 265/00, BFHE 194, 40 = DStR 2001, 464. 4 FG Saarland v. 3.12.2003 – 1 K 35/03, EFG 2004, 242; vgl. auch FG Hamburg v. 6.9.1999 – IV 86/ 99, juris; Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 27. 5 Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 14 m.w.N.

Peters | 215

Kap. 6 Rz. 6.383 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

– die Veräußerung von Grundbesitz; – Einbringung eines wesentlichen Teils des unbelasteten inländischen Grundbesitzes in eine KG; – die Beseitigung von Geschäftsunterlagen; – Verschwendungssucht; – nachhaltige Schmälerung des Betriebsvermögens durch die Einbuchung von Scheinrechnungen; – Wegschaffen von Vermögen ins Ausland; – mutwillige Verletzung der Mitwirkungspflichten.

6.384

Die Vermögensverlagerung ins Ausland kann ebenso wie die Vermögensumschichtung im Inland einen Arrestgrund abgeben. So kann eine wesentliche Erschwerung der Vollstreckung vorliegen, wenn ein späteres Leistungsgebot im Ausland vollstreckt werden müsste, falls nicht durch Arrestanordnung im Inland die Beitreibung gesichert war.1 Demgegenüber vermag die allgemein schlechte Vermögenslage des Arrestschuldners ebenso wie die bloße Möglichkeit, dass der Arrestschuldner sein Vermögen beiseiteschaffen könnte, für sich genommen keinen Arrest zu rechtfertigen. Ebenso genügt der dringende Verdacht einer Steuerhinterziehung oder sonstige steuerliche Unzuverlässigkeit für sich allein nicht zur Begründung einer Arrestanordnung.

6.385

Nicht ausreichend sind: – Möglichkeit des Verbrauchs oder schlechte Vermögensverhältnisse; – bloßer Verdacht der Steuerhinterziehung; – Auslandskontake; – Rangwahrung; – Verlegung des Geschäftssitzes; – Nichtabgabe von Steuererklärungen. Zum grenzüberschreitenden Arrest s. Rz. 6.533 ff.

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) I. Einführung 6.386

Das materielle Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ist in den §§ 73–73e und §§ 75–76b StGB geregelt. Es unterteilt sich in – die Voraussetzungen der Einziehung (§§ 73–73d StGB), – die Ausschlussgründe (§ 73e StGB), – die Wirkung der Einziehung (§ 75 StGB), – die nachträgliche Anordnung der Wertersatzeinziehung (§ 76 StGB), 1 BFH v. 26.2.2001 – VII B 265/00, BFHE 194, 40 = DStR 2001, 464.

216 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.391 Kap. 6

– die selbständige Einziehung (§ 76a StGB) und – die Verjährung (§ 76b StGB).

6.387

Das prozessuale Recht besteht im Wesentlichen – aus den Regelungen über die vorläufige Sicherstellung (§§ 111b – 111n StPO) sowie – aus den besonderen Vorschriften für das Hauptverfahren und das selbständige Verfahren (§§ 421–439 StPO). Hinzu kommen die vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen (§§ 459g – 459o StPO) und darin enthalten die Regelungen über die Opferentschädigung (§§ 111i ff., 459h ff. StPO).

6.388

Der von der Einziehung zu unterscheidende strafprozessuale Arrest ist die vorläufige Sicherung der nachträglich zu fällenden Einziehungsentscheidung, quasi der „Haftbefehl fürs Geld“.

6.389

Durch die Gesetzesreform wurde das Recht der Einziehung fast ausnahmslos als zwingendes Recht ausgestaltet. Demnach wird das neue Recht, so auch im Bereich des Steuerstrafrechts (Einziehung der hinterzogenen Steuer/Einziehung von Wertersatz)1, ein Pflichtprogramm. Die Wirkung der Einziehungsanordnung folgt aus § 75 StGB und gilt für alle Fälle der Einziehung des Tatertrages. Die Anordnung kann auf §§ 73, 73a oder § 73b StGB beruhen. Sie kann unselbständig im Urteil oder selbständig nach § 76a StGB erfolgt sein. Bei der Wertersatzeinziehung bedarf es keiner gesetzlichen Regelung, da nur der Zahlungsanspruch des Staates durch rechtskräftige Anordnung tituliert wird. Die Verteilung des Eingezogenen an die Opfer der Straftat erfolgt ggf. im Vollstreckungsverfahren.

6.390

Das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017 trat zum 1.7.2017 in Kraft. Der Gesetzgeber lehnte die Reform ausdrücklich an die Grundsätze der Entscheidung des BVerfG2 an und regelte die gesamte Materie vollständig neu.3 Im Ergebnis wird die Vermögensabschöpfung von einem Annex im Strafverfahren zu einer tragenden Säule.4 Mit dem Ausbau der rechtlichen Möglichkeiten der Abschöpfung geht ein Abbau der Verteidigungsmöglichkeiten bzw. der Rechte der von der Einziehung Betroffenen einher.5 Das Recht der Vermögensabschöpfung sollte vereinfacht und die vorläufige Sicherstellung von Vermögenswerten erleichtert werden. Ermöglicht werden sollte insbesondere auch eine nachträgliche Vermögensabschöpfung. Geregelt wurde zudem, dass bei Vermögen unklarer Herkunft eine verfassungskonforme Beweislastumkehr dergestalt gilt, dass der legale Erwerb der Vermögenswerte nachgewiesen werden muss. Das Gesetz geht zurück auf die Richtlinie 2014/ 42/EU, deren Umsetzungsfrist am 4.10.2016 abgelaufen ist. Das sog. Kernstück der Reform ist

6.391

1 Maciejewski/Schumacher, DStR 2016, 2553; Maciejewski/Schumacher, DStR 2017, 2021; Rettke, wistra 2017, 417; Weidemann, PStR 2018, 8; Wengenroth, PStR 2017, 310. 2 Meyer, ZStW 127 (2015), 241, Rönnau in FS Ostendorf, 2016, 707; Rönnau/Begemeier, GA 2017, 1. 3 Vgl. den RegE, BT-Drucks. 18/9525, 2. Zugleich wurden die Vorgaben der Richtlinie 2014/42 EU v. 3.4.2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in innerstaatliches Recht umgesetzt. Die gesamten Materialien zum Gesetzgebungsvorgang (RefE, RegE, Bericht des Rechtsauschusses etc.) sind abrufbar auf der Homepage des BMJV (www.bmjv.de) bei Eingabe des Stichwortes „Vermögensabschöpfung“. 4 Bittmann, NZWiSt 2016, 131. 5 Die Streichung der Härtefallklausel ist verfassungsrechtlich bedenklich, vgl. hierzu Köllner/Mück, NZI 2017, 593 (598).

Peters | 217

Kap. 6 Rz. 6.391 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

die grundlegende Neuregelung der Opferentschädigung. Neu ist die Streichung von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, womit künftig der Tatertrag oder ein entsprechender Geldbetrag auch dann abgeschöpft werden kann, wenn Schadensersatzansprüche von Tatgeschädigten nicht im Raume stehen. Der Unterschied zwischen Verfall und Rückgewinnung wurde aufgegeben. Der nunmehr zu verwendende Begriff der Einziehung (von Tatbeiträgen) geht zurück auf den einheitlich auf EU-Ebene verwandten Begriff der „confiscation“. Neben dem Wegfall des sog. „Windhundprinzips“ soll nunmehr eine gleichmäßige Befriedigung aller Geschädigten erreicht werden. Anknüpfungspunkt für die Einziehung kann nunmehr jedes Delikt sein, mithin auch einfache Diebstähle.

II. Einziehung 1. Grundzüge der Einziehung 6.392

Die Einziehung des unmittelbar durch die Tat Erlangten bei dem Täter oder Teilnehmer einer rechtswidrigen Tat erfolgt im Urteil nach § 73 StGB (z.B. Stehlgut). Die endgültige Wertersatzeinziehungsanordnung wird im Urteil ausgesprochen. Bei Einstellung des Verfahrens nach Opportunitätsvorschriften (§§ 153, 153a StPO, § 398 AO) kommt dennoch eine selbständige Einziehung in Betracht (§ 76a StGB, §§ 435 ff. StPO).

6.393

Mit der Neufassung ist klargestellt, dass die erforderliche Kausalbeziehung zwischen Tat und dem Erlangten allein nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts zu bestimmen ist. Die Einziehung von Nutzungen aus dem Erlangten erfolgt gleichsam nach § 73 Abs. 2 StGB. Gleichsam kann das Gericht auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder aufgrund eines erlangten Rechts. Die Einziehung von Gegenständen des Täters oder des Teilnehmers kann das Gericht auch dann anordnen, wenn diese Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten erlangt worden sind.

6.394

Die Einziehung von Taterträgen bei anderen (Dritten, z.B. gegen die GmbH) richtet sich nach § 73b StGB. Gleiches gilt für Gegenstände, die dem Wert des Erlangten entsprechen. Im Gegensatz zur alten Rechtslage ist nicht erforderlich, dass das Original bei dem Unbeteiligten vorhanden ist. Ist die Einziehung eines Gegenstands aufgrund der Beschaffenheit nicht mehr möglich (Zerstörung, Unfall), ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrags an, der dem Wert des Erlangten entspricht.1 Beispiel: Die durch Nichtentrichtung der fälligen Steuern ersparten Aufwendungen investiert X in die Anschaffung eines hochwertigen Kraftfahrzeugs, das bei einem Unfall zerstört wird.

6.395

Bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten sind die Aufwendungen des Täters oder Teilnehmers oder des Dritten abzuziehen. Außer Betracht bleibt jedoch das, was für die Begehung der Tat oder für die Vorbereitung eingesetzt worden ist.

6.396

Umfang und Wert des Erlangten einschließlich der abzuziehenden Aufwendungen können gem. § 73d Abs. 2 StGB geschätzt werden. Ähnlich dem sog. Kompensationsverbot ist ein gleicher Sachverhalt und ein innerer Zusammenhang mit dem Erlangten zu fordern. Nach neuer Rechtslage gilt der Grundsatz, was böswillig in Verbotenes investiert wurde, ist unwiederbringlich verloren. Insofern kommt der Rechtsgedanke des § 817 Satz 2 BGB zum Tragen. Das Abzugsverbot gilt indes nicht bei Fahrlässigkeit. Die Abgrenzung von vorsätzlicher und 1 Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 24.

218 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.399 Kap. 6

leichtfertiger Steuerhinterziehung gewinnt neuerlich an Bedeutung. Fraglich ist auch, was gilt, wenn der Täter leichtfertig nicht erkannt hat, etwa in eine steuerliche Gestaltung investiert zu haben, die sich später als missbräuchlich und schließlich als Steuerhinterziehung darstellt. Die nachträgliche Einziehung von nachträglich entdecktem Vermögen ist nunmehr explizit möglich. Als strafprozessuale Maßnahmen kommen hier die Durchsuchung und die Ausschreibung nach § 459g Abs. 2 StPO in Betracht. Kann wegen der Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so ordnet das Gericht die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung selbständig an, wenn die Voraussetzungen, unter denen die Maßnahme vorgeschrieben ist, im Übrigen vorliegen. Unter den Voraussetzungen der §§ 73, 73b und 73c StGB ist die selbständige Anordnung der Einziehung des Tatertrages und die selbständige Einziehung des Wertes des Tatertrages auch dann zulässig, wenn die Verfolgung der Straftat verjährt ist. Dies gilt auch, wenn das Gericht von Strafe absieht oder wenn das Verfahren nach einer Vorschrift eingestellt wird, die dies nach dem Ermessen der StA oder des Gerichts oder im Einvernehmen beider zulässt, namentlich bei Einstellungen nach den Opportunitätsvorschriften.

6.397

Von zunehmender Bedeutung in Steuerstrafverfahren werden Finanzermittlungen und Sicherungsmaßnahmen mit dem Ziel des vorläufigen Zugriffs auf das Vermögen des Stpfl. Sein,1 damit spätere Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden nicht deswegen ins Leere laufen, weil der Täter die durch seine Steuerunehrlichkeit erworbenen/gesicherten Vermögenswerte (Bargeld, Kontoguthaben, Wertpapiere, sonstige werthaltige Gegenstände) dem Zugriff des Fiskus entzogen hat, indem er sie bspw. ins Ausland verbracht hat.

6.398

2. Zeitliche Anwendbarkeit Das Gesetz zur Reform der Vermögensabschöpfung findet auch auf vor dem 1.7.2017 begangene Taten Anwendung (§ 316h EGStGB).2 § 2 Abs. 5 StGB gilt nicht. Eine Ausnahme gilt nur für Verfahren, in denen bis zum 1.7.2017 bereits eine erstinstanzliche Entscheidung ergangen ist (§ 14 EGStGB). Unter den Voraussetzungen der §§ 73, 73b und 73c StGB ist die selbständige Anordnung der Einziehung des Tatertrages und die selbständige Einziehung des Wertes des Tatertrages auch dann zulässig, wenn die Verfolgung der Straftat verjährt ist (§ 76a Abs. 2 StGB). Die erweiterte und die selbständige Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages nach den §§ 73a und 76a StGB verjähren in 30 Jahren. Die Verjährung beginnt mit der Beendigung der rechtswidrigen Tat, durch oder für die der Täter oder Teil1 Zur Neuregelung vgl. Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 3.4.2014; BT-Drucks. 18/9525 v. 5.9.2016; Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung v. 13.4.2017, BGBl. I 2017, 872; Heim, NJW-Spezial 2017, 248; Meyer, StV 2017, 343; zum Ganzen auch Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 12 ff. 2 Wird über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages wegen einer Tat, die vor dem 1.7.2017 begangen worden ist, nach diesem Zeitpunkt entschieden, sind abweichend von § 2 Abs. 5 StGB die §§ 73–73c, 75 Abs. 1 und 3 sowie die §§ 73d, 73e, 76, 76a, 76b und 78 Abs. 1 Satz 2 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung v. 13.4.2017 (BGBl. I 2017, 872) anzuwenden. Die Vorschriften des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung v. 13.4.2017 (BGBl. I 2017, 872) sind nicht in Verfahren anzuwenden, in denen bis zum 1.7.2017 bereits eine Entscheidung über die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von Wertersatz ergangen ist. Dies gilt auch in Fällen des § 55 Abs. 2 StGB, vgl. auch BGH v. 19.12.2017 – 4 StR 589/17, juris; BGH v. 22.3.2018 – 3 StR 577/17; BGH v. 22.3.2018 – 3 StR 42/18, vgl. auch die Anmerkung von Gotzens, wistra 2018, 429; BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 651/17.

Peters | 219

6.399

Kap. 6 Rz. 6.399 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

nehmer oder der andere i.S.d. § 73b StGB etwas erlangt hat. Die §§ 78b und 78c StGB gelten entsprechend.

6.400

Aus rechtswidrigen Taten herrührende Gegenstände sollen gem. § 76 Abs. 4 StGB auch im Falle von Steuerstraftaten dann selbstständig eingezogen werden, wenn der von der Sicherstellung Betroffene nicht wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann.

6.401

Durch die Gesetzesreform wurde das Recht der Einziehung fast ausnahmslos als zwingendes Recht ausgestaltet. Auch im Bereich des Steuerstrafrechts (Einziehung der hinterzogenen Steuer, Einziehung von Wertersatz)1 „soll“ i.d.R. von dem Instrumentarium Gebrauch gemacht werden. Die Wirkung der Einziehungsanordnung folgt aus § 75 StGB und gilt für alle Fälle der Einziehung des Tatertrages. Die Anordnung kann auf §§ 73, 73a oder 73b StGB beruhen. Sie kann unselbständig im Urteil oder selbständig nach § 76a StGB erfolgt sein. Bei der Wertersatzeinziehung bedarf es keiner gesetzlichen Regelung, da nur der Zahlungsanspruch des Staates durch rechtskräftige Anordnung tituliert wird. Die Verteilung des Eingezogenen an die Opfer der Straftat erfolgt ggf. im Vollstreckungsverfahren.

3. Einziehung als Strafe 6.402

Inwiefern nun strafrechtlich bereits abgeschlossene Steuerstrafverfahren im Hinblick auf einzuziehende Vermögenswerte neu überprüft werden, bleibt abzuwarten. Anlass für eine solche Prüfung könnten insbesondere steuerliche Selbstanzeigen sein, die über den strafrechtlich relevanten Zeitraum – wie häufig – hinausgingen. Auch bei erstinstanzlichen Urteilen, die nach erfolgreichem Revisionsverfahren zurückverwiesen werden, kommt die Anordnung einer nunmehr erstmaligen Einziehung nicht in Betracht.

6.403

Gegen die Anwendung der Einziehung in solchen Fällen spricht, dass die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB als Strafe i.S.d. Art. 7 EMRK zu qualifizieren sein kann.2 In einem Fall des LG Kaiserslautern beantragte die StA nach Zurückverweisung durch den BGH in der neuen Hauptverhandlung die Einziehung von Vermögenswerten. Auch wenn Art. 316 Buchst. h Satz 1 EGStGB die grundsätzliche Anwendung der neuen Regelung der Vermögensabschöpfung auch auf bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes begangene Straftaten erlaubt, verstößt dies nach Ansicht des LG Kaiserslautern gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK. Das LG Kaiserslautern führt dabei zutreffend aus, dass der Begriff der Strafe i.S.d. Art. 7 EMRK nach der Rspr. des EGMR autonom auszulegen ist und selbst bei präventiv wirkenden Maßnahmen angenommen werden kann. Auf die Bezeichnung einer Maßnahme durch den nationalen Gesetzgeber kommt es in der Tat nicht an. Das LG Kaiserslautern geht zutreffend von einer vergleichbaren Wirkung aus. Der Angeklagte sehe sich in der Folge der Gesetzesänderung weitreichenderen Nachteilen ausgesetzt, als er im Zeitpunkt der Begehung und Beendigung der Tat ausgesetzt war. Da ein Täter nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers für eine begangene Tat nicht nur eine Strafe erhalten, sondern er vielmehr mit dem Verlust des erlangten Gutes zusätzlich sanktioniert werden soll, misst das LG Kaiserslautern den Vorschriften der §§ 73 ff. StGB n.F. bestrafenden Charakter im Sinne der Rspr. des EGMR bei. Das LG 1 Maciejewski/Schumacher, DStR 2016, 2553; Maciejewski/Schumacher, DStR 2017, 2021; Rettke, wistra 2017, 417; Weidemann, PStR 2018, 8. 2 Vgl. LG Kaiserslautern v. 20.9.2017 – 7 KLs 6052 Js 8343/16, wistra 2018, 94; zust. Reichling, wistra 2018, 140; a.A. OLG Köln v. 23.1.2018 – III-1 RVs 274/17, juris unter Verweis auf KG v. 1.2.2017 – 161 Ss 146/17; OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, NJW 2017, 3731; AG Kehl v. 28.11.2017 – 3 Cs 308 Js 10338/17, juris.

220 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.406 Kap. 6

Kaiserslautern lehnte letztlich die Anordnung der Einziehung wegen des Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot gem. § 358 Abs. 2 StPO ab. Die Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung führte nach neuerer Rspr. des BGH zwar zu einer Änderung des Begriffs der Maßnahme, lässt indes den Rechtscharakter unberührt.1 Daher bestehe auch kein Anlass, von der bisherigen Rspr. abzuweichen, die aus der Rechtsnatur des Instituts abgeleitet hat, dass die mit dessen Anwendung verbundene Vermögenseinbuße regelmäßig keinen Strafmilderungsgrund darstellt.2 Die Entscheidung des BGH erging indes vornehmlich zu der Frage, ob die Einziehung im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist. Es wurde nicht ausdrücklich geführt, ob die Einziehung nicht doch im Einzelfall als Strafe anzusehen ist, insbesondere vor dem Hintergrund der Rspr. des EuGHs.

6.404

Nach hier vertretener Ansicht wird man differenzieren müssen. Wird die Einziehung in Höhe dessen ausgesprochen, was der Täter oder Teilnehmer tatsächlich auch erlangt hat, wird mithin nur der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt, wird man nicht von einer Strafe sprechen können. Wird indes gegen den Täter oder Teilnehmer die Einziehung in Höhe eines darüber hinausgehenden Betrags angeordnet, kann sich die Anordnung der Einziehung als Strafe darstellen. Dies wird namentlich in den Fällen in Betracht kommen, in denen gegen mehrere Tatbeteiligte (ungeachtet der Schwere des jeweiligen Tatbeitrags) jeweils in Höhe der vollen Summe die Einziehung (von Wertersatz) ausgeurteilt wird.

6.405

III. Überblick über die wichtigsten Änderungen – In Anlehnung an die im Internationalen Strafrecht gebräuchliche Begrifflichkeit wird die bisherige Differenzierung zwischen „Verfall“ und „Einziehung“ durch einen einheitlichen Begriff der „Einziehung“ (confiscation) ersetzt. – Als „Kernstück des Reformvorhabens“ wird die grundlegende Neuregelung der Opferentschädigung durch Streichung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB bezeichnet. Das bisherige Regelungsmodell der „Rückgewinnungshilfe“ wird obsolet. Das neue Recht sieht die – in neuer Terminologie – Einziehung auch bei individuellen Verletzten vor. – Das Brutto-Prinzip wird beibehalten, es wird indes stärker anlasstatbezogen und damit „rechtsgutsnäher“ konturiert. Bestimmte Posten sind abzugsfähig. – Das Institut der erweiterten Einziehung ist aufgrund jedweder Straftat möglich. – Das Institut der selbständigen Einziehung soll bei Erträgen (vermeintlich) aus Straftaten im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität und Terrorismus anwendbar sein, unabhängig von der Erforderlichkeit einer individuell nachweisbaren Tat (verfassungskonforme Beweislastumkehr).

1 BGH v. 6.2.2018 – 5 StR 600/17, juris unter Verweis auf Begründung des Gesetzentwurfs der BReg., BT-Drucks. 18/9525, 55; s. auch Köhler, NStZ 2017, 497 (498, 502). 2 BGH v. 6.2.2018 – 5 StR 600/17, juris unter Verweis auf BGH v. 1.3.1995 – 2 StR 691/94, NJW 1995, 2235; BGH v. 28.1.2015 – 5 StR 486/14, NStZ-RR 2015, 281 (282); BGH v. 20.10.1999 – 3 StR 324/99, NStZ 2000, 137; BGH v. 22.11.2000 – 1 StR 479/00, NStZ 2001, 312; vgl. aber BGH v. 9.10.2018 – 4 StR 318/18 zur Einziehung eines zur Tatbegehung genutzten Grundstücks als Nebenstrafe.

Peters | 221

6.406

Kap. 6 Rz. 6.406 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

– Bei einem Verfahren wegen des Verdachts einer Katalogtat sollen Gegenstände, die aus einer rechtswidrigen Tat aufgrund der Gesamtumstände zur Überzeugung des Gerichts herrühren, auch dann selbständig eingezogen werden, wenn der Betroffene nicht wegen der Straftat, die nicht Katalogtat sein muss, verfolgt oder verurteilt werden kann. – Im Strafverfahren wird die spätere Vollstreckung durch eine Soll-Regelung in Bezug auf die Sicherstellung von Gegenständen im Sinne gebundenen Ermessens, in der Wirkung also verpflichtend, geregelt. – Im Vollstreckungsverfahren nimmt die StA eine Auskehrung der Vermögenswerte nur dann vor, wenn diese ausreichen, um alle Verletzten aus der Straftat/den Straftaten vollständig zu befriedigen. Sonst findet eine Verteilung im Insolvenzverfahren nach den dortigen Maßstäben statt.

IV. Einziehung des Tatertrages/Wertersatzes (§ 73 Abs. 1, § 73c StGB) 1. Einführung 6.407

Die Vermögensabschöpfung ist darauf gerichtet, dem Täter, Teilnehmer oder Drittbegünstigten die Tatbeute oder den Tatbeitrag zu entziehen. Nach § 73 Abs. 1 StGB ist das tatsächlich Erlangte abzuschöpfen, etwa das erlangte Stehlgut. Ist der ursprüngliche Tatbeitrag nicht oder nicht mit seinem ursprünglichen Wert vorhanden oder kann der ursprüngliche Tatbeitrag aufgrund seiner Beschaffenheit oder aus einem anderen Grund nicht gegenständlich eingezogen werden, ordnet das Gericht die Einziehung des Wertes des Tatertrages an. Der Einziehungsadressat wird mithin zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt, der dem Wert des ursprünglichen Tatbeitrages entspricht. Hierdurch entsteht ein Titel, auf dessen Grundlage die StA als Vollstreckungsbehörde in das Vermögen des Einziehungsadressaten vollstrecken kann. Dieser Titel wird wie eine Geldstrafe nach § 459g Abs. 2 i.V.m. § 459 StPO vollstreckt.

6.408

Das mit der Steuerstraftat „Erlangte“ sind die ersparten Steuern1 bzw. der Auszahlungsanspruch gegenüber den Finanzbehörden in den Fällen der Vorsteuererstattung. Der Einziehung unterliegen nicht nach § 154 StPO eingestellte Taten.2

6.409

Offene Steuerschulden begründen somit nicht stets über die Rechtsfigur der ersparten Aufwendungen einen Vorteil i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB. Maßgeblich bleibt immer, dass sich ein Steuervorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt.3

6.410

In Hinterziehungsfällen im Rahmen einer Umsatzsteuerhinterziehungskette ergibt sich ein messbarer wirtschaftlicher Vorteil des Täters bspw. nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Tatbeteiligten tatsächlich niederschlägt. In Fällen, in denen die geschuldete Umsatzsteuer nicht aus einer Lieferung oder sonstigen Leistung resultiert, sondern ein unberechtigter Steuerausweis i.S.d. § 14c Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UStG ohne zugrundeliegende Leistung vorliegt, ist dies nicht der Fall, weshalb eine Einziehung des Wertes von Taterträgen in Form 1 St. Rspr.: BGH v. 5.6.2019 – 1 StR 208/19, juris; BGH v. 18.12.2018 – 1 StR 36/17, Rz. 18 m.w.N.; BGH v. 4.7.2018 – 1 StR 244/18, Rz. 7; BGH v. 11.5.2016 – 1 StR 118/16, Rz. 8; BGH v. 13.7.2010 – 1 StR 239/10, wistra 2010, 406; BGH v. 28.11.2000 – 5 StR 371/00, Rz. 16 ff.; Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 24. 2 BGH v. 1.8.2018 – 1 StR 326/18, wistra 2019, 97. 3 BGH v. 5.6.2019 – 1 StR 208/19, juris; BGH v. 11.7.2019 – 1 StR 620/18, AO-StB 2019, 305 m. Anm. Gehm, Rz. 19; BGH v. 12.2.2020 – 1 StR 344/19, juris.

222 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.412 Kap. 6

ersparter Aufwendungen hier nicht in Betracht kommt.1 Ein tatsächlicher Vermögensvorteil tritt deshalb in den von § 14c Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UStG erfassten Fällen gerade nicht bereits mit dem unberechtigten Ausweis von Umsatzsteuer oder dem Unterlassen einer Erklärung des Umsatzsteuerbetrags (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) beim Täter ein, sondern erst beim Rechnungsempfänger, wenn dieser die ausgewiesene Umsatzsteuer unberechtigt mit Festsetzungswirkung als Vorsteuer (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG) geltend gemacht hat.2

Der Steuerhehler erlangt durch die Tat nur die Ware und den aus dem Verkauf erzielten Erlös, nicht aber die hinterzogene Tabaksteuer.3 Ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil ist nur dann gegeben, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren einen Vermögenszuwachs erzielt.4 Die Annahme eines Vermögenszuwachses setzt voraus, dass der Täter eine wirtschaftliche Zugriffs- und Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich dieser Waren hat, über diese also wirtschaftlich (mit-)verfügen kann. Dies ist nicht der Fall, wenn er die Verfügungsmöglichkeit zwar zunächst erlangt, diese jedoch durch die Sicherstellung wieder verliert. Mit der Sicherstellung ist ein (weiteres) Inverkehrbringen und eine wirtschaftliche Verwertung der – der Steuer unterliegenden – Waren, auf das für die Verbrauch- bzw. Warensteuern als Entstehungstatbestand allgemein abgestellt wird, ausgeschlossen.5 Das Gleiche gilt für Zollschulden (z.B. Einfuhrumsatzsteuer).6 Für diese parallele Wertung spricht nach Ansicht des BGH insbesondere die Vorschrift des Art. 124 Abs. 1 Buchst. e UZK, wonach die Zollschuld erlischt, wenn einfuhr- oder ausfuhrabgabenpflichtige Waren beschlagnahmt und gleichzeitig oder nachfolgend eingezogen werden.Diese Grundsätze gelten für alle Verbrauch- und Warensteuern, mithin auch für die Branntweinsteuer und – ab dem 1.1.2018 – für die Alkoholsteuer (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 3 BranntwMonG, § 1 Abs. 1 Satz 3 AlkStG).7

6.411

2. Höhe der Einziehung Hinsichtlich der Höhe der einzuziehenden Gelder gilt auch nach der Reform das sog. Bruttoprinzip.8 Danach sind alle Vermögenswerte, die einem Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen sind, in ihrer Gesamtheit abzuschöpfen. Gegenleistungen oder sonstige Aufwendungen dürfen nicht in Abzug gebracht werden, soweit es sich nicht um Leistungen zur Erfüllung einer (rechtswirksamen) schuldrechtlichen Verbindlichkeit gegenüber dem Verletzten der Tat handelt (§ 73d Abs. 1 StGB).9 Dahinter steht der Gedanke, dass das, was in Verbotenes investiert worden ist, unwiederbringlich verloren sein soll.10 Bspw. nicht abzugsfähig sind Be-

1 BGH v. 5.6.2019 – 1 StR 208/19, juris. 2 BGH v. 5.6.2019 – 1 StR 208/19, juris. 3 BGH v. 4.7.2018 – 1 StR 244/18, juris; BGH v. 18.12.2018 – 1 StR 407/18, juris; BGH v. 31.3.2020 – 1 StR 403/19, juris. 4 BGH v. 4.7.2018 – 1 StR 244/18, juris; BGH v. 18.12.2018 – 1 StR 407/18, juris; BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 479/18, juris; BGH v. 8.8.2019 – 1 StR 679/18, juris; BGH v. 22.10.2019 – 1 StR 199/19, juris; BGH v. 31.3.2020 – 1 StR 403/19, juris. 5 BGH v. 31.3.2020 – 1 StR 403/19, juris. 6 BGH v. 31.3.2020 – 1 StR 403/19, juris. 7 BGH v. 12.2.2020 – 1 StR 344/19, juris. 8 BT-Drucks. 18/9525, 45; vgl. auch bereits BT-Drucks. 12/1134, 12. 9 BGH v. 29.6.2010 – 1 StR 245/09, NStZ 2011, 83, Rz. 39; zum Ganzen Köllner/Mück, NZI 2017, 593; Rönnau/Begemeier, GA 2017, 1. 10 BT Drucks. 18/9525, 55 unter Verweis auf BGH v. 30.5.2008 – 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227, Rz. 101; vgl. dazu auch Schwab in MK-BGB7, § 817 BGB Rz. 9.

Peters | 223

6.412

Kap. 6 Rz. 6.412 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

schaffungskosten für Betäubungsmittelgeschäfte oder Anschaffungen zum Zwecke der Hinterziehung von Verbrauchsteuern (Zigarettenschmuggel: Zigarettenmaschine etc.). Müsste der Täter nur die Abschöpfung des Nettogewinns oder des Sondervorteils befürchten, so würde sich die Tatbegehung für ihn unter finanziellen Gesichtspunkten als weitgehend risikolos erweisen.1 Der Drittbegünstigte soll durch das Bruttoprinzip veranlasst werden, zur Verhinderung solcher Taten wirksame Kontrollmechanismen einzurichten.

6.413

Es macht keinen Unterschied, ob der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat oder ob die Tat zur Vollendung gelangt oder im Versuchsstadium stecken geblieben ist.2 Hintergrund ist, dass die Einziehung von Vermögenswerten nicht dem Schuldgrundsatz unterliegt und nicht als Strafübel zu qualifizieren ist.3 Umfang und Wert des Erlangten einschließlich der abzuziehenden Aufwendungen können geschätzt werden (§ 73d Abs. 2 StGB).

6.414

Nach abweichender Rspr. des V. Senats unterlag indessen nur der wirtschaftliche Vorteil der Einziehung, der dem Täter oder Drittbegünstigten aus der Tat tatsächlich zugeflossen ist. Erst wenn feststand, worin der erlangte Vorteil besteht, kam auf einer zweiten Stufe das Bruttoprinzip als Abzugsverbot für gewinnmindernde Aufwendungen zur Geltung. Entscheidend war mithin, was letztlich strafbewehrt ist. Ist das Gesamtgeschäft verboten, begegnete es dieser Ansicht folgend keinen Bedenken, den gesamten Auftragswert abzuschöpfen. In anderen Fällen, wenn nur die Art und Weise der Ausführung im Falle einer Bestechung bemakelt ist, ist nach dieser Ansicht die Abschöpfung des gesamten Erlöses nicht gerechtfertigt. In diesen Fällen unterlag nach Ansicht des BGH lediglich der auf den „bemakelten“ Teil entfallende Vorteil dem Verfall.4

6.415

Die Reform der Vermögensabschöpfung sollte zu einer Stärkung und Konkretisierung des Bruttoprinzips führen. Abzuschöpfen ist jeder Vermögenswert, den der Tatbeteiligte durch „die rechtswidrige Tat erlangt“ hat. Dies ist ausweislich der Gesetzesbegründung alles, was nach geltendem Recht als das „aus der Tat Erlangte“ abzuschöpfen ist. Die erforderliche Kausalbeziehung zwischen der Tat und dem rein gegenständlich zu bestimmenden Erlangten richtet sich allein nach den Wertungen des Bereicherungsrechts.

6.416

Nach der Reform soll das Erlangte nach dem Bruttoprinzip in zwei Schritten zu bestimmen sein. Zunächst ist das Erlangte rein gegenständlich zu bestimmen. Danach sind alle Vermögenswerte erlangt, die in ihrer Gesamtheit einem Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen sind. Auf eine unmittelbare Kausalbeziehung zwischen Tat und Bereicherung kommt es nicht mehr an. Gegenleistungen oder sonstige Aufwendungen sollen erst im zweiten Schritt nach Maßgabe von § 73d StGB Berücksichtigung finden.

6.417

Aus der Tatsache, dass es sich bei der Steuerhinterziehung um einen Blankettstraftatbestand handelt, ist zu folgern, dass für die Frage der Höhe der Einziehung vollumfänglich die steuer-

1 OLG Frankfurt v. 12.1.2017 – 3 Ws 901/16, NStZ-RR 2017, 144. 2 BGH v. 29.6.2010 – 1 StR 245/09, NStZ 2011, 83, Rz. 37; BGH v. 11.6.2015 – 1 StR 368/14, ZWH 2015, 303, Rz. 28. 3 BVerfG v. 14.1.2004 – 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, Rz. 78. 4 BGH v. 21.3.2002 – 5 StR 138/01, BGHSt 47, 260, Rz. 39; BGH v. 2.12.2005 – 5 StR 119/05, BGHSt 50, 299, Rz. 41–49; BGH v. 27.1.2010 – 5 StR 224/09, NJW 2010, 882, Rz. 30; BGH v. 19.1.2012 – 3 StR 343/11, BGHSt 57, 79; BGH v. 27.11.2013 – 3 StR 5/13, BGHSt 59, 80, Rz. 29; Heine, NStZ 2015, 127 ff.; Schmidt, NZWiSt 2015, 401 ff.

224 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.423 Kap. 6

lichen Regelungen maßgeblich sind.1 Der Steueranspruch steht der Höhe nach zur Disposition des Verletzten, hier des Fiskus. Auch der Wortlaut des § 73e Abs. 1 StGB, der von „soweit“ spricht, legt die Annahme nahe, dass entsprechend der alten Rechtslage die Anordnung des Verfalls bzw. des Verfalls von Wertersatz ausgeschlossen sein sollte, soweit Verletzten aus der Tat Ansprüche erwachsen sind, deren Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würden. Die Einschränkung, dass – zumindest nach alter Rechtslage – der Verletzte entscheiden kann, was er herausverlangt, jedoch nicht bestimmen kann, was der Täter aus der Tat erlangt hat,2 gilt nach hier vertretener Ansicht im Steuerstrafrecht daher nur in eingeschränktem Umfang. Umfang und Wert des Erlangten, auch die Höhe des Wertersatzes einschließlich der abzuziehenden Aufwendungen, können gem. § 73d Abs. 2 StGB geschätzt werden. I.d.R. wird sich die Höhe der Schätzung nach dem im Urteil festgestellten Steuerschaden richten. Wertsteigerungen sind ausser acht zu lassen.3

6.418

3. Vertreterfälle Die Neuregelung führte in der Praxis teils zu Friktionen. In den praxisrelevanten Fällen des Zigarettenschmuggels wurde die Einziehung mitunter in voller Höhe und gegenüber jedem an der Tat Beteiligten angeordnet.

6.419

Beispiel: A ist Teil einer Bande, die Verbrauchsteuern hinterzieht. In großem Maße vermittelt er in seinem Bekanntenkreis den Verkauf geschmuggelter Zigaretten. Pro Stange Zigaretten erhält A einen prozentualen Anteil an „Vermittlerprovision“. Den restlichen Erlös leitet er an seine Hintermänner weiter.

Problematisch ist, hier, dass der A nur die Provision erlangt hat, tatsächlich aber ggf. als Haftungsschuldner alle Beteiligten gemeinschaftlich die entsprechenden Aufwendungen erspart haben.

6.420

In diesem Fall wurde gegen A die Einziehung von Wertersatz in voller Höhe der von ihm veräußerten Zigaretten verhängt. Entscheidend war, dass A zu einem bestimmten Zeitpunkt über die Gelder in voller Höhe verfügen konnte. Auch gegen die Hintermänner wurde jeweils die Einziehung von Wertersatz in voller Höhe verhängt. Ein Ausgleich sollte nach den Grundsätzen des Gesamtschuldnerinnenausgleichs erfolgen.

6.421

Bei näherer Betrachtung führte obige Konstellation zu erheblichen Unbilligkeiten. Die Einziehung von Wertersatz gegen A könnte bspw. nur in anteiliger Höhe verhängt werden, wenn die Kunden direkt an die Hintermänner gezahlt hätten und A auch von diesen seine Vermittlungsprovision erhalten hätte.

6.422

Ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil ist jedoch nur dann gegeben, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwa-

6.423

1 Ähnlich im Hinblick auf die Regelung des § 45 IV SGB X: Reh, NZWiSt 2018, 20 (22), wonach der Anspruch der betroffenen Krankenkasse auf Rückgewähr ausgeschlossen ist, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres nach Kenntnis von den Umständen eines betrügerisch erlangten begünstigenden Verwaltungsaktes einen Bescheid erlässt, mit dem sie den rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknimmt. Bei dieser Jahresfrist handelt es sich um eine Ausschlussfrist. 2 BGH v. 29.6.2010 – 1 StR 245/09, juris, Rz. 59. 3 BGH v. 6.6.2018 – 4 StR 569/19.

Peters | 225

Kap. 6 Rz. 6.423 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

ren einen Vermögenszuwachs erzielt.1 Die Annahme eines Vermögenszuwachses setzt voraus, dass der Täter eine wirtschaftliche Zugriffs- und Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich dieser Waren hat, über diese also wirtschaftlich (mit-)verfügen kann.

6.424

In der Praxis besteht weiter die Gefahr, dass die Vordermänner im Vergleich zu den seltener zu ermittelnden Hintermännern über Gebühr belastet und die tatsächlichen Erlöse aus Straftaten auch weiterhin nur unzureichend abgeschöpft werden. Ungeachtet der strafrechtlichen Regelungen zur Einziehung kann ein steuerlicher Arrest auch weiterhin gegen alle Beteiligte in voller Höhe der Steuerschuld ergehen.

6.425

Eine unbillige Härte war nach alter Rechtslage erst dann gegeben, wenn die Anordnung des Verfalls das Übermaßverbot verletzen würde, also schlechthin „ungerecht“ wäre. Die Auswirkungen des Verfalls mussten nach der Rspr. des BGH im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen.2 Es müssen auch nach der Reform besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer mit der Vollstreckung der Einziehung eine zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Einziehung nicht zugemutet werden kann. Diese Wertung dürfte bei Entscheidungen nach § 421 StPO (Absehen von der Einziehung) gelten. Auch nach § 459 Abs. 5 StPO unterbleibt auf Anordnung des Gerichts die Vollstreckung, soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist oder die Vollstreckung sonst unverhältnismäßig wäre. Die vollstreckungsrechtliche Behandlung der Entreicherung des Tatbeteiligten bei gleichzeitiger Möglichkeit der Einziehung nachträglich entdeckter Vermögenswerte soll den Tatbeteiligten vor der Gefahr der erdrosselnden Wirkung der Anordnung der Wertersatzanordnung schützen. Die Problematik wurde nunmehr ins Vollstreckungsverfahren verlagert.

V. Mehrere Tatbeteiligte/Abtrennung von Verfahrensbeteiligten 6.426

Im Falle der Verurteilung mehrerer Angeklagter ging der BGH davon aus, dass wenn mehrere Täter gemeinschaftlich etwas erlangt haben, diese im Wege einer gesamtschuldnerischen Haftung in Anspruch genommen werden und dies in der Verfallsanordnung nach altem Recht auch ausdrücklich so auszusprechen war.3 Andernfalls musste gegen jeden Beteiligten in der Höhe dessen, was er nach Aufteilung der Beute erlangt hat, für verfallen erklärt werden.

6.427

Im Falle der gemeinschaftlichen Steuerhinterziehung ist nach neuer Rechtslage gegen jeden Verurteilten/Drittbegünstigten in voller Höhe die Einziehung bzw. die Einziehung von Wertersatz anzuordnen, soweit der Täter etwas erlangt hat. Die Beteiligten haften als Gesamtschuldner gem. § 421 BGB.4 Die gesamtschuldnerische Haftung ist also zu tolerieren. Richtet sich das Verfahren indes nur gegen einen von mehreren möglicherweise gesamtschuldnerisch haftenden Einziehungsadressaten, ist die gesamtschuldnerische Haftung nicht im Tenor aufzunehmen.5 In zivilrechtlicher Hinsicht ist jedoch zu beachten, dass ein Gesamtschuldnerin-

1 BGH v. 4.7.2018 – 1 StR 244/18, juris; BGH v. 18.12.2018 – 1 StR 407/18, juris; BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 479/18, juris; BGH v. 8.8.2019 – 1 StR 679/18, juris; BGH v. 22.10.2019 – 1 StR 199/19, juris; BGH v. 31.3.2020 – 1 StR 403/19, juris. 2 BGH v. 15.11.2016 – 3 StR 385/16, StraFo 2017, 74; BGH v. 26.3.2015 – 4 StR 463/14, wistra 2015, 270. 3 Vgl. GesE der BReg StGB-E 1962, BT-Drucks. IV/650, 245. 4 Vgl. GesE der BReg StGB-E 1962, BT-Drucks. IV/650, 245. 5 BGH v. 17.5.1990 – III ZR 191/88, BGHZ 111, 277.

226 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.432 Kap. 6

nenausgleich weiterhin möglich ist. Das Gleiche gilt, wenn Verfahrensbeteiligte vor einer endgültigen Verurteilung abgetrennt werden oder das Verfahren gegen einzelne Verfahrensbeteiligte, etwa nach Opportunitätsvorschriften, eingestellt wird. Beispiel: A, B, C sind wegen gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall angeklagt. A verstirbt im Laufe der Hauptverhandlung. Das Verfahren gegen B wird nach § 153a StPO eingestellt. Gegen C wird im Rahmen der Verurteilung die Einziehung von Wertersatz ausgesprochen.

Eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Tatbeteiligter kommt in Erstattungsfällen indes nur dann in Betracht, wenn die Tatbeteiligten auch faktische Verfügungsgewalt, was für jeden gesondert zu prüfen ist,1 über den Tatbeitrag erlangt haben. Allein von einer mittäterschaftlichen Begehungsweise kann nicht ohne Weiteres auch auf eine Gesamtschuld geschlossen werden.

6.428

Beispiel: Begehen A, B und C die Steuerhinterziehung gemeinschaftlich, etwa indem unberechtigt Vorsteuererstattungsansprüche beantragt werden, ist nachzuweisen, dass auch jeder Täter über die erhaltenen Beträge verfügen konnte, etwa mittels Kontovollmachten oder tatsächlicher Verfügungsberechtigungen.

Etwas Anderes gilt, falls die Einziehung von Wertersatz im Raum steht. Hier haben die Täter dem Wortlaut nach nichts erlangt, sondern (gemeinschaftlich) Aufwendungen erspart. Diese Konstellation ist daher nicht vergleichbar mit der, dass den Tätern – auch tatsächlich – (individuell) etwas zugeflossen ist, über das sie verfügen konnten und das später entzogen wird.

6.429

Für die Frage des Ausschlusses der Einziehung nach § 73e Abs. 1 StGB, § 459g Abs. 4 StPO sollen die zivilrechtlichen Besonderheiten zu beachten sein, wenn mehrere Einziehungsadressaten als Gesamtschuldner haften. Für den Fall, dass nur ein gesamtschuldnerisch haftender Einziehungsadressat mit dem Verletzten, etwa mit dem Fiskus, im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung einen Vergleich erzielt, erlischt der staatliche Einziehungsanspruch nach § 73 Abs. 1 StGB oder § 459g Abs. 4 StPO grundsätzlich nur ihm gegenüber. Denn nach § 423 BGB wirken solche Erlasse nur dann auch für die übrigen Schuldner (Einziehungsadressaten), wenn die Vertragsschließenden das ganze Schuldverhältnis aufheben wollten. Andernfalls kommt der Vergleich nur dem einen Gesamtschuldner zugute. Die anderen Gesamtschuldner haften weiterhin in vollen Umfang. Der staatliche Einziehungsanspruch erlischt ihnen gegenüber nicht.

6.430

Auch im Übrigen dürfte darauf zu achten sein, dass wenn mehrere Beteiligte gemeinschaftlich abgeurteilt werden, die Einziehung gegen jeden Tatbeteiligten auch nur für den Schaden und Tatzeitraum angeordnet werden kann, für den er verantwortlich gehandelt hat.

6.431

Beispiel: A, B, C sind wegen gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung für die Jahre 2010 – 2015 angeklagt. C ist darüber hinaus angeklagt, Steuern auch im Jahr 2016 hinterzogen zu haben. Im Rahmen der Hauptverhandlung stellt sich heraus, dass A bereits im Jahr 2011 ausgeschieden ist.

Gegen A kann nur für das Jahr 2010 die Einziehung von Wertersatz angeordnet werden. Für das Jahr 2016 kann allein gegen C die Einziehung von Wertersatz angeordnet werden.

1 St. Rspr.: BGH v. 10.10.2019 – 1 ARs 14/19 unter Verweis auf BGH v. 7.6.2018 – 4 StR 63/18, Rz. 12; BGH v. 21.8.2018 – 2 StR 311/18, juris, Rz. 8; BGH v. 8.8.2013 – 3 StR 179/13, Rz. 2; BGH v. 27.4.2010 – 3 StR 112/10 Rz. 2, vgl. zu Fällen, in denen lediglich kurzzeitiger Besitz fraglich ist, etwa BGH v. 13.9.2018 – 4 StR 174/18, Rz. 22; BGH v. 7.6.2018 – 4 StR 63/18, Rz. 12.

Peters | 227

6.432

Kap. 6 Rz. 6.433 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

VI. Einziehung bei Unternehmen 6.433

Handelt der Täter als Organ, Vertreter oder Beauftragter (§ 14 StGB) eines Unternehmens mit dem Ziel, dass infolge der Tat bei dem Unternehmen eine Vermögensmehrung eintritt, ist das Unternehmen nach der Rspr. des BGH im Erfolgsfall Drittbegünstigter i.S.d. § 73 Abs. 3 StGB a.F.1 In Fällen der genannten Art war das Unternehmen ggf. gem. § 442 Abs. 2, § 431 Abs. 1 Satz 1 StPO a.F. am Verfahren zu beteiligen oder ein selbständiges Verfallsverfahren nach den §§ 440, 441, 442 Abs. 1 StPO a.F. gegen es zu führen.2 Der BGH begründet seine Ansicht damit, dass juristische Personen über eigene Vermögensmassen verfügen, die vom Privatvermögen des Täters zu trennen sind. Die dem Vermögen der juristischen Person zugeflossenen Vermögenswerte sind nicht ohne Weiteres durch den Täter i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. erlangt. Dies gilt auch, wenn dieser eine (legale) Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen hat.

6.434

Für eine Einziehungsanordnung gegen den Täter bedarf es in derartigen Fällen auch nach neuer Rechtslage einer über die faktische Verfügungsgewalt – was für jeden gesondert zu prüfen ist3 – hinausgehenden Feststellung, dass dieser selbst etwas erlangt hat, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt hat.4 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Täter die juristische Person lediglich als formalen Mantel nutzt und keine Trennung zwischen der eigenen Vermögenssphäre und derjenigen der Gesellschaft vornimmt. Eine Einziehungsanordnung ist insoweit gegen die Gesellschaft als originäre Dritteinziehungsbeteiligte (§73b StGB) zu richten.5 Dies gilt auch, wenn der Vermögenszufluss unmittelbar an den Täter weitergeleitet wird. Hier bedarf es konkreter Feststellungen, in welchem genauen Umfang Einnahmen der Gesellschaft aus den Taten an den Täter weitergeleitet wurden.6 Zudem sind konkrete Feststellungen dazu erforderlich, dass der Täter keine Trennung zwischen der eigenen Vermögenssphäre und derjenigen der Gesellschaft vornahm. Die Begründung einer Einziehungsanordnung gegen den als Organ einer juristischen Person handelnden Täter setzt eine über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehende Feststellung voraus, dass dieser selbst etwas erlangt, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt hat.7 Andernfalls ist eine Einziehungsanordnung gegen die Gesellschaft selbst erforderlich.8

1 BGH v. 7.9.2016 – 2 StR 352/15, NStZ 2017, 151 unter Verweis auf BGH v. 11.6.2015 – 1 StR 368/ 14; BGH v. 30.5.2008 – 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227 (242); BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 336/99, BGHSt 45, 235 (245); BVerfG v. 3.5.2005 – 2 BvR 1378/04, NJW 2005, 3630 (3631); vgl. auch Kämpfer, NStZ 2017, 152. 2 BGH v. 7.9.2016 – 2 StR 352/15, NStZ 2017, 151 unter Verweis auf BVerfG v. 29.5.2006 – 2 BvR 820/06, NStZ 2006, 639 (640). 3 St. Rspr.: BGH v. 10.10.2019 – 1 ARs 14/19 unter Verweis auf BGH v. 7.6.2018 – 4 StR 63/18, Rz. 12; BGH v. 21.8.2018 – 2 StR 311/18, Rz. 8; BGH v. 8.8.2013 – 3 StR 179/13, Rz. 2; BGH v. 27.4.2010 – 3 StR 112/10, Rz. 2, und in Fällen lediglich kurzzeitigen Besitzes fraglich sein kann vgl. etwa BGH, Urt. v. 13.9.2018 – 4 StR 174/18, Rz. 22; BGH v. 7.6.2018 – 4 StR 63/18, Rz. 12. 4 BGH v. 7.9.2016 – 2 StR 352/15, NStZ 2017, 151; BGH v. 15.1.2020 – 1 StR 529/19, juris. 5 BGH v. 10.7.2019 – 1 StR 265/18, juris unter Verweis auf BGH v. 14.11.2018 – 3StR 447/18, Rz. 9–11; BGH v. 31.7.2018 – 3 StR 620/17, Rz. 26; BGH v. 23.10.2018 – 5 StR 185/18. 6 BGH v. 23.10.2013 – 5 StR 505/12, NStZ 2014, 89 (93), Rz. 47, 48. 7 BGH v. 15.1.2020 – 1 StR 529/19, juris. 8 St. Rspr.: BGH v. 15.1.2020 – 1 StR 529/19, juris; BGH v. 31.7.2018 – 3 StR 620/17, BGHR StGB § 73 Erlangtes 24 Rz. 26; BGH v. 17.1.2019 – 4 StR 486/18, juris, Rz. 10; BGH v. 3.4.2019 – 5 StR 20/19, Rz. 21; BGH v. 8.5.2019 – 1 StR 242/18, juris, Rz. 15; BGH v. 6.6.2019 – 1 StR 75/19, Rz. 13 f.; BGH v. 10.7.2019 – 1 StR 265/18, juris, Rz. 56; BGH v. 28.11.2019 – 3 StR 294/19, Rz. 18, 26 – 43; BGH v. 13.2.2014 – 1 StR 336/13, BGHR StGB § 73 Erlangtes 15 Rz. 76.

228 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.440 Kap. 6

Die Unterscheidung wird in der Praxis insbesondere dann von Bedeutung sein, wenn lediglich ein Täter mit Zugriffsmöglichkeit auf Firmenkonten gehandelt hat, indes weitere verfügungsberechtigte Personen von den Taten keine Kenntnis hatten.

6.435

Über § 73b StGB können indes nuch nun auch Taterträge bei anderen eingezogen werden.1 Macht der Geschäftsführer einer GmbH falsche Angaben in der Körperschaftsteuererklärung der GmbH, wird die Einziehung von Wertersatz nunmehr auch zulasten der GmbH angeordnet.

6.436

VII. Abzugsfähigkeit bestimmter Aufwendungen (§ 73d StGB) Abzugsfähig sind nur Aufwendungen, die im Zeitraum von der Planung und Vorbereitung der Erwerbstat bis zum tatsächlichen Vermögenszufluss anfallen. Aufwendungen müssen dem historischen Sachverhalt entstammen, der sich aus der Sicht eines außenstehenden Dritten als einheitliches Erwerbsgeschehen darstellt. Erforderlich ist insbesondere, dass die Aufwendungen in einer inneren sachlichen Beziehung zum Erwerbsgeschehen stehen. Werden bspw. Aktien angeschafft, die schließlich zur Hinterziehung von Steuern Verwendung finden und die auch nur aus diesem Grund angeschafft wurden, sind derlei Anschaffungskosten nicht abzugsfähig. Auch Steuern auf Tatbeiträge sollen keine Aufwendung für das Erlangen des Tatbeitrages sein. Denn diese stehen nicht im inneren Zusammenhang mit dem Geschehen, das zum Erwerb des Vermögenswertes geführt hat. Gleiches soll für den schwarz gezahlten Lohn beim Vorenthalten von Arbeitsentgelt gelten.2 Es gilt der Grundsatz, dass das, was in Verbotenes investiert wurde, unwiderruflich verloren ist.3 Aufwendungen für Steuerberater sind bspw. nicht abzugsfähig, wenn die Beauftragung des Steuerberaters allein der Hinterziehung von Steuern diente, was sich indes in der Praxis nur schwer nachweisen lassen wird.

6.437

VIII. Erlöschen des Steueranspruchs bei Verständigungsverfahren Die Frage nache einem Erlöschen des Steueranspruchs und die Auswirkungen auf eine mögliche Einziehungsentscheidung sind insbesondere vor dem Hintergrund internationaler Schiedsverfahren und vor dem Hintergrund der im Internationalen Steuerstrafrecht häufig vorkommenden tatsächlichen Verständigungen von Bedeutung.

6.438

Die Finanzverwaltung geht in einem Angebot zur tatsächlichen Verständigung davon aus, dass das Besteuerungsrecht hälftig in Deutschland und hälftig in den Niederlanden liegt. A schließt die tatsächliche Verständigung ab und zahlt ordnungsgemäß. Das Gericht geht im Rahmen der Urteilsfinung indes davon aus, dass es sich um ausländische Scheingesellschaft handelt, es nimmt dan, dass der Ort der Geschäftsleitung im Inland belegen war und mithin das Besteuerungsrecht zu 100 % in Deutschland liegt und urteilt eine entsprechend höhere Einziehung aus.

6.439

Ist der Anspruch des Verletzten erloschen, ist eine Einziehung unzulässig (§ 73e StGB). Das Erlöschen i.S.d. § 73e StGB ist auch dann gegeben, wenn der Fiksus, vertreten durch die Finanzbehörde, als Verletzter aus verfahrens- oder prozessrechtlichen Gründen einen (vermeintlichen) Steueranspruch nicht (mehr) verwirklichen kann oder will. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen insbesondere durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225 AO), Auf-

6.440

1 Vgl. auch Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 25. 2 Köhler, NStZ 2017, 497 (506). 3 RegE, Drucks. 18/11640, 67 f., ARV-Beschl., S. 79.

Peters | 229

Kap. 6 Rz. 6.440 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

rechnung (§ 226 AO), Erlass (§§ 163, 227 AO), Verjährung (§§ 169–171, §§ 228–232 AO), ferner durch Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen.1 Die Regelung des § 47 AO ist indes nicht abschließend („insbesondere“).

6.441

Auch eine tatsächliche Verständigung bewirkt ein Erlöschen i.S.d. § 73e StGB.2 Die tatsächliche Verständigung ist ihrer Rechtsnatur nach ein öffentlich-rechtlicher Vertrag.3 Zwar ist der Steueranspruch für sich genommen, sowohl was den Grund als auch die Höhe betriffft, wegen der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einem Vergleich nicht zugänglich. Anerkannter Zweck der tatsächlichen Verständigung ist es jedoch, zu jedem Zeitpunkt des Besteuerungsverfahrens hinsichtlich bestimmter Sachverhalte, deren Klärung schwierig, aber zur Festsetzung der Steuer notwendig ist, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i.S.d. § 88 AO einvernehmlich festzulegen. So können bspw. Einigungen über die Auslegung und rechtliche Beurteilung von Vorfragen zum Sachverhalt getroffen werden (Aufteilung von Umsätzen zum Regellsteuersatz/ermäßigtem Steuersatz).4 Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn die Beteiligten zu einem späteren Zeitpunkt von den abgegebenen Erklärungen (einseitig) wieder abrücken könnten.5

6.442

Die tatsächliche Verständigung kommt insbesondere in den Fällen in Betracht, in denen ein Schätzungsspielraum, Bewertungsspielraum, Beurteilungsspielraum oder Beweiswürdigungsspielraum besteht.6

6.443

Die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung entspringt nach der Rechtsprechung des BFH aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, der es gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren (nachhaltigen) Verhalten nicht in Widerspruch setzt, auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er unwiderrufbar disponiert hat.7

6.444

Für ein Erlöschen i.S.d. § 73e StGB spricht, dass sich die Bindungswirkung nicht erst durch die Berücksichtigung der tatsächlichen Verständigung im Steuerbescheid ergibt.8 Mit Abschluss der tatsächlichen Verständigung sind die Beteiligten an die vereinbarte Tatsachenbehandlung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gebunden, wenn sie wirksam und unanfechtbar zustande gekommen ist.9 Hinzu kommmt, dass in praktischer Hinsicht häufig eine „doppelte Verständigung“10 zusammen mit der Straf- und Bußgeldsachenstelle vorkommt.11

1 Ähnlich im Hinblick auf die Regelung des § 45 IV SGB X: Reh, NZWiSt 2018, 20 (22). 2 Peters, AO-StB 2018, 144; wie hier auch Spatscheck/Spilker, NStZ 2019, 508; ablehnend Madauß, NZWiSt 2019, 49. 3 Seer in T/K, Vor § 118 AO Rz. 15; Seer, BB 2015, 214 (215). 4 BFH v. 1.2.2001 – IV R 3/00, BStBl. II 2001, 520. 5 BFH v. 11.4.2017 – IX R 24/15, FR 2018, 1156. 6 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831. 7 BFH v. 12.6.2017 – III B 144/16, juris; BFH v. 6.2.1991 – I R 13/86, BFHE 164, 168 = BStBl. II 1991, 673, unter II.2.d; BFH v. 30.7.1997 – II B 18/97, BFH/NV 1998, 188, unter 1.; BFH v. 24.1.2002 – III R 49/00, BFHE 198, 12 = BStBl. II 2002, 408, unter II.4. 8 Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 28, der von einem Vorrang der steuerlichen Bescheidlage spricht: vgl. auch Pflaum, Kooperative Gesamtbereinigung von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, 71 f., 104, 163 f. 9 BFH v. 6.2.1991 – I R 13/86, BStBl. II 1991, 673; BFH v. 31.7.1996 – XI R 78/95, BStBl. II 1996, 625. 10 Pflaum, Kooperative Gesamtbereinigung von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, 187 f. 11 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831.

230 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.449 Kap. 6

In diesen Fällen ist bereits die Straf- und Bußgeldsachenstelle unmittelbar gebunden. Kein Steuerpflichtiger/Beschuldigter würde eine derartige Verständigung schließen, wenn er befürchten müsste, im Nachhinein auf einen höheren Betrag in Anspruch genommen zu werden. Es spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber bei Einführung von § 73e StGB an die Möglichkeit der tatsächlichen Verständigung im Steuerrecht nicht gedacht hat. Die Einschränkung, dass zumindest nach alter Rechtslage der Verletzte entscheiden kann, was er herausverlangt, jedoch nicht bestimmen kann, was der Täter aus der Tat erlangt hat,1 gilt nach hier vertretener Ansicht im Steuerstrafrecht nur in eingeschränktem Umfang.

6.445

Etwas anderes kann indes gelten, wenn der Beschuldigte im Rahmen der Tatsächlichen Verständigung dolos falsche Angaben macht, mithin ggf. eine neue Steuerhinterziehung begeht und von Anfang an nicht willens und in der Lage war, die entsprechenden Steuern zu entrichten, bspw. um im Hauptverfahren eine mildere Bestrafung zu erreichen.

6.446

Im Internationalen Steuerstrafrecht kann die Frage nach einem Erlöschen bzw. nach der Höhe einer möglichen Einziehungsentscheidung z.B. auch im Zusammenhang mit (Vorab-) verständigungs- oder Schiedsverfahren relevant werden. So wird es bspw. als sachgerecht erachtet, den Abschluss einer solchen Verständigung davon abhängig zu machen, dass der Steuerpflichtige darauf verzichtet, den Inhalt der Verständigung zum Gegenstand eines Schiedsverfahrens zu machen. Um widersprechende Sachverhaltsfestlegungen bei verbundenen Unternehmen zu vermeiden, wird oftmals auch das verbundene ausländische Unternehmen darauf verzichten, den Inhalt der tatsächlichen Verständigung zum Gegenstand eines Schiedsverfahrens zu machen.2

6.447

IX. Anrechnung gezahlter Steuern Es besteht Einvernehmen, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen (Prinzip der Besteuerung nach den wirtschaftlichen Grundsätzen) eine Doppelbelastung durch gezahlte Steuern auf den Gewinn plus vollständige Abschöpfung desselben im Strafrecht nicht erfolgt.3 Zur Vermeidung soll seitens der Gerichte die erfolgte und gezahlte Besteuerung des Tatgewinns berücksichtigt werden (sog. „strafrechtliche Lösung“). Alternativ mindert bei einem Nebeneinander von Steuerrecht und Abschöpfungsrecht der gezahlte Abschöpfungsbetrag die steuerliche Bemessungsgrundlage (sog. „steuerrechtliche Lösung“). So ist im Regelfall bspw. der Bestechungslohn für das Jahr des Zuflusses zu versteuern, während der Abfluss der Einziehung erst für das Jahr wirksam wird, in dem auch der Betrag an die Staatskasse gezahlt wurde. Der Gesetzgeber hat sich letztlich für die steuerrechtliche Lösung entschieden.4 Somit sind im neuen § 73d StGB die steuerlichen Belastungen der Tatgewinne nicht als Aufwendungen des Täters, Teilnehmers oder des anderen (Drittbegünstigten) abzugsfähig.

6.448

In der Praxis führt auch diese Regelung zu neuen, ungeahnten Problemen. So ist nicht klar, ob das Erlöschen des Anspruchs i.S.d. § 73e StGB im Gleichklang mit den steuerlichen Erlöschensvorschriften steht. Nach der neuen Gesetzeslage soll eine Abschöpfung 30 Jahre rückwirkend möglich sein (§ 76b StGB). Die Verjährung beginnt mit der Beendigung der rechts-

6.449

1 BGH v. 29.6.2010 – 1 StR 245/09, juris, Rz. 59. 2 BMF v. 5.4.2017 – IV B 5 - S 1304/0-04, BStBl. I 2017, 707. 3 Vgl. BVerfG v. 23.1.1990 – 1 BvL 4-7/87, NStZ 1990, 393 (394); BFH v. 14.5.2014 – X R 23/12, DStRE 2014, 1156 (1164); Fischer67, § 74 StGB Rz. 8. 4 Beschl. des Rechtsausschusses v. 22.3.2017, BT-Drucks. 18/11640, 78 f.

Peters | 231

Kap. 6 Rz. 6.449 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

widrigen Tat, durch oder für die der Täter oder Teilnehmer oder der andere i.S.d. § 73b StGB etwas erlangt hat. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen jedoch insbesondere durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225 AO), Aufrechnung (§ 226 AO), Erlass (§§ 163, 227 AO), Verjährung (§§ 169–171, §§ 22 8 – 232 AO), ferner durch Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen (§ 47 AO). Steuerliche Ansprüche verjähren i.d.R. nach vier Jahren, im Fall der Steuerhinterziehung nach 10 Jahren, im Falle von Verbrauchsteuern sogar nach einem Jahr (§ 169 AO). Die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO).

6.450

Im Bereich der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr darf beim Täter nicht kumulativ der Wert der Bestechungsleistungen und der Wert der für diese entstandenen Einkommensteuer eingezogen werden, da insofern Besteuerung und Vermögensabschöpfung zu einer verfassungswidrigen, doppelten Belastung des Täters führen würden. Allein das zeitliche Auseinanderfallen zwischen der Einziehung der Bestechungsleistungen und der Berücksichtigung dieser Einziehung im Rahmen der steuerlichen Veranlagung rechtfertigt eine solche Doppelbelastung nicht.1 Denn im Hinblick darauf, dass nach einer Einziehung der Wert der Bestechungsleistungen im Rahmen der steuerlichen Einkünfteermittlung wieder als Werbungskosten abgezogen werden muss,2 verbleibt dieser Steuerbetrag dem Steuerfiskus im Fall der Einziehung im Ergebnis nicht dauerhaft.

X. Einziehung von Taterträgen bei Dritten 6.451

§ 73b StGB regelt die Einziehung von Taterträgen bei anderen. § 73b StGB erfasst vornehmlich die sog. Vertreterfälle und Verschiebefälle.3 Erlaubt ist nunmehr der Zugriff vor allem auf das Vermögen von Personenvereinigungen als Drittbegünstigte der Tat. Im (Internationalen) Steuerstrafrecht greift diese Fallgruppe nur, wenn Steuererstattungen weitergeleitet werden. Täter oder Teilnehmer der Steuerhinterziehung sind nicht Dritte.4 Der Gesetzeswortlaut unterscheidet indes zwischen den „Tätern und Teilnehmern“ an der Tat i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB und den „anderen“; die Tatbeteiligten können damit nach dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik nicht zu den „anderen“ gehören, auch wenn ihnen in einer Bereicherungskette Vermögenswerte zugewendet werden, die aus der von ihnen begangenen Straftat stammen.5 Ggf. kommt jedoch eine eigene Strafbarkeit des Dritten wegen Geldwäsche (§ 261 StGB) und eine darauf basierende Einziehung in Betracht. Zu beachten ist indes, dass es hierbei – was einen Arrest oder eine Durchsuchung betrifft – der Feststellung eines „doppelten Anfangsverdachts“ bedarf, nämlich sowohl was den Tatbestand der Geldwäsche als auch was die Vortat betrifft.6 Erst die Vortat versieht das Geld mit dem Makel, der einer neutralen, sozialtypischen Handlung das Unwerturteil der Strafbarkeit zuweist. Eine bloße Meldepflicht nach dem GwG genügt nicht, da die Anforderungen geringer sind als die Anforderungen an einen strafprozessualen Anfangsverdacht.7 Die bloße Behauptung, das Geld rühre aus einer 1 Vgl. Maciejewski/Schumacher, DStR 2017, 2021 (2024); vgl. auch BFH v. 14.5.2014 – X R 23/12, BStBl. II 2014, 684. 2 Vgl. Maciejewski/Schumacher, DStR 2017, 2021 (2024); BFH v. 14.5.2014 – X R 23/12, BStBl. II 2014, 684. 3 BT-Drucks. 18/9525, 66; BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 336/99, BGHSt 45, 235. 4 BGH v. 15.1.2020 – 1 StR 529/19, juris. 5 BGH v. 15.1.2020 – 1 StR 529/19, juris unter Verweis auf BGH v. 25.4.2019 – 1 StR 54/19, juris. 6 BVerfG v. 31.1.2020 – 2 BvR 2992/14, wistra 2020, 285; vgl. auch Neuheuser in MK-StGB3, § 261 StGB Rz. 137. 7 BVerfG v. 31.1.2020 – 2 BvR 2992/14, wistra 2020, 285.

232 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.455 Kap. 6

Katalogtat her, reicht nicht aus. Es bedarf konkreter, nachvollziehbarer Anhaltspunkte, dass eine Katalogvortat nach § 261 Abs. Satz 2 StGB möglich ist. § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB gilt nur in den Fällen der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung nach § 370 AO für die durch die Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen und unrechtmäßig erlangten Steuererstattungen und -vergütungen sowie in den Fällen des § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB auch für einen Gegenstand, hinsichtlich dessen Abgaben hinterzogen worden sind. Die einfache Steuerhinterziehung ist nicht erfasst. Faktisch ist damit im Internationalen Steuerstrafrecht eine dreifache Hürde zu nehmen, insbesondere was die Annahme der Bande oder Gewerbsmäßigkeit betrifft. Handelt ein Täter als Organ, Vertreter oder Beauftragter eines Unternehmens mit dem Ziel, dass infolge der Tat bei dem Unternehmen eine Vermögensmehrung eintritt, ist nicht der Täter, sondern das Unternehmen im Erfolgsfall Drittbegünstigter i.S.d. § 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten schließt grundsätzlich eine gegen den Täter anzuordnende Einziehung aus. Für die Anordnung einer Einziehung gegen den Täter bedarf es in derartigen Fällen einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, dass dieser selbst durch die Tat etwas erlangt hat, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt hat.1

6.452

Im Falle der Steuerhinterziehung durch Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft kann auf diesem Wege die Wertersatzeinziehung gegenüber der Gesellschaft angeordnet werden.

6.453

Von praktischer Relevanz werden zukünftig die Fälle sein, in denen Täter bspw. Schmiergeldvereinbarungen mittels sog. Beraterverträge treffen, deren Abzugsfähigkeit als gewinnmindernde Betriebsausgabe sich nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG verbietet. In Betracht kommen auch sonstige Fälle der Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft.

6.454

Beispiel: Der im Nahen Osten als Regionalmanager tätige X schließt mit dort tätigen regierungsnahen Personen zum Schein Beraterverträge ab, die indes tatsächlich dazu dienen, sich geschäftliche Vorteile zu sichern. Die Bezahlung der Honorare erfolgt durch das deutsche Unternehmen. Eine etwaige Kenntnis des Unternehmens, dass es sich um nur zum Schein abgeschlossene Verträge handelt, ist nicht nachweisbar.

In den Fällen des § 73b StGB – auch i.V.m. § 73c StGB – ist die Einziehung indes ausgeschlossen, soweit der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist, es sei denn, dem Betroffenen waren die Umstände, welche die Anordnung der Einziehung gegen den Täter oder Teilnehmer ansonsten zugelassen hätten, zum Zeitpunkt des Wegfalls der Bereicherung bekannt oder infolge von Leichtfertigkeit unbekannt. Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung kann die Einziehung von Taterträgen bei einem Drittbegünstigten nach § 73b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB nur dann stattfinden, wenn der Drittbegünstigte die Taterträge in einer ununterbrochenen Bereicherungskette ausgehend vom Tatbeteiligten erlangt hat. Dies gilt auch dann, wenn die Verschiebung auf der Weiterreichung des Wertersatzes von Tatvorteilen – wie etwa bei einem Bankguthaben – beruht. Wird der Taterlös mit legalem Vermögen vermischt und erst dann an den Dritten weitergeleitet, steht dies der Annahme eines Bereicherungszusammenhangs grundsätzlich nicht entgegen.2 Eine Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten schließt jedoch grundsätzlich eine gegen den handelnden Täter anzuordnende Einziehung aus; vielmehr ist gegebenenfalls eine (selbständige) Einziehungs1 Vgl. BGH v. 17.1.2019 – 4 StR 486/18, NZWiSt 2019, 321 m.w.N. 2 OLG Celle v. 2.3.2018 – 1 Ws 19/18, StraFo 2018, 206 (LG Stade).

Peters | 233

6.455

Kap. 6 Rz. 6.455 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

anordnung gegen den Drittbegünstigen zu treffen.1 Danach kommt eine Einziehungsanordnung gegen den für eine Gesellschaft handelnden Täter ausnahmsweise dann in Betracht, wenn er diese nur als formalen Mantel nutzt und eine Trennung zwischen Täter- und Gesellschaftsvermögen tatsächlich nicht existiert oder wenn jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss bei der Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird.2

6.456

Ein weitergehendes Normenverständnis, dass für eine Drittabschöpfung bereits allein das Nachfolgen der Verschiebung auf einen Zufluss beim Tatbeteiligten ausreichend sein soll, wird abgelehnt.3 Vielmehr beansprucht auch nach der gesetzlichen Neuregelung der Verschiebungsfälle das vom BGH verlangte Erfordernis einer Bereicherungskette weiterhin Gültigkeit.4 Gegen die Annahme, es genüge für die Einziehung beim Dritten nach § 73b Abs. 2 StGB bereits die Verschiebung eines Gegenstands mit demselben Nominalwert wie das Erlangte, sprechen vornehmlich systematische Gründe. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber die Anwendung von § 73b Abs. 2 StGB unter die Voraussetzung der Vorgaben aus Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 oder 3 gestellt hat. Auch wenn der Drittempfänger wegen der Unentgeltlichkeit oder Bösgläubigkeit weniger schutzwürdig erscheint als der Geschädigte, dessen Anspruch durch die Verfügung an den Erwerber vereitelt wird, zeigt der Vergleich zu § 822 BGB, dass Sinn und Zweck der Abschöpfung beim Drittbegünstigten die unrechtmäßige Erlangung von Tatvorteilen ist.

6.457

Die Abschöpfung findet jedoch ihre Grenze, wenn ein Zusammenhang mit den Tatvorteilen nicht mehr erkennbar ist und mit einer Transaktion nicht erkennbar das Ziel verfolgt wird, das durch die Tat unmittelbar begünstigte Vermögen des Täters oder eines Dritten dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen oder die Tat zu verschleiern.5

6.458

Ein Bereicherungszusammenhang besteht nur dann, wenn sich aufgrund weiterer Umstände – etwa durch eine Gesamtschau im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung der Zahlungsflüsse – feststellen lässt, dass mit den in Rede stehenden Transaktionen das Ziel verfolgt wurde, das durch die Tat unmittelbar begünstigte Vermögen des Täters oder eines weiteren Dritten dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen oder die Tat zu verschleiern.6

6.459

Im konkreten Fall des OLG Celle7 war nach den bisherigen Ermittlungen weder davon auszugehen, dass die Einzahlungen auf das Konto der Einziehungsbeteiligten aus den angeklagten Taten herrührten, noch zuvor auf das Konto der Angeschuldigten eingezahlt und später nach Barabhebung auf das Konto der Einziehungsbeteiligten transferiert worden sind. Inbesondere stimmten die betrügerisch erhaltenen Gelder und die Höhe der Einzahlungen nicht überein. Auch ein zeitlicher oder situativer Zusammenhang zwischen Erlangung der betrügerischen Gelder und den Einzahlungen bei den Einziehungsbeteiligten waren nicht erkennbar. Der Angeschuldigte verfügte daneben über ausreichend legale Geldquellen (z.B. Mieteinkünfte). Eine positive Kenntnis oder leichtfertige Unkenntnis der Umstände aufseiten der Einziehungsbeteiligten ist in jedem Fall positiv zu belegen. Bei einer Vermögensabschöpfung bei einem Dritten 1 2 3 4

BGH v. 29.11.2017 – 2 StR 271/17, juris, Rz. 12 ff.; BGH v. 31.7.2018 – 3 StR 620/17. BGH v. 29.11.2017 – 2 StR 271/17, juris, Rz. 12 ff.; BGH v. 31.7.2018 – 3 StR 620/17. OLG Celle v. 2.3.2018 – 1 Ws 19/18, StraFo 2018, 206. OLG Celle v. 2.3.2018 – 1 Ws 19/18, StraFo 2018, 206 unter Verweis auf Madauß, NZWiSt 2018, 28; Greier, jurisPR-StrafR 21/2016 Anm. 1; Trüg, NJW 2017, 1913; Köllner/Mück, NZI 2017, 593; Schilling/Corsten/Hübner, StraFo 2017, 305; Weber5, § 33 BtMG Rz. 209; a.A. wohl Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665 (667); Korte, wistra 2018, 1 (6). 5 BGH v. 3.12.2013 – 1 StR 53/13, wistra 2014, 219, Rz. 39. 6 OLG Celle v. 2.3.2018 – 1 Ws 19/18, StraFo 2018, 206. 7 OLG Celle v. 2.3.2018 – 1 Ws 19/18, StraFo 2018, 206.

234 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.462 Kap. 6

bedarf es daher in jedem Fall der Feststellung, dass der verschobene Gegenstand aus bemakeltem oder kontaminiertem Vermögen stammt, eine ununterbrochene Bereicherungskette vorliegt oder dass eine eindeutige Verbindung von Geldflüssen zur Erwerbstat vorliegt.

XI. Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft (§ 76a StGB) 1. Grundsätze der erweiterten Einziehung Kann wegen der Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so ordnet das Gericht gem. § 76a Abs. 1 StGB die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung selbständig an, wenn die Voraussetzungen, unter denen die Maßnahme vorgeschrieben ist, im Übrigen vorliegen.

6.460

Ein aus einer rechtswidrigen Tat – die nicht die dem Beschuldigten angelastete Tat sein muss, sondern jede rechtswidrige Tat sein kann – herrührender Gegenstand, der in einem Verfahren wegen des Verdachts einer in § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB genannten Straftat sichergestellt worden ist, soll auch dann selbständig eingezogen werden, wenn der von der Sicherstellung Betroffene nicht wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann. Die völlig neuartige Norm, der Fall der „non-conviction-based confiscation“, schafft in den genormten Katalogfällen (der Schwerkriminalität) die Abschöpfung von Vermögenswerten unklarer Herkunft.1 Dies entspricht dem ausdrücklichen Willen des Reformgesetzgebers.2 Die Vorschrift des § 76a Abs. 4 StGB ist als „Soll-Vorschrift“ ausgestaltet, sodass nach dem Willen des Gesetzgebers3 unverhältnismäßige Einziehungsanordnungen vermieden werden können. Dies gilt auch bei gutgläubigen Drittbegünstigten, die bspw. den betroffenen Gegenstand in Erfüllung einer nicht bemakelten entgeltlichen Forderung erlangt haben, deren Entstehung und Inhalt in keinem Zusammenhang mit der Tat steht.4 Fleckenstein5 stellt daher zutreffend fest, dass über die Ermessenausübung des § 76a Abs. 4 StGB (Soll-Vorschrift) i.V.m. § 437 StPO (Berücksichtigung des Einzelfalles) doch die Grundüberlegungen der §§ 73–73d StGB relevant werden.

6.461

Nach § 76a Abs. 4 StGB i.V.m. den §§ 435 ff. StPO ist nunmehr auch die Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft möglich, sofern eine Tat nach § 76 Abs. 4 StGB vorliegt. Ziel soll es sein, strafrechtswidrige Vermögenslagen zu beseitigen, um die Nutznießung von Verbrechensgewinnen oder deren Reinvestition in kriminelle Aktivitäten zu verhindern.6 Dogmatisch soll es sich um eine in die Zukunft gerichtete Maßnahme der Vermögensabschöpfung handeln, die nicht dem Schuldgrundsatz unterliegt und daher eine verfassungskonforme Beweislastumkehr ermöglicht.7

6.462

1 2 3 4

Vgl. krit. Schilling/Hübner, StV 2018, 49. Vgl. den RegE; BT-Drucks. 18/9525, 48, 73. Vgl. den RegE; BT-Drucks. 18/9525, 73. Vgl. den RegE; BT-Drucks. 18/9525, 73 unter Hinweis auf BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 336/99, BGHSt 45, 235. In diesen Fällen könne nach § 437 StPO ggf. von der Einleitung des Abschöpfungsverfahrens abgesehen werden. Vgl. hierzu Fleckenstein, Die strafrechtliche Abschöpfung von Taterträgen bei Dritten, 2017, 272 – 275. 5 Fleckenstein, Die strafrechtliche Abschöpfung von Taterträgen bei Dritten, 2017, 274. 6 Die Gesetzesbegründung spricht von einer Beseitigung der Störung der Vermögensordnung um der materiellen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen, BT-Drucks. 18/9525, 58. 7 BT-Drucks. 18/9525, 58 unter Verweis auf BVerfG v. 14.1.2004 – 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, Rz. 102 f. zum „erweiterten Verfall“ und EGMR v. 12.5.2015 – Nr. 36862/05 – Gogitidze/ Georgien; Kritik vgl. auch Stellungnahme der BRAK http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2016/november/stellungnahme-der-brak-2016-39. pdf (abgerufen am: 17.7.2020).

Peters | 235

Kap. 6 Rz. 6.463 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.463

Zu Recht wird betont, dass das BVerfG in seinem Beschluss vom 14.1.20041 hervorgehoben hat, dass sich der Tatrichter „durch Ausschöpfung der vorhandenen Beweismittel“ von der deliktischen Herkunft des Gegenstands zu überzeugen hat, die deliktische Erlangung müsse so „hoch wahrscheinlich“ sein, dass sie sich „geradezu aufdränge“. Von einer „Ausschöpfung der Beweismittel“ kann aber nicht die Rede sein, wenn bei Anwendung eines sog. „Missverhältnis“-Kriteriums aufgrund einer Regelvermutung zum Nachteil des Beschuldigten die Einziehung angeordnet werden kann. Wegen der weitreichenden Folgen wird dies auf evidente Fälle der bandenmäßigen Steuerhinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern beschränkt sein.

6.464

Die Neufassung führt in der Praxis indes bereits zu Friktionen, wenn sicher ist, dass etwa bestimmte Gegenstände aus Straftaten stammen, diese jedoch keiner Anknüpfungstat zugeordnet werden können. Beispiel: Im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle finden sich im Kofferraum bei A, B und C 500 Packungen Kaffee, 250 Duschgels und jede Menge hochwertiger Parfums. Daneben findet sich im Auto eine noch abzuarbeitende Stehlliste. Die Gegenstände können keiner konkreten Straftat zugeordnet werden. Eine Durchsuchung der Wohnung bleibt erfolglos.

6.465

Eine Einziehung kann mangels Anknüpfungstat nicht stattfinden, obgleich evident ist, dass hier gewerbs- und bandenmäßiger Diebstahl im Raume steht.

6.466

Eine erweiterte Einziehung nach § 76a StGB kommt bei jeder rechtswidrigen Tat in Betracht, hinsichtlich derer ein Tatnachweis geführt ist. Eingezogen werden kann jedweder Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat. Kann wegen der Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, ordnet das Gericht gem. § 76a StGB die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung selbständig an, wenn die Voraussetzungen, unter denen die Maßnahme vorgeschrieben ist, im Übrigen vorliegen.

6.467

Der Wortlaut der Norm fordert, dass zum Zeitpunkt der Sicherstellung bereits ein Verdacht wegen einer Katalogstraftat bestand und die Sicherstellung wegen dieses Verdachts erfolgte. Die vom Gesetzgeber gewählte Zeitform („sichergestellt worden ist“) macht deutlich, dass der Verdacht nicht der Sicherstellung nachfolgen kann.2 So reicht es nicht, wenn die StA nachträglich die nicht zu erhärtenden Verdachtsmomente um Katalogstraftaten anreichert. Dies gilt umso mehr, als dieser Verdacht nicht erhärtet werden müsste, vielmehr im Nachhinein ohne weitere hinzukommende Verdachtsmomente auf Katalogtaten erstreckt werden könnte, allein um die Voraussetzungen der selbständigen Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB zu schaffen. Insbesondere in den Fällen, in denen nach Abschluss der Ermittlungen nicht geklärt werden kann, aus welcher rechtswidrigen Tat der Gegenstand herrührt – mithin das Herrühren aus einer Nichtkatalogtat nicht belegbar ist – ließe sich im Nachhinein zumeist ein nicht zu erhärtender Verdacht jedenfalls nach § 261 Abs. 1, 2 oder 4 StGB als Katalogtat nach § 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. f StGB in der Einstellungsverfügung erörtern. Der Bezug zwischen dem Verdacht einer Katalogtat und der Sicherstellung – mithin die vom Gesetzgeber intendierte Einschränkung – wäre nicht gewahrt.3

1 BVerfG v. 14.1.2004 – 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1. 2 BGH v. 18.9.2019 – 1 StR 320/18, juris; vgl. auch BT-Drucks. 18/9525, 48. 3 BGH v. 18.9.2019 – 1 StR 320/18, juris.

236 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.472 Kap. 6

2. Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft bei Katalogtaten Aus rechtswidrigen Taten herrührende Gegenstände werden zukünftig namentlich in Verfahren wegen des Verdachts aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus erfolgen. Aufgeführt sind insbesondere folgende Straftaten unter den weiter normierten Voraussetzungen:

6.468

– Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat; – Bildung krimineller Vereinigungen; – Zuhälterei; – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften; – Geldwäsche; – Straftaten nach dem BtMG; – Straftaten nach dem Waffengesetz und dem KWG. Nach § 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2. Buchst. a – c StGB werden aus dem Bereich der AO erfasst die

6.469

– Steuerhinterziehung unter den in § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO genannten Voraussetzungen (bandenmäßige Umsatz- und Verbrauchsteuerhinterziehung); – gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel nach § 373 AO; – Steuerhehlerei im Fall des § 374 Abs. 2 AO. Die Regelung dient dazu, Vermögensgegenstände unabhängig vom Nachweis einer rechtswidrigen Tat (selbständig) einzuziehen. Der verfahrensrechtliche Ablauf ist den §§ 435 ff. StPO geregelt.

6.470

An den Maßstab der richterlichen Überzeugung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Insofern soll es sich um eine verfassungskonforme Beweislastumkehr handeln.

6.471

Beispiel: Die Steuerfahndung und das Hauptzollamt ermitteln gegen X, Y und Z wegen des Vorwurfs der bandenmäßigen Hinterziehung von Umsatzsteuer, Lohnsteuer und wegen Verstoßes gegen § 266a StGB für die Jahre 2010 – 2017. X, Y und Z haben in all den Jahren keine Steuererklärung abgegeben und nur zwei Personen als geringfügig Beschäftigte angemeldet. Daneben bezieht X Sozialleistungen. Im Rahmen der Durchsuchung werden mehrere hochwertige Uhren, eine größere Summe Bargeld, Goldschmuck und hochwertige Kraftfahrzeuge aufgefunden.

Ergänzend gilt hierbei die Regelung des § 437 StPO, wonach bei der Entscheidung über die selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB das Gericht seine Überzeugung davon, dass der Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt, insbesondere auf ein grobes Missverhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen stützen kann.1 Bei der Entscheidung soll ferner zu berücksichtigen sein: – das Ergebnis der Ermittlungen zu der Tat, die Anlass für das Verhalten war; – die Umstände, unter denen der Gegenstand aufgefunden und sichergestellt worden ist, sowie – die sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen. 1 Zur im angloamerikanischen Recht möglichen non-conviction-based confiscation/forfeiture vgl. Meyer, ZStW 2015, 241 (256), der sich auch für eine Einführung in Deutschland ausspricht.

Peters | 237

6.472

Kap. 6 Rz. 6.473 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.473

Für die Auslegung des Begriffs des Herrührens soll auf die Auslegungskriterien zu § 261 StGB zurückgegriffen werden. Es genügt, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zwischen dem Gegenstand und der Vortat ein Kausalzusammenhang besteht, wenn also der Gegenstand seine Ursache in der rechtswidrigen Tat hat.1 Gelangt das Gericht nur zu der Überzeugung, dass lediglich ein Teil des sichergestellten Gegenstands aus einer Straftat „herrührt“, kann es den Einziehungsgegenstand nach den Grundsätzen bestimmen, die für den Geldwäschetatbestand bei „Teilkontamination“ entwickelt worden sind.2 Die Ausgestaltung als Sollvorschrift soll nach dem Willen des Gesetzgebers dazu führen, im Einzelfall unverhältnismäßige Einziehungsanordnungen zu vermeiden. Danach muss im konkreten Einzelfall insbesondere das Verhalten des Betroffenen und das Ausmaß seiner Bösgläubigkeit berücksichtigt werden, um die Verhältnismäßigkeit des mit der Einziehung verbundenen Vermögenseingriffs zu gewährleisten.3 Die bisherige, in § 73c StGB a.F. geregelte sog. „unbillige Härte“ wurde in das Strafvollstreckungsverfahren verlagert. Möglich ist auch eine Einziehung nachträglich entdeckter Vermögenswerte. Zuständig für das Verfahren ist die StA in Form des Rechtspflegers. Die Vermögensabschöpfung ist vom Wesen her eine Kondiktionsmaßnahme – d.h. keine Strafe – und ist unabhängig von der Frage der Schuld.

3. Einziehung Vermögen unklarer Herkunft bei Dritten 6.474

Auch bei Dritten kann neben dem Erlangten und dem Wertersatz auch Vermögen unklarer Herkunft unter gewissen Voraussetzungen eingezogen werden. Beispiel: Der an der bandenmäßigen Hinterziehung von Verbrauchsteuern beteiligte X überträgt sämtiche Vermögenswerte (Haus, Auto) auf seine Freundin. Diese behauptet im Rahmen der Durchsuchung, dass auch das aufgefundene Bargeld von 250.000 Euro sowie sämtlicher Schmuck (z.B. eine hochwertige Herrenarmbanduhr) ihr gehöre, obgleich sie keiner Beschäftigung nachgeht und auch sonst über keinerlei Vermögenswerte oder über einen entsprechenden finanziell plausiblen Hintergrund (z.B. Erbschaft) verfügt.

6.475

Zu beachten ist, dass die StA nach § 111i Abs. 2 StPO einen Insolvenzantrag über das Vermögen des Arrestschuldners beantragen kann. Davon kann nach § 111e Abs. 1 StPO auch der Drittbegünstigte betroffen sein. Im Steuerstrafverfahren ist das Verhältnis zwischen steuerlichen und strafrechtlichen Sicherungsmaßnahmen abzustimmen.4 Der Drittbegünstigte dürfte aber von steuerlichen Sicherungsmaßnahmen aufgrund seiner fehlenden Stellung als Täter oder Teilnehmer einer (Steuer-)Straftat zumeist nicht betroffen sein. Eine Person, die nicht Beschuldigter ist, aber von der Einziehung betroffen, wird im Erkenntnisverfahren gegen den oder die Beschuldigten (bzw. Angeklagten) zum sog. Einziehungsbeteiligten nach § 424 StPO. Der Einziehungsbeteiligte ist schon im vorbereitenden Verfahren nach § 426 Abs. 1 StPO anzuhören. Der Einziehungsbeteiligte kann auf seine Rechte verzichten (§ 424 Abs. 2 StPO). Er hat nach den §§ 427–430 StPO diverse Rechte im Hauptverfahren. So kann er nach § 428 Abs. 1 StPO einen Rechtsanwalt beauftragen oder bekommt ggf. einen Rechtsanwalt beigeordnet (§ 428 Abs. 2 StPO). Dazu kommen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren nach 1 BT Drucks. 18/9545, 73 unter Verweis auf BGH v. 18.2.2009 – 1 StR 4/09, BGHSt 53, 205, Rz. 12 ff.; Schmidt/Krause in LK12, § 261 StGB Rz. 11 f.; vgl. auch Fischer67, § 261 StGB Rz. 7. 2 Neuheuser in MK-StGB2, § 261 StGB Rz. 47 ff. 3 Vgl. EGMR v. 24.7.2012 – Nr. 55167/11 – Nowakowski/Polen, Rz. 44 ff.; EGMR v. 10.4.2012 – Nr. 20496/02 – Silickiene gegen Litauen, Rz. 62 ff. 4 Vgl. OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, NJW 2017, 3731 zum Verhältnis Vermögensarrest der StPO und steuerlicher Arrest nach § 324 AO m. Anm. Gubitz/Molkentin, NJW 2017, 3733.

238 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.480 Kap. 6

§ 431 StPO. Je nach Sachstand kommt auch nach Abschluss des Strafverfahrens noch ein Nachverfahren für den Einziehungsbeteiligten in Betracht (§§ 433, 434 StPO). Die Vermögensabschöpfung bei einem gutgläubigen Drittbegünstigten ist indes ausgeschlossen, wenn dieser den betreffenden Gegenstand in Erfüllung einer nicht bemakelten entgeltlichen Forderung erlangt, deren Entstehung und Inhalt in keinem Zusammenhang mit der Tat stehen.1 Diese Fallkonstellation begründet einen Ausnahmefall, in dem die Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB n.F. trotz ihrer Ausgestaltung als „Soll“-Vorschrift nicht angeordnet werden darf. Verfahrensrechtlich wird der Schutz gutgläubiger Dritter durch die Regelung des § 437 StPO verwirklicht.

6.476

XII. Nachträgliche Einziehung Ist ein vorläufiges Sicherungsermittlungsverfahren unterblieben, so ist nach neuer Rechtslage – abgesehen von den zuvor angesprochenen Ausnahmen – im Urteil über die Einziehung zu entscheiden. Zum Zeitpunkt der Verurteilung ist im Rahmen der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung oder wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerentgelt entscheidend, dass die Schadenshöhe exakt festgestellt wird. Insofern ist festzuhalten, dass eine Schätzung des Schadens, wie dies nach alter Rechtslage noch möglich war, nunmehr unzulässig ist. Reichen die vorhandenen gesicherten Werte nicht aus, die Ansprüche auszugleichen, hat die StA ein Antragsrecht auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 111i Abs. 2 StPO).

6.477

XIII. Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten Tatprodukte, d.h. Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), können auch weiterhin gem. § 74 Abs. 1 StGB, § 375 Abs. 2 AO eingezogen werden.2 Die Einziehung ist nur zulässig, wenn die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen. Als Tatmittel kommen grundsätzlich sämtliche Tatmittel oder Tatwerkzeuge in Betracht (Grundstück zum Betrieb einer Marihuanaplantage/illegalen Tabakfabrik,3 Schmuggelfahrzeug, Mobiltelefone).

6.478

XIV. Praktische Überlegungen In steuerstrafrechtlicher Hinsicht wird zukünftig die Norm des § 160b StPO von Relevanz sein. Die StA kann danach den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Im Zuge der Gesetzesreform sollte eine dahingehende Regelung aufgenommen werden, dass derartige Gespräche insbesondere bei Beschlagnahmen oder Vermögensarresten in Betracht kommen und nach Maßgabe des § 459h StPO ein Ausgleich zwischen dem Betroffenen und den Tatverletzten erörtert werden sollte.

6.479

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Einziehung im Urteil zwingend vorgeschrieben ist, d.h. die entsprechenden Normen kein Ermessen vorsehen („so ordnet das Gericht [die]

6.480

1 Vgl. dazu BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 336/99, BGHSt 45, 235, Rz. 46; vgl. auch EGMR v. 24.7.2012 – Nr. 55167/11 – Nowakowski/Polen, Rz. 44 ff.; EGMR v. 10.4.2012 – Nr. 20496/02 – Silickiene/ Litauen, Rz. 62 ff. 2 Zum Ganzen auch Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 12 ff. 3 BGH v. 31.3.2016 – 2 StR 243/15, NStZ 2017, 89.

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Kap. 6 Rz. 6.480 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

Einziehung an“), hingegen die Regelung des § 421 StPO im Vollstreckungsverfahren und nur unter den in Absatz 3 normierten Voraussetzungen auch im Ermittlungsverfahren unter den dort genannten Voraussetzungen ein Absehen erlaubt, ist die Einziehung in reinen Steuerstrafsachen in das Ermessen des Gerichts bzw. der StA gestellt.1 Krumm führt zutreffend die unnötige Konkurrenzsituation zwischen Steuerstrafrecht und Steuerverfahrensrecht an. Zu Recht wird angemerkt, dass im Regelfall die Festsetzung und Durchsetzung eines Steueranspruchs im Steuerverwaltungsverfahren viel effektiver erfolgen kann. Im Gegensatz zu anderen Gläubigern erleidet der Fiskus – angesichts der Selbstexekutionsbefugnis – hierdurch auch keinen Nachteil. Von daher ist eine teleologische Reduktion der Wertersatzeinziehung im Kontext der Steuerstraftaten zu befürworten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sobald ein – auch auf Schätzungen basierender – Steuerbescheid vorliegt, dieser über § 73e StGB inhaltlich vorrangig ist.

XV. Strafprozessuale Sicherungsmaßnahmen/Vermögensarrest (§§ 111b ff. StPO) 1. Einführung 6.481

Um der Gefahr entgegenzuwirken, dass bereits vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens Vermögensgegenstände Beiseite geschafft werden, sieht die StPO – wie auch die AO in §§ 324 ff. AO – bereits im Ermittlungsverfahren einstweilige Maßnahmen zur Sicherstellung von Vermögenswerten vor. Voraussetzung jeder Sicherungsanordnung ist die auf Tatsachen beruhende Annahme, dass im späteren gerichtlichen Verfahren eine Einziehung ausgesprochen wird.

6.482

Auf diese Weise wird der staatliche Anspruch auf Einziehung des Ertrages aus der rechtswidrigen Tat oder auf Einziehung eines Geldbetrages in Höhe des Wertes des Tatbeitrages gesichert. Man spricht auch vom „Haftbefehl fürs Geld“. Die Einziehungsanordnung wird nach den §§ 73 ff. StGB getroffen. Die Sicherung des Tatbeitrages wird nach § 111b StPO bewirkt, d.h. der entsprechende Gegenstand wird bis zu einer etwaigen Entscheidung des Gerichts im Hauptverfahren (vorläufig) beschlagnahmt. Zur Sicherung der Einziehung des Wertes des Tatbeitrages ergeht im Ermittlungsverfahren ein Vermögensarrest nach § 111e StPO. Sämtliche Maßnahmen unterliegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sodass ihre Anordnung stets ein Sicherungsbedürfnis voraussetzt. Die Anordnung liegt grundsätzlich im freien Ermessen, nur im Falle dringender Gründe für eine spätere Einziehung von Wertersatz „soll“ eine vorläufige Sicherstellung oder Arrestierung erfolgen.2

2. Verhältnis von steuerlichen und strafrechtlichen Sicherungsmaßnahmen 6.483

Auch nach der Reform ist das Verhältnis von steuerlichem und strafprozessualem Arrest von grundlegender Bedeutung. Die Finanzverwaltung kann im Gegensatz zu privaten Verletzten, die oft auf langwierige Zivilprozesse zur Geltendmachung ihres Schadens angewiesen sind, auch schon im Laufe eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Steuerfestsetzungen in Form eines Steuerbescheides vornehmen und damit die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des betroffenen Steuerpflichtigen schaffen. Der Erlass von Schätzungsbescheiden bedingt jedoch mitunter umfangreiche Ermittlungen der Steuerfahndung, die von dem für die Steuerfestsetzung zuständigen Veranlagungs-Finanzamt abgewartet werden. In der Praxis ist zu beobachten, dass der steuerliche Arrest insbesondere auch aus Angst 1 Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 26. 2 OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, ZWH 2018, 79 m. Anm. Greeve.

240 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.487 Kap. 6

vor haftungsrechtlicher Inanspruchnahme zurückhaltend gehandhabt wird. Zur Sicherung der späteren Vollstreckung von erwarteten Steuerforderungen steht der Finanzbehörde namentlich das Instrument des steuerlichen Arrestes nach §§ 324 ff. AO zur Verfügung. Nach § 324 Abs. 1 Satz 1 AO ist die Anordnung des dinglichen Arrestes in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen des Steuerpflichtigen zulässig, wenn zu befürchten ist, dass sonst die Beitreibung der festgesetzten Steuer vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Der Arrest dient nicht der endgültigen Befriedigung des Fiskus, sondern nur der einstweiligen Sicherung der Vollstreckungsmöglichkeiten als solche sowie des schnellen, effektiven Zugriffs auf das Vermögen des Steuerpflichtigen.1 Umstritten und auch nach der Reform trotz gesetzlicher Regelung in § 111e Abs. 6 StPO weiterhin nicht befriedigend gelöst ist das grundsätzliche Verhältnis von steuerlichem und strafprozessualem Arrest.2 Das Verhältnis zwischen strafprozessualem und abgabenrechtlichem dinglichen Arrest ist gesetzlich nur unzureichend geregelt. Den konstruktiven Unterschieden wird in keinster Weise Rechnung tragen, auch wenn § 111e Abs. 6 StPO de lege lata nunmehr die Gleichrangigkeit anordnet.

6.484

Beim dinglichen Arrest nach den Vorschriften der AO sichert die Finanzbehörde als Gläubigerin zu eigenen Gunsten. Beim strafprozessualen dinglichen Arrest tritt die Steuergläubigerin Finanzbehörde formell als Verletzte auf, zu deren Gunsten durch den Justizfiskus (Gericht oder StA) Vermögenswerte gesichert werden. Führt die Finanzbehörde das strafrechtliche Ermittlungsverfahren indes selbstständig durch, nimmt die Strafsachen- und Bußgeldstelle die staatsanwaltschaftliche Funktion wahr.

6.485

Aus dem strafprozessualen Arrest ergibt sich auch weiterhin keine unmittelbare Befriedigung des geschädigten Finanzfiskus. Erforderlich ist auch nach der Reform eine Überleitung in das abgabenrechtliche Vollstreckungsverfahren. Die Vollziehung einer Arrestanordnung nach § 324 AO bleibt unberührt, soweit der Arrestanspruch aus der Straftat erwachsen ist. Das Veranlagungs-Finanzamt muss dazu anlässlich der Mitteilung durch den Justizfiskus einen vollstreckbaren Bescheid oder einen Arrest nach der AO erlassen. Nach der Überleitung auf die Gläubigerin wird der strafprozessuale Arrest aufgehoben. Besteht bereits ein Arrest nach § 324 AO, ist ein strafprozessualer Arrest m.E. nicht mehr zulässig. Ein Sicherungsbedürfnis besteht in diesem Fall nicht mehr. Beim abgabenrechtlichen Arrest kommt es zur Befriedigung der Geschädigten, indem der Steueranspruch gem. § 327 AO in die Sicherheit hineinwächst, sofern die Vollstreckungsvoraussetzungen gem. § 254 Abs. 1 AO vorliegen.

6.486

Es ist auch weiterhin ungeachtet der Regelung des § 111e Abs. 6 StPO streitig, ob und inwiefern im Steuerstrafverfahren neben dem abgabenrechtlichen auch der strafprozessuale Arrest uneingeschränkt anwendbar ist oder ob dem dinglichen Arrest nach § 324 AO nicht doch der Vorrang gegenüber dem strafprozessualen Arrest einzuräumen und Letzterer im Steuerstrafverfahren nicht vorrangig einschlägig ist.3 Der Gesetzesbegründung und einzelnen Entscheidungen,4 die pauschal und ohne nähere, tragfähige Begründung von einer Gleichran-

6.487

1 BFH v. 25.4.1995 – VII B 174/94, BFH/NV 1995, 1037. 2 Vgl. http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2016/ november/stellungnahme-der-brak-2016-39.pdf, S. 7 (abgerufen am: 17.7.2020); vgl. auch KG v. 3.5.2017 – 4 Ws 61/17, juris. 3 Zum Ganzen Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 12 ff.; Madauß, NZWiSt 2013, 128. 4 LG Hamburg v. 16.5.2018 – 618 Qs 14/18, juris unter Verweis auf Huber in BeckOK StPO, § 111e StPO Rz. 17 (Stand: Januar 2018), das im StPO Arrest eine stärkere und effektivere Sicherungsmöglichkeit sieht.

Peters | 241

Kap. 6 Rz. 6.487 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

gigkeit ausgehen,1 kann nicht gefolgt werden, da die systematischen Unterschiede nicht berücksichtigt werden.

6.488

Die Ansicht, dass im Steuerstrafverfahren aufgrund der Möglichkeit eines abgabenrechtlichen Arrestes der strafprozessuale dingliche Arrest ganz oder zumindest teilweise ausgeschlossen ist, liegt darin begründet, dass das Finanzamt die gegenüber anderen Geschädigten effektivere Möglichkeit hat, selbst eine steuerliche Arrestanordnung nach § 324 AO zu erlassen. Wird davon kein Gebrauch gemacht, besteht für einen strafprozessualen Arrest kein Bedürfnis, zumal der steuerliche Arrest in Höhe des vollen Betrags gegen jeden Beteiligten ergehen kann, indes beim strafprozessualen Arrest nur das abzuschöpfen ist, was der Täter/Teilnehmer auch tatsächlich erlangt hat. Dies ist im Wesentlichen damit zu begründen, dass in einem solchen Fall kein Rechtsschutzbedürfnis des Fiskus gegeben ist, denn es besteht keine Notwendigkeit, die Ansprüche des Steuerfiskus durch strafprozessuale Maßnahmen zu sichern.2 Das Nebeneinander von strafrechtlichem und steuerlichem Arrest wurde im Rahmen der Reform der Vermögensabschöpfung nicht diskutiert.3

6.489

Nach überwiegender Ansicht und nunmehr auch nach dem Gesetzeswortlaut verdrängt der steuerliche Arrest gem. § 324 AO den strafprozessualen Arrest aber auch nicht.4 Die Anordnung eines strafprozessualen Arrestes ist in der Praxis dann die effektivere und schnellere Möglichkeit, auf Vermögen des Täters zuzugreifen. Während § 324 AO an vergleichsweise enge formale Voraussetzungen geknüpft ist, kann im Wege des strafprozessualen Arrestes verhältnismäßig einfach eine vorläufige Sicherung betrieben werden. Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch die unterschiedlichen Zielrichtungen des abgabenrechtlichen und des strafprozessualen dinglichen Arrestes. Der strafprozessuale Arrest bezweckt, dem Täter das rechtswidrig erlangte Vermögen zu entziehen, unabhängig davon, ob der Geschädigte (s)einen Ersatzanspruch geltend macht.

6.490

Steuerlicher und strafprozessualer Arrest stehen somit grds. nebeneinander. Gleichwohl kann die Möglichkeit des Fiskus zur Selbsthilfe im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Bedeutung sein, wenn die Finanzbehörde trotz Erlasses von Steuerbescheiden keine Sicherungsmaßnahmen ergreift.5

6.491

Wenn steuerlicher und strafrechtlicher Arrest auch ähnlich ausgestaltet sind, ergeben sich aber erhebliche praktische Unterschiede dadurch, dass der steuerliche Arrest nur unter strengen formalen Voraussetzungen vom zuständigen Finanzamt angeordnet werden kann. Demgegenüber ist über den durch die Strafverfolgungsbehörden anzuordnenden strafrecht1 BT Drucks. 18/9525, 78; zur Kritik vgl. auch die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes http:// www.drb.de/stellungnahmen/2016/vermoegensabschoepfung-ii.html. (abgerufen am: 17.7.2020); anders wohl KG v. 3.5.2017 – 4 Ws 61/17, juris. 2 OLG Oldenburg v. 26.12.2007 – 1 Ws 554/07, wistra 2008, 119; OLG Düsseldorf v. 22.2.2002 – 2 Ws 375/01, NStZ-RR 2002, 173. 3 Vgl. auch die Kritik bei Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 12, 26. 4 Ebenso BGH v. 28.11.2000 – 5 StR 371/00, wistra 2001, 96; OLG Schleswig v. 28.7.2009 – 2 Ws 290/09; OLG Schleswig v. 9.6.2009 – 2 Ws 208/09; OLG Zweibrücken v. 8.4.2009 – 1 Ws 339/08, wistra 2009, 484; OLG Celle v. 20.5.2008 – 2 Ws 155/08, wistra 2008, 359; OLG Oldenburg v. 26.11.2007 – 1 Ws 554/07, wistra 2008, 119; LG Halle/Saale v. 20.8.2008 – 22 Qs 15/08, wistra 2009, 39; LG Düsseldorf v. 31.7.2008 – 152 Gs 1317/08; Roth, wistra 2010, 335; a.A. LG Saarbrücken v. 5.5.2008 – 2 Qs 22/08, NStZ-RR 2008, 284; LG Berlin v. 6.3.2006 – 526 Qs 47 – 49/2006, wistra 2006, 358; LG Hamburg v. 16.5.2018 – 618 Qs 14/18, juris. 5 LG Saarbrücken v. 19.3.2008 – 2 Qs 5/08, wistra 2008, 240; KG v. 3.5.2017 – 4 Ws 61/17, juris.

242 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.495 Kap. 6

lichen Arrest regelmäßig ein schnellerer Zugriff auf Vermögensgegenstände des beschuldigten Steuerpflichtigen möglich. Da das strafrechtliche Arrestverfahren keine Befriedigung des Steuergläubigers bewirkt, ist dieser gehalten, sich außerhalb des Strafverfahrens einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen und aus diesem die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Das kann entweder im Wege des steuerlichen Festsetzungsverfahrens durch Erlass von Steuerbescheiden oder – auf schnellerem Wege – nach § 324 AO durch Anordnung des steuerrechtlichen Arrestes geschehen. Sobald dies erfolgt ist, wird der strafprozessuale Arrest aufgehoben, soweit er lediglich zugunsten des Fiskus angeordnet worden ist.

6.492

Die Arrestierung von Vermögenswerten in Steuerstrafverfahren ist daher auch weiterhin kritisch zu sehen.1 Zu begründen ist dies mit dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis des Steuerfiskus,2 da die Finanzverwaltung selbst die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung schaffen kann, sodass der erforderliche Arrestgrund3 bzw. die entsprechende Verhältnismäßigkeit bei Steueransprüchen des Staates regelmäßig nicht gegeben sind. Die Anordnung eines Arrestes im frühen Ermittlungsstadium kann zu einer Übersicherung und damit zu einem Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz4 führen und – auch angesichts der praktisch beschränkten Rechtsbehelfsmöglichkeiten – für den Betroffenen existenzbedrohend sein. Insbesondere bei streitigen Rechtsfragen scheidet die Anordnung eines Arrests aus.5

6.493

Angesichts dessen stellte auch die Rspr. an die Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahmen nach alter Rechtslage zu Recht strenge Anforderungen. So mussten die Sicherungsmaßnahmen nach sechs Monaten durch den Richter aufgehoben werden, wenn keine dringenden Gründe vorlagen (§ 111b Abs. 3 Satz 1 StPO a.F.), etwa bei einer Verfahrenseinstellung nach § 154a StPO,6 erst recht, wenn sich die Verdachtsgründe nicht bestätigt haben.7 Bei Vorliegen „besonderer Schwierigkeit“ oder wegen des „besonderen Umfangs der Ermittlungen“ war eine Verlängerung der Maßnahme durch das Gericht möglich. Fehlten dringende Gründe, durfte die Maßnahme nach § 111b Abs. 2 StPO a.F. nicht über zwölf Monate hinaus aufrechterhalten werden (§ 111b Abs. 3 Satz 2 und 3 StPO a.F.).8

6.494

Darüber hinaus konnte sich die Fortdauer einer Arrestanordnung als unverhältnismäßig darstellen, wenn der Fiskus keine eigenen Sicherungsmaßnahmen ergreift. Eine Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr sollte hierfür ein starkes Indiz sein.9 In der Rspr. ließ sich zuneh-

6.495

1 Vgl. Joecks in J/J/R8, Rz. 94; Park, StraFo 2002, 73 (77); vgl. auch die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes http://www.drb.de/stellungnahmen/2016/vermoegensabschoepfung-ii.html (abgerufen am: 17.7.2020), wo insbes. die fehlende Fristsetzung moniert wird; krit. auch Krumm in T/ K, § 375 AO Rz. 13. 2 Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 13. 3 Dazu eingehend Bittmann/Kühn, wistra 2002, 248; Hellerbrand, wistra 2003, 201 (202). 4 Zu dieser Grenze auch bei Arrestanordnungen BVerfG v. 7.6.2005 – 2 BvR 1822/04, StraFo 2005, 338; BVerfG v. 14.6.2004 – 2 BvR 1136/03, wistra 2004, 378 (381 ff.). 5 BVerfG v. 7.6.2005 – 2 BvR 1822/04, StraFo 2005, 338; Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 13. 6 OLG Schleswig v. 30.7.2002 – 1 Ws 227/02, juris. 7 Zu den Grenzen der Rückgewinnungshilfe gem. § 111i StPO vgl. auch LG Berlin v. 13.1.2004 – 505 – 9/03, wistra 2004, 280. 8 Nach teilweise vertretener Ansicht soll dies nunmehr im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sein, Rettke, wistra 2017, 417 (421). 9 Vgl. LG Landshut v. 4.11.2002 – 3 Qs 364/02, wistra 2003, 199: mehr als eineinhalb Jahre; LG Bochum v. 5.12.2007 – 12 Qs 20/07, wistra 2008, 237: rund 15 Monate.

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Kap. 6 Rz. 6.495 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

mend die Tendenz hin zu einer zeitlichen Befristung der zugunsten des Fiskus ergriffenen Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe erkennen. So wurde wiederholt eine erhebliche Reduzierung des Sicherungsbedürfnisses angenommen, wenn die Finanzverwaltung ohne erkennbare Gründe weder im Wege des steuerlichen Arrestes noch durch Beitreibung festgesetzter Steuerbeträge tätig geworden ist.1 Denn strafprozessuale Arrestanordnungen zur Rückgewinnungshilfe sollen dem Fiskus als Tatverletzten nicht eigene Arbeit und Mühe abnehmen, sondern ihn nur insoweit unterstützen, wie dies zur Durchsetzung der Ansprüche erforderlich ist.2 Im Rahmen einer vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung3 kann es dann geboten erscheinen, das für den Erlass des dinglichen Arrestes erforderliche Sicherungsbedürfnis des Steuerfiskus hinter dem Eigentumsrecht des Beschuldigten zurücktreten zu lassen, wie dies etwa das LG Saarbrücken4 wie folgt begründet hat: „Ein dinglicher Arrest greift regelmäßig nachhaltig in die Eigentumsrechte des Betroffenen ein. Deshalb kommt der vom Gericht vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung besondere Bedeutung zu (vgl. z.B. BVerfG v. 7.6.2005 – 2 BvR 1822/04, StraFo 2005, 338 ff.; BVerfG v. 14.6.2004 – 2 BvR 1136/03, wistra 2004, 378 ff.). Im Rahmen der hierbei vorzunehmenden Abwägung ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Steuerfiskus von der gesetzlichen Möglichkeit, selbst einen dinglichen Arrest nach § 324 AO zu erlassen, ohne erkennbaren Grund keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl ihm dieselben Informationen wie den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung standen. Dies gilt insb. im Hinblick darauf, dass das Finanzamt bereits am 24.1.2008 Steuerbescheide erlassen hat, mit denen der Beschuldigte zu Steuernachzahlungen in beträchtlicher Höhe aufgefordert worden ist. Standen damit für die Steuerbehörden die vom Beschuldigten zu leistenden Steuernachzahlungen dem Grunde und der Höhe nach fest, so hätte es nahegelegen, zeitnah einen dinglichen Arrest in gleicher Höhe anzuordnen, was eine strafprozessuale Arrestanordnung überflüssig gemacht hätte. [...] Sieht aber ein Geschädigter, der – wie der Steuerfiskus – sich selbst einen Arresttitel ausstellen kann, hiervon ab, so zeigt sich darin zumindest ein fehlendes oder stark eingeschränktes Sicherungsbedürfnis, das einer strafprozessualen Arrestanordnung zur Rückgewinnungshilfe entgegenstehen kann (so ausdrücklich OLG Oldenburg v. 26.11.2007 – 1 Ws 554/07, StraFo 2008, 25 f.).“

6.496

Auch vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage gelten diese Ausführungen sinngemäß. Die Anforderungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz werden vor dem Hintergrund der Neuregelung der Vermögensabschöpfung nicht suspendiert.5

6.497

Es gilt weiterhin der Grundsatz, dass die Finanzbehörde, anders als sonstige Geschädigte oder Verletzte, über eigene Sicherungsmöglichkeiten verfügt.6 Macht die originär zuständige und sachnähere Finanzbehörde von den ihr zur Verfügung stehenden Sicherungsmöglichkeiten 1 Vgl. OLG Oldenburg v. 26.11.2007 – 1 Ws 554/07, wistra 2008, 119; LG Bochum v. 5.12.2007 – 12 Qs 20/07, wistra 2008, 237 m. Anm. Alvermann/Talaska; vgl. auch Webel, wistra 2004, 249 (253). 2 OLG Oldenburg v. 26.11.2007 – 1 Ws 554/07, wistra 2008, 119; OLG Düsseldorf v. 20.2.2002 – 2 Ws 375 – 377/01, StV 2003, 547. 3 OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, ZWH 2018, 79 m. Anm. Greeve. 4 LG Saarbrücken v. 19.3.2008 – 2 Qs 5/08, wistra 2008, 240; auf gleicher Linie KG v. 3.5.2017 – 4 Ws 61/17, juris. 5 Unzutr. daher Rettke, wistra 2017, 417 (420), der die Möglichkeit des steuerlichen Arrestes nicht mehr in der Verhältnismäßigkeit prüfen will und zur Begründung allein auf den Wortlaut von § 111e Abs. 6 StPO verweist. 6 Vgl. auch BT-Drucks. 18/9525, 79, wo der Gesetzgeber dieses Argument anführt, um die Privilegierung des Fiskus im Insolvenzverfahren zu beseitigen. Die Gesetzesbegründung ist auch insofern widersprüchlich, als dass, wenn der strafprozessuale Arrest (nur) wegen einer Steuerstraftat angeordnet wird, keine weiteren Verletzten oder Geschädigten existieren; vgl. auch Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 12 ff.

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J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.502 Kap. 6

keinen Gebrauch, kann im Einzelfall das in § 111e Abs. 1 StPO normierte Ermessen reduziert sein.1 Dies gilt insbesondere, wenn die Steuerfahndung bereits seit längerem ermittelt und mit Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft nunmehr einen Arrest anregt. Es hätte nähergelegen, den steuerlichen Arrest in Anlehnung an die gleichsam in der AO geregelten Steuerstraftaten entsprechend anzupassen. Auch im Hinblick auf die steuerlichen Rechtsschutzmöglichkeiten wird zukünftig fraglich sein, warum sich ein Strafrichter inbesondere bei komplexen Fragen des Internationalen Steuerrechts mit der Frage des Ob und der Höhe des Steueranspruchs2 auseinandersetzen soll, wenngleich die sachnäheren Finanzbehörden und Finanzgerichte hierzu gleichsam und qualifizierter insbesondere bei streitigen Steueransprüchen berufen wären.

6.498

Auch von der Intention der dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zugrundeliegenden Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.4.2014 wird die Gleichstellung von steuerlichem und strafprozessualem Arrest nicht getragen. Sinn und Zweck der Richtlinie war maßgeblich die Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität. Vor diesem Hintergrund wird die praktische Anwendung strafprozessualer Arreste in Steuerstrafverfahren auf organisierte Umsatzsteuer- und Verbrauchsteuerkarusselle, mithin den Bereich der bandenmäßigen Steuerhinterziehung, beschränkt bleiben.

6.499

Ein strafprozessualer Vermögensarrest (auch) zugunsten des Fiskus kommt aber dann in Betracht, wenn die Steuerstraftat mit weiteren Straftaten aus dem allgemeinen Strafrecht (Bestechung, Urkundenfälschung, Vorenthalten von Arbeitnehmerentgelt) zusammenfällt.3 Auch aufgrund der Persönlichkeit des Täters kommt in Ausnahmefällen die Anordnung eines Vermögensarrests in Betracht. Dies kann namentlich der Fall sein, wenn Steuerschäden in erheblichem Ausmaß, Verschleierungsbemühungen oder Bezüge zur organisierten Kriminalität im Raume stehen.4 Auch in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens wird man die Anordnung eines strafprozessualen Vermögensarrestes für zulässig erachten müssen, wenn die Voraussetzungen für einen abgabenrechtlichen Vermögensarrest noch nicht vorliegen. Erforderlich hier ist, dass die entsprechende Steuerstraftat überwiegend wahrscheinlich ist.5

6.500

Lehnt die Finanzbehörde einen abgabenrechtlichen Arrest nach § 324 AO ab, bedeutet dies nicht zwingend, dass die StA nunmehr verpflichtet ist, vermögensabschöpfende Maßnahmen zu ergreifen. Lehnt die Finanzbehörde die Ergreifung eigener Sicherungsmaßnahmen ab, sind besondere Gründe erforderlich, warum nun ein strafprozessualer Zeitarrest zwingend sein soll.

6.501

3. Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung (§§ 111e ff. StPO) Ist die Annahme begründet, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen, so kann gem. § 111e Abs. 1 StPO zur Sicherung der Vollstreckung der Vermögensarrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Betroffenen angeordnet werden. Liegen

1 A.A. LG Hamburg v. 16.5.2018 – 618 Qs 14/18, m. Anm. Ohlmeier/Struckmeyer, wistra 2018, 419; vgl. auch LG Hamburg v. 3.8.2018 – 632 Qs 28/18, juris. 2 Zu diesem Aspekt Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 12 ff. 3 BGH v. 31.8.2008 – 5 StR 631/07, wistra 2008, 262. 4 BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, BGHSt 53, 311. 5 LG Halle v. 20.8.2008 – 22 Qs 15/08, wistra 2009, 39.

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6.502

Kap. 6 Rz. 6.502 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

dringende Gründe für diese Annahme vor, so soll der Vermögensarrest angeordnet werden. Der Vermögensarrest sichert den Zahlungsanspruch des Staates gegen den Einziehungsadressaten und ist von seiner Rechtsnatur her ein vorläufiger Zahlungstitel, welcher die StA zu Vollstreckungsmaßnahmen in das Vermögen des Betroffenen berechtigt. Die Vollziehung führt zu einem Veräußerungsverbot. Durch die Vollstreckung des Vermögensarrestes werden Sicherungspfandrechte an den betreffenden Gegenständen begründet, welche von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen grundsätzlich nicht berührt werden. Eine Ausnahme besteht für § 111h StPO, soweit dem Verfahren eine Steuerstraftat zugrundeliegt.

6.503

Terminologisch ist nunmehr vom sog. Vermögensarrest statt vom dinglichen Arrest die Rede. Das Verfahren erfolgt parallel: Auf der einen Seite erfolgt die Beschlagnahme/Einziehung und der Vermögensarrest, auf der anderen Seite erfolgt die Wertersatzeinziehung. Ersparte Aufwendungen sind immer Wertersatz, sodass auch die Steuerhinterziehung nach § 73a StGB erfasst wird.1 Problematisch ist jedoch, dass im Steuerstrafrecht zu Beginn des Verfahrens meist gar nicht absehbar ist, was dem Täter tatsächlich wirtschaftlich zugeflossen ist. Unzulässig ist es, die hinterzogenen Steuern mit dem Arrestbetrag gleichzusetzen, ohne weitere Anhaltspunkte, dass auch ein entsprechender Betrag dem Täter wirtschaftlich zugeflossen ist (vgl. oben unter Rz. 6.412). Es gilt das zur Höhe der Einziehung ausgeführte.

6.504

Im Falle der Annahme, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen, kann nunmehr zur Sicherung der Vollstreckung der Vermögensarrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Betroffenen angeordnet werden. Im Falle dringender Gründe soll sogar der Vermögensarrest angeordnet werden (§ 111e Abs. 1 Satz 2 StPO). Die inhaltlichen Voraussetzungen sind dem steuerlichen Arrest entlehnt. Zur Anordnung ist der zu sichernde Anspruch unter Angabe des Geldbetrages zu bezeichnen. Zudem ist in der Anordnung der Geldbetrag festzusetzen, durch dessen Hinterlegung der Betroffene die Vollziehung des Arrestes abwenden und die Aufhebung der Vollziehung des Arrestes verlangen kann (§ 111e Abs. 4 StPO). Im Falle der Hinterlegung des festgesetzten Geldbetrags ist die Vollziehungsmaßnahme aufzuheben. Die Vollziehung des Vermögensarrestes bewirkt ein Veräußerungsverbot i.S.d. § 136 BGB. Zwangsvollstreckungen in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden sind, sind während der Dauer der Arrestvollziehung nicht zulässig. Die Vollziehung einer Arrestanordnung nach § 324 AO bleibt unberührt, soweit der Arrestanspruch aus der Straftat erwachsen ist.

XVI. Verfahrensablauf im Ermittlungsverfahren 1. Überblick 6.505

Das mit der Steuerstraftat „Erlangte“ sind die ersparten Steuern2 bzw. der Auszahlungsanspruch gegenüber der Finanzbehörde in den Fällen der Vorsteuererstattung. Die Einziehung des Taterlangten ist nach neuem Gesetz zwingend vorgeschrieben. Ein Absehen von der Einziehung kann nur in den nach § 421 StPO geregelten Fällen erfolgen. Beschlagnahme und Vermögensarrest werden im Ermittlungsverfahren durch das Gericht auf Antrag der StA angeordnet (§ 111j Abs. 1 StPO). Anträge können auch durch die Strafsachen- und Bußgeldstelle erfolgen.3 1 BGH v. 11.5.2016 – 1 StR 118/16, wistra 2016, 41; Fischer67, § 73 StGB Rz. 9; Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 24. 2 Krumm in T/K, § 375 AO Rz. 24. 3 Vgl. den Fall OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, juris.

246 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.509 Kap. 6

Bei Gefahr im Verzug ist auch die StA zur Anordnung berechtigt, beantragt jedoch innerhalb einer Woche die gerichtliche Bestätigung der Anordnung. Der Betroffene kann in sämtlichen Fällen die Entscheidung des Gerichts beantragen, dessen Zuständigkeit sich nach § 162 StPO bestimmt, d.h. zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der entsprechende Antrag beim Ermittlungsrichter zu stellen gewesen wäre. Es genügt grundsätzlich ein einfacher Tatverdacht; daher kann theroetisch auch bei einem niedrigen Tatverdacht die Einziehung angeordnet werden. Angesichts der weitreichenden, finanziellen Folgen ist die zu beobachtende Praxis, dass das zur Entscheidung berufene Gericht lediglich durch die StA vorformulierte „Beschlussanregungen“ übernimmt, kritisch zu sehen. Sowohl der Antrag als auch der Beschluss müssen eine eigene Prüfung in der Sache erkennen lassen. Der Arrestgrund ist ausführlich darzulegen-1 Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass die bisherige Rspr. zur Frage des Arrestgrundes fortgilt.

6.506

2. Arrestantrag/Arrestbeschluss Angesichts der erheblichen finanziellen Auswirkungen beim Beschuldigten ist bereits der Arrestantrag ausreichend zu begründen. Genauso wie bei Durchsuchungs- und Haftbefehlsanträgen muss eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Fall erkennbar sein. Im Internationalen Steuerstrafrecht kommt hinzu, dass der inländische Arrestbeschluss einem Rechtshilfeersuchen beizufügen ist und auf diesem Wege auch den ausländischen Behörden zur Kenntnis gelangt.

6.507

Angesichts der weitreichenden Folgen für den Beschuldigten wird die ungeprüfte Übernahme von Erkenntnissen der Steuerfahndung oder der Hauptzollämter i.d.R. nicht in Betracht kommen. Der Arrestantrag muss zwischen verschiedenen Tatzeiträumen und Steuerarten differenzieren und den Steueranspruch an sich nachvollziehbar darlegen. Dabei sind Verweise auf die bisherigen Ermittlungen der Steuerfahndung solange unschädlich, wie auch hier eine eigene Befassung erkennbar ist. Auch das Gericht kann die vorläufige Berechnung der Finanzverwaltung übernehmen, sofern nur erkennbar ist, dass sich das Gericht mit eigener Sachkunde von Richtigkeit überzeugt hat und nicht bloß pauschal die vorläufigen Ergebnisse der Steuerfahndung übernommen hat. Die Anordnung muss wie Durchsuchungsanordnungen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernissen genügen.2

6.508

Die Arrestanordnung ist wirksam bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Sie ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen entfallen oder der weitere Fortbestand des Arrestes unverhältnismäßig ist.3 Nach § 111b Abs. 3 Satz 1 StPO a.F. rechtfertigte ein einfacher Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO den ursprünglichen Arrest nur für maximal sechs Monate.4 Bei über 12 Monate hinausgehender Dauer bedurfte es gem. § 111b Abs. 3 Satz 3 StPO a.F. dringender Gründe, die dem dringenden Tatverdacht entsprechen.5 Der Betroffene

6.509

1 BVerfG v. 17.4.2015 – 2 BvR 1986/14, wistra 2015, 348. 2 KG v. 3.5.2017 – 4 Ws 61/17, juris; BVerfG v. 29.5.2006 – 2 BvR 820/06, wistra 2006, 337; BVerfG v. 14.6.2004 – 2 BvR 1136/03, wistra 2004, 378; BVerfG v. 7.6.2005 – 2 BvR 1822/04, juris. 3 BVerfG v. 7.6.2005 – 2 BvR 1822/04, StraFo 2005, 338; OLG Düsseldorf v. 20.2.2002 – 2 Ws 375, 377/01, NStZ-RR 2002, 173; OLG Frankfurt v. 5.1.1996 – 3 Ws 92/96, NStZ-RR 1996, 255; LG Halle v. 6.9.2006 – 28 KLs 25/06, wistra 2007, 120. 4 BGH v. 12.7.2007 – StB 5/07, NStZ 2008, 419; OLG Celle v. 11.2.2008 – 1 Ws 50/08, NStZ-RR 2008, 203; OLG Zweibrücken v. 27.8.2002 – 1 Ws 407/02, NStZ 2003, 446; zur Dauer von maximal sechs Monaten vgl. OLG Hamburg v. 27.11.2008 – 2 Ws 197/08, StV 2009, 122. 5 OLG Köln v. 18.6.2003 – 2 Ws 343/03, StV 2004, 121; vgl. auch LG Landshut v. 4.11.2002 – 3 Qs 364/02, wistra 2003, 199; bei mehr als eineinhalb Jahren LG Bochum v. 5.12.2007 – 12 Qs 20/07, wistra 2008, 237.

Peters | 247

Kap. 6 Rz. 6.509 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

ist vor der Entscheidung über den Arrest gem. § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht anzuhören. Die gem. § 35 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht formgebundene Bekanntgabe der Arrestanordnung erfolgt nach ihrer Vollziehung gegenüber dem Betroffenen. Die Vollziehung ist – im Gegensatz zum AO-Arrest – nicht gem. § 929 Abs. 2 ZPO befristet.

6.510

Damit ein Arrest nach der StPO zulässig ist, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein.

6.511

Es muss ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet sein, d.h. es besteht der Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung.

6.512

Es muss ein einfacher oder dringender Tatverdacht1 bestehen, dass in bestimmter oder geschätzter Höhe Vermögensvorteile aus einer Steuerhinterziehung erlangt wurden und die Einziehung eines bestimmten Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich ist.

6.513

Es muss die Besorgnis bestehen, dass ohne die Sicherstellung die Nachzahlung oder die Beitreibung der verkürzten Steuerbeträge vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (Arrestgrund). Durch die Neuregelung in § 111e Abs. 1 StPO n.F. und ersatzlose Aufhebung des § 111d Abs. 2 StPO a.F. ist der Verweis auf § 917 ZPO (Arrestgrund bei dinglichem Arrest), mithin die Besorgnis einer Erschwerung oder wesentlichen Vereitelung der Forderungsvollstreckung, zwar entfallen. Das bisherige Erfordernis eines „Arrestgrundes“ und die dazu ergangene Rspr. sollten indes nicht tangiert werden.2 Dies wird in der Praxis bisweilen anders gehandhabt. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll somit nach der ab 1.7.2017 geltenden Regelung der Vermögensarrest wie bisher nur zulässig sein, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung der Einziehung erforderlich ist.

6.514

Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein. Bei geringen Verkürzungen scheidet ein Arrest aus. Die Anordnung unterliegt in jedem Fall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.3 Dabei ist insbesondere der Umfang der jeweiligen Sicherungsmaßnahme zu berücksichtigen: Wird (nahezu) das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Beschuldigten entzogen, ist eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich.4 Allein die Höhe der verkürzten Summe kann die Verhältnismäßigkeit nicht rechtfertigen, etwa bei Differenzen im Bereich Umsatzsteuer auf Konzernebene oder wenn der in Rede stehende Steueranspruch streitig ist.

1 OLG Nürnberg v. 20.12.2018 – 2 Ws 627/18; OLG Hamburg v. 26.10.2018 – 2 Ws 183/18, juris; vgl. Niemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 11 Rz. 123. 2 BT-Drucks. 18/9525, 49; OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, ZWH 2018, 79 m. Anm. Greeve. 3 BVerfG v. 14.6.2004 – 2 BvR 1136/03, StV 2004, 409; BVerfG v. 3.5.2005 – 2 BvR 1378/04, wistra 2005, 335; BVerfG v. 29.5.2006 – 2 BvR 820/06, StV 2006, 449; BVerfG v. 17.7.2008 – 2 BvR 2182/ 06, WM 2008, 1588; OLG Celle v. 20.5.2008 – 2 Ws 155/08, StV 2009, 120; OLG Köln v. 30.3.2004 – 2 Ws 105/04, NJW 2004, 2397; OLG Köln v. 10.2.2004 – 2 Ws 704/03, StV 2004, 413; OLG Stuttgart v. 11.4.2007 – 2 Ws 41/07, wistra 2007, 276; OLG Frankfurt v. 22.4.2008 – 3 Ws 372/08, StV 2008, 624; OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, ZWH 2018, 79 m. Anm. Greeve. 4 BVerfG v. 29.3.2006 – 2 BvR 820/06, NStZ 2006, 639; LG Halle v. 20.8.2008 – 22 Qs 15/08, wistra 2009, 39.

248 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.517 Kap. 6

3. Sicherungsgründe Hinsichtlich der möglichen Sicherungsgründe bestehen grds. keine Unterschiede zum steuerlichen Arrest,1 auch wenn die StPO entsprechende Sicherungsgründe nicht ausdrücklich aufführt. Gem. § 111e Abs. 1 StPO kann der Vermögensarrest in das bewegliche Vermögen des Beschuldigten dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung erforderlich ist. Erforderlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn zu besorgen steht, dass die künftige Vollstreckung ohne Anordnung eines Arrestes vereitelt oder wesentlich erschwert werden wird.2 Durch die Neuregelung in § 111e Abs. 1 StPO und ersatzlose Aufhebung des § 111d Abs. 2 StPO i.d.F. vom 17.7.2015 ist der Verweis auf § 917 ZPO (Arrestgrund bei dinglichem Arrest), mithin die Besorgnis einer Erschwerung oder wesentlichen Vereitelung der Forderungsvollstreckung, entfallen, womit jedoch das bisherige Erfordernis eines „Arrestgrundes“ und die dazu ergangene Rspr. nicht tangiert werden sollen.3 Bereits die Gesetzesbegründung stellte klar, dass sich nach dem gesetzgeberischen Willen das Erfordernis eines Sicherungsgrundes als Ausprägung des Übermaßverbotes nunmehr unmittelbar aus der StPO ergeben soll, da der Vermögensarrest nur zur Sicherung der Vollstreckung einer Wertersatzeinziehung angeordnet werden dürfe.4 Es besteht kein Grund, die Vollstreckung der gerichtlichen Wertersatzeinziehung zu sichern, wenn der Betroffene über ausreichendes Vermögen verfügt. Besteht kein Sicherungsbedürfnis, darf auch nach neuem Recht kein Vermögensarrest angeordnet werden.5

6.515

Somit ist der Arrest weiterhin nur zulässig, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung der Einziehung erforderlich ist. Eine Notwendigkeit für die Sicherung der Vollstreckung, dass also die Vollstreckung ohne den Arrest gefährdet sein muss, gibt der Gesetzeswortlaut indes nicht (mehr) vor. Die Erforderlichkeit (und Notwendigkeit) soll nach der Rspr. zum einen dann gegeben sein, wenn der Tatbestand eines vermögensbezogenen Strafgesetzes erfüllt sein könnte;6 zum anderen, wenn der Täter seine Vermögensverhältnisse verschleiert oder Vermögenswerte versteckt.

6.516

Diskutiert wird, ob eine einfache Steuerhinterziehung für die Anordnung ausreichend sein kann. Die überwiegende Ansicht bejaht dies unter Hinweis auf die Tatsache, dass es sich um eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Straftat handelt und dies die Gefahr einer Vollstreckungserschwerung bzw. Vereitelung indiziert.7 Angesichts der Tatsache, dass die Frage der Steuerhinterziehung stets von der Bejahung eines steuerlichen Anspruchs abhängig ist, dessen

6.517

1 BT-Drucks. 18/9525, 49; OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, ZWH 2018, 79 m. Anm. Greeve. 2 OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, juris; OLG Nürnberg v. 20.12.2018 – 2 Ws 627/18. 3 Vgl. auch Greeve, ZWH 2018, 83. 4 BT-Drucks. 18/9525, 49. 5 Unzutr. daher Rettke, wistra 2017, 417 (419); Madauß, NZWiSt 2018, 28 (30). 6 OLG Stuttgart v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, juris, unter Verweis auf OLG Rostock v. 19.12.2013 – Ws 320/13, juris, Rz. 28. 7 BGH v. 24.3.1983 – III ZR 116/82, WM 1983, 614; OLG Hamm v. 26.2.2013 – III-1 Ws 534/12, ZWH 2013, 139; KG v. 7.1.2010 – 23 W 1/10, wistra 2010, 116 (zum Eingehungsbetrug); OLG Dresden v. 13.2.1998 – 9 W 0197/98, 9 W 197/98, MDR 1998, 795; OLG Düsseldorf v. 9.6.1985 – 4 U 69/86, NJW-RR 1986, 1192; OLG Frankfurt v. 21.1.2005 – 3 Ws 42/05, NStZ-RR 2005, 111; OLG Stuttgart v. 11.4.2007 – 2 Ws 41/07, 2 Ws 41/2007, wistra 2007, 276; LG Halle v. 20.8.2008 – 22 Qs 15/08, wistra 2009, 39; LG Kiel v. 16.7.2004 – 37 Qs 44/04, wistra 2004, 440; OLG Hamburg v. 26.10.2018 – 2 Ws 183/18, juris; Bittmann/Kühn, wistra 2002, 248; Hellerbrand, wistra 2003, 201; Schäfer in Löwe/Rosenberg27, § 111d StPO Rz. 14; a.A. Werner, PStR 2002, 8.

Peters | 249

Kap. 6 Rz. 6.517 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

Grund und Höhe nicht selten Gegenstand der Auseinandersetzung ist, wird man differenzieren müssen. Stehen streitige Rechtsfragen im Raum, die über eine Steuerpflicht entscheiden, kommt die Anordnung eines strafprozessualen Arrestes nur bei Vorliegen weiterer gewichtiger Indizien in Betracht (Steuerflucht, Verlagerung des Betriebs).

6.518

Nach hiesigem Dafürhalten wird bei einer leichtfertigen Steuerverkürzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Arrest nicht in Betracht kommen. Ein Sicherungsgrund wird auch im Strafverfahren namentlich dann gegeben sein, wenn auch in steuerlicher Hinsicht ein Arrest nach § 324 AO unter den dort normierten Voraussetzungen in Betracht kommt. Allein die Tatsache, dass der Tatbestand eines vermögensbezogenen Strafgesetzes erfüllt sein soll, genügt gegen nicht.

6.519

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich um eine Maßnahme mit weitreichenden finanziellen Folgen für den Beschuldigten handelt, die im Extremfall zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz führen kann, mithin also eine hohe Eingriffsintensität zu verzeichnen ist, wird man an der Bejahung der Notwendigkeit eines Sicherungsgrundes nicht vorbeikommen. Nach hier vertretener Ansicht kommen die gleichen Sicherungsgründe wie beim steuerlichen Arrest in Betracht. Folgende Umstände können Anlass für einen Arrest sein:1 – Verschieben von Vermögenswerten auf eine andere Person; – leichte, nicht nachzuvollziehende Veräußerbarkeit von Wertgegenständen (z.B. Uhrensammlungen, Schmuck, Wertgegestände ohne Inhaberpapier, wie z.B. Autos); – Verschleuderung von Vermögenswerten durch den Steuerpflichtigen oder Übertragungen auf nahe Angehörige; – einseitige Begünstigung eines Gläubigers; – beabsichtigte Belastung des einzigen noch zur Verfügung stehenden Wertgegenstandes bis zur Wertgrenze; – Veräußerung von Grundbesitz; – Einbringung eines wesentlichen Teils des unbelasteten inländischen Grundbesitzes in eine KG; – Beseitigung von Geschäftsunterlagen; – Verschwendungssucht; – nachhaltige Schmälerung des Betriebsvermögens durch die Einbuchung von Scheinrechnungen; – Wegschaffen von Vermögen ins Ausland; – mutwillige Verletzung der Mitwirkungspflichten.

6.520

Die Vermögensverlagerung ins Ausland kann ebenso wie die Vermögensumschichtung im Inland einen Arrestgrund abgeben. So kann eine wesentliche Erschwerung der Vollstreckung vorliegen, wenn ein späteres Leistungsgebot im Ausland vollstreckt werden müsste, falls nicht durch Arrestanordnung im Inland die Beitreibung gesichert war.2 Demgegenüber vermag die allgemein schlechte Vermögenslage des Arrestschuldners ebenso wie die bloße Möglichkeit, 1 Vgl. auch die Beispiele bei Loose in T/K, § 324 AO Rz. 15 ff. 2 BFH v. 26.2.2001 – VII B 265/00, BFHE 194, 40 = DStR 2001, 464.

250 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.525 Kap. 6

dass der Arrestschuldner sein Vermögen beiseiteschaffen könnte, für sich genommen keinen Arrest zu rechtfertigen. Ebenso genügt der dringende Verdacht einer Steuerhinterziehung oder sonstige steuerliche Unzuverlässigkeit für sich allein nicht zur Begründung einer Arrestanordnung.

6.521

Nicht ausreichend sind: – Möglichkeit des Verbrauchs oder schlechte Vermögensverhältnisse; – bloßer Verdacht der Steuerhinterziehung oder steuerliche Unzuverlässigkeit;1 – Auslandskontakte; – bloße Ausländereigenschaft;2 – Rangwahrung; – Verlegung des Geschäftssitzes; – Nichtabgabe von Steuererklärungen.

4. Befristung Anders als noch nach alter Rechtslage ist die Vollziehung des Arrestes zeitlich nicht befristet. Bereits was die Arrestierung als solche betrifft, besteht ein Widerspruch zum steuerlichen Arrest. Nach § 324 Abs. 3 AO ist die Vollziehung der Arrestanordnung unzulässig, wenn seit dem Tag, an dem die Anordnung unterzeichnet worden ist, ein Monat vollstreckt verstrichen ist. Auch die Dauer des Arrestes ist zeitlich nicht befristet.

6.522

Nach allgemeiner Ansicht ist jedoch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, bei der das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuwägen ist. Mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme wachsen die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung. Dabei sind insbesondere der in Rede stehende Verdachtsgrad und die verursachten Steuerschäden zu berücksichtigen.

6.523

5. Sicherung der Vermögenswerte Über § 111b Abs. 2 StPO gelten die Vorschriften für die Durchsuchung auch für die Ermittlungen zur Sicherung von Vermögenswerten und für die Vermögensabschöpfung. Es ist zu erwarten, dass die entsprechenden Vermögensabschöpfungsmaßnahmen gleichzeitig mit Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses beantragt werden. Verstärkt wird daher im Rahmen zukünftiger Durchsuchungen auch nach (versteckten) Vermögenswerten (Bankunterlagen, Visitenkarten von Anlageberatern, Versicherungspolicen, Kontoauszügen, Depoterträgen, Erträgnisaufstellungen, Schließfachschlüsseln, Bargeld, elektronischer Währung wie z.B. Bitcoins, Anhaltspunkte für Auslandsimmobilien und sonstiges Auslandsvermögen) gesucht werden.

6.524

Dies hat für steuerstrafrechtliche Durchsuchungen zukünftig den Nachteil, dass diese nicht mehr nur auf Büro und arbeitsbezogenen Bereich beschränkt bleiben, sondern sich insbesondere in Privathaushalten ggf. auf den Intimbereich beziehen werden.

6.525

1 Loose in T/K, § 324 AO Rz. 17. 2 Loose in T/K, § 324 AO Rz. 15.

Peters | 251

Kap. 6 Rz. 6.526 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.526

Von Bedeutung wird insofern auch die verstärkte Inanspruchnahme von Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten mit dem Ausland sein. Entsprechende innerstaatliche Entscheidungen über die Einziehung von Erträgen aus Straftaten sind nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung unter den Voraussetzungen von § 81 Nr. 4 IRG auch durch den ausländischen Staat zu vollstrecken. Die internationale Rückgewinnungshilfe wurde in § 56a IRG neu geregelt.

6.527

Die Beschlagnahme beweglicher Sachen wird durch Ingewahrsamnahme oder Versiegelung vollzogen (§ 111c Abs. 1 StPO). Es gelten die allgemeinen Ausführungen zu Durchsuchung und Beschlagnahme. Die Beschlagnahme einer Forderung oder eines anderen Vermögensrechts erfolgt durch Pfändung. Die Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung in Forderungen/Geld gelten weiterhin sinngemäß. Die Beschlagnahme eines Grundstücks erfolgt durch Eintragung im Grundbuch. Gleiches gilt für die Beschlagnahme von Schiffen, Schiffsbauwerken oder Luftfahrzeugen (§ 111c Abs. 3, 4 StPO). Die Beschlagnahme bewirkt ein Veräußerungsverbot i.S.d. § 136 BGB. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lässt die Beschlagnahme unberührt (Insolvenzfestigkeit). Die Beschlagnahme kann durch Beibringung eines entsprechenden Geldbetrages aufgehoben werden (§ 111d Abs. 2 StPO).

6. Absonderungssrecht des Fiskus 6.528

Die Vollziehung des Vermögensarrestes in einen Gegenstand führt gem. § 111h Abs. 1 StPO zu einem Veräußerungsverbot i.S.d. § 136 BGB. Zwangsvollstreckungen in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden sind, sind daher während der Dauer der Arrestvollziehung nicht zulässig. Hiervon macht indes § 111h Abs. 2 Satz 2 StPO eine Ausnahme. Die Vollziehung einer Arrestanordnung nach § 324 AO bleibt unberührt, soweit der Arrestanspruch aus der Straftat erwachsen ist. Der Steuerfiskus hat daher die exklusive Möglichkeit, in Vollziehung steuerrechtlicher Arreste in Gegenstände zu pfänden, die bereits durch die StA gepfändet worden sind. Dies soll darin begründet liegen, dass die Finanzverwaltung auch nach altem Recht bereits die Möglichkeit hatte, über § 124 AO eine Sicherheit zu erlangen und im Anschluss die Zulassung zur Zwangsvollstreckung zu erwirken.

XVII. Absehen nach § 421 StPO 6.529

Für den Bereich der vorläufigen Sicherung im Bereich der Steuerhinterziehung ist nunmehr in § 111e Abs. 6 StPO geregelt, dass der steuerliche Arrest gem. § 324 AO dem strafrechtlichen Arrest nicht entgegensteht. In der Praxis hat sich indes bereits jetzt vielfach die Vorgehensweise entwickelt, nach § 421 StPO unter den dort genannten Voraussetzungen von einer Einziehung abzusehen. Das Gericht kann mit Zustimmung der StA von der Einziehung absehen, wenn – das Erlangte nur einen geringen Wert (etwa 50 Euro, in Steuerstrafsachen bis 2.500 Euro,1 hat; – die Einziehung neben der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht ins Gewicht fällt oder – das Verfahren, soweit es die Einziehung betrifft, einen unangemessenen Aufwand erfordern oder die Herbeiführung der Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat unangemessen erschweren würde. 1 Krit. Rettke, wistra 2007, 417.

252 | Peters

J. Abschöpfung von Vermögen im Steuerstrafrecht (Grundzüge) | Rz. 6.532 Kap. 6

Ein unangemessener Aufwand ist bei einem vergleichsweise geringen Schaden anzunehmen. Zu denken ist zudem an Fälle, in denen die Einziehung die (freiwillige) Schadenswiedergutmachung erschweren würde. Hierunter fallen Betrugstaten zum Nachteil der Finanzverwaltung und der Sozialkassen, in denen Schadenswiedergutmachung ratenweise durch den teilweisen Einbehalt von Leistungen an den Täter erfolgt. Im Rahmen der Gesetzesbegründung wurden zudem einfach gelagerte Fälle der Steuerhinterziehung benannt, in denen der Fiskus sein originäres Sicherungsinstrument des dinglichen Arrestes problemlos nutzen kann und deshalb nicht auf eine strafprozessuale Sicherung angewiesen ist. Im vorbereitenden Verfahren kann die StA das Verfahren auf die anderen Rechtsfolgen beschränken. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen (§ 421 Abs. 3 StPO).

6.530

XVIII. Notveräußerung Gegenstände, die beschlagnahmt oder gepfändet worden sind, können gem. § 111p StPO (vgl. auch 111l StPO a.F.) veräußert werden, wenn ihr Verderb oder ein erheblicher Wertverlust – etwa im Falle von Aktien – droht, oder die Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung mit erheblichen Kosten oder Schwierigkeiten verbunden sind. Die Anordnung trifft die StA. Den Ermittlungspersonen steht im Eilfall diese Kompetenz gleichsam zu. Zuvor ist der Betroffene anzuhören. Der Betroffene kann hiergegen die Entscheidung des Gerichts nach § 162 StPO beantragen. Für die Notveräußerung gelten im Übrigen die Vorschriften der Zivilprozessordnung (§§ 814 ff. ZPO) über die Verwertung von Gegenständen sinngemäß. Gegen die Notveräußerung und ihre Durchführung kann der Betroffene die Entscheidung des nach § 162 StPO zuständigen Gerichts beantragen. Das Gericht, in dringenden Fällen der Vorsitzende, kann die Aussetzung der Veräußerung anordnen. In § 111l Abs. 5 Satz 4 StPO a.F. war geregelt, dass die Veräußerung auch durch Dritte erfolgen konnte, wenn dies zweckmäßig erschien. Hierdurch sollte insbesondere der freihändige Verkauf durch einen gewerblichen Verwerter ermöglicht werden. Im Einzelfall kann es sich anbieten, im Ermittlungsverfahren eine Absprache mit der StA dahingehend zu treffen, dass der Beschuldigte – auf eigenes Risiko – einen Sachverwalter benennt, der auf seine Anweisung hin etwaige Aktiendepots, Wertpapiere oder Kryptowährungen veräußert (vgl. auch § 821 ZPO, wonach gepfändete Wertpapiere, wenn sie einen Börsen- oder Marktpreis haben, von dem Gerichtsvollzieher aus freier Hand zum Tageskurs zu verkaufen und, wenn sie einen solchen Preis nicht haben, nach den allgemeinen Bestimmungen zu versteigern sind). Der Erlös tritt dann freilich an die Stelle der arrestierten Gegenstände/Rechte.

6.531

XIX. Akteneinsicht Der Anspruch auf Akteneinsicht kann wegen der möglichen gravierenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen auch unter Berufung auf § 147 Abs. 2 StPO nicht verweigert werden.1 Der Rechtsstaatsgedanke gebietet es, dass der von einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme Betroffene noch im gerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Eingriffs Gelegenheit erhält, sich in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen gegen die Eingriffsmaßnahme und den zugrunde liegenden Vorwurf zu verteidigen. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft kann gem. § 161a Abs. 3 StPO die gerichtliche Entscheidung beantragt werden.

1 BVerfG v. 19.1.2006 – 2 BvR 1075/05, NStZ 2006, 459; LG Kiel v. 14.6.2006 – 46 Qs 42/06, NStZ 2007, 424; LG Berlin v. 18.2.2010 – 536 Qs 1/10, StV 2010, 352; Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt63, § 111f StPO Rz. 25b; zum Ganzen auch Börner, NStZ 2007, 680; Börner, NStZ 2010, 417.

Peters | 253

6.532

Kap. 6 Rz. 6.532 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

K. Grenzüberschreitende Arrestierung, Einziehung und Sicherstellung von Vermögenswerten 6.533

Hüttemann, Grundlagen und Bedeutung der grenzüberschreitenden Vermögensabschöpfung unter besonderer Berücksichtigung der Verordnung (EU) 2018/1805, Teil 1, NZWiSt 2019, 201; Hüttemann, Grundlagen und Bedeutung der grenzüberschreitenden Vermögensabschöpfung unter besonderer Berücksichtigung der Verordnung (EU) 2018/1805, Teil 2, NZWiSt 2019, 248.

Speziell für die Schweiz vgl. unter Rz. 10.163 f.

I. Vorläufige Sicherung 6.534

Auf europäischer Ebene ist die vorläufige grenzüberschreitende Sicherstellung von Vermögensgegenständen im Ausland möglich, wenngleich in der Praxis je nach ersuchtem Staat schwierig und bislang eher die Ausnahme.1 Die Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen tritt zum 19.12.2020 in Kraft und stellt ab diesem Zeitpunkt unmittelbar geltendes Recht dar.2 Die Rahmenbeschlüsse Sicherstellung und Einziehung werden hierdurch bzgl. der betroffenen Mitgliedstaaten ersetzt. Für Irland und Dänemark gelten die Rahmenbeschlüsse fort.3

6.535

Für ausgehende Ersuchen gelten die originären ausländischen Vorschriften, wie für eingehende Ersuchen die inländischen Vorschriften der §§ 66 ff., 88 ff. IRG gelten (Rz. 10.104, Rz. 10.110).4 Sofern ein nach Maßgabe der §§ 94, 95 IRG zulässiges Ersuchen gestellt wird, besteht für den ersuchten Staat nach § 96 IRG die Verpflichtung, Rechtshilfe zu bewilligen. Neben der Verpflichtung des ersuchenden Staates, eine justizielle Sicherstellungsentscheidung und eine vollständig ausgefüllte Bescheinigung entsprechend den Vorgaben der Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a und Art. 9 RB-Sicherstellung vorzulegen, ist die Zulässigkeit grundsätzlich davon abhängig, dass ein sog. „Listendelikt“ i.S.d. Art. 3 Abs. 2 RB-Sicherstellung vorliegt (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 IRG). In diesem Fall erfolgt keine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Eine Gegenausnahme ist in § 94 Abs. 1 Nr. 2 IRG geregelt. Ein Ersuchen in Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsangelegenheiten ist danach auch zulässig, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates. Die weitere Umsetzung eines zulässigen Ersuchens nach Maßgabe des RB-Sicherstellung richtet sich gem. § 94 Abs. 1 IRG nach den §§ 58 Abs. 3 und 67 IRG, d.h. anders als bei Ersuchen im Rahmen der (vertraglosen) Rechtshilfe nach § 67 Abs. 1 IRG, ist neben der Beschlagnahme nach § 77 Abs. 1 IRG i.V.m. §§ 111b Abs. 1, 111c StPO auch der Vollzug

1 Vgl. aber jetzt die Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.11.2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen, ABl. EU 2018 Nr. L 303, 1; vgl. auch den entsprechenden Gesetzentwurf zur Änderung des IRG, der klarstellend die wesentlichen Anforderungen der Verordnung (EU) 2018/1805 übernimmt, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RegE_Int_Rechtshilfe_Strafsachen.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am: 29.7.2020); zum Ganzen auch Hüttemann, NZWISt 2019, 201; Hüttemann, NZWISt 2019, 248; Jour-Schröder, ZIS 2018, 438 (440 f.); Ochnio, NJECL 9 (2018), 432. 2 Ohne Anwendung jedoch für Dänemark und Irland. 3 Kritisch was diese neuerliche Fragmentierung betrifft: Hüttemann, NZWiSt 2019, 248 (249). 4 Ausführlich zu eingehenden Ersuchen vgl. auch Hüttemann, NZWISt 2019, 248 (250).

254 | Peters

K. Grenzüberschreitende Arrestierung, Einziehung und Sicherstellung | Rz. 6.537 Kap. 6

von Arresten in das Legalvermögen des Betroffenen nach § 77 Abs. 1 IRG i.V.m. § 111b Abs. 2, § 111d StPO möglich.1

II. Sicherung mittels Europäischer Ermittlungsanordnung Die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) trifft keine explizite Aussage, was die Vollstreckung von Arrestbeschlüssen im Ausland betrifft. Was den grenzüberschreitenden Arrest in Strafsachen betrifft, hat sich indes aus der Erfahrung heraus gezeigt, dass durchaus auch die EEA herangezogen werden kann. So war es bspw. unproblematisch eine inländische Arrestentscheidung im Wege der Rechtshilfe nach Österreich zu übermitteln, die entsprechenden Gelder „einzufrieren“ und im Wege der EEA Auskunft darüber zu erlangen, in welcher Höhe Gelder an eine Dritte Gesellschaft geflossen sind. Der Sachverhalt stellte sich im konkreten Fall so dar, dass ein US-amerikanisches Unternehmen elektronische Dienstleistungen in Europa (insbesondere auch Deutschland) erbrachte und die Abrechnung und Weiterleitung der Gelder zentral über eine österreichische Gesellschaft erfolgte.

6.536

Ausweislich des Wortlauts beziehen sich die vorläufigen Maßnahmen nach der EEA (Art. 32 EEA) zwar nur auf Beweismittel. Die Vollstreckungshilfe für einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6.10.2006 über die gegenseitige Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen2 (RB-Einziehung Gegenseitigkeit) richtet sich nach den §§ 88a -f IRG. Mit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22.7.2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union vom 6.6.20083 wurde der Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates vom 22.7.2003 (RBSicherstellung) über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union in das nationale Recht umgesetzt.4 Beide Rahmenbeschlüsse sind in das IRG implementiert worden, der RB-Sicherstellung durch Gesetz vom 6.20085 und der RB-Einziehung Gegenseitigkeit durch Gesetz vom 8.10.2009.6 Beide Beschlüsse werden zum 19.12.2020 durch die Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen ersetzt.7

6.537

1 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 94 Abs. 1 IRG „[...] nach Maßgabe des RB 2003/577/JI des Rates vom 22.7.2003 [...]“ i.V.m. Art. 2 „Begriffsbestimmungen“ Buchst. c und d RB-Sicherstellung, wonach Sicherstellungsentscheidungen auch in Vermögensgegenstände, die ganz oder teilweise dem Wert des ursprünglich aus einer Straftat herrührenden Ertrags entsprechen, vollzogen werden können. 2 RB 2006/783/JI des Rates v. 6.10.2006 über die gegenseitige Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. EU 2006 Nr. L 328, 59. 3 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates v. 22.7.2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union v. 6.6.2008, BGBl. I 2008, 995 – Inkrafttreten: 30.6.2008. 4 RB 2003/577/JI des Rates v. 22.7.2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. EU Nr. 2003 Nr. L 196, 45. 5 BGBl. I. 2008, 995. 6 BGBl. I 2009, 3214. 7 Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.11.2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen, ABl. EU 2018 Nr. L 303, 1; hierzu Hüttemann, NZWISt 2019, 201; Hüttemann, NZWISt 2019, 248; Jour-Schröder, ZIS 2018, 438 (440 f.); Ochnio, NJECL 9 (2018), 432.

Peters | 255

Kap. 6 Rz. 6.538 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

III. Gegenseitige Anerkennung von Sicherstellung und Einziehungsentscheidungen 1. Grundlagen 6.538

Zum 19.12.2020 wird die Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellung und Einziehungsentscheidungen in Kraft treten.1 Die Verordnung gilt unmittelbar und verdrängt in ihrem Anwendungsbereich das nationale Recht. Die Verordnung folgt dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung.2 Insbesondere eine Verpflichtung zur Verwendung standardisierter Formulare ist vorgesehen, mit der eine Erweiterung des tatsächlichen und rechtlichen Rahmens der grenzüberschreitenden Vermögensabschöpfung einhergeht. Folgende Punkte werden dabei zukünftig maßgeblich sein:3 – Stärkung der Pflicht, Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen, die in anderen Mitgliedstaaten getroffen wurden, anzuerkennen; Beschränkung der Zurückweisungsgründe; – Verpflichtung des ersuchten Staates zur Leistung von Rechtshilfe auch bei Ersuchen, die die Dritteinziehung, die Einziehung ohne vorherige Verurteilung und die erweiterte Einziehung betreffen; – feste Erledigungsfristen, unter anderem kürzere Fristen für Sicherstellungs-entscheidungen; – verstärkte Kommunikation der beteiligten Behörden und – Berücksichtigung der Rechte von Verletzten im Rahmen der Rückgewinnungshilfe.

6.539

Moniert wurde insbesondere, dass der Rechtsrahmen der EU für die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellung und Einziehungsentscheidungen mit den jüngsten gesetzgeberischen Entwicklungen nicht Schritt gehalten hat. Bereits bei der Verabschiedung der Richtlinie 2014/ 42/EU4 haben das Europäische Parlament und der Rat in einer Erklärung festgehalten, dass ein wirksames System der Sicherstellung und Einziehung in der Union untrennbar mit einer gut funktionierenden gegenseitigen Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen verknüpft ist. Sowohl nach der Mitteilung der Kommission vom 28.4.2015 mit dem Titel „europäische Sicherheitsorgane“ und nach der Verordnung vom 14.11.2018 stellt die gegenseitige Anerkennung von Urteilen und gerichtlichen Entscheidung ein Schlüsselelement des europäischen Sicherheitsrahmens dar.

6.540

Bei den in der Verordnung (EU) 2018/1805 aufgeführten Straftaten fällt auf, dass ausdrücklich nur Betrugsdelikte, einschließlich des Betrugs und anderer Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, erfasst sind. Die Steuerhinterziehung hat keine ausdrück-

1 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32018R1805&from=EN (abgerufen am:17.7.2020); vgl. hierzu bereits die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-europa/2017/mai/ stellungnahme-der-brak-2017-27.pdf (abgerufen am: 17.7.2020). 2 Ausführlich Hüttemann, NZWISt 2019, 201; Hüttemann, NZWISt 2019, 248. 3 Vgl. auch https://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/956/erl/57a.pdf?__blob=publicationFile&v= 1 (abgerufen am: 17.7.2020). 4 Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 3.4.2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union, ABl. EU 2014 Nr. L 127, 39.

256 | Peters

K. Grenzüberschreitende Arrestierung, Einziehung und Sicherstellung | Rz. 6.544 Kap. 6

liche Erwähnung gefunden. Nach Art. 3 Abs. 2 kann aber bei anderen Straftaten der Vollstreckungsstaat die Anerkennung und Vollstreckung einer Sicherstellung und Einziehungsentscheidung unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Klassifizierung der Straftat nach dem Recht des Entscheidungsstaates davon abhängig machen, dass die Handlungen die zu der Sicherstellung oder der Einziehungsentscheidung geführt haben, eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsstaates darstellen. Es ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten zukünftig auch im Bereich der Steuerhinterziehung umfassende Rechtshilfe im Bereich der Einziehung von Vermögenswerten leisten werden.

2. Begrifflichkeiten „Sicherstellungsentscheidung“ ist eine Entscheidung, die von einer Entscheidungsbehörde erlassen oder bestätigt wird, um die Vernichtung, Veränderung, Verbringung, Übertragung oder das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen im Hinblick auf deren Einziehung zu verhindern.

6.541

„Einziehungsentscheidung“ ist eine rechtskräftige Strafe oder Maßnahme, die von einem Gericht im Anschluss an ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Straftat verhängt wird und die zur endgültigen Entziehung von Vermögensgegenständen einer natürlichen oder juristischen Person führt.

6.542

3. Inhalt der Verordnung a) Überblick In der Verordnung wird differenziert zwischen Sicherstellungsentscheidungen und Einziehungsentscheidungen. Diese Verordnung soll für Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen im Zusammenhang mit Straftaten, die unter die Richtlinie 2014/42/EU fallen, sowie für Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen im Zusammenhang mit anderen Straftaten gelten. Die Straftaten, die unter diese Verordnung fallen, sollen deshalb nicht auf besonders schwere Straftaten mit grenzüberschreitender Dimension beschränkt sein, da nach Art. 82 AEUV für Maßnahmen zur Festlegung von Regeln und Verfahren, mit denen die gegenseitige Anerkennung von Urteilen in Strafsachen sichergestellt wird, eine derartige Einschränkung nicht erforderlich ist.

6.543

b) Zuständigkeit Bei der Sicherstellungsentscheidung werden zunächst die zuständigen Richter, Gerichte und Staatsanwälte als zuständige Behörde erfasst. Nach § 96e IRG-E fallen hierunter auch Ersuchen eines Hauptzollamts, eines Finanzamts, des BZSt oder einer Familienkasse (§ 386 Abs.1 Satz 2 AO), die ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nach § 386 Abs. 2 AO eigenständig führt. Diese bedürfen keiner Bestätigung durch die Staatsanwaltschaft. Wie bei Art. 2c der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 3.4.2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. EU Nr. L130, 1 – RL EEA) nehmen die Finanzbehörden auch in diesem Fall gem. § 399 Abs. 1 AO i.V.m. § 77 Abs. 1 IRG die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahr und handeln damit selbst als Staatsanwalt im Sinne der Verordnung Sicherstellung und Einziehung.1 1 S. 17 des Gesetzentwurfs zur Änderung des IRG, der klarstellend die wesentlichen Anforderungen der Verordnung (EU) 2018/1805 übernimmt, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/

Peters | 257

6.544

Kap. 6 Rz. 6.545 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

c) Formeller Ablauf

6.545

Der formelle Ablauf wird sich wie bei der EEA auch am Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung orientieren. Nach Art. 4 der Verordnung (EU) 2018/1805 ist vorgesehen, dass eine entsprechende Sicherstellungsentscheidung durch eine Sicherstellungsbescheinigung direkt an die Vollstreckungsbehörde übermittelt wird. Art. 5 der Verordnung (EU) 2018/1805 sieht vor, dass eine Übermittlung der Sicherstellungsentscheidung auch an mehrere Vollstreckungsstaaten erfolgen kann, insbesondere wenn hierzu nach Auffassung der Entscheidungsbehörde eine besondere Notwendigkeit besteht, etwa wenn der geschätzte Wert des Vermögensgegenstands, der im Entscheidungsstaat und in irgendeinem Vollstreckungsstaat sichergestellt werden kann, voraussichtlich nicht zur Sicherstellung des gesamten in der Sicherstellungsentscheidung ausgewiesenen Betrags ausreicht.

6.546

Art. 6 der Verordnung (EU) 2018/1805 enthält Regelungen zur standardisierten Sicherstellungsbescheinigung, deren Inhalt sich aus der Anl. 1ergibt. Art. 7 der Verordnung (EU) 2018/ 1805 ist dahingehend ausgestaltet, dass die Vollstreckungsbehörde jede übermittelte Sicherstellungsentscheidung nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung anerkennt und die erforderlichen Maßnahmen für deren Vollstreckung auf dieselbe Weise trifft wie bei einer inländischen Sicherstellungsentscheidung. d) Versagungsgründe

6.547

Neueren Tendenzen folgend enthält Art. 8 der Verordnung (EU) 2018/1805 jedoch enumerativ Gründe für die Versagung der Anerkennung der Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen. Die Vollstreckungsbehörde kann die Anerkennung und die Vollstreckung einer Sicherstellungsentscheidung versagen wenn: – die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung dem Grundsatz „ne bis in idem“ zuwiderlaufen würde; – nach dem Recht des Vollstreckungsstaats Vorrechte oder Immunitäten bestehen, die der Sicherstellung des betreffenden Vermögensgegenstands entgegenstehen, oder wenn Vorschriften zur Bestimmung und Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Pressefreiheit oder die Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien bestehen, die der Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung entgegenstehen; – die Sicherstellungsbescheinigung unvollständig oder offenkundig unrichtig ausgefüllt und nach Abstimmung nicht vervollständigt wurde; – die Sicherstellungsentscheidung sich auf eine Straftat bezieht, die ganz oder teilweise außerhalb des Hoheitsgebiets des Entscheidungsstaats und ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats begangen wurde und die Handlung, aufgrund der die Sicherstellungsentscheidung ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats keine Straftat darstellt; – in einem unter Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2018/1805 genannten Fall die Handlung, aufgrund der die Sicherstellungsentscheidung ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats keine Straftat darstellt; in Fällen, die Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen betreffen, kann die Anerkennung oder Vollstreckung der SicherstellungsentscheiGesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Int_Rechtshilfe_Strafsachen.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am: 29.7.2020).

258 | Peters

K. Grenzüberschreitende Arrestierung, Einziehung und Sicherstellung | Rz. 6.551 Kap. 6

dung jedoch nicht deshalb abgelehnt werden, weil das Recht des Vollstreckungsstaats nicht dieselbe Art von Steuern vorschreibt oder nicht dieselbe Art von Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen vorsieht wie das Recht des Entscheidungsstaats; – in Ausnahmefällen aufgrund genauer und objektiver Angaben berechtigte Gründe zu der Annahme bestehen, dass die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung unter den besonderen Umständen des Falles die offensichtliche Verletzung eines in der Charta verankerten relevanten Grundrechts, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, des Rechts auf ein faires Verfahren oder des Rechts auf Verteidigung zur Folge hätte. Mit dem letzten Punkt wird klargestellt, dass nicht nur der Entscheidungsstaat, sondern auch der Vollstreckungsstaat berechtigt und verpflichtet ist, die europäischen Grundrechte zu achten. Dies wird im Bereich der Vermögensabschöpfung vor allem mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit praktische Bedeutung haben, der in Art. 49 Abs. 3 und Art. 52 Abs. 1 GRCh europarechtlich verankert ist. Im Gegensatz zur RL EEA bedarf es aber mehr als berechtigter Gründe. Plausible Zweifel der zuständigen deutschen Stellen an der Grundrechtskonformität reichen nicht aus.

6.548

e) Vollstreckungsverfahren

Art. 9 der Verordnung (EU) 2018/1805 regelt, dass nach Erhalt der Sicherstellungsbescheinigung die Vollstreckungsbehörde den Beschluss unverzüglich und mit der gleichen Geschwindigkeit und Dringlichkeit in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall vollstreckt. Sofern von der ersuchenden Behörde darum gebeten wird, die Vollstreckung zu einem bestimmten Zeitpunkt durchzuführen, gegebenenfalls vor dem Hintergrund, dass zeitgleich europaweit Vermögenswerte gesichert werden sollen, ist dies anzugeben und soll unter den Mitgliedstaaten abgestimmt werden. Neu ist die Fristenregelung, dass die Vollstreckungsbehörde die zur Vollstreckung der Entscheidung erforderlichen konkreten Maßnahmen spätestens 48 Stunden nach dem in Art. 9 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2018/1805 normierten Beschluss fasst. Art. 9 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2018/1805 normiert eine Sonderregelung für besonders eilbedürftige Fälle, wenn etwa die Vernichtung droht oder eine sofortige Vollstreckung erforderlich ist.

6.549

Nach Art. 10 der Verordnung (EU) 2018/1805 kann die Aussetzung der Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen erfolgen, wenn

6.550

– deren Vollstreckung laufende strafrechtliche Ermittlungen beeinträchtigen könnte; in diesem Fall kann die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung so lange ausgesetzt werden, wie die Vollstreckungsbehörde es für angemessen hält; – die Vermögensgegenstände bereits Gegenstand einer bestehenden Sicherstellungsentscheidung sind; in diesem Fall kann die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung so lange ausgesetzt werden, bis diese bestehende Entscheidung aufgehoben wird; – die Vermögensgegenstände bereits Gegenstand einer bestehenden Entscheidung sind, die im Vollstreckungsstaat im Rahmen eines anderen Verfahrens ergangen ist; in diesem Fall kann die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung so lange ausgesetzt werden, bis diese bestehende Entscheidung aufgehoben wird. Eine Unmöglichkeit der Vollstreckung einer Sicherstellungsentscheidung ist nur dann gegeben, wenn die Vermögensgegenstände bereits eingezogen wurden, verschwunden sind, vernichtet wurden oder an dem in der Sicherstellungsbescheinigung angegebenen Ort nicht mehr aufzufinden sind. Peters | 259

6.551

Kap. 6 Rz. 6.552 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

6.552

Die nähere Art und Weise der Übermittlung von Einziehungsentscheidungen ist in Art. 14 ff. der Verordnung (EU) 2018/1805 geregelt. Gegebenenfalls können die Mitgliedstaaten verlangen, dass ein Original der Einziehungsentscheidung beigefügt wird. Art. 16 der Verordnung (EU) 2018/1805 regelt, dass der Gesamtbetrag, der sich aus der Vollstreckung der Entscheidung über die Einziehung eines Geldbetrags ergibt, nicht den in der Einziehungsentscheidung festgelegten Höchstbetrag übersteigen darf, unabhängig davon, ob diese Entscheidung einem oder mehreren Vollstreckungsstaaten übermittelt wurde.

6.553

In praktischer Hinsicht wird sich das Problem stellen, wie sich die Mitgliedstaaten bei einer zeitgleichen Vollstreckung abstimmen werden und es nicht zukünftig zu einer (wenn auch nur kurzfristigen) massiven Übersicherung kommt.1

6.554

Art. 18 der Verordnung (EU) 2018/1805 regelt die näheren Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen im Falle der Einziehungsentscheidung in bestimmte Vermögensgegenstände. Diese werden gepfändet, andernfalls erfolgt die Einziehung eines Geldbetrags, der dem Wert des entsprechenden einzuziehenden Vermögensgegenstands entspricht. Kann bei Einziehungsentscheidungen im Hinblick auf einen Geldbetrag keine Zahlung erwirkt werden, ist die Einziehungsentscheidung auf jeden zu diesem Zweck verfügbaren Vermögensgegenstand zu erstrecken. Etwaige Währungsschwankungen sind nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2018/1805 zu berücksichtigen und eine entsprechende Umrechnung zum Euro Tageskurs vorzunehmen. Die Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen kann aus den gleichen Gründen wie die Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen abgelehnt werden. f) Beteiligte Behörde

6.555

Organisatorisch erfolgt das Aufspüren entsprechender Vermögenswerte auf europäischer Ebene neben den nationalen Stellen durch die Asset Recovery Offices (ARO bzw. Vermögensabschöpfungsstellen).2 Jeder Mitgliedstaat errichtet oder benennt gem. Art. 1 des RB 12007/845/JI eine nationale Vermögensabschöpfungsstelle zur Unterstützung des Aufspürens und der Ermittlung von Erträgen aus Straftaten und anderen Vermögensgegenständen im Zusammenhang mit Straftaten, deren Einfrieren oder Beschlagnahme bzw. deren Einziehung in einem Strafverfahren oder, soweit dies nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats möglich ist, in einem zivilrechtlichen Verfahren durch eine zuständige Justizbehörde angeordnet werden kann.

6.556

Daneben besteht das von Österreich, Belgien, Deutschland, Irland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich am 22. und 23.9.2004 in Den Haag eingerichtete Camdener zwischenstaatliche Netz der Vermögensabschöpfungsstellen (Camden Asset Recovery InterAgency Network, CARIN)3; ein globales Netz von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden

1 https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-europa/2017/mai/ stellungnahme-der-brak-2017-27.pdf (abgerufen am: 17.7.2020), S. 3. 2 Beschluss 2007/845/JI des Rates v. 6.12.2007 über die Zusammenarbeit zwischen den Vermögensabschöpfungsstellen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Aufspürens und der Ermittlung von Erträgen aus Straftaten oder anderen Vermögensgegenständen im Zusammenhang mit Straftaten, wobei der Informationsaustausch auf Grundlage des RB 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union stattfindet. In Deutschland sind das BfJ und das BKA die ARO. 3 https://www.carin.network/(abgerufen am: 17.7.2020).

260 | Peters

K. Grenzüberschreitende Arrestierung, Einziehung und Sicherstellung | Rz. 6.561 Kap. 6

und von Experten, das zur Verbesserung der gegenseitigen Kenntnis der Methoden und Techniken bei der grenzüberschreitenden Ermittlung, Einfrierung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten oder anderer Vermögensgegenstände im Zusammenhang mit Straftaten beitragen soll. Diese Institutionen und Möglichkeiten in Kombination mit der klassischen Rechtshilfe bestanden auch schon vor der Verordnung, was nicht ganz zu Unrecht die Vermutung aufwirft, dass mit dem Instrument der Verordnung vornehmlich eine neue Dynamik geschaffen werden sollte.1

6.557

Für die Verwaltung sichergestellter und eingezogener Vermögensgegenstände ist nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2018/1805 das Recht des Vollstreckungsstaats maßgebend. Wie auch bei der europäischen Ermittlungsanordnung wird sich der Beschuldigte – was die Rechtsmittel betrifft – gegen die Anordnung im Anordnungsstaat und gegen die Vollstreckung im Vollstreckungsstaat wenden müssen. Die Rückgabemodalitäten sind in Art. 29 der Verordnung (EU) 2018/1805 geregelt.

6.558

4. Rechtsmittel Die betroffenen Personen haben nach Art. 33 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2018/1805 (vgl. auch §96d IRG-E) das Recht, gegen den Beschluss über die Anerkennung und Vollstreckung von Sicherstellungsentscheidungen und Einziehungsentscheidungen im Vollstreckungsstaat einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Hervorzuheben ist, dass der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung für den Fall haben kann, sofern dies nach dem Recht des Vollstreckungsstaates vorgesehen ist.

6.559

5. Kritik Gegen die Verordnung wird vorgebracht, dass auch bei der erweiterten Einziehung kein großer Spielraum besteht, was die (fakultative) Versagung der Anerkennung betrifft.2 So kann etwa die Vollstreckung versagt werden, wenn ein Verstoß gegen den ne bis in idem Grundsatz vorliegt (Art. 19 Abs. 1 Buchst. a bzw. Art. 8 Abs. 1 Buchst. a VO). Indes ist bislang nicht geklärt, inwiefern dieser Grundsatz auf Einziehungsenetscheidungen Anwendung findet, da es sich ja zumindest nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers nicht um eine originäre Strafe handelt, die nicht dem Schuldgrundsatz unterliegt.3

6.560

Auch die Tatsache, dass das Vorhaben als Verordnung ausgestaltet ist und nicht mehr als Richtlinie oder Rahmenbeschluss, ist nicht unkritisch. Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund unterschiedlicher nationaler rechtlicher Regelungen der Vermögensabschöpfung gesehen. Unklar ist auch inwieweit Einziehungsentscheidungen im Bereich der strafrechtlichen Unternehmensverantwortlichkeit nicht zu gravierenden Wertungswidersprüchen und Friktionen führen werden.4 Ungeregelt sind bislang auch Schadensersatzansprüche, ungeachtet

6.561

1 Hüttemann, NZWiSt 2019, 250 (260). 2 Hüttemann, NZWiSt 2019, 250 (254), die zu Recht auf die widersprüchliche Systematik verweist. 3 Vgl. auch Böse in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, § 94 IRG Rz. 11 ff.; zu Fragen des europäischen Grundrechtsschutzes vgl. Hüttemann, NZWiSt 2019, 250 (256). 4 https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-europa/2017/mai/ stellungnahme-der-brak-2017-27.pdf (abgerufen am: 17.7.2020), S. 3.

Peters | 261

Kap. 6 Rz. 6.561 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

der grundsätzlichen Regelungen Art. 34 der Verordnung (EU) 2018/1805, die jedoch wenig aussagekräftig ist.

6.562

Zu monieren ist auch, dass die Verordnung keine Regelung darüber trifft, inwiefern dem Betroffenen Akteneinsicht zu gewähren ist und inwiefern ihm die originäre Sicherstellungsund Einziehungsentscheidung und die zugrundeliegenden Erkenntnisse zu übermitteln sind, damit dieser sich sowohl im Anordnungsstaat als auch im Vollstreckungsstaat wirksam verteidigen kann. Allein im Falle rechtskräftiger Einziehungsentscheidungen kann davon ausgegangen werden, dass der Inhalt bekannt ist (z.B. Urteile), wenngleich auch die Möglichkeit einer nachträglichen Einziehungsentscheidung in Deutschland besteht (§ 76 StGB) und es auch schon Konstellationen gab, in denen das Gericht mit Urteilsverkündung einen Arrest aussprach und zu diesem Zeitpunkt lediglich die mündlichen Urteilsgründe bekannt waren. Beispiel: Das Landgericht verurteilt den Angeklagten A wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren. Neben der Verurteilung beschließt das Landgericht einen Arrest zur einstweiligen Sicherung der Kosten (§ 111e Abs. 2 StPO) in Höhe von 250.000 Euro. Das Gericht geht in seiner mündlichen Urteilsbegründung von höheren Schäden als in der Anklage aus. Angesichts der Tatsache, dass der Verurteilte über Vermögen in Belgien verfügt, wird der Arrest dorthin übermittelt und vollstreckt.

6.563

Problematisch ist in diesem Fall, dass die Frist zur Absetzung des Urteils sich nach § 275 StPO bestimmt und mindestens 5 Wochen beträgt – ggf. länger, je nach Zahl der Hauptverhandlungstage. Der A hat in diesem Fall keine Möglichkeit, die Sachgründe im Vollstreckungsstaat anzugreifen, abgesehen von willkürlichen Einziehungsentscheidungen, die eine Grundsrechtsverletzung darstellen.

6.564

In praktischer Hinsicht wird zukünftig fraglich sein, inwieweit den ersuchten Behörden im Vollstreckungsstaat ungeachtet der Ausführungen in der VO1 tatsächlich eine zumindest (eingeschränkte) Prüfungskompetenz zukommt. Erfahrungen mit dem europäischen Haftbefehl und mit der europäischen Ermittlungsanordnung zeigen, dass die Validität und die Grundlage eingehender Ersuchen oftmals – vorsichtig formuliert – fraglich ist und sich vielfach vor dem Hintergrund des ordre public Vorbehalts rechtsstaatliche Bedenken insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit nahezu aufdrängen. Auch inländische Arreste werfen hinsichtlich der Darstellung und Glaubhaftmachung von Steueranspruch, Steuerpflichtigem, Zeitraum und Hinterziehungsvolumen mitunter Fragen auf. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung lässt lediglich die allgemeinen Grundrechte und allgemeinen Rechtsgrundsätze des Art. 6 EUV unberührt. Zu monieren ist auch, dass allein beim Erlass einer Sicherstellung oder Einziehungsentscheidung gewährleistet werden soll, dass die Entscheidungsbehörde die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu befolgen hat. Zumindest eine eingeschränkte inhaltliche Prüfungskompetenz des Vollstreckungsstaates wäre wünschenswert.

6.565

Für den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts kommt bspw. im Falle ausgehender Ersuchen hinzu, dass oftmals schwierige steuerrechtliche Fragestellungen im Raum stehen, indes schon die inländische Grundentscheidung hinsichtlich des Arrestbeschlusses nicht aus der Feder der entsprechenden Fachgerichtsbarkeit stammt, sondern vom originären Ermittlungs-

1 Vgl. auch die Hinweise im Gesetzentwurf zur Änderung des IRG auf die Rechtsprechung des EuGH zum Europäischen Haftbefehl, Gesetzentwurf zur Änderung des IRG, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Int_Rechtshilfe_Strafsachen.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am: 29.7.2020).

262 | Peters

K. Grenzüberschreitende Arrestierung, Einziehung und Sicherstellung | Rz. 6.566 Kap. 6

richter. Es hätte näher gelegen, auch im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts die Kompetenz der grenzüberschreitenden Abschöpfung in Steuerstrafsachen beim BZSt anzusiedeln, welches auch ansonsten zuständig ist. Denn neben der gerichtlichen Einziehungsentscheidung ergehen ohnehin, wenn nicht in den meisten Fällen sogar schon vorher, entsprechende Steuerbescheide, die – sofern erforderlich – auch über § 324 AO gesichert werden können. § 12 EUBeitrG sieht dabei sogar eigene Sicherungsmaßnahmen vor.1 Bestätigt wird die Kritik durch den Umstand, dass die Einziehungsverfahren in den Mitgliedsstaaten höchst unterschiedlich ausgestaltet sind, sowohl was die materiellen Erfordernisse, als auch was die prozessuale Ausgestaltung betrifft.2 Dies fängt schon bei der Frage an, ob das Verfahren als strafrechtliches als Verwaltungs- oder als Zivilverfahren ausgestaltet ist. Eine Anbindung der grenzüberschreitenden Einziehung im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts an das nationale Steuerrecht hätte auch den Vorteil, dem Vorwurf der Kommerzialisierung der (grenzüberschreitenden) Vermögensabschöpfung entgegenzuwirken. Bspw. führte die Kommission aus, dass, wenn weitreichend von den Instrumenten der Abschöpfung Gebrauch gemacht wird, das Geld für soziale Zwecke genutzt werden könne und Zentren der Lasterhaftigkeit („centres of wickedness“ and symbols of their supposedly unbreakable criminal power)3 durch soziale Projekte und öffentliche bzw. kulturelle Einrichtungen ersetzt werden können.4 Derartige Erwägungen mögen im Bereich der internationalen organisierten Kriminalität angebracht sein, taugen für das Internationale Steuerstrafrecht jedoch nur bedingt, da die Anordnungen zumeist legale Unternehmen betreffen werden. In derartigen Konstellationen wird besonderes Augenmerk darauf zu richten sein, ob die Täter originär etwas erlangt haben (bspw. einfache oder mehrfache Steuererstattungen) oder ob etwa aus Sanktionszwecken (bspw. bei Versagung der Steuerfreiheit im Bereich der Umsatzsteuer) nunmehr die Steuer in voller Höhe geschuldet wird.

1 § 12 Ersuchen um Sicherungsmaßnahmen: (1) Um die Vollstreckung sicherzustellen, führt die Vollstreckungsbehörde auf Ersuchen des anderen Mitgliedstaates Sicherungsmaßnahmen durch, sofern und soweit diese nach dem Sechsten Teil der Abgabenordnung zulässig sind. Hierfür ist Voraussetzung, dass Sicherungsmaßnahmen sowohl des Mitgliedstaates der ersuchenden als auch der ersuchten deutschen Behörde in einer vergleichbaren Situation getroffen werden können. (2) Das Verbindungsbüro kann nach entsprechender Erstellung durch die Vollstreckungsbehörde ein Ersuchen um Sicherungsmaßnahmen stellen, wenn 1. die Forderung oder der Vollstreckungstitel zum Zeitpunkt der Stellung des Ersuchens angefochten ist oder 2. ein Ersuchen um Beitreibung aus anderen Gründen noch nicht gestellt werden kann. (3) Einem ausgehenden Ersuchen um Sicherungsmaßnahmen ist das Dokument, das in Deutschland Sicherungsmaßnahmen in Bezug auf die Forderung ermöglicht, beizufügen. Dem Ersuchen können weitere in Deutschland ausgestellte Dokumente beigefügt werden. 2 Hüttemann, NZWiSt 2019, 248 (252). 3 https://www.unodc.org/documents/treaties/UNCAC/WorkingGroups/workinggroup2/2014-September-11-12/Combined_CacCosp-Wg2-2014-CRP3.pdf (abgerufen am 17.7.2020); nicht unproblematisch ist auch der folgende Satz: „Recovering more criminal assets in favour of the State will have very positive implications as it will provide more funding for public authorities which can be used for the provision of public services (e.g. police, military services etc).“ 4 Vgl. auch Hüttemann, NZWiSt 2019, 248 (260) unter Verweis auf Impact Assessment zum Verordnungsvorschlag, Commission Staff Working Document v. 21.12.2016, SWD (2016) 468 final, 45. Abrufbar unter https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/10102/2016/EN/SWD-2016468-F1-EN-MAIN-PART-1.PDF (abgerufen am: 17.7.2020.

Peters | 263

6.566

Kap. 6 Rz. 6.567 | Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens/Ermittlungsverfahrens

IV. Vollstreckungshilfe bei Einziehungsentscheidungen 6.567

Gerichtliche Einziehungsentscheidungen die mit dem Urteil auszusprechen sind, werden im Wege der „klassischen“ Vollstreckungshilfe durch den ausländischen Staat vollstreckt, wie inländische Urteile im Ausland auch, etwa was Geldstrafen betrifft (vgl. Rz. 10.115 ff.).

264 | Peters

Kapitel 7 Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 B. Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 II. Konfliktsituation für den Beschuldigten und die Finanzbehörde . . . . . . . . . . . . 7.8 III. Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 7.13 IV. Aussetzung des Steuerstrafverfahrens . 7.16 C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers I. Rechtsstellung und Person . . . . . . . . . . 7.22 1. Rechtsanwälte und europäische Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.23 2. Steuerliche Berater . . . . . . . . . . . . . . . . 7.29 3. Fachliche und internationale Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.32

II. 1. 2. 3. III. 1. 2. IV. V. 1. 2. 3. 4.

Aufgaben der Verteidigung Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . Interne Untersuchungen . . . . . . . . . . . Unternehmensanwalt Aufgabe und Funktion . . . . . . . . . . . . Doppelmandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt der Verteidigungstätigkeit . Verteidigung im Ermittlungsverfahren Erstgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontakt zur Ermittlungsbehörde . . . . Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteidigungsziel und Strategie . . . . . .

7.35 7.36 7.39 7.44 7.50 7.51 7.54 7.57 7.58 7.70

Literatur: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, 2. Aufl. Heidelberg 2019; Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, Heidelberg 2016; Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl. München 2017; Grimm, Rechtsanwaltliche Begleitung von Mitarbeiterbefragungen bei unternehmensinternen Ermittlungen und Kostenübernahme, NZA 2019, 1534; Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. München 2016; Jaeger, Rechtsanwälte als Organ der Rechtspflege – Notwendig oder überflüssig? Bürde oder Schutz, NJW 2004, 1; Jahn, Der Unternehmensanwalt als „neuer Strafverteidigertyp und die Compliance-Diskussion im deutschen Wirtschaftsstrafrecht, ZWH 2012, 477; Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. München 2015; Knauer/Kudlich/Schneider, Münchener Kommentar zur StPO Band 1, München 2014; Knauer/Kudlich/Schneider, Münchener Kommentar zur StPO Band 2, München 2016; Knauer/Kudlich/Schneider, Münchener Kommentar zur StPO Band 3/2, München 2018; Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Internal Investigations, Heidelberg 2012; Kohlmann, Steuerstrafrecht mit Ordnungswidrigkeitenrecht und Verfahrensrecht, Köln; Kokott, Bedeutungen und Wirkungen deutscher und europäischer Grundrechte im Steuerstrafrecht und Steuerstrafverfahren, NZWiSt 2017, 409; Kuhn/Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht, 3. Aufl. München 2019; Mellinghoff, Steuerstrafrecht an der Schnittstelle zum Steuerrecht, DStJG 38 (2015); Naber/Ahrens, Befragung von Mitarbeitern im Rahmen von Internal Investigations – Vorgehensweise und aktuelle Herausforderungen, CCZ 2020, 36; Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. München 2020; Sidhu/von Saucken/Ruhmannseder, Der Unternehmensanwalt im Strafrecht und die Lösung von Interessenkonflikten, NJW 2011, 881; Trüg, Die Implikationen unterschiedlicher Formen der Unternehmensverteidigung – am Beispiel idealtypischer Modelle, NStZ 2020, 130; Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, 5. Aufl. Heidelberg 2016; Volk, Münchener Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2. Aufl. München 2014; Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl. München 2020; Wohlers/Schlegel, Zum Umfang des Rechts der Verteidigung auf Akteneinsicht gem. § 147 StPO, NStZ 2010, 486; Zimmermann/Lingscheid, Internal Investigations – Best Practice bei Interviews mit Mitarbeitern, CB 2013, 23.

Adick | 265

Kap. 7 Rz. 7.1 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

A. Einleitung 7.1

Steuerstrafsachen weisen gegenüber allgemeinen Strafverfahren, aber auch gegenüber Wirtschaftsstrafsachen, einige Besonderheiten auf. In jeder Phase des Steuerstrafverfahrens ist der bestimmende Einfluss des formellen und materiellen Steuerrechts spürbar. Zum einen hinsichtlich der materiell-rechtlichen Vorfragen der Strafbarkeit, die eine Befassung mit steuerlichen Einzelgesetzen erfordern. In nahezu jedem Steuerstrafverfahren ist zu klären, ob und ggf. in welcher Höhe ein Steueranspruch bestand, der in strafrechtlich relevanter Weise beeinträchtigt werden konnte. Zum anderen in verfahrensrechtlicher Hinsicht, weil letztlich zwei unterschiedliche Verfahren geführt werden, deren Ziele und Prinzipien nicht identisch sind und sich teilweise widersprechen.

7.2

In der Praxis kommt zunehmend häufig eine weitere Dimension hinzu, wenn das Verfahren internationale Bezüge aufweist. Ein internationaler Bezug kann sich insbesondere aus den folgenden Umständen ergeben: – ein oder mehrere Beteiligte sind ausländische Staatsangehörige, haben ihren Sitz im Ausland oder gehören einem international agierenden Unternehmen an; – die Tat oder einzelne Tathandlungen wurden im Ausland vorgenommen und haben das deutsche Steueraufkommen beeinträchtigt; – in einem in Deutschland geführten Verfahren sollen Beweismittel verwendet werden, die im Ausland erlangt wurden; – eine Behörde mit europaweiter Zuständigkeit (Eurojust, OLAF) ist in die Ermittlungen eingebunden; – es wurden strafbare Handlungen begangen, die sich gegen die finanziellen Interessen der EU richten.1

7.3

Verteidigung in Steuerstrafsachen verlangt bereits in Verfahren ohne grenzüberschreitende Dimension eine Qualifikation, die einerseits über die bloße Strafverteidigung, andererseits über die rein steuerrechtliche Beratung hinausgeht.2 Verteidigung in Steuerstrafverfahren erfordert Kenntnisse des materiellen Steuerrechts und Strafrechts sowie forensische Erfahrung im Umgang mit den beteiligten Behörden sowie Gerichten.3

7.4

Hat der Fall internationale Bezüge, gilt dies umso mehr. Die internationale Dimension eines Steuerstrafverfahrens führt in der Praxis regelmäßig zu einer Verkomplizierung der Sachund Rechtslage und zu materiell-rechtlichen sowie prozessualen Problemen. So kann es bei der Ermittlung des Sachverhalts erforderlich werden, auf im Ausland belegene Unterlagen, Daten oder auch Zeugen zuzugreifen. Für die Verteidigung ist dies scheinbar zunächst ein Nachteil, weil sie im Gegensatz zu den Behörden nicht über einen förmlichen Rechtshilfeweg oder andere institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit verfügt. Andererseits kann die Verteidigung gerade hieraus einen Vorteil generieren, weil sie sich bei ihrer Informationsgewinnung nicht an die sperrigen und zeitraubenden Förmlichkeiten des Rechtsmittelrechts halten muss. Stattdessen kann sie die Chancen einer flexiblen grenzüberschreitenden Koope1 Vgl. hierzu etwa Kokott, NZWiSt 2017, 409 (410). 2 Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen5, Rz. 19. 3 Kuhn/Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht3, Rz. 232; Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 189.

266 | Adick

B. Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren | Rz. 7.8 Kap. 7

ration mit anderen Verteidigern nutzen. Häufig ist eine solche Kooperation zur Wahrung der Interessen des Mandanten unumgänglich. Bei der Ermittlung der Rechtslage kann es erforderlich werden, ausländisches Recht zu berücksichtigen. Insbesondere können sich schwierige steuerrechtliche Vorfragen stellen, in denen die Verteidigung sich nicht darauf verlassen darf, dass die deutschen Behörden oder Gerichte diese zutreffend beantworten und daher selbst gefordert ist.1 Ein erhebliches Risiko für den Mandanten liegt darin, dass er sich in einem internationalen Steuerstrafverfahren einem Verfolgungsverbund gegenübersieht. Dieser kann sich daraus ergeben, dass Behörden mehrerer Staaten koordiniert handeln. In diesem Verfolgungsverbund können Beweismittel und Daten ohne effektive Kontrolle durch die Verteidigung, nicht selten auch ohne effektive Kontrolle durch Gerichte, übermittelt, ausgetauscht, gebündelt und ausgewertet werden. Hieraus entsteht das Risiko, dass Beweise dort erhoben werden, wo die rechtlichen Standards dies am besten zulassen (Beweismittel-Shopping).2 Ferner besteht das Risiko, dass eine Anklage in demjenigen Staat erhoben wird, dessen Strafrecht die größte Aussicht auf schnelle und effektive Verurteilung bietet (Forum-Shopping).3 Eine sachgerechte Verteidigung wird diesen Risiken nur dann angemessen Rechnung tragen, wenn sie selbst ihren Horizont erweitert.

7.5

Nachfolgend werden Aspekte der Verteidigung in steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren dargestellt. Dabei werden Besonderheiten internationaler Verfahren berücksichtigt. Die Darstellung orientiert sich an der Praxis und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

7.6

B. Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren I. Überblick Das Steuerstrafverfahren ist davon bestimmt, dass zwei Verfahren parallel geführt werden. Das jeweils geführte Besteuerungs- und das Strafverfahren stehen unabhängig und gleichrangig nebeneinander (Nr. 16 AStBV).4 Dabei unterliegen sie jedoch völlig unterschiedlichen Prinzipien und Verfahrensregeln. Dies wirft in der Praxis problematische Fragen nach der Rolle sowie den Rechten der Verfahrensbeteiligten auf. Und es führt zu der einem Mandanten kaum vermittelbaren Situation, dass im Besteuerungs- und im Strafverfahren über denselben Lebenssachverhalt unterschiedliche Entscheidungen ergehen können.

7.7

II. Konfliktsituation für den Beschuldigten und die Finanzbehörde Die Konfliktsituation zwischen Steuer- und Strafverfahren zeigt sich zunächst besonders deutlich an der Rechtsstellung des Beschuldigten bzw. Steuerpflichtigen. Während der Beschuldigte im Strafverfahren das elementare Recht hat, sich nicht selbst belasten zu müssen und schweigen darf (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO),5 ist das Besteuerungsverfahren durch zahlreiche Mitwirkungspflichten gegenüber den Finanzbehörden gekennzeichnet 1 2 3 4

Vogel in MAH Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15 Rz. 3. Vogel in MAH Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15 Rz. 4; Nelles/Ahlbrecht in MAH Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 16 Rz. 3. BFH v. 9.3.2011 – X B 153/10, BFH/NV 2011, 965; Jäger in Klein14, § 393 AO Rz. 1; Grimsel in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 4 Rz. 62. 5 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Bedeutung Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 17.

Adick | 267

7.8

Kap. 7 Rz. 7.8 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

(vgl. §§ 90, 200 Abs. 1 und Abs. 2 AO).1 Bereits dieser Umstand bringt den Steuerpflichtigen, der zum Beschuldigten in einem Strafverfahren wird, in eine Konfliktsituation. Denn die steuerlichen Mitwirkungspflichten zwingen ihn im Einzelfall zur Preisgabe sehr persönlicher Informationen, bis hin zur Offenbarung von Straftaten. Zwar wird der Steuerpflichtige vor einer Weitergabe dieser Informationen grundsätzlich durch das Steuergeheimnis geschützt (§ 30 AO). Dieses gewährt jedoch keinen umfassenden Schutz vor einer Selbstbelastung und strafrechtlichen Konsequenzen.2 Denn für Straftaten, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht, soll der Schutz durch das Steuergeheimnis nicht gelten (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO).

7.9

Im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts ist der mögliche Konflikt aus Sicht des Steuerpflichtigen sogar noch ausgeprägter, weil für Auslandssachverhalte gem. § 90 Abs. 2, Abs. 3 sowie §§ 16, 17 AStG erweiterte Mitwirkungspflichten gelten.

7.10

Auch aufseiten der Behörden führt die Struktur des Steuerstrafverfahrens notwendigerweise zu Konflikten.3 Die Ermittlung des Sachverhalts erfolgt grundsätzlich durch die Finanzbehörden. Entweder, weil sie das Verfahren selbständig mit den Befugnissen einer Staatsanwaltschaft führt (§ 386 Abs. 2 AO) oder weil sie als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft in deren Auftrag handelt. Je nach Affinität des zuständigen staatsanwaltschaftlichen Dezernenten zum Steuerrecht ist die Finanzbehörde in Gestalt der Straf- und Bußgeldsachenstelle (StraBu) bzw. der Steuerfahndung in der Praxis jedoch ungeachtet der formalen Ermittlungskompetenz die faktische Herrin des Ermittlungsverfahrens.4 Ihre Einschätzungen und Bewertungen sind für Staatsanwaltschaften und Strafgerichte prägend. Allzu oft folgen Staatsanwaltschaften den Anträgen und Berichten der Steuerfahndung, ohne diese inhaltlich oder im Hinblick auf ihr Zustandekommen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. So ist der Ermittlungsbericht der Steuerfahndung regelmäßig die Grundlage für die verfahrensabschließende Entscheidung.5 Und auch die zeugenschaftliche Vernehmung von Steuerfahndern in der Hauptverhandlung ist hochproblematisch.6 Es besteht immer eine Gefahr, dass ein steuerrechtlich nicht in der Tiefe eingearbeitetes Gericht der Versuchung erliegt, die Ausführungen ohne eigenverantwortliche Prüfung des Steueranspruchs zu übernehmen.

7.11

Die Rolle der Steuerfahndung ist strukturell problematisch, weil sie eine Doppelfunktion hat: – Zum einen ist sie für die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten zuständig (§ 208 Abs. 1 Nr. 1 AO), was sie an die Regeln der StPO bindet. – Zum anderen hat sie die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln (§ 208 Abs. 1 Nr. 2 AO), wobei sie ihr Handeln auf die Befugnisse der AO stützen kann.

7.12

Beide Aufgaben werden in der Regel von denselben Beamten durchgeführt. Die Steuerfahndung muss dabei jeweils prüfen, welche Befugnisse ihr im Einzelfall zur Verfügung stehen. Insbesondere darf sie die Befugnisnormen nicht beliebig aus den Verfahrensordnungen entnehmen. Dass die Steuerfahndung sich ungeachtet der jeweils einschlägigen Befugnisnorm als 1 Nickolai in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 26 Rz. 102; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 15. 2 Bülte in G/J/W2, 393 AO Rz. 2. 3 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 26 f. 4 Vgl. auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 211 m.w.N. 5 Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 215. 6 Vgl. ausführlich v. Dahlen in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 16 Rz. 48 ff.

268 | Adick

B. Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren | Rz. 7.15 Kap. 7

Teil der Finanzverwaltung bei ihren Entscheidungen auch von fiskalischen Interessen leiten lassen könnte, erhöht die Gefahr für den Beschuldigten zusätzlich. Es gehört deshalb zu den wichtigsten Aufgaben der Verteidigung, die Einhaltung der jeweiligen verfahrensrechtlichen Vorgaben zu überwachen. Die Verteidigung muss darauf achten, dass einseitige und ergebnisgeleitete Festschreibungen von Sachverhalten mit der Folge unzutreffender steuerrechtlicher Bewertung unterbleiben.

III. Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren Die Verteidigung steht hier umso mehr in der Verantwortung, als das Gesetz die Konfliktsituation zwischen den Verfahren nur unzureichend auflöst. Die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde richten sich im Besteuerungs- und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO). Lediglich Zwangsmittel sind unzulässig, wenn dies zu einer Selbstbelastung führen würde (§ 393 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Regelung ist erforderlich, um den mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ zu schützen.1

7.13

Das Verbot von Zwangsmitteln umfasst indes ausschließlich die in § 328 AO genannten Mittel des Zwangsgelds, der Ersatzvornahme sowie des unmittelbaren Zwangs. Nicht tangiert werden die Möglichkeiten der Finanzbehörde, in Einspruchsverfahren eine Ausschlussfrist für die Angabe von Tatsachen zu setzen (§ 364b AO),2 zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung aufzufordern (§ 284 AO)3 oder die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO zu schätzen.4 Zwar darf die Finanzbehörde keine Strafschätzung vornehmen, indem sie aus Anlass der Nichterfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt.5 Die Rechtsprechung sieht es jedoch als zulässig an, in entsprechenden Fällen den oberen Rahmen einer Schätzung zu wählen.6 Entscheidet sich der beschuldigte Steuerpflichtige also, seinen Mitwirkungspflichten mit Blick auf strafrechtliche Risiken nicht nachzukommen, ist die Wirksamkeit dieser Strategie im Zweifel begrenzt. Denn spätestens, wenn der Schätzungsbescheid vorliegt, wird final zu entscheiden sein, welcher Nachteil schwerer wiegt. Entweder wird die ggf. viel zu hohe Steuerlast akzeptiert. Oder sie wird mit Einspruch, Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und ggf. Klage bekämpft, wobei mit der dann ggf. notwendigen Begründung nolens volens eine Straftat offenbart wird. Die Situation stellt sich dann im Ergebnis also nicht wesentlich anders dar, als wenn der Steuerpflichtige von vornherein unter der Androhung von Zwangsmitteln mitgewirkt hätte.7

7.14

Von der Einleitung des Strafverfahrens unberührt bleibt auch die steuerrechtliche Pflicht zur Abgabe richtiger Steuererklärungen.8 Für denselben Zeitraum, für den ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, ist die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen suspendiert, wenn sich der Steuerpflichtige nicht auf rechtmäßigem Wege (Rücktritt oder Selbst-

7.15

1 Bülte in G/J/W2, § 393 AO Rz. 2 m.w.N. 2 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 70. 3 BFH v. 16.7.2001 – VII B 203/00, BFH/NV 2002, 305; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 71. 4 Pflaum in MK-StPO, § 393 AO Rz. 22. 5 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 Rz. 68; Grimsel in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 4 Rz. 63. 6 BFH v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381 = DStR 2001, 847. 7 Ähnlich Jäger in Klein15, § 393 AO Rz. 11. 8 Vgl. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 109.

Adick | 269

Kap. 7 Rz. 7.15 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

anzeige) aus seiner rechtlichen Konfliktlage befreien kann.1 Für nicht vom Ermittlungsverfahren betroffene Besteuerungszeiträume bestehen die Erklärungspflichten unter Strafbewehrung auch dann fort, wenn ein inhaltlicher Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren besteht. In keinem Fall berechtigt der Nemo-tenetur-Grundsatz zur Abgabe einer inhaltlich falschen Steuererklärung.2

IV. Aussetzung des Steuerstrafverfahrens 7.16

Hängt die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon ab, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt oder ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind, so kann das Strafverfahren ausgesetzt werden, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist (§ 396 Abs. 1 AO). Stets ist Voraussetzung für die Aussetzung, dass die Beurteilung der Tat tatsächlich von einer steuerlichen Vorfrage abhängt, also für die Ausfüllung des Tatbestands von § 370 AO erforderlich ist (Vorgreiflichkeit bzw. Aussetzungsgrund).3

7.17

Über die Aussetzung entscheidet im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft, im Verfahren nach Erhebung der öffentlichen Klage das Gericht, das mit der Sache befasst ist (§ 396 Abs. 2 AO). Während der Aussetzung des Verfahrens ruht die Verjährung (§ 396 Abs. 3 AO).

7.18

Die Vorschrift des § 396 AO dient dazu, die aus der Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren folgende Gefahr divergierender Entscheidungen zu vermeiden.4 Diese Gefahr entsteht daraus, dass dem Strafgericht eine uneingeschränkte Vorfragenkompetenz zugestanden wird. Das Strafgericht darf also die steuerlichen Vorfragen in vollem Umfang selbst prüfen. Insbesondere ist das Strafgericht nicht an die Entscheidungen der Finanzbehörde oder des Finanzgerichts gebunden.5 Deshalb ist es denkbar und kommt auch vor, dass es im Strafverfahren zu einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung kommt, obwohl das Finanzgericht den Steueranspruch verneint. Die strafrechtliche Verurteilung hat dann gleichwohl Bestand; insbesondere stellt eine zeitlich spätere Entscheidung des Finanzgerichts keinen strafprozessual ausreichenden Grund für eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens gem. § 359 Nr. 5 StPO dar.6

7.19

Ob die Annahme uneingeschränkter Vorfragenkompetenz im (Internationalen) Steuerrecht stets überzeugend ist, scheint zweifelhaft. Die Praxis zeigt immer wieder, dass sowohl Strafgerichte als auch Staatsanwaltschaften gelegentlich nicht über die materiell-rechtlichen Kenntnisse verfügen, die zur Lösung des Sachverhalts erforderlich wären. Dies ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass auch spezialisierte Staatsanwaltschaften und Wirtschaftsstrafkammern mit stark beschränkten zeitlichen Ressourcen agieren, die einer gründlichen rechtlichen Einarbeitung oft entgegenstehen. Hinzu kommen die in der Praxis ebenfalls anzutreffenden Fälle, in denen Angehörige der Strafjustiz eine fehlende Affinität zum Steuerrecht offen einräumen oder das Problem überhaupt nicht erkennen und auf ihre ausreichende Kompetenz vertrauen.7 Die Vorfragenkompetenz des Strafgerichts entfaltet ihr Gefährdungspotenzial be-

1 2 3 4 5 6 7

Nickolai in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 26 Rz. 111. Bülte in G/J/W2, § 393 AO Rz. 43; Nickolai in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 26 Rz. 104. Gehm, NZWiSt 2012, 244 (246). Jäger in Klein15, § 396 AO Rz. 1; Schauf in Kohlmann, § 396 AO Rz. 12. Pflaum in MK-StPO, § 396 AO Rz. 5; Jäger in J/J/R8, § 396 AO Rz. 5. Jäger in Klein15, § 396 AO Rz. 17. Vgl. Schauf in Kohlmann, § 396 AO Rz. 18: „[...] fehlenden Zurückhaltung und Bescheidenheit der Strafverfolgungsbehörden“.

270 | Adick

B. Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren | Rz. 7.21 Kap. 7

reits im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Selbst grundrechtsintensive Entscheidungen wie die Anordnung von Vermögensarresten (§ 111e StPO) oder erst recht von Untersuchungshaft fallen auch dann in die ausschließliche Zuständigkeit des Ermittlungsrichters am Amtsgericht, wenn dem Tatvorwurf ein komplexer steuerrechtlicher Sachverhalt zugrunde liegt. Wirksamer steuerlicher Rechtsschutz besteht in diesem Stadium des Ermittlungsverfahrens trotz der teilweise existenzvernichtenden Folgen entsprechender Maßnahmen nicht. Dem Beschuldigten nutzt es wenig, wenn ein Finanzgericht später feststellt, dass der dem Beschluss über die Anordnung von Vermögensarrest oder Untersuchungshaft zugrunde liegende Steueranspruch nicht bestand. Die Bonität ist dann im Zweifel bereits irreversibel ruiniert, ganz zu schweigen von den persönlichen Auswirkungen, die mit Untersuchungshaft einhergehen können. In solchen Fällen wird das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren wohl zu Recht als Achillesferse des Rechtsstaats bezeichnet.1 Divergierende Entscheidungen im Besteuerungs- und Strafverfahren sind misslich und geeignet, das allgemeine Vertrauen in die Rechtssicherheit in Zweifel zu ziehen.2 Keinem Mandanten ist zu vermitteln, warum er durch ein Strafgericht wegen Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe verurteilt werden kann, obwohl das Finanzgericht – ggf. Jahre später – zu der Erkenntnis gelangt, dass der vermeintlich verletzte Steueranspruch nie oder nicht in der Höhe bestand. Dabei ist es keine Seltenheit, dass im Strafverfahren bereits das Revisionsgericht mit der Sache befasst ist, während im Besteuerungsverfahren noch nicht einmal eine Einspruchsentscheidung ergangen ist.3

7.20

Gleichwohl gibt es keinen Anspruch auf Aussetzung des Strafverfahrens. Wegen der uneingeschränkten Vorfragenkompetenz der Strafgerichte steht die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens im Ermessen der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts. Selbst bei schwierigen, ungeklärten Rechtsfragen besteht keine Pflicht zur Aussetzung.4 Das Ermessen besteht sowohl hinsichtlich der Frage, ob ausgesetzt wird sowie hinsichtlich des Zeitpunktes und der Dauer der Aussetzung. In die Ermessenentscheidung soll dabei auch bei einem entsprechenden Antrag des Beschuldigten der Umstand eingestellt werden, dass der Beschuldigte einen Anspruch auf zügige Durchführung des Verfahrens hat (Art. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK). Wirklich überzeugend ist diese Argumentation mit dem Beschleunigungsgrundsatz indes nicht. Denn das Interesse des Beschuldigten an einer inhaltlich richtigen Entscheidung dürfte ein potenzielles Interesse an einer zügigen Verfahrensführung regelmäßig überwiegen.5 Insbesondere existiert kein Rechtssatz des Inhaltes, dass eine schnelle, aber falsche Entscheidung für den Beschuldigten besser wäre als eine späte, zutreffende Entscheidung. Die aus Sicht der Staatsanwaltschaften und Gerichte wohl entscheidendere Erwägung dürfte daher sein, dass die Dauer eines Strafverfahrens ein Strafzumessungsgrund ist, so dass die Aussetzung zu einer milderen Strafe führen kann. Würde eine länger dauernde Aussetzung dazu führen, dass im Falle einer Verurteilung eine schuldangemessene Strafe nicht mehr erfolgen könnte, soll dies der Aussetzung regelmäßig entgegenstehen.6 In der Praxis ist die Bedeutung von § 396 AO auch deshalb gering.7

7.21

1 2 3 4 5 6 7

Mellinghoff in DStJG 38 (2015), 440. Jäger in J/J/R8, § 396 AO Rz. 5; Weyand in G/J/W2, § 396 AO Rz. 1. Vgl. auch Jäger in J/J/R8, § 396 AO Rz. 10. Jäger in Klein15, § 396 AO Rz. 11. Schauf in Kohlmann, § 396 AO Rz. 20 m.w.N. Jäger in Klein15, § 396 AO Rz. 10. Schauf in Kohlmann, § 396 AO Rz. 17.

Adick | 271

Kap. 7 Rz. 7.22 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers I. Rechtsstellung und Person 7.22

Die Rechtsstellung des Verteidigers wird nicht einheitlich definiert. Sie ist nach wie vor Gegenstand einer für die Praxis nur bedingt relevanten Kontroverse.1 Berechtigten Zuspruch findet jedenfalls die Auffassung, dass die Tätigkeit des Verteidigers nicht allein im Interesse des Mandanten, sondern auch im Interesse einer Rechtspflege liegt, deren Handeln rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen soll. Der Verteidiger wird von einer stark vertretenen und namentlich auch in der Rechtsprechung geteilten Auffassung als Organ der Rechtspflege bezeichnet, das dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gleichrangig ist.2

1. Rechtsanwälte und europäische Rechtsanwälte 7.23

Als Verteidiger in Steuerstrafsachen kann jeder in Deutschland zugelassene Rechtsanwalt (oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule) tätig werden (§ 138 Abs. 1 StPO).

7.24

Rechtsanwalt in diesem Sinne ist insbesondere auch ein Anwalt aus einem anderen Mitgliedsstaat der EU oder der Schweiz. Ein Rechtsanwalt aus einem EU-Staat kann grundsätzlich auch in deutschen Strafverfahren als Verteidiger tätig werden. Rechtsanwälte aus Nicht-EUStaaten benötigen hierfür die Zustimmung des Gerichts (§ 138 Abs. 2 StPO). Sofern es sich um einen Fall notwendiger Verteidigung handelt, dürfen sie ausschließlich in Gemeinschaft mit einem nach § 138 Abs. 1 StPO zugelassenen Verteidiger tätig werden.

7.25

Für Kooperationen zwischen einem deutschen Verteidiger und einem Verteidiger aus dem EU-Ausland kommt insbesondere ein ausländischer Rechtsanwalt in Betracht, der in Deutschland niedergelassen ist (§ 2 Abs. 1 EuRAG). Für im Herkunftsland registrierte europäische Rechtsanwälte besteht die Möglichkeit, sich nach Durchlaufen eines besonderen Verfahrens in die für den Sitz ihrer Niederlassung örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer aufnehmen zu lassen (registrierter Anwalt). Sie können dann unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates oder – nach dreijähriger Tätigkeit (§§ 11, 12 EuRAG) – auf Antrag zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden (integrierter Anwalt). Der Vorteil einer solchen Kooperation liegt insbesondere in den zu erwartenden deutschen Sprachkenntnissen sowie der rechtlichen Qualifikation im Herkunftsland.

7.26

Überdies können Rechtsanwälte aus dem EU-Ausland in anderen Mitgliedstaaten vorübergehend tätig werden. Der sog. dienstleistende europäische Rechtsanwalt hat im Zusammenhang mit der Vertretung oder Verteidigung eines Mandanten die Stellung eines deutschen Rechtsanwalts (§ 27 EuRAG). Voraussetzung ist, dass er gegenüber der Rechtsanwaltskammer, dem Gericht oder der Behörde, vor der er auftritt, seine Rechtsanwaltseigenschaft (im Herkunftsland) nachweist (§ 26 Abs. 2 EuRAG). Damit kann auch ein europäischer Rechtsanwalt in Deutschland grundsätzlich selbst die Verteidigung seines Mandanten führen, solange kein Fall notwendiger Verteidigung (§ 28 Abs. 1 EuRAG i.V.m. § 140 StPO) vorliegt.

7.27

Im EuRAG nicht geregelt ist der in der Praxis jedoch wohl häufigste Fall, dass ein deutscher Verteidiger seinen Mandanten in einem Verfahren in Deutschland verteidigt und einen Verteidiger aus dem Ausland ergänzend hinzuziehen möchte. Soweit der ausländische Verteidiger keine Tätigkeit mit Außenwirkung gegenüber Behörden und Gerichten entfaltet, ist dies 1 Zur Entwicklung der Diskussion eingehend Salditt in MAH Strafverteidigung2, § 1 Rz. 4 ff. 2 Kudlich in MK-StPO, Einleitung Rz. 310 m.w.N.; RGSt 17, 315 (316); vgl. auch Jaeger, NJW 2004, 1.

272 | Adick

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers | Rz. 7.31 Kap. 7

unproblematisch möglich. Es steht dem Mandanten frei, so viele Berater wie gewünscht aus unterschiedlichen Rechtsordnungen hinzuzuziehen. Ebenso können deutsche Rechtsanwälte in Ausübung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich auch in anderen EU-Staaten als Verteidiger tätig werden. Die Einzelheiten richten sich nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedsstaates.

7.28

2. Steuerliche Berater Im Steuerstrafverfahren können Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (steuerliche Berater) als Verteidiger auftreten, soweit das Verfahren von der Finanzbehörde selbständig durchgeführt wird (§ 392 AO). In diesen Fällen hat der steuerliche Berater die gleichen Verteidigungsmöglichkeiten wie ein Rechtsanwalt. Im Übrigen können steuerliche Berater die Verteidigung nur gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt oder einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule durchführen, sofern sie nicht im Einzelfall zugelassen werden (§ 138 Abs. 2 StPO). Die Befugnis zur Verteidigung für steuerliche Berater endet, sobald die Staatsanwaltschaft oder das Gericht mit dem Verfahren befasst sind; Ausnahmen bestehen für das Strafbefehlsverfahren. Inhaltlich ist die Verteidigungsbefugnis ohnehin auf Steuerdelikte beschränkt.

7.29

Ob die Verteidigung durch den eigenen Steuerberater sinnvoll ist, kann nicht pauschal gesagt werden. Das Risiko eines Interessenkonfliktes ist jedoch in den allermeisten Fällen sehr hoch.1 Hat der steuerliche Berater durch seine Beratung dazu beigetragen, dass es zu einer Verkürzung von Steuern gekommen ist oder auch nur ein entsprechender Verdacht gegen den Mandanten entstanden ist, wird er ein eigenes Interesse (z.B. an der Vermeidung von Haftung gegenüber dem Mandanten oder auf die verkürzten Steuern) kaum vollständig ausblenden können. Bereits der Anschein, befangen zu sein und nicht ausschließlich dem Mandanten beizustehen, sollte jedoch vermieden werden. Erst recht sollte von der Übernahme des Verteidigungsmandats abgesehen werden, wenn der steuerliche Berater als Tatbeteiligter in Betracht kommt oder sonst ein Risiko besteht, dass ein Vorwurf gegen ihn erhoben werden könnte. Insoweit ist zu bedenken, dass die regelmäßig erfolgte Vorbefassung des steuerlichen Beraters – insbesondere in Form einer Mitwirkung bei der Umsatz- oder Gewinnermittlung sowie der Abgabe von Steuererklärungen – das Risiko eigener strafrechtlicher Verfolgung gegenüber einem unabhängigen Berater, der erst später hinzukommt, signifikant erhöht.2 Dies gilt erst recht, wenn man die Rechtsprechung zur Annahme einer Beihilfestrafbarkeit bei sog. berufsneutralen Handlungen3 und die gestiegene Bereitschaft berücksichtigt, auch Berater als Beschuldigte zu erfassen. Nach hier geteilter Ansicht sollten die steuerlichen Berater daher grundsätzlich nicht als Verteidiger auftreten.4 Jenseits dessen wird sich der im Interesse seines Mandanten agierende steuerliche Berater ohnehin die Frage stellen, ob er über ausreichende Kenntnisse im Strafrecht verfügt, um die Verteidigung ohne einen Rechtsanwalt zu führen. Abzuraten ist davon, die Verteidigung zunächst einmal selbst zu übernehmen, um dann ggf. später einen Rechtsanwalt zu involvieren. Oftmals sind dann entscheidende Weichen bereits falsch gestellt.

7.30

Schließlich ist zu bedenken, dass der steuerliche Berater unter Umständen als Zeuge in Betracht kommt und ggf. eine Aussage machen kann, die den Mandanten entlastet. Der Wert

7.31

1 Krause/Prieß in MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen2, § 34 Rz. 168. 2 Randt in J/J/R8, § 392 AO Rz. 14. 3 Vgl. BGH v. 21.8.2014 – 1 StR 13/14, NStZ-RR 2014, 316; zu Risiken für Rechtsanwälte und Steuerberater vgl. ausführlich Kämpfer/Buhlmann in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 11. 4 Ebenso Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen5, Rz. 44.

Adick | 273

Kap. 7 Rz. 7.31 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

einer solchen Zeugenaussage ist durch ein Gericht sicher anders zu bewerten, wenn der steuerliche Berater auch als Verteidiger des Mandanten agiert.

3. Fachliche und internationale Kooperation 7.32

Aufgrund der komplizierten Rechtslage im (Internationalen) Steuerstrafrecht sollte frühzeitig erwogen werden, die Verteidigung generell durch Steuerrechts- und Strafrechtsspezialisten gemeinsam zu führen. Insbesondere eine fundierte Einschätzung zur vorgreiflichen steuerlichen Frage nach dem Steueranspruch und etwaigen Möglichkeiten, diesen mit Erfolg anzugreifen, kann für die richtige Verteidigungsstrategie im Strafverfahren von entscheidender Bedeutung sein. Auch wenn Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren rechtlich voneinander unabhängig sind, besteht eine faktische Ausstrahlungswirkung. Entscheidungen im Besteuerungsverfahren können den Fortgang des Steuerstrafverfahrens beeinflussen. So stützt z.B. die (positive) Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung auch die materiell-rechtlichen Einwendungen des Beschuldigten im Steuerstrafverfahren.1 Eine fachübergreifende Kooperation zwischen einzelnen Beratern setzt dabei Vertrauen und ein hohes Maß an Abstimmung voraus.2

7.33

Werden die Ermittlungen gegen den Mandanten sowohl in Deutschland als auch im Ausland geführt, empfiehlt es sich stets, frühzeitig mit einem Verteidiger zu kooperieren, der das ausländische Verfahren betreuen und einen engen Austausch über die verfahrensrelevanten Informationen sicherstellen kann. Weil der Grundsatz „ne bis in idem“ bis zum Zeitpunkt einer rechtskräftigen Verurteilung keine grenzüberschreitenden Parallelermittlungen verbietet,3 muss die Verteidigung die Entwicklungen jenseits der Grenze überwachen und den dortigen Verfahrensstand laufend in die eigene Strategie einbeziehen. So kann es insbesondere eine strategische Erwägung ein, in derjenigen Rechtsordnung einen schnellen rechtskräftigen Verfahrensabschluss herbeizuführen, die die mildesten Sanktionen für die vorgeworfene Tat vorsieht und dann ggf. weitere Sanktionen in anderen Ländern sperrt.

7.34

Eine gute anwaltliche Beratung in grenzüberschreitenden Fällen setzt den Aufbau eines internationalen Netzwerks voraus.4 Hierfür bieten berufsständische Vereinigungen, wie z.B. die European Criminal Bar Association (ECBA) oder die American Bar Association (ABA), nicht nur die entsprechenden Plattformen, sondern auch die Möglichkeit, im Bedarfsfall gezielt spezialisierte Anwälte im Ausland zu finden.

II. Aufgaben der Verteidigung 1. Überblick 7.35

Der Beschuldigte hat das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers zu versichern (§ 137 Abs. 1 Satz 1 StPO). Das Recht ist verfassungsrechtlich verbürgt und Ausdruck eines fairen Verfahrens.5 Dies gilt unmittelbar für das behördliche Ermittlungsverfahren, spielt jedoch zunehmend auch bei internen Untersuchungen eine wichtige Rolle. 1 2 3 4 5

Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 264. Vgl. auch Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen5, Rz. 44. Schomburg/Wahl in S/L/G/H6, Hauptteil III Kap. 2 Rz. 5. Gleß/Hackner/Trautmann in S/L/G/H6, Einl. Rz. 71. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 137 StPO Rz. 2. Auf EU-Ebene ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48/EU (ABl. EU 2013 Nr. L 294, 1) das Grundprinzip, dass Verdächtigen und beschuldigten Personen das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass sie ihre Verteidigungsrechte praktisch und wirksam wahrnehmen können. Vgl. auch EuGH v. 12.3.2020 – C-659/18, ECLI:EU:C:2020:201 – VW.

274 | Adick

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers | Rz. 7.38 Kap. 7

2. Ermittlungsverfahren Aus der besonderen Stellung des Verteidigers im Strafverfahren folgt seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass das Verfahren sachdienlich und in geordneten Bahnen durchgeführt wird. Dies schließt zwar das Verbot ein, das Verfahren zu obstruieren, begründet jedoch keine Pflicht, sich dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft loyal zu verhalten. Der Verteidiger ist Beistand seines Mandanten, dabei aber stets unabhängig und insbesondere dessen Weisungen nicht unterworfen. Seine Aufgabe besteht darin, die Rechte seines Mandanten zu wahren, zur Beachtung aller ihm günstigen tatsächlichen und rechtlichen Umstände beizutragen und einseitig auf die strenge Justizförmigkeit des Verfahrens hinzuwirken.1 Das BVerfG sieht ihn als „Garant der Unschuldsvermutung“ an.2

7.36

Der Verteidiger ist somit einseitiger Interessenvertreter und jedenfalls nach einem zeitgemäßen Berufsverständnis auch Dienstleister. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe darf er grundsätzlich alles tun, was in rechtlich zulässiger Weise seinem Mandanten nützt. Er darf allerdings die Wahrheitsermittlung nicht behindern. Schon berufsrechtlich ist es ihm untersagt, unwahre Tatsachen vorzutragen (§ 43a Abs. 3 BRAO). Erst recht darf der Verteidiger sich nicht dem Anschein aussetzen, bei der Wahrung der Interessen seines Mandanten möglicherweise selbst eine Straftat zu begehen. In Betracht kommen insbesondere die Delikte der Begünstigung (§ 257 StGB), der Strafvereitelung (§ 258 StGB) oder der Geldwäsche (§ 261 StGB). Vereitelt ein Strafverteidiger die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, für die kein Beschlagnahmeverbot besteht, indem er absichtlich oder wissentlich falsche Angaben zu seinem Besitz an diesen macht, überschreitet er die Grenzen zulässiger Verteidigung.3 Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung, wenn dadurch das Strafverfahren gegen den Mandanten zumindest für geraume Zeit verzögert wird. In steuerstrafrechtlichen Mandaten ist zudem darauf zu achten, dass der Verteidiger nicht selbst unzutreffende oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen macht und so den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verwirklicht. Ein besonderes Risiko besteht insoweit bei Verhandlungen über tatsächliche Verständigungen, weil in diesem Rahmen gemachte Angaben eine eigene Steuerstraftat des Verteidigers darstellen können. Generell wird der Verteidiger gut daran tun, in jeder Hinsicht unabhängig zu bleiben und sich nicht vor den Karren seines Mandanten spannen zu lassen. Dies ist weder im eigenen Interesse noch letztlich im Interesse des jetzigen oder künftiger Mandanten.

7.37

Häufig stellt sich heraus, dass die individuelle Verteidigung der beschuldigten Organmitglieder oder Mitarbeiter auf einem gemeinsamen Sockel aufgebaut werden kann. Unter einer Sockelverteidigung wird die aufeinander abgestimmte Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch deren Verteidiger bezeichnet. Dies ermöglicht die Entwicklung einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie mit dem Ziel, die Effektivität zu steigern und Synergien zu nutzen.4 Die im Rahmen eines Sockels stattfindende Abstimmung von Verteidigungsverhalten wird allgemein als zulässig angesehen.5

7.38

Randt in J/J/R8, § 392 AO Rz. 7. BVerfG v. 8.10.1974 – 2 BvR 747/73, NJW 1975, 103. BGH v. 8.8.2018 – 2 ARs 121/18, 2 AR 69/18, NStZ 2019, 100 m. Anm. Bockemühl. Vgl. Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, Teil 5 Rz. 444; Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 27 f. 5 LG Frankfurt v. 4.4.2008 – 1 Ws 50/08, NStZ-RR 2008, 203; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 138 StPO Rz. 11 m.w.N; Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, Teil 5 Rz. 510. 1 2 3 4

Adick | 275

Kap. 7 Rz. 7.39 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

3. Interne Untersuchungen 7.39

Die Aufgabe des Verteidigers hat in den vergangenen Jahren eine maßgebliche Erweiterung erfahren. In zunehmendem Maße findet Verteidigung zumindest in einem weiteren Sinne nicht mehr (allein) gegenüber dem Staat in behördlichen Ermittlungsverfahren, sondern auch gegenüber Privaten im Rahmen sog. interner Untersuchungen statt.1 Ziel unternehmensinterner Untersuchungen (internal investigations) ist die Aufklärung von Rechtsverstößen durch Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten innerhalb privater Unternehmen. Das gesellschaftsrechtliche Legalitätsprinzip (§ 76 Abs. 1, § 93 Abs. 1 AktG, § 43 GmbHG) begründet eine Pflicht der Organe, mögliche Pflichtverletzungen innerhalb des Unternehmens aufzuklären und künftige Rechtsverstöße zu verhindern.2 Interne Untersuchungen finden dabei im Vorfeld von oder parallel zu Ermittlungsverfahren statt. Typisch ist etwa der Fall, dass ein multinational tätiges Unternehmen Anhaltspunkte auf steuerliche Verfehlungen (z.B. bei der Vergütung der Mitarbeiter) entdeckt und diesen zur Vorbereitung einer steuerlichen Korrektur nachgeht. Ebenso weit verbreitet sind nach wie vor Sachverhalte, die auf Korruptionsdelikte mit der steuerlichen Folge eines Abzugsverbots (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG) hindeuten.

7.40

Ein wesentliches Element interner Untersuchungen ist die Befragung von Mitarbeitern (Interviews). Diese werden häufig von externen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern durchgeführt. Für Arbeitnehmer besteht grundsätzlich eine auf §§ 675, 666 BGB gestützte Pflicht, an entsprechenden Befragungen teilzunehmen.3 Die Auskunftspflicht wird dabei als umfassend verstanden und soll insbesondere die Rechtspflicht umfassen, Gesetzesverstöße und Straftaten gegenüber dem Arbeitgeber zu offenbaren. Ob dem Arbeitnehmer dabei ein Schutz vor Selbstbelastung zu gewähren ist, wurde bisher nicht abschließend geklärt. Zumindest die herrschende Ansicht lehnt jedoch eine Anwendung des nemo-tenetur-Grundsatzes ausdrücklich ab. Vielmehr wird der Arbeitnehmer allgemein als uneingeschränkt aussagepflichtig angesehen, auch wenn er sich selbst belastet.4

7.41

Selbst wenn der Zweck einer internen Untersuchung nicht bereits darin besteht, die gewonnenen Erkenntnisse den Finanzbehörden oder der Staatsanwaltschaft mitteilen zu können, besteht zumindest eine hohe Gefahr, dass Protokolle über die Interviews oder von dem Mitarbeiter erteilte Informationen im weiteren Verlauf zur Kenntnis der Behörden gelangen. Finanzbehörden und Staatsanwaltschaft können alle Informationen, die sie auf diese Weise erlangen, grundsätzlich verwerten. Und selbst wenn die Ergebnisse der internen Untersuchung nicht freiwillig (z.B. in dem Bemühen um Sanktionsmilderung) mitgeteilt werden: Die Rechtsprechung erkennt zumindest im deutschen Recht grundsätzlich keinen Beschlagnahmeschutz an.5 Wird die interne Untersuchung in einem multinationalen Unternehmen grenzüberschreitend geführt, potenziert sich das Risiko nochmals. Insbesondere ist vorstellbar, dass Informationen und Unterlagen zwischen den beteiligten Behörden mehrerer Länder ausgetauscht werden und zur Strafverfolgung führen. Etwaige Zusagen des Unternehmens oder der Untersuchungspersonen, dem Mitarbeiter Schutz zu gewährleisten, können sich al1 Grundlegend zu internen Untersuchungen vgl. Rotsch in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1 Kap. 1 Rz. 57 ff. 2 Eingehend Potinecke/Block in Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. 2 Rz. 4 ff. 3 Vgl. Grimm, NZA 2019, 1534 (1535). 4 Rotsch in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1 Kap. 4 Rz. 61 m.w. N., Grimm, NZA 2019, 1534 (1535). 5 Eingehend zur Beschlagnahme von Unterlagen interner Ermittlungen vgl. Schoop in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 13 Rz. 43.

276 | Adick

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers | Rz. 7.45 Kap. 7

lenfalls auf arbeitsrechtliche und zivilrechtliche Schritte beziehen. Hinsichtlich der strafrechtlichen Risiken kann das Unternehmen keine wirksamen entsprechenden Zusagen treffen. Der Verteidiger wird in dieser Situation mit seinem Mandanten die unterschiedlichen Chancen und Risiken des Verhaltens abzuwägen haben. Insbesondere wird er zu prüfen haben, ob im Hinblick auf ein anstehendes Interview noch eine Selbstanzeige (§ 371 AO) möglich ist oder andere Aussichten bestehen, den Mandanten möglichst umfassend vor künftigen staatlichen Ermittlungshandlungen zu schützen. In jedem Fall sollte der Verteidiger darauf hinwirken, den Mandanten zu dem Interview als Rechtsbeistand zu begleiten. Selbst wenn ein Anspruch auf Begleitung durch einen Rechtsanwalt nicht besteht, wird dies in aller Regel durch den Arbeitgeber oder die Untersuchungspersonen nicht abgelehnt werden. Es entspricht auch ausdrücklich den von der BRAK empfohlenen Standards und der unterdessen anerkannten best practice.1 Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (VerSanG) vom 22.4.20202 sieht ein entsprechendes Recht ausdrücklich vor (§§ 16 ff. VerSanG).

7.42

In dem Interview ist der Mandant grundsätzlich in derselben belastenden Sondersituation wie bei einer Vernehmung durch staatliche Stellen. Der Verteidiger sollte deshalb insbesondere darauf achten, ob der Mandant ihm gestellte Fragen richtig versteht und seine Antworten zutreffend protokolliert werden. Ferner sollte er selbstverständlich intervenieren, wenn der Mandant unzulässig unter Druck gesetzt wird.

7.43

III. Unternehmensanwalt 1. Aufgabe und Funktion Noch weiter vom ursprünglichen strafprozessualen Leitbild von Verteidigung entfernt ist die strafrechtliche Beratung und Vertretung von Verbänden bzw. juristischen Personen (als sog. Firmen- oder Unternehmensanwalt).3 In der Praxis hat dieser Bereich in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Zwar kennt zumindest das derzeitige Recht noch keine originäre Strafbarkeit juristischer Personen. Allerdings können auch juristische Personen selbst Adressaten von Sanktionen nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht sein, wenn es zu Pflichtverletzungen der für sie handelnden natürlichen Personen kommt. Insbesondere kommen eine Einziehung von Vermögenswerten (§ 73 Abs. 1, Abs. 3 StGB) sowie Bußgelder (§ 30 OWiG) und Verfallsanordnungen (§29a OWiG) in Betracht. Wegen entsprechender Sanktionen kann gem. § 444 StPO die Nebenbeteiligung des Unternehmens angeordnet sein.4

7.44

Unterhalb dieser Schwelle kann Unternehmen eine zeugenähnliche Rolle im Steuerstrafverfahren zukommen, etwa wenn es um den Zugriff nationaler oder internationaler Behörden

7.45

1 Vgl. BRAK-Stellungnahme-Nr. 35/2010, These 3 Ziffer 4; Zimmermann/Lingscheid, CB 2013, 23 (25). 2 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft v. 22.4.2020, abzurufen unter www.bmjv.de. 3 Vgl. Wessing in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance3, § 46 Rz. 75 ff.; zu Begriff und Tätigkeit eingehend Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, Teil 5 Rz. 435. 4 Hierzu Kempf/Schilling in MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen2, § 10 Rz. 164; zur Rolle des Unternehmens im Strafverfahren vgl. auch Blumhoff in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 12.

Adick | 277

Kap. 7 Rz. 7.45 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

auf in der Sphäre des Unternehmens vorhandene Informationen, Unterlagen oder Daten geht.

7.46

Die Einbeziehung von Unternehmen in ein drohendes oder bereits laufendes Strafverfahren hat eine eigene Art von Verteidigungstätigkeit entstehen lassen.1 Im Kern geht es darum, dem Unternehmensinteresse durch eine eigene rechtliche Vertretung in dem Strafverfahren Geltung zu verschaffen. Das Unternehmensinteresse entzieht sich zwar einer allgemein verbindlichen Definition. Es beinhaltet jedoch neben der Abwehr von Sanktionen oft das Interesse, negative Publizität zu vermeiden und sich möglichst schnell dem Tagesgeschäft zuwenden zu können.2 Der Unternehmensanwalt nimmt ausschließlich die Interessen des Unternehmens war. Nach außen umfasst seine Tätigkeit insbesondere die Vertretung des Unternehmens gegenüber den Ermittlungsbehörden unter ausdrücklicher Mitteilung eines Verteidigungsverhältnisses. In aller Regel übernimmt der Unternehmensverteidiger je nach konkretem Umfang seines Auftrags insbesondere die folgenden Aufgaben:3 – Kommunikation mit den Ermittlungsbehörden, um (ggf. beschuldigte) Organmitglieder oder Mitarbeiter nicht zu exponieren und den Informationsfluss zu kontrollieren; – Prüfung und Einlegung etwaiger Rechtsmittel gegen Ermittlungsmaßnahmen; – Auswahl von Verteidigern für einzelne Beschuldigte und Koordination der Verteidigung; – Beantwortung von Anfragen der Ermittlungsbehörden und ggf. Medienvertretern; – Terminierung von Zeugenvernehmungen und ggf. Organisation eines Zeugenbeistands; – laufende Unterrichtung der Geschäftsführung.

7.47

Insgesamt geht es darum, durch die Einschaltung eines Unternehmensverteidigers dieselbe Professionalität zu gewährleisten, die seitens der Ermittlungsbehörden zu erwarten ist. Gelegentlich kommt es jedoch vor, dass die Geschäftsführung der Auffassung ist, (auch) selbst mit den zuständigen Ermittlungspersonen sprechen zu wollen, um die Sichtweise des Unternehmens angemessen zu verdeutlichen und den Vorwürfen entgegenzutreten. Dies ist insoweit verständlich, als die Geschäftsführung die Geschicke des Unternehmens in anderen schwierigen Zusammenhängen lenkt und sich insgesamt dem Unternehmen, seinen Anteilseignern und seinen Mitarbeitern verantwortlich fühlen wird. Gleichwohl sollte der Unternehmensverteidiger intervenieren. In einem Steuerstrafverfahren gelten völlig andere Regeln als im Wirtschaftsleben. Der Umgang mit den Ermittlungsbehörden sollte entsprechend fachkundigen und erfahrenen Verteidigern überlassen bleiben. Zu groß ist die Gefahr, dass Missverständnisse entstehen und Verteidigungspositionen aufgegeben werden müssen.

7.48

Je nach Lage des Falls kann es sich empfehlen, eine schriftliche Unternehmensstellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen abzugeben. Der Vorteil einer solchen Stellungnahme liegt in der Regel darin, dass tatsächliche und rechtliche Einwendungen gegen den Verdacht erhoben werden können, ohne dass auf individuelle Verantwortlichkeiten eingegangen wird. Auf diese Weise können insbesondere entlastende Tatsachen, die für alle gleichermaßen gelten, vor die Klammer gezogen werden. Diese prozessökonomische Vorgehensweise, die ggf. zahlreiche re1 Taschke, StV 2007, 495 (496); Jahn, ZWH 2012, 477. 2 Sidhu/von Saucken/Ruhmannseder, NJW 2011, 881 (882). 3 Vgl. auch BRAK-Stellungnahme Nr. 35/2010, These 1 Ziffer 4; vgl. auch Wessing in Hauschka/ Moosmayer/Lösler Corporate Compliance3, § 46 Rz. 76; Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, Teil 5 Rz. 441.

278 | Adick

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers | Rz. 7.51 Kap. 7

dundante Schriftsätze mehrerer Verteidiger überflüssig machen kann, wird häufig auch von den Ermittlungsbehörden begrüßt.1 Nach innen umfasst die Tätigkeit als Unternehmensanwalt regelmäßig die Organisation und rechtliche Begleitung der internen Aufklärung des Sachverhaltes im Rahmen der bereits vorstehend angesprochenen internen Untersuchungen (internal investigations). Regelmäßig wird diese Tätigkeit in Kooperation mit Wirtschaftsprüfern oder forensischen Sonderprüfern erbracht, weil die erforderlichen Arbeiten insbesondere im Bereich der IT-Auswertung die fachlichen Kenntnisse und Kapazitäten einer reinen Anwaltskanzlei schnell übersteigen.

7.49

2. Doppelmandate In jedem Fall problematisch dürfte es in aller Regel jedoch sein, ein Doppelmandat zur strafrechtlichen Vertretung des Unternehmens und zur Verteidigung eines Organmitglieds oder Mitarbeiters anzunehmen. Selbst wenn man anerkennt, dass die Vertretung des Unternehmens keine Verteidigertätigkeit i.e.S. darstellt und das strafprozessuale Verbot der Mehrfachverteidigung nicht greift, ist doch stets und offensichtlich mit Interessenkollisionen zu rechnen. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass die Interessen des Unternehmens zu irgendeinem Zeitpunkt den Interessen individueller Beschuldigter zuwiderlaufen. Gerade am Anfang eines Ermittlungsverfahrens ist nicht absehbar, wie sich das Verfahren einmal entwickeln wird. Bei Auftreten eines Interessenkonflikts müssten dann beide Mandate unverzüglich niedergelegt werden. Nach hier vertretener Auffassung sollte daher die Unternehmensverteidigung von der Individualverteidigung strikt getrennt werden. Beide Mandate sollten jenseits möglicher rechtlicher Zulässigkeit solchen Vorgehens auch nicht von unterschiedlichen Berufsträgern derselben Sozietät geführt werden.2 Insbesondere sollte die gebotene trennscharfe Abgrenzung der jeweiligen Mandanteninteressen nicht aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen verwischt werden;3 zutreffend wird von der Nagelprobe für das Berufsethos des Anwalts gesprochen.4

7.50

IV. Zeitpunkt der Verteidigungstätigkeit Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der Verteidigungstätigkeit lässt sich einfach beantworten: so früh wie möglich.5 Bekanntlich lässt sich das Strafverfahren in drei wesentliche Abschnitte gliedern. Auf das in der Hand der Staatsanwaltschaft liegende Ermittlungsverfahren folgt bei Erhebung einer Anklage das Zwischenverfahren. Sieht man von zwischenzeitlichen Entscheidungen des Ermittlungsrichters (z.B. über einen Antrag auf Erlass einer Durchsuchungs- oder Beschlagnahmeanordnung etc.) ab, ist im Zwischenverfahren erstmals ein Gericht mit dem Sachverhalt befasst. Dem Zwischenverfahren kommt in der Theorie eine wichtige Filterfunktion zu.6 Die praktische Bedeutung ist jedoch äußerst gering. Die überwiegende Zahl der Anklagen passiert das Zwischenverfahren und gelangt ins Hauptverfahren; weniger als 0,5 % der angeklagten Verfahren werden nicht eröffnet.7 Kommt es dort zur öffentlichen Hauptverhandlung, ist für den Mandanten unter mehreren Gesichtspunkten schon vieles ver1 2 3 4 5 6 7

Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 36. Wie hier Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, Teil 5 Rz. 443. Ebenso Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 39. Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, Teil 5 Rz. 443. Kuhn in Kuhn/Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht3, Rz. 399. Wenske in MK-StPO, § 199 StPO Rz. 2. Wehnert in MAH Strafverteidigung2, § 5 Rz. 7 ff.

Adick | 279

7.51

Kap. 7 Rz. 7.51 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

loren. Der Tatvorwurf ist mehrfach schriftlich fixiert worden, die Staatsanwaltschaft und das den Eröffnungsbeschluss treffende Gericht der Hauptsache haben einen Verdacht bejaht und die Existenz des Verfahrens wird öffentlich.

7.52

Die gesetzlichen Regelungen zur Verteidigung (§§ 137 ff. StPO) zeigen, dass dem Gesetzgeber die Tätigkeit des Verteidigers in der Hauptverhandlung vor Augen stand. Insbesondere die Vorschriften zur Vernehmung von Zeugen oder zur Stellung von Beweisanträgen betreffen das Stadium der Hauptverhandlung.

7.53

Die Praxis hat mit diesem ursprünglichen Leitbild nicht mehr viel zu tun. Längst ist anerkannt, dass die wesentlichen Weichen für ein Steuerstrafverfahren bereits im Ermittlungsverfahren gestellt werden. Unterlassungen, die in diesem Stadium begangen werden und zu Fehlern in der Sachverhaltsfeststellung oder der rechtlichen Bewertung führen, sind später kaum noch zu korrigieren.1 Die Vorstellung von Verteidigung, die nach Abschluss der Ermittlungen beginnt und sich im Wesentlichen erst vor Gericht entfaltet, ist überkommen.2

V. Verteidigung im Ermittlungsverfahren 1. Erstgespräch 7.54

Die Tätigkeit des Verteidigers im Steuerstrafverfahren beginnt mit der erstmaligen Beratung des (potenziellen) Mandanten. Dabei kommt es häufig vor, dass der Verteidiger den Mandanten anlässlich einer Zwangsmaßnahme wie einer Durchsuchung oder vermögenssichernder Maßnahmen kennenlernt oder dass der Mandant noch unter dem Eindruck einer kurz zuvor erlebten Maßnahme dieser Art steht. Hierbei zeigt sich immer wieder, dass die erstmalige Konfrontation mit der Staatsmacht auch im Wirtschafts- und Berufsleben erfahrene Menschen stark beeindruckt. In dieser belastenden Sondersituation wird dem Verteidiger u.a. die Fähigkeit abverlangt, schnell ein Vertrauensverhältnis zu etablieren. Gelegentlich ist zu beobachten, dass Anwälte im Erstgespräch vorschnelle Zusagen über den weiteren Verfahrensverlauf oder den Erfolg möglicher Rechtsmittel treffen. Ob dies in dem Bemühen geschieht, mandatiert zu werden oder um den Mandanten zu beruhigen: Hier ist Zurückhaltung geboten. Zu bedenken ist, dass der Verteidiger in diesem Stadium nicht den Lebenssachverhalt, sondern bestenfalls einen ermittlungsrichterlichen Beschluss kennt, der um die subjektiv gefärbte Darstellung des Mandanten ergänzt wird. Es mag verlockend erscheinen, dem beistandsbedürftigen Mandanten schnelle Handlungsbereitschaft zu demonstrieren oder ein gutes Verfahrensergebnis in Aussicht zu stellen. Das Vertrauensverhältnis ist jedoch gerade zu Beginn der Zusammenarbeit fragil. Und die Fallhöhe für den Verteidiger ist hoch. Wer im Erstgespräch den Eindruck vermittelt, den Staatsanwalt anzurufen, ihm die Rechtslage zu erklären und mehr oder weniger schnell eine wesentliche Verbesserung der Situation zu erwirken, wird an seinen Aussagen gemessen. Die Aufgabe besteht in dieser Situation also zunächst darin, dem Mandanten die Verdachtslage, den Verfahrensgang und das weitere Vorgehen nachvollziehbar darzustellen und ihn über seine Rechte und Pflichten aufzuklären. Nur wenn der Mandant das Verfahren versteht, ist es ihm möglich, die in diesem Verfahrensstadium häufig notwendigen Entscheidungen, wie z.B. die Einlegung von Rechtsmitteln, die freiwillige Herausgabe von Beweismitteln oder die Erteilung von Informationen, überlegt zu treffen.3

1 Schiller in MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen2, § 14 Rz. 17. 2 Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 52. 3 Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 56.

280 | Adick

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers | Rz. 7.57 Kap. 7

Erst recht ist große Zurückhaltung geboten, wenn es um die häufig erbetene Prognose zum Ausgang des Verfahrens geht.1 Für den Mandanten ist die Frage zentral, welche Risiken ihm drohen. Eine seriöse Antwort kann der Verteidiger am Anfang eines Steuerstrafverfahrens aber nicht geben. Erfahrungsgemäß sind die Sachverhalte gerade in internationalen Steuerstrafverfahren umfangreich und rechtlich schwierig. Hinzu kommt, dass sich die Erledigungspraxis im Steuerstrafverfahren im gesamten Bundesgebiet sehr stark unterscheidet. Hinzu kommen nicht einschätzbare Faktoren wie die Auslastung der Ermittlungsbehörden. Eine Erläuterung von Strafrahmen, etwa zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft in Fällen von § 370 Abs. 3 AO, hilft dem Mandanten nicht, sondern schafft eher zusätzliche Unsicherheit. Eine Bestimmung eines Strafkorridors unter Hinweis auf eigene oder empirische Erfahrungen Dritter birgt stets das Risiko, sich als falsch zu erweisen.

7.55

Regelmäßig sind im Rahmen des Erstgesprächs die folgenden Themen relevant und sollten nach Möglichkeit erörtert werden:2

7.56

– Ablauf eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens; – aktuelle prozessuale Situation des Mandanten; – vorläufige erste Analyse der Sach- und Rechtslage; – mögliche Ziele des Mandanten; – Umfang und Grenzen der Verteidigungstätigkeit, ggf. Einbindung weiterer Berater; – ggf. Möglichkeit einer Selbstanzeige für nicht gesperrte Sachverhalte; – Vollmachtserteilung und wirtschaftliche Konditionen der Verteidigung.

2. Kontakt zur Ermittlungsbehörde Insbesondere in Steuerstrafverfahren sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Erteilung des Mandates der Kontakt zu den beteiligten Behörden aufgenommen werden. Hierzu sollte die Übernahme der Verteidigung zunächst durch ein Bestellungsschreiben schriftlich angezeigt werden. Soweit möglich, sollte die Bevollmächtigung bereits durch Vorlage einer schriftlichen Erklärung des Mandanten nachgewiesen werden; andernfalls kann die schriftliche Vollmachtserklärung nachgereicht werden. Insoweit ist zu beachten, dass in Strafsachen nie eine Sozietät beauftragt wird, sondern stets nur einzelne Berufsträger.3 Sodann empfiehlt es sich, den zuständigen Dezernenten bei der Staatsanwaltschaft bzw. Straf- und Bußgeldsachenstelle und/oder den verantwortlichen Steuerfahnder persönlich anzusprechen. In diesem ersten Gespräch bzw. Telefonat können möglicherweise schon vor der Gewährung von Akteneinsicht wichtige Informationen über den Stand des Verfahrens und das beabsichtigte weitere Vorgehen gewonnen werden. Soweit strafprozessuale Ermittlungshandlungen wie Zeugenvernehmungen geplant sind, die für den Mandanten stets mit negativer Publizität verbunden sind, lassen sich diese ggf. durch die Zusage von Kooperationsbereitschaft einvernehmlich zurückstellen. Wurden Unterlagen oder Daten sichergestellt, kann ggf. Einvernehmen über den Zeitpunkt oder den Umfang der Auswertung (z.B. anhand von Suchbegriffen) hergestellt werden. Im Idealfall entsteht ein ständiger und verbindlicher Kontakt zwischen der Ermittlungsbehörde und dem Verteidiger, der eine aktive Teilhabe am Verfahren ermöglicht.4 1 2 3 4

Vgl. auch Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 61. Kuhn in Kuhn/Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht3, Rz. 404. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt63, § 137 StPO Rz. 6. Kuhn in Kuhn/Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht3, Rz. 407.

Adick | 281

7.57

Kap. 7 Rz. 7.58 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

3. Akteneinsicht 7.58

Die wichtigste – und unverzichtbare – Informationsquelle für den Verteidiger ist die Ermittlungsakte. Ohne vollständige Kenntnis des Inhalts der Ermittlungsakte ist eine effektive Verteidigung unmöglich1 und verbietet sich nach hier vertretener Ansicht jede Stellungnahme zum Tatvorwurf. Insbesondere die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme ohne Aktenkenntnis wird nahezu stets als schwerer Kunstfehler der Verteidigung gelten müssen. Der Verteidiger muss entsprechenden Wünschen des Mandanten, der z.B. dazu drängt, gegen einen vermeintlich unbegründeten strafrechtlichen Arrestbeschluss sofort eine umfassend begründete Beschwerde zu erheben, standhalten. Es handelt sich in aller Regel um reinen Aktionismus, der zudem einer hohen Gefahr unterliegt, sich kurzfristig als der sprichwörtliche Schuss ins Knie zu erweisen. Denn mit der schriftlichen Stellungnahme legt sich der Verteidiger auf eine Linie fest, von der er später ggf. nur schwer wieder abrücken kann, ohne erhebliche Glaubhaftigkeitsverluste zu erleiden.2 Grundsätzlich sollte dem Mandanten frühzeitig vermittelt werden, dass steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren in aller Regel langwierig sind. Häufig stellen sich Mandanten vor, dass bei entsprechend zügiger Bearbeitung durch den Verteidiger das aus subjektiver Sicht sehr dringende Verfahren binnen weniger Wochen beendet ist. Die Realität zeigt jedoch, dass Steuerstrafverfahren schnell mehrere Jahre andauern. Wobei die Ursache vielfach darin zu finden ist, dass Behörden und Gerichte eben nicht nur das eine, sondern mit beschränkten Ressourcen eine Vielzahl von Verfahren bearbeiten. Auch Rechtshilfeverfahren und die Auswertung im Ausland gewonnener Beweismittel können jahrelangen Stillstand verursachen.3 Der Mandant sollte darauf eingestellt werden, dass Hektik in der Verteidigung nichts bringt und vor allem nicht dazu führt, dass die unangenehme Situation schneller beendet ist. Auch deshalb besteht keinerlei Anlass, vor Akteneinsicht nach vorne zu preschen.

7.59

Der Anspruch des Verteidigers auf Akteneinsicht ergibt sich aus § 147 Abs. 1 StPO. Dem Beschuldigten stand dieses Recht im Strafverfahren früher nicht zu. Im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Akte in der Justiz wurde unterdessen jedoch ein eigenes Akteneinsichtsrecht des unverteidigten Beschuldigten eingeführt (§ 147 Abs. 4 StPO).4

7.60

Beantragt der Verteidiger die Akteneinsicht, ist die Vorlage einer Vollmachtsurkunde für die Gewährung der Akteneinsicht grundsätzlich nicht erforderlich. Anderes gilt nur, wenn Zweifel an der Mandatierung des Verteidigers bestehen und nicht ausgeräumt werden können.5 Gleichwohl verlangen insbesondere die Straf- und Bußgeldsachenstellen in der Praxis häufig standardmäßig einen entsprechenden Nachweis der Bevollmächtigung. Es empfiehlt sich daher, die ordnungsgemäße Bevollmächtigung auch ohne Rechtspflicht schriftlich nachzuweisen, um Verzögerungen und unnötige Diskussionen mit der einsichtsgewährenden Stelle zu vermeiden.

7.61

Das Akteneinsichtsrecht gilt in allen Stadien des Strafverfahrens.6 Es setzt grundsätzlich voraus, dass das Verfahren eingeleitet wurde. Auch die Einleitung von Vorfeldermittlungen reicht aus, um das Akteneinsichtsrecht entstehen zu lassen.7 1 2 3 4 5 6 7

Wohlers/Schlegel, NStZ 2010, 486 (487). Vgl. auch Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 92. Sidhu/von Saucken, NZWiSt 2018, 126 (130). Kassebohm, StraFO 2017, 393 (401); Willnow in KK8, § 147 StPO Rz. 14. Wessing in BeckOK, § 147 StPO Rz. 1. Thomas/Kämpfer in MK-StPO, § 147 StPO Rz. 1. BGH v. 22.1.2009 – StB 29/08, NStZ-RR 2009, 145.

282 | Adick

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers | Rz. 7.64 Kap. 7

In der Praxis wird die Akteneinsicht bisweilen allerdings verzögert. Dabei wird gelegentlich auf faktische Hindernisse wie die Versendung der Akte an eine andere Behörde (z.B. die Steuerfahndung) verwiesen. Angesichts der Bedeutung des Ermittlungsverfahrens und der Notwendigkeit, schon in dieser Phase des Verfahrens Einfluss zu nehmen, sind vermeidbare Verzögerungen dieser Art für die Verteidigung jedoch nicht akzeptabel. Es ist Sache der Justiz, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass jeder Berechtigte sein Akteneinsichtsrecht zu jedem Zeitpunkt wahrnehmen kann.1 Der Verteidiger sollte deshalb darauf hinweisen, dass die Staatsanwaltschaft jedenfalls in Umfangsverfahren sog. Duplo-Akten anzulegen hat (Nr. 12 Abs. 2 RiStBV) und die Versendung der Akten kein Versagungsgrund i.S.d. § 147 Abs. 2 StPO ist. Problematisch ist hier allerdings, dass der Verteidiger bei einer Weigerung der Staatsanwaltschaft nahezu rechtlos ist. Insbesondere besteht keine Möglichkeit, im Fall des faktischen oder unzureichend begründeten Unterlassens der Gewährung von Akteneinsicht das Gericht anzurufen. Soweit die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde bleibt, liegen die einerseits geringen Aussichten des Erfolgs und die andererseits sehr hohen Aussichten eines dauerhaft ruinierten Verfahrensklimas auf der Hand. Es empfiehlt sich nach hier vertretener Auffassung auch in diesem Punkt – wie stets – bei Unklarheiten das vernünftige Gespräch mit dem Dezernenten zu suchen.

7.62

Ein unbeschränkter Anspruch auf Akteneinsicht entsteht ohnehin erst, wenn der Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt ist (§ 169a StPO).2 Vor diesem Zeitpunkt kann die Akteneinsicht ganz oder teilweise versagt werden, wenn und soweit eine Gefährdung des Untersuchungszwecks besteht (§ 147 Abs. 2 StPO). Dieser Versagungsgrund ist jedoch als Ausnahme konzipiert und seine Voraussetzungen sind gerichtlich überprüfbar. Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks liegt (nur) dann vor, wenn konkrete Tatsachen es objektiv nahelegen, dass der Beschuldigte in Kenntnis des Akteninhaltes in unzulässiger Weise nachteilig in das Ermittlungsverfahren eingreifen würde.3 Die bloße Vermutung oder Möglichkeit ist nicht ausreichend.4 Regelmäßig wird eine Gefährdung des Untersuchungszwecks aus Sicht der Staatsanwaltschaft in Betracht kommen, wenn der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger von einer erst bevorstehenden Durchsuchung erfahren würden oder wenn zu befürchten ist, dass auf Zeugen oder Mitbeschuldigte so eingewirkt wird, dass diese Verdunkelungshandlungen begehen.5 Für den Verteidiger ergeben sich aus einer auf § 147 Abs. 2 StPO gestützten Versagung von Akteneinsicht damit wichtige Hinweise auf den Stand des Verfahrens und seinen möglichen weiteren Verlauf.

7.63

Der Verteidiger bzw. der unverteidigte Beschuldigte dürfen diejenigen Akten einsehen, die dem Gericht vorliegen oder bei Anklageerhebung vorzulegen wären.6 Deren notwendiger Inhalt ergibt sich aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit. Danach müssen die Akten alle Schriftstücke und Aufnahmen technischer Art enthalten, die Bedeutung für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage haben können. Was mit Ausnahme innerdienstlicher Vorgänge für das Verfahren geschaffen worden ist, darf der Akteneinsicht nicht entzogen werden.7 Nur eine vollständige Akte ermöglicht es der Verteidigung, eigene Schlüsse zu ziehen, einseitige Ermitt-

7.64

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. auch Thomas/Kämpfer in MK-StPO, § 147 StPO Rz. 7. Willnow in KK8, § 147 StPO Rz. 20. Wessing in BeckOK, § 147 StPO Rz. 6. Willnow in KK8, § 147 StPO Rz. 14. Wessing in BeckOK, § 147 StPO Rz. 6. Willnow in KK8, § 147 StPO Rz. 4. Wessing in BeckOK, § 147 StPO Rz. 15 m. Verweis auf BGH v. 10.10.1990 – StB 14/90, BGHSt 37, 204.

Adick | 283

Kap. 7 Rz. 7.64 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

lungen zu hinterfragen und ggf. ergänzend eigene Ermittlungen vorzunehmen bzw. Beweisanträge zu stellen.1

7.65

Für die Aktenführung gilt der Grundsatz der Aktenwahrheit. Die Akten müssen die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und seine Entwicklung wahrheitsgemäß wiedergeben. Insbesondere steht es nicht zur Disposition der Ermittlungsbehörden, ob und wann sie Ermittlungsschritte den in Akten vermerken.2

7.66

In Steuerstrafverfahren erstreckt sich das Akteneinsichtsrecht auf die von der ermittelnden Steuerstrafsachenstelle beigezogenen Betriebsprüfungsakten des Veranlagungsfinanzamtes, weil diese dem Gericht mit Anklageerhebung vorzulegen wären.3 Aus der Praxis ist bekannt, dass Berechnungen, Darstellungen und Berichte der Steuerfahndung bzw. des Veranlagungsfinanzamts mitunter gravierende Mängel aufweisen, die in dieser Form aus den zur Strafakte genommenen Unterlagen nicht ersichtlich sind. Ein diesbezügliches abgabenrechtliches Akteneinsichtsrecht besteht auf der Grundlage des § 364 AO. Insbesondere in Schätzungsfällen wird es oftmals unerlässlich sein, von der Möglichkeit umfassender Einsicht in die Steuerakten Gebrauch zu machen.4

7.67

Ermittlungsakten und Beweismittel ausländischer Behörden unterliegen nicht dem Einsichtsrecht nach § 147 Abs. 1 StPO. Die Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2 StPO) kann die Beiziehung solcher Akten gebieten.5 Kommt es in einem internationalen Steuerstrafverfahren darauf an, Kenntnis vom Inhalt dieser Akten zu erlangen, kann der Verteidiger gegenüber der Staatsanwaltschaft oder Straf- und Bußgeldsachenstelle die Beiziehung bereits im Ermittlungsverfahren anregen. Alternativ kann er sich bemühen, im Rahmen einer grenzüberschreitenden Kooperation durch einen dort tätigen Rechtsanwalt die Akten einsehen und – sofern dies nach dortigem Recht zulässig ist – zur Verfügung stellen zu lassen.6

7.68

Die Form der Gewährung von Akteneinsicht unterliegt derzeit einem Wandel. War es früher üblich, dem Verteidiger die Akten in Papierform an seine Kanzlei zu übersenden, sind die Justizbehörden bereits ganz überwiegend dazu übergegangen, die Akten in elektronischer Form zu übersenden. Gerade in internationalen Steuerstrafverfahren, bei denen es sich typischerweise um Umfangsverfahren handelt, ist dies der Regelfall. Für die Zukunft gilt, dass der Regelfall das Bereitstellen des Inhalts der Akte zum elektronischen Abruf über eine Internetverbindung sein wird (§ 32f Abs. 1 Satz 1 StPO). Konkret wird es künftig also möglich, dass der Verteidiger sich die Akten im PDF herunterlädt. Für die Verteidigung stellt dies eine erhebliche Arbeitserleichterung dar. Zum einen können die elektronischen Akten im Zweifel anhand von Suchbegriffen ausgewertet werden, was gerade in umfangreichen Verfahren sehr hilfreich sein und viel Zeit sparen kann. Zum anderen werden Ressourcen im Sekretariat der Kanzlei nicht mehr mit teilweise ausufernden Kopier- bzw. Scanarbeiten erschöpft.

7.69

Der Verteidiger ist verpflichtet, die aus der Akteneinsicht gewonnen Erkenntnisse dem Mandanten mitzuteilen.7 Hierzu kann er dem Mandanten eine vollständige Aktenkopie überlas1 Thomas/Kämpfer in MK-StPO, § 147 StPO Rz. 12; vgl. auch Wohlers/Schlegel, NStZ 2010, 486 (487). 2 Wessing in BeckOK, § 147 StPO Rz. 18. 3 OLG Rostock v. 7.7.2015 – 20 VAs 2/15, NStZ 2016, 371; Willnow in KK8, § 147 StPO Rz. 4; Krug/Skoupil, NZWiSt 2015, 354. 4 Bohnert/Szesny in MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen2, § 33 Rz. 411. 5 OLG Frankfurt v. 5.3.1996 – 3 Ws 131/96, NStZ-RR 1996, 238. 6 Sidhu/von Saucken, NZWiSt 2018, 126 (130). 7 Relativierend Willnow in KK8, § 147 StPO Rz. 14.

284 | Adick

C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers | Rz. 7.71 Kap. 7

sen. Diese Form der Unterrichtung empfiehlt sich als Regelfall. Zum einen wird der Mandant in den Stand versetzt, die Lage des Verfahrens und insbesondere die Wahrnehmung der Ermittlungsbehörde aufgrund eigenen Aktenstudiums nachzuvollziehen. Zum anderen geht der Verteidiger kein Risiko ein, dass der Mandant ihm eine unzureichende Information vorwirft. Bei der Überlassung der Akte sollte der Mandant ausdrücklich schriftlich darauf hingewiesen werden, dass die Akte ausschließlich zum Zweck der Verteidigung übergeben wird und vertraulich zu behandeln, insbesondere vor dem Zugriff Dritter zu sichern ist.1 Eine Weitergabe der Akten an Dritte unterliegt jedoch Beschränkungen (§ 32f Abs. 5 StPO). Sie ist nur insoweit zulässig, als die im Rahmen der Akteneinsicht überlassenen Dokumente etc. nicht zu verfahrensfremden Zwecken übermittelt oder zugänglich gemacht werden. Unzulässig ist daher insbesondere die Weitergabe von Akten an Journalisten. Eine Weitergabe von Akten an Verteidiger von Mitbeschuldigten, an Unternehmensverteidiger, Insolvenzverwalter etc. dürfte oftmals zwar sinnvoll und verfahrensökonomisch sein. Sie sollte jedoch ausnahmslos vorher mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt werden, um deren originäre Entscheidungsbefugnis nicht zu unterlaufen.2

4. Verteidigungsziel und Strategie Nach Durchsicht der Akte ist mit dem Mandanten ein gemeinsames Verteidigungsziel zu erarbeiten. Hierbei kommt es vor allem darauf an, eine realistische Erwartungshaltung des Mandanten zu bilden. Häufig wird der Verteidiger dem Mandanten vermitteln müssen, dass die Voraussetzungen für einen Anfangsverdacht sowie ggf. eine Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung nach den strafprozessualen Kriterien erfüllt waren, auch wenn das Vorgehen der Ermittlungsbehörden dem Mandanten subjektiv als ungerecht erscheint. Viele Beschuldigte nehmen die strafrechtlichen Vorwürfe persönlich und als gezielten Angriff der Staatsanwaltschaft oder Steuerfahndung gegen sich selbst wahr. In solchen Fällen kommt dem Verteidiger manchmal die Rolle eines Vermittlers zu, der dem Mandanten eine ausgewogene und sachliche Sicht auf das Verfahren vermittelt, die möglichst frei von Emotionen ist. Sodann ist gemeinsam zu überlegen, welche Erledigungsformen im Verfahren einerseits den Interessen des Mandanten bestmöglich dienen und andererseits realistisch zu erwarten sind. Es versteht sich von selbst, dass die Erwartungshaltung des Mandanten häufig nicht umsetzbar ist. Daher sollte dem expectation management genügend Zeit gewidmet werden. Besteht kein gemeinsames Verteidigungsziel, wird die Zusammenarbeit zwischen Verteidiger und Mandant auf Dauer stark erschwert. Und es untergräbt das Vertrauen zwischen Verteidiger und Mandant, wenn eine überzogene Erwartung akzeptiert oder gar befördert wird, die dann nicht befriedigt werden kann. Umgekehrt gehört es sich nicht, gegenüber dem nicht justizerfahrenen Mandanten die Verfahrenslage schlechter darzustellen, um die Erreichung des Verfahrensziels später als umso größeren eigenen Erfolg der Verteidigung darzustellen.

7.70

Grundsätzlich kommen als Ziele der Verteidigung im Ermittlungsverfahren typischerweise in Betracht:

7.71

– Einstellung mangels Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 StPO), wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO) oder gegen Zahlung einer Geldauflage (§ 153a StPO), wobei sämtliche dieser Einstellungsformen den Vorzug bieten, die Unschuldsvermutung unberührt zu lassen;

1 Vgl. auch Thomas/Kämpfer in MK-StPO, § 147 StPO Rz. 44. 2 Wessing in BeckOK, § 147 StPO Rz. 30.

Adick | 285

Kap. 7 Rz. 7.71 | Verteidigung in internationalen Steuerstrafverfahren

– Verhinderung eines verurteilenden Erkenntnisses mit der Folge einer Eintragung in das BZRG („Vorstrafe“) und einer ggf. präjudiziellen Wirkung für steuerliche, zivilrechtliche (z.B. Rückforderung von Versicherungsleistungen im Rahmen einer D&O-Versicherung) oder arbeitsrechtliche Folgeverfahren; – Vermeidung einer öffentlichen und folglich mit negativer Publizität verbundenen Hauptverhandlung vor dem Strafgericht; – Vermeidung einer Haftstrafe, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann; – Vermeidung des Verlustes behördlicher Erlaubnisse, die an eine besondere Zuverlässigkeit anknüpfen (Berufszulassungen, Gewerbeerlaubnis, etc.).

7.72

Im Steuerstrafverfahren besteht das Ziel oftmals auch in einer Gesamterledigung sowohl des steuerlichen als auch des strafrechtlichen Verfahrens (sog. Paketlösung).1

7.73

Bei der Ermittlung eines oder mehrerer, ggf. auch in Kombination zu erreichender Verteidigungsziele kommt es maßgeblich auf die persönliche Situation des Mandanten an. Während manche Mandanten auch ein langes Steuerstrafverfahren gelassen angehen können, kann für andere Mandanten aus unterschiedlichen Gründen Zeitdruck bestehen, der z.B. die Kompromissbereitschaft im Besteuerungsverfahren fördert. Wer einer Berufsaufsicht unterliegt oder im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses kontinuierlich über das Verfahren berichten muss, wird tendenziell ein höheres Interesse an einer schnellen Erledigung haben und z.B. eine höhere Geldauflage i.S.d. § 153a StPO akzeptieren. Ebenso können Reputationsrisiken oder schlichtweg auch die Finanzierbarkeit einer langen Verteidigungstätigkeit eine Rolle spielen.

7.74

Abhängig von dem gemeinsam definierten Verteidigungsziel sollte dann eine geeignete Strategie entworfen werden. Dabei ist von vornherein in Betracht zu ziehen, dass die Strategie im Laufe des Verfahrens Änderungen und Anpassungen unterliegen kann, weil das Strafverfahren ein dynamisches Geschehen ist.

7.75

Zentral ist häufig die Frage, ob und wenn ja, in welcher Form eine Stellungnahme zum Tatvorwurf erfolgen soll oder ob der Mandant von seinem Recht Gebrauch macht, zu schweigen. Welche Strategie besser passt, kann indes nur für den Einzelfall entschieden werden. Der Mandant wird vielfach darauf drängen, dass der Verteidiger dem Tatvorwurf schriftlich entgegentritt und in einer anwaltlichen Stellungnahme die Sichtweise des Mandanten erläutert. Gleichwohl ist stets sorgfältig zu prüfen, ob eine Stellungnahme zum jeweiligen Zeitpunkt die Verfahrensposition des Mandanten wirklich verbessert. Ist das Verfahren z.B. schon fortgeschritten und die Staatsanwaltschaft in jedem Fall dazu entschlossen, gegen den Mandanten die Anklage zu erheben, sollte eher abgewartet werden. Gleiches gilt, wenn der Schlussbericht der Steuerfahndung in Kürze zu erwarten ist. Die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme kann in diesen Fällen dazu führen, dass der Verteidiger der Ermittlungsbehörde unfreiwillig eine Segelanweisung gibt, indem er die Schwächen der Rechtsposition des Mandanten aufdeckt und so den Fahndungsbericht oder die Anklageschrift erst wasserdicht macht.2

1 Vgl. auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 320 ff.: „Kooperative Gesamtbereinigung“ sowie Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 76 zur Drohung durch die Steuerfahndung zum Abschluss einer tatsächlichen Verständigung. 2 Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 96; Kuhn in Kuhn/Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht3, Rz. 504 („Don’t train the judge“).

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C. Rechtsstellung und Aufgabe des Verteidigers | Rz. 7.78 Kap. 7

Erhebliche Skepsis muss hingegen in aller Regel gegen eine Vernehmung des Mandanten bestehen. Sieht man von den Fällen ab, in denen der Mandant sich in Untersuchungshaft befindet, dürfte eine Vernehmung einer schriftlichen Stellungnahme kaum jemals vorzuziehen sein. Der Mandant selbst wird eine Vernehmung ggf. als Chance ansehen, dem Staatsanwalt oder der Steuerfahndung zu beweisen, dass er unschuldig ist. Diese Hoffnung ist jedoch bestenfalls naiv. Gerade komplexe Sachverhalte, wie sie internationalen Steuerstrafverfahren in der Regel zugrunde liegen, sind kaum geeignet, in einer Vernehmung geklärt zu werden. Der Mandant wird von den inhaltlich gut vorbereiteten und damit überlegenen Vernehmungspersonen mit Dokumenten konfrontiert werden, deren Zustandekommen, Inhalt und Intention er in aller Regel mit dem zeitlichen Versatz mehrerer Jahre erläutern soll. Hinzu kommt, dass eine Vernehmung als Beschuldigter eine psychische Ausnahmesituation ist, die auch im Wirtschaftsleben gestandene Personen spürbar beeinträchtigen kann.1 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Inhalt der Vernehmung häufig im Justizduktus protokolliert wird. Deshalb gelingt es häufig mit einer Vernehmungsniederschrift nicht, Zwischentöne und den hinter dem Wortlaut einer Aussage liegenden Sinngehalt so differenziert zu vermitteln, wie es mit einem anwaltlichen Schriftsatz möglich sein kann.

7.76

Im Gegensatz zu einer schriftlichen Stellungnahme der Verteidigung kann die Aussage des Mandanten zudem im weiteren Verfahren durch Verlesung der Vernehmungsniederschrift oder Vernehmung des Beamten verwertet werden. Insgesamt ist die Vernehmung als Beschuldigter daher häufig nicht zu empfehlen.

7.77

In internationalen Steuerstrafverfahren ist zudem zu bedenken, welche rechtlichen Konsequenzen oder tatsächlichen Auswirkungen das Verteidigungsverhalten in einer anderen Rechtsordnung haben kann. So ist denkbar, dass ein hier nicht zum Nachteil des Beschuldigten auszulegendes Schweigen in einem anderen Staat problematisch sein kann. Ebenso ist vorstellbar, dass eine Zustimmung im Rahmen einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO in einem anderen Staat als Geständnis angesehen wird und selbst dann noch nachteilige (ggf. außerstrafrechtliche) Rechtsfolgen auslöst, wenn sie dort nach Art. 54 SDÜ zu einem Verfolgungsverbot führt. Auch im Zusammenhang mit Möglichkeiten zur Korrektur steuerlicher Verfehlungen nach ausländischem Recht (z.B. Selbstanzeige, Amnestien) sind etwaige Sperrgründe oder Fristen zu bedenken. Der Verteidiger wird in entsprechenden Fällen nur dann umfassend und sachgerecht beraten können, wenn er sicherstellt, dass der Mandant in jeder betroffenen Rechtsordnung angemessen und qualifiziert beraten wird und ein enger Austausch unter den Beratern gewährleistet ist.2

7.78

1 Rettenmaier in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 31 Rz. 97 f. 2 Vgl. auch Sidhu/von Saucken, NZWiSt 2018, 126 (128).

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288 | Adick

3. Teil Internationale Amts- und Rechtshilfe Kapitel 8 Überblick über die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum EUAHiG, zu § 117 AO, Art. 26 OECD-MA und zum MA-InfAust (TIEA-MA); Ambos/König/Rackow, Rechtshilferecht in Strafsachen, Baden-Baden 2014; Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, Köln 2012; Bilsdorfer, Die Informationsquellen und -wege der Finanzverwaltung, 5. Aufl., Bielefeld 2002; Bischoff in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., Köln 2015, § 9 Rz. 1 ff.; Carl/Clos, Leitfaden zur internationalen Amtsund Rechtshilfe in Steuersachen, Herne/Berlin 1995; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, Köln 1987; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (Loseblatt), Heidelberg; Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 5. Aufl., München 2020, 1521 ff.; Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 2003; Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., München 2017; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, Köln 2004; Holoubeck/Lang, Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, Wien 2012; Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl., München 2018; Lagodny in Sieber/Satzger/von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl., Baden-Baden 2014, 547 ff.; Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011; Lohr, Das internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, Wien 1993; Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, München 1987; Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, München 2001; Rübenstahl/Adick in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl., Köln 2016, 1154 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 22.54 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020, Rz. 25.1 ff.; Scheller, Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, Freiburg 1997; Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., München 2020; Stahlschmidt/Laws, Handbuch des Auskunftsverkehrs in Steuersachen, Berlin 2009; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl., München 2017; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2010.

Während im Zuge der fortschreitenden Internationalisierung insbesondere Unternehmen und Privatpersonen im geschäftlichen und privaten Umfeld weltweit operieren, endet im Grundsatz die Tätigkeit der Finanz- und Strafverfolgungsbehörden aus Gründen des Völkerrechts an den nationalstaatlichen Grenzen.1 Zu den völkerrechtlich garantierten Rechtspositionen eines Staates2 gehört auch dessen Anspruch darauf, dass jeder andere Staat seine Gebietshoheit respektiert3 mit der Folge, dass ein Staat auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung keine Hoheitsakte setzen darf.4 Hieraus folgt das grundsätzliche Verbot, auf fremden Hoheitsgebiet Außenprüfungen, Fahndungsmaßnahmen oder sonstige steuerliche oder strafrechtliche Ermittlungen oder Sachaufklärungsmaßnahmen durchzufüh1 2 3 4

Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.1 ff. Hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 534 ff. Hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 537 ff. BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (373); BFH v. 11.2.1959 – II 15/58 U, BStBl. III 1959, 181; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht³, 277; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 537 ff.; Epping in Ipsen, Völkerrecht7, § 7 Rz. 60; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 2.

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8.1

Kap. 8 Rz. 8.1 | Überblick über die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe

ren.1 Hierbei spielt es keine Rolle, ob zu entsprechenden Ermittlungen beauftragte Personen tatsächlich (physisch) auf fremdem Hoheitsgebiet tätig werden. Entscheidend ist allein, ob fremdes Hoheitsgebiet betroffen ist, sodass z.B. Online-Durchsuchungen auf ausländischen Servern unzulässig sind.2 Damit ergibt sich eine Divergenz zwischen den völkerrechtlichen Schrankenwirkungen einerseits (formelle Territorialität) und dem steuerlichen Welteinkommensprinzip (Rz. 14.10) sowie dem strafrechtlichen Weltrechtsprinzip (materielle Universalität; Rz. 3.19) andererseits.3 Im Bereich des Steuerrechts korrespondiert mit der Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörden (§ 88 AO) zwar eine Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen.4 Dies gilt aber nicht für das Strafrecht,5 sodass sich wegen des prinzipiellen Ermittlungsverbots im Ausland ein Ungleichgewicht zwischen Sachaufklärung im Inland einerseits und Sachaufklärung im Ausland andererseits ergibt. Im Hinblick darauf hat der internationale Informationsaustausch durch Amts- und Rechtshilfe6 in der Praxis eine besondere Bedeutung, und zwar für die Ermittlung in Steuer- und (Steuer-)Strafsachen gleichermaßen. Ein derartiger internationaler Informationsaustausch, also die Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe, ist nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig; dies deshalb, weil in beiden Fällen Informationen weitergegeben werden, die einen Grundrechtseingriff insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) zur Folge haben.7 Die Befugnis zur Amts- und Rechtshilfe, d.h. also das rechtliche Dürfen, leitet sich aus deutschem Recht ab (§§ 68 ff. IRG, § 117 AO), ohne dass hieraus ein Anspruch gegenüber dritten Staaten erwächst. Ein derartiger Anspruch auf Auskunftserteilung ergibt sich allerdings aufgrund supranationalen Rechts sowie aus zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen. Damit steht jedweder internationaler Informationsaustausch unter Gesetzesvorbehalt.8

8.2

Im Steuerstrafrecht vollzieht sich der internationale Informationsaustausch zweispurig, und zwar als Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen9 und in Steuersachen.10 Einschränkungen ergeben sich allerdings in den Fällen, in denen ausdrücklich der Informationsaustausch auf bestimmte Sachbereiche begrenzt ist. Die Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen erfolgt durchweg im Rahmen globaler, europäischer oder bilateraler Kooperationen. Auf der Grundlage der hierfür in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen wird in der Praxis zumeist Vollstreckungshilfe, Auslieferungs- bzw. Durchlieferungshilfe oder sonstige Amts- und Rechtshilfe geleistet.

1 Hierzu Herrmann/Soiné, NJW 2011, 2922 ff. (2925); Spatscheck/Alvermann, IStR 2001, 33 ff. 2 Beyer, AO-StB 2013, 29 ff.; zulässig ist dagegen ein Sammelauskunftsersuchen gegen einen inländischen Betreiber einer Internethandelsplattform, wenn die geforderten Daten auf einem ausländischen Server gespeichert sind und der inländische Betreiber hierauf einen tatsächlichen Zugriff hat; BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, BStBl. II 2014, 225. 3 Seer in FS Schaumburg, 2009, 151 f. 4 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22 ff., ferner Rz. 15.1 ff. 5 Vgl. § 135 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 3, 4 StPO. 6 In der uneinheitlichen steuerrechtlichen Terminologie und in der strafrechtlichen Terminologie ist grenzüberschreitend zumeist von Rechtshilfe und innerstaatlich von Amtshilfe die Rede; vgl. Bischoff/Nogrady in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 8 Rz. 2 f.; Amtshilfe ist die Hilfe, die eine Behörde einer anderen Behörde gewährt und Rechtshilfe die Unterstützung von Gerichten; hierzu Seer in T/K, § 117 AO Rz. 5. 7 Hierzu Scheller, Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, Freiburg 1997, 204 ff., 230 ff. 8 Zu Einzelheiten Lagodny in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 31 Rz. 20 ff. 9 Im Sinne von „strafrechtlichen Angelegenheiten“ gem. § 1 Abs. 2 IRG. 10 Hierzu gehören auch Steuerstrafrecht und Steuerordnungswidrigkeitenrecht.

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Überblick über die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe | Kap. 8

Die auf die internationale Amts- und Rechtshilfe gerichteten Rechtsgrundlagen sind in zahlreichen multilateralen und bilateralen Verträgen sowie in innerstaatlichen Rechtsnormen verankert.1 Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind nicht aufeinander abgestimmt und überschneiden sich in vielfältiger Weise, ohne dass sie sich gegenseitig ausschließen. Hieraus folgt, dass sich etwa die Ermittlungsbehörden bei der Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe grundsätzlich auf diejenige mit der größten Reichweite stützen können (zu diesem Prinzip der Meistbegünstigung Rz. 9.3). Soweit sich dagegen die für die Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe maßgeblichen Rechtsgrundlagen überlagern, gelten jeweils diejenigen Schrankenwirkungen – etwa Geheimnisschutz2 –, die die größte Reichweite zugunsten der Betroffenen entfalten (vgl. auch Rz. 9.3).3

8.3

Zu den multilateralen Verträgen gehören insbesondere die verschiedenen Übereinkommen des Europarates,4 etwa

8.4

– das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 13.12.1957 (EuAlÜbk)5, das durch Zusatzprotokolle vom 15.10.19756, 17.3.19787, 10.11.20108 und vom 20.9.20129 ergänzt worden ist,10 – das Europäische Rechtshilfeübereinkommen vom 20.4.1959 (EuRhÜbk), ergänzt durch ein Zusatzprotokoll vom 17.3.197811 und vom 8.11.200112, – das Europäische Überstellungsabkommen vom 21.3.1983 (ÜberstÜbk) mit Zusatzprotokoll vom 18.12.199713 und – das Europäische Geldwäsche-Übereinkommen vom 8.11.1990 (EuGeldwäscheÜbk)14. Auf der Ebene der EU sind ferner folgende multilaterale Verträge von Bedeutung:15 – EU-Auslieferungsübereinkommen vom 27.9.1996 (EUAÜ)16, 1 Lagodny in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 31 Rz. 9, spricht von einem „Normenchaos“ und Carl/Klos, SteuerStud 1993, 5 ff. (5) von „Rechtswirrwarr“; vgl. den Überblick im Schreiben des BMF v. 16.11.2006 – IV B 1-S 1320-66/06, BStBl. I 2006, 698 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen). 2 Vgl. im Steuerrecht etwa die Sonderregelungen in den deutschen Abkommen bei Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 113, 117. 3 Vgl. zum Steuerrecht Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.60. 4 Nunmehr weitgehend ersetzt durch die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (Richtlinie 2014/41/EU, [RL EEA]), ABl. EU 2014 Nr. L 130,1; von Deutschland mit Wirkung zum 22.5.2017 (Ablauf der Umsetzungsfrist durch Gesetz v. 5.1.2017, BGBl. I 2017, 31) umgesetzt; vgl. zu Einzelheiten Rz. 6.170 ff. 5 BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1976, 1778; BGBl. II 1982, 995; BGBl. II 1994, 299. 6 Von Deutschland nicht ratifiziert. 7 BGBl. 1990, 118; BGBl. II 1991, 874. 8 BGBl. II 2014, 1062; BGBl. II 2016, 857. 9 Von Deutschland noch nicht unterzeichnet (Stand: 20.5.2019). 10 BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1990, 118; das erste Zusatzprotokoll ist von Deutschland nicht ratifiziert worden. 11 BGBl. II 1990, 124. 12 BGBl. II 2014, 1038; BGBl. II 2015, 520. 13 BGBl. II 1991, 1006; BGBl. II 2002, 2866. 14 BGBl. II 1998, 519. 15 Vgl. nunmehr die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (RL EEA) v. 3.4.2014; hierzu Rz. 6.170 ff. 16 ABl. EG 1996 Nr. C 313, 11; BGBl. II 1998, 2254; BGBl. II 2012, 258.

Schaumburg | 291

8.5

Kap. 8 Rz. 8.5 | Überblick über die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe

– das EU-Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren vom 10.3.1995 (EU-VereinfAuslÜbk)1, – das EU-Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29.5.2000 (EURhÜbk)2 samt Zusatzprotokoll vom 16.10.2001 (ZP-EURhÜbk).3

8.6

Für den Bereich der Verhütung von Steuerstrafsachen enthält der Rahmenbeschluss 2006/ 960/JI (EU)4 eine spezielle Rechtsgrundlage, aufgrund derer z.B. in Deutschland die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Finanzbehörden personenbezogene Daten an andere EU-Mitgliedstaaten5 übermitteln dürfen.6 Für die sog. Schengen Staaten gilt das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19.6.1990 (SDÜ)7, das insbesondere Vereinbarungen über das Schengener Informationssystem Gedöns (SIS) enthält.

8.7

Für die Zusammenarbeit in Strafsachen sind relevant das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF),8 das Europäische Justizielle Netz (EJN),9 die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS),10 Eurojust,11 das Europäische Polizeiamt (Europol) 12und schließlich als weltumspannende Kooperationsform Interpol.13

8.8

Auf zwischenstaatliche Rechtshilfe gerichtete bilaterale Verträge sind schließlich mit zahlreichen Drittstaaten geschlossen worden. Sie betreffen durchweg Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommen, die entweder von Deutschland selbst oder aber von der EU abgeschlossen worden sind.14 Soweit keine völkerrechtlichen Vereinbarungen eingreifen, ist Rechtsgrundlage für die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten das IRG.15 1 2 3 4

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

ABl. EG 1995 Nr. C 78, 2.; BGBl. II 1998, 2230; BGBl. II 2012, 262. ABl. EG 2000 Nr. C 197, 1; BGBl. II 2005, 650. ABl. EG 2001 Nr. C 326, 1. Rahmenbeschluss 2006/960/Jl des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26), sog. Schwedische Initiative. Zusätzlich auch an Schengen-assoziierte Staaten i.S.d. § 91 Abs. 3 IRG: Schweiz, Liechtenstein, Norwegen, Island. Umgesetzt in Deutschland durch §§ 117a, 117b AO; vgl. gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder hierzu v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538; Beyer, AO-StB 2013, 351; ferner Rz. 9.2 f. BGBl. II 1993, 1013; vgl. zum Anwendungsbereich BMF v. 16.11.2006 – IV B 1-S 1320-66/06, BStBl. I 2006, 698, Tz. 1.2.3 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen). Office de la Lutte Anti-Fraude; Art. 325 Abs. 4 AEUV; ABl. EG 1999 Nr. L 136, 20 ff.; Art. 3 Verordnung (EG) Nr. 1073/1999, ABl. EG 1999 Nr. L 136, 1 – 7. ABl. EU 2008 Nr. L 348, 130. Art. 29 – 42 EUV a.F; Art. 87 AEUV. Art. 85 AEUV; ABl. EU 2009 Nr. L 138, 14; Eurojust – Verordnung 2018/1727, ABl. EU Nr. L 295, 138; EJG v. 9.12.2019, BGBl. I 2019, 2010. Art. 88 AEUV; Europolübereinkommen v. 26.7.1995, ABl. EG 1995 Nr. C 316, 1; BGBl. II 1997, 2154. www.bka.de unter „Profil“, www.interpol.net. Hierzu der Überblick bei Schröder/Stiegel in S/S/vHH, Europäisches Strafrecht2, § 35 Rz. 3 ff. IRG v. 27.6.1994, BGBl. I 1994, 1537; BGBl. I 2010, 1408; vgl. ferner die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt), die als Verwaltungsvorschrift umfassende Richtlinien für den Umgang mit ein- und ausgehenden Ersuchen enthält; vgl. nachfolgend zu Rz. 10.1 ff.

292 | Schaumburg

Überblick über die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe | Kap. 8

Für den Bereich des Steuerrechts erfolgt die Amts- und Rechtshilfe1 innerhalb der EU im Wesentlichen auf europarechtlicher Grundlage, und zwar aufgrund

8.9

– der EU-Amtshilferichtlinie (EU-AHiRL) vom 15.2.20112, umgesetzt durch das EUAHiG vom 26.6.20133; das FK-AustG vom 21.12.20154 und durch § 138d E-AO5, – der EU-Beitreibungs-RL vom 16.3.2010,6 umgesetzt durch das EUBeitrG,7 – der MWSt-ZVO vom 7.10.20108 und – der VerbrauchSt-ZVO vom 2.5.20129 als jeweils unmittelbar geltendes Recht.

8.10

Im Übrigen stehen folgende bilaterale Verträge: – Doppelbesteuerungsabkommen (Art. 26 OECD-MA),10 – besondere Verträge über Rechts- und Amtshilfe und den Informationsaustausch,11 – Informationsaustauschabkommen (TIEA),12 – FATCA13 – Abkommen mit den USA14 und multilaterale Verträge: – Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (Amtshilfeübereinkommen),15 1 Vgl. den Überblick im Schreiben des BMF v. 29.5.2019 – IV B 6-S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 2 ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1; zuletzt geändert durch Richtlinie 2018/822/EU, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 3 BGBl. I 2013, 1809; zuletzt geändert durch Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-AHiRL und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 2000 (sog. Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz). 4 BGBl. I 2015, 2531. 5 BGBl. I 2019, 2875. 6 ABl. EU 2010 Nr. L 84, 1. 7 V. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592; zuletzt geändert durch Gesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809, 1839; vgl. hierzu das Schreiben des BMF v. 23.1.2014 – IV B 6-S 1320/07/10011:011, BStBl. I 2014, 188 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung [Beitreibung]). 8 ABl. EU 2010 Nr. L 268; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2018/1541, ABl. EU 2018 Nr. L 259, 1. 9 ABl. EU 2012 Nr. L 121. 10 Vgl. hierzu die Länderübersicht I Nr. 1 BStBl. I 2020, 163. 11 Vgl. Länderübersicht I, Nr. 4, BStBl. I 2020, 166. 12 Vgl. Länderübersicht I, Nr. 4, BStBl. I 2020, 166. 13 Foreign Tax Account Compliance Act. 14 „Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich Auslandskosten bekannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen“, BGBl. II 2013, 1362, in Kraft getreten am 1.12.2013, BGBl. II 2014, Nr. 3, hierzu BMF v. 3.11.2015 – IV B 6-S 1316/11/10052:133, BStBl. I 2015, 897; BMF v. 1.2.2017 – IV B 6-S 1315/13/10021:044, BStBl. I 2017, 305; BMF v. 21.9.2018 – IV B 6-S 1315/13/10021:044, BStBl. I 2018, 1026. 15 Des Europarats/der OECD v. 25.1.1988, SEV Nr. 127; geändert durch Protokoll v. 25.5.2010. SEV Nr. 208, BGBl. II 2015, 966, 986.

Schaumburg | 293

Kap. 8 Rz. 8.10 | Überblick über die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe

– Mehrseitige Vereinbarung vom 29.10.2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten (CRS-MCAA),1 – Mehrseitige Vereinbarung vom 27.1.2016 über den Austausch länderbezogener Berichte für bestimmte Unternehmen (CbC-MCAA)2 im Vordergrund. Darüber hinaus erfolgt der Auskunftsaustausch nach Maßgabe folgender unilateraler Regelungen: – § 117 AO, – § 117c Abs. 1 AO i.V.m. FATCA-USA-UmsV, – Gesetz zum Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze (FKAuStG).3

1 BGBl. II 2015, 1630 (1632); Umsetzung durch das Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz (FKAustG) v. 21.12.2015; BGBl. I 2015, 2531; hierzu BMF v. 1.2.2017 – IV B 6-S 1315/13/ 10021:044, BStBl. I 2017, 305; BMF v. 6.4.2017 – IV B 6-S 1315/13/10021:046, BStBl. I 2017, 708; BMF v. 22.6.2017 – IV B 6-S 1315/13/10021:046, BStBl. I 2017, 878; BMF v. 1.7.2020 – IV B 6-S 1315/19/10030:018, BStBl. I 2020, 577 (FKAustG-Staatenaustauschliste 2020). 2 Gesetz v. 25.10.2016, BGBl. II 2016, 1178; vgl. auch § 138a AO; BMF v. 11.7.2017 – IV B 5-S 1300/16/10010:002, BStBl. I 2017, 974. 3 V. 21.12.2015, BGBl. II 2015, 2531, geändert durch Gesetz v. 20.12.2016, BStBl. II 2016, 3000.

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Kapitel 9 Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Inanspruchnahme und Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe I. Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe . . . . . . . II. Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe . . . . . . . . . . . III. Auskunftsarten 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersuchensauskünfte a) Pflichtauskünfte . . . . . . . . . . . . . aa) EU-Amtshilferichtlinie/EUAmtshilfegesetz . . . . . . . . . . bb) EU-Beitreibungsrichtlinie/ EU-Beitreibungsgesetz . . . . cc) EU-Zusammenarbeitsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Auskunftsklauseln der DBA ee) Besondere Amts- und Rechtshilfeabkommen . . . . . ff) Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . b) Kulanzauskünfte . . . . . . . . . . . . .

9.1

9.9 9.15 9.20 9.23 9.24 9.26 9.28 9.31 9.43 9.45 9.51

3. Spontanauskünfte . . . . . . . . . . . . . . . 9.60 4. Automatische Auskünfte a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.69 b) Finanzkonten . . . . . . . . . . . . . . . 9.72 c) Verbindliche Auskünfte und Zusagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.75 d) Länderbezogene Berichte . . . . . . 9.78 e) Erweiterter Kontenabruf . . . . . . . 9.81 f) Grenzüberschreitende Steuergestaltungen aa) Zielsetzung und Funktion . . 9.83 bb) Meldepflichtige Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.85 cc) Meldepflichtige Personen . . 9.89 dd) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 9.92 ee) Zeitliche Anwendung . . . . . 9.95 g) Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung . . . . . . . . . . . . 9.96 h) Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung . . . . . . . . . . . . 9.98 i) Doppelbesteuerungsabkommen . 9.100 j) FATCA-Abkommen . . . . . . . . . . 9.101 IV. Zusammenfassender Überblick . . . . 9.102

Literatur: Adonino, Der Informationsaustausch zwischen den Finanzverwaltungen, in FS Beusch, Berlin 1993, 25 ff.; Benecke/Schnitger, Internationale Amtshilfe nach der Änderung des OECD-Musterabkommens 2000, IWB F. 10 (International) Gr. 2, 1517; Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, Köln 2012; Beuchert/Osterloh-Konrad, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen in Deutschland, IStR 2014, 643; Bozza-Bodden, Internationale Zusammenarbeit – Informationsaustausch, DStJG 36 (2013), 133; Brock, Der zwischenstaatliche Auskunftsverkehr innerhalb der Europäischen Union auf der Grundlage des EG-Amtshilfe-Gesetzes bei den direkten und indirekten Steuern, Frankfurt 1999; Carl/Klos, Die EG-Amtshilfe in Steuersachen (Teil I), INF 1994, 193; Carl/Klos, Die EG-Amtshilfe in Steuersachen (Teil II), INF 1994, 238; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amtsund Rechtshilfe in Steuersachen, Herne/Berlin 1995; Cloer/Niemeyer, Anzeigepflicht für potenziell aggressive Steuergestaltungen, DStZ 2019, 426; Czakert, Generalthema 2 und Seminar D: Der internationale Informationsaustausch und die grenzüberschreitende Kooperation der Steuerverwaltungen, IStR 2013, 596; Czakert, Die gesetzliche Umsetzung des Common Reporting Standards in Deutschland, DStR 2015, 2697; Czakert, Der Informationsaustausch zu Tax Rulings, IStR 2016, 985; Daurer, Die Amtshilfe in Steuersachen auf unionsrechtlicher Grundlage, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 13; Debus, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – Die (verfassungs-)rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, DStR 2017, 2520; Ditz/Bärsch/Engelen, Gesetzesentwurf zur Mitteilungspflicht von Steuergestaltungen – Ein erster Überblick, DStR 2019, 815; Ditz/Engelen, Neue Anzeigepflichten für Steuergestaltungen – Überblick und erste Handlungsempfehlungen, DStR 2019, 352; Dodenhoff, Die 5. EU-Geldwäscherichtlinie – Schärfere Aufsicht über

Schaumburg | 295

Kap. 9 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen virtuelle Währungen und elektronisches Geld, IWB 2018, 730; Drüen, Internationale Amtshilfe in Steuersachen im Lichte des deutschen Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes, in Lang/Schuch/ Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 369; Duttiné/Partin, EU-Richtlinienvorschlag zur Transparenz (Steuergestaltungen) mit für Deutschland untypischer Gesetzestechnik und mit Unklarheiten, BB 2017, 3031; Eigelshoven/Tomson, Country-by-Country Reporting – Zweifelsfragen und erste Praxiserfahrungen, IStR 2019, 242; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, Köln 1987; Eilers, Der Streit um den internationalen Auskunftsverkehr in Steuersachen, CR 1988, 901; Eilers/Sommer, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen – Sinnvoller Wettlauf der Gesetzgeber?, ISR 2019, 75; Elster, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – Überforderung aller Beteiligten verhindern, FR 2018, 639; Eisgruber, Zur Anzeigepflicht für Steuergestaltungen aus Verwaltungssicht, FR 2018, 625; Engelen/Heider, Der länderbezogene Bericht nach § 138a AO, DStR 2018, 1737; Engelen/Heider, Der länderbezogene Bericht nach § 138a AO – Erste Praxiserfahren und Zweifelsfragen, DStR 2018, 1042; Fischer, Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet des zwischenstaatlichen Auskunftsverkehrs in Steuersachen, DB 1984, 738; Fischer-Riedlinger, Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, IWB 2018, 461; Franz, Zum Rechtsschutz beim Informationsaustausch auf Ersuchen und zur Prüfung der steuerlichen Erheblichkeit verlangter Informationen, IStR 2017, 273; Gabert, Die neue EU-Amtshilferichtlinie, IWB 2011, 250; Gabert, Deutsche Amtshilfe nach dem EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG) und ihr Einfluss auf das Ertragsteuerrecht, FR 2013, 986; Gaßmann, Meldepflicht für grenzüberschreitende Steuerplanungsmodelle, PIStB 2018, 92; Gehm, Koordinierte steuerliche Außenprüfungen, IWB 2017, 229; Grotherr, Automatischer Informationsaustausch (EU) und spontaner Informationsaustausch (OECD/G 20) über verbindliche Steuerauskünfte in der vergleichenden Perspektive, in FS Gosch, München 2016, 11; Grotherr, Rechtsschutz beim zwischenstaatlichen Informationsaustausch, ISR 2015, 193, 297; Günther, Doppelbesteuerungsabkommen und unionsrechtliche Grundlagen der Ermittlungsamtshilfe in Steuersachen, in Holoubek/Lang, Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, Wien 2012, 127; Heber, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – Möglichkeiten für ihre Implementierung in Deutschland, IStR 2017, 559; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, Köln 2004; Hendricks, Durchsetzung deutscher Steueransprüche im Ausland, IStR 2009, 846; Herlinghaus, Möglichkeiten und Grenzen des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen des Informationsaustausches, in FS Herzig, München 2010, 933; Herold, Die geplante Anzeigepflicht für Steuergestaltungen, GmbH-Stb 2019, 163; Hey, Zur Verfassungsmäßigkeit von Anzeigepflichten für Steuergestaltungen, FR 2018, 633; Höppner, Internationale steuerliche Amtshilfe, in FS Flick, Köln 1997, 817; Jochimsen/Dietrich, Die deutsche Umsetzung der "DAC 6", IStR 2020, 241, 529; Kepp/Schober, Anzeigepflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungsmodelle – Praxisfragen und Ausblick, BB 2018, 2455; Kepp/Schober, Anzeigepflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungsmodelle – aktuelle Umsetzungsfragen, BB 2019, 791; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, München 2018, § 10 Rz. 61 ff.; Koppensteiner, Internationale Amtshilfe in Steuersachen: Rechtsschutz des Steuerpflichtigen im ersuchten und ersuchenden Staat, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 237; Kowallik, Praktische Umsetzung der DAC-6-Vorgaben und Automationsmöglichkeiten, DB 2019, 812; Krabbe, Das EG-Amtshilfe-Gesetz, RIW 1986, 126; Krewat, Das EG-Amtshilfe-Gesetz und der Europäische Binnenmarkt, DStZ 1992, 729; M. Lang/Paterno, Rechtsschutz und steuerlicher Informationsaustausch in Europa, in Holoubek/Lang, Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, Wien 2012, 221; Leist, Verfassungsrechtliche Schranken des steuerlichen Auskunfts- und Informationsverkehrs, Frankfurt/M. 2000; Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, Wien 1993; Lüdicke/Oppel, Überblick über die europäischen Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Gestaltungen, IWB 2019, 58; Mank/Salihu, Praktische Fragen des Country-byCountry Reportings, IWB 2017, 902; Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, München 1987; Middendorf/Eberhardt, Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Gestaltungen, StuB 2018, 549; Möllenbeck, Das Verhältnis der EG-Amtshilfe zu den erweiterten Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerfällen, Frankfurt 2010; Mückl/München, Automatischer Informationsaustausch über grenzüberschreitende Steuervorbescheide und Vorabverständigungsvereinbarungen in der EU, BB 2015, 2775; Oberson, Exchange of information and cross-boarder cooperation between tax authorities (General Report), CDFI 98b (2013), 17; Oppel, Internationaler Informationsaustausch in Steuersachen, IWB 2017, 359, 410; Oppel, Steuerlicher Informationsaustausch in der

296 | Schaumburg

A. Allgemeines | Rz. 9.1 Kap. 9 EU – Anforderungen und Rechtsschutz, IWB 2018, 35; Oppel/Sendke, Unionsrechtlicher Grundrechtschutz beim internationalen Informationsaustausch, IStR 2018, 110; Osterloh-Konrad, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, in Lüdicke, Internationale Geschäftsbeziehungen in der Nach-BEPS-Welt, Köln 2016, 127; Osterloh-Konrad, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen, FR 2018, 621; OsterlohKonrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, Berlin 2017; Patzner/Nagler, Die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen als Herausforderung für Steuerpflichtige, IStR 2019, 402 ff.; Peters/Kircher/Moll, Grenzüberschreitende gemeinsame Betriebsprüfung – ein effizienter Weg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zu mehr Rechts- und Planungssicherheit? IStR 2016, 2; Pistone/Gruber, Die Möglichkeiten zur Verweigerung des Informationsaustausches nach Art. 26 OECD-MA, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011; Podeyn/Tschatsch/Fischler, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen: Ausgewählte Überlegungen zum aktuellen Stand des Referentenentwurfs vom 30.01.2019, DB 2019, 633; Richter/Welling, Diskussionsbericht zum 67. Berliner Steuergespräch „Anzeigepflicht für Steuergestaltungen“, FR 2018, 628; Ritter, Internationale Steuerauskunft in rechtsstaatlicher Sicht, DStZ/A 1974, 267; Ritter, Schutzbedürftige Interessen der Steuerpflichtigen beim Internationalen Auskunftsverkehr, in K. Vogel, Internationale Steuerauskunft und Verfassungsrecht, München 1987, 1; Runge, Der Informationsaustausch als zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen, RIW/AWD 1979, 73; Schäffkes/Fechner/ Schreiber, Simultane Betriebsprüfung mit dem EU-Ausland, DB 2017, 1668; Schaumburg, Anmerkung zum EuGH-Urteil (Sabou), ISR 2013, 423; Schick, EU-Richtlinie über Anzeigepflichten von „Steuerintermediären“ in Kraft, DStR 2018, 1583; Schreiber/Schäffkes/Fechner, Neue Urteile zur koordinierten Betriebsprüfung mit dem Ausland, DB 2018, 1624; Schurowski, Neuer Regelungsvorschlag der OECD zur Offenlegung von CRS-Umgehungsmodellen und offshore Strukturen, FR 2018, 245; Seer, Steuerverfahrensrechtliche Bewältigung grenzüberschreitender Sachverhalte, in FS Schaumburg, Köln 2009, 151 ff.; Seer, Ausbau des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs, IWB F. 10 Gr. 2, 2067; Seer, Intensivierung des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs durch das EU-Amtshilfegesetz, IWB 2014, 87; Seer/Gabert, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 2; Stahlschmidt/Laws, Handbuch des Auskunftsverkehrs in Steuersachen, Berlin 2009; Staringer, Steuervollzug bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, DStJG 31 (2008), 135; Staringer, Geheimnisschutz und steuerlicher Informationsaustausch, in Holoubek/Lang, Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, Wien 2012, 241; Staringer/Günther, Bankgeheimnis und internationale Amtshilfe in Steuersachen, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 203; Stöber, Anzeigepflichten in Bezug auf Steuergestaltungen im deutschen und europäischen Recht, BB 2018, 1559; Stöber, Zur verfassungs- und unionsrechtlichen (Un-)Zulässigkeit von Anzeigepflichten in Bezug auf Steuergestaltungen, BB 2018, 2464; Strunk, Praktische Auswirkungen der Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie, in Lüdicke, Neue Grenzen für die internationale Steuerplanung?, Köln 2014, 85; Urtz, Das Steuergeheimnis als Schranke des grenzüberschreitenden Informationsaustausches zwischen Finanzbehörden, Wien 2001; Wassermeyer, Das neue EU-Amtshilfegesetz in Steuersachen, EuZW 2013, 921; Welzer/Dombrowski, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – Einordnung des Referentenentwurfs, FR 2019, 360; Werra, Die Grenze der zwischenstaatlichen Amtshilfe in Steuersachen, BB 1998, 1160; Wettner, Die Amtshilfe im Europäischen Verwaltungsrecht, Tübingen 2005; Wisselink, International exchange of tax information between European and other countries, EC Tax Review 1997, 108.

A. Allgemeines Mit der im Steuerrecht maßgeblichen Sachaufklärungspflicht von Amts wegen (§ 88 AO) korrespondiert zwar eine Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen,1 deren Mitwirkung ist aber nicht selten unzureichend. Im Übrigen ergibt sich ein Ungleichgewicht zwischen Sachaufklärung im Inland einerseits und Sachaufklärung im Ausland andererseits. Um der allgemeinen 1 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 12.7 ff.

Schaumburg | 297

9.1

Kap. 9 Rz. 9.1 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

Aufgabennorm des § 85 AO zu entsprechen und um die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung bei Auslandsbeziehungen in gleicher Weise zu gewährleisten1 wie bei Inlandsbeziehungen, ist ein internationaler Informationsaustausch2 zwischen den Finanzverwaltungen unerlässlich.

9.2

– Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundlagen (Rz. 8.9, 8.10) ist der internationale Informationsaustausch im Grundsatz nur für steuerliche Zwecke zulässig, was allerdings nicht ausschließt, dass die Auskünfte auch für steuerstrafrechtliche Zwecke Verwendung finden können (Rz. 9.102 ff.). Soweit Auskünfte (nur) für Zwecke der Verfolgung von Steuerstraftaten erteilt werden sollen, ist Rechtsgrundlage hierfür insbesondere das IRG (Rz. 10.76 ff.). Geht es um die Auskunftserteilung an andere Mitgliedstaaten zwecks Verhütung von Steuerstraftaten, ergibt sich die Rechtsgrundlage hierfür aus § 117a AO, wonach die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden sowie die Fahndungsämter Daten übermitteln dürfen. Erhalten die vorgenannten Dienststellen entsprechende Daten von anderen Mitgliedstaaten,3 dürfen die übermittelten Daten nur für den Übermittlungszweck oder zur Abwehr bestimmter Gefahren verwendet werden (§ 117b Abs. 1 Satz 1 AO). Eine weitergehende Verwendung bedarf der Zustimmung des übermittelnden Mitgliedstaates (§ 117b Abs. 1 Satz 2 AO).4 Für die Auskunftserteilung enthält § 117c AO schließlich eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen, mit denen die Prüfungs-, Erhebungs- und Übermittlungspflichten unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen völkerrechtlichen Vereinbarungen im Einzelnen ausgestaltet werden können.

9.3

Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind nicht aufeinander abgestimmt und überschneiden sich in vielfältiger Weise, ohne dass sie sich gegenseitig ausschließen. Im Hinblick darauf können sich etwa die Finanzbehörden bei der Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe grundsätzlich auf diejenige mit der größten Reichweite stützen. Soweit sich dagegen die für die Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe maßgeblichen Rechtsgrundlagen überlagern, gelten generell jeweils diejenigen Schrankenwirkungen – etwa Geheimnisschutz –,5 die die größte Reichweite zugunsten der Betroffenen entfalten.6

9.4

Hieraus folgt, dass auch bei der Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe in anderen Fällen (§ 117 Abs. 3 AO), also bei Kulanzauskünften (Rz. 9.51) nicht nur die ausdrücklich in § 117 Abs. 3 AO genannten Voraussetzungen für die Auskunftserteilung, sondern insbesondere auch die in den § 4 Abs. 3 u. 4 EUAHiG aufgeführten Grenzen der Auskunftserteilung sowie das internationale Steuergeheimnis der Auskunftsklauseln der DBA zu beachten

1 Der Zweck der Amts- und Rechtshilfe ist also die zutreffende Besteuerung und dient damit der internationalen Steuergerechtigkeit; vgl. Seer in T/K, § 117 AO Rz. 6. 2 In der gesetzlichen Terminologie (z.B. § 117 AO) sind zumeist die Begriffe Amts- und Rechtshilfe gebräuchlich. 3 Rechtsgrundlage RB 2006/960/JI des Rates der EU v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU, ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89, ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26 (sog. „Schwedische Initiative; Rz. 6.147); vgl. hierzu gleichlautender Ländererlass v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538. 4 Hierzu Seer in T/K, § 117 AO Rz. 4; Hoyer in Gosch, § 117b AO Rz. 2 f. 5 Vgl. im Steuerrecht etwa die Sonderregelung in den deutschen Abkommen bei Engelschalk in V/ L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 113, 117. 6 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.60; Schaumburg in Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.8; vgl. auch Seer in FS Schaumburg, 2009, 151 (156).

298 | Schaumburg

A. Allgemeines | Rz. 9.7 Kap. 9

sind.1 Schließlich sind gegen alle Auskunftsnormen betreffend die Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe gleichermaßen die Grundrechtsschranken gerichtet. Von Bedeutung ist hier insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V.m. § 1 Abs. 1 GG). Der Informationsaustausch außerhalb der Rechtsakte der Union, der bi- und multilateralen Rechtsgrundlagen ist nur zulässig, wenn hierfür das nationale Recht ausdrücklich eine Rechtsgrundlage enthält. Die in der Praxis wichtigste Rechtsgrundlage bietet § 117 AO.

9.5

Ob eine Auskunft eingeholt oder gewährt werden soll, entscheidet das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), soweit für die Auskunftserteilung keine Verpflichtung besteht,2 nach seinem Ermessen.3 Bei Auskunftsersuchen trifft diese Ermessenspflicht auch die mit der Sache befasste inländische Finanzbehörde, die ihrerseits das BZSt im Wege der Amtshilfe einschaltet. Hierbei hat es sich an den allgemeinen Ermessensgrenzen Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit, Erfüllbarkeit und Zumutbarkeit zu orientieren.4

9.6

Da die Entscheidung über die Einholung oder Gewährung einer Auskunft nicht auf unmittelbare Wirkung nach außen gerichtet ist, stellt sie keinen Verwaltungsakt dar.5 Dem Anspruch auf Rechtsschutz wird aber dadurch entsprochen, dass der betroffene Steuerpflichtige vor Stellung des Auskunftsersuchens oder Erteilung der Auskunft gehört wird. Der betroffene Steuerpflichtige hat zwar keinen Anspruch auf rechtliches Gehör,6 eine Anhörung ist aber regelmäßig geboten,7 weil andernfalls keine Möglichkeit bestünde, vor dem Auskunftsaustausch die Wahrung der einschlägigen Befugnisschranken gerichtlich überprüfen zu lassen.8 In diesen Fällen besteht daher die Möglichkeit einer Unterlassungsklage (§ 40 FGO) oder Feststellungsklage (§ 41 FGO).9 Ggf. kommt auch eine einstweilige Anordnung gem. § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO in Betracht.10 Aktiv legitimiert können betroffene inländische und ausländische Steuerpflichtige sein.11 Passiv legitimiert ist das BZSt.

9.7

1 Andernfalls ginge die gesetzgeberische Wertungsdivergenz zu Lasten der Betroffenen. 2 Etwa beim automatischen Auskunftsverkehr. 3 Der Bundesminister der Finanzen hat seine Zuständigkeit auf das BZSt übertragen (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG). 4 Vgl. BVerfG v. 4.4.2006 -– 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320; BFH v. 29.10.1986 – VII R 82/85, BStBl. II 1988, 359; BFH v. 4.12.2012 – VII R 5/10, BFH/NV 2013, 431; im Überblick: Seer in T/K, § 117 AO Rz. 25, 70. 5 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 67; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 25; Duhnkrack, Grenzüberschreitender Steuerdatenschutz, 281 ff.; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 201 f.; Reiffs, StBp. 1996, 309 (310). 6 Vgl. § 117 Abs. 4 Satz 3 AO. 7 Ermessensbetätigung durch das BZSt. 8 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 67; Hendricks in Gosch, § 117 AO Rz. 138 ff.; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 ff. (20); Schaumburg, ISR 2013, 423; Grotherr, ISR 2015, 193 (196 f.); vgl. auch BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 3.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 9 Allerdings gem. § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO nur subsidiär. 10 BFH v. 20.1.1988 – I B 72/87, BStBl. II 1988, 412; BFH v. 29.10.1986 – I B 28/86, BStBl. II 1987, 440; BFH v. 4.9.2000 – I B 17/00, BStBl. II 2000, 648; BFH v. 10.5.2005 – I B 218/04, BFH/NV 2005, 1503; BFH v. 15.2.2006 – I B 87/05, BStBl. II 2006, 616; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/ 10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 3.2.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); zu Einzelheiten Herlinghaus in FS Herzig, 2010, 933 (937 f.). 11 BFH v. 20.1.1988 – I B 72/87, BStBl. II 1988, 412; BMF v. 29.5.2019, – IV B 6 - S 1320/07/ 10004:008, BStBl. I 2019, 480 Tz. 3.2.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen).

Schaumburg | 299

Kap. 9 Rz. 9.8 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

9.8

Soweit das BZSt bereits über entsprechende Informationen verfügt,1 werden diese durch die bei ihm angesiedelte Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) im Rahmen der Amtshilfe (§§ 111 ff. AO) weitergegeben, und zwar entweder auf Anfrage, unaufgefordert oder elektronisch (ständig) im Rahmen des Informations-Systems der IZA (ISI-Datenbank).2 Die Weitergabe der Informationen durch das BZSt erfolgt auch für Zwecke des Steuerstrafverfahrens und Steuerordnungswidrigkeitenverfahrens.3

B. Inanspruchnahme und Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe I. Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe 9.9

Die Finanzbehörden können zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe nach Maßgabe des deutschen Rechts (§§ 111 ff. AO) in Anspruch nehmen (§ 117 Abs. 1 AO). § 117 Abs. 1 AO regelt lediglich die Befugnis zur Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe, das heißt das rechtliche Dürfen, ohne dass hieraus ein Anspruch gegenüber dritten Staaten erwächst. Ein derartiger Anspruch auf Auskunftserteilung ergibt sich allein aus Rechtsakten der Union sowie aus multi- und bilateralen Verträgen mit anderen Staaten und Jurisdiktionen. Zu den anspruchsbegründenden Rechtsgrundlagen gehören u.a. Art. 5 EU-AHiRL, Art. 5 EU-BeitrRL, Art. 5, 7 und 9 MWSt-ZVO, Art. 8 VerbrSt-ZVO sowie die Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 1 OECD-MA), die Beitreibungsklauseln der DBA (Art. 27 OECDMA), die besonderen Abkommen über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen4 und die Informationsaustauschabkommen.5 Die vorstehenden Anspruchsgrundlagen betreffen Ersuchensauskünfte. Für automatische Auskünfte sind zwar nur normative Verpflichtungen des einen Staates verankert, ihnen entsprechen aber Ansprüche des anderen Staates. Eine derartige Konnexität zwischen Anspruch und Verpflichtung besteht auch bei Ersuchensauskünften, so dass der Anspruch des ersuchenden Staates auf zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe nicht weiter reicht als die Verpflichtung des ersuchten Staates. Jede Auskunft, die erteilt wird, obwohl keine Verpflichtung hierzu besteht, ist eine Kulanzauskunft, die nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig ist (vgl. etwa § 117 Abs. 3 AO).

9.10

Ob und unter welchen Voraussetzungen die deutsche Finanzverwaltung zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe in Anspruch nehmen darf (Ersuchensauskünfte), ergibt sich aus § 117 Abs. 1 AO. Hiernach ist die Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe nur

1 Rechtsgrundlage für die Sammlung und Auswirkung von Unterlagen über steuerliche Auslandsbeziehungen sind § 88a AO und § 5 Abs. 1 Nr. 6 FVG; gegen diese Datensammlung hat das BVerfG v. 10.3.2008 – 1 BvR 2388/03, BStBl. II 2009, 23 keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben. 2 Vgl. BMF v. 9.9.2019 – IV B 6 - S 1509/07/10001:012, BStBl. II 2019, 907. 3 Vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 4 EUAHiG; BMF v. 29.5.2019 – V B 6 – S 1320/07/10004: 008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 4 Hierzu der Überblick bei Seer in T/K, § 117 AO Rz. 41. 5 Tax Information Exchange Agreements (TIEA); hierzu die Kommentierung von Hendricks in Wassermeyer, DBA, MA-InfAust; Seer/Gabert, Ubg 2010, 358 ff.; BMF v. 17.1.2019 – IV B 2 - S 1301/07/10017-10, BStBl. I 2019, 31; derartige Abkommen bestehen z.B. mit Jersey (BStBl. I 2010, 166); Liechtenstein (BGBl. II 2010, 950); Guernsey (BGBl. II 2010, 973); Isle of Man (BGBl. II 2010, 957); Gibraltar (BGBl. II 2010, 984); Monaco (BGBl. II 2011, 653).

300 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.11 Kap. 9

unter den Voraussetzungen der nationalen Amtshilfe (§§ 111 ff. AO) zulässig. Das heißt: Es müssen die Auskünfte zur Durchführung der deutschen Besteuerung erforderlich sein (§ 111 Abs. 1 Satz 1 AO). Diese Voraussetzung ergibt sich aus der Sicht des ersuchenden Staates auch aus Art. 5, 7 und 9 MwSt-ZVO und Art. 8 Abs. 1 VerbrSt-ZVO. Demgegenüber stellen Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL, Art. 5 Abs. 1 EU-BeitrRL und die Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 1 OECD-MA) und der InfAust/TIEA (Art. 1 Satz 1 TIEA-MA) darauf ab, ob die Auskünfte für Zwecke der Besteuerung voraussichtlich erheblich sind.1 Die Begriffe „erforderlich“ und „erheblich“ sind nicht deckungsgleich. Was erheblich ist, ist nicht stets auch erforderlich.2 Erforderlich sind nämlich Auskünfte erst dann, wenn diese für die Besteuerung rechtlich erheblich und vom ersuchenden Staat auch nach Ausschöpfung eigener Auskunftsquellen nicht erreichbar sind.3 Dieses Subsidiaritätsprinzip, das in § 117 Abs. 1 und § 111 Abs. 1 Satz 1 AO verankert ist, bindet die deutschen Finanzbehörden bei allen Auskunftsersuchen unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage diese gestellt werden.4 Dem entspricht ein Verweigerungsrecht des ersuchten Staates, wenn der ersuchende Staat die üblichen Informationsquellen nicht ausgeschöpft hat.5 Die vorstehenden Gesichtspunkte sind bereits bei der Frage zu berücksichtigen, ob überhaupt ein Auskunftsersuchen gestellt werden soll. Die Entscheidung hierüber liegt im Ermessen der ersuchenden Behörde (§ 117 Abs. 1 AO). Das entsprechende Ermessen ist in aller Regel vom FA als zuständiger Finanzbehörde auszuüben, wobei das BZSt das Auskunftsersuchen lediglich dem betreffenden anderen Staat weiterleitet. Die der zuständigen Finanzbehörde obliegende Ermessensausübung (§ 5 AO) hat sich an den allgemein verbindlichen Ermessengrenzen der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit zu orientieren.6 Das bedeutet, dass die zwischenstaatliche Amtshilfe grundsätzlich erst in Anspruch genommen werden darf, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch den inländischen Beteiligten im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 2 Satz 4 AO) nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO).7 Allerdings müssen die in der AO vorgesehenen Ermittlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft werden, wenn die Durchführung der Ermittlungen mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten verbunden oder nicht erfolgversprechend wäre (vgl. § 6 Abs. 3 EUAHiG, § 93 Abs. 1a Satz 2 AO).8 Hieraus folgt, dass ein Auskunftsersuchen ohne Ausschöpfung der nach der AO vorgesehenen Ermittlungsmöglichkeiten gestellt werden darf, wenn der betreffende Beteiligte seine Mitwirkungspflichten verletzt.9 Entsprechendes gilt, soweit die Steu-

1 Zur Erheblichkeitsprüfung im Einzelnen Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 34 ff.; Krabbe, RIW 1986, 126 (128). 2 Zur Begriffsabgrenzung im Übrigen Seer in T/K, § 117 AO Rz. 23. 3 Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 89. 4 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 4.1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch). 5 Z.B. Art. 17 Abs. 1 EU-AHiRL; zu Einzelheiten Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 222 f. 6 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 25. 7 BFH v. 20.2.1979 – VII R 16/78, BStBl. II 1979, 268; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/ 10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 4.1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch); Seer in T/K, § 117 AO Rz. 25; anders bei Sammelauskunftsersuchen (§ 3 Abs. 1a Satz 3 AO). 8 Diese Einschränkung ist durch Art. 17 Abs. 1 EU-AHiRL gedeckt, wonach nur auf übliche Informationsquellen abgestellt wird. 9 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 25; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (18).

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9.11

Kap. 9 Rz. 9.11 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

erfahndung im Besteuerungsverfahren tätig wird (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 AO) und die Erreichung des Ermittlungsziels anderenfalls gefährdet wäre.1 Obwohl Auskunftsersuchen die Steuerangelegenheiten eines bestimmten Steuerpflichtigen zum Gegenstand haben,2 sind ebenso wie aufgrund der DBA-Auskunftsklauseln3 Gruppenanfragen (Sammelauskunftsersuchen) zulässig, wenn ein hinreichender Anlass für die Ermittlung besteht und andere zumutbare Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung keinen Erfolg versprechen (§ 93 Abs. 1a Satz 2 AO) – allerdings nur, soweit die betreffende Gruppe durch bestimmte Verhaltensmuster so konkretisiert ist, dass eine Individualisierung der einzelnen Gruppenmitglieder möglich ist.4 Im Hinblick darauf sind sog. Fishing-Expeditions unzulässig.5 Unter diesen Voraussetzungen stehen Sammelauskunftsersuchen auch der Steuerfahndung zwecks Ermittlung bislang unbekannter Steuerfälle (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 AO) zur Verfügung.6

9.12

Im Rahmen der an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit orientierten Ermessensausübung ist der betreffende Steuerpflichtige vor Stellung des Auskunftsersuchens hierüber zu informieren und anzuhören.7 Die vorherige Anhörung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus den für eingehende Auskunftsersuchen maßgeblichen Rechtsgrundlagen – auch nicht aus der EU-AHiRL8 – sie ist aber entsprechend dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu beachten, wenn das Auskunftsersuchen Informationen enthält, die für den Betroffenen in dem anderen Staat zu einem Eingriff in seine rechtlich geschützte Sphäre führen könnten. Rechtsgrundlage hierfür ist unionsrechtlich Art. 41 Abs. 2a GRCh, der als Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV) rechtlich verbindlich ist.9 Die Pflicht zur vorherigen Anhörung ist zudem verfassungsrechtlich begründet. Sie ergibt sich zum einen aus dem Postulat des effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG und zum anderen aus dem grundrechtlichen Schutz informationeller Selbstbestimmung.10 Trotz seiner Herkunft aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht11 gilt das

1 Seer in T/K, § 208 AO Rz. 54; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 4.1.2. 2 Vgl. z.B. Rz. 9 Satz 2 der Erwägungsgründe der EU-AHiRL. 3 OECD-MK Nr. 5.2 zu Art. 26 OECD-MA. 4 Vgl. OECD-MK, Art. 26 Ziff. 5.2. 5 Vgl. Tz. 9 der Erwägungsgründe der EU-AHiRL; zu Einzelheiten Seer in T/K, § 93 AO Rz. 34, § 117 AO Rz. 27; Roth, Sammelauskunftsersuchen und internationale Gruppenanfragen, Berlin 2014, 150 ff. 6 Seer in T/K, § 208 AO Rz. 32. 7 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 67; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 368 f.; Seer in FS Schaumburg, 2009, 151 (159); vgl. auch BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/ 10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 3.1.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch); § 117 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2, § 117c Abs. 4 Satz 2 AO, die eine Anhörungspflicht suspendieren, gelten nur bei Auskunftserteilung. 8 Vgl. EuGH v. 22.10.2013 – C-276/12, ECLI:EU:C:2013:678 – Sabou, ISR 2013, 423 mit Anm. Schaumburg. 9 Streinz in Streinz, AEUV3, Vor GrCh Rz. 7, Art. 41 GrCh Rz. 9 ff. 10 Zur Herleitung im Einzelnen Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 342 ff.; vgl. im Übrigen Duhnkrack, Grenzüberschreitender Steuerdatenschutz, 58 ff., 98 ff.; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 89 ff.; Oldiges in Menck/ Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 86 (104); für den Fall der Spontanauskunft einen Schutz informationeller Selbstbestimmung verneinend BFH v. 8.2.1995 – I B 92/94, BStBl. II 1995, 358; BFH v. 17.5.1995 – I B 118/94, BStBl. II 1995, 497. 11 Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, näher zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Di Fabio in Maunz/Dürig, Art. 2 GG Rz. 127 ff.

302 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.14 Kap. 9

Recht auf informationelle Selbstbestimmung1 auch für inländische juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG).2 In der Praxis der Finanzverwaltung wird von dem Anhörungsrecht insbesondere im Zuge von Außenprüfungen oder bei sonstigen Überprüfungen, die sich auf Auslandsbeziehungen erstrecken, jedenfalls dann Gebrauch gemacht, wenn die Gefahr besteht, dass dem Steuerpflichtigen ein mit dem Zweck der Amtshilfe nicht zu vereinbarender Schaden droht.3 Im Rahmen des Auskunftsersuchens ist auch die Wahrung des Steuergeheimnisses zu beachten. Soweit hierbei die Verhältnisse des betroffenen Steuerpflichtigen oder anderer Personen zwangsläufig mitgeteilt werden müssen, bedeutet diese Offenbarung nach der Generalklausel des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zwar keine unzulässige Verletzung des Steuergeheimnisses,4 etwas anderes ergibt sich aber in Orientierung an Art. 17 Abs. 4 EU-AHiRL, § 4 Abs. 3 Nr. 3 EUAHiG und § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AO. Der dort verankerte Geheimnisschutz geht nämlich über das Steuergeheimnis gem. § 30 AO hinaus und wirkt somit auch als Schranke gegen alle Auskunftsersuchen, obwohl die vorgenannten Geheimnisschutzvorschriften unmittelbar nur die Auskunftserteilung betreffen. Daraus folgt: Was bei Gewährung zwischenstaatlicher Amtshilfe nicht mitgeteilt werden darf, darf auch bei ihrer Inanspruchnahme nicht offenbart werden. Daher ist es der deutschen Finanzverwaltung untersagt, im Rahmen des Ersuchens ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preiszugeben, wenn die Gefahr besteht, dass hierdurch ein mit dem Zweck des Auskunftsersuchens nicht zu vereinbarender Schaden entsteht.5

9.13

Erhält die deutsche Finanzverwaltung aufgrund ihres Ersuchens Auskünfte, so unterliegen diese dem Steuergeheimnis (§ 30 AO).6 Für den Anwendungsbereich der EU-AHiRL ergibt sich dies ausdrücklich aus § 19 EUAHiG und auf Abkommensebene aus Art. 26 Abs. 2 OECD-MA. Zugunsten des betroffenen Steuerpflichtigen gilt jeweils der Geheimnisschutz mit der größten Reichweite.7 Die erlangten Auskünfte dürfen allerdings in einem Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder in einem Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit verwendet werden (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO).

9.14

1 Grundlegend BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, I BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83, BVerfGE 65, 1 ff.; BVerfG v. 17.7.1984 – 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83, BVerfGE 67, 100 ff. 2 BVerfG v. 17.7.1984 – 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83, BVerfGE 67, 100 (142); Oldiges in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 86 (94). 3 Vgl. BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 3.1.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); vgl. allerdings die Ausnahmen unter Tz. 3.1.2; speziell zu koordinierten steuerlichen Außenprüfungen BMF v. 9.1.2017 – IV B 6 - S 1315/16/10016:002, BStBl. I 2017, 89, Tz. 3.2. 4 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 372. 5 Hierzu Seer in T/K, § 117 AO Rz. 50, 127 ff.; im Ergebnis ebenso Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Rechtshilfe in Steuersachen, 91. 6 Zu Einzelheiten Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 374 f.; vgl. BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 1.6.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch). 7 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 375; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 115 ff.; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (11 f.); zum Geheimnisschutz in den deutschen DBA im Einzelnen Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 87 ff.; Czakert in S/D, DBA2, Art. 26 OECD-MA Rz. 64 ff.; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 50 ff.

Schaumburg | 303

Kap. 9 Rz. 9.15 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

II. Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe 9.15

Die Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe, also die Auskunftserteilung an andere Staaten, befindet sich in einem Konfliktfeld. Hierbei geht es einerseits um die Sachaufklärung im Interesse der Besteuerung des anderen Staates und andererseits um die Berücksichtigung grundrechtlicher Schutzbereiche des betroffenen Steuerpflichtigen.1

9.16

Die für die Gewährung internationaler Amts- und Rechtshilfe maßgeblichen Rechtsgrundlagen berücksichtigen im Grundsatz diesen Konflikt dadurch, dass eine Auskunftserteilung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Indessen dient die Auskunftserteilung an das Ausland nicht nur dem ausländischen Steuerinteresse. Sie dient vielmehr gleichermaßen dem inländischen Steuerinteresse mittelbar dadurch, dass die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen der Gegenseitigkeit auf entsprechende Auskünfte aus dem Ausland hoffen kann.2 Diese Umstände hat die deutsche Finanzverwaltung bei ihren Ermessensentscheidungen darüber, ob Auskünfte erteilt werden sollen, ebenso zu berücksichtigen wie den Umstand, dass im Ausland mitunter ein geringerer rechtsstaatlicher Standard3 sowie eine geringere Steuereffizienz4 bestehen.

9.17

Rechtsgrundlagen für die Gewährung zwischenstaatlicher Rechts- und Amtshilfe sind insbesondere Art. 5 EU-AHiRL, § 4 EUAHiG, Art. 5 EU-BeitrRL, § 5 Abs. 1 EUBeitrG, Art. 5, 7 und 9 MwSt-ZVO, Art. 8 VerbrSt-ZVO, die Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 1 OECD-MA) sowie die besonderen Abkommen über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen,5 die Informationsaustauschabkommen;6 Art. 2, 4 Abs. 1 des FATCA-Abkommens v. 31.5.2013,7 Art. 5 – 7 des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen8 und § 2 der mehrseitigen Vereinbarung vom 29.10.2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten (CRS-MCAA)9 jeweils in Verbindung mit dem FKAuStG sowie schließlich § 117 Abs. 2 und 3 AO.

9.18

Die vorstehenden aufeinander nicht abgestimmten Rechtsgrundlagen schließen sich nicht gegenseitig aus und sind nebeneinander anwendbar,10 wobei entsprechend der vorgegebenen 1 Hierzu im Einzelnen Oldiges in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 86 ff.; Duhnkrack, Grenzüberschreitender Steuerdatenschutz, 58 ff.; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 59 ff. 2 Zu Einzelheiten Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 94 f. 3 Hierzu Ritter in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 17 (20). 4 Hierzu Ritter in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 17 (21 ff.). 5 BMF v. 15.1.2020 – IV B 2-S 1301/07/10017-11, BStBl. I 2020, 162, Länderübersicht I. Nr. 4 mit Stand 1.1.2020. 6 Z.B. Jersey (BStBl. I 2010, 166); Liechtenstein (BGBl. II 2010, 950), Guernsey (BGBl. II 2010, 973); Isle of Man (BGBl. II 2010, 957); Gibraltar (BGBl. II 2010, 984); Monaco (BStBl. I 2017, 73); Andorra (BStBl. I 2017, 82); vgl. im Übrigen BMF v. 15.1.2020 – IV B 2-S 1301/07/10017-11, BStBl. I 2020, 162, Länderübersicht I. Nr. 4 mit Stand 1.1.2019; zu Einzelheiten die Kommentierung von Hendricks in Wassermeyer, DBA, MA-InfAust; Seer/Gabert, Ubg 2010, 358 ff.; BMF v. 10.11.2015 – IV B 6 - S 1301/11/10002 – DOK 2015/0811184, BStBl. I 2016, 138. 7 BGBl. II 2013, 1362, ergänzend hierzu die Abmachung v. 30.11.2015, BGBl. II 2015, 1047. 8 BGBl. II 2015, 966 (967). 9 BGBl. II 2015, 1630 (1632). 10 BFH v. 20.2.1979 – VII R 16/78, BStBl. II 1979, 268; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 21; Hendricks in Gosch, § 117 AO Rz. 38; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 21; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 72; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerrecht, 311, 316 f.; Grotherr, IStR 2015, 845 (859 f.).

304 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.22 Kap. 9

Normenhierarchie (Rz. 2.31 ff.) die unionsrechtlichen Normen Anwendungsvorrang haben.1 Die Reichweite der einzelnen Rechtsgrundlagen ist unterschiedlich. So erstreckt sich die Gewährung der Amts- und Rechtshilfe nach dem EU-Amtshilfegesetz auf die Steuern von Einkommen, Ertrag und Vermögen sowie auf die Umsatzsteuer. Demgegenüber betreffen die beiden Zusammenarbeitsverordnungen der EU nur die Umsatzsteuer und die Verbrauchsteuern, die Auskunftsklauseln der DBA regelmäßig nur die Steuern vom Einkommen, Ertrag, vom Vermögen und ggf. Erbschaftsteuer, zumeist aber nicht die Umsatzsteuer2 und die Informationsaustauschabkommen die Steuern von Einkommen, Ertrag und Vermögen sowie die Erbschaftsteuer. § 117 Abs. 3 AO betrifft dagegen alle Steuern. Soweit sich die für die Gewährung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe maßgeblichen Rechtsgrundlagen überlagern, gelten jeweils diejenigen Schrankenwirkungen – etwa Geheimnisschutz3 –, die die größte Reichweite zugunsten des betroffenen Steuerpflichtigen entfalten.4

9.19

III. Auskunftsarten 1. Überblick Die Arten der Auskunftserteilung sind in den einzelnen Rechtsgrundlagen unterschiedlich geregelt. Im Grundsatz ist zwischen der Auskunftserteilung mit und ohne Ersuchen zu unterscheiden.

9.20

Bei Auskunftserteilung auf Ersuchen ist wiederum zwischen Pflichtauskünften und Kulanzauskünften zu unterscheiden. Eine Verpflichtung zur Erteilung einer Ersuchensauskunft ergibt sich für Deutschland als ersuchtem Staat insbesondere aus § 4 Abs. 1 EUAHiG, § 5 Abs. 1 EUBeitrG, Art. 5, 9, 54 MwSt-ZVO, Art. 8 Abs. 1, 31 VerbrSt-ZVO sowie aus den Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 1 OECD-MA), den Informationsaustauschabkommen und den besonderen Abkommen über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen. Im Übrigen darf eine Ersuchensauskunft gem. § 117 Abs. 3 AO auch ohne rechtliche Verpflichtung erteilt werden (Kulanzauskunft). § 117 Abs. 3 AO regelt insoweit nur, was § 1 Abs. 3 EUAHiG erlaubt und die Auskunftsklauseln der DBA oder andere bi- und multilaterale Vorschriften nicht verbieten.5 Die Befugnis zur Auskunftserteilung geht daher über die rechtliche Verpflichtung hinaus.

9.21

Auskünfte ohne Ersuchen (Spontanauskünfte) sind in § 8 EUAHiG, § 6 Abs. 1 EUBeitrG und in Art. 15 MwSt-ZVO, Art. 16 Abs. 1 VerbrSt-ZVO ausdrücklich vorgesehen und nach

9.22

1 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 21; zugunsten des Steuerpflichtigen gelten allerdings die Schrankenwirkungen mit der größten Reichweite; vgl. Rz. 9.14. 2 Hierzu der Überblick in BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Anlage 1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 3 Vgl. hierzu die Sonderregelungen in den deutschen Abkommen bei Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 113, 117. 4 Andernfalls ginge die gesetzliche Wertungsdivergenz zulasten der Betroffenen; vgl. Rz. 9.14. 5 § 117 Abs. 3 AO ist dennoch eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für Kulanzauskünfte; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 119.

Schaumburg | 305

Kap. 9 Rz. 9.22 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

den Auskunftsklauseln der DBA durchweg nicht verboten.1 Einige wenige DBA sehen jedoch nur eine Ersuchensauskunft vor.2 Bei InfAustAbk (TIEA) sind Spontanauskünfte nur zulässig, soweit diese in den betreffenden Abkommen vorgesehen sind. In der Praxis gewinnen automatische Auskünfte zunehmend an Bedeutung. Vorgesehen sind sie z.B. in § 7 EUAHiG, Art. 13 Abs. 1 MwSt-ZVO, Art. 15 Abs. 1 VerbrSt-ZVO, Art. 2, 4 Abs. 1 des FATCA-Abkommens, § 2 der mehrseitigen Vereinbarung vom 29.10.2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten (CRSMCAA), Art. 6 des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und dem hierzu ergangenen FKAuStG, in den Auskunftsklauseln der DBA in Verbindung mit den hierzu ergangenen (speziellen) bilateralen Vereinbarungen und in den Informationsaustauschabkommen (TIEA), soweit diese gesondert vereinbart sind. Darüber hinaus ist die Erteilung automatischer Auskünfte in § 50d Abs. 1, 5 und 6 EStG geregelt. Als Besonderheit ist auf Protokoll Nr. 23 zu Art. 26 DBA-USA hinzuweisen, wonach der abkommensrechtliche Informationsaustausch für Deutschland auf den Umfang des EU-Amtshilfegesetzes ausgedehnt wird. Deutschland gewährt damit den USA die gleiche Auskunftsunterstützung, wie sie den EU-Mitgliedsstaaten gewährt wird.3

2. Ersuchensauskünfte a) Pflichtauskünfte

9.23

Der ersuchte Staat ist in den Fällen zur Auskunft verpflichtet, in denen der ersuchende Staat einen Anspruch auf Auskunftserteilung hat. Damit korrespondiert die Verpflichtung des ersuchten Staates mit dem Anspruch des ersuchenden Staates. Soweit § 117 Abs. 2 AO in diesem Zusammenhang regelt, dass zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe geleistet werden kann, wird dieses „Können“ zu einem „Müssen“,4 wenn die Voraussetzungen der hierfür in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen (Rz. 8.9, 8.10) erfüllt sind.5 aa) EU-Amtshilferichtlinie/EU-Amtshilfegesetz

9.24

Im Anwendungsbereich der EU-AHiRL (EUAHiG)6 besteht die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nur dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür gegeben sind

1 BFH v. 23.7.1986 – I R 306/82, BStBl. II 1987, 92; BFH v. 8.2.1995 – I B 92/94, BStBl. II 1995, 358; BFH v. 17.5.1995 – I B 118/94, BStBl. II 1995, 497; BFH v. 10.5.2005 – I B 218/04, BFH/NV 2005, 1503; BFH v. 13.1.2006 – I B 35/05, BFH/NV 2006, 922; Klos, Inf. 1995, 519 ff.; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 6.1.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch); dagegen werden von Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 39 ff. Spontanauskünfte aufgrund von vor dem 11.4.1977 – Tag, an dem die OECD den Mitgliedstaaten empfohlen hat, bei der Abkommensauslegung dem Kommentar zum OECD-MA 1977 zu folgen – abgeschlossenen DBA für unzulässig gehalten; ebenso Becker, JbFSt. 1980/81, 122 (130); Heidner, DStR 1989, 526 (527); Escher/Escher-Weingart, RIW 1991, 574 (575 f.). 2 Nachweise bei Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 58, 70. 3 Eckstein in Endres/Jacob/Gohr/Klein, Art. 26 DBA-USA Rz. 1. 4 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 69; Czakert in FS Frotscher, 2013, 5 (24). 5 Die wichtigsten Rechtsgrundlagen werden nachfolgend kurz dargestellt. 6 In dem hier interessierenden Zusammenhang zielt die EU-AHiRL auch darauf ab, „Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung“ zu bekämpfen, vgl. Rz. 1 der Erwägungsgründe der ÄnderungsRL 2016/881 v. 25.5.2016 zur EU-AHiRL, ABl. EU 2016 Nr. L 146, 8.

306 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.24 Kap. 9

und der Auskunftserteilung zudem keine Hinderungsgründe entgegenstehen.1 Hierbei ist auf folgende Gesichtspunkte abzustellen:2 – Die begehrten Auskünfte müssen für Zwecke der Besteuerung in dem anderen Mitgliedstaat „voraussichtlich erheblich“ sein (Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL, § 1 Abs. 1 EUAHiG). Hierbei ist auf die Rechtslage in dem anderen Mitgliedstaat abzustellen,3 so dass ein Ersuchen nicht deshalb abgelehnt werden darf, weil die zu übermittelnden Informationen im ersuchten Staat nicht für steuerliche Zwecke benötigt werden (§ 4 Abs. 6 EUAHiG). Das bedeutet zugleich, dass in aller Regel im ersuchten Staat lediglich eine Schlüssigkeitsprüfung zu erfolgen hat, wobei sich die Prüfung nicht auf die formelle Ordnungsmäßigkeit des Ersuchens beschränkt, sondern auch darauf erstreckt, ob den erbetenen Informationen unter Berücksichtigung der Identität der Betroffenen „nicht völlig die voraussichtliche Erheblichkeit fehlt“.4 Mit anderen Worten: Zum Zeitpunkt des Ersuchens und der Informationsweitergabe muss aus Sicht des ersuchenden Staates eine „vernünftige Möglichkeit“ bestehen, dass die begehrte Information für steuerliche Zwecke relevant sein wird.5 Hat die ersuchte Behörde – in Deutschland das BZSt – eine liquide Kenntnis darüber, dass der ersuchende Staat die begehrten Auskünfte nicht für seine eigene Steuerfestsetzung, sondern nur für die Steuerfestsetzung eines Drittstaates begehrt, ist dem Auskunftsersuchen nicht zu entsprechen.6 Das gilt auch, falls der ersuchende Staat die Auskünfte nur für Zwecke des Steuerstrafrechts oder des Steuerordnungswidrigkeitenrechts begehrt. Die Auskünfte müssen für die Festsetzung der unter die EU-AHiRL fallenden Steuern benötigt werden (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EUAHiG), wobei die Verwendung auch für Zwecke des Steuerstrafrechts und ggf. des Steuerordnungswidrigkeitenrechts (Nebenzweck) unschädlich ist.7 – Die Übermittlung von Informationen kann seitens der zuständigen Behörde – in Deutschland das BZSt – abgelehnt werden, „wenn der ersuchende Mitgliedstaat seinerseits aus rechtlichen Gründen nicht zur Übermittlung entsprechender Informationen in der Lage ist“ (Art. 17 Abs. 3 EU-AHiRL, § 4 Abs. 4 EUAHiG). Durch dieses Prinzip der Gegenseitigkeit8 soll innerhalb der EU insbesondere eine informationelle Einbahnstraße vermieden werden. – Der ersuchte Mitgliedstaat ist nicht zu Ermittlungen oder zur Übermittlung von Informationen verpflichtet, wenn die entsprechenden für eigene Zwecke durchzuführenden Maßnahmen mit dem jeweiligen internen Recht unvereinbar wären (Art. 17 Abs. 2 EU-AHiRL, § 4 Abs. 3 Nr. 1 EUAHiG). Mit anderen Worten: Was die ersuchte (deutsche) Finanzbehörde nach dem für sie geltenden deutschen Recht nicht darf, das darf sie auch nicht für

1 Zur Zulässigkeitsprüfung eingehender Auskunftsersuchen insbesondere durch das BZSt BMF v.29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 5.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch). 2 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 25.23. 3 Ex-ante-Betrachtung; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 225. 4 EuGH v. 16.5.2017 – C-682/15, ECLI:EU:C:2017:373 – Berlioz, IStR 2017, 785; vgl. hierzu auch Oppel, IWB 2018, 35. 5 FG Köln v. 23.5.2017 – 2 V 2498/16, EFG 2017, 1322; FG Köln v. 30.6.2017 – 2 V 687/17, EFG 2017, 1568. 6 Hierzu Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 191; Kerwat, DStZ 1992, 729 (730). 7 Die Auskunftserteilung nur für Zwecke der Verfolgung von Steuerstrafsachen erfolgt auf der Grundlage des IRG; vgl. Rz. 10.76 ff. 8 Hierzu Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 94 ff., 223 ff.

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Kap. 9 Rz. 9.24 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

Zwecke der Erledigung eines ausländischen Auskunftsersuchens. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit gilt daher auch für Zwecke der zwischenstaatlichen Amtshilfe, so dass etwa Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrechte nach den §§ 101 ff. AO ebenso zu beachten sind wie das Verbot der Auferlegung von Zwangsmitteln, wenn der Betroffene dadurch gezwungen würde, sich wegen einer von ihm begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu belasten (§ 339 Abs. 1 Satz 2, § 410 Abs. 1 Nr. 4 AO).1 Diese von dem Prinzip der rechtlichen Unmöglichkeit der Informationsbeschaffung ausgehenden Schutzwirkungen für den Betroffenen versagen freilich dann, wenn die ersuchten Finanzbehörden bereits über die für die Gewährung der Amtshilfe erforderlichen Informationen verfügen mit der Folge, dass es irgendwelcher Amtshandlungen insoweit von vornherein nicht bedarf.2 – Die ersuchte Behörde erteilt ferner dann keine Informationen, wenn der ersuchende andere Mitgliedstaat die üblichen Informationsquellen nicht ausgeschöpft hat, die ihm zur Erlangung der erbetenen Informationen zur Verfügung stehen, ohne dabei die Erreichung des Ziels zu gefährden (Art. 17 Abs. 1 EU-AHiRL, § 4 Abs. 3 Nr. 2 EUAHiG). Es handelt sich hierbei um das für die EU-AHiRL insgesamt geltende Subsidiaritätsprinzip, das den ersuchten Mitgliedstaat vor Überforderung schützen soll.3 – Die Übermittlung von Informationen kann abgelehnt werden, wenn hierdurch ein Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgegeben würde (Art. 17 Abs. 4 EU-AHiRL, § 4 Abs. 3 Nr. 3 EUAHiG). Die derart geschützten Geschäftsgeheimnisse liegen vor, wenn es sich um Tatsachen und Umstände handelt, die von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und praktisch nutzbar sind und deren unbefugte Nutzung zu beträchtlichen Schäden führen kann.4 Diese Geschäftsgeheimnisse gelten nur Dritten gegenüber mit der Folge, dass es zwar zwischen Stammhaus und Betriebsstätte solche Geheimnisse nicht geben kann,5 wohl aber zwischen verbundenen oder sonst nahestehenden Unternehmen.6 – Nicht geschützt ist das Bankgeheimnis, so dass Informationen, die sich bei einer Bank, einem sonstigen Finanzinstitut, einem Bevollmächtigten, Vertreter oder Treuhänder befinden oder sich auf Eigentumsanteile an einer Person beziehen, ohne weiteres übermittelt werden dürfen (Art. 18 Abs. 2 EU-AHiRL, § 4 Abs. 5 EUAHiG). Diese Regelung entspricht dem OECD-Standard und ist auch in Art. 26 Abs. 5 OECD-MA und Art. 5 Abs. 4 TIEAMA7 verankert.

1 Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 249; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 5.3.11 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch). 2 BFH v. 17.5.1995 – I B 118/94, BStBl. II 1995, 497; BFH v. 4.9.2000 – I B 17/00, BStBl. II 2000, 648; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 97; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 250. 3 Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (13); Gabert, FR 2013, 986 (988). 4 BFH v. 20.2.1979 – VII R 16/78, BStBl. II 1979, 268; diese restriktive Interpretation des Geschäftsoder Betriebsgeheimnisses wird gebilligt von Seer in T/K, § 117 AO Rz. 78; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 120 ff.; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 195; Herlinghaus in FS Herzig, 2010, 933 (950); a.A. z.B. Klaproth in Schwarz/Pahlke, § 117 AO Rz. 49; Ritter in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 17 (23 ff.). 5 Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 125a; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 111. 6 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 79; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 125 f.; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 111; a.A. Runge, RIW/AWD 1979, 73 (86); Baranowski, DStZ/A 1975, 296 (299). 7 Vgl. zu Einzelheiten Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 88 ff.; Art. 5 MAInfAust Rz. 20 ff.; Hinweis: Ein steuerliches Bankgeheimnis gibt es in Deutschland nicht.

308 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.25 Kap. 9

– Die Auskunftserteilung bleibt schließlich dann versagt, wenn hierdurch die öffentliche Ordnung (ordre public) verletzt würde (Art. 17 Abs. 4 Halbs. 2 EU-AHiRL, § 4 Abs. 3 Nr. 4 EUAHiG). Gemeint sind damit die fundamentalen Ordnungsvorstellungen und Grundwertungen des ersuchten Mitgliedstaates, so dass insbesondere die Grundrechte, ferner die Souveränität des Staates, seine Sicherheit oder andere wesentliche Interessen – etwa die Geheimhaltung der empfangenen Auskünfte im ersuchenden Staat – dazu gehören. Im Hinblick darauf, dass alle Mitgliedstaaten der EU einen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewähren, der zudem durch die GRCh verbindlich ist,1 und im Übrigen der unionale Datenschutz (DSGVO) maßgeblich ist (Art. 25 EU-AHiRL),2 hat der Ordre-public-Vorbehalt kaum praktische Bedeutung.3 – Der ersuchte Mitgliedstaat ist für Zwecke der Auskunftserteilung verpflichtet, diejenigen behördlichen Ermittlungen anzustellen, die er für eigene Steuerzwecke anstellen würde (Art. 6 Abs. 3 EU-AHiRL, § 4 Abs. 1 Satz 3 EUAHiG). Aus deutscher Sicht führt dies zur Anwendung von § 117 Abs. 4 AO, wonach u.a. bei der Übermittlung von Auskünften und Unterlagen inländischer Beteiligter (§ 78 AO) bei von Landesbehörden verwalteten Steuern im Grundsatz ein Anhörungsrecht (§ 91 AO) zu beachten ist (§ 117 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 AO). Diese Anhörungspflicht gilt aber ausdrücklich nicht im Anwendungsbereich des EUAHiG (§ 117 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 AO).4 In Orientierung an das grundrechtlich geschützte Recht auf Gehör5 ist im Ergebnis der durch die Übermittlung der Informationen Betroffene6 dennoch stets vorher zu hören (vgl. Rz. 9.12).7 Die EU-AHiRL und das EUAHiG enthalten im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Informationsaustausch keine Regelungen über den Rechtschutz der Betroffenen. Dies ist allein Sache des jeweiligen nationalen Rechts, wobei Art. 47 Abs. 1 GRCh einen effektiven gerichtlichen Rechtschutz gewährleistet.8 Ein effektiver Rechtschutz ist hierbei aber nur dann gegeben, wenn vor Stellung des Auskunftsersuchens oder vor Erteilung der ersuchten Auskünfte der betroffene Steuerpflichtige gehört wird (vgl. auch Rz. 9.12, 9.24).9 Unterbleibt die vorherige Anhörung, ergibt sich aus deutscher Sicht als einzige Rechtschutzmöglichkeit nur noch die Feststellungsklage zum FG (§ 41 FGO). Im Rahmen dieser Klage kann die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Auskunftsersuchens oder der erteilten Auskunft begehrt werden.10 Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ist in aller Regel schon deshalb gegeben, weil die im Falle eines Auskunftsersuchens und erst recht bei der Auskunftserteilung offen-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. Jarass, GRCh3, Einl. Rz. 8 ff. Vgl. auch § 19 EUAHiG. Vgl. Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 219. Diese verschärfende Regelung wurde mit Wirkung zum 1.1.2013 durch das AmtshilfeRLUmsG eingefügt. Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a GRCh; vgl. im Einzelnen Seer in T/K, § 91 AO Rz. 1. Zum Gleichlauf der Begriffe Beteiligter/Betroffener BFH v. 16.11.1999 – VII R 95, 96/98, BFH/NV 2000, 531 (535); Seer in T/K, § 117 AO Rz. 138. BMF v. 23.11.2015 – IV B 6 - S 1320/07/10004:006 – DOK 2012/0223372, BStBl. I 2015, 928, Tz. 5.2.1; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 138, § 91 AO Rz. 2; Bozza-Bodden, DStJG 26 (2013), 133 (136); Schaumburg, ISR 2013, 423; Grotherr, ISR 2015, 193 (195 f.). EuGH v. 16.5.2017 – C-682/15, ECLI:EU:C:2017:373 – Berlioz, IStR 2017, 785, Rz. 51; vgl. hierzu auch Oppel/Sendke, IStR 2017, 110 (114). Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (20); Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), 133 (162). Vgl. BFH v. 29.4.2008 – I R 79/07, BFH/NV 2008, 1807.

Schaumburg | 309

9.25

Kap. 9 Rz. 9.25 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

barten Tatsachen vom Schutzbereich des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) erfasst werden.1 Wird der Betroffene vorher gehört, besteht die Möglichkeit der vorbeugenden Unterlassungsklage (§ 40 FGO)2 und im Rahmen des vorläufigen Rechtschutzes der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO).3 bb) EU-Beitreibungsrichtlinie/EU-Beitreibungsgesetz

9.26

Auf Grundlage der EU-Beitreibungsrichtlinie (EU-Beitreibungsgesetz)4 stehen zwar Beitreibungsersuchen im Vordergrund (Art. 10 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 EU-BeitrRL, § 9 Abs. 1 EUBeitrG), im Vorfeld sind aber für den ersuchenden Mitgliedstaat nicht selten Informationen über den im ersuchten Mitgliedstaat ansässigen Schuldner und sein dort belegenes Vermögen erforderlich. Im Hinblick darauf hat die ersuchte Behörde, in Deutschland also das BZSt, auf Ersuchen der ersuchenden Behörde des anderen Mitgliedstaats alle Informationen zu übermitteln, die für die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme „voraussichtlich erheblich“ sind (Art. 5 Abs. 1 EU-BeitrRL, § 5 Abs. 1 Satz 1 EUBeitrG).5 Dafür reicht es aus, dass aus der Sicht des ersuchenden Mitgliedstaats die begehrten Auskünfte bei einer beabsichtigten Vollstreckungsmaßnahme Verwendung finden könnten.6 Es geht hierbei im Wesentlichen darum, ob und ggf. welches Vermögen der Schuldner im anderen Mitgliedstaat hat. Darüber hinaus kann das Auskunftsersuchen aber auch Haftungsschuldner und sonstige Personen betreffen, die im Besitz von Vermögenswerten des Schuldners oder Haftungsschuldner sind.7 Schließlich dürfen die hierbei erhaltenen Informationen auch für Zwecke des Steuerstrafrechts und des Steuerordnungswidrigkeitenrechts verwendet werden. Die Pflicht zur Auskunftserteilung findet allerdings ihre Grenze im jeweiligen nationalen Recht, so dass aus deutscher Sicht insbesondere die in der AO verankerten Auskunftsverweigerungsrechte (§§ 101 ff. AO) auch grenzüberschreitend wirksam werden (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a EU-BeitrRL, § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 EUBeitrG). Darüber hinaus ist die Auskunft auch dann zu verweigern, wenn hierdurch ein Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis preisgegeben würde, wodurch allerdings ein Bankgeheimnis8 nicht geschützt wird (Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Abs. 3 EU-BeitrRL, § 5 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 EUBeitrG). Schließlich verbietet sich eine Auskunft auch in den Fällen, in denen die Sicherheit oder öffentliche Ordnung des ersuchten Mitgliedstaats (ordre public) verletzt würde (Art. 5 Abs. 2 Buchst. c EU-BeitrRL, § 5 Abs. 2 Nr. 3 EUBeitrG).9

1 BFH v. 29.4.2008 – I R 79/07, BFH/NV 2008, 1807; FG Köln v. 20.9.2007 – 2 K 938/07, EFG 2008, 1094. 2 Die Entscheidung des BZSt, ein Auskunftsersuchen zu stellen oder eine Auskunft zu erteilen, ist kein (anfechtbarer) Verwaltungsakt; BFH v. 21.7.2009 – VII R 52/08, BStBl. II 2010, 51; Seer in T/ K, § 117 AO Rz. 139; Söhn in H/H/Sp, § 117 Rz. 214 f.; Hendricks, IStR 2009, 846 (852); Seer, IWB 2011, 144 (151); a.A. Ismer/Sailer, IStR 2003, 622 (629); Lammers, EWS 2010, 121 (122 f.). 3 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 140; Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), 133 (164 ff.) m.w.N.; FG Köln v. 23.5.2017 – 2 V 2498/16, EFG 2017, 1322; FG Köln v. 20.10.2017 – 2 V 1055/17, EFG 2018, 351. 4 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 20.39 ff. 5 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 20.53 ff. 6 Czakert in S/D, DBA2, Anh. 2 Rz. 27. 7 BMF v. 23.1.2014 – IV B 6 - S 1320/07/10011: 011, BStBl. I 2014, 188, Tz. 3.4.1. 8 Ein steuerliches Bankgeheimnis gibt es in Deutschland ohnehin nicht. 9 Zu einem Anwendungsfall vgl. BFH v. 3.11.2010 – VII R 21/10, BStBl. II 2011, 401; anders bei einem Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz, BFH v. 11.12.2012 – VII R 70/11, BFH/NV 2013, 796 Rz. 26.

310 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.29 Kap. 9

Im Unterschied zur EU-AHiRL enthält die EU-BeitrRL eigenständige Regelungen über Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen im Rahmen der Vollstreckung von Forderungen (Art. 14 EU-BeitrRL, § 13 EU-BeitrG). Diese Regelungen haben allerdings nur eine begrenzte Reichweite, weil sie allein die Frage betreffen, in welchem Mitgliedstaat gegen Vollstreckungsmaßnahmen vorgegangen werden kann. Ob und ggf. welche Rechtsbehelfe sodann gegeben sind, ergibt sich allein aus dem jeweiligen nationalen Recht. Soweit es um etwaige Rechtsbehelfe gegen vorgelagerte Auskunftsersuchen bzw. Auskunftserteilungen geht, gelten die für die EUAHiRL/EU-AHiG maßgeblichen Rechtschutzmöglichkeiten entsprechend (vgl. Rz. 9.25).1

9.27

cc) EU-Zusammenarbeitsverordnungen Die MwSt-ZVO2 und die VerbrSt-ZVO3 betreffen die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und den grenzüberschreitenden Informationsaustausch im Unionsgebiet.4 Es geht hierbei insbesondere um die „Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs“5, wobei in Fällen der organisierten Kriminalität (z.B. Missing-Trader-Betrug)6 Eurofise als Netzwerk für die multilaterale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs Zugang zu den Daten des MwSt-Informationsaustauschsystems (MIAS) von Europol und des Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) erhält (Art. 33, 36 MwSt-ZVO). Die erhaltenen Informationen dürfen somit ohne weiteres auch für Zwecke des Steuerstrafrechts und des Steuerordnungswidrigkeitenrechts verwendet werden. Für Ersuchen ergibt sich die Auskunftspflicht aus Art. 5, 9, 54 MwSt-ZVO, Art. 8 Abs. 1, 31 VerbrSt-ZVO. Voraussetzung ist allerdings, dass Anzahl und Art der Auskunftsersuchen keinen unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand verursachen und darüber hinaus die üblichen Informationsquellen im ersuchenden Mitgliedstaat ausgeschöpft worden sind (Art. 54 Abs. 1 MwSt-ZVO, Art. 25 Abs. 1 Buchst. a VerbrStZVO).7 Die Auskunftspflicht hat zudem eine begrenzte Reichweite, weil der ersuchte Mitgliedstaat nur im Rahmen des für ihn geltenden innerstaatlichen Rechts tätig werden muss (Art. 54 Abs. 2 MwSt-ZVO, Art. 8 Abs. 4, 18, 25 Abs. 2 VerbrSt-ZVO). Aus deutscher Sicht sind daher insbesondere die §§ 88 ff. AO zu beachten, so dass auch etwaige Auskunftsverweigerungsrechte (§ 103 AO) dazu führen können, dass einem Auskunftsersuchen im Ergebnis nicht entsprochen werden kann.

9.28

Soweit nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts die Auskunftserteilung möglich ist, kann sie dennoch abgelehnt werden, wenn der ersuchende Mitgliedstaat entsprechende Auskünfte aus rechtlichen Gründen seinerseits nicht übermitteln dürfte (Art. 54 Abs. 3 MwSt-ZVO, Art. 25 Abs. 3 VerbrSt-ZVO).8 Die Auskunftserteilung kann ferner dann abgelehnt werden,

9.29

1 EuGH v. 14.1.2010 – C-233/08 – Kyrian, ECLI:EU:C:2010:11, Rz. 38; Gabert, FR 2012, 707 (713). 2 Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates v. 7.10.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 268, 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2018/1541, ABl. EU 2018 Nr. L 259, 1. 3 Verordnung (EU) Nr. 389/2012 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2073/2004 v. 2.5.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 121, 1. 4 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 25.99 ff. 5 Nr. 1 der Erwägungsgründe der Verordnung (EU) 2018/1541, ABl. EU 2018 Nr. L 259, 1. 6 Vgl. zu Einzelheiten Rz. 18.41 ff. 7 Zum Subsidiaritätsprinzip vgl. Seer in Holoubek/Lang, Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, 85 (97 f.). 8 Zum Prinzip der Gegenseitigkeit vgl. Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 94 ff., 223 ff., 250.

Schaumburg | 311

Kap. 9 Rz. 9.29 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

wenn sie zur Preisgabe eines Geschäfts-, Industrie- oder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens führen oder wenn die Verbreitung der betreffenden Auskünfte gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) verstoßen würde (Art. 54 Abs. 4 MwSt-ZVO, Art. 25 Abs. 4 VerbrSt-ZVO). Der hiermit angesprochene Geheimnisschutz1 zielt darauf ab, (abstrakt) die nationale Volkswirtschaft und (konkret) den Betroffenen gleichermaßen vor den Folgen von Wirtschaftsspionage und einer im ersuchenden Mitgliedstaat gegebenen unzulänglichen Verschwiegenheitspraxis zu bewahren.2 Im Hinblick darauf ist es geboten, den Betroffenen vor der Weitergabe der Informationen an den ersuchenden Mitgliedstaat zu hören, wenn dort das Steuergeheimnis tatsächlich nicht so gewahrt wird wie im ersuchten Mitgliedstaat.3 Eine Auskunftsgrenze ist schließlich auch in den Fällen gegeben, in denen die Auskunftserteilung der öffentlichen Ordnung (ordre public) widersprechen würde (Art. 54 Abs. 4 MwSt-ZVO, Art. 28 VerbrSt-ZVO).4 Ein Bankgeheimnis wird dagegen nicht geschützt (Art. 54 Abs. 5 MwSt-ZVO, Art. 25 Abs. 6 VerbrSt-ZVO).5

9.30

Gemäß § 117 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 AO ist zwar eine Anhörung des Betroffenen vor Auskunftserteilung nicht verpflichtend, in Orientierung an das grundrechtlich geschützte Recht auf Gehör aber geboten, wenn die Auskunftserteilung zu einem Eingriff in seine rechtlich geschützte Sphäre führen könnte (vgl. hierzu Rz. 9.24). dd) Auskunftsklauseln der DBA

9.31

Während innerhalb der EU die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe in aller Regel auf der Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie (hierzu s. Rz. 9.24) erfolgt, wird der Auskunftsaustausch mit Drittstaaten, mit denen Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat, durchweg auf Art. 26 OECD-MA6 gestützt. Im Vordergrund stehen hierbei Auskünfte auf Ersuchen.7

9.32

Mit der Verpflichtung zur Auskunftserteilung des ersuchten Staates korrespondiert auf Abkommensebene der Auskunftsanspruch des ersuchenden Staates.8 Der Anwendungsbereich der abkommensrechtlichen Auskunftsklauseln geht zumeist über den persönlichen Anwendungsbereich der sonstigen Vorschriften der DBA hinaus (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA), sodass Auskünfte ggf. auch für die steuerlichen Verhältnisse von Personen erteilt werden müssen, die im ersuchenden Staat nur der beschränkten Steuerpflicht unterliegen.9 Entsprechendes 1 Vgl. hierzu die Einzelheiten bei Seer in T/K, § 117 AO Rz. 74 ff. 2 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 74; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 149; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (18 f.). 3 Art. 55 Abs. 1 Unterabs. 1 MwSt-ZVO gewährleistet demgegenüber nur, dass die erlangten Auskünfte dem Geheimnisschutzniveau nach Maßgabe des im ersuchenden Mitgliedstaat geltenden nationalen Recht unterliegen. 4 Zum Ordre-public-Vorbehalt Seer in T/K, § 117 AO Rz. 81; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 251 f. 5 In Deutschland gibt es kein steuerliches Bankgeheimnis. 6 Im Folgenden wird das OECD-MA 2014 zugrunde gelegt, wobei auf bedeutsame Abweichungen der einzelnen (älteren) deutschen Doppelbesteuerungsabkommen hingewiesen wird. 7 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.85 ff. 8 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 131; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 22; Czakert in S/D, DBA2, Art. 26 OECD-MA Rz. 6. 9 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 35; zu den dem MA 1963 folgenden deutschen Abkommen mit Beschränkung auf ansässige Personen Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 58, 60.

312 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.35 Kap. 9

gilt auch für den sachlichen Anwendungsbereich, sodass alle Steuern1 Gegenstand des Auskunftsaustauschs sein können.2 Die deutschen DBA sehen in Übereinstimmung mit dem OECD-MA zumeist einen Informationsaustausch nicht nur zur Durchführung des Abkommens selbst vor (kleine Auskunftsklausel), sondern darüber hinaus auch zur Durchführung des innerstaatlichen Steuerrechts des jeweiligen Vertragsstaates (große Auskunftsklausel).3 Die kleine Auskunftsklausel ermächtigt nur zu Auskünften, die unmittelbar auf abkommensrechtliche Rechtsfolgen einwirken.4 Die große Auskunftsklausel dient dagegen der Durchführung auch des innerstaatlichen Rechts. Es geht hier um tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse, die der ersuchende Staat für die Entscheidung über den Steueranspruch dem Grunde und/oder der Höhe nach benötigt.5

9.33

In einigen DBA erfahren sowohl große als auch kleine Auskunftsklauseln eine ausdrückliche Erweiterung dadurch, dass Auskünfte (zusätzlich) auch für Zwecke der Strafverfolgung6 oder der Verhinderung von Steuerverkürzungen7 ausgetauscht werden dürfen,8 ohne dass es hierbei auf den Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer Ordnungswidrigkeit ankommt.9 Aber auch in den Fällen, in denen eine derartige ausdrückliche Bezugnahme nicht gegeben ist, dürfen Auskunftsersuchen nicht nur für steuerliche Zwecke, sondern zusätzlich auch für steuerstrafrechtliche Zwecke gestellt werden. Damit ist ein Auskunftsersuchen nur für steuerstrafrechtliche Zwecke unzulässig.10 Stellt sich allerdings nach Auskunftserteilung heraus, dass (ausnahmsweise) die erhaltenen Informationen nur steuerstrafrechtliche Bedeutung haben, ist deren Verwendung nicht durch das Steuergeheimnis (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA) gesperrt.

9.34

Ein Auskunftsersuchen ist schließlich auch unzulässig, wenn es der Anwendung von innerstaatlichen Normen dient, die auf eine abkommenswidrige Besteuerung gerichtet sind

9.35

1 Z.B. die Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern. 2 So die Fassung ab OECD-MA 2000; die deutschen Abkommen, die dem MA 1963/1977 folgen, erfassen nur die Abkommensteuern; vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 58; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Anlage 1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 3 Hierzu die Abkommensübersicht bei Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 58; BMF v. 29.5.2019– IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 928, Anlagen 1 u. 2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 4 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 32 f.; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 48; den Anwendungsbereich der kleinen Auskunftsklausel dagegen weiterfassend: OECD-MK, Ziff. 7 zu Art. 26 Abs. 1; ihm folgend die Finanzverwaltung, vgl. BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 2.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen), zur Kritik hierzu Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 49. 5 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 32 f.; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 48. 6 So die Formulierung in Art. 25 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA, die nicht die Verfolgung von Steuerordnungswidrigkeiten mit umfasst. 7 Steuern, die nicht oder nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). 8 Vgl. die Übersicht bei Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 58, 64 ff. 9 Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 264; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 197. 10 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 28; Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuerverfahren, 1993, 50; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 1.2 Abs. 2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); a.A. Engelschalk in V/L6, Art. 26 Rz. 50; Toifl in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe, 2011, 155 ff.

Schaumburg | 313

Kap. 9 Rz. 9.35 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

(Art. 26 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA). Dieser Vorbehalt hat zur Folge, dass ein Auskunftsersuchen für Zwecke der Anwendung von Treaty-Override-Normen, etwa § 50d Abs. 8 – 12 EStG, § 20 Abs. 2 AStG, § 8b Abs. 1 Satz 3 KStG, vom ersuchten Staat zurückgewiesen werden kann.1 Wird die Auskunft dennoch erteilt, kann sie verwendet werden.2

9.36

In der internationalen Auskunftspraxis sind Auskunftsersuchen, die die Einkünfte- und Vermögenszuordnung zwischen international verbundenen Unternehmen betreffen,3 von besonderer Bedeutung. Dienen die Auskünfte der Einkünfte- und Vermögenszuordnung innerhalb der von den DBA gezogenen Grenzen (Art. 9 OECD-MA) und damit ausschließlich der Durchführung des innerstaatlichen Rechts, sind sie nur durch große Auskunftsklauseln gedeckt.4 Betreffen die Auskünfte dagegen nur die Feststellung der von den DBA gezogenen Schrankenwirkungen (Art. 9 OECD-MA) selbst, so dienen sie der Durchführung der Abkommen, sodass sie auch durch kleine Auskunftsklauseln gedeckt sind.5

9.37

Auskünfte zwecks Feststellung angemessener Verrechnungspreise sind daher nur auf der Grundlage großer Auskunftsklauseln möglich. Soweit zwischen einzelnen Staaten koordinierte Außenprüfungen6 mit Auskunftsaustausch vereinbart werden,7 sind diese ebenfalls nur auf der Grundlage großer Auskunftsklauseln zulässig.8 Außerhalb des Abkommensrechts kommen als Rechtsgrundlagen Art. 28 ff. MwSt-ZVO und Art. 12 VerbrSt-ZVO9 sowie Art. 12 EU-AHiRL, § 12 EUAHiG10 in Betracht.

9.38

Nicht selten dienen Auskunftsersuchen der Aufklärung von Verhältnissen in Drittstaaten.11 Diese Dreiecksauskünfte zielen zumeist darauf ab, für Zwecke der Verrechnungspreisprüfung Geschäftsbeziehungen zwischen im ersuchten Staat und in Drittstaaten ansässigen Unterneh1 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 33. 2 Insoweit handelt es sich um eine Kulanzauskunft. 3 Gemeint ist die Verrechnungspreisproblematik (z.B. § 1 AStG); vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.1 ff., 21.1 ff. 4 Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 48; differenzierend Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 52; die kleine Auskunftsklausel halten dagegen für anwendbar OECD-MK, Art. 26 Ziff. 7; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 2.2c (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 5 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 33. 6 Auch Simultanprüfungen; vgl. Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, 90 f.; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 7 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen) und BMF v. 9.1.2017 – IV B 6 - S 1315/16/10016:002, BStBl. I 2017, 89, Tz. 2.1 (Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten). 7 Hierzu Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 383 ff.; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 7 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 158 ff.; Roth in Piltz/Schaumburg, Steuerliche Betriebsprüfung internationaler Sachverhalte, 51 ff. 8 Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 160; Roth in Piltz/Schaumburg, Steuerliche Betriebsprüfung internationaler Sachverhalte, 51 (57); zu Einzelheiten Seer in G/K/G/K, Art. 26 OECD-MA Rz. 84 f. 9 Zu Einzelheiten Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 257 f. 10 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 7 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 11 Dazu Duhnkrack, Grenzüberschreitender Steuerdatenschutz, 149 ff.; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 139 ff.

314 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.40 Kap. 9

men aufzuklären. Derartige Auskünfte dürfen nur auf der Grundlage großer Auskunftsklauseln erteilt werden.1 Begehrt der ersuchende vom ersuchten Staat dagegen Informationen über ein in einem Drittstaat ansässiges Unternehmen, weil die Auskünfte von dem Drittstaat direkt nicht zu erhalten sind, so kann zwar das Auskunftsersuchen auf eine große Auskunftsklausel gestützt werden,2 eine Auskunftserteilung scheitert aber bei nicht bereits vorhandenen Informationen regelmäßig daran, dass das weitere Auskunftsersuchen des ersuchten Staates an den Drittstaat nicht der Anwendung des Abkommens und nicht der Durchführung von dessen innerstaatlichem Steuerrecht dient und damit weder durch die kleine noch durch die große Auskunftsklausel gedeckt ist.3 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Drittstaat Kulanzauskünfte leistet und mit der Weitergabe der Informationen an den anderen Staat einverstanden ist.4 Voraussetzung für die Auskunftserteilung ist, dass die Informationen zur Durchführung des Abkommens oder des innerstaatlichen Rechts voraussichtlich erheblich bzw. erforderlich5 sind (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Die Auskünfte müssen also vom ersuchenden Staat auch nach Ausschöpfung eigener Auskunftsquellen nicht erreichbar sein.6 Im Hinblick darauf ist die Auskunftserteilung nicht schon dann legitimiert, wenn das entsprechende Ersuchen aus der Sicht des ersuchenden Staates effektiver oder einfacher ist als innerstaatliche Mittel.7 Voraussetzung ist ferner, dass sich das Auskunftsersuchen auf einen oder mehrere konkrete Fälle bezieht,8 wobei Gruppenanfragen, soweit die betreffende Gruppe durch bestimmte Verhaltensmuster so konkretisiert ist, dass eine Individualisierung der einzelnen Gruppenmitglieder möglich ist, zulässig sind.9

9.39

Die Auskunftserteilung durch den ersuchten Staat setzt Gegenseitigkeit voraus.10 Gegenseitigkeit besteht, wenn sich beide Vertragsstaaten Auskünfte unter vergleichbaren Umständen

9.40

1 OECD-MK, Art. 26 Ziff. 8 Buchst. b; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 140; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 54; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 141; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 2.1b (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 2 Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 54. 3 Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 54. 4 Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 143; Czakert in S/D, DBA², Art. 26 OECD-MA Rz. 53. 5 Ab OECD-MA 2005 wird der Begriff „voraussichtlich erheblich“ verwendet, der ebenso wie der bis dahin verwendete Begriff „erforderlich“ im Sinne eines (strengen) Subsidiaritätsprinzips zu verstehen ist; hierzu Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 32; Herlinghaus in FS Herzig, 2010, 933 (943 ff.). 6 Im Sinne dieses Subsidiaritätsprinzips: OECD-MK, Art. 26 Ziff. 9 Buchst. a; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 35; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 11; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 137 ff.; Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, 36 f.; Schaumburg/Schloßmacher, BiFD 2000, 522 (525 f.); anders die Rechtslage nach § 6 Abs. 3 EUAHiG. 7 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 32; differenzierend Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 35; a.A. Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 88b; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 99, 129. 8 Sog. fishing expeditions sind also nicht zulässig; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECDMA Rz. 30. 9 Vgl. Nr. 5.2 MK (ab 2012); die neue OECD-Kommentierung darf nicht zur Auslegung früher abgeschlossener DBA herangezogen werden; BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602; M. Lang, SWI 2011, 105 ff. (111). 10 Art. 26 Abs. 1 OECD-MA stellt nämlich auf den Austausch von Informationen ab.

Schaumburg | 315

Kap. 9 Rz. 9.40 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

und in vergleichbarem Umfang erteilen.1 Erforderlich ist eine materielle Gegenseitigkeit im Sinne der Gleichgewichtigkeit der eingesetzten Verwaltungsmittel und der Gleichwertigkeit der ausgetauschten Auskünfte.2 Insgesamt kommt es nur darauf an, dass der Auskunftsverkehr weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht zu einer „Einbahnstraße“ wird,3 wobei es bei Beginn des Auskunftsverkehrs ausreicht, wenn der andere Staat die Gegenseitigkeit zusichert und erkennbar auch in der Lage ist, entsprechende Auskünfte zu erteilen.4

9.41

Der ersuchte Staat wird einem Auskunftsersuchen grundsätzlich nur dann entsprechen, wenn die erteilten Auskünfte im ersuchenden Staat in gleichem Umfang geheim gehalten werden wie die aufgrund des innerstaatlichen Rechts dieses Staates beschafften Informationen (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA). Durch diese Bezugnahme auf das innerstaatliche Recht des ersuchenden Staates – in Deutschland also insbesondere auf § 30 AO – wirkt der abkommensrechtliche Geheimnisschutz lediglich relativ.5 Dies gilt nicht für die älteren deutschen DBA, soweit sie nach dem Vorbild des OECD-Musterabkommens 1963 ein eigenständiges absolut wirkendes internationales Steuergeheimnis beinhalten.6 Allerdings dürfen auch bei dem bloß relativ wirkenden abkommensrechtlichen Geheimnisschutz die erteilten Auskünfte im ersuchenden Staat lediglich bestimmten Personen oder Behörden zugänglich gemacht werden.7

9.42

Ebenso wie das EUAHiG enthalten auch die Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 2 OECD-MA) besondere Schrankenwirkungen, aufgrund deren der ersuchte Staat die Auskunftserteilung verweigern darf. ee) Besondere Amts- und Rechtshilfeabkommen

9.43

Neben den Doppelbesteuerungsabkommen bestehen einige weitere gesondert abgeschlossene Amts- und Rechtshilfeabkommen,8 die u.a. auch Rechtsgrundlage für einen zwischenstaatlichen Auskunftsaustausch sind.9 Soweit die Abkommen Amts- und Rechtshilfe in Abgabenbzw. Steuersachen regeln, sind damit – abgesehen von Verbrauchsteuern – alle Steuern erfasst.10 Die Auskünfte werden allerdings nur im Besteuerungsverfahren, zu dem das Ermittlungs-, Feststellungs- und Rechtsmittelverfahren sowie das Vollstreckungsverfahren gehören,11 und dem Steuerstrafverfahren, soweit es von den Finanzbehörden betrieben wird (§ 386 AO),12 ausgetauscht. Die erteilten Auskünfte unterliegen zudem den für die Amtsverschwiegenheit und das Steuergeheimnis geltenden Regelungen des jeweiligen Vertragsstaates.13 1 Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 37; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 173. 2 Ritter in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 17 (29 f.). 3 Hendricks, Internationale Informationshilfe in Steuerverfahren, 281. 4 BFH v. 8.2.1995 – I B 92/94, BStBl. II 1995, 358. 5 Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 78. 6 Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 78, 86, 87 f. 7 Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 OECD-MA; zu Einzelheiten Seer in G/K/G/K, Art. 26 OECD-MA Rz. 38 ff. 8 BMF v. 15.1.2020 – IV B 2-S 1301/07/10017-11, BStBl. I 2020, 162, Länderübersicht I. Nr. 4 mit Stand 1.1.2020. 9 So die Abkommen mit Italien v. 9.6.1938, RGBl. 1939, 124 und mit Österreich v. 4.10.1954, BGBl. II 1955, 833. 10 Vgl. Art. 1 des Abkommens mit Österreich. 11 Vgl. Art. 3 des Abkommens mit Österreich. 12 In Art. 3 des Abkommens mit Österreich heißt es „Verwaltungsstrafverfahren“. 13 Vgl. Art. 8 des Abkommens mit Österreich.

316 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.45 Kap. 9

In Deutschland ist zwar grundsätzlich das BZSt für die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe zuständig,1 das Abkommen mit Österreich räumt diese Befugnis aber ausnahmsweise den beteiligten Ober- oder Länderfinanzdirektionen2 oder den Finanzämtern ein,3 wobei ab 1.1.2013 – abgesehen von dringenden Fällen – die Amts- und Rechtshilfe nach Maßgabe der EU-AHiRL erfolgt.4 Für den ersuchten Staat besteht nach allgemeinen Grundsätzen die Pflicht, die ersuchte Auskunft zu erteilen. Er braucht allerdings zur Erlangung der ersuchten Auskünfte keine Zwangsmittel einzusetzen, wenn der ersuchende Staat derartige Zwangsmittel nach seinem eigenen Recht nicht einsetzen dürfte.5 Schließlich kann die Auskunft verweigert werden, wenn sie die wesentlichen Interessen des ersuchten Staates gefährden würde6 und wenn die Auskünfte von nicht beteiligten Personen eingeholt werden müssten, die nach dem nationalen Recht des ersuchenden Staates selbst zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet wären.7

9.44

ff) Informationsaustauschabkommen Literatur: Kommentare zu MA-InfAust/TIEA-MA und zu § 117 AO; Kofler/Tumpel, Tax Information Exchange Agreements, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 181 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 22.99 ff.; Seer/Gabert, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 3 ff.; Seer/Gabert, „Tax Information Exchange Agreements“ (TIEA) und das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz 2009 als neue Instrumente zur Bekämpfung von Steueroasen, Ubg 2010, 358 ff.

Die zwischen Deutschland und anderen Staaten und Gebieten abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen (TIEA)8 sind auf einen effektiven Informationsaustausch gerichtet. Hierbei geht es insbesondere darum, sog. Steueroasen-Staaten zu einem weitgehenden Informationsaustausch zu verpflichten. Die derzeit von Deutschland abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen9 bestehen zumeist mit Staaten und Gebieten, mit denen im Übrigen keine Doppelbesteuerungsabkommen existieren. Der Gegenstand der in den Informationsaustauschabkommen getroffenen Regelungen entspricht im Kern dem, was in den Auskunftsklauseln der Doppelbesteuerungsabkommen (Art. 26 OECD-MA) geregelt ist. Die von Deutschland bislang abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen sind weitgehend den OECD-MA über den Informationsaustausch in Steuersachen (MA-InfAust/TIEA-MA) nachgebildet.10

1 § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 1.5.1.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 2 In Bayern das Bayerische Landesamt für Steuern und in Sachsen das Landesamt für Steuern und Finanzen und in Ländern ohne Ober- und Landesfinanzdirektionen die obersten Landesfinanzbehörden. 3 Vgl. Art. 4 des Abkommens mit Österreich. 4 Konsultationsvereinbarung v. 6.11.2013, BStBl. I 2013, 1460. 5 Vgl. Art. 7 Abs. 2 des Abkommens mit Italien. 6 Vgl. Art. 13 Abs. 2 des Abkommens mit Italien 7 Vgl. Art. 13 Abs. 3 des Abkommens mit Italien. 8 Tax Information Exchange Agreements (TIEA); vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.99 ff. 9 Hierzu BMF v. 15.1.2020 – IV B 2-S 1301/07/10017-11, BStBl. I 2020, 162, Länderübersicht I. Nr. 4 mit Stand 1.1.2020. 10 Vgl. hierzu die umfassende Kommentierung von Hendricks in Wassermeyer, DBA, MA-InfAust und Czakert in S/D, DBA², DBA, TIEA-MA (Anh. 3).

Schaumburg | 317

9.45

Kap. 9 Rz. 9.46 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

9.46

Der in den Abkommen verankerte Informationsaustausch, der auf Ersuchen erfolgt (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 MA-InfAust),1 ist auf den Austausch von Auskünften beschränkt, die für die Durchführung des jeweiligen Rechts der Vertragsparteien betreffend die unter das Abkommen fallenden Steuern voraussichtlich erheblich sind (Art. 1 Satz 1 MA-InfAust). Darüber hinausgehende Unterstützungsmaßnahmen, etwa Vollstreckungs- und Zustellungshilfe, sind ausgeschlossen.2 Die auszutauschenden Auskünfte schließen allerdings Informationen ein, die der Festsetzung und Erhebung, der Vollstreckung und den Ermittlungen in oder der Verfolgung von Steuerstrafsachen dienen (Art. 1 Satz 2 MA-InfAust). Die von Deutschland abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen erfassen insoweit durchweg alle Steuern, insbesondere die Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe-, Erbschaftsteuer, mitunter Versicherungsteuer und Umsatzsteuer.3 Von besonderer Bedeutung ist, dass die Auskünfte auch für Zwecke der Ermittlungen in Steuerstrafsachen und deren Verfolgung ausgetauscht werden können.4 Zu den Steuerstrafsachen gehören nur Steuersachen im Zusammenhang mit vorsätzlichem Verhalten, das nach dem Strafrecht der ersuchenden Vertragspartei strafbar ist (Art. 4 Abs. 1 Buchst. o MA-InfAust). Das bedeutet, dass ein Auskunftsaustausch einerseits voraussetzt, dass bereits ein (strafrechtliches) Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde und andererseits, dass ein Informationsaustausch unmittelbar zwischen den Finanzbehörden, etwa in einem Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten, ausgeschlossen ist.5 Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Auskünften nach dem InfAust ist schließlich, dass die Auskünfte voraussichtlich erheblich sind (Art. 1 Satz 1 MA-InfAust). Damit sind Ausforschungsersuchen ins Blaue hinein unzulässig.6

9.47

Wird ein Auskunftsersuchen gestellt, besteht für die ersuchte Vertragspartei die Verpflichtung zur Auskunftserteilung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 MA-InfAust). Das gilt freilich nur, soweit die Auskunftserteilung nicht über den Anwendungsbereich des Informationsaustauschabkommens selbst hinausgeht.7 Wird um Auskünfte in Steuerstrafsachen ersucht, sind die Auskünfte ohne Rücksicht darauf zu erteilen, ob die vorgeworfene Handlung nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei strafbar wäre (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MA-InfAust). Damit hat das sonst im Bereich der internationalen Strafrechtshilfe für die Auskunftserteilung geltende Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit8 keine Bedeutung.9 Erst durch den Verzicht auf das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit wird die Effizienz des Auskunftsaustauschs in Steuerstrafsachen gewährleistet.

9.48

Dass die Informationsaustauschabkommen auf die Erteilung von möglichst verwertbaren Auskünften gerichtet sind, beruht vor allem auf einem die ersuchte Vertragspartei treffenden Pflichtenkatalog. Danach besteht etwa eine Beschaffungs- und Übermittlungspflicht für an1 2 3 4 5 6 7 8 9

Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 4; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 ff. (9). Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 1 MA-InfAust Rz. 5. Vgl. das mit Liechtenstein abgeschlossene InfAust v. 18.10.2010, BStBl. I 2010, 285 (Art. 3 Abs. 1). Vgl. hierzu BMF v. 10.11.2015 – IV B 6 - S 1301/11/10002 – DOK 2015/0811184, BStBl. I 2016, 138. Nr. 35 MK-InfAust; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 1 MA-InfAust Rz. 16; vgl. dagegen zur Rechtshilfe über das Bundesamt für Justiz BMF v. 10.11.2015 – IV B 6 - S 1301/11/10002 – DOK 2015/0811184, BStBl. I 2016, 138. Nr. 57 MK-InfAust: keine sog. fishing expeditions; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 1 MAInfAust Rz. 8; Czakert in S/D, DBA2, Art. 1 TIEA-MA Rz. 9; Kofler/Tumpel in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 181 ff. (192). Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 5. Popp, Grundzüge der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, 2001, § 10 Rz. 196 ff. Hierzu kritisch Oberson, IBFD 2003, 14 ff. (15 f.).

318 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.49 Kap. 9

geforderte Informationen, soweit diese der ersuchten Vertragspartei nicht vorliegen (Art. 5 Abs. 2 MA-InfAust). Die Reichweite der Beschaffungspflicht beurteilt sich allerdings nach dem Durchführungsrecht der ersuchten Vertragspartei, das allerdings so auszugestalten ist, dass der abkommensrechtlichen Beschaffungspflicht entsprochen werden kann (Art. 10 MAInfAust).1 Ferner besteht eine Übermittlungspflicht auch von Zeugenaussagen und beglaubigten Kopien von Originaldokumenten (Art. 5 Abs. 3 MA-InfAust), womit in besonderer Weise dem für die Beweiswürdigung maßgeblichen Unmittelbarkeitsprinzip entsprochen werden kann.2 Schließlich sind Auskünfte auch dann zu erteilen, wenn sie auf Informationen von Banken, anderen Finanzinstituten oder etwa Treuhändern zurückzuführen sind (Art. 5 Abs. 4 Buchst. a MA-InfAust). Die Berufung auf ein innerstaatliches Bankgeheimnis ist damit ausgeschlossen,3 es sei denn, die Auskunftserteilung liefe auf die Preisgabe eines Geschäftsgeheimnisses oder sonstigen Geheimnisses hinaus, für das ein Geheimnisschutz besteht, z.B. wenn sie sich im Besitz des überprüften Steuerpflichtigen selbst befänden (Art. 7 Abs. 2 MAInfAust).4 Die weitgehende Beschaffungs- und Übermittlungspflicht betrifft ferner bestimmte Beteiligungsverhältnisse und sonstige Rechtsverhältnisse an Gesellschaften, Trusts, Stiftungen usw. (Art. 5 Abs. 4 Buchst. b MA-InfAust). Die ersuchte Vertragspartei ist hierbei nur dann von der sie sonst treffenden Verpflichtung entbunden, wenn es sich um börsennotierte Gesellschaften, öffentliche Investmentfonds oder öffentliche Investmentsysteme für gemeinsame Anlagen handelt. Der ersuchten Vertragspartei stehen verschiedene Auskunftsverweigerungsrechte zur Seite. So besteht keine Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften, wenn diese den Behörden5 der ersuchten Vertragspartei nicht vorliegen und sich auch nicht im Besitz oder in der Verfügungsmacht von Personen in ihrem Hoheitsgebiet befinden (Art. 2 MA-InfAust). Hieraus folgt, dass einerseits keine Pflicht zur Einholung von Drittstaatenauskünften besteht,6 andererseits aber in allen übrigen Fällen eine Beschaffungspflicht im eigenen Hoheitsbereich gegeben ist (Art. 5 Abs. 2 MA-InfAust). Darüber hinaus ist die ersuchte Vertragspartei nicht verpflichtet, Auskünfte zu beschaffen oder zu erteilen, die nach dem Recht der ersuchenden Vertragspartei nicht beschafft werden könnten (Art. 7 Abs. 1 MA-InfAust). Zudem besteht ein Auskunftsverweigerungsrecht auch in den Fällen, in denen ein Handels-, Industrie-, Gewerbeoder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgegeben werden müsste (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MA-InfAust). Entsprechende Auskunftsersuchen dürfen allerdings bei Informationen im Besitz von Banken, Finanzinstitutionen usw. nicht abgelehnt werden, wenn zwar nach dem betreffenden innerstaatlichen Recht diese Informationen als Geschäftsgeheimnis oder als sonstiges Geheimnis behandelt werden, einem derartigen Geheimnisschutz aber dann nicht unterliegen, wenn sie sich im Besitz etwa der überprüften Steuerpflichtigen befinden (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 MA-InfAust).7 Im Ergebnis bedeutet das, dass ein etwaiges nach innerstaatlichem Recht bestehendes Bankgeheimnis für fremd verwahrte Unterlagen abkommensrechtlich ohne Bedeutung ist. Eingehende Ersuchen können ferner dann abgelehnt werden, wenn es sich um vertrauliche Mitteilungen zwischen einem Mandanten und einem Rechtsanwalt 1 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 12. 2 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 16. 3 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 21, Czakert in S/D, DBA2, Art. 5 TIEAMA Rz. 46. 4 Nr. 82 MK-InfAust; zu Einzelheiten Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 23, Art. 7 MA-InfAust Rz. 6. 5 Gerichte und Verwaltungsbehörden (Art. 8 Satz 1 MA-InfAust). 6 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 2 MA-InfAust Rz. 4. 7 Nr. 82 MK-InfAust.

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9.49

Kap. 9 Rz. 9.49 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

bzw. einem anderen zugelassenen Rechtsvertreter handelt (Art. 7 Abs. 3 MA-InfAust). Dieses auch im deutschen Recht verankerte Berufsgeheimnis1 gilt abkommensrechtlich nur für Mitteilungen, die zum Zweck des Einholens oder Erteilens von Rechtsrat oder zur Nutzung in anhängigen oder beabsichtigten Rechtsverfahren – etwa auf Verwaltungsebene oder vor Gericht – gemacht wurden (Art. 7 Abs. 3 Buchst. a und b MA-InfAust).2 Alle Informationen außerhalb dieses eng umschriebenen Mandatsverhältnisses sind daher nicht geschützt, sodass etwa Mitteilungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Rechtsanwalts oder Steuerberaters als Treuhänder, Geschäftsführer oder Vertreter in geschäftlichen Angelegenheiten dem Informationsaustausch zugänglich sind.3 Schließlich gilt ein Auskunftsverweigerungsrecht nach allgemeinen Grundsätzen auch dann, wenn die Auskunft den grundlegenden Ordnungsvorstellungen (ordre public) der ersuchten Vertragspartei widerspräche (Art. 7 Abs. 4 MAInfAust) oder zu einer Diskriminierung von Bürgern der ersuchten Vertragspartei führte (Art. 7 Abs. 6 MA-InfAust).

9.50

Soweit die ersuchten Auskünfte erteilt werden, unterliegen sie der Vertraulichkeit (Art. 8 MA-InfAust). Danach dürfen die erhaltenen Auskünfte nur im Besteuerungsverfahren und im Steuerstrafverfahren verwendet werden. Zulässig ist die Offenlegung in einem öffentlichen Gerichtsverfahren, sodass im Ergebnis die erteilten Auskünfte allen Personen, Behörden und Gerichten zugänglich gemacht werden dürfen, wenn sie die entsprechenden Aufgaben auf die unter das Abkommen fallenden Steuern wahrnehmen.4 Eine Weitergabe der Auskünfte etwa an Drittstaaten darf allerdings nur mit Zustimmung der ersuchten Partei erfolgen (Art. 8 Satz 4 MA-InfAust). b) Kulanzauskünfte

9.51

Kulanzauskünfte sind Auskünfte, die der ersuchte Staat ohne rechtliche Verpflichtung dem ersuchenden Staat erteilt.5 Derartige Kulanzauskünfte finden ihre Rechtsgrundlage allein in § 117 Abs. 3 AO; sie sind gem. § 1 Abs. 3 EUAHiG erlaubt und aufgrund anderer Vorschriften nicht verboten.6 Kulanzauskünfte können daher nicht nur außerhalb des Geltungsbereichs des EU-Amtshilfegesetzes, der Zusammenarbeitsverordnungen sowie der Informationsaustauschabkommen und der DBA erteilt werden, sondern auch dann, wenn Pflichtauskünfte aufgrund lediglich bestehender kleiner Auskunftsklauseln (Rz. 9.33) nicht erteilt zu werden brauchen. Daher gilt: Kulanzauskünfte dürfen unter den Voraussetzungen des § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 – 4 AO7 stets erteilt werden, soweit Auskünfte nicht ohnehin anderweitig erteilt werden müssen. Da die deutsche Finanzverwaltung ausländischen Ersuchen auf Kulanzauskunft nicht stattzugeben braucht und diese Entscheidung auch keiner näheren Begründung bedarf, hat diese Art der Auskunft keine große praktische Bedeutung.

1 2 3 4

Vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO; § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO. Vgl. Nr. 89, 90 MK-InfAust. Nr. 88 MK-InfAust. Hierzu Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 8 MA-InfAust Rz. 6; Czakert in S/D, DBA2, Art. 8 TIEA-MA Rz. 70. 5 Kulanzauskünfte dürfen nur auf Ersuchen erteilt werden. 6 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 119, Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 21. 7 Zwecks Vermeidung legislativer Divergenzen sind zwar insbesondere auch die in § 4 Abs. 3 EUAHiG und die in den Auskunftsklauseln der DBA zugunsten der Betroffenen verankerten Schutzwirkungen zu berücksichtigen, da diese aber keine größere Reichweite haben als diejenigen des § 117 Abs. 3 AO, wird nachfolgend auf § 117 Abs. 3 AO abgestellt.

320 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.55 Kap. 9

Eine Kulanzauskunft darf erst dann erteilt werden, wenn die in § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 – 4 AO normierten Voraussetzungen ausnahmslos vorliegen. Andernfalls besteht ein Auskunftsverbot.

9.52

§ 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AO nennt als erste Voraussetzung die Verbürgung der Gegenseitigkeit. Dieses Erfordernis dient nicht dem primären Individualinteresse des durch die Auskunft Betroffenen, sondern dem nationalen Interesse des auskunftserteilenden Staates und soll einen einseitigen Auskunftsverkehr zu Lasten der eigenen Wirtschaft und des Steueraufkommens – Auskünfte führen tendenziell zu Steuermindereinnahmen des auskunftserteilenden Staats – verhindern. Darüber hinaus verhilft die Gegenseitigkeit auch zu einem höheren Maß an Gerechtigkeit im Internationalen Steuerrecht, zu der auch die gerechte Verteilung von Steuergütern unter mehreren Staaten gehört.1 Die von § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AO verlangte Verbürgung der Gegenseitigkeit erfordert grundsätzlich eine entsprechende zwischenstaatliche Vereinbarung.2 Die Gegenseitigkeit darf aber nicht bloß auf dem Papier stehen, sie muss tatsächlich praktiziert werden, so dass neben der formellen Verbürgung auch eine materielle Verbürgung zu fordern ist.3 Das gilt zumal dann, wenn zwischen den am Auskunftsverkehr beteiligten Finanzbehörden ein starkes Effizienzgefälle besteht.4

9.53

Die Auskunft darf ferner nur dann erteilt werden, wenn der ersuchende Staat gewährleistet, dass die übermittelten Auskünfte und Unterlagen nur für Zwecke seiner Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahren (einschließlich Steuerordnungswidrigkeitenverfahren) verwendet werden und dass die übermittelten Auskünfte und Unterlagen nur solchen Personen, Behörden oder Gerichten zugänglich gemacht werden, die mit der Bearbeitung der Steuersache oder der Verfolgung der Steuerstraftat befasst sind (§ 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO).5 Diese vom ersuchenden Staat zu verlangende Gewährleistung dient einerseits als Geheimnisschutz dem Individualinteresse des Betroffenen und andererseits als Schutz gegen Wirtschaftsspionage und bloße Ausforschung dem nationalen Interesse.6 Deshalb reicht auch hier eine bloße Papiergarantie (formelle Gewährleistung) nicht aus, erforderlich ist vielmehr, dass sich diese Gewährleistung auch tatsächlich verwirklicht (materielle Gewährleistung).7

9.54

Staaten, deren Finanzbehörden mit anderen Behörden verflochten sind und damit zugleich andere als Fiskalaufgaben wahrzunehmen haben,8 werden als Adressaten deutscher Kul-

9.55

1 Hierzu Tipke, Steuergerechtigkeit, 120; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, 105 ff. 2 Ausnahme: Gegenseitigkeit kraft tatsächlicher Übung (faktische Verbürgung). 3 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 121; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 173 f.; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 281; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 150. 4 Zu dieser Problematik Ritter in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 17 (21 ff., 29 f.), der darauf hinweist, dass den von deutschen Steuerbehörden erteilten Auskünften durchweg keine quantitativ und qualitativ gleichwertigen Auskünfte ausländischer Staaten gegenüberständen. 5 Internationales Steuergeheimnis. 6 Zum Aspekt der Wirtschaftsspionage und Ausforschung Ritter in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 17 (25 f.). 7 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 121; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 177; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 283. 8 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 121; hierzu auch die Hinweise bei Ritter in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 17 (26 f.); vgl. auch Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe, 152.

Schaumburg | 321

Kap. 9 Rz. 9.55 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

anzauskünfte ebenso wenig in Betracht kommen wie Staaten, die kein Steuergeheimnis kennen.

9.56

Als dritte Voraussetzung verlangt § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AO, dass der ersuchende Staat zusichert, dass er bereit ist, bei den Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen eine mögliche – auch wirtschaftliche – Doppelbesteuerung im Verständigungswege durch eine sachgerechte Abgrenzung der Besteuerungsgrundlagen zu vermeiden. Auch diese Zusicherung dient nicht nur dem Individualinteresse des Betroffenen, sondern auch der Gerechtigkeit bei der Zuordnung oder Verteilung der Steuergüter und damit den Interessen der beteiligten Staaten. Zusicherungen müssen auch hier in Taten umgesetzt werden. Andernfalls scheidet eine Auskunftserteilung (zukünftig) aus.1

9.57

Die Erledigung des Ersuchens darf insbesondere auch nicht die öffentliche Ordnung (ordre public) verletzen (§ 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, Alt. 1 AO). Es gelten insoweit für Kulanzauskünfte die gleichen Auskunftsgrenzen wie für Pflichtauskünfte, so dass von Deutschland erteilte Kulanzauskünfte insbesondere nicht zu Grundrechtsverletzungen führen dürfen.2 Besteht daher die Gefahr, dass deutsche Kulanzauskünfte im Ausland etwa für Zwecke politischer Verfolgung, Enteignung oder der Ausländerdiskriminierung missbraucht werden, so ist eine Auskunft ausgeschlossen.3 Nach § 117 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Alt. 1 AO ist auch die Beeinträchtigung der Souveränität, der Sicherheit oder anderer wesentlicher Interessen des Bundes oder seiner Gebietskörperschaften angesprochen. Hierauf gestützte Auskunftsverbote spielen in der Praxis allerdings keine große Rolle.4

9.58

Voraussetzung für die Kulanzauskunft ist ferner, dass dem inländischen Beteiligten kein mit dem Zweck der Amts- und Rechtshilfe nicht zu vereinbarender Schaden entsteht, sofern ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis aufgrund des Ersuchens preisgegeben wird (§ 117 Abs. 3 Nr. 4, Alt. 2 AO). Wie bei den Pflichtauskünften geht es hier ebenfalls um den Geheimnisschutz zugunsten des inländischen Betroffenen. Dieser Geheimnisschutz ist aber dadurch stark relativiert, dass er nur bei einer Schadensgefahr zu einem Auskunftsverbot führt. Im Wesentlichen geht es darum, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse5 vor einer unzulässigen Weitergabe an Dritte zu schützen6 und zugleich inländische Beteiligte vor wirtschaftlichen Nachteilen zu bewahren. Hier bedarf es stets einer Güterabwägung im Einzelfall, wobei der auf internationale Steuergerechtigkeit gerichtete Zweck7 der Amtshilfe einerseits und das wirtschaftliche Individualinteresse8 andererseits zu berücksichtigen sind. Die bloße Trübung von Geschäftsbeziehungen als Folge der Auskunftserteilung ist im Hinblick auf den Zweck der Amtshilfe zwar hinzunehmen,9 das gilt aber nicht, wenn es zum Abbruch von Geschäftsbeziehungen kommt, die die Substanz inländischer Unternehmen betreffen und Arbeitsplätze gefährden: Hierdurch entstünde ein mit dem Zweck der Amtshilfe nicht zu vereinbarender Scha1 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 124; Söhn in H/H/Sp § 117 AO Rz. 180. 2 Vgl. BFH v. 3.11.2010 – VII R 21/10, BStBl. II 2011, 401 Rz. 13 ff.; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 81, 126. 3 Zur Ordre-public-Klausel Seer in T/K, § 117 AO Rz. 81; Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 112; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 74 f. 4 Vgl. hierzu Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 285. 5 Zur Terminologie Rz. 9.24. 6 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 127; Oldiges in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 86 (97). 7 Im Sinne einer zutreffenden Besteuerung. 8 Z.B. Wahrung von Geschäftsgeheimnissen und Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen. 9 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 128.

322 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.60 Kap. 9

den. Ein solcher Schaden muss nicht feststehen; es reicht aus, wenn die Gefahr besteht, dass ein Schaden eintritt. Ob eine Schadensgefahr besteht, bedarf stets einer Prüfung im konkreten Einzelfall. Ergibt die Einzelfallprüfung, dass eine solche Gefahr nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, darf die Auskunft nicht erteilt werden.1 Liegen alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Kulanzauskunft vor, so hat die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die Auskunft erteilt werden soll oder nicht.2 Hierbei sind insbesondere auch Wertungsgesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus vergleichbaren für den internationalen Auskunftsverkehr maßgeblichen Rechtsgrundlagen ergeben. So sind etwa Auskünfte nach dem EU-Amtshilfegesetz und den Auskunftsklauseln der DBA nur zulässig, wenn sie für steuerliche Zwecke (voraussichtlich) erheblich3 sind. Dieses Erfordernis entspricht den für das Besteuerungsverfahren allgemein geltenden Ermessensgrenzen – Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit, Erfüllbarkeit, Zumutbarkeit4 – so dass es übermäßig wäre, nicht erforderliche und nach anderen vergleichbaren Rechtsvorschriften einem Auskunftsverbot unterliegende Auskünfte zu erteilen. Schließlich sind im Rahmen des Entschließungsermessens auch anderweitige Auskunftsverweigerungsrechte zu berücksichtigen. So können nach dem EU-Amtshilfegesetz Auskünfte verweigert werden, wenn der ersuchende Staat seine Ermittlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 EUAHiG) oder wenn die Auskünfte nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand erteilt werden könnten (vgl. § 6 Abs. 3 EUAHiG). Im Hinblick darauf werden Kulanzauskünfte außerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Amtshilfegesetzes gegenüber Ländern, mit denen keine DBA, Informationsaustauschabkommen oder besondere Abkommen über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen bestehen, nur in besonderen Fällen in Betracht kommen.5

9.59

3. Spontanauskünfte Neben Ersuchens- und Kulanzauskünften dürfen auch Auskünfte ohne Ersuchen erteilt werden. Zu dieser Fallgruppe zählen u.a. Spontanauskünfte, die in Einzelfällen erteilt werden.6 Rechtsgrundlagen für Spontanauskünfte ergeben sich u.a. aus § 8 EUAHiG, § 6 EUBeitrG, Art. 15 MwSt-ZVO, Art. 16 Abs. 1 VerbrSt-ZVO, den Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 1 OECD-MA) und aus Art. 7 des Übereinkommens über gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen.7 Im Unterschied zum OECD-MA sieht das TIEA-MA erst ab 2015 in Art. 5A und 5B TIEA-MA Regelungen zur spontanen Auskunftsübermittlung vor, so dass eine Spontanauskunft in den Fällen, in denen die Abkommen nach altem Muster abgeschlossen wurden, insoweit unzulässig ist.8 Im Hinblick darauf, dass auch § 117 Abs. 3 AO für Spontanauskünfte nicht gilt, sind diese außerhalb der vorgenannten Rechtsgrundlagen ausgeschlossen.9

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Seer in T/K, § 117 AO Rz. 130; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 187. Entschließungsermessen; hierzu Seer in T/K, § 117 AO Rz. 133. § 4 Abs. 2 EUAHiG; Art. 26 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA. Hierzu Seer in T/K, § 92 AO Rz. 7 ff. Seer in T/K, § 117 AO Rz. 133; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 197. BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 6.1.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen); spontaner Informationsaustausch ist die nicht systematische Übermittlung von Informationen an einen anderen Staat ohne dessen vorheriges Ersuchen. 7 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 6.1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen). 8 Ausnahme bei Sonderregelungen in den Informationsaustauschabkommen. 9 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 119.

Schaumburg | 323

9.60

Kap. 9 Rz. 9.61 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

9.61

Im Anwendungsbereich der EU-AHiRL dürfen im Rahmen des spontanen Informationsaustauschs im Grundsatz nur solche Informationen erteilt werden, die verfügbar sind und die für die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten von Nutzen sein können (§ 8 Abs. 1 EUAHiG). Insoweit ist in Deutschland dem BZSt als zuständiger Behörde ein Ermessen eingeräumt, in dessen Rahmen stets eine Einzelfallprüfung zu erfolgen hat.1 Hierbei ist der Betroffene (inländische Beteiligte) vorher zu hören (Rz. 9.24).2

9.62

Eine Verpflichtung zur Spontanauskunft besteht allerdings, wenn – Gründe für die Vermutung einer Steuerverkürzung in dem anderen Mitgliedstaat vorliegen; – ein Sachverhalt vorliegt, aufgrund dessen eine Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung gewährt worden ist, und die betreffenden Informationen für den Steuerpflichtigen zu einer Besteuerung oder Steuererhöhung in anderen Mitgliedstaaten führen könnten; – Geschäftsbeziehungen zwischen einem in Deutschland Steuerpflichtigen und einem in einem anderen Mitgliedstaat Steuerpflichtigen über ein oder mehrere weitere Staaten in einer Weise geleitet werden, die in einem oder beiden Mitgliedstaaten zu Steuerersparnissen führen können; – Gründe für die Vermutung vorliegen, dass durch künstliche Gewinnverlagerungen zwischen verbundenen Unternehmen eine Steuerersparnis eintritt, oder – ein Sachverhalt, der im Zusammenhang mit der Informationserteilung eines anderen Mitgliedstaates ermittelt wurde, auch für die zutreffende Steuerfestsetzung in einem weiteren Mitgliedstaat erheblich sein könnte.3

9.63

Ein verpflichtender spontaner Informationsaustausch besteht schließlich auch in den Fällen, in denen steuerliche Vorbescheide erteilt worden sind. Angesprochen sind damit „verbindliche Auskünfte, verbindliche Zusagen und Vorabzusagen zu Verrechnungspreisen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Sachverhalten“.4 Die entsprechende Verpflichtung beruht letztlich auf Aktionspunkt 5 des BEPS-Projektes5, wonach nach Maßgabe der im Verhältnis der beteiligten Staaten jeweils geltenden Regelungen Informationen über steuerliche Vorbescheide auszutauschen sind. Soweit es sich nicht um EU-Mitgliedstaaten handelt, zählen zu den Regelungen insbesondere die DBA und andere bilaterale und multilaterale Abkommen. Gegenüber EU-Mitgliedstaaten ist die AHiRL/EU-AHiG vorrangig.6 1 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 107; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (13); zu den Ermessensgesichtspunkten aus Sicht der Finanzverwaltung BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 6.1.3 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch). 2 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 109; Hendricks, Internationale Informationshilfe in Steuerverfahren, 343 f.; Herlinghaus in FS Herzig, 2010, 933 (937); § 117 Abs. 4 Satz 3 AO, der eine Anhörungspflicht im Anwendungsbereich des EUAHiG weitgehend suspendiert, wird durch das grundrechtlich geschützte Recht auf Gehör eingeschränkt. 3 So der Wortlaut von § 8 Abs. 2 EUAHiG, der inhaltlich mit Art. 9 Abs. 1 EU-AHiRL übereinstimmt. 4 So die Überschrift von BMF v. 17.8.2017 – IV B 6 - S 1320/16/10002: 014, BStBl. I 2017, 1228. 5 Hierzu im Überblick Böhmer in W/A/D, Betriebstätten-Handbuch², Rz. 1450 ff. 6 Vgl. BMF v. 17.8.2017– IV B 6 - S 1320/16/10002: 014, BStBl. I 2017, 1228, Rz. 9; BMF v. 28.7.2016 – IV B 6 - S 1320/16/10002: 007, BStBl. I 2016, 806 (Merkblatt zum verpflichtenden spontanen Informationsaustausch nach den Vereinbarungen zu Aktionspunkt 5 des Projektes „Base Erosion and Profit Shifting“ [Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung] der OECD- und G20-Staaten [BEPS]).

324 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.68 Kap. 9

Für Zwecke der Beitreibung kommt ausnahmsweise auch eine Erteilung von Auskünften ohne Ersuchen (Spontanauskünfte) in Betracht, wenn es um die Erstattung von Steuern oder Abgaben an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Person geht (Art. 6 EU-BeitrRL, § 6 Abs. 1 EUBeitrG). Hierdurch soll in dem anderen Mitgliedstaat die Möglichkeit eingeräumt werden, etwaige Forderungen gegen den Erstattungsgläubiger geltend zu machen und sodann durch ein Vollstreckungsersuchen durchzusetzen.1 Eine derartige Spontanauskunft ist allerdings nicht für die Umsatzsteuer mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer vorgesehen (Art. 6 EU-BeitrRL, § 6 Abs. 1 Satz 2 EUBeitrG). Die Entscheidung über die Erteilung der vorgenannten Auskünfte steht im Ermessen der betreffenden Vollstreckungsbehörde (FA, HZA), die die Erstattung vornehmen soll. Eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung ergibt sich allerdings bei Steuern und Abgaben, die zu den Eigenmitteln der EU gerechnet werden (§ 6 Abs. 2 EUBeitrG).2

9.64

Auf Grundlage der MwSt-ZVO werden Spontanauskünfte nur erteilt, wenn die entsprechende Übermittlung der Informationen nicht bereits Gegenstand des automatischen Informationsaustauschs ist (Art. 15 MwSt-ZVO). Spontanauskünfte erfolgen also nur anlassbezogen und auch nur dann, wenn aus Sicht des Herkunftsmitgliedstaates die Informationen für den Bestimmungsmitgliedstaat „von Nutzen sein können“ (Art. 15 MwSt-ZVO). Den hiernach zu übermittelnden Informationen müssen entsprechend liquide Kenntnisse über relevante Sachverhalte zugrunde liegen, so dass weitergehende Ermittlungsmaßnahmen mit dem Ziel, Spontanauskünfte zu erteilen, nicht zulässig sind. Liegen die Informationen vor, so sind sie, wenn die Voraussetzungen vorliegen, dem Bestimmungsmitgliedstaat zu übermitteln.3 Soweit der Zweck der Informationsübermittlung nicht gefährdet wird, ist der betreffende Steuerpflichtige (Unternehmer) zu hören (Rz. 9.24).

9.65

Im Anwendungsbereich der VerbrSt-ZVO geht es darum, durch Spontanauskünfte die ordnungsgemäße Anwendung der VerbrSt-Vorschriften zu gewährleisten (Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 VerbrSt-ZVO).

9.66

Schließlich sind Spontanauskünfte auch auf Grundlage des Art. 26 OECD-MA zulässig.4 Im Grundsatz ist hierbei der Betroffene zuvor anzuhören, es sei denn, die Umsatzsteuer ist betroffen oder es liegt eine Ausnahme nach § 91 Abs. 2 oder 3 AO vor (§ 117 Abs. 4 Satz 3 AO).5

9.67

Spontanauskünfte ausländischer Finanzbehörden werden nach Prüfung durch das BZSt an die zuständigen inländischen Finanzämter zwecks Auswertung weitergeleitet. Vor der Auswertung ist allerdings der betroffene Steuerpflichtige zu hören (§ 91 Abs. 1 AO).6 Wird der Inhalt der Spontanauskunft vom Steuerpflichtigen bestritten, kommt zwecks Überprüfung der Angaben des Steuerpflichtigen ein formelles Auskunftsersuchen an die ausländische Finanzbehörde in Betracht.7

9.68

1 2 3 4 5 6 7

Czakert in S/D, DBA², Anh. 2 Rz. 35; Seer, IWB 2011, 144 (150). Zum gesetzgeberischen Hintergrund Czakert in S/D, DBA2, Anh. 2 Rz. 37. Kein Ermessen. Czakert in S/D, DBA2, Art. 26 OECD-MA Rz. 3. Hierzu Seer in T/K, § 117 AO Rz. 138. Seer in T/K, § 91 AO Rz. 9. BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 6.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen).

Schaumburg | 325

Kap. 9 Rz. 9.68 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

Ergibt sich nach Abgleich mit den Steuererklärungen des betreffenden Steuerpflichtigen, dass die Steuerquelle nicht oder unvollständig angegeben wurde, wird die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 385 Abs. 1 AO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO i.V.m. § 152 Abs. 2 StPO) die Folge sein. Die erhaltenen Informationen sind hierbei ohne weiteres verwertbar. Entsprechendes gilt im Rahmen eines Bußgeldverfahrens.

4. Automatische Auskünfte a) Überblick

9.69

Automatische Auskünfte1 sind u.a. zulässig gem. Art. 8, 8a, 8aa EU-AHiRL, § 7 EUAHiG, Art. 13 Abs. 1 MwSt-ZVO, Art. 15 Abs. 1 VerbrSt-ZVO, den Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 1 OECD-MA), Art. 2, 4 Abs. 1 des FATCA-Abkommens vom 31.5.2013,2 Art. 6 des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen3 und § 2 der mehrseitigen Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten4 jeweils in Verbindung mit dem FKAuStG sowie § 50d Abs. 5 Satz 5 EStG.

9.70

Die auf der Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie möglichen automatischen Auskünfte zielen darauf ab, „die korrekte Festsetzung der Steuern bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu verbessern und Steuerbetrug zu bekämpfen“.5 Es handelt sich hierbei um die elektronische Übermittlung von Kontrollmaterial (Daten), um somit einen Abgleich mit den Angaben in den Steuererklärungen zu ermöglichen.6 Um die Effizienz dieses automatischen Datenaustauschs nicht zu beeinträchtigen, ist aus deutscher Sicht ausnahmsweise (vgl. zum Grundsatz Rz. 9.12, 9.24) eine vorherige Anhörung nicht erforderlich (§ 91 Abs. 2 Nr. 4, § 117c Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 AO, § 7 Abs. 8 EUAHiG).7 Für Besteuerungszeiträume ab 2014 (§ 21 Abs. 1 EUAHiG) beurteilt sich die Zulässigkeit automatischer Auskünfte zwischen EU-Staaten allein auf der Grundlage von Art. 8 EU-AHiRL (§ 7 EUAHiG), es sei denn, die bislang mit verschiedenen Mitgliedstaaten abgeschlossenen Vereinbarungen sehen einen weitergehenden Informationsaustausch vor (Art. 8 Abs. 8 EU-AHiRL).8

9.71

Der in der EU-AHiRL geregelte automatische Informationsaustausch bezieht sich nach Maßgabe der ursprünglichen Regelung auf die folgenden fünf Sachverhaltsgruppen (Art. 8 EUAHiRL, § 7 Abs. 1 EU-AHiG):9 1 Bei automatischen Auskünften handelt es sich um die systematische Übermittlung zuvor festgelegter Informationen über gleichartige Sachverhalte in regelmäßigen im Voraus festgelegten Abständen; vgl. BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Tz. 6.3 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 2 BGBl. II 2013, 1362; ergänzend hierzu die Abmachung v. 30.11.2015, BGBl. II 2015, 1047. 3 BGBl. II 2015, 966 (967). 4 BGBl. II 2015, 1630 (1632); sog. Multilateral Competent Authority Agreement (CRS-MCAA); vgl. hierzu die CRS-AusdehnungsVO v. 11.6.2018, 13.6.2019 und 10.7.2020 (BGBl. II 2020, 474). 5 Rz. 10 der Erwägungsgründe zur EU-AHiRL. 6 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 102; Gabert, FR 2013, 986 (989). 7 Kein Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung; vgl. Seer in T/K, § 117 AO Rz. 102, 104; Hendricks, Internationale Informationshilfe in Steuerverfahren, 204 f.; a.A. Hamacher, IStR 2016, 171 (176 f.); automatische Auskünfte hält generell für verfassungswidrig Friauf, StbJb. 1984/ 1985, 317 (339); Friauf, JbFSt 1984/85, 95 (110). 8 Vgl. im Überblick über die entsprechenden Vereinbarungen im BMF v. 23.11.2015 – IV B 6 S 1320/07/10004:007 – DOK 2015/1058786, BStBl. I 2015, 928, Tz. 6.1.2 (Merkblatt zur Zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch). 9 Zu Einzelheiten Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 267 ff.

326 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.72 Kap. 9

– Vergütungen aus unselbständiger Arbeit; – Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen; – bestimmte Lebensversicherungsprodukte; – Ruhegehälter, Renten und ähnliche Zahlungen; – Eigentum an unbeweglichem Vermögen und Einkünfte daraus. Über die vorstehenden in der EU-AHiRL 20111 geregelten Sachverhaltsgruppen hinaus, ist der automatische Informationsaustausch durch Änderungsrichtlinien erweitert worden auf: – Finanzkonten (Art. 8 Abs. 3a, 7a EU-AHiRL 2014,2 § 7 Abs. 2 EU-AHiRL, § 2 FKAustG);3 – verbindliche Auskünfte und Zusagen mit grenzüberschreitendem Inhalt4 sowie Verrechnungspreisvorabzusagen5 (Art. 8a EU-AHiRL 2015,6 § 7 Abs. 3 – 6 EU-AHiG);7 – länderbezogene Berichte multinationaler Unternehmen (Art. 8aa EU-AHiRL 2016,8 § 7 Abs. 10, 11 EU-AHiG, § 138a AO);9 – den Zugang von Steuerbehörden zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche10 und auf bestimmte grenzüberschreitende Steuergestaltungen (Art. 8ab EU-AHiRL 2018, § 138d-f AO).11 Nachfolgend einige Hinweise: b) Finanzkonten Innerhalb der EU sowie gegenüber Drittstaaten12 betrifft der automatische Informationsaustausch ganz überwiegend Finanzkonten. Rechtsgrundlage hierfür ist auf Unionsebene Art. 8 1 Richtlinie 2011/16/EU des Rates v. 15.2.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1 (Directive Administration cooperation = DAC 1). 2 Richtlinie 2011/16/EU des Rates v. 9.12.2014, ABl. EU 2014 Nr. L 359, 1 (DAC 2). 3 Im Verhältnis zu den USA: FATCA-Abkommen v. 31.5.2013, BGBl. II 2013, 1362 und FATCAUSA-UmsV v. 23.6.2014, BGBl. I 2014, 1222; BMF v. 2.6.2017 – IV B 6 - S 1316/11/10052:124, BStBl. I 2017, 877. 4 Advance tax rulings (ATR); vgl. zum Meldestandard (Common Reporting Standard – CRS) und zur Datensatzbeschreibung BMF v. 6.6.2017 – IV B 6 - S 1315/13/10021: 036, BStBl. I 2017, 847; BMF v. 1.2.2017 – IV B 6 - S 1315/13/10021:044, BStBl. I 2017, 305. 5 Advance pricing arrangements (APA). 6 Richtlinie 2015/2376/EU des Rates v. 8.12.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 332, 1 (DAC 3). 7 Vgl. BMF v. 17.8.2017– IV B 6 - S 1320/16/10002: 014, BStBl. I 2017, 1228 (Merkblatt). 8 Richtlinie 2016/881/EU des Rates v. 25.5.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 146, 8 (DAC 4). 9 Vgl. auch BMF v. 11.7.2017 – IV B 5 - S 1300/16/10010: 002, BStBl. I 2017, 974; BMF v. 5.2.2018 – IV B 5 - S 1300/07/10087 IV A 3 - S 0303/17/10001, BStBl. I 2018, 289. 10 Richtlinie 2016/2258/EU des Rates v. 6.12.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 146, 8 (DAC 5). 11 Richtlinie 2017/822 EU des Rates zur Änderung der RL 2011/16/EU v. 25.5.2018, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1 (DAC 6); § 138d AO. 12 Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch gegenüber Drittstaaten: Mehrseitige Vereinbarung über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten (Multilateral Competent Autority Agreement L – CRS – MCAA) v. 29.10.2014 (BGBl. II 2015, 1630 [1632]); entsprechende Verträge der EU mit Drittstaaten, entsprechende Verträge Deutschlands mit Drittstaaten; vgl. hierzu BMF v. 1.7.2020 – IV B 6 - S 1315/19/10030:018, BStBl. I 2020, 577 mit Staatenaustauschliste, die in regelmäßigen Abständen fortgeschrieben wird.

Schaumburg | 327

9.72

Kap. 9 Rz. 9.72 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

Abs. 3a, 7a EU-AHiRL 2014.1 Der hierauf gestützte automatische Informationsaustausch ist darauf gerichtet, grenzüberschreitenden Steuerbetrug und grenzüberschreitende Steuerhinterziehung bei Einkünften und Vermögen finanzieller Art einzudämmen.2

9.73

Ausgetauscht werden vor allem Bestände und Erträge (z.B. Zinsen und Dividenden) auf Verwahr- und Einlagekonten sowie die Barwerte oder Rückkaufwerte bei rückkaufsfähigen Versicherungs- und Rentenversicherungsverträgen3 von natürlichen Personen oder von Rechtsträgern, zu denen neben juristischen Personen auch Personengesellschaften zählen.4 Der automatische Informationsaustausch wird über das BZSt als zentrales Verbindungsbüro abgewickelt.5 Die Verpflichtung zur Meldung an das BZSt ergibt sich aus §§ 2, 7 ff. FKAustG. Verpflichtet sind hiernach Finanzinstitute, also Verwahrinstitute, Einlageninstitute, Investmentunternehmen sowie spezifizierte Versicherungsgesellschaften.6

9.74

Die automatische Übermittlung der Informationen erfolgt seitens des BZSt jeweils zum 30.9. eines Jahres (§ 27 Abs. 1 FKAustG). Im Hinblick darauf haben die betroffenen Finanzinstitute die Finanzkontendaten zu den meldepflichtigen Konten im Wege der Datenfernübertragung zum 31.7. eines Jahres zu übermitteln (§ 27 Abs. 2 FKAustG). c) Verbindliche Auskünfte und Zusagen

9.75

Die Ausdehnung des automatischen Informationsaustauschs auf verbindliche Auskünfte und Zusagen mit grenzüberschreitendem Inhalt sowie Verrechnungspreisvorabzusagen (Tax rulings) durch die ÄnderungsRL 2015/2376/EU (DAC 3)7 beruht im Wesentlichen auf dem Abschlussbericht zu Maßnahme 5 des OECD/G20 BEPS-Projekts,8 der auf mehr Transparenz abzielt. Es geht hierbei insbesondere um Tax rulings, die steuermotivierte Gestaltungen betreffen und dazu führen können, dass es zu Einkünfteverschiebungen von hoch zu niedrig besteuernden Ländern kommt.9 Erfasst werden „grenzüberschreitenden Vorbescheide“ und Vorabverständigungen über Verrechnungspreisgestaltungen“ im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten (Art. 3 Nr. 14, 15, Art. 8a Abs. 1, 2 AHiRL, § 2 Abs. 3, 4, § 7 Abs. 3, 4 EU-AHiG),10 aus deutscher Sicht also insbesondere verbindliche Auskünfte/Zusagen und APA (§ 89 Abs. 2, § 204 AO, Art. 25 Abs. 1, 2 OECD-MA).11

1 Richtlinie 2014/107/EU des Rates v. 9.12.2014, ABl. EU 2014 Nr. L 359, 1 (DAC 2); § 7 Abs. 2 EU-AHiG, § 2 FKAustG. 2 Erwägungsgründe Nr. 1 und 5 der EU-AHiRL 2014. 3 Art. 8 Abs. 3a Buchst. d – f EU-AHiRL 2014. 4 Art. 8 Abs. 3a Buchst. a EU-AHiRL 2014. 5 Art. 7 Abs. 2 EU-AHiG. 6 Vgl. zu den Begrifflichkeiten § 19 FKAustG, BMF v. 1.2.2017 – IV B 6 - S 1315/13/10021:044, BStBl. I 2017, 305, Rz. 16 ff. 7 ABl. EU 2015 Nr. L 332, 1. 8 Vgl. OECD 2015, BEPS Aktionspunkt 5; im Überblick Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch², Rz. 14.56 ff. 9 Erwägungsgrund 1 der ÄnderungsRL 2015/2376/EU, ABl. EU 2015 Nr. L 332, 1. 10 Im Verhältnis zu OECD- und G20-Staaten, die nicht zugleich EU-Mitgliedstaaten sind, erfolgt der Informationsaustausch auf Grundlage bilateraler und multilateraler Abkommen (vgl. Rz. 20.6); gegenüber EU-Mitgliedstaaten ist die AHiRL/EU-AHiG vorrangig (vgl. BMF v. 27.8.2017 – IV B 6 - S 1320/16/10002:14, BStBl. I 2017, 1228, Rz. 9). 11 Vgl. BMF v. 17.8.2017– IV B 6 - S 1320/16/10002: 014, BStBl. I 2017, 1228, Rz. 38 ff.

328 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.79 Kap. 9

Im Vordergrund stehen hierbei neben grenzüberschreitenden unilateralen Vorabverständigungen (APA) sonstige unilaterale Vorabzusagen zu Verrechnungspreisfragen, auf Gewinnverkürzung abzielende Vorabzusagen und solche, die sich auf Betriebsstätten und Finanzierungsgesellschaften beziehen.1 In zeitlicher Hinsicht sind bereits zwischen dem 1.1.2012 und dem 31.12.2013 erteilte, geänderte oder erneuerte und noch am 1.1.2014 gültige Tax rulings sowie solche auszutauschen, die zwischen dem 1.1.2014 und dem 31.12.2016 erteilt, geändert oder erneuert wurden, unabhängig von ihrer Gültigkeit.2 Auf Grundlage der in Art. 8a Abs. 2 EU-AHiRL verankerten Ermächtigungsgrundlage enthält § 7 Abs. 4 Satz 3 EU-AHiG eine Ausnahme vom automatischen Informationsaustausch für an Unternehmen3 erteilte Tax rulings, soweit die Unternehmen im vorangegangenen Wirtschaftsjahr einen Jahresnettoumsatz von weniger als 40 Mio. Euro erwirtschaftet haben.

9.76

Auszutauschen sind Tax rulings in Bezug auf juristische Personen und Personengesellschaften, nicht aber solche, die ausschließlich natürliche Personen betreffen (Art. 8a Abs. 4 AHiRL, § 7 Abs. 6 EU-AHiG). In dieser Fallkonstellation ist allerdings eine Spontanauskunft möglich.4

9.77

d) Länderbezogene Berichte Der internationale Austausch länderbezogener Berichte multinationaler Unternehmen – Country-by-Country-Reporting (CbCR) – findet seine Rechtsgrundlage in Art. 8aa EUAHiRL,5 § 7 Abs. 10, 11 EU-AHiG und § 138a AO, die wiederum ihren Ursprung in Aktionspunkt 13 des BEPS-Projektes haben.6 Das CbCR zielt darauf ab, den beteiligten Finanzverwaltungen Einblick in insbesondere für die grenzüberschreitende Verrechnungspreisprüfung maßgebliche Beurteilungskriterien zu verschaffen.7 Die Finanzverwaltungen sollen somit frühzeitig Informationen über mögliche Gewinnverlagerungen und -verkürzungen erhalten.8

9.78

Die Pflicht, das CbCR zu erstellen, trifft multinational tätige Unternehmen, deren Konzernabschluss mindestens ein ausländisches Unternehmen oder eine ausländische Betriebsstätte umfasst und deren im Konzernabschluss ausgewiesenen, konsolidierten Umsatzerlöse im abgelaufenen Wirtschaftsjahr mindestens 750 Mio. Euro betragen (§ 138a Abs. 1 Satz 1 AO). Dementsprechend haben inländische Konzernobergesellschaften das CbCR dem BZSt zu übermitteln (§ 138a Abs. 1 Satz 1 AO). Ausländische Konzernobergesellschaften, für die eine solche Pflicht nicht besteht,9 können allerdings inländische Konzerngesellschaften mit der

9.79

1 Vgl. BMF v. 17.8.2017– IV B 6 - S 1320/16/10002: 014, BStBl. I 2017, 1228, Rz. 14. 2 Art. 8a Abs. 2 AHiRL, § 7 Abs. 3, 4 EU-AHiG; vgl. BMF v. 17.8.2017– IV B 6 - S 1320/16/10002: 014, BStBl. I 2017, 1228, Rz. 43 ff. 3 Ausgenommen Unternehmen, die hauptsächlich Finanz- und Investitionstätigkeiten ausüben (§ 7 Abs. 4 Satz 4 EU-AHiG). 4 Vgl. BMF v. 17.8.2017– IV B 6 - S 1320/16/10002: 014, BStBl. I 2017, 1228, Rz. 38 ff. 5 In der Fassung der Änderungsrichtlinie 2016/881/EU des Rates v. 25.5.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 146, 8 (DAC 4); vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.39 ff. 6 OECD 2015, BEPS Aktionspunkt 13, Rz. 24 ff.; im Überblick Böhmer in W/A/D, BetriebsstättenHandbuch², Rz. 14.121 ff. 7 Der länderbezogene Bericht ist nicht Teil der gem. § 90 Abs. 3 AO gebotenen Verrechnungspreisdokumentation. 8 Es handelt sich um ein bloß administratives CbCR, dass nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird; vgl. allerdings den Vorschlag der Kommission für eine public CbCR; hierzu Rz. 10.34. 9 Drüen in T/K, § 138a AO Rz. 7; Schallmoser in H/H/Sp, § 138a AO Rz. 15, 51.

Schaumburg | 329

Kap. 9 Rz. 9.79 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

Übermittlung des CbCR an das BZSt beauftragen mit der Folge, dass diese sodann zur Übermittlung an das BZSt verpflichtet1 sind (§ 138a Abs. 3 AO). Erhält das BZSt auf diesem Weg das CbCR nicht, ist jede inländische Konzerngesellschaft (sekundär) zur fristgerechten Übermittlung an das BZSt verpflichtet (§ 138a Abs. 4 AO), wobei die Pflichterfüllung durch eine verpflichtete inländische Konzerngesellschaft ausreicht (§ 138a Abs. 4 Satz 2 AO).2

9.80

Das CbCR muss folgende länderbezogene3 Angaben enthalten:4 – Umsatzerlöse und sonstige Erträge aus Geschäftsvorfällen mit nahestehenden und fremden Unternehmen einzeln und in der Summe, im Wirtschaftsjahr gezahlte und hierfür zurückgestellte Ertragsteuern, das Jahresergebnis vor Ertragsteuern, das Eigenkapital, den einbehaltenen Gewinn, die Zahl der Beschäftigten und die materiellen Vermögenswerte (§ 138a Abs. 2 Nr. 1 AO); – Unternehmen und Betriebsstätten des Konzerns und deren wichtigsten Geschäftsfähigkeiten (§ 138a Abs. 2 Nr. 2 AO); – zusätzliche Informationen, die zum Verständnis der vorgenannten Angaben erforderlich sind (§ 138a Abs. 2 Nr. 3 AO). e) Erweiterter Kontenabruf

9.81

– Rechtsgrundlage für den automatischen Auskunftsaustausch über Finanzkonten ist auf Unionsebene Art. 8 Abs. 3a, 7a EU-AHiRL 2014 (Rz. 9.72).5 Hierdurch wird sichergestellt, dass Informationen über Inhaber von Finanzkonten dem Mitgliedstaat mitgeteilt werden, in dem der Kontoinhaber seinen Wohnsitz hat. Sofern der Kontoinhaber eine „zwischengeschaltete Struktur“6 ist, haben die in die Pflicht genommenen Finanzinstitute die hinter dieser Struktur stehenden wirtschaftlichen Eigentümer zu ermitteln und zu melden.7 Um die Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten überwachen zu können, ist die AHiRL in Art. 22 Abs. 1a dahingehend ergänzt worden, dass die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten Zugang zu den Mechanismen, Verfahren, Dokumenten und Informationen“ nach Maßgabe der GeldwäscheRL8 erhalten.9

9.82

Im Hinblick darauf ermöglicht § 93 Abs. 7 Nr. 4a AO den Kontenabruf10 mit dem Ziel festzustellen, ob ein inländischer Steuerpflichtiger (§ 138 Abs. 2 Satz 1 AO) i.S.d. GWG Ver1 Die Verpflichtung bezieht sich auch auf die Erstellung des CbCR; Drüen in T/K, § 138a AO Rz. 33; Grotherr in Gosch, § 138a AO Rz. 60. 2 Vgl. zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 138a AO Rz. 34 ff.; Schallmoser in H/H/Sp, § 138a AO Rz. 34 ff. 3 Nach Steuerhoheitsgebieten gegliederte Übersicht. 4 Vgl. auch BMF v. 11.7.2017 – IV B 5 - S 1300/16/10010: 002, BStBl. I 2017, 974; zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 138a AO Rz. 12 ff. 5 ABl. EU 2014 Nr. L 359, 1 (DAC 2). 6 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2016/2258/EU des Rates v. 6.12.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 342, 1 (DAC 5). 7 § 2 Nr. 1; § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; §§ 14, 16 FK AuStG, § 7 Abs. 2 EU-AHiG. 8 Richtlinie 2015/849/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 141, 73 (4. GeldwäscheRL); Richtlinie (EU) 2018/843 v. 30.5.2018, ABl. EU 2018 Nr. L 156, 43 (5. GeldwäscheRL). 9 Richtlinie 2016/2258/EU des Rates v. 6.12.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 342, 1 (DAC 5). 10 Kontenstammdaten, nicht aber Kontenstände und -bewegungen.

330 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.83 Kap. 9

fügungsberechtigter oder wirtschaftlich Berechtigter eines Kontos oder Depots einer natürlichen Person, Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Sitz, Hauptniederlassung oder Geschäftsleitung im Ausland ist.1 Dieser ab 1.1.2018 zulässige Kontenabruf wird mit Wirkung ab 1.1.2020 auf Steueridentifikationsnummer (§ 139b AO) und Wirtschaftsidentifikationsnummer (§ 139c AO) oder ersatzweise die Steuernummer erweitert (§ 93b Abs. 1a AO).2 f) Grenzüberschreitende Steuergestaltungen aa) Zielsetzung und Funktion

Die auf Grundlage von Art. 115 AEUV ergangene ÄnderungsRL 2018/822 vom 25.5.2018 (DAC6)3 zielt darauf ab, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, „zeitnah gegen schädliche Steuerpraktiken vorzugehen und Schlupflöcher durch den Erlass von Rechtsvorschriften oder durch die Durchführung geeigneter Risikoabschätzungen sowie durch Steuerprüfungen zu schließen.“4 Es geht um die Beseitigung von Informationsasymmetrien im Zusammenhang mit „potentiell aggressiven grenzüberschreitenden Steuerplanungsmodellen“.5 Im Hinblick darauf regelt die ÄnderungsRL 2018/822 eine Meldepflicht für derartige Modelle. Diese Meldepflicht trifft sog. Intermediäre, zu denen im Grundsatz Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe und entsprechende Beratungs- und Finanzunternehmen und subsidiär die Steuerpflichtigen selbst zählen. Die betreffenden grenzüberschreitenden Gestaltungen sind gegenüber den inländischen Steuerbehörden anzuzeigen und von dort im Rahmen des automatischen Informationsaustausches an die beteiligten ausländischen Steuerbehörden weiterzuleiten. Da dieser Informationsaustausch sehr kurzfristig angelegt ist, haben die Finanzbehörden der beteiligten Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, bevor die meldepflichtigen Steuergestaltungen umgesetzt werden.6 Hierdurch soll zugleich eine abschreckende Wirkung erzeugt werden.7 Der grenzüberschreitende Informationsaustausch ist somit geprägt durch eine – veranlagungsunterstützende Funktion wegen frühzeitiger Aufdeckung der Steuergestaltungsmodelle; – rechtspolitische Funktion mit dem Ziel einer Gesetzesänderung und eine – Abschreckungsfunktion8 mit dem Ziel, Steuerpflichtige von der Implementierung von Steuergestaltungsmodellen abzuhalten.9

1 Kontenabzüge dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen nicht zum Ziel geführt hat oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 7 Satz 2 Halbs. 2 AO). 2 Vgl. hierzu Seer in T/K, § 93b AO Rz. 5. 3 Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.5.2018 zur Änderung der RL 2011/16 (EU) bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 4 Vgl. Rz. 2 der Erwägungsgründe der ÄnderungsRL 2018/822, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 5 Vgl. Rz. 6 der Erwägungsgründe der ÄnderungsRL 2018/22, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 6 Vgl. Rz. 7 der ÄnderungsRL 2018/822, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 7 Vgl. Rz. 7 u. 11 der Erwägungsgründe der ÄnderungsRL 2018/822, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 8 Zur Legitimität der Abschreckungsfunktion Hey, FR 2018, 633 (633 f.). 9 So die Differenzierung von Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 171 ff.; OsterlohKonrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 14 ff., vgl. ferner Hey, FR 2018, 633 (633 f.).

Schaumburg | 331

9.83

Kap. 9 Rz. 9.84 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

9.84

Die ÄnderungsRL 2018/822 folgt weitgehend den Empfehlungen von Aktionspunkt 12 des BEPS-Aktionsplans der OECD.1 Die Umsetzung in deutsches Recht ist durch die §§ 138d – 138k AO erfolgt.2 Die Vorschriften gelten ab 1.7.2020 und sind „in allen Fällen anzuwenden, in denen der erste Schritt einer mitteilungspflichtigen grenzüberschreitenden Steuergestaltung nach dem 24. Juni 2018 umgesetzt wurde“. Wurde der erste Schritt danach aber vor dem 1.7.2020 umgesetzt, ist die Mitteilung innerhalb von zwei Monaten nach dem Ablauf des 30.6.2020 zu erstatten (§ 33 EGAO). bb) Meldepflichtige Gestaltungen

9.85

Die Meldepflicht betrifft nur grenzüberschreitende Gestaltungen, also solche, die entweder mehr als einen Mitgliedstaat oder einen Mitgliedstaat und ein Drittland betreffen (Art. 3 Nr. 18 EU-AHiRL; § 138d Abs. 2 AO). Zusätzlich muss mindestens eine der nachfolgenden Bedingungen erfüllt sein (Art. 3 Nr. 18 Satz 1 Buchst. a – e EU-AHiRL, § 138d Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a – e AO): – nicht alle an der Gestaltung Beteiligten sind im selben Hoheitsgebiet steuerlich ansässig;3 – einer oder mehrere der an der Gestaltung Beteiligten ist/sind gleichzeitig in mehreren Hoheitsgebieten steuerlich ansässig; – einer oder mehrere der an der Gestaltung Beteiligten übt/üben in einem anderen Hoheitsgebiet über eine dort gelegene Betriebsstätte eine Geschäftstätigkeit aus, und die Gestaltung stellt teilweise oder ganz die durch die Betriebsstätte ausgeübte Geschäftstätigkeit dar; – einer oder mehrere der an der Gestaltung Beteiligten übt/üben in einem anderen Hoheitsgebiet eine Tätigkeit aus, ohne dort steuerlich ansässig zu sein oder eine Betriebsstätte zu begründen; – eine solche Gestaltung hat möglicherweise Auswirkungen auf den automatischen Informationsaustausch oder die Identifizierung der wirtschaftlichen Eigentümer. Meldepflichtig sind somit nicht grenzüberschreitende Gestaltungen nur mit Drittstaaten und rein nationale Gestaltungen. Diese Beschränkung entspricht der Zielsetzung der Änderungsrichtlinie, durch die Meldung von Steuergestaltungen das „reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes“ sicherzustellen.4 Die Mitgliedstaaten sind freilich nicht gehindert, auf Grundlage ihres nationalen Rechts die Meldepflicht etwa auf rein nationale Gestaltungen zu erstrecken5 und die entsprechend erlangten Informationen auszutauschen, wobei auf unionsrechtlicher Ebene freilich nur Ersuchensauskünfte (Rz. 9.23 ff.) und Spontanauskünfte (Rz. 9.60 ff.) in Betracht kommen.6

1 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12:2015 final report; vgl. hierzu den Überblick bei Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch², Rz. 14.111 ff. 2 Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung von Steuergestaltungen v. 21.12.2019 BGBl. I 2019, 2875. 3 Im Sinne der unbeschränkten Steuerpflicht, soweit diese am Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 90 AO) bzw. an den Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder Sitz (§ 11 AO) anknüpft. 4 Vgl. Rz. 10 der Erwägungsgründe der ÄnderungsRL 2018/822, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 5 Vgl. Rz. 10 der Erwägungsgründe der ÄnderungsRL 2018/822, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 6 So der nicht umgesetzte Entwurf eines § 139 AO v. 30.1.2019; vgl. zu Einzelheiten Brandis in T/K, Vor § 138d AO Rz. 17 ff.

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B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.88 Kap. 9

Bloß grenzüberschreitende Gestaltungen an sich rechtfertigen noch keine Meldepflicht; anderenfalls wäre ein Verstoß gegen die unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten gegeben,1 weil insoweit grenzüberschreitende gegenüber rein nationalen Gestaltungen benachteiligt wären. Das allgemeine Ziel der Verhinderung von Steuervermeidung, Steuerumgehung und Steuerhinterziehung sind keine ausreichenden Rechtfertigungsgründe. Im Hinblick darauf enthält die ÄnderungsRL 2018/822 konkretisierende Kennzeichen, die auf ein potentielles Risiko der Steuervermeidung hindeuten (Art. 3 Nr. 19, 20 i.V.m. Anhang IV, § 138d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 138e Abs. 1, 2 AO). Erst das Vorliegen dieser Kennzeichen bewirkt, dass die grenzüberschreitende Gestaltung meldepflichtig ist (Art. 8ab Abs. 14 Buchst. b AHiRL; §§ 138d Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 AO) und sich somit die Gesamtregelung gegenüber den Grundfreiheiten zu legitimieren vermag.2

9.86

Die in Anhang IV der ÄnderungsRL 2018/822 aufgeführten allgemeinen und spezifischen Kennzeichen (sog. halbmarks) weisen eine duale Struktur auf: Allgemeine und einige spezifische Kennzeichen sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie den sog. Main benefit-Test erfüllen. In diesen Fällen muss zusätzlich nachgewiesen werden, dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile, auf die die Steuergestaltung abzielt, die Erlangung eines Steuervorteils ist (Anhang IV, Teil I Abs. 2 der ÄnderungsRL 2018/822). Im Hinblick darauf ergibt sich folgende Unterscheidung (Anhang IV, Teil II Buchst. A – E; § 138e AO):

9.87

A. allgemeine Kennzeichen in Verbindung mit dem Main benefit-Test, B. spezifische Kennzeichen in Verbindung mit dem Main benefit-Test, C. spezifische Kennzeichen im Zusammenhang mit grenzüberscheitenden Transaktionen, D. spezifische Kennzeichen hinsichtlich des automatischen Informationsaustausches und der wirtschaftlichen Eigentümer, E. spezifische Kennzeichen hinsichtlich der Verrechnungspreisgestaltung.

Die in Kategorie A aufgeführten allgemeinen Kennzeichen betreffen Steuergestaltungen, die mit einer Vertraulichkeitsklausel belegt sind, für die eine Erfolgsgebühr vereinbart ist oder die eine standardisierte Dokumentation und/oder Struktur aufweisen (Anhang IV, Teil II, Buchst. A Nr. 1 – 32 der ÄnderungsRL 2018/822, § 138e Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO).3 In Kategorie B geht es um auf Verlustnutzung gerichtete „künstliche“ Gestaltungen,4 die Umwandlung von Einkünften in niedrig besteuerte/steuerbefreite Einnahmen5 oder um zirkuläre Transaktionen (§ 138e Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a – c AO).6 Kategorie C betrifft vor allem den (steuerwirksamen) Zahlungstransfer in sog. Steueroasen (§ 138e Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d und e

1 Hierzu Beuchert/Osterloh-Konrad, IStR 2014, 643 (649); Hey, FR 2018, 633 (635); Fischer/Riedlinger, IWB 2018, 416 (420). 2 Hierzu Beuchert/Osterloh-Konrad, IStR 2014, 643 (649); Hey, FR 2018, 633 (635); Fischer/Riedlinger, IWB 2018, 416 (420) 3 Vgl. die Beispielfälle in der RegBegr zu § 138e Abs. 1 Nr. 1 u. 2 AO; zu Einzelheiten Brandis in T/ K, § 138e AO Rz. 3 ff. 4 Vgl. zur Parallele mit § 42 AO Kokott, Steuerrecht der EU, § 2 Rz. 111 ff.; ferner Brandis in T/K, § 138e AO Rz. 11. 5 Vgl. die Beispielsfälle in der RegBegr zu § 138e Abs. 1 Nr. 3 AO; hierzu auch Brandis in T/K, § 138e AO Rz. 12 f. 6 Vgl. die Beispielsfälle in der RegBegr zu § 138e Abs. 1 Nr. 3 AO; hierzu auch Brandis in T/K, § 138e AO Rz. 14.

Schaumburg | 333

9.88

Kap. 9 Rz. 9.88 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

AO).1 In Kategorie D werden Gestaltungen erfasst, die darauf gerichtet sind, die Meldepflicht zu umgehen oder mit intransparenten Eigentumsketten die Identität wirtschaftlicher Eigentümer zu verschleiern (§ 138e Abs. 2 Nr. 3 AO).2 Kategorie E schließlich betrifft Verrechnungspreisgestaltungen, und zwar solche, die unilaterale Safe-Harbor-Regeln nutzen, im Zusammenhang mit der Übertragung von „schwer zu bewertenden immateriellen Werten“3 stehen oder mit denen nach gruppeninterner grenzüberschreitender Übertragung von Funktionen, Risiken oder Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen beim Übertragenden eine Verminderung des EBIT um 50% zu erwarten ist (§ 138e Abs. 2 Nr. 4 AO). cc) Meldepflichtige Personen

9.89

Meldepflichtige Personen sind grundsätzlich Intermediäre (Art. 8ab Abs. 1 EU-AHiRL, § 138d Abs. 1 AO), also solche Personen, die meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen konzipieren, vermarkten, organisieren oder zur Umsetzung bereitstellen oder die die Umsetzung einer solchen Gestaltung verwalten (Art. 3 Nr. 21 EU-AHiRL, § 138d Abs. 1 AO). Erfasst werden damit insbesondere auch Angehörige der steuerberatenden Berufe (Art. 3 Nr. 21 EU-AHiRL). Für diese Personengruppe ist allerdings eine Befreiung von der Meldepflicht vorgesehen, falls eine Verschwiegenheitspflicht besteht (Art. 8ab Abs. 5 EU-AHiRL, § 138f Abs. 7 Satz 1 Buchst. c AO).

9.90

Die Mitteilungspflicht trifft nur im Inland ansässige Intermediäre (Art. 138f Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 AO); darüber hinaus auch solche, die in Drittstaaten ansässig sind und einen besonderen Inlandsbezug (z.B. Betriebsstätte) aufweisen (§ 138f Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 AO). In anderen Mitgliedstaaten ansässige Intermediäre haben ihre Mitteilungspflichten gegenüber ihrem jeweiligen Ansässigkeitsstaat zu erfüllen. Soweit die Mitteilungspflicht hiernach in mehreren Mitgliedstaaten besteht, wird der betreffende Intermediär von seiner Mitteilungspflicht befreit, sofern er nachweisen kann, dass er dieselben Informationen im Hinblick auf dieselbe Steuergestaltung bereits in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß übermittelt hat (Art. 8ab Abs. 3 und 4 EU-AHiRL, § 138f Abs. 8 AO). In den Fällen, in denen der Intermediär z.B. als Rechtsanwalt oder Steuerberater im Hinblick auf § 102 AO zur Verschwiegenheit verpflichtet ist (Art. 8ab Abs. 5 EU-AHiRL, § 138f Abs. 6 AO), trifft die Mitteilungspflicht allein andere nicht zur Verschwiegenheit verpflichtete Intermediäre oder geht auf den „relevanten Steuerpflichtigen“4 bzw. Nutzer (Art. 8ab Abs. 5 und 6 EU-AHiRL, § 138f Abs. 6 AO).

9.91

Die Mitteilung hat innerhalb von 30 Tagen zu erfolgen, wobei die Frist an dem Tag beginnt, an dem die grenzüberschreitende Gestaltung einem „relevanten Steuerpflichtigen“ (Nutzer) 1 Z.B. Zahlung von Lizenzgebühren in das Ausland unter Nutzung dort geltender sog. Patent-, Lizenz- oder IP-Boxen; vgl. zu weiteren Einzelheiten Brandis in T/K, § 138e AO Rz. 17 f.; Adrian/ Heinsen, WPg. 2018, 1181 (1186 f.). 2 So die RegBegr zu § 138e Abs. 2 Nr. 3 AO. 3 Das sind solche Werte, für die im Zeitpunkt der Übertragung zwischen verbundenen Unternehmen keine ausreichend verlässlichen Vergleichswerte vorliegen und insbesondere deren hieraus abzuleitende Einkünfte zum Zeitpunkt der Übertragung nur sehr schwer absehbar ist (Anlage IV, Teil II, Buchst. D Nr. 2); hierzu Brandis in T/K, § 138e AO Rz. 29 ff. 4 Nach Art. 3 Nr. 22 EU-AHiRL ist das jede Person, der eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird oder die bereit ist, eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung umzusetzen, oder die den ersten Schritt einer solchen Gestaltung umgesetzt hat.

334 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.94 Kap. 9

zur Umsetzung bereitgestellt wird, umsetzungsbereit ist oder der erste Umsetzungsschritt begonnen wurde (Art. 8ab Abs. 1 EU-AHiRL, § 138f Abs. 2 AO). Entsprechendes gilt, wenn der „relevante Steuerpflichtige“ (Nutzer) selbst zur Mitteilung verpflichtet ist (Art. 8ab Abs. 7 EU-AHiRL, § 138f Abs. 7 AO). dd) Verfahren Die Meldepflicht ist gegenüber den zuständigen Steuerbehörden zu erfüllen (Art. 8ab Abs. 1 EU-AHiRL), in Deutschland gegenüber dem BZSt (§ 138f Abs. 1 AO). Die Mitteilung muss u. a. folgende Angaben enthalten (Art. 8ab Abs. 14 EU-AHiRL, § 138f Abs. 3 AO):

9.92

– Person des Intermediärs und des Steuerpflichtigen (Nutzer); – mitteilungspflichtige Kennzeichen; – Zusammenfassung des Inhalts, Datum des ersten Schritts zur Umsetzung, Rechtsgrundlagen und Wert der mitteilungspflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung; – betroffene Mitgliedstaaten und betroffene in Mitgliedstaaten ansässige Personen. In den Fällen, in denen Intermediäre marktfähige grenzüberschreitende Steuergestaltungen (Art. 3 Nr. 24 EU-AHiRL) zur Verfügung stellen, besteht zudem die Pflicht, vierteljährlich einen Bericht mit einer Aktualisierung zu übermitteln (Art. 8ab Abs. 2 EU-AHiRL, § 138h AO). Wird gegen die Mitteilungspflichten verstoßen, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, nach Maßgabe ihres nationalen Rechts „Sanktionen“ zu verhängen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen (Art. 25a EU-AHiRL). Nach deutschem Recht bedeutet die Verletzung der Mitteilungspflichten eine als Ordnungswidrigkeit zu qualifizierende Steuergefährdung (§ 379 Abs. 2 Nr. 1e AO), die mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro geahndet werden kann (§ 379 Abs. 7 AO), soweit nicht eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 379 AO) gegeben ist.1

9.93

Die beim BZSt eingegangenen elektronischen Mitteilungen (§ 138f Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 87a, 87b AO) werden automatisch an die zuständigen Landesfinanzbehörden weitergeleitet (§138 AO) und im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs an die betreffenden anderen Mitgliedstaaten übermittelt (Art. 21 Abs. 5 Unterabs. 4 EU-AHiRL) und ab dessen Implementierung in das von der KOM eingerichtete Zentralverzeichnis eingestellt (Art. 8ab Abs. 13 EUAHiRL, § 7 Abs. 13 EUAHiG).2 Während für die Finanzämter keine gesonderte Bearbeitung der übermittelten Daten vorgesehen ist, erfolgt seitens des BZSt eine Prüfung und Auswertung der eingegangenen Daten (§ 138f Abs. 5 AO).3

9.94

Soweit Mitteilungen von anderen Mitgliedstaaten eingehen oder der Zugriff auf das sichere Zentralverzeichnis möglich ist,4 ist das BZSt als zentrales Verbindungsbüro zuständig (§ 7 Abs. 14 EuAHiG). Von dort werden die Informationen nach Auswertung letztlich an die zuständigen Finanzämter weitergeleitet.

1 2 3 4

Gegebenenfalls kann auch der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt sein (§ 370 AO). Von dort können die Informationen von anderen Mitgliedstaaten abgerufen werden. Vgl. auch § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5g FVG. Vgl. Art. 21 Abs. 5 Eu-AHiRL.

Schaumburg | 335

Kap. 9 Rz. 9.95 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

ee) Zeitliche Anwendung

9.95

Die ÄnderungsRL 2018/822 war von den Mitgliedstaaten zum 31.12.2019 in nationales Recht umzusetzen und sodann ab 1.7.2020 anzuwenden (Art. 2 Abs. 1 der ÄnderungsRL). Die Mitteilungspflicht betrifft hierbei bereits grenzüberschreitende Gestaltungen, deren erster Schritt nach dem 24.6.2018 umgesetzt wurde (Art. 8ab Abs. 12 EU-AHiRL, Art. 97 § 33 Abs. 2 Satz 1 EGAO). In diesem Fall war die Mitteilung an das zuständige Finanzamt bis zum 31.9.2020 zu erstatten (Art. 97 § 33 Abs. 2 Satz 2 EGAO). g) Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung

9.96

Für Zwecke der Umsatzsteuer ist der automatische Auskunftsverkehr auf der Grundlage der Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung von besonderer Bedeutung.1 Es geht hierbei um die systematische Übermittlung von steuerlich relevanten Daten auf elektronischem Wege, die insbesondere für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung bei innergemeinschaftlichen Umsätzen nützlich sein können (Erwägungsgründe Nr. 11 und 13 MwSt-ZVO). Dies setzt eine entsprechende Speicherpflicht für die zu übermittelnden Informationen voraus. Hierzu dient das elektronische MwSt-Informations-Austausch-System (MIAS),2 wonach wichtige steuerlich relevante Daten in das elektronische System einzustellen und über fünf Jahre zu speichern sind (Art. 17 – 20 MwSt-ZVO).3 Die Übermittlung der gespeicherten Daten erfolgt sodann ausschließlich auf elektronischem Wege über das CCN/CSI-Netz (Art. 6 VO-EU 79/ 2012).4 Voraussetzung für die Übermittlungspflicht ist, dass die entsprechenden Informationen für die Kontrolle im anderen Mitgliedstaat (Bestimmungsmitgliedstaat) notwendig sind oder dort ein Verstoß gegen die Mehrwertsteuer-Vorschriften begangen oder vermutlich begangen wurde oder dort die Gefahr eines Steuerverlusts besteht (Art. 13 Abs. 1 MwSt-ZVO). Hiernach sind Informationen über die Erteilung von MwSt-IdNrn. sowie über Mehrwertsteuer-Erstattungen an in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige zu übermitteln (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a MwSt-ZVO, Art. 2 Nr. 1, Art. 3 Abs. 1 VO-EU 79/2012). Darüber hinaus besteht unter den vorgenannten Voraussetzungen auch die Verpflichtung zum automatischen Auskunftsaustausch über neue Fahrzeuge (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a MwSt-ZVO, Art. 2 Nr. 2, Art. 3 Abs. 2 VO-EU 79/2012).

9.97

Über die automatischen Auskünfte hinaus besteht auch für den jeweiligen Mitgliedstaat (Herkunftsmitgliedstaat) die Verpflichtung, den automatischen Zugang zu den gespeicherten Daten zu ermöglichen (Art. 21 Abs. 1 MwSt-ZVO). Dieser automatisierte Zugang umfasst alle Informationen, zu deren Speicherung der jeweilige Mitgliedstaat verpflichtet ist (Art. 21 Abs. 1, Art. 17 MwSt-ZVO). Der hiernach mögliche Datenzugriff, den der Herkunftsmitgliedstaat dulden muss, geht weit über die Informationen hinaus, die Gegenstand des automatischen Informationsaustauschs sind. Zu diesen Informationen gehören insbesondere solche über innergemeinschaftliche Umsätze (Art. 21 Abs. 2 Satz 1 MwSt-ZVO). Hierdurch wird insbesondere die Bekämpfung von betrügerischen Umsatzsteuer-Karussellen (Rz. 18.41) ermöglicht.

1 2 3 4

Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 25.99 ff. Hierzu im Überblick Hendricks, Informationshilfe im Steuerverfahren, 260 ff. Vgl. auch Lohse in R/D, VO 904/2010, Einführung, 3 f. CCN = Common Communication Network; CSI = Common System Interface.

336 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.101 Kap. 9

h) Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung Im Anwendungsbereich der Verbrauchsteuer-/Zusammenarbeitsverordnung steht der automatische Auskunftsverkehr ebenso wie bei der Umsatzsteuer im Vordergrund (Art. 15 Abs. 9 i.V.m. Art. 2 Nr. 6 VerbrSt-ZVO).1

9.98

Darüber hinaus ist ausnahmsweise auch ein ereignisbezogener automatischer Auskunftsaustausch zulässig, der allerdings dann nicht eingreift, wenn bereits anderweitig ein Austausch elektronischer Verwaltungsdokumente im Zusammenhang mit der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung vorgesehen ist (Art. 15 Abs. 1, 2 Nr. 5 VerbrSt-ZVO i.V.m. Art. 21 Abs. 4 VerbrStSystRL). Gegenstand des automatischen Auskunftsaustauschs sind nur solche Auskünfte, die zur „ordnungsgemäßen Anwendung der VerbrSt-Vorschriften erforderlich sind“ (Art. 15 Abs. 1 VerbrSt-ZVO). Angesprochen sind damit insbesondere die Fälle, in denen eine Verbrauchsteuer-Hinterziehung (vermutlich) eingetreten oder zu befürchten ist (Art. 15 Abs. 1 Buchst. a – e, Abs. 5 VerbrSt-ZVO).

Um den EDV-gestützten Auskunftsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten effizient zu gestalten, besteht die Verpflichtung, die relevanten Daten zu speichern (Art. 17, 19, 21, 31 Abs. 2 VerbrSt-ZVO). Soweit es sich um die Speicherung von Verbrauchsteuer-Nummern handelt, sind diese auf Abruf auch Personen zur Verfügung zu stellen, die an der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung beteiligt sind (§ 20 Abs. 1 VerbrSt-ZVO).2

9.99

i) Doppelbesteuerungsabkommen

Ein auf Doppelbesteuerungsabkommen (Art. 26 OECD-MA) gestützter automatischer Auskunftsaustausch spielt in der Praxis keine große Rolle. Das liegt daran, dass zum einen in einigen Abkommen lediglich Ersuchensauskünfte zugelassen sind3 und zum anderen der Anwendungsbereich für die automatischen Auskünfte eingeschränkt ist.4 Im Übrigen werden innerhalb der EU automatische Auskünfte vorzugsweise auf die EU-AHiRL gestützt.5 Informationsaustauschabkommen sehen schließlich einen automatischen Auskunftsverkehr in aller Regel nicht vor.6

9.100

j) FATCA-Abkommen

In Art. 2 und 4 Abs. 1 des FATCA-Abkommens7 ist ein weitreichender automatischer Auskunftsaustausch über Finanzkonten zwischen Deutschland und den USA verankert. Hiernach

1 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.119 ff. 2 Gültige Verbrauchsteuernummern werden in der SEED-Datei (System for Exchange of Excise Data) abgespeichert. 3 Abkommensübersicht bei Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 58. 4 Vgl. die Hinweise bei Engelschalk in V/L6, Art. 26 OECD-MA Rz. 39 ff. 5 BMF v. 29.05.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008 – DOK 2019/0379309, BStBl. I 2019, 450, Tz. 1.3.1 a.E. (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 6 Vgl. Czakert in S/D, DBA2, Anh. 3 Rz. 42; Seer/Gabert, Ubg 2010, 358 (359); das TIEA-MA sieht allerdings in Art. 5A und 5B auch einen automatischen Auskunftsverkehr vor. 7 BGBl. II 2013, 1362, ergänzend hierzu die Abmachung v. 30.11.2015, BGBl. II 2015, 1047 (FATCA = Foreign Account Tax Compliance Act); offizieller Titel: „Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen“.

Schaumburg | 337

9.101

Kap. 9 Rz. 9.101 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

sind die Vertragsparteien zur regelmäßigen gegenseitigen Information über jeweils im anderen Staat ansässige Kapitalanleger sowie über deren Konten, Erträge und Erlöse verpflichtet. Diese Mitteilungspflicht setzt die entsprechende Erhebung der erforderlichen Daten bei den betreffenden Finanzinstituten voraus, die von deutscher Seite nach Maßgabe der FATCA-USA-UmsV1 erfolgt, die auf Grundlage der in § 117c AO2 enthaltenen Ermächtigung ergangen ist. Hiernach sind deutsche Finanzinstitute verpflichtet, die vorgeschriebenen Informationen an die zuständige deutsche Steuerbehörde – das BZSt – zu übermitteln, von wo sie an den amerikanischen Inland Revenue Service (IRS) weitergeleitet werden. Die standardisierten Datensätze zwischen dem BZSt und dem IRS sind innerhalb von neun Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, auf das sich die Informationen beziehen, automatisch auszutauschen.3 Die ausgetauschten Informationen unterliegen der Vertraulichkeit so, wie sie im DBA-USA (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 DBA-USA) vorgesehen ist (Art. 3 Abs. 7 FATCA-Abkommen i.V.m. § 5 der Abmachung vom 9./30.11.2015).4

IV. Zusammenfassender Überblick 9.102

Neben der Verwendung für steuerliche Zwecke ist eine Verwendung der erlangten Auskünfte durch die deutsche Finanzverwaltung sowohl für Zwecke des Steuerstrafrechts als auch des Steuerordnungswidrigkeitenrechts aufgrund folgender Rechtsgrundlagen möglich: – EU-AHiRL (EUAHiG) betreffend ESt, KSt, ERbSt (SchSt), VSt, GewSt, GrSt und VersSt; – FATCA-Abkommen (FATCA-USA-UmsV) betreffend alle Steuern; – Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen betreffend alle Steuern; – Mehrseitige Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch zu Finanzkonten (MCAA-CRS) betreffend alle Steuern; – MwSt-ZVO betreffend USt sowie alle anderen Steuern (§ 3 Abs. 1 AO); – VerbrauchSt-ZVO betreffend EnergieSt, AlkoholSt, TabakSt.

9.103

Neben der Verwendung für steuerliche Zwecke ist eine Verwendung der erlangten Auskünfte durch die deutsche Finanzverwaltung für Zwecke nur des Steuerstrafrechts aufgrund folgender Rechtsgrundlagen möglich: – DBA betreffend alle Steuern mit folgenden EU-Staaten: Bulgarien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Malta, Österreich, Polen, Schweden, Slowenien, Spanien, Ungarn, Zypern; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, GrSt mit folgenden EU-Staaten: Belgien, Estland, Italien, Lettland, Litauen, Rumänien;5 1 V. 23.7.2014, BGBl. I 2014, 1222. 2 Die Ermächtigungsgrundlage ist zugunsten des BZSt erweitert worden (§ 117c Abs. 1 Sätze 1 – 3 AO i.d.F. des AHRL-ÄndUmsG). 3 § 3 der „Abmachung zwischen den zuständigen Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland“ v. 9./30.11.2015, BStBl. I 2015, 1047. 4 Einzelne Anwendungsfragen im Zusammenhang mit dem FATCA-Abkommen enthält das Schreiben des BMF v. 3.11.2015 – IV B 6 - S 1316/11/10052:133 – DOK 2015/0950269, BStBl. I 2015, 897; vgl. ferner Seer, IWB 2015, 870; Herrmann, DStR 2015, 288; Fußbroich/Klinkhammer/ Borisova, ISR 2015, 438. 5 Die Begrenzung auf nur bestimmte Steuern ist im Hinblick auf die EU-AHiRL, die MwSt-ZVO und die VerbrauchSt-ZVO ohne praktische Bedeutung.

338 | Schaumburg

B. Inanspruchnahme und Gewährung von Amts- und Rechtshilfe | Rz. 9.105 Kap. 9

– Amtshilfe/Beitreibungsabkommen betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt mit folgenden EUStaaten: Niederlande; – DBA betreffend alle Steuern mit folgenden Drittstaaten: Algerien, Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Australien, China,1 Costa Rica, Georgien, Ghana, Liechtenstein, Mauritius, Mazedonien, Mexiko, Norwegen, Philippinen, Russland, Schweiz, Syrien, Tadschikistan, Taiwan, Türkei, Turkmenistan, Uruguay, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate (VAE); – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, GrSt mit folgenden Drittstaaten: Belarus, Liberia, Moldau; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt mit folgenden Drittstaaten: Bosnien und Herzegowina, Island, Singapur, Ägypten, Argentinien, Bolivien, Elfenbeinküste, Ecuador, Indien, Indonesien, Iran, Jamaika, Kasachstan, Kenia, Kirgisistan, Korea, Kuweit, Marokko, Mongolei, Montenegro, Namibia, Neuseeland, Sambia, Serbien, Simbabwe, Sri Lanka, Ukraine, Venezuela, Vietnam; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt mit folgenden Drittstaaten: Trinidad und Tobago, Vereinigte Arabische Emirate (VAE); – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, GrSt, ErbSt mit folgenden Drittstaaten: Malaysia; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, ErbSt mit folgenden Drittstaaten: USA; – TIEA betreffend alle Steuern mit folgenden Drittstaaten (Gebieten): Antigua und Barbuda, Grenada, St. Kitts und Nevis, St. Lucia; – TIEA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, VersSt, VerkehrSt, ErbSt mit folgenden Drittstaaten (Gebieten): Andorra, Anguilla, Bahamas, Britische Jungferninseln, Cookinseln, Gibraltar, Kaimaninseln, Liechtenstein, Montserrat, San Marino, St. Vincent und Grenadinen, Turks- und Caicosinseln; – TIEA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, ErbSt mit folgenden Drittstaaten (Gebieten): Bermudas, Guernsey, Isle of Man, Jersey; – TIEA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, ErbSt, VersSt mit folgenden Drittstaaten (Gebieten): Monaco. Eine Verwendung der erlangten Auskünfte durch die deutsche Finanzverwaltung für Zwecke des Steuerstrafrechts und des Steuerordnungswidrigkeitenrechts ist nach folgenden Rechtsgrundlagen ausgeschlossen:

9.104

– DBA mit folgenden EU-Staaten: Griechenland, Irland, Niederlande, Portugal, Spanien, Tschechien; – DBA mit folgenden Drittstaaten: Kanada, Iran, Israel, Japan, Kosovo, Pakistan, Südafrika, Thailand, Tunesien. Im Hinblick auf die unterschiedliche Reichweite der jeweiligen Auskunftsmöglichkeiten steht im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten die EUAHiRL (EUAHiG) als Rechtsgrundlage

1 Nach dem DBA-China 2014 dürfen übermittelte Informationen ohne vorherige Zustimmung des übermittelnden Staats nicht für Strafsachen verwendet werden (Nr. 6 Buchst. b des Protokolls); vgl. hierzu Schiessl, ISR 2014, 235 ff.

Schaumburg | 339

9.105

Kap. 9 Rz. 9.105 | Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen

für Auskunftsersuchen deutscher Finanzbehörden im Vordergrund. Für Zwecke der Umsatzsteuer und der harmonisierten Verbrauchsteuern ist der Auskunftsaustausch auf Grundlage der MwSt- und VerbrauchSt-ZVO Routine. Im Verhältnis zu Drittstaaten (Gebieten) vollzieht sich der Auskunftsaustausch vor allem über die DBA bzw. TIEA, wobei im Unterschied zum vorgenannten EU-Auskunftsverkehr eine Verwendung für Zwecke auch des Steuerordnungswidrigkeitenrechts ausgeschlossen ist. Diese Einschränkung spielt in der Praxis allerdings keine bedeutsame Rolle, weil die Weitergabe der Informationen an die Straf- und Bußgeldsachenstelle ohnehin zunächst auf Fälle des Verdachts vorsätzlicher Steuerverkürzung (§ 370 AO) beschränkt ist. Sollte das Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung sodann in eine Ordnungswidrigkeit einmünden, können die erlangten Informationen gleichwohl verwendet werden. Die im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs eingehenden Informationen unterliegen keinerlei Beschränkungen, so dass sie ohne weiteres für Zwecke des Steuerstrafrechts und des Steuerordnungswidrigkeitenrechts Verwendung finden können. Entsprechendes gilt für Kulanz- und Spontanauskünfte.

9.106

Während die im Zuge des vorgenannten EU-Auskunftsverkehrs erlangen Informationen stets auch in öffentlichen Gerichtsverhandlungen oder bei der öffentlichen Verkündung von Urteilen verwendet werden dürfen, ist dies im Übrigen nicht ohne Weiteres der Fall. Hiernach ist in öffentlichen Gerichtsverhandlungen oder bei der öffentlichen Verkündung von Urteilen die Bekanntgabe von Auskünften aus folgenden Drittstaaten nicht erlaubt:1 Australien, Island, Argentinien, Bosnien und Herzegowina, Indonesien, Iran, Israel, Jamaika, Kenia, Kosovo, Liberia, Marokko, Montenegro, Pakistan, Philippinen, Sambia, Südafrika, Thailand, Trinidad und Tobago, Tunesien.

9.107

Auskünfte aus Kanada und den USA2 dürfen demgegenüber (nur) mit Zustimmung dieser Staaten in öffentlichen Gerichtsverhandlungen und bei der öffentlichen Verkündung von Urteilen bekannt gegeben werden. Die vorstehenden Bekanntgabebeschränkungen gelten auch für die Verfahren der Strafgerichte.

1 Entnommen der Übersicht in Anl. 1 zum BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004; 008, BStBl. I 2019, 480 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 2 Im Erbschaftsteuer-Abkommen gilt diese Beschränkung nicht.

340 | Schaumburg

Kapitel 10 Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) A. I. II. 1. 2. 3. 4.

5. 6. 7. III. IV. 1. 2. 3. 4. 5. V. VI. VII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Allgemeiner Teil Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsquellen Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . Justizielle Zusammenarbeit auf Unionsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übereinkommen vom 29.5.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RhÜbk) und Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) . . . . . . . . . Europäisches Auslieferungsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Rechtsquellen . . . . . . . . . . Verhältnis der Amtshilfe in Steuersachen zur Rechtshilfe in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . Grundprinzipien der Rechtshilfe Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsatz der Gegenseitigkeit . . . . Erfordernis der Reziprozität . . . . . Spezialitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . Grundsatz des ordre public . . . . . . Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Aspekte . . . . . . . . . . . . Internationale und europäische Strafverfolgungsinstitutionen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eurojust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . OLAF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäisches Justizielles Netz für Strafsachen (EJN) . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsame Ermittlungsgruppen (§§ 61b, 93 IRG) . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Staatsanwaltschaft a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . .

b) c) d) e)

10.1 10.4 10.5 10.18

B. I. II.

10.19 10.21 10.22 10.23 10.33 10.34 10.35 10.36 10.37 10.38 10.39 10.40

III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. 1.

10.41 10.42 10.43 10.46 10.51

2.

10.52

XIII. 1. 2.

10.53

3.

Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.61 Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . 10.64 Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.70 Grenzüberschreitende Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.71 f) Beschuldigtenrechte . . . . . . . . . 10.74 g) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . 10.75 Eingehende Rechtshilfe Zulässigkeit der eingehenden Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.76 Gerichtliche Entscheidung über die Gewährung von Rechtshilfe . 10.77 Grenzen der Rechtshilfe . . . . . . . . 10.78 Zuständigkeit des Bundes . . . . . . 10.79 Grundsätzliche Pflicht zur Bewilligung; Vorabentscheidung . . . . . 10.80 Vorübergehende Überstellung in das Ausland für ein ausländisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.81 Auslieferung in Steuerstrafsachen 10.83 Auslieferung bei Europäischem Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.90 Europäische Überwachungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.98 Einziehung von Vermögen (§§ 88 ff. IRG) . . . . . . . . . . . . . . . . 10.104 Datenübermittlung ohne Ersuchen (§§ 61a, 92 IRG) . . . . . . . . . . . . . . 10.107 Herausgabe/Durchsuchung und Beschlagnahme Herausgabe von Gegenständen (§ 66 IRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.110 Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 94 IRG durch Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.111 Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 67 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . 10.113 Vollstreckungshilfe Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.115 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.120

10.59

Peters | 341

Kap. 10 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) C. Ausgehende Rechtshilfe/Kleine Rechtshilfe/Grenzüberschreitende Beweismittelerlangung – Grundsätze I. Zuständigkeit und Form . . . . . . . 10.123 II. Geschäftswege . . . . . . . . . . . . . . . . 10.129 III. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Rechtshilfe im engeren Sinne/Beweisrechtshilfe 10.131 IV. Länderspezifische Besonderheiten/ Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.132 V. Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . 10.136 VI. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.141 D. Landesspezifische Besonderheiten I. Schweiz 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.142 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . 10.145 3. Rechtshilfe zur Entlastung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.152 4. Keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.153 5. Zusammenhang mit der Schweiz . 10.154 6. Inhaltliche Anforderungen . . . . . . 10.155 7. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.156 8. Spezialitätsvorbehalt . . . . . . . . . . . 10.158 9. Auslieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.159

10. Rechtshilfe bei indirekten Steuern 10.161 11. Videokonferenz . . . . . . . . . . . . . . . 10.162 12. Abschöpfung von Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.163 II. Liechtenstein 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . 10.165 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . 10.167 3. Sonstige bilaterale Vereinbarungen 10.171 4. Inhaltliche Anforderung an ein Rechtshilfeersuchen . . . . . . . . . . . 10.172 5. Einziehung von Vermögen . . . . . . 10.174 III. Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.177 IV. Österreich 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . 10.179 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . 10.182 V. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.183 VI. Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.186 VII. Sonstige Staaten . . . . . . . . . . . . . . 10.187 VIII. Rechtshilfe und Steuergeheimnis 10.188 E. Strafverfolgungsübernahmeersuchen/Unaufgeforderte Übermittlung von Informationen (Schweiz/ Liechtenstein/Österreich) . . . . . . 10.189

Literatur: Ahlbrecht/Schlei, Verteidigung gegen und mit Rechtshilfe, StraFo 2013, 265; Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. München 2018, 606 ff; Binder, Rechtshilfe durch die Schweiz bei Steuerhinterziehung mittels einer falschen Einnahmenüberschußrechnung, wistra 2000, 254; Böse, Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafrecht, ZStW 114 (2002), 148; Bülte, Verwertung von im Ausland erlangten Beweismitteln und Anwendungsvorrang des Unionsrechts als Grenze von Verfahrensrechten im nationalen Strafprozess, ZWH 2013, 219; Carl/Klos, Bankermittlungen in Österreich im Rahmen der Amts- und Rechtshilfegewährleistung in Steuersachen, wistra 1995, 95; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen, Herne/Berlin1995; Coen, Ankauf und Verwertung deliktisch beschaffter Beweismittel im Steuerstrafverfahren aus völkerrechtlicher Sicht, NStZ 2011, 433; Dannecker, Bekämpfung der Steuerdelinquenz auf europäischer Ebene, in FS Kirchhof, Heidelberg 2013, 1809; Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, 359; Dreßler, Rechtshilfe in Steuerstrafsachen durch die Schweiz, wistra 1989, 161; Eilers/Sommer, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen – Sinnvoller Wettlauf der Gesetzgeber?, ISR 2019, 75; Gassner, Liechtenstein im Fadenkreuz der deutschen Steuerfahndung, StraFo 2002, 1; Gercke, Zur Zulässigkeit sog. Transboarder Searches – Der strafprozessuale Zugriff auf im Ausland gespeicherte Daten, StraFo 2009, 271; Gleß, Das Verhältnis von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten und das Prinzip „locus regit actum“, in FS Grünwald, Baden-Baden 1999, 197; Gleß, Beweisverbote in Fällen mit Auslandsbezug, JR 2008, 317; Gleß, Grenzüberschreitende Beweissammlung, ZStW 125 (2013), 407; Gleß/Eymann, „Nachträgliches Verwertungsverbot“ und internationale Beweisrechtshilfe, StV 2008, 318; Gotzens, Grenzüberschreitung im Steuerfahndungsverfahren, in FS Streck, Köln 2011, 519; Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen – Ein Leitfaden für die Praxis, 3. Aufl., München 2017; Holenstein, Schweiz: Sukzessive Öffnung auch bei der Auslieferung in Steuerstrafsachen, PStR 2012, 151; Kramer, Telekommunikationsüberwachung

342 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.1 Kap. 10 und Verkehrsdatenabfrage bei Verdacht auf Steuerhinterziehung, NJW 2014, 1561; Langsdorff, Maßnahmen der Europäischen Union zur Vereinfachung und Beschleunigung der Rechtshilfe und insoweit vorgesehene Beschuldigten- und Verteidigerrechte, StV 2003, 472; Lanser, Österreichische Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis, wistra 1999, 213; Nagler, Verteidigung gegen im Ausland gewonnene Ermittlungsergebnisse, StV 2013, 324; Podeyn/Tschatsch/Fischler, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen: Ausgewählte Überlegungen zum aktuellen Stand des Referentenentwurfs vom 30.01.2019, DB 2019, 633; Rose, Beweisanträge auf Vernehmung von Auslandszeugen, NStZ 2012, 18; Rüping, Ermittlungen der Steuerfahndung und ihre Schranken, DStR 2002, 2020; Sahan/Ruhmanseder, Steuerstrafrechtliche Risiken für Banken und ihre Mitarbeiter bei Kapitaltransfers in die Schweiz, IStR 2009, 715; Schaumburg/Schaumburg, Grenzüberschreitende Sachaufklärung, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, Köln 2011, 369; Schick, EU-Richtlinie über Anzeigepflichten von „Steuerintermediären“ in Kraft, DStR 2018, 1583; Schomburg/Lagodny Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. München 2020; Schurowski, Neuer Regelungsvorschlag der OECD zur Offenlegung von CRS-Umgehungsmodellen und offshore Strukturen, FR 2018, 245; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, Berlin 2006; Seitz, Der Ankauf von Steuerdatensätzen in strafrechtlicher und strafprozessualer Hinsicht, Ubg 2014, 380; Spriegel/Wiese, Theorie und Praxis der Rechtshilfegewährung durch die Schweiz bei Fiskaldelikten, wistra 2000, 409; Stahl, Internationale Rechts- und Amtshilfe im Steuer- und Steuerstrafrecht, KÖSDI 2014, 18687; Vater, Zum Unterschied zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung im Schweizer Steuerrecht, IWB 2003, 767; Wegner, Auch weiterhin keine Amtshilfe der Schweiz bei Steuerhinterziehungen, PStR 2003, 139; Zöller, Der Austausch von Strafverfolgungsdaten zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ZIS 2011, 64; Zourek, Die Initiative der EU-Kommission im Kampf gegen aggressive Steuerplanung- und Steuerhinterziehung, DB 2013, Beilage Standpunkte zu Heft 13, 17 – 19.

A. Allgemeiner Teil I. Einführung Die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ist in der Praxis vielfach mühselig, langwierig und durch Formalismus geprägt. Bei einigen Staaten kann es ungeachtet der nunmehr geltenden europäischen Ermittlungsanordnung Monate und im Einzelfall bis zu einem Jahr dauern, bis auf ein Rechtshilfeersuchen reagiert wird. Aber auch das Gegenteil ist bekannt. Festzuhalten ist dennoch, dass die Möglichkeiten der Rechtshilfe ständig verbessert werden und die gegenseitigen Hemmschwellen, bislang vielfach dem Souveränitätsgedanken geschuldet, der Anerkennung der Notwendigkeit einer grenzüberschreitenden Kriminalitätsbekämpfung weichen. Aus nachvollziehbaren Gründen stehen die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der internationalen organisierten Kriminalität und insbesondere die Bekämpfung des Handels mit Betäubungsmitteln an vorderster Stelle. Bereits seit Längerem setzt sich indes die Erkenntnis durch, dass auch die Verfolgung grenzüberschreitender Steuerhinterziehungen angesichts notorisch knapper Kassen in fiskalischer und politischer Hinsicht lohnenswert ist. Oftmals wird dabei über das Ziel hinausgeschossen, wenn gleichsam sämtliche im Ausland belegenen Konten und Vermögenswerte dem Generalverdacht der Steuerhinterziehung unterworfen werden oder von Strafverfolgungsbehörden die Ansicht vertreten wird, ausländische Stiftungen dienten allein dem Zweck der Steuerhinterziehung. Die Voraussetzungen eines Anfangsverdachts sind in diesen Fällen besonders sorgsam zu prüfen, da ein entsprechendes Ermittlungsverfahren, nebst womöglichem Rechtshilfeersuchen, nicht nur innerstaatliche Auswirkungen hat, sondern auch unabsehbare Konsequenzen im Ausland zeitigen kann. Dies gilt es insbesondere vor dem Hintergrund zu beachten, dass nicht jedes ersuchte Land tatsächlich die rechtlichen Mindeststandards in einem Strafverfahren garantiert. Peters | 343

10.1

Kap. 10 Rz. 10.2 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

10.2

Was das Internationale Steuerstrafrecht betrifft, ist die sog. eingehende Rechtshilfe, d.h. Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland nach Deutschland, mitunter ein zweischneidiges Schwert, da sich aus den in Rede stehenden Sachverhalten, neben allgemeinen strafrechtlichen Anhaltspunkten, oftmals Anhaltspunkte für inländische Steuerstraftaten ergeben können. Die Einleitung eines deutschen Strafverfahrens ist die denknotwendige Folge des geltenden Legalitätsprinzips. Beispiel: Gegen A wird in Frankreich ein Ermittlungsverfahren geführt, weil er verdächtig ist, über „Beraterverträge“ unrechtmäßig Zahlungen in Höhe von 250.000 Euro erhalten zu haben, um Aufträge an Geschäftspartner zu vergeben. Frankreich begehrt die Durchsuchung seiner in Deutschland belegenen Wohnung, die Beschlagnahme beweisrelevanter Unterlagen und verlangt die Übermittlung von Kontoverdichtungen. A hat die Einkünfte in Deutschland nicht versteuert und das Entgelt auf ein Schweizer Konto transferiert. Neben einer Strafbarkeit in Frankreich kommt nach deutschem Recht womöglich eine Strafbarkeit nach § 299 Abs. 1, Abs. 3 StGB, § 370 AO in Betracht. Allein hinsichtlich § 299 StGB käme eine Verfahrensweise nach § 153c StPO in Betracht, wenn die Gelder in Deutschland zu versteuern gewesen wären.

10.3

Aus anderen Fällen ist bekannt, dass ausländische Strafverfolgungsbehörden oder mit strafprozessualen Befugnissen ausgestattete Behörden (z.B. DOJ oder SEC) sich auch nicht scheuen, mittels eines Rechtshilfeersuchens oder Strafverfolgungsübernahmeersuchens vor dem Hintergrund des in Deutschland geltenden Legalitätsprinzips Ermittlungen in Gang zu setzen, allein zu dem Zweck, die Verhandlungsbereitschaft betroffener Firmen im Ausland zu fördern.1 In jedem Fall sollten es die deutschen Strafverfolgungsbehörden vermeiden, sich zum Büttel ausländischer Strafverfolgungsbehörden machen zu lassen.

II. Rechtsquellen 1. Vorbemerkung 10.4

Das Rechtshilferecht in Strafsachen besteht aus einem undurchdringbaren, umfangreichen und unüberschaubaren Normengeflecht, dem es an jedweder Systematik oder Einheitlichkeit fehlt. Die Grenze des Darstellbaren ist erreicht,2 nicht nur was das EU-Recht betrifft. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) dient in der Regel nur als lückenfüllende Rechtsquelle gegenüber den vorrangigen internationalen Übereinkommen, insbesondere den vorrangigen völkerrechtlichen Verträgen.3 Die Darstellung der wichtigsten allgemeinen Grundlagen, Voraussetzungen und Möglichkeiten der internationalen Rechtshilfe kann daher nur überblicksartig unter besonderer Berücksichtigung der Probleme des Internationalen Steuerstrafrechts erfolgen.4

1 Im konkreten Fall liefen die Ermittlungen in den USA bereits seit fünf Jahren bevor die deutschen Strafverfolgungsbehörden über mögliche Strafbarkeiten deutscher Mitarbeiter des betroffenen Unternehmens informiert wurden. 2 Vgl. die Übersicht bei Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 43 f. 3 Zum Ganzen vgl. die Darstellung bei Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, 1 ff.; Engelhart/Bischoff/Nogrady in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 8 Rz. 1 ff. 4 Ein Überblick findet sich auch bei Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 36 f.; zu den konkreten Einzelmaßnahmen der Beweisrechtshilfe vgl. Kap. 6.

344 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.9 Kap. 10

2. Justizielle Zusammenarbeit auf Unionsebene Nach Art. 82 ff. AEUV beruht die justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung1 und umfasst die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in den in Art. 82 Abs. 2 und in Art. 83 AEUV genannten Bereichen.2

10.5

Das Europäische Parlament und der Rat sind hierüber ermächtigt, Maßnahmen zu erlassen, um:

10.6

– Regeln und Verfahren festzulegen, mit denen die Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in der gesamten Union sichergestellt wird; – Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern und beizulegen; – die Weiterbildung von Richtern und Staatsanwälten sowie Justizbediensteten zu fördern; – die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Strafverfolgung sowie des Vollzugs und der Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern. Sofern es zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist, können das Europäische Parlament und der Rat gem. Art. 82 Abs. 2 AEUV durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen. Bei diesen Mindestvorschriften werden die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten berücksichtigt. Daneben normieren Art. 85, 86 AEUV die Institutionalisierung der europäischen Strafverfolgung durch Eurojust und die Möglichkeit der Errichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft.

10.7

Über Art. 82 Abs. 2 UA 2 AEUV ist die Möglichkeit der Rechtsangleichung in folgenden Bereichen eröffnet:3

10.8

– die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten; – die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren; – die Rechte der Opfer von Straftaten; – sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens, die zuvor vom Rat durch Beschluss bestimmt worden sind. In Art. 87 ff. AEUV ist die polizeiliche Zusammenarbeit normiert. Ziel ist die Entwicklung einer polizeilichen Zusammenarbeit zwischen allen zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der Polizei, des Zolls und anderer auf die Verhütung oder die Aufdeckung von Straftaten sowie entsprechende Ermittlungen spezialisierter Strafverfolgungsbehörden. Nach Art. 87 Abs. 2 AEUV können das Europäische Parlament und der Rat Maßnahmen erlassen, die Folgendes betreffen:

1 Vgl. hierzu ausführlich Ambos, Internationales Strafrecht5, § 9 Rz. 25 2 Zu den Grundlagen vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 1 ff. 3 Zum Ganzen Mansdörfer, HRRS 2010, 15.

Peters | 345

10.9

Kap. 10 Rz. 10.9 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

– Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen sachdienlicher Informationen;1 – Unterstützung bei der Aus- und Weiterbildung von Personal sowie Zusammenarbeit in Bezug auf den Austausch von Personal, die Ausrüstungsgegenstände und die kriminaltechnische Forschung; – gemeinsame Ermittlungstechniken zur Aufdeckung schwerwiegender Formen der organisierten Kriminalität.

10.10

Von ebenso großer Bedeutung als Rechtsgrundlage ist das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ).2 Das SDÜ trat am 1.9.19933 in Kraft und wurde am 26.3.1995 zunächst in den Staaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien umgesetzt. In den Staaten Bulgarien, Dänemark, Estland, Griechenland, Italien, Irland, Island, Lettland, Litauen, Malta, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und im Vereinigten Königreich trat das SDÜ jeweils durch Ratifizierung oder Beitritt zur EU in Kraft. Das SDÜ wurde nicht vollständig von allen „Schengen-Staaten“ übernommen. Vielmehr besteht eine Vielzahl an Ausnahmeklauseln und nationalen Sonderregelungen.

10.11

Die Rechtsgrundlage für die polizeiliche Zusammenarbeit ist in Art. 39 ff. SDÜ normiert. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich insbesondere, dass die Polizei sich untereinander nach Maßgabe des nationalen Rechts und ihrer jeweiligen Zuständigkeit im Interesse der vorbeugenden Bekämpfung und der Aufklärung von strafbaren Handlungen Hilfe leistet (Art. 39 Abs. 1 SDÜ). Art. 40 SDÜ normiert die grenzüberschreitende Observation und Nacheile in den in Art. 40 Abs. 7 SDÜ benannten Fällen. Die Steuerhinterziehung fällt nicht darunter.

10.12

Das deutsche IRG i.V.m. den RiVASt zeigt in praktischer Hinsicht auf, welche Möglichkeit der internationalen Rechtshilfe bestehen. Auch wenn den RiVASt als bloßen Richtlinien keine Gesetzeswirkung zukommt, legen die Richtlinien fest, welche internationalen Rechtsbräuche bestehen und zu beachten sind.4 Die RiVASt sind freilich von erheblicher praktischer Bedeutung.

10.13

Die (eingehende) Rechtshilfe im (steuer-)strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vollzieht sich im Wesentlichen auf Grundlage der eingangs erwähnten Rechtsgrundlagen, also im Wesentlichen anhand des IRG und des EuRhÜbk nebst Zusatzprotokoll vom 16.10.2001.5 Hinzu 1 RB-Informationsaustausch = Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89); vgl. auch Gesetz zur Verbesserung des Austauschs von strafregisterlichen Daten zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und zur Änderung registerrechtlicher Vorschriften v. 15.12.2011, BGBl. I 2011, 2714, beruhend auf dem Beschluss 2009/316/JI des Rates v. 6.4.2009 zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS) gem. Art. 11 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI (Standardisiertes Austauschverfahren mit automatischen Übersetzungen auf der Grundlage einer Kategorisierung von Straftatbeständen und Sanktionen), ABl. EU 2009 Nr. L 93, 33. 2 Übereinkommen v. 19.6.1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen v. 14.6.1985, BGBl. II 1993, 1013; vgl. auch www.auswaertiges-amt.de. 3 BGBl. II 1994, 631 ff. 4 OLG Saarbrücken v. 13.11.2009 – 1 Ws 2007/09, Rz. 13. 5 Zu den bilateralen Übereinkommen über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen vgl. auch die Aufstellung bei Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 140 f.

346 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.16 Kap. 10

kommen das EuGeldwäscheÜbk und das Strafrechtsübereinkommen vom 27.1.1999 gegen Korruption (EuAntiKorruptionsÜbk).1 Insbesondere das ZP-Eu-RhÜbk verpflichtet die EUMitgliedstaaten zur Rechtshilfe bei Auskunfts- und Überwachungsersuchen zu Bankkonten und Bankgeschäften, sodass die Berufung auf ein Bankgeheimnis ausgeschlossen ist. Anwendung findet das Protokoll im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten, abgesehen von Estland, Griechenland, Italien und Irland. Bei diesen Staaten verbleibt es bei der Regelung des Art. 50 SDÜ, wonach Rechtshilfe im Bereich der indirekten Steuern (Verbrauchsteuern, Mehrwertsteuer und Zölle) geleistet wird. Der wesentliche Unterschied zur Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen besteht darin, dass die Rechtshilfe in Strafsachen auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen wie Vernehmung, Durchsuchung, Beschlagnahme, grenzüberschreitende Observationen, grenzüberschreitende Nacheile und die Vollstreckung von Haftbefehlen beinhaltet.2

10.14

Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) verhält sich in erster Linie zur Unterstützung eines ausländischen Strafverfahrens.3 Es regelt im ersten und zweiten Teil den Anwendungsbereich sowie die Auslieferung an das Ausland (§§ 1 – 42 IRG). Im dritten Teil ist die sog. Durchlieferung zur Vollstreckung einer verhängten Strafe oder Sanktion geregelt. Der vierte Teil regelt die Rechtshilfe durch Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse, wonach Rechtshilfe auch für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit durch Vollstreckung einer im Ausland rechtskräftig verhängten Strafe oder sonstigen Sanktion geleistet werden kann (§ 48 IRG). Erst im fünften, sechsten und siebten Teil finden sich Regelungen zur sonstigen Rechtshilfe in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Viele Länder halten gleichartige Gesetze bereit, etwa das österreichische ARHG oder das schweizerische Gesetz zur Rechtshilfe, die sich zum Teil explizit zur Rechtshilfe in Steuerstrafsachen verhalten.

10.15

Die Rechtshilfe ist ferner geregelt in internationalen und bilateralen Vereinbarungen. Teils findet jedoch auch vertraglose Rechtshilfe statt. Praxisrelevant sind zum einen die Übereinkommen des Europarats, die neben den 47 Mitgliedstaaten auch von Nicht-Mitgliedstaaten gezeichnet werden. Ein Überblick über sämtliche Verträge, die beteiligten Vertragsstaaten und den entsprechenden Ratifizierungsstand findet sich auf den Internetseiten des Europarates (www.coe.int). Die Vorschriften des IRG sind subsidiär, wenn und soweit multilaterale oder bilaterale völkerrechtliche Vereinbarungen über zwischenstaatliche Rechtshilfe bestehen. Entscheidend für die Subsidiarität ist die Reichweite der jeweiligen völkerrechtlichen Vereinbarung.4

10.16

1 Hinsichtlich sämtlicher infrage kommender Rechtsquellen nebst bilateraler Vereinbarungen, Rechtshilfeverträge, OECD Abkommen, und Abkommen sei auf S/L6 verwiesen. 2 Zum Ganzen vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 – 66/06, BStBl. I 2006, 689; Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) v. 23.1.2014 – IV B 6 – 1320/07/010011:011, BStBl. I 2014, 188; Merkblatt zum internationalen Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001, BStBl. I 2018, 1122. 3 Ergänzt wird das IRG durch die in der Praxis besonders relevanten Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt), die einen verbindlichen Leitfaden für die Bearbeitung von Rechtshilfevorgängen darstellen; vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/ Schmitt5, Kap. 25 Rz. 38 f. 4 OLG Köln v. 20.6.2003 – Ausl 152/03, NStZ-RR 2003, 339 (340).

Peters | 347

Kap. 10 Rz. 10.17 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

10.17

Praxishinweis: Die vertragliche Grundlage und die einschlägigen Rechtsgrundlagen und Möglichkeiten der Rechtshilfe finden sich überwiegend bereits im sog. Länderteil der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt).1 Auf der Homepage des Bundesjustizministeriums kann das jeweilige Land mittels Suchfunktion ermittelt werden. Sodann werden die vertraglichen Grundlagen und zu beachtenden Besonderheiten dargestellt. Wegen der teilweise zu beachtenden länderspezifischen Besonderheiten im Hinblick auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung oder etwaiger Fiskalvorbehalte sind die Verweise innerhalb der Übersichten auf womögliche Fiskalvorbehalte besonders zu beachten. Von besonderer praktischer Bedeutung sind auch die dort enthaltenen Anlagen und Vorstücke.

3. Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbk) 10.18

Das EuRhÜbk vom 20.4.1959 wird ergänzt durch das 1. Zusatzprotokoll vom 17.3.1978 (1. ZP-EuRhÜbk), das 2. Zusatzprotokoll vom 8.11.2001 (2. ZP-EuRhÜbk) sowie durch bilaterale Verträge. Das EuRhÜbk begründet die Verpflichtung, einander soweit wie möglich Rechtshilfe zu leisten. Reichweite und Schranken ergeben sich unmittelbar aus den Bestimmungen des Übereinkommens, aus den beiden Zusatzprotokollen (ZP-EuRhÜbk), aus Vorbehalten und Erklärungen einzelner Unterzeichnerstaaten zum EuRhÜbk bzw. zu den ZPEuRhÜbk und ggf. aus bilateralen Zusatzverträgen oder -vereinbarungen. Eine für das Internationale Steuerstrafrecht bedeutsame Ausnahmeregelung enthält Art. 2 EuRhÜbk. Danach kann Rechtshilfe verweigert werden, wenn sich ein Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die als Fiskalstraftaten angesehen werden (Fiskalvorbehalt). Rechtshilfe in Fiskalsachen muss nur geleistet werden, wenn und soweit dies in Zusatzverträgen oder -vereinbarungen zum EuRhÜbk ausdrücklich vorgesehen ist. Das EuRhÜbk wird spätestens ab 2017 durch die Europäische Ermittlungsanordnung ersetzt (hierzu Rz. 6.170 ff.).

4. Übereinkommen vom 29.5.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RhÜbk) und Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) 10.19

Der Sinn und Zweck des EU-RhÜbk vom 29.5.2000 besteht darin, im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten der EU die Anwendung des EuRhÜbk vom 20.4.1959 und dessen 1. Zusatzprotokolls zu erleichtern und bestimmte Regelungen des SDÜ zu ersetzen. Im Protokoll vom 16.10.2001 zum EU-RhÜbk (ZP-EURhÜbk) wurde der Fiskalvorbehalt aufgegeben. Darüber hinaus haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, Auskünfte über Bankkonten im Rahmen der Rechtshilfe in Strafsachen zu erteilen. Ein nach nationalem Recht bestehendes Bankgeheimnis darf der Beantwortung nicht entgegenstehen. Daneben bleiben jedoch weitergehende bi- oder multilaterale Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten bzw. den SchengenStaaten anwendbar (Art. 1 Abs. 2 EU-RhÜbk bzw. Art. 48 Abs. 2 SDÜ).

10.20

Das EU-RhÜbk schafft eine Grundlage für eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und trägt zur Vereinheitlichung des Rechtsraums bei. Die Erledigung von Rechtshilfeersuchen ist danach nicht mehr vom Recht des ersuchten Staates abhängig, sondern folgt den Regeln des ersuchenden Staates. Erstmals sind auch Vorschriften zur Überwachung der grenzüberschreitenden Telekommunikation normiert.

1 http://www.bmj.de/DE/Service/StatistikenFachinformationenPublikationen/Fachinformationen/ RiVASt/_node.html oder www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de.

348 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.22 Kap. 10

5. Europäisches Auslieferungsübereinkommen Das EuAlÜbk des Europarates vom 13.12.19571 bildet die Basis für das europäische Auslieferungsrecht. Es begründet Verpflichtungen zur Auslieferung verfolgter Personen zur Strafverfolgung, zur Strafvollstreckung sowie zur Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung. Ergänzt wird das EuAlÜbk durch das 1. Zusatzprotokoll vom 15.10.1975 („ZPEuAlÜbk“) und das 2. Zusatzprotokoll vom 17.3.1978 („2. ZP-EuAlÜbk“). Das 2. ZP-EuAlÜbk ist am 5.6.1983 in Kraft getreten und ersetzt im Rahmen seines Geltungsbereichs die Regelung des Art. 5 EuAlÜbk durch Art. 2 2. ZP-EuAlÜbk, der sich auf die Auslieferung bei fiskalisch strafbaren Handlungen bezieht. Eine Definition der fiskalischen Handlung existiert nicht. Am 10.3.1995 wurde das Übereinkommen für das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten („EU-VereinfAuslÜbk“) beschlossen, welches insbesondere zu einer Beschleunigung in den Fällen führt, in denen der Beschuldigte zustimmt.2

10.21

Übereinkommen vom 27.9.1996 aufgrund von Art K.3 des Vertrags der Europäischen Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EU-AuslÜbk).

6. Weitere Rechtsquellen Hervorzuhebende Rechtsquellen und Fundstellen im Hinblick auf das Internationale Steuerstrafrecht sind ferner: – Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG); – Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen vom 3.4.2014 (RL-EEA);3 – Rahmenbeschluss über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 18.12.2006 (RBInfA);4 – SDÜ5 nebst SIS (Schengen Informationssystem); – Deutsche Erklärung zu Art. 24 EuRhÜbk;6 – 1. ZP-EuRhÜbk;7 – 2. ZP-EuRhÜbk;8 – EU-RhÜbk;9 – ZP-EU-RhÜbk;10

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1976, 1778; BGBl. I 1982, 2071; BGBl. II 1994, 299. BGBl. II 1998, 2229. ABl. EU 2014 Nr. L 130, 1. ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89; ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26. Übereinkommen v. 19.6.1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen v. 14.6.1985, BGBl. II 1993, 1013; vgl. auch www.auswaertiges-amt.de. BGBl. II 1976, 1799. BGBl. II 1990, 124; BGBl. II 1991, 909; SEV-Nr. 099. SEV-Nr. 182. BGBl. II 2005, 650; ABl. EU 2005 Nr. C 197, 1. BGBl. II 2005, 661; ABl. EU 2005 Nr. C 326, 2.

Peters | 349

10.22

Kap. 10 Rz. 10.22 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

– Bilaterale Abkommen auf dem Gebiet der Amts- und Rechtshilfe: BMF-Schreiben vom 11.1.2006;1 – IRG;2 – RiVASt;3 – RiVASt Anhang II (Länderteil); – Zuständigkeitsvereinbarung 2004;4 – Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen vom 29.5.2019;5 – Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) vom 23.1.2014;6 – Merkblatt zum internationalen Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen v. 9.10.2018;7 – BMF-Schreiben vom 16.11.2006 (Zwischenstaatliche Rechtshilfe in Steuerstrafsachen);8 – Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates vom 18.12.2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung im Strafverfahren (RB-Beweisanordnung);9 – Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (RB-Informationsaustausch);10 – Beschluss 2009/316/JI des Rates vom 6.4.2009 zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS) gem. Art. 11 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI (Standardisiertes Austauschverfahren mit automatischen Übersetzungen auf der Grundlage einer Kategorisierung von Straftatbeständen und Sanktionen;11 – Übereinkommen vom 17.12.1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr;12

1 BMF v. 11.1.2006 – IV B 5 - S 1301 – 1/06, BStBl. I 2006, 85. 2 BGBl. I 1994, 1537; zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 22.7.2005, BGBl. I 2005, 2189. 3 Bundesanzeiger (BAnz.) Nr. 176 v. 18.9.1984 i.V.m. der Beilage 47/84 und BAnz. Nr. 40a v. 27.2.1993; nebst Länderteil und Anlagen abrufbar unter http://www.bmj.de/DE/Service/StatistikenFachinfaormationenPublikationen/Fachinformationen/RiVASt/_node.html; vgl. hierzu Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 84 f. 4 BAnz. v. 29.5.2004, 11.494. 5 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480. 6 BMF v. 23.1.2014 – IV B 6 - S 1320/07/010011:011, BStBl. I 2014, 188. 7 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001, BStBl. I 2018, 1122. 8 BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 – 66/06, BStBl. I 2006, 689. 9 ABl. EU 2008 Nr. L 350, 72. 10 ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89. 11 ABl. EU 2009 Nr. L 93, 33; vgl. auch Gesetz zur Verbesserung des Austauschs von strafregisterlichen Daten zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und zur Änderung registerrechtlicher Vorschriften v. 15.12.2011, BGBl. I 2011, 2714. 12 BGBl. II 1998, 2325 (2327); BGBl. II 1999, 87; aktueller Ratifikationsstand s. unter http://www. oecd.org/dataoecd/59/13/40272933.pdf.

350 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.24 Kap. 10

– Übereinkommen vom 8.11.1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten;1 – FATCA/Musterabkommen zur Bekämpfung der Steuerkriminalität v. 31.5.2013;2 – Verpflichtung, von den im Staatsgebiet ansässigen Finanzinstituten die Informationen über für US-Kunden geführte Konten zu erheben und den US-Behörden zur Verfügung zu stellen; – Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen (Rz. 6.538).3 Die RB-Sicherstellung und Einziehung werden hierdurch bzgl. der betroffenen Mitgliedstaaten ersetzt. – Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Regeln für die Bestellung von Vertretern zu Zwecken der Beweiserhebung in Strafverfahren vom 17.4.2018.4 – Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen (EPOC-VO).5

7. Verhältnis der Amtshilfe in Steuersachen zur Rechtshilfe in Strafsachen Von der zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ist die zwischenstaatliche Amtshilfe6 zu unterscheiden, wie sie eingangs dargestellt wurde. Wird die Finanzbehörde als Strafverfolgungsbehörde in einem Steuerstrafverfahren tätig, sind die entsprechenden strafprozessualen Maßnahmen – wie z.B. Durchsuchung, Beschlagnahme und Zeugenvernehmung – nach den Regeln über die zwischenstaatliche Rechtshilfe in Strafsachen durchzuführen. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Steuerstrafverfahren ist aufgrund der Doppelfunktionalität untrennbarer Bestandteil dieses Verfahrens. Die Ermittlungsergebnisse des Steuerstrafverfahrens können daher – in der Regel – unmittelbar im Besteuerungsverfahren verwendet werden.

10.23

Ebenso können auch noch nach Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens Auskünfte auf dem Amtshilfeweg zum Zweck der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unter Beachtung des § 393 Abs. 1 AO eingeholt und erteilt werden. Rechtsgrundlage hierfür bilden die Doppelbesteuerungsabkommen mit großer Auskunftsklausel, bilaterale Amtshilfe-Verträge, die EG-Amtshilfe-Richtlinie sowie die Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 vom 7.10.2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 (zu den Rechtsgrundlagen vgl. auch Rz. 9.9 ff.).

10.24

1 BGBl. II 1998, 519 (520); BGBl. II 1999, 200; aktueller Ratifikationsstand (SEV-Nr. 141) s. unter http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeTraites.asp?CM=8&CL=GER. 2 BGBl. II 2013, 1362. 3 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32018R1805&from=EN; vgl. hierzu https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-europa/2017/ mai/stellungnahme-der-brak-2017-27.pdf. 4 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52018PC0226&from=EN. 5 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A52018PC0225. 6 Vgl. Rz. 9.9 ff.; zum Ganzen Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.53 ff.; Hendricks, Internationale Amtshilfe in Steuerverfahren.

Peters | 351

Kap. 10 Rz. 10.25 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

10.25

Der praktische Unterschied ist erheblich: Die Gewährung von zwischenstaatlicher Amtshilfe durch Informationsaustausch, auch im Rahmen einer gleichzeitigen Prüfung, stellt einen Eingriff in die Rechte des betroffenen inländischen Beteiligten dar.1 Zwar ist eine Anhörung des Beteiligten bei der Inanspruchnahme steuerlicher Amtshilfe nicht vorgesehen; rechtliches Gehör soll indes gewährt werden, wenn das Auskunftsersuchen Informationen enthält, die für den Betroffenen im anderen Staat zu einem Eingriff in seine rechtlich geschützte Sphäre führen könnten.

10.26

Bei einem strafrechtlichen Rechtshilfeersuchen findet naturgemäß keine vorherige Anhörung statt, um den Zweck der Maßnahme nicht zu gefährden.2

10.27

In seinem Merkblatt vom 29.5.2019 unterscheidet das Bundesfinanzministerium zunächst ausdrücklich zwischen der Amtshilfe in Steuersachen und der Rechtshilfe in Steuerstrafsachen. Zwischenstaatliche Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ist nach Auffassung des BMF jede Unterstützung, die für ein Steuerstrafverfahren beansprucht oder gewährt wird, unabhängig davon, ob das Verfahren von einem Gericht oder einer Behörde betrieben wird und ob die Rechtshilfehandlung von einem Gericht oder einer Behörde durchgeführt werden soll.3

10.28

Auch nach Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens sollen nach Auffassung des BMF jedoch noch Auskünfte auf dem Amtshilfeweg zum Zweck der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unter Beachtung des § 393 Abs. 1 AO eingeholt und erteilt werden können.4 Dem BMF-Schreiben folgend können die so erlangten Erkenntnisse unter Berufung auf § 4 Abs. 1 EGAHiG auch unmittelbar für das Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren verwendet werden.5

10.29

Dies bedarf der Klarstellung. Die Auskünfte dürfen dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 EGAHiG folgend nur dann in einem gerichtlichen Verfahren oder in einem Straf- oder Bußgeldverfahren für Zwecke dieser Verfahren unmittelbar an diesen Verfahren beteiligten Personen offenbart werden, wenn diese Verfahren im Zusammenhang mit der Steuerfestsetzung oder der Überprüfung der Steuerfestsetzung stehen. Eine generelle Verwendung ist daher mitnichten

1 Zum überdies geltenden Subsidiaritätsprinzip vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.64. Zwischenstaatliche Amtshilfe durch einen anderen Staat kann nur verlangt werden, wenn die deutsche Finanzverwaltung die Tatsachen nicht selbst ermitteln kann, wenn benötigte Beweismittel sich tatsächlich im Besitz des ersuchten Staates befinden und wenn sie die entsprechenden Sachverhaltsaufklärungsmaßnahmen nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als der ersuchte Staat (vgl. auch § 112 AO). Vgl. auch Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 4.1.2. 2 Vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320-66/06, Tz. 2.7, BStBl. I 2006, 698. 3 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 – S 1320/07/10004:008 – BStBl. I 2019, 480, Rz. 1.2 unter Verweis auf das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen, BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320-66/06, BStBl. I 2006, 698. 4 BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320-66/06, Tz. 1.3, BStBl. I 2006, 698, wobei als Grundlage auf Doppelbesteuerungsabkommen mit großer Auskunftsklausel, bilaterale Amtshilfeverträge, die EG-Amtshilfe-Richtlinie und die Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 v. 7.10.2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 abgestellt wird. 5 So bereits BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320-66/06, Tz. 1.3, BStBl. I 2006, 698.

352 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.32 Kap. 10

möglich. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass wenn die Steuerfestsetzung bereits abgeschlossen ist, eine Verwendung der im Wege der Amtshilfe erlangten Informationen im Steuerstrafverfahren nicht mehr möglich ist. Einen Vorrang der Rechtshilfe in Strafsachen erkennt das BMF, wenn die Finanzbehörde ausschließlich als Strafverfolgungsbehörde in einem Steuerstrafverfahren zur Ermittlung einer Steuerstraftat (§ 386 Abs. 2, § 399 Abs. 1, § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) oder als zuständige Verwaltungsbehörde in einem Bußgeldverfahren zur Ermittlung einer Steuerordnungswidrigkeit (§§ 409, 410, 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) tätig wird.1 In diesem Fall sind Auskünfte nach den Regeln über die zwischenstaatliche Rechtshilfe in Strafsachen einzuholen bzw. Ermittlungen aufgrund eines ausländischen Rechtshilfeersuchens nur nach den straf- und bußgeldrechtlichen Vorschriften vorzunehmen.2 Hierdurch sollen Verwertungsverbote vermieden werden. Das gilt nach Ansicht des BMF namentlich für die Durchsuchung von Personen und Räumen, die Beschlagnahme von Beweismitteln und die Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen. Die Ermittlungsergebnisse des Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens können nach Ansicht des BMF in der Regel unmittelbar im Besteuerungsverfahren verwendet werden.3

10.30

Dies steht im Einklang mit der Regelung des § 397 AO, da ein Strafverfahren bereits eingeleitet ist, sobald die Finanzbehörde, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, eine ihrer Ermittlungspersonen oder der Strafrichter eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen. Die Maßnahme ist gem. § 397 Abs. 2 AO zudem unter Angabe des Zeitpunkts unverzüglich in den Akten zu vermerken. Ab diesem Zeitpunkt wird ein Strafverfahren geführt, für welches die einschlägigen strafrechtlichen Rechtsgrundlagen heranzuziehen sind.

10.31

Ermittelt die Finanzbehörde zunächst nur in rein steuerlicher Hinsicht, ist ab dem Zeitpunkt, ab dem ein Anfangsverdacht nach den oben genannten Kriterien zu bejahen ist, eine Abgabe an die Straf- und Bußgeldsachenstelle geboten. Die Finanzbehörde hat bei Vorliegen eines Anfangsverdachts auch im reinen Auskunftsersuchen auf das im deutschen Recht bestehende Verbot, im Besteuerungsverfahren Zwangsmittel gegen den Steuerpflichtigen zu verwenden, hinzuweisen.4 Mit Bejahung eines Anfangsverdachts sind insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten vielfach nicht mehr nur inländische Rechtsgüter betroffen, sondern es gilt einen womöglichen ausländischen Sanktionsanspruch und die entsprechende staatliche Souveränität zu berücksichtigen. Diesem Umstand gilt es Rechnung zu tragen.

10.32

1 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 – S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 1.2 unter Verweis auf das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen v. 16.11.2006, BStBl. I 2006, 698. 2 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 – S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 1.2 unter Verweis auf das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen v. 16.11.2006, BStBl. I 2006, 698. 3 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 – S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 1.2 unter Hinweis auf Tz. 6.4 des Merkblatts zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen v. 16.11.2006, BStBl. I 2006, 698; hinsichtlich Ausnahmen zur Schweiz vgl. Rz. 10.142. 4 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6 – S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 1.2.

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Kap. 10 Rz. 10.32 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) Beispiel: Im Rahmen der Außenprüfung werden bei der X-GmbH überhöhte Provisionszahlungen ins Ausland festgestellt, aus denen sich bereits wegen der Höhe der Verdacht einer Strafbarkeit nach § 299 Abs. 2 StGB ergibt.1 Der Geschäftsführer A benennt die Zahlungsempfänger nicht und macht auch sonst keine weiteren Angaben. Eine Abgabe an die Straf- und Bußgeldsachenstelle erfolgt nicht. Das Finanzamt versagt gem. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG den Abzug als Betriebsausgabe vorrangig unter Hinweis auf die ungewöhnliche Höhe der Provision und erlässt insoweit geänderte Bescheide. Hiergegen wendet sich A. Er sieht den objektiven Tatbestand einer rechtswidrigen Handlung als nicht erfüllt und bestreitet insbesondere das Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung vehement. Zudem trägt er vor, dass es an einer konkreten Bevorzugung fehle. Nunmehr leitet die Finanzbehörde den Vorgang der Straf- und Bußgeldsachenstelle zu und versucht auf dem Amtshilfeweg – ohne vorherige Anhörung – nähere Auskünfte zu den in Rede stehenden Zahlungen und Zahlungsempfängern zu erlangen.

III. Begrifflichkeiten 10.33

Die internationale Rechtshilfe findet stets im Dreiklang von betroffenem Bürger, betroffenen Staaten und den betroffenen übernationalen Institutionen statt. Horizontale Rechtshilfe findet zwischen gleichrangigen Staaten statt. Vertikale Rechtshilfe ist solche, die zwischen einer inter- oder supranationalen Einrichtung und einem Staat erfolgt. Voraussetzung einer jeden Rechtshilfe ist stets das Vorhandensein eines völkerrechtlichen Vertrags. Die Verpflichtung zur Rechtshilfe gegenüber supranationalen Instituten ergibt sich aus deren Einrichtung und Beteiligung des jeweiligen Staates daran. Grundgedanke der Rechtshilfe ist in jedem Fall, dass der Beschuldigte oder Zeuge nicht besser oder schlechter gestellt werden darf, nur weil die Strafverfolgung über die Grenzen hinweg unter Beteiligung mehrerer Staaten erfolgt. Von „großer Rechtshilfe“ spricht man gem. § 59 IRG, wenn die Auslieferung des Beschuldigten/ Verurteilten in Rede steht. Die sonstige Rechtshilfe wird gemeinhin als „kleine Rechtshilfe“ bezeichnet und betrifft den Personal- oder Sachbeweis im Strafverfahren. Innerhalb der Rechtshilfe wird unterteilt in den sog. Auslieferungsverkehr, die sonstige Rechtshilfe und den Vollstreckungshilfeverkehr.2

IV. Grundprinzipien der Rechtshilfe 1. Überblick 10.34

Es ist stets von Amts wegen zu prüfen,3 ob die materiellen Unterstützungsvoraussetzungen vorliegen und Rechtshilfehindernisse nicht entgegenstehen.4 Die wichtigsten Prinzipien sind hierbei: – der Grundsatz der Gegenseitigkeit (Reziprozität); – das Erfordernis der beiderseitigen Straf- und Verfolgbarkeit; – der Spezialitätsgrundsatz (vgl. hierzu die Ausführungen zum Europäischen Haftbefehl, Rz. 6.364); 1 Zu einer gleichgelagerten Konstellation vgl. FG Nürnberg v. 3.5.2012 – 5 V 294/11, PStR 2012, 216. 2 Zum Ganzen auch Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, 35; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 9 ff. 3 Vgl. die Checkliste bei Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 24 f. 4 BVerfG v. 9.3.1983 – 2 BvR 315/83, BVerfGE 63, 332 (337); BVerfG v. 9.11.2000 – 2 BvR 1560/00, NStZ 2001, 203 (204); BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442); Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, 34.

354 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.37 Kap. 10

– der Grundsatz des ordre public;1 – entgegenstehende Rechtshilfehindernisse.

2. Grundsatz der Gegenseitigkeit Nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit, der insbesondere im Bereich der vertragslosen Rechtshilfe zum Tragen kommt, muss dem ersuchenden Staat die Versicherung abverlangt werden, dem ersuchten Staat im gleichen Umfang Unterstützung zu gewähren.

10.35

3. Erfordernis der Reziprozität Das Erfordernis der Reziprozität ist eine besondere Ausprägung des Gegenseitigkeitsprinzips. Auslieferung und Vollstreckungshilfe hängen danach davon ab, dass die Tat nach dem Recht beider Staaten strafbar und verfolgbar ist.2 Entschuldigungs- oder Strafaufhebungsgründe bleiben außer Betracht. Eine in Deutschland wirksam abgegebene Selbstanzeige oder eine Erklärung nach einem Amnestiegesetz entfalten daher im Falle eingehender wie ausgehender Ersuchen grundsätzlich keine Sperrwirkung, sondern sind erst auf der Ebene des transnationalen ne bis in idem zu berücksichtigen (s. Rz. 4.1 f.). Für die beiderseitige Strafbarkeit ist ausreichend, wenn die Tat bei sinngemäßer Betrachtung des Sachverhalts den Anforderungen des Rechts des ersuchten Staates entspricht.3 Dies ist bei der Steuerhinterziehung regelmäßig der Fall und führt nur in Einzelfällen zu Besonderheiten, etwa im Hinblick auf die Schweiz, die zwischen Steuerhinterziehung und Abgabenbetrug unterscheidet.

10.36

4. Spezialitätsgrundsatz Nach dem Spezialitätsgrundsatz ist die Verfügungsgewalt des ersuchenden Staates auf die der rechtshilferechtlichen Bewilligung zugrunde liegende Tat beschränkt.4 Bei ausgehenden Ersuchen bestimmt sich dies über § 72 IRG. Der Spezialitätsgrundsatz ist nur im Auslieferungsverkehr gewohnheitsrechtlich anerkannt.5 Die Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung lässt den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen. Ein aus dem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz resultierendes Verfahrenshindernis führt nicht zur Nichtigkeit eines Ur-

1 Art. 6 EGBGB, Öffentliche Ordnung (ordre-public): “Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“; vgl. auch BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442). 2 Vgl. §§ 2, 3 Abs. 1 IRG, Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 23. 3 Näher hierzu Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, 35. Vgl. auch die Deliktsgruppen im Sinne des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates v. 22.7.2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, bei denen keine Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt, wenn sie im Entscheidungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind. 4 Zu den möglichen Auswirkungen etwa im Hinblick auf Rechtshilfeersuchen in die Schweiz vgl. BVerfG v. 8.6.2010 – 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08 – Fall Schreiber/Thyssen, NJW 2011, 591; vgl. hierzu auch die Ausführungen zum EuHB Rz. 6.356 ff. 5 BVerfG v. 8.6.2010 – 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08, NJW 2011, 591 unter Verweis auf BVerfG v. 25.3.1981 – 2 BvR 1258/79, BVerfGE 57, 9, 27.

Peters | 355

10.37

Kap. 10 Rz. 10.37 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

teils.1 Sofern ein Strafverfahren unter Verstoß gegen das sich aus dem Spezialitätsgebot ergebende Verfahrenshindernis geführt wurde, ist eine Wiederholung des (gerichtlichen) Strafverfahrens nicht erforderlich. Verfahrenshindernisse, auch ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz, können noch im Revisionsverfahren behoben werden.2 Das Hindernis kann dabei sowohl durch eine nachträgliche Bewilligung des ersuchenden Staates3 als auch durch einen Verzicht behoben werden. Weder der Angeklagte noch der ausliefernde Staat können einseitig die nachträgliche Beseitigung des Verfahrenshindernisses verhindern.

5. Grundsatz des ordre public 10.38

Eine Rechtshilfehandlung verstößt gegen den ordre public, wenn der ersuchte Staat dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde (vgl. auch § 73 IRG). Die Ächtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gehört zum festen und unabdingbaren Bestand des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (vgl. Art. 3 EMRK und Art. 7 IPBPR).4 Ebenso kann die Auslieferung zur Verhängung oder Vollstreckung einer an sich zulässigen Strafe gegen den ordre public verstoßen und unzulässig sein, wenn konkret zu besorgen ist, dass die zu erwartende oder verhängte Strafe im ersuchenden Staat in einer den Erfordernissen des Art. 3 EMRK nicht entsprechenden Weise vollstreckt werden würde.5 Der Grundsatz des ordre public steht ferner dann entgegen, wenn die Rechtshilfe im Falle der Gewährung wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (vgl. auch § 73 IRG).6 Praktische Auswirkungen hat dies vornehmlich im Bereich der Auslieferung, etwa wenn die rechtlichen Mindeststandards im ersuchenden Land infrage stehen. In keinem Fall, insbesondere im europäischen Raum, darf eine Straftat mit Auslandsbezug zu einer Besser- oder Schlechterstellung des Beschuldigten führen.

V. Kompetenzen 10.39

Die Rechtshilfe als Teil der Pflege der Beziehungen zu ausländischen Staaten obliegt nach Art. 34 GG originär dem Bund. Über ausländische Rechtshilfeersuchen und über die Stellung von Ersuchen an ausländische Staaten um Rechtshilfe entscheidet gem. § 74 IRG das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und mit anderen Bun-

1 BGH v. 9.2.2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 = NJW 2012, 1301; zu einem möglichen Verwertungsverbot vgl. BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, HFR 2005, 477; BGH v. 10.1.2007 – 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit kritischer Anm. Lagodny, der moniert, dass sich sämtliche Instanzen über den durch die Schweiz formulierten Spezialitätsvorbehalt hinweggesetzt hätten. Vgl. hierzu im Nachgang die Entscheidung BVerfG v. 8.6.2010 – 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08, NJW 2011, 591. Zu einem Beweisverwertungsverbot bei sonstiger Rechtshilfe auch BFH v. 21.6.1989 – X R 20/88, NJW 1990, 2492. 2 BGH v. 12.12.2000 – 4 StR 464/00, NJW 2001, 836; BGH v. 9.2.2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 = NJW 2012, 1301. 3 Schomburg/Hackner in S/L6, § 72 IRG Rz. 15, wobei dem Beschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren ist. 4 BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442); Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, 34. 5 BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442). 6 Vgl. hierzu BVerfG v. 26.1.1982 – 2 BvR 856/81, BVerfGE 59, 280 (282); BVerfG v. 23.2.1983 – 1 BvR 990/82, BVerfGE 63, 197 (206 ff.); BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvR 2/86, BVerfGE 75, 1 (19).

356 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.40 Kap. 10

desministerien, deren Geschäftsbereich von der Rechtshilfe betroffen wird. Die zuständigen Bundesministerien können die Ausübung ihrer Befugnisse auf nachgeordnete Bundesbehörden übertragen. Über Ersuchen nach den Unterabschnitten 2 und 3 von Abschnitt 2 des Neunten Teils des IRG entscheidet das Bundesamt für Justiz, Bonn. Vielfach sind die Befugnisse auf die Landesbehörden übertragen, welche wiederum die Befugnisse auf Gerichte und Staatsanwaltschaften übertragen haben. Unterschieden wird dabei stets zwischen der Bewilligungsbehörde, der Prüfungsbehörde und der Vornahmebehörde. Davon zu trennen sind die sog. Geschäftswege (vgl. hierzu Nr. 5 RiVASt).

VI. Praktische Aspekte Die Rechtshilfe auf europäischer Ebene ist in tatsächlicher Hinsicht gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft der beteiligten Behörden. Nur in seltenen Ausnahmefällen kommt es zur Verweigerung des ausgehenden Ersuchens oder eine Antwort unterbleibt gänzlich; vielmehr werden in der Regel ergänzende Angaben oder Präzisierungen gefordert. In der Tat kann jedoch ein Rechtshilfeersuchen gewisse Zeit in Anspruch nehmen und einer zügigen Verfahrensförderung entgegenstehen. Vermehrt ist auch ein kleiner Grenzverkehr im Bereich der Rechtshilfe zu verzeichnen, d.h. ein direkter Kontakt der Strafverfolgungsbehörden untereinander ohne Rechtshilfeersuchen, insbesondere was den deutschsprachigen Raum oder den EUREGIO-Bereich (Deutschland – Niederlande – Belgien) betrifft.1 In keinem Fall sollten Beschuldigte sich jedoch darauf verlassen, aufgrund der Langwierigkeit oder zeitweisen Schwerfälligkeit der internationalen Rechtshilfe nicht belangt zu werden. Immer häufiger werden Fälle bekannt, in denen mit internationalem Haftbefehl gesuchte Beschuldigte, u.a. mithilfe von Beamten des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter gezielt aufgespürt und zur weiteren Strafverfolgung überstellt werden. In derartigen Fällen ist eine Haftverschonung angesichts der bereits manifestierten Fluchtgefahr schwerlich zu erreichen. Daneben bestehen insbesondere im Internationalen Steuerstrafrecht weitere Möglichkeiten, Beschuldigte aus Ländern zu stellen, mit denen kein Auslieferungsübereinkommen besteht oder ein solcher Weg zu mühselig wäre. Beispiel: Der koreanische Staatsangehörige K wird wegen gewerbsmäßigen Betrugs in Deutschland mit internationalem Haftbefehl gesucht, residiert nach Erkenntnissen des FBI in den USA und stellt sich dem Verfahren in Deutschland auf Anraten seiner Berater nicht. Einige Zeit später fliegen die ermittelnden Staatsanwälte zur Überstellung des Beschuldigten nach Deutschland in die USA. Der in Deutschland u.a. wegen Steuerhinterziehung verfolgte Beschuldigte B hält sich in einem Land auf, mit dem kein Auslieferungsübereinkommen existiert. Dies ist anhand seines Profils in den sozialen Medien ersichtlich. Regelmäßig postet er Bilder vom Strand und anderen Freizeitaktivitäten. Die Staatsanwaltschaft initiiert auf Grundlage von §§ 7, 8 PassG die Entziehung des Personalausweises. B hält sich nunmehr illegal in dem entsprechenden Land auf und wird nach informeller Mitteilung der Passentziehung an die örtlichen Behörden in Abschiebehaft genommen.

1 Im Bereich der sog. Euregio existiert die euregionale polizeiliche Verbindungsstelle „EPICC" (Euregio-Police-Info-Cooperation-Center) mit Sitz in Heerlen, wo deutsche, niederländische und belgische Beamte sich einen runden Schreibtisch teilen. Daneben besteht die Niederländisch-Belgisch-Deutsche Arbeitsgemeinschaft der Polizei (NeBeDeAgPol).

Peters | 357

10.40

Kap. 10 Rz. 10.41 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

VII. Internationale und europäische Strafverfolgungsinstitutionen 1. Überblick 10.41

Auf internationaler Ebene stehen mehrere Institutionen zur Verfügung, die jedoch überwiegend die Funktion von koordinierenden Zentralstellen haben, als dass sie originären Ermittlungsbehörden gleichstehen. Eine internationale oder europaweite Institution mit der Aufgabe der Strafverfolgung und Ermittlung existiert – abgesehen von der Europäischen Staatsanwaltschaft, die indes nur bestimmte Delikte verfolgt – angesichts des bislang den Einzelstaaten zustehenden Strafanspruchs nicht.

2. Interpol 10.42

Interpol (Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation – IKPO –) ist eine Vereinigung nationaler Polizeibehörden zur grenzüberschreitenden Verhütung und Verfolgung von Straftaten. Das nationale Zentralbüro in Deutschland ist das Bundeskriminalamt (BKA).1 Das BZSt nimmt Ersuchen ausländischer Interpol-Zentralbüros über das BKA entgegen. Die Steuerfahndungsstellen hingegen sind nicht Mitglied von Interpol; ein unmittelbarer Verkehr zwischen ausländischen Interpol-Zentralbüros und nationalen Steuerfahndungsstellen ist daher nicht zulässig. Ausländische Ersuchen, die über das BKA deutschen Steuerfahndungsstellen zugeleitet werden und die nicht als dringendes Rechtshilfeersuchen anzusehen sind, dürfen daher von diesen nicht beantwortet werden.

3. Europol 10.43

Europol, das Europäische Polizeiamt mit Sitz in Den Haag, Niederlande, wurde 1992 gegründet, um Daten im Zusammenhang mit Straftaten zu erheben, zu speichern, abzugleichen, zu analysieren, auszuwerten und zu übermitteln.2 Ziel der Tätigkeit von Europol ist die Prävention und Bekämpfung organisierter Kriminalität, Terrorismus und anderer Formen schwerer Kriminalität, die im Anhang zum Europol-Beschluss aufgeführt sind, worunter auch Korruption fällt.3 Rechtsgrundlage für Europol ist mittlerweile Art. 88 AEUV.4 Ein Teil der bei Europol arbeitenden Bediensteten wird von den nationalen Strafverfolgungsbehörden (Polizei-, Zoll-, Einwanderungsbehörden usw.) entsandt. Der Verwaltungsrat von Europol setzt sich aus je einem Vertreter der einzelnen EU-Mitgliedstaaten zusammen. Europol soll eine engere und effizientere Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten bei der Verhütung und Bekämpfung der internationalen Kriminalität ermöglichen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche – Drogenhandel, – Schleuserkriminalität, – illegaler Kraftfahrzeughandel, – Menschenhandel, einschließlich Kinderpornografie, 1 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, Rz. 42. 2 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, Rz. 40a ff.; zum Ganzen auch Ambos, Internationales Strafrecht5, § 13 Rz. 4 ff.; Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 357 f. 3 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 13 Rz. 7. 4 Vgl. auch Beschluss des Rates v. 6.4.2009 – 2009/371/JI zur Errichtung des Europäischen Polizeiamtes, ABl. EU 2009 Nr. L 121, 37; umgesetzt durch das Europolgesetz v. 16.12.1007, BGBl. II 1997, 2150.

358 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.46 Kap. 10

– Geldfälscherei und Fälschung anderer Zahlungsmittel, – illegaler Handel mit radioaktiven und nuklearen Substanzen, – Terrorismus.

10.44

Europol unterstützt die Mitgliedstaaten durch: – Erleichterung des Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten der EU, – Bereitstellung operativer Analysen und Unterstützung der Arbeit der Mitgliedstaaten, – Bereitstellung von Fachwissen und technischer Unterstützung zur Durchführung von Ermittlungen und gemeinsamen Maßnahmen innerhalb der EU unter Aufsicht und rechtlicher Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten, – Erstellung strategischer Berichte (z.B. Beurteilung von Bedrohungslagen) und Verbrechensanalysen auf der Grundlage von Informationen und Erkenntnissen der Mitgliedstaaten oder anderer Quellen. Darüber hinaus ist Europol verpflichtet, ein computergestütztes System einzurichten und zu pflegen, das die Speicherung, den Zugang zu und die Analyse von relevanten Daten ermöglicht. Eine gemeinsame Kontrollinstanz, in die jedes EU-Land zwei Datenschutzexperten entsendet, überwacht die bestimmungsgemäße Nutzung der bei Europol vorhandenen personenbezogenen Daten. Europol ist dem Rat „Justiz und Inneres”, d.h. den Justiz- und Innenministern aller EU-Länder, rechenschaftspflichtig. Europol darf operative Maßnahmen nur in Verbindung und in Absprache mit den Behörden des Mitgliedstaates oder der Mitgliedstaaten ergreifen, deren Hoheitsgebiet betroffen ist. Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen bleibt ausschließlich den zuständigen einzelstaatlichen Behörden vorbehalten (Art 88 Abs. 3 AEUV).

10.45

4. Eurojust Eurojust ist die Europäische Einheit für justizielle Zusammenarbeit und als Koordinationsstelle ohne eigene Vollzugsgewalt konzipiert.1 Rechtsgrundlage und Auftrag sind in Art. 85 AEUV niedergelegt. Hauptaufgabe ist die Unterstützung der Koordinierung und Zusammenarbeit der nationalen (Strafverfolgungs-)Behörden im Sinne einer Clearingstelle bzw. Dokumentationsstelle (Art. 85 Abs. 1 AEUV).2 Zu den Aufgaben von Eurojust, die der Konkretisierung durch Verordnungen bedarf, kann nach Art. 85 Abs. 1 Buchst. a AEUV die Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere bei Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, zählen. Die Befugnis zur Vornahme förmlicher Prozesshandlungen verbleibt bei den nationalen Behörden. 1 Vgl. auch Beschluss 2009/426/JI des Rates v. 16.12.2008 zur Stärkung von Eurojust und zur Änderung des Beschlusses 2002/187/JI über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. EU 2009 Nr. L 138; vgl. auch BT-Drucks. 17/8728; Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates v. 28.2.2000 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (Eurojust-Gesetz-EJG) v. 12.5.2004, BGBl. I 2004, 902; hierzu BR-Drucks. 545/03; BT-Drucks. 15/1719; BT-Drucks. 15/ 2484; BT-Drucks. 15/2717; BT-Drucks. 15/2832; BR-Drucks. 255/04; Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 364 f. 2 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 13 Rz. 15; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht6, § 10 Rz. 13; Hecker, Europäisches Strafrecht4, § 5 Rz. 72.

Peters | 359

10.46

Kap. 10 Rz. 10.47 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

10.47

Bei Eurojust tätig sind Staatsanwälte, Richter und Polizeibeamte, die von den jeweiligen Mitgliedstaaten nach Den Haag entsandt werden. Besteht ein Kooperationsabkommen mit einem Drittland, können Verbindungsrichter aus diesem Drittland bei Eurojust arbeiten. Daneben bestehen mit einer Vielzahl von Staaten, u.a. der Schweiz, sog. Agreements oder Memorandi of Understanding, welche die näheren Voraussetzungen und Ausgestaltung des Informationsaustausches regeln.1 Ein für Strafverfolgungsbehörden hilfreiches Handbuch zur Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und zum Informationsaustausch findet sich unter http:// eurojust.europa.eu/doclibrary/JITs/joint-investigation-teams/Pages/jits-framework.aspx; ergänzende Unterlagen finden sich unter http://eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/ej-legal-framework/Pages/ej-decision.aspx.

10.48

Insbesondere die Entsendung amerikanischer Verbindungsrichter führte in der Vergangenheit zur Einleitung deutscher Ermittlungsverfahren aufgrund in den USA anhängiger Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die dortigen Bilanzierungsvorschriften. Beispiele: 1. Die SEC ermittelt gegen das deutsche, in den USA börsennotierte Unternehmen A wegen des Verdachts des Verstoßes gegen „books and records“, d.h. wegen des Verstoßes gegen Buchhaltungs- und Bilanzierungsvorschriften. Der Vorwurf gründet darin, dass Beraterverträge zur Zahlung von Schmiergeldern genutzt wurden. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass diesbezügliche Zahlungen in Deutschland unzutreffend als Betriebsausgaben erfasst wurden. Via Eurojust ist es den amerikanischen Behörden im Wege sog. Koordinierungstreffen ohne großes und zeitaufwendiges Rechtshilfeersuchen möglich, den deutschen Behörden die zur Bejahung eines Anfangsverdachts und Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nötigen Unterlagen zu übergeben. 2. Im Rahmen eines grenzüberschreitenden Verfahrens der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wegen Handels mit Emissionszertifikaten erfolgte die Koordinierung von Durchsuchungsmaßnahmen in 15 Ländern und die Sicherstellung von 100 Mio. Euro über Eurojust.

10.49

Ebenfalls bei Eurojust angesiedelt sind die Sekretariate des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN), des Netzes der Kontaktstellen für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie des Netzwerks für Gemeinsame Ermittlungsgruppen.

10.50

Bei internationalem Koordinierungsbedarf kann sich ein deutscher Strafverfolgungsbeamter an sein nationales Mitglied bei Eurojust wenden und um Hilfestellung bitten. Rechtsgrundlage für die Übermittlung personenbezogener Daten ist § 4 EJG. Diese geschieht in der Regel formlos und kann sogar telefonisch erfolgen. Eine derartige Nachfrage bietet sich etwa an, wenn zu vermuten steht, dass ein Sachverhalt bereits Gegenstand eines ausländischen Strafverfahrens ist. Die Ermittlungen können dann via Eurojust effektiviert und konzentriert werden. Eurojust wird gemeinhin als die Keimzelle für eine Europäische Staatsanwaltschaft gesehen.2

1 Abrufbar unter http://eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/Pages/agreements-concluded-by-eurojust.aspx?Page=1. 2 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 13 Rz. 18 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht6, § 10 Rz. 17; Hecker, Europäisches Strafrecht4, § 5 Rz. 72; zum Ganzen auch Grünbuch EStA, 2001; Kempf, StV 2003, 128; Nehm, DRiZ 2000, 358, Radkte, GA 2004, 4 ff.; Frenz, wistra 2010, 434; Gaede, ZStW 115 (2003), 866; Nürnberger, ZJS 2009, 494.

360 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.52 Kap. 10

5. OLAF OLAF ist das im Jahr 1999 durch Kommissionsbeschluss eingerichtete Amt zur Betrugsbekämpfung.1 Hauptaufgabe ist der Schutz der finanziellen Interessen der EU.2 OLAF untersucht insbesondere Fälle von Betrug zum Nachteil des EU-Haushalts, von Korruption sowie von schwerwiegendem Fehlverhalten innerhalb der Organe und Einrichtungen der EU und entwickelt eine Betrugsbekämpfungsstrategie für die Europäische Kommission. OLAF schützt in diesem Zusammenhang das Ansehen der europäischen Institutionen, indem es bei schwerwiegendem Fehlverhalten ihres Personals, das in ein Disziplinar- oder Strafverfahren münden könnte, Untersuchungen durchführt. Hierbei handelt es sich um verwaltungsrechtliches Vorermittlungshandeln.3 Es unterstützt ferner die Europäische Kommission bei der Konzipierung und Umsetzung von Strategien zur Verhütung und Aufdeckung von Betrug. OLAF führt dabei unabhängige Ermittlungen durch und unterrichtet hierüber die zuständigen nationalen Behörden. Mit Einführung der Europäischen Staatsanwaltschaft wird OLAF die federführende Rolle verlieren und nur noch eine erste Bewertung der Stichhaltigkeit der ihm vorliegenden Behauptungen vornehmen.4

10.51

6. Europäisches Justizielles Netz für Strafsachen (EJN) Das EJN dient dazu, die Herstellung sachdienlicher Kontakte zwischen den im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zuständigen Justizbehörden zu erleichtern.5 Es umfasst nationale bzw. regionale Kontaktstellen, deren Hauptaufgabe darin besteht, die örtlichen Justizbehörden ihres Landes sowie die anderen Kontaktstellen mit sämtlichen Informationen zu versorgen, die für die reibungslose justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere im Rahmen von Rechtshilfeersuchen, erforderlich sind. Die Kontaktstellen kommen außerdem in regelmäßigen Sitzungen zusammen. Jedes Land benennt einen Staatsanwalt, der als Kontaktstelle für das Europäische Justizielle Netz für Strafsachen fungiert. Über die Internetseite des EJN sind folgende Informationen abrufbar: – vollständige Angaben über die Kontaktstellen in jedem Mitgliedstaat, – Liste der zuständigen Justizbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten, – rechtliche und praktische Informationen über das Gerichtswesen und die Verfahrenspraxis in den Mitgliedstaaten, – Wortlaut der einschlägigen Rechtsinstrumente und – im Fall bereits in Kraft getretener Übereinkommen – etwaiger Erklärungen und Vorbehalte. 1 Vgl. KOM 2013 (533) endg. v. 17.7.2013; Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.9.2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates, ABl. EU 2013 Nr. L 248, 1. Sämtliche Beschlüsse und Verordnungen betreffend OLAF sind abrufbar unter http://ec.europa.eu/anti_fraud/about-us/legal-framework/index_en.htm. Zu neueren Reformvorhaben vgl. Lingenthal, ZEuS 2012, 195; zum Ganzen auch Ambos, Internationales Strafrecht5, § 13 Rz. 1 ff.; Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 324 f. 2 Vgl. auch die vielfältigen Broschüren und Informationen unter http://ec.europa.eu/anti_fraud/media-corner/publications/brochure/index_en.htm. 3 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 13 Rz. 2 m.w.N., auch zur strafprozessualen Verwertbarkeit. 4 KOM 2013 (533) endg. v. 17.7.2013. 5 Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 368; Hackner in Wabnitz/Janovsky/ Schmitt5, Kap. 25 Rz. 21.

Peters | 361

10.52

Kap. 10 Rz. 10.53 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

7. Gemeinsame Ermittlungsgruppen (§§ 61b, 93 IRG) 10.53

Sofern eine völkerrechtliche Vereinbarung dies vorsieht, kann eine gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG)1 gebildet werden (§ 61b IRG).2 Dies kommt namentlich in Fällen der grenzüberschreitenden Betäubungsmittelkriminalität oder bei grenzüberschreitender organisierter Kriminalität in Betracht. In Steuerstrafsachen sind gemeinsame Ermittlungsgruppen bislang selten, da in der Regel nur das Steueraufkommen eines Staates betroffen ist und sich der Verfolgungswille des eigentlich unbeteiligten Staates in der Regel in Grenzen hält. Zukünftig dürften jedoch, wie anhand des Beispiels zum internationalen Handel mit Emissionszertifikaten ersichtlich, auch im Steuerstrafrecht – insbesondere bei Umsatzsteuerkarussellen – GEGs häufiger vorkommen.

10.54

Eine GEG kann gem. Art. 13 Abs. 1 EU-RhÜbk insbesondere gebildet werden, wenn – in dem Ermittlungsverfahren eines Mitgliedstaates zur Aufdeckung von Straftaten schwierige und aufwendige Ermittlungen mit Bezügen zu anderen Mitgliedstaaten durchzuführen sind; – mehrere Mitgliedstaaten Ermittlungen zur Aufdeckung von Straftaten durchführen, die infolge des zugrundeliegenden Sachverhalts ein koordiniertes und abgestimmtes Vorgehen in den beteiligten Mitgliedstaaten erforderlich machen.

10.55

Für die Einrichtung einer GEG gelten die allgemeinen Grundsätze, d.h. ein förmliches Rechtshilfeersuchen zur Einrichtung einer solchen Gruppe ist zunächst erforderlich. Dem von einem anderen Staat in eine GEG entsandten Mitglied kann unter der Leitung des zuständigen deutschen Mitglieds die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen übertragen werden, sofern dies vom entsendenden Staat gebilligt worden ist. Anderen Personen kann die Teilnahme an einer GEG nach Maßgabe der Rechtsvorschriften der teilnehmenden Staaten oder einer zwischen ihnen anwendbaren Übereinkunft gestattet werden. Die an der GEG beteiligten Beamten und Beamtinnen dürfen den von anderen Staaten entsandten Mitgliedern oder anderen teilnehmenden Personen dienstlich erlangte Informationen einschließlich personenbezogener Daten unmittelbar übermitteln, soweit dies für die Tätigkeit der gemeinsamen Ermittlungsgruppe erforderlich ist. Ein für Strafverfolgungsbehörden hilfreiches Handbuch zur Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen findet sich unter http://eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/Pages/joint-investigation-teams.aspx.

10.56

Die GEG wird gem. Art. 13 Abs. 3 EU-Rhübk im Hoheitsgebiet der an der Gruppe beteiligten Mitgliedstaaten unter folgenden allgemeinen Voraussetzungen tätig: – Die Gruppe wird von einem Vertreter der an den strafrechtlichen Ermittlungen beteiligten zuständigen Behörde des Mitgliedstaates, in dem der Einsatz der Gruppe erfolgt, geleitet. Der Gruppenleiter handelt im Rahmen der ihm nach innerstaatlichem Recht zustehenden Befugnisse. – Die Gruppe führt ihren Einsatz gemäß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates durch, in dem ihr Einsatz erfolgt.

1 Vgl. auch Nr. 142c RiVASt. 2 Vgl. auch Art. 13 EU-RhÜbK, Art. 20 2. ZP-EuRhÜbk, Art. 17 PL-ErgV EuRHÜbk, Art. 22 CZErgV EuRhÜbk, Art. 24 Neapel II, Art. 19 VN-OK-Übk.

362 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.59 Kap. 10

– Die Mitglieder der Gruppe nehmen ihre Aufgaben unter Berücksichtigung der Bedingungen wahr, die ihre eigenen Behörden in der Vereinbarung zur Bildung der Gruppe festgelegt haben. – Der Mitgliedstaat, in dem der Einsatz der Gruppe erfolgt, schafft die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen für ihren Einsatz. Von einem Mitglied während seiner Zugehörigkeit zu einer GEG rechtmäßig erlangte Informationen, die den zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten nicht anderweitig zugänglich sind, dürfen gem. Art. 13 Abs. 10 EU-Rhübk nur für folgende Zwecke verwendet werden:

10.57

– für den Zweck, zu dem die Gruppe gebildet wurde; – zur Aufdeckung, Ermittlung und Strafverfolgung anderer Straftaten vorbehaltlich der vorherigen Zustimmung des Mitgliedstaates, in dem die Informationen erlangt wurden. Die Zustimmung kann nur in Fällen verweigert werden, in denen die Verwendung die strafrechtlichen Ermittlungen im betreffenden Mitgliedstaat beeinträchtigen würde, oder in Fällen, in denen dieser Mitgliedstaat sich weigern könnte, Rechtshilfe zu leisten; – zur Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit; – für andere Zwecke, sofern dies von den Mitgliedstaaten, die die Gruppe gebildet haben, vereinbart worden ist. Hinsichtlich der Verwertbarkeit für die Verfolgung einer Steuerhinterziehung ist also zunächst auf den Gruppenzweck abzustellen. Sagt dieser nichts darüber aus, kommt ggf. eine Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaates in Betracht, die nur in den Fällen verweigert werden kann, in denen auch die Leistung von Rechtshilfe verweigert würde, etwa wenn ein Fiskalvorbehalt greift. Offen bleibt, was bei rechtswidrig erlangten Informationen gilt. Nach hier vertretener Ansicht kommt es auf das Recht des Staates an, in dem die Informationen letztlich verwendet werden sollen. Für eine Verwendung bedarf es eines neuerlichen Rechtshilfeersuchens.

10.58

8. Europäische Staatsanwaltschaft a) Überblick Die Europäische Kommission hat bereits am 17.7.2013 einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA)1 vorgelegt.2 (Haupt-)Aufgabe der dezentral aufgebauten Europäischen Staatsanwaltschaft soll die Untersuchung und Verfolgung von Straftaten sein, die die finanziellen Interessen der Europäischen Union schädigen. Flankiert wird dies beispielsweise durch die Richtlinie des Europäischen 1 European Public Prosecutor´s Office. 2 KOM (2013) 534 endg. v. 17.7.2013, BT-Drucks. 18/1646, 18/1658; vgl. auch Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 395 f.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 13 Rz. 24 ff.; Esser, StV 2014, 494; vgl. auch Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates v. 12.10.2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und zur Änderung weiterer Vorschriften (EUStAG), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_EUStA.pdf;jsessionid=6C02CFD1FE3AD1C0DBAAC7D253D75FF2.2_cid334?__blob=publicationFile&v=1.

Peters | 363

10.59

Kap. 10 Rz. 10.59 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

Parlaments und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug.1 Gem. Art. 86 Abs. 1 AEUV ist die Einsetzung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, ausgehend von Eurojust, möglich.2 Über die Anforderungen an die Verfahrensordnung einer solchen Staatsanwaltschaft, namentlich über die Bindung an das Legalitätsprinzip, sagt der AEUV nichts. Die jetzige Regelung zur Europäischen Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die jeweiligen Staatsanwälte gleichzeitig in die Justizsysteme der Mitgliedsstaaten eingebunden bleiben3 und das Legalitätsprinzip Geltung beanspruchen soll.4

10.60

Am 12.10.2017 hat das europäische Parlament der Verordnung des Rates zur Errichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft zugestimmt.5 Aufgabe der europäischen Staatsanwaltschaft ist es, Straftaten insbesondere zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu ermitteln, zu verfolgen und anzuklagen. Geschütztes Rechtsgut ist der EU Haushalt.6 „Finanzielle Interessen der Union“ sind nach Art. 2 Nr. 3 Verordnung (EU) 2017/1939 sämtliche Einnahmen, Ausgaben und Vermögenswerte, die vom Haushaltsplan der Union oder von den Haushaltsplänen der nach den Verträgen geschaffenen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen oder von den von diesen verwalteten und überwachten Haushaltsplänen erfasst, von ihnen erworben oder ihnen geschuldet werden; vornehmliches Ziel ist insbesondere die grenzüberschreitende Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs im großen Ausmaß. Daneben sollen eine engere und effektivere Zusammenarbeit und ein effektiver Informationsaustausch zwischen den europäischen und einzelstaatlichen Behörden erfolgen. Gemäß Art. 86 AEUV soll die europäische Staatsanwaltschaft ausgehend von Eurojust eingesetzt werden. Vorgesehen ist ein geteiltes Zuständigkeitssystem zwischen der europäischen Staatsanwaltschaft und den nationalen Behörden bei der Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, welches sich auf das Evokationsrecht der europäischen Staatsanwaltschaft stützt. Hervorzuheben ist, dass die europäische Staatsanwaltschaft im Interesse der Union insgesamt handeln und nicht an Weisungen von Personen außerhalb der europäischen Staatsanwaltschaft gebunden sein soll oder diese einzuholen oder entgegenzunehmen habe. Damit korrespondiert eine strenge Rechenschaftspflicht. Die europäische Staatsanwaltschaft wird als eine Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit errichtet. Sitz der Behörde ist Luxemburg. Auf zentraler Ebene wird ein europäischer Generalstaatsanwalt mit zwei Vertretern eingesetzt, 1 KOM (2012) 363 endg. v. 11.7.2012, wo insbesondere unter Berufung auf EuGH v. 15.11.2011 – C-539/09, ECLI:EU:C:2011:733 – Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland, EUUStB 2012, 4 m. Anm. Huschens darauf verwiesen wird, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen unter Beachtung des einschlägigen Unionsrechts einerseits und der Zurverfügungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel für den EU-Haushalt andererseits besteht, da jedes Versäumnis bei der Erhebung Ersterer potenziell zu einer Verringerung Letzterer führt; vgl. auch EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27. 2 KOM (2013) 532 endg. v. 17.7.2013; vgl. hierzu BT-Drucks. 18/1646; BT-Drucks. 18/1658; Brodowski, ZIS 2012, 558; Beukelmann, NJW-Spezial 2013, 568; Hamran/Szabova, New Journal of European Criminal Law 4 (2013), 40; Ligeti/Simonato, New Journal of European Criminal Law 4 (2013), 7; Satzger, NStZ 2013, 206; Schneiderhan, DRiZ 2013, 100. 3 KOM (2013) 532 endg. v. 17.7.2013. 4 KOM (2013) 534 endg. v. 17.7.2013, 12, 14; vgl. auch BT-Drucks. 18/1658. 5 Verordnung (EU) 2017/1939 v. 12.10.2017 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), ABl. EU 2017 Nr. L 283, 1; zum Ganzen auch Magnus, HRRS 2018, 143 ff.; vgl. auch Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap 2 Rz. 101 ff.; Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 23c ff. 6 Die jährlichen Verluste werden auf etwa 50 Milliarden Euro beziffert.

364 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.64 Kap. 10

welcher die Gesamtverantwortung für das Amt, die Arbeit und die Tätigkeit trägt. Er sitzt den so genannten ständigen Kammern vor, welche die von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten geführten Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen überwachen und leiten. Die europäischen Generalstaatsanwälte tragen außerdem Sorge für die Koordination der Ermittlung und Strafverfolgungsmaßnahmen in grenzüberschreitenden Fällen. Die EUStA hat unparteiisch sämtliche belastenden und entlastenden sachdienlichen Beweise zu ermitteln. b) Funktion Die EUStA ist beispielsweise im Gegensatz zur nationalen Staatsanwaltschaft als unabhängige Institution konzipiert. Der Europäische Generalstaatsanwalt, die Stellvertreter des Europäischen Generalstaatsanwalts, die Europäischen Staatsanwälte, die Delegierten Europäischen Staatsanwälte, der Verwaltungsdirektor sowie das Personal der EUStA handeln im gesetzlich festgelegten Interesse der Union insgesamt und dürfen bei der Erfüllung ihrer Pflichten im Rahmen dieser Verordnung Weisungen von Personen außerhalb der EUStA, von Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union weder einholen noch entgegennehmen.

10.61

Es besteht indes eine Rechenschaftspflicht gegenüber dem europäischen Parlament, etwa im Wege der jährlichen Berichterstattung. Die EUStA gliedert sich in eine zentrale Ebene und in eine dezentrale Ebene. Die zentrale Ebene besteht aus der zentralen Dienststelle am Sitz der EUStA. Die zentrale Dienststelle setzt sich aus dem Kollegium, den Ständigen Kammern, dem Europäischen Generalstaatsanwalt, den Stellvertretern des Europäischen Generalstaatsanwalts, den Europäischen Staatsanwälten und dem Verwaltungsdirektor zusammen. Daneben existiert das so genannte Kollegium, welches aus dem europäischen Generalstaatsanwalt und jeweils einem europäischen Staatsanwalt der Mitgliedstaaten besteht. Zudem existieren so genannte ständige Kammern. (Art. 10 Verordnung [EU] 2017/1939). Vornehmliche Aufgabe dieser Kammern ist es, die von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten geführten Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zu überwachen und zu leiten. Auch treffen diese ständigen Kammern die Entscheidungen in Bezug auf die Anklageerhebung, die Einstellung des Verfahrens, hinsichtlich Verweisung an nationale Behörden und der Wiederaufnahme von Ermittlungen.

10.62

Die europäischen Staatsanwälte beaufsichtigen stellvertretend für die ständige Kammer im Einvernehmen mit durch diese erteilten Weisungen die Ermittlung und Strafverfolgungsmaßnahmen, für die die mit dem Verfahren betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwälte in ihrem Herkunftsmitgliedstaat zuständig sind. Die Zuständigkeit der EUStA umfasst gem. Art. 22 Verordnung (EU) 2017/1939 die Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, die in der Richtlinie (EU) 2017/1371 in ihrer Umsetzung in nationales Recht festgelegt sind, ungeachtet dessen, ob dieselbe strafbare Handlung im nationalen Recht als andere Art von Straftat eingestuft werden könnte.

10.63

c) Zuständigkeit Für Straftaten, die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie (EU) 2017/1371 in ihrer Umsetzung in nationales Recht festgelegt sind, ist die EUStA nur zuständig, wenn die vorsätzlichen Handlungen oder Unterlassungen nach dieser Bestimmung mit dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten verbunden sind und einen Gesamtschaden von mindestens 10 Mio. Euro umfassen. Daneben besteht eine Zuständigkeit im Falle der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Sinne des in nationales Recht umgesetzten Rahmenbeschlusses Peters | 365

10.64

Kap. 10 Rz. 10.64 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

2008/841/JI, wenn der Schwerpunkt der strafbaren Aktivitäten der kriminellen Vereinigung auf der Begehung von Straftaten nach Absatz 1 liegt. Ferner besteht eine Zuständigkeit für untrennbar zusammenhängende Taten. Die territoriale und personelle Zuständigkeit richtet sich nach Art. 23 Verordnung (EU) 2017/1939 und ist gegeben, wenn die Tat ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten begangen wurde. Eine Zuständigkeit ist ferner begründet, wenn die Tat von einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats begangen wurde, sofern ein Mitgliedstaat über die Gerichtsbarkeit für solche Straftaten verfügt, wenn sie außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wurden oder wenn die Tat außerhalb der genannten Hoheitsgebiete von einer Person begangen wurde, die zum Zeitpunkt der Straftat dem Statut oder den Beschäftigungsbedingungen unterlag, sofern ein Mitgliedstaat über die Gerichtsbarkeit für solche Straftaten verfügt, wenn sie außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wurden.

10.65

Ähnlich der bereits im Grünbuch getätigten Erwägungen, leitet die europäische Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein, wenn nach dem anwendbaren nationalen Recht ähnlich dem nationalen Anfangsverdacht ein „berechtigter Grund zu der Annahme“ besteht, dass eine Zuständigkeit der EUStA vorliegt und eine Straftat begangen wird oder wurde. An dieser Formulierung wird deutlich, dass bereits eine präventive Tätigkeit etwa im Rahmen von Vorermittlungen oder Vorfeldermittlungen möglich ist.

10.66

Mit Blick auf die in Art. 30 Verordnung (EU) 2017/1939 aufgeführten Ermittlungsmaßnahmen und die möglichen Rechtsbehelfe dagegen ist jedoch fraglich, warum vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich um ein originäres geschütztes Rechtsgut handelt, die Voraussetzungen für eine Strafverfolgung nicht in der Verordnung selber geregelt wurden bzw. die entsprechende Schwelle, ab der die Einleitung von Ermittlungen im Betracht kommt, aufgestellt wurde. Insofern besteht die Gefahr, dass insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die europäische Staatsanwaltschaft präventiv tätig werden darf, gegebenenfalls vorschnell Ermittlungsverfahren eingeleitet und Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt werden. Etwaige Sanktionsmöglichkeiten sind nicht vorgesehen. Hinsichtlich der Verfolgung Unschuldiger kommen insofern die nationalen Vorschriften zur Anwendung. Art. 37 Verordnung (EU) 2017/1939 soll verhindern, dass aus rein formellen Gründen die grenzüberschreitende Verwertbarkeit von Beweismitteln erschwert wird. In Ermittlungsverfahren der EUStA werden regelmäßig Ermittlungsmaßnahmen in mehr als einem Mitgliedstaat durchzuführen sein; die dabei von der EUStA in einem anderen Mitgliedstaat gewonnenen Beweismittel sollen grundsätzlich im Hauptverfahren Verwendung finden können. Die Vorschrift des Art. 37 Abs. 1 Verordnung (EU) 2017/1939 ordnet an, dass beigebrachte Beweismittel nicht allein deshalb als unzulässig abgelehnt werden dürfen, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat oder nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates erhoben wurden.

10.67

Die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen etwa, vergleichbar den nationalen §§ 153 ff. StPO, wurde entgegen dem Verordnungsvorschlag nicht in die Verordnung (EU) 2017/1939 aufgenommen.1 Eine Besserstellung finanziell besser gestellter Beschuldigter sollte explizit vermieden werden. § 153a Abs. 1 StPO und § 398a AO finden aufgrund der Regelung des Art. 40 Verordnung (EU) 2017/1939 Anwendung. Auch im Übrigen widerspricht es nach dem Referentenentwurf dem Grundsatz der Prozessökonomie, wenn die EUStA zur Anklageerhebung verpflichtet wäre und erst das zuständige Gericht das Verfahren 1 Wesentliches Argument war, dass eine Besserstellung finanziell besser situierter Beschuldigter vermieden werden sollte.

366 | Peters

A. Allgemeiner Teil | Rz. 10.70 Kap. 10

nach Klageerhebung mit Zustimmung der EUStA nach § 153 Abs. 2, § 153b Abs. 2 und § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2, § 154b Abs. 4 StPO in geeigneten Fällen einstellen dürfte. Lediglich Einstellungen die zu einem transnationalen Strafklageverbrauch führen, dürften unzulässig sein.1 Ähnlich den nationalen Regelungen kommt der europäischen Staatsanwaltschaft ein Evokationsrecht zu.

10.68

Die Europäischen Staatsanwälte fungieren gemäß Art. 12 Abs. 5 Verordnung (EU) 2017/1939 als Verbindungsstellen und Informationskanäle zwischen den ständigen Kammern und den Delegierten Europäischen Staatsanwälten in ihrem jeweiligen Herkunftsmitgliedstaat. Sie überwachen die Durchführung der Aufgaben der EUStA in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat in enger Abstimmung mit den Delegierten Europäischen Staatsanwälten. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte handeln gem. Art. 13 Abs. 1 Verordnung (EU) 2017/1939 im Namen der EUStA in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat und haben neben und vorbehaltlich der ihnen übertragenen besonderen Befugnisse und des ihnen zuerkannten besonderen Status und nach Maßgabe dieser Verordnung in Bezug auf Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Anklageerhebung die gleichen Befugnisse wie nationale Staatsanwälte. In jedem Mitgliedstaat muss es mindestens zwei Delegierte Europäische Staatsanwälte geben.

10.69

d) Befugnisse Die Mitgliedstaaten stellen gem. Art. 30 Verordnung (EU) 2017/1939 sicher, dass die Delegierten Europäischen Staatsanwälte befugt sind, die folgenden Ermittlungsmaßnahmen anzuordnen oder zu beantragen: – Durchsuchung von Gebäuden, Grundstücken, Beförderungsmitteln, Privatwohnungen, Kleidungsstücken und sonstigen persönlichen Gegenständen oder Computersystemen sowie Durchführung von Sicherungsmaßnahmen, um die Integrität zu erhalten oder einen Beweisverlust oder eine Beweisbeeinträchtigung zu verhindern; Erwirkung der Herausgabe von relevanten Gegenständen oder Schriftstücken entweder in ihrer ursprünglichen oder in einer angegebenen anderen Form; – Erwirkung der Herausgabe von gespeicherten Computerdaten, verschlüsselt oder entschlüsselt, entweder in ihrer ursprünglichen oder in einer angegebenen anderen Form, einschließlich Bankkontodaten und Verkehrsdaten mit Ausnahme von Daten, die im Einklang mit nationalen Rechtsvorschriften gem. Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2002/58/ EG eigens aufbewahrt werden; – Sicherstellung von Tatwerkzeugen oder Erträgen aus Straftaten, einschließlich Vermögenswerten, deren Einziehung durch das Prozessgericht zu erwarten ist, sofern Grund zu der Annahme besteht, dass der Eigentümer, Besitzer oder Inhaber dieser Tatwerkzeuge oder Erträge versuchen wird, die vom Gericht angeordnete Einziehung zu vereiteln;2

1 S. 35 Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates v. 12.10.2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und zur Änderung weiterer Vorschriften (EUStAG), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_EUStA.pdf;jsessionid=6C02CFD1FE3AD1C0DBAAC7D253D75FF2.2_cid334?__blob=publicationFile&v=1. 2 ABl. EU 2017 Nr. L 283, 34.

Peters | 367

10.70

Kap. 10 Rz. 10.70 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

– Überwachung der ein- und ausgehenden elektronischen Kommunikation des Verdächtigen oder Beschuldigten über alle von ihm genutzten elektronischen Kommunikationsmittel; – Verfolgung und Ortung von Gegenständen mit technischen Mitteln, einschließlich kontrollierter Warenlieferungen. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte sind befugt, zusätzlich zu den in Absatz 1 genannten Maßnahmen in ihrem Mitgliedstaat andere Maßnahmen, die den Staatsanwälten nach dem nationalen Recht in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen zur Verfügung stehen, zu beantragen oder anzuordnen. e) Grenzüberschreitende Ermittlungen

10.71

Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte arbeiten eng zusammen. Ist in einem anderen Mitgliedstaat als dem des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine Maßnahme zu ergreifen, entscheidet dieser Delegierte Europäische Staatsanwalt über die Anordnung der erforderlichen Maßnahme und weist sie einem Delegierten Europäischen Staatsanwalt zu, der in dem Mitgliedstaat angesiedelt ist, in dem die Maßnahme durchgeführt werden muss. Der Delegierte Europäische Staatsanwalt kann ferner alle Maßnahmen anweisen, die ihm nach Art. 30 Verordnung (EU) 2017/1939 zur Verfügung stehen. Für die Begründung und Anordnung derartiger Maßnahmen ist das Recht des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts maßgeblich.

10.72

Die Strafverfolgung und insbesondere die Aburteilung erfolgen letztlich vor den nationalen Gerichten. Insofern unterbreitet der Delegierte Europäische Staatsanwalt einen Beschlussentwurf, in dem gegebenenfalls vorgeschlagen wird Anklage zu erheben über welchen die ständige Kammer innerhalb von 21 Tagen entscheidet. Im Falle mehrerer Gerichtsbarkeiten beschließt die ständige Kammer grundsätzlich in dem Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts Anklage zu erheben.

10.73

Erstmals findet sich eine Regelung hinsichtlich der Verwertung eingezogene Vermögenswerte. Fällt das nationale Gericht eine rechtskräftige Entscheidung zur Einziehung von Vermögenswerten, die mit einer in die Zuständigkeit der europäischen Staatsanwaltschaft fallenden Straftat in Zusammenhang stehen, oder von Erträgen aus einer solchen Straftat erlassen, werden diese Vermögenswerte oder diese Erträge im Einklang mit dem geltenden Regeln des nationalen Rechts verwertet. f) Beschuldigtenrechte

10.74

Jeder Verdächtige oder Beschuldigte im Strafverfahren der europäischen Staatsanwaltschaft hat mindestens die im Unionsrecht, einschließlich der in nationalem Recht umgesetzten Richtlinien über die Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten im Strafverfahren, vorgesehenen Verfahrensrechte wie beispielsweise – das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen gemäß der Richtlinie 2010/64/ EU; – das Recht auf Belehrung oder Unterrichtung und das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakte gemäß der Richtlinie 2012/13/EU;

368 | Peters

B. Eingehende Rechtshilfe | Rz. 10.77 Kap. 10

– das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und auf Benachrichtigung eines Dritten im Falle einer Festnahme gemäß der Richtlinie 2013/48/EU; – das Recht auf Aussageverweigerung und Unschuldsvermutung gemäß der Richtlinie (EU) 2016/343; – das Recht auf Prozesskostenhilfe gemäß der Richtlinie (EU) 2016/1919. Unbeschadet dessen haben Verdächtige und Beschuldigte sowie andere an Verfahren der EUStA Beteiligte alle Verfahrensrechte, die ihnen das geltende nationale Recht zuerkennt, einschließlich der Möglichkeit, Beweismittel beizubringen, zu beantragen, dass Sachverständige bestellt bzw. vernommen und Zeugen gehört werden, und die EUStA aufzufordern, derartige Maßnahmen im Namen der Verteidigung zu erwirken. g) Rechtsmittel Handlungen der europäischen Staatsanwaltschaft mit Rechtswirkung für und gegen Dritte unterliegen der Kontrolle durch die zuständigen nationalen Gerichte. Der Gerichtshof entscheidet im Wege der Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV über Folgendes:

10.75

– die Gültigkeit einer Verfahrenshandlung der EUStA, sofern einem Gericht eines Mitgliedstaats die Frage der Gültigkeit unmittelbar auf der Grundlage des Unionsrechts gestellt wird; – die Auslegung oder die Gültigkeit der Bestimmungen des Unionsrechts, einschließlich dieser Verordnung; – die Auslegung der Art. 22 und 25 dieser Verordnung in Bezug auf etwaige Zuständigkeitskonflikte zwischen der EUStA und den zuständigen nationalen Behörden.

B. Eingehende Rechtshilfe I. Zulässigkeit der eingehenden Rechtshilfe Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) bildet die Rechtsgrundlage für die Unterstützung ausländischer Strafverfahren. Konkretisiert wird das Gesetz durch die vorgenannten RiVASt. Auf Ersuchen einer zuständigen Stelle eines ausländischen Staates kann gem. § 59 IRG sonstige Rechtshilfe in einer strafrechtlichen Angelegenheit geleistet werden. Rechtshilfe in diesem Sinne ist jede Unterstützung, die für ein ausländisches Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit gewährt wird, unabhängig davon, ob das ausländische Verfahren von einem Gericht oder von einer Behörde betrieben wird und ob die Rechtshilfehandlung von einem Gericht oder von einer Behörde vorzunehmen ist. Die Rechtshilfe darf jedoch nur geleistet werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen deutsche Gerichte oder Behörden einander in entsprechenden Fällen Rechtshilfe leisten könnten.

10.76

II. Gerichtliche Entscheidung über die Gewährung von Rechtshilfe Für die Frage, ob die tatsächlichen rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Rechtshilfe vorliegen, ist vor Gewährung der Rechtshilfe gem. § 61 IRG die Anrufung des Oberlandesgerichts möglich. Das Gericht, das für die Leistung der Rechtshilfe zuständig ist Peters | 369

10.77

Kap. 10 Rz. 10.77 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

und die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe für nicht gegeben hält, begründet in diesem Fall seine Auffassung und holt die Entscheidung des Oberlandesgerichts ein. Das Oberlandesgericht entscheidet ferner auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht oder im Fall des § 66 IRG auf Antrag desjenigen, der geltend macht, er würde durch die Herausgabe in seinen Rechten verletzt werden, darüber, ob die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe gegeben sind. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist für die Gerichte und Behörden, die für die Leistung der Rechtshilfe zuständig sind, bindend. Die Rechtshilfe darf in diesem Falle nicht bewilligt werden, wenn das Oberlandesgericht entschieden hat, dass die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe nicht vorliegen. Beispiel: Im Rahmen eines in den USA geführten Strafverfahrens gegen einen deutschen Konzern fordern die amerikanischen Ermittlungsbehörden die im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens gegen diesen Konzern beschlagnahmten Unterlagen an. Der Konzern vertritt die Auffassung, dass eine Rechtshilfe unzulässig wäre bzw. die erbetenen Beweismittel von vornherein einem Beschlagnahmeverbot unterfallen, da sich unter den Unterlagen eine Vielzahl als „Privileged und Confidential“ gekennzeichnete Unterlagen befinden, die im Wesentlichen Korrespondenz mit deutschen wie amerikanischen Anwälten enthalten.

III. Grenzen der Rechtshilfe 10.78

Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist gem. § 73 IRG unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (ordre public).

IV. Zuständigkeit des Bundes 10.79

Über ausländische Rechtshilfeersuchen und über die Stellung von Ersuchen an ausländische Staaten um Rechtshilfe entscheidet gem. § 74 IRG das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und mit anderen Bundesministerien, deren Geschäftsbereich von der Rechtshilfe betroffen wird. Die zuständigen Bundesministerien können die Ausübung ihrer Befugnisse auf nachgeordnete Bundesbehörden übertragen. In der Regel ist diese Befugnis den jeweiligen Landesregierungen übertragen.

V. Grundsätzliche Pflicht zur Bewilligung; Vorabentscheidung 10.80

Zulässige Ersuchen eines Mitgliedstaates um Auslieferung oder Durchlieferung können gem. § 79 IRG nur abgelehnt werden, soweit dies in diesem Teil vorgesehen ist. Die ablehnende Bewilligungsentscheidung ist zu begründen. Vor der Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts entscheidet die für die Bewilligung zuständige Stelle, ob sie beabsichtigt, Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend zu machen. Die Entscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, ist ebenfalls zu begründen. Sie unterliegt der Überprüfung durch das Oberlandesgericht im Verfahren nach § 29 IRG; die Beteiligten sind zu hören. Bei der Belehrung nach § 41 Abs. 4 IRG ist der Verfolgte auch darauf hinzuweisen, dass im Falle der vereinfachten Auslieferung eine gerichtliche Überprüfung nicht stattfindet. Führen nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die geeignet sind, Bewilligungshindernisse geltend zu machen, nicht zu einer Ablehnung der Bewilligung, unterliegt die Entscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, der Überprüfung im Verfahren nach § 33 IRG.

370 | Peters

B. Eingehende Rechtshilfe | Rz. 10.84 Kap. 10

VI. Vorübergehende Überstellung in das Ausland für ein ausländisches Verfahren Wer sich im Geltungsbereich des IRG in Untersuchungs- oder Strafhaft befindet oder aufgrund der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung untergebracht ist, kann gem. § 62 IRG an einen ausländischen Staat auf Ersuchen einer zuständigen Stelle dieses Staates für ein dort anhängiges Verfahren als Zeuge zur Vernehmung, zur Gegenüberstellung oder zur Einnahme eines Augenscheins vorübergehend überstellt werden, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

10.81

– er sich nach Belehrung zu Protokoll eines Richters damit einverstanden erklärt hat; – nicht zu erwarten ist, dass infolge der Überstellung die Freiheitsentziehung verlängert oder der Zweck des Strafverfahrens beeinträchtigt werden wird; – gewährleistet ist, dass der Betroffene während der Zeit seiner Überstellung nicht bestraft, einer sonstigen Sanktion unterworfen oder durch Maßnahmen, die nicht auch in seiner Abwesenheit getroffen werden können, verfolgt werden wird und dass er im Fall seiner Freilassung den ersuchenden Staat verlassen darf, und – gewährleistet ist, dass der Betroffene unverzüglich nach der Beweiserhebung zurücküberstellt werden wird, es sei denn, dass darauf verzichtet worden ist. Das Einverständnis ist unwiderruflich. Die Staatsanwaltschaft bereitet die Überstellung vor und führt sie durch. Örtlich zuständig ist die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung vollzogen wird. Die in dem ersuchenden Staat erlittene Freiheitsentziehung wird auf die im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu vollziehende Freiheitsentziehung angerechnet.

10.82

VII. Auslieferung in Steuerstrafsachen Bislang sind Auslieferungsersuchen wegen Steuerhinterziehung (noch) die Ausnahme und kommen vornehmlich im Zusammenhang mit organisierten Umsatzsteuerhinterziehungen in Betracht. In Zukunft ist jedoch davon auszugehen, dass es insbesondere vor dem Hintergrund der Regelungen zum Europäischen Haftbefehl auch wegen Steuerhinterziehung vermehrt zur Beantragung von nationalen, europäischen und internationalen Haftbefehlen1 und damit auch vermehrt zu Auslieferungen kommt.2

10.83

Die Mutterkonvention der europäischen vertraglichen Auslieferung ist das Europäische Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk).3 Das EUAlÜbk ist nachrangig gegenüber spezielleren völkerrechtlichen Verträgen, deren Regelungen Bestandteil des innerstaatlichen Rechts sind, wie das IRG, östARHG und das schweizIRSG.4 Die Voraussetzungen für eine Auslieferung sind danach im Wesentlichen:

10.84

1 Vgl. hierzu Peters, ZWH 2014, 1, 48. 2 Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 24 Rz. 140. 3 Europäisches Auslieferungsübereinkommen („EuAlÜbk 1957“) des Europarates v. 13.12.1957, BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1976, 1778; BGBl. I 1982, 2071; BGBl. II 1994, 29, ergänzt durch das 1. Zusatzprotokoll v. 15.10.1975 („ZP-EuAlÜbk 1957“), und das 2. Zusatzprotokoll v. 17.3.1978 („2. ZP-EuAlÜbk 1957“). 4 Zum Verhältnis auch Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 23 f.; vgl. auch die Ausführungen zu den länderspezifischen Besonderheiten.

Peters | 371

Kap. 10 Rz. 10.84 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

– die beiderseitige Strafbarkeit (§§ 2, 3 IRG; Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk); – eine Mindestsanktion von einem Jahr (Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk), wobei das EU-AuslÜbk (Art. 2 Abs. 1) die erforderliche Höchstmaßstrafandrohung im ersuchenden Staat auf sechs Monate absenkt; – keine Verjährung (Art. 10 EuAlÜbk) und – das Fehlen eines Auslieferungshindernisses.

10.85

Das EU-Auslieferungsübereinkommen (EU-AuslÜbk)1 beseitigt die verschiedenen Auslieferungshindernisse, insbesondere was die Ausnahme vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit angeht. So hebt insbesondere Art. 6 EU-AuslÜbk das fiskalische Delikt als Auslieferungshindernis auf. Art. 7 EU-AuslÜbk versagt die Berufung auf den Grundsatz der NichtAuslieferung eigener Staatsangehöriger.2

10.86

Das EU-VereinfAuslÜbk regelt schließlich vorrangig der Beschleunigung dienende Verfahrensaspekte. Es wird unter bestimmten Voraussetzungen auf das Zulässigkeitsverfahren und gewisse Förmlichkeiten verzichtet, sofern die verfolgte Person mit der Auslieferung einverstanden ist.3 Daneben treten die EMRK und verschiedene Zusatzprotokolle, die Auslieferungshindernisses vorsehen, etwa bei Verstößen gegen die EMRK, drohender Todesstrafe, unangemessen harten Strafen, wenn kein faires Verfahren gewährleistet ist oder wenn Folter oder unmenschliche Behandlung droht.4

10.87

Die Frage einer Auslieferung in Steuerstrafsachen zwischen den EU Staaten richtet sich im Wesentlichen nach Art 6 des Übereinkommens vom 27.9.1996 aufgrund von Art K.3 des Vertrags der Europäischen Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EU-AuslÜbk). Die Auslieferung ist zu bewilligen, soweit es sich um Abgaben-, Steuer, Zolloder Devisenstrafsachen handelt, die nach dem Recht des ersuchten Staates einer strafbaren Handlung derselben Art entsprechen. Wo das EU-AuslÜbk nicht gilt,5 findet bei indirekten Steuern Art 63 i.V.m. SDÜ Anwendung,6 der wiederum auf strafbare Handlungen gem. Art. 50 SDÜ verweist. Im Falle direkter Steuern findet – soweit ratifiziert – das 2. ZP-EuAlÜbk Anwendung. Auch hier ist die Auslieferung zu bewilligen, soweit es sich um Abgaben-, Steuer, Zoll- oder Devisenstrafsachen handelt, die nach dem Recht des ersuchten Staates einer strafbaren Handlung derselben Art entsprechen. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass eine nach Art. 64 SDÜ erfolgte Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS)7 gem. Art. 95 SDÜ einem Ersuchen um vorläufige Festnahme i.S.d. Art. 16 EuAlÜbk gleichsteht.

10.88

Unter den „Schengen-Staaten“ ist die Auslieferung bei Fiskaldelikten durch Art. 50, 63 SDÜ geregelt.8 Nach Art. 50 Abs. 1 SDÜ besteht eine grundsätzliche Rechtshilfepflicht im Bereich

1 Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. EG 1996 Nr. C 313, 12. 2 Wobei Absatz 2 sogleich die Nicht-Bewilligung oder die Auslieferung nur unter bestimmten Bedingungen normiert. 3 Vgl. auch § 41 IRG, wobei der Beschuldigte jedoch hierüber stets zu belehren ist. 4 Zum Ganzen Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 27. 5 Zum Ratifizierungsstand vgl. unter www.consilium.europa.eu oder S/L6, IRG III Aa vor Rz. 9. 6 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 20. 7 Hecker, Europäisches Strafrecht4, § 2 Rz. 75; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 21. 8 Zu möglichen Auswirkungen des Ne-bis-in-idem-Grundsatzes im europäisierten Auslieferungsrecht vgl. Brodowski, StV 2013, 339.

372 | Peters

B. Eingehende Rechtshilfe | Rz. 10.91 Kap. 10

der indirekten (Verbrauchsteuern, der Umsatzsteuer und des Zolls), nicht jedoch hinsichtlich der direkten Steuern. Ersuchen in Verfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Verbrauchsteuern dürfen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass von der ersuchten Vertragspartei Verbrauchsteuern auf die in dem Ersuchen genannten Waren nicht erhoben werden (Art. 50 Abs. 2 SDÜ). Die Leistung von Rechtshilfe kann gem. Art. 50 Abs. 4 SDÜ ferner verweigert werden, wenn der verkürzte oder erschlichene Betrag 25.000 Euro oder der Wert der unerlaubt ein- oder ausgeführten Waren 100.000 Euro voraussichtlich nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Tat wegen ihrer Art oder wegen der Person des Täters von der ersuchenden Vertragspartei als sehr schwerwiegend betrachtet wird. Art. 6 Abs. 2 EU-AuslÜbk sieht vor, dass die Auslieferung nicht mit der Begründung abgelehnt werden darf, dass das Recht des ersuchten Mitgliedstaats nicht dieselbe Art von Abgaben oder Steuern oder keine Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenbestimmungen derselben Art wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats vorsieht.1

10.89

VIII. Auslieferung bei Europäischem Haftbefehl Beim Europäischen Haftbefehl (RB-EuHB)2 handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem EU-Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe basierend auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.3 Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, d.h. ausländische Haftbefehle werden genauso anerkannt wie inländische Haftbefehle. Dabei handelt es sich nicht um einen eigenen Haftbefehlstyp, sondern vielmehr um ein Fahndungsinstrument, das auf der Anerkennung eines im ersuchenden Staat nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 112 ff. StPO) erlassenen nationalen Haftbefehls beruht.4 Der Europäische Haftbefehl ersetzt allein das bisherige (umständliche) Auslieferungsverfahren durch ein vereinfachtes System der Übergabe. Der Grundsatz der Nicht-Auslieferung eigener Staatsangehöriger wird hierdurch aufgehoben.

10.90

Die Auslieferung aus Deutschland in einen EU-Mitgliedstaat kann nach den Vorschriften über den EuHB (Art. 2 Abs. 1 RB-EuHB5, umgesetzt in § 81 IRG) erfolgen, wenn die Tat nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedsstaates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens 12 Monaten bedroht ist, mithin bei sämtlichen Steuerstraftaten des § 369 AO.6

10.91

1 Vgl. auch Art. 5 Abs. 2 EuAlÜbk i.d.F. des 2. ZP-EuAlÜbk. 2 Vgl. Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEuHB) v. 13.6.2002, ABl. EG 2002 Nr. L 190, 1, der zurückgeht auf die Schlussfolgerung des Europäischen Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen aus dem Jahre 2000. 3 Zum Ganzen Hecker, Europäisches Strafrecht4, 430 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 47 ff.; Pohl, Vorbehalt und Anerkennung: Der europäische Haftbefehl zwischen Grundgesetz und Europäischem Primärrecht, Baden-Baden 2009; Böhm, NJW 2006, 2529. 4 Vgl. Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 RbEuHB, ABl. EG 2002 Nr. L 190, 2; Rosenthal, ZRP 2006, 105; Böhm, NJW 2006, 2592. 5 2002/584/JI – RbEuHB, ABl. EG 2002 Nr. L 190. 6 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 47 f.

Peters | 373

Kap. 10 Rz. 10.92 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

10.92

§ 3 IRG findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Auslieferung in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates. Steuerstraftaten fallen nicht unter § 81 Nr. 4 IRG, wonach die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt.

10.93

Liegen die Voraussetzungen vor, erfolgt die Einstellung des EuHB in das Schengener Informationssystem („SIS“) und der Beschuldigte kann nach Festnahme im Ausland den inländischen Behörden übergeben werden. Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung des EuHB gem. Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 RB-EuHB verweigern, wenn in einem der in Art. 2 Abs. 4 genannten Fälle die Handlung, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt. In Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des EuHB jedoch nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats.1

10.94

In jedem Fall ist aber auch bei Vorliegen einer Katalogtat eine Schlüssigkeitsprüfung2 vorzunehmen, ob die Sachdarstellung einen nachvollziehbaren Rückschluss auf die in Rede stehende Katalogtat zulässt.3 Die zugrunde liegende Tat muss hinreichend konkretisiert sein.4 Gleichsam ist eine Tatverdachtsprüfung durchzuführen, mit der womöglich eine Verweigerung der Auslieferung einhergeht.5 Eine solche ist insbesondere im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts für die Frage von Bedeutung, ob der in Rede stehende Steueranspruch überhaupt besteht. Beispiel: Die italienischen Behörden führen ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen den italienischen, sich aber in Deutschland aufhaltenden A. Dieser soll angeblich in Italien unbeschränkt steuerpflichtig sein und entsprechende Einkünfte dort nicht versteuert haben. Die deutsche Steuerfahndung geht ihrerseits nachvollziehbar und hinreichend davon aus, dass A in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist und die Einkünfte in Deutschland zu versteuern gewesen wären.

10.95

Nach Art. 49 Abs. 3 Buchst. g RbEuHB kann die Auslieferung eines Verfolgten an einen anderen Mitgliedstaaten aufgrund eines europäischen Haftbefehls versagt werden, wenn dem Verfolgten im ersuchenden Staat eine unerträglich harte Strafe droht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt in vollem Umfang.

10.96

Im Rahmen des so genannten Bewilligungsverfahrens ist zunächst über das Vorliegen von Bewilligungshindernissen (§ 83 Buchst. b IRG) zu entscheiden. Die Bewilligung der Auslieferung kann beispielsweise abgelehnt werden, wenn: – gegen den Verfolgten wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, im Geltungsbereich dieses Gesetzes ein strafrechtliches Verfahren geführt wird; 1 Daraus wird zum Teil gefolgert, dass es bei Fiskalstraftaten der ersuchende Mitgliedstaat in der Hand habe, durch den Erlass eines EuHB jegliche noch bestehende Auslieferungsbeschränkung im Fiskalbereich auszuschalten, so noch Veh in Wabnitz/Janovsky/Schmitt4, Kap. 22. Rz. 140. 2 Für eine generelle Verhältnismäßigkeitsprüfung Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 71. 3 OLG Karlsruhe v. 10.8.2006 – 1 AK 30/06, NJW 2006, 3509 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 12 Rz. 53. 4 Hierzu vgl. OLG Köln v. 8.1.2010 – AuslA 106/09; OLG Karlsruhe v. 18.6.2007 – 1 AK 72/06, NStZ-RR 2007, 376. 5 OLG Karlsruhe v. 18.6.2007 – 1 AK 72/06, NStZ-RR 2007, 376.

374 | Peters

B. Eingehende Rechtshilfe | Rz. 10.99 Kap. 10

– die Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, abgelehnt wurde oder ein bereits eingeleitetes Verfahren eingestellt wurde; – dem Auslieferungsersuchen eines dritten Staates Vorrang eingeräumt werden soll; – nicht aufgrund einer Pflicht zur Auslieferung nach dem Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl, aufgrund einer vom ersuchenden Staat gegebenen Zusicherung oder aus sonstigen Gründen erwartet werden kann, dass dieser einem vergleichbaren deutschen Ersuchen entsprechen würde. Die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger richtet sich vorrangig nach § 80 IRG. Die Auslieferung zur Strafverfolgung kommt in Betracht, wenn gesichert ist,

10.97

– dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zurück zu überstellen, und – die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat aufweist. Ein solcher Inlandsbezug ist bei der Hinterziehung inländischer Steuern stets gegeben. Bei Hinterziehung von Umsatzsteuer und oder ausländischer Verbrauchsteuer liegt ein solcher Bezug ebenfalls vor.

IX. Europäische Überwachungsanordnung Als Alternative zur Untersuchungshaft enthält der Rahmenbeschluss über eine europäische Überwachungsanordnung1 Regelungen, wonach ein Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat erlassene Entscheidung über die Überwachungsmaßnahme anerkennt, die einer natürlichen Person auferlegten Überwachungsmaßnahme überwacht und die betroffene Person bei Verstößen gegen diese Maßnahmen dem Anordnungsstaat wieder übergibt.

10.98

Beispiel: Der Deutsche A wird in Griechenland wegen Steuerhinterziehung und Bestechung verhaftet. Zur weiteren Überwachung der Untersuchungshaft wird er nach Erlass der Überwachungsanordnung in sein Heimatland Deutschland überstellt, welches die weitere Überwachung vornimmt.

Ziel der europäischen Überwachungsanordnung ist es zu verhindern, dass vorschnell der Haftgrund der Fluchtgefahr angenommen wird und Ausländer in europäischen Mitgliedstaaten vorschnell in Untersuchungshaft genommen werden. Ein gesetzlicher, individueller Anspruch darauf, dass freiheitsentziehende Maßnahmen durch eine europäische Überwachungsanordnung substituiert werden, besteht nicht, indes müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten prüfen, warum ein angenommener Haftgrund nicht durch Erlass einer europäischen Überwachungsanordnung beseitigt werden kann. Es soll der Gefahr entgegengewirkt werden, dass Gebietsfremde eher in Untersuchungshaft genommen werden als Gebietsansässige.

1 Rahmenbeschluss 2009/829/JI des Rates v. 23.10.2009 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft, ABl. EU 2009 Nr. L 294, 20; Morgenstern, ZIS 2014, 216; http://www. brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2006/november/stellungnahme-der-brak-2006-38.pdf.

Peters | 375

10.99

Kap. 10 Rz. 10.100 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

10.100

Die deutsche Umsetzung findet sich in § 90 Buchst. o – z IRG.1 Dort sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen, die beizufügenden Unterlagen, etwaige Bewilligungshindernisse und das Verfahren um die vorläufige Bewilligungsentscheidung normiert.

10.101

Die praktische Relevanz der Vorschriften ist indes derzeit gering. Anders als in der europäischen Ermittlungsanordnung sind auch keine ausdrücklichen Rechtsmittel normiert. Der Betroffene kann allein die gerichtliche Entscheidung beantragen, sofern die zuständige Staatsanwaltschaft Übernahme der Überwachung nicht bewilligt. Gegen diesen Beschluss des Amtsgerichts kann sofortige Beschwerde eingelegt werden (§ 91 Unterabs. 5 IRG).

10.102

Besteht gegen den im Ausland wohnhaften Mandanten ein nationaler Haftbefehl, bietet es sich an, im Rahmen der Verkündung oder im Rahmen eines Haftprüfungstermins die Möglichkeit einer europäischen Überwachungsanordnung in Betracht zu ziehen. Zu bemängeln ist indes, dass vielfach die Voraussetzungen in praktischer Hinsicht unbekannt sind.

10.103

Der praktische Ablauf einer europäischen Überwachungsanordnung stellt sich wie folgt dar: Verhaftung

Anhörung Antrag des Beschuldigten auf Überwachungsanordnung ggf. nebst Bestimmung Auflage (Formblatt) Erlass durch Anordnungsstaat Außervollzugsetzung und Freilassung (oder Passentzug, Aufenthaltsbestimmung, elektr. Fußfessel o.ä.)

Verfahren

Übermittlung Überwachungsanordnung (unmittelbare Kommunikation/Kontaktsuche via EJN) Sta Gericht Entscheidung innerhalb von 20 Tagen ggf. Außervollzugsetzung und Freilassung erst hier „Grünes Licht“

Überwachung

Gericht überwacht Meldeauflage etc. bei Verstoß: EuHB durch Anordnungsstaat

X. Einziehung von Vermögen (§§ 88 IRG ff.) 10.104

Auf europäischer Ebene ist die grenzüberschreitende Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder sonstigen Beweismitteln möglich. Die Vollstreckungshilfe für einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses über die gegenseitige Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen2 richtet sich nach den §§ 88a – 88f IRG. Der Rahmenbeschluss über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstel-

1 Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen v. 16.7.2015, BGBl. I 2015, 1197. 2 Rahmenbeschluss 2006/783/JI des Rates v. 6.10.2006 über die gegenseitige Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. EU 2006 Nr. L 328, 59.

376 | Peters

B. Eingehende Rechtshilfe | Rz. 10.105 Kap. 10

lung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union (RB-Sicherstellung) wurde durch Gesetz vom 6.6.20081 in das nationale Recht umgesetzt.2 Beispiel: Frankreich will im obigen Fall die an A gezahlten 250.000 Euro sicherstellen.

10.105

§ 88a Voraussetzungen der Zulässigkeit (1) In Abweichung von § 49 Absatz 1 ist die Vollstreckung einer nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses Einziehung übersandten gerichtlichen Anordnung der Einziehung, die auf einen bestimmten Geldbetrag oder Vermögensgegenstand gerichtet ist, nur zulässig, wenn 1. eine zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union unter Vorlage der in § 88b genannten Unterlagen darum ersucht hat und 2. auch nach deutschem Recht, ungeachtet etwaiger Verfahrenshindernisse und gegebenenfalls bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts, wegen der Tat, die der ausländischen Anordnung der Einziehung zugrunde liegt, eine derartige Anordnung hätte getroffen werden können, wobei a) außer bei Ersuchen um Vollstreckung einer dem § 73a oder dem § 74a des Strafgesetzbuchs entsprechenden Maßnahme die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und den in Artikel 6 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses Einziehung aufgeführten Deliktsgruppen zugehörig ist und b) die Vollstreckung in Steuer-, Abgaben-, Zoll- oder Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern oder Abgaben vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zoll- oder Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates. (2) Die Vollstreckung einer nach Absatz 1 übersandten Anordnung der Einziehung ist unzulässig, wenn 1. die Tat im Inland oder in einem der in § 4 des Strafgesetzbuchs genannten Verkehrsmittel begangen wurde und nach deutschem Recht nicht mit Strafe bedroht ist; 2. die betroffene Person zu der der Anordnung der Einziehung zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist; 3. die betroffene Person wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen als dem ersuchenden Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass diese Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann, es sei denn, die Einziehung könnte entsprechend § 76a des Strafgesetzbuchs selbständig angeordnet werden; 4. bei Straftaten, für die das deutsche Strafrecht gilt, die Vollstreckung nach deutschem Recht verjährt ist, es sei denn, eine Anordnung der Einziehung könnte entsprechend § 76a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs erfolgen. [...]

1 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates v. 22.7.2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union v. 6.6.2008, BGBl. I 2008, 995; Inkrafttreten: 30.6.2008. 2 Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates v. 22.7.2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. EU 2003 Nr. L 196, 45.

Peters | 377

Kap. 10 Rz. 10.105 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) § 88b Unterlagen (1) Der ersuchende Mitgliedstaat hat das Original oder eine beglaubigte Abschrift einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung mit einer Bescheinigung nach Artikel 4 des Rahmenbeschlusses Einziehung vorzulegen, die die folgenden Angaben enthält: 1. die Bezeichnung und Anschrift des Gerichts, das den Verfall oder die Einziehung angeordnet hat; 2. die Bezeichnungen und Anschriften der für das Ersuchen zuständigen Justizbehörden; 3. die möglichst genaue Bezeichnung der natürlichen oder juristischen Person, gegen die die Entscheidung vollstreckt werden soll; 4. die Nennung des Geldbetrages oder die Beschreibung eines anderen Vermögensgegenstandes, der Gegenstand der Vollstreckung sein soll; 5. die Darlegung der Gründe für die Anordnung; 6. die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit sowie des Tatortes; 7. die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen, auf deren Grundlage die Entscheidung ergangen ist und 8. die Auskunft über das persönliche Erscheinen der betroffenen Person zu der Verhandlung oder Angaben darüber, weshalb das Erscheinen nicht erforderlich war. (2) Ist eine entsprechende Bescheinigung nach Absatz 1 bei Stellung des Ersuchens nicht vorhanden oder unvollständig oder entspricht sie offensichtlich nicht der zu vollstreckenden Entscheidung, kann die zuständige Behörde eine Frist für die Vorlage oder Vervollständigung oder Berichtigung setzen. Ist die Bescheinigung nach Absatz 1 unvollständig, ergeben sich die erforderlichen Angaben aber aus der zu vollstreckenden Entscheidung oder aus anderen beigefügten Unterlagen, so kann die zuständige Behörde auf die Vorlage einer vervollständigten Bescheinigung verzichten. § 88c Ablehnungsgründe Ein nach § 88a zulässiges Ersuchen kann nur abgelehnt werden, wenn 1. die Bescheinigung gemäß Artikel 4 des Rahmenbeschlusses Einziehung durch den ersuchenden Mitgliedstaat auch nicht in einem Verfahren entsprechend § 88b Absatz 2 Satz 1 vorgelegt, vervollständigt oder berichtigt wurde; 2. die Tat im Inland oder in einem der in § 4 des Strafgesetzbuchs genannten Verkehrsmittel begangen wurde; 3. die Tat weder im Inland noch im Hoheitsbereich des ersuchenden Mitgliedstaates begangen wurde und deutsches Strafrecht nicht gilt oder die Tat nach deutschem Recht nicht mit Strafe bedroht ist; 4. im Inland eine Anordnung der Einziehung ergangen ist, die sich auf dieselben Vermögenswerte bezieht, und aus öffentlichem Interesse der Vollstreckung dieser Anordnung Vorrang eingeräumt werden soll oder 5. ein Ersuchen um Vollstreckung einer Anordnung der Einziehung aus einem weiteren Staat eingegangen ist, das sich auf dieselben Vermögenswerte bezieht, und aus öffentlichem Interesse der Vollstreckung dieser Anordnung Vorrang eingeräumt werden soll. § 88d Verfahren (1) Erachtet die nach den §§ 50 und 51 zuständige Staatsanwaltschaft das Ersuchen für zulässig und beabsichtigt sie, keine Ablehnungsgründe nach § 88c geltend zu machen, leitet sie geeignete und erforderliche Maßnahmen zur einstweiligen Sicherstellung der zu vollstreckenden Ver-

378 | Peters

B. Eingehende Rechtshilfe | Rz. 10.107 Kap. 10 mögenswerte entsprechend den §§ 111b bis 111h der Strafprozessordnung ein und gibt der betroffenen Person sowie Dritten, die den Umständen des Falles nach Rechte an dem zu vollstreckenden Gegenstand geltend machen könnten, Gelegenheit, sich zu äußern. Entscheidet die Staatsanwaltschaft, nicht von den Ablehnungsgründen nach § 88c Nummer 1 bis 3 Gebrauch zu machen, begründet sie diese Entscheidung in dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Vollstreckbarkeit. (2) Die zuständige Behörde kann das Verfahren aufschieben, 1. solange anzunehmen ist, dass die Anordnung gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat vollständig vollstreckt wird oder 2. solange das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Anordnung laufende Straf- und Vollstreckungsverfahren beeinträchtigen könnte. (3) In Abweichung von § 54 Absatz 1 wird die ausländische Anordnung durch das Gericht gemäß den §§ 50 und 55 für vollstreckbar erklärt, soweit deren Vollstreckung zulässig ist und die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen, nicht von den Ablehnungsgründen nach § 88c Nummer 1 bis 3 Gebrauch zu machen, fehlerfrei ausgeübt hat. In der Beschlussformel ist auch der zu vollstreckende Geldbetrag oder Vermögensgegenstand anzugeben. § 54 Absatz 2a und 4 gilt entsprechend. Die verhängte Sanktion ist in die ihr im deutschen Recht am meisten entsprechende Sanktion umzuwandeln, wenn die Entscheidungsformel der ausländischen Anordnung nicht nach § 459g der Strafprozessordnung vollstreckbar ist. § 88f Aufteilung der Erträge Der Ertrag aus der Vollstreckung ist mit der zuständigen Behörde des ersuchenden Mitgliedstaates hälftig zu teilen, wenn er ohne Abzug von Kosten und Entschädigungsleistungen (§ 56a) über 10 000 Euro liegt und keine Vereinbarung nach § 56b Absatz 1 getroffen wurde. Dies gilt nicht, wenn die entsprechend § 56b Absatz 2 erforderliche Einwilligung verweigert wurde.

Für Deutschland besteht also auch ein fiskalisches Interesse an der Leistung von Rechtshilfe.

10.106

XI. Datenübermittlung ohne Ersuchen (§§ 61a, 92 IRG) Die §§ 61a, 92 IRG regeln die sog. Spontanauskunft zur Vorbereitung eines förmlichen Ersuchens. § 61a Datenübermittlung ohne Ersuchen (1) Gerichte und Staatsanwaltschaften dürfen ohne ein Ersuchen personenbezogene Daten aus strafprozessualen Ermittlungen an öffentliche Stellen anderer Staaten sowie zwischen- und überstaatliche Stellen übermitteln, soweit 1. eine Übermittlung ohne Ersuchen an ein deutsches Gericht oder eine deutsche Staatsanwaltschaft zulässig wäre, 2. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Übermittlung erforderlich ist, um a) ein Ersuchen des Empfängerstaates um Rechtshilfe in einem Verfahren zur Strafverfolgung oder zur Strafvollstreckung wegen einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedrohten Straftat vorzubereiten und die Voraussetzungen zur Leistung von Rechtshilfe auf Ersuchen vorlägen, wenn ein solches gestellt würde, oder b) eine im Einzelfall bestehende Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, abzuwehren oder eine Straftat der in Buchstabe a genannten Art zu verhindern, und

Peters | 379

10.107

Kap. 10 Rz. 10.107 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) 3. die Stelle, an die die Daten übermittelt werden, für die zu treffende Maßnahme nach Nummer 2 zuständig ist. Ist im Empfängerstaat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet, so ist Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle einer Straftat, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedroht ist, eine Straftat von erheblicher Bedeutung tritt. (2) Die Übermittlung ist mit der Bedingung zu verbinden, dass a) nach dem deutschen Recht geltende Löschungs- oder Löschungsprüffristen einzuhalten sind, b) die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie übermittelt worden sind, und c) die übermittelten Daten im Falle einer Unterrichtung nach Absatz 4 unverzüglich zu löschen oder zu berichtigen sind. (3) Die Übermittlung unterbleibt, soweit für das Gericht oder die Staatsanwaltschaft offensichtlich ist, dass – auch unter Berücksichtigung des besonderen öffentlichen Interesses an der Datenübermittlung – im Einzelfall schutzwürdige Interessen des Betroffenen an dem Ausschluss der Übermittlung überwiegen; zu den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen gehört auch das Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im Empfängerstaat. (4) Stellt sich heraus, dass personenbezogene Daten, die nicht hätten übermittelt werden dürfen, oder unrichtige personenbezogene Daten übermittelt worden sind, ist der Empfänger unverzüglich zu unterrichten.

10.108

Soweit völkerrechtliche Vereinbarungen dies vorsehen, dürfen öffentliche Stellen gem. § 92 IRG ohne Ersuchen personenbezogene Daten, die den Verdacht einer Straftat begründen, an öffentliche Stellen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union sowie Organe und Einrichtungen der Europäischen Union übermitteln, soweit eine Übermittlung auch ohne Ersuchen an ein deutsches Gericht oder eine deutsche Staatsanwaltschaft zulässig wäre und die Übermittlung geeignet ist, ein Strafverfahren in dem anderen Mitgliedstaat einzuleiten oder ein dort bereits eingeleitetes Strafverfahren zu fördern, und die Stelle, an welche die Daten übermittelt werden, für die zu treffenden Maßnahmen zuständig ist.

10.109

§ 92 IRG gilt für sämtliche Behörden i.S.d. § 2 BDSG, wohingegen die gleiche Regelung des § 61a IRG nur für Gerichte und Staatsanwaltschaften gilt. § 92 IRG gilt für Daten, die den Verdacht einer Straftat begründen, wohingegen § 61a IRG auf personenbezogene Daten aus „strafprozessualen Ermittlungen“ abstellt. Auch gilt die Strafmaßgrenze des § 61a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a IRG von fünf Jahren nicht. Die Voraussetzungen des § 61a IRG sind auch insofern enger, was die Speicherung und Löschung von Daten betrifft. Die Anforderungen an den Verdachtsgrad sind in beiden Fällen nicht sonderlich hoch.1

XII. Herausgabe/Durchsuchung und Beschlagnahme 1. Herausgabe von Gegenständen (§ 66 IRG) 10.110

Steuerstrafverfahren führen nicht immer nur aus Deutschland heraus. Auch ausländische Staaten gehen zunehmend dazu über, in der Bundesrepublik belegenes Vermögen ihrer Staatsbürger aufzuspüren oder Nachweise über (vermeintliche) geschäftliche Aktivitäten zu erhalten.2 1 BT-Drucks. 15/4232, 9. 2 Vgl. auch Nr. 75 RiVASt.

380 | Peters

B. Eingehende Rechtshilfe | Rz. 10.111 Kap. 10 § 66 Herausgabe von Gegenständen (1) Auf Ersuchen einer zuständigen Stelle eines ausländischen Staates können Gegenstände herausgegeben werden, 1. die als Beweismittel für ein ausländisches Verfahren dienen können, 2. die der Betroffene oder ein Beteiligter für die dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat oder durch sie erlangt hat, 3. die der Betroffene oder ein Beteiligter durch die Veräußerung eines erlangten Gegenstandes oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder aufgrund eines erlangten Rechtes erhalten oder als Nutzungen gezogen hat oder 4. die durch die dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind. (2) Die Herausgabe ist nur zulässig, wenn 1. die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zuläßt, oder wenn sie bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre, 2. eine Beschlagnahmeanordnung einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates vorgelegt wird oder aus einer Erklärung einer solchen Stelle hervorgeht, daß die Voraussetzungen der Beschlagnahme vorlägen, wenn die Gegenstände sich im ersuchenden Staat befänden, und 3. gewährleistet ist, daß Rechte Dritter unberührt bleiben und unter Vorbehalt herausgegebene Gegenstände auf Verlangen unverzüglich zurückgegeben werden. (3) Die Herausgabe nach Absatz 1 Nr. 2 bis 4 ist nur zulässig, solange hinsichtlich der Gegenstände noch kein rechtskräftiges und vollstreckbares ausländisches Erkenntnis vorliegt. [...]

2. Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 94 IRG durch Mitgliedstaaten Besonderheiten gelten bei ausländischen Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung: § 94 Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung (1) § 58 Abs. 3 und § 67 finden bei Ersuchen nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union (ABl. L 196 vom 2.8.2003, S. 45) (Rahmenbeschluss Sicherstellung) Anwendung,1 wobei 1. die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und den in Artikel 3 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses Sicherstellung aufgeführten Deliktsgruppen zugehörig ist, 2. ein Ersuchen in Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates.

1 Hierzu auch Bischoff/Nogrady in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 8 Rz. 92 ff.

Peters | 381

10.111

Kap. 10 Rz. 10.111 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) (2) Die Bewilligung von Ersuchen nach Absatz 1 ist unzulässig, wenn 1. ein Beschlagnahmeverbot nach § 77 Abs. 1 in Verbindung mit § 97 der Strafprozessordnung besteht oder 2. der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zu Grunde liegt, bereits von einem anderen als dem ersuchenden Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. [...] (3) Die Bewilligung von Ersuchen um Maßnahmen nach § 58 Abs. 3 und § 67 kann aufgeschoben werden, solange 1. sie laufende strafrechtliche Ermittlungen beeinträchtigen könnte und 2. die das Ersuchen betreffenden Gegenstände für ein anderes Strafverfahren beschlagnahmt oder sonst sichergestellt sind.

10.112

Der Rechtsschutz des Betroffenen richtet sich nach § 77 IRG i.V.m. § 304 StPO.

3. Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 67 IRG 10.113

§ 67 Beschlagnahme und Durchsuchung (1) Gegenstände, deren Herausgabe an einen ausländischen Staat in Betracht kommt, können, auch schon vor Eingang des Ersuchens um Herausgabe, beschlagnahmt oder sonst sichergestellt werden. Zu diesem Zweck kann auch eine Durchsuchung vorgenommen werden. (2) Gegenstände können unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 auch dann beschlagnahmt oder sonst sichergestellt werden, wenn dies zur Erledigung eines nicht auf Herausgabe der Gegenstände gerichteten Ersuchens erforderlich ist. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) Die Beschlagnahme und die Durchsuchung werden von dem Amtsgericht angeordnet, in dessen Bezirk die Handlungen vorzunehmen sind. § 61 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. (4) Bei Gefahr im Verzug sind die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) befugt, die Beschlagnahme und die Durchsuchung anzuordnen.

10.114

Die Regelung des § 67 IRG schafft kein Sonderrecht. Über § 77 IRG gelten die allgemeinen Anforderungen an Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse. Im Falle der vorläufigen Anordnung vor Eingang eines Rechtshilfeersuchens sind diese jedoch herabgesetzt. Hinsichtlich der Eilfallkompetenz gelten keine Besonderheiten gegenüber dem regulären Verfahren und den allgemeinen Anforderungen an den Begriff der Gefahr im Verzug.1 Der Rechtsschutz des Betroffenen richtet sich nach § 77 IRG i.V.m. § 304 StPO.

XIII. Vollstreckungshilfe 1. Grundsätze 10.115

Die Vollstreckungshilfe für einen anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen2 richtet sich nach Unterabschnitt zwei des IRG. 1 BVerfG v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121 2 ABl. EU 2005 Nr. L 76, 16.

382 | Peters

B. Eingehende Rechtshilfe | Rz. 10.117 Kap. 10

Ersuchen an einen anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen richten sich nach Unterabschnitt drei. Gemeinhin wird von einer „Übertragung der Strafvollstreckung“ gesprochen, die auf der einen Seite die Übernahme (§ 48 IRG) und auf der anderen Seite (§ 71 IRG) die Abgabe der Strafvollstreckung meint. Für den hier interessierenden Bereich der Abgabe der Strafvollstreckung gilt gem. § 71 Abs. 1 IRG, dass ein ausländischer Staat um Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen einen Ausländer verhängten Strafe oder sonstigen Sanktion ersucht werden kann.

10.116

Beispiel: Der türkische Staatsangehörige A wird in Deutschland wegen Steuerhinterziehung im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells mit hochwertigen Kraftfahrzeugen durch das Landgericht zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. A verfügt in Deutschland über keinen Wohnsitz, hat nur wenige familiäre Kontakte und ist der deutschen Sprache kaum mächtig. Die Vollstreckung der Strafe soll in der Türkei in der Nähe seines Heimatorts erfolgen.

10.117

§ 71 Vollstreckung deutscher Erkenntnisse im Ausland (1) Die Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen eine ausländische Person verhängten Strafe oder sonstigen Sanktion kann auf einen ausländischen Staat übertragen werden, wenn 1. die verurteilte Person in dem ausländischen Staat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder sich dort aufhält und nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist, oder 2. die Vollstreckung in dem ausländischen Staat im Interesse der verurteilten Person oder im öffentlichen Interesse liegt. Die Überstellung der verurteilten Person darf nur zur Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion erfolgen; § 6 Absatz 2, § 11 gelten entsprechend. (2) Die Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit verhängten nicht freiheitsentziehenden Strafe oder Sanktion kann auf einen ausländischen Staat übertragen werden, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Ferner kann die Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit verhängten freiheitsentziehenden Strafe oder sonstigen Sanktion auf einen ausländischen Staat übertragen werden, wenn 1. die verurteilte Person in dem ausländischen Staat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder sich dort aufhält, 2. die verurteilte Person nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist, und 3. der verurteilten Person durch die Vollstreckung in dem ausländischen Staat keine erheblichen, außerhalb des Strafzwecks liegenden Nachteile erwachsen. Hält sich die verurteilte Person nicht in dem ausländischen Staat auf, so darf die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion ferner nur übertragen werden, wenn sich die verurteilte Person nach Belehrung zu Protokoll eines Richters oder eines zur Beurkundung von Willenserklärungen ermächtigten Berufskonsularbeamten damit einverstanden erklärt hat. Das Einverständnis kann nicht widerrufen werden. (3) Die Vollstreckung darf nur übertragen werden, wenn gewährleistet ist, dass der ausländische Staat eine Rücknahme oder eine Beschränkung der Übertragung beachten wird. (4) Die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion darf nur übertragen werden, wenn das Gericht die Vollstreckung in dem ausländischen Staat für zulässig erklärt hat. Über die Zulässigkeit entscheidet das Oberlandesgericht durch Beschluss. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich

Peters | 383

Kap. 10 Rz. 10.117 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) nach dem Sitz des Gerichts, das die zu vollstreckende Strafe oder sonstige Sanktion verhängt hat, oder, wenn gegen die verurteilte Person im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird, nach § 462a Absatz 1 Satz 1 und 2 der Strafprozessordnung. § 13 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2, § 30 Absatz 2 Satz 2 und 4, Absatz 3, § 31 Absatz 1 und 4, die §§ 33, 52 Absatz 3, § 53 gelten entsprechend. Befindet sich die verurteilte Person im Geltungsbereich dieses Gesetzes, so gelten auch § 30 Absatz 2 Satz 1, § 31 Absatz 2 und 3 entsprechend. (5) Die deutsche Vollstreckungsbehörde sieht von der Vollstreckung ab, soweit der ausländische Staat sie übernommen und durchgeführt hat. Sie kann die Vollstreckung fortsetzen, soweit der ausländische Staat sie nicht zu Ende geführt hat.

10.118

Sinn und Zweck der Regelung bestehen darin, dass dem Interesse des Beschuldigten Rechnung getragen wird, eine freiheitsentziehende Sanktion in seinem Sprach-, Kultur- und Rechtskreis zu verbüßen. Zugleich bewirkt die Regelung eine Entlastung des deutschen Strafvollzugs.

10.119

Deutschland als Urteilsstaat soll stets Herr des Verfahrens bleiben. In jedem Fall kommt eine Überstellung nicht in Betracht, wenn im ersuchten Staat die Verhängung der Todesstrafe aus einer anderen Entscheidung heraus droht oder der Verurteilte rechtsstaatswidrige Strafen zu befürchten hat. Im Gegenzug muss aber sichergestellt sein, dass im ausländischen Staat auch eine entsprechende Vollstreckung der Strafe erfolgt und nicht, wie häufig zu beobachten, hohe Abschläge in der tatsächlichen Vollstreckung gewährt werden bzw. bei lebenslanger Freiheitsstrafe nicht vorgesehene Zuschläge erfolgen. Der Verurteilte soll weder besser noch schlechter gestellt werden.

2. Verfahren 10.120

Um Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion darf nur ersucht werden, wenn das Gericht die Vollstreckung in dem ersuchten Staat für zulässig erklärt hat. Die Entscheidung über das „ob“ der Stellung eines Überstellungsersuchens trifft die Strafvollstreckungsbehörde, d.h. die Staatsanwaltschaft oder der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter. Diese bereiten in Zusammenarbeit mit der Generalstaatsanwaltschaft die Überstellung vor.

10.121

Über die Zulässigkeit entscheidet das Oberlandesgericht durch Beschluss. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Sitz des Gerichts, das die zu vollstreckende Strafe oder sonstige Sanktion verhängt hat, oder, wenn gegen den Verurteilten im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird, nach § 462a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO. Die deutsche Vollstreckungsbehörde sieht von der Vollstreckung ab, soweit der ersuchte Staat sie übernommen und durchgeführt hat. Sie kann die Vollstreckung fortsetzen, soweit der ersuchte Staat sie nicht zu Ende geführt hat.

10.122

Der Verurteilte hat kein eigenes Antragsrecht sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die Entscheidung der Strafvollstreckungsbehörde ist ausreichend zu begründen. Es gelten die allgemeinen Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen. Namentlich müssen die Einhaltung und Ausnutzung des Ermessensspielraums, das Ausgehen vom zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt und die tatsächliche Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände gegeneinander und deren Einbeziehung in die Entscheidung erkennbar sein.1 Gegen eine ablehnende Entscheidung der

1 Vgl. auch OLG Hamm v. 8.12.1998 – 1 VAs 84/98, StV 2000, 379.

384 | Peters

C. Ausgehende Rechtshilfe | Rz. 10.125 Kap. 10

Strafvollstreckungsbehörde ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG zu den Oberlandesgerichten eröffnet.

C. Ausgehende Rechtshilfe/Kleine Rechtshilfe/Grenzüberschreitende Beweismittelerlangung – Grundsätze I. Zuständigkeit und Form Nach dem EuRhÜbk sind Ersuchen grundsätzlich von Justizbehörden zu stellen.1 In der deutschen Erklärung zu Art. 24 EuRhÜbk sind dabei die Staatsanwaltschaften als Justizbehörden aufgeführt.2 Die Finanzbehörden und die nachgeordneten Straf- und Bußgeldsachenstellen sind nicht zuständig. Hält die Finanzbehörde die Stellung eines Rechtshilfeersuchens für erforderlich, muss sie sich an die zuständige Staatsanwaltschaft wenden. Ermittelt die Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren, kann sie Ersuchen auf der Grundlage bilateraler Verträge aber dann selbst stellen, wenn sie in dem betreffenden Vertrag als berechtigte Behörde benannt ist (§ 386 Abs. 2, § 399 Abs. 1 AO, Nr. 127 RiVASt), wie dies etwa mit Kanada der Fall ist. Eine Abgabe des Verfahrens nach § 386 Abs. 4 AO oder die Bitte der Finanzbehörde an die Staatsanwaltschaft, für sie im Wege innerstaatlicher Amtshilfe ein entsprechendes Rechtshilfeersuchen zu stellen, ist grundsätzlich nicht mehr erforderlich, wenngleich in der Praxis die Regel. Grenzüberschreitende Steuerstrafverfahren werden immer häufiger schon von Beginn an in Absprache miteinander geführt.

10.123

Bei Zweifeln, ob ein ausländischer Staat um Rechtshilfe ersucht werden soll, z.B. weil die deutschen Behörden einem entsprechenden ausländischen Ersuchen nicht stattgeben würden, ist gem. Nr. 25 Abs. 2 RiVASt der obersten Justiz- oder Verwaltungsbehörde zu berichten oder ihr das Ersuchen vorzulegen.

10.124

Die Stellung eines Rechtshilfeersuchens vollzieht sich in der Praxis wie folgt: Der zuständige Dezernent fasst den Sachverhalt, der Gegenstand des Ermittlungsverfahrens und des Rechtshilfeersuchens sein soll, in einem Vermerk zusammen. Zugleich führt er konkret auf, welche Ermittlungsmaßnahmen von dem ausländischen Staat begehrt werden. In diesem Zusammenhang sind die inländischen Beschlüsse, etwa auf Beschlagnahme von Bankunterlagen, Arrestbeschlüsse oder etwaige Durchsuchungsbeschlüsse, beizufügen. Alsdann wird der gesamte Vorgang zumeist in einem gesonderten Rechtshilfevorgang einem besonders geschulten Dezernenten zugewiesen, der die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen des Rechtshilfeersuchens überprüft und nunmehr förmlich ein entsprechendes Rechtshilfeersuchen an die ausländischen Behörden stellt, wozu er speziell zeichnungsbefugt ist, und das Rechtshilfeersuchen mit einem entsprechenden Dienstsiegel versieht.

10.125

Gegebenenfalls nach Übersetzung des Rechtshilfeersuchens wird dieses dem vor Ort für die Rechtshilfe zuständigen Kollegen gegebenenfalls direkt übermittelt, welcher nunmehr seinerseits das Rechtshilfeersuchen zunächst inhaltlich prüft und im Falle des Eintretens auf das Rechtshilfeersuchen dieses an die örtlichen Ermittlungsbehörden mit der Bitte um Durchführung der erbetenen Maßnahmen weiterleitet oder diese selber vornimmt, etwa eine zeugenschaftliche Vernehmung. Soll beispielsweise ein Zeuge in Frankreich vernommen werden, fin1 Ausführlich zum Ganzen Bischoff/Nogrady in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 8 Rz. 24 ff. 2 Vgl. auch die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. II 1976, 1799.

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Kap. 10 Rz. 10.125 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

det sich in dem Rechtshilfeersuchen idealerweise ein Fragenkatalog, welcher nunmehr durch die französischen Ermittlungsbehörden dem Zeugen unterbreitet wird. Ggf. besteht für die deutschen Behörden auch die Möglichkeit der Teilnahme und die Möglichkeit selbst Fragen zu stellen. Die Vernehmung des ausländischen Zeugen wird sodann protokolliert und im Wege der Beantwortung des Rechtshilfeersuchens zunächst dem zuständigen deutschen Rechtshilfedezernenten übersandt, welcher den gesamten Vorgang dann dem zuständigen Dezernenten zuleitet.

10.126

Das IRG umfasst zudem nur repressives Handeln.1 Da die Finanzbehörden sowohl im Besteuerungsverfahren als auch im Steuerstrafverfahren tätig werden können, stehen ihnen dem Grunde nach die Wege der Amtshilfe als auch der Rechtshilfe offen. Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Verwaltungs- bzw. Besteuerungsverfahren erfolgt im Rahmen der internationalen Amtshilfe, während nur bei der Führung eines Steuerstrafverfahrens die internationale Rechtshilfe zur Anwendung kommt.2 Rechtshilfe scheidet mithin aus, wenn durch die Finanzbehörden im Zeitpunkt der Antragstellung nur das Besteuerungsverfahren oder aber lediglich Vorfeldermittlungen i.S.d. § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO geführt werden. In diesem Fall kommt allein die Amtshilfe in Betracht.3

10.127

Im Übrigen gelten die allgemeinen Zuständigkeitsvoraussetzungen. Die Finanzbehörden dürfen auch nicht beliebig zwischen der Amts- und Rechtshilfe wählen. Es muss stets objektiv erkennbar sein, in welcher Funktion und aufgrund welcher Rechtsvorschriften die Finanzbehörde tätig wird.4 Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der daraus abzuleitenden Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen.5

10.128

Die Stellung eines Rechtshilfeersuchens ist eine Formalangelegenheit, und in der Praxis wird auf die Einhaltung der Formalitäten schon wegen der Außenwirkung größter Wert gelegt. Ein Muster zur Abfassung von Rechtshilfeersuchen findet sich in Nr. 150 RiVASt sowie in der Anlage zum BMF-Schreiben vom 16.11.2006 „Zwischenstaatliche Rechtshilfe in Steuerstrafsachen“.6 Ein Ersuchen hat dabei stets die Angabe der ersuchenden Behörde, den Gegenstand und Grund des Ersuchens, die Identität des Beschuldigten sowie die Bezeichnung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit und eine geordnete und nachvollziehbare Sachverhaltsdarstellung zu enthalten. Auf etwaige bestehende innerstaatliche Beweiserhebungsverbote, insbesondere Aussage-, Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote (§§ 52 ff., 97, 136 Abs. 1, § 160a StPO) ist in der Regel unter Beifügung einer Ablichtung der jeweiligen Norm hinzuweisen. Ggf. zu fertigende Übersetzungen müssen den die Richtigkeit der Übersetzung bestätigenden Vermerk und ggf. Stempel eines amtlich bestellten oder vereidigten Übersetzers/Dolmetschers tragen.

II. Geschäftswege 10.129

In Nr. 5 RiVASt sind folgende mögliche Geschäftswege aufgeführt, die sowohl die eingehende wie auch die ausgehende Rechtshilfe betreffen, jedoch für die ausgehende Rechtshilfe insofern von besonderer Bedeutung sind, als hier die Ermittlungsbehörde bereits unter Berücksichti1 2 3 4 5 6

BT-Drucks. 9/1338, 34. Korts, IStR 2006, 869. BStBl. I 2006, 701. Spatscheck/Alvermann, IStR 2001, 33 (35). Vgl. auch oben die Ausführungen zum Unterschied von Amts- und Rechtshilfe, Rz. 10.23 f. BStBl. I 2006, 708.

386 | Peters

C. Ausgehende Rechtshilfe | Rz. 10.131 Kap. 10

gung möglicher Konsequenzen entscheiden muss, welchen Weg sie wählt.1 Zur Verfügung stehen: – der diplomatische Geschäftsweg (die Regierung eines der beiden beteiligten Staaten und die diplomatische Vertretung des anderen treten miteinander in Verbindung), – der ministerielle Geschäftsweg (die obersten Justiz- oder Verwaltungsbehörden in den beteiligten Staaten treten miteinander in Verbindung), – der konsularische Geschäftsweg (eine konsularische Vertretung im Gebiet des ersuchten Staates und die Behörden dieses Staates treten miteinander in Verbindung), – der unmittelbare Geschäftsweg (die ersuchende und die ersuchte Behörde treten unmittelbar miteinander in Verbindung, unbeschadet der Einschaltung einer Prüfungs- oder Bewilligungsbehörde sowie der Übermittlung über das Bundeskriminalamt oder eine andere Übermittlungsstelle). Über ausländische Rechtshilfeersuchen und über die Stellung von Ersuchen an ausländische Staaten um Rechtshilfe entscheidet gem. § 74 Abs. 1 IRG das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und mit anderen Bundesministerien, deren Geschäftsbereich von der Rechtshilfe betroffen wird. Über § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. der Zuständigkeitsvereinbarung vom 28.4.20042 ist die Kompetenz jedoch den Landesregierungen übertragen. Wurde das Rechtshilfeersuchen durch eine Strafverfolgungsbehörde oder ein Gericht vorbereitet, obliegt die letztliche Entscheidung über das Stellen des Ersuchens der zuständigen Prüfungs- und Bewilligungsbehörde. Wenn der unmittelbare oder konsularische Geschäftsweg eröffnet ist, liegt die Zuständigkeit für die Bewilligung regelmäßig bei der Behördenleitung, in der Praxis ist dies der Leitende Oberstaatsanwalt.

10.130

III. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Rechtshilfe im engeren Sinne/Beweisrechtshilfe Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen mittels ausgehender Ersuchen beurteilt sich zunächst nach deutschem Recht. Es gilt der Grundsatz, dass ein Ersuchen dann zulässig ist, wenn die erbetene Maßnahme auch nach deutschem Recht rechtmäßig ist.3 Erst dann ist zu prüfen, ob eine völkerrechtliche Übereinkunft spezielle Regelungen zu der beabsichtigten Ermittlungsmaßnahme enthält. Aus dem Rechtssatz „locus regit actum“ folgt, dass sich die Erledigung des Rechtshilfeersuchens regelmäßig nach dem Recht des ersuchten Staates richtet. In Fällen des EU-RhÜbk kann der ersuchende Staat nach Art. 4 Abs. 1 EURhübk verlangen, dass Verfahrensvorschriften des ersuchenden Staates zur Anwendung kommen („lex forum regit actum“).

1 Es handelt sich um eine wesentliche Förmlichkeit nach OLG Düsseldorf v. 9.1.2003 – 4 Ausl 371/ 02-6/03, StV 2004, 146, die ggf. zu einem Verwertungsverbot führen kann. So ist ein direktes Telefonat mit österreichischen Ermittlungsbehörden in der Regel unproblematisch, wohingegen sich eine solche Vorgehensweise etwa bei ehemaligen Ostblockstaaten, etwa Russland, nicht empfiehlt. Kritisch zu sehen ist es indes, wenn deutsche Fahnder sich unter Umgehung der Rechtshilfe in ihrem Urlaub mit ausländischen Behörden treffen und bspw. Unterlagen entgegennehmen, welche Eingang in ein Strafverfahren finden, zu etwaigen Beweisverwertungsverboten vgl. unter Rz. 6.43 ff., 6.250 ff. 2 BAnz. Nr. 100 v. 29.5.2004, 11494. 3 Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 24 Rz. 17, 143.

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10.131

Kap. 10 Rz. 10.132 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

IV. Länderspezifische Besonderheiten/Übersicht 10.132

Im Folgenden werden die landesspezifischen Besonderheiten für Länder dargestellt, die häufig im Zusammenhang mit Verfahren im Internationalen Steuerstrafrecht in Erscheinung treten. Der RbDatA1mit der sog. Schwedischen Initiative, basierend auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, gilt im Verhältnis zu allen EU-Mitgliedstaaten und für die Schengen-assoziierten Staaten Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island.2 Für die Schweiz stellt der Rahmenbeschluss eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des Abkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz über die Assoziierung bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands dar, die in den in Art. 1 H des Beschlusses 1999/437/EG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2004/860/EG des Rates vom 25.10.2004 über die Unterzeichnung im Namen der Europäischen Gemeinschaft und die vorläufige Anwendung einiger Bestimmungen dieses Abkommens und mit Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2004/849/EG des Rates vom 25.10.2004 über die Unterzeichnung im Namen der Europäischen Union und die vorläufige Anwendung einiger Bestimmungen dieses Abkommens genannten Bereich fallen.3

10.133

Als Straftaten, bei denen eine Übermittlung von Informationen erfolgt, sind im hier interessierenden Zusammenhang Betrug (Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB-CH), Betrugsdelikte, inkl. Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften,4 Erschleichen einer Leistung, arglistige, Vermögensschädigung, unwahre Angaben über kaufmännische Gewerbe, unwahre Angaben gegenüber Handelsregisterbehörden, Warenfälschung, betrügerischer, Konkurs und Pfändungsbetrug, Leistungs- und Abgabebetrug gemäß Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht und Urkundenfälschung erfasst.

10.134

Aufgrund der in dem Rahmenbeschluss enthaltenen Ablehnungsmöglichkeiten ist auch weiterhin davon auszugehen, dass die Schweiz bei einer bloßen Steuerhinterziehung die Informationen nicht zur Verfügung stellen wird. Die Steuerhinterziehung stellt in der Schweiz lediglich eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat dar5 und der Rahmenbeschluss findet kei1 Rahmenbeschluss 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU, ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26. Umgesetzt in Deutschland durch das Gesetz über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU v. 21.7.2012, BGBl. I 2012, 1566, §§ 117a, 117b AO, § 92 IRG; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des „Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU“ (sog. Schwedische Initiative) im Bereich der Steufa v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538; zum Ganzen auch Beyer, AO-StB 2013, 351; Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355; Zöller, ZIS 2011, 64; BT-Drucks. 17/5096. 2 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538 (540), Tz. 3. 3 Vgl. auch Bundesgesetz v. 12.6.2009 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der anderen Schengen-Staaten, BBl. 2009, 4493; vgl. auch http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/sicherheit/polizeizusammenarbeit/schengen_dublin/191108-bot-schengenbesitzstand-d.pdf. 4 ABl. EG 1995 Nr. C 316, 49. 5 Vgl. auch http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/sicherheit/polizeizusammenarbeit/schengen_dublin/191108-bot-schengenbesitzstand-d.pdf S. 12 zu den Auswirkungen für den Betrug bzw. die Geltung entsprechender Straftaten, insb. was den Steuerbetrug betrifft.

388 | Peters

C. Ausgehende Rechtshilfe | Rz. 10.137 Kap. 10

ne Anwendung auf Taten, die nach dem Recht des ersuchenden Staates lediglich Ordnungswidrigkeiten darstellen.1 Der räumliche Geltungsbereich für Liechtenstein ergibt sich aus dem Protokoll vom 28.2.2008 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen und Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen Besitzstandes.2 Durch diese Übernahme wird der Ermittlungsdruck neuerlich verschärft.3

10.135

V. Problemfelder Anfragen auf Grundlage der Schwedischen Initiative nach dem RbDatA4 werden auch zukünftig für nicht unerhebliche Probleme – vornehmlich im strafprozessualen Bereich – sorgen. Praktisch ungeklärt ist bislang, wie die Validität und Vollständigkeit der übermittelten Informationen beurteilt werden kann. So reicht allein die nicht näher untermauerte Behauptung einer ausländischen Behörde nicht aus, bei einem Geschäftspartner handele es sich um einen Scheinunternehmer, um die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen.5 Zu Recht ist daher zu fordern, dass die Auskunft fundiert zu sein hat und ggf. mit Beweismitteln zu unterlegen ist. In keinem Fall kann die bloße Behauptung einer ausländischen Behörde ausreichend sein.

10.136

Um eine Vermischung von polizeilichen mit justiziellen Kompetenzen zu vermeiden, enthält der RbDatA klare Regelungen über die Verwendung der übermittelten Daten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens. Der Gesetzgeber hat zwar den durch die Umsetzung des RbDatA zu erwartenden größeren Informationsaustausch mit einer erheblich erweiterten Zahl möglicher Empfänger erkannt und Erschwernisse bei der Kontrolle darüber, was mit den weitergeleiteten Daten geschieht, gesehen. Eine allseits befriedende Lösung wurde jedoch nicht gefunden. Den Staatsanwaltschaften und Gerichten wurde lediglich im Rahmen von § 92 IRG die Möglichkeit gegeben, in Zweifelsfällen die Rechtmäßigkeit des Datenaustauschs sowohl

10.137

1 Vgl. auch gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 539, Tz. 2. 2 SR 0.362.311. 3 Beyer, AO-StB 2013, 351. 4 Rahmenbeschluss 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU, ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26. Umgesetzt in Deutschland durch das Gesetz über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU v. 21.7.2012, BGBl. I 2012, 1566, §§ 117a, 117b AO, § 92 IRG; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des „Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU“ (sog. Schwedische Initiative) im Bereich der Steufa v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538; zum Ganzen auch Beyer, AO-StB 2013, 351; Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355; Zöller, ZIS 2011, 64; BT-Drucks. 17/5096. 5 Beyer, AO-StB 2013, 351 (352) unter Verweis auf FG Münster v. 5.2.2004 – 15 V 5805/03, DStRE 2004, 651.

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Kap. 10 Rz. 10.137 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

im innerstaatlichen als auch im grenzüberschreitenden Bereich auf Veranlassung der jeweils zuständigen Polizeibehörde vorab zu überprüfen.1 In diesen Fällen soll die durch § 478 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO bestimmte Kompetenzverteilung eingreifen.2 Nicht klar ist aber, wann ein Zweifelsfall vorliegt bzw. ob eine Verpflichtung für die Strafverfolgungsbehörden in diesen Fällen besteht. Über § 385 Abs. 1 AO gilt diese Einschränkung auch für die Steuerfahndung.

10.138

Nicht unkritisch zu sehen ist auch, dass Anfragen auf Grundlage der Schwedischen Initiative unter Umgehung der besonderen Förmlichkeiten eines strafrechtlichen Rechtshilfeersuchens erfolgen und in erster Linie formlos per E-Mail erfolgen. Hier ist das Risiko zu sehen, dass die besonderen Förmlichkeiten eines Rechtshilfeersuchens umgangen werden, insbesondere was die sprachliche Abfassung und die sprachliche Genauigkeit des Ersuchens betrifft.3 Zudem entscheidet über das Ersuchen ein Sachbearbeiter der Strafverfolgungsbehörde, wohingegen ein förmliches strafrechtliches Rechtshilfeersuchen von speziell geschulten, qualifizierten und befähigten Rechtshilfedezernenten der Staatsanwaltschaft abgefasst wird. Anders als bei der steuerlichen Amtshilfe erfolgt das Ersuchen durch eine Strafverfolgungsbehörde, und im Falle zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte könnte sich für die ausländische Behörde eine Veranlassung ergeben, ihrerseits dem Legalitätsprinzip folgend ein Strafverfahren einzuleiten.

10.139

Bislang nicht geklärt ist, welche Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffene hat, etwa gegen „kleinere Ermittlungen“ im Ausland, z.B. wenn eine „Objektabklärung“ in eine Begehung der Örtlichkeiten umschlägt. Im Inland wird bei eingehenden Ersuchen fraglich sein, ob solche „kleineren Ermittlungen“ noch vom Rahmenbeschluss gedeckt sind. Der RbDatA stellt ausdrücklich keine Verpflichtung zur Informationsgewinnung oder zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen auf,4 sondern dient allein der Umsetzung des Grundsatzes der Verfügbarkeit von Informationen. Mag man eine Ortsbegehung5 noch für unproblematisch erachten, dürfte eine (förmliche) Zeugenbefragung6 eine Umgehung der Rechtshilfe darstellen.

10.140

Der Unmittelbarkeitsgrundsatz im Strafverfahren dürfte weniger berührt sein, da dies ein Problem betrifft, das auch strafrechtlichen Rechtshilfeersuchen gemein ist. Im Zweifel sind die ausländischen Beamten zu laden oder im Wege der Videovernehmung (§ 247a StPO)7 zu vernehmen. Es gilt der Grundsatz, dass es dem Beschuldigten weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen darf, dass ein Verfahren einen Auslandsbezug aufweist.

1 BT-Drucks. 17/5096, 18. 2 BT-Drucks. 17/5096, 123. 3 Vgl. auch die Bedenken von Beyer, AO-StB 2013, 351 (353), der die Gewährleistung eines hinreichenden Standards an Fremdsprachenkenntnissen fordert und die Gefahr ebenfalls in übereilten und sprachlich nicht korrekten Anfragen bzw. Antworten sieht; in diese Richtung auch Weßlau in SK-StPO4, § 478 StPO Rz. 12. 4 So auch ausdrücklich die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 17/5096, 15 (30). 5 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 540, Tz. 6.1. 6 Für die Zulässigkeit einer Zeugenbefragung wohl die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541, Tz. 7.2. 7 Zum Ganzen vgl. BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, NJW 1999, 3788; BGH v. 9.10.2007 – 5 StR 344/07, NStZ 2008, 232; BGH v. 28.1.2010 – 3 StR 274/09, NJW 2010, 2365, vgl. hierzu Rose, NStZ 2012, 18.

390 | Peters

D. Landesspezifische Besonderheiten | Rz. 10.143 Kap. 10

VI. Rechtsschutz Eine Unterrichtungspflicht des Betroffenen im Vorhinein1 oder Nachhinein ist nicht vorgesehen.2 Ein einstweiliger Rechtsschutz ist davon abhängig, dass der Steuerpflichtige von dem Auskunftsvorhaben Kenntnis hat oder von dem Eingang eines entsprechenden Ersuchens erfährt. Im präventiven Verfahren ist der Finanzrechtsweg zu beschreiten (§ 33 FGO). Im repressiven Verfahren ist der ordentliche Rechtsweg zu beschreiten (§ 13 GVG). Auch nach Vollzug der Maßnahme muss wegen der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eine Überprüfung möglich sein, insbesondere was die Zulässigkeit und etwaige Verwertungsverbote betrifft.3

10.141

D. Landesspezifische Besonderheiten I. Schweiz Literatur: Behnisch, Internationale Amts- und Rechtshilfe im Steuerrecht – neue Tendenzen, ST 2007, 286; Heine, Die Verletzung des Bankgeheimnisses: Neue Strafbarkeit der Bank bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, in Emmenegger, Cross-Boarder Banking, Basel 2009; Holenstein, Wird die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen durch die Amtshilfe nach OECD-Standard überflüssig?, PStR 2011, 41; Lionel, Die Rechtshilfe bei Abgabebetrug gemäss Art. 3 Abs. 3 des neuen Rechtshilfegesetzes, ASA 50 (1981), 337 ff.; Paolo, Bankbeziehungen und internationale Rechtshilfe in Strafsachen: neuere Entwicklungen, SWZ/RSDA 2/95, 63; Paolo, Schweizerisches Bankgeheimnis und ausländischer Fiskus im Rahmen der internationalen Rechts- und Amtshilfe, STR 2000, 702 ff. und SJZ 95 (1999), 401 ff.; Petersen, Das Bankgeheimnis zwischen Individualschutz und Institutionsschutz, Diss., Tübingen 2005; Pieper, Rechts- und Amtshilfe in Steuerangelegenheiten durch die Schweiz insbesondere im Hinblick auf das schweizerische Bankgeheimnis, Diss., Frankfurt/M. 1995; Weigell, Erfahrungen im Bereich der Rechts- und Amtshilfe sowie des Informationsaustauschs in der Steuerstrafverfolgung im Verhältnis insbesondere zur Schweiz, Tagungsband Kölner Tage Steuerfahndung 2010, 121.

1. Rechtsquellen Im Folgenden werden Besonderheiten zur Leistung von Rechtshilfe im Bereich der Steuerhinterziehung zu einzelnen Staaten erörtert, allen voran Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg und Österreich.

10.142

Die maßgeblichen Rechtsquellen der Schweiz sind: – Bundesgesetz vom 20.3.1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz – IRSG);4 – Verordnung vom 24.2.1982 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfeverordnung – IRSV). Das IRSG hat die gleiche Funktion wie das deutsche IRG. Sämtliche Wegleitungen, Verordnungen und sonstigen für das Schweizerische Rechtshilferecht bedeutsamen Unterlagen, ins1 In diese Richtung aber grundsätzlich die Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 17/5096, 35. 2 Auch der gleich lautende Ländererlass geht davon aus, dass eine Unterrichtung nur dann erforderlich ist, wenn dies im Fall eines innerstaatlichen Datenaustauschs vorgesehen wäre, BStBl. I 538, 540, Tz. 5.4. 3 Beyer, AO-StB 2013, 351 (354). 4 Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 24 Rz. 161.

Peters | 391

10.143

Kap. 10 Rz. 10.143 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

besondere eine vorzügliche Gesamtübersicht des schweizerischen Rechtshilferechts sind abrufbar unter http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/straf/wegleitungen.html.

10.144

Mit der Schweiz besteht zudem eine den Schengen-Besitzstand einbeziehende Assoziierungsvereinbarung1 und weitere bilaterale Ergänzungsverträge (CH-ErgV EuRhübk; ÄndV ChErgV EuRhübK; D-Ch PolVG, D-CH PolV). Von Bedeutung ist ferner das Abkommen vom 26.10.2004 über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen (BetrugsbekämpfungsAbk EU-CH; BBA). Art. 2 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 BBA normieren etwa die Rechtshilfe im Bereich der indirekten Steuern. Darüber hinaus findet für indirekte Steuern das Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen, Anwendung.2

2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen 10.145

Die Schweiz ist Unterzeichnerstaat des EuRhÜbk, des 1. ZP-EuRhÜbk und des 2. ZP-EuRhÜbk.3 Sie leistet jedoch unter Berufung auf Art. 2 des EuRhÜbk keine Rechtshilfe in reinen Fiskalstrafsachen,4 etwa beim bloßen Verschweigen von Einkünften.5 Davon zu unterscheiden ist die Amtshilfe6 auf der Grundlage des revidierten Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz, wonach ein besserer Informationsaustausch entsprechend den OECD-Standards vereinbart wurde und nunmehr auch bei Verdacht der bloßen Steuerhinterziehung auf begründete Anfrage Amtshilfe geleistet wird.7 Die darüber erlangten Kenntnisse können auch im Strafverfahren Verwendung finden. Die Neuregelungen finden indes nur Anwendung für Auskunftsersuchen, die am oder nach dem 21.12.2011 gestellt werden und sich auf Steuerjahre/Veranlagungszeiträume beziehen, die am oder nach dem 1.1.2011 beginnen. 1 Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der EU, der EG und der schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, BGBl. II 2006, 1362. 2 BGBl. II 2008, 184; BGBl. II 2009, 1117. 3 Zum Ganzen vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 – 66/06, BStBl. I 2006, 689. 4 Eine Angleichung der Rechtshilfe im Bereich der direkten Steuern hat in das IRSG bislang keinen Eingang gefunden. Die Vorlage, wonach der im IRSG verankerte Vorbehalt, wonach lediglich bei Vorliegen eines Abgabebetruges Rechtshilfe geleistet wird, gegenüber Staaten nicht mehr angewendet wird, mit denen die Schweiz im DBA eine dem OECD-Standard entsprechende Amtshilfeklausel vereinbart hat, wurde nicht umgesetzt. Im Verhältnis zu diesen Staaten sollte der Fiskalvorbehalt für sämtliche Instrumente der Rechtshilfe entfallen, vgl. auch das Schreiben der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren v. 21.9.2012, abrufbar unter www.fdk-cdf.ch/120921_irsg_stn_fdkpvb_def_d_uz.pdf; zur Stellungnahme der politischen Parteien in der Schweiz vgl. www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/sicherheit/.../ve-parteien.pdf. 5 Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 376 ff. 6 Zum Ganzen auch Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.53 ff.; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, Köln 2004. 7 Vgl. auch das am 20.12.2002 verabschiedete Revisionsprotokoll v. 12.3.2002 zum deutsch-schweizerischen Abkommen v. 11.8.1971 (BGBl. II 1972, 1021), BStBl. I 2003, 165; vgl. zur Auslegung des Protokolls BMF v. 4.1.2010 – IV B 2 S 1301 – CHE/07/10027-01; Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 376 ff.

392 | Peters

D. Landesspezifische Besonderheiten | Rz. 10.149 Kap. 10

Der Hauptgrund dafür, dass die Schweiz in Fiskalsachen keine Rechtshilfe leistet, besteht darin, dass das Bankgeheimnis auch im schweizerischen Recht ein direktes Hindernis für steuerliche Ermittlungen bildet und nur im Fall von Abgabebetrug aufgehoben werden kann. Die Schweiz sieht sich daher gehindert, ausländischen Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der Rechtshilfe weitergehende Vorrechte einräumen als die schweizerischen Behörden in ihren inländischen Untersuchungen besitzen.1 Hinzu kommt, dass der reinen Steuerhinterziehung ein geringerer Verhaltensunwert beigemessen wird als etwa dem Betrug, der Arglist erfordert. Fiskaldelikte richten sich in erster Linie gegen den Staat, der aufgrund ausreichender Selbstschutzmöglichkeiten als weniger schutzwürdig erachtet wird.2

10.146

Nach Art. 3 Abs. 3 IRSG kann einem Ersuchen um Rechtshilfe aber entsprochen werden, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Steuerbetrug ist. Das „kann“ ist im Sinne eines intendierten Ermessens zu lesen. Liegen die Voraussetzungen vor, sind die Schweizer Behörden zur Leistung von Rechtshilfe verpflichtet. Nicht gewährt werden Auslieferung (Art. 32 ff. IRSG)3, stellvertretende Strafverfolgung (Art. 85 ff. IRSG) oder die Vollstreckung von Strafentscheiden (Art. 94 ff. IRSG).

10.147

Entsprechend Art. 24 der IRSV bestimmt sich der Begriff des Abgabebetruges i.S.d. Art. 3 Abs. 3 IRSG nach Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht vom 22.3.1974.

10.148

Ein Steuerbetrug liegt vor, wenn der Täter durch sein arglistiges Verhalten bewirkt, dass dem Gemeinwesen unrechtmäßig und in einem erheblichen Betrag eine Abgabe, ein Beitrag oder eine andere Leistung vorenthalten oder dass es sonst am Vermögen geschädigt wird.4 Die schweizerische Rechtsprechung stellt strenge Anforderungen an die Bejahung der Arglist. Es sind danach stets besondere Machenschaften, Kniffe oder ganze Lügengebäude erforderlich, damit eine arglistige Täuschung anzunehmen ist. Das schweizerische Bundesgericht führt hierzu aus:5

10.149

„Gemäß Art. 24 der Verordnung über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSV) bestimmt sich der Begriff des Abgabebetruges im Sinne von Art. 3 Abs. 3 IRSG nach Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht vom 22. März 1974. Danach liegt ein Abgabebetrug vor, wenn der Täter durch sein arglistiges Verhalten bewirkt, dass dem Gemeinwesen unrechtmäßig und in einem erheblichen Betrag eine Abgabe, ein Beitrag oder eine andere Leistung vorenthalten oder dass es sonst am Vermögen geschädigt wird. Der damit umschriebene Tatbestand ist weiter als jener des Steuerbetrugs gemäß Art. 186 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember 1990, der eine Täuschung der Steuerbehörden durch gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Geschäftsbücher, Bilanzen, Erfolgsrechnungen, Lohnausweise oder andere Bescheinigungen Dritter voraussetzt. Ein Abgabebetrug kann, muss aber nicht durch Verwendung falscher oder unrichtiger Urkunden begangen werden, sondern es sind auch andere Fälle der arglistigen Täuschung denkbar. Nach der Rechtsprechung sind jedoch immer besondere Machenschaften, Kniffe oder ganze 1 Aubert/Kernen/Schönle, Le secret bancaire suisse, 222. 2 Zu entsprechenden Reformüberlegungen im deutschen Strafrecht vgl. auch Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 18 f. 3 Eine Auslieferung kommt jedoch in Betracht bei „schwerer illegaler persönlicher Bereicherung mit staatlichen Geldern“ und Geldwäsche, vgl. Schweizerisches Bundesgericht Lausanne v. 22.12.2005 – 1005 1 A.288/05, EuGRZ 2006, 425. 4 Vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 161; Stahl, KÖSDI 2014, 18687 (18690). 5 Schweizerisches Bundesgericht v. 28.1.2003 – 1A.253/2002/bmt 53; vgl. auch Verfahrensgericht in Strafsachen Basel-Landschaft v. 10.3.2002 – R 2000/039, NStZ-RR 2002, 375.

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Kap. 10 Rz. 10.149 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen) Lügengebäude erforderlich, damit eine arglistige Täuschung anzunehmen ist. Arglist ist namentlich zu bejahen, wenn der Angeschuldigte den Getäuschten von der Überprüfung der Falschangaben abhält, wenn die Angaben objektiv nicht überprüfbar sind oder falls der Angeschuldigte Anlass hat, den Verzicht auf die Überprüfung vorauszusehen [...].”

10.150

Die Unterscheidung von Abgaben- und Steuerbetrug bleibt auch in den vom SDÜ erfassten Fällen relevant, das seit dem 12.12.2008 auch im Verhältnis zur Schweiz Anwendung findet. Auch wenn Art. 50 SDÜ grundsätzlich zur Leistung umfassender Rechtshilfe im Bereich der indirekten Steuern verpflichtet, sind die Voraussetzungen für Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen gem. Art. 51 SDÜ im Fall der einfachen Steuerhinterziehung nicht erfüllt, da eine Strafgerichtsbarkeit wegen des Vergehenscharakters der Steuerhinterziehung in der Schweiz ausgeschlossen ist.1

10.151

Weitere Fälle der Arglist sind Überfakturierung mit Kapitalrückfluss,2 die Verwendung zwischengeschobener Sitzgesellschaften oder die systematische Verwendung gefälschter Verträge,3 unrichtige Geschäftsbücher, planmäßige Verschleierung des Wohnsitzes4 oder sonstige manoeuvres frauduleuses (Lügengebäude) im Sinne des schweizerischen Rechts.5

3. Rechtshilfe zur Entlastung des Beschuldigten 10.152

Die Schweiz hält eine weitere Ausnahme für den Bereich der Rechtshilfe in reinen Fiskalstrafsachen bereit. Wenn es sich um Rechtshilfe zur Entlastung des Beschuldigten handelt, gewährt die Schweiz unter Berufung auf Art. 63 Abs. 5 IRSG Rechtshilfe, sofern dies zurückhaltend gehandhabt wird. Erforderlich ist aber, dass dem deutschen Rechtshilfeersuchen eine protokollierte Zustimmung des Beschuldigten beiliegt.6 Beispiel: Die Steuerfahndung geht davon aus, dass A in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Zum Beweis der Tatsache, dass A sich die überwiegende Zeit des Jahres in einem kleinen Ort im Schweizer Engadin aufhält, beantragt er die Vernehmung seiner unmittelbaren Nachbarn und dortigen Freunde.

4. Keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten 10.153

Die Schweiz leistet keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten, etwa bei sog. „Steuer-CDs“.7 Die Schweizer Behörden sind der Ansicht, dass einem Rechtshilfeersuchen, welches auf gestohlenen Schweizer Bankdaten gründet, die Anerkennung zu versagen ist. Die Schweiz ist der Auffassung, dass solche Rechtshilfeersuchen abgewiesen werden müssen, da sie dem Prinzip von Treu und Glauben zwischen Staaten widersprechen. Die Beachtung dieser Regel ist nach Schweizer Ansicht eines der zentralen Elemente des völkerrechtlichen VertrauensprinVgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 164. BGE 111 lb 242 ff. BGE v. 31.1.2006 – 1A.234/2005 E. 2.3. BGer v. 12.8.2004 – 1A.117/2004 E. 3.3.2 zum Fall eines Steuerpflichtigen, der mittels mehrerer fingierte Mietverträge über ein ihm gehöriges Haus und durch ein unzutreffendes Gästeregister verschleiert, dass er seinen Wohnsitz weiterhin in Deutschland hat. 5 Zum Ganzen auch BGE 125 II 250 ff., insbesondere 252; BGE 115 Ib 68 ff. 6 BGE 113 Ib 67 E. 4a. 7 Vgl. auch Rundschreiben Nr. 1: Daten-Diebstahl und internationale Rechtshilfe v. 20.6.2014: https://www.rhf.admin.ch/dam/data/rhf/strafrecht/wegleitungen/rundschreiben-datendiebstahl-d. pdf; vgl. auch Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2012.82-83 v. 26.2.2013 und Entscheid des Bundesgerichts 1C_260/2013 v. 19.3.2013 im gleichen Fall. 1 2 3 4

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D. Landesspezifische Besonderheiten | Rz. 10.155 Kap. 10

zips, wonach der ersuchte Staat davon ausgehen kann, dass die der Rechtshilfe zugrunde liegenden Angaben den Tatsachen entsprechen. Ein Staat könne jedoch nicht gutgläubig ein Rechtshilfeersuchen stellen, das sich auf Daten stützt, welche in der Schweiz oder einem Drittstaat auf illegale Weise beschafft wurden.1

5. Zusammenhang mit der Schweiz Der Sachverhalt, der Gegenstand des das ausländische Ersuchen begründenden Verfahrens bildet, muss in konkretem Zusammenhang mit der Schweiz stehen.2 Einem Ersuchen, das eine reine Beweisausforschung in der ganzen Schweiz bezweckt, wird nicht entsprochen. Die Schweiz tritt nicht auf Ersuchen ein, die ohne weitere Angaben zu ermitteln versuchen, ob die Person, gegen die das ausländische Verfahren geführt wird, in der Schweiz Bankkonten besitzt.

10.154

6. Inhaltliche Anforderungen Aus der Sachverhaltsschilderung muss zweifelsfrei hervorgehen, dass die Tatbestandselemente der in Rede stehenden Straftat nach schweizerischem Recht erfüllt sind.3 Dadurch soll verhindert werden, dass sich die ersuchende ausländische Behörde unter dem Deckmantel einer lediglich behaupteten tauglichen Straftat oder einem behaupteten Abgabenbetrug Beweise verschafft, die zur Ahndung von reinen Fiskaldelikten dienen sollen, für welche ansonsten keine Rechtshilfe gewährt würde.4 Eine Missachtung des vorgesehenen Übermittlungsweges, der formellen oder inhaltlichen Anforderungen oder fehlende Übersetzungen haben in der Schweiz jedoch nicht automatisch die Verweigerung der Rechtshilfe zur Folge. Es wird lediglich auf eine Korrektur hingewirkt.5 Bestehen Zweifel über die Merkmale der im Ersuchen erwähnten Abgaben, holt das Bundesamt oder die kantonale Vollzugsbehörde gem. Art. 24 Abs. 3 IRSV die Stellungnahme der Eidgenössischen Steuerverwaltung ein. Auf der Homepage des Schweizer Bundesamts für Justiz findet sich zudem eine Checkliste für eingehende, deutsche Rechtshilfeersuchen.6

1 Vgl. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD, Schr. v. 4.10.2010 6.7.0/S 747/GOP, abrufbar unter http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/straf/wegleitungen.html; vgl. auch Stahl, KÖSDI 2014, 18687 (18689). 2 BGE 122 II 367, 121 II 241 E. 3a; vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 167. 3 Wenn Fiskaldelikt: hinreichende Verdachtsmomente für das Vorliegen eines Abgabebetrugs nicht nur behaupten, sondern – unter Beilage von Informationen und Dokumentationen – glaubhaft zu machen (Art. 3 Abs. 3 IRSG, Art. 24 IRSV), https://www.rhf.admin.ch/dam/data/rhf/strafrecht/ wegleitungen/checkliste-justizbehoerden-d.pdf. 4 Vgl. auch die Wegleitung des schweizerischen Bundesamts für Justiz „Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen“, 9. Aufl. 2009, abrufbar unter http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/straf/ wegleitungen.html; vgl. ferner Schweizerisches Bundesgericht v. 6.3.2003 – 1A.5/2003; 1A.35/ 2002; 1A.63/2001; 1A.221/1999. 5 BGE 1A.160/2000 v. 4.12.2000, E. 3. 6 https://www.rhf.admin.ch/dam/data/rhf/strafrecht/wegleitungen/checkliste-ersuchen-ausland-d. pdf, zum Schweizerischen Prüfschema vgl. https://www.rhf.admin.ch/dam/data/rhf/strafrecht/ wegleitungen/checkliste-justizbehoerden-d.pdf.; vgl. auch Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 384 ff.

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10.155

Kap. 10 Rz. 10.156 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

7. Verfahren 10.156

Die ersuchende Behörde richtet das Rechtshilfeersuchen entweder an das Bundesamt für Justiz oder direkt an die zuständige kantonale Behörde. Die ausführende Behörde nimmt eine Art Vorprüfung (Art. 80 IRSG) vor. Stattgebendenfalls erlässt sie eine nicht selbständig anfechtbare sog. Eintretens- und Zwischenverfügung (Art. 80a IRSG), welche die Anordnung der Zulässigkeit des Rechtshilfeersuchens enthält. Daran schließt sich der Vollzug der Maßnahmen, ggf. unter Beteiligung deutscher Ermittlungsbeamter, an. Daran anschließend wird die betroffene Person formell angehört und etwaige Einwendungen gegen die Gewährung von Rechtshilfe werden zu den innerstaatlichen Verfahrensakten genommen. Die Einlassung des Betroffenen verbleibt in den Akten und geht nicht an die ersuchende Behörde. Stimmt der Betroffene zu, was unwiderruflich ist (Art. 80c Abs. 1 Satz 2 IRSG), ist das Rechtshilfeverfahren beendet und die Unterlagen können unmittelbar zur Verfügung gestellt werden (Art. 80c, 80d IRSG).

10.157

Die Verfügung der ausführenden kantonalen Behörde oder der ausführenden Bundesbehörde, mit der das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen wird, unterliegt zusammen mit den vorangehenden Zwischenverfügungen der Beschwerde an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Die Schlussverfügung oder vorangehende Zwischenverfügungen können selbständig nur angefochten werden, sofern sie einen unmittelbaren und nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken, entstanden durch die Beschlagnahme von Vermögenswerten und Wertgegenständen oder durch die Anwesenheit von Personen, die am ausländischen Prozess beteiligt sind (Art. 80e IRSG). Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (Suspensiveffekt).

8. Spezialitätsvorbehalt 10.158

Die Schweiz verbindet die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen im Übrigen gem. § 67 IRSG mit folgendem Spezialitätsvorbehalt:1 „Die durch Rechtshilfe erhaltenen Auskünfte und Schriftstücke dürfen im ersuchenden Staat in Verfahren wegen Taten, bei denen Rechtshilfe nicht zulässig ist, weder für Ermittlungen benützt noch als Beweismittel verwendet werden. Das Verwertungsverbot bezieht sich ferner auf Taten, die nach schweizerischem Recht als politische, militärische und fiskalische Delikte qualifiziert werden. Als Fiskaldelikt gilt eine Tat, die auf die Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Maßnahmen verletzt. Zulässig ist jedoch die Verwendung der übermittelten Unterlagen und Informationen zur Verfolgung von Abgabebetrug im Sinne des schweizerischen Rechts. Zulässig ist die Verwendung der in der Schweiz gewonnenen Erkenntnisse auch: zur Verfolgung anderer als der im Rechtshilfebegehren erwähnten Straftaten, soweit für diese ebenfalls Rechtshilfe zulässig wäre; oder zur Verfolgung anderer Personen, die an den im Rechtshilfebegehren erwähnten strafbaren Handlungen teilgenommen haben. In keinem Falle gestattet ist die direkte oder indirekte Verwendung der erhaltenen Unterlagen und der darin enthaltenen Angaben für ein fiskalisches Straf- oder Verwaltungsverfahren. Jegliche weitere Verwendung dieser Unterlagen und Informationen bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Bundesamtes für Justiz, die vorgängig einzuholen ist.“

Der maßgebliche Passus der schweizerischen Wegleitung lautet:2

1 https://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/strafrecht/wegleitungen.html; vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 167, 169. 2 https://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/strafrecht/wegleitungen.html.

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D. Landesspezifische Besonderheiten | Rz. 10.161 Kap. 10 Nach Einholung einer Zustimmung zulässige Verwendung I.

Nach Einholung einer Zustimmung der Schweiz dürfen die auf dem Wege der Rechtshilfe erlangten Beweismittel und Auskünfte verwendet werden a) zur Verfolgung von Abgabebetrug im Sinne des schweizerischen Rechts und b) zudem für die Schengen Staaten: zur Verfolgung der in Art. 50 des Schengener Durchführungsübereinkommens vorgesehenen Widerhandlungen (indirekte Fiskalität) und unter den Bedingungen von Art. 51 dieses Übereinkommens.

II. Ebenfalls einer vorgängigen Zustimmung der Schweiz bedarf a) jede andere Übermittlung von Beweismitteln und Auskünften, namentlich an einen Drittstaat oder eine internationale Institution; [...]

9. Auslieferung Die Schweiz hat die Zustimmung zum Assoziierungsabkommen mit der EU und der EG zum Schengen-Raum im Jahr 2005 erklärt und setzt seit dem 12.12.2008 das SDÜ um. Dies bedeutet, dass die Schweiz in den benannten Fällen zur Auslieferung verpflichtet ist.1 Zu nennen sind insbesondere die Fälle der qualifizierten Umsatzsteuerhinterziehung, der qualifizierten Zollzuwiderhandlungen oder ein Abgabenbetrug im Bereich der indirekten Steuern.

10.159

Eine Auslieferung kommt ferner in Betracht bei Rückforderung deutscher Kapitalertragsteuer auf fiktive Gewinnausschüttungen,2 bei organisierter Umsatzsteuerhinterziehung durch unberechtigtes Erlangen von Vorsteuererstattungen3 und sonstigen unberechtigten Vorsteuerrückerstattungen.4 Der Hintergrund für die Ausdehnung der auslieferungsfähigen Taten ist auch, dass das Schweizer Bundesgericht mehr und mehr dazu übergeht, angesichts der frauduleusen Verhaltensweisen die strafbare Ausnutzung von Steuerrückerstattungssystem als auslieferungsfähigen Betrug i.S.d. Art. 146 CH-StGB anzusehen.

10.160

10. Rechtshilfe bei indirekten Steuern Die Schweiz leistet nach dem Betrugsbekämpfungsabkommen und dem Schengener Assoziierungsabkommen Amts-5 und Rechtshilfe bei einfacher Steuerhinterziehung in Fällen der unter das BBA fallenden indirekten Steuern (Zoll, Umsatz, Verbrauch). Rechtshilfe wird geleistet, wenn der voraussichtliche Steuerschaden 25.000 Euro übersteigt oder Besonderheiten in der Tat oder der Person des Täters die Gewährung von Rechtshilfe auch bei geringeren Beträgen gleichwohl erfordern und das Recht des ersuchenden Staates ein Mindestmaß von sechs Monaten Freiheitsstrafe vorsieht.

1 Schweizer Bundesgericht v. 13.4.2010 – 1C 163/2010; vgl. hierzu Wegner, PStR 2011, 137; zum Ganzen auch Holenstein, PStR 2012, 151; Stahl, KÖSDI 2014, 18687 (18693). 2 BGer v. 18.8.2005 – 1A.294/2005. 3 BGer v. 22.2.2002 – 1A.189/2001; BGer v. 28.10.2002 – 1A.189/2002. 4 BGer v. 13.1.2006 – 1 A.297/2005. 5 Zur Amtshilfe und zur Verwendung der Erkenntnisse im Strafverfahren vgl. die Ausführungen in Rz. 9.34, 9.43, 9.46.

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10.161

Kap. 10 Rz. 10.162 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

11. Videokonferenz 10.162

Videokonferenzen mit der Schweiz sind möglich, wenngleich von Seiten der Schweiz die Einvernahme durch einen Rechtshilferichter bevorzugt wird (Art. 63 Abs. 2 Buchst. b IRSG).1 Eine derartige Rechtshilfemaßnahme ist in der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0)1, im 2. Zusatzprotokoll zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen (ZP II EUeR)2sowie in einigen neueren bilateralen Staatsverträgen und multilateralen Abkommen (so in den UNO-Übereinkommen gegen Korruption3 und gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität4) zwar geregelt. In allen Rechtsgrundlagen ist die Anwendung jedoch subsidiär vorgesehen. Sowohl gemäß ZP II EUeR (Art. 9 Ziff. 3) als auch den bilateralen Staatsverträgen muss die Notwendigkeit der Durchführung einer Videokonferenzbegründet stets gesondert werden.

12. Abschöpfung von Vermögenswerten 10.163

Die Abschöpfung von Vermögenswerten in der Schweiz ist nunmehr im Rechtshilfewege möglich (Art 74a IRSG)5.6 Das Aufspüren der Vermögenswerte erfolgt i.d.R. über FIU7 oder CARIN8 (Rz. 6.555 f.). Nach einer vorläufigen Vermögenssperre kann dann ein Rechtshilfeersuchen gestellt werden. Eine solche vorläufige Sperre ist möglich, wenn ein späteres Rechtshilfeverfahren nicht offensichtlich unzulässig oder unzweckmäßig erscheint. Das Rechtshilfeersuchen verfolgt dabei zwei Ziele: Erstens soll der bestehende Zustand aufrechterhalten und verhindert werden, dass der Täter weiterhin über die betreffenden Vermögenswerte verfügen kann. Zweitens sollen die notwendigen Beweismittel erhoben werden, damit im ersuchenden Staat vor einem Gericht ein Einziehungsurteil erwirkt werden kann. Die von der Schweiz übermittelten Bankunterlagen und andere Dokumente dienen im ersuchenden Staat zu Beweiszwecken. Gestützt auf diese kann der ersuchende Staat alsdann eine Einziehung zugunsten der Staatskasse respektive eine Rückerstattung der Vermögenswerte an den Berechtigten. erwirken. Während dieser Verfahrensphasen bleiben die betreffenden Vermögenswerte gesperrt. Erst gestützt auf ein rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil und ein erneutes Rechtshilfeersuchen des Herkunftsstaats kann die zuständige Behörde in der Schweiz die Aufhebung der vorsorglichen Sperre und die Herausgabe der betreffenden Vermögenswerte anordnen. Das Bundesamt für Justiz (BJ) ist Aufsichtsbehörde in Rechtshilfesachen und zentrale Anlaufstelle für in- und ausländische Behörden und Behördenvertreter.

10.164

Der Verfahrensablauf stellt sich wie folgt dar: – In der Schweiz befindliche Vermögenswerte können gemäß Art. 18 IRSG vorsorglich, d.h. auch ohne Vorliegen eines formellen Rechtshilfeersuchens gesperrt werden, wenn ein späteres Rechtshilfeverfahren nicht offensichtlich unzulässig oder unzweckmäßig erscheint.

https://www.rhf.admin.ch/dam/data/rhf/strafrecht/wegleitungen/rundschreiben-videokonferenz-d.pdf. SR 0.351.12. SR 0.311.56. SR 0.311.54. Gegenstände, Schriftstücke oder Vermögenswerte, die zu Beweiszwecken beschlagnahmt wurden, sowie Akten und Entscheide werden der zuständigen ausländischen Behörde auf deren Ersuchen nach Abschluss des Rechtshilfeverfahrens (Art. 80d) zur Verfügung gestellt (Absatz 1). 6 https://www.rhf.admin.ch/dam/data/rhf/strafrecht/wegleitungen/asset-recovery-d.pdf. 7 Die FIU (Financial Intelligence Unit) ist in die Generalzolldirektion (GZD) integriert (§ 5a Abs. 2 FVG) und dient vor allem der Geldwäschebekämpfung. 8 Camden Asset Recovery Inter-Agency Network (Interpol).

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398 | Peters

D. Landesspezifische Besonderheiten | Rz. 10.166 Kap. 10

Diese vorsorglichen Maßnahmen sind aufzuheben, wenn der ausländische Staat nicht innerhalb der gesetzten Frist ein formelles Rechtshilfeersuchen einreicht. – Mit einem formellen Rechtshilfeersuchen ist um Sperre der Vermögenswerte sowie um Erhebung der diesbezüglichen Beweise (z.B. Grundbuchauszüge, Bankunterlagen) zu ersuchen. Wird nicht um ein Mitteilungsverbot ersucht, wird die betroffene Person über das Ersuchen in Kenntnis gesetzt. – Spätestens beim Abschluss des formellen Rechtshilfeverfahrens in der Schweiz, in dem die Rechtshilfebehörde die Herausgabe der Beweismittel und Aufrechterhaltung der Sperre verfügt, wird dem Betroffenen das rechtliche Gehör gewährt. – Dem ersuchenden Staat werden die erhobenen Beweismittel übermittelt, sobald das Rechtshilfeverfahren erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Die Vermögenswerte bleiben in der Schweiz gesperrt. Gestützt auf die Beweismittel sollte der ersuchende Staat in der Lage sein, ein Einziehungsurteil betreffend die in der Schweiz gesperrten Vermögenswerte zu erwirken. – Mit dem Einziehungsurteil wird entschieden, wer Eigentümer der gesperrten Vermögenswerte ist bzw. ob eine Einziehung durch den Staat oder eine Rückerstattung an einen Berechtigten erfolgt. Sobald das Einziehungsurteil rechtskräftig und vollstreckbar ist, kann der ersuchende Staat gestützt darauf auf dem Rechtshilfeweg um Herausgabe der Vermögenswerte ersuchen. Die Vermögenswerte werden dem Staat oder dem Berechtigten (im Sinne des Einziehungsurteils) herausgegeben, sobald alle Voraussetzungen erfüllt sind.

II. Liechtenstein Literatur: Bußjäger, Die neue Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zur Amtshilfe in Finanzangelegenheiten, LJZ 2010, 56; Gey, Internationale Amtshilfe im liechtensteinischen Finanzmarkt- und Steuerrecht – Grundprinzipien und neue Entwicklungen, LJZ 2009, 17; Schäfer, Was bedeutet „umfassend“ im Stiftungseingangssteuergesetz?, LJZ 2009, 1.

1. Rechtsquellen Das liechtensteinische Rechtshilferecht ist geregelt im Gesetz vom 15.9.2000 über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz – RHG1).2 Das Gesetz ist ähnlich dem deutschen IRG und dem österreichischen ARHG konzipiert. Mit der RHG-Novelle von 2007 wurde Art. 51 RHG dahingehend geändert, dass nunmehr die sog. Kleine Rechtshilfe für schwere Fälle von Mehrwertsteuerbetrug und bei qualifizierten Zollübertretungen zu Lasten des EU-Haushalts möglich ist. Die Zulässigkeit ergibt sich insbesondere aus Art. 51 Abs. 3 RHG.

10.165

Auf steuerlicher Ebene gilt daneben das Gesetz vom 30.6.2010 über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (Steueramtshilfegesetz – SteAHG)3. Auch mit Liechtenstein bestehen

10.166

1 Abrufbar unter www.gesetze.li. 2 Dem Schengen-Besitzstand ist Liechtenstein am 19.12.2011 vollständig beigetreten; vgl. Protokoll v. 28.2.2008 zwischen der EU, der EG, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein zu dem Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der EU, der EG und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, BGBl. II 2009, 1051; ABl. EU 2011 Nr. L 160, 3; Inkraftsetzungsverordnung v. 8.9.2009, BGBl. II 2009, 1050; Ratsbeschluss v. 9.6.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 164, 84. 3 LGBL. 2010/246.

Peters | 399

Kap. 10 Rz. 10.166 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

Assoziierungsabkommen in Bezug auf den Schengen Besitzstand.1 Liechtenstein ist Vertragspartner des EuAlÜbk, des EuRhübk, des EuGeldwäscheÜbk und hat am 12.3.2009 die OECDStandards zur internationalen Kooperation in Steuerangelegenheiten anerkannt. Von Bedeutung ist ferner das Tax Information Exchange Agreement vom 2.9.2009.

2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen 10.167

Die Leistung von Rechtshilfe in rein fiskalischen Strafsachen ist nach liechtensteinischem Recht (IRG Liechtenstein) derzeit noch unzulässig und wird durch Liechtenstein abgelehnt. Denn der Unrechtsgehalt der reinen Steuerhinterziehung wird in Liechtenstein als bloße verwaltungsbehördlich zu ahndende Übertretung erachtet. Es gelten die gleichen Bedenken wie in der Schweiz. Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit ist insofern nicht gewahrt. Beispiel: A unterhält in Liechtenstein ein aus in Deutschland versteuerten Geldern gespeistes Aktiendepot. Die daraus resultierenden Erträge versteuert er indes nicht. Bei einer Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornografischer Bilder, werden Depot- und Erträgnisaufstellungen entdeckt.

10.168

Ein auf den Verdacht der Steuerhinterziehung gestütztes Rechtshilfeersuchen bliebe erfolglos.

10.169

Rechtshilfe wird jedoch geleistet, wenn neben der Steuerhinterziehung Delikte wie Steuerbetrug, Bestechung, Geldwäsche oder sonstige vorgelagerte Begleitdelikte im Raum stehen. Beispiel: A erhält in Deutschland über Jahre hinweg Zahlungen, um im Gegenzug Betriebsgeheimnisse zu offenbaren. Die Zahlungen erfolgen über eine ausländische Firma auf sein Konto bei der LGT in Liechtenstein. Zahlungen und Erträge werden in der Folgezeit nicht versteuert. Ein deutsches Rechtshilfeersuchen ergeht mit dem Ansinnen, Nachweise über die erhaltenen Zahlungen zu erlangen.

10.170

Außer für die Straftaten, hinsichtlich derer eine beiderseitige Strafbarkeit gegeben ist, kommt eine Verwendung der übersandten Unterlagen jedoch nicht in Betracht. Das Fürstliche Landgericht führt hinsichtlich zu gewährender Rechtshilfe bei anderen Delikten zur Verwendung in Steuerstrafverfahren insoweit aus:2 „Die übersandten Akten und Gegenstände dürfen im ersuchenden Staat weder zu Beweis- oder Erhebungszwecken wegen einer vor ihrer Übergabe begangenen Handlung, auf die sich die Rechtshilfebewilligung nicht erstreckt, noch zu Beweis- oder Erhebungszwecken, wegen einer oder mehrerer für sich allein nicht der Rechtshilfe unterliegenden Handlungen, das sind politische, militärische und fiskalische strafbare Handlungen, verwendet werden. Unter fiskalischen strafbaren Handlungen sind

1 Protokoll v. 28.2.2008 zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein zu dem Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, ABl. EU 2011 Nr. L 160, 3. Beschluss des Rates v. 9.6.2011 über die Anwendung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands über das Schengener Informationssystem im Fürstentum Liechtenstein (SIS-AssoziierungsBeschlussFL), ABl. EU 2011 Nr. L 160, 84; s. auch Abkommen zwischen der Regierung des Fürstentums Liechtenstein und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in Steuersachen, 0.351.910.34, LGBl. 289, abrufbar unter https://www.gesetze.li/get_pdf.jsp?PDF=2010289.pdf. 2 Beschlüsse des Fürstlichen Landgerichtes v. 18.11.2009 (richtig: ON 4).

400 | Peters

D. Landesspezifische Besonderheiten | Rz. 10.174 Kap. 10 Handlungen zu verstehen, die in der Verletzung von Abgaben-, Monopol-, Zoll- oder Devisenvorschriften oder von Vorschriften über die Warenbewirtschaftung oder über den Außenhandel bestehen.“

3. Sonstige bilaterale Vereinbarungen Von Bedeutung ist ferner das DBA Deutschland – Liechtenstein und die darin enthaltene Auskunftsklausel.

10.171

4. Inhaltliche Anforderung an ein Rechtshilfeersuchen Die Liechtensteinischen Gerichte gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass hinsichtlich des Sachverhalts und des Verdachtsgrades keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind. Es genügt ein plausibler Anfangsverdacht, und dem Ermittlungsverfahren ist es nach Ansicht der liechtensteinischen Gerichte immanent, dass bestehende Sachverhaltslücken erst durch ein Rechtshilfeersuchen geschlossen werden:1

10.172

„Diesem Vorbringen ist mit den ordentlichen Rechtshilfeinstanzen entgegenzuhalten, dass an die Detailliertheit und Lückenlosigkeit der Sachverhaltsdarstellung durch die ersuchende Behörde keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Das Rechtshilfeersuchen dient gerade der Schliessung von noch bestehenden Sachverhaltslücken und der Beschaffung von entsprechenden Beweisen, um im ersuchenden Staat erst die Voraussetzungen für die Durchführung eines Strafprozesses zu schaffen (StGH 2005/71, Erw. 3.2; StGH 2000/28, LES 2003, 243 [249, Erw. 3.3]). Es ist zwar richtig, dass der Umstand, dass eine Sitzgesellschaft der Anonymisierung des wirtschaftlich Berechtigten an deren Aktiven dient, noch keineswegs ungewöhnlich und für sich allein kein Indiz für einen Zusammenhang mit Straftaten ist und dass die Rechtshilfegewährung ohne weitere Indizien problematisch ist und sich jedenfalls nur bei einer blossen Willkürprüfung als verfassungskonform erweist (StGH 2003/11, LES 2006, 1 [7, Erw. 3.5]). Der Staatsgerichtshof hat aber in mehreren Entscheidungen ebenfalls festgehalten, dass auch bei einer differenzierten Prüfung im Lichte des spezifischen Grundrechts des Geheimnisschutzes nach Art. 32 Abs. 1 und 2 LV sowie Art. 8 EMRK an das Erfordernis des zusätzlichen Bezuges einer Sitzgesellschaft zu den ausländischen Straftaten keine strengen Anforderungen zu stellen sind. Der Staatsgerichtshof hat es dabei als genügend erachtet, dass eine Vielzahl von Sitzgesellschaften gezielt eingesetzt worden sei, um Erträge aus den dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten zu verstecken bzw. zu waschen. Da somit der Einbezug von Sitzgesellschaften eine zentrale Rolle im deliktischen Plan gespielt habe und in diesem Zusammenhang auch spezifische Bezüge zu Liechtenstein bestünden, genüge dies als zusätzliches Indiz dafür, dass auch weitere involvierte Sitzgesellschaften für kriminelle Zwecke missbraucht worden sein könnten (StGH 2006/28, Erw. 7.1; [im Internet abrufbar unter www.stgh.li]; StGH 2006/117, Erw. 3.2; StGH 2007/51, Erw. 3.2.4; StGH 2007/64, Erw. 3.5).“

Im konkreten Fall ging es um ein Netzwerk von Gesellschaften, das zum Transfer von Schmiergeldern diente.

10.173

5. Einziehung von Vermögen Wie auch bei der Schweiz, ist auch im Zusammenhang mit Liechtenstein die grenzüberschreitende Abschöpfung von Vermögen möglich.2 Die Kontaktstelle in Liechtenstein als zentrale 1 Liechtensteinischer Staatsgerichtshof v. 10.2.2009 – StGH 2008/122. 2 Vgl. die ausführliche Praktikeranleitung: https://star.worldbank.org/; https://star.worldbank.org% 2Fsites%2Fstar%2Ffiles%2Fleitfaden_vermogensrechtliche_anordnungen_2018_de. docx&usg=AOvVaw0armP-MMcpPYapi7237RX4.

Peters | 401

10.174

Kap. 10 Rz. 10.174 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

Anlaufstelle für laufende und künftige Einzelfälle der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist das Amt für Justiz (AJU; www.llv.li; [email protected]). Die Landespolizei (CARIN) und die Staatsanwaltschaft (StAR) vertreten dabei den Staat Liechtenstein in den genannten internationalen Netzwerken betreffend vermögensrechtliche Anordnungen. Die Landespolizei ([email protected]) ist der liechtensteinische Kontaktpunkt im CARIN-Netzwerk. In der Liechtensteinischen Wegleitung wird zur grenzüberschreitenden Abschöpfung von Vermögen folgendes auszugsweise ausgeführt:

10.175

Anordnungen nach § 97a StPO Das Gericht hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft zur Sicherung des Verfalls (§ 20 StGB) oder des erweiterten Verfalls (20b StGB) nachstehende Anordnungen zu treffen, wenn zu befürchten ist, dass anderenfalls die Einbringung gefährdet oder wesentlich erschwert würde: 1. die Pfändung, Verwahrung und Verwaltung von beweglichen körperlichen Sachen, einschliesslich der Hinterlegung von Geld, 2. das gerichtliche Verbot der Veräusserung oder Verpfändung beweglicher körperlicher Sachen, 3. das gerichtliche Verbot der Verfügung über Guthaben oder sonstige Vermögenswerte (sogenanntes Verfügungsverbot bzw. Kontosperre), 4. das gerichtliche Verbot der Veräusserung, Belastung oder Verpfändung von Grundstücken oder Rechten, die im Grundbuch eingetragen sind. Eine solche Anordnung kann auch erlassen werden, wenn die Höhe des zu sichernden Betrages noch nicht genau feststeht. In der Anordnung kann ein Geldbetrag bestimmt werden, durch dessen Erlag die Vollziehung der Anordnung gehemmt wird. Nach dem Erlag ist die Anordnung auf Antrag des Betroffenen insoweit aufzuheben. Dieser Geldbetrag ist so zu bestimmen, dass darin der voraussichtliche Verfall oder der voraussichtliche erweiterte Verfall Deckung findet. Das Gericht hat die Dauer der Anordnung auf höchstens zwei Jahre zu befristen. Diese Frist kann auf Antrag für jeweils höchstens ein weiteres Jahr verlängert werden. [...] Als allgemeiner Grundsatz gilt gemäss Art. 50 Abs. 1 RHG, dass in Strafsachen einschliesslich Verfahren betreffend den Ausspruch einer vermögensrechtlichen Anordnung nach den Bestimmungen dieses Gesetztes auf Ersuchen einer ausländischen Behörde Rechtshilfe geleistet wird. [...] Als Behörde, welche um Rechtshilfe in Strafsachen ersuchen kann, wird ein Gericht oder eine Staatsanwaltschaft angesehen. Rechtshilfe ist jede Unterstützung, die für ein ausländisches Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit gewährt wird. Demnach sind auch sämtliche Ermittlungshandlungen zum Aufspüren von Vermögenswerten erfasst. [...] Betreffend die Sicherung von Vermögen ist zunächst auf die Definition der vermögensrechtlichen Anordnung nach Art. 8a RHG zu verweisen. Demnach bedeutet vermögensrechtliche Anordnung Konfiskation (§ 19a StGB), Verfall (§§ 20, 20b StGB), Einziehung (§ 26 StGB) und jede andere im Entzug eines Vermögenswertes oder Gegenstandes bestehende Strafe, vorbeugende Massnahme oder Rechtsfolge, die nach Durchführung eines strafgerichtlichen Verfahrens im In- oder Ausland ausgesprochen wird, mit Ausnahme von Geldstrafen, Geldbussen, Privatbeteiligtenzusprüchen und Verfahrenskosten. Aufgrund des allgemeinen Verweises in Art. 9 RHG auf die Bestimmungen der Strafprozessordnung sind zur Sicherung von Vermögen die Bestimmungen über die Beschlagnahme (§ 96 StPO)

402 | Peters

D. Landesspezifische Besonderheiten | Rz. 10.177 Kap. 10 und die Anordnungen nach § 97a StPO auch im Rechtshilfeverfahren in Strafsachen anzuwenden. Gemäss Art. 58 RHG ist die Rechtshilfe nach den im Inland geltenden Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren zu leisten. Wird Rechtshilfe durch den Erlass einer Anordnung nach § 97a StPO geleistet, so ist diese zu befristen. Davon ist die ersuchende ausländische Behörde auf dem vorgesehenen Wege zu benachrichtigen. Eine Verlängerung der Anordnung nach § 97a StPO bedarf vor Fristablauf eines entsprechenden Antrages der ersuchenden Behörde, worauf in dieser Benachrichtigung hinzuweisen ist. [...] Wenn im Rechtshilfeersuchen um die Anordnung von vermögenssichernden Massnahmen ersucht wird, sind diese nur erfolgsversprechend, wenn eine Verbindung zwischen dem strafbaren Verhalten im Ausland und den Vermögenswerten in Liechtenstein dargelegt wird. Wenn dies nicht gemacht wird, muss damit gerechnet werden, dass die ersuchten Rechtshilfemassnahmen mit der Begründung abgelehnt werden, dass eine unzulässige „fishing expedition“ vorliegt. Vermögenssichernde Massnahmen in einem inländischen Strafverfahren und in einem oder mehreren Rechtshilfeverfahren für ausländische Strafverfahren schliessen sich gegenseitig nicht aus; solche Massnahmen können daher hinsichtlich derselben Vermögenswerte parallel erlassen werden. Die Aufhebung einer vermögenssichernden Massnahme im inländischen Strafverfahren oder in einem Rechtshilfeverfahren hat sohin keine direkten Auswirkungen auf parallel erlassene Massnahmen in anderen Verfahren.

Die Vollstreckung ausländischer vermögensrechtlicher Anordnungen erfordert vor allem ein rechtskräftiges und vollstreckbares ausländisches Erkenntnis, sohin ein Urteil oder eine gleichwertige Entscheidung. Das ausländische Strafverfahren muss somit vollständig abgeschlossen sein, bevor die rechtshilfeweise Vollstreckung in Liechtenstein erfolgen kann. Weitere Voraussetzung für die Vollstreckung ist, dass die liechtensteinischen Gerichte prüfen müssen, ob ein Mindeststandard an Verfahrensrechten des Verurteilten bzw. des Verfallsbeteiligten eingehalten wurde; zu diesen Verfahrensrechten gehören vor allem das rechtliche Gehör und die Verteidigungsrechte (Art. 64 Abs. 1 Z 1 RHG). Insbesondere bei Abwesenheitsurteilen sind daher Ausführungen zur Einhaltung dieser Verfahrensrechte im Rechtshilfeersuchen auf Vollstreckung unabdingbar.

10.176

Zudem setzt die Vollstreckung vermögensrechtlicher Anordnungen voraus, dass auch nach liechtensteinischem Recht die Voraussetzungen für eine vermögensrechtliche Anordnung vorliegen (Art. 64 Abs. 4 RHG). Ein ausländisches zivilrechtliches Verfahren zum Ausspruch einer vermögensrechtlichen Anordnung im Sinne des Verfalls (§ 20 StGB) oder des erweiterten Verfalls (§ 20b StGB) ist gemäss Art. 50 Abs. 1a RHG einem Strafverfahren zum Ausspruch vermögensrechtlicher Anordnungen gleichgesetzt. Mit dem Begriff „ausländische zivilrechtliche Verfahren“ sind vor allem die in Common Law Staaten gebräuchlichen „civil forfeiture“- oder „civil confiscation“-Verfahren gemeint.

III. Luxemburg Luxemburg1 leistet in Steuersachen Rechtshilfe, wenn das Verhalten des Steuerpflichtigen in Luxemburg den qualifizierten Tatbestand des § 396 Abs. 5 der luxemburgischen Abgabenordnung erfüllen würde. Danach ist die Hinterziehung eines „nicht unerheblichen Steuerbetrages” entweder in Höhe von mehr als 125.000 Euro oder in relativer Höhe von mehr als 25% der Jahressteuer und eine Täuschung der Finanzbehörde durch „systematische betrügerische 1 Zum Ganzen vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 – 66/06, BStBl. I 2006, 689.

Peters | 403

10.177

Kap. 10 Rz. 10.177 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

Handlungen” erforderlich, etwa durch Einschaltung von Domizilgesellschaften. Die Verwendung der übermittelten Erkenntnisse ist nach dem Spezialitätsgrundsatz nur für die im Ersuchen aufgeführten Straftaten zulässig. Im Bereich Umsatzsteuer wird nach Art. 50 SDÜ Rechtshilfe geleistet, wenn der voraussichtliche Steuerschaden 25.000 Euro übersteigt oder Besonderheiten in der Tat oder der Person des Täters die Gewährung von Rechtshilfe auch bei geringeren Beträgen gleichwohl erfordern (Art. 50 Abs. 2 SDÜ). Eine weitergehende Verwertung der übersandten Erkenntnisse für andere Straf- oder Verwaltungsverfahren ist gem. Art. 50 Abs. 3 SDÜ nach vorheriger Zustimmung der luxemburgischen Justizbehörden möglich (Art. 50 Abs. 3 SDÜ). Die Auslegung der einschlägigen luxemburgischen Strafvorschriften folgt dabei nicht den strengen Maßstäben, wie sie etwa das Schweizerische Bundesgericht aufgestellt hat. So unterscheidet die Luxemburger Justiz etwa nicht zwischen falschen Bilanzen und falschen Einnahme-Überschuss-Rechnungen, sodass auch bei Freiberuflern, die keine Bücher führen, bei unrichtigen Angaben über den Gewinn Rechtshilfe gewährt wird.

10.178

Für die Annahme einer „systematischen betrügerischen Handlung” reicht die wiederholte, gleichartige Begehungsweise aus.

IV. Österreich Literatur: Fischerlehner, Beweisverwertungsverbote im Abgabenverfahren, taxlex 2008, 161; Flora, Die Auskunft zu Bankkonten nach dem Protokoll zum Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU, ÖBA 2006, 738.

1. Rechtsquellen 10.179

Die Rechtsquellen des österreichischen Rechtshilferechts1 sind:2 – Bundesgesetz vom 4.12.1979 über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen (Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz – ARHG); – Verordnung des Bundesministers für Justiz vom 30.4.1980 über den Auslieferungsverkehr und den zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (Auslieferungs- und Rechtshilfeverordnung – ARHV); – Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG); – Bundesgesetz über die internationale polizeiliche Kooperation (Polizeikooperationsgesetz – PolKG).

10.180

Daneben bestehen bilaterale Ergänzungsverträge (D-A-PolV, A-ErgV EuRhÜbk).

10.181

Das maßgebliche ARHG unterscheidet sich nur unwesentlich vom deutschen IRG. Besonderheiten gelten, was das Auslieferungsrecht betrifft. Weiterhin gelten der Vertrag zwischen Deutschland und Österreich über die Ergänzung des EuRhÜbk vom 31.1.19723 und der Vertrag über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen vom 4.10.1954.4

1 2 3 4

Zum Ganzen vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 – 66/06, BStBl. I 2006, 689. Abrufbar unter www.ris.bka.gv.at. BGBl. II 1975, 1157; BGBl. II 1976, 1818; BGBl. II 1995, 254. BGBl. II 1955, 434, 743.

404 | Peters

D. Landesspezifische Besonderheiten | Rz. 10.185 Kap. 10

2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen Österreich hat das EuRhÜbK und das 1. ZP-EuRhÜbk des SDÜ unterzeichnet. Die vormalige Berufung auf das in Österreich bestehende Bankgeheimnis ist passé. Das deutsche Ersuchen ist nach Einholung der entsprechenden Bewilligung zu richten an die Steuer- und Zollkoordination des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen, Fachbereich Internationales Steuerrecht. In bestimmten Fällen ist dann ein direkter Verkehr der beteiligten Finanzämter untereinander möglich. Österreich unterscheidet dabei zwischen verwaltungsbehördlicher Amtshilfe und gerichtlicher Rechtshilfe, wobei Letztere ab einem Betrag von 75.000 Euro hinterzogener Steuern in Betracht kommt.

10.182

Auch die grenzüberschreitende Einziehung von Vermögenswerten ist mittlerweile problemlos möglich und hat sich in der Praxis bewährt.1

V. USA Zwischen Deutschland und den USA ist am 14.10.2003 der Vertrag über die Rechtshilfe in Strafsachen2 unterzeichnet worden. Deutschland hat mit den USA am 18.4.2006 einen Zusatzvertrag zu dem Rechtshilfevertrag vom 14.10.2003 unterzeichnet.3 Die Vertragsparteien verpflichten sich gem. Art. 1 des Vertrags, einander soweit wie möglich Rechtshilfe in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und in Strafverfahren, einschließlich solcher wegen Zoll-, Abgaben- und Steuerstraftaten, zu leisten. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren im Sinne dieses Vertrags schließen Ermittlungen und Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten nach dem deutschen Kartellrecht ein. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren nach diesem Vertrag sind auch Ermittlungen und Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten, soweit sie im ersuchenden Staat zu Gerichts- oder Strafverfahren führen können und soweit sie im ersuchten Staat Straftaten darstellen würden.

10.183

Die Rechtshilfe kann gem. Art. 25 Abs. 2 des Vertrags bei einer Steuerstraftat abgelehnt werden, wenn die Steuerstraftat nach Auffassung des ersuchten Staates auf einer Besteuerung im ersuchenden Staat gründet, die den Bestimmungen einer Übereinkunft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, bei dem beide Staaten Vertragspartei sind, widerspricht (Abs. 2 Nr. 1), oder bei nicht von einer solchen Übereinkunft erfassten Steuern auf einer Besteuerung im ersuchenden Staat gründet, die seinen wesentlichen Steuergrundsätzen widerspricht (Abs. 2 Nr. 2).

10.184

Ebenso besteht ein Auslieferungsvertrag.4 Damit stehen künftig jeweils zwei völkerrechtliche Instrumente (EU-USA-Abkommen und der bilaterale Vertrag mit Änderung durch den Zu-

10.185

1 Eine umfangreiche Darstellung findet sich unter https://star.worldbank.org/sites/star/files/leitfaden_vermogensrechtliche_anordnungen.pdf. 2 Vertrag v. 14.10.2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen (RhV D-USA) i.d.F des Zusatzvertrages v. 18.4.2006; Gesetz v. 26.10.2007, BGBl. II 2007, 1618 (1620 ff.), in Kraft getreten am 18.10.2009, BGBl. II 2010, 829. 3 Vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 178. 4 Auslieferungsvertrag v. 20.6.1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika („AuslV D-USA“); Gesetz v. 16.5.1980, BGBl. II 1980, 646, 1300, i.d.F. des Zusatzvertrages v. 21.10.1986; Gesetz v. 5.12.1988, BGBl. II 1988, 1087 und des 2. Zusatzvertrages v. 18.4.2006; Gesetz v. 26.10.2007, BGBl. II 2007, 1618 (1637), in Kraft getreten am 1.2.2010, vgl. BGBl. II 2010, 829.

Peters | 405

Kap. 10 Rz. 10.185 | Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Grundlagen)

satzvertrag) zur Verfügung. Da der Regelungsinhalt des EU-USA-Abkommens in das bilaterale Vertragsverhältnis übernommen wurde, dürften in der Praxis keine Anwendungsprobleme auftreten. Sämtliche Verträge sind noch nicht in Kraft getreten. Angesichts der rigiden Strafverfolgungspolitik hinsichtlich der Hinterziehung von Steuern in den USA und entsprechender eingehender Ersuchen in der Praxis ist zu konstatieren, dass die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen sehr gut funktioniert.

VI. Kanada 10.186

Im Verhältnis zu Kanada findet der Rechtshilfevertrag vom 13.2.2002 Anwendung.1 Strafrechtliche Angelegenheiten schließen gem. Art. 1 Abs. 1 und Abs. 4 Verfahren betreffend Straftaten im Zusammenhang mit Abgaben, Steuern, Zöllen und dem internationalen Kapitaloder Zahlungsverkehr ein. Art. 4 regelt die Herausgabe von Gegenständen, wobei der Begriff „Gegenstände” weit zu verstehen ist. Er bezieht sich auch auf elektronische Gegenstände bzw. elektronische Kopien von Dokumenten, sprich auf Daten.

VII. Sonstige Staaten 10.187

Die Isle of Man, Jersey, Guernsey, die Karibikinseln, Bahamas, Bermuda, Cayman Island, British Virgin Island erteilen mittlerweile Auskunft in Steuerstrafsachen im Wege der steuerlichen Amtshilfe. Die so erlangten Erkenntnisse können in der Regel auch im Steuerstrafverfahren Verwendung finden (vgl. Rz. 9.46).2 Das Vereinigte Königreich (UK) hat ebenso die RL EEA umgesetzt und deren Anwendungsbereich auch auf Gibraltar erstreckt. Die Geltung für die Kanalinseln ist unklar. Irland3 wird die Richtlinie nicht umsetzen. Durch den Brexit4 ergeben sich zukünftig wohl eher negative Auswirkungen, was die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen betrifft.5 Bislang war der drohende Brexit kein Grund, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen.6 Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass die bloße Mitteilung eines Mitgliedstaats über seine Absicht, aus der Union auszutreten, kein „außergewöhnlicher“ Umstand ist, der es rechtfertigen könnte, die Vollstreckung eines von diesem Mitgliedstaat ausgestellten Europäischen Haftbefehls zu verweigern. Für den Fall eines ungeregelten „harten“ Brexit ist davon auszugehen, dass Europäische Haftbefehle nicht mehr vollstreckt werden, mithin auf das Instrument des Internationalen Haftbefehls zurückzugreifen ist, verbunden mit einem (umständlichen) Auslieferungsverfahren. Dabei ist höchst fraglich, ob das Vereinigte Königreich eigene Staatsbürger, z.B. im Zusammenhang mit dem CO2 Emissionszertifikatehandel oder bei Cum-Ex Verfahren, ausliefern wird. Auch ein Austritt aus Europol dürfte wahrscheinlich sein. Inwieweit eine Koope-

1 Vertrag v. 13.5.2002 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über die Rechtshilfe in Strafsachen (RhV D-Kanada); Gesetz v. 5.7.2004, BGBl. II 2004, 962 f., 1564; vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 180 ff. 2 Vgl. die Abkommensübersicht in Nr. 4 der Anlage zum BMF v. 29.5.2020 – IV B 2-S 1301/07/ 10017-11, BStBl. I 2020, 162. 3 Zu den Besonderheiten Irlands vgl. Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 174a ff. 4 Zu den steuerlichen Auswirkungen insgesamt vgl. Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.214 ff. 5 Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 25 Rz. 174a. 6 EuGH v. 19.9.2018 – C-327/18, ECLI:EU:C:2018:733 – RO, m. Anm. Böhm, NStZ 2019, 256 (262); vgl. auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar v. 7.8.2018 – C-327/18, ECLI:EU: C:2018:644 – RO.

406 | Peters

E. Strafverfolgungsübernahmeersuchen | Rz. 10.189 Kap. 10

ration im Bereich des (automatischen) Datenaustauschs erfolgen wird (z.B. Schengener Informationssystem), ist derzeit noch unklar.

VIII. Rechtshilfe und Steuergeheimnis Das Steuergeheimnis gilt auch gegenüber ausländischen Behörden, steht jedoch dem Rechtshilfeverkehr nicht entgegen, soweit:1

10.188

– die mit einem deutschen Rechtshilfeersuchen verbundene Offenbarung steuerlicher Verhältnisse zur Durchführung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulässig und erforderlich ist oder – die mit der Erledigung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens verbundene Offenbarung steuerlicher Verhältnisse durch völkerrechtliche Vereinbarungen oder durch § 117 AO i.V. m. § 59 Abs. 3 IRG ausdrücklich zugelassen ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 AO).

E. Strafverfolgungsübernahmeersuchen/Unaufgeforderte Übermittlung von Informationen (Schweiz/Liechtenstein/Österreich) Der Weg eines förmlichen Rechtshilfeersuchens ist mitunter mühselig, von Formalitäten geprägt und oftmals zeitraubend. Eine effektive Form der Datenübermittlung existiert mit den Vorschriften über die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen in Deutschland § 61a d-IRG, Österreich § 59a ö-ARHG, Liechtenstein Art. 54a li-RHG und der Schweiz Art. 67a ch-IRGS. Beispiel: Die deutschen Behörden ermitteln im Zusammenhang mit der Insolvenzverschleppung eines Energieanbieters. Anlässlich der überregionalen Presseberichterstattung treten die Schweizer Behörden an Deutschland heran und übersenden aus einem Geldwäscheverfahren stammende Unterlagen (bankinterne Vermerke, Kontodaten, Kontoauszüge, Transaktionsübersichten), aus welchen sich Rückschlüsse auf betrügerische Handlungen und Steuerverkürzungen ergeben.

1 BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 – 66/06, BStBl. I 2006, 689.

Peters | 407

10.189

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4. Teil Steuerhinterziehung, Selbstanzeige, Korruption und Schmiergelder Kapitel 11 Steuerhinterziehung A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 B. Geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . 11.2 C. Tathandlung der Steuerhinterziehung I. Historie des Tatbestands der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . 11.7 II. Erweiterung des Anwendungsbereichs auf bestimmte ausländische Abgaben . . . . . . . . . . . . . 11.8 III. Verwendung von Drittstaatgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.19 IV. Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.20 V. Bedeutung für den Tatbestandsvorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.32 VI. Strafrechtliche Relevanz einer günstigeren Gestaltung der Steuerrechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.40 VII. § 42 AO und die analoge Anwendung von Steuergesetzen . . . . . . 11.44 VIII. Der unmittelbare Einfluss des Unionsrechts auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung . . . . . . 11.52 IX. Entscheidungen des EuGH . . . . 11.63 X. Exkurs: Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV . . . 11.72 XI. Praktische Auswirkungen am Beispiel des kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.77 2. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . 11.79 3. Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.97 a) Verstoß gegen das Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.100 b) Konsequenzen für Altfälle . . . 11.108 c) Konsequenzen für zukünftige Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.109

4. Versagung der Steuerbefreiung bei Lieferungen in Drittländer . . . . . 11.110 XII. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . 11.114 1. Täterkreis a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 11.115 b) Pflichten der gesetzlichen Vertreter und Verfügungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.119 2. Angaben machen a) Begriff der Angabe . . . . . . . . . 11.127 b) Deutlichkeit der Angaben . . . 11.128 3. Begriff der Tatsache . . . . . . . . . . 11.129 4. Steuerliche Erheblichkeit der Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.130 5. Erklärungsempfänger . . . . . . . . . 11.131 6. Unrichtigkeit und Unvollständigkeit der Angabe . . . . . . . . . . . . . . 11.132 7. Täuschung und Unkenntnis bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . 11.134 a) Rechtsprechung des BFH . . . . 11.135 b) Rechtsprechung des BGH . . . 11.136 c) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.139 8. Konkludente Angaben a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 11.141 b) Die konkludente Täuschung im Zollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.144 9. Pflichtwidriges In-UnkenntnisLassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 11.145 b) Überwachergarant/Garantenstellung aus Ingerenz . . . . . . . 11.149 10. Steuerhinterziehung und abweichende Rechtsauffassung . . . . . . 11.153 11. Steuerhinterziehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.162 a) Das Merkmal der Unkenntnis aa) Einführung . . . . . . . . . . . . 11.163 bb) Kenntnisstand . . . . . . . . . 11.164 cc) Automatisierte Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.167

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Kap. 11 | Steuerhinterziehung b) Pflichtwidrigkeit . . . . . . . . . . . 11.186 12. Anzeige und Berichtigungspflicht nach § 153 AO . . . . . . . . . . . . . . 11.194 13. Strafbarkeit von steuerlichem Gestaltungsmissbrauch a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 11.197 b) Unangemessene rechtliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.202 c) Voraussetzungen für eine Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.206 d) Praktische Hinweise . . . . . . . 11.216 14. Verrechnungspreise a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 11.218 b) Bußgeldrechtliche Aspekte . . 11.223 c) Strafrechtliche Konsequenzen 11.226 d) Beraterhinweis . . . . . . . . . . . . 11.248 15. Taterfolg a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 11.249 b) Steuerhinterziehung bei Fehlen steuerlicher Nachweise . . . . . 11.253 16. Steuervorteilserlangung . . . . . . . 11.254 17. Kompensationsverbot a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 11.256 b) Vorsteuer bei tatsächlich ausgeführter Lieferung . . . . . . . . 11.257 c) Sonstige Aspekte . . . . . . . . . . 11.260 XIII. Subjektiver Tatbestand 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 11.263 2. Vorsatz a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 11.265 b) Abgrenzung zur Leichtfertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.276 c) Entkräftung des Vorsatzes durch wirksame Compliance Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 11.287 3. Subjektive Anforderungen bei Steuerverkürzung auf Zeit . . . . . 11.292 XIV. Versuch/straflose Vorbereitungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.295 XV. Leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 11.296 2. Tatbestand/Täterkreis . . . . . . . . 11.298 XVI. Irrtum 1. Tatbestandsirrtum . . . . . . . . . . . 11.300 2. Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . 11.302 XVII. Versuch 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.309 2. Besonderheiten von Versuch und Vollendung bei einzelnen Steuerarten a) Steuerzeichen . . . . . . . . . . . . . 11.312

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3. 4. XVIII.

XIX. 1. 2. 3.

XX. 1. 2. 3. XXI. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8.

b) Zölle und Eingangsabgaben . 11.315 c) Verbrauchsteuern . . . . . . . . . 11.321 Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.324 Eingangsabgaben und Verbrauchsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.325 Steuerhinterziehung bei Waren, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist (§ 370 Abs. 5 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.327 Ausländische Abgaben § 370 Abs. 6 AO Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.328 Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (§ 370 Abs. 6 Satz 1 AO) . . . . . . 11.329 Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 11.335 b) Bestimmung und Feststellung des Hinterziehungsumfangs . 11.337 c) Anwendbarkeit auf Altfälle . . 11.338 d) Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . 11.342 § 370 Abs. 7 AO/Weltrechtsprinzip Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.343 Doppelverfolgung . . . . . . . . . . . . 11.345 Europäische Doppelverfolgung . 11.346 Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall/Regelbeispiele Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 11.347 Technik der Regelbeispiele . . . . . 11.349 Unbenannte schwere Fälle . . . . . 11.350 Zeitliche Geltung . . . . . . . . . . . . 11.353 Versuchsstrafbarkeit . . . . . . . . . . 11.355 Katalog der Regelbeispiele a) Steuerhinterziehung in großem Ausmaß § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.359 aa) Bestimmung und Umfang des großen Ausmaßes . . . 11.360 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . 11.369 b) Differenzierung nach Steuerarten und Steuerehrlichkeit . . 11.372 Missbrauch der Befugnisse oder Stellung als Amtsträger, § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . 11.375 Ausnutzen der Mithilfe eines seine Befugnisse oder Stellung missbrauchenden Amtsträgers, § 370 Abs. 3 Nr. 3 AO . . . . . . . . . . . . . 11.386

Steuerhinterziehung | Kap. 11 9. Fortgesetzte Steuerhinterziehung unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege, § 370 Abs. 3 Nr. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . 11.387 10. Bandenmäßige Umsatz- oder Verbrauchsteuerhinterziehung, § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO . . . . . . . . . . . . . . 11.394 11. Verwendung von Drittstaatgesellschaften, § 370 Abs. 3 Nr. 6 AO a) Einführung/Kritik . . . . . . . . . . 11.403 b) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . 11.409 c) Nahestehende Person . . . . . . . 11.415 d) Beherrschender oder bestimmender Einfluss . . . . . . . . . . . 11.416 e) Fortgesetzte Verkürzung von Steuern/Nicht gerechtfertigte Steuervorteile . . . . . . . . . . . . . 11.417 f) Erweiterte steuerliche Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . 11.418 XXII. Schmuggel (§ 373 AO) 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.419 2. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . 11.422 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.423 4. Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.429 5. Schadensberechnung . . . . . . . . . . 11.434 6. Qualifikationsmerkmale . . . . . . . 11.439 a) Gewerbsmäßigkeit . . . . . . . . . 11.440 b) Gewaltsame oder bandenmäßige Begehung . . . . . . . . . . . . . . 11.441 7. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . 11.445 8. Strafzumessung/Verfahren . . . . . 11.447 9. Problemkreise beim Schmuggel a) Zigarettenschmuggel/Tabaksteuerhinterziehung aa) Steuerlicher Pflichtenkreis 11.449 bb) Einfuhr ohne Steuerzeichen/Transitschmuggel . . 11.452 cc) Taugliche Täter . . . . . . . . 11.453 b) Ausländische Verbrauchsteuern und Einfuhrumsatzsteuer . . . . 11.454 c) Steuerliche Verrechnungspreise und Zollwert . . . . . . . . . . . . . . 11.455 XXIII. Täterschaft und Teilnahme 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.456 2. Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.461 3. Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . 11.465 4. Mittäterschaft durch Unterlassen 11.468 5. Mittelbare Täterschaft a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 11.469

b) Mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft . . . . . 11.471 6. Teilnahme a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 11.478 b) Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . 11.479 c) Beihilfe aa) Beihilfe durch aktives Tun 11.484 bb) Beihilfe durch neutrale Handlungen . . . . . . . . . . . 11.488 cc) Beihilfe durch Unterlassen 11.499 dd) Beihilfe im besonders schweren Fall . . . . . . . . . . 11.500 ee) Tateinheit/Tatmehrheit . . 11.501 d) Förderung der Haupttat . . . . . 11.502 e) Doppelter Gehilfenvorsatz . . . 11.503 aa) Vorsatz bezüglich der Hilfeleistung . . . . . . . . . . . . . 11.504 bb) Vorsatz bezüglich Vollendung der Haupttat . . . . 11.505 f) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . 11.506 g) Rechtsfolgen der Beihilfe . . . . 11.507 h) Steuerliche Haftung . . . . . . . . 11.508 XXIV. Ausgewählte Ordnungswidrigkeiten im Internationalen Steuerstrafrecht 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.510 2. Meldepflicht Verletzung bei Auslandsbeziehungen (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.513 3. Verletzung der Pflichten bei Erhebung und Übermittlung von Daten nach § 117 Buchst. c AO (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 11.519 b) Exkurs: FKAuStG . . . . . . . . . . 11.520 c) Gemeinsamer Meldestandard nach OECD . . . . . . . . . . . . . . 11.524 d) Länderspezifische Besonderheiten Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . 11.534 e) Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . 11.535 4. Verletzung der Pflicht zur Erstellung von Country-by-CountryReports (§ 379 Abs. 2 Nr. 1c AO) 11.536 5. Verletzung der Mitteilungspflicht betreffend die Beziehung zu Drittstaaten-Gesellschaften (§ 379 Abs. 2 Nr. 1d AO) . . . . . . . . . . . . 11.537 XXV. Rechtsfolgen 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 11.538 2. Einstellung gegen Auflagen, § 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.539

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Kap. 11 | Steuerhinterziehung 3. Sachverhaltsdarstellung, Steuerberechnung und Schätzung im Strafurteil a) Anforderungen an die Darstellung der Steuerhinterziehung im Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.540 b) Schätzung im Urteil . . . . . . . . 11.543 4. Strafzumessung bei Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.545 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 11.546 b) Geldstrafe neben Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.553 c) Strafzumessung bei Steuerhinterziehung über ausländische Familienstiftung . . . . . . . . . . . 11.562 5. Täter-Opfer-Ausgleich bei der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . 11.563

6. Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Passentzug . . . . . . . . . . . . . . . b) Einreiseverbote . . . . . . . . . . . c) Verlust öffentlicher Ämter etc. d) Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verfolgungsverjährung . . . . . . . XXVI. Konkurrenzen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsatzsteuervoranmeldungen/ Umsatzsteuerjahreserklärung . . 3. Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Straftaten/ Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . .

11.565 11.566 11.568 11.570 11.571 11.572 11.574 11.591 11.596 11.600

Literatur: Behr, Die Strafbarkeit von Bankmitarbeitern als Steuerhinterziehungsgehilfen bei Vermögenstransfers ins Ausland, wistra 1999, 245; Bergmann, Steuerhinterziehungs- und Missbrauchsterminologie im europäischen Steuerrecht, SWI 2010, 477; Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 2012; Bressler, Härteres Vorgehen gegen unkooperative „Steueroasen“ – Erhöhte Mitwirkungspflichten durch Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz und Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung und ihre Auswirkungen auf die unternehmerische Praxis, Internationales Steuer- und Gesellschaftsrecht Aktuell 2010, 75; Büchter-Hole, Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Mitwirkung an Vermeidung der Erwerbsbesteuerung des Abnehmers, EFG 2010, 679; Bülte, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld zwischen der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH und dem Grundsatz nullum crimen sine lege, BB 2010, 1759; Bülte, Die neuere Rechtsprechung des BGH zur Strafbewehrung von § 153 AO: Prüfstein für Strafrechtsdogmatik und Verfassungsrecht im Steuerstrafrecht, BB 2010, 607; Busch, Strafbarkeit des Beratenen trotz entlastenden Rechtsrats, wistra 2020, 184; Cornelius, Verweisungsfehler bei Bezugnahmen nationaler Strafnormen auf europäische Richtlinien, NZWiSt 2014, 173; Cornelius, Steuerstrafrechtliche Verweisungen im Spannungsfeld des deutschen und europäischen Bestimmtheitsgrundsatzes, in FS Rengier, München 2018, 457; Danzer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des steuerlichen Beraters, in Kohlmann, Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, DStJG 6 (1983), 67; Dörn, Hinweispflicht bei Abweichung von der Rechtsansicht der Finanzverwaltung?, wistra 2000, 334; Eckstein, Im Netz des Unionsrechts – Anmerkungen zum Fransson-Urteil des EuGH, ZIS 2013, 220; Gehm, Der Tatbestand der Steuerhinterziehung im Lichte des Rechts der EU – ein Überblick anlässlich der Rechtsprechung des EuGH v. 7.12.2010 (C-285/09), NZWiSt 2013, 53; Gehm, Beteiligung an Steuerhinterziehung von Kunden und Mandanten in Abgrenzung zu neutralem berufstypischem Verhalten, StBW 2013, 558; Geuenich, Neue Maßnahmen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung, NWB 2009, 2396; Geuenich, Österreichische und liechtensteinische Berater als Beitragstäter deutscher Steuerdelikte – Riskante Hilfe über die Grenze?, Wirtschafts- und Finanzstrafrecht in der Praxis 2009, 37; Grommes, Die Einführung des § 25f UStG aus steuerstrafrechtlicher Sicht, UR 2020, 135; Hanssen, Steuerhinterziehung und leichtfertige Steuerverkürzung (§§ 370, 378 AO) durch Abweichung von der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung – insbesondere durch Steuerberater, Frankfurt 1984; Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung: unrichtige Feststellung nach § 47 KStG als Steuervorteilserlangung, Baden-Baden 1995; Harms, Steuerliche Beratung im Dunstkreis des Steuerstrafrechts, Stbg 2005, 12; Höll/Hinghaus, Berichtigungspflicht nach § 153 AO bei vorsätzlicher Steuerhinterziehung, PStR 2010, 45; Hoff, Das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung, Berlin 1999; Irrgang, Steuerhinterziehung durch Abweichung von der Auffassung der Finanzverwaltung oder höchstrichterlicher Rechtsprechung, DB 1988, 781; Joecks/Jäger/Randt, Steuer-

412 | Peters

Steuerhinterziehung | Kap. 11 strafrecht, 8. Aufl. München 2015; Korf, Umsatzsteuer: Zum Vorsteuerabzug bei Beihilfe zur Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat, IStR 2011, 30; Korts, Verhaltensüberlegungen bei steuerneutralen Anlagen in der Schweiz, Stbg 2012, 3; Krell, Zur Strafbarkeit gutachterlicher und rechtsberatender Tätigkeit im Wirtschaftsstrafrecht, wistra 2020, 177; Krieger, Täuschung über Rechtsauffassungen im Steuerstrafrecht, 1987; Küffner/Streit, Keine Steuerbefreiung für zum Zweck der Steuerhinterziehung tatsächlich ausgeführte innergemeinschaftliche Lieferungen, DStR 2010, 2575; Kuhn/Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht, 3. Aufl. München 2019; Lang, Steuerrecht und Tatbestand der Steuerhinterziehung. Zum 70. Geburtstag von Günter Kohlmann, StuW 2003, 289; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, Frankfurt 2006; Linn/Müller, Besteuerung von Gesellschaften Liechtensteins und EU-Grundfreiheiten, IWB 2011, 74; Madauß, Fragestellungen im Zusammenhang mit § 25f UStG, NZWist 2020, 235; Matthes, Recht auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen von Scheinunternehmen bzw. bei Einbindung in „Karussellgeschäfte“, EFG 2010, 1742; Matthes, Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen bei Steuerhinterziehung durch den Erwerber, EFG 2011, 186; Mellinghoff, Grundsätze und Grenzen im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, Stbg 2014, 97; Menke, Die Bedeutung des sog. Kompensationsverbots in § 370 AO – zugleich eine Untersuchung zu Rechtsgut, Handlungsobjekt und Erfolg der Steuerhinterziehung, Hannover 2004; Michel, Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung auch bei Beteiligung des Lieferers an einem Erwerbsbetrug des Empfängers?, DB 2009, 1855; Michel, Die Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen in Missbrauchsfällen, DB 2010, 296; Mihm, Strafrechtliche Konsequenzen verdeckter Gewinnausschüttungen, Berlin 1998; Mösbauer, Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrecht, 2. Aufl. 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Kap. 11 Rz. 11.1 | Steuerhinterziehung nanzbehörden für die Tatbestandsmäßigkeit der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, zugleich Anmerkung zu BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 99; Sterzinger, Keine Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Beteiligung des Lieferers an einem Erwerbsbetrug des Empfängers, UR 2011, 20; Tipke, An den Grenzen der Steuerberatung: Steuervermeidung, Steuerumgehung, Steuerhinterziehung, in StbJb 1972/73, 509; Tipke, Über Abhängigkeiten des Steuerstrafrechts vom Steuerrecht, in FS Kohlmann, Köln 2003, 555; Weidemann, Zur Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO, wistra 2010, 5; Werner, Steuerdaten-Affäre Schweiz, IWB 2010, 164; Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, Baden-Baden 2001; Wulf, Strafbarkeit der Vermögensteuerhinterziehung und § 370 AO als Blankettgesetz, wistra 2001, 41; Wulf, Reichweite steuerlicher Erklärungspflichten bei unklarer Rechtslage – wo beginnt der Bereich strafbaren Verhaltens?, in FS Streck, Köln 2011, 627; Wulf, Vollendete Steuerhinterziehung trotz voller Sachverhaltskenntnis der Finanzbehörde?, Stbg 2013, 223.

A. Einführung 11.1

Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist wegen seiner Blanketteigenschaft1 aus sich heraus nicht ohne Weiteres verständlich. Zur Beantwortung der Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, ist auf die allgemeinen steuerlichen Vorschriften zurückzugreifen. In dem sich stetig wandelnden Steuerrecht liegt ein Grund für die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Nachweis einer Steuerhinterziehung. Ein anderer Grund ist, dass immer noch um die Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung gestritten wird. Hinzu kommt, dass das nationale Steuerrecht in zunehmendem Maße europarechtlich und international geprägt wird, was sich wiederum auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung auswirkt. Deutsche Finanz- und Strafgerichte haben die gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Regelungen im europäischen Kontext und unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH anzuwenden.2 Die tatbestandlichen Voraussetzungen sollen nur insoweit erläuternd dargestellt werden, als dies zum Verständnis des Internationalen Steuerstrafrechts von Bedeutung ist.

B. Geschütztes Rechtsgut 11.2

Anhand des geschützten Rechtsguts eines Tatbestands lassen sich Erkenntnisse über den Unrechtsgehalt und somit die tatbestandsmäßige Handlung und die Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung gewinnen. Das geschützte Rechtsgut lässt Rückschlüsse auf das deliktstypische Tatunrecht zu, und vor allem bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bietet sich immer wieder die Kontrollüberlegung an, ob, unabhängig von der Verwirklichung des Tatbestands (etwa durch Nichterklärung bestimmter Einkünfte einer ausländischen, selbständigen Toch-

1 So die (noch) herrschende Meinung, vgl. BVerfG v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201 (208); BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/ 86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 295/01, BGHSt 47, 138 (141); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 20; Harms in FS Kohlmann, 413 (414); Pipping, Die steuerlich erheblichen Tatsachen, 68; Wulf, wistra 2001, 41 (43); a.A. Weidemann, wistra 2006, 132 (133); einschränkend hingegen Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 387 ff.; Ransiek, HRRS 2009, 421; Weidemann, wistra 2006, 132; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 140; Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 149. Zum Ganzen Moll, Nationale Blankettstrafgesetzgebung, 1998. 2 Randt, Steuerfahndungsfall, C 969.

414 | Peters

B. Geschütztes Rechtsgut | Rz. 11.6 Kap. 11

terfirma; Erstreckung der Versagung von Steuerbefreiungen auf Drittstaaten) das inländische Rechtsgut der Steuerhinterziehung überhaupt berührt ist.1 Praktisch relevant wurde die Frage nach dem geschützten Rechtsgut z.B. im Rahmen einer Entscheidung zur Frage nach der Strafbarkeit des Komplementärs einer Import-KG wegen der Hinterziehung von Antidumpingzöllen. Der Umstand, dass hinterzogene Antidumpingzölle nicht mehr erhoben werden, steht nach Ansicht des BGH nicht gem. § 2 Abs. 3 StGB einer Bestrafung des Komplementärs wegen gewerbsmäßigen Schmuggels entgegen.2 Dannecker führt hiergegen zu Recht an, dass Antidumpingzölle vom Rechtsgut des § 370 AO nicht erfasst werden.3

11.3

Für die Frage der Strafzumessung ist die Intensität der Verletzung des geschützten Rechtsguts ebenfalls relevant.4 Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannte Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut.5

11.4

Die überwiegende Meinung geht davon aus, dass durch die Straf- und Bußgeldvorschriften der AO das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen der einzelnen Steuer, der staatliche Steueranspruch, geschützt wird.6 Mitunter wird die Steuerhoheit des Staates als Rechtsgut der Steuerhinterziehung angesehen.7 In neuerer Zeit hält Salditt die gerechte und gleichmäßige Lastenverteilung nach dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit für das geschützte Rechtsgut.8 Er hinterfragt, ob angesichts des sich immer chaotischer und willkürlicher gestaltenden und am nackten Fiskalinteresse ausgerichteten Steuersystems, das im Sinne der herrschenden Auffassung angenommene Rechtsgut noch Bestand haben kann.9 Die Verteidigung zu einem großen Teil ungerechter, ja verfassungswidriger Steuern könne nicht Aufgabe des Strafrechts sein.

11.5

Das geschützte Rechtsgut kann jedenfalls nicht allein aus der Tathandlung abgeleitet werden, da diese immer nur eine Teilmenge aus der Summe der möglichen Angriffe auf das geschützte

11.6

1 Hilgers, Täuschung, 35; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 50 f.; Suhr, Rechtsgut, 4. Auch der BGH stellte in seiner Vorlage an den EuGH darauf ab, dass die Regelung des Art. 54 SDÜ nicht greife, wenn die Tat, hier transeuropäischer Zigarettenschmuggel, mehrere Rechtsgüter verletze, BGH v. 30.6.2005 – 5 StR 342/04, wistra 2005, 461, vgl. hierzu das Urteil des EuGH v. 18.7.2007 – C-288/05, ECLI:EU:C:2007:441 – Kretzinger. 2 BGH v. 27.8.2010 – 1 StR 217/10, BFH/NV 2010, 2396 (red. Leitsatz). 3 Dannecker in Leitner, Finanzstrafrecht 2004, 2005, 67 (106 f.). 4 Vgl. nur BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, BGHSt 53, 311 = wistra 2009, 359. 5 BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, BGHSt 53, 311 = wistra 2009, 359. 6 RG v. 16.6.1925 – I 188/25, RGSt 59, 258 (262); RG v. 19.2.1931 – II 487/30, RGSt 65, 165 (169); BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100 (102); BGH v. 25.1.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 (5); Blumers/Göggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren2, Rz. 272; Peters in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 43 f.; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 14; Kohlmann/Sandermann, StuW 1974, 221 (229); Lang, StuW 2003, 289 (290); Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, 35; Krieger, Täuschung über Rechtsauffassungen, 90; zum Ganzen auch Suhr, Rechtsgut der Steuerhinterziehung. Wobei jedoch innerhalb der herrschenden Meinung danach differenziert wird, ob das Steueraufkommen der jeweiligen Steuerart geschützt ist oder das gesamtstaatliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen; vgl. auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 20 Rz. 11. 7 Mattern, Steuer-Strafrecht, 36, 41. 8 Salditt in FS Tipke, 475 (479). 9 Salditt in FS Tipke, 475 (479 f.); Tipke, Besteuerungsmoral und Steuermoral, 97.

Peters | 415

Kap. 11 Rz. 11.6 | Steuerhinterziehung

Rechtsgut umschreibt und nicht das Rechtsgut selbst.1 Wollte man im Übrigen nur die zutreffende Sachverhaltsermittlung als geschütztes Rechtsgut der Steuerhinterziehung ansehen, wäre die Verletzung des Rechtsguts bereits durch die in § 371 Abs. 1 AO vorausgesetzte Nachholung der zutreffenden Angaben gegenüber der Finanzbehörde geheilt.2 Die darüber hinausgehende Nachzahlung der Steuer hätte keine weitergehende Bedeutung mehr und wäre nicht mehr durch einen Rechtsgüterschutz zu begründen.

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung I. Historie des Tatbestands der Steuerhinterziehung 11.7

Anders als in § 392 RAO wird das tatbestandsmäßige Verhalten in § 370 Abs. 1 AO ausdrücklich benannt, wenn gleichwohl nicht ausdrücklich geregelt ist, welcher Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Täters und dem Erfolgseintritt bestehen muss. § 392 RAO ließ es genügen, dass der Täter zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines Anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erschlich oder bewirkte. Dabei wurde nicht jedes Verhalten für ausreichend erachtet, sondern die Fälle der Gewalt, der bloßen Nichtzahlung und der Drohung wurden vom Tatbestand ausgenommen.3 Durch die Rechtsprechung wurde zur Behebung der damaligen Probleme das Merkmal der Steuerunehrlichkeit entwickelt, welches dem als zu unbestimmt angesehenen Tatbestand die notwendige Konturierung verleihen sollte. Denn nicht die bloße Gesinnung oder Herbeiführung des Erfolgs wurde als tatbestandsmäßig angesehen, sondern nur bestimmte Begehungsformen, die einen spezifischen Unwertgehalt in sich trugen.4 Da unter Unehrlichkeit nur ein vorsätzliches Verhalten verstanden werden kann, wurde nach einem Tätigkeitsmerkmal gesucht, welches die finale Verhaltensweise des Täters zum Ausdruck brachte. Auf diesem Weg gelangte man zur Täuschung, sodass in den Entscheidungen des Reichsgerichts unter Steuerunehrlichkeit ein täuschendes Verhalten verstanden und ein Irrtum der Behörde verlangt wurde.5 Anfänglich folgte der BGH dieser Ansicht,6 ging jedoch später dazu über, ein steuerunehrliches Verhalten nicht nur dann anzunehmen, wenn der Täter täuschte, sondern auch dann, wenn er vorsätzlich bewirkte, dass die Steuerbehörde über Bestehen und Höhe des Steueranspruchs in Unkenntnis gehalten wurde.7 Gegen die Neufassung des Gesetzes wird weiterhin eingewandt, dass die Formulierung mit der Wendung „dadurch“ farblos erscheint und der Auslegung erheblichen Spielraum einräumt. Denn das Gesetz habe nicht geregelt, welcher Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Täters und dem Erfolgseintritt bestehen müsse.8

1 Hanssen, Steuerhinterziehung, 29. 2 Menke, Kompensationsverbot, 44. 3 RG v. 12.12.1935 – 5 D 567/35, RGSt 70, 10 (11); RG v. 3.7.1942 – 1 D 272/41, RGSt 76, 195 (198); BGH v. 11.3.1952 – 1 StR 296/51, BGHSt 2, 183 (185); Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 105 f.; Hilgers, Täuschung, 15; einen historischen Überblick bietet Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1 ff. 4 Kribs-Drees, DB 1978, 181. 5 RG v. 21.3.1929 – II 854/28, RGSt 63, 95 (99); RG v. 13.5.1937 – 3 D 243/37, RGSt 71, 216 (217); RG v. 3.7.1942 – 1 D 272/41, RGSt 76, 195 (198). 6 BGH v. 3.4.1952 – 3 StR 630/51, BGHSt 2, 338 (340). 7 BGH v. 24.9.1953 – 4 StR 249/53, NJW 1953, 1841; BGH v. 20.7.1971 – 1 StR 683/70, BGHSt 24, 178 (182). 8 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 105 f., der die Fassung des Gesetzes aber als darum bemüht sieht, das Merkmal der Steuerunehrlichkeit zu erfassen.

416 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.8 Kap. 11

II. Erweiterung des Anwendungsbereichs auf bestimmte ausländische Abgaben Literatur: Bender, Verbote und Beschränkungen im Binnenmarkt – straf- und bußgeldrechtliche Aspekte, ZfZ 1992, 199; Bender, Rechtsfragen um den Transitschmuggel mit Zigaretten, wistra 2001, 161; Bender, Ist der Zigarettenschmuggel seit dem 4.3.2004 straffrei?, wistra 2004, 368; Buchheister, Internationalisierung des Steuerstrafrechts, DStZ/A 1975, 201; Dannecker, Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft, in Eser/Huber, Strafrechtsentwicklung in Europa, Freiburg 1995, 1965; Fuchs, Fahrer und Beifahrer eines Lastzugs sind auch für darin ohne ihr Wissen versteckte oder verheimlichte Waren gestellungspflichtig, ZfZ 2004, 160; Funk-Brentano, Gemeinschaftsrecht und Zollhinterziehung, EuWZ 1992, 745; Gehm, Der Tatbestand der Steuerhinterziehung im Licht des Rechts der EU – ein Überblick anlässlich der Rechtsprechung des EuGH v. 7.12.2010 (C-284/09), NZWiSt 2013, 53; Hellmann, Europäisierung des Strafrechts, in Juristische Fakultät der Universität Potsdam, Europäische Union und nationales Recht, Potsdam 1999, 39; Kesseböhmer/Schmitz, Hinterziehung ausländischer Steuern und Steuerhinterziehung im Ausland, wistra 1995, 1; Kohlmann, Zur Ahndung grenzüberschreitender Steuerhinterziehungen, in FS Hirsch, Berlin 1999, 577; Möhrenschlager, Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter in den Schutzbereich nationaler Straftatbestände, in Dannecker, Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, Köln 1993, 162; Nowakowski, Anwendung des inländischen Strafrechts und außerstrafrechtliche Rechtssätze, JZ 1971, 633; Pflaum, Das unionsrechtliche Missbrauchsverbot und die steuerstrafrechtliche Haftung in arbeitsteiligen Unternehmen, UR 2019, 63; Rahn, Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den Eingangsabgaben, ZfZ 1971, 65; Schmitz/Wulf, Erneut: Hinterziehung ausländischer Steuern und Steuerhinterziehung im Ausland, wistra 2001, 361; Stoffers, Der Schutz der EU-Finanzinteressen durch das deutsche Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, EuZW 1994, 304; Tiedemann, Der Strafschutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft, NJW 1990, 2226; Tiedemann, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, 23; Weyand, Internationales Steuerstrafrecht, INF 1993, 461. Neuere Literatur: Bender, Der Transitschmuggel im europäischen „ne bis in idem“, wistra 2009, 176; Biehler, Konkurrierende nationale und internationale strafrechtliche Zuständigkeit und das Prinzip ne bis in idem, ZStW 116 (2004), 256; Böse, Der Grundsatz „ne bis in idem“ in der Europäischen Union, GA 2003, 744; Böse, Ausnahmen vom grenzüberschreitenden „ne bis in idem? – Zur Fortgeltung der Vorbehalte nach Art. 55 SDÜ, in FS Kühne, Heidelberg 2013, 519; J. Bülte, Verwertung von im Ausland erlangten Beweismitteln und Anwendungsvorrang des Unionsrechts als Grenze von Verfahrensrechten im nationalen Strafprozess, ZWH 2013, 219; Burchard/Brodowski, Art 50 Charta der Grundrechte der Europäischen Union und das europäische ne bis in idem nach dem Vertrag von Lissabon, StraFo 2010, 185; Geiger, Strafrechtsharmonisierung aus Luxemburg?, EuZW 2002, 705; Hackner, Das teileuropäische Doppelbestrafungsverbot insbesondere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, NStZ 2011, 425; Harms/Heine, Ne bis in idem – Es führt kein Weg am EuGH vorbei, in FS Hirsch, München 2008, 85; Heger, Das europäische Doppelbestrafungsverbot, in FS Kühne, Heidelberg 2013, 565; Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, Berlin 2005; Kokott, Bedeutung und Wirkungen deutscher und europäischer Grundrechte im Steuerstrafrecht und Steuerstrafverfahren, NZWiSt 2017, 409; Radtke/Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europäischen Union, NStZ 2003, 281; Risse, Die Anwendbarkeit von EU-Grundrechten im prozessualen und materiellen Strafrecht, HRRS 204, 93; Rübenstahl/Krämer, Das Doppelbestrafungsverbot nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen, European Law Reporter 2003, 180; Schomburg/SuomenPicht, Verbot der mehrfachen Strafverfolgung, Kompetenzkonflikte und Verfahrenstransfer, NJW 2012, 1190; Stein, Ein Meilenstein für das europäische „ne bis in idem“!, NJW 2003, 1162; Wegner, HRRS 2018, 205.

Die Schaffung des EG-Binnenmarktes zog einige Änderungen der Regelungen über die Anwendbarkeit des Steuerhinterziehungstatbestandes auf ausländische Steuern nach sich. Das USt-BinnenmarktG1 fügte § 370 Abs. 6 Satz 1 AO drei neue Sätze an, in denen die Geltung des Tatbestandes auf Hinterziehungen von Umsatzsteuern, die von einem anderen Mitglied1 V. 25.8.1992 (BGBl. I 1992, 1548).

Peters | 417

11.8

Kap. 11 Rz. 11.8 | Steuerhinterziehung

staat der Europäischen Gemeinschaften verwaltet werden, angeordnet wurde, falls die Gegenseitigkeit zur Zeit der Tat verbürgt und dies in einer vom BMF mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassenden Rechtsverordnung festgestellt war. Der ehemalige § 370 Abs. 6 Satz 2 AO wurde zu Absatz 7. Das VerbrSt-BinnenmarktG1 dehnte die Regelung auf harmonisierte Verbrauchsteuern aus. Da das USt-Binnenmarktgesetz § 370 Abs. 6 Satz 2 AO a.F. unverändert zu Absatz 7 gemacht hatte, also nur die Geltung der Absätze 1 – 5 anordnete, bezog sich die Regelung ihrem Wortlaut nach nicht auf Hinterziehungen ausländischer Eingangsabgaben und Steuern nach Absatz 6. Dieses gesetzgeberische Versehen2 beseitigte das EGFinSchG.3 Durch die Ersetzung des Wortes „Eingangsabgaben“ durch die Wörter „Einfuhr- und Ausfuhrabgaben“ in § 370 Abs. 6 Satz 1 AO passte das Steueränderungsgesetz 20014 die Regelung an die in § 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG und Art. 4 Nr. 10, 11 ZK verwendete Terminologie an. Art. 9 Nr. 11 JStG 20105 hob die Sätze 3 und 4 des § 370 Abs. 6 AO auf und beseitigte durch diese Streichung des Erfordernisses einer Verbürgung der Gegenseitigkeit, die in einer vom BMF zu erlassenden RechtsVO hätte festgestellt werden müssen, das Leerlaufen der Vorschrift. Die erforderliche Anpassung des Absatzes 6 an die geänderte europäische Rechtslage nahm Art. 12 BeitrRLUmsG6 vor, indem Europäische Gemeinschaft durch Europäische Union ersetzt wurde und Satz 2 nun auf Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG verweist.

11.9

Art. 3 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen vom 21.12.20077 änderte § 370 Abs. 3 AO, der unter Verwendung der Regelbeispieltechnik einen erhöhten Strafrahmen für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung androht. In § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO strich das Gesetz das – schwer eingrenzbare – Merkmal „aus grobem Eigennutz“. Zudem fügte der Gesetzgeber ein weiteres Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung als Nr. 5 in § 370 Abs. 3 Satz 2 AO ein. Es droht den erhöhten Strafrahmen für bandenmäßig begangene Umsatz- und Verbrauchsteuerhinterziehungen an. Die Regelung ersetzt den zugleich aufgehobenen § 370a AO. Der Gesetzgeber beugte sich damit der heftigen Kritik, die in Rspr.8 und Literatur9 wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG an diesem 2001 durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz10 geschaffenen Verbrechenstatbestand geäußert worden und trotz der schon sieben Monate nach der Einführung erfolgten Korrektur des § 370a AO durch das 5. Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes11 nicht verstummt war.

1 2 3 4 5 6 7 8

V. 21.12.1992 (BGBl. I 1992, 2150). Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 33. V. 22.9.1998 (BGBl. II 1998, 2322). V. 20.12.2001 (BGBl. I 2001, 3794). V. 8.12.2010 (BGBl. I 2010, 1768). V. 7.12.2011 (BGBl. I 2011, 2592). BGBl. I 2007, 3198 (3209). BGH v. 20.4.2004 – 5 StR 11/04, NJW 2004, 1885 (1886); BGH v. 22.7.2004 – 5 StR 85/04, NJW 2004, 2990 (2991); BGH v. 28.10.2004 – 5 StR 276/04, NJW 2005, 374 (375 f.); BGH v. 11.1.2005 – 5 StR 510/04, wistra 2005, 147 (148); BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 271/04, wistra 2005, 145 (147); BGH v. 6.9.2006 – 5 StR 156/06, wistra 2007, 18. 9 Z.B. Gaede, HRRS 2004, 318 (319 f.); Gast-de Haan, DStR 2003, 12; Harms in FS Kohlmann, 413 (419 ff.); Klein, StV 2005, 459 (460 ff.); Langrock, wistra 2004, 241; Park, wistra 2003, 328 (329 ff.); Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983 (2984 ff.). 10 V. 19.12.2001 (BGBl. I 2001, 3922). 11 V. 23.7.2002 (BGBl. I 2002, 2715).

418 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.11 Kap. 11

Der Steuerhinterziehungstatbestand schützte ursprünglich nur inländische Steuern. § 370 Abs. 1, 3 und 4 AO benutzt allerdings – wie seine Vorgängervorschriften auch – den Begriff Steuer, ohne ihn auf inländische Steuern zu beschränken, sodass bei isolierter Betrachtung des Tatbestandes auch die Hinterziehung ausländischer Abgaben unter den Wortlaut subsumiert werden könnte. § 1 beschreibt aber den Anwendungsbereich der AO, und damit auch der Steuerhinterziehung. Sie gilt danach für die Hinterziehung von Steuern – zu denen gem. § 3 Abs. 3 AO auch Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 4 Nr. 10, 11 ZK (bzw. Art. 5 Nr. 15, 16 UZK)1 – einschließlich der Vergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden, sowie der von den Gemeinden verwalteten Realsteuern (§ 1 Abs. 2, § 3 Abs. 2 AO) und von steuerlichen Nebenleistungen (§ 1 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AO). Auf ausländische Steuern findet der Tatbestand somit grds. keine Anwendung.2 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Steuerhinterziehungstatbestandes erfolgt auch nicht durch §§ 3 ff. StGB, die in bestimmten Fällen die Geltung des deutschen Strafrechts für Auslandstaten anordnen, und zwar nicht einmal dann, wenn ein Deutscher Abgaben eines ausländischen Staates hinterzieht. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB unterliegen deutsche Staatsbürger zwar der deutschen Strafgewalt, wenn die Auslandstat am Tatort mit Strafe bedroht ist, was bei einer Steuerhinterziehung i.d.R. der Fall sein wird. Angewendet wird auf die Auslandstat aber das deutsche Strafrecht, nicht etwa das des Tatortes, bei einer Steuerhinterziehung also § 370 AO. Wie soeben dargelegt, stellt dieser Tatbestand jedoch – die Ausdehnung des Anwendungsbereichs in Absatz 6 und 7 außer Betracht gelassen – eben nur die Hinterziehung der bundesrechtlich oder durch Recht der Europäischen Union geregelten Steuern, die von Bundes- oder Landesfinanzbehörden bzw. den Gemeinden verwaltet werden, unter Strafe. Daher darf ein Deutscher, der in Frankreich die von ihm dort zu zahlende Einkommensteuer hinterzieht, von den deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht strafrechtlich verfolgt werden. Zwar liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB (deutsche Staatsangehörigkeit; Strafbarkeit am Tatort) an sich vor, da die Vorschrift aber lediglich die Anwendung des deutschen Strafrechts ermöglicht, § 370 Abs. 1 AO jedoch in einem solchen Fall nicht eingreift, bleibt der Täter in Deutschland – wie in allen Fällen, in denen das deutsche Strafrecht ausschließlich inländische Rechtsgüter schützt – straflos.3

11.10

Die Erstreckung des nationalen Steuerstrafrechts auf ausländische Abgaben ist in der Geschichte nicht ganz ohne Vorbild. In der früheren Gesetzgebung fanden sich ähnliche Vorschriften, so z.B. in Art. 1 des Preußischen Gesetzes über die Bestrafung der Zollvergehen gegen fremde Staaten, in welchen durch Handelsverträge die Gegenseitigkeit verbürgt ist,4 im Reichsgesetz betreffend Zuwiderhandlungen gegen die Österreichisch-Ungarischen Zollgeset-

11.11

1 Verordnung (EU) Nr. 952/2013 v. 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1. 2 BayObLG v. 20.12.1979 – RReg. 5 St 237/79, NJW 1980, 1057; OLG Hamburg v. 18.2.1964 – 2 Ss 1/64, JR 1964, 350 (352) m. Anm. Schröder, JZ 1964, 353; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 33, § 370 AO Rz. 24. 3 BGH v. 26.7.1967 – 4 StR 38/67, BGHSt 21, 277 (280); BGH v. 17.12.1968 – 1 StR 161/68, BGHSt 22, 282 (285); BGH v. 31.7.1979 – 1 StR 21/79, BGHSt 29, 85 (88); BGH v. 2.3.1994 – 2 StR 604/ 93, BGHSt 40, 79 (81) m. Anm. Rengier, JR 1996, 34; BayObLG v. 20.12.1979 – RReg. 5 St 237/79, NJW 1980, 1057; OLG Hamburg v. 18.2.1964 – 2 Ss 1/64, JR 1964, 350 (352); OLG Hamburg v. 19.9.1985 – 1 Ss 128/85, NJW 1986, 336; OLG Karlsruhe v. 9.5.1985 – 4 Ss 63/85, NJW 1985, 2905; Eser/Weißer in Schönke/Schröder, StGB30, Vorbem. §§ 3–9 Rz. 31. 4 V. 22.8.1853 (PrGS 1853, 926).

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Kap. 11 Rz. 11.11 | Steuerhinterziehung

ze1 und im Reichsgesetz über die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die Zollvorschriften und die Ein-, Aus- und Durchfuhrbestimmungen benachbarter Zollgebiete.2

11.12

Die Regelungen in § 392 Abs. 5 RAO 1967/68, § 370 Abs. 6, 7 AO vollziehen die Stadien des Europäischen Einigungsprozesses nach. Die Einführung des § 392 Abs. 5 RAO durch das 2. AOÄndG verstanden die Entwurfsverfasser als Anstoß zur Rechtsvereinheitlichung der EWG.3 Die Vorschrift wies indes noch recht strenge Voraussetzungen auf, denn sie erfasste nur die Eingangsabgabenhinterziehung unter Verwendung unrichtiger Belege und forderte ausdrücklich die Sicherung des Doppelbestrafungsverbots. Die späteren Erweiterungen und Änderungen setzten überwiegend Verpflichtungen aus Europäischen Rechtsakten oder Abkommen mit anderen Staaten um. § 353 Abs. 6 EAO verweist auf das einschränkende Merkmal der Verwendung unrichtiger Belege. Zudem wurde nicht mehr gefordert, dass die Eingangsabgaben einem anderen Mitgliedstaat zustehen, weil der Rat der Europäischen Gemeinschaften vom 21.4.1970 beschlossen hatte, die Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften zu ersetzen; der Entwurf stellte deshalb darauf ab, dass die Eingangsabgaben von einem anderen EWG-Staat verwaltet wurden.4

11.13

Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Eingangsabgaben von EFTA- und assoziierten Staaten, die in § 370 Abs. 6 EAO 1977 vorgesehen war, dann aber bereits durch das EGStGB eingeführt wurde, beruhte auf den mit diesen Staaten zwischenzeitlich abgeschlossenen Abkommen. Durch die Neufassung des § 370 Abs. 6, 7 AO kam Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag nach. Die Mitgliedstaaten sind schon durch Art. 4 Abs. 3 Satz 2 EUV angehalten, „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder aus Handlungen der Organe der Union ergeben“, zu ergreifen. Der EuGH hat diese Pflicht dahingehend konkretisiert, dass jeder Mitgliedstaat Verstöße gegen das Unionsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regelungen ahnden müsse, die bei gleichartigen Verstößen gegen das nationale Recht angewendet werden.5

11.14

Art. 325 AEUV bestimmt dies ausdrücklich zur Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten. Gemeint ist damit sowohl die Einnahmeseite als auch die Ausgabenseite. Der deutsche Gesetzgeber hatte diese Grundsätze schon vor dem Maastrichter Vertrag weitgehend umgesetzt und durch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der AO und damit auch des Steuerhinterziehungstatbestandes auf Steuern, Zölle und Abschöpfungen – heute Einfuhr- und Ausfuhrabgaben –, die durch das Recht der Europäischen Union geregelt sind, erreicht, dass deren Einnahmen in gleicher Weise strafrechtlich geschützt werden wie das nationale Steueraufkommen (vgl. § 3 Abs. 3 AO i.V.m. Art. 4 Nr. 10, 11 ZK/ Art. 5 Nr. 15, 16 UZK). Wie dargelegt, bedarf der Schutz der EU-Einnahmen ausdrücklicher Regelungen zur Einbeziehung in den Schutzbereich der entsprechenden nationalen Normen, da Steuerdelikte grds. auf den Schutz des nationalen Steuer- und Zollaufkommens beschränkt sind.6 Durch die versehentlich versäumte Änderung des § 370 Abs. 7 im USt-BinnenmarktG 1 2 3 4 5 6

V. 17.7.1881 (RGBl. 1881, 247). V. 15.8.1943 (RGBl. I 1943, 539). BT-Drucks. V/1812, 23. BT-Drucks. VI/1982, 195. EuGH v. 21.9.1989 – C-68/88, ECLI:EU:C:1989:339 – Kommission/Griechenland. Vgl. Dannecker in Eser/Huber, Strafrechtsentwicklung in Europa, 1965, 2018; Johannes, ZStW 83 (1971), 531 (549); Möhrenschlager in Dannecker, Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 162 (163); Wolffgang/Ulrich, EuR 1998, 616 (638).

420 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.16 Kap. 11

bestand1 allerdings vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1.1.1993 bis zur Beseitigung dieses Versehens durch das EGFinSchG vom 22.9.1998 eine Strafbarkeitslücke für reine Auslandstaten, d.h. solche, die nicht schon nach §§ 4 ff. StGB der deutschen Strafgewalt unterliegen.2 Durch die Streichung des zuvor in § 370 Abs. 6 Sätze 3, 4 AO enthaltenen Gegenseitigkeitserfordernisses ist der deutsche Steuerhinterziehungstatbestand nunmehr uneingeschränkt auf die in § 370 Abs. 6 Satz 2 AO genannten Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden, anwendbar. Fraglich ist jedoch, ob dies nur für Taten gilt, die nach Inkrafttreten des JStG 2010 am 14.12.2010 begangen wurden oder die Streichung des Erfordernisses der Verbürgung der Gegenseitigkeit die Verfolgung von „Altfällen“ ermöglicht. Träfe die h.M., die das Gegenseitigkeitserfordernis als objektive Bedingung der Strafbarkeit betrachtet,3 zu, so würde § 2 Abs. 3 StGB gelten mit der Folge, dass das mildeste Gesetz anzuwenden wäre, also die alte Fassung des § 370 Abs. 6 Sätze 2 – 4 AO, nach der die dort genannten Taten mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit straflos waren. Dieser Sicht steht aber bereits der Wortlaut der früheren Regelung („[...] werden nur verfolgt, [...]“) entgegen, der dafür spricht, dass es sich bei dem Gegenseitigkeitserfordernis nicht um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, sondern um eine Verfolgungsvoraussetzung und somit eine – prozessuale – Verfahrensregelung handelt. Für diesen Befund streiten zudem historische und teleologische Argumente.4 Da das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG grds. nicht für das Verfahrensrecht gilt,5 führt der Wegfall des Gegenseitigkeitserfordernisses dazu, dass vor dem 14.12.2010 begangene Taten nunmehr verfolgt werden können.6 Die Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25.2.1992, auf deren Art. 3 Abs. 1 § 370 Abs. 6 Satz 2 AO bis zum Inkrafttreten des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes am 1.1.2012 verwies, durch die Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.20087 mit Wirkung zum 1.4.2010, berührt die Strafbarkeit der bis zum 31.12.2011 begangenen Taten im Übrigen nicht, da es sich nicht um die „Ausfüllungsnorm“ eines Strafblanketts, sondern eine bloße Konkretisierung der ausländischen Verbrauchsteuern handelt, auf die der deutsche Steuerhinterziehungstatbestand anwendbar ist.8

11.15

Eine doppelte Bestrafung in Deutschland und in dem Mitgliedstaat, in dem die Hinterziehung der ausländischen Abgabe begangen wurde, droht dem Täter nicht. Der Grundsatz „ne bis in idem“ ist zum einen in Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union9 niedergelegt und gilt zum anderen gem. Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen für die „Schengen Staaten“.

11.16

1 BayObLG v. 28.11.2000 – 4 St RR 117/2000, NStZ 2001, 320 (321); LG Kiel v. 10.6.1997 – IX KLs 1/ 97, NStZ 1998, 200 (201 f.); Bender, wistra 2001, 161 (164 f.); Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 33; Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (6). A.A. BGH v. 21.2.2001 – 5 StR 368/00, wistra 2001, 263 (264); OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 1 Ws 316/95, wistra 1996, 193 (196); Weyand, INF 1993, 461 (463). 2 Zur Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts gem. § 4 StGB auf eine Beihilfe, die auf einem unter deutscher Flagge fahrenden Schiff zur ausländischen EU-Steuerhinterziehung geleistet wurde, s. OLG Schleswig v. 17.9.1997 – 3 Ws 284/97, wistra 1998, 30 m. Anm. Döllel, wistra 1998, 70. 3 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 162; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 30 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 557; Keßebömer/Schmitz, wistra 1995, 1 (4). 4 Eingehend dazu Tully/Merz, wistra 2011, 121 (122 ff.). 5 BVerfG v. 26.2.1969 – 2 BvL 15, 23/68, BVerfGE 25, 269 ff.; BVerfG v. 29.11.1989 – 2 BvR 1491/ 87; 2 BvR 1492/87, BVerfGE 81, 132 ff.; BVerfG v. 18.9.2008 – 2 BvR 1817/08, NJW 2008, 3769. 6 Tully/Merz, wistra 2011, 121 (124 f.). 7 ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 8 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 556; Tully/Merz, wistra 2011, 121 (125 f.). 9 In der am 1.12.2009 in Kraft getretenen Fassung, ABl. EU 2009 Nr. C 83, 389.

Peters | 421

Kap. 11 Rz. 11.17 | Steuerhinterziehung

11.17

Das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 54 SDÜ sollte durch Art. 50 GRCh weder verdrängt noch modifiziert werden; Art. 54 SDÜ besitzt nach wie vor Gültigkeit und ist als zulässige Einschränkung des Art. 50 Abs. 1 GRCh zu werten.1 Voraussetzung des Eingreifens des Doppelbestrafungsverbots ist daher, dass die Sanktion aus dem ersten Urteil bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.2 Die Gegenansicht, die bereits eine mehrfache Strafverfolgung für unzulässig hält, ist de lege lata abzulehnen.3 Angesichts des Fehlens eines hinreichenden Systems zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten und mangels eindeutiger Zuweisungsregeln für transnationale Strafverfahren,4 muss eine Strafverfolgung mindestens solange möglich sein, bis gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Erst dann kommt ggf. eine (vorläufige) Einstellung des Verfahrens in Betracht.

11.18

Beide Regelungen unterscheiden sich allerdings darin, dass der – unionsweite – Strafklageverbrauch nach Art. 50 GRCh schon eintritt, wenn der Täter in der Union rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen ist, während Art. 54 SDÜ darüber hinaus verlangt, dass die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Vollstreckungsstaats das Urteil nicht mehr vollstreckt werden kann. Nach zutreffender Auffassung wird Art. 54 SDÜ nicht durch Art. 50 GRCh verdrängt, da Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GrCh eine gesetzliche Einschränkung der in der GRCh genannten Rechte und Freiheiten anerkennt, soweit deren Wesensgehalt geachtet wird, und Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen eine solche Einschränkung darstellt.5

III. Verwendung von Drittstaatgesellschaften 11.19

§ 370 Abs. 3 Nr. 6 AO gelangte über das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz 2017 in die AO.6 Als besonders schwerer Fall erfasst ist nunmehr, wenn der Täter eine Drittstaat-Gesell-

1 Zum Verhältnis von Art. 54 SDÜ zu Art. 50 GRCh vgl. BGH v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10, NStZRR 2011, 7; LG Aachen v. 8.12.2009 – 52 Ks 9/08, StV 2010, 237; Ambos in MK-StGB4, Vor §§ 3– 7 StGB Rz. 68; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 68; Safferling, Internationales Strafrecht, 516; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 112, 116; Burchard/Brodkowski, StraFo 2010, 179; für eine Verdrängung von Art. 54 SDÜ durch Art. 50 GRCh Reichling, StV 2010, 237; Zöller in FS Krey, 2010, 518; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 563; Heger in FS Kühne, 565, 568 f.; Böse in FS Kühne, 519 (524, 525). 2 BGH v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10, NStZ-RR 2011, 7 ff.; LG Aachen v. 8.12.2009 – 52 Ks 9/08, StV 2010, 237; Ambos in MK-StGB4, Vor §§ 3–7 StGB Rz. 68; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 68; Safferling, Internationales Strafrecht, 516; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 112, 131; Burchard/Brodkowski, StraFo 2010, 179; a.A. unter Berufung auf den Wortlaut Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191); Böse, GA 2011, 504. 3 Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191); Böse, GA 2011, 504. 4 Dies bemängeln auch Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1192 ff.), die als Konsequenz zur Vermeidung von Grundrechtsverletzungen de lege ferenda ein einheitliches Rechtssystem zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten fordern. 5 BGH v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10, BGHSt 56, 11, Rz. 13 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 563; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 68; a.A. Böse, GA 2011, 504 (505 ff.). 6 StUmgBG v. 23.6.2017 (BGBl. I 2017, 1682). Vgl. auch Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 21.12.2016, BTDrucks. 18/11132; 816/16;18/11184; 12/12127; vgl. bereits aus RefE des BMF v. 1.11.2016; vgl. hierzu die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins, 79/2016, abrufbar unter https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA161202654&cmsuri= %2Fjuris %2Fde % 2Fnachrichten %2Fzeigenachricht.jsp.; zum Ganzen auch El Mourabit, BB 2017, 91; Sejdija/Holzner, StB 2017, 9.

422 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.20 Kap. 11

schaft i.S.d. § 138 Abs. 3 AO, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

IV. Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht Der Tatbestand der Steuerhinterziehung wird von der herrschenden Meinung bislang noch als sog. Blankettstraftatbestand verstanden,1 auch wenn neuere Tendenzen zu einem, wenn auch nur teilweisen,2 normativen Verständnis gehen.3 Konsequenz dieser Auffassung wäre, dass die Steuerverkürzung und die steuerlich erheblichen Angaben lediglich als normative Tatbestandsmerkmale zu begreifen wären. Die praktischen Auswirkungen sind bedeutsam.4 Es besteht nämlich in strafrechtlicher Hinsicht die Gefahr des Verstoßes gegen das strafrechtliche Analogieverbot,5 damit die Gefahr von Strafbarkeitserweiterungen6 und in steuerlicher Hinsicht, insbesondere im Internationalen Steuerstrafrecht, die Gefahr ungewollter Doppelbesteuerungen und ggf. daraus resultierender Doppelbestrafungen.7 Im Internationalen Steuerstrafrecht kommt diese Problematik meist dann zum Tragen, wenn es um die Auslegung 1 BVerfG, Beschl. v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201 (208); BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 295/01, BGHSt 47, 138 (141); vgl. auch BVerfG v. 11.3.2020 – 2 BvL 5/17 zur Verfassungsmäßigkeit von Blankettnormen; Harms in FS Kohlmann, 413 (414); Pipping, Die steuerlich erheblichen Tatsachen, 68; Wulf, wistra 2001, 41 (43); einschränkend hingegen Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 387 ff.; Ransiek, HRRS 2009, 42; Weidemann, wistra 2006, 132 f.; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 140; Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 149. Zum Ganzen Moll, Nationale Blankettstrafgesetzgebung, 1998; a.A. Weidemann, wistra 2006, 132 (133); zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 20 ff.; Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. Rz. 31 ff. 2 Für § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 387 ff.; Ransiek, HRRS 2009, 421 ff.; Weidemann, wistra 2006, 132 f.; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 140; Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 149. Zum Ganzen Moll, Nationale Blankettstrafgesetzgebung, 1998; zu den Auswirkungen auch Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 27 ff. 3 Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 149 „hochgradig normativ“; Walter in FS Tiedemann, 696 ff.; Weidemann, wistra 2006, 132 (133); differenzierend zwischen § 370 Abs. 1 Nr. 1 und § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO auch Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 13 ff.; vgl. auch Puppe, GA 1990, 145 (162 ff.) zu der Frage des gesamttatbewertenden Merkmals der Pflichtwidrigkeit beim Straftatbestand der Untreue; Puppe in NK5, § 16 StGB Rz. 19 ff. 4 Vgl. hierzu die Fälle des kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen unter Rz. 11.77; dazu Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 382 ff.; Bülte, HRRS 2011, 465 (471); Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 (736). 5 So auch Bülte, HRRS 2011, 465 (469); Bülte, BB 2010, 1759, der die Lösung darin sieht, den Tatbestand der Steuerhinterziehung als „hochgradig normativ“ zu betrachten und demnach den weiteren steuerlichen Bestimmtheitsgrundsatz gegenüber dem engeren strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz für anwendbar erachtet. Zu diesem Ansatz vgl. auch Dannecker in FS Achenbach, 2011, 83. 6 Vgl. hierzu Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 390; zur strafbegründenden Anwendung von § 42 AO vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 26. 7 Schauf/Hoink, PStR 2009, 58 (60); Winter, DB 2009, 1843 (1845), Ransiek, HRRS 2009, 420 (426, 427); vgl. auch Gehm, NZWiSt 2013, 53 (58); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 25.3; Wulf/ Alvermann, DB 2011, 731 (735 f.), die zu Recht bemängeln, dass eine steuerrechtlich zulässige Auslegung des Begriffs der Steuerhinterziehung zur Begründung einer Strafbarkeit herangezogen wird.

Peters | 423

11.20

Kap. 11 Rz. 11.20 | Steuerhinterziehung

nationaler Vorschriften durch den EuGH geht, mithin eine Kollision von nationalem Verfassungsrecht und dem Grundsatz unionsrechtskonformer Auslegung im Raum steht.1 Grundsätzlich soll eine gespaltene Auslegung vermieden werden, denn andernfalls bestünde ein Steueranspruch, der strafrechtlich nicht geschützt ist.2

11.21

Verweist die einschlägige Steuerstraftat der herrschenden Meinung und insbesondere der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend indes im Wege der Blanketttechnik akzessorisch auf das Steuerrecht, gelten sämtliche Erfordernisse des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips auch für die Auslegung und Anwendung der steuerrechtlichen Normen, auf die das Steuerstrafgesetz dadurch Bezug nimmt.3 Dies führt zu einer für den Steuerpflichtigen günstigen Rechtslage, weil damit die strengeren Maßstäbe des Strafrechts für das Steuerstrafrecht maßgeblich sind. Das Gesetzlichkeitsprinzip gilt auf diesem Weg in vollem Umfang auch für die zumeist außerstrafrechtlichen Normen, die das Blankettverbot materiell ausfüllen (sog. Ausfüllungsnormen).4 Erst durch das Zusammenlesen der strafrechtlichen Sanktionsnorm und der inhaltlich aussagekräftigen Ausfüllungsnorm ergibt sich ein vollständiges strafrechtliches Verhaltensver- oder -gebot. Eine sog. Normspaltung ist nicht möglich, d.h. eine steuerliche Analogie kann in strafrechtlicher Hinsicht nicht zulasten des Täters gehen.5 Eine steuerlich zulässige tatbestandliche Rückanknüpfung ist ebenfalls unzulässig.6

11.22

In jedem Fall gilt im Steuerstrafrecht der strengere strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz einschließlich des, anders als im Steuerrecht,7 geltenden Analogieverbots.8 Der strenge Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG verwehrt es der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt im Strafrecht, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen.9 Der Verweis in § 370 AO auf das Steuerrecht ist durch Gesetz oder Rechtsverordnung auszufüllen. Verwaltungsvorschriften, etwa die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, bilden lediglich Auslegungshilfen und können grundsätzlich keine strafrechtliche Verantwortung begründen.10 Der weitere steuerliche Bestimmtheitsgrundsatz11 beansprucht insoweit keine Geltung. Überdies sind bei der Auslegung der das Blankett ausfüllenden Steuernorm neben den deutschen

1 Vgl. hierzu auch Jäger, DStJG 38, 2015, 29 (39). 2 Allgayer in G/J/W2, § 369 AO Rz. 39; Jäger, DStJG 38, 2015, 29 (39). 3 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, §9 Rz. 66; Gaede in Flore/Tsambikakis2, § 369 AO Rz. 63; Cornelius in FS Rengier, 2018, 457 (459). 4 BVerfG v. 25.7.1962 – 2 BvL 4/62, BVerfGE 14, 245; BVerfG v. 15.10.1990 – 2 BvR 385/87, NJW 1992, 35; BGH v. 16.5.1984 – 2 StR 525/83, NStZ 1984, 510; Schmitz in MK-StGB4, § 1 StGB Rz. 49 ff. 5 Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 340; Jäger, DStJG 38, 2015, 29 (38). 6 Schmitz in MK-StGB4, § 1 StGB Rz. 35; generell ablehnend auch bei normativem Verständnis Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 395; vgl. auch Rz. 2.8. 7 BFH v. 7.7.2009 – VII R 24/06, BFH/NV 2009, 1920; Englisch in T/L23, § 5 Rz. 74 ff.; Hey in T/L23, § 3 Rz. 237. 8 Vgl. BVerfG v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135; BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/ 08, NJW 2010, 754. 9 St. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfG v. 22.6.1988 – 2 BvR 234/87, 1154/86, BVerfGE 78, 374 (382) und zuletzt BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010, 754 (755), jeweils m.w.N.; Fischer67, § 1 StGB Rz. 5a. 10 Vgl. den gleich lautenden Ländererlass v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 43; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353. 11 Vgl. etwa BFH v. 18.3.2009 – I R 37/08, BFHE 225, 323 unter Verweis auf BVerfG v. 23.10.1986 – 2 BvL 7/84, 2 BvL 8/84, BVerfGE 73, 388 = NJW 1987, 943.

424 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.26 Kap. 11

Auslegungsmaßstäben die unionsrechtlichen Auslegungsmaßstäbe1 zu beachten, was oft und gerne übersehen wird. Insbesondere im Internationalen Steuerstrafrecht kommt es daher oftmals zu (ungewollten) teleologischen Reduktionen und Strafbarkeitserweiterungen. In jüngster Zeit tauchen vermehrt Fälle auf, in denen bspw. die in Deutschland straflose Hinterziehung ausländischer Steuern in Rede steht, oder Sachverhalte, in denen es um die bloße „Hinterziehung“ von Fiskalsanktionen geht.2

Dem Analogieverbot entlehnt, ist ein so genanntes Entgrenzungsverbot und Präzisierungsgebot, wonach die Strafgerichte bei der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale deren Garantiefunktion zu achten haben. Die Auslegung der Begriffe, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, darf im Ergebnis nicht dazu führen, dass die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird. Die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale dürfen auch innerhalb des möglichen Wortsinns nicht so weit ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen. Das BVerfG spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Verbot der Verschleifung oder Entgrenzung von Tatbestandsmerkmalen,3 beispielsweise Annahme einer vollendeten Steuerhinterziehung bei Erschleichen eines Feststellungsbescheides ohne Beantwortung der Frage, ob und inwieweit es durch den Folgebescheid wirklich zu einem Steuerschaden kommt.4

11.23

Nach dem Präzisierungsgebot kann die Rechtsprechung wegen der Vielgestaltigkeit der Lebensmöglichkeiten bei Unklarheiten über den Anwendungsbereich der Norm selbige durch Präzisierungen und Konkretisierungen im Wege der Auslegung beseitigen. Beispielsweise wirkt so die Konkretisierung durch die Finanzgerichte für die strafrechtliche Bestimmtheit entlastend.5

11.24

Das Blankettstrafgesetz darf als solches nicht nur auf deutsche Gesetze, sondern auch auf unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht wie z.B. Verordnungen oder früher auf Richtlinien6 verweisen (vgl. z.B. den Zollkodex als Verordnung der EG/EU), sofern nur hinreichend deutlich wird, worauf sich der Verweis bezieht.7 Dabei gilt der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz8 auch für das europäische Recht (vgl. auch Art. 7 EMRK, Art. 49 Abs. 1 GRCh).9

11.25

Blankettstrafgesetze, die im Wege einer dynamischen Verweisung auf die jeweils in Kraft befindliche Vorschrift der EU oder anderer Mitgliedstaaten verweisen, sind auch im Steuer-

11.26

1 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 49 ff. 2 Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 29; vgl. auch Gehm, NZWiSt 2013, 53 (58), der ergänzend den Gedanken der Rechtssicherheit und des Rückwirkungsverbots anspricht. 3 BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170; BVerfG v. 1.11.2012 – BvR 1235/11, NJW 2013, 365, vgl. auch Saliger in FS Fischer, 2018, 523. 4 BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99; BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 537/12, BGHSt 58,50. 5 Krumm in T/K, § 369 AO Rz. 23. 6 Zum Fall einer ungültigen bzw. außer Kraft getretenen Richtlinie vgl. BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, NZWiSt 2014, 177; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 556; Tully/Merz, wistra 2011, 121. 7 BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, NZWiSt 2014, 177; Gaede in Flore/Tsambikakis2, § 369 AO Rz. 71; zum Ganzen auch Cornelius, NZWiSt 2014, 173. 8 Die Bedeutung im Steuerrecht ist derweil noch unklar, vgl. Seer in T/L23, § 22 Rz. 311. 9 Gehm, NZWiSt 2013, 53 (57).

Peters | 425

Kap. 11 Rz. 11.26 | Steuerhinterziehung

strafrecht wegen der darin liegenden Kompetenzdelegation nach hier vertretener Ansicht verfassungswidrig.1

11.27

Bei einem (zulässigen) Verweis auf europäisierte (Verbrauch-)Steuergesetze anderer Mitgliedstaaten der EU müssen die in Bezug genommenen Rechtsnormen die Anforderungen des Gesetzlichkeitsprinzips vollständig erfüllen und die Fremdrechtsanwendung im Urteil nachvollziehbar dargelegt werden.2 Bei der Anwendung deutschen Strafrechts muss zudem gesichert sein, dass die Anknüpfung an ausländisches Recht nicht durch fremde Rechtsvorstellungen auf eine qualitative Ausweitung der durch den Gesetzgeber gebilligten Strafbarkeit hinausläuft.3 Hinzu kommt, dass das gesamte deutsche Strafrecht unionsrechtskonform auszulegen ist, mit weitreichenden Folgen für eine mögliche Strafbarkeit, etwa bei Verneinung des Steueranspruchs wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht.4 Führt deutsches Recht zu einer Strafbarkeit, verstößt es aber gegen unmittelbar anwendbares Europarecht, ohne dass schon eine unionsrechtskonforme Auslegung diesen Zustand vermeiden kann, ist das deutsche Strafrecht nach dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts auch im Steuerstrafrecht nicht anzuwenden.5

11.28

Nach Ansicht des BGH darf indes das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden; die Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch und könnten der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden. Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe im Strafrecht seien deshalb nicht von vornherein und immer verfassungsrechtlich zu beanstanden. Insbesondere kann die Frage, ob der Tatbestand der Strafnorm „gesetzlich bestimmt“ i.S. d. Art. 103 Abs. 2 GG ist, auch davon abhängen, an welchen Kreis von Adressaten sich die Vorschrift wendet.6 Es soll mithin unter Umständen der Empfängerhorizont maßgeblich sein. Richte sich die Strafnorm ausschließlich an Personen, bei denen aufgrund ihrer Ausbildung oder praktischen Erfahrungen bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig vorauszusetzen sind, begegne die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auch dann keinen Bedenken, wenn der Adressat aufgrund seines Fachwissens imstande ist, den Regelungsinhalt solcher Begriffe zu verstehen und ihnen konkrete Verhaltensanforderungen zu entnehmen.7 Für Unternehmer, Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschafsprüfer gelten mithin andere Maßstäbe. 1 Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 146; Schmitz in MK-StGB4, § 1 StGB Rz. 51; einschränkend Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 67, 68, der in diesem Fall einen sehr strengen Bestimmtheitsmaßstab fordert, indes ein Rechtsfindungsproblem des Bürgers zugesteht und bei „Verweisungswirrwarr“ in der Regel zu einer Verfassungswidrigkeit gelangt. Anders als im Lebensmittelstrafrecht handelt es sich bei der Steuerhinterziehung jedoch um kein sog. „Expertenstrafrecht“, sodass unterschiedliche Maßstäbe an die Verständigkeit des Täters nicht anzulegen sein dürften. Vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 28 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 7 Rz. 101; Gehm, NZWiSt 2013, 53 (58). 2 BGH v. 8.11.2000 – 5 StR 440/00, wistra 2001, 62; BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; vgl. zur Untreue bei englischer Limited BGH v. 13.4.2010 – 5 StR 428/09, wistra 2010, 268; vgl. auch Cornelius in FS Rengier, 2018, 457 (465). 3 Gaede in Flore/Tsambikakis2, § 369 AO Rz. 73; zu den möglichen Auswirkungen, was einen Irrtum angeht, vgl. Rz. 11.302 ff. 4 Vgl. BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 169/00, NJW 2003, 2842; Heine in G/J/W2, § 369 AO Rz. 69. 5 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; zu den Auswirkungen des Europarechts auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung vgl. auch Rz. 2.60 f. 6 BGH v. 10.10.2017 – 1 StR 447/14, juris, Rz. 62 unter Verweis auf BVerfG v. 1.12.1992 – 1 BvR 576/91, BVerfGE 87, 399 (411) und BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 (197); Bülte, NZWiSt 2017, 161 (165). 7 BGH v. 10.10.2017 – 1 StR 447/14, juris, Rz. 62.

426 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.32 Kap. 11

Zur Beachtung eines unionsrechtlichen Vorrangs sind nicht nur die Gerichte, sondern bereits die Staatsanwaltschaft und die Strafsachen- und Bußgeldstelle verpflichtet; bei Verstoß eines Steuergesetzes mit Unionsrecht ist das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.1

11.29

Für die Beantwortung der Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, ist de lege lata auf die allgemeinen steuerlichen Vorschriften zurückzugreifen. Von besonderer und vorrangiger Bedeutung ist dabei jedoch vor dem Hintergrund einer rechtsgutsbezogenen Betrachtungsweise stets, ob es tatsächlich zur Verletzung des in § 3 AO legaldefinierten Steueranspruchs kommt, oder ob nicht dem Steuerpflichtigen lediglich eine aus der Verletzung etwaiger Mitwirkungspflichten resultierende fiskalische Sanktion auferlegt wird.

11.30

Beispiel: Versagung der Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlicher Lieferung wegen formeller und materieller Mängel, obwohl der Leistungsgegenstand tatsächlich ins Ausland verbracht und dort nicht der Umsatzbesteuerung unterworfen wurde.

In dem sich stetig wandelnden Steuerrecht liegt ein Grund für die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Nachweis einer Steuerhinterziehung. Ein anderer Grund ist, dass immer noch um die Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung gestritten wird. Hinzu kommt, dass das nationale Steuerrecht in zunehmendem Maße europarechtlich und international geprägt wird, was sich wiederum auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung auswirkt. Deutsche Finanz- und Strafgerichte haben die gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Regelungen im europäischen Kontext und unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH anzuwenden.2

11.31

V. Bedeutung für den Tatbestandsvorsatz Nach den Grundsätzen zum Tatbestandsvorsatz und unter Geltung der Schuldtheorie beim Irrtum, die in § 17 StGB legislatorisch festgeschrieben ist,3 dürfte die Unkenntnis der das „Strafblankett“ ausfüllenden (Steuer-)Norm an sich nur zu einem Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB führen.4 Der Tatbestandsvorsatz bliebe dagegen unberührt, wenn der Täter die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen sich die Steuerpflicht ergibt. Hat der Steuerpflichtige z.B. ein Wertpapierspekulationsgeschäft gem. § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG getätigt und gibt er die Einkünfte daraus in seiner Einkommensteuererklärung nicht an, weil ihm die Verlängerung der Spekulationsfrist unbekannt war, so wäre bei konsequenter Anwendung der allgemeinen Regeln der Tatbestandsvorsatz gegeben, da der Steuerpflichtige die tatsächlichen Voraussetzungen des Besteuerungstatbestandes kannte (Erzielung von Einkünften aus

1 Vgl. auch Gehm, NZWiSt 2013, 53 (60). Eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB dürfte im Falle vertretbarer Rechtsansichten am subjektiven Tatbestand scheitern, etwa wenn bereits ein gefestigtes Meinungsbild existiert. 2 Randt, Steuerfahndungsfall, C 969. 3 Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB30, § 17 StGB Rz. 3; Neumann in NK5, § 17 StGB Rz. 94. A.A. Puppe in NK5, § 16 StGB Rz. 84 f. 4 So die (ältere) h.M. zu den Blankettstrafgesetzen allgemein, z.B. Jakobs, AT2, 286; Jescheck/Weigend, AT5, 309; Maurach/Zipf, AT-19, 521; Mitsch, OrdnungswidrigkeitenR, 68; Roxin, AT-14, § 12 StGB Rz. 100; Schroeder in LK11, § 16 StGB Rz. 39. Die Gegenmeinung behandelt auch den Irrtum über die Existenz oder die Wirksamkeit der blankettausfüllenden Norm als Tatumstandsirrtum, z.B. Herzberg, GA 1993, 439 (457 ff.); Kaufmann in FS Lackner, 185 (190); Tiedemann, ZStW 81, 869 (876 ff.); zur Steuerhinterziehung auch Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. Rz. 54 ff.

Peters | 427

11.32

Kap. 11 Rz. 11.32 | Steuerhinterziehung

einem Veräußerungsgeschäft, bei dem der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr betrug).

11.33

Die Unkenntnis der Steuerpflichtigen dieser sonstigen Einkünfte wäre ein bloßer Verbotsirrtum, der gem. § 17 Satz 1 StGB nur dann die Schuld – also nicht den Vorsatz – ausschließt, wenn der Irrtum unvermeidbar war. Für die Steuerhinterziehung ist dieser Schluss allerdings – von wenigen Ausnahmen abgesehen1 – nicht gezogen worden. Das war unter der Geltung der § 359 RAO 1919, § 396 RAO 1931, § 392 RAO 1967/68 auch einleuchtend, weil nach einhelliger Auffassung der Tatbestand der Steuerhinterziehung um das ungeschriebene Merkmal der Steuerunehrlichkeit zu ergänzen war. Die Steuerunehrlichkeit setzte begrifflich die Kenntnis des Täters von der Steuerpflicht voraus, zumindest musste er das Bestehen eines Steueranspruchs für möglich halten.2 Die Nichtkenntnis des Steueranspruchs führte deshalb konsequenterweise zu einem Tatumstandsirrtum nach § 59 Abs. 1 StGB a. F. Im Übrigen schied gem. § 358 RAO 1919, § 395 RAO 1931 die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Begehung ohnehin aus, wenn der Täter sich in einem Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit steuerrechtlicher Vorschriften befand und er die Tat deshalb für erlaubt hielt. Diese Regelung knüpfte an die Irrtumsrechtsprechung des RG an, das zwischen (vorsatzausschließendem) Tatsachen- und (den Vorsatz unberührt lassendem) Rechtsirrtum unterschied. Die Unkenntnis der Steuergesetze konnte nach dieser Rspr. als Verbotsirrtum gewertet werden.

11.34

Dieses dem Gesetzgeber unangemessen erscheinende Ergebnis zu vermeiden, war Beweggrund für die Schaffung des § 358 RAO 1919. Da sowohl das RG als auch der BGH den Irrtum über den Steueranspruch als Tatumstandsirrtum werteten und § 59 StGB a. F. anwendeten, hatte § 395 RAO 1931 (= § 359 RAO 1919) keine Funktion mehr, so dass die Vorschrift durch das 1. AOÄndG gestrichen wurde.3

11.35

Auch zu § 370 AO wird zum Teil von denjenigen, welche die Neufassung des Steuerhinterziehungstatbestandes als Blankettstrafgesetz bezeichnen, der Standpunkt vertreten, dass zum Vorsatz der Steuerhinterziehung die Kenntnis der Steuerpflicht gehöre und der Irrtum über die Steuerpflicht deshalb ein – vorsatzausschließender – Tatumstandsirrtum i.S.d. § 16 StGB sei.4 Überwiegend5 wird jedoch nicht die Kenntnis der Steuerpflicht, sondern des Steueranspruchs für erforderlich gehalten mit der Folge, dass es den Vorsatz ausschließt, wenn der Täter nicht weiß, daß ein Steueranspruch gegen ihn besteht.6

11.36

Im Ergebnis treffen diese Auffassungen zu; sind aber mit der Einordnung des § 370 AO als Blankettstrafgesetz nur schwer zu vereinbaren. Weder die Steuerpflicht noch der Steueranspruch sind Tatbestandsmerkmale (Tatumstände in der Terminologie des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB) der Steuerhinterziehung.

1 Z.B. OLG Hamm v. 6.5.1970 – 5 Ss Owi 52/70, ZfZ 1971, 340 (341); BayObLG v. 2.12.1980 – RReg. 4 St 168/80, DB 1981, 874 (875); Hartung, Steuerstrafrecht, 1950, 13 f., ausdrücklich aufgegeben aber in der 2. Aufl., 1965, 31 ff. 2 Hartung2, 47. 3 BT-Drucks. V/1812, 23. 4 Vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 658, 662 ff. 5 BGH v. 19.5.1989 – 3 StR 590/88, wistra 1989, 263, 264 = StRK AO 1977 § 370 R. 154; BayObLG v. 30.1.1990 – 4 St 132/89, wistra 1990, 202 f. = StRK AO 1977, § 370 R. 165; OLG Karlsruhe v. 17.8.1978 – Ss 183/78, StRK AO 1977 § 370 R. 7. 6 Vgl. auch Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 125.

428 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.40 Kap. 11

Die Steuerpflicht und der Steueranspruch sind aber für die Tathandlungen (Machen unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben oder pflichtwidriges Inunkenntnislassen über steuerlich erhebliche Tatsachen) und für den Taterfolg (Steuerverkürzung) relevant. Besteht keine Steuerpflicht bzw. kein originärer Steueranspruch i.S.d. § 3 AO, so sind die Tatsachen steuerlich nicht relevant und es tritt auch kein Verkürzungserfolg ein.

11.37

Weiß der Täter nicht, dass es sich um einen steuerpflichtigen Vorgang handelt, der einen Steueranspruch des Steuergläubigers begründet, fehlt ihm die Kenntnis mehrerer Tatumstände des § 370 AO. Ihm ist nicht bewusst, dass er unrichtige bzw. unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht oder die Finanzbehörde über solche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt hat. Er hat somit weder von der Tathandlung noch von dem Taterfolg Kenntnis. Es ist folglich nicht die Kenntnis der Steuerpflicht und des Steueranspruchs als solche relevant, sondern das Wissen um diese Umstände ist für die Erfassung des Bedeutungsinhalts der Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung von Bedeutung. Dafür reicht es aus, dass der Täter die Bedeutung der Tatumstände nach der sog. Parallelwertung in der Laiensphäre erfasst.

11.38

Indem dies aber auch diejenigen anerkennen, die § 370 AO als Blankettstrafgesetz bezeichnen, wird deutlich, dass sie den Begriff offensichtlich nicht in dem üblichen technischen Sinn verstehen, sondern dadurch lediglich die besondere Bedeutung des Steuerrechts für die Auslegung des Steuerhinterziehungstatbestandes zum Ausdruck bringen wollen, dessen Voraussetzungen aber – zutreffend – als normative Tatbestandsmerkmale betrachten. Allein ein solches Verständnis wird dem Charakter des § 370 AO gerecht. Der Steuerhinterziehungstatbestand bedarf grds. keiner Ergänzungen durch das Steuerrecht, sondern er beschreibt die Tathandlungen und den Taterfolg vollständig, um daraus ein selbständiges strafrechtliches Verhaltensgebot herzuleiten. Zwar erfolgt die Auslegung der normativen Tatbestandsmerkmale unter Berücksichtigung des Steuerrechts, das Steuerrecht füllt den Tatbestand deshalb aber nicht aus.1 Die Struktur des § 370 AO entspricht somit grundsätzlich derjenigen der §§ 242, 246 StGB, die zwar auf die Eigentumsordnung Bezug nehmen und deshalb der Auslegung anhand der das Eigentum zuordnenden Gesetze bedürfen, aber dennoch keine Blankettstrafgesetze sind.2

11.39

VI. Strafrechtliche Relevanz einer günstigeren Gestaltung der Steuerrechtslage Konsequenzen ergeben sich – entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung3 – aus der Kategorisierung der Steuerhinterziehung als Blankettstrafgesetz auch dann nicht, wenn nach der Tatbegehung das relevante Steuergesetz gemildert oder gar aufgehoben wird. Bei Blankettstrafgesetzen ist das Rückwirkungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB anerkanntermaßen4 auch auf Milderungen der Ausfüllungsnorm anwendbar. Wären die Voraussetzungen des Steuergesetzes zugleich Tatbestandsmerkmale des § 370 AO, so hätte § 2 Abs. 3 StGB also eigentlich zur Folge, dass dem Täter die nachträgliche Milderung zugute käme. Es kommt gleichwohl nicht zur Rückwirkung der „lex mitior“, weil das (in dem konkreten Fall das Mineralöl-) Steuergesetz ein Zeitgesetz war, das Milderungsgebot gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 1 2 3 4

Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 125. S. dazu BVerfG v. 18.5.1988 – 2 BvR 579/84, BVerfGE 78, 205 (213). Ulsenheimer, NJW 1985, 1929 (1934). BVerfG v. 22.8.1994 – 2 BvR 1884/93, NJW 1995, 315 (316); BGH v. 8.1.1965 – 2 StR 49/64, BGHSt 20, 177 (180 ff.) = StRK RAO § 396 R. 41; BGH v. 14.12.1994 – 5 StR 210/94, BGHSt 40, 378 (381).

Peters | 429

11.40

Kap. 11 Rz. 11.40 | Steuerhinterziehung

StGB also nicht gilt. Die Literatur ist dem BGH zum Teil1 mit der Maßgabe gefolgt, dass für jede steuerrechtliche Vorschrift zu prüfen sei, ob sie nur für eine bestimmte Zeitspanne oder auf Dauer gelten soll.

11.41

§ 2 Abs. 3 StGB ist auf Änderungen der Steuergesetze jedoch in aller Regel nicht anwendbar, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 2 Abs. 4 StGB bedarf, zumal es sich bei der Mehrzahl der Steuergesetze nicht um Zeitgesetze handelt.2 Zwar werden Steuergesetze und -tarife häufig geändert, sind jedoch bei Erlass in der Regel als Dauerregelung gedacht.

11.42

Der Grund für die Unanwendbarkeit des Rückwirkungsgebotes des § 2 Abs. 3 StGB besteht vielmehr darin, dass Änderungen der Steuerrechtslage i.d.R. nur für zukünftige Besteuerungszeiträume gelten, die Steuerrechtslage für die Vergangenheit also unberührt lassen Der dagegen erhobene Einwand, trotz Fehlens einer steuerrechtlichen Rückwirkung führe die Milderung des Steuergesetzes zu einer strafrechtlichen „Neubewertung“ der Tat,3 die auch für die Vergangenheit gelte, überzeugt nicht. Der Umstand, dass der Gesetzgeber aus steuerpolitischen Gründen eine für den Steuerpflichtigen günstigere Gestaltung des Steuerrechts für die Zukunft wählt, erlaubt nicht den Schluss, dass er in diesem Rahmen auch Steuerverkürzungen der Vergangenheit neu bewertet wissen will. Wenn der Gesetzgeber – abweichend von der steuerrechtlichen Regelung – eine strafrechtliche Rückwirkung herbeiführen will, so muss er dies ausdrücklich anordnen, in der Sache also eine Amnestie anordnen.

11.43

Anders liegt es dagegen, wenn das Steuergesetz – ausnahmsweise4 – mit Wirkung auch für die Vergangenheit geändert wird, so dass nach Maßgabe der neuen Regelung die während der Geltung des alten Rechts begangene Tat nicht mehr zu einer Steuerverkürzung führen würde. Sind die Angaben des Steuerpflichtigen auf der Grundlage der neuen – für die Vergangenheit geltenden – Rechtslage nicht mehr steuerlich erheblich und führen sie nicht mehr zu einer Steuerverkürzung, so scheidet der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung aus. Ob der Steuerpflichtige, der seine Angaben in dem Glauben machte, sie seien unrichtig bzw. unvollständig und führten zu einem Verkürzungserfolg, straflos bleibt, hängt von der Einordnung dieses Irrtums ab, die bei normativen Tatbestandsmerkmalen, deren Beurteilung von einer rechtlichen Subsumtion abhängt, schwierig und strittig ist.

VII. § 42 AO und die analoge Anwendung von Steuergesetzen 11.44

Die Frage nach der Blanketteigenschaft der Steuerhinterziehung zeitigt im Internationalen Steuerstrafrecht insbesondere vor dem Hintergrund Konsequenzen, dass das BVerfG und der BGH auch in den Fällen des § 42 AO von einer Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG ausgehen.5 1 Kunert, NStZ 1982, 276 (278). 2 BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272, 282 = StRK AO 1977 § 370 R. 99; LG Hamburg v. 6.3.1986 – (92) 17/85 Kls, NJW 1986, 1885; Bergmann, NJW 1986, 233 (234); Engelhardt, DRiZ 1986, 88 (90); Hecker in Schönke/Schröder, StGB30, § 2 StGB Rz. 22 f.; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 27; Samson, wistra 1983, 235 (237 f.). 3 Tiedemann, NJW 1986, 2475 (2476 ff.); Tiedemann, NJW 1987, 1247, bzgl. der Anhebung der Grenzen für abziehbare Parteispenden, die das „Parteienfinanzierungsgesetz“ v. 22.12.1983 (BGBl. I 1983, 1577) ausdrücklich erst mit Wirkung ab 1.1.1984 anordnete. 4 Z.B. § 37 Abs. 1 ErbStG v. 6.11.1996 (BGBl. I 1996, 2061), der anordnete, dass das neue Recht rückwirkend zum 1.1.1996 gilt. 5 BGH v. 30.5.1990 – 3 StR 55/90, wistra 1990, 307 zur Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften; BGH v. 27.1.1982 – 3 StR 217/81, wistra 1982, 108 (109); BVerfG v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201; zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1230 ff.

430 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.49 Kap. 11

Die Regelung des § 42 AO wird im unionsrechtlichen Kontext überlagert durch das allgemein gültige unionsrechtliche Missbrauchsverbot1 sowie durch Art. 6 ATAD.2 Das bedeutet, dass § 42 AO anwendbar bleibt,3 wobei sodann gegebenenfalls eine unionsrechtskonforme Auslegung4 geboten ist.5

11.45

§ 42 Abs. 2 Satz 1 AO setzt bekanntlich voraus, dass eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Der BGH geht davon aus, dass § 370 AO auch i.V.m. § 42 AO hinreichend bestimmt im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben ist, wenn durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung der steuerrechtlichen Norm im jeweiligen Sachkontext genügend Konturen verliehen worden sind und somit die Reichweite des § 42 AO hinreichend begrenzt wird. Beispielsweise sei der Straftatbestand auch im Zusammenhang mit einer Steuerumgehung durch Gewinnverlagerung auf eine Basisgesellschaft in ein Niedrigsteuerland ausreichend bestimmt.

11.46

Vordergründig streitet für das vom BGH gefundene Ergebnis die Regelung des § 1 Abs. 1 AStG. Problematisch ist indes, dass es sich bei § 42 AO und bei § 1 AStG um steuerliche Korrekturvorschriften handelt, die der Erfassung von Gesetzesumgehungen dienen und grundsätzlich Fälle erfassen soll, die nach dem Wortlaut des Steuergesetzes „eigentlich“ keine Steuerpflicht begründen würden. Selbst wenn man § 42 AO als eigenständigen Steuertatbestand begreifen würde, der das Steuergesetz bei einem Missbrauch“ von außen“ erweitert,6 ist Voraussetzung für die Anwendung von § 42 Abs. 2 AO zumindest teilweise ein steuerbegründender Analogieschluss, in dem ein „gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil“ korrigiert wird. Oben wurde jedoch bereits dargelegt, dass insbesondere im Steuerstrafrecht ein strafrechtliches Analogieverbot besteht. Zu Recht geht Ransiek davon aus, dass im steuerstrafrechtlichen Kontext über § 42 AO eine analoge Rechtsanwendung in Missbrauchsfällen nicht zugelassen werden kann, wenn man mit der herrschenden Meinung davon ausgeht, dass es sich um ein Blankettgesetz handelt.7

11.47

Er gibt jedoch der Rechtsprechung im Ergebnis Recht und hält die Anwendung von § 42 AO für zulässig, da Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG nur für die eigentlichen straftatbestandlichen Merkmale, nicht aber für das zu ihrer Interpretation benötigte Steuerrecht gelten. Ransiek geht indes davon aus, dass die auf das Steuerrecht verweisenden Tatbestandsmerkmale normative Tatbestandsmerkmale sind. Nach welchen Regeln das steuerrechtliche Ergebnis zustandekommt, richte sich daher allein nach den Vorgaben des Steuerrechts und nicht des Strafrechts.

11.48

Die gegen eine solche Normspaltung sprechenden Bedenken wurden bereits oben dargelegt. Die praktischen Auswirkungen sind insofern bedeutsam, als dass bei einer solchen Sichtweise eine analoge Rechtsanwendung zum Nachteil des Steuerpflichtigen unmittelbar auf das Steuerstrafrecht, in dem unbestritten strafrechtliche Grundsätze gelten, durchschlagen, mithin

11.49

1 Vgl. nur EuGH v. 22.11.2017 – C-251/16, ECLI:EU:C:2017:881 – Cussens, UR 2018, 241. 2 Hierzu Hey, StuW 2017, 248 (258 ff.); Musil, FR 2018, 933 (936 f.); Haarmann, IStR 2018, 561 (562 ff.) jeweils mit Hinweisen zu den Unterschieden zu § 42 AO. 3 Zum Umsatzsteuerrecht vgl. BFH v. 16.6.2015 – XI R 17/13, BStBl. II 2015, 1024. 4 Hierzu Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.24 ff. 5 Zur unterschiedlichen Terminologie des Art. 6 ATAD im Vergleich zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH vgl. Holle in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 6 Rz. 301 ff.; Hey, StuW 2017, 248 (258 ff.); Musil, FR 2018, 933 (936 f.); Haarmann, IStR 2018, 561 (562 ff.). 6 Hüttemann, DStR 2015, 1146 (1147). 7 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 26.5.

Peters | 431

Kap. 11 Rz. 11.49 | Steuerhinterziehung

strafrechtliche Analogien zulasten des Täters quasi durch die Hintertür zugelassen werden. Zudem wird bei einer derartigen Sichtweise unberücksichtigt gelassen, dass § 42 AO eine sogenannte Umgehungsabsicht voraussetzt. Die Frage, ob für die Errichtung der Auslandsgesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO), beurteilt sich nach der Rechtsprechung nicht allein nach dem in dem Statut niedergelegten Gesellschaftszweck oder den Angaben der Gründer, sondern nach dem tatsächlichen Vollzug des Gesellschaftszwecks, so wie er nach außen in Erscheinung tritt.1 Es reichen damit nicht nur beachtliche wirtschaftliche Motive für die Errichtung einer Auslandsgesellschaft aus, vielmehr muss diese eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfalten.

11.50

Beim Fehlen wirtschaftlicher Gründe für die Errichtung einer Auslandsgesellschaft werden von der Rechtsprechung als sonst beachtliche Gründe nur solche anerkannt, die sich auf die Wahl des Sitzes und der Rechtsform der Gesellschaft beziehen, soweit sich diese Wahl mit außersteuerlichen Gründen rechtfertigen lässt.2 Kann beides nur mit der Absicht der Steuerersparnis erklärt werden, fehlt es an sonst beachtlichen Gründen für die Errichtung der Auslandsgesellschaft.3 Es besteht kein gesetzliches Verbot, es liegt kein Verstoß gegen die guten Sitten vor; lediglich der Erfolg wird für steuerliche Zwecke nicht gebilligt. Wegen der Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale und der „leerformelhaften“ abstrakten Auslegung der Steuerrechtsprechung sind die allgemeinen Grundsätze zu § 42 AO im Steuerstrafrecht daher nicht anwendbar.4

11.51

Steuerliche Umgehungsgeschäfte können auch unter Zugrundelegung der engeren Ansicht nur dann den Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllen, wenn der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit der Umgehung den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) macht oder aber steuerlichen Offenbarungspflichten (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) pflichtwidrig nicht nachkommt (zu den weiteren Voraussetzungen vergleiche unten unter Rz. 11.197 ff.).5 Dies wird bei ggf. als Rechts-

1 2 3 4

Z.B. BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401. BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265. BFH v. 29.7.1976 – VIII R 142/73, BStBl. II 1977, 263. LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152; zur Missbräuchlichkeit der Einschaltung von Basisgesellschaften in Niedrigsteuerländern BGH v. 25.7.1990 – 3 StR 172/90, NJW 1991, 114; OLG Karlsruhe v. 18.8.2019 93 – 3 Ws 16/93, wistra 1993, 308; BGH v. 26.7.2012 – 1 StR 492/11, wistra 2012, 477 zur Gewinnverlagerung ins Ausland bei Einkünften aus Patentrechten. Fischer bemerkt zu Recht, dass die Tatbestandsmerkmale des § 42 selbst zusammen mit der „leerformelhaft“ abstrakten Auslegung außerhalb der durch die Rechtsprechung fest umschriebenen Fallgruppen zu unbestimmt sind, als dass eine verlässliche Orientierung über die Grenzen zwischen zulässiger Steuerersparnis und unzulässiger Steuerumgehung möglich wäre. Fischer, H/H/Sp, § 42 Rz. 59. Im Weiteren weist Fischer zutreffend darauf hin, dass sich gegenseitig substituierende Hilfsbegriffe zur Umschreibung einer normativ nicht rückgekoppelten „Unangemessenheit“ nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügen und sich daher auch nicht mittels „Parallelwertung in der Laiensphäre“ konkretisieren lassen; mithin es nicht vertretbar erscheint, die Rechtsverteidigung auf die Schuldfrage zu fokussieren. 5 BFH v. 1.2.1983 – VIII R 30/80, BStBl II 83, 534; BFH v. 17.3.1994 – V R 123/91, BFH/NV 1995, 274, 275; BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137 = PStR 2000, 24; BFH v. 21.5.1999 – VII B 37/99, BFH/NV 1999, 1496; einschränkend wohl Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 27, 1237, 1239, der bei den auf das Steuerrecht verweisenden Merkmalen von normativen Tatbestandsmerkmalen und aus diesem Grunde von einer wohl grundsätzlichen Anknüpfungsmöglichkeit an § 42 AO ausgeht, jedoch entsprechend der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht kommt, wenn der Sachverhalt verschleiert oder verheimlicht wird.

432 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.54 Kap. 11

missbrauch einzustufenden Gestaltungen eher die Ausnahme sein, weil es hier um – dem FA in der Regelauch offengelegte oder bekannte – Sachverhaltsbeeinflussungen geht, die außerhalb einer steuerrechtlichen Pflichtverletzung legal vonstatten gehen und nur über § 42 AO steuerrechtlich anders zu würdigen sind.1

VIII. Der unmittelbare Einfluss des Unionsrechts auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung Literatur: Bülte, Steuerrechtliche und steuerstrafrechtliche Risiken der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen (§ 6a UStG) im Lichte der neueren Rechtsprechung des EuGH, CCZ 2009, 98; Bülte, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld zwischen der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH und dem Grundsatz nullum crimen sine lege, BB 2010, 1759; Bülte/Dannecker in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 5. Aufl. München 2020, Kap. 2; Bülte/Krell Grundrechtsschutz bei der Durchführung von Unionsrecht durch Strafrecht, StV 2013, 713; Burchardt Kehrtwende in der Grundrechts- und Vorrangrechtsprechung des EuGH? – Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 5.12.2017 in der Rechtssache M.A.S. und M.B. (EUGH Aktenzeichen C-42/17, „Taricco II“), EuR 2018, 248; Dannecker Strafrecht in der europäischen Gemeinschaft, JZ 1996, 869; Hecker Die richtlinienkonforme und die verfassungskonforme Auslegung im Strafrecht, JuS 2014, 385; Rönnau/Wegner, Grund und Grenzen der Einwirkung des europäischen Rechts auf das nationale Strafrecht, GA 2013, 561.

Das Verhältnis von Unionsrecht und nationalem Steuerrecht wurde eingangs (Rz. 2.26) erläutert. Eine davon zu unterscheidende Frage ist, wie sich das Unionsrecht auf das Steuerrecht im Strafrecht unmittelbar auswirkt.2

11.52

Grundsätzlich gilt ein Anwendungsvorrang des Unionsrechts im Konfliktsfall mit dem nationalen Recht.3 So sind bspw. nationale Rechtsvorschriften, die einen wirksamen Schutz der (finanziellen) Interessen der EU behindern, unanwendbar und ihre Rechtsfolge zu neutralisieren, etwa wenn die nationalen Regelungen zu kurze Verjährungsvorschriften vorsehen.

11.53

Mangels originärer europäischer Straftatbestände bedarf es nationaler Umsetzungsakte in Form eines nationalen Gesetzes. Im Steuerstrafrecht erfolgt dies etwa über die Blankettnorm des § 370 Abs. 6 AO. Eine weitere Möglichkeit besteht in der richtlinienkonformen Auslegung.4 Unmittelbare Wirkung entfalten Richtlinien nur zugunsten des Bürgers,5 nicht zu

11.54

1 Günther, AO-StB 2019, 46 (47). 2 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27; vgl. hierzu Bülte, ZWH 2013, 265; vgl. auch Heger in FS Kühne, 2013, 565 (571 f.); Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.24 ff.; zum Ganzen auch Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky5, Kap. 2; Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93; Dannecker, JZ 2013, 616 (618); zum Ganzen auch Hecker, Europäisches Strafrecht5, 303 f., 345 f.; Gehm, NZWiSt 2013, 53. 3 EuGH, Urt. v. 8.9.2015 – C-105/14, ECLI:EU:C:2015:555 – Taricco u.a., UR 2016, 367; Bülte/ Dannecker in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 11 Rz. 44; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 10 Rz. 2; Safferling, Internationales Strafrecht, 449, 465; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.18 ff. 4 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 10 Rz. 2; Safferling, Internationales Strafrecht, 449, 465. 5 Vgl. auch BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, NZWiSt, 2014, 177; Cornelius, NZWiSt 2014, 173 (175); vgl. auch Rz. 2.40 f.

Peters | 433

Kap. 11 Rz. 11.54 | Steuerhinterziehung

dessen Lasten.1 Daher bedarf es gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV eines nationalen Umsetzungsaktes, der die in der Richtlinie normierte Verhaltensvorschrift strafrechtlich erheblich macht.2

11.55

Doch auch ohne innerstaatliche Umsetzung können die europäischen Vorgaben aus Rahmenbeschlüssen mit Ablauf der Umsetzungsfrist Einfluss auf das innerstaatliche Recht nehmen.3 Ebenso kann ein nicht in innerstaatliches Recht umgesetzter Rahmenbeschluss Einfluss auf die Interpretation und Anwendung des deutschen Strafverfahrensrechts nehmen, wenn auch nicht contra legem.4 Rahmenbeschlüsse entfalten an sich – anders als Richtlinien5 – keine unmittelbare Wirkung (Art. 34 Abs. 2 Buchst. b EUV a.F.).

11.56

Der EuGH hat in der Maria-Pupino-Entscheidung6 die Rahmenbeschlüsse den Richtlinien weitestgehend gleichgestellt. Rahmenbeschlüsse besitzen nach Ansicht des EuGH einen „zwingenden Charakter“. Der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung ist danach auch auf Rahmenbeschlüsse anzuwenden. Soweit das vorlegende Gericht nationales Recht auszulegen hat, muss es seine Auslegung so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses ausrichten, um das mit ihm angestrebte Ergebnis zu erreichen. Die Rahmenbeschlüsse und rahmenbeschlusskonforme Interpretation sind auch künftig von Bedeutung, auch wenn seit dem Vertrag von Lissabon als Rechtsakte der EU nur noch Verordnungen und Richtlinien vorgesehen sind (Art. 288 Unterabs. 2, 3 AEUV). Die Rahmenbeschlüsse behalten auch weiterhin ihre Gültigkeit.7

11.57

Darüber hinaus gilt es seit der Fransson-Entscheidung des EuGH8 ergänzend die europäischen Grundrechte zu beachten, sofern eine Rechtsnorm in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt (Rz. 4.1 ff.).

11.58

Unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung führt der EuGH an, dass die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden. Der EuGH kann eine nationale Rechtsvorschrift nicht im Hinblick auf die Charta beurteilen, wenn sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Fällt dagegen eine Vorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts, hat der im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens angerufene Gerichtshof dem vor1 Anders verhält es sich bei Verordnungen i.S.d. Art. 288 Abs. 2 AEUV, bei denen kein Transformationsakt vonnöten ist, wobei jedoch mit sog. „einfachen“ und „qualifizierten“ Blankettnormen im Wege einer statischen oder dynamischen Verweisung eine Bezugnahme auf die Verordnung erreicht wird, etwa im Arzneimittelstrafrecht; hierzu Freund in MK3, Vor §§ 95 AMG Rz. 45 ff.; im Lebensmittelrecht (§ 58 LFGB), im Naturschutzrecht (§ 69 BNatSchG), im Markengesetz (§ 144 Abs. 2 MarkenG); vgl. auch Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 59; Hecker, Europäisches Strafrecht4, § 7 Rz. 105, Safferling, Internationales Strafrecht, 471; zu den Auswirkungen auch Gaede in Flore/Tsambikakis2, § 369 AO Rz. 62 ff. 2 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 56. 3 Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 7 Rz. 27; Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (562); Swoboda, HRRS 2014, 11. 4 Swoboda, HRRS 2014, 11. 5 Zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien vgl. Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 238 f. 6 EuGH v. 16.6.2005 – C-105/03, ECLI:EU:C:2005:386 – Maria Pupino, NJW 2005, 2839. 7 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 9 Rz. 33, unter Verweis auf Art. 9 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. 8 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27; vgl. hierzu Bülte, ZWH 2013, 265; vgl. auch Heger in FS Kühne, 565 (571 f.); Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93; Eckstein, ZIS 2013, 220.

434 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.62 Kap. 11

legenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung er sichert.1 In Bezug auf die Mehrwertsteuer geht nach Ansicht des EuGH zum einen aus den Art. 2, Art. 250 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem2, die den Wortlaut der Art. 2 und 22 Abs. 4 und 8 der Richtlinie 77/388 in der Fassung des Art. 28h dieser Richtlinie übernommen haben, und zum anderen aus Art. 4 Abs. 3 EUV hervor, dass jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, alle Rechtsund Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in seinem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen. Zudem sind die Mitgliedstaaten nach Art. 325 AEUV verpflichtet, zur Bekämpfung von rechtswidrigen Handlungen, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten, abschreckende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen. So haben die Mitgliedsstaaten insbesondere zur Bekämpfung von Betrug, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, dieselben Maßnahmen zu ergreifen wie zur Bekämpfung von Betrug, der sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richtet.3

11.59

Das BVerfG hat indes klargestellt, dass die Entscheidung des EuGH nicht in einer Weise verstanden und angewendet werden dürfe, nach der für eine Bindung der Mitgliedstaaten durch die in der Grundrechtecharta niedergelegten Grundrechte der Europäischen Union jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrechts oder rein tatsächliche Auswirkungen auf dieses ausreiche.4

11.60

Indes spricht nichts gegen einen intensivierten Grundrechtsschutz.5 Es liefe klassisch-rechtsstaatlichen Vorstellungen zuwider, der Union zwar einerseits die Möglichkeit einzuräumen, den Mitgliedsstaaten Mindestvorgaben hinsichtlich des „Ob“ der Strafbarkeit zu machen, indes dies aber nicht durch grundrechtliche Schranken ausreichend zu flankieren.6 Ein europäischer Grundrechtsschutz ist insoweit nur konsequent.

11.61

Es gilt überdies der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung (Rz. 2.42, 2.47), welcher auch für das Strafrecht Geltung beansprucht und sogar zur Nichtanwendung nationaler

11.62

1 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27 unter Verweis auf: EuGH v. 18.6.1991 – C-260/89, ECLI:EU:C:1991:254 – ERT/DEP, Rz. 42; EuGH v. 29.5.1997 – C-299/95, ECLI:EU:C:1997:254 – Kremzow, Rz. 15; EuGH v. 18.12.1997 – C-309/96, CLI:EU:C:1997:631 – Annibaldi, Rz. 13; EuGH v. 22.10.2002 – C-94/00, ECLI:EU:C:2002:603 – Roquette Frères, Rz. 25; EuGH v. 18.12.2008 – C-349/07, ECLI:EU:C:2008:746 – Sopropé, Rz. 34; EuGH v. 15.11.2011 – C-256/11, ECLI:EU:C:2011:734 – Dereci u.a., Rz. 72; sowie EuGH v. 7.6.2012 – C-27/11, ECLI:EU:C:2012:326 – Vinkov, Rz. 58. 2 ABl. EU 2006 Nr. L 347, 1. 3 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27 unter Verweis auf EuGH v. 28.10.2010 – C-367/09, ECLI:EU:C:2010:648 – SGS Belgium u.a., Rz. 40–42. Da die Eigenmittel der Union u.a. die Einnahmen umfassen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die nach den Unionsvorschriften bestimmte einheitliche MehrwertsteuerEigenmittelbemessungsgrundlage ergeben, geht der EuGH von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen unter Beachtung des einschlägigen Unionsrechts und der Zurverfügungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel für den Haushalt der Union aus, da jedes Versäumnis bei der Erhebung Ersterer potenziell zu einer Verringerung Letzterer führt. 4 BVerfG v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07, juris. 5 Vgl. auch Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (571); Risse, HRRS 2014, 93 (103). 6 Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (571); zustimmend auch Risse, HRRS 2014, 93 (103).

Peters | 435

Kap. 11 Rz. 11.62 | Steuerhinterziehung

Straftatbestände führen kann.1 Ein Verhalten, das gemeinschaftsrechtlich erlaubt ist, kann nach nationalem Recht nicht verboten oder sogar strafbar sein. Im Ergebnis bedeutet dies eine Straffreiheit für diejenigen Verhaltensweisen, deren Sanktionierung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.2 Denn die Geltung von EG- oder EU-Recht kann nicht durch einzelstaatliches Strafrecht begrenzt werden, d.h. das nationale Strafrecht tritt außer Kraft und wird unanwendbar, wenn es im Widerspruch zum Gemeinschafts-/Unionsrecht steht.3 Schon von Rechts wegen ist den nationalen Behörden untersagt, den Vorrang des europäischen Rechts zu missachten. Allein wenn der mögliche Widerspruch von einer Auslegungsfrage abhängig ist, kommt bei richterlichen Handlungen eine Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens in Betracht.4 Dieser Grundsatz ist selbstverständlich bereits im Ermittlungsverfahren zu beachten.5 Erhebt die Staatsanwaltschaft gleichwohl Anklage, obwohl ein Verstoß in Betracht kommt, ist ein Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV herbeizuführen (hierzu Rz. 11.72). Dabei kommt sowohl die Verletzung von Primärrecht als auch von Sekundärrecht in Betracht. Daneben sind die allgemeinen Grundfreiheiten6 zu beachten, namentlich das Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV), die Allgemeine Freizügigkeit (Art. 21 AEUV), die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Artt. 45 ff. AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV).7

IX. Entscheidungen des EuGH 11.63

Von besonderer Relevanz ist immer wieder – insbesondere im praxisrelevanten Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung – die Frage, inwiefern Entscheidungen des EuGH sich auf das nationale Strafrecht unmittelbar und praktisch auswirken. Ein Großteil der Entscheidungen beschäftigt sich mit der Frage, ob das Recht zum Vorsteuerabzug oder eine innergemeinschaftliche Lieferung mit der Folge der Steuerbefreiung aus Sanktionszwecken zu versagen ist, wenn der Unternehmer formelle oder materielle Nachweispflichten nicht erfüllt, oder sich kollusiv an einem Umsatzsteuer-Betrugsmodell beteiligt.8 1 Hecker, JA 2002, 723 (727); Tiedemann in LK12, vor § 263 StGB Rz. 98 f.; Soyka, wistra 2008, 127 (128); Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (562); vgl. auch Risse, HRRS 2014, 93. 2 Vgl. Soyka, wistra 2008, 127 (128), der die sich daraus ergebenden Auswirkungen am Beispiel des „Haarverdicker-Doppelhaar“-Falls erörtert, BGH v. 22.10.1986 – 3 StR 226/86, BGHSt 34, 199, vgl. auch Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (564). 3 Vgl. EuGH v. 11.7.1974 – C-8/74, ECLI:EU:C:1974:82 – Dassonville; EuGH v. 15.12.1976 – C-41/ 76, ECLI:EU:C:1976:182 – Donckerwolcke; EuGH v. 9.3.1978 – 106/7 – Simmenthal, Slg 1978, 629; BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 169/00 – drei Tenöre-Entscheidung, NJW 2003, 2842 zum Gesangssolist als Einrichtung i.S.d. Umsatzsteuerrechts; BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; Heine in G/J/W2, § 369 AO Rz. 69. 4 Zur Umsatzsteuerhinterziehung vgl. BGH v. 17.5.1977 – 3 StR 459/87, BGHSt 37, 168 = NJW 1991, 1622. 5 Zum Prüfungsumfang vgl. Gaede in Flore/Tsambikakis2, § 369 AO Rz. 105 ff. 6 Hierzu Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 228 f., 255 f. 7 Vgl. auch Gehm, NZWiSt 2013, 53 (55). 8 Zum Ganzen auch kritisch Englisch in T/L23, Rz. 314, wonach der EuGH unzulässigerweise ohne gesetzliche Grundlage eine Art Haftungstatbestand kreiert, der zudem bei grenzüberschreitender Lieferung noch mit einer Versagung der Steuerbefreiung für Letztere einhergehen kann, mithin die Haftung verdoppelt wird. Nicht zu Unrecht spricht Englisch daher von einer nicht akzessorischen Haftung, die selbst bei kollusiven Zusammenwirken mit dem eigentlichen Steuerbetrüger unverhältnismäßig, und erst recht bei nur fahrlässigen Verhalten nicht nachvollziehbar ist. Vgl. auch FG Köln v. 19.2.2019 – 8 K 2906/16, juris, zu einem Fall der Umgehung türkischer Luxussteuer.

436 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.67 Kap. 11

Daneben kommen aber auch nicht selten Konstellationen vor, in denen auf dem Papier eine innergemeinschaftliche Lieferung vorgetäuscht wird, indes die nämlichen Waren aus anderen Gründen in Drittländer verbracht werden, beispielsweise um dort im Zuge der Einfuhr anfallende Luxussteuern oder sonstige Sonderabgaben zu umgehen. In letzteren Fällen ist das europäische Mehrwertsteueraufkommen nicht beeinträchtigt. Beide vorgenannten Konstellationen entscheiden der EuGH und insbesondere die nationalen Behörden unter Berufung auf den EuGH jedoch vielfach gleich. Inhaltlich ist auch zu monieren, dass die vom EuGH mitunter bemühten Fälle präjudizieren und die Verweise auf bereits entschiedene Fälle zumeist Fallgestaltungen betrafen, in denen möglicherweise rein tatsächlich keine Leistungshandlung erfolgt war und damit bereits materiell-rechtlich die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gefehlt hätten. Indes vermischt der EuGH in jüngerer Zeit diese Altfälle mit Fällen, in denen es tatsächlich zu Lieferung und Leistung gekommen ist.1

11.64

Der EuGH entscheidet allein über die Vereinbarkeit nationaler Normen mit dem Gemeinschaftsrecht. Ob ein Verhalten einen nationalen Straftatbestand erfüllt oder nicht, fällt nicht in die Prüfungskompetenz des EuGH (zum konkreten Beispiel anhand innergemeinschaftlicher Lieferungen vgl. Rz. 11.77 ff.). Das Unionsrecht entwickelt keinen sog. Geltungsvorrang vor dem nationalen Strafrecht, sondern lediglich einen Anwendungsvorrang.2

11.65

Beispielsweise bei einem (zulässigen) Verweis auf europäisierte (Verbrauch-)Steuergesetze anderer Mitgliedstaaten der EU müssen die in Bezug genommenen Rechtsnormen die Anforderungen des Gesetzlichkeitsprinzips vollständig erfüllen. Und nur dieses wird vom EuGH auch geprüft. Dies bedeutet bereits für den nationalen Gesetzgeber, dass das deutsche Strafrecht unionsrechtskonform auszulegen ist. In besonderem Maße ergibt sich diese Problematik, wenn der EuGH die Versagung von Steuerbefreiungen aus Sanktionszwecken für zulässig erachtet.3 Der Tenor – und nur auf den kommt es im Wesentlichen an – ist in all den vorzitierten Entscheidungen immer gleich.

11.66

In den Entscheidungen geht es fast ausnahmslos darum, dass die Mitgliedschaften zulässigerweise Maßnahmen oder Sondermaßnahmen treffen können, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder bestimmte Formen der Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung zu verhüten. Geprüft wird vom EuGH in diesen Fällen allein, ob das Recht zum Vorsteuerabzug besteht oder nicht, nicht aber, ob das Verhalten auch zugleich den (nationalen) Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Hierfür sind die inländischen Gerichte zuständig. Zuzugeben ist, dass in den Entscheidungen des EuGH die Versagung des Vorsteuerabzugs nach ständiger Rechtsprechung in Fällen betrügerischen, kollusiven, oder missbräuchlichen Zusammenwirkens versagt und stets im darauffolgenden Satz betont wird, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und etwaigen Missbräuchen ein anerkanntes Ziel der Richtlinie 2006/112 ist und anerkannt und gefördert wird, und dass sich die Rechtsbürger nicht auf

11.67

1 Vgl. auch Englisch in T/L23, Rz. 314. 2 Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap 3 Rz. 19. 3 EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, UR 2015, 106; EuGH v. 19.10.2017 – C-101/16, ECLI:EU:C:2017:775 – Paper Consult, UR 2018, 213; vgl. auch Schenkewitz, BB 2011, 350; Bürger, BB 2011, 540; Füllsack, BB 2012, 1442; Bülte, DB 2011, 442; Wulf, DB 2011, 731; Küffner, DStR 2010, 2575; Matthes, EFG 2011, 186; Korf, IStR 2011, 30; Höink, PStR 2011, 37; Spatscheck, SAM 2011, 64; Sterzinger, UR 2011, 20; Walter, wistra 2012, 125.

Peters | 437

Kap. 11 Rz. 11.67 | Steuerhinterziehung

Bestimmungen des Unionsrechts berufen können, wenn sie dies in betrügerischer oder missbräuchlicher Absicht tun.1

11.68

Eine Verschiebung der Strafbarkeit wird auch nicht dadurch bewirkt, dass der EuGH es für zulässig erachtet, dass es nicht gegen das Unionsrecht verstößt, wenn von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert wird, dass er alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.2 Dies mag im Einzelfall für die Frage relevant sein, ob der Beschuldigte vorsätzlich gehandelt hat (zur Vorsatz ausschließenden Wirkung von Compliancemaßnahmen vgl. Rz. 11.287).

11.69

Zu monieren ist indes, dass der EuGH bisweilen in den Begründungen über seine Kompetenz hinausgeht, beispielsweise wenn er die Nichtabgabe der gesetzlich vorgesehenen Steuererklärungen als einen Anhaltspunkt dafür wertet, dass eine Steuerhinterziehung gegeben sein kann, wenngleich er dies nicht als unwiderlegbaren Beweis für einen Mehrwertsteuerbetrug sieht,3 oder wenn er Verstöße gegen formelle Verpflichtungen als Beleg für das Vorliegen des einfachsten Falls der Steuerhinterziehung ansieht.4 Gänzlich den Bogen überspannt der EuGH aber, wenn er Begründungen wie folgende verwendet: „Somit verwehrt das Unionsrecht es nicht, solche Verstöße als Steuerhinterziehung anzusehen und in einem solchen Fall das Abzugsrecht zu versagen.“5

11.70

Derlei hat der EuGH nicht zu prüfen. Ob die Nichtabgabe einer Steuererklärung den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt oder nicht, obliegt der Prüfung der nationalen Behörden anhand der nationalen Strafgesetze.6 Im Einzelfall mögen die durch den EuGH aufgezeigten Mängel im buchhalterischen Bereich indizielle Bedeutung haben, die Prüfung und Feststellung ist jedoch Sache der nationalen Behörden. Die befremdliche praktische Konsequenz ist, dass nationale Gerichte nahezu kritiklos die Ausführungen des EuGH übernehmen und nicht zwischen einer Versagung der Steuerbefreiung aus Sanktionszwecken und dem tatsächlichen Vorliegen einer Steuerhinterziehung differenzieren.

11.71

Auch in der Literatur wird diesbezüglich bisweilen nicht ausreichend differenziert, wenn der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs unter Beanspruchung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. i i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a UStG der Erklärungswert entnommen wird, im Zeitpunkt der Ausführung der Lieferung nicht von der Einbeziehung in eine „Steuerhinterziehung“ gewusst zu haben und wenn der Steuerpflichtige dennoch einen entsprechenden Umsatz als steuerfrei geltend macht oder einen Vorsteuerbetrag abzieht, er den objektiven Tatbestand der 1 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591. 2 EuGH v. 27.9.2007 – C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548 – Teleos, BStBl. II 2009, 70 = UR 2007, 774; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591; EuGH v. 19.10.2017 – C-101/16, ECLI:EU:C:2017:775 – Paper Consult, UR 2018, 213. 3 EuGH v. 19.10.2017 – C-101/16, ECLI:EU:C:2017:775 – Paper Consult, UR 2018, 213, Rz. 56. 4 EuGH v. 7.3.2018 – C-159/17, ECLI:EU:C:2018:161 – Dobre, Rz. 40, unter Verweis auf EuGH v. 28.7.2016 – C-332/15, ECLI:EU:C:2016:614 – Astone, UR 2016, 683. „Insbesondere können die Nichtabgabe einer Mehrwertsteueranmeldung und das Nichtführen von Aufzeichnungen – ihre Abgabe bzw. ihr Führen würden die Mehrwertsteuererhebung und deren Kontrolle durch die Steuerbehörde ermöglichen – sowie die Nichtregistrierung der ausgestellten und der beglichenen Rechnungen die genaue Erhebung der Steuer verhindern und demzufolge das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in Frage stellen.“ 5 EuGH v. 7.3.2018 – C-159/17, ECLI:EU:C:2018:161 – Dobre, Rz. 41, unter Verweis auf EuGH v. 28.7.2016 – C-332/15, ECLI:EU:C:2016:614 – Astone, UR 2016, 683. 6 Dabei kann auch kein unterschiedliches Verständnis der Steuerhinterziehung nach deutscher oder europäischer Lesart zu Grunde gelegt werden, vgl. etwa Pflaum, UR 2019, 63 (64).

438 | Peters

C. Tathandlung der Steuerhinterziehung | Rz. 11.74 Kap. 11

Steuerhinterziehung verwirklicht.1 Voraussetzung ist in jedem Fall, dass durch sein Verhalten zusätzlich auch Steuern im Sinne der Legaldefinition von § 3 AO verkürzt werden. Grundsätzlich kann eine derartige Erklärung den Tatbestand erfüllen; nichtsdestotrotz ist in jedem Falle zu prüfen, ob alleine eine Versagung aus Sanktionszwecken erfolgt oder tatsächlich auch ein originärer inländischer oder ein Mehrwertsteueranspruch eines europäischen Mitgliedstaats betroffen ist, der aber über § 370 Abs. 6 Satz 2 AO geschützt ist und gegebenenfalls für das inländische Verfahren die prozessuale Möglichkeit des § 153 Buchst. c StPO eröffnet.

X. Exkurs: Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV In geeigneten Fällen kann es sich anbieten, bereits im Ermittlungsverfahren ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH zu initiieren.

11.72

Der EuGH entscheidet im Wege der Vorabentscheidung – über die Auslegung der Verträge und – über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union. Vorlageberechtigt ist jedes Gericht eines Mitgliedstaates gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV, für dessen Urteil die Entscheidung des EuGH erforderlich und erheblich ist.2 Vorlageverpflichtet sind die letztinstanzlichen Gerichte. Vorlagebefugt ist bereits der Ermittlungsrichter. In geeigneten Fällen bietet es sich an, bereits in diesem frühen Verfahrensstadium ein Vorabentscheidungsverfahren herbeizuführen, etwa wenn der Erlass eines Haftbefehls im Raum steht oder bei einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft im Falle des Nichterlasses oder des Beschuldigten absehbar ist, dass es auf die Beantwortung ankommt. Vorlageberechtigt ist auch das Finanzgericht, wenngleich nicht verpflichtet.3 Vorlagepflichtig ist nur der BFH.4 Das erstinstanzliche Tatgericht legt idealerweise im Zwischenverfahren vor. Die Vorlagevoraussetzungen sind bereits dann gegeben, wenn die Tatbestandsmäßigkeit, mithin die Zulässigkeit der Anklage, von der Entscheidung der Rechtsfrage abhängt. Gleichwohl kann die Hauptverhandlung bereits begonnen werden, wenn noch andere, isoliert zu betrachtende Tatvorwürfe aufzuklären sind und der Spruch des EuGH im Übrigen noch im Urteil des erkennenden Gerichts berücksichtigt werden kann.5

11.73

Beispiel: Der Beschuldigte A sieht sich dem Vorwurf der Hinterziehung inländischer Körperschaftsteuer ausgesetzt. Daneben wird wegen grenzüberschreitender Hinterziehung von Umsatzsteuer ermittelt, wobei zum einen fraglich ist, ob die in Rede stehenden Umsätze steuerbar waren, und zum anderen, welchem Staat bejahendenfalls das Besteuerungsrecht zugestanden hätte.

Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaates gestellt und hält das Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Bei Nichtvorlage liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor, der mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann.

1 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1416. 2 Zum Ganzen nebst Formulierungsvorschlag für einen entsprechenden Antrag des Klägers und zum Verfahrensablauf vgl. die Darstellung bei Hendricks in Schaumburg/Hendricks, Der Steuerrechtsschutz4, Rz. 7.20 ff.; zum Ganzen vgl. auch ABl. EU 2009 Nr. C 297. 3 BFH v. 27.3.2007 – VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335. 4 BFH v. 28.8.2003 – VII B 259/02, BFH/NV 2004, 68. 5 Vgl. EuGH v. 29.6.2010 – C-550/09, ECLI:EU:C:2010:382 – E und F.

Peters | 439

11.74

Kap. 11 Rz. 11.75 | Steuerhinterziehung

11.75

In Haftsachen entscheidet der Gerichtshof innerhalb kürzester Zeit. Von einer Vorlage kann nur dann abgesehen werden, wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt. Die betreffende Rechtsfrage muss geklärt sein (acte eclaire). Gleiches gilt, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts offenkundig ist und für Zweifel kein Raum verbleibt (acte clair). Dies beurteilt sich unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr divergierender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union. Es gelten strenge Anforderungen. Einzubeziehen in diese Entscheidung sind sämtliche(!) Sprachfassungen und Begrifflichkeiten der Unionsrechtsnormen. Einzubeziehen sind ferner das gesamte EU-Recht und die dem zugrunde liegenden Ziele nebst Entwicklungsstand. Der EuGH entscheidet in sachlicher Hinsicht nur über Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der Gültigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane und der Europäischen Zentralbank. Er entscheidet nicht über die Auslegung oder die Anwendung des nationalen Rechts. Die Frage ist eindeutig zu formulieren und es muss dargelegt werde, warum die beantragte Auslegung für die Entscheidung des nationalen Gerichts erforderlich ist. Die Entscheidung des EuGH hat bindende Wirkung.

11.76

Im Internationalen Steuerstrafrecht wird es im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens vornehmlich um die Beantwortung steuerlicher Fragen gehen. Die Beantwortung der Frage der Strafbarkeit geht damit nicht automatisch einher. Wie an den Fällen kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen gezeigt, bedeutet die Bejahung einer Gültigkeit der steuerlichen Norm nicht automatisch die Verwirklichung des Straftatbestands. Dies ist eine Frage des nationalen Rechts und durch den EuGH grundsätzlich nicht zu beantworten.

XI. Praktische Auswirkungen am Beispiel des kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen 1. Einführung 11.77

Von besonderer Relevanz für das Verständnis des Tatbestands der Steuerhinterziehung als Blankettatbestand in der Praxis sind auch weiterhin die Fälle des fehlenden Nachweises trotz Vorliegen der materiellen Voraussetzungen und die Fälle des kollusiven Zusammenwirkens von Veräußerer und ausländischem Erwerber oder die Verschleierung des ausländischen Erwerbers in dem Wissen um eine ausländische Steuerhinterziehung. In besonderem Maße ergibt sich diese Problematik, wenn der EuGH die Versagung von Steuerbefreiungen aus Sanktionszwecken für zulässig erachtet1

1 EuGH v. 3.3.2005 – C-32/03, ECLI:EU:C:2005:128 – Fini H, UR 2005, 433, Rz. 34; EuGH v. 12.1.2006 – C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16 – Optigen u.a., UR 2006, 157, Rz. 52; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195, Rz. 37; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, Rz. 42; EuGH v. 6.9.2012 – C-324/11, ECLI:EU:C:2012:549 – Tóth, UR 2012, 851, Rz. 53; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, UR 2015, 106; EuGH v. 19.10.2017 – C-101/16, ECLI:EU:C:2017:775 – Paper Consult, UR 2018, 213; vgl. auch Bülte/ Dannecker in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 246 ff.; Schenkewitz, BB 2011, 350; Bürger, BB 2011, 540; Füllsack, BB 2012, 1442; Bülte, DB 2011, 442; Wulf, DB 2011, 731; Küffner, DStR 2010, 2575; Matthes, EFG 2011, 186; Korf, IStR 2011, 30; Höink, PStR 2011, 37; Spatscheck, SAM 2011, 64; Sterzinger, UR 2011, 20; Walter, wistra 2012, 125.

440 | Peters

C.XI. Kollusives Zusammenwirken bei ig. Lieferungen | Rz. 11.80 Kap. 11

und die Instanzgerichte, der BGH1 und Strafverfolgungsbehörden die Ausführungen des EuGH übernehmen.2 Mit Einführung des § 25f UStG wurde die Missbrauchsrechtsrechung des EuGH nunmehr gesetzlich kodifiziert, so dass der Vorsteuerabzug zu versagen ist, sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs i.S.d. § 370 AO oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens i.S.d. §§ 26b, 26c UStG einbezogen war (vgl. Rz. 18.47 ff.). Die Regelung des § 25f UStG erfasst die eigene Steuerhinterziehung indes nicht,3 sondern nur Steuerhinterziehungen auf einer vorangegangenen oder nachfolgenden – oftmals im Ausland befindlichen – Stufe.4

11.78

2. Problemstellung Das Grundproblem liegt in der Frage ist, ob die Steuer auch dann verkürzt ist, wenn der steuerlich relevante Vorgang zwar stattgefunden hat, aber der steuerrechtlich erforderliche Nachweis nicht erbracht wurde. Zutreffend erscheint, eine Steuerverkürzung – nur – dann anzunehmen, wenn das Nachweiserfordernis eine materielle Voraussetzung für eine steuerliche Folge ist, z.B. ein Beleg als Ausfuhrnachweis für die Steuerbefreiung der Ausfuhr (§§ 4, 6 Abs. 4 UStG) oder eine ordnungsgemäße Rechnung für den Vorsteuerabzug (§§ 14, 15 UStG). Die Nachweiserfordernisse für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a, 17c UStDV) sind dagegen keine materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung. Der BFH hatte dies ursprünglich anders gesehen,5 nach der Rspr. des EuGH handelt es sich aber bei den Nachweispflichten um bloße formelle Anforderungen, deren Verletzung nur dann der Steuerbefreiung entgegensteht, wenn dadurch der sichere Nachweis verhindert wird, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind.6 § 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a, 17c UStDV bestimmen somit lediglich, wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat. Eine Steuerbefreiung wird deshalb grds. ausscheiden, wenn der Unternehmer den Nachweispflichten nicht nachkommt. Steht aufgrund der objektiven Beweislage jedoch fest, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gem. § 6a Abs. UStG vorliegen, ist die Steuerbefreiung zu gewähren, selbst wenn die erforderlichen Nachweise nicht erbracht wurden.7

11.79

Nach der – auf einen Vorlagebeschluss des BGH8 ergangenen – Entscheidung des EuGH darf jedoch aufgrund Art. 28c Teil A Buchst. a, 1. Satzteil der 6. MwSt-Richtlinie9 die Umsatzsteu-

11.80

1 BGH v. 22.7.2015 – 1 StR 447/14, juris; BGH v. 2.9.2015 – 1 StR 239/15, juris;BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris; BGH v. 20.8.2019 – 1 StR 184/19. 2 Vgl. auch die Darstellung der Problematik bei Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 387 f. 3 Grommes, UR 2020, 135; vgl. auch Sterzinger, UR 2020, 1 (21); Madauß, NZWiSt 2020, 235 (237). 4 Zum Ganzen auch Madauß, NZWiSt 2020, 235 ff. 5 BFH v. 2.4.1997 – V B 159/96, BFH/NV 1997, 629; BFH v. 5.2.2004 – V B 180/03, BFH/NV 2004, 988; BFH v. 30.3.2006 – V R 47/03, BStBl. II 2006, 634 = BFHE 213, 148. 6 EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz, Rz. 31. 7 BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2009, 57, Rz. 42 ff. 8 BGH v. 7.7.2009 – 1 StR 41/09, wistra 2009, 441 ff. 9 Richtlinie 77/388/EWG des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1.

Peters | 441

Kap. 11 Rz. 11.80 | Steuerhinterziehung

erbefreiung versagt werden, wenn eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen zwar tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferant aber bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers bewusst verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen.1 Diese Sicht hatte der BGH bereits zuvor vertreten.2 Dies bedeutet aber nicht automatisch, dass auch eine Steuerhinterziehung anzunehmen ist.3 Denn eine Aussage über die Strafbarkeit derartigen Verhaltens im jeweiligen Mitgliedsstaat tätigte der EuGH nicht. In seiner an die Vorlage an den EuGH anknüpfenden Entscheidung vom 20.10.2011 und in den Folgeentscheidungen nimmt der BGH auf die Ausführungen des EuGH jedoch vollumfänglich Bezug und führt diese zur Begründung einer Steuerhinterziehung heran.4 Der Wortlaut der deutschen steuerrechtlichen Vorschriften sei ein ausreichender Anknüpfungspunkt für die gemeinschaftsrechtlich gebotene Auslegung auch des Steuerstrafrechts.

11.81

Je nach Lesart und Verständnis vom Tatbestand der Steuerhinterziehung gelangt man zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Strafbarkeit betrifft. Bei herkömmlichem Verständnis als Blankett müsste man eine Strafbarkeit verneinen. Allein bei einem normativen Verständnis käme eine Strafbarkeit in Betracht.5 Beispiel: Der portugiesische Geschäftsführer einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft, die mit hochwertigen Fahrzeugen handelte, veräußerte Fahrzeuge an Kraftfahrzeughändler im europäischen Ausland.6 In diesem Zusammenhang nahm der Beschuldigte eine Reihe von Manipulationen vor, um es Händlern in Portugal zu ermöglichen, durch Verschleierung der Identität der tatsächlichen Käufer der Fahrzeuge Umsatzsteuer zu hinterziehen. So stellte er in der Buchhaltung Scheinrechnungen auf Scheinkäufer als Empfänger der Lieferungen aus, in denen er deren Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, die Bezeichnung des tatsächlich an einen anderen Erwerber gelieferten Fahrzeugs, den Kaufpreis sowie den Zusatz „steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG“ angab. Bei den Scheinkäufern handelte es sich um tatsächlich existierende Unternehmen in Portugal, die nur teilweise Kenntnis hatten.

11.82

Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16.12.1991 geänderten Fassung – ist nach Ansicht des EuGH in dem Sinne auszulegen, dass es der Finanzverwaltung eines Mitgliedstaats verwehrt ist, die Befreiung einer tatsächlich ausgeführten innergemein-

1 EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger, Rz. 60 ff. 2 Vgl. BGH v. 12.5.2005 – 5 StR 36/05, wistra 2005, 308 (309). 3 Ausführlich zu dieser Frage Kokott, NZWist 2017, 409. 4 BGH v. 20.10.2011 – 1 StR 41/09, ZWH 2012, 323, vgl. hierzu Bülte, HRRS 2011, 465; Schenkewitz, BB 2011, 350; Bürger, BB 2011, 540; Füllsack, BB 2012, 1442; Bülte, DB 2011, 442; Wulf, DB 2011, 731; Küffner, DStR 2010, 2575; Matthes, EFG 2011, 186; Korf, IStR 2011, 30; Höink, PStR 2011, 37; Spatscheck, SAM 2011, 64; Sterzinger, UR 2011, 20; Walter, wistra 2012, 125. 5 Vgl. auch Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 390 f., die indes Zweifel am Bestimmtheitsgrundsatz und an der Erkennbarkeit der Strafbarkeit äußern, wenn der BGH selbst die gemeinschaftsrechtrechtliche Problematik dem EuGH zur Entscheidung vorlegt. 6 Beispiel nach BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 49/09, HFR 866; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI: EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; vgl. hierzu EuGH v. 19.9.2000 -C-454/98, ECLI:EU:C:2000:469 – Schmeink & Cofreth und Strobel, Rz. 62; sowie EuGH v. 3.3.2004 – C-395/02, ECLI:EU:C:2004:118 – Transport Service, Rz. 30.

442 | Peters

C.XI. Kollusives Zusammenwirken bei ig. Lieferungen | Rz. 11.87 Kap. 11

schaftlichen Lieferung von der Mehrwertsteuer allein mit der Begründung zu versagen, der Nachweis einer solchen Lieferung sei nicht rechtzeitig erbracht worden.1 Zur Begründung führt der EuGH aus, dass eine nationale Maßnahme, die das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne die materiellen Anforderungen zu berücksichtigen und insbesondere ohne in Betracht zu ziehen, ob diese erfüllt sind, über das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen.

11.83

Die Umsätze sind vielmehr unter Berücksichtigung ihrer objektiven Merkmale zu besteuern. Dem ist zuzustimmen.

11.84

Der EuGH folgert daraus zutreffend, dass, wenn unbestreitbar eine innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt wurde, es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität erfordert, dass die Steuerbefreiung gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind. Dies gelte selbst dann, wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat.

11.85

Bei der Prüfung des Rechts auf Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung von der Mehrwertsteuer ist die Tatsache, dass der Steuerpflichtige bewusst das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat, demnach nur dann relevant, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens besteht und diese vom Steuerpflichtigen nicht vollständig beseitigt worden ist.2

11.86

Der BFH schloss sich der Rechtsprechung des EuGH an.3 Die Nachweispflichten des Unternehmers sind danach keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung. Die Regelungen des § 6a Abs. 3 UStG und der §§ 17a, 17c UStDV bestimmen vielmehr lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat. Als Regel stellt der BFH auf, dass wenn der Unternehmer diesen Nachweispflichten nicht nachkommt, grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. In diesem Fall ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die erforderlichen Nachweise nicht entsprechend §§ 17a, 17c UStDV erbracht hat.

11.87

1 EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz; vgl. daran anschließend EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU: C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, UR 2015, 106; EuGH v. 19.10.2017 – C-101/16, ECLI:EU:C:2017:775 – Paper Consult, UR 2018, 213; vgl. auch Schenkewitz, BB 2011, 350; Bürger, BB 2011, 540; Füllsack, BB 2012, 1442; Bülte, DB 2011, 442; Wulf, DB 2011, 731; Küffner, DStR 2010, 2575; Matthes, EFG 2011, 186; Korf, IStR 2011, 30; Höink, PStR 2011, 37; Spatscheck, SAM 2011, 64; Sterzinger, UR 2011, 20; Walter, wistra 2012, 125. 2 EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz. 3 BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BFHE 219, 469.

Peters | 443

Kap. 11 Rz. 11.88 | Steuerhinterziehung

11.88

Ebenso trat der BGH der Entscheidung des EuGHs bei. Er gab seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich auf und nimmt ausdrücklich auf die Ausführungen der Bundesanwaltschaft Bezug.1

11.89

Die Lieferung von Gegenständen an einen Abnehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet stellt nach Ansicht des BGH vom 20.11.2008 auch dann keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung i.S.d. § 6a UStG und damit eine inländische Steuerhinterziehung dar, wenn der inländische Unternehmer in kollusivem Zusammenwirken mit dem Abnehmer die Lieferung an einen Zwischenhändler vortäuscht, um dem Abnehmer die Hinterziehung von Steuern zu ermöglichen.2

11.90

Werden diese Lieferungen durch die inländischen Unternehmer gleichwohl als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erklärt, macht der Unternehmer nach Ansicht des BGH gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und verkürzt dadurch die auf die Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG anfallende und von ihm geschuldete Umsatzsteuer.3 Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dem insoweit das Auslegungsmonopol zukommt (Art. 234 EGV), eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist.

11.91

Umsätzen, die nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen, sind diese Vorteile zu versagen.4 § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ist nach Ansicht des BGH gemeinschaftsrechtlich dahin gehend auszulegen, dass der Erwerb des Gegenstands einer Lieferung beim Abnehmer dann nicht den Vorschriften der Umsatzbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat im Sinne der Vorschrift unterliegt, wenn die im Bestimmungsland vorgesehene Erwerbsbesteuerung der konkreten Lieferung nach dem übereinstimmenden Willen von Unternehmer und Abnehmer durch Verschleierungsmaßnahmen und falsche Angaben gezielt umgangen werden soll, um dem Unternehmer oder dem Abnehmer einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen. Anderes gilt, wenn die Verschleierungsmaßnahme anderen Zwecken dient.

11.92

Indem die Angeklagten kollusiv mit den Abnehmern – im dortigen Fall Italien – zusammenwirkten, entfällt nach Ansicht des BGH die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG (nunmehr nach § 25f UStG) für die fraglichen Lieferungen. Durch die aus diesem Grund wahrheitswidrigen Erklärungen als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in den Umsatzsteuerjahreserklärungen und -voranmeldungen wurde die nach deutschem Recht auszuweisende und abzuführende Umsatzsteuer hinterzogen.

11.93

Einzelne Finanzgerichte und der BFH äußerten indes, vorsichtig formuliert, Zweifel an der Rechtsauffassung des BGH.5

11.94

Nach der entsprechenden Entscheidung eines Finanzgerichts legte der BGH im Rahmen eines anderen Revisionsverfahrens dem EuGH betreffend Art. 28c Teil A Buchst. a der Sechsten 1 BGH v. 18.9.2009 – 1 StR 206/09, BGHSt 54, 133 = NJW 2009, 3383. 2 BGH v. 20.11.2008 – 1 StR 354/09, BGHSt 53, 45 = NJW 2009, 1516; vgl. hierzu Sterzinger, BB 2009, 1563; Bülte, BB 2010, 1759; Bielefeld, DStR 2009, 580; Höink, DStR 2010, 1772; Gehm, NJW 2012, 1257; Schauf, PStR 2009, 134; Wulf, Stbg 2009, 313; Moosburger, Stbg 2009, 366. 3 BGH v. 20.11.2008 – 1 StR 354/09, BGHSt 53, 45 = NJW 2009, 1516. 4 BGH v. 20.11.2008 – 1 StR 354/09, BGHSt 53, 45 = NJW 2009, 1516 unter Verweis auf EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121 – Halifax, UR 2006, 232 m. Anm. Wäger, Rz. 69. 5 FG Baden-Württemberg v. 11.3.2009 – 1 V 4305/08, diesem folgend BFH v. 29.7.2009 – XI B 24/ 09, BFHE 226, 449.

444 | Peters

C.XI. Kollusives Zusammenwirken bei ig. Lieferungen | Rz. 11.96 Kap. 11

Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern1 folgende Frage vor:2 „Ist Art. 28c Teil A Buchstabe a der Sechsten Richtlinie in dem Sinne auszulegen, dass einer Lieferung von Gegenständen im Sinne dieser Vorschrift die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen ist, wenn die Lieferung zwar tatsächlich ausgeführt worden ist, aber aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der steuerpflichtige Verkäufer a) wusste, dass er sich mit der Lieferung an einem Warenumsatz beteiligt, der darauf angelegt ist, Mehrwertsteuer zu hinterziehen, oder b) Handlungen vorgenommen hat, die darauf abzielten, die Person des wahren Erwerbers zu verschleiern, um diesem oder einem Dritten zu ermöglichen, Mehrwertsteuer zu hinterziehen?“

Der EuGH entschied auf Vorlage des BGH, dass die Versagung der Steuerfreiheit nicht zu beanstanden ist.3

11.95

Über die konkrete Frage der Strafbarkeit traf er indes keine Aussage: Er hat dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verweigerung der Steuerbefreiung in einem Fall, in dem eine nach nationalem Recht vorgesehene Verpflichtung nicht eingehalten wurde – etwa die Verpflichtung der Angabe des Empfängers einer innergemeinschaftlichen Lieferung – eine abschreckende Wirkung hat, die die Durchsetzung dieser Verpflichtung gewährleisten und Steuerhinterziehungen oder -umgehungen verhüten soll.4 Hierbei hat der Gerichtshof betont, dass die Vorlage von Scheinrechnungen oder die Übermittlung unrichtiger Angaben sowie sonstige Manipulationen die genaue Erhebung der Steuer verhindern und das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems infrage stellen könne. Derartige Handlungen wögen umso schwerer, wenn sie – wie hier – im Rahmen der Übergangsregelung für die Besteuerung innergemeinschaftlicher Umsätze begangen werden, die auf Beweisen beruht, die von den Steuerpflichtigen zu erbringen sind.5 Eine solche Vorgehensweise trägt daher – in der Terminologie des Gerichtshofs – „Züge einer Mehrwertsteuerhinterziehung“ und steht deshalb wegen missbräuchlichen Verhaltens einer Berufung auf Gemeinschaftsrecht entgegen.6

Auch weiterhin wiederholt der EuGH gebetsmühlenartig seinen folgenden Tenor:7 Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede 1 ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1. 2 BGH v. 7.7.2009 – 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688 = wistra 2009, 441. 3 EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; vgl. hierzu Schenkewitz, BB 2011, 350; Bürger, BB 2011, 540; Füllsack, BB 2012, 1442; Bülte, DB 2011, 442; Wulf, DB 2011, 731; Küffner, DStR 2010, 2575; Matthes, EFG 2011, 186; Korf, IStR 2011, 30; Höink, PStR 2011, 37; Spatscheck, SAM 2011, 64; Sterzinger, UR 2011, 20; Walter, wistra 2012, 125. 4 EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger, Rz. 50. 5 EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger, Rz. 48. 6 Vgl. EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz, Rz. 38; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger, Rz. 54. 7 EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, UR 2015, 106; EuGH v. 19.10.2017 – C-101/16, ECLI:EU:C:2017:775 – Paper Consult, UR 2018, 213.

Peters | 445

11.96

Kap. 11 Rz. 11.96 | Steuerhinterziehung stehenden, nach denen einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug mit der Begründung verwehrt wird, dass der Wirtschaftsteilnehmer – der ihm gegenüber gegen eine Rechnung, auf der Kosten und Mehrwertsteuer ausgewiesen sind, eine Dienstleistung erbracht hat – von der Steuerbehörde eines Mitgliedstaats für inaktiv erklärt wurde, wobei diese Erklärung der Inaktivität öffentlich und im Internet für jeden Steuerpflichtigen dieses Staates zugänglich ist, dann entgegensteht, wenn die Verweigerung des Vorsteuerabzugsrechts systematisch und endgültig erfolgt und auch nicht die Erbringung des Nachweises zulässt, dass keine Steuerhinterziehung bzw. kein Steuerausfall vorliegt.

3. Strafbarkeit 11.97

Eine Aussage über die Strafbarkeit derartigen Verhaltens im jeweiligen Mitgliedsstaat tätigte der EuGH nicht. Hierzu ist EuGH auch gar nicht berufen. Der EuGH entscheidet allein über die Vereinbarkeit nationaler Normen mit dem Gemeinschaftsrecht. Ob ein Verhalten einen nationalen Straftatbestand erfüllt oder nicht, fällt nicht in die Prüfungskompetenz des EuGH (zum konkreten Beispiel anhand innergemeinschaftlicher Lieferungen vgl. Rz. 18.31 ff.). Das Unionsrecht entwickelt keinen Geltungsvorrang sondern ggf. nur einen Anwendungsvorrang im Kollisionsfall vor dem nationalen Strafrecht.1 In seiner an die Vorlage an den EuGH anknüpfenden Entscheidung vom 20.10.2011 nimmt der BGH auf die Ausführungen des EuGH jedoch vollumfänglich Bezug und führt diese zur Begründung einer Steuerhinterziehung heran.2 Der Wortlaut der deutschen steuerrechtlichen Vorschriften sei ein ausreichender Anknüpfungspunkt für die gemeinschaftsrechtlich gebotene Auslegung auch des Steuerstrafrechts.

11.98

Das BVerfG nahm eine entsprechende Verfassungsbeschwerde wegen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 GG) nicht an.3 Der Wortlaut des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG, wonach die Steuerbefreiung voraussetzt, dass die Lieferung im Zielland der Umsatzbesteuerung „unterliegt“, könne auch dahin gehend verstanden werden, dass die konkrete Lieferung im Zielland auch tatsächlich der Umsatzbesteuerung unterworfen wird. Die Entscheidung des BVerfG wirft in vielerlei Hinsicht Fragen auf und scheint weder in der Begründung noch im Ergebnis konsequent und richtig.4 Die steuerliche Frage ist dabei das eine.

11.99

Nach hier vertretener Ansicht ist es zulässig und konsequent, die Steuerfreiheit aus Sanktionszwecken zu versagen. Eine andere und strikt davon zu trennende Frage ist jedoch, ob darin zugleich eine (strafbare) Steuerhinterziehung liegt.

1 Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 3 Rz. 19. 2 BGH v. 20.10.2011 – 1 StR 41/09, ZWH 2012, 323, vgl. hierzu Bülte, HRRS 2011, 465; Schenkewitz, BB 2011, 350; Bürger, BB 2011, 540; Füllsack, BB 2012, 1442; Bülte, DB 2011, 442; Wulf, DB 2011, 731; Küffner, DStR 2010, 2575; Matthes, EFG 2011, 186; Korf, IStR 2011, 30; Höink, PStR 2011, 37; Spatscheck, SAM 2011, 64; Sterzinger, UR 2011, 20; Walter, wistra 2012, 125; vgl. auch Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 244 f., 279. 3 BVerfG v. 16.6.2001 – 2 BvR 542/09, DStRE 2012, 379. 4 Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 382 ff.; Bülte, HRRS 2011, 465 (471); Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 (736).

446 | Peters

C.XI. Kollusives Zusammenwirken bei ig. Lieferungen | Rz. 11.104 Kap. 11

a) Verstoß gegen das Analogieverbot Die Anwendung von § 370 AO auf derartige Sachverhalte stellt nach hier vertretener Ansicht eine unzulässige Analogie zulasten des Täters dar.1 Der BGH schränkt das Tatbestandsmerkmal „den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegen“ in § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG unzulässig dahin gehend ein, dass er es als nicht erfüllt ansieht, wenn durch Täuschungs- oder Verschleierungshandlungen die Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland umgangen werden soll. Auf diesem Weg gelangt der BGH zu einer Steuerpflicht, wie sie gesetzlich indes nicht vorgesehen ist. Auch § 25f UStG versagt nur die Steuerbefreiung aus Sanktionszwecken im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH.

11.100

Allein eine Sanktion ist das Ziel. Dem Steuerpflichtigen wird wegen des Fehlverhaltens und seiner Verwicklung in kriminelle Machenschaften und Handlungen, die die Lieferung als solche nicht unmittelbar berühren, der ihm grundsätzlich zustehende Steuervorteil verwehrt.2

11.101

Die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 AO sind jedoch nicht erfüllt. Die nicht angegebenen und abgeführten auf die Lieferung gleichsam angefallenen Steuern sind keine Steuern, sondern strafähnliche Sanktionen. Der Schutzbereich des § 370 AO ist nicht mehr eröffnet. Es entsteht gerade kein originärer Steueranspruch auf Zahlung von Umsatzsteuern, sondern lediglich ein Anspruch auf Zahlung einer Fiskalsanktion in Höhe der auf die Lieferung anfallenden Umsatzsteuer.3 Daran ändert auch die Regelung des § 25f UStG nichts. Die Regelung setzt lediglich die EuGHRechtsprechung um und normiert die Versagung aus Sanktionszwecken positivgesetzlich.

11.102

Neuerlich kommt auch die Bedeutung des geschützten Rechtsguts zum Tragen, nämlich das rechtzeitige und vollständige Steueraufkommen. Bei dem gegen den Lieferanten im Falle der Versagung bestehenden Anspruch handelt es sich indes nicht um einen solchen Steueranspruch, der dem geschützten Rechtsgut unterfällt, sondern um eine Sanktion für die Nichterfüllung der Nachweispflichten. Das Besteuerungsgut der Umsatzsteuer ist vielmehr der private Verbrauch (Einkommensverwendung) im Bestimmungsland (Inland).4 Das Bestimmungslandprinzip entscheidet denn auch die Frage, welchem Staat das Steueraufkommen aus der Umsatzsteuer zusteht; nämlich der Staat, in dem der Letztverbrauch stattfindet.5 Allein die Konzeption als indirekte Verbrauchsteuer führt dazu, dass Steuerschuldner nicht der Endverbraucher als intendierter Steuerträger ist, sondern der Unternehmer (vgl. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG).6

11.103

Eine Strafbarkeit hinsichtlich des inländischen Steueranspruchs ist auch nicht wegen § 370 Abs. 6 AO zu bejahen, wenn nunmehr die Absätze 1 – 5 auch erfüllt sein sollen, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bzw. Umsatzsteuern bezieht, die von einem ande-

11.104

1 So auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 25.3, Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1394 ff.; vgl. auch Bülte, HRRS 2011, 465 (469); Bülte, BB 2010, 1759, der jedoch eine Lösung darin sieht, den Tatbestand der Steuerhinterziehung als „hochgradig normativ“ zu betrachten und demnach den weiteren steuerlichen Bestimmtheitsgrundsatz gegenüber dem engeren strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz für anwendbar erachtet. Zu diesem Ansatz vgl. auch Dannecker in FS Achenbach, 2011, 83. Das BVerfG und auch der BGH gehen jedoch auch weiterhin davon aus, dass es sich um einen Blanketttatbestand handelt, sodass der strengere strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz gilt. 2 Bülte, HRRS 2011, 465 (469). 3 Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 (736); Bülte, DB 2011, 442 (444), Bülte, HRRS 2011, 465 (470). 4 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 9.3 f., 9.74 f.; Englisch in T/L23, § 17 Rz. 11. 5 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 9.3 f., 9.74 f. 6 Englisch in T/L23, § 17 Rz. 12.

Peters | 447

Kap. 11 Rz. 11.104 | Steuerhinterziehung

ren Mitgliedstaat verwaltet werden oder zustehen.1 § 370 Abs. 6 AO bezieht sich auf den ausländischen Steueranspruch und ermöglicht eine Strafbarkeit wegen Mittäterschaft oder Beihilfe zur Hinterziehung ausländischer Umsatzsteuer.

11.105

Auch weitere steuersystematische Überlegungen sprechen in diesem Zusammenhang und in Anbetracht der Regelung des § 370 Abs. 6 AO gegen eine inländische Strafbarkeit. Die Lieferung ist aus dem Grund steuerfrei, weil die Besteuerung im jeweiligen Mitgliedsstaat erfolgt. Der Steueranspruch entsteht nur einmal. Es würde eine unzulässige, faktische Doppelbesteuerung2 und einen Verstoß gegen den Gedanken des Verbots der Doppelbestrafung (Art. 54 SDÜ/Art. 50 GRCh)3 bedeuten, wenn man bei Verschleierung oder kollusivem Zusammenwirken nunmehr neben der Tat im Ausland einen inländischen Steueranspruch konstruiert und bestraft.4 Eine doppelte oder mehrfache5 Umsatzbesteuerung bzw. eine Infektion der gesamten Lieferkette,6 wie sie aber bei Zugrundelegung der Ansicht des BGH die Folge wäre, verstieße gegen das Ziel der Neutralität der Steuer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen. Zudem bilden auch nach der Gegenansicht derartige Geschehen einen einheitlichen historischen Lebenssachverhalt, mithin eine einheitliche prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO.7

11.106

In subjektiver Hinsicht wird zukünftig problematisch sein, dass die Steuerbefreiung nicht nur bei positivem Wissen, sondern auch dann zu versagen ist, wenn der Unternehmer „hätte wissen müssen“. Hier werden zukünftig noch stärker als bisher in der Praxis Aspekte des bedingten Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit vermischt. Wissenmüssen im Sinne der EuGHRechtsprechung setzt zumindest grobe Fahrlässigkeit bzw. Leichtfertigkeit voraus.8 Dies erfordert neben einem Verstoß gegen eine objektive Sorgfaltspflicht,9 dass der Steuerpflichtige auch nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten imstande war, steuerunehrliches Verhalten auf einer anderen Stufe der Lieferkette zu erkennen. Die Frage, ob ein vorsätzliches oder leichtfertiges Verhalten vorliegt, ist indes nach nationalen Regelungen und im Sinne der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik zu prüfen.10 Die Feststellungslast bzw. Beweislast, auch was die subjektiven Voraussetzungen der Versagung der Steuerbefreiung oder des Vorsteuer-

1 Zum Ganzen auch Tully/Merz, wistra 2011, 121. 2 So auch Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1409.1, 1413.2; Schauf/Hoink, PStR 2009, 58 (60); Winter, DB 2009, 1843 (1845), Ransiek, HRRS 2009, 420 (426, 427). 3 Zu diesem Aspekt Heger in FS Kühne, 565 (571 f.). 4 Mit ähnlicher Begründung auch Ransiek, HRRS 2009, 421 (427, 428), der in diesen Fällen davon ausgeht, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt, die steuerfrei ist und deshalb keinen Hinterziehungserfolg des § 370 AO begründen kann, und derartige Geschäfte auch nicht darauf abzielen, einen ordnungsgemäße Besteuerung im Ursprungsland zu verhindern, sondern eine Steuerhinterziehung im Bestimmungsland bezwecken. Im Ursprungsland soll gerade keine Steuer anfallen; a.A. Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 283 f., die von einer teleologischen Reduktion der deutschen Steuerbefreiungsvorschrift ausgehen. 5 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 370, 1413.2 der von einer kumulativen Vorteilsversagung spricht. 6 Gehm, StraFO 2015, 441 (442); zustimmend Bülte in G/J/W2, § 370 AO Rz. 380a; vgl. FG BerlinBrandenburg, Beschl. v. 5.2.2020 – 5 K 5311/16 zur EuGH-Vorlage wegen der Auslegung des Begriffs „Lieferkette“. 7 Tully/Merz, wistra 2011, 121 (126). 8 Kemper, UR 2017, 449 (453); Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1415; Bärenweiler, UStB 2018, 242 (244). 9 Vgl. hierzu Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, 4.3.2.4. 10 Vgl. bereits EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121 – Halifax, UR 2006, 232 m. Anm. Wäger, Rz. 76.

448 | Peters

C.XI. Kollusives Zusammenwirken bei ig. Lieferungen | Rz. 11.110 Kap. 11

abzugs betrifft, obliegt der Finanzverwaltung.1 Gleiches gilt für den Vorsatz, bei dessen Feststellung etwaige Vermutungsregeln oder Beweiserleichterungen zu Lasten des Beschuldigten keine Anwendung finden. Bei Übernahme der Kriterien des EuGH und daran anschließend der Regelung des § 25f UStG ist indes eine unzulässige strafrechtliche Vorverlagerung der Verantwortlichkeit zu befürchten, wenn numehr ein „hätte wissen müssen“ als ausreichend erachtet wird (zu den inhaltlichen Anforderungen an den Vorsatz und die Möglichkeit zu Entkräftung durch Compliance Maßnahmen vgl. unter 11.287).

11.107

b) Konsequenzen für Altfälle Verschiedentlich wird davon ausgegangen, dass man dem Täter, der Taten vor dem Ergehen der vorgenannten Entscheidungen begangen hat, eine fehlende Kenntnis vom Bestehen des Umsatzsteueranspruchs zugutehalten kann.2 Dem ist schon angesichts der Vorlage zum EuGH und den Zweifeln innerhalb der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zuzustimmen. Der Steuerpflichtige muss insofern nicht schlauer sein.

11.108

c) Konsequenzen für zukünftige Fälle Was die Behandlung zukünftiger Fälle betrifft, wird davon auszugehen sein, dass eine Strafbarkeit dennoch bejaht werden wird. Umso wichtiger wird es dann sein, darzulegen, dass und aus welchen Gründen die verschuldeten Auswirkungen der Tat nicht ohne Weiteres unter die Ausführungen des BGH zur Strafzumessung bei grenzüberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen zu subsumieren sind. Dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung und dem Umstand einer faktischen Doppelbesteuerung ist mindestens auf Strafzumessungsebene Rechnung zu tragen. Im Auge zu behalten sein wird auch das ggf. im Ausland gegen den Beschuldigten geführte Strafverfahren und sich daraus ergebende Konsequenzen, etwa hinsichtlich des Nebis-in-idem-Grundsatzes (Art. 50 GRCh/54 SDÜ). Auch eine Einstellung nach den §§ 153c oder 154 StPO kann ggf. angezeigt sein.

11.109

4. Versagung der Steuerbefreiung bei Lieferungen in Drittländer Einzelne Finanzgerichte hatten sich jüngst mit der Frage einer Versagung der Steuerbefreiung aus Sanktionszwecken zu beschäftigen, was Drittländer betrifft und verknüpften dies mit einer einhergehenden Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung.3 1 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, Rz. 49; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195, Rz. 43; EuGH v. 31.1.2013 – C-642/11, ECLI:EU:C:2013:54 – Stroy trans, UR 2013, 275; EuGH v. 31.1.2013 – C-643/11, ECLI:EU:C:2013:55 – LVK – 56, UR 2013, 346; EuGH v. 28.2.2013 – C563/11, ECLI:EU:C:2013:125 – Forvards V, DB 2013, 1212; EuGH v. 16.5.2013 – C-444/12, ECLI: EU:C:2013:318 – Hardimpex, DB 2013, 2009; EuGH v. 13.2.2014 – C-18/13, ECLI:EU:C:2014:69 – Maks Pen, UR 2014, 861. 2 Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 393a; Bielefeld, DStR 2009, 580; Wulf, Stbg 2009, 313; zur Irrtumsproblematik vgl. auch Ransiek, wistra 2012, 365. 3 FG Köln v.19.2.2019 – 8 K 296/16, juris; vgl. auch Niederschrift v. 19.10.2015 über die Sitzung USt IV/15 der Umsatzsteuer-Referatsleiter v. 22. – 24.9.2015, Blatt 44 der Rechtsbehelfsakte; Oberfinanzdirektion Niedersachsen v. 3.12.2015; anders hingegen FG Rheinland-Pfalz v. 28.5.2019 – 3 K 1391/17, juris, dem folgend BFH v. 12.3.2020 – V R 20/19, juris.

Peters | 449

11.110

Kap. 11 Rz. 11.110 | Steuerhinterziehung Beispiel: A führt auf dem Papier Kraftfahrzeuge steuerfrei nach Bulgarien aus. Tatsächlich werden die Kraftfahrzeuge in die Türkei verbracht um dort die anfallende Luxussteuer zu hinterziehen. Bei genauer Prüfung ist das geschützte Rechtsgut unter keinen Umständen betroffen, da die Hinterziehung der türkischen Luxussteuer auch nicht über § 370 Abs. 6 AO geschützt wird (vgl. Rz. 3.4 ff.).1

11.111

Nach Ansicht des FG Köln sind auch nachweislich erfolgte Ausfuhrlieferungen gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG nach der maßgeblichen und nach Auffassung des erkennenden Senats eindeutigen EuGH-Rechtsprechung2 ebenso wie nachweislich erfolgte innergemeinschaftliche Lieferungen gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG3 im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung der Vorschriften zur Ausfuhrlieferung und zur innergemeinschaftlichen Lieferung dann nicht steuerfrei, wenn der Unternehmer gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder einem sonstigen Betrug des Erwerbers verknüpft ist4 und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder einen sonstigen Betrug zu verhindern.5 Pikant ist, dass das FG Köln ausdrücklich auf die Entscheidung des BGH vom 7.7.20096 Bezug nimmt und die Strafverfolgungsbehörden dies in der Praxis zum Anlass genommen haben, Strafverfahren gegen die Beteiligten mit teils existenziellen Folgen zu führen. Abermals wurden bloße Fiskalsanktionen zum tatbestandsmäigen Taterfolg erhoben.

11.112

Nach anderer Ansicht des FG Rheinland Pfalz und darauf folgend des BFH bezieht sich die Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch i.S.d. Art. 131 MwStSystRL indes nicht auf Abgaben, die von außerhalb des Anwendungsbereichs der MwStSystRL stehenden Drittländern i.S.d. Art. 5 Abs. 4 MwStSystRL erhoben werden.7 Es ist nach zutreffender Ansicht des FG Rheinland Pfalz bereits nicht zu entscheiden, ob Art. 131 1 Davon zu unterscheiden ist die steuerliche Frage, ob die Steuerfreiheit aus Sanktionszwecken zu versagen sein kann, so FG Köln v.19.2.2019 – 8 K 296/016, juris. 2 FG Köln v.19.2.2019 – 8 K 296/016, juris, unter Verweis auf EuGH v. 21.2.2008 – C-271/06, ECLI: EU:C:2008:105 – Netto Supermarkt, UR 2008, 508; EuGH v. 8.11.2018 – C-495/17, ECLI:EU: C:2018:887 – Cartrans Spedition, Rz. 40, 41 und EuGH v. 28.3.2019 – C-275/18, ECLI:EU: C:2019:265 – Vinš, UR 2019, 550, Rz. 32–34. 3 FG Köln v.19.2.2019 – 8 K 296/016, juris, unter Verweis auf EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI: EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; EuGH v. 6.9.2012 – C-273/11, ECLI:EU:C:2012:547 – Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 m. Anm. Maunz; EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, UR 2015, 106; EuGH v. 14.6.2017 – C-26/16, ECLI:EU:C:2017:453 – Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis, UR 2017, 539; siehe auch Treiber, MwStR 2015, 626 m. w.N. 4 FG Köln v.19.2.2019 – 8 K 296/016, juris, unter Verweis auf EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/ 11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger. 5 FG Köln v.19.2.2019 – 8 K 296/016, juris, mit dem Hinweis auf die richtlinienkonforme Auslegung: BGH v. 7.7.2009 – 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688 = wistra 2009, 441; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06, juris. 6 BGH v. 7.7.2009 – 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688 = wistra 2009, 441. 7 FG Rheinland-Pfalz v. 28.5.2019 – 3 K 1391/17, juris, bestätigt durch BFH v. 12.3.2020 – V R 20/ 19 (juris) unter Verweis auf EuGH-Urteil Unitel, EU:C:2019:876, Rz 35, HFR 2019, 1103, unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil BDV Hungary Trading v. 19.12.2013 – C-563/12, EU: C:2013:854, Rz. 40, HFR 2014, 182; vgl. hier auch Grebe/Deckert, UStB 2019, 323.

450 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.114 Kap. 11

MwStSystRL die Mitgliedsstaaten auch dann zur Versagung der Steuerfreiheit berechtigt, wenn der Unternehmer dem Erwerber ermöglicht, andere Steuern als die Umsatzsteuer – im Streitfall etwa die besondere Konsumsteuer in der Türkei – zu verkürzen. Denn die Grundsätze zur Versagung der Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sind – ungeachtet der Frage, ob die GmbH durch Stellung von Rechnungen, die lediglich einen Teil des tatsächlich vereinbarten Kaufpreises ausweisen, an einer Verkürzung türkischer Steuern beteiligt war oder ihre Organe hiervon Kenntnis hatten oder hätten haben müssen – von vornherein nicht auf Ausfuhrlieferungen übertragbar.1 Das FG betont insoweit zu Recht, dass maßgeblich der zwischen innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb bestehende Besteuerungszusammenhang ist. Innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftlicher Erwerb sind „ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang“2 und dabei Teil eines „innergemeinschaftlichen Umsatzes“, der bezweckt, die „Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt“.3 Dies ist bei Drittländern aber gerade nicht der Fall.4 Das Steueraufkommen von Drittstaaten wird ersichtlich nicht geschützt.5 Auch das Bestehen einer Zollunion ändert daran nichts. Die Steuern fließen letztendlich nicht in denselben EU-Haushalt und können daher noch weniger Gegenstand einer Hinterziehung sein, wie dies bei vergleichbaren innergemeinschaftlichen Konstellationen der Fall ist. Jedoch weist der BFH darauf hin, dass das Geschäftsgebaren mit unterfakturierten Zweitrechnungen entgegen der Auffassung des Finanzamtes trotz Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung dennoch sanktioniert werden kann. Zwar gehört die Kopie der für die Lieferung unter den Bedingungen des § 14 UStG zu erteilenden Rechnung bei der Ausfuhrlieferung (anders als bei der innergemeinschaftlichen Lieferung) nicht zum Belegnachweis. Gleichwohl ist aber auch bei Ausfuhrlieferungen das Entgelt buchmäßig aufzuzeichnen. Obwohl die Höhe des Entgelts für die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung unerheblich ist, kommt dem Entgelt dabei dann Bedeutung zu, wenn die Steuerbefreiung zu versagen ist. Insofern kann jede vorsätzlich oder leichtfertig für die Ausfuhrlieferung unterfakturiert ausgestellte Rechnung eine Steuergefährdung nach § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO darstellen.

11.113

XII. Objektiver Tatbestand Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO macht sich strafbar, wer gegenüber den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Anga1 FG Rheinland-Pfalz v. 28.5.2019 – 3 K 1391/17, juris, unter Verweis auf Sterzinger, DStR 2015, 2641 (2644); Höink in Adick/Höink/Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, 2016, Kap. 6 Rz. 205; Pelz in Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2017, § 370 AO Rz. 314. 2 Vgl. auch EuGH v. 27.9.2007 – C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548 – Teleos, BStBl. II 2009, 70 = UR 2007, 774, Rz. 23 f. 3 FG Rheinland-Pfalz v. 28.5.2019 – 3 K 1391/17, juris, unter Verweis auf EuGH v. 27.9.2007 – C409/04, ECLI:EU:C:2007:548 – Teleos, BStBl. II 2009, 70 = UR 2007, 774, Rz. 36; EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz, Rz. 22; EuGH, Urt. v. 27.9.2007 – C-184/05, ECLI:EU:C:2007:550 – Twoh International BV, UR 2007, 787, Rz. 22; EuGH v. 22.4.2010 – C-536/08 und C-539/08, ECLI:EU:C:2010:217 – X und Facet Trading BV, UR 2010, 418 m. Anm. Maunz, Rz. 30; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger, Rz. 37. 4 BFH v. 12.3.2020 – V R 20/19, juris, unter Verweis auf EuGH v. 17.10.2019 – C-653/18, ECLI:EU: C:2019:876 – Unitel, Rz. 35, unter Bezugnahme auf EuGH v. 19.12.2013 – C-563/12, ECLI:EU: C:2013:854 – BDV Hungary Trading, Rz. 40. 5 BFH v. 12.3.2020 – V R 20/19, juris.

Peters | 451

11.114

Kap. 11 Rz. 11.114 | Steuerhinterziehung

ben macht und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hingegen wird bestraft, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Das Gesetz unterscheidet zwischen einer Begehungs- und einer Unterlassungsvariante.

1. Täterkreis a) Einführung

11.115

Die Steuerhinterziehung ist ein Jedermannsdelikt und kein Sonderdelikt, sodass nicht nur der für die jeweilige Steuer Verpflichtete in Betracht kommt. Es ist ebenso nicht erforderlich, dass die Steuerhinterziehung zu eigenen Gunsten erfolgt. Es kommt allein auf die Tätigung der unrichtigen Angaben an. Die Steuerhinterziehung durch aktives Tun ist ein Jedermannsdelikt und kein Sonderdelikt, sodass nicht nur der für die jeweilige Steuer Verpflichtete in Betracht kommt. Es ebenso nicht erforderlich, dass die Steuerhinterziehung zu eigenen Gunsten erfolgt. Es kommt allein auf die Tätigung der unrichtigen Angaben an. Das Kernproblem besteht in der Praxis bei mittleren und großen Unternehmen darin, den Nachweis zu führen, wer konkret für die falsche Angabe oder das Unterlassen einer richtigen Angabe in strafrechtlicher Hinsicht verantwortlich ist und insofern zur Rechenschaft gezogen werden kann: Beispiele: In Vertretung für das urlaubsbedingt abwesende und eigentlich zuständige Vorstandsmitglied Z unterschreibt Vorstandsmitglied X die Steuererklärung der X-AG. X hat von etwaigen Steuerhinterziehungen keine Kenntnis. Zur Verschleierung von ihm begangener Untreuen zulasten des Unternehmens manipuliert der Buchhalter A die Bücher dergestalt, dass der Gewinn der Gesellschaft und die entsprechende Steuerlast zu niedrig ausfallen.

11.116

Für die Frage nach Täterschaft und Teilnahme bei der Steuerhinterziehung gelten über § 369 Abs. 2 AO die Regelungen der §§ 25 ff. StGB. Im Strafrecht wird zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden. Täterschaft kommt in Form der Alleintäterschaft, Mittäterschaft, mittelbaren Täterschaft und Nebentäterschaft vor, Teilnahme in Form der Anstiftung und Beihilfe.

11.117

Bei der Steuerhinterziehung setzt Mittäterschaft die Möglichkeit der Täterstellung voraus. Bei aktivem Tun kann dies auch derjenige sein, der zugunsten eines Steuerpflichtigen handelt. Bei Unterlassen kann nur Täter sein, wer zur Aufklärung verpflichtet ist.1

11.118

Mittäter kann auch derjenige sein, dem das Gesetz keine steuerlichen Pflichten zuweist, sofern nur die Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Begehungsweise i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB gegeben sind.2 Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein.3

1 Vgl. BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, BGH NStZ-RR 2007, 345. 2 St. Rspr., vgl. BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1; BGH v. 28.5.1986 – 3 StR 103/86, NStZ 1986, 463; BGH v. 6.10.1989 – 3 StR 80/89, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Mittäter 3; BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täter 4; BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112. 3 St. Rspr., BGH v. 30.6.2005 – 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44; BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289 (291).

452 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.122 Kap. 11

b) Pflichten der gesetzlichen Vertreter und Verfügungsberechtigten Von Bedeutung für die Annahme einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen – insbesondere im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung bei Unternehmen und in Fällen vorgeschobener Personen, wie dies im Internationalen Steuerstrafrecht häufiger zu finden ist (ausländische Scheingeschäftsführer oder Strohleute) – sind die §§ 34, 35 AO.1

11.119

Wer in diesem Sinne als Verfügungsberechtigter auftritt, hat unter der Voraussetzung, dass er dazu tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, wie der gesetzliche Vertreter nach § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Rechtsträgers zu erfüllen. Zu den von ihm zu erfüllenden Pflichten gehört insbesondere die Abgabe von Steuererklärungen (etwa von Umsatzsteuervoranmeldungen oder Umsatzsteuerjahreserklärungen) und die Entrichtung der Steuern aus den vorhandenen Mitteln.2

11.120

Verfügungsberechtigter i.S.d. § 35 AO ist jeder, der nach dem Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt.3 Die Verfügungsgewalt muss zudem rechtlich eingeräumt sein. Eine faktische Verfügungsgewalt genügt nicht. Dabei genügt eine mittelbare Verfügungsbefugnis, d.h. verfügungsberechtigt ist auch, wer aufgrund seiner Stellung die Pflichten des gesetzlichen Vertreters erfüllen kann oder durch die Bestellung entsprechender Organe erfüllen lassen kann.4 Gleiches gilt für denjenigen, der kraft eines Rechtsverhältnisses den Vertretenen steuern und über seine Mittel verfügen kann. Steuerliche Pflichten sind dabei auch dann rechtlich und tatsächlich erfüllbar, wenn zwar keine unmittelbare Vertretungsbefugnis besteht, die rechtliche Stellung jedoch eine verbindliche Weisung an den Vertretenen ermöglicht.5 Jedoch kann ein Geschäftsherr, der einem Dritten für einen bestimmten Geschäftsbereich völlig freie Hand lässt, nach den Umständen des Einzelfalls tatsächlich auch als Verfügungsberechtigter i.S.d. § 30 AO anzusehen sein.

11.121

Der Verfügungsberechtigte muss nach außen auftreten, wobei jedoch ein Auftreten gegenüber der Finanzbehörde nicht erforderlich ist. Auftreten bedeutet nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH6 die Teilnahme am Wirtschafts- und Rechtsverkehr, die über die Beziehungen zum Rechtsinhaber hinausgeht. Nicht vorausgesetzt ist ein Auftreten gerade gegenüber den Finanzbehörden oder ein Auftreten in steuerlichen Angelegenheiten. Die Teilnahme muss auch nicht in einer tatsächlichen oder faktischen Disposition über fremdes Vermögen bestehen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Verfügungsberechtigte sich nach außen so geriert, als könne er über fremdes Vermögen verfügen. Nimmt etwa eine Person Geschäftsführungs-

11.122

1 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177, vgl. hierzu Leipold, NJW-Spezial 2013, 376; Gehm, NZWiSt 2013, 319; ausführlich zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 109 ff.,118.2. 2 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf BFH v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81 sowie FG Niedersachen v. 6.6.2008 – 11 K 573/06, EFG 2009, 1610; BGH v. 8.11.1989 – 3 StR 249/89, BGHR AO § 35 Verfügungsberechtigter 2 sowie BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Mittäter 1. 3 Vgl. BFH v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 118 ff. 4 Boeker in H/H/SP, § 35 AO Rz. 8 m.w.N. 5 BGH v. 23.8.2017 – 1 StR 33/17, wistra 2018, 80 unter Verweis auf BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/ 12, DStR 2013, 1177. 6 St. Rspr.: BGH v. 30.6.2005 – 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44; BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289 (291); BGH v. 23.8.2017 – 1 StR 33/17, wistra 2018, 80 m. Anm. Pflaum; vgl. auch BFH v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81.

Peters | 453

Kap. 11 Rz. 11.122 | Steuerhinterziehung

aufgaben tatsächlich wahr, reicht es aus, wenn sie lediglich gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ zu erkennen gibt, dass sie als solche über das Vermögen verfügen kann, das Auftreten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ aber weisungsabhängigen Personen überlässt. Hält sich der faktisch Leitende selbst im Hintergrund und bedient er sich zur Ausübung seiner Verfügungsbefugnis der Unterstützung weisungsgebundener Personen, wird er nach § 35 AO nur verpflichtet, wenn die Weisungsabhängigkeit auch nach außen – mithin mindestens gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ – erkennbar wird.

11.123

Es reicht beispielsweise aus, wenn derjenige lediglich gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“, etwa im Rahmen von Gesellschafterversammlungen, zu erkennen gibt, dass er als solcher über das Vermögen verfügen kann, das Auftreten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ aber weisungsabhängigen Personen überlässt.1 Beispiele: A hat seine Geschäftsanteile an der X-GmbH aus steuerlichen Gründen auf seinen Sohn übertragen, der nunmehr auch Geschäftsführer ist. Weil A nicht loslassen kann, kommt er dennoch jeden Tag in die Firma, ist bei allen Vertragsgesprächen mit Kunden und Lieferanten dabei, weist Zahlungen an und nimmt entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Er weiß um die Tatsache, dass sein Sohn seinen aufwändigen Lebensstil aus Firmenmitteln bestreitet und die Kosten hierfür teils zu Unrecht und in voller Höhe als Betriebsausgaben ansetzt. Faktischer Geschäftsführer2 oder „faktischer Leiter“, d.h. derjenige, der die Geschäfte tatsächlich lenkt. In der Praxis ist es vielfach so, dass Beschuldigte bereits mit Verboten belegt sind und daher Strohleute oder Ehefrauen/Freundinnen formell als Geschäftsführer einsetzen.

11.124

Wer als Verfügungsberechtigter auftritt, hat die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nur in dem Umfang zu erfüllen, wie er dies tatsächlich und rechtlich kann (§ 35 AO Halbs. 2 AO). Steuerliche Pflichten sind nach Ansicht des BGH auch dann rechtlich und tatsächlich erfüllbar, wenn zwar keine unmittelbare Vertretungsbefugnis besteht, die rechtliche Stellung jedoch eine verbindliche Weisung an den Vertretenen ermöglicht.

11.125

Auch derjenige, der Kraft eines Vertragsverhältnisses den Steuerpflichtigen steuern und deshalb über dessen Mittel verfügen kann, kann nach Ansicht des BGH im Einzelfall tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu erfüllen.3 Entscheidend ist das Kriterium der sog. Leitungsmacht. Diese ergibt sich in praktischer Hinsicht oftmals aus dem Inhalt des Gesellschaftsvertrags, einer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, aus Gesellschafterbeschlüssen oder aus einem Geschäftsverteilungsplan.

11.126

Zu beachten ist jedoch, dass auch ein nicht mit steuerlichen Angelegenheiten befasster Mitgeschäftsführer sich grundsätzlich von der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den verantwortlichen Geschäftsführer zu überzeugen hat und ggf. einschreiten muss, wenn er Unregelmäßigkeiten erkennt. Die Verpflichtung aus § 153 AO trifft jedes Mitglied der Unternehmensleitung. Das praktische Problem besteht vielfach darin, dass die in Anklageschriften und in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen die Annahme, dass es sich um einen Verfügungsberechtigten i.S.d. § 35 AO handelt, nicht tragen. Dies insbesondere 1 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf BFH v. 10.10.1994 – I B 228/ 93, BFH/NV 1995, 662; BFH v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; BFH v. 24.4.1991 – I R 56/89, BFH/NV 1992, 76; BFH v. 9.1.2013 – VII B 67/12; Merkt, AO-StB 2009, 81 (84). 2 Zur faktischen Unternehmensbeherrschung bei Einzelunternehmen bereits Bieneck in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 77 Rz. 20. 3 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf FG Baden-Württemberg v. 25.6.2008 – 12 K 407/04, EFG 2008, 1434.

454 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.128 Kap. 11

deswegen, weil tatsächliche Feststellungen zu der Verfügungsmacht und zum tatsächlichen Wesen und Wirken vor dem Hintergrund der rechtlichen Voraussetzungen fehlen. Allein das Beschreiben der Stellung als Verfügungsberechtigter genügt für sich genommen nicht. Festzustellen ist zusätzlich, dass auch ein entsprechendes Auftreten nach außen nicht nur gegenüber einer begrenzten Öffentlichkeit erfolgt ist. Besondere Feststellungen sind beispielsweise dann von Nöten, wenn sich der Hintermann bewusst im Hintergrund hält und es gerade vermeidet gegenüber der Öffentlichkeit aufzutreten.1

2. Angaben machen a) Begriff der Angabe Eine Angabe macht im Fall des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wer gegenüber der Finanzbehörde oder auch gegenüber anderen Behörden Tatsachen bekundet.2 Das Mittel zu deren Bekundung ist die Abgabe einer Erklärung, welche schriftlich oder mündlich erfolgen kann. Hierbei gilt der gesamte Äußerungsinhalt als Erklärung, wozu auch das gehört, was im Rahmen der Äußerung ausdrücklich an Anlagen in Bezug genommen worden ist.3 Unerheblich für die Tatbestandsverwirklichung ist, wo die falschen Angaben gemacht oder unterlassen werden. So macht sich auch der in Deutschland (un-)beschränkt Steuerpflichtige strafbar, der aus dem Ausland heraus in Deutschland eine unrichtige Steuererklärung abgibt oder deren Abgabe unterlässt (§ 370 Abs. 7 AO).

11.127

b) Deutlichkeit der Angaben Die Angaben sind auch deutlich, d.h. für den Erklärungsempfänger verständlich und wahrnehmbar zu machen. So hält der BFH in ständiger Rechtsprechung die Deutlichkeit der Angaben in der Steuererklärung zur Begrenzung der Ermittlungspflichten des Finanzamts für erforderlich.4 Er geht im Zusammenhang mit der Frage nach einer Änderungsmöglichkeit eines Steuerbescheids nach § 173 AO und der Frage, ob eine Tatsache als bekannt zu gelten hat, davon aus, dass bei Abgabe der Steuererklärung maßgebend ist, ob darin die steuerlich relevanten Sachverhalte richtig, vollständig und deutlich dem Finanzamt zur Prüfung unterbreitet wurden.5 Denn nur wer selbst eine Steuererklärung klar und einwandfrei abgegeben habe, kann sich nach Ansicht des BFH auf eine Pflichtverletzung des Finanzamts berufen.6

1 BGH v. 23.8.2017 – 1 StR 33/17, wistra 2018, 80 m. Anm. Pflaum. 2 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 212, wobei bislang nicht geklärt ist, warum § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch „andere Behörden erfasst“, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hingegen nicht. 3 OLG Bremen v. 26.4.1985 – Ws 111, 115, 116/84, StV 1985, 282. 4 BFH v. 19.10.1971 – VIII R 27/66, BFHE 103, 404; BFH v. 24.10.1989 – VII R 1/87, DB 1990, 358; BFH v. 14.12.1994 – XI R 80/92, BFHE 176, 308; BFH v. 10.4.1997 – IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757 (758); BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, DStRE 1999, 81 (83 ff.); BFH v. 4.3.1999 – II R 79/97, HFR 1999, 789 (790); BFH v. 24.3.2004 – X B 110/03, BFH/NV 2004, 1070; so auch BFH v. 20.4.2004 – IX R 39/01, BFH/NV 2004, 1138 (1140); BFH v. 25.1.2006 – II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059 (1060 f.); vgl. auch FG Niedersachsen v. 30.1.2003 – 16 K 10365/01. 5 BFH v. 19.10.1971 – VIII R 27/66, BFHE 103, 404; BFH v. 24.10.1989 – VII R 1/87, DB 1990, 358; BFH v. 10.4.1997 – IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757 (758); BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, DStRE 1999, 81 (83 ff.); BFH v. 4.3.1999 – II R 79/97, HFR 1999, 789 (790); BFH v. 25.1.2006 – II R 61/ 04, BFH/NV 2006, 1059 (1060 f.). 6 BFH v. 19.10.1971 – VIII R 27/66, BFHE 103, 404.

Peters | 455

11.128

Kap. 11 Rz. 11.129 | Steuerhinterziehung

3. Begriff der Tatsache 11.129

Der Begriff der Tatsache i.S.d. § 370 AO ist mit dem Begriff der Tatsache in § 263 StGB (Betrug) verwandt. Die Problematik bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht jedoch darin, dass im Rahmen der Steuererklärung weniger Tatsachen, sondern vielmehr bereits die Ergebnisse einer rechtlichen Subsumtion vorgetragen werden, nämlich Zahlen in den entsprechenden Feldern der Steuererklärung. Eine Tatsache ist etwas Geschehenes oder Bestehendes, das zur Erscheinung gelangt und in die Wirklichkeit getreten und daher dem Beweis zugänglich ist.1 Das Gegenteil einer Tatsache stellt ein Werturteil oder eine Meinungsäußerung dar, wobei zu den Werturteilen auch die reinen rechtlichen Bewertungen eines Sachverhalts – dieser besteht aus Tatsachen – zu rechnen sind, also das Ergebnis juristischer Subsumtion. Zur Abgrenzung ist maßgeblich, ob der Sinn der Äußerung einen objektivierbaren, gerichtlicher Beweiswürdigung zugänglichen Kern ergibt.2 Die in einer Steuererklärung gemachten Angaben, denen eine rechtliche Wertung zugrunde liegt, sind als Tatsachen in diesem Sinne zu bewerten. Die Einordnung der verkürzten oder versteckten Angaben in Steuererklärungen als Angaben über Tatsachen i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO deckt sich auch mit den Ergebnissen der Rechtsprechung.3

4. Steuerliche Erheblichkeit der Tatsachen 11.130

Die Angaben über Tatsachen müssen weiter steuerlich erheblich sein. Erheblich sind alle Tatsachen, die aufgrund eines Steuergesetzes für die Besteuerung von Bedeutung sind, d.h. zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestandes herangezogen werden müssen, also Grund und Höhe des Steueranspruchs oder des Steuervorteils beeinflussen.4 Zu den steuerlich erheblichen Tatsachen werden alle Tatsachen gezählt, die aufgrund eines Steuergesetzes für die Festsetzung, die Selbstberechnung, die Erhebung oder Betreibung der Steuer oder das Gewähren oder Belassen eines Steuervorteils von Bedeutung sind.5

5. Erklärungsempfänger 11.131

Die Angaben müssen gegenüber den Finanzbehörden oder anderen Behörden abgegeben werden, wobei sich der Behördenbegriff aus § 6 Abs. 1 AO ergibt. Danach ist Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Der Begriff der Finanzbehörde bestimmt sich nach § 6 Abs. 2 AO. Über das Behördenmerkmal werden Handlungen des Steuerpflichtigen gegenüber Privatpersonen ausgeschieden, welche Letztere zu einem steuerverkürzenden Verhalten veranlassen.6 Als andere Behörden i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO kommen solche Behörden in Betracht, die für entscheidende Feststellungen im Besteuerungsverfahren zuständig sind, wie etwa die Gemeinden. Bezieht sich die Tat auf ausländische Steuern, erfüllen auch unrichtige und unvollständige Angaben gegenüber der zuständigen ausländischen Finanzbehörde den Tatbestand, insbesondere wenn die Angaben weitergeleitet werden.7

Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 228; Fischer67, § 263 StGB Rz. 6. Tiedemann in LK12, § 263 StGB Rz. 12f. OLG Schleswig v. 11.11.1985 – 2 Ss 413/85, wistra 1987, 34. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 130, Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 229. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 130. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 131. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Finanzbehörden die Angaben mit Willen des Täters gutgläubig an Finanz- oder andere Behörden, die steuerliche Entscheidungen treffen, weitergeben. 7 BGH v. 2.4.2020 – 1 StR 224/19, juris, zu einem Fall in dem Eingangsmeldungen an frz. Behörden weitergeleitet wurden; vgl. auch Peters in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 121. 1 2 3 4 5 6

456 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.134 Kap. 11

6. Unrichtigkeit und Unvollständigkeit der Angabe Eine Angabe ist unrichtig, wenn die in ihr enthaltene Behauptung mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, also ein Widerspruch besteht.1 Problematisch ist hingegen, wann eine Angabe unvollständig ist. Mitunter wird davon ausgegangen, dass unvollständige Angaben eigentlich auch unrichtige Angaben seien, die besondere Erwähnung jedoch nur aus Klarstellungszwecken erfolgt sei. Eine unvollständige Angabe sei anzunehmen, wenn eine Erklärung so gewertet werden müsse, dass sie zu einem bestimmten Sachzusammenhang eine vollständige Aussage enthalte. Das Verschweigen von Tatsachen habe dann den positiven Erklärungswert, dass weitere zu offenbarende Tatsachen nicht vorhanden, die gemachten Angaben als solche aber richtig seien.2 Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich aber zu der Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, denn oftmals ist nur schwerlich feststellbar, ob die Angaben unvollständig durch aktives Tun gemacht wurden oder ob lediglich Teile der Angaben pflichtwidrig unterlassen wurden.3 Im Einzelfall soll daher zu ermitteln sein, ob der Erklärende ausdrücklich oder konkludent mitbehauptet, dass sämtliche besteuerungserheblichen Umstände aus einem bestimmten Umkreis vollständig erklärt sind.4

11.132

Nach Hanssen kann dieser Vergleich nur über die Bestimmung der steuerlichen Pflichten gelingen, da diese den Umfang der anzugebenden Tatsachen angeben und so die Subsumtionsrelevanz einer Tatsache kennzeichnen. Demnach seien Tatsachen unrichtig oder unvollständig, wenn die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Sachverhaltserklärung aus den §§ 150 Abs. 1, 90 Abs. 1 AO verletzt würde.5 Mit Wulf ist der Erwähnung der unvollständigen Angabe in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO lediglich klarstellende Funktion zuzumessen. Denn im Hinblick auf die Pflicht zur Abgabe von vollständigen Erklärungen lässt sich jede unvollständige Angabe auch unter das Merkmal der „unrichtigen Angabe“ subsumieren.6

11.133

7. Täuschung und Unkenntnis bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO Für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist dogmatisch immer noch nicht abschließend geklärt, ob es für das tatbestandsmäßige Verhalten einer Täuschung und somit eines Irrtums der (Finanz-)Behörde überhaupt bedarf oder ob für eine Tatbestandsverwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vielmehr ausreichend ist, dass die unrichtigen oder unvollständigen Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung ursächlich werden.7 Virulent wird die Problematik beim Merkmal der Unkenntnis. Das Merkmal der Täuschung hat in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO keine ausdrückliche Erwähnung gefunden. Bei unbefangener Betrachtung des Wortlauts von § 370 Abs. 1 Nr. 1 und § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO fällt auf, dass lediglich § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausdrücklich ein „in Unkenntnis“-Lassen der Behörde erfordert. Auch § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO verzichtet gänzlich auf eine Beschreibung des behördlichen Kenntnisstandes. Die sich daraus ergebende Konsequenz könnte nun sein, dass auch die vollständige Nichterfüllung der Erklärungspflicht, das Machen von unvollständigen Angaben, bei fehlerhafter

1 BGH v. 16.12.1954 – 3 StR 493/54, BGHSt 7, 147; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 129, Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 246. 2 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 247; zustimmend Wulf, Handeln und Unterlassen, 59 f. 3 Hilgers, Täuschung, 49; Lütt, Handlungsunrecht, 54. 4 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 129. 5 Hanssen, Steuerhinterziehung, 72. 6 Wulf, Handeln und Unterlassen, 59 f. 7 Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 53.

Peters | 457

11.134

Kap. 11 Rz. 11.134 | Steuerhinterziehung

Festsetzung trotz vollständiger Kenntnis der „wissenden“ Behörde als vollendete Steuerhinterziehung geahndet werden könnte.1 a) Rechtsprechung des BFH

11.135

In dem vielbeachteten2 Urteil vom 25.10.20053 hat der BFH entschieden, dass die für eine Tatbestandsverwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erforderliche und wesentliche objektive kausale Verknüpfung zwischen den unrichtigen Angaben und dem Eintritt der Steuerverkürzung keine gelungene Täuschung mit Irrtumserregung beim zuständigen Finanzbeamten voraussetzt. Vielmehr genügt es nach Ansicht des BFH, wenn die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung ursächlich werden.4 Nach dem Wortlaut des Gesetzes und nach dem Sinn und Zweck könne – so der BFH – nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass eine Steuerhinterziehung auch begangen werden könne, wenn in einem vollautomatisierten Verfahren Steuern aufgrund einer falschen Steueranmeldung in unrichtiger Höhe erhoben würden. Gegenüber einer Finanzbehörde seien Angaben vielmehr schon dann gemacht, wenn sie so in deren steuerliches Verfahren eingespeist würden, dass sie zur Grundlage der Steuerfestsetzung oder Erhebung würden.5 b) Rechtsprechung des BGH

11.136

Der BGH lässt es genügen, wenn der Täter unzutreffende Angaben macht und dadurch eine Steuerverkürzung bewirkt.6 Denn aus dem Wortlaut der Norm ergebe sich, dass es auf eine hervorgerufene oder aufrechterhaltene irrige Vorstellung der Finanzbehörden bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht ankomme. Es gehöre nicht zum Tatbestand, dass der Täter durch eine gelungene Täuschung einen Irrtum erregt.7 Vielmehr genüge es, dass seine unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuererhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung ursächlich werden.8 Letztendlich wurde das Merkmal der Täuschung jedoch für nicht entscheidungserheblich befunden, da sich zumindest der festsetzende Veranlagungsbeamte in Unkenntnis befunden habe.9 In anderen Entscheidungen geht der BGH davon aus, dass Täuschungshandlungen gegenüber der Finanzbehörde über steuer-

1 Wulf, Handeln und Unterlassen, 143. 2 Nieland, AO-StB 2006, 38; Rüsken, BFH/PR 2006, 166; Tormöhlen, DStZ 2006, 262; Wegner, PStR 2006, 52; Rolletschke, wistra 2006, 249; Weidemann, wistra 2006, 274 f. 3 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, wistra 2006, 113. 4 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, unter Verweis auf BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, BStBl. II 1999, 854 = wistra 2000, 63. Bestätigt durch BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07; vgl. hierzu die Anm. von Schmitz, NJW 2007, 2867. 5 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, wistra 2006, 113. 6 BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (293); BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 (286); BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, wistra 2013, 107. 7 BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141). 8 BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266; offengelassen in BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63 mit Anm. Stahl/Carle, wistra 2000, 99. 9 BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (293); BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 (286); dem zustimmend AG Saarbrücken v. 20.10.1986 – 35 – 269/85, wistra 1988, 202; LG Saarbrücken v. 14.7.1987 – 5 II 1/87, wistra 1988, 202; hierzu auch Weyand, wistra 1988, 180.

458 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.139 Kap. 11

lich erhebliche Tatsachen von § 370 AO erfasst werden, eine Täuschung also taugliches Tatmittel sein kann.1 In Entscheidungen jüngeren Datums bestätigt der BGH die oben genannte Ansicht des BFH und übernimmt hierzu im Wesentlichen auch dessen Begründung.2 Die Einspeisung von Daten in die EDV der Finanzverwaltung dergestalt, dass sie zur Grundlage einer Steuerfestsetzung, -erhebung oder -erstattung werden, wird als ausreichend erachtet.3

11.137

Im Hinblick auf das Erfordernis nach einer Unkenntnis auch für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO führt der BGH aus, dass dieses Kriterium abzulehnen ist, da die Veranlagung fiktiver Personen niemandem innerhalb der Finanzverwaltung zugewiesen ist und der Täter außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs handele. Seine Kenntnis vom wirklichen Sachverhalt stehe daher einer Tatbestandsverwirklichung nicht entgegen.4 Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben entfällt nach einer weiteren Entscheidung nicht deshalb, weil den zuständigen Finanzbehörden alle für die Steuerfestsetzung bedeutsamen Tatsachen bekannt waren und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt und verfügbar waren.5 Der BGH stellt unmissverständlich klar, dass es für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO des Merkmals der Unkenntnis nicht bedarf.

11.138

c) Literatur

Die Literatur steht der Rechtsprechung, die das Merkmal der Unkenntnis für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO für nicht konstitutiv hält, ablehnend gegenüber.6 Dafür spricht zunächst das Spannungsverhältnis von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Denn je nachdem, ob man das Täterverhalten als das „Machen unvollständiger Angaben“ oder das teilweise „Unterlassen zutreffender Angaben“ interpretiert, käme dem Täter einmal die anderweitig erlangte Kenntnis der Behörde zugute, ein anderes Mal jedoch nicht.7 Teilweise wird auch davon ausgegangen, dass es bei Kenntnis der Behörde an der Kausalität zwischen den unzutreffenden Angaben des Täters und dem tatbestandsmäßigen Erfolg fehle, da die wissende Steuerbehörde die bekanntermaßen unrichtige Steuererklärung nicht zur Grundlage ihrer Festsetzung machen werde, sondern allein ein Fehlverhalten aufseiten der Finanzbehörde für die Steuerverkürzung ursächlich werde.8 1 BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100; BGH v. 23.3.1994 – 5 StR 91/94, BGHSt 40, 109; BGH v. 21.10.1997 – 5 StR 328/97, NStZ 1998, 91. 2 BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, BGHSt 51, 356. 3 BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, BGHSt 51, 356; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141). 4 BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, BGHSt 51, 356; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141). 5 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141); BGH v. 14.12.2010 – 1 StR 275/10 unter Verweis auf Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 581 ff. 6 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 173 f.; ablehnend Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 579, 586 (211); Lütt, Handlungsunrecht, 64, der anführt, dass nur bei Unkenntnis ein Achtungsanspruch von dem geschützten Rechtsgut ausgeht; Seer in T/L23, § 23 Rz. 24; Suhr/Naumann/Bilsdorfer, Steuerstrafrecht4, Rz. 212 (293); Wulf, Handeln und Unterlassen, 143; Hilgers, Täuschung, 96, 97; Gössel, wistra 1985, 125; Volk, DStZ 1983, 223 (227); Hoff, Handlungsunrecht, 42. 7 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 173 f., zustimmend Kribs-Dres, DB 1978, 181; Schleeh, StuW 1972, 310 (311). 8 Gössel, wistra 1985, 132; Volk, DStZ 1983, 227; hiergegen Borchers, wistra 1987, 86 (88) unter Einbeziehung der Problematik, dass Steuern oftmals nur unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden.

Peters | 459

11.139

Kap. 11 Rz. 11.140 | Steuerhinterziehung

11.140

Gemeint sein dürfte hier, dass die Behörde auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen und die Richtigkeit seiner Angaben angewiesen ist, da die Veranlagung aller Steuerpflichtigen ohne deren Mitwirkung allein durch staatliche Institutionen schon wegen der Masse der zu bearbeitenden Fälle praktisch unmöglich ist. Auch über einen Vergleich zur Unterlassungsvariante lässt sich dieses Ergebnis begründen. Denn ebenso wie beim Begehungsdelikt erfolgt in den Fällen der Unterlassung die Steuerverkürzung aufgrund einer Fehlvorstellung der Finanzbehörde. Der Unterschied besteht nur darin, dass diese Fehlvorstellung in dem einen Fall hervorgerufen wird und in dem anderen Fall keine Aufklärung erfolgt.1 Maßgebend ist, dass in beiden Fällen der Behörde die faktischen Grundlagen zur Erkenntnis und Durchsetzung des wahren Steueranspruchs fehlen. Ebenso geht Joecks davon aus, dass das Gesetz mit der Formulierung in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Täuschungshandlung beschreibt, die auf weiten Strecken der Täuschungshandlung des Betruges entspricht.2 Weil der Täter Angaben machen muss, ist darunter wenigstens eine Handlung zu verstehen, die auf die Psyche eines anderen in der Weise einwirkt bzw. einwirken können muss, dass in diesem die Vorstellung von Tatsachen entstehen soll.3 Damit ist die Psyche des veranlagenden Beamten gemeint, dessen Vorstellungen dann dem Staat zuzurechnen sind.

8. Konkludente Angaben a) Allgemeines

11.141

Eine Angabe über Tatsachen kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen.4 In der Literatur wird dies zum Teil5 unter Berufung auf den – angeblich – entgegenstehenden Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 1 abgelehnt, zumal die praktische Bedeutung nichtwörtlicher Erklärungen gering sei und § 370 Abs. 1 Nr. 2 regelmäßig Zweifelsfälle erfasse. Der Begriff des Angabenmachens nötigt zu dieser einschränkenden Interpretation jedoch nicht, so dass auch konkludente Erklärungen § 370 Abs. 1 Nr. 1 unterfallen, z.B. wenn der Urlauber, der zollpflichtige Ware bei sich führt, den Ankunftsbereich des Flughafens unter den Augen der Zollbeamten durch die Tür verlässt, die den Passagieren vorbehalten ist, die keine Waren anzumelden haben.6 Solche Konstellationen der Unterlassensalternative zu subsumieren, ist nur nach der Auffassung möglich, die § 370 Abs. 1 Nr. 1 als Unterfall der Unterlassungsalternative versteht.

11.142

Ein konkludentes Verrhalten ist anzunehmen, wenn das gesamte Verhalten des Täters nach allgemeiner Verkehrsanschauung nur als stillschweigende Behauptung von Tatsachen verstanden werden kann und soll.7 Mitunter wird vorgetragen, dass der Begriff des Machens von Angaben ebenso wie der des Vorspiegelns im Bereich des § 263 StGB nicht nur ausschließlich wörtliche Erklärungen umfasst,8 sondern auch konkludente Erklärungen, die damit dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO unterfallen. 1 2 3 4

5 6 7 8

Samson/Horn, NJW 1970, 593 (594). Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 153. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 153. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 215 unter Verweis auf BGH v. 27.11.2002 – 5 StR 127/02, wistra 2003, 266; Blumers/Göggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren, Rz. 289; Schneider, Steuerhinterziehung, 121; Menke, Kompensationsverbot, 113, unter Verweis auf BGH v. 6.6.1973 – 1 StR 82/72, BGHSt 25, 190; Mösbauer, Steuerstrafrecht, 108. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 174; Schleeh, StuW 1972, 310 (314). Vgl. BGH v. 6.6.1973 – 1 StR 82/72, BGHSt 25, 190 (191); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 215 unter Verweis auf BGH v. 27.11.2002 – 5 StR 127/02, wistra 2003, 266. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 247. Fischer67, § 263 StGB Rz. 12.

460 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.145 Kap. 11

In der Erklärung einer steuerfreien Lieferung könne etwa zugleich die konkludente Erklärung gesehen werden, dass der Unternehmer in dem Zeitpunkt der Geltendmachung über die erforderlichen Nachweise verfüge.1 Der Straftatbestand kann daher durch jedwede Äußerung verwirklicht werden, sofern dies zur Verkürzung von Steuern führt. Zu nennen sind abweichend von der Steuererklärung die Fälle der Außenprüfung, des Rechtsbehelfsverfahrens oder der tatsächlichen Verständigung.2 Denn steuerlich erheblich sind etwa auch solche Umstände, die für die Entscheidung der Finanzbehörde Bedeutung erlangen, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine tatsächliche Verständigung gegeben sind oder welche Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden.3

11.143

b) Die konkludente Täuschung im Zollrecht Im Zollrecht ist die Möglichkeit einer konkludenten Täuschung anerkannt und wird explizit in Art. 233 DVO4 (Formen konkludenter Willensäußerung) erfasst. Entsprechende praktische Fälle kommen relativ häufig vor. Genannt werden hier als konkludente Verhaltensweisen die Benutzung des grünen Ausgangs der Kontrollstelle,5 das Passieren der Zollstelle ohne Abgabe einer Zollanmeldung, das Anbringen einer Zollanmeldungsvignette oder eines Aufklebers „anmeldefreie Waren“ an der Windschutzscheibe von Personenwagen.6 Dem Verhalten des Täters ist hier der Erklärungswert zu entnehmen, dass er keine gestellungs- oder anmeldungspflichtigen Waren bei sich führt, und die Bestimmung der Konkludenz knüpft an ein tatsächliches Verhalten des Täters an. Fraglich ist hier allein, ob der Täter im Sinne der Konkludenz etwas miterklärt oder ob seinem Verhalten nicht ausdrücklich der Erklärungswert beizumessen ist, dass keine gestellungspflichtigen Waren eingeführt werden, wenn er etwa den grünen Ausgang der Kontrollstelle benutzt.

11.144

9. Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) a) Allgemeines Im Bereich der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Auslandssachverhalten ist der häufigere Fall, dass die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen wird, wenn beispielsweise steuerliche Gestaltungen nicht offengelegt werden oder bestimmte von der Finanzverwaltung abweichende/unrichtige und strafrechtlich

1 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer, 175. 2 Hierzu BGH v. 26.10.1998 – 5 StR 746/97, wistra 1999, 103; vgl. auch die Anmerkung von Spatscheck/Mantas, PStR 1999, 198; Rolletschke, Steuerhinterziehung, Rz. 29; ablehnend noch Streck/ Schwedhelm, DStR 1986, 713 (714), die nur eine Verletzung des Steuerrechts als ausreichend ansahen, der Annahme einer Steuerhinterziehung durch eine tatsächliche Verständigung aber entgegenhielten, dass der Blankettverweis nicht greife, wenn eine Vereinbarung über den Sachverhalt getroffen werde. 3 Randt, Steuerfahndungsfall, D 3 unter Verweis auf BGH v. 23.6.1992 – 5 StR 74/92, wistra 1992, 300, wo ein Finanzbeamter aufgrund vorgespiegelter Seriosität der Steuerpflichtigen von bestimmten Vollstreckungsmaßnahmen absah. 4 Verordnung (EWG) Nr. 2931/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften v. 12.10.1992; zum Ganzen auch Wietfeld, Taherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung, 76 ff. 5 Hierzu FG Hamburg v. 20.10.1998 – IV 124/98, ZfZ 1999, 204; FG München v. 25.11.1998 – 3 K 2040, ZfZ 1999, 204; FG Hamburg v. 5.4.2000 – IV 744/97; BFH v. 16.3.2007 – VII B 21/06, BFHE 216, 468. 6 Erforderlich ist hier jedoch eine entsprechende einzelstaatliche Vorschrift.

Peters | 461

11.145

Kap. 11 Rz. 11.145 | Steuerhinterziehung

im Ergebnis falsche Rechtsansichten nicht näher erläutert werden.1 Zur vorläufigen Reduzierung einer Umsatzsteuerzahllast und zur Erlangung kurzfristiger Liquiditätsvorteile werden nicht selten auch zu niedrige Umsatzsteuervoranmeldungen angegeben.

11.146

Das Merkmal der „Pflichtwidrigkeit“ in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begrenzt den Kreis der tauglichen Täter,2 wohingegen § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als sog. „Jedermannsdelikt“ nicht nur durch den Steuerpflichtigen begangen werden kann.3 Nach der Rechtsprechung des BGH kann Täter – auch Mittäter – einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist.4 Das Merkmal „pflichtwidrig“ bezieht sich allein auf das Verhalten des Täters (bei dem es sich indes nicht um den Steuerpflichtigen handeln muss), nicht allgemein auf dasjenige irgendeines Tatbeteiligten.5 Damit kommt eine Zurechnung fremder Pflichtverletzungen auch dann nicht in Betracht, wenn sonst nach allgemeinen Grundsätzen Mittäterschaft vorliegen würde. Voraussetzung ist jedoch gem. § 13 StGB eine Garantenstellung des Täters, d.h. er muss in rechtlicher Hinsicht verpflichtet sein, für den Erfolg einzustehen.

11.147

Die Garantenstellung kann sich beispielsweise aus Gesetz ergeben: – § 137 AO (Anzeigepflicht für nichtnatürliche Personen), – § 138 AO (Anzeigepflicht für den, der einen Betrieb eröffnet), – § 139 AO (Anmeldepflicht für Hersteller verbrauchsteuerpflichtiger Waren), – § 153 AO (Berichtigungspflicht), – § 160 AO (Steuerliche Offenlegungspflicht), – Rechtspflicht zur Abgabe von Steuererklärungen (§§ 25 EStG, 56 – 60 EStDV, § 14a GewStG, § 18 UStG), – Pflicht zur Abgabe von Steueranmeldungen (§ 41a EStG), – Anzeige- und Berichtigungspflichten (z.B. § 17 UStG, § 30 ErbStG).

11.148

Die Garantenstellung kann sich auch aus sog. Ingerenz (vorangegangenes, pflichtwidriges Tun) ergeben.6 1 Zum Ganzen auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 61 f. 2 Einschränkend BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177, der keine Begrenzung des Täterkreises bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auf bestimmte Personen sieht, aber unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 2 GG betont, dass nur derjenige letztlich Täter sein kann, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist; vgl. hierzu Reichling/Lange, NStZ 2014, 311 (312). 3 Zuletzt BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177; vgl. hierzu Leipold, NJW-Spezial 2013, 376, Gehm, NZWiSt 2013, 319; BGH v. 28.3.2007 – 5 StR 558/06 unter Verweis auf BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112 (113); Wulf, Handeln und Unterlassen, 90, 92; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 236; Randt, Steuerfahndungsfall, D 4; Reichling/Lange, NStZ 2014, 311. 4 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/ 78, BGHSt 28, 371 (375 ff.); BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1; BGH v. 14.2.1990 – 3 StR 317/89, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Eingangsabgaben 1; BGH v. 20.11.1990 – 3 StR 259/90, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Mittäter 2; BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52 (58); BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täter 4 = wistra 2003, 344; BGH v. 22.7.2004 – 5 StR 85/04, wistra 2004, 393; BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112; BGH v. 14.4.2010 – 1 StR 105/10. 5 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177. 6 Zur Garantenstellung von Steuerberatern vgl. Krekeler, PStR 2002, 183.

462 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.151 Kap. 11

b) Überwachergarant/Garantenstellung aus Ingerenz Die Garantenstellung kann sich auch aus einer Pflicht zur Überwachung/Beausichtigung Dritter bzw. aus sog. Ingerenz (vorangegangenes, pflichtwidriges Tun) ergeben.1 Eine solche Gefahr besteht in neuerer Zeit insbesondere für CFOs und CCOs.2 Denn durch die Übernahme eines Pflichtenkreises kann eine rechtliche Einstandspflicht i.S.d. § 13 Abs. 1 StGB begründet werden. Die Entstehung einer Garantenstellung hieraus folgt aus der Überlegung, dass demjenigen, dem Obhutspflichten für eine bestimmte Gefahrenquelle übertragen sind, dann auch eine „Sonderverantwortlichkeit“ für die Integrität des von ihm übernommenen Verantwortungsbereichs trifft.3 Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich sodann aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat.

11.149

Beispielsweise nahm der BGH eine Handlungspflicht zur Verhinderung bzw. Erschwerung einer Steuerhinterziehung der Geschäftsleitung durch Offenbarung von Wissen über die Umstände an, die Anknüpfungspunkt für ein Betriebsausgabenabzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG (hier Freigabe einer nicht abzugsfähigen Rechnung) sein können. Denn die Garantenpflicht aus vorangegangenem gefährdenden Tun beruht auf dem allgemeinen Gedanken, dass derjenige, der durch sein Verhalten die Gefahr eines Schadens geschaffen oder mitgeschaffen hat, rechtlich verpflichtet ist, den dadurch drohenden Schaden abzuwenden.4 Erforderlich ist jedoch, dass das vorangegangene Verhalten nicht nur gefahrschaffend oder -erhöhend, sondern zugleich pflichtwidrig war.5 Die Ingerenz ist nach dem Schutzzweck der die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens begründenden Norm begrenzt. Dies führt dazu, dass nicht jedes pflichtwidrige und zusätzlich gefahrverursachende Verhalten zu einer Garantenpflicht führt, sondern dass stets auf die Umstände des Einzelfalls hinsichtlich der Pflichtverletzung sowie des später eintretenden Erfolgs und ihres Verhältnisses zueinander abzustellen ist. Maßgeblich ist, ob die Pflichtwidrigkeit gerade in einer Verletzung eines solchen Gebots besteht, das dem Schutz des Rechtsguts zu dienen bestimmt ist (Pflichtwidrigkeitszusammenhang).6

11.150

Bei der Verwirklichung von Korruptionsstrafaten (im Ausland) hat dies steuerstrafrechtlich zur Folge, dass allein die Beteiligung an einer Bestechung keine Garantenstellung für die Erfüllung steuerlicher Pflichten des Bestechenden auslöst und damit die Nichtverhinderung oder -erschwerung der Steuerhinterziehung weder zu einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) noch zu einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 27 StGB) führt.7 Es kommt aber nach

11.151

1 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZWH 2017, 290; grundlegend hierzu RG v. 20.10.1893 – Rep. 2727/93, RGSt 24, 339 (340); BGH v. 22.1.1953 – 4 StR 417/52, BGHSt 4, 20 (22); Wessels/ Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1195; zur Garantenstellung von Steuerberatern vgl. Krekeler, PStR 2002, 183. 2 Zum Ganzen Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit, 127, 225; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1190. 3 BGH v. 17.7.2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44 (48); Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1190. 4 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZWH 2017, 290 unter Verweis auf BGH v. 13.11.1963 – 4 StR 267/63, BGHSt 19, 152 (154); BFH v. 26.6.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 (115) sowie BFH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381 (397). 5 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZWH 2017, 290 unter Verweis auf BGH v. 19.7.1973 – 4 StR 284/73, BGHSt 25, 218 (221 f.); BFH v. 6.5.1986 – 4 StR 150/86, BGHSt 34, 82 (84); BFH v. 26.6.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 (115) und BFH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381 (397); vgl. auch Kudlich in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB4, § 13 Rz. 24 m.w.N. 6 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZWH 2017, 290. 7 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZWH 2017, 290.

Peters | 463

Kap. 11 Rz. 11.151 | Steuerhinterziehung

Ansicht des BGH eine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) in Betracht, wenn derjenige, der durch Bestechungshandlungen ein Betriebsausgabenabzug gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG auslöst, infolge regelhafter Abläufe bei der Verbuchung von Rechnungen die Geltendmachung der Beträge als Betriebsausgaben herbeiführt, weil er den Steuerpflichtigen bzw. Erklärungspflichtigen nicht über die Gründe informiert, die zum Abzugsverbot geführt haben.1

11.152

Die bloße Nichtzahlung der Steuer ist grundsätzlich straflos, sofern der Steuerpflichtige zuvor die ihn betreffenden steuerlichen Erklärungspflichten erfüllt hat. Eine Ausnahme bildet § 26 Buchst. b UStG. Der Täter muss zudem in der Lage gewesen sein, die gebotene Handlung vorzunehmen. Daran fehlt es etwa im Falle der Handlungsunfähigkeit. Dies gilt indes nicht, wenn der Steuerpflichtige sich selbst in vorwerfbarer Weise außerstande gesetzt hat, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen (fehlende Aufzeichnungen, Vernichtung von Unterlagen). Dies entlastet insoweit nicht (omissio in libera in causa). Fehl geht auch der Einwand, dass dem Steuerpflichtigen die finanziellen Mittel gefehlt haben, einen Steuerberater zu beauftragen.

10. Steuerhinterziehung und abweichende Rechtsauffassung 11.153

Eine immer wiederkehrende und besonders im Internationalen Steuerstrafrecht relevante Problematik stellt die unzureichende oder unterbliebene Kenntlichmachung abweichender Rechtsansichten in der Steuererklärung dar,2 etwa was die sog. Verrechnungspreise betrifft oder die rechtliche Einordnung grenzüberschreitender Sachverhalte. Eine solche Pflicht zur Kenntlichmachung ergibt sich nunmehr aus § 150 Abs. 7 AO; erfasst jedoch nur Fälle in denen amtliche Erklärungsvordrucke abgegeben werden. Auch die amtlichen Vordrucke sehen nunmehr eine Spalte für Zweifelsfragen, entsprechend den US-amerikanischen Disclosure Statements,3 vor.

11.154

In praktischer Hinsicht ist stets von Beudeutung und ggf. Indiz, das zumindest zur Bejahung eines Anfangsverdachts und damit zu Einleitung eines Ermittlungsverfahrens führt, die Frage, warum ein Steuerpflichtiger der von der Zulässigkeit einer meist transnationalen (steuerfreien oder steuerlich günstigen) Gestaltung überzeugt ist, nicht im Vorhinein eine entsprechende verbindliche Auskunft nach § 89 AO zumindest beantragt und die Finanzbehörde „mit ins Boot“ geholt hat. Eine Vielzahl der Fälle in der Praxis zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass entsprechende Sachverhalte gegenüber den Finanzbehörden – wennn überhaupt – möglichst „schlank“ oder verklausuliert dargestellt werden.4 Diese Problematik wird zukünftig durch die Anzeigepflicht steuerlicher Gestaltungsmodelle noch verschärft werden (Rz. 9.83 ff., 15.39).

1 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZWH 2017, 290. 2 Zum Ganzen ausführlich Peters, Betrug und Steuerhinterziehung trotz Erklärung wahrer Tatsachen, 2010, 315 ff.; Wulf in FS Streck, 2011, 627; Randt in FS Schaumburg, 2009, 1255; Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 237 ff.; Sontheimer, DStR 2014, 357; Pflaum in Wabnitz/ Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 53 f. 3 Form 8275, abrufbar unter www.irs.gov/pub/irs-pdf/f8275.pdf; hierzu auch Seer, StuW 2003, 40 (54). 4 So sagte bspw. ein Zeuge im ersten Cum-Ex Prozess aus, dass es erklärtes Ziel sämtlicher Berater war, größtmögliche Verwirrung zu stiften und die Sach- und Rechtslage möglichst komplex darzustellen und man sich zudem nur schwer verständlicher Begrifflichkeiten, wie bspw. „Arbitragegewinne“ bediente. Arbitrage ist indes in der Wirtschaft die ohne Risiko vorgenommene Ausnutzung von Kurs-, Zins- oder Preisunterschieden zum selben Zeitpunkt an verschiedenen Orten zum Zwecke der Gewinnmitnahme.

464 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.158 Kap. 11

Auch aus Durchsuchungen heraus ist festzustellen, dass sich Steuerpflichtige oftmals intensiv mit der Frage einer Steuerpflicht beschäftigen (Aufsätze, Google Recherche, anwaltliche Gutachten im Safe), indes die Finanzverwaltung nur in den seltensten Fällen von diesen Überlegungen in Kenntnis gesetzt, sondern still und heimlich die „günstigere“ Sichtweise zu Grunde gelegt wird.

11.155

Beispiel: A behandelt die Entschädigungsleistung eines Konzerns für den neben seinem Wohnhaus entstehenden Büroneubau nach umfassender Recherche und nach anwaltlicher Beratung als steuerfrei, obgleich ihm durchaus andere Auffassungen bekannt sind. Im Rahmen der Durchsuchung finden sich entsprechende Recherchen und Berechnungen zur möglichen Steuerpflicht. In Chats mit anderen betroffenen Anwohnern ist man sich entsprechend einig.

Bereits das Reichsgericht ging davon aus, dass eine Steuerhinterziehung vorliegen kann, wenn in der Steuererklärung bewusst, aber verschleiert von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs abgewichen wird.1

11.156

„Wenn wirklich der Angeklagte von der Richtigkeit seiner abweichenden Auffassung überzeugt gewesen wäre, hätte es ihm freigestanden, in der Steuererklärung seine abweichende Auffassung zu vertreten. Er handelte aber mit bedingtem Vorsatz, wenn er die Steuererklärung oder ihre Unterlagen absichtlich so herstellte, daß ein nach der Rechtsprechung des RFH bestehender Steueranspruch verschleiert wurde.“

Der BGH geht im Grundsatz davon aus, dass es dem Steuerpflichtigen freistehe, jeweils die ihm günstigste Rechtsauffassung zu vertreten und dieser keine unrichtigen Angaben mache, wenn er offen oder verdeckt eine ihm günstige unzutreffende Rechtsansicht vertrete, aber die steuerlich erheblichen Tatsachen richtig und vollständig vortrage und es dem Finanzamt ermögliche, die Steuer unter abweichender rechtlicher Beurteilung zutreffend festzusetzen.2 Dabei verkennt der BGH nicht, dass sich aufgrund der Formalisierung der Steuererklärung die Angaben zumeist in der sachverhaltslosen Wiedergabe quantifizierter Beträge erschöpfen. Der Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 1 Satz 2 AO wird jedoch entnommen, dass die Beteiligten im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen haben und eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente besteht, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist.3

11.157

Den Ausführungen des BGH kann entnommen werden, dass, selbst wenn der Steuerpflichtige auf seine Rechtsansicht hinweist oder den Sachverhalt schildert, dies in der Art und Weise zu geschehen hat, dass sich die Finanzbehörde damit auch auseinandersetzen kann und ggf. eine abweichende rechtliche Beurteilung vornehmen kann. Dem Finanzamt soll faktisch die Möglichkeit gegeben werden, sich inhaltlich mit den Angaben des Steuerpflichtigen auseinandersetzen zu können.4 Denn andernfalls könnte der Hinweis auch gänzlich unterbleiben. Mitunter wird davon ausgegangen, dass die vorgenannte Entscheidung des BGH zur Kenntlich-

11.158

1 RG v. 26.6.1934 – g.L. 4 D 79/34, RGSt 68, 234. 2 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203 unter Verweis auf BGH v. 19.12.1990 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 (284). 3 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203 unter Verweis auf BGH v. 15.11.1994 – 5 StR 237/94, wistra 1995, 69; BGH v. 8.8.1985 – 2 ARs 223/85, StV 1985, 487. Dies ist nach Ansicht des BGH insbesondere dann der Fall, wenn die vom Steuerpflichtigen vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweicht. Bestätigt in BGH v. 23.2.2000 – 5 StR 570/99, NStZ 2000, 320 (321). Im Grundsatz zustimmend Kuhn/Weigell, Steuerstrafrecht2, Rz. 13. 4 In diesem Sinne auch Seer, StuW 2003, 40 (53), der auf das im amerikanischen Selbstveranlagungssystem verwandte Disclosure Statement (Form 8275) verweist, wonach der Steuerpflichtige als kritisch erkannte Punkte in einer separaten Anlage zu offenbaren hat.

Peters | 465

Kap. 11 Rz. 11.158 | Steuerhinterziehung

machung abweichender Rechtsansichten nur allzu gern missverstanden werde.1 Die zugrunde liegenden Fallkonstellationen zeigten vielmehr, dass nicht jede von der Verwaltungsauffassung abweichende Verbuchung nunmehr als Steuerhinterziehung zu behandeln sei.2 Unzutreffende Ansichten seien solange keine Täuschung über steuerlich erhebliche Tatsachen, wie sie sich im Rahmen des Vertretbaren bewegten.3

11.159

Indes ist eine umfassende Pflicht zur Kenntlichmachung abweichender Rechtsansichten abzulehnen und nicht erforderlich im Falle vertretbarer Rechtsansichten.4 5 Nur unvertretbare Rechtsauffassungen stellen kein Werturteil mehr dar, sondern eine unrichtige Tatsache.6

11.160

Das Kernproblem besteht aber in praktischer Hinsicht nicht in der Frage ob eine Kenntlichmachung zu erfolgen hat. Es wäre an der tatsächlichen Praxis vorbei argumentiert, diese Pflicht gänzlich zu verneinen. Die Problematik liegt vielmehr in der Grenzziehung zwischen einer vertretbaren und einer unvertretbaren Ansicht, die nur anhand des Einzelfalls gelöst werden kann, sich aber einer abstrakten Beantwortung entzieht.

11.161

Der Steuerpflichtige ist daher auch weiter gut beraten, zweifelhafte Konstruktionen von vornherein offenzulegen.7 Im Hinblick auf sehr zweifelhafte Gestaltungen ist zu empfehlen, sogleich im Anschreiben auf die Abweichung hinzuweisen, speziell wenn nur divergierende Verwaltungsauffassungen bekannt sind. Zwar wird der Steuerpflichtige sich auf steuerliche Streitigkeiten einzustellen haben; bewahrheitet sich jedoch seine von ihm für richtig erachtete Auffassung, entsteht ihm kein steuerlicher Nachteil. Sollte die Auffassung unrichtig sein oder die Finanzgerichtsbarkeit abweichend entscheiden, dürfte der Vorwurf einer (versuchten) Steuerhinterziehung schwerlich haltbar sein. Auch das Bundesfinanzministerium geht mittlerweile in einigen Fällen davon aus, dass die Offenlegungspflicht alle Sachverhaltselemente umfasst, die nach der Rechtsprechung, den Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Verwaltungspraxis von Bedeutung sein können, auch wenn sie nach einer von den Beteiligten vertretenen Rechtsauffassung nicht relevant sind.8 1 2 3 4

5 6 7 8

Harms, Stbg 2005, 12 (14). Harms, Stbg 2005, 12 (14). Harms, Stbg 2005, 12 (14); so auch Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 179 f. Blumers/Göggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren2, Rz. 279; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. III2, 1189; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 179 f.; Krieger, Täuschung über Rechtsauffassungen, 106; Bilsdorfer, PStR 2000, 150 (153); Danzer in Kohlmann, Strafverfolgung und Strafverteidigung, 67, 94, 95; Dörn, wistra 2000, 334 (335); Hild, BB 2001, 493 (494); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 234 ff.; Kuhn/Weigell, Steuerstrafrecht2, Rz. 13; Lindenthal, Mitwirkungspflichten, 19; Hanssen, Steuerhinterziehung, 151; eine Pflicht verneinend, die Notwendigkeit aber bejahend auch Irrgang, DB 1988, 781 (782); Mösbauer, StBp 2004, 229 (233); Müller, Vorsatz und Erklärungspflicht, 269; Randt, Steuerfahndungsfall, D 19; Schick, StuW 1988, 301 (319); Weyand, INF 2000, 726. Eine umfassendere Pflicht zur Offenbarung bejahend hingegen Schlüchter, Steuerberatung, 55; Lohmeyer, GA 1972, 302 (306); Lohmeyer, GA 1973, 97 (103); Meine, wistra 1992, 81 (84); Mihm, Strafrechtliche Konsequenzen verdeckter Gewinnausschüttungen, 122 ff. m.w.N. Meilicke, BB 1984, 1885 (1886, 1888); Hanssen, Steuerhinterziehung, 151; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 179 f.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 244; so auch OLG Düsseldorf v. 2.2.1989 – 3 Ws 953/88, Stbg 1991, 521. Hierzu Schaumburg in Leitner/Dannecker, Finanzstrafrecht 2003, 177 (180); Randt, Steuerfahndungsfall, D 28; Harms, Stbg 2005, 12 (14); Breuer, AO-StB 2004, 14 (17); Blumers in StbJb 1983/ 84, 319 (335). Entwurf des BMF v. 19.1.2007, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen in Fällen grenzüberschreitender Verlagerungen von Funktion (Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung).

466 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.163 Kap. 11

11. Steuerhinterziehung durch Unterlassen Wegen Steuerhinterziehung wird ebenso gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestraft, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.1 Im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO kommt es hier auf die Unkenntnis der Finanzbehörde an.2 Das Merkmal der steuerlich erheblichen Tatsache ist wie bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu verstehen. Die (rechtzeitige) Pflicht zur Angabe gilt, anders als bei § 370 Abs. 1 Nr.1 AO, gegenüber Finanzbehörden. Wegen des Merkmals der Pflichtwidrigkeit in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist der Täterkreis im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf besonders Verpflichtete beschränkt. Dies ist insbesondere der Steuerpflichtige (§ 33 Abs. 1 AO).3 Die Verpflichtung kann sich aus der Abgabenordnung und § 13 StGB ergeben (z.B. Compliance Officer).4 Da über § 369 Abs. 2 AO für Steuerstraftaten die allgemeinen Gesetze über das Strafrecht nur gelten, soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen, gilt § 13 StGB nicht uneingeschränkt. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestimmt mit dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit spezielle steuerrechtliche Erklärungs-, Berichtigungs- und Offenbarungspflichten (z.B. §§ 34, 35, 90, 93, 93a, 93b, 97, 135, 137–139, 149, 153, 200 AO, § 25 Abs. 3, § 41a, § 45a Abs. 1 EStG, § 31 Abs. 1a KStG, § 18 Abs. 1 UStG, §§ 30, 31, 33, 34 ErbStG), die durch § 13 StGB nicht ausgehebelt werden.5 § 13 StGB kommt nur dann zur Anwendung, wenn steuerrechtliche Regelungen gänzlich fehlen.6

11.162

a) Das Merkmal der Unkenntnis aa) Einführung Erforderlich ist weiter, dass der Steuerpflichtige die Finanzbehörde pflichtwidrig in Unkenntnis lässt. Virulent wird diese Problematik im Internationalen Steuerstrafrecht insbesondere vor dem Hintergrund automatischer, grenzüberschreitender Kontrollmitteilungen.7 Bereits am 20.7.2013 billigten die Finanzminister und Notenbankgouverneure der G20 den OECDVorschlag zu einem globalen Modell für den automatischen Austausch im multilateralen Rahmen. Am 6.9.2013 bekräftigten die Staats- und Regierungschefs der G20 diese Botschaft. Daraus resultierte der am 15.7.2014 verabschiedete neue globale Standard für den internationalen automatischen Informationsaustauch in Steuersachen (AIA) der OECD, bestehend aus dem Standard für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten.8 Auf Bundesebene wurde Ende 2015 das entsprechende Ratifikationsgesetz, das Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten (Finanzkonten-Informationsaus-

1 Zum Ganzen Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001; Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, 1996; zum Verhältnis von § 370 Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 2 AO vgl. auch Peters, Betrug und Steuerhinterziehung trotz Erklärung wahrer Tatsachen, 237 ff. 2 Zu den Konsequenzen vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 271, 575 ff., 1101. 3 Zu gesetzlichen Vertretern vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 291 ff. 4 Vgl. BGH v. 17.7.2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 54; zur Verpflichtung aus § 153 AO vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 345; vgl. auch Rz. 11.287 ff. 5 Vgl. auch BGH v. 20.12.1995 – 5 StR 412/95, wistra 1996, 184 (188); BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/ 06, wistra 2007, 224 (226); zum Ganzen Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 279. 6 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 43. 7 Zum Ganzen auch Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 246 ff. 8 http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-den-automatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf.

Peters | 467

11.163

Kap. 11 Rz. 11.163 | Steuerhinterziehung

tauschgesetz – FKAustG) verabschiedet.1 Das FKAustG sieht vor, dass das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) den zuständigen Behörden der anderen EU-Mitgliedstaaten sowie Drittstaaten die Daten nach dem gemeinsamen Meldestandard zum automatischen Austausch von Informationen zu Finanzkonten in Steuersachen elektronisch übermittelt. Es handelt sich hierbei insbesondere um die Mitteilung von: – Name, Anschrift, Steueridentifikationsnummer sowie Geburtsdatum und -ort jeder meldepflichtigen Person, – Kontonummer, – Jahresendsalden der Finanzkonten, – gutgeschriebene Kapitalerträge, einschließlich Einlösungsbeträgen und Veräußerungserlösen. bb) Kenntnisstand

11.164

Strittig und ungeklärt ist weiter, auf wessen Kenntnisstand es ankommt. Maßgeblich sein könnte die Kenntnis bzw. Unkenntnis des Sachbearbeiters oder des Behördenleiters. Die Rspr. hat eine unübersichtliche und z.T. widersprüchliche Kasuistik entwickelt, deren Durchschaubarkeit zusätzlich dadurch erschwert wird, dass die Entscheidungen zumeist zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 ergangen sind und bei dieser Alternative umstritten ist, ob sie überhaupt einen Irrtum der Finanzbehörde voraussetzt. Die FG sind überwiegend der Auffassung, dass die Kenntnis des Sachbearbeiters von dem wahren Sachverhalt eine Steuerhinterziehung nicht ausschließt.2 Einige Strafgerichte3 vertreten ebenfalls diesen Standpunkt und auch der BGH4 hatte in einer zu § 396 RAO 1931 ergangenen Entscheidung die Kenntnis des Behördenleiters als maßgeblich erachtet. Für die Neufassung des Steuerhinterziehungstatbestands scheinen die Strafgerichte dagegen der Auffassung zu sein, dass es auf den Kenntnisstand des Sachbearbeiters ankomme.5 Die Kenntnis der vorgesetzten Finanzbehörden von einer steuerrechtswidrigen Par1 Gesetz zum Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze v. 21.12.2015, BGBl. II 2015, 2531; vgl. auch BT-Drucks. 18/5920: BT-Drucks. 18/6667; Czakert, DStR 2015, 2697; vgl. auch Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung v. 29.10.2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten v. 21.12.2015, BGBl. II 2015, 1630. Geänderte Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (Amtshilferichtlinie), ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1; ABl. EU 2014 Nr. L 359, 1. 2 BFH v. 28.4.1998 – IX R 49/96, DB 1998, 1599 (1600), m. abl. Bespr. Achenbach, KFR F. 2 AO § 370, 1/98, S. 319 (320); BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, BFH/NV 2006, 384; FG Saarland v. 2.7.1991 – 1 K 315/90, wistra 1991, 353 (354). 3 AG Saarbrücken v. 20.10.1986 – 35-396/85, wistra 1988, 202. Offensichtlich auch BayObLG v. 29.4.1997 – 4 St RR 35/97, wistra 1997, 313, da es – ohne nähere Begründung – eine Steuerhinterziehung einer Finanzbeamtin bejahte, die zu eigenen Gunsten Steuererstattungsvorgänge fingiert hatte. 4 BGH v. 26.11.1954 – 1 StR 740/53, ZfZ 1955, 90. 5 BGH v. 14.12.1983 – 3 StR 452/83, BGHSt 32, 203 (208); BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (293); BGH v. 7.9.1988 – 3 StR 178/88, wistra 1989, 29; BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63 (64); BGH v. 21.2.2001 – 5 StR 368/00, wistra 2001, 263 (264 f.); BayObLG v. 14.3.2002 – 4 St RR 8/2002, wistra 2002, 393. Unklar allerdings BGH v. 21.10.1997 – 5 StR 328/ 97, NStZ 1998, 91, weil sich dem Beschluss nicht entnehmen lässt, ob die Finanzbeamtin, die – wie in dem Fall des BayObLG v. 29.4.1997 – 4 St RR 35/97, wistra 1997, 313 – Steuererstattungsvorgänge fingiert hatte, die zuständige Sachbearbeiterin war; offensichtlich hatte sie die Letztentscheidung nicht getroffen.

468 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.165 Kap. 11

teispendenpraxis sei jedenfalls irrelevant.1 Die Literatur2 stellt ebenfalls überwiegend auf den Kenntnisstand des Sachbearbeiters ab. Auf die Unkenntnis des Behördenleiters kann es schon deshalb nicht ankommen, weil er die Umstände des einzelnen Steuerfalls praktisch nie kennt und das Merkmal der Unkenntnis deshalb jede Funktion verlieren würde.3 Nach der innerbehördlichen Organisation ist jeder Finanzbeamte für die Entscheidungen in seinem Tätigkeitsbereich verantwortlich, so dass konsequenterweise die Kenntnis des Sachbearbeiters entscheidend sein muss. Der Tatbestand würde zudem niemals eingreifen, wenn der Kenntnisstand des Behördenleiters maßgeblich wäre, weil es keine steuerrechtliche Pflicht gibt, gerade ihm die steuerlich erheblichen Tatsachen zu offenbaren. Die Vertreter der Gegenmeinung geben für ihre Sicht, dass eine Steuerhinterziehung auch bei Kenntnis des Sachbearbeiters von dem wahren Sachverhalt anzunehmen sei, im Übrigen keine tragfähige Begründung. Es überzeugt nicht, dass der Finanzbeamte, der mit dem Steuerpflichtigen kollusiv zusammenwirkt, indem er in der Art eines Steuerberaters den Steuerpflichtigen „betreut“ und zudem dessen Veranlagung durchführt, nicht „als Finanzbehörde“ handele, sondern dieser gegenüber verdeckt auftrete, um dem Steuerpflichtigen einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen.4 Der Verstoß gegen Dienstpflichten nimmt einer Verrichtung nicht den Charakter einer Diensthandlung. §§ 332, 334 StGB bestimmen dies für den Fall der Bestechung im Übrigen ausdrücklich. Diese Tatbestände wären konsequenterweise nicht anwendbar, wenn es zuträfe, dass ein Beamter, der kollusiv unter Verletzung seiner Dienstpflichten mit einem anderen zusammenwirkt, nicht als Amtsträger, sondern quasi als Privatperson handeln würde. Auch das weitere Argument, die Angaben seien unvollständig, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Veranlagungsbeamten nicht aus den Akten erkennbar sei,5 trifft nicht zu, da die Beziehungen zwischen dem Steuerbürger und dem sachbearbeitenden Beamten für das Bestehen oder die Höhe des Steueranspruchs irrelevant, mithin nicht steuerlich erheblich sind. Auch der Strafzumessungsvorschrift des § 370 Abs. 3 Nr. 2, 3 AO, die im Falle des Missbrauchs der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger bzw. der Ausnutzung der Mithilfe eines solchen Amtsträgers eine erhöhte Strafe androht, ist nicht zu entnehmen, dass § 370 AO auf den Sachbearbeiter anwendbar ist,6 da auch Konstellationen denkbar sind, in denen ein unzuständiger Amtsträger seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.7 Im Übrigen würde der Sachbearbeiter ohnehin aus dem gleichen Strafrahmen bestraft, da sein Verhalten die Voraussetzungen der Untreue gem. § 266 StGB erfüllt8 und § 266 Abs. 2 StGB i.V.m. § 263 Abs. 3 1 BGH v. 19.12.1990 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 (280 f.). 2 Achenbach, KFR F. 2 AO § 370, 1/98, S. 319 (320); Gössel, wistra 1985, 125 (134 f.); Hoff, Handlungsunrecht, 73 f.; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 158; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 585, der die Problematik im Kontext des fehlenden Zurechnungszusammenhangs verortet; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Rz. 174; Volk, wistra 1983, 219 (221); Weyand, wistra 1988, 180 (182); a. A. Giemulla, Die Strafbarkeit des Steuerbeamten wegen Steuerhinterziehung nach der AO 1977, 24, 56, 80; Senge in Erbs/Kohlhaas, A 24, Rz. 17; im Falle des kollusiven Zusammenwirkens von Steuerpflichtigem und Sachbearbeiter sei die Kenntnis des Behördenleiters maßgeblich. 3 Hoff, Handlungsunrecht, 73 f. 4 So aber BFH v. 28.4.1998 – IX R 49/96, DB 1998, 1599 (1600); FG Saarland v. 2.7.1991 – 1 K 315/ 90, wistra 1991, 353 (354). 5 FG Saarland v. 2.7.1991 – 1 K 315/90, wistra 1991, 353 (354). 6 So aber der BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63 (64), und das FG Saarland v. 2.7.1991 – 1 K 315/90, wistra 1991, 353 (354). 7 S. LG Saarbrücken v. 14.7.1987 – 5 II 1/87, wistra 1988, 202 f. 8 BGH v. 21.10.1997 – 5 StR 328/97, NStZ 1998, 91; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 585; Weyand, wistra 1988, 180 (182 f.).

Peters | 469

11.165

Kap. 11 Rz. 11.165 | Steuerhinterziehung

Nr. 4 StGB bei einem Missbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger dieselbe Strafschärfung vorsieht.

11.166

Bei wörtlichem Verständnis scheint der Täter die Finanzbehörde, d.h. den Sachbearbeiter, über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen, wenn er ihr sein Wissen über die Besteuerungstatsachen vorenthält, statt es ihr (pflichtgemäß) zu offenbaren. Diese Beschreibung ist jedoch nicht geeignet, das tatbestandsmäßige Verhalten i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vom Machen unvollständiger Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) begrifflich zu unterscheiden und vollständig in seinem Bedeutungsgehalt zu erfassen, da auch derjenige, der unrichtige oder unvollständige Angaben macht, der Finanzbehörde sein Wissen über die wahren steuerlich erheblichen Tatsachen verschweigt. cc) Automatisierte Mitteilungen

11.167

In der Regel wird die Einordnung unvollständiger Angaben als Tat nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AO zwar keine abweichenden Ergebnisse haben, da der Täter zur Abgabe vollständiger Erklärungen verpflichtet sein wird, so dass beide Alternativen erfüllt wären. Es gibt aber Konstellationen, in denen Strafbarkeitslücken auftreten, wenn das Machen unvollständiger Angaben unter § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu subsumieren wäre. Dies gilt zunehmend für den Bereich der automatisierten (grenzüberschreitenden) Mitteilungen (Rz. 9.69 ff.).

11.168

Die Abgrenzung beider Alternativen kann auch nicht überzeugend auf das äußere Erscheinungsbild gestützt werden. Das hätte nämlich zur Folge, dass immer dann, wenn der Steuerpflichtige überhaupt Angaben gemacht hat, eine Steuerhinterziehung durch Tun nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO anzunehmen wäre, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dagegen vorläge, wenn der Erklärungspflichtige entweder keine Angaben macht oder er seine Erklärung jedenfalls nicht fristgemäß abgibt. Dieses Kriterium versagt, wenn der Steuerpflichtige den Vordruck für die Steuererklärung unterschrieben, jedoch unausgefüllt zurückgibt und beantragt, die Steuer zu schätzen, weil er erwartet, die Schätzung werde niedriger ausfallen als die Veranlagung bei wahrheitsgemäßer Abgabe der Steuererklärung. Der Steuerpflichtige macht zwar im wörtlichen Sinn unvollständige Angaben gegenüber der Finanzbehörde, eine taugliche Tathandlung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht darin dennoch nicht. Diese besteht nämlich in einer Täuschung. Der Steuerpflichtige täuscht die Finanzbehörde in diesem Fall aber nicht, da die Finanzbehörde, d.h. der zuständige Sachbearbeiter, weiß, dass die Angaben unvollständig sind.

11.169

Das Merkmal des pflichtwidrigen in Unkenntnis lassen ist aus den vorgenannten Gründen zusammen zu lesen. Das tatbestandsmäßige Verhalten ist deshalb – unabhängig davon, ob der Erklärungspflichtige Angaben gemacht hat oder gänzlich untätig geblieben ist – nach seiner Wirkung auf den Kenntnisstand der Finanzbehörde zu beschreiben. Die Finanzbehörde lässt danach in Unkenntnis, wer ihr entweder sämtliche steuerlich erheblichen Informationen vorenthält, so dass ihr der gesamte Steuerfall unbekannt bleibt,1 oder jedenfalls die für Festsetzung der konkreten Steuer erforderlichen Besteuerungstatsachen nicht mitteilt. Da § 168 Satz 1 AO die Steueranmeldung der Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstellt, lässt ein der Finanzbehörde bekannter Steuerpflichtiger diese in Unkenntnis, wenn er die Steueranmeldung nicht bzw. nicht fristgemäß abgibt.2

1 BGH v. 20.5.1981 – 2 StR 666/80, BGHSt 30, 122 (124 f.); Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 230 f. 2 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 230 f.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 318; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO Rz. 65.

470 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.173 Kap. 11

Der Wortlaut des Gesetzes spricht nämlich von „in Unkenntnis lassen“, knüpft mithin an ein passives Tun an.1 Die konkrete Unkenntnis ist im Sinne einer personifizierten Betrachtungsweise zu bestimmen. Dies ergibt sich zunächst aus der Struktur des Tatbestandes der Steuerhinterziehung, der sich nicht auf den bloßen Vergleich von Informationslagen beschränkt, sondern an das Interaktionsverhältnis von Steuerpflichtigem und Finanzbehörde anknüpft „wer in Unkenntnis lässt“. Die Beschreibung der Tathandlung ist zumindest dem Betrug entlehnt, wenn nicht gar hieraus entnommen und auch die Tatsache, dass es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Kommunikationsdelikt handelt, spricht gegen den bloßen Vergleich von Ist- und Soll- Informationen.

11.170

Hätte der Gesetzgeber die Unkenntnis allein über einen Vergleich der Ist-Information mit der Soll-Information bestimmen wollen, so wäre es ausreichend gewesen, den Tatbestand dahingehend zu formulieren, dass der Steuerpflichtige den Finanzbehörden nicht die zur Besteuerung relevanten Informationen übermittelt. Auch die grundsätzliche Möglichkeit der Steuerhinterziehung mittels einer konkludenten Täuschung spricht gegen ein Abstellen auf die objektive Beweislage.

11.171

So geht auch das BayObLG davon aus, dass es nicht genüge, wenn irgendeine der in § 6 Abs. 2 AO genannten bzw. im Gesetz über die Finanzverwaltung (FVG) aufgeführten Finanzbehörden über die für die Steuerfestsetzung erforderlichen Kenntnisse verfügt.2 Maßgeblich könne nur der Kenntnisstand des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten des Finanzamts sein. Dieser müsse vor Veranlagungsschluss über die positive Kenntnis aller Tatsachen verfügen, die für eine zutreffende Steuerfestsetzung erforderlich sind und gebotenenfalls auch alle hierfür notwendigen Beweismittel i.S.d. § 92 AO besitzen. Das BayObLG erwähnt die Beweismittel hier neben der Kenntnis des Finanzbeamten. An der gegenläufigen Auffassung des BayObLG im Urteil vom 3.11.19893 wurde ausdrücklich nicht festgehalten. Ein Abstellen auf die objektive Beweislage kann auch deswegen nicht ausreichend sein, weil das Gesetz allein auf das Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben abstellt, der Tatbestand der Steuerhinterziehung jedoch nicht an die Abgabe einer Steuererklärung gebunden ist.4 Der BGH führte zur Frage des Kenntnisstandes bei unterschiedlichen Steuerarten – ohne den Fall jedoch abschließend entscheiden zu müssen – aus:5 „Diese umfassende Kenntnis müsste zudem bei dem für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten des Finanzamts vorliegen.“

11.172

Auch das BayObLG vertritt diesen Standpunkt6 und in der Tat wird der Steuerpflichtige dadurch nicht unbillig belastet. Denn wie Joecks zu Recht bemerkt, fehlt dem Steuerpflichtigen bei unterschiedlichen Steuerarten in der Regel der Verkürzungsvorsatz, wenn er davon ausgeht, die Finanzbehörde werde aufgrund innerbehördlicher Kommunikation die Angaben in seiner Steuererklärung auch dem Beamten der anderen Abteilungen zuleiten.7

11.173

1 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 60b f. 2 BayObLG v. 14.3.2002 – 4 St RR 8/2002, wistra 2002, 393. Dem Urteil lag die Problematik zu Grunde, ob die Kenntnisse eines Umsatzsteuer-Sonderprüfers bzw. die Prüfungsergebnisse dem zuständigen Veranlagungsbeamten zuzurechnen waren und mithin eine Kenntnis der Behörde vom wahren Sachverhalt vorlag. Vgl. hierzu auch die Anmerkung von Werner, PStR 2003, 4. 3 BayObLG v. 3.11.1989 – RReg. 4 St 135/89, wistra 1990, 159. 4 Randt, Steuerfahndungsfall, D3. 5 BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, NStZ 2000, 38. 6 BayObLG v. 14.3.2002 – 4 St RR 8/2002, wistra 2002, 393. 7 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 230 f.

Peters | 471

Kap. 11 Rz. 11.174 | Steuerhinterziehung

11.174

Erlangt die Finanzbehörde auf anderem Wege Kenntnis oder Verfügungsgewalt von den steuerlich relevanten Tatsachen, suspendiert dies indes die originäre Steuererklärungspflicht nicht. Der Steuerpflichtige bleibt auch weiterhin selbst zur Erklärung der entsprechenden Tatsachen verpflichtet.1 Zwar scheidet in derartigen Fällen eine vollendete Steuerhinterziehung durch Unterlassen aus, indes kommt eine Strafbarkeit wegen (untauglichen) Versuchs in Betracht. Der gegenteiligen Auffassung kann nicht gefolgt werden.2 Die Finanzbehörde muss derart ins Bild gesetzt sein, dass sie zumindest eine Schätzung vornehmen kann.

11.175

Im Internationalen Steuerstrafrecht wird die Frage nach dem Kenntnisstand der Finanzbehörden insbesondere dann relevant, wenn die automatische Übermittlung von Informationen aus dem Ausland in Rede steht,3 bspw. wenn Daten auf Basis eines grenzüberschreitenden automatischen Informationsaustausches für Finanzkonten (AIA) nach dem Common Reporting Standard (CRS) auf der Grundlage des „Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen“ (FKAustG) übermittelt werden.4 Daten, die von mitteilungspflichtigen Stellen nach Maßgabe des § 93c AO an die Finanzverwaltung übermittelt wurden, gelten gem. § 150 Abs. 7 Satz 2 AO als Angaben des Steuerpflichtigen, soweit er nicht in einem dafür vorzusehenden Abschnitt oder Datenfeld der Steuererklärung abweichende Angaben macht.5 Dies bedeutet indes nicht, dass die Erklärungspflicht des Steuerpflichtigen gänzlich suspendiert wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Regelung des § 150 Abs. 7 Satz 2 AO inhaltlich nicht auf § 370 AO abgestimmt ist.6 Das OLG Oldenburg verkennt insoweit, dass Voraussetzung des § 150 Abs. 7 Satz 2 AO zudem eine abgegebene Steuererklärung ist und nur gilt, wenn die Daten auch tatsächlich übermittelt wurden.7 Zudem wird nicht bedacht, dass die Regelung nur für die in § 93c AO aufgeführten Einkünfte gelten, nicht aber bspw. für gewerbliche und freiberufliche Einkünfte.

11.176

Das OLG Köln führte in einem Fall, in dem es um die automatische Übermittlung von Informationen ging, aus, dass der Steuerpflichtige die Finanzbehörde nicht in „Unkenntnis“ lassen könne, wenn diese über alle wesentlichen Umstände informiert sei; Kenntnis schließe den Tatbestand aus.8 Das OLG Köln teilt in der vorliegend entscheidungserheblichen Frage die irrige Auffassung des Landgerichts, dass bei Kenntnis der Finanzbehörden von den wesentlichen steuerlich relevanten Umständen bezogen auf den maßgeblichen Veranlagungszeitpunkt eine vollendete Steuerhinterziehung durch Unterlassen ausscheidet, das Merkmal der Unkenntnis demzufolge in den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hineinzulesen ist.9 Bekannt sei dabei, was sich aus den dort zum konkreten Steuerfall geführten Akten ergibt oder dem 1 Vgl. auch LG Aurich v. 8.11.2017 – 12 Ns 310 Js 8712/15, ECLI:DE:LGAURIC:2017:1108. 12NS310JS8712.15.2000. Vgl. auch die Anmerkungen von Krug, wistra 2018, 194 und Webel, wistra 2018, 182. 2 OLG Köln v. 31.1.2017 – III-1 RVs 253/16, wistra 2017, 363; vgl. auch die Anmerkungen von El Mourabit, NWB 2017, 2579; Roth, NZWiSt 2017, 308; Webel, wistra 2017, 366; Häger, wistra 2017, 369. 3 Hierzu Franke-Rohericht/Peter, StB 2018, 27. 4 Hierzu Peters in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 399 AO Rz. 246 ff. 5 Ausführlich zum Ganzen Häger, wistra 2017, 369; vgl. auch Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 60b f. 6 A.A. OLG Oldenburg v. 10.7.2018 – 1 Ss 51/18 unter Verweis auf Webel, wistra 2018, 179. 7 Roth, wistra 2018, 153. 8 OLG Köln v. 31.1.2017 – III-1 RVs 253/16, wistra 2017, 363; vgl. auch die Anmerkungen von El Mourabit, NWB 2017, 2579; Roth, NZWiSt 2017, 308; Webel, wistra 2017, 366; Häger, wistra 2017, 369; ebenso OLG Oldenburg v. 10.7.2018 – 1 Ss 51/18. 9 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140; BFH v. 28.4.1998 – IX R 49/96, DStZ 1998, 811; BayObLG v. 14.3.2002 – 4 St RR 8/2002, wistra 2002, 393; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 60

472 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.179 Kap. 11

zuständigen Bearbeiter sonst bekannt ist. Dabei mache es keinen Unterschied, ob sich die Umstände aus den Akten selbst ergeben oder – wie in dem zu beurteilenden Fall – in dem elektronischen Register zur Verfügung stehen, auf welches der Sachbearbeiter im Rahmen seiner konkreten Zuständigkeit jederzeit Zugriff hat. Schon begrifflich könne der Steuerpflichtige die zuständige Finanzbehörde nicht in „Unkenntnis“ lassen, wenn diese in Wirklichkeit über alle wesentlichen für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Umstände informiert sei. Die Kenntnis bezogen auf den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung schließe vielmehr den Tatbestand aus.1 Der Gegenansicht wird vorgeworfen, dass wenn man alleine auf die Verletzung der Handlungspflichten abstellen wollen würde, dies sich mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vertrage. Das OLG ging zutreffend davon aus, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen der einzelnen Steuern schützt, zieht daraus jedoch nicht die entsprechenden Schlüsse bzw. verkennt, dass es sich bei dem Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht um ein Verletzungs- sondern wie dargelegt, um ein Gefährdungsdelikt handelt. Zweck des § 370 AO ist es zwar nicht primär die steuerlichen Mitwirkungs- und Erklärungspflichten als solche zu schützen, indes wird nicht ausreichend beachtet, dass die Verletzung der Mitwirkungspflichten Voraussetzung jeden tatbestandsmäßigen Verhaltens ist und die Erfüllung der entsprechenden Mitwirkungspflichten auch bei automatischer Übermittlung durch die Finanzbehörden nicht suspendiert wird.2

11.177

Die Sichtweise des OLG Köln hätte vielmehr die fatale Konsequenz, dass in Fällen der Pflichtveranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB, bei denen beide Ehegatten Einkünfte aus Arbeit beziehen und einer von ihnen nach der Steuerklasse V besteuert wird, die Vorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ins Leere läuft. Denn das OLG führt ausdrücklich aus, dass es in diesen Fällen durch die dem Arbeitgeber nach § 41 Buchst. b EStG obliegende Verpflichtung zur Übermittlung der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung an einer Unkenntnis der Finanzbehörde von den steuerlichen erheblichen Tatsachen fehlt und die Ehegatten davon ausgehen werden und dürfen, dass dies tatsächlich auch geschieht. Eine Gefährdung des Steueranspruchs, welche durch § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verhindert werden solle, bestehe in derartigen Fällen somit nicht.

11.178

Die Problematik wäre aber allenfalls im Kontext des fehlenden Zurechnungszusammenhangs zu verorten.3 Indes ist anerkannt, dass der Zurechnungszusammenhang durch die Kenntnis des Finanzbeamten vom wahren Besteuerungssachverhalt nicht ausgeschlossen wird. Auch ist anerkannt, dass unrichtige Angaben auch derjenige macht, der selbst Finanzbeamter ist und sogar derjenige, der die von ihm fingierte Erklärung selbst bearbeitet. Und selbst in diesen Fällen liegt das für die Bejahung des Tatbestands Entscheidende trotzdem vor: Die durch die unrichtigen Angaben geschaffene, rechtlich missbilligte Gefahr für das Steueraufkommen, welche sich in dem bösen Erfolg verwirklicht hat.4 Umgekehrt muss dann gelten, dass auch dann der Zurechnungszusammenhang nicht ausgeschlossen wird, wenn der zuständige Sachbearbeiter keine entsprechende tatsächliche Kenntnis hat. Es ist indes nicht überzeugend, diesen Zurechnungszusammenhang mit dem Erfordernis der Unkenntnis der Finanzbe-

11.179

1 OLG Köln v. 31.1.2017 – III-1 RVs 253/16, wistra 2017, 363; ebenso OLG Oldenburg v. 10.7.2018 – 1 Ss 51/18. 2 So auch Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 60b f. 3 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 585 ff.; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 60b f. 4 Vgl. auch BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris, Rz. 137, unter Verweis auf BGH v. 14.12.2010 – 1 StR 275/10, NStZ 2011, 283 (284), Rz. 27.

Peters | 473

Kap. 11 Rz. 11.179 | Steuerhinterziehung

hörde vom wahren Sachverhalt einfach gleichzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es ebenfalls zulässig, einen fehlenden Zurechnungszusammenhang auch dann zu verneinen, wenn der Finanzbeamte Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben hat. Trifft dieser trotz Kenntnis vom wahren Sachverhalt eine abweichende, den unwahren Angaben des Steuerpflichtigen entsprechende steuerliche Entscheidung, so mag sich vordergründig das nicht durch die unrichtigen Angaben gesetzte Risiko verwirklichen, sondern das Fehlverhalten des Finanzbeamten hierfür maßgeblich sein. Indes ist anerkannt, dass es auf das Wissen des Beamten nicht ankommen kann. Entscheidend ist, ob eine solche Kenntnis vom wahren Besteuerungssachverhalt vorliegt, die eine Steuerfestsetzung oder wenigstens eine Schätzung ermöglicht. Dass der ursprünglichen Tathandlung nachfolgende pflichtwidrige Verhalten des Finanzbeamten beseitigt nicht den Zurechnungszusammenhang zwischen der ersten Handlung und dem später eintretenden Erfolg, so dass sich zwei voneinander unabhängige Gefahren verwirklichen. Neuerlich ist auch das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AO ins Feld zu führen, wonach ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung auch dann vorliegt, wenn der Täter die Mithilfe eines (wissenden) Amtsträgers ausnutzt, der selbst seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht. Die steuerlichen Interessen des Staates sind nicht mit den zuständigen Finanzbeamten gleichzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nur konsequent, wenn der BGH den Zurechnungszusammenhang nicht durch die Kenntnis des Finanzbeamten vom wahren Besteuerung Sachverhalt ausschließt.1

11.180

Die Entscheidung des OLG Köln ist nur vor dem Hintergrund verständlich, dass in dem zu entscheidenden Fall der Angeklagte sich über Jahre hinweg darauf verlassen hatte, dass die entsprechenden Einkünfte automatisch an sein Wohnsitzfinanzamt übermittelt wurden, was auch in den Jahren zuvor regelmäßig geschah.

11.181

Die Sichtweisen des OLG Köln und des OLG Oldenburg können indes nicht dazu führen, dass die Erklärungspflichten des Steuerpflichtigen gänzlich suspendiert werden. Eine derartige Auslegung ist verfehlt, denn sie berücksichtigt nicht den auf das Täterverhalten abstellenden Bezug der Formulierung „wer [...] in Unkenntnis lässt“. Das Gesetz knüpft vom Wortlaut her an eine personifizierte Handlungsverpflichtung an. Vielmehr wird die vom Wortlaut vorgegebene Unterlassungshandlung des Täters („in Unkenntnis lassen“) vom OLG Köln in unzulässiger Weise mit der weiteren Voraussetzung gekoppelt, dass die Finanzbehörde tatsächlich auch „in Unkenntnis ist“.2 Die auf das Unterlassen des Täters abstellende täterbezogene Sichtweise der Unterlassensvariante („[...] wer [...] in Unkenntnis lässt“) wird damit durch eine opferbezogene, rein objektive Tatsache („Unkenntnis der Finanzbehörde“) unnötig aufgeladen. Damit werden dem Passus letztlich zwei Merkmale entnommen: Zum einen die Unterlassungshandlung des Täters (der aus seiner Sicht „in Unkenntnis lässt“) sowie darüber hinaus die generelle Unkenntnis des Tatopfers Finanzbehörde (die „in Unkenntnis ist“). Die damit einhergehende Verdopplung der objektiven Tatbestandsmerkmale findet im Gesetzeswortlaut indes keinen Niederschlag, wie das Landgericht auch zutreffend feststellt.3

1 BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 41. 2 LG Aurich v. 8.11.2017 – 12 Ns 310 Js 8712/15 ECLI:DE:LGAURIC:2017:1108.12NS310JS8712. 15.2000; a.A. OLG Oldenburg v. 10.7.2018 – 1 Ss 51/18. 3 LG Aurich v. 8.11.2017 – 12 Ns 310 Js 8712/15 ECLI:DE:LGAURIC:2017:1108.12NS310JS8712. 15.2000; a.A. OLG Oldenburg v. 10.7.2018 – 1 Ss 51/18, wonach das Erfordernis der Unkenntnis nicht zu einer Verdopplung der objektiven Tatbestandsmerkmale führe, vielmehr sei die Unkenntnis der Finanzbehörde lediglich die logische Voraussetzung dafür, dass der Täter diese in Unkenntnis lassen kann.

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C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.186 Kap. 11

Zudem ist es begrifflich ohne weiteres möglich, dass ein Täter – aus seiner Sicht betrachtet – aufgrund seiner Untätigkeit die Finanzbehörde in Unkenntnis lässt, obwohl diese durch andere Abläufe Kenntnis hat.

11.182

Der BGH betont zu Recht, dass das Besteuerungssystem auf wahrheitsgemäße und nach hier vertretener Ansicht vollständige Angaben des Steuerpflichtigen angewiesen ist. Eine umfassende Überprüfung aller steuerrechtlich relevanten Sachverhalte durch die Finanzverwaltung ist ausgeschlossen. Missbraucht der Täter die systembedingt nicht sehr intensiven Kontrollmechanismen, kann ihm dies nach zutreffender Ansicht des BGH nicht zugute kommen.1

11.183

Eine andere Sichtweise hätte die fatale Konsequenz, dass bspw. im Internationalen Steuerstrafrecht die Erstattung einer strafbefreienden Selbstanzeige bereits dann ausgeschlossen wäre, wenn die Daten nur bereits übermittelt sind (z.B. auch bei Gruppenanfragen, vgl. Rz. 9.11). Indes ist anerkannt, dass es für eine Tatentdeckung in der Regel eines Abgleichs mit der Steuerakte bedarf, wenn sich nicht die Strafbarkeit bereits aus den in Rede stehenden Informationen aufdrängt.2

11.184

Im Zusammenhang mit der automatisierten Übermittlung von Daten spricht gegen eine Kenntnis und damit gegen eine Tatentdeckung auch der Umstand, dass die Daten zumeist an das BZSt übermittelt werden und nicht an die jeweils unmittelbar zuständige Finanzbehörde. Gestützt werden die hier getätigten Erwägungen auch dadurch, dass den Steuerpflichtigen im Umkehrschluss keine Garantenpflicht trifft, wenn das FA die erforderlichen Informationen durch die Steuererklärung erhalten hat, und damit die Annahme einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen ausscheidet, weil der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, Fehler des FA richtig zu stellen.3

11.185

b) Pflichtwidrigkeit Pflichtwidrig handelt, wem eine Rechtspflicht zur Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen auferlegt ist. Bei dem Merkmal pflichtwidrig handelt sich es sich um ein Blanketttatbestandsmerkmal.4 5 Es erfolgt eine Blankettverweisung auf die Regelungen des materiellen Steuerrechts. Wen die Verpflichtung zur Tätigung von Angaben oder zur Verwendung von Steuerzeichen/Steuerstempel trifft, ist unter Heranziehung und Berücksichtigung der jeweiligen Steuergesetze zu prüfen. Erst die Steuergesetze und nicht das Steuerrecht geben darüber Auskunft, ob und in welcher inhaltlichen Reichweite überhaupt eine Erklärungspflicht und 1 BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris, Rz. 139; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 60b f. 2 Krumm in T/K, § 371 AO Rz. 98; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 679, 682; Schöler, DStR 2015, 503 (505). 3 BFH v. 4.12.2012 – VIII R 50/10, BFHE 239, 495 = BStBl. II 2014, 222; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 73. 4 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 13 ff., 368; für eine normative Sichtweise hingegen BGH v. 18.9.2019 – 1 StR 320/18, juris; so bereits auch Habetha, StV 2019, 39; von Galen/Dawidowicz, NStZ 2019, 148; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 27.1; Schneider/Rieks, HRRS 2019, 62; Rode/Hinderer, wistra 2018, 341; Reichling, StraFo 2018, 357; Floeth, NStZ-RR 2018, 182; Radtke in MK-StGB3, § 266a StGB Rz. 90; Schott in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 269 f. 5 Unklar hingegen BGH v. 18.9.2019 – 1 StR 320/18, juris, unter Verweis auf BGH v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17, Rz. 15, wonach es sich bei der Pflichtenstellung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO um ein originäres normatives Tatbestandsmerkmal handeln soll. Anzumerken ist jedoch, dass der BGH dies in seinem Beschluss v. 24.1.2018 mit Klammerzusatz versehen hat, mithin nicht endgültig die Rechtsnatur diskutiert hat.

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11.186

Kap. 11 Rz. 11.186 | Steuerhinterziehung

eine Pflichtwidrigkeit für den Unterlassenden besteht. Hierfür spricht in besonderem Umfang, dass es sich um eine in der AO selbst befindliche Regelung handelt, die schon systematisch auf die gesamten Steuergesetze Bezug nimmt und in § 369 Abs. 2 Halbs. 2 AO die Ausnahme anordnet, dass die allgemeinen Strafgesetze nur insoweit Anwendung finden, soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen.

11.187

Eine solche Pflicht ergibt sich in der Regel aus den allgemeinen Vorschriften der AO, z.B. §§ 34, 35, 93, 135, 137 – 139, 149 AO, und/oder den einschlägigen Einzelsteuergesetzen, z.B. §§ 25, 41a, 45a EStG, § 18 UStG, § 14a GewStG. Im Zollrecht sind die Gestellungs- und Anmeldepflichten maßgeblich. Den Steuerpflichtigen trifft keine Pflicht, die Finanzbehörde aufzuklären, wenn sie ihm ohne sein Zutun einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil gewährt hat.1

11.188

Für sämtliche in Betracht kommenden Normen gilt angesichts der Tatsache, dass es sich nach der herrschenden Meinung um einen Blankettstraftatbestand handelt, der strengere strafrechtliche Gesetzesvorbehalt und nicht gegebenenfalls der weitere steuerliche Gesetzesvorbehalt.2 Eine steuerlich möglicherweise ausreichende Begründung von Erklärungspflichten im Wege der analogen Gesetzesanwendung – was insbesondere im Internationalen Steuerrecht vor dem Hintergrund der Korrekturvorschriften (z.B. § 1 AStG) häufiger vorkommt – oder die bloße Übernahme steuerlicher Fiktionen3 ist für eine Strafbarkeit daher nicht bereits ausreichend.4 Schmitz/Wulff weisen zutreffend darauf hin, dass wenn eine Erklärungspflicht im Einzelfall nicht aus dem Gesetzestext sondern allein über § 42 AO hergeleitet werden kann, eine Strafbarkeit durch Steuerhinterziehung durch Unterlassen ausscheidet.5 Die Frage wird insbesondere dann von Bedeutung sein, wenn die weitere Ausgestaltung durch Rechtsverordnungen erfolgt. Dies ist nur so lange unbedenklich, soweit dem Verordnungsgeber tatsächlich nur die Teilregelung überlassen wurde. Überlässt der Gesetzgeber indessen der Verwaltung die Entscheidung darüber, ob überhaupt eine Pflicht zur Erklärung von steuerlich erheblichen Tatsachen aufgestellt werden soll, wirft dies Bedenken auf. Hier wird die Divergenz zwischen steuerlicher Bestimmtheit und strafrechtlicher Bestimmtheit deutlich. Für steuerliche Zwecke hat der BFH6 entschieden, dass eine Verordnungsermächtigung hinreichend bestimmt sein kann; für strafrechtliche Zwecke dürfte dies fraglich sein.7

11.189

Die Berufung des Steuerpflichtigen darauf, Inhaber des Betriebs (des Handelsgeschäfts) sei ein anderer (etwa der Ehegatte), nützt ihm nichts, wenn er den Betrieb (das Geschäft) auf eigene Rechnung führt und das Unternehmer-Risiko trägt; er ist dann selbst Steuerschuldner und hat dessen Offenbarungspflichten zu erfüllen.8 Aber auch der nominelle Inhaber wird 1 BGH v. 9.10.1959 – 4 StR 282/59, ZfZ 1960, 272 (273); Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 71. 2 Vgl. indes Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 27.1, der die schwächer ausgeprägte Gesetzesbindung im Steuerrecht auf das Strafrecht durchschlagen lassen will. Wie hier indes auch Schmitz/ Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 13 ff., 368. 3 Die bloße Berichtigung von Einkünften nach § 1 AStG besagt für sich genommen noch nichts über die Verwirklichung des Tatbestands der Steuerhinterziehung. Ebensowenig wie Korrekturen im Zusammenhang mit unangemessenen Verrechnungspreisen (Rz. 16.118 ff.). 4 BGH v. 16.1.2020 – 1 StR 89/19, juris; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, Rz. 17, 284. 5 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, Rz. 17, 284 unter Verweis auf BGH v. 11.7.2008 – 5 StR 156/08, PStR 2008, 250. 6 BFH v. 25.9.2003 – VIIB 309/02, DStRE 2003,1413. 7 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, Rz. 284 unter Verweis auf BVerfG v. 29.4.2012 – 2 BvR 871/04, wistra 2010, 396. 8 BFH v. 28.2.1961 – I 25/61 U, BStBl. III 1961, 252 ff. = BFHE 72, 689; BFH v. 11.4.1961 – I 129/ 60 U, BStBl. III 1961, 352 ff. = BFHE 73, 231; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Rz. 51 f.

476 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.192 Kap. 11

der steuerlichen Pflichten nicht deshalb ledig, weil er die Geschäftsführung einem anderen überlassen hat; er muss diesen beaufsichtigen und die Erfüllung der steuerlichen Pflichten überwachen. Das gilt insbesondere, wenn die Unternehmensform gewählt worden ist, weil der andere Teil sich als unzuverlässig erwiesen hat und deswegen die erforderliche Betriebserlaubnis, etwa wegen seiner Vorstrafen, nicht erhalten hätte.1 Neben der Erklärungspflicht an sich bedarf es einer klar geregelten Erklärungspflichtfrist. Für den Fall einer fehlenden Fristbestimmung scheidet eine Strafbarkeit aus. Für den Fall der gewährten Fristverlängerung ist entscheidend, dass wenn die Frist durch die Finanzbehörde durch Verwaltungsakt verlängert worden ist (§ 109 AO) erst mit Ablauf der im konkreten Fall geltenden Frist das Unterlassungsdelikt i.S.d. § 8 BGB begangen ist. Mit Ablauf der Frist ist das Verhaltensunrecht vollendet und die Tat in das Versuchsstadium getreten. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es für die durch Allgemeinverfügung ausgelösten Fristverlängerungen auf die bestehende Beauftragung eines Steuerberaters im Zeitpunkt des ursprünglichen Fristablaufs an. Die nachfolgende Beendigung des Mandats führt dann als solche nicht zum Wegfall der Fristverlängerung, solange nicht eine Verkürzung der Frist durch Verwaltungsakt der Finanzbehörde angeordnet wird.2

11.190

Mitunter ist fraglich ist, ob die Gefahr, dass der Steuerpflichtigen sich oder einen anderen durch die Erfüllung seiner Erklärungs- und Mitwirkungspflichten wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit belasten würde, seine steuerlichen Pflichten einschränkt. Solche Fallgestaltungen treten in der Praxis nicht selten auf. Die korrekte Pflichterfüllung kann einerseits zur Offenbarung von Allgemeindelikten führen, z.B. wenn der Steuerpflichtige Schmiergeldzahlungen3 angenommen und sich dadurch wegen Vorteilsannahme (§ 331 StGB) oder Bestechlichkeit (§ 332 StGB) strafbar gemacht hat oder wenn er Zimmer an Prostituierte überlässt4 und dadurch in strafbarer Weise die Prostitution fördert (§ 180a StGB), aber auch wenn die Regressforderung gegen einen Angestellten, der das Unternehmen durch Unterschlagung oder Untreue geschädigt hat, im Rahmen der Gewinnermittlung aktiviert werden muss. Andererseits kann der Steuerpflichtige durch die nachträgliche Erfüllung der Erklärungspflicht aber auch seine vorausgegangene Steuerhinterziehung offenbaren. Die steuerrechtlichen Mitwirkungs- und Erklärungspflichten können dann in Konflikt mit dem im Strafrecht geltenden Grundsatz treten, dass niemand verpflichtet ist, sich wegen einer Straftat zu belasten. Es ist in Rspr. und Literatur weitgehend anerkannt, dass der Betroffene aus dieser Zwangslage befreit werden muss, strittig ist jedoch, wie dies geschehen soll.

11.191

Unproblematisch sind die Fälle, in denen das Steuergeheimnis gem. § 30 AO und das Verwertungsverbot des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO den Steuerpflichtigen vor der Verfolgung einer Tat, die keine Steuerstraftat ist, bewahrt. Da der Steuerpflichtige keine strafrechtlichen Folgen zu befürchten hat, gibt es keinen Grund, seine steuerrechtlichen Offenbarungspflichten einzuschränken. §§ 30, 393 Abs. 2 Satz 1 AO haben gerade die Funktion, dem Steuerbürger zu ermöglichen, seinen Offenbarungs- und Mitwirkungspflichten ohne Furcht vor strafrechtlichen oder anderen negativen Folgen nachzukommen und wahrheitsgemäße Erklärungen abzugeben. Trifft die Steuerhinterziehung tateinheitlich oder in einer prozessualen Tat mit ei-

11.192

1 BayObLG v. 15.6.1972 – 4 St 49/72, BayObLGSt 1972, 136. 2 BGH v. 12.6.2013 – 1StR6/13, wistra 2013, 430. 3 Zur USt-Pflichtigkeit von Schmiergeldzahlungen FG Nürnberg v. 23.12.1994 – II 45/93, EFG 1995, 502 f. 4 Zu den Voraussetzungen der GewSt-Pflicht FG Saarland v. 30.9.1992 – 1 K 259/91, EFG 1993, 332 f.

Peters | 477

Kap. 11 Rz. 11.192 | Steuerhinterziehung

nem Allgemeindelikt zusammen, führt die Selbstanzeige zwar nur zur Straffreiheit wegen der Steuerhinterziehung, § 393 Abs. 2 Satz 1 AO verbietet aber die Verwertung der selbstbelastenden Informationen, die der Steuerpflichtige im Rahmen einer Selbstanzeige gemacht hat, da er in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten handelte.

11.193

Das Gesetz schützt den Steuerpflichtigen aber nicht umfassend davor, dass Tatsachen, die er im Besteuerungsverfahren offenbart, in einem Strafverfahren wegen einer Nichtsteuerstraftat gegen ihn verwendet werden. Das Steuergeheimnis und das Verwertungsverbot gelten gem. § 30 Abs. 4 Nr. 5a, b, § 393 Abs. 2 Satz 2 AO nämlich für die dort genannten schweren Straftaten nicht, und § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG verpflichtet die Finanzbehörden dazu, der Staatsanwaltschaft bzw. der Verwaltungsbehörde Tatsachen mitzuteilen, die den Verdacht eines strafbaren oder als Ordnungswidrigkeit ahndbaren Bestechungsdelikts begründen. §§ 31a, 31b AO enthalten Regelungen entsprechender Durchbrechungen des Steuergeheimnisses und Pflichten der Finanzbehörden zur Mitteilung von Tatsachen aus den Steuerakten an die Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung von Straftaten – und Ordnungswidrigkeiten – im Zusammenhang mit illegaler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch sowie der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. In diesen Fällen kann der Steuerpflichtige entweder seiner steuerlichen Erklärungspflicht nachkommen und sich so der Strafverfolgung wegen des von ihm offenbarten Allgemeindelikts auszusetzen oder seine Erklärungspflicht verletzen und sich dadurch wegen Steuerhinterziehung strafbar machen. Zum Teil1 wird vorgeschlagen, eine Verwertung der nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG offenbarten Informationen nur zuzulassen, wenn es sich um schwere Straftaten i.S.d. § 393 Abs. 2 Satz 2 AO handelt. Diese Auffassung entspricht aber sicher nicht der Intention des Gesetzgebers, denn eine Mitteilung der Verdachtsgründe an die Staatsanwaltschaft erscheint sinnlos, wenn die Tatsachen nicht in einem Strafverfahren verwertet werden dürfen. Zudem bleiben auch nach dieser Konzeption Fälle, in denen die Erfüllung der steuerrechtlichen Erklärungspflicht zu einer Selbstbelastung führen würde. Der verfassungsrechtlich abgesicherte Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ erfordert es aber, den Betroffenen aus diesem Dilemma zu befreien.

12. Anzeige und Berichtigungspflicht nach § 153 AO 11.194

Vielfach kommt eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen einer unterlassenen Anzeige und Richtigstellung nach § 153 AO in Betracht (zur Abgrenzung zur Selbstanzeige vgl. Rz. 12.25 ff.).2 Beispiel: Das Unternehmen A hat jahrelang bei ausländischen Übernachtungskosten den falschen (zu hohen) Mehrwertsteuersatz zu Grunde gelegt. Auf das Problem aufmerksam geworden, unternimmt das Unternehmen nichts.

11.195

Das Unterlassen der Berichtigung kann eine Strafbarkeit wegen Unterlassen begründen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.3 Die Verpflichtung trifft auch den Gesamtrechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen und die nach den §§ 34 und 35 AO für den Gesamtrechtsnachfolger oder den Steuerpflichtigen handelnden Personen.4

1 Heerspink, AO-StB 2001, 47 (50 f.); keine Bedenken gegen § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG äußern Eich, AO-StB 2005, 120, und Schneider, wistra 2004, 1. 2 Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 56. 3 BGH v. 25.9.1979 – 1 StR 702/78, NJW 1980, 845; zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 334 ff. 4 Vgl. auch BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, juris, zu den Voraussetzungen einer Strafbarkeit.

478 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.197 Kap. 11 Beispiel: A erbt von seinem Vater ein im Ausland belegenes Konto und die dortigen Einkünfte wurden nie der Besteuerung in Deutschland unterworfen. A ist verpflichtet, auch für die Vergangenheit die Einkünfte nachzuerklären.

Ob eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO besteht, wenn der Steuerpflichtige erst nachträglich erfährt, dass er unrichtige Angaben gemacht hat, er aber bei Abgabe der Steuererklärung die Unrichtigkeit seiner Angaben in Kauf genommen und sich deshalb – durch die Abgabe der unrichtigen Steuererklärung – zugleich auch wegen bedingt vorsätzlich begangener Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) strafbar gemacht hat, war bis zur Entscheidung des BGH vom 17.3.2009 umstritten.1 Der BGH geht davon aus, dass Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO es gebieten, eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht auch dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat, und er später zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die Angaben unrichtig sind. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bestehe auch in diesem Fall eine Berichtigungspflicht, weil auch derjenige, der zunächst mit der Unrichtigkeit der Angaben nur gerechnet, sie aber nicht sicher gekannt hat, die Unrichtigkeit „nachträglich erkennt“, wenn er später positiv erfährt, dass seine Angaben tatsächlich unrichtig waren.

11.196

13. Strafbarkeit von steuerlichem Gestaltungsmissbrauch Literatur: Brandt, Grenzen für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs, AO-StB 2003, 196; Busch, Verlustnutzung als Gestaltungsmissbrauch, DStR 2007, 1069; Danzer, Die Steuerumgehung, Heidelberg 1981; Günther, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts, AO-StB 2019, 46; Hey, Zur Verfassungsmäßigkeit von Anzeigepflichten für Steuergestaltungen, FR 2018, 633; Kepp/Schober, Anzeigepflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungsmodelle – Praxisfragen und Ausblick; BB 2018 2455; Kottke, Steuerersparung, Steuerumgehung, Steuerhinterziehung, 10. Aufl. Freiburg 1994; Kruse, Steuerumgehung zwischen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung, StbJb 1978/79, 443; Mack/Wollweber, § 42 AO – Viel Lärm um nichts?, DStR 2008, 182; Meine, Steuervermeidung, Steuerumgehung, Steuerhinterziehung, wistra 1992, 81; Peters, Steuerliche Pflichten und strafrechtliche Risiken bei der Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften, NZWiSt 2016, 374; Pohl, Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung, Frankfurt 1990; Pütz, Strafbare Steuerumgehung bei der gewerblichen Zwischenvermietung, wistra 1989, 201; Schnitger/Brink/Welling, Die neue Meldepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen (Teil I); IStR 2018, 513; Stahl, Die steuerlichen und strafrechtlichen Aspekte des Gestaltungsmissbrauchs, StraFo 1999, 223; Stöber, Anzeigepflichten in Bezug auf Steuergestaltung im deutschen und europäischen Recht, BB 2018, 1559; Stöber, Zur verfassungs- und unionsrechtlichen (Un-)Zulässigkeit von Anzeigepflichten in Bezug auf Steuergestaltungen, BB 2018, 2464; Ulmer, Steuervermeidung, Steuerumgehung, Steuerhinterziehung, DStZ 1986, 292; Ulsenheimer, Zur Problematik der überlangen Verfahrensdauer und richterlichen Aufklärungspflicht sowie zur Frage der Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung, wistra 1983, 12; Wagner, Gewerbliche Zwischenvermietung ist keine strafbare Steuerumgehung, wistra 1989, 201; Wenderoth, Die Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung, Frankfurt 1990; Wolsfeld, Wann ist Gestaltungsmissbrauch strafbar?, PStR 2000, 158.

a) Allgemeines Von besonderer Relevanz im Internationalen Steuerstrafrecht ist stets die Frage, wann ein Verstoß gegen § 42 AO ggf. auch zu einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung führt. Die 1 Bejahend: BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 unter Verweis auf Heuermann in H/ H/Sp, § 153 AO Rz. 12 f.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO, Rz. 337; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 259 f.; Rolletschke, Steuerstrafrecht3, Rz. 273; Alvermann/Talaska, HRRS 2010, 166; Schützeberg, BB 2009, 1906; Weidemann, wistra 2010, 5.

Peters | 479

11.197

Kap. 11 Rz. 11.197 | Steuerhinterziehung

Frage wird vor dem Hintergrund der zukünftigen Anzeigepflicht für steuerliche Gestaltungen (DAC 6) neuerlich an Bedeutung gewinnen.1 Das strafrechtliche Problem stellt sich etwa bei der Einschaltung von Basisgesellschaften (Briefkastenfirmen) in Niedrigsteuerländern und Verlagerung von Vermögen oder Einkünften,2 wenn dafür keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe vorliegen und die Gesellschaften auch keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfalten.3 Auch im Rahmen der sog. Cum-Cum Verfahren, wird diese Problematik diskutiert,4 ebenso wie im Bereich der Verrechnungspreise.5

11.198

Durch rechtsmissbräuchliche Gestaltungen kann das Steuergesetz nicht umgangen werden.6 Aber nicht jede Gestaltungsmöglichkeit führt dazu, dass der Sachverhalt steuerlich nicht anzuerkennen ist.

11.199

Es gehört zu den grundrechtlich durch Art. 12, 14, Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Freiheiten, Sachverhalte so zu gestalten, dass sie eine möglichst geringe oder gar keine Steuerbelastung auslösen.7 Das gilt auch aus Sicht des Unionsrechts.8 Die bloße Steuervermeidung, die darauf gerichtet ist, den gesetzlichen Steuertatbestand nicht zu erfüllen, ist legal und nicht strafbar.9

1 Vgl. zum Ganzen auch die gesetzgeberischen Bemühungen, eine Anzeigepflicht für steuerliche Gestaltungen insgesamt einzuführen, vgl. den Regierungsentwurf http://dip21.bundestag.de/ dip21/btd/19/146/1914685.pdf; http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/regierung-plant-pflichtanzeige-steuersparmodelle-berufsfreiheit-finanzen/; Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.5.2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen L 139/1B, die bis zum 31.12.2019 umzusetzen ist; hierzu Kepp/Schober, BB 2018, 2455; Stöber, BB 2018, 1559; Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 549; Hey, FR 2018, 633; vgl. auch den Arbeitsentwurf BT-Drucks. 19/4766 v. 8.10.2018; Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, vgl. auch das Gutachten von Hey zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen, abrufbar unter https://www.bstbk.de/export/sites/standard/de/ressourcen/Dokumente/04_presse/presse mitteilungen_anlagen/2018/Gutachten_Prof.Hey_Anzeigepflichten_Feb-2018.pdf.; zum Ganzen auch Peters, NZWiSt 2016, 374. Von besonderer Relevanz ist die Richtlinie bzw. die in ihr enthaltene Meldepflicht bereits zum jetzigen Zeitpunkt, da Intermediäre auch solche Gestaltungen zu melden haben, deren erster Umsetzungsschritt zwischen dem Inkrafttreten am 25.6.2018 und dem Anwendungsbeginn der Richtlinie am 1.7.2020 liegt. 2 Vgl. BGH v. 30.5.1990 – 3 StR 55/90, juris. 3 Vgl. hierzu BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BFH/NV 2003, 1202, BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50, 51. 4 BMF v. 17.7.2017 – IV C 1-S 2252/15/10030:005 (Steuerliche Behandlung von Cum/Cum-Transaktionen IV C 1 - S 2252/15/10030: 005), BStBl. I 2017, 986. 5 Zur Abgrenzung vgl. auch Schaumburg/Schaumburg in FS Baumhoff, 2020, 297. 6 Zur strafbegründenden Anwendung von § 42 AO vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 26, 1230 ff.; Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 2010, 263 ff.; Pohl, Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung, 1990; zu steuerneutralen Anlagen in der Schweiz vgl. Korts, Stbg 2012, 11 ff. 7 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23/57, BVerfGE 9, 237 (2459 f.); st. Rspr. BFH, zuletzt noch BFH v. 19.1.2017 – IV R 10/14, BStBl. II 2017, 466, Rz. 46; BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203; Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 3; Kirchhof, DStJG (33) 2010, 9 (19). 8 EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121 – Halifax, UR 2006, 232 m. Anm. Wäger; EuGH v. 21.2.2008 – C-425/06, ECLI:EU:C:2008:108 – Part Service, Rz. 47; EuGH v. 22.12.2010 – C-103/09, ECLI:EU:C:2010:804 – Weald Leasing. 9 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203; BFH v. 21.5.1999 – VII B 37/99, BFH/NV 1999, 1496; Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 3.

480 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.204 Kap. 11

Der Steuerbürger darf seine Verhältnisse daher so einrichten, wie dies steuerlich am günstigsten für ihn ist, solange er dies auf angemessenem Weg erreicht.1 Jedoch kann eine Gestaltung, die ohne Einbeziehung des steuerlichen Aspektes wirtschaftlich unangemessen ist, da sie ungewöhnlich ist und nur der Steuerminderung dient, nicht berücksichtigt werden.2

11.200

Im Steuerstrafrecht ist zunächst zu prüfen, ob ein Verstoß gegen § 42 AO vorliegt. In einem zweiten Schritt ist alsdann zu fragen, ob auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerhinterziehung erfüllt sind.

11.201

b) Unangemessene rechtliche Gestaltung Ein Missbrauch liegt gem. § 42 Abs. 2 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt gem. § 42 Abs. 2 Satz 2 AO jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind. Die wirtschaftliche Unangemessenheit ist danach zu beurteilen, ob diese wirtschaftlichen Vorgänge von verständigen Personen in Anbetracht aller Umstände des Falles, insbesondere des mit der Regelung erstrebten wirtschaftlichen Zieles nicht gewählt würden.3 Die „Ungewöhnlichkeit“ der rechtlichen Gestaltung ist allein kein ausreichendes Indiz für einen Missbrauch. Grundvoraussetzung einer Steuerumgehung ist, dass eine vom Gesetzgeber gewollte steuerliche Belastung nicht eintritt. Dem Steuerpflichtigen muss ein steuerlicher Erfolg zugutekommen, der vom Gesetz missbilligt wird.4 Die rechtliche Gestaltung kann sich aus allen Rechtsgebieten ergeben.

11.202

Kernvoraussetzung einer Steuerumgehung ist der unbestimmte Rechtsbegriff des „Missbrauchs“. Dieser liegt nach Ansicht des BFH vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen5 bzw. ungewöhnlich ist und die der Steuerminderung dienen soll, die durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist und wenn der Steuerpflichtige nachweisbar mit der Absicht gehandelt hat, ein Steuergesetz zu umgehen.6

11.203

Der Gesetzgeber hat bewusst den unbestimmten Rechtsbegriff der Unangemessenheit gewählt. Aufgrund der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, die die Rechtsordnung dem

11.204

1 BFH v. 14.10.1964, BStBl. III 667, 669 m.w.N.; vgl. auch BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137. 2 BFH v. 16.1.1996 – IX R 13/92, DB 1996, 814. 3 St. Rspr. BFH v. 21.8.2012 – VIII R 32/09, BStBl. II 2013, 16; BFH v. 27.7.1999 – VIII R 36/98, BFHE 189, 408; BFH v. 8.5.2003 – IV R 54/01, DStRE 2003, 1032 (1033); BFH v. 13.12.1983 – VIII R 173/83, BStBl. II 84, 428 (431); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1236. 4 St. Rspr. BFH v. 21.8.2012 – VIII R 32/09, BStBl. II 2013, 16; BFH v. 27.7.1999 – VIII R 36/98, BFHE 189, 408 BFH v. 8.5.2003 – IV R 54/01, DStRE 2003, 1032 (1033); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1236 f. 5 Hierzu auch BFH v. 17.1.1991 – IV R 132/85, BStBl. II 1991, 607; BFH v. 6.3.1931990 – II R 88/ 87, BStBl. II 1990, 446; FG Münster v. 30.5.1996 – 8 K 1043/93, EFG 1996, 985. 6 St.Rspr. BFH v. 21.8.2012 – VIII R 32/09, BStBl. II 2013, 16; BFH v. 27.7.1999 – VIII R 36/98, BFHE 189, 408; BFH v. 8.5.2003 – IV R 54/01, DStRE 2003, 1032 (1033); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1235.

Peters | 481

Kap. 11 Rz. 11.204 | Steuerhinterziehung

Steuerbürger bietet, war eine allgemeine Formulierung zwingend.1 Letztlich bleibt es eine Frage des Einzelfalles, ob eine rechtliche Gestaltung zur Steuerumgehung führt oder nicht. Ziel und Leitmotiv der rechtlichen Gestaltung durch den Steuerbürger muss die Steuerersparnis sein. Nicht ausreichend ist, wenn auch andere beachtliche Motive zu einer besonderen rechtlichen Gestaltung im Einzelfall geführt haben. Rechtsmissbrauch scheidet aus, wenn sich für die rechtliche Gestaltung ein einleuchtendes wirtschaftliches Motiv anführen lässt.2

11.205

Damit bloßes rechtsunkundiges Verhalten oder Unerfahrenheit vom Tatbestand des § 42 AO nicht erfasst werden, muss beim Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt der rechtlichen Gestaltung eine Umgehungsabsicht vorliegen. Demnach muss es dem Steuerpflichtigen gerade darauf ankommen, ein Steuergesetz zu umgehen, um damit Steuern zu sparen. In der Praxis wird dieses Kausalitätserfordernis zwischen rechtlicher Gestaltung und Steuerersparnis durch objektiv feststellbare Tatsachen indiziert. Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, greift die Sachverhaltsfiktion des § 42 Satz 2 AO. Danach ist die Steuerveranlagung in der Form durchzuführen, wie der Sachverhalt entstehen würde, wenn er wirtschaftlich sinnvoll realisiert wird.3 Der Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nach der Vorschrift des § 42 AO erfüllt jedoch nicht automatisch einen Straftatbestand. In Grenzbereichen bzw. bei gewagten, neuen oder gerichtlich anhängigen steuerlichen Konstruktionen sollte der maßgebliche Sachverhalt gegenüber der Finanzbehörde offengelegt werden. Es gelten die gleichen Erwägungen, wie bei den abweichenden Rechtsansichten. c) Voraussetzungen für eine Strafbarkeit

11.206

Die Generalklausel des § 42 AO gilt vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG) als Grauzone zwischen zulässiger Einschränkung der steuerlichen Belastung und unzulässiger Steuerhinterziehung.4 Es besteht kein gesetzliches Verbot, es liegt kein Verstoß gegen die guten Sitten vor; lediglich der Erfolg wird für steuerliche Zwecke nicht gebilligt. Wegen der Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale und der „leerformelhaften“ abstrakten Auslegung der Steuerrechtsprechung sind die allgemeinen Grundsätze zu § 42 AO im Steuerstrafrecht nicht anwendbar.5

11.207

Steuerliche Umgehungsgeschäfte können nur dann den Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllen, wenn der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit der Umgehung den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben (§ 370 Abs. 1

1 BFH v. 13.12.1983 – VIII R 173/83, BStBl. II 84, 428 (431). 2 BFH v. 13.12.1983 – VIII R 173/83, BStBl. II 84, 428 (431). 3 Zur Problematik der Ermittlung der angemessenen Gestaltung s. Rose/Glorius-Rose, DB 1999, 1673 m.w.N. 4 Zur Problematik eines Verstoßes gegen das strafrechtliche Analogieverbot vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 25 ff., 1235 ff.; kritisch auch Adick in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 17 Rz. 39 ff. 5 LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152; zur Missbräuchlichkeit der Einschaltung von Basisgesellschaften in Niedrigsteuerländern BGH v. 25.7.1990 – 3 StR 172/90, NJW 1991, 114; OLG Karlsruhe v. 18.8.2019 93 – 3 Ws 16/93, wistra 1993, 308; BGH v. 26.7.2012 – 1 StR 492/11, wistra 2012, 477 zur Gewinnverlagerung ins Ausland bei Einkünften aus Patentrechten.

482 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.211 Kap. 11

Nr. 1 AO) macht oder aber steuerlichen Offenbarungspflichten (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) pflichtwidrig nicht nachkommt.1 Dies ist etwa der Fall, wenn der Steuerpflichtige dem Finanzamt bewusst einen falschen Sachverhalt über die rechtliche Gestaltung darlegt; also z.B. Verträge zurückdatiert, um für den vorherigen Veranlagungszeitraum noch Abschreibungsmöglichkeiten zu eröffnen.

11.208

Einer der (vermeintlichen) Hauptanwendungsfälle im Steuerstrafrecht ist in der Praxis die Einschaltung sog. Basisgesellschaften in Niedrigsteuerländern.2 Die Einschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft (Basisgesellschaft) ist, unabhängig von der zivilrechtlich zu beurteilenden Rechtsfähigkeit, bereits in steuerrechtlicher Hinsicht nicht per se rechtsmissbräuchlich. § 42 AO setzt eine unangemessene rechtliche Gestaltung voraus, die zur Umgehung der Steuergesetze gewählt wird und die einen sich daraus ergebenden steuergesetzlichen Vorteil nach sich zieht.3 So ist die Gründung einer Gesellschaft im Ausland mit dem Ziel der Inanspruchnahme der dortigen vorteilhaften Steuervorschriften nicht geeignet, einen Missbrauch zu begründen. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn mit der Gründung der Gesellschaft keine Ansiedlung tatsächlicher Art einhergeht und/oder keine wirtschaftliche Tätigkeit vor Ort entfaltet wird.

11.209

In den Fällen ist indes zumeist nicht § 42 AO einschlägig, sondern über den Ort der Geschäftsleitung ist die Gesellschaft im Inland unbeschränkt steuerpflichtig (hierzu vgl. Rz. 16.203).4 Ist eine Kapitalgesellschaft an verschiedenen Orten geschäftsführend tätig, sind die vielerorts ausgeübten Tätigkeiten nach ihrer Bedeutung für die Kapitalgesellschaft zu gewichten, um das für eine Geschäftsführung zentrale „Tagesgeschäft“ von der Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik abzugrenzen und insofern den Ort der Geschäftsleitung nachvollziehbar zu bestimmen.5

11.210

Oftmals wird problematisch sein, ob der Steuerpflichtige seiner steuerlichen Offenbarungspflicht pflichtwidrig nicht nachgekommen ist, also die erheblichen Tatsachen der rechtlichen Gestaltung nicht dargelegt hat.6 Faktisch bedeutet diese Mitteilungspflicht, dass der Steuerschuldner den Umgehungstatbestand gegenüber dem Finanzamt offenbaren muss, um es diesem zu ermöglichen über § 42 AO das materielle Steuerrecht angemessen anzuwenden und die Steuer zutreffend festzusetzen. Geschieht dies nicht, ist dem Finanzamt eine Bewer-

11.211

1 BFH v. 1.2.1983 – VIII R 30/80, BStBl. II 83, 534; BFH v. 17.3.1994 – V R 123/91, BFH/NV 1995, 274, 275; BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137 = PStR 2000, 24; BFH v. 21.5.1999 – VII B 37/99, BFH/NV 1999, 1496; einschränkend wohl Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 27, 1237, 1239, der bei den auf das Steuerrecht verweisenden Merkmalen von normativen Tatbestandsmerkmalen und aus diesem Grunde von einer wohl grundsätzlichen Anknüpfungsmöglichkeit an § 42 AO ausgeht, jedoch entsprechend der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht kommt, wenn der Sachverhalt verschleiert oder verheimlicht wird; vgl. auch Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 56. 2 BGH v. 25.7.1990 – 3 StR 172/90, NJW 1991, 114; OLG Karlsruhe v. 18.8.19993 – 3 Ws 16/93, wistra 1993, 308; LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152; BGH v. 26.7.2012 – 1 StR 492/11, wistra 2012, 477; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1243. 3 BGH v. 25.7.1990 – 3 StR 172/90, NJW 1991, 114. 4 Zum Ort der Geschäftsleitung vgl. bspw. BGH v. 13.3.2019 – 1 StR 520/18 (LG Wiesbaden). 5 BGH v. 13.3.2019 – 1 StR 520/18 (LG Wiesbaden) unter Verweis auf BFH v. 16.12.1998 – I R 138/ 97, BFHE 188, 251 (253) und BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BFHE 176, 253. 6 S. hierzu auch Bilsdorfer, PStR 2000, 150.

Peters | 483

Kap. 11 Rz. 11.211 | Steuerhinterziehung

tungsmöglichkeit nicht eröffnet.1 In Grenzbereichen bzw. bei gewagten, neuen oder gerichtlich anhängigen steuerlichen Konstruktionen sollte der maßgebliche Sachverhalt gegenüber der Finanzbehörde offengelegt werden.2

11.212

Dass der Begriff der Angemessenheit ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, zeitigt auch für die strafrechtliche Beurteilung Auswirkungen.3 Angesichts der vielfach kasuistischen Rechtsprechung ist Zurückhaltung geboten. Zudem ergeben sich daraus Probleme im Hinblick auf die Feststellung des subjektiven Tatbestands, wenn der Steuerpflichtige von der Angemessenheit überzeugt war.4 Ein Indiz für vorsätzliches Verhalten kann es jedoch sein, wenn der Steuerpflichtige die ihm zukünftig obliegenden Anzeigepflichten nach der Richtlinie 2018/822 verletzt.5 Von besonderer Relevanz ist die Richtlinie bzw. die in ihr enthaltene Meldepflicht bereits zum jetzigen Zeitpunkt, da Intermediäre auch solche Gestaltungen zu melden haben, deren erster Umsetzungsschritt zwischen dem Inkrafttreten am 25.6.2018 und dem Anwendungsbeginn der Richtlinie am 1.7.2020 liegt.6

11.213

Von zunehmender Bedeutung für die Frage des Rechtsmissbrauchs auf der Ebene der Mitgliedsstaaten wird sein, ob nicht in der Bejahung einer Steuerumgehung nach nationalem Verständnis ein Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten vorliegt.7 Denn die Regelung des § 42 AO wird im unionsrechtlichen Kontext überlagert durch das allgemein gültige unionsrechtliche Missbrauchsverbot8 sowie durch Art. 6 ATAD.9 Das bedeutet, dass § 42 AO anwendbar bleibt,10 wobei sodann gegebenenfalls eine unionsrechtskonforme Auslegung11 geboten ist.12

1 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1237. 2 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 56, der dies dann annimmt, wenn „konkrete Grundsätze“ oder „hinreichend deutliche Umschreibungen“ für eine Fallgruppe existieren, indes jenseits dieser Fallgruppen mangels Unbestimmtheit der Norm eine Offenbarungspflicht verneint. Vgl. auch LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152. 3 LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152; Adick in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 17 Rz. 39 ff. 4 OLG Düsseldorf v. 26.8.1988 – 3 Ws 512/88, NStZ 1989, 370 (371). 5 Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.5.2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1, die bis zum 31.12.2019 umzusetzen ist; hierzu Kepp/Schober, BB 2018, 2455; Stöber, BB 2018, 1559; Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 549; Hey, FR 2018, 633; vgl. auch den Arbeitsentwurf BT-Drucks. 19/ 4766 v. 8.10.2018; vgl. auch das Gutachten v. Hey zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen, abrufbar unter https://www.bstbk.de/export/sites/standard/de/ressourcen/Dokumente/04_presse/pressemitteilungen_anlagen/2018/Gutachten_Prof.Hey_Anzeigepflichten_Feb-2018.pdf.; zum Ganzen auch Peters, NZWiSt 2016, 374; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1237 ff. 6 Zum Ganzen auch Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.39 ff. 7 Vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1240. 8 Vgl. nur EuGH v. 22.11.2017 – C-251/16, ECLI:EU:C:2017:881 – Cussens, UR 2018, 241. 9 Hierzu Hey, StuW 2017, 248 (258 ff.); Musil, FR 2018, 933 (936 f.); Haarmann, IStR 2018, 561 (562 ff.) jeweils mit Hinweisen zu den Unterschieden zu § 42 AO. 10 Zum Umsatzsteuerrecht vgl. BFH v. 16.6.2015 – XI R 17/13, BStBl. II 2015, 1024. 11 Hierzu Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.24 ff. 12 Zur unterschiedlichen Terminologie des Art. 6 ATAD im Vergleich zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH vgl. Holle in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 6 Rz. 301 ff.; Hey, StuW 2017, 248 (258 ff.); Musil, FR 2018, 933 (936 f.); Haarmann, IStR 2018, 561 (562 ff.).

484 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.217 Kap. 11

In strafrechtlicher Hinsicht wird zukünftig problematisch sein, dass ein Missbrauch gem. § 42 Abs. 2 Satz 2 AO ausgeschlossen sein soll, wenn der Steuerpflichtige außersteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung nachweist. Gleiches gilt für die Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG, wo der Steuerpflichtige nachzuweisen hat, dass eine Gesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedsstaat der EU oder Vertragsstaat des EWR Abkommens tatsächlich einer wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht.1

11.214

Die Übernahme steuerlicher Beweislastregeln zur Begründung der Annahme der Steuerhinterziehung verbietet sich.2 Das Strafrecht knüpft nur an das steuerliche Ergebnis an, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe ein Hinterziehungserfolg gegeben ist. Für die Feststellung der Steuerhinterziehung gelten die allgemeinen Beweisgrundsätze.3 Wie dargelegt, besteht insbesondere in diesem Zusammenhang die große Gefahr strafrechtlicher Analogien zu Lasten des Täters, indem steuerlich zulässige, nachteilige Analogien zur Begründung der Strafbarkeit übernommen werden.

11.215

d) Praktische Hinweise Der Steuerpflichtige ist gehalten, den Sachverhalt so zu unterbreiten, dass die Finanzbehörde die Anwendbarkeit des § 42 AO prüfen kann. Oftmals wird jedoch problematisch sein, ob der Steuerpflichtige seiner steuerlichen Offenbarungspflicht pflichtwidrig nicht nachgekommen ist, also die erheblichen Tatsachen der rechtlichen Gestaltung nicht dargelegt hat.4 Faktisch bedeutet diese Mitteilungspflicht, dass der Steuerschuldner den Umgehungstatbestand gegenüber dem Finanzamt offenbaren muss, um es diesem zu ermöglichen, über § 42 AO das materielle Steuerrecht angemessen anzuwenden und die Steuer zutreffend festzusetzen. Geschieht dies nicht, ist dem Finanzamt eine Bewertungsmöglichkeit nicht eröffnet.5 In Grenzbereichen bzw. bei gewagten, neuen oder gerichtlich anhängigen steuerlichen Konstruktionen sollte der maßgebliche Sachverhalt gegenüber der Finanzbehörde offengelegt werden.

11.216

Dass der Begriff der Angemessenheit ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, zeitigt auch für die strafrechtliche Beurteilung Auswirkungen.6 Angesichts der vielfach kasuistischen Rechtsprechung ist Zurückhaltung geboten. Zudem ergeben sich daraus Probleme im Hinblick auf die Feststellung des subjektiven Tatbestands, wenn der Steuerpflichtige von der Angemessenheit überzeugt war.7

11.217

14. Verrechnungspreise Literatur: Baumhoff, Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 3.1 ff.; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, DStR 2004, 157; Bruschke, Sanktionen bei einem Verstoß gegen die Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise, DStZ 2006, 575; Ditz, Die Grenzen des Fremdvergleichs – Zugleich Plädoyer für ein Festhalten am Fremdvergleichsgrundsatz, FR 2015, 115; Eigelshoven/Nientimp, Die Dokumentation angemessener Verrechnungspreise nach den Verwaltungs1 2 3 4 5 6 7

Dannecker in FS Samson, 257 (271). Kritisch hierzu auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz.456 ff., 1239. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 456 ff., 462. S. hierzu auch Bilsdorfer, PStR 2000, 150. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1237. LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152. OLG Düsseldorf v. 26.8.1988 – 3 Ws 512/88, NStZ 1989, 370 (371).

Peters | 485

Kap. 11 Rz. 11.217 | Steuerhinterziehung grundsätze-Verfahren: Eine kritische Analyse, DB 2005, 1184; Finsterwalder, Einkunftsabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen, BMF-Schreiben „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 765; Fischer/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – bisherige Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und aktueller Entwicklungen, BB 2007, 918; Gocke/Ditz, Internationale Verrechnungspreise und das Steuerstrafrecht, in FS Streck, Köln 2011, 495; Gotzens, Verrechnungspreise und Steuerstrafrecht, PStR 2006, 253; Joecks/Kaminski, Dokumentations- und Sanktionsvorschriften für Verrechnungspreise in Deutschland, IStR 2004, 65; Kiesel/Theisen, Steuerstrafrechtliche Risiken konzerninterner Verrechnungspreisgestaltungen, IStR 2006, 284; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, Frankfurt 2006; Meyer, Abwehrstrategien gegen die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen im Betriebsprüfungsverfahren, DStR 2005, 2114; Peters/Pflaum, Steuerhinterziehung durch unangemessene Verrechnungsprese, wistra 2011, 50; Rasch/Rettinger, Aktuelle Fragen der Verrechnungspreisdokumentation, Unternehmenscharakterisierung und Methodenwahl in den Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, BB 2007, 353; Schaumburg, Steuerstrafrechtliche Grenzen internationaler Steuergestaltungen aus deutscher Sicht, Finanzstrafrecht 2003, 177; Schaumburg, Grenzüberschreitende Einkünftekorrektur bei Betriebsstätten – Verfassungs- und europarechtliche Aspekte, ISR 2013, 197; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 18.80 ff.; Schaumburg/Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Steuervermeidung, Steuerumgehung und Steuerhinterziehung, in FG Baumhoff, Köln 2020, 297; Sidhu/ Schemmel, Steuerhinterziehung bei grenzüberschreitenden Gewinnverlagerungen durch Festlegung unangemessener Konzernverrechnungspreise, BB 2005, 2549; Sidhu/Schemmel, Unangemessene Konzernverrechnungspreise, PStR 2006, 46; Vögele/Bader, Systematik der Schätzung von Verrechnungspreisen, IStR 2002, 354; Wassermeyer, Dokumentationspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, DB 2003, 1535; Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014; Wehnert/Selzer, Verrechnungspreise – Grenzen der Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO, DB 2005, 1295; Weigell, Dokumentation für Pflichten bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen: Einzug des Steuerstrafrechts in das internationale Steuerrecht!, DStR 2005, 162; Werra, Zweifelsfragen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen – Zum Entwurf der Verwaltungsgrundsätze – Verfahren zur Einkunftsabgrenzung zwischen internationalen Unternehmen, DStR 2005, 19; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, Baden-Baden 2009.

a) Allgemeines

11.218

Seit 2003 haben sich die Dokumentationsanforderungen im Bereich der Verrechnungspreise1 verschärft und für international tätige Konzerne zu einer der wichtigsten Herausforderungen im Bereich des Internationalen Steuerrechts entwickelt.2 Die Zeiträume, für die diese erhöhten Anforderungen gelten, sind zunehmend Gegenstand von Betriebsprüfungen und von strafrechtlichen Vorermittlungen. Was zu befürchten war, hat sich bestätigt, sehr viel häufiger als in früheren Betriebsprüfungen wird bei Feststellung eines Mehrergebnisses ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet oder die Staatsanwaltschaft hinzugezogen, zumal die möglichen Mehrergebnisse teils extrem sind.

11.219

Auch erste Durchsuchungen im Rahmen ungemessener Verrechnungspreise sollen erfolgt sein. Die Praxis zeigt dabei, dass entsprechende Fälle bisweilen gar nicht mit der Intention geführt werden, ein Strafverfahren bis zur Erhebung der öffentlichen Klage (Anklage) zu betreiben. Faktisch geht es mitunter vielmehr darum, bei den Unternehmen die Einigungsbereitschaft im Rahmen der Betriebsprüfung zu erhöhen und ggf. noch ergänzend ein Buß-

1 Vgl. auch Rz.15.13 ff.; Rz. 16.118. 2 So ausdrücklich Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1184; vgl. auch Schaumburg/Schaumburg in FG Baumhoff, 2020, 297.

486 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.221 Kap. 11

geld „herauszuschlagen“.1 Nicht selten wird eine regelrechte strafrechtliche Drohkulisse aufgebaut,2 um den Steuerpflichtigen zu einer tatsächlichen Verständigung zu veranlassen.3 Im Ergebnis verzichten die betroffenen Steuerpflichtigen zumeist auf eine gerichtliche Klärung,4 auch im Hinblick auf eine mögliche Außenwirkung. Vor dem Hintergrund der Richtline 2018/822, deren erklärtes Ziel auch die Bekämpfung der Steuerhinterziehung5 ist, werden die strafrechtlichen Probleme zukünftig abermals verschärft,6 auch was Verrechnungspreise betrifft.7

11.220

Entsprechende Fälle weisen dabei bereits von vornherein immer ein entsprechendes Kaliber und Potential auf, da die Schwelle des großen Ausmaßes von 50.000 Euro um ein vielfaches überschritten ist, mithin die Verjährungsfrist gilt. Dabei müssen die Probleme nicht direkt auf den ersten Blick verrrechnungspreislicher Natur sein. Die entsprechende Problematik kannn sich auch in erst in einem zweiten Schritt ergeben.

11.221

Beispiel: Das Unternehmen A beabsichtigt die Zentralisierung seines Einkaufs in dem europäischen Land L. Hierzu wird eine Gesellschaft gegründet und es werden Räumlichkeiten angemietet. Die personelle Austattung ist anfangs noch dünn, wird im Laufe der Zeit aber verstärkt. Im Zuge einer Betriebsprüfung 5 Jahre später ist fraglich, ob und ggf. ab wann der Ort der Geschäftsleitung im Ausland belegen ist Daneben taucht die Fragestellung auf, wenn der Ort der Geschäftsleitung im Ausland war,

1 Anzumerken ist, dass dieses unmittelbar zumindest anteilig in den jeweiligen Landeshaushalt fließt und dem entsprechenden FA rechnerisch zugeordnet wird. Zu dem Problem, dass das Drohpotential strafrechtlicher Verfolgung rechtsschutzverkürzend wirkt vgl. auch Krumm in Schön/Sternberg, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, III, 2018, 1 (22 f.). 2 Zunehmend auch durch Einleitung eines Strafverfahrens (§ 397 AO). 3 Hierzu Seer in T/K, § 162 AO Rz. 17; Joecks in J/J/R8, Einleitung Rz. 120; Mack, Stbg.2012, 116 (118, 122). 4 Schaumburg/Schaumburg in FG Baumhoff, 2020, 297 (299 f.) unter Verweis darauf, dass Verfahren über die Angemessenheit von Verrechnungspreisen nur selten bei Finanzgerichten anhängig gemacht werden; zu dem Problem, dass das Drohpotential strafrechtlicher Verfolgung rechtsschutzverkürzend wirkt, vgl. Krumm in Schön/Sternberg, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, III, 2018, 1 (22 f.). 5 Rz. 1 der Erwägungsgründe der ÄnderungsRL (EU) 2016/881 v. 25.5.2016 zur EU-AHiRL. 6 Vgl. zum Ganzen auch die gesetzgeberischen Bemühungen, eine Anzeigepflicht für steuerliche Gestaltungen insgesamt einzuführen, vgl. den Regierungsentwurf Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. 4.11.2019, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/146/1914685.pdf; http://www.lto.de/recht/hintergruende/ h/regierung-plant-pflicht-anzeige-steuersparmodelle-berufsfreiheit-finanzen/; Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.5.2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1, die bis zum 31.12.2019 umzusetzen ist; hierzu Kepp/Schober, BB 2018, 2455; Stöber, BB 2018, 1559; Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 549; Hey, FR 2018, 633; vgl. auch den Arbeitsentwurf BT-Drucks. 19/4766 v. 8.10.2018; Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017; vgl. auch das Gutachten v. Hey zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen, abrufbar unter https://www.bstbk.de/export/sites/standard/de/ ressourcen/Dokumente/04_presse/pressemitteilungen_anlagen/2018/Gutachten_Prof.Hey_Anzeigepflichten_Feb-2018.pdf.; zum Ganzen auch Peters, NZWiSt 2016, 374. Von besonderer Relevanz ist die Richtlinie bzw. die in ihr enthaltene Meldepflicht bereits zum jetzigen Zeitpunkt, da Intermediäre auch solche Gestaltungen zu melden haben, deren erster Umsetzungsschritt zwischen dem Inkrafttreten am 25.6.2018 und dem Anwendungsbeginn der Richtlinie am 1.7.2020 liegt. 7 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/146/1914685.pdf, S. 9 zu § 138e-E Abs. 2 Nr. 4.

Peters | 487

Kap. 11 Rz. 11.221 | Steuerhinterziehung ob und warum die ausländische Gesellschaft entsprechende erhaltene Skonti nicht an die deutsche Muttergesellschaft weitergeleitet hat. Das in Rede stehende Mehrergebnis sollte knapp 10 Mio. Euro betragen.1

11.222

Mit Blick auf das in Planung befindliche Unternehmensstrafrecht2 und die darin enthaltenen Möglichkeiten der Exkulpation, dürfte die Thematik unangemessener Verrechnungspreise weiter an Bedeutung gewinnen. Bereits die Vorgaben des BGH können in die Richtung verstanden werden, dass ein funktionierendes, gelebtes Tax Compliance System zur Exkulpation beitragen kann, mindestens aber das voluntative Element des Vorsatzes in Frage stellt.3 Zum steuerlichen Pflichtenkreis vgl. Rz. 16.118 ff. b) Bußgeldrechtliche Aspekte

11.223

Bei Verletzung dieser Mitwirkungspflichten drohen zunächst steuerliche Sanktionen. Ebenfalls durch das StVergAbG eingefügt wurden § 162 Abs. 3, 4 AO, die – einer internationalen Entwicklung folgend4 – weitreichende steuerliche Sanktionen speziell für die Verletzung der Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO enthalten. § 162 Abs. 3, 4 AO gelten gem. Art. 97 § 22 Satz 2 EGAO erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2003 beginnen, frühestens sechs Monate nach Inkrafttreten der GAufzV5. Voraussetzung ist, dass die Dokumentationspflichten verletzt worden sind, dass also entweder innerhalb der 60 – oder 30-Tages-Frist überhaupt keine oder eine im Wesentlichen unverwertbare Dokumentation vorgelegt wird oder dass außergewöhnliche Geschäftsvorfälle (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO) nicht zeitnah dokumentiert worden sind. Maßstab dafür, ob die Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar ist oder nicht, ist, ob ein sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit feststellen und prüfen kann, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige verwirklicht hat und inwieweit dabei der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde.6 1 Der Sachverhalt ist vereinfacht dargestellt. Das Unternehmen konnte indes fast mustergültig die Aufenthalte und Tätigkeiten der Geschäftsführer vor Ort z.B. anhand der Spesenbelege und Übernachtungskosten nachweisen und vermochte auch ansonsten überzeugend darzulegen, dass die Frage nach der Weitergabe der Skonti im Rahmen der Vertragsverhandlungen schlicht nicht bedacht wurde, zumal es sich nach Ansicht des Unternehmens um ein Finanzierungsinstrument handelt. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität, abrufbar unter https:// www.steuerberater-center.de/media/VerSanG_RefE.pdf, vgl. § 10, zu den Milderungsmöglichkeiten vgl. S. 95 des Entwurfs. 3 Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität, abrufbar unter https:// www.steuerberater-center.de/media/VerSanG_RefE.pdf; vgl. auch die Überlegungen im Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes abrufbar unter http://www.verbandsstrafrecht.jura. uni-koeln.de/sites/fg_verbandsstrafrecht/user_upload/Koelner_Entwurf_eines_Verbandssanktionengesetzes__2017.pdf; vgl. auch Jäger im Protokoll-Nr. 18/Wahlperiode Finanzausschuss Wortprotokoll der 25. Sitzung Finanzausschuss Berlin, den 12.11.2014 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung BT-Drucks. 18/3018, 12: „Gerade dieses Willenselement fehlt, wenn in einem Unternehmen zum Beispiel derjenige, der die Steuererklärung unterschreibt, gestützt auf funktionierende innerbetriebliche Organisationsprozesse eine Angabe nach bestem Wissen und Gewissen macht.“ 4 Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 157. 5 Hier liegt die praktische Relevanz der rückwirkenden Inkraftsetzung der GAufzV. 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.19.

488 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.225 Kap. 11

§ 162 Abs. 3 AO sieht für den Verstoß gegen die Dokumentationspflichten verfahrensrechtliche Sanktionen vor. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO statuiert eine widerlegbare Beweisvermutung zu Lasten des Steuerpflichtigen.1 Er enthält damit eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes, dass sich das Beweismaß zu Gunsten der Finanzverwaltung verlagert, wenn der Steuerpflichtige Tatsachen aus seiner Wissenssphäre pflichtwidrig nicht preisgibt.2 § 162 Abs. 3 Satz 2 AO beinhaltet eine besondere Schätzungsregelung als Reaktion auf die höchstrichterliche Rspr.3 Da es immer nur eine Bandbreite angemessener Verrechnungspreise geben kann,4 ging die Rspr. früher davon aus, dass die Finanzbehörde eine Beweislastentscheidung zu Gunsten des Steuerpflichtigen treffen und deshalb den jeweils für ihn günstigsten Unter- oder Oberwert vertretbarer Verrechnungspreise ansetzen müsse.5 Diese Rechtslage wird durch § 162 Abs. 3 Satz 2 AO zu Gunsten des Fiskus modifiziert. Die Finanzbehörde ist allerdings weiterhin zu pflichtgemäßer Ermessensausübung verpflichtet (vgl. „kann“).6

11.224

§ 162 Abs. 4 AO sieht als zusätzliche Sanktion besondere Zuschläge vor, die gem. § 3 Abs. 4 AO eine steuerliche Nebenleistung eigener Art darstellen.7 Die gelegentlich anzutreffende Bezeichnung als „Strafzuschläge“8 – in Analogie zum englischen Begriff der „penalties“ – ist ungenau. Es handelt sich bei den Zuschlägen um keine zu einem Strafklageeverbrauch führende Strafe im Rechtssinne, da die Zuschläge weder das mit einer Strafe verbundene „sozialethische Unwerturteil“9 beinhalten, noch ein Verschulden in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetzen. Wie sich aus § 162 Abs. 4 Satz 4 AO ergibt, hat der Zuschlag gem. § 162 Abs. 4 AO – ähnlich dem Verspätungszuschlag gem. § 152 AO – keinen repressiven Charakter, sondern soll den Steuerpflichtigen zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO anhalten.10 Insofern ist de lege lata auch ein transnationaler Strafklageverbrauch zu verneinen (vgl. auch Rz. 4.47 ff.).11 Bei Nichtvorlage kann ein Steuerzuschlag in Höhe von mindestens 5000 Euro, mindestens aber 5 % und höchstens 10 % der hinzu geschätzten Einkünfte fällig werden. Bei verspäteter Vorlage sind für jeden vollen Tag der Säumnis 100 Euro, maximal 1 Mio. Euro zu zahlen.

11.225

1 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 66. 2 Vgl. BFH v. 9.8.1991 – III R 129/85, BStBl. II 1992, 55 = BFHE 165, 326 = DStZ 1992, 61. 3 Vgl. hierzu auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570, Tz. 4.6.2. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.5; s. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 ff.; Kiesel/Theisen, IStR 2006, 284 (285); Finsterwalder, DStR 2005, 765 (769). 5 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 (175 ff.). 6 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 70. 7 Vgl. hierzu auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570, Tz. 4.6.3. 8 Vgl. die Nachweise bei Seer in T/K, § 162 AO Rz. 72; Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1184, sprechen gar von einer „Geldbuße“. 9 Vgl. BVerfG v. 7.12.1999 – 2 BvR 1533/94, BVerfGE 101, 275; OLG Frankfurt/M. v. 20.5.2005 – 3 Ws 343/05, NStZ-RR 2005, 248. 10 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 72, der von Beugemitteln ausgeht. 11 Vgl. auch EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27; vgl. hierzu Bülte, ZWH 2013, 265; vgl. auch Heger in FS Kühne, 565 (571 f.); Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93.

Peters | 489

Kap. 11 Rz. 11.226 | Steuerhinterziehung

c) Strafrechtliche Konsequenzen

11.226

§ 1 Abs. 3 AStG normiert die gesetzlichen Vorgaben zur Ermittlung der im Rahmen des Fremdvergleichs gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG steuerlich anzusetzenden Verrechnungspreise. Als formelles Gesetz steht § 1 Abs. 3 AStG in der Normenhierarchie über der GAufzV und entfaltet im Gegensatz zu den Verwaltungsgrundsätzen-Verfahren1 unmittelbar externe Bindungswirkung gegenüber Rechtsprechung und Steuerpflichtigen insbesondere auch bei der Ausfüllung des Blanketttatbestands der Steuerhinterziehung. Es handelt sich um eine Vorschrift des materiellen Steuerrechts, die Einzelheiten der in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG vorgesehenen (außerbilanziellen)2 Korrektur der steuerlichen Gewinnermittlung regelt.

11.227

Eine Steuerhinterziehung kommt im Falle unrichtiger Verrechnungspreise nur dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat und der in Rede stehende Verrechnungspreis in Folge dessen falsch falsch ist. Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung aufgrund nicht fremdüblicher Verrechnungspreise ermittelte Einkünfte erklärt und hierdurch Steuern verkürzt.3

11.228

Als Täter kommen neben den Steuerpflichtigen selbst die Vorstände und Geschäftsführer von Kapital- und Personengesellschaften sowie Steuerabteilungsleiter und überhaupt alle Mitarbeiter eines Unternehmens, die im Zusammenhang mit der Verrechnungspreisbestimmung tätig sind, in Betracht.4

11.229

Allein die Verletzung der Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO genügt indes nicht,5 wie auch sonst die bloße Verletzung von Mitwirkungspflichten für die Verwirklichung des Tatbestands nicht ausreichend ist. Die Annahme einer Steuerhinterziehung ist freilich ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige sich redlich und ernsthaft um eine dem Fremdvergleich genügende Preisbildung für seine steuerliche Einkünftermittlung bemüht und die Finanzbehörde über die Verwendung abweichender, aber vertretbarer Methoden in Kenntnis setzt. Dies kann der Fall sein, wenn entsprechende Vergleichswerte nicht existieren, z.B. im Fall von Lizenzgebühren.6

11.230

Da es den (einzigen) richtigen Verrechnungspreis nicht gibt,7 ist in strafrechtlicher Hinsicht ein Verrechnungspreis nur dann unangemessen, mithin falsch bzw. unrichtig, wenn er bei Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG) außerhalb 1 Zu deren fehlender externen Bindungswirkung Seer in T/K, § 90 AO Rz. 43; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353. 2 So bereits BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570, Tz. 5.3.3 zu § 1 AStG a.F. 3 Insoweit werden gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben gemacht; Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (507); Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 12.17.; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (251). 4 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 22; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155; zur steuerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit in arbeitsteiligen Unternehmen BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, WM 2018, 2018; vgl. hierzu auch Pflaum, UR 2019, 63 ff.; speziell zur mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft Peters in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 393 ff. 5 Kiesel/Theisen, IStR 2006, 284; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (250). 6 Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (508), die unter Verweis auf Streck/Binnewies, DStR 2009, 231 davon ausgehen, dass der Steuerpflichtige im Bereich der Verrechnungspreise durch eine entsprechende „Tax Compliance“ eine Steueroptimierung erreichen kann, ohne sich strafbar zu machen. 7 Vgl. Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (498 f., 508).

490 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.232 Kap. 11

feststellbarer Bandbreiten und bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG) außerhalb des maßgeblichen Einigungsbereichs liegt (zu den verschiedenen Methoden vgl. Rz. 13.207 ff.). Ergänzend gelten die Ausführungen hinsichtlich der Vertretbarkeit und Kenntlichmachung abweichender Rechtsansichten,1 sodass eine Strafbarkeit de facto nur dann in Betracht kommt, wenn der Steuerpflichtige von allen vertretbaren Methoden abweicht und daraus ein unangemessener Verrechnungspreis resultiert (Rz. 16.129). Angesichts der Bandbreite möglicher Methoden zur Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises beansprucht in strafrechtlicher Hinsicht der In-dubio-pro-reo-Grundsatz und die in diesem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung des BGH zur verwandten Bewertungsmethode zur Feststellung des Schadens beim Betrug besondere Geltung.2 Stehen mehrere Methoden zur Berechnung des Schadens zur Auswahl und können sich deren Ergebnisse unterscheiden, ist dies in strafrechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen. Zur Bestimmung des Wertes eines Unternehmens im Strafverfahren, wie auch im Besteuerungsverfahren,3 sind grundsätzlich die anerkannten Bewertungsmaßstäbe heranzuziehen, die für den Beschuldigten am günstigsten sind.4 Nur so kann wegen der im Zivilrecht bestehenden Bewertungsunsicherheiten und ungeklärten Bewertungsmaßstäbe dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz Rechnung getragen werden.5 Dies gilt auch für die Frage der Angemessenheit von Verrechnungspreisen und die anzuwendende Methode hinsichtlich der Angemessenheit.

11.231

Die Entscheidung über die „Angemessenheit“ der der Steuererklärung zu Grunde gelegten Verrechnungspreise ist rechtliche Würdigung. Die Besonderheit liegt zudem darin, dass die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren drei verschiedene Standardmethoden,6 unter besonderen Umständen zusätzlich mehrere gewinnorientierte Methoden,7 gleichberechtigt8 zulassen; lediglich eine Methode ist ausdrücklich ausgeschlossen.9 Es stehen damit mehrere „gängige“ Rechtsauffassungen nebeneinander. Gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV ist die Entscheidung für

11.232

1 Zu den Besonderheiten bei Angemessenheits-Bandbreiten auch Wulf in FS Streck, 2011, 627 (642 f.). 2 BGH v. 11.9.2003 – 5 StR 524/02, wistra 2003, 457 (459). 3 BFH v. 17.10.1002 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, DStR 2005, 1307. 4 BGH v. 11.9.2003 – 5 StR 524/02, wistra 2003, 457 (459). 5 BGH v. 11.9.2003 – 5 StR 524/02, wistra 2003, 457 (459). In den VWG-Verfahren wird hingegen unter Tz. 3.4.10.1 davon ausgegangen, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer die Methode wählt, die seinen Verrechnungspreisen am besten gerecht wird. 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570 (581), Tz. 3.4.10.3, lit. a). Der Stpfl. ist lediglich verpflichtet, die Gründe für seine Entscheidung zu dokumentieren, vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV. 7 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570 (581), Tz. 3.4.10.3, lit. b), c). Zu den gewinnorientierten Methoden i.E. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1551 ff.); ausführlich zu den einzelnen Verrechnungspreismethoden Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 383 ff. 8 Ein Anwendungsvorrang bestimmter Methoden ist in den Verwaltungsgrundsätzen-Verfahren (weiterhin) nicht festgelegt, Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1552). Dies entspricht der Rspr. des BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, DStR 2005, 1307; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 3.169 ff. 9 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570 (581), Tz. 3.4.10.3, lit. d).

Peters | 491

Kap. 11 Rz. 11.232 | Steuerhinterziehung

eine bestimmte Methode zwar Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation gem. § 90 Abs. 3 Satz 2 AO, nach der Rspr. des BGH1 aber gerade nicht der von § 370 Abs. 1 AO strafbewehrten Erklärungspflicht. Zudem ist anerkannt, dass die Angemessenheit von Verrechnungspreisen nicht punktgenau, sondern nur innerhalb einer Bandbreite bestimmt werden kann (§ 1 Abs. 3 Satz 3 AStG).2 Der Steuerpflichtige ist innerhalb dieser Bandbreite weder durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen3 noch durch „zuverlässige Fremdvergleichspreise“4 an bestimmte Werte gebunden.5 Der Median mag zwar für die Bestimmung angemessener Fremdvergleichspreise maßgeblich sein,6 aus steuerstrafrechtlicher Sicht ist er ohne Bedeutung.7

11.233

Erst dann, wenn der vom Steuerpflichtigen zu Grunde gelegte Verrechnungspreis von keiner der zugelassenen Methoden mehr gedeckt ist, kann daher überhaupt eine „unrichtige“ Erklärung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen.8 Den Steuerpflichtigen für die „Unrichtigkeit“ seiner Erklärung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO an der von ihm gewählten Berechnungsmethode festzuhalten, dürfte jedenfalls deswegen unzulässig sein, weil dann derjenige Steuerpflichtige, der von einer Verrechnungspreisdokumentation ganz absieht, gegenüber dem, der sie auch nur leichtfertig falsch durchführt, bevorzugt würde.

11.234

Wenn ein Steuerpflichtiger unangemessene Verrechnungspreise verwendet, ist sein Gewinn entsprechend (außerbilanziell) zu berichtigen.9 Die Berichtigung folgt je nach den Umständen des Einzelfalls10 den Grundsätzen der verdeckten Einlage (Rz. 16.134), der verdeckten Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG,11 jeweils zu Gunsten der ausländischen Schwestergesellschaft, oder § 1 Abs. 1 AStG (Rz. 16.139). Wenn der Steuerpflichtige die unangemessenen Verrechnungspreise seiner Steuererklärung zu Grunde legt, macht er daher im Ergebnis unrichtige Angaben i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AO (evtl. § 378 Abs. 1 AO).12 Wer ohne Rücksicht auf die Vorgaben des § 1 Abs. 3 AStG den Verrechnungspreis festlegt, 1 BGH v. 11.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 157. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570 (585 ff.), Tz. 3.4.12.5; Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 ff.; Finsterwalder, DStR 2005, 765 (769). 3 Entgegen BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570 (585), Tz. 3.4.12.5 lit. a); vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1554). 4 Entgegen BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570 (593), Tz. 4.1. 5 Werra, IStR 2005, 19 (20); Weigell, IStR 2005, 162 (163). 6 Zur Kritik hieran Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 998; unionsrechtlich ist auf den für den Steuerpflichtigen günstigsten Wert abzustellen, anderenfalls ist ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) gegeben; vgl. zur Begründung Rasch, TPI 2018, 288 (290 f.) unter Hinweis auf EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt; wegen der von Art. 9 OECD-MA ausgehenden Sperrwirkung findet § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG zudem auch in Abkommensfällen keine Anwendung; vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1465); Ditz, DStR 2006, 1625 (1628); Rasch, TPI 2018, 288 (291 f.). 7 Schaumburg/Schaumburg in FG Baumhoff, 2020, 297 (301). 8 Kiesel/Theisen, IStR 2006, 284 (286); Randt, Steuerfahndungsfall, Rz. C 694. 9 Sidhu/Schemmel, BB 2005, 2549 f. 10 Zur Abgrenzung vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 18.69 ff. zur verdeckten Gewinnausschüttung, Rz. 18.84 ff. zur verdeckten Einlage, Rz.18.89 ff. zu § 1 AStG; Wassermeyer, IStR 2001, 633. 11 BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, DStR 2005, 1307; BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, DStR 1994, 1802; BMF v. 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742 – 32/02, BStBl. I 2002, 603; Kiesel/Theisen, IStR 2006, 284 (285). 12 Rolletschke, Steuerhinterziehung, Rz. 24; Sidhu/Schemmel, BB 2005, 2549 (2540).

492 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.238 Kap. 11

der sodann „zufällig“ innerhalb der maßgeblichen Bandbreiten liegt, kann sich ggf. wegen versuchter Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, 2 AO, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbar machen.1 Auch im Hinblick auf die Feststellungen des Steuerschadens i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO in Form einer ins Einzelnen gehenden Berechnungsdarstellung2 treten im Fall der Verwendung unangemessener Verrechnungspreise erhebliche Probleme auf.

11.235

Die Steuerverkürzung ist grundsätzlich durch Vergleich der auf Grundlage der unrichtigen Angaben festgesetzten Ist-Steuer und der zutreffenden festzusetzenden Soll-Steuer zu ermitteln.3 Dieser Ist-Soll-Vergleich setzt im Ergebnis voraus, dass nach voller Überzeugung des Strafrichters die der Besteuerung zugrunde gelegten Verrechnungspreise tatsächlich nicht fremdüblich (unangemessen) sind und somit zu einer verdeckten Gewinnausschüttung, verdeckten Einlage oder einer Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG führen. Der Tatrichter muss den Umfang der Steuerverkürzung aufgrund eigener Feststellungen nach den Beweisgrundsätzen des Strafprozessrechts ermitteln. Er darf sich insbesondere nicht damit begnügen, Feststellungen, insbesondere auch Schätzungen4 der Finanzverwaltung, ohne erkennbare eigene Prüfung zu übernehmen oder auf die steuerlichen Mitwirkungspflichten des Angeklagten oder die steuerlichen Beweislastregeln verweisen (Rz. 16.129).5

11.236

Dies bedeutet speziell für die Verrechnungspreisdokumentation, dass eine Steuerverkürzung weder mit einer Vermutung gem. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO noch mit einer Schätzung gem. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO begründet werden kann.6 § 162 Abs. 3 AO findet keine Anwendung,7 so dass die dort verankerte Beweisvermutung strafrechtlich ohne Bedeutung ist (Rz. 16.129).8

11.237

Vielmehr ist die Soll-Steuer bei Verwendung angemessener Verrechnungspreise von den ermittelnden Finanzbehörden bzw. dem Gericht exakt zu berechnen. Der Grundsatz des „in dubio pro reo“ gebietet dabei, wie dargelegt, die für den Steuerpflichtigen günstigste zulässige Berechnungsmethode zu wählen und die bei Verrechnungspreisen stets gegebene Bandbreite der Angemessenheit, gerade entgegen § 162 Abs. 3 Satz 2 AO, voll zu Gunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Die bloße Verletzung von Dokumentationspflichten hat für sich keine strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Bedeutung.9 Dies kann allenfalls von indizieller Bedeutung sein.

11.238

1 2 3 4 5 6

Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (255 f.). BGH v. 13.10.2005 – 5 StR 368/05, wistra 2006, 66, st. Rspr. BGH v. 30.7.1985 – 1 StR 286/85, wistra 1986, 23; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94. BGH v. 4.2.1992 – 5 StR 655/91, wistra 1992, 147. BGH v. 13.10.1994 – 5 StR 134/94, wistra 1995, 67; Schaumburg, Finanzstrafrecht 2003, 182. Schaumburg, Finanzstrafrecht 2003, 182 f.; insbesondere die spezifisch steuerlichen Beweislastregelungen haben im Steuerstrafverfahren außer Betracht zu bleiben; vgl. BGH v. 24.6.1987 – 3 StR 152/87, wistra 1987, 292; BGH v. 10.9.1985 – 4 StR 487/85, wistra 1986, 65; BFH v. 10.11.2009 – I StR 283/09, wistra 2010, 148; Randt in J/J/R8, § 385 AO Rz. 22; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 172 ff.; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (253); a.A. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 458, 462, der zwischen Taterfolg und Tathandlung differenziert, wonach steuerliche Beweislastregeln zwar bei Feststellung des Taterfolges Geltung haben sollen, nicht aber bei der Frage, ob eine Tathandlung vorliegt, so dass nur insoweit der in dubio pro reo-Grundsatz zur Anwendung kommen soll. 7 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 16. 8 Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (253). 9 Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.36; Weigell, IStR 2005, 162; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (250).

Peters | 493

Kap. 11 Rz. 11.239 | Steuerhinterziehung

11.239

Die Schwierigkeiten im Bereich des objektiven Tatbestandes setzen sich im subjektiven Tatbestand fort.1 Bei Verwendung unangemessener Verrechnungspreise wird die Frage nach der Strafbarkeit gem. § 370 Abs. 1 AO in der Regel auf der subjektiven Tatbestandsseite entschieden.2 Bei der Frage nach der Angemessenheit handelt es sich um eine Wertungsfrage, weswegen die Vorsatzfeststellung erschwert ist. Im Hinblick auf die eingangs erwähnten Probleme und Diskussionen in Bezug auf die Neuregelungen des § 1 AStG, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Unionsrechtswidrigkeit und in Bezug auf das Verhältnis zu Art. 7 und 9 OECD-MA,3 wird ein vorsätzliches Verhalten nur ausnahmsweise in Betracht kommen.

11.240

Kann der Steuerpflichtige anhand einer sauberen Dokumentation über die Überlegungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise eine vertretbare Vorgehensweise darlegen, die jedoch von Finanzverwaltung und Justiz im Ergebnis nicht nachvollzogen wird, ist angesichts der mannigfaltigen Unwägbarkeiten der Verrechnungspreis-Ermittlung der Vorsatz zu verneinen. Vorsätzliches Handeln kommt hingegen dann in Betracht, wenn der verwandte Verrechnungspreis außerhalb jeglicher Bandbreite liegt, eine völlig falsche Methode verwandt wird oder der Steuerpflichtige bewusst Teilkosten ohne Begründung ermittelt. Beispiel: Das inländische Unternehmen A zahlt Lizenzgebühren an das funktionslose Unternehmen B, welches in einem Niedrigsteuerland ansässig ist. Ein wirtschaftlicher Vorteil resultiert daraus nicht.4

11.241

Wenn der Steuerpflichtige keine ordnungsgemäße Dokumentation angelegt hat und auch sonst das Zustandekommen der Verrechnungspreise nicht schlüssig darlegen kann,5 liegt zumindest dolus eventualis bzgl. der Unrichtigkeit der Angaben nahe und ggf. eine versuchte Steuerhinterziehung vor.6 Dies kann aber regelmäßig erst ab Inkrafttreten des § 90 Abs. 3 AO in der Fassung des StVergAbG gelten,7 da vorher keine entsprechenden Dokumentationspflichten bestanden.8

11.242

Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO begründet regelmäßig den Vorwurf der Leichtfertigkeit i.S.d. § 378 AO (zu den weiteren möglichen Ordnungswidrigkeiten vgl. Rz. 11.510 ff.). Insofern gelten zunächst die allgemeinen Anforderungen an die An-

1 Schaumburg in Leitner/Dannecker, Finanzstrafrecht 2003, 177 (182, 185). 2 Schaumburg in Leitner/Dannecker, Finanzstrafrecht 2003, 177 (182, 185); Gotzens, PStR 2006, 253 (255); vgl. Randt, Steuerfahndungsfall, Rz. C 694. 3 Zu einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit von § 1 Abs. 1 AStG ausführlich Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.124; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 3.60 f.; Schönfeld in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 13.1 ff.; vgl. auch Schaumburg, ISR 2013, 197; zu den möglichen Auswirkungen einer Unionsrechtswidrigkeit im Strafrecht vgl. Rz. 2.34; 2.58 ff., 5.1 ff., 13.190. 4 Beispiel nach Ditz/Gocke in FS Streck, 2011, 495 (512). 5 Vgl. gleichlautenden Ländererlass v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829: keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Steuerstraftat, wenn Differenzen in der Beurteilung durch Steuerpflichtigen und Betriebsprüfer mit sachgerechten Erwägungen aufgeklärt werden können. 6 Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 237 die die Schlussfolgerung für die Annahme eines bedingten Vorsatzes nur dann ausreichen lassen, wenn sich dies aus dem Fehlen von Kontrollmechanismen ableiten lässt; Randt, Steuerfahndungsfall, Rz. C 694; ähnlich Kiesel/Theisen, IStR 2006, 284 (287); Sidhu/Schemmel, BB 2005, 2549 (2551). 7 Randt, Steuerfahndungsfall, Rz. C 694. 8 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171.

494 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.245 Kap. 11

nahme leichtfertigen Verhaltens. Im Kontext der Verrechnungspreise gilt es zu beachten, dass eine Strafbarkeit wegen leichtfertiger Steuerverkürzung angesichts der strengen gesetzlichen Vorgaben allenfalls bei einem fehlerhaften hypothetischen Fremdvergleich denkbar wäre, etwa wenn die Funktionsanalyse oder die innerbetriebliche Planrechnung grob fehlerhaft durchgeführt wird. Zu beachten ist, dass bei dem Vorwurf der leichtfertigen Steuerhinterziehung eine Selbstanzeige auch weiterhin während der laufenden Betriebsprüfung möglich ist. Fraglich ist jedoch, ob der Vorwurf der Leichtfertigkeit bereits dann – wie in den Verwaltungsgrundsätzen-Verfahren vorausgesetzt1 – erhoben werden kann, wenn dem Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisfestsetzung zuverlässige Fremdvergleichspreise bekannt waren, er diese aber aus Gründen der Steuerersparnis nicht verwendet hat.

11.243

Nach den oben dargestellten Grundsätzen könnte dies den Vorwurf der Leichtfertigkeit nur dann begründen, wenn den Steuerpflichtigen eine Pflicht zur Verwendung „zuverlässiger Fremdvergleichspreise“ träfe. Eine solche Pflicht ergibt sich allerdings weder aus § 90 Abs. 3 AO noch aus der GAufzV. § 2 Abs. 2 Satz 3 GAufzV stellt sogar ausdrücklich fest, dass der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, Aufzeichnungen für mehr als eine geeignete Methode zu erstellen. Eine weitergehende Einengung erfolgt erst in den Verwaltungsgrundsätzen-Verfahren. Offen bleibt allerdings, nach welchen Kriterien der Steuerpflichtige die „Zuverlässigkeit“ feststellen können soll. Auch entfalten die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren lediglich interne Bindungswirkung für die Finanzverwaltung, nicht aber externe Bindungswirkung für die Rspr. und den Steuerpflichtigen.2 Insofern ist für die Klärung der Frage, welcher Wert bei Bestehen einer Bandbreite auszuwählen ist, weiterhin auf die höchstrichterliche Rspr. Abzustellen.3

11.244

Nach der Rspr. hat sich der Steuerpflichtige bei der Wahl des Verrechnungspreises allein am Grundsatz des Fremdvergleichs zu orientieren. Da innerhalb einer (zutreffend) ermittelten Bandbreite jeder Preis dem Grundsatz des Fremdvergleichs entspricht, kann der Steuerpflichtige für sich beanspruchen, den für ihn innerhalb der Bandbreite günstigsten Wert zu wählen.4 Selbst dann, wenn dem Steuerpflichtigen andere als die von ihm ermittelten Fremdvergleichspreise bekannt sind, braucht er angesichts von bis zu sieben Methoden zur Ermittlung von Fremdvergleichspreisen, die jeweils zu einer Bandbreite von Ergebnissen führen, nicht an der Richtigkeit des von ihm ermittelten Verrechnungspreises zu zweifeln. Dies gilt umso mehr, als wirtschaftlich völlig identische Vergleichskonstellationen ohnehin kaum denkbar sind.5 Auch wenn zu befürchten steht, dass die Finanzbehörden ein Abweichen von vermeintlich zuverlässigen Fremdvergleichspreisen entsprechend den Verwaltungsgrundsätzen-Verfahren zum Anlass für die Einleitung eines Steuerordnungswidrigkeiten- oder gar Strafverfahrens nehmen werden, kann dem in der Sache keinesfalls gefolgt werden.6

11.245

1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BStBl. I 2005, 570 (593), Tz. 4.1. 2 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 43; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549; Kroppen/Rasch, IWB 2005, Fach 3 Gr 1, 2113. 3 Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549. 4 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; vgl. auch BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, DStR 2005, 1307; Weigell, IStR 2005, 162 (163); a.A. offenbar Sidhu/Schemmel, BB 2005, 2549 (2551). 5 Sidhu/Schemmel, BB 2005, 2549 (2551). 6 Sehr zu Recht fordert Werra, IStR 2005, 19 (23) daher „Augenmaß“ bei der Anwendung der neuen Vorschriften.

Peters | 495

Kap. 11 Rz. 11.246 | Steuerhinterziehung

11.246

Neuerlich ist zu betonen, dass sich anhand praktischer Fälle in der Vergangenheit gezeigt hat, dass insbesondere eine saubere, nachhvollziehbare und zeitnah vorgelegte Dokumentation in erheblichem Maße dazu beitragen kann, die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittungsverfahrens zu verhindern und dementsprechend Unternehmensgeldbußen abzuwenden. Ratsam kann es dabei auch sein, eine entsprechende Dokumentation bzw. Beschreibung der Problematik und Vorgehensweise für Strafverfolgungsbehörden (StA, Straf- und Bußgeldsachenstelle) vorrätig zu halten, die in der Regel nicht so sehr mit den Verrechnungspreisproblematiken vertraut sind.

11.247

In jedem Fall stellt sich, wenn der Vorwurf der leichtfertigen Steuerverkürzung gem. § 378 Abs. 1 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 AO erhoben wird, in besonderem Maße die Frage nach einer Selbstanzeige gem. § 378 Abs. 3 AO. Diese ist, anders als die Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO, auch noch nach begonnener Betriebsprüfung möglich, also ggf. noch in der Schlussbesprechung. d) Beraterhinweis

11.248

Steht die Frage der Angemessenheit von Verrechnungspreisen und damit zusammenhängender Probleme im Raum, sollte möglichst frühzeitig bereits vor Beginn der Betriebsprüfung ein strafrechtlich versierter Berater hinzugezogen werden, der über eine ausgewiesene Expertise im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts verfügt. Für den Steuerpflichtigen beziehungsweise für die betroffenen Unternehmen ist zu Beginn der Betriebsprüfung in keinster Weise erkennbar oder absehbar, ob und gegebenenfalls inwieweit die Betriebsprüfung bereits mit der Steuerfahndung – und sei es auch nur Flankenschutzfahndern – in Kontakt steht. Aus der Praxis heraus ist zu konstatieren, dass die teils immensen Mehrergebnisse immer häufiger Begehrlichkeiten wecken, zumal die Zahlungen von Geldbußen/Geldauflagen in den Landeshaushalt fließen und wirtschaftlich potente Unternehmen oftmals einigungsbereit sind. Auch schon vor einer entsprechenden Betriebsprüfung kann es sich anbieten, die bestehende Verrechnungspreisdokumentation auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten kritisch zu beleuchten.

15. Taterfolg a) Einführung

11.249

Durch das Verhalten muss es zu einer Steuerverkürzung oder zur Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile kommen. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können (§ 370 Abs. 4 AO).

11.250

Das Ob der Steuerverkürzung richtet sich nach den allgemeinen Steuergesetzen und liegt vor, wenn die Soll-Steuer von der Ist-Steuer abweicht. Ausreichend sind ebenso unrichtige Voranmeldungen (§ 168 AO); Nichtanmeldungen zum Fälligkeitstermin, ungenügende Vorauszahlungen oder einer Verhinderung der Steuervollstreckung, etwa durch falschen Tatsa496 | Peters

C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.253 Kap. 11

chenvortrag im AdV-Verfahren (§ 361 AO) oder im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung.1 Nicht vom Begriff des Steuervorteils umfasst sind wegen des fehlenden Sanktionscharakters2 Säumnis- und Verspätungszuschläge, Zwangsgelder oder sonstige Zuschläge, wie etwa in § 90 Abs. 4 AO normiert. Denn steuerliche Nebenleistungen sind keine Steuern im Sinne der Legaldefinition nach § 3 Abs. 1 AO. Nebenleistungen – Säumnis- und Verspätungszuschläge sowie Zwangsgelder – sind vielmehr nach übereinstimmender Auffassung vorrangig Beugeoder Druckmittel eigener Art, die Steuerpflichtigen zu einem bestimmten erwünschten Verhalten veranlassen sollen.3 Im Weiteren findet sich eine am Rechtsgut orientierte Argumentation, dass das zu schützende Rechtsgut des § 370 AO im Anspruch des Steuergläubigers auf den vollen Ertrag jeder einzelnen Steuer zu sehen ist.4 Dazu gehöre der allgemeine Zahlungsanspruch des Fiskus nicht. Es handele sich vielmehr um einen Folgeanspruch, der sich erst aus der Verweigerung des Steuerpflichtigen gegenüber dem Anspruch des Staates auf rechtzeitige und vollständige Zahlung der Steuern ergibt und der als Ungehorsamsfolge neben den Steueranspruch tritt. Zu Recht lehnt der BGH auch einen Rückgriff auf den Betrug (§ 263 StGB) ab. Die bloße Nichtzahlung oder verspätete Zahlung der Steuer ist allein in den Fällen der §§ 26b, 26c UStG (Schädigung des Umsatzsteueraufkommens) strafbewehrt. In Betracht kommt ferner eine Ordnungswidrigkeit nach § 380 AO.

11.251

Beispiel: A veräußert seine inländische Firma, sein Einfamilienhaus und sämtliche ihm gehörigen Grundstücke. Zuvor hat er sich schon ein Haus in einem Drittland zugelegt. Er gibt entsprechende Steuererklärungen ab, indes mit der Absicht die zu erwartende Steuerschuld nicht zu zahlen.

A macht sich nicht wegen Steuerhinterziehung strafbar. In Betracht kommt indes eine Passentziehung nach §§ 7, 8 PassG, die auch dann möglich ist, wenn sich A bereits im Ausland befindet und je nach Land zu erheblichen Problemen (z.B. Abschiebehaft) führen kann.

11.252

b) Steuerhinterziehung bei Fehlen steuerlicher Nachweise Eine Steuer ist nicht schon dadurch verkürzt, wenn der steuerlich relevante Vorgang zwar stattgefunden hat, aber der steuerrechtlich erforderliche Nachweis nicht erbracht wurde. Zutreffend erscheint, eine Steuerverkürzung – nur – dann anzunehmen, wenn das Nachweiserfordernis eine materielle Voraussetzung für eine steuerliche Folge ist, z.B. ein Beleg als Ausfuhrnachweis für die Steuerbefreiung der Ausfuhr (§§ 4, 6 Abs. 4 UStG) oder eine ordnungsgemäße Rechnung für den Vorsteuerabzug (§§ 14, 15 UStG). Die Nachweiserfordernisse für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a, 17c UStDV) sind dagegen keine materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung. (vgl. auch Rz. 18.28).

1 BGH v. 26.10.1998 – 5 StR 746/97, wistra 1999, 103; vgl. auch die Anm. von Spatscheck/Mantas, PStR 1999, 198; Rolletschke, Steuerhinterziehung, Rz. 29; ablehnend noch Streck/Schwedhelm, DStR 1986, 713 (714), die nur eine Verletzung des Steuerrechts als ausreichend ansahen, der Annahme einer Steuerhinterziehung durch eine tatsächliche Verständigung aber entgegenhielten, dass der Blankettverweis nicht greife, wenn eine Vereinbarung über den Sachverhalt getroffen werde. 2 BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, wistra 1998, 180 (188). 3 BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, wistra 1998, 180 (188) unter Verweis auf BFH v. 26.4.1989 – I R 10/85, BStBl. II 1989, 693; BFH v. 29.8.1991 – V R 78/86, BStBl. II 1991, 906 (908) m.w.N. 4 BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, wistra 1998, 180 (188).

Peters | 497

11.253

Kap. 11 Rz. 11.254 | Steuerhinterziehung

16. Steuervorteilserlangung 11.254

Was den ungerechtfertigten Steuervorteil betrifft, kommen nur solche Vorteile in Betracht, die steuerspezifisch sind. Die Erlangung des Vorteils muss zu einer Beeinträchtigung des Rechtsguts führen. Beispiele: Erschleichen einer Stundung,1 zu Unrecht eingetragene Freibeträge auf Lohnsteuerkarte, Zahlungsaufschub, Rücknahme oder Änderung von Bescheiden (§ 172 AO), Vergünstigungen im Vollstreckungsverfahren, Bewilligung zollbegünstigter Lager, Belassung eines offenen Mineralölsteuerlagers.2

11.255

Der Erlass steuerlicher Nebenleistungen (§ 3 Abs. 3 AO) ist kein Vorteil. Ob ein unrichtiger Grundlagenbescheid einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil i.S.d. § 370 Abs. 4 AO darstellen kann oder ob eine vollendete Steuerhinterziehung erst dann gegeben ist, wenn ein unrichtiger Folgebescheid ergangen ist und bekannt gegeben worden ist, war bislang umstritten. Der BGH hat diese Rechtsfrage nun dahin gehend entschieden, dass die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil i.S.d. § 370 Abs. 1 AO sein kann.3

17. Kompensationsverbot a) Einführung

11.256

Die Voraussetzungen für einen Taterfolg sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können (§ 370 Abs. 4 AO, Kompensationsverbot).4 Ausgenommen werden davon solche steuermindernden Tatsachen, die in einem „unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang“ mit den steuererhöhenden Tatsachen stehen.5 Dies ist dann der Fall, wenn die Tatsachen, die nachträglich geltend gemacht werden könnten, in einem so engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit den der Verkürzung zugrunde liegenden Tatsachen stehen, dass die Geltendmachung der Minderungsgründe die Entdeckung der steuererhöhenden Tatsachen bewirken würde. b) Vorsteuer bei tatsächlich ausgeführter Lieferung

11.257

Im Falle der Umsatzsteuerhinterziehung durch Verschweigen eines Teils der steuerbaren Umsätze minderten die auf den Besteuerungszeitraum entfallenden Vorsteuern (§ 15 UStG) den Verkürzungserfolg nach alter Rechtsprechung des BGH nicht.6 Dem Täter sind nur der-

1 OLG Stuttgart v. 21.5.1987 – 1 Ss 221/87, wistra 1987, 263. 2 BGH v. 13.10.1992 – 5 StR 253/92, HFR 1993, 587. 3 BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99; BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 537/12, juris; dagegen Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 406 f. 4 Umfassend Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 506 ff.; Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 39 f. 5 BGH v. 26.6.1984 – 5 StR 322/84, wistra 1984, 183; BGH v. 5.2.2004 – 5 StR 420/03, NStZ 2004, 579 (580). 6 BGH v. 31.1.1978 – 5 StR 458/77, GA 1978, 307; BGH v. 18.4.1978 – 5 StR 692/77, GA 1978, 278; BGH v. 23.7.1985 – 5 StR 465/85, wistra 1985, 225; BGH v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90, NStZ 1991, 89; BGH v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, BGHSt 47, 343 (348 f.); BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 301/04, wistra 2005, 144 (145); BayObLG v. 16.10.1989 – 4 St 162/89, wistra 1990, 112; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 163.

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C.XII. Objektiver Tatbestand | Rz. 11.258 Kap. 11

artige Steuervorteile anzurechnen, die sich aus der unrichtigen Erklärung selbst ergeben oder die – im Falle des Unterlassens – ihm bei richtigen Angaben zugestanden hätten.1 Dies gilt jedenfalls, wenn diese mit den verschleierten steuererhöhenden Tatsachen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und dem Täter ohne weiteres von Rechts wegen zugestanden hätten.2 Einen derartigen wirtschaftlichen Zusammenhang, der gleichsam in eine automatische Berücksichtigung der steuermindernden Tatsachen führte, hat die Rechtsprechung bisher nur für Werbungskosten bzw. Ausgaben im Ertragssteuerrecht anerkannt, soweit diese mit den steuerbegründenden Geschäften in unmittelbarem Zusammenhang standen,3 für das Umsatzsteuerrecht jedoch abgelehnt. Bislang ging der BGH davon aus, dass die Nichtangabe von Vorsteuer in aller Regel für die Verkürzung nicht ursächlich sei.4 Es bestehe auch kein innerer Zusammenhang zwischen der auf die eigenen Umsätze entfallenden Umsatzsteuer und den abziehbaren Vorsteuerbeträgen.5 Hieran hält der BGH nicht mehr uneingeschränkt fest. Soweit eine nicht erklärte steuerpflichtige Ausgangsleistung eine tatsächlich durchgeführte Lieferung war und die hierbei verwendeten Wirtschaftsgüter unter den Voraussetzungen des § 15 UStG erworben wurden, hat nunmehr eine Verrechnung von Vorsteuer und Umsatzsteuer stattzufinden. Maßgeblich ist allerdings, dass auch die übrigen Voraussetzungen aus § 15 UStG – insbesondere die Vorlage einer Rechnung – im maßgeblichen Besteuerungszeitraum gegeben sind.6 Denn das Recht zum Vorsteuerabzug und der Umfang dieses Rechts bestimmt sich danach, ob ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz besteht.7 Der Vorsteuervergütungsanspruch ist davon abhängig, dass die Eingangsleistung der unternehmerischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zuzurechnen ist.8 Die tatbestandliche Handlung, die Umsatzsteuer auf den steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, zieht nach neuer Rechtsprechung des BGH die Nichtgeltendmachung des an sich bestehenden Vorsteueranspruchs regelmäßig nach sich. Es besteht daher ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Einund Ausgangsumsatz, der zur Folge hat, dass der Vorsteuervergütungsanspruch im Rahmen 1 BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, juris, unter Verweis auf BGH v. 31.1.1978 – 5 StR 458/77, Rz. 6, StRK AO 1977 § 370 R.2; Schott in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 245. 2 BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, juris, unter Verweis auf BGH v. 13.9.2010 – 1 StR 220/09, wistra 2010, 484 (493), Rz. 75 und BGH v. 17.4.2008 – 5 StR 547/07, wistra 2008, 310 (312), Rz. 23; Bülte, NZWiSt 2016, 1 (7). 3 BGH v. 26.6.1984 – 5 StR 322/84, wistra 1984, 183, Rz. 4 und BGH v. 31.1.1978 – 5 StR 458/77, Rz. 6 4 BGH v. 31.1.1978 – 5 StR 458/77, GA 1978, 307; BGH v. 18.4.1978 – 5 StR 692/77, GA 1978, 278; BGH v. 23.7.1985 – 5 StR 465/85, wistra 1985, 225; BGH v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90, NStZ 1991, 89; BGH v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, BGHSt 47, 343 (348 f.); BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 301/04, wistra 2005, 144 (145); BayObLG v. 16.10.1989 – 4 St 162/89, wistra 1990, 112; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 163. 5 Vgl. BGH v.18.4.1978 – 5 StR 692/77, UR 1978, 151 (152), Rz. 23; BGH v. 24.10.1990 – 3 StR 16/ 90, NStZ 1991, 89, Rz. 7 und BGH v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, BGHSt 47, 343 (348 f.), Rz. 17. 6 BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, juris; zum Ganzen auch Rolletschke, wistra 2020, 270, der auf die Identität des betroffenen Wirtschaftsguts abstellt. 7 BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, juris, unter Verweis auf EuGH v. 6.9.2012 – C-496/11, ECLI: EU:C:2012:557 – Portugal Telecom, UR 2012, 762 (766), Rz. 36 m.w.N.; Heidner in Bunjes17, § 15 UStG Rz. 18; anders aber noch noch BGH v. 18.4.1978 – 5 StR 692/77, UR 1978, 151 (152), Rz. 23 und BGH v. 8.1.2008 – 5 StR 582/07, wistra 2008, 153, Rz. 4. 8 BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, juris unter Verweis auf EuGH v. 13.3.2008 – C-437/06, ECLI: EU:C:2008:166 – Securenta, UR 2008, 344 (347), Rz. 28 und für Zwecke der besteuerten Umsätze verwendet wird (§ 15 Abs. 2 UStG; Art. 168 MwStSystRL).

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11.258

Kap. 11 Rz. 11.258 | Steuerhinterziehung

der Verkürzungsberechnung von Rechts wegen zu berücksichtigen ist.1 Dies dürfte auch in Fällen des § 25f UStG gelten und bei Anwendbarkeit der EuGH-Missbrauchsrechtsprechung.2

11.259

Die Verrechnung erschlichener Ausfuhrvergütungen für nicht erfolgte Ausfuhren mit nicht beanspruchten Vergütungen für – tatsächlich erfolgte – andere Ausfuhren scheidet aus.3 § 370 Abs. 4 Satz 3 AO erlaubt dagegen die Berücksichtigung des niedrigeren Anspruchs auf Vergütungen für die Ausfuhr in das tatsächliche Bestimmungsland, wenn der Täter höhere Vergütungen für die Ausfuhr in das vorgetäuschte Bestimmungsland erschlichen hat.4 c) Sonstige Aspekte

11.260

Auch ein möglicher Verlustvor- oder -rücktrag nach § 10d EStG stellt einen „anderen Grund“ i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO dar.5

11.261

Einzelfälle Kompensationsverbot: – Vorlage von Scheinrechnungen zur Verschleierung von Schmiergeldzahlungen; – Betriebseinnahmen im Verhältnis zu Verlustvortrag oder im Verhältnis zu nachzuholenden/erhöhenden Einlagebuchungen.

11.262

Einzelfälle kein Kompensationsverbot: – Einnahmen im Verhältnis zu nachzuholenden Rückstellungen für hinterzogene Umsatzund Gewerbesteuer; – vorgetäuschte Einnahmen vs. vorgetäuschte Betriebsausgaben; – Betriebsausgaben bei Schwarzeinkäufen;6 – Verwendung von Schwarzeinnahmen zur Lohnzahlung.

XIII. Subjektiver Tatbestand 1. Allgemeines 11.263

Die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO kann gem. § 369 Abs. 2 AO, § 16 StGB nur vorsätzlich oder leichtfertig (§ 378 AO) begangen werden.7 Der Vorsatz muss sich auf all diejenigen tatsächlichen Umstände erstrecken, die den Tatbestand erfüllen sowie bei normativen Tatbestandsmerkmalen, die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ enthalten.8 Zum Vorsatz der 1 BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, juris unter Verweis auf Madauß, NZWiSt 2012, 456 ff.; Reiß in FS Mehle, 2000, 497 (505 ff.); Bülte in NZWiSt 2016, 1 (7); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 529; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 113; Erb, PStR 2009, 95 (98); Haas in FS Haarmann, 2015, 539 (558 f.). 2 Offen gelassen bei Rolletschke, wistra 2020, 270; vgl. auch Ebner, HFR 2019, 323 f.; Grommes, UR 2020, 135 (139). 3 BGH v. 20.2.1962 – 1 StR 371/61, NJW 1962, 2311. 4 BGH v. 27.8.1974 – 1 StR 10/74, JZ 1975, 183 f. 5 Verneinend BGH v. 26.6.1984 – 5 StR 322/84, wistra 1984, 183; bejahend für den Verlustrücktrag BGH v. 25.4.2001 – 5 StR 613/00, wistra 2001, 309. 6 BGH v. 20.7.1988 – 3 StR 583/87, wistra 1988, 356. 7 Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 70 f. 8 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 503; zum Vorsatz bei Steuergestaltungen und abweichenden Rechtsansichten vgl. Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 255.

500 | Peters

C.XIII. Subjektiver Tatbestand | Rz. 11.267 Kap. 11

Steuerhinterziehung durch Handeln gehört das Wissen, dass der Täter eine täuschende Handlung vornimmt, dadurch ein Steueranspruch beeinträchtigt wird, da es durch zu niedrige oder verspätete Festsetzung oder durch verspätete Beitreibung bzw. dadurch ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil erlangt wird. Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gehört darüber hinaus die Kenntnis derjenigen Tatsachen, die die Pflicht zur Aufklärung der Finanzbehörde begründen. Die Frage nach einem vorsätzlichen Handeln ist im Internationalen Steuerstrafrecht angesichts der mitunter zu verzeichnenden komplexen Rechtslage, allein was das Auffinden der einschlägigen Normen zur Begründung der Steuerpflicht betrifft, von erheblicher Bedeutung. Tatsächlich sind eine Vielzahl von Konstellationen in der Praxis dadurch gekennzeichnet, dass den Beteiligten eine Steuerpflicht nicht klar war, indes nach Auffassung der Finanzverwaltung hätte klar sein müssen.

11.264

2. Vorsatz a) Einführung Zum Inhalt des für § 370 AO erforderlichen Vorsatzes gehört, dass der Täter den nach Grund und Höhe bestimmten Steueranspruch und die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes kennt oder wenigstens für möglich hält und einen Verkürzungserfolg herbeiführen will. Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 AO bedarf es weder einer Absicht noch eines direkten Hinterziehungsvorsatzes.1 Dolus eventualis genügt. Der entsprechende Nachweis des Vorsatzes ist durch die Strafverfolgungsbehörden zu führen und unterscheidet sich in seinen Anforderungen mitunter anhand der in Rede stehenden Steuer und über die Komplexität des Sachverhalts. Erhöhte Anforderungen gelten auch, wenn der Steuerpflichtige sich auf eine für ihn günstige Rechtsansicht beruft.

11.265

In diesem Zusammenhang kommt neuerlich die Frage zum Tragen, ob es sich bei § 370 AO um einen Blankettstraftatbestand handelt. Denn für die Frage, wann ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB vorliegt, ist zu unterscheiden, wie und in welcher Form das Blankett des § 370 AO auf die steuerlichen Vorschriften Bezug nimmt.2 Für den Vorsatz ist zwischen den normativen Tatbestandsmerkmalen einerseits und den Blankettmerkmalen im eigentlichen, materiellen Sinne auf der anderen Seite zu unterscheiden. Bei den normativen Tatbestandsmerkmalen reicht es für den Vorsatz aus, wenn der Täter den Rechtsbegriff in einer Parallelwertung in der Laiensphäre erfasst. Hingegen ist eine Kenntnis der einzelnen Tatbestandsmerkmale der außerstrafrechtlichen Norm und eine genaue Subsumtion unter die außerstrafrechtliche Vorschrift für den Vorsatz nicht erforderlich. Jedoch stellt es umgekehrt einen den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum dar, wenn der Täter zwar alle sachverhaltsrelevanten Umstände kennt, indes davon ausgeht, diese würden den betreffenden Rechtsbegriff nicht erfüllen.

11.266

Bei den echten Blankettmerkmalen ist hingegen für den Vorsatz erforderlich, dass der Täter all die Umstände kennt, die die Voraussetzung der außerstrafrechtlichen Norm erfüllen. Hier

11.267

1 Vgl. etwa OLG München v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10 unter Verweis auf BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09; OLG München v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10; zum Ganzen auch Nöcker, AO-StB 2012, 316. 2 Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 365, der zutreffend ausführt, dass sich der Vorsatz auch auf die Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm beziehen muss, nicht indes auf deren Bestehen, Gültigkeit, Inhalt und Anwendbarkeit.

Peters | 501

Kap. 11 Rz. 11.267 | Steuerhinterziehung

stellt der Irrtum über die Reichweite der rechtlichen Bedeutung und die darauf sich einstellende Rechtsfolge nur einen Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB dar.1 Bereits oben wurde dargestellt, dass die einzelnen Merkmale der Steuerhinterziehung zumindest hochgradig normativ zu verstehen sind und es sich bei dem Merkmal der Steuerverkürzung um ein normatives Tatbestandsmerkmal handelt. Die Verhaltensnorm der Steuerhinterziehung ist in sich vollständig logisch und konsistent. Es lässt sich ihr unmittelbar ein Verhaltensgebot und -verbot entnehmen. Hinsichtlich der Anforderungen an den Vorsatz bedeutet dies, dass der Täter nach den Grundsätzen über die Parallelwertung in der Laiensphäre das Ergebnis der außerstrafrechtlichen, steuerlichen Vorschriften kennen muss, um vorsätzlich zu handeln. Tatgegenstand ist der staatliche Steueranspruch. Der Täter muss mithin wissen, dass aus dem verwirklichten Sachverhalt ein Steueranspruch zu Gunsten des Staates entsteht, der durch sein Erklärungsverhalten verletzt wird (Steueranspruchslehre)2.

11.268

Das Merkmal der steuerlichen Pflichtwidrigkeit wird teils als echtes Blankettmerkmal verstanden.3 Die Verhaltensnorm ist insoweit unvollständig, als dass das gebotene Verhalten erst durch die Bezugnahme auf die steuerlichen Erklärungspflichten, wie z.B. die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nach §§ 149, 150 AO, vollständig beschrieben wird. Für den Vorsatz bedeutete dies bislang, dass der Täter die Sachverhaltsumstände kennen muss, welche die steuerliche Erklärungspflicht an sich begründen.4 Die Behandlung von Irrtumsfragen durch die Rechtsprechung vor dem Hintergrund des Vorsatzes ist indes uneinheitlich und wenig stringent.

11.269

Oftmals wird nicht hinreichend zwischen der Kenntnis des Steueranspruchs, der Kenntnis der Steuerpflicht, der Kenntnis der Erklärungspflicht oder der Kenntnis der die Steuererklärungspflicht begründenden Tatsachen differenziert. Der Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs wurde von jeher als Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 StGB gesehen.

11.270

Die Annahme, § 370 AO sei insgesamt als Blankettstraftatbestand einzuordnen mit der Folge, dass der auf unzureichenden Kenntnissen des Steuerrechts beruhende Irrtum über das Bestehen, die Höhe oder die Reichweite eines Steueranspruchs nur als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln sei, ist unzutreffend.

11.271

Hierfür spricht insbesondere, dass der BGH nunmehr zu einer möglichen Änderung der Rechtsprechung dahingehend tendiert, was etwa die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft und einem daraus resultierenden Irrtum nach § 17 StGB betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will.5 Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, ein Steueranspruch sei 1 Vgl. auch Seer in T/L23, § 23 Rz. 42, Fn. 9266, kritisch auch Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 362; Krumm in T/K, Rz. 121 ff. 2 Welzel, NJW 1953, 486. 3 Für eine normative Sichtweise BGH v. 18.9.2019 – 1 StR 320/18, juris, so bereits auch Habetha, StV 2019, 39 ff.; von Galen/Dawidowicz, NStZ 2019, 148 f.; Schneider/Rieks, HRRS 2019, 62 ff.; Rode/Hinderer, wistra 2018, 341 f.; Reichling, StraFo 2018, 357 f.; Floeth, NStZ-RR 2018, 182 f.; Radtke in MK-StGB3, § 266a StGB Rz. 90; Schott in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 269 f. 4 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 368. 5 BGH v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17, juris, unter Verweis auf BGH v. 13.11.1953 – 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90 (91 f.) und BGH v. 5.3.1986 – 2 StR 666/85, wistra 1986, 174; BGH v. 19.5.1989 – 3 StR 590/88, BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 2; BGH v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90, BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz; BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161), Rz. 21 f.; vgl. auch M. Flötz, NStZ-RR 2018, 182; Reiserer, DStR 2018, 1624.

502 | Peters

C.XIII. Subjektiver Tatbestand | Rz. 11.274 Kap. 11

nicht entstanden, liegt nach der Rechtsprechung ein Tatbestandsirrtum vor, der gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB den Vorsatz ausschließt. Danach ist ein Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft1 in § 41a EStG und die daraus folgende Steuerpflicht, an die der Steueranspruch und der Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO anknüpfen, nach neuerer Ansicht des BGH als Tatbestandsirrtum zu behandeln.2 Der Täter muss in einer zumindest laienhaften Bewertung erkannt haben, dass er selbst möglicherweise Arbeitgeber ist, dass eine Abführungspflicht existieren und er durch die fehlende Anmeldung oder unvollständige oder unrichtige Angaben die Heranziehung zum Abführen von Sozialabgaben ganz oder teilweise vermeiden könnte.3 Eine bloße Erkennbarkeit reicht insofern nicht aus.

Für einen den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum und damit eine Zugehörigkeit zum Vorsatz spricht, dass der strafrechtliche Blankettbegriff „pflichtwidrig“4 oftmals auf Vorschriften verweist, deren Voraussetzung wiederum als normative Tatbestandsmerkmale zu behandeln sind; etwa im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verfügungsberechtigten i.S.d. § 35 AO.5

11.272

Verschärft wird die Frage nach dem vorsätzlichen Verhalten zusätzlich dadurch, dass der BGH in jüngerer Zeit darauf abstellt, dass für die Frage, ob der Tatbestand der Strafnorm „gesetzlich bestimmt“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG ist, auch davon abhängt, an welchen Kreis von Adressaten sich die Vorschrift wendet.6 Es soll mithin unter Umständen der Empfängerhorizont maßgeblich sein. Richte sich die Strafnorm ausschließlich an Personen, bei denen aufgrund ihrer Ausbildung oder praktischen Erfahrungen bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig vorauszusetzen sind, begegne die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auch dann keinen Bedenken, wenn der Adressat aufgrund seines Fachwissens imstande ist, den Regelungsinhalt solcher Begriffe zu verstehen und ihnen konkrete Verhaltensanforderungen zu entnehmen.7 Daraus kann für die Frage des Vorsatzes gefolgert werden, dass zukünftig für die Beantwortung der Frage nach einem vorsätzlichen Verhalten im Falle von Unternehmern, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfern strengere Maßstäbe angelegt werden, als ohnehin schon. Dies entbindet aber nicht von der Feststellung, dass der entsprechende Vorsatz zur Tatzeit auch vorgelegen hat.

11.273

Hinzu kommt die in der Praxis zu verzeichnende Tendenz, den Vorsatz quasi zu unterstellen ohne tatsächlich indes nachzuprüfen, ob die entsprechenden Elemente des Vorsatzes auch

11.274

1 Zum Irrtum in Bezug auf die Lohnsteuer vgl. BGH v. 7.10.2009 – 1 StR 478/09, wistra 2010, 29 m. krit. Anm. Weidemann, wistra 2010, 463 (464); Ransiek, PStR 2011, 74; BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465. 2 BGH v. 18.9.2019 – 1 StR 320/18, juris; so bereits auch Habetha, StV 2019, 39 ff.; von Galen/Dawidowicz, NStZ 2019, 148 f.; Schneider/Rieks, HRRS 2019, 62 ff.; Rode/Hinderer, wistra 2018, 341 f.; Reichling, StraFo 2018, 357 f.; Floeth, NStZ-RR 2018, 182 f.; Radtke in MK-StGB3, § 266a StGB Rz. 90. 3 BGH v. 18.9.2019 – 1 StR 320/18, juris, unter Verweis auf BGH v. 17.2.1998 – 5 StR 624/97, Rz. 7 zu § 370 AO. 4 Unklar hingegen BGH v. 18.9.2019 – 1 StR 320/18, juris, unter Verweis auf BGH v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17, Rz. 15, wonach es sich bei der Pflichtenstellung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO um ein originäres normatives Tatbestandsmerkmal handeln soll. Anzumerken ist, dass der BGH dies in seinem Beschluss v. 24.1.2018 mit Klammerzusatz versehen, mithin nicht endgültig die Rechtsnatur diskutiert hat. 5 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 368; Schott in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 269 f. 6 BGH v. 10.10.2017 – 1 StR 447/14, juris, Rz. 62 unter Verweis auf BVerfG v. 1.12.1992 – 1 BvR 576/91, BVerfGE 87, 399 (411) und BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 (197); Bülte, NZWiSt 2017, 161 (165). 7 BGH v. 10.10.2017 – 1 StR 447/14, juris, Rz. 62.

Peters | 503

Kap. 11 Rz. 11.274 | Steuerhinterziehung

wirklich zum Zeitpunkt der Tatbegehung vorgelegen haben. Im Bereich der Frage nach der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums wird mitunter von einer sog. „observer difference“ gesprochen. Außerhalb der konkreten Handlungssituation befindliche Personen unterschätzen nach den Ergebnissen empirischer Untersuchungen erheblich die Intensität und Tragweite des sozialen Drucks, dem der zu beurteilende Akteur in der konkreten Situation ausgesetzt ist.1 Eben weil ein nachträglich die Handlungssituation Beurteilender nicht vollständig die Perspektive des Handelnden einnehmen kann, ist seine Einschätzung über die Fähigkeit von Akteuren, sozialem Druck zu widerstehen, häufig unrealistisch. Dabei wächst die Anzahl dieser Fehlbeurteilungen mit der Komplexität der Handlungsanforderungen unter Intensität des sozialen Drucks in der konkreten Situation.2 Für die nachträgliche „ex-ante-Beurteilung“ bedeuten diese Faktoren eine Fehlerquelle von erheblichem Gewicht, so dass allein ein normativer Anknüpfungspunkt zur Beurteilung der Täuschung nicht weiterführt.

11.275

Eine weitere Fehlerquelle in diesem Zusammenhang bildet der sog. „creeping determinism“: Dem nachträglichen Beobachter sind die konkreten Kausalabläufe, die Folgen des Handelns des Akteurs bereits bekannt. Er verfügt über ein Wissen, das dem Akteur fehlte. Dieses Wissen um den eingetretenen Erfolg kann nun ebenfalls die Einschätzung des nachträglichen Beobachters verfälschen, indem er aufgrund seines zusätzlichen Wissens eine leichtere Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts annimmt, als dies in der konkreten Situation der Fall war.3 Die Folge ist dann eine unangemessen strenge Beurteilung durch den Beobachter im Rahmen der Verantwortlichkeitszuschreibung. Die innerliche Beurteilung verläuft dabei anhand der Vorstellung „das hätte doch jeder merken müssen“.4 Werden so im Bereich des Verbotsirrtums oftmals die Grenzen ungerechtfertigt zu Lasten des Täters verschoben, bewirkt das vorherige Wissen um die näheren Umstände eine Verzerrung zugunsten des Täters. Die eigentlich dolose Absicht des Täters und der unbestreitbar eingetretene Erfolg, könnten normativ nivelliert werden, da der Richter eigene Anschauungen an die Stelle des Opfers setzt. b) Abgrenzung zur Leichtfertigkeit

11.276

Die Abgrenzug von Vorsatz und Leichtfertigkeit ist vor dem Hintergrund der mitunter komplexen Rechtslage von besonderer Bedeutung; kommt doch bei (nur) leichtfertiger Steuerhinterziehung auch noch im Rahmen einer laufenden Betriebsprüfung eine strafbefreiende Selbstanzeige in Betracht. Insbesondere die Diskussion um den Blankettcharakter, die Auswirkungen auf den Vorsatz und die damit zusammenhängende Irrtumsproblematik bieten in praxi vielfach Argumentationspotential, das indes selten genutzt wird.

11.277

Leichtfertig i.S.d. §378 Abs.1 AO handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird.5

1 2 3 4

Roos, Die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nach § 17 im Lichte der BGH Rechtsprechung, 299. Roos, Die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nach § 17 im Lichte der BGH Rechtsprechung, 299. Roos, Die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nach § 17 im Lichte der BGH Rechtsprechung, 299. Auch das OLG Frankfurt ging davon aus, dass die Empfänger durch entsprechende Hinweisschreiben hätten gewarnt sein müssen bzw. derartige Vorgehensweisen hinlänglich bekannt sind (OLG Frankfurt v. 17.8.1994 – 2 Ws 129/94, NStZ 1997, 187). 5 BGH v. 10.7.2019 – 1 StR 265/18, juris, unter Verweis auf BGH v. 8.9.2011 – 1StR 38/11, BGHR AO §378 Leichtfertigkeit 5, Rz.17 m.w.N.

504 | Peters

C.XIII. Subjektiver Tatbestand | Rz. 11.279 Kap. 11

Trotz aller theoretischen Meinungsverschiedenheiten über die zutreffende Beschreibung des Eventualvorsatzes besteht über die Grenzziehung zur sog. bewussten Fahrlässigkeit1 weitgehende Einigkeit, obwohl diese Fahrlässigkeitsform mit dem Eventualvorsatz in dem Wissenselement überein zu stimmen scheint, weil sie ebenfalls voraussetzt, dass der Täter die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennt. Der Begriff der Leichtfertigkeit ist weder gesetzlich definiert noch einheitlich bestimmt. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass der Begriff der Leichtfertigkeit einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit bezeichnet, also in etwa der groben Fahrlässigkeit entspreche.2 Diese Begriffsbestimmung entspricht der herrschenden Meinung zu § 402 RAO 1931 und den übrigen Vorschriften, die denselben Begriff verwenden. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm hätte aufdrängen müssen, dass dadurch eine Rechts(guts)verletzung eintreten wird.3 Im Ergebnis ist die Leichtfertigkeit eine qualifizierte Form der Fahrlässigkeit. Roxin geht von der Wendung der „wesentlich gesteigerten Fahrlässigkeit“ aus.4 Die Wendung des „Sich-Aufdrängens“ erinnert aber zugleich an die Rechtsprechung zur einfachen Fahrlässigkeit bei den jeweiligen Fahrlässigkeitsdelikten im StGB. Aus diesem Grund stellt die Judikatur auch insoweit zur Vermeidung „überspannter Anforderungen“ 5 durchweg auf ein besonderes Veranlassungsmoment als entscheidendes Kriterium des Fahrlässigkeitsbegriffs ab. Danach müssen stets besondere Umstände vorgelegen haben, die dem Beschuldigten die konkrete Gefahr einer solchen Rechtsgutverletzung vor Augen stellten und Mittel zu ihrer Abwehr nahelegten.6 Gefordert werden somit offensichtliche äußere Anzeichen,7 dass sich der Argwohn hätte aufdrängen müssen.8 Da die grobe Fahrlässigkeit aber keinen fest umrissenen Inhalt hat, kommt es für ihre Abgrenzung gegenüber der einfachen Fahrlässigkeit vornehmlich auf die Umstände des einzelnen Falles an und auf den Blickwinkel, aus dem die Schuld des Täters beurteilt wird. Schwerpunktmäßig ist auf das tatbestandliche Unrecht abzustellen. Der Täter muss die Sachverhaltsumstände positiv kennen, welche die steuerliche Erklärungspflicht begründen. Ein Irrtum in rechtlicher Hinsicht führt zu einem Verbotsirrtum i.S.d. §§ 17 StGB.

11.278

Bei Kaufleuten wird angenommen, dass diese sich in besonderem Maße über ihre steuerlichen Pflichten zu informieren haben, insbesondere solche, die mit der kaufmännischen Tätigkeit in Zusammenhang stehen.9 Erhöhte Anforderungen werden auch an die Erkundigungspflicht gestellt, vornehmlich wenn die erkannte Steuerpflichtigkeit eines Geschäfts durch modifizierte Gestaltung des Geschäfts umgangen werden soll.10

11.279

1 Vgl. BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 481/09, HFR 201, 866; BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465. 2 BGH v. 13.1.1988 – 3 StR 450/87, wistra1988, 196; BFH v. 4.12.1987 – I R 58/86, BStBl. II 1988, 215; BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 481/09, HFR 201, 866; BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465; Joecks in J/J/R8, § 378 AO Rz. 33 ff.; Heerspink in Flore/Tsambikakis2, § 378 AO Rz. 61 ff.; vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 378 AO Rz. 55 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1107. 3 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161); Joecks in J/J/R8, § 378 AO Rz. 33 f. 4 Roxin, AT-14, § 24 StGB Rz. 74. 5 BGH v. 1.7.1954 – 3 StR 869/53, BGHSt 6, 282 (286); BGH v. 2.10.1979 – 1 StR 440/79, NJW 1980, 649 (650). 6 BGH v. 1.7.1954 – 3 StR 869/53, BGHSt 6, 282 (286); BGH v. 2.10.1979 – 1 StR 440/79, NJW 1980, 649 (650). 7 BGH v. 13.11.1963 – 4 StR 267/63, BGHSt 19, 152 (155). 8 BGH v. 11.2.1955 – 1 StR 478/54, BGHSt 7, 307 (309). 9 BGH v. 10.7.2019 – 1 StR 265/18, juris. 10 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161); vgl. auch Bülte in H/H/Sp, § 378 AO Rz. 41 ff.

Peters | 505

Kap. 11 Rz. 11.280 | Steuerhinterziehung

11.280

Vorsatz scheidet trotz Erkennens des Risikos aus, wenn der Täter – ernsthaft und nicht nur vage – darauf vertraut, dass es sich nicht realisieren wird;1 die bloße Hoffnung auf einen guten Ausgang schließt den Eventualvorsatz dagegen nicht aus.

11.281

Diese Grundsätze gelten auch, wenn sich der Steuerpflichtige der Hilfe eines steuerlichen Beraters bedient.2 Enthält der Steuerpflichtige diesem bewusst erhebliche Tatsachen vor, so wird er das daraus resultierende Risiko einer unrichtigen Erklärung auf sich nehmen und mit den möglichen Folgen einverstanden sein, so dass bedingter Steuerhinterziehungsvorsatz vorliegen wird.3 Verschafft der Steuerpflichtige dem Berater jedoch die für die Steuererklärung erforderlichen Informationen, so ist im Regelfall davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige darauf vertraut, der Steuerberater werde rechtzeitig richtige und vollständige Angaben machen. Der Steuerpflichtige bleibt zwar auch in diesem Fall verpflichtet, auf eine rechtzeitige Abgabe der Erklärung hinzuwirken; er verletzt diese Pflicht aber nur, wenn er Anlass hat, daran zu zweifeln, dass der Berater die Erklärung ordnungsgemäß abgeben wird. Selbst in einem solchen Fall rechtfertigt aber bloßes Untätigbleiben für sich allein nicht den Schluss, der Steuerpflichtige habe eine Steuerhinterziehung bewusst in Kauf genommen.4

11.282

Holt der Steuerpflichtige eine Auskunft seines Beraters über eine Steuerrechtsfrage ein und legt er dessen falsche Rechtsauffassung seiner Steuererklärung zugrunde, so wird i.d.R. davon auszugehen sein, dass der Steuerpflichtige auf die Richtigkeit der Auskunft vertraut hat. Weicht er dagegen von der Rechtsmeinung des Beraters ab, liegt die Annahme von Eventualvorsatz nahe, weil der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner eigenen – von der des fachkundigen Beraters abweichenden – Rechtsauffassung zumindest für möglich gehalten haben wird. Da der Vorsatz ein psychisches Phänomen ist, haben die äußeren Umstände jedoch lediglich die – beweisrechtliche – Funktion von Indizien für die Vorstellung des Täters, so dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob der Steuerpflichtige der Auskunft seines Beraters Glauben geschenkt hat.5

11.283

Der Steuerpflichtige handelt nicht schon dann mit Eventualvorsatz, wenn er bei zweifelhafter oder umstrittener Steuerrechtslage seiner Steuererklärung eine für ihn günstige Rechtsauffassung zugrunde legt, von der er weiß, dass die Finanzbehörde sie nicht teilt. Nach zutreffender Meinung des BGH6 ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt, wenn der Steuerpflichtige – offen oder verdeckt – eine unzutreffende Rechtsansicht vertritt, aber die steuerlich erheblichen Tatsachen richtig und vollständig vorträgt und es dem Finanzamt dadurch ermöglicht, die Steuer unter abweichender rechtlicher Beurteilung zutreffend festzusetzen. Anders liegt es dagegen, wenn der Steuerpflichtige trotz Kenntnis der abweichenden Auffassung des Finanzamts diesem die für steuerliche Beurteilung bedeutsamen Informationen vorenthält. Dann ist seine Steuererklärung – objektiv – unvollständig, und der Steuerpflichtige handelt zudem mit – bedingtem – Steuerhinterziehungsvorsatz, weil er die Unvoll1 BGH v. 13.7.1978 – 4 StR 308/78, GA 1979, 106 (107); BGH v. 25.8.1982 – 2 StR 321/82, NStZ 1982, 506 f.; BGH v. 7.6.1983 – 4 StR 51/83, NStZ 1983, 407; BGH v. 25.11.1987 – 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175; BGH v. 15.6.2000 – 4 StR 172/00, NStZ-RR 2000, 327 (328); BGH v. 20.6.2000 – 5 StR 25/00, NStZ-RR 2000, 328 (329); Roxin, AT-14, § 12 StGB Rz. 23; Fischer67, § 15 StGB Rz. 9. 2 Vgl. die „Beweisregeln“ bei Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 358. 3 BGH v. 25.5.1976 – 5 StR 560/75, DB 1977, 1776 = StRK AO 1977 § 370 Rz. 19. 4 BFH v. 16.1.1973 – VIII R 52/69, BStBl. II 1973, 273 (274 f.) = BFHE 108, 286 = StRK RAO § 144 R. 28. 5 Vgl. BGH v. 7.12.1979 – 2 StR 315/79, NJW 1980, 1005 (1006) = StRK AO 1977 § 370 R. 21, nicht abgedruckt in BGHSt 29, 152. 6 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, StV 2000, 491 f. = wistra 2000, 137 = NStZ 2000, 203 = StRK AO 1977 § 370 R. 266; BGH v. 23.2.2000 – 5 StR 570/99, NStZ 2000, 320 (321) = StRK AO 1977 § 370 R. 267.

506 | Peters

C.XIII. Subjektiver Tatbestand | Rz. 11.287 Kap. 11

ständigkeit seiner Erklärung kennt und es zumindest für möglich hält, dass seine unvollständigen Angaben zu einer Steuerverkürzung führen, weil nicht seine Rechtsauffassung, sondern die der Finanzbehörde und der FG zutreffen könnte.1 In diesen Fällen steht nicht einmal die Überzeugung des Steuerpflichtigen von der Richtigkeit seiner eigenen Rechtsauffassung – bzw. die nicht widerlegte Behauptung, dieser Überzeugung gewesen zu sein – der Annahme des Steuerhinterziehungsvorsatzes entgegen. Der Steuerhinterziehungsvorsatz erfordert zwar einerseits die Erfassung des Bedeutungsinhalts der normativen Tatbestandsmerkmale des § 370 AO, so dass der Steuerpflichtige unvorsätzlich handelt, wenn er die steuerliche Relevanz des konkreten Vorgangs nicht erkennt. Es genügt aber andererseits, dass er sich aufgrund einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ des sozialen Sinngehalts seines Verhaltens bewusst ist. Kennt der Steuerpflichtige die für ihn ungünstige abweichende Rechtsauffassung der Finanzbehörden und -gerichte und enthält er diesen dennoch die Informationen vor, die für die Entscheidung der Steuersache bedeutsam sind, dann ist er sich der sozialen Tragweite seines Verhaltens bewusst, nämlich dass er nicht alle steuerlich bedeutsamen Umstände offenbart und die Steuer deshalb niedriger festgesetzt wird, als dies bei vollständiger Angabe der für die steuerliche Beurteilung maßgeblichen Tatsachen der Fall wäre. Gelangt der Steuerpflichtige aufgrund seiner für ihn günstigen Auslegung der Steuergesetze dennoch zu dem unzutreffenden Ergebnis, dass ein Steueranspruch nicht besteht, so handelt es sich um einen bloßen Subsumtionsirrtum, der den Vorsatz unberührt lässt und allenfalls als Verbotsirrtum nach § 17 StGB die Schuld ausschließen kann. Ein solcher Irrtum liegt vor, wenn der Täter in Kenntnis des Sachverhalts und der sachlichen Bedeutung des Tatbestandsmerkmals dieses zu seinen Gunsten unrichtig auslegt.2

11.284

Schon im objektiven Tatbestand zu lösen sind die Konstellationen, in denen der Steuerpflichtige es lediglich für möglich hält, dass die Finanzverwaltung eine von seiner Rechtsauffassung abweichende Meinung vertritt.3 Legt er seiner Erklärung die von ihm als zutreffend eingeschätzte Beurteilung der Steuerrechtslage zugrunde, so sind seine Angaben richtig und vollständig, selbst wenn er auf denkbare abweichende Sichtweisen nicht hinweist. Bedingter Steuerhinterziehungsvorsatz scheidet dann notwendigerweise aus, weil der Steuerpflichtige weiß, dass seine Angaben zutreffen.

11.285

Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Steuerpflichtige selbst Zweifel an der Richtigkeit seiner Rechtsmeinung besitzt. Setzt er z.B. seine bisherige Abrechnungspraxis für Umsatzsteuer-Kürzungen fort, obwohl er deren Rechtmäßigkeit bezweifelt, ohne dies dem Finanzamt offen zu legen oder fachkundigen Rat einzuholen, und nimmt er dabei die Unrichtigkeit in Kauf, so handelt er mit Eventualvorsatz.4

11.286

c) Entkräftung des Vorsatzes durch wirksame Compliance Maßnahmen In Zukunft wird fraglich sein, ob und inwiefern Compliance Systeme vorsatzausschließend wirken. Anlass zu diesen Überlegungen gibt das BMF Schreiben zu § 153 AO vom 23.5.20165 1 Vgl. BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, StV 2000, 491 f. = StRK AO 1977 § 370 R. 266. 2 Vgl. BGH v. 22.7.1993 – 4 StR 322/93, NStZ 1993, 594, 595, 3 Offengelassen in BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, StV 2000, 491 f. = StRK AO 1977 § 370 R. 266; Bülte in H/H/Sp, § 378 Rz. 41 ff.; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 356 ff. 4 BGH v. 15.11.1994 – 5 StR 237/94, wistra 1995, 69; ebenso schon BGH v. 1.6.1977 – KRB 3/76, BGHSt 27, 196, 202. 5 BMF v. 23.5.2016 – IV A 3-S 0324/15/10001, BStBl. I 2016, 490.

Peters | 507

11.287

Kap. 11 Rz. 11.287 | Steuerhinterziehung

und die Diskussion um die Einführung eines Unternehmensstrafrechts,1 sowie einzelne Entscheidungen des BGH (vgl. auch zur Frage nach der Tahandlung in diesem Zusammenhang unter Rz. 11.162).

11.288

In Orientierung an den gesetzlichen Dokumentations- und Mitteilungspflichten ist es für jedes Unternehmen im Rahmen seiner Möglichkeiten erforderlich, für eine Tax-Compliance Sorge zu tragen.2 Ein entsprechendes Compliance-Management, das der Verhinderung von Pflichtverletzungen und darüber hinaus der Aufdeckung von Fällen der „Non-Compliance“ dient, ist Teil der Leitungsverantwortung in Unternehmen.3

11.289

Erkennt der Steuerpflichtige erst im Nachhinein die Fehlerhaftigkeit der von ihm abgegebenen Erklärung und kommt er seiner Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO unverzüglich nach, liegt nach Ansicht des BMF weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vor, wenn es sowohl am Vorsatz als auch an der Leichtfertigkeit fehlt. Eine Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO besteht indes auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei der Abgabe der Steuererklärung nicht gekannt, sie aber billigend in Kauf genommen hat und später zu der Erkenntnis gelangt ist, dass seine Angaben tatsächlich unrichtig waren.4 Folgender Passus in dem BMF Schreiben kann Veranlassung geben, die Frage nach dem Vorsatz insbesondere bei Handlungen von Unternehmensverantwortlichen einer genaueren Überprüfung zu unterziehen:5 Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.6

11.290

Auch die Vorgaben des BGH können in die Richtung verstanden werden, dass ein funktionierendes, gelebtes Tax Compliance System zur Exkulpation beitragen kann, mindestens aber das voluntative Element des Vorsatzes in Frage stellt.7 Denn jeder Steuerpflichtige muss sich

1 Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität, abrufbar unter https:// www.steuerberater-center.de/media/VerSanG_RefE.pdf. 2 Baumhoff/Kluge in FS Kuckhoff, 2018, 21. 3 Merkt, ZIP 2014, 1705 (1707); Schulz, BB 2019, 579 (579 f.). 4 BMF v. 23.5.2016 – IV A 3-S 0324/15/10001, BStBl. I 2016, 490, unter Verweis auf AEAO zu § 153, Nr. 2.6. 5 Vgl. auch die Schlussfolgerung bei Bülte/Rolletschke in G/JW2, Rz. 237, wonach der Schluss von einem „hätte überwachen müssen“ hin zu bedingt vorsätzlichem Verhalten bei Fehlen von Kontrollmechanismen zulässig ist. Kritisch indes Wulf, wistra 2016, 337 (338), der bemängelt, dass die nähere Ausgestaltung nicht festgelegt wurde; vgl. auch Schauf/Schwartz, PStR 2015, 248 (249); vgl. auch Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1190 ff. 6 BMF v. 23.5.2016 – IV A 3-S 0324/15/10001, BStBl. I 2016, 490, Rz. 2.6; vgl. auch ausführlich zum Ganzen Heine/Radtke in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance, 462 ff. 7 Vgl. auch die Überlegungen im Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes abrufbar unter http://www.verbandsstrafrecht.jura.uni-koeln.de/sites/fg_verbandsstrafrecht/user_upload/Koelner_Entwurf_eines_Verbandssanktionengesetzes__2017.pdf; vgl. auch Jäger im Protokoll-Nr. 18/ Wahlperiode Finanzausschuss Wortprotokoll der 25. Sitzung Finanzausschuss Berlin, den 12.11.2014 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung BT-Drucks. 18/3018, 12: „Gerade dieses Willenselement fehlt, wenn in einem Unternehmen zum Beispiel derjenige, der die Steuererklärung unterschreibt, gestützt auf funktionierende innerbetriebliche Organisationsprozesse eine Angabe nach bestem Wissen und Gewissen macht.“

508 | Peters

C.XIII. Subjektiver Tatbestand | Rz. 11.293 Kap. 11

nach Ansicht des BGH über diejenigen steuerlichen Pflichten unterrichten, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises treffen. Dies gilt in besonderem Maße in Bezug auf solche steuerrechtlichen Pflichten, die aus der Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit erwachsen. Bei einem Kaufmann sind bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen an die Erkundigungspflichten zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen.1 Die bloße Berufung eines Angeklagten auf einen Irrtum nötigt im Übrigen in diesem Zusammenhang nicht dazu, einen solchen Irrtum als gegeben anzunehmen. Es bedarf nach der Rechtsprechung vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Umstände oder Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen – außer der bloßen Behauptung des Angeklagten – keine Anhaltspunkte bestehen.2 Die vielfach in der Praxis anzutreffende Einlassung, nicht um den steuerlichen Pflichtenkreis gewusst zu haben, verfängt insoweit und kann im Umkehrschluss vorsatzindizierend wirken, wenn bspw. die Einrichtung eines CMS/IKS sich hätte aufdrängen müssen, bspw. weil bereits einige Mitbewerber hierüber verfügen. Ein effektives Kontrollsystem,3 das vorsatzausschließende Wirkung entfalten soll, muss demnach folgende Felder abdecken: Nachweisliche Kenntnis der steuerlichen Vorschriften und der daraus resultierenden Handlungsgebote, eine entsprechende Umsetzung im Unternehmen, eine folgende, regelmäßige Überprüfung der Umsetzung und eine entsprechende Dokumentation. Der jeweilige zu fordernde technische und finanzielle Aufwand hängt im Einzelfall von der Größe des Unternehmens ab. Es darf sich insbesondere nicht um ein bloßes „Window Dressing“ handeln, dem allenfalls eine Feigenblattfunktion zukäme. In der Praxis kann es sich anbieten, für Strafverfolgungsbehörden eine übersichtliche und leicht verständliche Darstellung des Compliance Systems nebst Benennung der jeweiligen Ansprechpartner vorrätig zu halten

11.291

3. Subjektive Anforderungen bei Steuerverkürzung auf Zeit Das Gesetz stellt die Steuerverkürzung auf Zeit der Steuerverkürzung der Höhe nach ausdrücklich gleich. Der Umfang des Verkürzungserfolgs ist hier jedoch anders zu bestimmen als bei der endgültigen Steuerverkürzung. Während bei Letzerer die Differenz zwischen festgesetzter und geschuldeter Steuer den Steuerschaden ausmacht, bewirkt der Täter einer zeitlichen Verkürzung lediglich einen Zinsverlust. Der Sache nach kann daher von einer endgültigen Steuerverkürzung eigentlich erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist die Rede sein. Wenn das Gesetz dennoch die unrichtige Festsetzung als endgültige Verkürzung ansieht, dann erfasst es damit auch bloße zeitliche Verkürzungen.

11.292

Eine Differenzierung kann daher nicht auf der Ebene der gesetzlichen Unterscheidung der Verkürzungserfolge („nicht oder nicht rechtzeitig“) erfolgen. Vielmehr geht es allein um eine Quantifizierung des vom Tatvorsatz getragenen Verkürzungserfolgs.4 Dies ist nur logisch, wenn man bedenkt, dass in der Zwischenzeit bis zur endgültigen Festsetzung sich die Entscheidung, ob eine Steuerverkürzung auf Dauer oder auf Zeit gewollt wird, allein im Kopf des

11.293

1 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, juris. 2 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, juris unter Verweis auf BGH v. 18.8.2009 – 1 StR 107/09, NStZRR 2010, 85; hierzu auch Heine/Radtke in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance S. 472. 3 Vgl. Heine/Radtke in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance, 473. 4 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 110 f.

Peters | 509

Kap. 11 Rz. 11.293 | Steuerhinterziehung

Täters abspielt und er sich bis zum Ablauf der Frist frei entscheiden kann, ob sich die Hinterziehung allein auf die Zinsen oder auch die letztlich geschuldete Steuerschuld beziehen soll. Anders ist dies nur, wenn in der Tathandlung schon die Dauerhaftigkeit der Hinterziehung angelegt ist. Aber selbst dann bedarf es eines die Dauerhaftigkeit auslösenden Moments.

11.294

Die Beurteilung richtet sich also nach dem inneren Vorstellungsbild des Täters zum Zeitpunkt der Tathandlung, d.h. z.B. bei Abgabe einer Voranmeldung. Hat der Täter lediglich eine spätere Festsetzung gewollt, etwa Zwecks Mitnahme von Liquiditätsvorteilen, dann handelt es sich um eine Verkürzung auf Zeit.1 Die Verkürzung auf Dauer und auf Zeit unterscheiden sich also nicht im Erfolgs-, sondern im Handlungsunrecht durch das entsprechende Vorstellungsbild des Täters.2 Eine Verkürzung auf Zeit wird dann zu einer endgültigen, wenn im Anschluss an falsche monatliche Voranmeldungen auch eine unrichtige Jahreserklärung abgegeben wird.3

XIV. Versuch/straflose Vorbereitungshandlung 11.295

Der Versuch der Steuerhinterziehung ist strafbar (§ 370 Abs. 2 AO). Eine Tat ist versucht, wenn der Täter nach seiner Vorstellung die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten und zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt hat (vgl. auch § 22 StGB).4 Abzugrenzen hiervon sind straflose Vorbereitungshandlungen, wie unterlassene Buchführung, das Aufstellen falscher Bilanzen (beachte jedoch § 379 AO), die Erstellung falscher GuV-Rechnungen oder die fehlerhafte Ausfüllung von Steuererklärungsvordrucken.5 Das Versuchsstadium beginnt erst mit Entäußerung der jeweiligen Erklärung; also mit Einreichen beim Finanzamt. Beim Unterlassen beginnt das Versuchsstadium mit Verstreichenlassen der letzten Erklärungsmöglichkeit, etwa Fristablauf.6

XV. Leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) 1. Vorbemerkung 11.296

Ist der Vorsatz nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar, stellt sich aufseiten der Strafverfolgungsbehörden oftmals die Frage, ob nicht wenigstens eine leichtfertige Steuerverkürzung in Betracht kommt. Auch im Urteil ist wegen der Wirkung als Auffangtatbestand stets zu prüfen, ob bei Verneinung einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung nicht eine leichtfertige Steuerverkürzung in Betracht kommt.7

11.297

Eine Renaissance erfährt der Begriff der Leichtfertigkeit im Zuge der Neuregelung der Selbstanzeige, wenn eine Straffreiheit wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung angesichts des Hin1 Zu dieser subjektiven Sichtweise vgl.: BGH v. 21.1.1998 -5 StR 686/97, wistra 1998, 146; BGH v. 20.4.1999 -5 StR 54/99, wistra 1999, 298; BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63; BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 328/04; Kohlmann, wistra 1982, 2; Randt, Der Steuerfahndungsfall, D 16, D 67; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 110 f. 2 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 110 f. 3 BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63; BGH v. 21.1.1998 – 5 StR 686/97, wistra 1998, 146. 4 Vgl. auch BGH v. 16.6.2013 – 1 StR 6/13, StBW 2014, 398. 5 Ggf. kommt jedoch eine Strafbarkeit nach §§ 283 ff. StGB in Betracht. 6 BGH v. 16.6.2013 – 1 StR 6/13, StBW 2014, 399. 7 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161); BGH v. 13.1.1988 – 3 StR 450/87, BGHR AO § 378 Leichtfertigkeit 1; BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866.

510 | Peters

C.XVI. Irrtum | Rz. 11.300 Kap. 11

terziehungsvolumens nicht mehr in Betracht kommt, etwa in den Fällen des § 370 Abs. 2 Nr. 3 AO, wenn das Hinterziehungsvolumen je Tat 50.000 Euro übersteigt. Anders als bei der vorsätzlichen Steuerhinterziehung ist der Versuch nicht strafbar. Es gilt ferner der Einheitstäterbegriff des § 14 OWiG, d.h. eine Unterscheidung zwischen Täter und Teilnehmer wird nicht getroffen. Täter ist daher grundsätzlich jeder, der einen ursächlichen Beitrag geleistet hat. Indes ist dieser Kreis begrenzt auf „Steuerpflichtige“ und „Personen, die Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen wahrnehmen“ (§ 378 Abs. 1 Satz 1 AO).

2. Tatbestand/Täterkreis Steuerpflichtige sind der Steuerschuldner, Haftungsschuldner, Entrichtungspflichtige, Erklärungspflichtige (§ 149 Abs. 1 AO). Für eine Abgrenzung in negativer Hinsicht ist auf § 33 Abs. 2 AO abzustellen.1 Steuerpflichtiger ist nicht, wer in einer fremden Steuersache Auskunft zu erteilen, Urkunden vorzulegen, ein Sachverständigengutachten zu erstatten oder das Betreten von Grundstücken, Geschäfts- und Betriebsräumen zu gestatten hat.

11.298

„Bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen“ handelt jeder, dessen Verhalten mit den steuerrechtlichen Pflichten des Steuerpflichtigen in Zusammenhang steht, insbesondere Bevollmächtigte und Beistände (§ 80 AO), d.h. Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer sowie deren Hilfspersonen. Zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist in diesen Fällen jedoch, dass das Tätigwerden gegenüber der Finanzbehörde erkennbar ist bzw. der Berater gegenüber der Finanzbehörde in Erscheinung tritt. Vorbereitende Handlungen sind daher nicht tatbestandsmäßig.2 Entscheidend ist, wer hinter den gemachten Angaben steht, wem mithin die strafrechtliche Verantwortlichkeit zuzuschreiben ist. Eine mittelbare Täterschaft ist bei der leichtfertigen Steuerhinterziehung nicht möglich.3 Der objektive Tatbestand kann sowohl durch aktives Tun als auch durch pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen verwirklicht werden. Der Taterfolg muss über die reine Kausalität hinaus auf einer Sorgfaltspflichtverletzung beruhen, d.h. die darin angelegte Gefahr muss sich im Sinne des sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhangs realisieren. D.h. der Tatbestand ist nicht verwirklicht, wenn die Handlung zwar den Erfolg verursacht hat, dieser jedoch auch bei sorgfältigem Verhalten gleichsam eingetreten wäre.4

11.299

Zum Begriff der Leichtfertigkeit vgl. Rz. 11.276 ff.

XVI. Irrtum 1. Tatbestandsirrtum Der Vorsatz ist gem. § 16 StGB ausgeschlossen, wenn der Täter einem sog. Tatbestandsirrtum erliegt, d.h. nicht erkannt hat, dass er unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen macht und dadurch Steuern verkürzt.5 Bei einem Irrtum über die Steuerrechtslage, sprich die 1 Joecks in J/J/R8, § 378 AO Rz. 9. 2 Vgl. hierzu BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, wistra 1998, 180; OLG Braunschweig v. 8.3.1996 – Ss 100/95, DStR 1997, 515; OLG Zweibrücken v. 23.10.2008 – 1 Ss 140/08, wistra 2009, 127; Harms, Stbg 2005, 12. 3 Fischer67, § 25 StGB Rz. 6. 4 Fischer67, § 15 StGB Rz. 16c. 5 BGH v. 19.5.1989 – 3 StR 590/8, wistra 1989, 263 (264); BGH v. 27.11.2002 – 5 StR 127/02, wistra 2003, 266 (270); OLG München v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, PStR 2011, 140; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 658 m.w.N.; zum Ganzen Backes, Zur Problematik der Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum im Steuerstrafrecht, 1981.

Peters | 511

11.300

Kap. 11 Rz. 11.300 | Steuerhinterziehung

inhaltliche Reichweite oder das Vorhandensein eines Steueranspruchs, liegt ebenfalls ein Tatbestandsirrtum vor.1 Auch sonst sind Konstellationen denkbar, in denen dem Steuerpflichtigen der Vorsatz fehlt:2 Geht der Steuerpflichtige etwa irrig davon aus, dass die von ihm eingereichten Informationen an das zuständige Finanzamt weitergeleitet werden, kennt er diejenigen Umstände nicht, die seine Garantenpflicht für das geschützte Rechtsgut, die Anzeigepflicht, begründen. Er kennt einen Tatumstand nicht, der zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals erforderlich ist.3 Die bloße Berufung auf einen Irrtum, etwa über die Reichweite oder das Bestehen eines Steueranspruchs, genügt nicht. Es müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die eine derartige Annahme rechtfertigen.4 Hält der Täter die Existenz des Steueranspruchs für möglich, lässt er aber gleichwohl die Finanzbehörde in Unkenntnis und findet er sich mit der Möglichkeit einer Steuerhinterziehung ab, kommt vorsätzliches Verhalten in Betracht. Der BGH stellt darauf ab, dass es dem Steuerpflichtigen regelmäßig möglich und zumutbar ist, offene Rechtsfragen nach Aufdeckung des vollständigen Sachverhalts im Besteuerungsverfahren zu klären.5

11.301

Bei der irrigen Annahme eines Steuerpflichtigen, die Bundesrepublik Deutschland habe in einem Doppelbesteuerungsabkommen auf ihr Recht, bestimmte Einkünfte zu besteuern, verzichtet, handelt es sich um einen Tatbestandsirrtum hinsichtlich des inländischen Steueranspruchs, der den Vorsatz der Steuerhinterziehung ausschließt.6

2. Verbotsirrtum 11.302

Das Unrechtsbewusstsein ist nach dem Gesetz kein Merkmal des Vorsatzes, sondern der Schuld.7 Fehlt dem Täter, der die Tatumstände kennt, die Einsicht, Unrecht zu tun, schließt diese als Verbotsirrtum bezeichnete Fehlvorstellung den Vorsatz somit nicht und die Schuld gem. § 17 StGB nur dann aus, wenn der Täter den Irrtum nicht vermeiden konnte. Der Verbotsirrtum kann darauf beruhen, dass der Täter das Ver- oder Gebot nicht kennt bzw. für ungültig hält oder er sein Verhalten nicht unter einen ihm bekannten Tatbestand subsumiert (direkter Verbotsirrtum)8, sowie darauf, dass er sein Verhalten für gerechtfertigt hält, indem er sich einen nicht bestehenden Rechtfertigungsgrund vorstellt oder indem er die Grenzen eines existierenden Rechtfertigungsgrundes überdehnt (indirekter Verbotsirrtum;9 davon zu unterscheiden ist der sog. Erlaubnistatbestandsirrtum. Daraus folgt einerseits, dass die bloße Vorstellung der Moral- oder Sittenwidrigkeit des eigenen Verhaltens noch kein Unrechtsbewusstsein vermittelt,10 nach zutreffender Auffassung ist aber andererseits nicht erforderlich, dass der Täter die Strafbarkeit seines Verhaltens erkennt,11 wenn er sich nur über die Verletzung einer Norm im Klaren ist, mag diese auch dem Zivilrecht oder dem öffentlichen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BGH v. 9.2.1995 – 5 StR 722/94, wistra 1995, 191. Vgl. auch die Beispiele bei Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 663. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 505 f. Vgl. auch BGH v. 18.8.2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85; Allgayer in G/J/W2, § 369 AO Rz. 28. BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161) unter Verweis auf BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09; BVerfG v. 29.4.2010 – 2 BvR 871/09, wistra 2010, 396 (404). BayObLG v. 30.1.1990 – RReg 4 St 132/89, DStR 1990, 310. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 663. Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 729 f. Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 729. Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 733. BGH v. 26.1.1968 – 4 StR 570/67, GA 1969, 61. Z.B. BGH v. 28.2.1961 – 1 StR 467/60, BGHSt 15, 377 (383); BGH v. 13.12.1995 – 3 StR 514/95, NStZ 1996, 236 (237); Jescheck/Weigend, AT5, 453 f.; Kindhäuser in LPK, § 17 StGB Rz. 5; Krey, AT-1, Rz. 679. A.A. Neumann, JuS 1993, 793 (795); Otto, Jura 1990, 645 (647), die das Bewusstsein, eine sanktionsbewehrte Norm zu verletzen, verlangen.

512 | Peters

C.XVI. Irrtum | Rz. 11.305 Kap. 11

Recht zugehören. Es genügt deshalb grundsätzlich das Wissen um die Verletzung der steuerrechtlichen Erklärungspflichten; der bloße Irrtum über die Strafbarkeit seines Verhaltens ist dann ein unbeachtlicher Subsumtionsirrtum, der das Unrechtsbewusstsein nicht berührt. Deshalb handelt der Steuerpflichtige mit Unrechtsbewusstsein, wenn er eine Steuerhinterziehung begeht, die ein Steuergesetz betrifft, von dem er weiß, dass es das BVerfG zwar als verfassungswidrig erklärt, aber für eine Übergangsfrist in Geltung gelassen hat. Dann ist dem Täter bewusst, dass sein Verhalten das Steuerrecht verletzt, selbst wenn er meint, die Hinterziehung verfassungswidriger Steuern sei nicht strafbar.

11.303

Der Täter handelt nach h.M. schon dann mit Unrechtsbewusstsein, wenn er Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens hat und deshalb die Möglichkeit, Unrecht zu tun, in seinen Willen aufnimmt. Ein dem dolus eventualis vergleichbares bedingtes Unrechtsbewusstsein genügt.1 Im Übrigen ist nicht erforderlich, dass der Täter die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens erkannt hat, sondern es reicht ein potentielles Unrechtsbewusstsein, das vorliegt, wenn er bei dem ihm zumutbaren Einsatz seiner Erkenntniskräfte und Wertvorstellungen das Unrecht hätte erkennen können.2 Dieser Befund ergibt sich daraus, dass nach § 17 Satz 1 StGB nur der unvermeidbare Verbotsirrtum die Schuld ausschließt.3 Ein Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB liegt vor, wenn der Täter bei Kenntnis aller Tatumstände die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht erkannt hat, also nicht wusste, dass seine Handlung verboten oder die unterlassene Handlung geboten war. In diesen Fällen stellt sich jedoch immer die Frage, ob die Unwissenheit durch Nachfrage lösbar gewesen und der Irrtum somit vermeidbar gewesen.4

11.304

An die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums sind strenge Anforderungen zu stellen.5 Vermeidbar ist er nach h.M. insbesondere schon dann, wenn der Täter durch Einholung fachkundigen Rates seine Rechtspflicht hätte erkennen können.6 Gerade im Steuerstrafrecht sind deshalb irrige Vorstellungen, welche die Qualifizierung als – vermeidbarer – Verbotsirrtum rechtfertigen können, selten,7 zumal der Laie wegen der Kompliziertheit und Unübersichtlichkeit des Steuerrechts ohnehin häufig nicht umhinkommt, die Hilfe eines steuerlichen Beraters in Anspruch zu nehmen. Zu weit geht es jedoch, wenn die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums allein auf das pflichtwidrige Unterlassen der Erkundigung gestützt wird, selbst wenn die erhaltene Auskunft unzutreffend gewesen wäre und deshalb nicht zur Erkenntnis des Unrechts geführt hätte,8 denn dem Begriff der Vermeidbarkeit ist die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die begangene Unrechtstat immanent. Nach zutreffender Auffassung ist deshalb erforderlich, dass die pflichtgemäße Erkundigung eine verlässliche Auskunft erbracht,

11.305

1 BGH v. 7.3.1996 – 4 StR 742/95, NJW 1996, 1604 (1605). A. A. z.B. Kindhäuser in LPK, § 17 StGB Rz. 7; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 727 ff. 2 Vgl. BGH v. 27.1.1966 – KRB 2/65, BGHSt 21, 18 (20). 3 Kindhäuser in LPK, § 17 StGB Rz. 8. 4 BGH v. 2.2.2000 – 1 StR 597/99, wistra 2000, 257 (258). 5 Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 736; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 101. 6 Z.B. BGH (GS) v. 18.3.1952 – GSSt 2/51, BGHSt 2, 194 (201); BGH v. 23.12.1952 – 2 StR 612/52, BGHSt 4, 1 (5); BGH v. 19.4.1984 – 1 StR 736/83, wistra 1984, 178; BayObLG v. 8.9.1988 – RReg. 5 St 96/88, NJW 1989, 1744 f.; OLG Köln v. 25.7.1995 – Ss 340/95, NJW 1996, 472 (473); Wessels/ Beulke/Satzger, AT49, Rz. 737. 7 BayObLG v. 20.7.1992 – RReg. 4 St 190/91, wistra 1992, 312 (313) = StRK AO 1977 § 370 R. 204; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 101. 8 So aber z.B. BGH v. 27.1.1966 – KRB 2/65, BGHSt 21, 18 (21); BayObLG v. 25.5.1965 – RevReg 2b St 112/64, NJW 1965, 1924 (1926).

Peters | 513

Kap. 11 Rz. 11.305 | Steuerhinterziehung

dem Täter also die Unrechtserkenntnis vermittelt hätte oder jedenfalls hätte vermitteln können.1

11.306

Eine die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums ausschließende verlässliche2 Rechtsauskunft ist nur von einer zuständigen, sachkundigen, unvoreingenommenen Person zu erwarten, die mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgt und die Gewähr für eine objektive, sorgfältige, pflichtgemäße und verantwortungsvolle Auskunftserteilung bietet.3 Das wird z.B. bei der Auskunft des steuerlichen Beraters des Täters in aller Regel der Fall sein.4 Zwar wird es z.T. als nicht ausreichend angesehen, dass sich der Täter von einem in seiner eigenen Rechtsabteilung tätigen Juristen über die strafrechtliche Unbedenklichkeit seines Verhaltens beraten lässt,5 einem Hausjuristen sollte aber nicht generell die Vertrauenswürdigkeit abgesprochen werden.6 Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum zudem dann, wenn die Auskunft eines Amtsträgers den Irrtum des Täters verursacht hat.7

11.307

Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt nach Ansicht des BGH voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat.8 Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein. Eine Auskunft wird in diesem Sinne nur dann als verlässlich angesehen, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist.9 Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Der Täter darf nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse, seine Vorbildung und seine Persönlichkeit. Zu berücksichtigen sind insbesondere Bildungsstand, Erfahrung und berufliche Stellung. Entscheidend sind letztlich die Umstände des Einzelfalls.

11.308

Eine Unvermeidbareit liegt nicht vor, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Er darf sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. Bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unver1 Vgl. BayObLG v. 8.9.1988 – RReg. 5 St 96/88, JR 1989, 386 f., m. zust. Anm. Rudolphi; OLG Celle v. 13.12.1976 – 3 Ss 270/75, NJW 1977, 1644 (1645); Kindhäuser in LPK, § 17 StGB Rz. 17; Rudolphi in SK-StGB, § 17 StGB Rz. 25; Vogel in LK12, § 17 StGB Rz. 46. 2 Vgl. die Kriterien bei Vogel in LK12, § 17 StGB Rz. 79. 3 BGH v. 13.9.1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257 (264); BayObLG v. 8.9.1988 – RReg. 5 St 96/88, JR 1989, 386 (387); Vogel in LK12, § 17 StGB Rz. 51 f.; Kindhäuser in LPK, § 17 StGB Rz. 17; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 737. 4 Vgl. OLG Bremen v. 2.3.1981 – Ss (B) 120/80, NStZ 1981, 265 f. 5 KG v. 30.6.1977 – (2) Ss 43/77 (29/77), JR 1978, 166 (168); Vogel in LK12, § 17 StGB Rz. 79 f. 6 AG Frankfurt v. 10.1.1989 – 50 Js 17465/88 – 97 Ds 117, NJW 1989, 1745 (1746); Zaczyk, JuS 1990, 889 (894). 7 BGH v. 21.2.2001 – 5 StR 368/00, NStZ 2001, 379 (380) = StRK AO 1977 § 370 R. 280, zur Auskunft eines V-Mannführers der Zollfahndungsbehörde gegenüber einem mit Wissen der Behörde am Zigarettenschmuggel beteiligten V-Mann. 8 BGH v. 4.4.2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461. 9 BGH v. 4.4.2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461.

514 | Peters

C.XVII. Versuch | Rz. 11.310 Kap. 11

meidbarer Verbotsirrtümer aus.1 Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen sollen, genügen ebenfalls nicht. Insbesondere bei komplexen (grenzüberschreitenden) Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.2 Dieses sollte wissenschaftlichen Standards genügen und sich ggf. auch kritisch mit der zu beurteilenden Frage auseinandersetzen. Ggf. ist ein weiteres Gutachten einzuholen. Eine nachvollziehbare Dokumentation des Gutachtens kann im Einzelfall angezeigt sein. Dies gilt umso mehr, wenn sich im Ermittlungsverfahren ein sog. „Opinion Shopping“ zeigt, sprich mehrere Berater mit der gleichen Fragestellung angegangen wurden und bspw. mehrere renommierte Berater/Sozietäten eine Begutachtung von vorherein abgelehnt haben, oder sich das befürwortende Gutachten nur unzureichend mit einem ablehnenden Gutachten auseinandersetzt. Zu monieren ist vielfach auch, dass sich entsprechende Gutachten zumeist nur mit der steuerlichen Rechtslage auseinandersetzen, entsprechende strafrechtliche Risiken indes nicht in der notwendigen Tiefe erörtert oder beachtet werden. Im Steuerstrafrecht kommt hinzu, dass der Steuerpflichtige die Möglichkeit der verbindlichen Auskunft hat (§ 89 AO).

XVII. Versuch 1. Einführung Nach § 370 Abs. 2 AO ist der Versuch der Steuerhinterziehung strafbar. Es bedarf dieser Anordnung der Versuchsstrafbarkeit, weil es sich bei § 370 AO um ein Vergehen i.S.d. § 12 Abs. 2 StGB handelt und gem. § 23 Abs. 1 StGB der Vergehensversuch nur strafbar ist, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. Mangels besonderer steuerstrafrechtlicher Regelungen gelten gem. § 369 Abs. 2 AO die Vorschriften der allgemeinen Strafgesetze. Eine Steuerhinterziehung versucht somit, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt, § 22 StGB. Eine Tat ist versucht, wenn der Täter nach seiner Vorstellung die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten und nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt hat (sog. subjektiv-objektive Theorie/vgl. auch § 22 StGB).3 Abzugrenzen hiervon sind straflose Vorbereitungshandlungen, wie unterlassene Buchführung, das Aufstellen falscher Bilanzen, die Erstellung falscher GuV Rechnungen oder die fehlerhafte Ausfüllung von Steuererklärungsvordrucken.4 Das Versuchsstadium beginnt erst mit Entäußerung der jeweiligen Erklärung; sprich mit Einreichen beim Finanzamt. Beim Unterlassen beginnt das Versuchsstadium mit Verstreichen lassen der letzten Erklärungsmöglichkeit, etwa Fristablauf.

11.309

Die Grenze zur Versuchsstrafbarkeit überschreitet der Täter einer Steuerhinterziehung erst, wenn er nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB).5 Erforderlich ist also eine tatnahe Betätigung des Tatentschlusses,

11.310

1 Vogel in LK12, § 17 StGB Rz. 87; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 737. 2 BGH v. 4.4.2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461; BGH v. 3.4.2008 – 3 StR 394/07, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 8 mwN; zum Ganzen Krell, wistra 2020, 177 ff.; Busch, wistra 2020, 184; zum Beispiel eines Gutachtens mit dem euphemistischen Titel „Steuerliches Gutachten zur Ausnutzung von Marktineffizienzen bei dem Handel mit Aktien über den Hauptversammlungsstichtag“ vgl. LG Bonn v. 18.3.2020 – 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19, juris. 3 Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 944 f. 4 Ggf. kommt jedoch eine Strafbarkeit nach §§ 283 ff. StGB in Betracht. 5 BGH v. 12.6.2013 – 1 StR 6/13, juris; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 944.

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Kap. 11 Rz. 11.310 | Steuerhinterziehung

der ohne weitere Zwischenschritte in eine Tathandlung münden soll. Der Versuchsbeginn liegt unzweifelhaft vor, wenn der Täter die Voraussetzungen des Steuerhinterziehungstatbestandes schon zum Teil verwirklicht hat. Eine solche Teilverwirklichung ist immer gegeben, wenn der Täter die jeweilige Tathandlung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 – 3 AO bereits vorgenommen hat. Indem § 22 StGB aber auch das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes dem Bereich des strafbaren Versuchs zurechnet, erfasst die Regelungen zudem Handlungen, die der Vornahme der eigentlichen Tathandlung vorgelagert sind. Wo die Grenze zwischen der – noch straflosen – Vorbereitungshandlung und dem – bereits strafbaren – Versuch verläuft, ist im Einzelnen strittig und hängt maßgeblich von dem jeweiligen Einzelfall ab. Vorbereitungshandlungen verwirklichen den Tatbestand nicht. Einige typische Vorbereitungshandlungen der Steuerhinterziehung sind jedoch als Bußgeldtatbestände ausgestaltet, nämlich die Steuergefährdung (§ 379 AO), Gefährdung der Abzugsteuern (§ 380 AO), Verbrauchsteuergefährdung (§ 381 AO), Gefährdung der Eingangsabgaben (§ 382 AO) und zweckwidrige Verwendung des Steueridentifikationsmerkmals nach § 139a AO. Diese Steuergefährdungshandlungen sind der Steuerhinterziehung nicht unmittelbar vorgelagert, so dass sie die Grenze zur Versuchsstrafbarkeit noch nicht überschreiten.

11.311

Der Versuch beginnt bei der Verkürzung von Ein- oder Ausfuhrabgaben grundsätzlich erst, wenn der Täter die Grenze oder die vor ihr eingerichtete Zollstelle erreicht und zu der unrichtigen Erklärung gegenüber den Zollbeamten1 bzw. bei einem heimlichen Grenzübertritt zu dem Überschreiten der Zollgrenze unter Mitführen der Ware unmittelbar ansetzt.2 Vorbereitungshandlungen sind deshalb der Einkauf der Ware im Inland3 oder im Ausland,4 die vergebliche Auslandsreise zur Übernahme der Ware,5 die Verbringung der Ware in den Freihafen, auch wenn sie von dort auf dem Landweg weiterbefördert werden soll,6 der Diebstahl des Schmuggelguts im Freihafen und die alsbaldige Dereliktion aus Furcht,7 das Anlegen eines Warenlagers in Grenznähe zum Absatz an Schmuggler,8 die Fahrt des Täters aus dem Inland zu dem im Ausland in Grenznähe angelegten Versteck des Schmuggelguts,9 das Beschaffen eines Fahrzeugs zum Abtransport der Ware und ihr Verbringen in Grenznähe,10 der Transport des Guts zu der in Grenznähe gelegenen Täterwohnung, durch den nur die Möglichkeit gesichert werden soll, es unter gewissen, noch nicht zu übersehenden Umständen über die Grenze zu bringen, ohne dass bereits ein fester Entschluss zum Schmuggel gefasst ist,11 und die Übergabe der Ware zur Verpackung und Beförderung.12

1 Noch enger BGH v. 19.6.2003 – 5 StR 160/03, NJW 2003, 3068 (3070), der den Versuchsbeginn erst in der Vorlage der wahrheitswidrigen – weil unvollständigen – Zollanmeldung sieht. 2 BGH v. 10.9.1953 – 1 StR 758/52, BGHSt 4, 333 (334); ebenso für die unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln BGH v. 21.1.1983 – 2 StR 698/82, BGHSt 31, 215; BGH v. 6.9.1986 – 3 StR 268/89, BGHSt 36, 249 (250). 3 RG v. 4.7.1919 – IV 247/19, RGSt 53, 241 (242). 4 BGH v. 5.4.1955 – 1 StR 355/54, BGHSt 7, 291 (292). 5 RG v. 8.3.1915 – I 1067/14, RGSt 49, 208 (211). 6 BGH v. 19.6.2003 – 5 StR 160/03, NJW 2003, 3068 (3070). 7 BGH v. 6.2.1963 – 2 StR 403/62, BGHSt 18, 242. 8 RG v. 28.10.1918 – I 288/18, RGSt 53, 135 (136). 9 A.A. BGH v. 29.5.1953 – 1 StR 196/53, ZfZ 1954, 54. 10 BGH v. 29.5.1953 – 1 StR 196/53, ZfZ 1954, 54; BGH v. 23.10.1953 – 2 StR 87/53, BZBl. 1954, 46. 11 RG v. 28.6.1918 – IV 346/18, RGSt 52, 280 (282). 12 Unzutr. RG v. 1.10.1918 – IV 501/18, RGSt 53, 45, das einen Versuch annimmt.

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C.XVII. Versuch | Rz. 11.315 Kap. 11

2. Besonderheiten von Versuch und Vollendung bei einzelnen Steuerarten a) Steuerzeichen Die Tabaksteuer wird grundsätzlich nicht unmittelbar durch Geldzahlung an das Hauptzollamt, sondern durch Verwendung von Steuerzeichen entrichtet (§ 17 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Durch Entwertung und Anbringung der Steuerzeichen auf den Verpackungen (§ 35 TabStV) wird für den Verbraucher nach außen hin erkennbar, dass es sich um versteuerte Ware handelt.1 Als Verbringer wird auch derjenige angesehen, der kraft seiner Weisungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf das Transportfahrzeug hat, indem er die Entscheidung zur Durchführung des Transports trifft oder Einzelheiten der Fahrt (Route, Ort, Zeitabfolge) bestimmt.2

11.312

Besteht die Steuerhinterziehung in dem pflichtwidrigen Unterlassen der Verwendung von (Tabak-)Steuerzeichen, so ist sie in dem Zeitpunkt vollendet, in dem das Steuerzeichen hätte verwendet werden müssen. Das ist gem. § 11 Abs. 1 TabakStG der Fall mit dem Entfernen des Tabakerzeugnisses aus dem Steuerlager3 oder dem Verbrauch im Steuerlager, d.h. dem Herstellungsbetrieb (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 1, § 9 TabakStG). Das gilt auch dann, wenn die Herstellung außerhalb eines angemeldeten Betriebes erfolgt.4 Zwar entsteht die Tabaksteuerschuld bereits mit der Herstellung außerhalb eines angemeldeten Betriebs (§ 11 Abs. 3 TabStG), für die Vollendung der Steuerhinterziehung ist aber nicht das Entstehen der Steuerschuld maßgeblich, sondern der Zeitpunkt, in dem das Steuerzeichen verwendet werden muss.5

11.313

Soweit es auf die Feststellung des Kleinverkaufspreises ankommt, darf das Gericht den Preis ggf. Schätzen, indes die Schätzung selbst vorzunehmen. Die Angaben der Finanzverwaltung dürfen nicht ungeprüft übernommen werden, insbesondere der bloße Verweis auf Dienstvorschriften des BMF genügt nicht.6

11.314

b) Zölle und Eingangsabgaben Die auf die Einfuhr entfallende Einfuhrumsatzsteuer knüpft an das Verbringen von Gegenständen von außerhalb des EU-Zollgebietes zum freien Verkehr in das Inland. Sie entsteht regelmäßig erst mit der Überführung der betreffenden Gegenstände in den freien Verkehr, soweit keine Steuerbefreiung (§ 5 UStG) eingreift. Eine Einfuhr liegt somit erst dann vor, wenn auch die Voraussetzungen für eine Zollschuld (Art. 201 – 204 ZK/Art. 83 – 87 UZK) erfüllt sind.7 Insoweit gelten weitgehend die im Zollkodex (ZK/UZK)8 verankerten Vorschriften mit der Folge eines Gleichlaufs von Einfuhrumsatzsteuer und Zoll. Die Besteuerung der Einfuhr korrespondiert durchweg mit der Ausfuhrbefreiung im Ursprungsland9 und dient damit im Ergebnis dem Bestimmungslandprinzip.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 718. BGH v. 23.3.2017 – 1 StR 451/16. RG v. 26.9.1932 – II 652/32, RGSt 66, 359 (363); Kohlmann, Rz. 266. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 720. I. Erg. ebenso Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 717 f. A.A. RG v. 2.3.1931 – II 235/30, RGSt 65, 182 (183), das Vollendung schon mit dem Abschluss der Verarbeitung des Tabaks annimmt. BGH v. 21.1.2019 – 1 StR 475/18, juris. BFH v. 6.5.2008 – VII R 30/07, BFH/NV 2008, 1971; Hinweis: Art. 83 – 87 UZK gelten ab 1.6.2016 (Art. 288 Abs. 2 UZK); vgl. Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1 ff. Die Artikel des UZK werden nachfolgend nicht gesondert aufgeführt. Vgl. §§ 4 Nr. 1a, 6 UStG Englisch in T/L23, § 17 Rz. 393 ff.

Peters | 517

11.315

Kap. 11 Rz. 11.316 | Steuerhinterziehung

11.316

In der Praxis beruhen Pflichtverletzungen vor allem darauf, dass der Gestellungspflicht (Art. 40 ZK i.V.m. § 4 Abs. 1 ZollVG) bei der Einfuhr nicht entsprochen wird. Soweit keine Steuerbefreiungen eingreifen und eine Einfuhrumsatzsteuer nicht angemeldet worden ist, wird der Tatbestand des Schmuggels (§ 373 Abs. 1 AO) erfüllt. Das gilt ggf. auch für hinterzogenen Zoll. In aller Regel ist damit bei Weiterveräußerung der nämlichen Waren auch eine Hinterziehung von Umsatzsteuer (§ 370 AO) verbunden. Es handelt sich insoweit um zwei verschiedene Steuerhinterziehungstaten, sodass Tatmehrheit (§ 53 StGB) gegeben ist.1 Wegen der unterschiedlichen Besteuerungsverfahren führt der für die Einfuhrumsatzsteuer mögliche Vorsteuerabzug bei der Umsatzsteuer (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG) nicht zum Fortfall der Strafbarkeit wegen Schmuggels (Kompensationsverbot).2 Dass die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer bereits abgezogen werden kann, wenn sie für die Einfuhr geschuldet wird,3 spielt hierbei keine Rolle.4

11.317

Der Vollendungszeitpunkt der Hinterziehung von Zoll und Einfuhrabgaben, z.B. der Einfuhrumsatzsteuer (§ 21 UStG) oder sonstiger für den eingeführten Gegenstand entstehender Verbrauchsteuern, hängt von den konkreten Umständen ab. Zu berücksichtigen ist, dass nach Art. 217 ff. ZK und der ZK-DVO seit dem 1.1.1994 Zoll und Einfuhrumsatzsteuer festzusetzen sind, es sich also nicht mehr um Fälligkeits-, sondern um Veranlagungssteuern handelt.5 Nach der Rspr. zur früheren Rechtslage war die Zollhinterziehung bereits mit dem Versteckthalten der Ware bei Erreichen der Zollstelle6 bzw. mit Verletzung der Gestellungspflicht vollendet,7 also schon bei der wahrheitswidrigen Erklärung des Täters, er führe keine zollpflichtigen Waren bei sich, selbst wenn die Zollbeamten dieser Erklärung keinen Glauben schenken, z.B. weil ihnen das Mitführen der Waren bekannt war, und sie diese deshalb auffanden.8

11.318

Diese Rspr. kann heute keine Geltung mehr beanspruchen.9 Macht der Täter bei einer Grenzkontrolle unrichtige Angaben über die mitgeführten zoll- bzw. steuerpflichtigen Waren, so liegt darin zwar die Tathandlung der Steuerhinterziehung. Entdecken die Zollbeamten dennoch die Waren und werden die Abgaben zutreffend festgesetzt, bleibt der Steuerverkürzungserfolg und damit die Vollendung aber aus, so dass nur eine versuchte Steuerhinterziehung gegeben ist.10 Unerheblich ist im Übrigen, ob die Abfertigung an einer Zollstelle in Deutschland oder an einer exponierten Zollstelle auf fremdem Staatsgebiet erfolgt.11 Gelingt die Täuschung, ist die Steuerhinterziehung allerdings mit der Festsetzung vollendet.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. EuGH v. 29.3.2012 – C-414/10, ECLI:EU:C:2012:183 – Véleclair, UR 2012, 602, Rz. 27. BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. Weidemann, wistra 2003, 241 (242). BGH v. 20.7.1971 – 1 StR 683/70, BGHSt 24, 178 (182). BGH v. 22.10.1953 – 4 StR 128/53, BGHSt 5, 53 ff.; BGH v. 22.2.1973 – 1 StR 606/72, BGHSt 25, 137 (138, 140). BGH v. 20.7.1971 – 1 StR 683/70, BGHSt 24, 178 (182); BayObLG v. 27.7.1982 – 4 St 68/82, JZ 1982, 811 (812). Dies verkennen das BayObLG v. 5.11.1996 – 4 St RR 169/96, wistra 1997, 111 (112) = StRK AO 1977 § 370 R. 240, und Fischer67, § 22 StGB Rz. 16. Siehe dazu Bender, wistra 1997, 233 (234). LG Dresden v. 14.7.1999 – 8 NS 111 Js 45761, NStZ-RR 2000, 90 f. BayObLG v. 9.4.1970 – RReg. 4a St 231/69, BayObLGSt 1970, 78; eingehend dazu Temming, Der erweiterte Geltungsbereich von Strafvorschriften aufgrund internationaler Grenz- und Verkehrsabkommen, Diss. Potsdam 1997, 273 ff.

518 | Peters

C.XVII. Versuch | Rz. 11.322 Kap. 11

Umgeht der Täter die Zollstraße oder übertritt er die Grenze sonst heimlich, lässt er also die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis (§ 370 Abs. 1 Nr. 2), so ist die Steuerhinterziehung durch Unterlassen mit dem Überschreiten der Zollgrenze vollendet, weil die Einfuhrabgaben dann nicht festgesetzt werden.1 Wird der Täter hinter der Grenze einer Kontrolle auf zollrechtlichen Besitz unterzogen und die geschmuggelte Ware daraufhin entdeckt, ändert dies an der bereits eingetretenen Vollendung nichts.2

11.319

Entzieht der Täter den einfuhrabgabenpflichtigen Gegenstand der zollamtlichen Überwachung, so ist die Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO mit der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung vollendet. Unter Entziehung ist jede Handlung oder Unterlassung zu verstehen, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu der unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der vom gemeinschaftlichen Zollrecht vorgesehenen Prüfungen gehindert wird.3 Die Steuerhinterziehung ist somit vollendet, wenn der Täter die Ware dem externen – gemeinschaftlichen – Versandverfahren (Art. 91 Abs. 2 Buchst. a, b ZK) ohne Gestellung entnimmt, um sie innerhalb der EU unter Verkürzung der Einfuhrabgaben in den freien Verkehr zu bringen,4 oder wenn Nichtgemeinschaftsware unter anderen für ein Zollverfahren angemeldeten Waren versteckt und in einem zur Durchfuhr durch das Zollgebiet der EU abgefertigten und versiegelten Container vom Amtsplatz abtransportiert bzw. in diesem Container wieder ausgeführt wird.5

11.320

c) Verbrauchsteuern Für die Vollendung der Hinterziehung der zu den Fälligkeitssteuern zählenden Verbrauchsteuern gelten die oben dargelegten Grundsätze, d.h. im Falle einer unrichtigen Mitteilung durch den Steuerpflichtigen tritt Vollendung mit der unzutreffenden Festsetzung ein, im Falle des pflichtwidrigen Inunkenntnislassens der Finanzbehörde mit Fälligkeit der Steuer.

11.321

Befinden sich die verbrauchsteuerpflichtigen Waren in einem Steueraussetzungsverfahren, z. B. im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren, und entnimmt der Täter sie diesem Verfahren, ohne dies der Zollbehörde anzuzeigen, so ist die dadurch begangene Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) – ähnlich wie die Entziehung einfuhrabgabenpflichtiger Waren aus der zollamtlichen Überwachung – vollendet, wenn der Täter durch sein Verhalten eine bestehende Kontrolle oder Kontrollmöglichkeit über die Ware beseitigt, so dass der Zollbehörde die Eigenschaft der Ware als verbrauchsteuerpflichtig, aber unversteuert nicht mehr erkennbar ist.6 Das Lageraussetzungsverfahren wird mit der Entnahme der Energieerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr beendet, womit zugleich die

11.322

1 BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40 (44); BayObLG v. 18.3.2003 – 4 StR RR 19/03, wistra 2003, 316 (317). 2 OLG Dresden v. 3.3.1999 – 1 Ss 597/98, NStZ-RR 1999, 370. 3 EuGH v. 11.7.2002 – C-371/99, ECLI:EU:C:2002:433 – Liberexim, ZfZ 2002, 338 (341), Rz. 55; BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52 (60 ff.); BGH v. 27.11.2002 – 5 StR 127/02, wistra 2003, 266 (268). 4 BGH v. 21.2.2001 – 5 StR 368/00, wistra 2001, 263 (264) = StRK AO 1977 § 370 R. 280; Kohlmann, Rz. 260. 5 BGH v. 27.11.2002 – 5 StR 127/02, wistra 2003, 266 (267 ff.), m. krit. Besprechung Weidemann, wistra 2003, 241 ff. 6 BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52 (58 ff.), für die Entziehung branntweinsteuerpflichtigen Alkohols aus dem innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren.

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Kap. 11 Rz. 11.322 | Steuerhinterziehung

Energiesteuer entsteht (§ 8 Abs. 1 EnergieStG).1 Entsprechendes gilt, wenn die Erlaubnis zum Betrieb des Steuerlagers erlischt (§ 14 Abs. 5 EnergieStV). Soweit Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG) aus dem Steuerlager entfernt werden, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG),2 ist eine Steueranmeldung abzugeben (§ 8 Abs. 3, 4 EnergieStG i.V.m. § 23a EnergieStDV), wobei die Steueranmeldung die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung hat (§ 167 Satz 1 AO).

11.323

Voraussetzung der Steuerhinterziehung ist allerdings, dass der Zollbehörde die Entnahme nicht bekannt ist. Werden der Transport und die Entnahme von den Zoll(fahndungs)behörden lückenlos überwacht, haben sie also Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang, so scheidet eine vollendete Steuerhinterziehung aus, und zwar nicht erst, weil der Verkürzungserfolg wegen der zutreffenden und rechtzeitigen Festsetzung der Steuer fehlt,3 sondern bereits mangels Tathandlung, denn die Finanzbehörde befand sich gerade nicht in Unkenntnis über die steuerlich erheblichen Tatsachen. Da der Täter nach seiner Vorstellung jedoch sowohl das tatbestandsmäßige Unterlassen verwirklicht als auch den Taterfolg herbeiführt, ist er wegen – untauglichen – Versuchs der Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar.4

3. Beendigung 11.324

Mit der – formellen – Vollendung, also der vollständigen Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung, ist das strafrechtlich relevante Geschehen nicht notwendig vollständig abgeschlossen. Für das allgemeine Strafrecht ist anerkannt, dass sich der Vollendung eine Phase der – materiellen – Beendigung der Tat anschließen kann, die den Zeitraum bis zum vollständigen Abschluss des Tatunrechts des gesamten Handlungsgeschehens umfasst.5

4. Eingangsabgaben und Verbrauchsteuern 11.325

Bei Zöllen und sonstigen Eingangsabgaben ist die Steuerhinterziehung i.d.R. mit der Festsetzung vollendet und beendet, wenn die Ware der Zollstelle vorgeführt und dort durch Täuschung der Beamten zollamtlich abgefertigt wird, denn der Täter hat dann im Allgemeinen keinen Zugriff der Zollbehörde mehr zu befürchten.6

11.326

Wird die Ware dagegen unter Umgehung der Zollstelle – „über die grüne Grenze“ – eingeführt oder verheimlicht der Täter das Schmuggelgut bei der Grenzkontrolle, so tritt die Beendigung der mit dem Überschreiten der Zollgrenze vollendeten Steuerhinterziehung ein,

1 Ein entgegenstehender Wille des Lagerinhabers ist unbeachtlich; vgl. BFH v. 20.2.2012 – VII B 146/11, ZfZ 2013, 27. 2 Das Erlöschen der Erlaubnis steht der Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr gleich, § 14 Abs. 5 EnergieStV. 3 So aber OLG Oldenburg v. 16.11.1998 – Ss 319/98, wistra 1999, 151 (152) = StRK AO 1977 § 370 R. 260. 4 OLG Oldenburg v. 16.11.1998 – Ss 319/98, wistra 1999, 151 = StRK AO 1977 § 370 R. 260. 5 Vgl. BGH v. 6.4.1965 – 1 StR 73/65, BGHSt 20, 194 (197); BGH v. 15.3.2001 – 5 StR 454/00, NJW 2001, 2102 (2106) (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 46, 310); BGH v. 11.7.2001 – 5 StR 530/ 00, NStZ 2001, 650; BayObLG v. 20.7.1979 – RReg. 1 St 140/79, NJW 1980, 412; Fischer67, § 22 StGB Rz. 6. 6 BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40 (44).

520 | Peters

C.XIX. Ausländische Abgaben | Rz. 11.327 Kap. 11

wenn die Ware am Bestimmungsort endgültig zur Ruhe kommt,1 denn während des Transports ist eine Entdeckung der Tat noch möglich, so dass der Verkürzungserfolg erst mit der Ankunft am Bestimmungsort gesichert ist. Diese Grundsätze haben ebenfalls zu gelten, wenn der Täter die Ware der zollamtlichen Überwachung oder dem Steueraussetzungsverfahren entzieht. Auch hier kann sich an die Vollendung der Steuerhinterziehung durch die Entziehung eine Phase der Beendigung anschließen, falls die Ware zu einem Bestimmungsort transportiert wird.

XVIII. Steuerhinterziehung bei Waren, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist (§ 370 Abs. 5 AO) Eine Steuerhinterziehung kann gem. § 370 Abs. 5 AO auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist. Die Vorschrift entspricht dem Rechtsgedanken, dass es gem. § 40 AO für die Besteuerung unerheblich ist, ob das die Besteuerung auslösende Verhalten gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. In § 370 Abs. 5 AO wird klargestellt, dass eine Steuerhinterziehung auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden kann, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist (so im Grundsatz auch Art. 212 Satz 1 ZK [Art. 83 Abs. 1 UZK]). Obwohl Art. 212 Satz 2 ZK (Art. 83 Abs. 2 UZK). Ausnahmen vom Entstehen der Zollschuld sind nur für Suchtstoffe oder psychotrope Stoffe und für Falschgeld vorgesehen. In Betracht kommen aber auch geschützte Tiere/Pflanzen, Kulturgüter, nuklear verseuchtes Material. Ransiek will all die Gegenstände ausnehmen, bei denen zwingend eine Einziehung zu erfolgen hat, da nicht erklärbar sei, warum Abgaben für einen Gegenstand zu entrichten sein sollen, der ohnehin entzogen wird.2

XIX. Ausländische Abgaben § 370 Abs. 6 AO Literatur: Adick, Innergemeinschaftliche Lieferungen: Versagung der Steuerbefreiung und Strafbarkeit nach § 370 AO?, PStR 2012, 9; Bielefeld, Fingierter innergemeinschaftlicher KfZ-Zwischenhandel zur Umsatzsteuerhinterziehung, DStR 2009, 580; Bülte, Zur Strafbarkeit der Verschleierung von Sanktionsansprüchen als Umsatzsteuerhinterziehung, HRRS 2011, 465; Bürger, Innergemeinschaftliche Lieferungen im Reihengeschäft, UR 2012, 941; Buse, Umsatzsteuerhinterziehung auf Zeit, UR 2010, 325; Englisch, Nachweispflichten und Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen UR 2008, 481; Gehm, Steuerliche und steuerstrafrechtliche Aspekte des Umsatzsteuerkarussells, NJW 2012, 1257; Harksen/Möller, Nachweispflichten im grenzüberschreitenden Warenverkehr UStB 2008, 78; Harms/ Heine, EG-Verordnung und Blankettgesetz, in FS Amelung, Berlin 2009, 393 (402); Hentschel, Die Bedeutung des Steuerordnungswidrigkeitenrechts bei grenzüberschreitender Umsatzsteuerhinterziehung, wistra 2005, 371; Jäger, Die Auswirkungen der Osterweiterung der europäischen Union auf das deutsche Steuerstrafrecht, in FS Amelung, Berlin 2009, 447; Kemper, Qualifizierung der Umsatzsteuerhinterziehung und ihre systematische Bekämpfung, UR 2006, 569; Kemper, Umsatzsteuerkarusselle (§ 370 VI AO und Art. 280 IV EGV), NStZ 2006, 593; Lohse, Strafbarkeit und Steuerbetrug bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, BB 2012, 430; Matthes, Recht auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen von Scheinunternehmen bzw. bei Einbindung in „Karussellgeschäfte“, EFG 2010, 1742; Müller, Die Umsatzsteuerhinterziehung, AO-StB 2008, 80; Muhler, Die Umsatzsteuerhinterziehung, wistra 2009, 1; Ransiek, § 370 AO und Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen, HRRS 2009, 421; Ransiek, Blankettstraftatbestand und Tatumstandsirrtum, wistra 2012, 365; Rüping/Ende, Neue Probleme von schweren Fällen der Hinterziehung, DStR 2008, 13; Schauf/Höink, Streit um Steuerbefreiung: 1 BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40 (44); BGH v. 24.10.1989 – 5 StR 314/89, NStZ 1990, 39; BGH v. 18.7.2000 – 5 StR 245/00, NStZ 2000, 594 = StRK AO 1977 § 373 R. 9; BayObLG v. 18.3.2003 – 4 St RR 19/03, wistra 2003, 316 (317). 2 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 539.

Peters | 521

11.327

Kap. 11 Rz. 11.327 | Steuerhinterziehung Missbrauch des Gemeinschaftsrechts als Ausschlusskriterium, PStR 2009, 134; Sterzinger, Keine Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Beteiligung des Lieferers an einem Erwerbsbetrug des Empfängers, UR 2011, 20; Tully/Merz, Zur Strafbarkeit der Hinterziehung ausländischer Umsatz- und Verbrauchsteuern nach der Änderung des § 370 Abs. 6 AO im JStG 2010, wistra 2011, 121; Walter/Lohse/Dürrer, Innergemeinschaftliche Lieferung und Mehrwertsteuerhinterziehung in Deutschland und im EU-Ausland, wistra 2012, 125; Wulf, Telefonüberwachung und Geldwäsche im Steuerstrafrecht, wistra 2008, 323; Wulf, Steuerstreit um die innergemeinschaftliche Lieferung – Ein aktueller Überblick zu steuerlichen und strafrechtlichen Problemfeldern, SAM 2012, 59.

1. Einführung 11.328

Im Kontext der internationalen Umsatzsteuerhinterziehung ist die Regelung des § 370 Abs. 6 AO zu sehen. § 370 Abs. 1–5 AO gelten gem. § 370 Abs. 6 AO gilt auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG1 genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden. Hintergrund der Regelung ist, dass die in Rede stehenden Zolleinnahmen in den EU-Haushalt fließen: eine Verkürzung daher auch den deutschen Steuerzahler schädigt. Die Erstreckung auf ausländische Verbrauchsteuern ist als Vorwegnahme eines einheitlichen europäischen Verbrauchsteuersystems zu sehen. Die Tathandlungsmodalitäten entsprechen denen von § 370 Abs. 1 AO. § 370 Abs. 3 AO findet ebenfalls Anwendung. Für die Frage der Steuerschuld kommt es ggf. auf die geltende ausländische Rechtsvorschrift an.2

2. Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (§ 370 Abs. 6 Satz 1 AO) 11.329

Ab dem 1.1.1994 galt gemeinschaftsweit der Zollkodex.3 Der im Jahr 2008 veröffentlichte Modernisierte Zollkodex (MZK)4, und die entsprechende Durchführungsverordnung5 sollten

1 ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 2 BGH v. 8.11.2000 – 5 StR 440/00, wistra 2001, 62 (63); BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 314/09, wistra 2010, 30. 3 Zollkodex i.S.d. ZollVG ist die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG 1992 Nr. L 302, 1, ABl. EG 1993 Nr. L 79, 84, ABl. EG 1996 Nr. L 97, 38; zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.11.2000, ABl. EG 2000 Nr. L 311, 17, in der jeweils geltenden Fassung. Zollkodex-Durchführungsverordnung im Sinne dieses Gesetzes ist die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission v. 2.7.1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG 1992 Nr. L 253, 1, ABl. EG 1994 Nr. L 268, 32, ABl. EG 1996 Nr. L 180, 34, ABl. EG 1997 Nr. L 156, 59, ABl. EG 1999 Nr. L 111, 88; zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 881/2003 der Kommission v. 21.5.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 134, 1, in der jeweils geltenden Fassung. 4 Modernisierter Zollkodex VO/EG Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2008, ABl. EU 2008 Nr. 145, 1, hätte am 24.3.2013 in Kraft treten sollen (Art. 188 MZK), wird jedoch nunmehr durch den UZK ersetzt. 5 VO/EWG Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG 1992 Nr. L 302, 1, berichtigt in ABl. EG 1993 Nr. L 79, 84; VO/EWG Nr. 2454/93 v. 2.7.1993, ABl. EG 1993 Nr. L 253, 1.

522 | Peters

C.XIX. Ausländische Abgaben | Rz. 11.331 Kap. 11

eigentlich ab dem 24.6.2013 automatisch angewendet werden. Am 1.12.2009 trat jedoch der Vertrag von Lissabon in Kraft. Dieser enthält für den Erlass von Durchführungsregelungen neue Vorschriften, die in jedem vom Parlament und dem Rat erlassenen Basisrechtsakt berücksichtigt werden müssen. Der MZK wurde noch vor seiner Anwendung zum 1.11.2013 aufgehoben und durch einen „Zollkodex der Union“ (UZK) ersetzt. Im Amtsblatt vom 9.10.2013 wurde der neue UZK veröffentlicht als Verordnung (EU) 952/2013.1 Der UZK ersetzt den ZK. Anwendbar ist der UZK nach Verabschiedung der erforderlichen Detailregelungen (delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte) ab 1.5.2016. Für Zeiträume bis zum 1.5.2016 gilt indes noch der Zollkodex der Gemeinschaften.2 In einigen Fällen werden der Zollkodex und die Durchführungsvorschriften3 durch Leitlinien ergänzt.4 Ziel derartiger Erläuterungen/Leitlinien ist es, eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Zollbereich zu gewährleisten, indem nationale Abweichungen bei der Auslegung vermieden werden und damit eine einheitliche Anwendung der Bestimmungen im Zollbereich erreicht wird. Leitlinien sind indes nicht rechtverbindlich. Der MZK und der UZK können jedoch als Auslegungshilfe herangezogen werden. Für den Tatbestand der Steuerhinterziehung und die Qualifikation des Schmuggels wird von besonderer Bedeutung sein, dass der UZK den Kreis möglicher Täter nochmals erweitert (vgl. Art. 79 Abs. 3 UZK/Rz. 11.430 Täterschaft/Teilnahme).5

11.330

Das nationale Zollverfahrensrecht ist im Zollverwaltungsgesetz (ZollVG) und in der Zollverordnung (ZollV) geregelt. Einfuhr- und Ausfuhrabgaben im Sinne des Gesetzes sind die im Zollkodex geregelten Abgaben sowie die Einfuhrumsatzsteuer und die anderen für eingeführte Waren zu erhebenden Verbrauchsteuern (§ 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG). Die Definition gilt ausdrücklich nur für den Anwendungsbereich des ZollVG; ist daher für die Auslegung des § 370 Abs. 6 AO nicht automatisch verbindlich.6

11.331

1 Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 9.10.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1, zur Festlegung des Zollkodex der Union. Eine Synopse findet sich unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0064:FIN:DE:PDF. 2 Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 DES RATES v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG 1992 Nr. L 302, 1; vgl. auch unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/ customs/customs_code/union_customs_code/index_de.htm. 3 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2012 der Kommission v. 26.11.2012 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EU 2012 Nr. L 327, 18; Durchführungsverordnung (EU) Nr 1159/2012 der Kommission v. 7.12.2012 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EU 2012 Nr. L 336, 1; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1180/2012 der Kommission v. 10.12.2012 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EU 2012 Nr. L 337, 37; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 756/2012 der Kommission v. 20.8.2012 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EU 2012 Nr. L 223, 8; sämtlich abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/customs/procedural_aspects/general/community_code/article_6077_de.htm. 4 Zur Rechtswirkung vgl. unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/customs/procedural_aspects/general/community_code/1406-de-lignes_directrices.pdf. 5 Ähnliche Bedenken bei Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 27. 6 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 56.

Peters | 523

Kap. 11 Rz. 11.332 | Steuerhinterziehung

11.332

Gem. § 3 Abs. 3 AO sind Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nr. 20 und 21 des Zollkodex der Union Steuern i.S.d. AO. Zollkodex der Union bezeichnet die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union1 in der jeweils geltenden Fassung.

11.333

Dies gilt auch für Ausfuhrabgaben. Über § 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG werden auch die Verbrauchsteuern allgemeiner Art (Einfuhrumsatzsteuer) und besonderer Art erfasst (Steuern auf Energieerzeugnisse, Tabak, Bier, Branntwein, Schaumwein). Es macht keinen Unterschied, ob der betroffene Mitgliedstaat die Einfuhrabgabe für sich oder die EU verwaltet. Von § 370 Abs. 6 Satz 1 AO erfasst sind auch Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsorganisation (EFTA) oder einem mit dieser assoziierten Staaten zusteht. Betroffen davon sind noch die Schweiz, Liechtenstein und Norwegen. Zu den geschützten Abgaben zählen insbesondere: – (Einfuhr-)Zölle;2 – Abgaben mit zollgleicher Wirkung; – sonstige im Rahmen der gemeinsame Agrarpolitik erhobenen Einfuhrabgaben; – bei der Einfuhr zu erhebender ausländischer Verbrauchsteuern (etwa für Alkohol und Tabak); – Einfuhrumsatzsteuer bei erstmaliger Einfuhr.3

11.334

Bei der Einfuhrumsatzsteuer handelt es sich um eine Einfuhrabgabe i.S.d. § 373 AO. Der in der Praxis häufig zu verzeichnende Umstand bspw., dass die Waren jeweils nach Deutschland weitertransportiert werden, lässt die im Einfuhrmitgliedstaat verwirklichte Strafbarkeit wegen Schmuggels und deren Verfolgbarkeit in Deutschland gem. § 373 Abs. 4, § 370 Abs. 6 unberührt.4 Der Begriff der „Einfuhrabgaben“ setzt einen Einfuhrvorgang voraus. Einfuhrabgaben entstehen nur im zuerst betreten EU-Mitgliedsstaat. Auch die Zollschuld und die mit der Einfuhr verbundenen Steuern entstehen nur einmal und am Ort des erstmaligen Verbringens. Die Einfuhr ist das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittland in das Gebiet der EG und seit der Neufassung des § 373 Abs. 4 AO i.V.m. § 370 Abs. 6 Satz 1 AO ab dem 1.1.2008 auch das Verbringen der Ware außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens von einem Mitgliedstaat in den anderen.5 Handelt es sich um Eingangsabgaben, ist § 370 Abs. 1 AO einschlägig.

3. Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO) a) Allgemeines

11.335

Eine Tat ist nunmehr auch nach § 370 Abs. 1–5 AO strafbar, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates v. 16.12.2008 über 1 ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1; ABl. EU 2013 Nr. L 287, 90. 2 Vgl. Verordnung Nr. 2658/87 des Rates v. 23.7.1987, ABl. EG 1987 Nr. L 256, 1. 3 BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 314/09, wistra 2009, 30; BGH v. 8.11.2000 – 5 StR 440/00, NStZ 2001, 201; BGH v. 30.10.2003 – 5 StR 274/03, NStZ-RR 2004, 56. 4 BGH v. 24.1.2017 – 1 StR 481/16, juris, unter Verweis auf BGH v. 14.10.2015 – 1 StR 521/14, wistra 2016, 74. 5 Hilgers-Klautzsch in Kohlmannn, § 373 AO Rz. 16; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 552.

524 | Peters

C.XIX. Ausländische Abgaben | Rz. 11.337 Kap. 11

das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG1 genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO). Hierdurch wird das Umsatzsteueraufkommen eines anderen EU-Staates geschützt, in den ausgeführt wird. Zugleich wurden mit dem Verbrauchsteuerbinnenmarktgesetz die wichtigsten Verbrauchsteuern (Mineralöl, Alkohol, Tabak) harmonisiert.2 Die gleiche Schutzrichtung bezwecken die Nachweispflichten für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung gem. § 4 Abs. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1, § 17c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UStDV. Das frühere Gegenseitigkeitserfordernis wurde durch das Jahressteuergesetz 2010 gestrichen. Für die Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern anderer europäischer Mitgliedstaaten gelten die gleichen Grundsätze wie für die Hinterziehung von Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach § 370 Abs. 6 Satz 1 AO. Handelt es sich um Eingangsabgaben, also bei der erstmaligen Einfuhr, ist § 370 Abs. 1 AO einschlägig.3

11.336

b) Bestimmung und Feststellung des Hinterziehungsumfangs Aus der Blanketteigenschaft des Tatbestands der Steuerhinterziehung folgt, dass neben den deutschen Steuergesetzen und den Vorschriften des Zollkodex die Verbrauchsteuergesetze der jeweils betroffenen Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen.4 Dies bedeutet für das erkennende Gericht Folgendes: Der Tatrichter darf nicht lediglich die Berechnung etwa der ausländischen Finanzverwaltung seinem Urteil zugrundelegen. Denn Steuerstrafrecht ist Blankettstrafrecht. Erst durch das Blankettstrafgesetz und die blankettausfüllenden Normen wird die maßgebliche Strafvorschrift gebildet. Deshalb muss sich das erkennende Gericht selbst mit den blankettausfüllenden Normen des materiellen Steuerrechts befassen und diese auf den Einzelfall anwenden.5 Es begegnet daher regelmäßig erheblichen Bedenken, wenn das Gericht die der Berechnung der verkürzten Einfuhrabgaben zugrundeliegenden Normen des Zollkodexes und der ausländischen Steuergesetze im Urteil nicht bezeichnet hat. Denn es legt den Rückschluss nahe, dass lediglich Berechnungen der Finanzverwaltung ungeprüft übernommen wurden.6 Gleiches gilt auch für die Staatsanwaltschaft, wenn auch in abgeschwächter Form. Ob die ausländische Norm hinreichend bestimmt ist und ggf. gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt, ist im Wege der vergleichenden Auslegung zu ermitteln. Die Regelung des § 370 Abs. 6 AO dient ausweislich der Gesetzesbegründung der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen durch Umsatzsteuerbetrug und der Verbesserung der grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung.7

1 ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 2 Verbrauchsteuerbinnenmarktgesetz v. 21.12.1992, BGBl. I 1992, 2150. 3 Hilgers-Klautzsch in Kohlmannn, § 373 AO Rz. 16.2, 25; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 556, 552. 4 BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 314/09, NStZ 2010, 338; BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590; BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595. 5 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; vgl. auch BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 314/09, NStZ 2010, 338; BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590; Jäger, StraFo 2006, 477. 6 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595. 7 Eingefügt durch das Jahressteuergesetz 2010, BGBl. I 2010, 1768; vgl. auch BT-Drucks. 17/2249, 88.

Peters | 525

11.337

Kap. 11 Rz. 11.338 | Steuerhinterziehung

c) Anwendbarkeit auf Altfälle

11.338

Ein Streitpunkt wird in Zukunft sein, ob die Regelung erst für Fälle nach dem 14.12.2010 eingreift oder bereits Altfälle erfasst sind.1 Bejahendenfalls wäre neben einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung in den oben genannten Fällen des kollusiven Zusammenwirkens eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur ausländischen Hinterziehung die Folge. Was das Internationale Verbrauchsteuerrecht betrifft, ist fraglich, welche ausländischen Verbrauchsteuern dem deutschen Strafrechtsschutz unterfallen und ob der Verweis auf die in § 370 Abs. 6 AO benannte Richtlinie zutreffend ist oder nicht die Verbrauchsteuersystemrichtlinie 2008/118/EG zur Anwendung gelangen müsste und welche Auswirkungen sich aus dem Bestimmtheitsgrundsatz dafür ergeben.2 Immerhin hebt die neue Richtlinie die alte auf.

11.339

Begreift man die in § 370 Abs. 6 AO normierte Gegenseitigkeitsverbürgung als Verfahrensregelung, greift das Rückwirkungsverbot3 nicht, denn nicht die Verfolgbarkeit muss nach Art. 103 Abs. 2 GG bestimmt sein, sondern die Strafbarkeit. Weil das Verfahrenserfordernis der Gegenseitigkeitsverbürgung indes nicht dem Schutz des Täters, sondern dazu dient, die Partnerländer zu gleichartigen Regelungen zu veranlassen, könne sich der Täter nicht auf einen Vertrauensschutz berufen.4 Begreift man die Regelung indes als objektive Bedingung der Strafbarkeit,5 greift das Rückwirkungsverbot.6 Dafür spricht zunächst, dass durch die bisherige Verbürgung der Gegenseitigkeit in der Norm der inhaltliche Schutzumfang und darüber der staatliche Strafanspruch der Norm selbst geregelt wurde. Für diese Sichtweise spricht ferner, dass ausweislich der Gesetzesbegründung eine Strafbarkeitslücke geschlossen werden sollte.7

11.340

Misst man der Regelung des § 370 Abs. 6 Satz 2 Var. 2 AO blankettausfüllenden Charakter bei, ist die Hinterziehung ausländischer Verbrauchsteuern auch weiterhin straflos, weil die Bezugnahmebestimmung in Art. 47 Abs. 2 der „neuen“ Systemrichtlinie zwar für Rechtsakte der Europäischen Union, jedoch nicht für strafbarkeitskonstituierende Bestimmungen des deutschen Gesetzgebers gelten kann.8 Teilweise wird vertreten, dass es sich in derartigen Konstellationen um Zeitgesetze handele,9 oder der Verweis lediglich deskriptiven Charakter habe.10 Denn der Verweis auf Art. 3 Abs. 1 der „alten“ Systemrichtlinie beziehe sich lediglich auf den in der Norm genannten Begriff und stelle daher eine Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs dar.

11.341

Versteht man indes § 370 AO mit der herrschenden Meinung als Blanketttatbestand, muss die logische Konsequenz sein, dass vollumfänglich auf die „richtigen“ steuerlichen Vorschriften Bezug genommen wird und nicht in problematischen Fällen der Blankettcharakter partiell suspendiert oder durch andere Rechtsinstitute ersetzt wird. Eine Zersplitterung des Tat-

1 Hierzu ausführlich Tully/Merz, wistra 2011, 121. 2 Richtlinie 2008/118/EG des Rates v. 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG, ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 3 Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 74. 4 Tully/Merz, wistra 2011, 121 (125); dem folgend, jedoch ohne eigene Begründung, Walter/Lohse/ Dürrer, wistra 2012, 125 (128). 5 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 39 ff.; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 162. 6 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 557, 29. 7 BT-Drucks. 17/2249, 88. 8 Tully/Merz, wistra 2011, 121 (125); vgl. zum Ganzen auch Harms/Heine in FS Amelung, 2009, 393 ff. 9 Harms/Heine in FS Amelung, 2009, 393 (402). 10 So Tully/Merz, wistra 2011, 121 (126), obgleich diese eine Änderung des Gesetzestextes wegen der „Wertungswidersprüchlichkeit“ für wünschenswert erachten.

526 | Peters

C.XX. Weltrechtsprinzip | Rz. 11.343 Kap. 11

bestands der Steuerhinterziehung in einen Tatbestand mit Blankettelementen, normativen Tatsachen und unbestimmten Rechtsbegriffen kann nicht gewollt sein. d) Ausfuhrlieferungen Auch bei Ausfuhrlieferungen nach § 6 UStG gilt, dass neben den tatsächlichen Voraussetzungen auch die formellen Nachweispflichten erfüllt sein müssen. Die Anforderungen ergeben sich aus § 6 Abs. 4 Satz 1 UStG i.V.m. §§ 8 ff. UStDV. Der Nachweis ist indes nicht (mehr) materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung. Wie auch bei den innergemeinschaftlichen Lieferungen kommt es allein auf die tatsächliche Ausfuhr an.1 Eine Steuerhinterziehung scheidet aus den genannten Gründen ebenfalls aus.2

11.342

XX. § 370 Abs. 7 AO/Weltrechtsprinzip Literatur: Bender, Der Transitschmuggel im europäischen „ne bis in idem“, wistra 2009, 176; Biehler, Konkurrierende nationale und internationale strafrechtliche Zuständigkeit und das Prinzip ne bis in idem, ZStW 116 (2004), 256; Böse, Der Grundsatz „ne bis in idem“ in der Europäischen Union, GA 2003, 744; Böse, Ausnahmen vom grenzüberschreitenden „Ne bis in idem? – Zur Fortgeltung der Vorbehalte nach Art. 55 SDÜ, in FS Kühne, Heidelberg 2013, 519; Bülte, J., Verwertung von im Ausland erlangten Beweismitteln und Anwendungsvorrang des Unionsrechts als Grenze von Verfahrensrechten im nationalen Strafprozess, ZWH 2013, 219; Burchard/Brodowski, Art 50 Charta der Grundrechte der Europäischen Union und das europäische ne bis in idem nach dem Vertrag von Lissabon, StraFo 2010, 185; Geiger, Strafrechtsharmonisierung aus Luxemburg?, EuZW 2002, 705; Hackner, Das teileuropäische Doppelbestrafungsverbot insbesondere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, NStZ 2011, 425; Harms/Heine, Ne bis in idem – Es führt kein Weg am EuGH vorbei, in Müller u.a., in FS Hirsch, München, 2008, 85; Heger, Das europäische Doppelbestrafungsverbot, in FS Kühne, Heidelberg 2013, 565; Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, Berlin 2005; Kokott, Bedeutung und Wirkungen deutscher und europäischer Grundrechte im Steuerstrafrecht und Steuerstrafverfahren, NZWiSt 2017, 409; Radtke/Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europäischen Union, NStZ 2003, 281; Risse, Die Anwendbarkeit von EU-Grundrechten im prozessualen und materiellen Strafrecht, HRRS 204, 93; Rübenstahl/Krämer, Das Doppelbestrafungsverbot nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen, European Law Reporter 2003, 180; Schomburg/SuomenPicht, Verbot der mehrfachen Strafverfolgung, Kompetenzkonflikte und Verfahrenstransfer, NJW 2012, 1190; Stein, Ein Meilenstein für das europäische „ne bis in idem“!, NJW 2003, 1162; Wegner, Iterum iterumque in idem? – Einschränkungen des europäischen Mehrfachverfolgungsverbots bei Zusammentreffen von Kriminalstrafe und anderen Sanktionstypen, HRRS 2018, 205.

1. Einführung Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes gem. § 370 Abs. 7 AO auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches der AO begangen werden. § 370 Abs. 7 AO normiert das sog. Weltrechtsprinzip. Nach dem Weltrechtsprinzip oder Universalitätsprinzip ist jeder Staat berechtigt, seine Strafgewalt auf Taten zu erstrecken, unabhängig davon, wer die Tat begangen hat, wo sie begangen wurde und ungeachtet der Nationalität des Tatopfers.3 Voraussetzung ist jedoch, dass sich die Tat gegen weltweit anerkannte Kultur1 BFH v. 28.5.2009 – V R 23/08, DStR 2009, 1636. 2 BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 206/09, BGHSt 54, 133 = NJW 2009, 3383. 3 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 560 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 73; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 48, Safferling, Internationales Strafrecht, 28 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 93 ff.

Peters | 527

11.343

Kap. 11 Rz. 11.343 | Steuerhinterziehung

werte und Rechtsgüter richtet, an deren Schutz ein gemeinsames Interesse aller Staaten besteht.1 Eine Entlastung erfährt die deutsche Strafrechtspflege durch § 153c StPO, wonach der Verzicht auf Ermittlungen nahegelegt wird, wenn die Tat keinerlei Inlandsbezug aufweist und der Tatortstaat oder der Heimatstaat des Täters die Verfolgung übernimmt oder ein internationaler Gerichtshof sich für zuständig erklärt.2

11.344

Bereits nach § 6 StGB gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts. Liegt der Verkürzungserfolg im Inland, ergibt sich die Strafbarkeit des Handelnden aus § 9 Abs. 1 StGB. Zum Schutz staatlicher Einnahmen existiert die Regelung des § 370 Abs. 7 AO. Über § 6 Nr. 8 StGB, § 370 Abs. 7 AO trägt das deutsche Strafanwendungsrecht der aus Art. 325 AEUV zu entnehmenden unionsrechtlichen Verpflichtung Rechnung, das jeweilige nationale Strafrecht zum Schutze der EU-Finanzinteressen zu funktionalisieren. Daraus resultiert die Gefahr mehrfacher Strafverfolgung, wenn nunmehr auch Handlungen aus dem Ausland heraus oder im Ausland erfasst werden, für deren Verfolgung grds. auch der örtliche Mitgliedsstaat zuständig ist.

2. Doppelverfolgung 11.345

Es ist innerhalb aller rechtsstaatlichen Ordnungen ein anerkannter Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf.3 Auf internationaler Ebene, d.h. mit grenzüberschreitender Wirkung für Strafurteile, existiert ein solcher Grundsatz jedoch nicht.4 Das völkerrechtliche Doppelbestrafungsverbot hindert nur die mehrfache Aburteilung derselben Tat im Inland. Es existiert keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die es gebietet, die Strafverfolgung gegen eine Person wegen eines Lebenssachverhalts zu unterlassen, dessentwegen sie bereits in einem dritten Staat verfolgt und rechtskräftig abgeurteilt ist.5 Auch das unionsrechtliche, als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannte Ne-bis-in-idem-Prinzip statuiert grundsätzlich nur ein rechtsordnungsinternes Doppelbestrafungsverbot auf Unionsebene. Vgl. hierzu auch Rz. 4.18 ff.

1 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 5 Rz. 73; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 2 Rz. 48, Safferling, Internationales Strafrecht, 28 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 3 Rz. 93 ff. 2 Vgl. auch BT-Drucks. 14/8524, 14. 3 Exemplarisch sei auf das 7. Zusatzprotokoll zur EMRK verwiesen; zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 561 ff.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 36 ff. 4 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (18) = NJW 1987, 2155; BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (340); Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 112 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 92; Safferling, Internationales Strafrecht, 514 spricht von rechtsordnungsinterner Bedeutung; kritisch bereits Schomburg, StV 1999, 244 (249); Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191). 5 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (18) = NJW 1987, 2155; BVerfG v. 4.12.2007 – 2 BvR 38/06, BVerfGK 13, 7 (13); BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (340); Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 112 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 11 Rz. 92; Safferling, Internationales Strafrecht, 515. Zur Vermeidung der möglichen Kompetenzkonflikte konkurrierender Strafverfolgung vgl. RB 2009/948/JI v. 30.11.2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten im Strafverfahren, ABl. EU 2009 Nr. L 328, 42, wobei das Verfahren jedoch weder justitiabel noch obligatorisch ist, Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 12 Rz. 4.

528 | Peters

C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.346 Kap. 11

3. Europäische Doppelverfolgung Das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 54 SDÜ wird durch Art. 50 GRCh weder verdrängt noch modifiziert werden; Art. 54 SDÜ besitzt nach wie vor Gültigkeit und ist als zulässige Einschränkung des Art. 50 Abs. 1 GRCh zu werten.1 Seit Abschluss des Vertrags von Lissabon entscheidet der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV i.V.m Art. 267 Unterabs. 1 Buchst. b AEUV über die Auslegung von Art. 54 SDÜ.2 Keine größeren Probleme wirft die Frage nach der Aburteilung auf, wenn der Beschuldigte rechtskräftig freigesprochen3 oder zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt wurde.4

XXI. Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall/Regelbeispiele Literatur: Bender, Rechtsfragen um den Transitschmuggel mit Zigaretten, wistra 2001, 161; Felix, Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen (§ 370 Abs. 3 AO), KÖSDI 1986, 6295; Gehm, Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung des BGH zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung, ZWH 2016, 96; Harms, § 370a AO – Optimierung des steuerstrafrechtlichen Sanktionensystems oder gesetzgeberischer Fehlgriff?, in FS Kohlmann, Köln 2003, 413; Heerspink, Täter-Opfer-Ausgleich ohne Opfer? Zur Anwendbarkeit des § 46a StGB im Steuerstrafrecht, Bonn 2002; Henke, Die Freiheitsstrafe bei schweren Steuerdelikten in der Praxis, NJW 1960, 2136; Heuel/Beyer, Steuerhinterziehung: Großes Ausmaß stets ab 50.001 € – Praxisbedeutung des BGH-Urteils vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15, NWB 2016, 616; Lübbersmann, „Indizwirkung“ versuchter Regelbeispiele für § 370 Abs. 3 AO, PStR 2010, 238; Lübbersmann, Besonders schwere Fälle: § 370 Abs. 3 AO und die Technik der Regelbeispiele, PStR 2010, 256; Müller, Die Freiheitsstrafe bei schweren Steuerdelikten in der Praxis, NJW 1960, 609; Pflaum, Keine „Neujustierung der Steuerhinterziehung großen Ausmaßes“, wistra 2012, 376; Randt/Rolletschke, Die Steuerhinterziehung der „untreuen“ Finanzbeamten, wistra 2005, 250; Rolletschke, Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung zum großen Ausmaß iSd § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO, NZWiSt 2016, 209; Rolletschke/Roth, Neujustierung der Steuerhinterziehung „großen Ausmaßes“ aufgrund des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes?, wistra 2012, 216; Rüping/Ende, Neue Probleme von schweren Fällen der Hinterziehung, DStR 2008, 13; Spatscheck/Bertrand, Aktuelle Rechtsprechung zum „großen Ausmaß“ der Steuerhinterziehung, ZWH 2016, 93; Steinberg/Burghaus, Versuchte Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO, ZIS 2011, 578; Talaska, Steuerhinterziehung großen Ausmaßes – Verschärfungen durch die Vereinheitlichung der Indizschwelle durch den BGH –, DB 2016, 673; Tormöhlen, Der besonders schwere Fall der Steuerhinterziehung, AO-StB 2011, 153; Wegner, Revision des Steuerstrafrechts, PStR 2007, 240; Weyand, Steuerhinterziehung unter Beteiligung von Amtsträgern der Finanzbehörde, wistra 1988, 180; Wulf, Wann liegt eine Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ vor?, Stbg 2012, 366. 1 Zum Verhältnis von Art. 54 SDÜ zu Art. 50 GRCh vgl. BGH v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10, NStZRR 2011, 7 ff.; LG Aachen v. 8.12.2009 – 52 Ks 9/08, StV 2010, 237; Ambos in MK-StGB4, Vor §§ 3–7 StGB Rz. 68; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht8, § 10 Rz. 68; Safferling, Internationales Strafrecht, 516; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 112, 116; Burchard/ Brodkowski, StraFo 2010, 179; für eine Verdrängung von Art. 54 SDÜ durch Art. 50 GRCh Reichling, StV 2010, 237; Zöller in FS Krey, 2010, 518; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 563; Heger in FS Kühne, 565, 568 f.; Böse in FS Kühne, 519 (524, 525). 2 Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1192), die zu Recht eine Zulassungsbeschwerde für den Beschuldigten und die Staatsanwaltschaft fordern. 3 Auch solche aus Mangel an Beweisen, EuGH v. 28.9.2006 – C-150/05, ECLI:EU:C:2006:614 – van Straaten. 4 BGH v. 28.2.2001 – 2 StR 458/00, NStZ 2001, 557; BGH v. 28.1.2006 – 1 StR 534/06, NStZ-RR 2007, 179; Schomburg in S/L6, Art. 54 SDÜ Rz. 30; Hecker, Europäisches Strafrecht5, § 13 Rz. 43; Ambos, Internationales Strafrecht5, § 10 Rz. 121; Nehm in FS Steiniger, 2003, 372; Radtke/Busch, NStZ 2003, 287; Böse, GA 2003, 745; Dannecker in FS Kohlmann, 2003, 607; zum Ganzen auch Hackner in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 24 Rz. 95.

Peters | 529

11.346

Kap. 11 Rz. 11.347 | Steuerhinterziehung

1. Allgemeines 11.347

Bei den in § 370 Abs. 3 Satz 2 AO aufgeführten Fällen handelt es sich um Regelbeispiele, die im Internationalen Steuerstrafrecht überproportional häufig vorkommen, schon weil die in Rede stehenden Summen meist über 50.000 Euro liegen1 und die Verjährung mit Einführung von § 376 Abs. 3 AO2 insbesondere zur Verfolgung strafbarer grenzüberschreitender Steuergestaltungen neu geregelt wurde. Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung sieht in § 370 Abs. 3 Satz 1 AO für besonders schwere Fälle einen erhöhten Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Ist die Tat vor dem 1.1.2008 begangen, ist das Regelbeispiel aufgrund der Fassung des Gesetzes zum Tatzeitpunkt nur dann erfüllt, wenn der Täter zudem aus grobem Eigennutz gehandelt hat.3

11.348

Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter – in großem Ausmaß Steuern verkürzt (50.0000)4 oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO), – seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht (§ 370 Abs. 3 Nr. 2 AO), – die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht (§ 370 Abs. 3 Nr. 3 AO), – unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Nr. 4 AO) – als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchsteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchsteuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Nr. 5 AO)5 oder – sich einer Drittstaatgesellschaft bedient und fortgesetzt Steuern verkürzt.

2. Technik der Regelbeispiele 11.349

§ 370 Abs. 3 AO normiert für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung einen gegenüber dem Regelstrafrahmen erhöhten Strafrahmen. Bei den in § 370 Abs. 3 AO genannten Umständen handelt sich nicht um Tatbestandsmerkmale, sondern um so genannte Strafzumessungsmerkmale. Die Strafobergrenze wird gegenüber dem Grundtatbestand von fünf auf zehn Jahre Freiheitsstrafe erweitert. Die Mindeststrafe wird auf sechs Monate Freiheitsstrafe heraufgesetzt. Die Verhängung einer Geldstrafe ist bei Vorliegen eines besonders schweren Falles grds. nicht mehr möglich.

1 Zum Ganzen Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1088 ff.; Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 80 f. 2 Eingeführt durch Zweites Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise v. 29.6.2020, BGBl. 2020, 1512; vgl. auch BT Drucks. 19/20058. 3 Vgl. Gesetz v. 21.12.2007 zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG, BGBl. I 2007, 3198. 4 BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11, BFH/NV 2011, 1468; BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71; vgl. auch Wulf, Stbg 2012, 366. 5 Hierzu Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1088 ff.

530 | Peters

C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.351 Kap. 11

Die Erfüllung eines Regelbeispiels indiziert regelmäßig das Vorliegen eines besonders schweren Falles1 und wirkt für den Tatrichter begründungsentlastend.2 Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn er sich nach dem Gesicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist.3 Die Prüfung des Regelbeispiels erfolgt dreistufig. Zunächst ist der Sachverhalt unter die im Regelbeispiel genannten Merkmale zu subsumieren. Alsdann ist zu fragen, ob daraus ein besonders schwerer Fall folgt, so dass der erweiterte Strafrahmen Anwendung finden soll.4 Auf der letzten Ebene erfolgt dann die individuelle Strafzumessung für die jeweilige Tat Der Strafrahmen gilt für jeden Tatbeteiligten, d.h. auch Anstifter und Teilnehmer, sofern in seiner Person das Merkmal des Regelbeispiels erfüllt ist.5

3. Unbenannte schwere Fälle Der Katalog der Regelbeispiele ist nicht abschließend („in der Regel“). Daher kommt auch der Fall eines unbenannten Regelbeispiels in Betracht, der dann vorliegt, wenn nach dem gesamten Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit besondere kriminelle Energie entfaltet worden ist, die vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle derart abweicht, dass der Regelstrafrahmen als Ahndungsfolge nicht ausreichend erscheint.6

11.350

Insofern ist es Aufgabe des erkennenden Gerichts, im Einzelfall zu entscheiden, ob der Schuldgehalt der Tat denjenigen der für den ordentlichen Strafrahmen bedachten Fälle so weit übertrifft, dass der ordentliche Strafrahmen nicht ausreicht.7 Dies wird zumeist der Fall sein, bei Tätern die sich die besonderen steuerlichen Verhältnisse zu Nutze machen und deren Handeln auf die Hinterziehung von Steuern explizit abzielt, mithin bei Tätern, die ein Verhalten an den Tag legen, dass über die bloße Tätigung unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben oder das pflichtwidrige In Unkenntnis lassen in gesteigertem Maße hinausgeht. Die Gerichte machen von dieser Möglichkeit – vornehmlich aus revisionsrechtlichen Überlegungen heraus -selten Gebrauch, etwa wenn die Voraussetzungen von § 370 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 5 AO nicht nachweisbar sind, z.B. was das Vorhandensein einer Bandenabrede betrifft.

11.351

Die Verwirklichung mehrerer Regelbeispiele zugleich ist möglich. 1 BGH v. 2.12.2008-1 StR 416/08, wistra 2009,107; BGH v. 20.11.1990-1 Str 548/90, wistra 1991,106; Fischer67, § 46 StGB Rz. 91. 2 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 198 unter Verweis auf BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 116/11, ZWH 2012, 69. 3 BGH v. 21.8.2012 – 1 StR 257/12, PStR 2012, 237; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 276. 4 Dies kann nach den Umständen des Einzelfalls auch abgelehnt und damit der Strafrahmen des Grunddelikts angewendet werden, vgl. auch Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 387. 5 BGH v. 4.1.1983 – 5 StR 737/82, wistra 1983, 116; BGH v. 24.7.1991 – 3 StR 244/91, juris; BGH v. 22.9.2008 – 1 StR 323/08, NJW 2009, 690, 692; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1092; Schmitz/ Wulf in MK-StGB3, § 370 Rz. 467, zur Beihilfe im besonders schweren Fall vgl. oben unter Rz. 11.500. 6 BGH v. 24.3.1989 – 3 StR 313/88, juris; BGH v. 28.2.1984 – 1 StR870/83, wistra 1984,147; BGH v. 21.8.2012 – StR 257/12, wistra 2013, 28; BGH v. 13.6.2013 – 1 StR 226/13, PStR 2013, 252; kritisch Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 467; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1089; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 561 ff.; zum Streitstand vgl. auch Schmitz in MK-StGB3, § 243 StGB Rz. 1– 6; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 198, 210; Fischer67, § 243 StGB Rz. 23; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB30, Vor §§ 38 StGB Rz. 50, vgl. auch Rüping/Ende, DStR 2008, 13. 7 Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 578.

Peters | 531

Kap. 11 Rz. 11.352 | Steuerhinterziehung

11.352

Die Annahme eines unbenannten schweren Falles kommt namentlich in folgenden Fällen Betracht: gewerbsmäßiges Handeln, Bündelung frauduleuser Verhaltensweisen,1 etwa mittels Urkundenfälschungen z.B. durch (Ver-)Fälschen von Rechnungen, etwa durch gezieltes Abkleben; Verdunkelungen tatsächlicher Art in Bezug auf wirtschaftlich Berechtigte oder Gesellschafter, Verstöße gegen § 154 AO (Kontenwahrheit), aktive Erschwerung der Feststellung des Sachverhalts, vorsätzliche Nichterfüllung von Dokumentationspflichten; Einschaltung von Strohleuten/Tarnfirmen; Strukturen der Organisierten Kriminalität; konspiratives Vorgehen (Verschlüsselung von PCs/Tablets/Smartphones oder von Kommunikation; Kryptierung; Verwendung abhörsicherer Mobiltelefone); Geltendmachung von Betriebsausgaben trotz erhaltener Versicherungsleistung, steuerstrafrechtlich relevanter Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten, Einschalten von Drittstaatgesellschaften vor Einführung von § 370 Abs. 3 Nr. 6AO;2 Einreichen unechter Belege zur zeitgerechten Erreichung des Vorsteuerabzugs.3

4. Zeitliche Geltung 11.353

Mit § 376 AO in der Fassung des JStG 20094 wurde die Strafverfolgungsfrist für zu diesem Tag (25.12.2008, Art. 97 § 23 EGAO) noch nicht verjährte Taten auf zehn Jahre erweitert,5 soweit ein besonders schwerer Fall im Sinne des durch das Gesetz genannten Regelbeispiels vorliegt.6 Eine weitere Verlängerung der Frist der absoluten Strafverfolgungsverjährung auf 25 Jahre bewirkt die Regelung des § 376 Abs. 3 AO.7 Nach Ansicht des Gesetzgebers ist die strafrechtliche Aufarbeitung rechtlich komplexer und grenzüberschreitender Steuergestaltungen, die darauf ausgerichtet sind, Steuern im großen Ausmaß zu unterziehen und bei denen erst im Laufe der Ermittlungen das gesamte Ausmaß an Tatkomplexen und Beteiligten deutlich wird, überaus aufwändig und langwierig. Um die Strafverfolgungsbehörden in die Lage zu versetzen, auch in derartigen Fällen den Sachverhalt bis zur Anklageerhebung auszuermitteln, sei es erforderlich, den Strafverfolgungsbehörden genügend Zeit zur Ermittlung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wurde ausdrücklich aufgeführt, dass die Erwartung, während eines lange andauernden Ermittlungs- und Strafverfahrens werde die Verfolgungsverjährung eintreten, keinen Vertrauensschutz verdient.8 Parallel dazu erfolgte die Einführung von § 375a AO, wonach das Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verjährung nach § 47 AO einer Einziehung rechtswidrig erlangter Taterträge nach den §§ 73–73c des StGB nicht entgegensteht.

1 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 (87); BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 116/11, ZWH 2012, 69 „besondere unternehmerische Strukturen aufgebaut [...], um seinen durchgehend steuerunehrlichen Handel zu betreiben, eingebunden in das „Tarnsystem“ eines grenzüberschreitenden, steuerunehrlichen Unternehmensgeflechts.“ 2 BGH v. 13.3.2019 – 1 StR 367/18, juris, wonach die Nutzung ausländischer Briefkastenfirmen und intransparenter Treuhandverhältnisse im Rahmen eines komplexeren Unternehmensgeflechts im Rahmen der Strafzumessung gem. § 46 Abs. 2 StGB als Ausdruck hoher krimineller Energie strafschärfend zu werten sein kann. 3 BGH v. 24.1.1989 – 3 StR 313/88, wistra 1989, 190. 4 BGBl. I 2008, 2794; BT-Drucks. 16/11108, 7, 47. 5 Zur Problematik der Rückwirkung vergleiche Bülte in H/H/S, § 376 AO Rz. 12 ff. 6 Bülte in H/H/Sp, § 376 AO Rz. 8 ff. 7 Eingeführt durch Zweites Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise v. 29.6.2020, BGBl. 2020, 1512; vgl. auch BT-Drucks. 19/20058. 8 BT Drucks. 19/20058 S. 29

532 | Peters

C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.356 Kap. 11

Ist die Tat vor dem 1.1.2008 begangen, ist das Regelbeispiel aufgrund der Fassung des Gesetzes zum Tatzeitpunkt nach h.M. nur dann erfüllt, wenn der Täter zudem aus grobem Eigennutz gehandelt hat. Aus grobem Eigennutz handelt, wer seinen Vorteil in besonders anstößiger Weise erstrebt, d.h. ein Gewinnstreben zeigt, welches das einer Steuerhinterziehung immanente Gewinnstreben deutlich übersteigt. Erforderlich ist insbesondere eine besondere kriminelle Energie, die sich in der Art und der Häufigkeit der Begehung ausdrückt, sowie ein besonderer Grad der Gewinnsucht.1

11.354

Für Taten ab dem 1.1.2008 gilt die neue Regelung. Das subjektive Moment des groben Eigennutzes ist weggefallen; das Regelbeispiel knüpft nur noch an das große Ausmaß des Taterfolgs an.

5. Versuchsstrafbarkeit Der Versuch des Regelbeispiels ist strafbar. Im Fall des Versuchs sind drei Versuchskonstellationen zu unterscheiden. Bei Versuch des Grunddelikts und Verwirklichung des Regelbeispiels ist von der Regelwirkung auszugehen. Es liegt eine versuchte Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall vor.2 Zu prüfen ist jedoch, ob der geringere Unrechtsgehalt der versuchten Tat die Regelwirkung nicht entkräftet.3 Sind das Grunddelikt und das Regelbeispiel nur versucht (doppelte Versuchskombination) ist der Strafrahmen dem des besonders schweren Falles zu entnehmen, sofern der Täter unmittelbar zur Verwirklichung des Regelbeispiels angesetzt hat.4 Hinsichtlich des Versuchsbeginns gelten die allgemeinen Grundsätze.5 Ist das Grunddelikt vollendet, das Regelbeispiel nur versucht, ist die Annahme eines Regelbeispiels außerhalb eines besonders schweren Falles dann nicht ausgeschlossen, wenn eine Gesamtwürdigung aller für die Strafzumessung wesentlichen tat- und täterbezogenen Umstände die Würdigung als unbenannter schwerer Fall zulässt.6

11.355

Zwar besteht eine Vermutung dafür, dass, wenn das Regelbeispiel erfüllt ist, der Fall als besonders schwer anzusehen ist.7 Jedoch kann die Indizwirkung des Regelbeispiels durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet oder kompensiert werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint.8 Das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes kann im Zusammenwirken mit allgemeinen Milderungsgründen, ohne dass diese für sich genommen ausreichen, trotz Vorliegen eines Regelbeispiels zu einer Verneinung des besonders schweren Falls führen.

11.356

1 BGH v. 1.8 1984 – 2 StR 220/84, NJW 1985, 208; BGH v. 20.11.1990 – 1 StR 548/90, wistra 1991, 106; BGH v. 23.1.1991 – 3 StR 365/90, BGHR AO § 370 Abs. 3 Nr. 1 Eigennutz 4; BGH v. 24.7.1985 – 3 StR 191/85, wistra 1985, 228; BGH v. 13.6.2013 – 1 StR 226/13, PStR 2013, 252. 2 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1095; Fischer67, § 46 StGB Rz. 103 m.w.N.; Bosch in Schönke/ Schröder, StGB30, § 243 StGB Rz. 44. 3 Fischer67, § 46 StGB Rz. 103 m.w.N. 4 BGH v. 28.7.2010 – 1 StR 332/10, wistra 2010, 449 (beabsichtigte, indes ausgebliebene Steuererstattung in großem Ausmaß, wobei es entscheidend auf die Vorstellung des Täters ankommen soll); Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1095; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 587; Fischer67, § 46 StGB Rz. 101; Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 578. 5 Ransiek in Kohlmann, 370 AO Rz. 699. 6 BGH v. 28.7.2010 – 1 StR 332/10, wistra 2010,449; offengelassen bei BGH v. 7.1.2003 -3 StR 425/ 02, NJW 2003,602; Fischer67, § 46 StGB Rz. 103 m.w.N.; a.A. Bosch in Schönke/Schröder, StGB30, § 243 StGB Rz. 44; Lübbersmann, PstR 2010, 256. 7 BGH v. 31.3.2004 – 2 StR 482/03, NJW 2004, 2394; Fischer67, § 46 StGB Rz. 91. 8 BGH v. 31.3.2004 – 2 StR 482/03, NJW 2004, 2394; BGH v. 2.2.1999 – 4 StR 626/98, NStZ 1999, 244; Fischer67, § 46 StGB Rz. 91.

Peters | 533

Kap. 11 Rz. 11.357 | Steuerhinterziehung

11.357

In einem Fall des Landgerichts Hildesheim kamen dem Angeklagten namentlich folgende Umstände im Rahmen des besonders beachtlichen Nachtatverhalten zugute: die geleistete Wiedergutmachung i.S.d. § 46a Nr. 2 StGB, die Zahlung der Steuer ohne Abwarten des Bescheids und insbesondere die Tatsache, dass er der Allgemeinheit ehrenamtlich einen gewichtigen Dienst leistete, nämlich die unentgeltliche Arbeit in einem Pflegeheim für Demenzkranke über anderthalb Jahre.1 Das Landgericht Hildesheim honorierte letztlich das ausgesprochen ungewöhnliche und intensive Bemühen des Angeklagten um Schuldausgleich und Wiedergutmachung. Im Falle der Hinterziehung höherer Summen bietet es sich daher regelmäßig an, überobligatorische Leistungen zu erbringen.

11.358

Im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts kann es sich etwa anbieten, der Rechtshilfe bei Staaten zuzustimmen, die sonst keine Hilfe bei reinen Fiskalstraftaten leisten (z.B. Schweiz), und auf diese Weise die Aufklärung des Sachverhalts zu erleichtern.

6. Katalog der Regelbeispiele a) Steuerhinterziehung in großem Ausmaß § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO

11.359

Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung stellt in § 370 Abs. 3 Satz 1 AO für besonders schwere Fälle einen erhöhten Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zur Verfügung. Ein besonders schwerer Fall liegt gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der Regel vor, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Vorteile erlangt. Eine Steuerhinterziehung in großem Ausmaß liegt nach Ansicht des BGH sowohl bei aktivem Tun2 als auch bei Unterlassen3 bei einem hinterzogenen Betrag von 50.000 Euro vor. Die (Rück-)Zahlung der hinterzogenen Steuern vor oder nach Entdeckung der Tat ist für die Frage, ob das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO verwirklicht ist, ohne Bedeutung.4 Bei Vorliegen weiterer Umstände kann jedoch eine Entkräftung des Regelbeispiels in Betracht kommen. Zahlt der Täter die verkürzten Steuern nach, ist dieser Umstand in jedem Fall bei der Gesamtwürdigung, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, zu berücksichtigen5 (z.B. Hinterziehung von Umsatzsteuern i.H.v. 70.000 Euro bei Vorsteuerstattungsansprüchen in Höhe von 60.000 Euro). Das Gleiche dürfte auch für die Steuerhinterziehung auf Zeit gelten.6 aa) Bestimmung und Umfang des großen Ausmaßes

11.360

Nach der Grundsatzentscheidung vom 2.12.20087 ist das nach objektiven Maßstäben zu bestimmende Merkmal des Regelbeispiels „in großem Ausmaß“ dann erfüllt, wenn der Hinter-

1 LG Hildesheim v. 6.8.2009 -25 KLs 4222 Js 21594/08, NdsRpfl 2009, 432 (434). 2 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 – 88; BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11, BFH/NV 2011, 1468; BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, Rz. 25 ff. 3 Zum Unterlassen BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris; vgl. hierzu Gehm, ZWH 2016, 96; Spatscheck/Betrand, ZWH 2016, 93; Heuel/Beyer, NWB 2016, 616; Talaska, BB 2016, 673. 4 BGH v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, NJW 2012, 1015 (1016); BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 116/11, NJW 2011, 2450 (2451). 5 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 282; Rolletschke, NZWiSt 2016, 81; vgl. auch zur Kritik am Kompensationsverbot Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 202. 6 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 202. 7 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 (84 ff.).

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C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.364 Kap. 11

ziehungsbetrag 50.000 Euro übersteigt.1 Mit Beschluss vom 15.12.20112 hat der Senat seine nunmehr überholte Rechtsprechung weiter präzisiert, wonach die Wertgrenze bei 100.000 Euro liege, „wenn der Steuerpflichtige zwar eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) begeht, indem er eine unvollständige Steuererklärung abgibt, er dabei aber lediglich steuerpflichtige Einkünfte oder Umsätze verschweigt [...] und allein dadurch eine Gefährdung des Steueranspruchs herbeiführt“. Nunmehr stellt der BGH auf die einheitliche Wertgrenze von 50.000 Euro ab.3 Zum Vergleich verweist er auf die Regelbeispiele des Herbeiführens eines Vermögensverlusts großen Ausmaßes der § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Var. 1, § 263a Abs. 2, § 264 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 266 Abs. 2, § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB. Entscheidend für den BGH war, dass wenn die Gefährdung des Steueranspruchs dem beim Fiskus eingetretenen Schaden bei der Tatbestandserfüllung qualitativ gleichsteht, die Verdoppelung des Schwellenwerts bei dem sog. Gefährdungsschaden nicht zu begründen sei.4 Eine einheitliche Wertgrenze von 50.000 Euro gewährleiste zudem mehr Rechtssicherheit.5 Das Merkmal „in großem Ausmaß“ ist in der Tat vornehmlich erfolgsbezogen auszulegen, weil es an die Höhe der verkürzten Steuer betragsmäßig anknüpft. Zwar ist für den Taterfolg ohne Relevanz, ob der Täter dem Finanzamt Umsätze verschweigt, seine Buchhaltung entsprechend abstimmt und dadurch eine Steuerentlastung generiert oder ob er dieses Ziel durch Vortäuschen von Betriebsausgaben erreicht.

11.361

Vom Grad des Verschuldens macht es indes schon einen erheblichen Unterschied, ob der Täter aktiv, wissentlich und willentlich Steuern hinterzieht oder die Finanzbehörde schlicht in Unkenntnis lässt (z.B. aus Angst vor einer medialen Kampagne/Vorverurteilung, Angst vor Unwirksamkeit einer Selbstanzeige wegen mangelnder Möglichkeit zur Aufarbeitung oder mangels Mitwirkung der Banken, fehlende finanzielle Möglichkeiten zur Abgabe einer Selbstanzeige, Alter, unklare Rechtslage, unterschiedliche Auffassungen in Erbengemeinschaft).

11.362

Eine Unterscheidung nach der Art und Weise der Hinterziehung von Steuern und nach Steuerarten wäre daher ungeachtet des mit dem auf den Taterfolg abstellenden Regelbeispiels dennoch wünschenswert.

11.363

Inwiefern für den Tatrichter auch bei einer einheitlichen Wertgrenze von 50.000 Euro ausreichend Spielraum bleibt, um den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tra-

11.364

1 Vgl. BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 (84 ff.), bestätigt durch BGH v. 28.7.2010 – 1 StR 332/10, wistra 2010, 449; BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 116/11, NStZ 2011, 643 (644); BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11; BGH v. 12.7.2011 – 1 StR 81/11, wistra 2011, 396; BGH v. 29.11.2011 – 1 StR 459/11, wistra 2012, 151; BGH v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, NStZ 2012, 331; BGH v. 25.9.2012 – 1 StR 407/12, wistra 2013, 67; BGH v. 26.9.2012 – 1 StR 423/12, wistra 2013, 31 und BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 537/12, wistra 2013, 1999, sowie BGH v. 21.8.2012 – 1 StR 257/12, wistra 2013, 28; BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, wistra 2012, 236 und BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, wistra 2012, 350. 2 BGH v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, NStZ 2012, 331 (332). 3 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris; vgl. hierzu Gehm, ZWH 2016, 96; Spatscheck/Betrand, ZWH 2016, 93; Heuel/Beyer, NWB 2016, 616; Talaska, BB 2016, 673. 4 BGH v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, NStZ 2012, 331 (332); Stam, NStZ 2013, 144; Rolletschke/Roth, wistra 2012, 216; Wulf, wistra 2018, 57 ff. 5 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris, unter Verweis auf Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 479; Grießhammer, NZWiSt 2012, 155 ff.; Ochs/Wargowske, NZWiSt 2012, 369 (370).

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Kap. 11 Rz. 11.364 | Steuerhinterziehung

gen,1 bleibt abzuwarten. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Gerichte zu einer starren Anwendung tendieren.

11.365

Dabei sollen nunmehr mehrere unterschiedliche Steuern addiert werden können, so dass selbst dann ein besonders schwerer Fall vorliegen kann, wenn die Einzelsummen die Grenze von 50.000 Euro nicht überschreiten.2 Nach Ansicht des BGH ist die Annahme, die Hinterziehungen von Gewerbe- und Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume stünden jeweils zueinander in Tateinheit (§ 52 StGB), aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung sei zwar grundsätzlich als selbständige Tat i.S.d. § 53 StGB zu werten. Von Tatmehrheit sei also auszugehen, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene Steuerarten, verschiedene Besteuerungszeiträume oder verschiedene Steuerpflichtige betreffen. Jedoch liege ausnahmsweise Tateinheit vor, wenn die Hinterziehungen durch dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehrere Steuererklärungen durch eine körperliche Handlung gleichzeitig abgegeben werden.3

11.366

Entscheidend sei, dass die Abgabe der Steuererklärungen in einem äußeren Vorgang zusammenfällt und überdies in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten seien.4 Übereinstimmende unrichtige Angaben lägen häufig im Verhältnis von Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung vor; denn hier werden übereinstimmende unrichtige Angaben regelmäßig deshalb abgegeben, weil der Täter sich bei unterschiedlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen in den verschiedenen Steuererklärungen, die letztlich jeweils denselben Lebenssachverhalt betreffen, einem erhöhten Entdeckungsrisiko aussetzen würde.5 Teilweise wird deshalb angeraten, Steuererklärungen isoliert abzugeben.6

11.367

Die Änderung der Rechtsprechung zeitigt auch für Altfälle, etwa für bereits im Ermittlungs-, Zwischen- oder Hauptverfahren befindliche Fälle Konsequenzen.7 Ein Vertrauensschutz im Hinblick auf die alte Rechtslage besteht grundsätzlich nicht.8 Die Änderung einer ständigen 1 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris, unter Verweis auf Rolletschke/Roth, wistra 2012, 216 (218). Im Weiteren führt der BGH an, dass die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet, dass – wie bei sonstigen Regelbeispielen auch – in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die Besonderheiten des Einzelfalls die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften. In diesem Zusammenhang spielten die handlungsbezogenen Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle. In ihrem Licht habe der Tatrichter zu beurteilen, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels durchgreifen kann. 2 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris; vgl. hierzu Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1099.3; Gehm, ZWH 2016, 96; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 202; Spatscheck/Betrand, ZWH 2016, 93; Heuel/Beyer, NWB 2016, 616; Talaska, BB 2016, 673. 3 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris. 4 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris, unter Verweis auf BGH v. 21.5.1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163; BGH v. 5.3.1996 – 5 StR 73/96, wistra 1996, 231; BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/ 09, NStZ 2011, 294; BGH v. 28.10.2004 – 5 StR 276/04, NStZ-RR 2005, 53 (56) und BGH v. 24.11.2004 – 5 StR 220/04, NStZ 2005, 516. 5 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris, unter Verweis auf BGH v. 5.3.1996 – 5 StR 73/96, wistra 1996, 231. 6 Vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1099.3, 909 unter Verweis auf BGH v. 28.10.2004 – 5 StR 276/04, wistra 2005, 30; OLG Saarl. v. 9.12.2005 – 1 Ws 101 – 103/05, wistra 2006, 117, der zutreffend eine mögliche Besserstellung des Unterlassungstäters moniert, bei dem stets Tatmehrheit vorliegt. 7 Hierzu Talaska, BB 2016, 673; Rolletschke, NZWiSt 2016, 309. 8 Fischer67, § 2 StGB Rz. 7, 7a.

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C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.370 Kap. 11

höchstrichterlichen Rechtsprechung ist nach Ansicht des BVerfG unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält.1 Dies wird man im Hinblick auf die Ausführungen des BGH zur Änderung seiner Auffassung bejahen müssen. Gleichsam ist die Entscheidung für bereits abgegebene Selbstanzeigen von erheblicher Bedeutung. Bei bereits nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Strafverfahren, etwa nach Abgabe einer bis dato wirksamen strafbefreienden Selbstanzeige, sind einleuchtende Gründe für eine Wiederaufnahme erforderlich.2 Fraglich ist, was bei Einstellung des Verfahrens nach § 398a AO gilt.3 Die Wiederaufnahme eines nach § 398a Abs. 1 AO abgeschlossenen Verfahrens ist gem. § 398a Abs. 3 AO zulässig, wenn die Finanzbehörde erkennt, dass die Angaben im Rahmen einer Selbstanzeige unvollständig oder unrichtig waren, woraus zu folgern sein kann, dass nach Eintritt der Verfolgungsverjährung eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen ist.4

11.368

bb) Kritik Allein das Ausmaß des Hinterziehungsbetrags kann für die Bejahung eines Regelbeispiels und für die damit zusammenhängende Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ zu verhängen ist. Jeder Einzelfall ist nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen,5 wenngleich die Strafhöhe an den vom Gesetzgeber auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO vorgegebenen Wertungen auszurichten ist. Bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe kommt dem Merkmal „großes Ausmaß“ insofern Bedeutung zu, weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe (mit erhöhtem Mindestmaß) für angebracht hält. Es hätte dem Gesetzgeber indes freigestanden, diese Grenze wertmäßig zu beziffern oder Qualifikationstatbestände zu schaffen, die zwingend einen erhöhten Strafrahmen vorsehen.

11.369

Erschwerend kommt dabei folgender Umstand hinzu: Die Einschränkung, dass der Beschuldigte aus grobem Eigennutz gehandelt haben muss, gilt seit der Neufassung nicht mehr.6 Für eine Berücksichtigung der Steuerart, einer Steuerehrlichkeit und sonstiger positiver steuerlicher Implikationen spricht auch der Gedanke, dass in den Fällen des Kompensationsverbots (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) anerkannt ist, dass etwa ein nicht geltend gemachter Vorsteuerabzug zu einer Minderung der nach § 46 Abs. 2 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu be-

11.370

1 BVerfG v. 26.9.2011 – 2 BvR 2216/06, juris, Rz. 64, unter Verweis auf BVerfG v. 15.1.2009 – 2 BvR 2044,07 BVerfGE 122, 248 (277); BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 21 (227). 2 BGH v. 4.5.2011 – 2 StR 524/10, NJW 2011, 2310 (2311); zum Ganzen Kölbel in MK-StPO, § 170 StPO Rz. 26, der eine Wideraufnahmemöglichkeit bei geänderter Rechtsauffassung der StA bejaht; einschränkend Meyer-Goßner/Schmitt, StPO63, § 170 StPO Rz. 9, der einen nicht näher ausgeführten Anlass für erforderlich hält 3 Zum Verbrauch der Strafklage bei § 398a AO vgl. Peters in Kohlmann, § 398 AO Rz. 3, 50 und § 399 AO Rz. 22; Schauf in Kohlmann § 398a AO Rz. 35 f., für einen Strafklageverbrauch bei nach alter Rechtslage eingestellter Verfahren. 4 So Schauf in Kohlmann § 398a AO Rz. 37, § 370 AO Rz. 1099.1. 5 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 (84). 6 Vgl. Gesetz v. 21.12.2007 zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG, BGBl. I 2007, 3198.

Peters | 537

Kap. 11 Rz. 11.370 | Steuerhinterziehung

achtenden verschuldeten Auswirkungen der Tat führen kann.1 Ergänzend tritt hinzu, dass aufgrund der Komplexität des Steuerrechts oftmals die konkrete Berechnung der hinterzogenen Steuern nicht eindeutig oder streitbefangen ist2 und auch aus diesem Grunde starre betragsmäßige Grenzen ausscheiden.

11.371

Richtig ist, dass bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht hat.3 „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Der Regierungsentwurf nahm indes zur Frage des Rechtsguts der Steuerhinterziehung keine Stellung.4 Die überwiegende Meinung geht davon aus, dass durch die Straf- und Bußgeldvorschriften der AO das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen der einzelnen Steuer, der staatliche Steueranspruch, geschützt werde.5 Von daher ist es vom Ansatz her richtig, die Höhe der verkürzten Steuern als bestimmenden Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zu erachten. Richtig ist auch, wenn aus der gesetzgeberischen Wertung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO gefolgert wird, dass der Hinterziehungsbetrag nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern darüber hinaus, dann wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist.6 b) Differenzierung nach Steuerarten und Steuerehrlichkeit

11.372

In jedem Fall ist aber bei der Beurteilung des Regelbeispiels und spätestens bei der Frage nach der Strafzumessung wegen Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall nach der Art der hinterzogenen Steuer zu differenzieren und einer überwiegenden Steuerehrlichkeit Rechnung zu tragen. Schon aus Gründen der individuell zu beantwortenden Schuldfrage macht es einen Unterschied, ob die hinterzogene Summe etwa allein aus der Nichterklärung ausländischer Kapitaleinkünfte eines ererbten Schwarzgeldkontos herrührt und der Täter im Übrigen steuerehrlich ist, oder ob der Täter einer Gruppierung angehört, die durch aktives Tun bei sonstigen frauduleusen Verhaltensweisen gezielt (Umsatz-)steuern hinterzieht und von vornherein beabsichtigt, überhaupt keine Steuern zahlen. Im Umkehrschluss kommt es bei solchen Konstellationen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH in der Praxis vielfach zu vergleichsweise milden Entscheidungen.

11.373

Die hinterzogenen Beträge sind zudem stets im Licht und Verhältnis der jeweiligen steuerlichen Verhältnisse zu sehen. Ein Betrag von 50.000 Euro im betrieblichen Bereich, etwa auf Konzernebene (z.B. konzerninterne Verrechnungspreise), ist in den seltensten Fällen ver-

1 BGH v. 8.1.2008 – 5 StR 582/07, wistra 2008, 153 unter Verweis auf BGH v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, BGHSt 47, 343 = NJW 2002, 3036. 2 Vgl. etwa LG Bochum v. 26.1.2009 – 12 KLs 350 Js 1/08, juris, Rz. 72, 100. 3 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 – 88; vgl. hierzu die Anmerkungen von Spatscheck/Engler, SAM 2009, 122; Flore, HRRS 2009, 493; Mack, Stbg 2009, 270; Streng, StV 2009, 639; Bilsdorfer, NJW 2009, 476; Rolletschke/Jope, wistra 2009, 219; Füllsack, PStR 2005, 91. 4 § 353 RegE, BT-Drucks. VI/1982, 193 ff. 5 RG v. 16.6.1925 – I 188/25, RGSt 59, 258 (262); RG v. 19.2.1931 – II 487/30, RGSt 65, 165 (169); BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100 (102); BGH v. 25.1.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 (5); Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 26 f.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz.37; Kohlmann/ Sandermann, StuW 1974, 221 (229); Lang, StuW 2003, 289 (290); Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, 35; Krieger, Täuschung über Rechtsauffassungen, 90. 6 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 – 88.

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C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.376 Kap. 11

gleichbar mit einer gleichartigen Summe in kleinen Unternehmen, z.B. was Umsatzsteuervoranmeldungen betrifft.1 Auch Maßnahmen der Tax Compliance sind insoweit von Bedeutung. Für die Steuerhinterziehung kommt eine typisierende oder tarifmäßige Betrachtung der hinterzogenen Beträge nicht Betracht. Denn es ist ein gravierender Unterschied, ob jemand sämtliche Einkünfte nicht versteuert und ihm dadurch ein persönlich höherer Schuldvorwurf zu machen ist, oder jemand nur einen – wenn auch betragsmäßig hohen – Teil der Einkünfte nicht versteuert, aber im Übrigen und überwiegenden Maße steuerehrlich ist.2 Der hinterzogene Betrag ist immer relativ.3 Eine entsprechende Flexibilität hätte auch den Vorteil, unter erleichterten Bedingungen bei Summen unter 50.000 Euro einen unbenannten schweren Fall anzunehmen, wenn die Gesamtumstände dies stützen.

11.374

7. Missbrauch der Befugnisse oder Stellung als Amtsträger, § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung liegt auch dann vor, wenn der Täter seine Stellung oder Befugnisse als Amtsträger i.S.d. § 7 AO oder als Europäischer Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB) missbraucht.4 Amtsträger gem. § 7 AO ist, wer nach deutschem Recht

11.375

– Beamter oder Richter (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist, – in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht oder – sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. § 7 AO wurde bislang nicht geändert, so dass für die Definition des europäischen Amtsträgers auf die in § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB enthaltene Legaldefinition zurückzugreifen ist.5 Europäischer Amtsträger ist, wer – Mitglied der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, des Rechnungshofs oder eines Gerichts6 der Europäischen Union ist, – Beamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union oder einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung ist oder – mit der Wahrnehmung von Aufgaben der Europäischen Union oder von Aufgaben einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung beauftragt ist.

1 A.A. Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 282; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 201, der indes eine Entkräftung bei ansonsten ordnungsgemäß gewürdigten Geschäftsvorfällen für möglich hält. 2 So auch LG Bochum v. 26.1.2009 – 12 KLs 350 Js 1/08, juris, Rz. 109. 3 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71. 4 Vgl. auch Art. 6 des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption v. 20.11.2015, BGBl. I 2015, 2025, BT-Drucks. 18/4350 v. 18.3.2015, 27; BT-Drucks. 25/15, 28, wo der Anwendungsbereich des § 370 Abs. 3 Nr. 2 erweitert wurde um die Aufnahme europäischer Amtsträger als Täter der Regelbeispiele. 5 BT-Drucks. 18/4350, 17; BT-Drucks. 25/15, 18. 6 Gerichtshof der EU, BT-Drucks. 18/4350, 17; BT-Drucks. 25/15, 18.

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11.376

Kap. 11 Rz. 11.377 | Steuerhinterziehung

11.377

Erfasst sind alle Beamten und sonstigen Bediensteten der EU und der Einrichtungen, die auf Grundlage des Unionsrechts geschaffen wurden.1 § 11 Abs. 1 Nr. 2a Buchst. c StGB fungiert als Auffangbestimmung, wonach beispielsweise im Rahmen eines Werkvertrags beauftragte Personen, die funktionell Bediensteten gleichzustellen sind, sowie Mitglieder von Einrichtungen der EU erfasst sind.

11.378

Die Amtsträgereigenschaft ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 2 StGB. Eine Strafschärfung nach § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO kommt nur für den Täter oder Teilnehmer in Betracht, bei dem die Amtsträgereigenschaft vorliegt. Nach dem Sinn und Zweck von § 370 Abs. 3 AO kommen als Amtsträger nur die Amtsträger einer Finanz- oder sonst mit Steuerangelegenheiten befassten Behörde (Familienkasse, Hauptzollämter) als Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung in Betracht.2 Vom Täterkreis erfasst ist auch der sachlich zuständige Finanzbeamte.3

11.379

In diesem Kontext ist auch die strittige Problematik zu verorten, ob und gegebenenfalls auf wessen Kenntnisstand es im Rahmen von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ankommt.4 In dem vielbeachteten5 Urteil vom 25.10.20056 hat der BFH entschieden, dass die für eine Tatbestandsverwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erforderliche und wesentliche objektive kausale Verknüpfung zwischen den unrichtigen Angaben und dem Eintritt der Steuerverkürzung keine gelungene Täuschung mit Irrtumserregung beim zuständigen Finanzbeamten voraussetzt. Vielmehr genügt es nach Ansicht des BFH, wenn die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung ursächlich werden.7 Nach dem Wortlaut des Gesetzes und nach dem Sinn und Zweck könne nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass eine Steuerhinterziehung auch begangen werden könne, wenn in einem vollautomatisierten Verfahren Steuern aufgrund einer falschen Steueranmeldung in unrichtiger Höhe erhoben würden. Gegenüber einer Finanzbehörde seien Angaben vielmehr schon dann gemacht, wenn sie so in deren steuerliches Verfahren eingespeist würden, dass sie zur Grundlage der Steuerfestsetzung oder Erhebung würden.8

11.380

Der BGH lässt es genügen, wenn der Täter unzutreffende Angaben macht und dadurch eine Steuerverkürzung bewirkt.9 Denn aus dem Wortlaut der Norm ergebe sich, dass es auf eine hervorgerufene oder aufrechterhaltene irrige Vorstellung der Finanzbehörden bei § 370 1 BT-Drucks. 18/4350, 17; BT-Drucks. 25/15, 18. 2 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1100; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 576; a.A. Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 479. 3 BGH v 21.11.2012 -1 StR 391/12, NStZ 2013, 411; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1.1.2002, Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 285. 4 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1102; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 479; Bülte/ Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 589. 5 Nieland, AO-StB 2006, 38; Rüsken, BFH-PR 2006, 166; Tormöhlen, DStZ 2006, 262; Wegner, PStR 2006, 52; Rolletschke, wistra 2006, 249; Weidemann, wistra 2006, 274 f. 6 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, wistra 2006, 113. 7 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, unter Verweis auf BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, BStBl. II 1999, 854 = wistra 2000, 63. Bestätigt durch BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07; vgl. hierzu die Anm. von Schmitz, NJW 2007, 2867. 8 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, wistra 2006, 113. 9 BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (293); BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 (286); BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, wistra 2013, 107; BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/ 07, BGHSt 51, 356; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141).

540 | Peters

C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.384 Kap. 11

Abs. 1 Nr. 1 AO nicht ankomme. Es gehöre nicht zum Tatbestand, dass der Täter durch eine gelungene Täuschung einen Irrtum erregt.1 Vielmehr genüge es, dass seine unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuererhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung ursächlich werden.2 Das Merkmal der Unkenntnis in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO für nicht konstitutiv zu erachten, ist mit guten Gründen vertretbar.3 Als Täter käme mithin nur der Amtsträger in Betracht, der auf den entscheidenden zuständigen Beamten einwirkt oder einzuwirken bereit ist.

11.381

Dafür spricht das Spannungsverhältnis von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Denn je nachdem, ob man das Täterverhalten als das „Machen unvollständiger Angaben“ oder das teilweise „Unterlassen zutreffender Angaben“ interpretiert, käme dem Täter einmal die anderweitig erlangte Kenntnis der Behörde zugute, ein anderes Mal jedoch nicht.4 Teilweise wird auch davon ausgegangen, dass es bei Kenntnis der Behörde an der Kausalität zwischen den unzutreffenden Angaben des Täters und dem tatbestandsmäßigen Erfolg fehle, da die wissende Steuerbehörde die bekanntermaßen unrichtige Steuererklärung nicht zur Grundlage ihrer Festsetzung machen werde, sondern allein ein Fehlverhalten aufseiten der Finanzbehörde für die Steuerverkürzung ursächlich werde.

11.382

Für den Steuerpflichtigen kommt jedoch bei Nichtabgabe einer Steuererklärung trotz nicht von ihm veranlasster Kenntnis der Finanzbehörde eine Strafbarkeit wegen (untauglichen) Versuchs in Betracht. Die originäre Mitwirkungspflicht zur Abgabe einer Steuererklärung wird nicht suspendiert; er lässt die Behörde weiterhin „pflichtwidrig in Unkenntnis“.5 Die Tat wird nur aus anderen, nicht in seiner Person liegenden Gründen, nicht vollendet.

11.383

Beispiel: Der in Köln wohnhafte A erzielt Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die er ordnungsgemäß erklärt. Das Haus gehört der in Moers wohnenden Mutter. Die Mutter verstirbt und A gibt keine Erbschaftssteuererklärung ab. Der A geht trotz Kenntnis der Pflicht aus § 30 ErbStG davon aus, dass das zuständige Finanzamt für Erbschaftsteuer automatisch von dem Todesfall erfährt. Tatsächlich erlangt das FA auf andere Weise Kenntnis vom Erbfall.

Hauptanwendungsfall in der Praxis ist der nicht entscheidungsbefugte Finanzbeamte, der auf unrechtmäßige Veranlagungen hinwirkt.6 Erfasst ist auch der Fall, dass der Finanzbeamte bewusst an Steuerhinterziehungen eines Steuerpflichtigen teilnimmt7 oder der Veranlagungsbeamte, der von ihm gefertigte falsche Steuererklärungen selbst veranlagt.8 Erfasst ist auch

1 BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141). 2 BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266; offengelassen in BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63 mit Anm. Stahl/Carle, wistra 2000, 99. 3 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 479; ablehnend Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 261, 579, 581; Seer in T/L23, § 23 Rz. 24; Suhr/Naumann/Bilsdorfer, Steuerstrafrecht, Rz. 212 (293); Wulf, Handeln und Unterlassen, 143. 4 Kribs-Dres, DB 1978, 181; Schleeh, StuW 1972, 310 (311). 5 Z.B. auch im Falle von automatisch übersandten ESt-4B-Mitteilungen. 6 Bülte/Rolletschke in G/J/W2, § 370 AO Rz. 589; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 479. 7 BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, NJW 2007, 2864; BGH v. 21.10.1997 – 5 StR 328/97, NStZ 1998, 91; AG Lübeck v. 24.10.2003 – 75 Ds 720 J Js 9029/03, wistra 2004, 77; Bülte/Rolletschke in G/J/ W2, § 370 AO Rz. 589. 8 BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, NJW 2007, 2864; BGH v. 21.10.1997 – 5 StR 328/97, NStZ 1998,91; AG Lübeck v. 24.10.2003 – 75 Ds 720 J Js 9029/03, wistra 2004, 77.

Peters | 541

11.384

Kap. 11 Rz. 11.384 | Steuerhinterziehung

der Fall, wenn der Beamte ohne Steuerfestsetzung eine unzutreffende Steuererstattung veranlasst.1

11.385

Ein Missbrauch der Amtsstellung liegt vor, wenn der Täter die Tat unter Ausnutzung der ihm durch das Amt eröffneten faktischen Möglichkeiten begeht (spezifische Einwirkungsmöglichkeit „von innen“)2, ohne dass er hierzu innerhalb der ihm konkret verliehenen Befugnisse handeln müsste.3 Nach teilweise vertretener Ansicht soll die Vorschrift auch in dieser Variante nur für die Amtsträger der Finanzbehörden oder sonst mit Steuern befassten Behörden gelten.4 Nach Ansicht des OLG Brandenburg soll ein Beamter des BGS nicht unter Ausnutzung seiner Amtsstellung handeln, wenn er bei Dienstfahrten in Uniform Zigaretten unverzollt einführt.5 Nicht erfasst ist der Fall, wenn die Finanzbehörde im Vertrauen auf den Beruf des Steuerpflichtigen unzutreffende Steuererklärungen nicht weiter kontrolliert, ohne dass der Betreffende seine Amtsstellung zu diesem Zweck einsetzt (z.B. Staatsanwälte oder Richter).6

8. Ausnutzen der Mithilfe eines seine Befugnisse oder Stellung missbrauchenden Amtsträgers, § 370 Abs. 3 Nr. 3 AO 11.386

§ 370 Abs. 3 Nr. 3 AO erfasst den Fall, dass der Täter die Mithilfe eines Amtsträgers oder europäischen Amtsträgers (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.7 Der Täter selbst ist danach nicht Amtsträger oder europäischer Amtsträger, sondern er begeht die Steuerhinterziehung unter Mithilfe eines Amtsträgers. Der Amtsträger kann indes Mittäter oder Teilnehmer sein. Als Täter kommen daher nur außerhalb der Finanzbehörde stehende Amtsträger oder europäische Amtsträger in Betracht. 8 § 370 Abs. 3 Nr. 3 AO setzt mithin voraus, dass der Amtsträger oder der europäische Amtsträger als Haupttäter, Mittäter oder Teilnehmer das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO verwirklicht.9 Die Strafbarkeit des Außenstehenden wird dann ebenfalls nach Nr. 3 erhöht. Das Merkmal des Ausnutzens ist verwirklicht, wenn der Täter in dem Bewusstsein handelt, dass der Amtsträger oder der europäische Amtsträger seine Befugnis missbraucht.10

9. Fortgesetzte Steuerhinterziehung unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege, § 370 Abs. 3 Nr. 4 AO 11.387

Der Täter muss nachgemachte oder verfälschter Belege verwenden. Hierunter fallen ausschließlich unechte Urkunden. Nach ständiger Rechtsprechung finden die Grundsätze der Ur1 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1102. 2 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 205. 3 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 479; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1105; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 205. 4 Schauf in Kohlmann, § 370 Rz. 1105; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 576. 5 OLG Brandenburg v. 3.3.2005 – 2 Ss 10/05, wistra 2005, 315; LG Dresden v. 12.12.1997 – 8 Ns 101 Js 44995-95, NStZ-RR 1999, 371; kritisch hierzu Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 484, der zu Recht moniert, dass der Täter darauf spekuliert, wegen seiner Amtsstellung und wegen seiner Uniform von den Kollegen nicht kontrolliert zu werden. 6 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 484. 7 Vgl. auch Art. 6 des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption v. 20.11.2015, BGBl. I 2015, 2025, BT-Drucks. 18/4350, 27; BT-Drucks. 25/15, 28, wo der Anwendungsbereich des § 370 Abs. 3 Nr. 2 erweitert wurde um die Aufnahme europäischer Amtsträger als Täter der Regelbeispiele. 8 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 484; Flore in Flore/Tsamibkakis2, § 370 AO Rz. 580. 9 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 484. 10 Vgl. auch LG Saarbrücken v. 14.7.1987 – 5 II 1/87, wistra 1988, 202; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 206.

542 | Peters

C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.391 Kap. 11

kundsdelikte Anwendung.1 Die Belege müssen zum Beweis über steuerlich erhebliche Tatsachen geeignet sein (§ 147 Abs. 1 Nr. 4, 5, § 143 Abs. 3 Nr. 5, § 144 Abs. 3 Nr. 5 AO, Buchungsbelege, wie Rechnungen, Quittungen, Lieferscheine, Buchungsanweisungen, Kassenzettel, Lohnkonto i.S. von § 41 EStG).2 Eine Urkunde ist unecht, wenn die in ihr enthaltene Erklärung nicht von demjenigen herrührt, der sich aus ihr als Aussteller ergibt (Identitätstäuschung).3 Inhaltlich unwahre Urkunden, also schriftliche Lügen, stellen keine nachgemachte oder verfälschte Urkunde dar.4 Inhaltlich unrichtige Scheinrechnungen über tatsächlich nicht erbrachte Leistungen fallen nicht unter das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Nr. 4 AO.5 Indes kann ein unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegen.6 Im Übrigen findet die „Geistigkeitstheorie“ Anwendung, so dass auch“ gefälschte“ von dem Steuerpflichtigen selbst erstellte Rechnungen nicht das Regelbeispiel erfüllen, wenn der Geschäftsführer des vermeintlich abrechnenden Unternehmens mit der Ausstellung einverstanden ist. Ungeklärt ist bislang, ob neben der Verwendung von gefälschten Urkunden im eigentlichen Sinne die Verwendung von technischen Aufzeichnungen (vgl. § 268 StGB) das Regelbeispiel erfüllt.7 Der Wortlaut steht dem nicht entgegen, da nur von Belegen die Rede ist. Auch die ratio legis spricht eher für eine Einbeziehung technischer Aufzeichnungen, sofern die Voraussetzungen des § 268 StGB erfüllt sind.8 Auf unvollständigen Eingaben beruhende Kassenbelege können daher einen unbenannten besonders schweren Fall darstellen.9

11.388

Auch unter nachgemachten Belegen sind ausschließlich „unechte Urkunden“ i.S.d. § 267 Abs. 1 Alt. 1 StGB oder unechte technische Aufzeichnungen zu verstehen.10

11.389

Ein Beleg ist verfälscht, wenn durch nachträgliches Verändern des gedanklichen Inhalts der Anschein erweckt wird, als habe der Aussteller die Erklärung in der Form abgegeben, die sie durch die Verfälschung erlangt hat (§ 267 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Erforderlich ist eine Veränderung der Beweisrichtung (eigenmächtige Erhöhung eines Rechnungsbetrags).

11.390

Der Täter muss unter Verwendung der Urkunden zur Täuschung fortgesetzt Steuern verkürzen. Die Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Erforderlich ist, dass der Täter bereits mehrere Steuerhinterziehungen begangen hat. Der Täter muss bereits mindestens zwei Steuerhinterziehungen unter Vorlage gefälschter Belege begangen haben.11 Erst und nur für

11.391

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BGH v. 24.1.1989 – 3StR 313/88, wistra 1989,190; BGH v. 16.8.1989 – 3StR 91/89, wistra 1990, 26. Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1114; Flore in Flore/Tsamibkakis2, § 370 AO Rz. 85. BGH v. 3.7.1952 – 5 StR1551/52, BGHSt 3,85; Fischer67, § 267 StGB Rz. 2. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 578; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1116; Fischer67, § 267 StGB Rz. 29; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 382. BGH v. 24.1.1989 – 3 StR313/88, wistra 1989,190; BGH v. 16.8.1989 – 3 StR 91/89, wistra 1990, 26; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1115; Jäger in Klein15; § 370 AO Rz. 295. Schauf in Kohlmann, § 370 Rz. 1116 unter Verweis auf Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 Rz. 181. Offengelassen aber in der Tendenz für naheliegend befunden in BGH v. 24.1.1989 – 3 StR 313/88. Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 436. Das Regelbeispiel der Nr. 4 in diesen Fällen verneinend Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 436. BGH v. 24.1.1989 – 3 StR 313/88, wistra 1989,190; BGH v. 16.8.1989 – 3 StR 91/89, wistra 1990,26; Schauf in Kohlmann § 370 AO Rz. 1115; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 295. BGH v. 21.4.1998 – 5 StR 79/98, wistra 1998,265; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 436; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 207.

Peters | 543

Kap. 11 Rz. 11.391 | Steuerhinterziehung

den dritten Fall wirkt die Strafschärfung,1 sofern nicht bereits ein unbenannter schwerer Fall anzunehmen ist.

11.392

Ein Verwenden liegt nicht vor, wenn der Täter gefälschte oder nachgemachte Belege in seine Buchhaltung einpflegt2 oder dem Steuerberater übergibt. Zusätzlich ist die Vorlage gegenüber der Finanzbehörde erforderlich.3 Die Vorlage im Rahmen der Betriebsprüfung oder auf Anforderung der Finanzbehörden im Rahmen der allgemeinen Mitwirkungspflichten ist ebenso ausreichend. Beispiel: Autohändler A legt im Rahmen der Betriebsprüfung dem Betriebsprüfer eine Vielzahl von ihm eigenhändig gefälschter Kaufverträge vor.

11.393

Die mitverwirklichte Urkundenfälschung gem. § 267 StGB oder die Fälschung technischer Aufzeichnungen gem. § 268 StGB stehen in Tateinheit zur Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall. Das Verfahren ist nach § 386 Abs. 2 Nr. 1 AO zwingend an die Staatsanwaltschaft abzugeben. Der Versuch des Regelbeispiels beginnt erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur (fortgesetzten) Verwendung.

10. Bandenmäßige Umsatz- oder Verbrauchsteuerhinterziehung, § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO 11.394

Hinsichtlich der bandenmäßigen Begehung gelten die allgemeinen Grundsätze zur Bande.4 Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen.5 Ein gefestigter Bandenwille oder ein „Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse“ ist dabei nicht Voraussetzung. Erforderlich, aber ausreichend für einen bandenmäßigen Zusammenschluss mehrerer Personen ist, dass diese sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige im einzelnen noch ungewisse Straftaten der im Gesetz beschriebenen Art zu begehen. Die Bande unterscheidet sich von der Mittäterschaft durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung mehrerer Personen zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung. Von der kriminellen Vereinigung unterscheidet sich die Bande dadurch, dass sie keine Organisationsstruktur aufweisen muss und für sie kein verbindlicher Gesamtwille ihrer Mitglieder erforderlich ist, diese vielmehr in einer Bande ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung und Beuteoder Gewinnerzielung verfolgen können.

11.395

Die Bandenabrede setzt nicht voraus, dass sich alle Beteiligten gleichzeitig absprechen.6 Sie kann etwa konkludent entstehen oder durch aufeinanderfolgende Vereinbarungen, die eine bereits bestehende Vereinigung von Mittätern zu einer Bande werden lassen, oder dadurch zustande kommen, dass sich zwei Täter einig sind, künftig Straftaten mit zumindest einem 1 2 3 4

BGH v. 21.4.1998 – 5 StR 79/98, wistra 1998, 265; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 207. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 578; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 382. BGH v. 12.1.2005 – 5StR 301/04, wistra 2005,144 (145); Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 207. Vgl. BGH v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, NJW 2001, 2266; BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris zum sog. CO2 Emissionszertifikatehandel; Fischer67, § 244 StGB Rz. 34 ff.; Bender in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 44 Rz. 214; Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 7. 5 BGH v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, BGHSt 46, 321 = NJW 2001, 2266; BGH v. 7.5.2008 – 2 StR 185/ 08, juris; BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris. 6 BGH v. 16.6.2005 – 3 StR 492/04, BGHSt 50, 160; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 208.

544 | Peters

C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.399 Kap. 11

weiteren Beteiligten zu begehen, und der Dritte, der durch einen dieser beiden Täter über ihr Vorhaben informiert wird, sich der deliktischen Vereinbarung – sei es im Wege einer gemeinsamen Übereinkunft, gegenüber einem Beteiligten ausdrücklich, gegenüber dem anderen durch sein Verhalten oder nur durch seine tatsächliche Beteiligung – anschließt. Dabei kann es sich um den Anschluss an eine bereits bestehende Bande handeln; ebenso kann durch den Beitritt erst die für eine Bandentat erforderliche Mindestzahl von Mitgliedern erreicht werden. Auch innerhalb eines Unternehmens können Mitarbeiter einverständlich und anhaltend an der Verkürzung von Unternehmenssteuern mitwirken. Dass Steuerpflichtiger allein eine Gesellschaft bspw. eine Aktiengesellschaft ist, steht der Annahme einer Bande nicht entgegen.1 Dies folgt aus der Tatsache, dass es sich bei der Steuerhinterziehung durch aktives Tun um ein Jedermannsdelikt handelt. Auch ohne Steuerpflicht ist eine Alleintäterschaft möglich. Das Bandmerkmal ist jedoch nicht erfüllt, wenn sich drei oder mehr Beteiligte etwa im Rahmen einer Personengesellschaft oder Körperschaft zu einem legalen Zweck zusammenschließen, um ein Unternehmen zu betreiben und es im Zusammenhang mit dem Betrieb dieses Unternehmens zu Steuerhinterziehung kommt.

11.396

Indes kommt ggf. ein unbenannter schwerer Fall in Betracht. Erforderlich ist stets eine Bandenabrede mit deliktischen Inhalt; der Zweck des Zusammenschlusses muss in der Begehung von Steuerstraftaten bestehen.2 Eine Bandenabrede kann sich indes daraus ergeben, wenn sich beispielsweise organisatorisch abtrennbare Teile eines Unternehmens oder ein Zusammenschluss von Tätern in einer Bank zu dem Zweck zusammentun, Steuern zu hinterziehen.

11.397

Die Kenntnis sämtlicher Mitglieder untereinander ist nicht erforderlich.3 Indes gelten für die Frage der Zurechnung i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB die allgemeinen Regeln.4 Mitgliedschaft in einer Bande und die bandenmäßige Begehung sind voneinander zu trennen. Bei dem Tatbestandsmerkmal „als Mitglied einer Bande“ handelt es sich im Unterschied zum tatbezogenen Mitwirkungserfordernis um ein besonderes persönliches Merkmal. Nur weil jemand Mitglied einer Bande ist, bedeutet dies nicht automatisch auch eine Zurechnung jeder Bandentat.

11.398

Beispiel: A ist Mitglied einer Bande, die sich zur dauerhaften Hinterziehung von Umsatzsteuer verbunden hat, indem fälschlicherweise die Lieferung von Kfz im Inland als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt wird. Im Januar 2011 veräußern die Beschuldigten auf diese Weise fünf Kraftfahrzeuge. A befand sich in dieser Zeit nachweislich im Urlaub. Ein Kontakt zu den übrigen oder sonstige Tatbeiträge sind nicht nachweisbar.

Die häufig anzutreffende Argumentation, man habe die übrigen Beteiligten nicht persönlich gekannt, verfängt. Es brauchen für eine Zurechnung im Steuerstrafrecht auch nicht alle Ban1 BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris, zum sog. CO2 Emissionszertifikatehandel unter Verweis auf BT-Drucks. 16/5846, 75: „Da der Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO nicht nur vom Steuerpflichtigen selbst begangen werden kann, sondern auch von anderen natürlichen Personen, die nicht zum eigenen Vorteil handeln müssen, sondern auch zum Vorteil Dritter handeln können, kommt als Mitglied einer solchen Bande auch jede andere mitwirkende Person in Betracht, selbst wenn sie nur in untergeordneter Tätigkeit als Gehilfe eingebunden ist“. 2 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 382 m.w.N. 3 BGH v. 16.12.2003 – 1 StR 297/03, wistra 2004, 265; BGH v. 12.1.2000 – 1 StR 603/99, StV 2000, 259; BGH v. 17.7.1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158 (164). 4 BGH v. 19.1.2012 – 2 StR 590/11, NStZ 2012, 517; BGH v. 10.11.2011 – 3 StR 355/11, NStZ 2012, 518.

Peters | 545

11.399

Kap. 11 Rz. 11.399 | Steuerhinterziehung

denmitglieder erklärungspflichtig zu sein. Familiäre Bindungen stehen der Annahme einer Bande nicht entgegen.1 Für den erforderlichen, durch bestimmte Tatsachen zu konkretisierenden „Verdacht“, etwa im Rahmen beantragter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen, kommt es auf die sonstigen Umstände der Tatbegehung an, wie etwa konspirative Vorbereitung oder tatbegleitende Maßnahmen, die auf ein organisiertes Verhalten von mehr als zwei Personen hindeuten.

11.400

Problematisch in der tatsächlichen wie rechtlichen Feststellung ist der Nachweis einer Bande. In der Tat ist es so, dass sich vielfach Tätergruppen zur Hinterziehung von Steuern planmäßig verbinden und vernetzen. Oftmals werden zur Verschleierung jedoch auch mehr oder weniger gutgläubige Unternehmer eingebunden; etwa solche die sich geschäftlichen Schwierigkeiten gegenübersehen und aus diesem Grund ein Auge zu viel zudrücken. Teilweise handelt es sich auch um sog. Kleinunternehmer oder geschäftsunerfahrene Existenzgründer.

11.401

Der Anwendungsbereich ist beschränkt auf Umsatzsteuern und Verbrauchsteuern. Der Anregung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, das Regelbeispiel auf die bandenmäßige Hinterziehung von Ertragsteuern auszuweiten, wurde nicht gefolgt. Insofern kommt auch die Annahme eines unbenannten Regelbeispiels nur unter besonderen, weiteren Voraussetzungen in Betracht.2 Taten i.S.d. § 370 Abs. 1 AO, zu deren fortgesetzter Begehung sich eine Bande (§ 370 Abs. 3 Nr. 5 AO) verbunden hat, können auch nur mit bedingtem Vorsatz begangene Verkürzungen von Umsatz- oder Verbrauchssteuern sein.3 Zu unterscheiden ist dabei zwischen der Bandenabrede, die einen wissentlichen und willentlichen Zusammenschluss aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung mit dem ernsthaften Willen erfordert, für eine gewisse Dauer in Zukunft mehrere selbstständige, im Einzelnen noch unbestimmte Taten eines bestimmten Deliktstyps zu begehen. Im subjektiven Bereich setzt der Zusammenschluss deshalb mindestens direkten Vorsatz voraus. Davon zu unterscheiden ist jedoch stets das „kriminelle“ Ziel der Bande, die Begehung eines bestimmten Typs von Straftatbeständen.

11.402

Positiv in Anklage und Urteil zu belegen sind in jedem Fall ein dauerhaftes und institutionalisiertes, einvernehmliches Zusammenwirken durch wechselseitige Beiträge mit dem Zweck der gemeinsamen Abwicklung der bspw. lukrativen CO2-Geschäfte, bei denen sich jeder Beteiligte auf den anderen verlassen konnte, sowie das Entstehen einer Gruppendynamik, die dem Einzelnen das Ausscheren erschwerte.4

11. Verwendung von Drittstaatgesellschaften, § 370 Abs. 3 Nr. 6 AO Literatur: Beckschäfer, Gesetzgeberische Reaktion auf die „Panama-Papers“ – Analyse aus Sicht des Steuerstrafrechts, ZRP 2017, 41; Roth, Neues Regelbeispiel zu Briefkastenfirmen, PStR 2017, 315; Sievert/Littich, Offshore-Gesellschaft: Ab wann greift das neue Regelbeispiel als Sperrgrund für eine Selbstanzeige, PStR 2018, 103; Stahl, Deutsches Steuerrecht zwischen Panama und Paradies: Domizil-, Zwischen- und Drittstaat-Gesellschaften, kösdi 2018, 20676; Weber, Steuer- und steuerstrafrechtliche Risiken wegen Unterhaltung der Geschäftsbeziehungen zu den ausländischen Briefkastenfirmen in Deutschland, DStZ 2017, 521.

1 BGH v. 12.7.2006 – 2 StR 180/06, NStZ 2007, 339. 2 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 382; Rüping/Ende, DStR, 2008,17; Buse/Bohnert, NJW 2008,621; vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1126. 3 BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris 4 BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris, Rz. 161.

546 | Peters

C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.405 Kap. 11

a) Einführung/Kritik § 370 Abs. 3 Nr. 6 AO gelangte über das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz 2017 die Abgabenordnung.1 Das Vorhandensein einer Drittstaat-Gesellschaft bestimmt sich nach der Legaldefinition in § 138 Abs. 3 AO. Drittstaat Gesellschaft ist eine Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der europäischen Freihandelsassoziation sind.

11.403

Mit Blick auf den weiten steuerlichen Bestimmtheitsgrundsatz mag eine derartige Formulierung in steuerlicher Hinsicht zulässig erscheinen. Vor dem Hintergrund des strengeren strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes ist jedoch fraglich und wird in Zukunft Gegenstand der maßgeblichen Diskussion sein, wann ein Einfluss beherrschend oder bestimmend ist.2 Angesichts der allgemeinen Regelungen zur Tatherrschaft, Täterschaft und Teilnahme ist fraglich, warum § 370 Abs. 3 Nr. 6 AO ausdrücklich die steuerlichen Erfordernisse übernimmt, dass der Steuerpflichtige alleine oder mit einer nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben können muss.

11.404

Der Steuerpflichtige darf sich seine steuerlichen Verhältnisse so einrichten, wie es für ihn am günstigsten ist. In den Fällen, in denen internationale Besteuerungslücken geschickt genutzt werden und die Tatbestände der vorgenannten Normen erfüllt sind, kommt eine Steuerhinterziehung nur dann in Betracht, wenn damit einhergehende Mitwirkungspflichten in strafrechtlich erheblicher Weise verletzt werden,3 d.h. zusätzlich die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung erfüllt sind, mithin der Steuerpflichtige unrichtige oder unvollständige Angaben macht bzw. die Finanzbehörde pflichtwidrig in Unkenntnis lässt. Neben der Tätigung unrichtiger oder unvollständiger Angaben ist in diesem Zusammenhang die problematischere Frage, ob der Steuerpflichtige die Finanzbehörde pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen hat, d.h. die Bestimmung des Umfangs dessen, was er wie hätte offenbaren müssen. Die Einschaltung von Basisgesellschaften in Niedrigsteuerländern ist, unabhängig von der zivilrechtlich zu beurteilenden Rechtsfähigkeit, bereits in steuerrechtlicher Hinsicht nicht per se rechtsmissbräuchlich.4

11.405

1 Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz, vergleiche auch Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 21.12.2016; BT Drucks. 18/11132; 816/16; vergleiche bereits aus Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen vom 1.11.2016; vergleiche hierzu die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins, 79/ 2016, abrufbar unterhttps://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA161 202654&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp.; zum Ganzen auch El Mourabit, BB 2017, 91. 2 Zur Kritik mit entsprechenden Beispielen, etwa was Joint Ventures oder Fälle der Personalunion betrifft, vgl. die Stellungnahme der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft http://www.einzelhandel.de/index.php/themeninhalte/steuern/item/127174-stellungnahme-zum-referentenentwurfpanama-gesetz-stumbgbg S. 7; a.A. wohl Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 93. 3 Vgl. zu § 42 AO BGH v. 24.8.1983 – 3 StR 89/83, BGHSt 32, 60 (64); BGH v. 30.5.1990 – 3 StR 55/60, wistra 1990, 307 (308); BFH v. 1.2.1983 – VIII R 30/80, BStBl. II 1983, 534. 4 Vgl. auch BGH v. 25.7.1990 – 3 StR 172/90, NJW 1991, 114; OLG Karlsruhe v. 18.8.19993 – 3 Ws 16/93, wistra 1993, 308; LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152; BGH v. 26.7.2012 – 1 StR 492/11, wistra 2012, 477; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1239; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.25 ff.

Peters | 547

Kap. 11 Rz. 11.406 | Steuerhinterziehung

11.406

Fraglich ist auch, warum derjenige, der Steuern unter Verwendung einer außerhalb der EU und des EWR ansässigen Gesellschaft hinterzieht, schärfer bestraft werden soll als ein Täter, der Steuern unter Einsatz einer in der EU oder des EWR ansässigen Gesellschaft vorsätzlich verkürzt.1 Zudem sind die in der Praxis relevanten Staaten Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein von der Norm nicht erfasst.

11.407

Voraussetzung des Regelbeispiels ist, dass eine derartige Vorgehensweise zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen genutzt wird. Kumulativ müssen auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden.2 Im Hinblick auf die fortgesetzte Verkürzung von Steuern gilt das zu § 370 Abs. 3 Nr. 4 AO Ausgeführte (Rz. 11.387).

11.408

Mit der Aufnahme des Regelbeispiels gehen auch eine Änderung der Selbstanzeige und der steuerlichen Verjährungsvorschriften einher. Gleichzeitig erfolgte eine Erweiterung von § 379 AO. Bußgeldbewehrt ist nunmehr die nicht vollständige oder nicht rechtzeitige Erfüllung der Mitteilungspflicht nach § 138 Buchst. b Abs. 1–3 AO.3 b) Normzweck

11.409

Ausweislich der Gesetzesbegründung sollten „beherrschende“ Geschäftsbeziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Personengesellschaften, Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder europäischen Freihandelsassoziation sind, transparent gemacht werden. Als Hintergrund führt die Gesetzesbegründung insbesondere an, dass in Folge der Veröffentlichung der so genannten Panama Papers sich eine Diskussion über die Steuerumgehung mittels der Gründung und Nutzung von Domizilgesellschaften entwickelt habe. Diese Diskussion ist indes nicht neu.

11.410

Nach der Gesetzesbegründung soll es sich um ein nach dem Recht des betreffenden Sitzstaates formal errichtetes Unternehmen, das zwar rechtlich existiert, jedoch in diesem Staat tatsächlich keine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, Handeln. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass, um Rückschlüsse auf den wahren Inhaber zu verhindern, die Firmen zum Teil von nur zum Schein tätigen Personen oder Gremien geleitet und durch rechtliche Konstruktion weitreichend verschachtelt werden. Die eigentlichen unternehmerischen Entscheidungen würden indes von nach außen nicht in Erscheinung tretenden Dritten getroffen. Der Gesetzgeber erkennt, dass die Gründung und Unterhaltung von solchen „funktionslosen“ Gesellschaften nicht per se illegal ist, führt jedoch sogleich an, dass damit typischerweise die Verschleierung von Vermögensverhältnissen, Zahlungsströme und/oder wirtschaftlichen Aktivitäten einhergeht.4 Dabei soll nunmehr unerheblich sein, ob eine solche Drittstaat-Gesellschaft eigenwirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet oder nicht.5

1 El Mourabit, BB 2017, 91 (97), der zutreffend auf die innereuropäischen Steueroasen wie Malta, Zypern oder Irland verweist. 2 Der ursprüngliche Referentenentwurf enthielt die Wendung „zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt“ nicht. 3 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.41. 4 Zur Kritik vergleiche auch Stellungnahme des DAV 79/2016; S. 5, dort wird zu Recht moniert, dass ohne Beleg die These aufgestellt wird, dass derartige Gründungen typischerweise mit Verschleierungsaktivitäten einhergehen. 5 S. 1 Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 21.12.2016.

548 | Peters

C.XXI. Besonders schwere Fälle/Regelbeispiele | Rz. 11.415 Kap. 11

Sanktioniert werden soll insbesondere die angebliche Tatsache, dass die gezielte Nutzung von Auslandsgesellschaften zur Verdeckung von Beteiligungsverhältnissen und zur fortgesetzten Steuerhinterziehung eine aufwändige Vorbereitung und Organisation erfordere. Als Beispiele werden die Beratung, die Gründung und die Errichtung eines Geschäftssitzes genannt. Dies lasse auf eine hohe kriminelle Energie schließen. Wenn ausweislich der Gesetzesbegründung der Unrechtsgehalt derartiger Verhaltensweisen dem der bestehenden Regelbeispiele entspricht, ist fraglich, warum es der Einführung eines weiteren ausdrücklichen Regelbeispiels bedurfte.

11.411

Derartige Verhaltensweisen ließen sich bis dato sich unschwer als unbenanntes Regelbeispiel erfassen. Der bloße Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass die Einführung eines neuen Regelbeispiels auch deshalb erforderlich sei, weil die fortgesetzte Steuerhinterziehung mittels einer Briefkastengesellschaft in vielen Fällen nicht bereits von dem Regelbeispiel nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO erfasst wird, verfängt. Selbst wenn mittels Verschleierung von Einkünften aus Kapitalvermögen durch Briefkastenfirmen auch Erträge unterhalb der Grenze von 50.000 Euro hinterzogen werden, verbleibt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Verhaltensweisen die Annahme eines unbenannten schweren Falls.1

11.412

Daneben ist anzumerken, dass der Gesetzgeber mit den Regeln zur Funktionsverlagerung, der Verschärfung der erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten, insbesondere was Empfängerbenennungen angeht, mit den Regeln zu den Verrechnungspreisen und den entsprechenden Dokumentationspflichten bereits vielfältig einem entsprechenden Missbrauch entgegenwirkt.2 Hinzu kommen die Regelungen im Zusammenhang mit dem sog. BEPS Projekt.3

11.413

Aufgrund der gewählten Gesetzesformulierung besteht vielmehr die sich in Betriebsprüfungen bereits realisierende Gefahr, dass letztlich jede Auslandsbeziehung als potentiell hinterziehungsrelevant angesehen wird und dem Steuerpflichtigen eine entsprechende Beweislast aufgebürdet wird.

11.414

c) Nahestehende Person

11.415

Dem Steuerpflichtigen ist eine Person gem. § 1 Abs. 2 AStG nahestehend, wenn – die Person an dem Steuerpflichtigen mindestens zu einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt (wesentlich beteiligt) ist oder auf den Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige an der Person wesentlich beteiligt ist oder auf diese Person unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG); 1 Kritisch auch Stellungnahme des DAV 79/2016; S. 6, wozu Recht darauf hingewiesen wird, dass die Einschaltung einer Domizilgesellschaft regelmäßig nur dann sinnvoll ist, wenn es um erhebliche Summen geht, sobald jedoch die Schwelle des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 des „großen Ausmaßes“ erfüllt ist, bereits ein Regelbeispiel erfüllt ist. In der Tat sind aus der Praxis heraus keine Fälle bekannt, bei denen es im Zusammenhang mit der Einschaltung ausländischer Domizilgesellschaften um geringere Beträge gegangen wäre. 2 Zum Ganzen ausführlich Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 16.133; 16.154; 10.23 ff. 3 http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/beps-15aktionspunkte.html; vgl. auch den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts v. 28.1.2016, 2016/0011 (CNS); zum Ganzen Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 5.18 ff.

Peters | 549

Kap. 11 Rz. 11.415 | Steuerhinterziehung

– eine dritte Person sowohl an der Person als auch an dem Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist oder auf beide unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG); – die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluß auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG). Die Anknüpfungspunkte sind abschließend.1 d) Beherrschender oder bestimmender Einfluss

11.416

Das für das Beherrschungsverhältnis maßgebliche Kriterium des beherrschenden Einflusses (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 AStG) kann in steuerlicher Hinsicht nur auf gesellschaftsrechtlicher Basis sowie auf Unternehmensverträgen beruhen.2 Im Strafrecht wird man hingegen auch eine faktische Einflussnahme ausreichen lassen müssen.3 Was das Kriterium des bestimmenden Einflusses betrifft, gelten die allgemeinen Grundsätze zur Täterschaft und Teilnahme. Ob ein Einfluss i.S.d. § 370 Abs. 3 Nr. 6 AO beherrschend oder bestimmend ist, ist vom Einzelfall abhängig und obliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung. Steuerliche Vermutungsregeln oder etwaige steuerliche Beweislastumkehrungen greifen hier freilich nicht. Verletzt der Steuerpflichtige in diesem Zusammenhang die ihn treffenden erweiterten Dokumentationspflichten,4 kann dies für die Frage der Verwirklichung des Regelbeispiels jedoch indizielle Bedeutung haben. Die Verletzung der Dokumentationspflichten stellt für sich genommen allein eine Ordnungswidrigkeit nach § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO dar. e) Fortgesetzte Verkürzung von Steuern/Nicht gerechtfertigte Steuervorteile

11.417

Diesbezüglich gelten die allgemeinen Anforderungen. Der Täter muss unter Verwendung der Drittstaatgesellschaft fortgesetzt Steuern verkürzen. Die Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Erforderlich ist, dass der Täter bereits mehrere Steuerhinterziehungen begangen hat. Der Täter muss bereits mindestens zwei Steuerhinterziehungen unter Verwendung einer Drittstaatgesellschaft begangen haben.5 Erst und nur für den dritten Fall wirkt die Strafschärfung,6 sofern nicht bereits ein unbenannter schwerer Fall anzunehmen ist. f) Erweiterte steuerliche Mitwirkungspflichten

11.418

Die Erweiterung der entsprechenden steuerlichen Mitwirkungspflichten wurde in § 138 Abs. 2–5 bzw. § 138 Buchst. b, c AO geregelt.7 Das so genannte steuerliche Bankgeheimnis nach § 30a AO wurde in diesem Zuge aufgehoben. Gleichzeitig erfolgte eine Erweiterung des 1 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.169. 2 Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.122 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.171. 3 Vgl. hierzu BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 1.3.2.4 (Verwaltungsgrundsätze 1983). 4 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.172; speziell zu § 138 Abs. 2, §§ 138b, c AO Rz. 22.41. 5 BGH v. 21.4.1998 – 5 StR 79/98, wistra 1998, 265; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 207. 6 BGH v. 21.4.1998 – 5 StR 79/98, wistra 1998, 265; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 207. 7 Umfassend zum Ganzen Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.40 ff.

550 | Peters

C. XXII. Schmuggel | Rz. 11.420 Kap. 11

automatisierten Kontenabrufverfahrens für Besteuerungszwecke, um ermitteln zu können, in welchen Fällen ein inländischer Steuerpflichtiger Verfügungsberechtigter oder wirtschaftlich Berechtigter eines Kontos oder Depots einer natürlichen Person, Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz, Hauptniederlassung oder Geschäftsleitung außerhalb des Geltungsbereichs der AO ist. Die Stellung entsprechender Sammelauskunftsersuchen soll dadurch vereinfacht werden.1

XXII. Schmuggel (§ 373 AO) Literatur: Bender, Rechtsfragen um den Transitschmuggel mit Zigaretten, wistra 2001, 161; Bender, Der Transitschmuggel im europäischen „ne bis in idem“, wistra 2009, 176; Bender/Möller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, Regensburg, Loseblatt; Bongartz in Bongartz/Schroer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Rz. K 1 ff.; Friedrich, Steuerschuld und Steuerzechenschuld im Tabaksteuerrecht, ZfZ 1989, 98; Hampel, Steuerhinterziehung bei Verbringen von Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates der EU in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland, ZfZ 1996, 358; Höll, Neufassung des Tabaksteuergesetzes, PStR 2011, 50; Jäger, Die Auswirkungen der Osterweiterung der Europäischen Union auf das deutsche Steuerstrafrecht, in FS Amelung, Berlin 2009, 447; Jarsombeck, Das Tabaksteuerzeichen, ZfZ 1999, 296; Jatzke, Vorschriftswidriges Verbringen von Zigaretten aus EG-Mitgliedstaat nach Deutschland, ZfZ 2007, 191; Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, Frankfurt u.a. 2005; F. Kirchhof, Die steuerliche Doppelbelastung der Zigaretten, Berlin 1990; Kuhlen, Internationaler Schmuggel, Europäischer Gerichtshof und deutsches Strafrecht, in FS Jung, Baden-Baden 2007, 445; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Leplow, Ahndung des Zigarettenschmuggels nach dem 1.4.2004, PStR 2007, 180; Leplow, Zigarettenschmuggel, Geldwäsche und Gewinnabschöpfung, PStR 2008, 213; Middendorp, Verbringen von Tabakwaren des steuerrechtlich freien Verkehrs anderer Mitgliedstaaten, ZfZ 2011, 197; Möller, Steuerliche Verrechnungspreise und Zollwert, ZfZ 2007, 253; Scheuer, Neuere Entwicklungen im internationalen und nationalen Tabaksteuerrecht, ZfZ 2006, 2; Schmitz/Wulf, Erneut: Hinterziehung ausländischer Steuern und Steuerhinterziehung im Ausland, § 370 Abs. 6, 7 AO, wistra 2001, 361; Tully/Merz, Zur Strafbarkeit der Hinterziehung ausländischer Umsatz- und Verbrauchsteuern nach der Änderung des § 370 Abs. 6 AO im JStG 2010, wistra 2011, 121; Weidemann, Vorbereitungshandlung und Versuch bei der Tabaksteuerhinterziehung, wistra 2009, 174; Weidemann, Tabaksteuerstrafrecht, wistra 2012, 1 und 49; Zimmermann, Die Tabaksteuer, Frankfurt u.a. 1987. Vgl. zum Ganzen auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1525 f.; § 373 AO.

1. Einführung Einfuhrschmuggel in die BRD kommt de facto nur noch über die deutschen Hochseehäfen oder Flughäfen vor.2 Strafrechtlich relevant sind daher wegen § 373 Abs. 4 AO die Fälle in denen der Einfuhrschmuggel in einem anderen Mitgliedsstaat mit EU-Außengrenze stattfindet.

11.419

In der Praxis von größter Bedeutung im Bereich des Internationalen Steuerrechts sind die Fälle der Steuerhinterziehung durch Verbringung und Nichtverzollung bzw. Nichtbesteuerung von Waren. Insbesondere der sog. Zigarettenschmuggel (zum steuerlichen Pflichtenkreis

11.420

1 Zur Kritik vgl. El Mourabit, BB 2017, 91, (92. ff.). 2 Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 29, der zu Recht darauf hinweist, dass die einzige zollrechtliche EU-Außengrenze zur Schweiz besteht und die in der Regel geschmuggelten Waren dort aber nicht herrühren bzw. nicht dort hergestellt werden; zum Ganzen auch Harder in Wabnitz/Janovsky/ Schmitt5, Kap. 22 Rz. 107.

Peters | 551

Kap. 11 Rz. 11.420 | Steuerhinterziehung

vgl. Rz. 19.18) mit Billigzigaretten aus Russland in das Gemeinschaftsgebiet der EU floriert. Vielfach werden Zigaretten im Wege des sog. Transitschmuggels von Russland über Polen/ Deutschland, ggf. die Niederlande, Belgien oder Frankreich nach Großbritannien als Endziel geschmuggelt, was angesichts der dortigen Zigarettenpreise1 äußerst lukrativ ist. Teilweise handelt es sich um Lkw-Fahrer, die ihr schmales Gehalt durch die Verbringung relativ kleiner Mengen aufbessern. Vielfach handelt es sich aber um organisierte Banden, die im großen Stil Zigaretten verschieben und im Wege sog. Ameisenkriminalität Millionenumsätze erzielen.

11.421

Neben der klassischen Verbrauchsteuerhinterziehung – z.B. Heizölverdieselung und Schwarzbrennen – haben weitere Hinterziehungshandlungen im grenzüberschreitenden Verkehr mit anderen EU-Mitgliedstaaten große praktische Bedeutung.2 Hinzu kommt, dass auch die Hinterziehung von (harmonisierten) Verbrauchsteuern anderer EU-Mitgliedstaaten in Deutschland unter Strafe gestellt ist (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO). Das Zollrecht ist in besonderem Maße mit dem europäischen Recht verknüpft.3

2. Erscheinungsformen 11.422

Schmuggel gem. § 373 AO kommt namentlich in den folgenden Erscheinungsformen vor: – Intelligenzschmuggel, – unrichtige Angaben über den sog. Transaktionswert, – unrichtige Angaben über die Warenbeschaffenheit/Tarnware4, – Verheimlichen von Waren, – Entziehung von Waren aus dem Verfahren der vorübergehenden Verwendung, – Missbrauch bedingter Zollbefreiungen, – klassischer Schmuggel, – Schmuggel über die grüne Grenze (Landwegtransporte), – Schmuggel im Reiseverkehr.

3. Tatbestand 11.423

§ 373 AO wurde durch Art 3 Nr. 4 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der

1 Bis zu 9 Euro pro Packung und eine daraus resultierende Gewinnspanne von 800-1000 %. 2 Hierzu Möller/Retemeyer in Bender/Möller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, C VI Rz. 1489 ff. 3 Z.B. der gemeinsame Zolltarif, Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates v. 23.7.1987, ABl. EG Nr. L 256, 1; sowie Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG 1992 Nr. L 302; Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG 1993 Nr. L 253; zum Zollkodex im Einzelnen Dolfen, EuZW 1993, 754 ff.; Friedrich, StuW 1995, 15 ff.; Witte, Zollkodex6; Vor Art. 1 Rz. 1 ff.; zu den steuerlichen Voraussetzungen vgl. Rz. 19.18 f. 4 Zu den sog. Seehafenfällen vgl. die Darstellung des Ablaufs bei Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 32.

552 | Peters

C. XXII. Schmuggel | Rz. 11.427 Kap. 11

Richtlinie 2006/EG vom 21.12.2007 neugefasst.1 Der Strafrahmen wurde zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erhöht und die Vorschrift in Absatz 4 um den Verweis auf § 370 Abs. 6 Satz 1 und Absatz 7 AO erweitert, sodass nunmehr auch § 373 AO Einfuhr und Ausfuhrabgaben erfasst, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften verwaltet werden oder die einem Mitgliedsstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Der BGH hat klargestellt, dass es sich beim Tatbestand des Schmuggels um eine Qualifikation zu § 370 AO handelt.2 § 373 AO ist mithin nur einschlägig, wenn der Grundtatbestand des § 370 AO oder des § 372 AO erfüllt ist. Liegen die Qualifikationsmerkmale nicht vor, ist die Hinterziehung von Einfuhrabgaben eine Steuerhinterziehung.

11.424

Die tatbestandlichen Voraussetzungen und rechtlichen Konsequenzen auch für den Tatbestand der Steuerhinterziehung seien daher erläuternd dargestellt.

11.425

Wer gewerbsmäßig Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben hinterzieht oder gewerbsmäßig durch Zuwiderhandlungen gegen Monopolvorschriften Bannbruch begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer

11.426

– eine Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder einen Bannbruch begeht, bei denen er oder ein anderer Beteiligter eine Schusswaffe bei sich führt (§ 373 Abs. 2 Nr. 1 AO), – eine Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder einen Bannbruch begeht, bei denen er oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand eines anderen durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden (§ 373 Abs. 2 Nr. 2 AO) oder – als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung der Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder des Bannbruchs verbunden hat, eine solche Tat begeht (§ 373 Abs. 2 Nr. 3 AO). Gem. § 3 Abs. 3 AO sind Einfuhr- und Ausfuhrabgaben3 nach der Legaldefinition des Art. 4 Nr. 10 und 11 ZK bzw. Art. 5 Nr. 20, 21 UZK Steuern i.S.d. AO. Sind durch eine Tat Einfuhrabgaben in großem Ausmaß verkürzt, liegt gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO das Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung vor, bei dem ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren eröffnet ist.4 Dieser Strafrahmen entspricht dem des Schmuggels nach § 373 AO. Tritt ein Merkmal hinzu, das die Tat zum Schmuggel qualifiziert – etwa Gewerbsmäßigkeit (§ 373 Abs. 1 AO) – entfaltet der Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO, wenn er ohne das qualifizierende Merkmal anzuwenden wäre, eine Sperrwirkung. Deswegen kommt bei einem Schmuggel „in großem Ausmaß“ ein minder schwerer Fall mit einem auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe verminderten Strafrahmen (§ 373 Abs. 1

1 Einen umfassenden Überblick bietend auch Bender in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 45. 2 BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, ZWH 2012, 279; BGH v. 9.11.2017 – 1 StR 204/17,juris. 3 Vgl. hierzu und zur Geltung des UZK auch die Ausführungen zu § 370 Abs. 6 AO unter Rz. 11.329. 4 BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, ZWH 2012, 279 unter Verweis auf BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11.

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11.427

Kap. 11 Rz. 11.427 | Steuerhinterziehung

Satz 2 AO) nach Ansicht des BGH allenfalls in besonderen Ausnahmefällen noch in Betracht.1 Entsprechend überträgt der BGH die von ihm aufgestellten Grundsätze der Strafzumessung bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe auf den Qualifikationstatbestand des Schmuggels.2

11.428

Wird bei dem Verbringen steuerpflichtiger Waren in das Gebiet der BRD nicht mehr gleichzeitig die Zollgrenze der EU überschritten, handelt es sich bei den entstehenden Verbrauchsteuern nicht um Einfuhrabgaben i.S.d. § 373 AO. Es handelt sich um bloße Steuerhinterziehung nach § 370 AO. Hinzu kommt eine mögliche tateinheitliche Steuerhehlerei hinsichtlich der in einem anderen EU-Mitgliedsstaat verkürzten Einfuhrabgaben.3 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage nach einem transnationalen Strafklageverbrauch (Art. 50 GRCh/Art. 54 SDÜ). Der Begriff „Einfuhrabgaben“ i.S.d. §§ 373, 370 Abs. 1 AO setzt einen Einfuhrvorgang voraus. Einfuhr ist das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittlandsgebiet in das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft, und seit der Neufassung des § 373 Abs. 4 AO i.V.m. § 370 Abs. 6 Satz 1 AO ab dem 1.1.2008 auch das Verbringen der Ware (außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens) von einem Mitgliedstaat in den anderen.

4. Täter 11.429

In der Vergangenheit war oftmals problematisch, wer als Täter des Schmuggels in Betracht kommt. Abhängig davon, ob beispielsweise die Lkw-Fahrer gut- oder bösgläubig waren, stelle sich die Frage nach der Strafbarkeit der Hintermänner, die den Schmuggel geplant und gesteuert haben.4

11.430

In den Fällen des §§ 373, 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, ist dies gem. Art. 36b Abs, 3ZK der, der die (summarische) Anmeldung der Waren vornimmt, oder die Person, in deren Namen die Anmeldung abgegeben wird. Von besonderer Bedeutung ist, dass der UZK den Kreis möglicher Täter nochmals erheblich erweitert (vgl. Art. 79 Abs. 3/82 Abs. 3 UZK).5 Hinsichtlich der Mittäter oder Hintermännern gelten die allgemeinen Regeln der Täterschaft und Teilnahme.6

11.431

Beim Schmuggel über die „Grüne Grenze“ nach §§ 373, 370 Abs. 1 Nr. 2 AO war bis dato mitunter fraglich und streitig, wer zur Anmeldung verpflichtet ist und demnach als tauglicher Täter in Betracht kommt.7 Bei der Beteiligung mehrerer ist für jeden gesondert zu prüfen, ob er als Täter anzusehen ist.

1 BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, ZWH 2012, 279. 2 BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, ZWH 2012, 279. 3 BGH v. 14.3.2007 – 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294; BGH v. 14.3.2007 – 5 StR 461/06, wistra 2007, 262. 4 BGH v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, NStZ 2001, 421 = StV 2001, 399 = wistra 2001, 298. 5 Zollschuldner soll beispielsweise sein, wer wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfüllt war, und für Rechnung der Person handelte, die diese Verpflichtung zu erfüllen hatte, oder an der Handlung beteiligt war, die zur Nichterfüllung der Verpflichtung führte (Abs. 3b); ähnliche Bedenken bei Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 27. 6 Hierzu Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 47; vgl. auch Weidemann, wistra 2006, 45 (46); Bender, wistra 2004, 368 (370). 7 Vgl. hierzu auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373 AO Rz. 98 ff.; Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 49.

554 | Peters

C. XXII. Schmuggel | Rz. 11.434 Kap. 11

Die Rechtsprechung entwickelte vor dem Hintergrund des Zollkodexes die Figuren des Verbringers1 und des Verbringers kraft Organisationsgewalt (vgl. auch Art. 36b Abs. 3 ZK).2 Nach Ansicht des BGH verfügen auch diejenigen Organisatoren des Transports, die beherrschenden Einfluss auf den Fahrzeugführer haben, indem sie die Entscheidung zur Durchführung des Transports treffen und die Einzelheiten der Fahrt (z.B. Fahrtroute, Ort und Zeit der Einfuhr) bestimmen, kraft ihrer Weisungsbefugnis über die Herrschaft über das Transportfahrzeug.3 Die Erwähnung von Fahrer, Beifahrer und weiterer im Fahrzeug befindlicher Personen durch den EuGH stelle keine abschließende Aufzählung dar.4

11.432

Mit Geltung des Art. 82 UZK ist dieser Streit jedoch entschärft. Die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren sind bei ihrer Ankunft bei der bezeichneten Zollstelle5 oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort oder in der Freizone unverzüglich von der Person zu gestellen, die die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht, in deren Namen oder in deren Auftrag die Person handelt, die die Waren in dieses Gebiet verbracht hat und die die Verantwortung für die Beförderung der Waren nach dem Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft übernommen hat (vgl. Art. 36b Abs. 3 ZK). Die Waren können auch gestellt werden von einer Person, die die Waren unverzüglich in ein Zollverfahren überführt, und vom Bewilligungsinhaber für den Betrieb von Lagerstätten oder einer Person, die eine Tätigkeit in einer Freizone ausübt. Gestellungspflichtig ist damit bereits de lege lata gem. Art. 40 ZK der Verbringer und derjenige, der Verantwortung für ihre Weiterbeförderung übernommen hat.

11.433

Zollschuldner gem. § 79 Abs. 3 UZK und damit möglicher Täter einer Steuerhinterziehung bei Verstößen ist nach Inkrafttreten des UZK gem. Art. 82 Abs. 3 UZK zudem auch: – wer die betreffenden Verpflichtungen zu erfüllen hatte, – wer wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfüllt war, und für Rechnung der Person handelte, die diese Verpflichtung zu erfüllen hatte, oder an der Handlung beteiligt war, die zur Nichterfüllung der Verpflichtung führte, – wer die betreffenden Waren erworben oder in Besitz genommen hat und zum Zeitpunkt des Erwerbs oder der Inbesitznahme der Waren wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfüllt war.

5. Schadensberechnung Maßstab für die Berechnung der hinterzogenen Abgaben ist in Fällen des Schmuggels und der Steuerhehlerei gem. §§ 373, 374 AO die legale Einfuhr entsprechender Waren.6 Für die Entstehung der Zollschuld gelten die Art. 69 ff. UZK. Maßgeblich ist zunächst gem. Art. 70 UZK der sog. Transaktionswert, d.h. der für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in 1 EuGH v. 4.3.2004 – C-238/02, C-246/02, ECLI:EU:C:2004:126 – Viluckas und Jonusas, wistra 2004, 376 mit Anm. Bender, wistra 2004, 368; Weidemann, ZfZ 2005, 354. 2 BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294 mit zustimmender Anm. Jatzke, ZfZ 2007, 191 und Leplow, PStR 2007, 180; zustimmend auch Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 49; ablehnend Bender, wistra 2007, 309. 3 BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294 (1296). 4 BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294 (1296). 5 Für eine aktive Täuschung in diesen Fällen Jäger in FS Amelung, 447 (452). 6 BGH v. 7.6.2004 – 5 StR 554/03, HFR 2005, 66.

Peters | 555

11.434

Kap. 11 Rz. 11.434 | Steuerhinterziehung

das Zollgebiet der Gemeinschaft/Union tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis. Kann der Transaktionswert nicht bestimmt werden, richtet sich die Bemessung nach Art. 74 UZK (nachrangige Methoden der Zollwertbestimmung), indem auf vergleichbare Fälle abgestellt wird.

11.435

Dem beim abgabenfreien Verkauf zoll- und verbrauchsteuerpflichtiger Waren jeweils erzielten „Schwarzmarktpreis“ kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Anderenfalls würde der illegale Einführer steuerlich bessergestellt und gerade deshalb gegenüber dem legalen Einführer begünstigt, weil er sich regelwidrig verhält, die Waren ohne Gestellung und Anmeldung abgabenfrei in das Unionsgebiet verbringt und infolgedessen entsprechend billiger verkaufen kann.1 Nur wenn die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt werden können, dürfen selbige unter Beachtung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) vom Tatrichter geschätzt werden.

11.436

Zollwertermittlung nach Art. 70 UZK: Der Transaktionswert ist der tatsächlich gezahlte oder zu zahlenden Preis zuzüglich Hinzurechnungen gem. Art. 71 UZK (Provision/Verpackungskosten), indes abzüglich vorzunehmender Abzugsposten nach Art. 72 UZK (Beförderungskosten/Zinsen). Art. 70 Abs. 3 UZK enthält einen Katalog von jeweils vier positiv und vier Negativmerkmalen, wonach der Gegenstand Transaktion eine Ware sein muss; der Transaktion muss ein Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft zugrundeliegen; es muss ein tatsächlich gezahlter oder zu zahlender Preis gegeben sein; der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis ist gegebenenfalls gem. den Art. 71, 72 UZK zu berichtigen. In negativer Hinsicht darf es keine schädlichen Einschränkungen bezüglich der Verwendung und des Gebrauchs der Waren, keine schädlichen Bedingungen oder Leistung hinsichtlich des Kaufgeschäfts oder des Preises, keine schädliche Erlösbeteiligung des Verkäufers aus späteren Weiterverkäufen der Einfuhrware und keine schädliche Verbundenheit zwischen Käufer und Verkäufer geben.

11.437

Zollwertermittlung nach Art. 74 UZK: Wenn der Zollwert nicht nach dem Transaktionswert ermittelt werden kann, bestehen über Art. 74 UZK vier weitere Zollwertermittlungsmethoden. Im Unterschied zu Art. 70 stellt Art. 74 UZK nicht auf das konkrete Geschäft, sondern auf vergleichbare Einfuhrfälle ab. Maßgeblich ist hierbei der Transaktionswert gleicher oder gleichartiger Waren. Ferner kommt die so genannte Subtraktionsmethode in Betracht, die von einem Weiterverkaufspreis in der Gemeinschaft weitere Posten abzieht, oder die additive Methode, wonach die Herstellungskosten im Ausland zusammengerechnet werden.

11.438

Im Steuerstrafverfahren ist der Steuerschaden anhand des materiellen Steuerrechts zu berechnen. Das BMF gibt für typische Schmuggelwaren Erlasse heraus, die im Besteuerungsverfahren Mindestschätzungen festlegen. Insoweit gelten die allgemeinen Anforderungen an die Übernahme von Schätzungen.

6. Qualifikationsmerkmale 11.439

Hinsichtlich der Qualifikationsmerkmale gelten keine Besonderheiten zu den im übrigen StGB verwendeten Begriffen der Gewerbsmäßigkeit,2 der gewaltsamen oder bandenmäßigen 1 BGH v. 7.6.2004 – 5 StR 554/03, HFR 2005, 66. 2 § 146 Abs. 2, § 180a Abs. 1, 2 Nr. 1, § 243 Abs. 1 Nr. 3, § 253 Abs. 4, § 260 Abs. 1 Nr. 1, § 260a Abs. 1, § 263 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5, § 267 Abs. 3 Nr. 1 StGB, § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG.

556 | Peters

C. XXII. Schmuggel | Rz. 11.444 Kap. 11

Begehung oder dem Verwenden oder Beisichführen von Schusswaffen, Werkzeugen oder sonstigen Mitteln. a) Gewerbsmäßigkeit Gewerbsmäßigkeit liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Begehung von Straftaten der fraglichen Art eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen; dabei genügen auch mittelbare Vorteile.1 Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit ist ein besonderes persönliches Merkmal, auf das § 28 Abs. 2 StGB Anwendung findet.2 Bei Fehlen in der Person des Täters kommt allein eine Bestrafung aus dem Grunddelikt in Betracht. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln. Bereits die einmalige Tatbegehung ist ausreichend.

11.440

Beispiel: A, B und C begehen Schmuggel, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, D will bei einer Fahrt bloß seinem Bruder A einen Gefallen tun.

b) Gewaltsame oder bandenmäßige Begehung § 373 Abs. 2 AO trägt dem Umstand Rechnung, dass bei einer bandenmäßigen oder gewaltsamen bzw. bewaffneten Tatbegehung von einer erhöhten Gefahr für die eingesetzten Beamten und von einer erhöhten kriminellen Energie auszugehen ist. Die abstrakte Gefährdung ist ausreichend. Eine Gewerbsmäßigkeit ist nicht erforderlich

11.441

Problematisch in der tatsächlichen wie rechtlichen Feststellung ist der Nachweis einer Bande. In der Tat ist es so, dass sich vielfach Tätergruppen zur Hinterziehung von Steuern planmäßig verbinden und vernetzen. Oftmals werden zur Verschleierung jedoch auch mehr oder weniger gutgläubige Unternehmer eingebunden; etwa solche die sich geschäftlichen Schwierigkeiten gegenübersehen und aus diesem Grund ein Auge zu viel zudrücken. Teilweise handelt es sich auch um sog. Kleinunternehmer oder geschäftsunerfahrene Existenzgründer.3

11.442

Hinsichtlich der bandenmäßigen Begehung gelten die allgemeinen Grundsätze zur Bande (vgl. oben unter Rz. 11.394 ff.).4 Für den erforderlichen, durch bestimmte Tatsachen zu konkretisierenden „Verdacht“ etwa im Rahmen beantragter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen kommt es auf die sonstigen Umstände der Tatbegehung an, wie etwa konspirative Vorbereitung oder tatbegleitende Maßnahmen, die auf ein organisiertes Verhalten von mehr als zwei Personen hindeuten.

11.443

Für das Beisichführen einer Schusswaffe gelten die von der Rechtsprechung zu § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB (Schwerer Raub) und § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG (Bewaffnetes Handeltreiben)5

11.444

1 BGH v. 26.6.2012 – 1 StR 289/12, PStR 2012, 212; zum Ganzen auch Bender in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht6, § 44 Rz. 212 ff.; Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 7; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373 AO Rz. 35. 2 BGH v. 10.9.1986 – 3 StR 292/86, wistra 1987, 30; BGH v. 15.3.2005 – 5 StR 592/04, wistra 2005, 227. 3 Vgl. auch die Kritik bei Gaede Flore/Tsambikakis2, § 26c UStG Rz. 21 ff. 4 Vgl. BGH v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, NJW 2001, 2266; zum Ganzen auch Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1123; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373 AO Rz. 75; Fischer67, § 244 StGB Rz. 34 ff.; Tully in G/J/W2, § 373 Rz. 7. 5 Körner, § 30a BtMG; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373 AO Rz. 55 f.

Peters | 557

Kap. 11 Rz. 11.444 | Steuerhinterziehung

entwickelten Grundsätze. Der Täter muss in derartigen Fällen eine Waffe verfügungsbereit bei sich führen. Es gilt der strafrechtliche Waffenbegriff, sodass auch Gaspistolen oder Schreckschusswaffen (sog. PTBs) erfasst sind,1 nicht aber Attrappen oder sog. Softair Pistolen. Die Waffe muss indes funktionsfähig sein, d.h. insbesondere geladen. Eine Gebrauchsabsicht ist nicht erforderlich, die Waffe muss jedoch während des Tathergangs ohne weitere Zwischenschritte verfügbar und der Täter sich dessen bewusst sein. Im Falle mittäterschaftlicher Begehungsweise ist ein entsprechender Vorsatz vonnöten, d.h. ein Wissen und Wollen des Mittäters um die Waffe. Die Vorschrift gilt auch für Dienstwaffenträger (z.B. beteiligte Zollbeamte). Im Fall des § 373 Abs. 2 Nr. 2 AO bedarf es zusätzlich einer konkreten Verwendungsabsicht.2 Hier reichen auch ungeladene Waffen, etwa zur Drohung.

7. Konkurrenzen 11.445

Unter Umständen kommt eine Strafbarkeit wegen Steuerhehlerei (§ 374 AO) in Betracht. Die Vortat ist etwa die Hinterziehung der bei der Einfuhr, z.B. bei der Einfuhr von Zigaretten von Russland nach Polen, angefallenen Einfuhrabgaben, nämlich Zoll, polnische Einfuhrumsatzsteuer und polnische Tabaksteuer.3 Das gilt insbesondere dann, wenn die Taten bereits beendet waren, bevor die Zigaretten nach Deutschland verbracht wurden.4 Zwischen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei besteht Tatmehrheit (§ 53 StGB).5

11.446

Die Hinterziehung von Einfuhrabgaben bei der Einfuhr von Waren in das Inland und die Hinterziehung der Umsatzsteuer nach Weiterveräußerung der nämlichen Waren sind grundsätzlich nicht Teil derselben Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO). Beim Schmuggel und der nachfolgenden Hinterziehung von Umsatzsteuer handelt es sich nach Ansicht des BGH um unterschiedliche Taten im materiell-rechtlichen Sinn, die durch unterschiedliche Tathandlungen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in unterschiedlichen Besteuerungsverfahren, bezogen auf unterschiedliche Steuernormen und gegenüber unterschiedlichen Behörden begangen werden.6

8. Strafzumessung/Verfahren 11.447

Von besonderer Bedeutung für die Strafzumessung bei der Hinterziehung von Tabaksteuer ist, dass theoretisch in mehreren Ländern Abgaben anfallen, die es zu berücksichtigen gilt. Das unionsrechtliche Verbrauchsteuersystem geht für den Fall normgemäßen Verhaltens jedoch davon aus, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis grundsätzlich nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Mitgliedstaaten belastet sein sollen. Das Unionsrecht sieht deshalb grundsätzlich die Möglichkeit der Erstattung von in anderen Mitgliedstaaten entstan-

1 BGH v. 4.2.2003 – GSSt 2/02, BGHSt 48, 197; vgl. auch BGH v. 17.6.1998 – 2 StR 167/98, BGHSt 44, 103 = NJW 1998, 2915 2 Zur Verwendung vgl. BGH v. 11.5.1999 – 4 StR 380/98, BGHSt 45, 92 = NJW 1999, 2198. 3 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644 Rz. 20. 4 Streitig ist, ob der Tatbestand der Steuerhehlerei erst nach Beendigung der Vortat (z.B. Steuerhinterziehung, so etwa BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40; BayObLG v. 11.3.2003 – 4 StR 7/2003, wistra 2003, 315) oder schon im Zeitfenster nach Vollendung aber noch vor Beendigung der Vortat verwirklicht werden kann (so BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, BFH/NV 2013, 493). 5 BGH v. 28.8.2008 – 1 StR 443/08, NStZ 2009, 159; zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO und zu einem möglichen Strafklageverbrauch vgl. unter Rz. 3.43. 6 BGH v. 4.9.2013 – 1 – StR 374/13, NStZ 2014, 102.

558 | Peters

C. XXII. Schmuggel | Rz. 11.450 Kap. 11

denen und auch erhobenen Verbrauchsteuern vor.1 Eine Addition der jeweils theoretisch angefallenen Steuern ist daher unzulässig und diesem Umstand im Rahmen der Strafzumessung ausdrücklich Rechnung zu tragen.

In geeigneten Fällen spricht der BGH daher die Empfehlung aus, die Strafverfolgung hinsichtlich der verkürzten Abgaben gem. §§ 154, 154a StPO auf den bei der Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat hinterzogenen Zoll und (oder gar nur) auf die bei dem Verbringen in das deutsche Verbrauchsteuergebiet hinterzogene deutsche Tabaksteuer zu beschränken.2 Es bedarf dann auch nicht der sonst erforderlichen Feststellung und Anwendung der tabaksteuerrechtlichen Vorschriften anderer Mitgliedstaaten sowie der zuweilen schwierigen Berechnung und Darstellung der in anderen Mitgliedstaaten hinterzogenen Tabaksteuer.3

11.448

9. Problemkreise beim Schmuggel a) Zigarettenschmuggel/Tabaksteuerhinterziehung aa) Steuerlicher Pflichtenkreis

11.449

Einfuhr ist gem. § 19 TabStG4 – der Eingang von Tabakwaren aus Drittländern oder Drittgebieten in das Steuergebiet, es sei denn, die Tabakwaren befinden sich beim Eingang in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren (Abs. 1 Nr. 1); – die Entnahme von Tabakwaren aus einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren im Steuergebiet, es sei denn, es schließt sich ein weiteres zollrechtliches Nichterhebungsverfahren an (Abs. 1 Nr. 2). Die Einfuhr ist unrechtmäßig, wenn die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht ordnungsgemäß in ein anderes zollrechtliches Nichterhebungsverfahren überführt oder zum verbrauchsteuerfreien Verkehr abgefertigt und damit versteuert werden. Die Steuer entsteht zum Zeitpunkt der Überführung der Tabakwaren in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Einfuhr, es sei denn, die Tabakwaren werden unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt oder es schließt sich eine Steuerbefreiung an. Die Steuer entsteht nicht, wenn die Tabakwaren unter Steueraussetzung aus dem Steuergebiet oder einem anderen Mitgliedstaat über Drittländer oder Drittgebiete in das Steuergebiet befördert werden (§ 21 Abs. 1 TabStG). Bei der heimlichen Herstellung von Zigaretten entsteht die Steuer mit der Fertigstellung (§ 15 Abs. 2 Nr. 2 TabStG).

1 BGH v. 9.6.2011 – 1 StR 21/11, juris, unter Verweis auf Art. 7 Abs. 6 und Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie Nr. 92/12/EWG des Rates v. 25.2.1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABl. EG 1992 Nr. L 76, 1 – „Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie“; sowie Art. 33 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates v. 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/ EWG sowie die dortigen Erwägungsgründe Nr. 12, 30 und 31; ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 2 BGH v. 9.6.2011 – 1 StR 21/11, juris; BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09; BGH v 29.6.2010 – 1 StR 294/10; vgl. auch Tully in G/J/W2, § 373 AO Rz. 77. 3 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; Jäger, NStZ 2008, 21 (24). 4 Vgl. auch Rz. 22.13 zu Zigarettenschmuggel/Tabaksteuerhinterziehung.

Peters | 559

11.450

Kap. 11 Rz. 11.451 | Steuerhinterziehung

11.451

Steuerschuldner ist gem. § 21 Abs. 2 TabStG – die Person, die nach den Zollvorschriften verpflichtet ist, die Tabakwaren anzumelden oder in deren Namen die Tabakwaren angemeldet werden (Abs. 2 Nr. 1); – jede andere Person, die an einer unrechtmäßigen Einfuhr beteiligt ist (Abs. 2 Nr. 1). bb) Einfuhr ohne Steuerzeichen/Transitschmuggel

11.452

Werden Tabakwaren in anderen als den in § 22 Abs. 1 TabStG genannten Fällen entgegen § 17 Abs. 1 TabStG aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht oder werden diese dorthin versandt, entsteht die Steuer gem. § 23 TabStG, wenn die Tabakwaren erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden. Steuerschuldner ist, wer die Lieferung vornimmt oder die Tabakwaren in Besitz hält und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Der Steuerschuldner hat über Tabakwaren, für die die Steuer entstanden ist, unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben. Die Steuer ist sofort fällig. Die Tabakwaren sind nach § 215 AO sicherzustellen. Die Steuerschuld entsteht in jedem der berührten Länder als Binnenabgabe, mit Verbringung über die Außengrenze der EU (Polen) jedoch als Einfuhrabgabe nebst Zoll und Einfuhrumsatzsteuer.1 cc) Taugliche Täter

11.453

Täter kann auch sein, wer i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG die Lieferung vornimmt und deshalb gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG auch selbst verpflichtet war, über die Zigaretten eine Steuererklärung abzugeben.2 Verbringer und damit ggf. mittelbarer Täter ist, wer kraft seiner Weisungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf das Transportfahrzeug hat, indem er die Entscheidung zur Durchführung des Transports trifft oder die Einzelheiten der Fahrt (z.B. Route, Ort, Zeitabfolge) bestimmt.3 b) Ausländische Verbrauchsteuern und Einfuhrumsatzsteuer

11.454

Über § 373 Abs. 4 AO sind auch Einfuhrabgaben bestimmter ausländischer Staaten erfasst. Daher können Gegenstände des eine Schmuggeltat aburteilenden deutschen Urteils auch ausländische Verbrauch- und Einfuhrumsatzsteuer sein. Voraussetzung ist, dass die ausländischen Steuern nach dem Recht des betroffenen Staates als Einfuhrabgaben zu erheben sind. In diesem Zusammenhang ist das materielle Steuerrecht des jeweils betroffenen Staates im Wege des Freibeweises zu ermitteln. Das Ermittlungsergebnis und die Anwendung des ausländischen materiellen Steuerrechts sind in Anklageschrift und Urteil darzustellen. Wurde die Schmuggeltat an der Außengrenze eines anderen Mitgliedstaats begonnen, indes noch nicht beendet, etwa weil die Ware noch nicht endgültig zum Ruhen gekommen war und noch nicht in andere Mitgliedstaaten weitergeschmuggelt wurde,4 können die in anderen Mitgliedstaaten anfallenden Verbrauchsteuern nicht Gegenstand einer Verurteilung nach § 373 AO sein, da in den Fällen des „Weiter1 Retemeyer in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. § 45 Rn 41ff; 2 BGH, Urt. v. 27.6.2018 – 1 StR 282/17 (LG Osnabrück), juris, mittelbare Täterschaft bei Täuschung des Spediteurs über Containerinhalt (Zigaretten). 3 BGH, Beschl. v. 27.6.2018 – 1 StR 282/17, juris; Beschl. v. 23.3.2017 – 1 StR 451/16, NStZ 2018, 544 und v. 14.10.2015 – 1 StR 521/14, wistra 2016, 74 jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urt. v. 14.3.2007 – 5 StR 461/06, wistra 2007, 262, 264. 4 BGH, Urt. v. 24.6.1952 – 1 StR 316/51 –, BGHSt 3, 40-46.

560 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.455 Kap. 11

schmuggels“ die weiteren ausländischen Verbrauchsteuern nicht mehr als Einfuhrabgaben anfallen.§ 373 Abs. 4 AO erfasst nur die Einfuhrabgaben, nicht aber ausländische Verbrauchsteuern und ausländische Umsatzsteuern. Wird der im Ausland begonnene Einfuhrschmuggel ohne Beendigung nach Deutschland fortgesetzt, kommt tateinheitlich neben der Verkürzung ausländischer bei der Einfuhr anfallender Verbrauchsteuern und des Zolls eine Steuerhinterziehung bezüglich der deutschen Verbrauchsteuern nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es insoweit faktisch zu einer mehrfachen Steuerbelastung kommt, behilft sich die Praxis im Regelfall damit, die Strafverfolgung gem. § 154, 154 Buchst. a StPO auf die bei der Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat hinterzogenen Einfuhrabgaben sowie die bei dem Verbringen in das deutsche Verbrauchsteuergebiet hinterzogene deutsche Tabaksteuer zu beschränken.1 Dies macht insbesondere die in der Praxis aufwändige und komplizierte Darstellung tabaksteuerrechtlicher Vorschriften anderer Mitgliedstaaten entbehrlich. c) Steuerliche Verrechnungspreise und Zollwert Mitunter werden bei Veräußerungen zwischen wirtschaftlich verbundenen Unternehmen Verrechnungspreise nicht nur zum Zwecke der Zollhinterziehung, sondern auch zur Verlagerung ertragsteuerlicher Gewinne von einem Land in ein anderes Land unrichtig angegeben.2 Die Tathandlung besteht gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in der unrichtigen Angabe gem. Art. 59 ZK, Art. 199 ZK-DVO, wonach die Abgabe einer Zollanmeldung die Erklärung einschließt, dass die Angaben wahrheitsgemäß und die beigefügten Unterlagen echt sind.

XXIII. Täterschaft und Teilnahme Literatur: Amelung, Die „Neutralisierung“ geschäftsmäßiger Beiträge zu fremden Straftaten im Rahmen des Beihilfetatbestandes, in FS Grünwald, Baden-Baden 1999, 9; App, Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Sachgebietsleiter, StB 1993, 189; Baunack, Grenzfragen der strafrechtlichen Beihilfe: Unter besonderer Berücksichtigung der sogenannten psychischen Beihilfe, Berlin 1999; Beckemper, Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft durch Täuschung des Steuerpflichtigen, wistra 2002, 401; Behr, Die Strafbarkeit von Bankmitarbeitern als Steuerhinterziehungsgehilfen bei Vermögenstransfers ins Ausland, wistra 1999, 245; Bender, Anm. zu LG Hamburg v. 20.3.2000 – 618 KLs 8/99, wistra 2001, 69; Bilsdorfer, Die Entwicklung des Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrechts, NJW 2008, 1362; Borchers, Steuerhinterziehung nur bei notwendiger Teilnahme und Irrtum des Finanzbeamten?, wistra 1987,87; Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, Baden-Baden 2015; Danzer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des steuerlichen Beraters, in Kohlmann, Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, Köln 1983, 67; Ellbogen, Zu den Voraussetzungen des täterschaftlichen Bandendiebstahls, wistra 2002, 8; Esskandari, Steuerstrafrecht – Rechtsprechung der Strafgerichte 2006/2007, DStZ 2008, 210; Fuchs/Ullmann, Täterschaft und Teilnahme im Steuerstrafrecht, ZfZ 1955, 331; Gallandi, Die strafrechtliche Haftung von Bankverantwortlichen, wistra 1988, 295; Gehm, Beteiligung an Steuerhinterziehung von Kunden und Mandanten in Abgrenzung zu neutralem berufstypischem Verhalten, StbW 2013, 558; Gehm, Anmerkung zum BGH-Beschluss vom 14.10.2015 (I StR 521/14) – Zur Frage der Täterschaft bzw. Mittäterschaft einer Hinterziehung von Tabaksteuern durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, NZWiSt 2016, 25; Geuenich, Österreichische und liechtensteinische Berater als Beitragstäter deutscher Steuerdelikte – Riskante Hilfe über die Grenze?, Wirtschafts- und Finanzstrafrecht in der Praxis 2009, 37; Giemulla, Die Strafbarkeit des Steuerbeamten wegen Steuerhinterziehung nach der AO 1977, Köln 1979; Gössel, Probleme notwendiger Teilnahme bei Betrug, Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug, wistra 1985, 125; Gössel, Schlußwort zu Borchers, Steuerhinterziehung nur bei notwendiger Teilnahme und Irrtum des Finanzbeamten? (wistra 1987, 86), wistra 1987, 89; Harms, Steuerliche Beratung im Dunstkreis

1 BGH, Urt. v. 14.3.2007 – 5 StR 461/06 –, juris. 2 Zum Ganzen vgl. auch Möller, ZfZ 2007, 253, Peters/Pflaum, wistra 2011, 250.

Peters | 561

11.455

Kap. 11 Rz. 11.455 | Steuerhinterziehung des Steuerstrafrechts, Stbg 2005, 12; Heine, Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22.7.2015 (1 StR 447/ 14) – Zur Bewertung mehrerer Gehilfenhandlungen im Rahmen von Umsatzsteuerbetrugssystemen, NStZ 2016, 41; Hilgers, Täuschung und/oder Unkenntnis der Finanzbehörden – notwendige Voraussetzung der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung, Köln 1985; Hillenbrand/Brosig, Scheckwechselgeschäfte als Mittel der Steuerhinterziehung, wistra 2003, 375; Hirsch, Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, ZStW 74 (1962), 78; Kohlmann, Zur Strafbarkeit verdeckter Zuwendungen an politische Parteien, in de Boor, Schriftenreihe des Instituts für Konfliktforschung, Bd. 11, Münster 1986, 69; Korf, Umsatzsteuer: Zum Vorsteuerabzug bei Beihilfe zur Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat, IStR 2011, 30; Kutzner, Die Rechtsfigur des Täters hinter dem Täter, Frankfurt 2004; Löwe-Krahl, Die Verantwortung von Bankangestellten bei illegalen Kundengeschäften, Stuttgart 1990; Löwe-Krahl, Steuerhinterziehung bei Bankgeschäften, Stuttgart 2000; Lohmeyer, Der Steuerberater als Täter oder Teilnehmer einer Steuerzuwiderhandlung, Stbg. 1985, 297; Madauß, Der steuernde Hintermann als Mittäter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung des „Strohmannes“ isd § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, NZWiSt 2016, 268; Maier, Die mittelbare Täterschaft bei Steuerdelikten, MDR 1986, 358; Meyer-Arndt, Beihilfe durch neutrale Handlungen?, wistra 1989, 281; Montenbruck, Zum Verhältnis von Steuerhinterziehung und gewerbsmäßigem Schmuggel, wistra 1987, 7; El Mourabit, Steuerstrafrechtliche Risiken von Bankmitarbeitern, Rechtsanwälten und Steuerberatern im Hinblick auf die Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Forum Steuerrecht 2013, 11; Nack, Mittelbare Täterschaft durch Ausnutzung regelhafter Abläufe, GA 2006, 342; Perleberg-Kölbel/Vollmer, Steuerstrafrecht in der Familie, FuR 2010, 661; Podewils/Hellinger, Strafrechtliche Risiken für steuerliche Berater, DStZ 2013,662; Rönnau/Schneider, Der Compliance-Beauftragte als strafrechtlicher Garant, ZIP 2010, 54; Rotsch, Die Rechtsfigur des Täters hinter dem Täter bei der Begehung von Straftaten im Rahmen organisatorischer Machtapparate und ihre Übertragbarkeit auf wirtschaftliche Organisationsstrukturen, NStZ 1998, 491; Roxin, Straftaten im Rahmen organisatorischer Machtapparate, GA 1963, 193; Roxin, Bemerkungen zur sozialen Adäquanz im Strafrecht, in FS Klug, Band II, Köln 1983, 303; Roxin, Zum Strafgrund der Teilnahme, in FS Stree/Wessels, Heidelberg 1993, 369; Roxin, Täterschaft und Teilnahme bei strafbaren persönlichen Erklärungen, in FS Rengier, München 2018, 93; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 10. Aufl. Berlin 2019, 60 ff.; Sahan/Ruhmannseder, Steuerstrafrechtliche Risiken für Banken und ihre Mitarbeiter bei Kapitaltransfer in die Schweiz, IStR 2009, 715; Samson/Schillhorn, Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch anonymisierten Kapitaltransfer?, wistra 2001, 1; Schmidhäuser, „Tatherrschaft“ als Deckname der ganzheitlichen Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht, in FS Stree/Wessels, Heidelberg 1993, 343; Schneider, Neutrale Handlungen: Ein Oxymoron im Strafrecht?, NStZ 2004, 312; Seher, Vorsatz und Mittäterschaft – Zu einem verschwiegenen Problem der strafrechtlichen Beteiligungslehre, JuS 2009, 1; Sterzinger, Keine Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Beteiligung des Lieferers an einem Erwerbsbetrug des Empfängers, UR 2011, 20; Stiller, Der Rechtsirrtum des Steuerberaters und sein Strafbarkeitsrisiko, Frankfurt a.M. 2000; Tag, Beihilfe durch neutrales Verhalten, JR 1997, 49; Weckerle, Steuerstrafrechtliche Verantwortung des Beraters, Steuerstrafrecht an der Schnittstelle zum Steuerrecht, 39. Jahrestagung, DStJG 38, 171; Weidemann, Zollhinterziehung in mittelbarer Täterschaft?, wistra 2003, 241; Widmaier, Strafrechtliche Risiken der Beratungstätigkeit von Rechtsanwälten und Steuerberatern, in FS Müller, Baden-Baden 2008, 797; Wietfeld, Taherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung, Heidelberg 2016; Winkelbauer, Umweltstrafrecht und Unternehmen, in FS Lenckner, München 1998, 645; Wohlleben, Beihilfe durch äußerlich neutrale Handlungen, München 1997; Wüllenkämper, Probleme der Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft in Parteispendenfällen, wistra 1989, 46.

1. Einführung 11.456

Die Steuerhinterziehung durch aktives Tun i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Jedermannsdelikt1 und kein Sonderdelikt, sodass nicht nur der für die jeweilige Steuer Verpflichtete in 1 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177; vgl. hierzu Leipold, NJW-Spezial 2013, 376, Gehm, NZWiSt 2013, 319; BGH v. 28.3.2007 – 5 StR 558/06 unter Verweis auf BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112 (113); Wulf, Handeln und Unterlassen, 90, 94; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 22 f.

562 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.458 Kap. 11

Betracht kommt. Es ist ebenso nicht erforderlich, dass die Steuerhinterziehung zu eigenen Gunsten erfolgt. Es kommt allein auf die Tätigung der unrichtigen Angaben an. Das Merkmal der „Pflichtwidrigkeit“ in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begrenzt den Kreis der tauglichen Täter.1 Nach der Rechtsprechung des BGH kann Täter – auch Mittäter – einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist.2 Das Merkmal „pflichtwidrig“ bezieht sich allein auf das Verhalten des Täters (bei dem es sich indes nicht um den Steuerpflichtigen handeln muss), nicht allgemein auf dasjenige irgendeines Tatbeteiligten.3 Damit kommt eine Zurechnung fremder Pflichtverletzungen auch dann nicht in Betracht, wenn sonst nach allgemeinen Grundsätzen Mittäterschaft vorliegen würde. Voraussetzung ist jedoch gem. § 13 StGB eine Garantenstellung des Täters, d.h. er muss in rechtlicher Hinsicht verpflichtet sein, für den Erfolg einzustehen. Die Garantenstellung kann sich beispielsweise aus Gesetz ergeben:

11.457

– § 137 AO (Anzeigepflicht für nichtnatürliche Personen), – § 138 AO (Anzeigepflicht für den, der einen Betrieb eröffnet), – § 139 AO (Anmeldepflicht für Hersteller verbrauchsteuerpflichtiger Waren), – § 153 AO (Berichtigungspflicht), – § 160 AO (Steuerliche Offenlegungspflicht) – Rechtspflicht zur Abgabe von Steuererklärungen (§ 25 EStG, §§ 56–60 EStDV, § 14a GewStG, § 18 UStG) – Pflicht zur Abgabe von Steueranmeldungen (§ 41a EStG) – Anzeige- und Berichtigungspflichten (z.B. § 17 UStGB, § 30 ErbStG). Die Garantenstellung kann sich auch aus sog. Ingerenz (vorangegangenes, pflichtwidriges Tun) ergeben.4 Angesichts der weitreichenden Folgen ist daher die Bestimmung der Begehungsweise von immenser Bedeutung, auch was spätere Fragen der Teilnahme betrifft.5 Das Kernproblem besteht vielfach darin, den Nachweis zu führen, wer konkret für die falsche Angabe oder das Unterlassen einer richtigen Angabe in strafrechtlicher Hinsicht verantwortlich ist und insofern zur Rechenschaft gezogen werden kann. 1 Einschränkend BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177, der keine Begrenzung des Täterkreises bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auf bestimmte Personen sieht, aber unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 2 GG betont, dass nur derjenige letztlich Täter sein kann, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist. 2 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/ 78, BGHSt 28, 371 (375 ff.); BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1; BGH v. 14.2.1990 – 3 StR 317/89, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Eingangsabgaben 1; BGH v. 20.11.1990 – 3 StR 259/90, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Mittäter 2; BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52 (58); BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täter 4 = wistra 2003, 344; BGH v. 22.7.2004 – 5 StR 85/04, wistra 2004, 393; BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112; BGH v. 14.4.2010 – 1 StR 105/10; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 382, der zu Recht moniert, dass diese Beschränkung vielfach übersehen wird. 3 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177. 4 Zur Garantenstellung von Steuerberatern vgl. Krekeler, PStR 2002, 183. 5 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 382.

Peters | 563

11.458

Kap. 11 Rz. 11.458 | Steuerhinterziehung

Das Strafgesetzbuch geht im Gegensatz zum Einheitstäterbegriff1 des OWiG von einem restriktiven Täterbegriff aus und trägt der unterschiedlichen Intensität der Tatbeiträge Rechnung.

11.459

Für die Frage nach Täterschaft und Teilnahme bei der Steuerhinterziehung gelten über § 369 Abs. 2 AO die Regelungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs der §§ 25 ff. StGB.2 Im Strafrecht wird zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden. Täterschaft kommt in Form der Alleintäterschaft, Mittäterschaft, mittelbaren Täterschaft und Nebentäterschaft vor; Teilnahme in Form der Anstiftung und Beihilfe. Bei der Steuerhinterziehung setzt Mittäterschaft die Möglichkeit der Täterstellung voraus. Bei aktivem Tun kann dies auch derjenige sein, der zugunsten eines Steuerpflichtigen handelt. Bei Unterlassen kann nur Täter sein, wer zur Aufklärung verpflichtet ist.3 Dies zeigt neuerlich die Bedeutung, zunächst die konkrete Handlungsform zu bestimmen.

11.460

Mittäter kann auch derjenige sein, dem das Gesetz keine steuerlichen Pflichten zuweist, sofern nur die Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Begehungsweise i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB gegeben sind.4 Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint, mithin als Teil eines gemeinschaftlichen Werkes. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein.5 Dabei macht es für die Frage der Strafbarkeit keinen Unterschied, wo die Tat begangen wird oder die Teilnahme erfolgt. Mittelbare Täterschaft, Anstiftung oder Beihilfe können auch aus dem Ausland heraus erfolgen.

2. Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme 11.461

Nach der Tatherrschaftslehre6 ist Täter, wer über das Ob und Wie der Tat maßgeblich mitbestimmt, wer den Tathergang in Planung und Ausführung im Wesentlichen beherrscht.7 Der BGH stellt ergänzend auf subjektive Kriterien ab.8 Für die Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe kommt es grundsätzlich auf eine wertende Gesamtschau an, deren Ergebnis un1 2 3 4

5 6 7

8

Schauf in Kohlmann, § 378 AO Rz. 10. Zum Ganzen auch Häcker in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., § 19 Rz. 1 ff. Vgl. BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, BGH NStZ-RR 2007, 345. St. Rspr., vgl. BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1; BGH v. 28.5.1986 – 3 StR 103/86, NStZ 1986, 463; BGH v. 6.10.1989 – 3 StR 80/89, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Mittäter 3; BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täter 4; BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112. St. Rspr., BGH v. 30.6.2005 – 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44; BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289 (291). MüKoStGB/Joecks, 25 StGB Rz. 34; Maurach, StrafrechtAT, § 49 II C 2; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1135 f. m.w.N. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 80, 95 f.; Fischer67, vor § 25 StGB Rz. 2 ff.; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB30, Vor § 25 StGB Rz. 50 ff.; Häcker in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., § 19 Rz. 1 ff.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 9. Aufl., 2015, 60 ff.; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 25, 31. BGH v. 22.7.1992 – 3 StR 35/92, BGHSt 38, 315, wobei sich in der Praxis kaum Unterschiede ergeben, vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 80, 98.2, 101.

564 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.465 Kap. 11

ter anderem von dem Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, dem Umfang der Tatbeteiligung sowie der Tatherrschaft oder wenigstens dem Willen zur Tatherrschaft abhängt.1 Dies ist in wertender Betrachtung zu beantworten. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Wertung können das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein.2 Entscheidend bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei der Steuerhinterziehung ist das Kriterium der Tatherrschaft im Rahmen einer Gesamtabwägung, speziell unter Berücksichtigung der Urheberschaft für die falsche oder unterlassene Erklärung.3 Im Rahmen der Abgabe elektronischer Erklärungen kommt es bspw. vornehmlich auf die Autorisierung an.

11.462

Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint.4 Mittäterschaft erfordert nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst. Auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt, ist ausreichend. Indes muss sich diese Mitwirkung aber stets nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen.5 Erschöpft sich die Mitwirkung nach der Vorstellung des Täters in einer bloßen Förderung fremden Handelns, stellt seine Tatbeteiligung Beihilfe dar.6

11.463

Eine ganz untergeordnete Tätigkeit deutet in der Regel schon objektiv darauf hin, dass der Beteiligte nur Gehilfe ist.7 Die tatrichterliche Bewertung über das Vorliegen von Täterschaft oder Teilnahme ist nur einer begrenzten revisionsrechtlichen Kontrolle zugänglich.8

11.464

3. Mittäterschaft Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Dabei kommt es bei der Steuerhinterziehung darauf an, wer die Herrschaft, Urheber-

1 BGH v. 26.11.1986 – 3 StR 107/86, wistra 1987, 106; BGH v. 10.12.1987 – 1 StR 623/87 (juris); BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 291; BGH v. 12.6.2012 – 3 StR 166/12, NStZ 2013, 104 vgl. auch Meyer in Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 122. Lieferung, § 370 AO 1977 Rz. 226. 2 Vgl. BGH v. 24.7.2008 – 3 StR 243/08, StV 2008, 575; BGH v. 12.2.1998 – 4 StR 428/97, NJW 1998, 2149, 2150; BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, wistra 2003, 100; BGH v. 12.6.2012 – 3 StR 166/12, NStZ 2013, 104; vgl. auch Fischer67, § 25 StGB Rz. 26. 3 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 107.2 f.; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 30 f., der auf eine Gesamtabwägung vom äußeren Handlungsakt losgelösten Zurechnungsfrage ausgeht, etwa bei elektronischen Erklärungen; Wietfeld spricht, wie Roxin, von einer „Zentralgestalt“, Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung, 2016, S. 100; vgl. auch Roxin in FS Rengier, 2018, S. 93, 100. 4 BGH v. 12.6.2012 – 3 StR 166/12, NStZ 2013, 104; vgl. auch Fischer67, § 25 StGB Rz. 26. 5 BGH v. 17.10.2002 – 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; BGH v. 2.7.2008 – 1 StR 174/08, NStZ 2009. 25; BGH v. 12.6.2012 – 3 StR 166/12, NStZ 2013, 104. 6 BGH v. 27.3.2012 – 3 StR 63/12, StraFo 2012, 194. 7 BGH v. 16.3.2016 – 2 StR 346/15, juris. 8 BGH v. 17.10.2002 – 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253.

Peters | 565

11.465

Kap. 11 Rz. 11.465 | Steuerhinterziehung

schaft und inhaltliche Verantwortung für die Erklärung und deren Zugang bei der Finanzbehörde trägt.1 Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder gem. § 25 Abs. 2 StGB als Täter bestraft (Mittäter). Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen leistet und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint.2

11.466

Der Annahme von Mittäterschaft steht nicht entgegen, wenn der Beteiligte seinen jeweiligen Tatbeitrag lediglich im Vorfeld – beispielsweise bei Erstellung einer unrichtigen Steueranmeldung – erbringt.3 Eine Mitwirkung im eigentlichen Ausführungsstadium der Tat ist nicht erforderlich,4 wobei dann jedoch ein Beteiligungsminus bei der Tatausführung durch ein Plus bei der Deliktplanung ausgeglichen werden muss.5 Erforderlich ist indes stets ein objektiver Tatbeitrag eines jeden Mittäters. Darüber hinaus ist ein sogenannter gemeinsamer Tatentschluss Voraussetzung, d.h. ein erforderliches Einvernehmen zwischen den Mittätern. Dies kann auch noch während der Tatausführung stillschweigend oder ausdrücklich hergestellt werden.

11.467

Nach Vollendung der Tat ist Mittäterschaft ausgeschlossen, wenn die Tat bereits vollständig abgeschlossen und beendet ist.6 Die Voraussetzungen der Mittäterschaft sind für jede einzelne Steuerart gesondert zu prüfen.7 Der Grund für die wechselseitige Zurechnung liegt im gemeinsamen Tatplan, so dass alle die Beiträge zugerechnet werden, die noch vom Tatplan gedeckt oder nicht völlig atypisch sind.8 Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen: Sind mehrere Personen zugleich Träger der gesetzlichen Verpflichtung, ist regelmäßig danach zu differenzieren, wer vorrangig für die begangene Unterlassung verantwortlich ist.9 Bei einer mehrköpfigen Geschäftsführung entlasten interne Zuständigkeitsregelungen nicht.10 Indes kann bei mehreren Handlungspflichtigen nach dem subjektiven Tatinteresse und dem Willen zur Tatherrschaft differenziert werden.11

1 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 107.2 f.; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 30 f. 2 BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291. 3 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013,1177 unter Verweis auf BGH v. 25.9.2012 – 1 StR 407/12, wistra 2013,67 BGH v. 28.5.1986 – 3 StR 103/86, NStZ 1986,463. 4 BGH v. 2.7.2008 – 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25,26; BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01. BGHSt 48, 52, 57; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 30 f.; Roxin, AT-2, § 25 StGB Rz. 201. 5 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 113.7, der entgegen dem BGH Verhaltensweisen im Vorfeld ausscheiden will, wenn jemand nicht auch als (Mit-)Urheber der unrichtigen oder unvollständigen Erklärung anzusehen ist. Ihm zur Folge soll für die Annahme der Mittäterschaft der Mittäter entweder nach außen erkennbar als Garant in Erscheinung treten oder sonst den Inhalt als auch die Abgabe mit beherrschen; hingegen weiter BGH v. 25.9.2012 – 1 StR 407/12, DStR 2013,268. 6 BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, wistra 2003,100. 7 BGH v. 6.10.1989-3 StR 80/89, NStZ 1990,80. 8 BGH v. 4.2.2003 – GSSt 1/02, BGHSt 48, 189. 9 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37,106; vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 107 f., der zutreffend auf die inhaltliche Urheberschaft und die Frage der wohl objektiven Zurechnung abstellt. 10 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 387, die beispielsweise anführen, dass auch der für den technischen Bereich zuständige Geschäftsführer einer GmbH bei ausreichender Kenntnis Täter des § 370 Abs. 1 Nr. 2 sein kann. 11 BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, BGH St 48, 52 (56).

566 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.470 Kap. 11

4. Mittäterschaft durch Unterlassen Mittäterschaft kann auch durch Unterlassen begangen werden (z.B. zwei Geschäftsführer einer GmbH, oder ein Strohmann-Geschäftsführer und der faktische Geschäftsführer)1, etwa bei dem Zusammenwirken eines Begehungs- und eines Unterlassungstäters oder bei zwei Unterlassungstätern.2 Die Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO setzt dabei ein „pflichtwidriges Unterlassen“ voraus.3 Bei Sonderdelikten kann nur Mittäter sein, wer die Sondereigenschaft aufweist. Eine Zurechnung der fremden Pflichtverletzung scheidet aus, wenn der Handelnde selbst nicht zu steuerlich erheblichen Angaben verpflichtet ist.4 Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist, wer nach den Steuergesetzen und den strafrechtlichen Erweiterungen zur Aufklärung der Finanzbehörde verpflichtet ist. Täter kann jedoch nur derjenige sein, der nach den Steuergesetzen auch erklärungspflichtig ist. Eine Zurechnung fremder Pflichtverletzungen über § 25 Abs. 1 Satz 2 oder § 25 Abs. 2 StGB scheidet aus.5 Demgegenüber kann Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als Mittäter auch derjenige begehen, den solche Pflichten nicht treffen.6

11.468

5. Mittelbare Täterschaft a) Einführung Der mittelbare Täter begeht die Tat durch einen anderen (§ 25 Abs. 1 Halbs. 2 StGB), wenn dieser einem Irrtum erliegt, ohne Vorsatz oder fahrlässig handelt.7 Mittelbare Täterschaft kommt vor in Form der Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens, Tatherrschaft kraft überlegenen Willens („Nötigungsherrschaft“) sowie der Tatherrschaft kraft überlegener Organisation/Macht.8

11.469

Mittelbare Täterschaft kommt im Steuerstrafrecht häufig in der Form der Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens vor. Mittelbare Täterschaft liegt bspw. vor, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über den vorzunehmenden Steuerabzug täuscht; wenn bei Publikumsgesellschaften unrichtige Angaben in der Feststellungserklärung gemacht werden und dies zu einer ESt-Verkürzung des Gesellschafters führt, der hiervon keine Kenntnis hat,9 durch Steuerberater gefertigte Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung, die unrichtige oder unvollständige An-

1 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 36. 2 BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, NStZ-RR 2007, 345, Mittäterschaft zur LSt.-Hinterziehung zwischen den (originär für die steuerlichen Pflichten verantwortlichen) Vorstandsmitgliedern eines Fußballvereins und dem (nicht steuerlich verantwortlichen) Aufsichtsratsvorsitzenden. 3 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 36. 4 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218. 5 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013,1177; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 479. 6 BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, wistra 1987, 147. 7 Grundlegend zur Legitimation und zur Kritik an der Gesetzesformulierung Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, 2015, S. 73 ff. 8 BGH v. 19.12.1990 – 3 StR 90/90, wistra 1991,100; OLG Düsseldorf v. 26.8.1988 – 3 WS 512/88, wistra 198 9, 72; BFH v. 31.7.1996 – XI R 82/95, BStBl. II 1996, 554 (verneint für die ungerechtfertigte Ausstellung von Spendenquittungen); Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, 2015, S. 103; Roxin GA 1963, 193 ff.; Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965. 9 Meyer in Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 122. Lieferung, § 370 AO 1977 Rz. 226.

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11.470

Kap. 11 Rz. 11.470 | Steuerhinterziehung

gaben enthalten;1 praktische Bedeutung erlangt die Frage nach der mittelbaren Täterschaft im Zollrecht. Eine leichtfertige Steuerverkürzung kann nicht in mittelbarer Täterschaft begangen werden.2 b) Mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft

11.471

Umstritten ist, ob die Figur der Organisationsherrschaft auf Wirtschaftsunternehmen und damit bei § 370 AO Anwendung finden kann. Wulf geht davon aus, dass die Organisationsspitzen dort als Organe selbst Adressaten der steuerlichen Erklärungspflichten sind und daher für eine Zurechnung des Verhaltens von Mitarbeitern kein Raum ist.3 Unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch – insbesondere im unternehmerischen Bereich – auch eine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft in Betracht kommen. Weitere potentielle Anwendungsbereiche sind Umsatzsteuerkarusselle/Streckengeschäfte oder Verbrauchssteuerhinterziehungen im Rahmen mafiöser oder organisierter Strukturen.

11.472

Die überwiegende Ansicht sieht die sogenannte Organisationsherrschaft als eine auf einer festen Hierarchiestruktur basierende Form der Tatherrschaft an, die geeignet ist, eine mittelbare Täterschaft für den Täter hinter dem Täter zu begründen.4 Charakteristisch ist dabei, dass der Vordermann volldeliktisch handelt, d.h. vorsätzlich, rechtswidrig und schuldfähig, indes der Hintermann dennoch mittelbarer Täter ist.5 Das höhere Gewicht ergibt sich aus der spezifischen Wirkungsweise des Machtapparates, der dem Hintermann einer großen kriminellen Organisation zu Gebote stehe. Hinzu kommt die Fungibilität,6 d.h. die in der Regel beliebige Austauschbarkeit des Täters. An die Organisation, die ihren führenden Mitgliedern oder sonstigen Entscheidungsträgern Tatherrschaft verleihen kann, sind nach der ursprünglichen Theorie hohe Anforderungen zu stellen: Aus der Struktur der Organisationsherrschaft folgt nach Roxin, dass eine solche nur dort vorliegen kann, „wo der Apparat als ganzer ausserhalb der Rechtsordnung tatig wird“ (Untergrundbewegung, Geheimbund, Verbrecherbande).7

11.473

Der BGH geht indes davon aus, dass eine solche Situation auch dann vorliegen kann, wenn der Hintermann „durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst“. Derartige Rahmenbedingungen mit regelhaften Abläufen kommen insbesondere bei staatlichen, unternehmerischen, insbesondere mafiaähnlichen,8 bandenmäßigen (Organisierte Kriminalität) oder geschäftsähnlichen Orga1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 11.12.2015 – StbSt (R) 1/15. Wistra 2016, 195, 197. BFH v. 29.10.2013 – VIII R 27/10, DStR 2013, 2694 (2696). Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 389. Roxin, GA 1963, 193, 200; Schroeder, Der Täterhinter dem Täter, 1965, 166; Nack, GA 2006, 342, 343; vgl. auch Krause in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, § 35 Strafrechtliche Haftung von Geschäftsleitern Rz. 6 mwN. Grundlegend BGH v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218; BGH v. 8.11.1999 – 5 StR 632/98, BGHSt 45, 270 ff.; Fischer67, § 35 StGB Rz. 11; Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, 2015, S. 104. Roxin, GA 1963, 193, 200; einschränkend Schroeder Der Täter hinter dem Täter, S. 168, der indes eine Ungehemmtheit des Tatentschlusses voraussetzt und auf diesem Wege zum gleichen Ergebnis gelangt. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 249., solange sich Leitungsorgane und Ausführungsorgane grundsätzlich an eine von ihnen unabhängige (staatliche) Rechtsordnung gebunden fühlten, können Anweisungen zu strafbaren Handlungen nicht tatherrschaftsbegründend wirken. BGH v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, 236; BGH v. 2.11.2007 – 2 StR 384/08, NStZ 2008, 89, 90.

568 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.476 Kap. 11

nisationsstrukturen und bei Befehlshierarchien in Betracht.1 Handelt in einem solchen Fall der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns, ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft. Er besitzt die Tatherrschaft. Er beherrscht das Geschehen auch tatsächlich weit mehr, als dies bei anderen Fallgruppen erforderlich ist, bei denen mittelbare Täterschaft ohne Bedenken angenommen wird, etwa bei Einsatz eines uneingeschränkt verantwortlichen Werkzeugs, das lediglich mangels einer besonderen persönlichen Pflichtenstellung oder mangels einer besonderen, vom Tatbestand verlangten Absicht nicht Täter sein kann.2 Eine derartige Sichtweise wird aber – gerade im unternehmerischen Bereich – nur unzureichend der individuellen Selbstverantwortung und den für Vorstände und Geschäftsführer gesetzlich normierten Pflichten gerecht, lässt das wirtschaftliche Eigeninteresse des unmittelbar Handelnden außer Betracht und ist geeignet, die Grenzen zur Mittäterschaft und zur Anstiftung zu verwischen, die grundsätzlich denselben Strafrahmen aufweisen.

11.474

Mittlerweile stellt der 1. Senat des BGH nur noch auf die „Schaffung und Ausnutzung“ von bestimmten, die Straftat bedingenden Rahmenumständen durch eine Organisationsstruktur ab.3 Der 2. Senat schränkt die Anforderungen an die Annahme mittelbarer Täterschaft dahingehend ein, dass eine Strafbarkeit nur in den Fällen in Betracht kommt, in denen ein Hintermann staatliche, unternehmerische4 oder geschäftsähnliche Organisationsstrukturen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag „regelhafte Abläufe“ auslöst. Eine so verstandene mittelbare Täterschaft komme in Fällen in Betracht, in denen der räumliche, zeitliche und hierarchische Abstand zwischen der die Befehle verantwortenden Organisationsspitze und den unmittelbar Handelnden gegen arbeitsteilige Mittäterschaft spricht.5

11.475

Entsprechende Konstellationen sind vornehmlich im Bereich mafiöser oder bei Annahme organisierter Kriminalitätsstrukturen denkbar. Für den Fall bandenmäßiger oder mafiöser Strukturen – in denen der Nachweis eines tatsachlichen Rechtsverhältnisses mitunter schwie-

11.476

1 BGH v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, 236, der ausdrücklich die Verantwortlichkeit beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen erwähnt; BGH v. 11.12.1997 – 4 StR 323/97, NJW 1998, 767 ff.; vgl. auch Krause in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, § 35 Strafrechtliche Haftung von Geschäftsleitern Rz. 6, die unter bestimmten Umständen eine Geltung auch für Privatunternehmen bejahen; a.A. Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 389. 2 BGH, Urt. v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, 236 unter Verweis auf F.-C. Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965, S. 166. 3 BGH v. 3.7.2003 – 1 StR 453/02, NStZ 2004, 457, bestätigt in BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, BGHSt 49, 147, 163 f. (Bremer Vulkan): Wobei die maßgeblichen Entscheidungen im Vorstand getroffen oder von dort jedenfalls zustimmend zur Kenntnis genommen wurden. Dies würde eine gemeinsame (mittäterschaftliche) strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten als Mitglieder des Organs der Konzernmutter begründen. Zur Kritik vgl. die umfassende Darstellung bei Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, 2015, S. 113, 115 ff., der zutreffend ausführt, dass letztlich nicht klar ist, wann Entscheidungsgewalt Tatherrschaft begründet; vgl. auch Fischer67, § 25 StGB Rz. 14 ff. 4 Zur Kritik vgl. Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 389. 5 BGH v. 2.11.2007 – 2 StR 384/07, NStZ 2008, 89, 90.

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Kap. 11 Rz. 11.476 | Steuerhinterziehung

rig ist1 – kommt auch ein Rückgriff auf die Grundsätze zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht in Betracht, um eine rechtliche Verfügungsbefugnis des steuernden „Hintermanns“ begründen.2

11.477

Im unternehmerischen Bereich wird eine derartige Konstellation ungeachtet der grundsätzlichen Möglichkeit die (theoretische) Ausnahme bleiben. Erklärungspflichtige Geschäftsführer und Vorstände sind in der Regel nicht beliebig austauschbare „Rädchen“ im Getriebe, sondern stellen selbst die originären Adressaten der steuerlichen Erklärungspflichten dar, so dass eine Zurechnung des Verhaltens von Mitarbeitern in derartigen Fällen schwerlich denkbar ist.3

6. Teilnahme a) Einführung

11.478

Teilnahme kommt in Form der Anstiftung (§ 26 StGB) und der Beihilfe (§ 27 StGB) vor. Anstifter ist, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Gehilfe ist indes, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Beide Formen der Teilnahme bedingen eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat (Akzessorietät der Teilnahme). Erforderlich ist mindestens eine strafbare versuchte Steuerhinterziehung. Die Haupttat muss vorsätzlich und rechtswidrig begangen sein. Auf ein schuldhaftes Begehen kommt es nicht an. Erforderlich ist weiter der sogenannte doppelte Teilnehmervorsatz, d.h. der Teilnehmer muss Vorsatz darauf haben, dass der Haupttäter eine vorsätzliche, rechtswidrige Tat begeht, und zudem seinen eigenen Beitrag ebenfalls vorsätzlich erbringen. Die Akzessorietät der Teilnahme wird limitiert durch § 28 StGB. Fehlen beim Anstifter oder Gehilfen besondere persönliche Merkmale, die die Strafbarkeit begründen, ist die Strafe für den Teilnehmer nach §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB zu mildern. Bestimmt das Gesetz hingegen, das persönliche besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen (Amtsträgereigenschaft, bandenmäßige Begehung, Gewerbsmäßigkeit bei § 373 Abs. 1 AO, Annahme eines besonders schweren Falls), so gilt dies nach § 28 Abs. 2 StGB nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem sie vorliegen. Der Anstifter wird gleich einem Täter bestraft. Kommt lediglich Beihilfe in Betracht, ist die Strafe für den Gehilfen zwingend zu mildern. Dies hat weitreichende Konsequenzen, was die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe betrifft.4 1 Zutreffend Madauß, der ausführt, dass aus dem tatsächlichen Verhalten der beteiligten Personen nicht unmittelbar auf einen vertraglichen Rechtsbindungswillen zurückgeschlossen werden kann, da in kriminellen, mafiösen Personengruppen das Verhältnis der Personen zueinander nicht durch vertragliche Regelungen bestimmt werde, sondern der „Hintermann“ die faktisch weisungsabhängigen Personen allein durch seine tatsächliche Machtfülle und das damit verbundene, mehr oder weniger deutlich zu Tage tretende Bedrohungspotential gegenüber den „Strohleuten“ steuere; zu dem Aspekt der Nötigungsherrschaft auch Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 389; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 76. 2 Vgl. auch Boeker in H/H/Sp, § 35 AO Rz. 8 unter Verweis auf BFH v. 11.12.2007 – VII B 172/07, BFH/NV 2008, 748; FG Nds. v. 9.7.1991 – XI 508/90, EFG 1992, 239; Loose in T/K, § 35 AO Rz. 6; Madauß, NZWiSt 2016, 268, 269. 3 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 389; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 29; vgl. auch die Kritik bei Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB30, § 25 StGB Rz. 30; zum Ganzen auch MüKoStGB/Joecks, 25 StGB Rz. 150; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 112.3. 4 Vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 129.

570 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.483 Kap. 11

b) Anstiftung Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat (§ 26 StGB). Fehlen besondere persönliche Merkmale i.S.d. § 14 Abs. 1 StGB, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Anstifter, ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern. Die Tathandlung besteht in der vorsätzlichen Bestimmung eines anderen zur Begehung einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat, indem er den anderen zu einer Tat veranlasst, über die nicht er selbst, sondern der andere die Tatherrschaft haben soll.1

11.479

Bestimmen meint das Hervorrufen des Tatentschlusses durch jedwede Anstiftungshandlung (ausdrücklich, konkludent, mittels Ratschlag).2 Erforderlich ist jedoch ein Akt kommunikativer Natur,3 sodass die bloße Verursachung des fremden Tatentschlusses, etwa durch Schaffung objektiver Tatanreize, nicht genügt.4 Das Bestimmen muss für den Tatentschluss zumindest mitursächlich geworden sein.5

11.480

Auch der Anstifter muss einen so genannten doppelten Teilnehmervorsatz haben, mithin einen Vorsatz, der sowohl auf die Anstiftung als auch auf die Begehung der Haupttat gerichtet ist.6 Ausreichend ist bedingter Vorsatz sowohl hinsichtlich der Bestimmung des anderen als auch hinsichtlich der Vollendung der Haupttat. Der Anstifter muss zumindest um die Steuerart, den Zeitraum und das Ereignis wissen.7 Die konkrete Größenordnung muss er nicht kennen. Der Anstifter kann nur insoweit bestraft werden, wie die Haupttat mit seinem Vorsatz übereinstimmt. In den Fällen, in denen den der Täter mehr tut, als dass wozu ihn der Anstifter bestimmt hat, ist dieser „Exzess“ dem Anstifter nicht zuzurechnen. Dies gilt indes nicht, wenn der Angestiftete lediglich quantitativ mehr Steuern hinterzieht, als vom Vorsatz des Anstifters umfasst.8 Der Vorsatz muss sich auf die Vollendung der Tat, unabhängig davon ob diese eintritt, beziehen. Wer irrtümlich davon ausgeht, der Haupttäter handelt vorsätzlich, macht sich wegen versuchter Anstiftung strafbar.

11.481

Ratschläge steuerlicher Berater zum Kapitaltransfer ins Ausland unter Hinweis auf die vermeintlich schwierige Tatentdeckung fallen jedoch darunter.9 Nicht erforderlich ist, dass der Täter die Kausalität der Anstiftungshandlung für seinen Tatentschluss erkennt. Indes muss das Bestimmen für den Tatentschluss mitursächlich geworden sein.10

11.482

Hinsichtlich neutraler oder berufstypischer Handlungen gelten die allgemeinen Grundsätze. Ist der Vordermann bereits zur konkreten Tat fest entschlossen (omnimodo facturus), ist eine Anstiftung nicht mehr möglich, etwa wenn dem schon entschlossenen Täter Möglichkeiten

11.483

1 Fischer67, § 26 StGB Rz. 2; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 140; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 168. 2 BGH v. 6.7.1956 – 2 StR 87/55, BGHSt. 9, 370 [379]; BGH v. 20.1.2000 – 4 StR 400/99, BGHSt. 45, 373, 374 f.; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 169. 3 BGH v. 5.8.2008 – 3 StR 224/08, NStZ 2009, 393. 4 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 169; Fischer67, § 26 StGB Rz. 3a, 4. 5 BGH v. 20.1.2000 – 4 StR 400/99, BGHSt 45, 373; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 169. 6 BGH v. 4.1.1961 – 2 StR 534/60, BGHSt. 15, 276; BGH v. 25.10.1990 – 4 StR 371/90, BGHSt. 37, 214. 7 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 151; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 170. 8 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 151. 9 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 168; Randt, Steuerfahndungsfall, A 133. 10 BGH v. 20.1.2000 – 4 StR 400/99, BGHSt. 45, 373, 374.

Peters | 571

Kap. 11 Rz. 11.483 | Steuerhinterziehung

zur Geldanlage aufgezeigt werden.1 Es kommt jedoch eine psychische Beihilfe in Betracht. Eine Anstiftung kommt jedoch dann in Betracht, wenn der konkrete Vorschlag, auf welche Weise Steuern hinterzogen werden sollen, vom Anstifter kommt und lediglich vom Täter umgesetzt wird.2 c) Beihilfe aa) Beihilfe durch aktives Tun

11.484

Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat (§ 27 Abs. 1 StGB). Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter, ist jedoch nach § 49 Abs. 1 StGB zwingend zu mildern. Der Gehilfe unterstützt die Tat eines anderen, indem er unterstützende Tätigkeiten erbringt, die in ihrer Gesamtheit nicht so schwer wiegen, als dass von täterschaftlichen Beiträgen ausgegangen werden kann. Hilfeleistung i.S.d. § 27 StGB ist grds. jede Handlung, welche die Herbeiführung des Taterfolges des Haupttäters objektiv fördert.3 Die Hilfeleistung braucht für den Taterfolg nicht im engeren Sinne ursächlich zu sein.4 Ausreichend ist schon die bloße Förderung oder Erleichterung der Haupttat.5 Eine Beihilfe zu einer leichtfertigen Steuerverkürzung ist nicht möglich. Beihilfe kann zwischen Versuchsbeginn und Vollendung und auch bereits während des Vorbereitungsstadiums geleistet werden, nicht aber nach materieller Beendigung der Haupttat.6 Erforderlich ist insoweit, dass die Haupttat im Urteil hinreichend genau, vor allem was die Tatzeit betrifft, festgestellt ist.7

11.485

Gem. § 28 Abs. 1 StGB ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, wenn bei dem Teilnehmer besondere persönliche Merkmale fehlen, welche die Strafbarkeit des Täters begründen. Die Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist nunmehr ein strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB.8 Für die von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Bezug genommene Pflichtenlage legt der BGH diese allerdings – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung9 – dahingehend aus, dass für das auf eine außerstrafrechtliche Pflicht rekurrierende Straftatmerkmal der „Pflichtwidrigkeit“ maßgeblich ist, dass es im Einzelfall eine besondere Pflichtenstellung des Täters beschreibt und damit ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB darstellt.10

1 BGH v. 20.1.2000 – 4 StR 400/99, BGHSt. 45, 373, 374. 2 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 143. 3 BGH v. 18.4.1996 – 1 StR 14/96, BGHSt. 42, 135 [136]; BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt. 46, 107 [109]. 4 BGH v. 24.6.2009 – 1 StR 229/09, wistra 2009, 396; BGH v. 16.5.2013 – 1 StR 68/13, wistra 2013, 353; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 512 f.; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 172. 5 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340 (341); BGH v. 18.4.1996 – 1 StR 14/96, BGHSt 42, 135 (136); Fischer67, § 27 StGB Rz. 2, 14; BGH v. 5.6.2013 – 1 StR 626/12, wistra 2013, 346; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 153 ff. 6 BGH, Beschl. v. 23.1.2019 – 1 StR 450/18, juris unter Verweis auf st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 8.8.2013 – 3 StR 226/13 Rz. 4 m.w.N. und BGH, Beschl. v. 27.11.2012 – 3 StR 433/12 Rz. 5. 7 BGH, Beschl. v. 23.1.2019 – 1 StR 450/18, juris. 8 BGH, Urt. v. 23.10.2018 – 1 StR 454/17, juris Rz. 17. 9 BGH, Urt. v. 25.1.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1; bestätigt durch Beschl. v. 8.2.2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153, 155; vgl. BGH, Urt. v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 231; BGH, Beschl. v. 25.10.2017 – 1 StR 310/16, NStZ 2018, 221, 223 [= wistra 2018, 295 Rz. 28]. 10 BGH, Urt. v. 23.10.2018 – 1 StR 454/17, juris Rz. 18.

572 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.488 Kap. 11

Für den Teilnehmer, der betreffend den jeweiligen Steuervorgang kein Adressat der besonderen Pflichten ist und der sich damit in keiner Vertrauensposition mit Bezug zu strafrechtlich geschützten Rechtsgütern befindet, legt dies nach nunmehriger Ansicht des BGH die Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nahe.1 Bei einem Gehilfen, der im Zeitpunkt der Gehilfenhandlung nicht selbst zur Aufklärung der Finanzbehörde verpflichtet ist, ist nunmehr schon bei der Prüfung, ob ein besonders schwerer Fall i.S.d. § 370 Abs. 3 Satz 1 AO gegeben ist, der vertypte Milderungsgrund des § 28 Abs. 1 StGB alleine oder im Zusammenhang mit dem des § 27 StGB in den Blick zu nehmen. Verbraucht der Tatrichter den oder die Milderungsgründe der §§ 27, 28 StGB nicht durch das Absehen vom Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Satz 2 StPO, ist eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der Milderung nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zu gewähren, es sei denn, das Tatgericht hätte allein wegen Fehlens der Erklärungspflicht Beihilfe statt Täterschaft angenommen.2

11.486

Im Urteil sind detaillierte Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen des Haupttäters erforderlich, insbesondere wenn der Steuerschaden straferschwerend berücksichtigt werden soll. Es ist darzulegen, welche Verkürzungsbeträge dem Teilnehmer zuzurechnen sind und welche Teilbeträge der Haupttäter ggf. unabhängig vom Beitrag des Teilnehmers verwirklicht hat.3 Dies gilt insbesondere bei der Verwendung von Scheinrechnungen.

11.487

bb) Beihilfe durch neutrale Handlungen Beihilfe zur Steuerhinterziehung erfolgt in der Praxis vielfach durch Handlungen, denen per se kein strafrechtlicher Malus anhaftet und die erst über den Kontext und das Wissen der Beteiligten zur strafrechtlich relevanten Beihilfe werden. Die Frage nach dem grundsätzlichen ob und wie der Strafbarkeit neutraler Handlungen ist im Einzelnen heftig umstritten.4

1 BGH, Beschl. v. 13.3.2019 – 1 StR 636/18 (LG Hamburg); BGH, Urt. v. 23.10.2018 – 1 StR 454/17, juris Rz. 18 unter Verweis auf Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 61d; NK-StGB-Puppe, 5. Aufl., § 28 Rz. 69; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 417; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 84; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 125; Grunst, NStZ 1998, 548; Reichling/Lange, NStZ 2014, 311; Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 233 ff.; a.A. Ranft, JZ 1995, 1186; Hake, JR 1996, 162; Cramer, WiB 1995, 525; LK/Schünemann, StGB, 12. Aufl., § 28 Rz. 5 ff.; Krumm in T/ K, § 370 AO Rz. 181; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig2, § 370 AO Rz. 54; Seer in Tipke/Lang 23. Aufl. 2018, § 23 Rz. 26). 2 BGH, Urt. v. 23.10.2018 – 1 StR 454/17, juris Rz. 18 unter Verweis auf Jäger, st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse v. 25.10.2017 – 1 StR 310/16, NStZ 2018, 221, 222 [= wistra 2018, 295 Rz. 23] m.w.N.; v. 27.1.2015 – 4 StR 476/14, wistra 2015, 146 m.w.N.; v. 22.1.2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 118 m.w.N. und v. 25.10.2011 – 3 StR 309/11, NStZ 2012, 630 [= wistra 2012, 72]. 3 BGH v. 24.6.2009 – 1 StR 229/09, wistra 2009, 396; BGH v. 16.5.2013 – 1 StR 68/13, wistra 2013, 353; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 514; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 397. 4 Otto in Festschrift für Lenckner 1998 S. 193, 215; Niedermair, ZStW 107 (1995) S. 507, 539 (Kriterium der Risikoerhöhung); Schild Trappe, Harmlose Gehilfenschaft? Bern 1995 (psychisch vermittelte Kausalität/vorsätzliche Solidarisierung); Schneider, NStZ 2004, 312, 315, 316 (Deliktischer Sinnbezug); Ransiek, Unternehmensstrafrecht 1996 (Verwirklichung pflichtwidrig gesetzter Gefahr), 364; ders. wistra 1997, 42; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten als Problem mittelbarer Erfolgsverursachung: Ein Beitrag zu den Grenzen der Beihilfestrafbarkeit, Baden-Baden 1995 (Verstoß gegen institutionalisierte Erwartungen); LK-Roxin, § 27 Rz. 22 dessen Ansatz im Wesentlichen dem des BGH entspricht; Welzel, Das deutsche Strafrecht 11. Auflage 1969, S. 55 (Lehre von der Sozialadäquanz); Hassemer, wistra 1995, S. 41, 46 (Sozialadäquanz); Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 176.

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11.488

Kap. 11 Rz. 11.489 | Steuerhinterziehung

11.489

Maßgeblich für die Beihilfe zur Steuerhinterziehung1 sind die Entscheidungen des BGH vom 1.8.20002 und 18.8.2003.3 Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter“ und es ist nach Ansicht des BGH als „Solidarisierung“ mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadäquat anzusehen.4

11.490

Das Handeln ist nicht als Beihilfe einzustufen, wenn der Hilfeleistende nicht weiß, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird. Hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ.5 Eine generelle Straflosigkeit von „neutralen“, „berufstypischen“ oder „professionell adäquaten“ Handlungen kommt dagegen nicht in Betracht,6 da nahezu jede Handlung in einen strafbaren Kontext gestellt werden kann.7 Entscheidend ist die objektive Qualität der Unterstützungshandlung im Hinblick auf die Haupttat.8

11.491

Im Wesentlichen erfordert der BGH eine Begrenzung bei solchen Verhaltensweisen, welche der Ausführende jedem anderen in der Lage des Täters gegenüber vorgenommen hätte, weil er mit der Handlung – im Vorhinein (auch) – tat- und täterunabhängige eigene, rechtlich als solche nicht missbilligte Zwecke verfolgt.9 Der BGH unterscheidet zwischen den Fällen, in denen sich der fördernde Beitrag des Gehilfen bereits objektiv nicht als strafbare Beihilfe darstellt, und denjenigen, in denen subjektive Gründe einer Strafbarkeit entgegenstehen. Eine

1 Zur Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Banken vgl. insbesondere Burhoff, PStR 2000, 154 (155); Joecks, WM 1998 Sonderbeilage Nr. 1 S. 13 f.; Löwe-Krahl, Steuerhinterziehung bei Bankgeschäften2, S. 18; Wohlers, NStZ 2000, 169; Wohlleben, Beihilfe durch äußerlich neutrale Handlungen, 1996; Rogat, Die Zurechnung bei der Beihilfe, 1997; El Mourabit, Forum Steuerrecht 2013, 11; Gehm, StBW 2013, 558; Wegner, PStR 2013, 212; vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 164 ff. 2 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340; vgl. auch BGH v. 20.9.2000 – 5 StR 729/98, NStZ 2000,34. 3 BGH v. 18.8.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996 f.; vgl. auch BGH v. 21.8.2014 – 1 StR 13/13, NStZ-RR 2014, 316; v. 22.1.2014 – 5 StR 468/12, ZWH 2014, 433; bestätigt in BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris. 4 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340 unter Verweis auf Löwe-Krahl, wistra 1995, 201 (203). 5 BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, juris. Unter Verweis auf BGH, Beschlüsse v. 26.1.2017 – 1 StR 636/16 Rz. 7, NStZ 2017, 461; v. 21. 12 2016 – 1 StR 112/16 Rz. 30 m.w.N., NStZ 2017, 337 und v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20; Urteile v. 22. 1 2014 – 5 StR 468/12, wistra 2014, 176 und v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 112 ff.; LG NürnbergFürth, Besch. v. 21.2.2019 – 18 Qs 30/17, wistra 2020, 214; LG Köln v. 11.6.2019 – 109 KLS 3/18 zur Vermittlung von Offshore Gesellschaften. 6 Vgl. auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 24 f. 7 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340; vgl. auch BGH v. 20.9.2000 – 5 StR 729/98, NStZ 2000,34.; BGH v. 18.8.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996 f.; Roxin, FS für Miyazawa 1995 S. 501, 515, Fischer67, § 27 Rz. 17. 8 Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB30, § 27 StGB Rz. 13. 9 BGH v. 22.1.2014 – 5 StR 468/12, ZWH 2014, 433; vgl. auch Roxin, StV 2015, 447; Trüg, ZWH 2014, 436; Wohlleben, Beihilfe durch äußerlich neutrale Handlungen, 1996, S. 4.

574 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.495 Kap. 11

strafbare Beihilfe kann etwa zu verneinen sein, wenn dem Handeln des – um die bevorstehende Deliktsverwirklichung wissenden – Täters der „deliktische Sinnbezug“ fehlt, weil das vom Gehilfen geförderte Tun des Haupttäters nicht allein auf die Begehung einer strafbaren Handlung abzielt und der Beitrag des Gehilfen auch ohne das strafbare Handeln des Täters für diesen sinnvoll bleibt, der Gehilfe mithin zwar den Täter, nicht aber unmittelbar dessen strafbares Tun durch seinen Beitrag unterstützt.1 Entscheidend in den Luxemburger Bankenverfahren war die systematische Anonymisierung der Geldtransfers und damit eine Verringerung des Entdeckungsrisikos durch den Bankangestellten (Verschleierung).2

11.492

In Fällen, in denen nicht eine „berufstypische“, sondern vielmehr eine neutrale Alltagshandlung ohne berufstypischen Bezug vorliegt, bedarf die Beurteilung, ob eine strafbare Beihilfe vorliegt, einer besonders eingehenden Prüfung. Die entwickelten Grundsätze zu den berufstypischen neutralen Handlungen sind jedoch auch hier grundsätzlich anwendbar.3 Gibt z.B. jemand einem Schwarzgeldempfänger, den er zuvor selbst bestochen hat, konkrete Hinweise, an welche Personen oder Institutionen sich dieser zwecks Geldtransfer und -anlage in der Schweiz wenden kann oder bietet er gar an, den entsprechenden Kontakt herzustellen, dann liegt es nach Ansicht des BGH nahe, dass er sich die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein lässt.4

11.493

Im Hinblick auf die europäische Kapitalverkehrsfreiheit ist jedoch Zurückhaltung geboten.5 Im Internationalen Steuerstrafrecht ist diese Problematik insofern von Bedeutung, dass das deutsche Strafrecht auch dann Anwendung findet, wenn bspw. ein ausländischer Bankmitarbeiter6 einem deutschen Steuerpflichtigen zu dessen inländischer Steuerhinterziehung aus dem Ausland heraus Hilfe leistet.

11.494

Jaeger geht davon aus, dass der Tatrichter jedenfalls den Gesamthintergrund der Hilfeleistung in seine Betrachtung mit einbeziehen müsse. Man dürfe die vorgenommene Handlung nicht isoliert und ohne Berücksichtigung der äußeren Situation und der konkreten Vorkenntnisse des Hilfeleistenden beurteilen.7 Je mehr die äußeren Gesamtumstände oder das Gesamtsystem auf ein strafbares Vorhaben des Unterstützenden deuten, je mehr der Hilfeleistende über Absichten oder strafbares Verhalten des Unterstützten wisse, und je weniger alltäglich oder berufstypisch die vorgenommene Handlung sei, desto mehr habe er Vorsatz. Zur Bestimmung der Pflichtwidrigkeit soll der Hinweis auf normale alltägliche oder übliche Verhaltensweisen dabei aber kaum ausreichend sein, eine sichere Grenze zu ziehen.8

11.495

1 BGH v.22.1.2014 – 5 StR 468/12, ZWH 2014, 433; vgl. auch Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 179. 2 Vgl. auch BGH v. 18.8.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996 f. 3 BGH v. 18.8.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996 f.; vgl. auch Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB30, § 27 StGB Rz. 13. 4 BGH v. 18.8.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996. 5 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 174; Samson/Schillhorn, wistra 2001, 1; Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 257 f. 6 Vgl. auch den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Steuerstraftaten im Bankenbereich BT-Drucks. 17/14324; BR-Drucks. 117/14. Ausweislich der Gesetzesbegründung stehen insbesondere „komplizierte Modelle zur Steuerumgehung mit Auslandsbezug“ im Fokus. 7 Jaeger, wistra 2000, 344. 8 Ransiek, wistra 1997, 42.

Peters | 575

Kap. 11 Rz. 11.496 | Steuerhinterziehung

11.496

Ein starkes Indiz kann sein, ob das ganze Verhalten/Unternehmen auf die Hinterziehung von Steuern (z.B. Kassenmanipulationssysteme/Manipulationssoftware/Zapper1/Verwendung oder Vermittlung von Offshore Gesellschaften2) oder auf das Vorenthalten von Arbeitnehmerentgelt ausgerichtet ist. Dann ist aber bereits fraglich, ob noch von einer neutralen Handlung gesprochen werden kann. Wirkt ein Mitarbeiter insoweit an der Erstellung unrichtiger Erklärungen mit und ist sein Beitrag für ein legales Verhalten nicht zu verwerten, stellt dies einen deliktischen Sinnbezug her.3 Das bloße, tatenlose Dulden des Nichtvesteuerns von Einnahmen taugt für sich genommen als Beihilfe nicht.4

11.497

Handlungen von Bankmitarbeitern/Vermögensverwaltern, die in der Regel für eine Beihilfe sprechen, sind das gebührenpflichtige Angebot, keine Erträgnisaufstellungen nach Deutschland zu übersenden, spurenlose Übergabe von Bargeld5, Beratung über Vermeidung inländischer Steuern durch Geldtransfer ins Ausland unter Verwendung von Aliasnamen,6 Vermittlung von Offshore Gesellschaften7, die Erteilung von Ratschlägen keine Vermögenswerte in die Schweiz mitzunehmen, Angebot von Lebensversicherungsmänteln (wraps), Verschleierungsmaßnahmen8 (Nummernkonto, Alibikonto),9 Verschleierung von Kapitaltransfers ins Ausland.10 Nicht erfasst sind aber bankübliche Auslandsgeschäfte11 und solche Tätigkeiten, die im Rahmen der unionsrechtlichen Vorgaben erfolgen.12

11.498

Der Bankangestellte in BGH vom 1.8.200013 – handelte zumeist autonom, fast schon täterschaftlich; – hatte eine spezielle Zuständigkeit für Auslandsanlagen; – besaß eine eigene Entscheidungskompetenz; – nutzte ein bereits vorhandenes und eigens dazu errichtetes hausinternes Verschleierungssystem; – konnte auf eine legale Alternativmöglichkeit über die Verwendung von Sammelkonten zurückgreifen; – hielt die relevanten Kontoeröffnungsunterlagen bereits vorrätig und übernahm das Ausfüllen selbiger;

1 FG Rh.-Pf. v. 7.1.2015 – 5 V 2068/14, DStRE 2016, 40, solche Software/Programme können bei lebensnaher Betrachtung keinen anderen Zweck als die Verheimlichung von Bareinnahmen haben, so auch Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 177. 2 LG Köln v. 11.6.2019 – 109 KLs 3/18, wistra 2020, 34. 3 Ebenso Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 412. 4 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 180; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 178; Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 410. 5 LG Köln v. 11.6.2019 – 109 KLs 3/18, wistra 2020, 34. 6 BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996. 7 LG Köln v. 11.6.2019 – 109 KLs 3/18, wistra 2020, 34. 8 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 177. 9 LG Düsseldorf v. 21.11.2011 – 10 KLs 14/11, juris. 10 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB30, § 27 StGB Rz. 13. 11 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 180. 12 Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 2 Rz. 264. 13 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340.

576 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.501 Kap. 11

– wurde von den Kunden extra aufgrund seiner Sachkunde für solche Dienste in Anspruch genommen; – handelte in einem besonderen „Zeit-Umstands“ Moment, kurz vor Erlass des Zinsabschlagsgesetzes; – füllte bestimmungswidrig die Namensfelder der Bareinzahlungsformulare mit falschen Namen aus. cc) Beihilfe durch Unterlassen Für die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen ist nicht erforderlich, dass die unterlassene Handlung den Taterfolg verhindert hätte. Denn zum Tatbestand der Beihilfe durch tätiges Handeln gehört nicht, dass dieses für den Erfolg der Handlung des Haupttäters kausal geworden ist, sondern es genügt, wenn die Handlung des Haupttäters gefördert oder erleichtert wird. Es genügt daher für eine Beihilfe durch Unterlassen, dass der Gehilfe in der Lage ist, durch seine Tätigkeit die Vollendung der Tat zu erschweren. Die allgemeinen Garantenpflichten spielen grundsätzlich nur eine untergeordnete Rolle, da der behördenfremde Bürger nicht „Hüter“ des Steueranspruchs ist. Die steuerliche Garantenpflicht hat gerade durch § 153 AO eine besondere Ausprägung erfahren, die nicht umgangen werden darf. Nur ausnahmsweise kommt eine Garantenstellung aus Ingerenz in Betracht.1

11.499

dd) Beihilfe im besonders schweren Fall Für eine Beihilfe im besonders schweren Fall ist nicht entscheidend, dass sich die Tat des Haupttäters, zu der Beihilfe geleistet wird, als besonders schwerer Fall erweist.2 Entscheidend ist, ob das Gewicht der Beihilfehandlung selbst die Annahme eines besonders schweren Falles rechtfertigt. Dies gilt nicht nur in Fällen unbenannter besonders schwerer Fälle, sondern auch dann, wenn im Wege einer Gesamtwürdigung zu klären ist, ob die Indizwirkung eines oder mehrerer Regelbeispiele für besonders schwere Fälle widerlegt ist.3 Die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels kann aber durch Strafzumessungsfaktoren, die nur beim Teilnehmer zu verzeichnen sind, kompensiert werden, so dass die Regelwirkung allein für den Teilnehmer entkräftet ist.4 Das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes Beihilfe kann indes Anlass sein, einen besonders schweren Fall zu verneinen.

11.500

ee) Tateinheit/Tatmehrheit Ob das Verhalten eines Tatbeteiligten eine Einheit oder eine Mehrheit von Handlungen bildet, richtet sich nicht nach der Haupttat, sondern nach dem Tatbeitrag, den der Beteiligte geleistet hat.5 Tatmehrheit gem. § 53 StGB ist anzunehmen, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere selbstständige Taten gefördert werden, also den Haupttaten jeweils eigenständige Beihilfehandlungen zuzuordnen sind (zu den Konkurrenzen vgl. auch unter Rz. 11.574 ff.). Nach Beendigung der Haupttat ist eine Beihilfe nicht mehr möglich. 1 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 237 f. 2 BGH v. 23.11.2000 – 3 StR 225/00, wistra 2001, 105; BGH v. 27.1.2015 – 1 StR 142/14, wistra 2015, 235. 3 Kinzig in Schönke/Schröder, StGB30, Vor §§ 38 StGB Rz. 51. 4 Kinzig in Schönke/Schröder, StGB30, Vor §§ 38 StGB Rz. 51. 5 BGH v. 17.10.1995 – 1 StR 372/95, wistra 1996, 140; Fischer67, § 27 StGB Rz. 31.

Peters | 577

11.501

Kap. 11 Rz. 11.502 | Steuerhinterziehung

d) Förderung der Haupttat

11.502

Der Beitrag des Teilnehmers muss die Begehung der Haupttat „fördern“.1 Die Handlung des Teilnehmers muss bei einer ex ante Betrachtung tauglich gewesen sein, den tatbestandlichen Erfolg zu verursachen.2 Der strafrechtliche Vorwurf kann indes nicht daran anknüpfen, dass der Beteiligte überhaupt erst den verkürzten Steueranspruch entstehen lässt,3 bspw. der Übersetzer, der seinem ausländischen Täter ermöglicht, im Inland eine GmbH zu gründen. e) Doppelter Gehilfenvorsatz

11.503

Der Gehilfe muss doppelten Vorsatz haben.4 Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern; Einzelheiten der Haupttat braucht er nicht zu kennen. Die Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Ob der Gehilfe den Erfolg der Haupttat wünscht oder ihn eher vermeiden würde, ist nicht entscheidend. Es reicht, dass die Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern oder zu erleichtern, und der Hilfeleistende dies weiß. Unter dieser Voraussetzung ist der Vorsatz selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn der Gehilfe dem Täter ausdrücklich erklärt, er missbillige die Haupttat. Anerkannt ist, dass der Gehilfe zunächst die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennen muss. Welche Tatumstände dabei als die jeweils wesentlichen Merkmale der Haupttat anzusehen sind, ist eine Frage des Einzelfalls.5 aa) Vorsatz bezüglich der Hilfeleistung

11.504

Der Gehilfe muss vorsätzlich bzgl. der geleisteten Hilfe handeln. Welche Anforderungen insoweit zu stellen sind, hängt davon ab, wie man die Worte „Hilfe geleistet hat“ auslegt.6 Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern. bb) Vorsatz bezüglich Vollendung der Haupttat

11.505

Der Gehilfe muss die Vollendung der Haupttat wollen. Weiß oder glaubt der Gehilfe, dass sein Tun kein taugliches Mittel zur Unterstützung der Haupttat ist, fehlt es am Gehilfenvorsatz.7 Nicht vorsätzlich handelt, wessen Tun zwar objektiv einen geeigneten Tatbeitrag darstellt, der Betreffende sich aber nicht bewusst ist, dass dadurch eine konzeptionierte Tat unterstützt wird. Weiß der Gehilfe oder glaubt er, dass sein Tun kein taugliches Mittel zur Förderung der Haupttat ist, fehlt es ebenso am Gehilfenvorsatz. In der Praxis wird hier zumeist nicht ausreichend differenziert, insbes. wenn eine Beihilfehandlung von Beratern im Raum steht.

1 BGH v. 24.6.2009 – 1 StR 229/09, wistra 2009, 396; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB30, § 27 StGB Rz. 3 ff. m.w.N. 2 Ebenso Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 414. 3 BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371, 375. 4 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 211; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB30, § 27 StGB Rz. 19 m.w.N. 5 BGH v. 21.4.1986 – 2 StR 661/85, BGHSt 34, 63; Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 81. 6 Joecks in MK-StGB4, § 27 StGB Rz. 81. 7 RG v. 10.12.1925 – 2368/25, BGH v. 21.1.1954 – 3 StR 240/53, SK/Hoyer, § 27 Rz. 36.

578 | Peters

C.XXIII. Täterschaft und Teilnahme | Rz. 11.507 Kap. 11

f) Einzelfälle

11.506

Eine Beihilfe wurde bejaht für: – Rechnungssplitting bei gewerblichem Zwischenhändler;1 – Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch das Ausstellen von Scheinrechnungen für nicht getätigte Lieferungen oder Leistungen – Rechnungssplitting bei gewerblichem Zwischenhändler wegen Verstoß gegen § 144 AO;2 – anonymisierter Kapitaltransfer ins Ausland durch Bankmitarbeiter;3 – wissentliche Mitwirkung des Arbeitnehmers an der Erstellung unzutreffender Steuererklärungen;4 – Vermietung Garage in Schmuggelfällen;5 – Ermöglichung von Schwarzarbeitsleistung durch Kolonnenführer;6 – Vermietung Containerlagerfläche gegen das Doppelte des üblichen Entgelts;7 – erkennbar zu niedrige Rohgewinnaufschläge bei Steueranmeldungen aufgrund selbstgeschätzter Zahlen durch Steuerberater;8 – Verschleierung Gehaltszahlung an Fußballspieler durch Abschluss eines vorgeschobenen Werbevertrages mit einem Dritten.9 Eine Beihilfe wurde verneint für: – Beauftragung eines Unternehmers, der Einnahmen oder gezahlte Löhne nicht versteuert;10 – Tipp zur Geldanlage in der Schweiz als solches.11 g) Rechtsfolgen der Beihilfe Neben einer Anklage oder Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung kommt – namentlich bei Beihilfehandlungen von Kreditinstituten – die Verhängung einer Verbandsgeldbuße gem. § 30 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3, § 17 Abs. 4 OWiG i.V.m. § 149, § 150 Abs. 2, § 153, § 168 AO, § 27 StGB, jeweils in Verbindung mit den einschlägigen Einzelsteuergesetzen in Betracht.12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

BFH v. 8.9.2004 – XI R1/03, wistra 2004, 313. BFH v. 8.9.2004 – XI R 1/03, wistra 2004, 313. BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340, 342. BGH v. 13.4.1988 – 3 StR 33/88, wistra 1988,261; BGH v. 14.12.2010 -1 StR 421/10, wistra 2011, 185. BGH v. 30.9.1992 – 2 StR 397/92, wistra 1993, 59; vgl. auch BGH v. 24.2.1982 – 3 StR 34/82, BGHSt 30, 391. BGH v. 5.6.2013 – 1 StR 626/12, NStZ 2013, 346. BGH v. 15.5.2005 – 5 St R 592/04, wistra 2005, 227. BFH v. 13.8.2007 – VII B 345/06, BFH/NV 2008, 23. BGH v. 20.3.2002 – 5 StR448/01, wistra 2002, 221. BGH v. 23 6. 1992 – 5 StR 75/92, wistra 1990, 299. BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2000, 3299, Beihilfe erst bei konkreten Anlagehinweisen. Vgl. LG Düsseldorf v. 21.11.2011 – 10 KLs 14/11, juris; 34 ff.; zum Ganzen auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 401 AO Rz. 46 ff.

Peters | 579

11.507

Kap. 11 Rz. 11.508 | Steuerhinterziehung

h) Steuerliche Haftung

11.508

Der Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei haftet gem. § 71 AO für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 AO.1

11.509

In steuerlicher Hinsicht setzt eine Haftung nach § 71 AO voraus, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt ist und dies nach den Vorschriften der AO und FGO,2 nicht aber der StPO, festgestellt ist.3 Insbesondere sind tatsächliche Feststellungen etwa dazu vonnöten, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass, wer Kapital anonym ins Ausland verbringt, auch Steuern hinterzieht, existiert nicht.4

XXIV. Ausgewählte Ordnungswidrigkeiten im Internationalen Steuerstrafrecht 1. Allgemeines 11.510

Mit dem Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 24.6.2017 und mit dem Finanzkontenaustauschgesetz hat der Gesetzgeber neue Ordnungswidrigkeiten-Vorschriften insbesondere mit Auswirkungen im Internationalen Steuerstrafrecht eingeführt. Dabei handelt es sich vornehmlich um eine Reaktion auf die so genannten Panama Paper und Sanktionen im Zusammenhang mit dem so genannten BEPS Projekt (zu den steuerlichen Pflichtenkreisen vgl. Rz. 15.1 ff.).

11.511

Im Wege der zunehmenden Globalisierung können Steuerpflichtige leichter Anlagen über Finanzinstitute außerhalb ihres Ansässigkeitsstaats tätigen, halten und verwalten. Auf diese Weise wurden und werden seit Jahren hohe Geldbeträge im Ausland angelegt und bleiben unversteuert, soweit die Steuerpflichtigen den steuerlichen Pflichten in ihrem Staat oder Gebiet nicht nachkommen. Die USA reagierten bereits 2010 im Wege des Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) in Bezug auf die Einbeziehung ausländischer Kreditinstitute bei der Besteuerung von Kapitalanlagen.5 Ausländische Finanzinstitute müssen danach Verträge mit der amerikanischen Finanzverwaltung abschließen, in denen sie sich verpflichten, Informationen über Finanzkonten amerikanischer Steuerpflichtiger unmittelbar an die amerikanische Finanzverwaltung zu übermitteln (Kontoverbindungen, Erträge, Veräußerungsgewinne, Jahresendkontostände). Die (Straf-)Quellensteuer beträgt 30 % auf Kapitalerträge und bestimmte weitere Zahlungen aus US-Quellen, welche die Finanzinstitute für sich selbst oder ihre Kunden vereinnahmen.

1 Siehe dazu Jope, Haftung des Täters und des Gehilfen einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO, Stbg 2010, 299; Pflaum, wistra 2010, 368; Gehm, Stbg 2010, 165. 2 BFH v. 5.3.1979 – GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl. II 1979, 570; vgl. auch Boeker in H/H/Sp, § 70 AO Rz. 19 ff. 3 BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BStBl. II 2013, 526; BFH v. 20.6.2007 II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1135 f.; El Mourabit, Forum Steuerrecht 2013, 11; Gehm, StBW 2013, 558; Wegner, PStR 2013, 212; Adick/Höink, PStR 2013, 146; Rübenstahl, ZWH 2013, 370. 4 BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BStBl. II 2013, 526 unter Verweis auf BFH v. 20.6.2007 – II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057. 5 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.28 ff.; Rehm, FR 2012, 899; Seer/Gabert, Ubg 2010, 358.

580 | Peters

C.XXIV. Ausgewählte Ordnungswidrigkeiten | Rz. 11.515 Kap. 11

Der praktische Anwendungsbereich der Ordnungswidrigkeiten ist bis dato gering. Neben der Möglichkeit einer Verhängung einer Unternehmensgeldbuße bieten die jeweiligen Vorschriften jedoch die für die Finanzverwaltung probate Möglichkeit, aus dem Ruder gelaufene Steuerstrafverfahren zu beenden und für die betroffenen meldepflichtigen Institutionen empfindliche Geldbußen zu verhängen. Der potentielle Anwendungsbereich für die Praxis ist daher sehr hoch.

11.512

2. Meldepflicht Verletzung bei Auslandsbeziehungen (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO) § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO erfasst den Fall, dass wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen seiner Verpflichtung nach § 138 Abs. 2 oder 3 AO Meldungen von Auslandssachverhalten nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vornimmt, mit einer Geldbuße belegt werden kann.1 Zur Meldepflicht über Beteiligungen und Betriebsstätten im Ausland vgl. Rz. 16.165, 16.212.

11.513

Die Mitteilungspflichten wurden durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 24.6.2017 erheblich verschärft. Nunmehr besteht eine Anzeigepflicht für Geschäftsbeziehungen zu so genannten Drittstaatsgesellschaften. Steuerpflichtige mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Geschäftsleitung oder Sitz im Geltungsbereich der AO (inländische Steuerpflichtige) haben Folgendes mitzuteilen:2

11.514

– die Gründung und den Erwerb von Betrieben und Betriebstätten im Ausland; – den Erwerb, die Aufgabe oder die Veränderung einer Beteiligung an ausländischen Personengesellschaften; – den Erwerb oder die Veräußerung von Beteiligungen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz und Geschäftsleitung außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, wenn – damit eine Beteiligung von mindestens 10 % am Kapital oder am Vermögen der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse erreicht wird oder – die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen mehr als 150 000 Euro beträgt; – die Tatsache, dass sie allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes erstmals unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten einer Drittstaat-Gesellschaft ausüben können; – die Art der wirtschaftlichen Tätigkeit des Betriebs, der Betriebstätte, der Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung, Vermögensmasse oder der Drittstaat-Gesellschaft. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO ist ein Sonderdelikt. Die Meldepflichten des § 138 Abs. 2 AO bestehen nur für die in § 138 Abs. 2 AO aufgezählten Personen. Die Tathandlung besteht in dem Unterlassen der gebotenen rechtzeitigen Meldung bei bestimmten Auslandsbeteiligungen. Hierunter fällt insbesondere die Verlegung eines Betriebs oder einer Betriebsstätte ins Ausland bzw. in ein anderes, weiteres Ausland. Gleichsam ist der Erwerb, die Aufgabe oder die Veränderung einer Beteiligung an ausländischen Personengesellschaften meldepflichtig.

1 Zum Ganzen Talaska in Kohlmann, § 379 AO Rz. 290 ff.; Bülte in H/H/Sp, § 379 AO Rz. 90. 2 BMF v. 5.2.2018, DStR 2018, 356 (358).

Peters | 581

11.515

Kap. 11 Rz. 11.516 | Steuerhinterziehung

11.516

Mit dem Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 24.6.2017 wurden § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 AO mit Wirkung zum 1.1.2018 in das Gesetz eingefügt. Nunmehr besteht gem. § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO eine Meldepflicht für Sachverhalte, die erstmals nach dem 30.12.2017 verwirklicht wurden. Die Meldepflicht gilt, wenn der Meldepflichtige allein oder zusammen mit einer nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 Buchst. a AStG erstmals unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten einer so genannten Drittstaat Gesellschaft ausüben kann, unabhängig davon, ob diese am Unternehmen formal beteiligt sind oder nicht. Im Falle des Erlöschens besteht keine Meldepflicht. Drittstaat-Gesellschaft ist eine Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind (§ 138 Abs. 3 AO).

11.517

Bestand bereits vor dem 1.1.2018 erstmals unmittelbar oder mittelbar ein beherrschender oder bestimmender Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten einer Drittstaatsgesellschaft, sind diese auch nach dem 1.1.2018 dem zuständigen Finanzamt dann mitzuteilen, wenn dieser Einfluss auch noch am 1.1.2018 fortbesteht. Zu den Bedenken gegen die unbestimmten Rechtsbegriffe des beherrschenden oder bestimmenden Einflusses vgl. die Ausführungen zum entsprechenden Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Nr. 6 AO (Rz. 11.403).1

11.518

Die formellen Voraussetzungen für die Form und Frist der Meldung sind in § 138 Abs. 5 AO normiert. Die Anzeige hat im Rahmen der Steuererklärung zu folgen. Die Anzeigefrist wurde von fünf Monaten auf längstens 14 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das meldepflichtige Ereignis eingetreten ist, verlängert. Zu erwähnen ist, dass die abstrakte Gefährdung des staatlichen Steueranspruchs bereits ausreichend ist. § 379 Abs. 2 AO ist als bloßes Begehungsdelikt formuliert. Tatvollendung tritt bereits mit Fristablauf ein.

3. Verletzung der Pflichten bei Erhebung und Übermittlung von Daten nach § 117 Buchst. c AO (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) a) Allgemeines

11.519

§ 379 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO dient der Einhaltung von Regelungen über die Erhebung und Übermittlung von Daten, die gem. § 117 Buchst. c Abs. 1 AO zu Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen zur Förderung der Steuerehrlichkeit getroffen worden sind. Die Regelung des § 117 Buchst. c AO knüpft dabei an die zwischenstaatliche Vereinbarung zum automatischen Informationsaustausch an. Schwerpunktmäßig sollen Steuerhinterziehungshandlungen im Bereich der Kapitaleinkünfte erfasst werden. Die Regelungen werden flankiert durch die Prüfungsbefugnis des BZSt nach § 117 Buchst. c Abs. 3 AO i.V.m. §§ 193 ff. AO.2 b) Exkurs: FKAuStG

11.520

Bereits am 20.7.2013 billigten die Finanzminister und Notenbankgouverneure der G20 den OECD-Vorschlag zu einem globalen Modell für den automatischen Austausch im multilate1 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. auch Bülte in H/H/Sp, § 379 AO Rz. 99 ff.; Talaska in Kohlmann, § 379 AO Rz. 305 f. 2 Zum Ganzen auch Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.28 ff.; Marquard/Betzinger, BB 2014, 3033; Perkams, wistra 2015, 456.

582 | Peters

C.XXIV. Ausgewählte Ordnungswidrigkeiten | Rz. 11.522 Kap. 11

ralen Rahmen. Am 6.9.2013 bekräftigten die Staats- und Regierungschefs der G20 diese Botschaft. Daraus resultierte der am 15.7.2014 verabschiedete neue globale Standard für den internationalen automatischen Informationsaustauch in Steuersachen (AIA) der OECD, bestehend aus dem Standard für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten1 und einer Mustervereinbarung. An der Plenarversammlung des Global Forum über Transparenz und den Austausch von Informationen für Steuerzwecke (Global Forum) vom 29.10.2014 in Berlin haben sich fast 100 Staaten zur Einführung des neuen globalen Standards bekannt. Die meisten Staaten haben den ersten Austausch für 2017 angekündigt, die Schweiz, für 2018. Der neue globale Standard des AIA sieht vor, dass Finanzinstitute, mithin Banken, bestimmte kollektive Anlageinstrumente und Finanzinformationen ihrer Kunden sammeln, sofern diese im Ausland steuerpflichtig sind. Diese Informationen umfassen alle Kapitaleinkommensarten und den Saldo des Kontos. Diese Informationen werden automatisch, in der Regel einmal jährlich, an die Steuerbehörde übermittelt, welche die Daten an die für den Kunden zuständige Steuerbehörde im Ausland weiterleitet. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Steuersubstrat im Ausland vor dem Fiskus versteckt werden kann. Die Anerkennung des AIA erfolgte in den Vertragsstaaten durch Unterzeichnung der multilateralen Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten (MCAA, Multilateral Competent Authority Agreement).2

11.521

Auf Bundesebene wurde Ende 2015 das entsprechende Ratifikationsgesetz, das Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten (Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz – FKAustG) verabschiedet.3 Erklärtes Ziel des Gesetzes ist die effektivere Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung durch Erhebung und Austausch von Konteninformationen über im Ausland Steuerpflichtige, die Umsetzung des gemeinsamen Meldestandards der OECD zum Informationsaustausch mit EU-Mitgliedstaaten aufgrund der geänderten EU-Amtshilferichtlinie sowie mit Drittstaaten aufgrund der am 29.10.2014 unterzeichneten Mehrseitigen Vereinbarung. Die Übermittlung der erforderlichen Informationen durch die deutschen Finanzinstitute an das BZSt erfolgt für Steuern ab 2016 im September 2017.

11.522

1 http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-den-automatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf. 2 Ges. zu der Mehrseitigen Vereinbarung v. 29.10.2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten v. 21.12.2015, BGBl. II 2015, 1630; vgl. auch https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Ver ordnungen/2015-12-30-G-z-d-Mehrseitigen-Vereinbarung-vom-29-Oktober-2014-zw-d-zustaend igen-Behoerden-ueber-d-automatischen-Austausch-v-Informationen-ueber-Finanzkonten.html und https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2015/ 07/2015-06-15-PM28.html. 3 Ges. zum Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze v. 21.12.2015, BGBl. II 2015, 2531; vgl. auch BT-Drucks. 18/5920: BT-Drucks. 18/6667; Czakert, DStR 2015, 2697; vgl. auch Ges. zu der Mehrseitigen Vereinbarung v. 29.10.2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten v. 21.12.2015, BGBl. II 2015, 1630. Geänderte RL 2011/16/EU v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (Amtshilferichtlinie), ABl. EU Nr. L 64 v. 11.3.2011, S. 1; ABl. EU Nr. L 359 v. 16.12.2014, S. 1.

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Kap. 11 Rz. 11.523 | Steuerhinterziehung

11.523

Das FKAustG sieht vor, dass das BZSt den zuständigen Behörden der anderen EU-Mitgliedstaaten sowie Drittstaaten die Daten nach dem gemeinsamen Meldestandard zum automatischen Austausch von Informationen zu Finanzkonten in Steuersachen elektronisch übermittelt. Es handelt sich hierbei insbes. um die Mitteilung von: – Name, Anschrift, Steueridentifikationsnummer sowie Geburtsdatum und -ort jeder meldepflichtigen Person; – Kontonummer; – Jahresendsalden der Finanzkonten; – gutgeschriebene Kapitalerträge, einschließlich Einlösungsbeträgen und Veräußerungserlösen. Im Gegenzug sind die anderen Unterzeichnerstaaten bzw. Mitgliedstaaten, z.B. die Schweiz,1 verpflichtet, entsprechende Informationen zu Finanzkonten von in der Bundesrepublik Deutschland steuerpflichtigen Personen zu übermitteln. Zuständig in Deutschland ist das BZSt. c) Gemeinsamer Meldestandard nach OECD

11.524

Der gemeinsame – mithin für alle beteiligten Länder geltende – sog. Meldestandard2 enthält die Melde- und Sorgfaltspflichten, die dem automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten zugrunde liegen. Der Meldestandard enthält (1) ein Muster3 für eine Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden („Mustervereinbarung“) und den gemeinsamen Melde- und Sorgfaltsstandard für Informationen über Finanzkonten („gemeinsamer Meldestandard“). Zusammen bilden sie den gemeinsamen Standard für die Erfüllung der Meldeund Sorgfaltspflichten sowie den Informationsaustausch in Bezug auf Informationen über Finanzkonten. Im Rahmen dieses Standards erhalten Staaten und Gebiete von den meldenden Finanzinstituten jährlich Finanzinformationen zu allen von den Finanzinstituten anhand der gemeinsamen Verfahren zur Erfüllung der Melde- und Sorgfaltspflichten identifizierten meldepflichtigen Konten und tauschen diese automatisch mit ihren jeweiligen Austauschpartnern aus. Geregelt sind auch Art und Umfang der zu übermittelnden Informationen.

11.525

Der Meldestandard beinhaltet folgende Angaben (vgl. auch § 2 FKAustG): – Name, die Anschrift, die Steueridentifikationsnummer oder -nummern sowie bei natürlichen Personen das Geburtsdatum und der Geburtsort jeder meldepflichtigen Person, die Inhaber eines meldepflichtigen Kontos ist, sowie bei einem Rechtsträger, der Kontoinhaber ist und für den nach Anwendung von Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten gemäß dem Gemeinsamen Meldestandard eine oder mehrere beherrschende Personen ermittelt wurden, die meldepflichtige Personen sind, der Name, die Anschrift und die Steueri-

1 Vgl. Erläuternder Bericht zur multilateralen Vereinbarung der zuständigen Behörden über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten und zu einem Bundesgesetz über den internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen https://www.admin.ch/ch/ d/gg/pc/documents/2620/Automatischer-Informationsaustausch_Erl.-Bericht_de.pdf. 2 http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-den-automatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf. 3 S. 15 http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-den-automatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf.

584 | Peters

C.XXIV. Ausgewählte Ordnungswidrigkeiten | Rz. 11.528 Kap. 11

dentifikationsnummer oder -nummern des Rechtsträgers sowie der Name, die Anschrift, die Steueridentifikationsnummer oder -nummern, das Geburtsdatum und der Geburtsort jeder meldepflichtigen Person; – Kontonummer; – Name und ggf. die Identifikationsnummer des meldenden Finanzinstituts; – der Kontosaldo oder Kontowert einschließlich des Barwerts oder Rückkaufwerts bei rückkaufsfähigen Versicherungs- oder Rentenversicherungsverträgen zum Ende des betreffenden Kalenderjahrs oder eines anderen geeigneten Meldezeitraums; – ggf. die Auflösung des Kontos; – bei Verwahrkonten der Gesamtbruttobetrag der Zinsen, der Gesamtbruttobetrag der Dividenden und der Gesamtbruttobetrag anderer Einkünfte; – die Gesamtbruttoerlöse aus der Veräußerung oder dem Rückkauf von Finanzvermögen; – bei Einlagenkonten der Gesamtbruttobetrag der Zinsen; – bei allen anderen Konten der Gesamtbruttobetrag, der in Bezug auf das Konto während des Kalenderjahrs oder eines anderen geeigneten Meldezeitraums an den Kontoinhaber gezahlt oder ihm gutgeschrieben wurde und für den das meldende Finanzinstitut Schuldner ist. Der Begriff „Finanzinformationen“ bedeutet dabei Zinsen, Dividenden, Kontosalden, Einkünfte aus bestimmten Versicherungsprodukten, Verkaufserlöse aus Finanzvermögen und sonstige Einkünfte aus in dem Konto gehaltenem Vermögen oder in Bezug auf das Konto geleistete Zahlungen.

11.526

Meldepflichtige Konten sind Konten von natürlichen Personen und Rechtsträgern (einschließlich Trusts und Stiftungen), wobei der Standard auch die Pflicht zur Prüfung passiver Rechtsträger und Meldung der beherrschenden Personen beinhaltet.1 Die Mustervereinbarung ist als Vereinbarung auf Gegenseitigkeit gestaltet, ausgehend von dem Grundsatz, dass der automatische Austausch gegenseitig erfolgt. Mit der Verpflichtung zur Auskunftserteilung des ersuchten Staates korrespondiert auf Abkommensebene der Auskunftsanspruch des ersuchenden Staates.2

11.527

Die unter den Standard fallenden Finanzinstitute umfassen Verwahrinstitute, Einlageninstitute, Investmentunternehmen und spezifizierte Versicherungsgesellschaften, es sei denn, bei ihnen besteht ein geringes Risiko, dass sie zur Steuerhinterziehung missbraucht werden, und sie sind von der Meldepflicht ausgenommen. Die Finanzinstitute haben (vgl. auch § 6 FKAUStG) zur Wahrung der Melde- und Sorgfaltspflichten zu den von ihnen geführten Konten die steuerliche Ansässigkeit des Konteninhabers zu erheben und seinem Konto zuzuordnen, unabhängig davon, ob es sich bei dem Kontoinhaber oder dem sonstigen Kunden um eine meldepflichtige Person im Sinne der Melde- und Sorgfaltspflichten nach diesem Gesetz handelt. Bei der Erhebung der steuerlichen Ansässigkeit

1 Teil 1 III Nr. 18 (S. 12) http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-denautomatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf. 2 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, S. 131; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 22; Czakert in Schönfeld/Ditz2, Art. 26 OECD-MA Rz. 6.

Peters | 585

11.528

Kap. 11 Rz. 11.528 | Steuerhinterziehung

gelten die von den Finanzinstituten geführten Konten insoweit als Konten, für die die Meldeund Sorgfaltspflichten nach diesem Gesetz einzuhalten sind; dies schließt auch die Erhebung der Steueridentifikationsnummer ein. Die zu meldenden Finanzinformationen umfassen Zinsen, Dividenden, Kontosalden, Einkünfte aus bestimmten Versicherungsprodukten, Verkaufserlöse aus Finanzvermögen und sonstige Einkünfte aus in dem Konto gehaltenem Vermögen oder in Bezug auf das Konto geleistete Zahlungen.

11.529

Meldepflichtige Konten umfassen auch die Konten von Rechtsträgern (einschließlich Trusts und Stiftungen). Der Meldestandard enthält auch die Pflicht zur Prüfung passiver Rechtsträger und zur Meldung der beherrschenden Personen.1 Die Ansässigkeit von Trusts, die passive NFEs sind, bestimmt sich in Deutschland bspw. nach § 25 FKAUStG, wonach ein Rechtsträger, wie eine Personengesellschaft, eine Limited Liability Partnership oder ein ähnliches Rechtsgebilde, bei dem keine steuerliche Ansässigkeit nach § 19 Nr. 37 FKAuStG vorliegt, als in dem Staat ansässig gilt, in dem sich der Ort seiner tatsächlichen Geschäftsleitung befindet. Um jedoch aufgrund des breiten Geltungsbereichs des Begriffs „beherrschende Personen“ bei Trusts Doppelmeldungen zu vermeiden, gilt ein Trust, der ein passiver NFE ist, gem. § 25 FKAuStG nicht als ähnliches Rechtsgebilde.

11.530

Dabei haben die Finanzinstitute sogar ggf. zu eruieren, ob der Rechtsträger ggf. ein passiver Non Financial Entity („NFE“) ist, bei dem dann die Ansässigkeit der beherrschenden Personen zu ermitteln ist. Damit soll verhindert werden, dass der automatische Informationsaustauch durch Zwischenschaltung einer juristischen Person oder eines anderen Rechtsgebildes umgangen wird.2 Der Begriff „passiver NFE“ wird in Abschnitt VIII Unterabschnitt D Nr. 8 des gemeinsamen Meldestandards dahingehend definiert, dass es sich um einen Rechtsträger handelt, der kein Finanzinstitut ist und kein Handels-, Fabrikations- oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreibt. Ein Trust oder eine Stiftung mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Trust gilt typischerweise als passiver NFE. Der Meldestandard enthält unterschiedliche Sorgfaltspflichten, je nachdem ob es sich um neue, bestehende oder Konten von geringerem Wert handelt Der Ausdruck „Konto von geringerem Wert“ bedeutet ein bestehendes Konto natürlicher Personen mit einem Saldo oder Wert von höchstens 1.000.000 US-Dollar (§ 19 Nr. 31 FKAUStG).3

11.531

Bei bestehenden Konten mit hohem Wert von Rechtsträgern müssen die Finanzinstitute ggf. – rückwirkend(!)4 – feststellen, ob der Rechtsträger selbst eine meldepflichtige Person ist, was in der Regel anhand vorliegender Informationen oder bei Bedarf über eine Selbstauskunft geschehen kann (vgl. auch § 12 FKAUStG). Es muss durch die Bank eine elektronische Indiziensuche durchgeführt werden. Weiter ist eine Suche in den Papierunterlagen vorgesehen, wenn die elektronisch durchsuchbaren Datenbanken des meldenden Finanzinstituts die nötigen Felder für alle oben genannten Faktoren nicht enthalten, z.B. was Vollmachten oder

1 Teil 1 III Nr. 27 (S. 13) http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-denautomatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf. 2 S. 44 http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-den-automatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf. 3 S. 38 http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-den-automatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf. 4 Teil 1 III Nr. 28 (S. 14) http://www.oecd.org/ctp/exchange-of-tax-information/standard-fur-denautomatischen-informationsaustausch-von-finanzkonten.pdf; Perkams, wistra 2015, 456 (462).

586 | Peters

C.XXIV. Ausgewählte Ordnungswidrigkeiten | Rz. 11.534 Kap. 11

Zeichnungsberechtigungen betrifft. Auf diese Weise können auch wirtschaftlich Berechtigte ermittelt werden. Bei Neukonten von Rechtsträgern müssen dieselben beiden Überprüfungen wie bei bestehenden Konten durchgeführt werden. Um zu bestimmen, ob und in welchem Staat ein Rechtsträger eine meldepflichtige Person ist, muss das meldende Finanzinstitut eine Selbstauskunft beim Rechtsträger einholen und deren Plausibilität überprüfen. Ähnliche Anforderungen gelten für Konten von hohem Wert von natürlichen Personen (§ 13 FKAUStG). Unabhängig davon, ob das Konto anhand des oben erwähnten Überprüfungsverfahrens als ein meldepflichtiges Konto identifiziert wurde, hat das meldende Finanzinstitut zu bestimmen, ob es sich bei dem Rechtsträger um einen passiven NFE mit beherrschenden Personen handelt, die in einem meldepflichtigen Staat ansässig sind. In bestimmten Fällen muss ein bereits meldepflichtiges Konto auch noch in Bezug auf die beherrschenden Personen des Rechtsträgers gemeldet werden. Dann erfolgt eine Meldung an den Ansässigkeitsstaat des Rechtsträgers und an die Ansässigkeitsstaaten der beherrschenden Personen des Rechtsträgers, sofern mit diesen Staaten der AIA rechtswirksam eingeführt worden ist.

11.532

Beispiel:1 Staat A hat den AIA mit den Staaten B, C und D, nicht aber E eingeführt. Ein passiver NFE ist in Staat E ansässig und ist Inhaber eines Kontos bei einem Finanzinstitut in Staat A. In einem solchen Fall muss das Finanzinstitut in Staat A, obwohl der AIA mit dem Staat E nicht eingeführt wurde, die beherrschenden Personen des passiven NFE identifizieren. Falls diese beherrschenden Personen in den Staaten B, C oder D ansässig sind, erfolgt eine Meldung an diese Staaten. Ist der passive NFE in Staat B ansässig, muss das Finanzinstitut neben der Meldung auch in diesem Fall die dahinter stehenden beherrschenden Personen identifizieren. Sind diese in den Staaten D und E ansässig, erfolgt im Endergebnis eine Meldung an die Staaten B und D.

Bestehende Konten von Rechtsträgern unter 250 000 US-Dollar (bzw. dem entsprechenden Betrag in lokaler Währung) müssen nicht überprüft werden. Bei Neukonten müssen dieselben Überprüfungen wie bei bestehenden Konten durchgeführt werden, etwa die Einholung einer Selbstauskunft (vgl. auch § 16 FKAUStG). Da die Beschaffung einer Selbstauskunft für Neukonten jedoch einfacher ist, gilt hier nicht der Schwellenwert von 250 000 US-Dollar (bzw. der entsprechende Betrag in lokaler Währung).

11.533

§ 28 FKAustG normiert Bußgeldvorschriften, wonach fehlerhafte oder unterlassene Meldungen mit einer Geldbuße von bis zu 5 000 Euro geahndet werden können. Die Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG bleibt jedoch daneben anwendbar. Vor diesem Hintergrund können unweit höhere Geldbußen verhängt werden. d) Länderspezifische Besonderheiten Schweiz Das dem deutschen FKAusStG inhaltlich korrespondierende Bundesgesetz über den internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen (AIA-Gesetz) ist derweil in Kraft.2 Das AIA Gesetz entspricht inhaltlich weitestgehend der Vorgaben der OECD. Auch das Schweizer AIAG hat Strafvorschriften in Art. 32 AIA normiert, für den Fall, dass ein Finanzinstitut die Melde- und Sorgfaltspflichten verletzt oder Umgehungsgeschäfte aktiv unterstützt (Art. 32 AIAG; Geldbuße bis 250.000 Franken). Art. 32 AIAG sieht die Möglichkeit 1 Beispiel aus dem Erläuternden Bericht zur multilateralen Vereinbarung der zuständigen Behörden über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten und zu einem Bundesgesetz über den internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen S. 28 https:// www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/2620/Automatischer-Informationsaustausch_Erl.-Bericht_de.pdf. 2 https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20150665/index.html (30.9.2020).

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11.534

Kap. 11 Rz. 11.534 | Steuerhinterziehung

einer Geldbuße gegen das Unternehmen vor, sofern der einzelne Handelnde nicht identifizierbar ist. Art. 36 AIAG normiert aber darüber hinaus auch die Möglichkeit einer Selbstanzeige. e) Täterkreis

11.535

Täter nach § 379 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO können die in den zu § 117 Buchst. c AO erlassenen Rechtsverordnungen bestimmten Person sein, die von den geregelten Einzelpflichten im Zusammenhang mit der Datenerhebung und Datenübermittlung nach § 117 Buchst. c AO betroffen sind. Die Vorschrift richtet sich primär an Kreditinstitute. Die Finanzinstitute treffen dabei genauer spezifizierte Identifizierungs- und Sorgfaltspflichten, Registrierungspflichten und Meldepflichten. Zuständig für die Entgegennahme und Weiterleitung der Meldungen ist das BZSt.

4. Verletzung der Pflicht zur Erstellung von Country-by-Country-Reports (§ 379 Abs. 2 Nr. 1c AO) 11.536

Ordnungswidrig handelt ferner, wer entgegen § 138a Abs. 1, 3 oder 4 AO eine Übermittlung des länderbezogenen Berichts oder entgegen § 138a Abs. 4 Satz 3 AO eine Mitteilung nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig (§ 138a Abs. 6 AO) macht. Über § 379 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO i.V.m. § 138 Buchst. a AO werden Verstöße gegen die Übermittlung von Mitteilungspflichten im Zusammenhang mit der Erstellung und Übermittlung sogenannter länderbezogener Berichte (Country-by-Country Reports) geahndet.1 Der Umfang der Meldeverpflichtung ergibt sich aus § 138 AO. Es handelt sich ebenfalls um ein Sonderdelikt, dass unter den normierten Voraussetzungen inländische Unternehmen bzw. die verantwortlich handelnden Personen erfasst. Über § 138 Buchst. a Abs. 4 Satz 5 AO gelten die Regelungen jedoch entsprechend auch für inländische Betriebsstätten ausländischer Unternehmen, die in einen Konzernabschluss einbezogen werden. Der strafrechtliche Pflichtenkreis entspricht dabei weitestgehend dem steuerrechtlichen Pflichtenkreis (vgl. Rz. 15.38). Erfasst werden zwei Tathandlungskomplexe. Zum einen die Übermittlung des länderbezogenen Berichts und zum anderen die unzureichende Mitteilung nach § 138 Abs. 4 S. 3 AO über die eine inländische Konzerngesellschaft treffende sekundäre Berichtspflicht.

5. Verletzung der Mitteilungspflicht betreffend die Beziehung zu DrittstaatenGesellschaften (§ 379 Abs. 2 Nr. 1d AO) 11.537

Gem. § 379 Abs. 2 Nr. 1d AO handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig einer Berichts- bzw. Mitteilungspflicht nach § 138b AO nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt. § 379 Abs. 2 Nr. 1d AO wurde gleichsam durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 24.6.2017 in § 379 AO aufgenommen.2 Zusätzlich zur Neuregelung von § 138 Abs. 2 AO wurden entsprechende Aufzeichnungs-, Aufbewahrungs- und Mitteilungspflichten für Finanzinstitute geschaffen. § 138 Buchst. b AO verpflichtet die dort aufgeführten Personen und Gesellschaften unter den weiter bestimmten Voraussetzungen zu Mitteilungen an Finanzbehörden, wenn sie Geschäftsbeziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Drittstaatengesellschaften i.S.d. § 138 Abs. 3 AO vermitteln oder hergestellt haben.

1 Ausführlich zum Ganzen Talaska in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 379 Rz. 430 ff. 2 Vgl. auch BMF v. 5.2.2018 – IV B 5 - S 1300/07, BStBl. I 2018, 289.

588 | Peters

C.XXV. Rechtsfolgen | Rz. 11.538 Kap. 11

Auch hier entspricht der steuerliche Pflichtenkreis weitestgehend dem strafrechtlichen Pflichtenkreis.1 Die Ordnungswidrigkeit ist als Sonderdelikt ausgestaltet. Die mitteilungspflichtigen Stellen ergeben sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 – 3 und 6 Geldwäschegesetz. Die dort genannten Finanzinstitute haben die Mitteilungen vollständig und rechtzeitig zu erstatten. Mitzuteilen ist nur die kausal hergestellte oder vermittelte Beziehung zu Drittstaatengesellschaften. Erforderlich ist jedoch, dass der Verpflichtete positive Kenntnis davon hat, dass der inländische Steuerpflichtige aufgrund der von ihm hergestellten oder vermittelten Beziehung allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.d § 1 Abs. 2 AStG erstmals unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten einer Drittstaat-Gesellschaft ausüben kann.

XXV. Rechtsfolgen Literatur: Baum, Notwendigkeit der gesonderten Feststellung der hinterzogenen Besteuerungsgrundlagen bei Realsteuern, insbesondere bei hinterzogener Gewerbesteuer, DStR 1996, 416; Binnewies, Beweislastverteilung und Beweisnot im Zusammenhang mit § 160 AO, Stbg 2004, 516; Bornheim, Nachweis der Steuerhinterziehung mittels Schätzung, AO-StB 2004, 138; Burkhard, Umgrenzungs-, Informations- und Akzeptanzfunktion im Strafbefehl im Steuerstrafrecht, StraFo 2004, 342; Dörn, Schätzung von Zinseinkünften bei sog. Luxemburg-Anlagen, D-spezial 2002, 3-5 (32/2002); Dörn, Steuerhinterziehung in Schätzungsfällen?, NStZ 2002, 189; Erb, Verteidigungsansätze in Schätzungsfällen, SAM 2007, 122; Griesel, Die Schätzung im Steuerstrafverfahren, PStR 2007, 101; Jäger, Anforderungen an die Sachdarstellung im Urteil bei Steuerhinterziehung, StraFo 2006, 477; Haas, Das Verhältnis der Schätzungen im steuerlichen Ermittlungsverfahren zum Steuerstrafverfahren, in FS 50 Jahre Deutsches Anwaltsinstitut e.V., Bonn 2003, 469; Hild, Berechnung der Steuerverkürzung in einem Steuerstrafverfahren, StC 2008, Nr 6, 26; Hild, Progressionsadäquate Berechnung vorsätzlicher Steuerhinterziehungsbeträge, Stbg 2010, 357; Huber, Weiterentwickelte und neue Methoden der Überprüfung, Verprobung und Schätzung, StBp 2002, 199; Kraztsch, Die Wechselwirkung von Strafverfahren und tatsächlicher Verständigung bzw. Schätzung, PStR 2005, 10; Messner, Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren, AktStR 2007, 227; Nack, Revisibiliät der Beweiswürdigung, StV 2002, 510; Olgemöller/Reddig, Keine „Schätzung“ einer Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren – Klarstellende Rechtsprechung des BFH, Stbg 2007, 225; Pump/Fittkau, Kann, darf oder muss die Vorsteuer geschätzt werden?, UStB 2008, 48; Schmidt-Liebig, Die Schätzung im Steuerrecht, NWB Fach 17, 1847 (41/2004); Stahl, Schätzung von Kapitaleinkünften bei Fehlen plausibler Angaben über die Verwendung und den Verbleib von Geldvermögen, BeSt 2004, 8; Sterzinger, Umfang der verkürzten Steuern bei Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung, UR 2009, 906; Volk, Zur Schätzung im Steuerstrafrecht, FS Kohlmann, Köln 2003, 579; Wegner, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der Steuererklärung, PStR 2008, 92; Werner, Hinterziehungsvorwurf trotz Schätzung?, PStR 2003, 4; Weyand, Anforderungen an Urteile wegen leichtfertige Steuerverkürzung, Information StW 1994, 94; Wiggen, Die Beweiskraft des Zeitreihenvergleichs, StBp 2008, 168.

1. Vorbemerkung Von mindestens ebenso großer Bedeutung wie die Frage nach der Steuerhinterziehung selbst ist gerade im Internationalen Steuerstrafrecht die Frage, was nach der Steuerhinterziehung kommt, also den Steuerpflichtigen nach einer Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage (§ 153a StPO), Erlass eines Strafbefehls (§ 407 StPO), oder Verurteilung erwartet bzw. welche Möglichkeiten im Falle der Verurteilung verbleiben. Insbesondere vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung des BGH zur Frage der Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung

1 Ausführlich zum Ganzen Talaska in Kohlmann, § 379 AO Rz. 407 ff.

Peters | 589

11.538

Kap. 11 Rz. 11.538 | Steuerhinterziehung

und zu den Anforderungen und Reichweite der strafbefreienden Selbstanzeige ist besonderes Augenmerk auf die Darstellung der Steuerhinterziehung im Urteil und die Richtigkeit und Vollständigkeit der Strafzumessungserwägungen zu legen.

2. Einstellung gegen Auflagen, § 153a StPO 11.539

Vor dem Hintergrund der mitunter komplexen steuerrechtlichen (Vor-)Fragen und damit einhergehender Sachverhaltsschwierigkeiten kommt es insbesondere bei internationalen Steuerstrafverfahren überproportional häufig zu einer Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage. Eine Einstellung des Verfahren nach § 398 AO wegen Geringfügigkeit ist eher die Ausnahme. Mit Zustimmung des Gerichts kann jedoch unter Umständen eine Einstellung nach § 153 StPO in Betracht kommen.1 Eine Einstellung kommt zwar grundsätzlich nicht in Betracht, wenn die Klärung einer Rechtsfrage im Raum steht. Es gilt der Grundsatz iura novit curia. Dies gilt auch und insbesondere für die Klärung steuerrechtlich relevanter Vorfragen. Ggf. ist das Verfahren nach § 396 AO auszusetzen. Die Praxis sieht freilich mitunter anders aus und oftmals wird bei internationalen Sachverhalten gerade die komplexe Steuerrechtslage bemüht, um eine Rechtfertigung für ein Vorgehen nach § 153a StPO zu finden. Für die Frage der Schuld sind neben der Schadenshöhe oder der Höhe des Verkürzungsbetrags insbesondere ein Mitverschulden der Finanzbehörde, erhebliche finanzielle Einbußen des Beschuldigten sowie die Komplexität der (Steuer-)Rechtslage relevant. Auch eine unwirksame Selbstanzeige kann Anlass für eine Einstellung sein. Die jüngere Rechtsprechung des BGH2 zur Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung steht einer Einstellung nach § 153a StPO bei Steuerschäden jenseits von 50.000 Euro bei aktivem Tun bzw. 100.000 Euro bei Unterlassen nicht entgegen.3 Es kommt stets auf den Einzelfall an. Die Unschuldsvermutung bleibt von der Einstellung nach § 153a StPO unberührt.4 Zur Frage des transnationalen Strafklageverbrauchs vgl. unter Rz. 4.25 ff.

3. Sachverhaltsdarstellung, Steuerberechnung und Schätzung im Strafurteil a) Anforderungen an die Darstellung der Steuerhinterziehung im Urteil

11.540

An die Darlegung der Steuerhinterziehung im strafgerichtlichen Urteil sind hohe Anforderungen zu stellen. Gleiches gilt, wenn auch in geringerem Umfang, wegen der Umgrenzungsfunktion für die staatsanwaltliche Anklage.5 Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen

1 Zu den Voraussetzungen vgl. Peters in Kohlmann, § 398 AO. 2 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71; BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11, BFH/NV 2011, 1468; BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, NZWiSt 2012, 195. 3 Von einer Grenze von 50.000 Euro ausgehend wohl Voßmeyer/Hammes, Stgb 2009, 62 (65). 4 BVerfG v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90, MDR 1991, 891; BVerfG v. 6.12.1995 – 2 BvR 1732/95, NStZ-RR 1996, 168; OLG Frankfurt v. 12.7.1996 – 1 Ws 82/96, NJW 1996, 3353 (3354). 5 Vgl. hierzu BGH v. 27.5.2009 – 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; BGH v. 16.5.2013 – 1 StR 68/ 13; BGH v. 29.1.2014 – 1 StR 516/13; restriktiver Salditt, Die Tat bei der Hinterziehung von Einkommensteuer, in FS Volk, 2009, 637 (647); Burkhard, StraFo 2004, 342; Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 411 ff., zu den Beweisgrundsätzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 456 ff.

590 | Peters

C.XXV. Rechtsfolgen | Rz. 11.544 Kap. 11

der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann.1 Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen).2 Bei einer Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Steuererklärungen ist der tatsächliche Sachverhalt festzustellen, aus dem sich die geschuldete Steuer ergibt. Die Urteilsgründe haben nicht nur die Summe der vorsätzlich verkürzten Steuern zu beinhalten, sondern auch deren Berechnung im Einzelnen anzugeben.3

11.541

Das Tatgericht ist grundsätzlich nicht gehindert, sich den Steuerberechnungen der Finanzverwaltung anzuschließen, die auf festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauen. Im Urteil muss dann aber zweifelsfrei eine eigenständige Steuerberechnung erkennbar sein.4 Insoweit bedarf es einerseits der Feststellung, welche Steuern seitens der Finanzbehörden zu welchem Zeitpunkt festgesetzt wurden (sog. Ist-Steuer). Weiter ist erforderlich, dass zum einen der tatsächliche Sachverhalt festgestellt wird, aus dem die von Gesetzes wegen geschuldete Steuer folgt (sog. Soll-Steuer). Zum anderen ist die Soll-Steuer als solche festzustellen. Aus der Gegenüberstellung von Soll- und Ist-Steuer ergibt sich dann die verkürzte Steuer.5

11.542

Beispiel: Beispielsweise reicht die bloße Bezugnahme auf die Aussage einer Betriebsprüferin, wonach diese ihren Prüfbericht und die darin errechneten Spekulationsgewinne erläutert habe, weder aus, um die Steuerverkürzungstatbestände für das Revisionsgericht nachvollziehbar und überprüfbar darzulegen, noch ist sie ein Beleg dafür, dass das Landgericht sich tatsächlich eigenständig vom Vorliegen aller die objektiven Tatbestandsmerkmale des § 370 AO ausfüllenden Tatsachen, d.h. dem tatsächlichen Vorliegen von Wertpapieranschaffungs- und -veräußerungsgeschäften eine richterliche Überzeugung gebildet hat.

b) Schätzung im Urteil Die Steuerhinterziehung selbst kann nicht geschätzt werden,6 wohl aber die Höhe der verkürzten Steuer.7 Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen im Strafverfahren ist zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn Belege nicht mehr vorhanden sind. Eine fehlende Buchhaltung befreit nicht von strafrechtlicher Verantwortung. Dies gilt auch dann, wenn keine handelsrechtliche Buchführungspflicht besteht.8

11.543

Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundes-

11.544

1 OLG München v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, juris unter Verweis auf BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08. 2 BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639. 3 OLG München v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, juris unter Verweis auf BGH v. 7.4.1978 – 5 StR 48/ 78. 4 OLG München v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, juris unter Verweis auf BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08. Vgl. auch die Nachweise bei Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 456 ff. 5 BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639. 6 Olgemöller/Reddig, Stbg 2007, 225. 7 BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, NStZ 2007, 589–590; zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 480 ff. 8 BGH v. 28.7.2010 – 1 StR 643/09, wistra 2011, 28.

Peters | 591

Kap. 11 Rz. 11.544 | Steuerhinterziehung

ministeriums der Finanzen zur Anwendung.1 In den Urteilsgründen ist nachvollziehbar darzulegen, wie das Gericht zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist.2 Die Schätzung obliegt dem Tatrichter selbst. Er darf Schätzungen der Finanzbehörden nur dann übernehmen, wenn er von ihrer Richtigkeit unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) überzeugt ist.3 In jedem Fall hat der Tatrichter in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist.4 Die Übernahme einer Schätzung der Finanzbehörden kommt nur dann in Betracht, wenn der Tatrichter diese eigenverantwortlich nachgeprüft hat und von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze überzeugt ist.5 Anzumerken ist, dass das Gericht bei einer bestreitenden Einlassung ohne weitere Anhaltspunkte für Richtigkeit dieser Darstellung im Hinblick auf die Wahl einer geeigneten Schätzmethode nicht allein deshalb Glauben schenken muss, weil es die Behauptung nicht widerlegen kann.6

4. Strafzumessung bei Steuerhinterziehung 11.545

Im Internationalen Steuerrecht werden oftmals hohe Steuerschäden verursacht, insbesondere in Stiftungsfällen, bei grenzüberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen oder bei Unternehmen, etwa bei Verlagerung von Einkünften ins Ausland. Die Strafzumessung im Steuerstrafrecht folgt dabei grundsätzlich den gleichen Regeln und Grundsätzen wie im allgemeinen Strafrecht. Angesichts des geschützten Rechtsguts (hierzu Rz. 11.2) kommt jedoch der Generalprävention stärkere Bedeutung zu.7 a) Überblick

11.546

Die Grundsätze der Strafzumessung sind in § 46 StGB normiert. Dabei ist die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht: – die Beweggründe und die Ziele des Täters, – die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, – das Maß der Pflichtwidrigkeit,

1 BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, BGHR AO § 370 Abs. 1, Steuerschätzung 3 unter Verweis auf Jäger, StraFo 2006, 477 (480 f.) und Joecks, wistra 1990, 52 (54). 2 BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 448/00 unter Verweis auf BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08 – Rz. 11 ff., BGHR StPO § 267 Abs. 1, Steuerhinterziehung 1; vgl. auch BGH v. 25.3.2010 – 1 StR 52/10. 3 St. Rspr., vgl. nur BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 461/04, NStZ-RR 2005, 209 (211); BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 448/00, wistra 2001, 308 (309). 4 BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 461/04, NStZ-RR 2005, 209 (211); BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 448/00, wistra 2001, 308 (309). 5 BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 448/00, wistra 2001, 308 (309). 6 BGH v. 18.8.2009 – 1 StR 107/09 – Rz. 18; BGH v. 4.12.2008 – 1 StR 327/08 – Rz. 8; BGH v. 21.10.2008 – 1 StR 292/08 – Rz. 24; BGH v. 1.7.2008 – 1 StR 654/07 – Rz. 22; BGH v. 19.6.2008 – 1 StR 217/08 – Rz. 19; BGH v. 8.5.2008 – 3 StR 102/08 – Rz. 9. 7 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1005.

592 | Peters

C.XXV. Rechtsfolgen | Rz. 11.550 Kap. 11

– die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, – das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie – sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. Bei der Strafzumessung wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht.1 „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut, das – wie dargelegt (Rz. 11.2) – nach Auffassung des BGH die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens,2 weshalb die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO ist.3 Ungeachtet dessen ist im Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung des BGH eine tarifmäßige Berechnung allein anhand der Schadenshöhe zu verneinen und vielmehr auf die in § 46 StGB normierten Kriterien abzustellen.

11.547

Bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Gleichwohl kommt auch bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch weiterhin eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht.4

11.548

Denn entscheidend ist stets eine Gesamtwürdigung von Tat, Täter und den verschuldeten Auswirkungen, wobei stets im Auge zu behalten ist, dass die Indiziwirkung von Regelbeispielen erschüttert oder das Regelbeispiel wiederlegt werden kann.5

11.549

Die Strafzumessung ist Sache des zur Aburteilung berufenen Tatrichters und den Vorgaben von § 46 StGB entsprechend durchzuführen.6 Eine statische „Millionengrenze“ oberhalb derer eine aussetzungsfähige Bewährungsstrafe nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt, kann schon de lege lata keine Anerkennung beanspruchen. Denn allein die Höhe der hinterzogenen Beträge besagt noch nichts über den individuellen Schuldvorwurf.

11.550

Beispiel: A unterhält über 20 Jahre hinweg ein Depot in der Schweiz, welches er mit nicht versteuerten Geldern aus illegalen Waffengeschäften füllt. Die daraus resultierenden Kapitalerträge erklärt A in Deutschland nicht. A verstirbt und es beerbt ihn seine 65jährige in wirtschaftlichen und steuerlichen Dingen völlig unbedarfte und im Übrigen nicht vorbestrafte Frau, die allein aus Angst nichts unternimmt und das Depot nicht anrührt. Vier Jahre später stellt sich im Rahmen eines Ermittlungsverfah1 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71; zum Ganzen Jäger, DStZ 2012, 737; Gehm, StVW 2012, 1184 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1019.1. 2 RG v. 16.6.1925 – I 188/25, RGSt 59, 258 (262); RG v. 19.2.1931 – II 487/30, RGSt 65, 165 (169); BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100 (102); BGH v. 25.1.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 (5); Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 26 f. 3 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 unter Verweis auf BGH v. 18.3.1998 – 5 StR 693/ 97, wistra 1998, 269 (270). 4 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 = NJW 2009, 528, vgl. hierzu Wulf, DStR 2009, 459; Schwedhelm/Talaska, GmbH-StB 2011, 54; Trüg, IBR 2009, 117; Stahl, KÖSDI 2009, 531; Bilsdorfer, NJW 2009, 476; Salditt, PStR 2009, 15. 5 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 (85); BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 116/11, wistra 2011, 347; BGH v. 12.7.2011 – 1 StR 81/11, wistra 2011, 396. 6 Zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1005.

Peters | 593

Kap. 11 Rz. 11.550 | Steuerhinterziehung rens heraus, dass Depot einen Wert von 50 Mio. Euro aufweist, nachdem sich der Wert in den letzten vier Jahren ohne Zutun der Frau aufgrund geschickter Anlage verdoppelt hat.

11.551

Warum im Fall eines Geständnisses nebst einer unmittelbaren Zahlung der Steuer inkl. sämtlicher Zuschläge ein Strafbefehl ungeeignet sein soll, erschließt sich nicht. Der individuell anzulastende Schuldvorwurf bestimmt sich allein über die Tatsache, dass die gebotene Erklärung nicht abgegeben wurde. Auf die Höhe des Taterfolgs hatte das Verhalten der Frau keinen Einfluss.

11.552

Für den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts relevant ist zudem, dass die gezielte Schaffung schwer aufklärbarer Auslandssachverhalte strafschärfend wirken soll.1 Es sind jedoch stets ergänzend die europäischen Grundfreiheiten zu achten, sodass ohne weitere Anhaltspunkte keine nachteiligen Schlüssen zu ziehen sind. Im Rahmen von Umsatzsteuerkarussellen kann bei den einzelnen Beteiligten, bei Kenntnis von Struktur und Funktionsweise, der durch das System verursachte Gesamtschaden als Grundlage für die Strafzumessung herangezogen werden.2 b) Geldstrafe neben Freiheitsstrafe

11.553

Hat der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht, so kann gem. § 41 StGB neben einer Freiheitsstrafe eine sonst nicht oder nur wahlweise angedrohte Geldstrafe verhängt werden, wenn dies auch unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters angebracht ist. Die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe sind nach dem Gesetz gleichwertig in dem Sinne, dass ein Tagessatz Geldstrafe einem Tag Freiheitsstrafe entspricht. Die Regelung des § 41 StGB bewirkt keine Strafrahmenverschiebung und stellt auch keine Zusatzstrafe dar.

11.554

Im Hinblick auf die von der Strafe ausgehende Wirkung für das zukünftige Leben des Täters ist durch das erkennende Gericht stets zu prüfen, ob eine Freiheitsstrafe, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann, in Verbindung mit einer anderen Sanktion, insbesondere einer Geldstrafe, noch der Schuld angemessen ist. Geld- und Freiheitsstrafe dürfen dabei beliebig miteinander kombiniert werden, solange die Kombination das Maß des Schuldangemessen erreicht.

11.555

Eine solche Kombination ist selbst aber auch insbesondere dann möglich, wenn ohne die zusätzliche Geldstrafe eine nicht mehr aussetzbare Freiheitsstrafe erforderlich wäre.3

11.556

Eine zusätzliche Geldstrafe neben Freiheitsstrafe sieht das Gesetz vornehmlich für Fälle vor, in denen es nach der Art von Tat und Täter zur Erreichung der Strafzwecke sinnvoll erscheint, diesen nicht nur an der Freiheit, sondern darüber hinaus auch am Vermögen zu treffen.4 Bei einer Steuerhinterziehung liegt eine persönliche Bereicherung vor.5 Aus der Entstehungsgeschichte folgerte auch der BGH seinerzeit, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 41 StGB gerade bei § 370 AO in weiterem Umfang als nach der damaligen Fassung des 2. StrRG 1 BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, NJW 2009, 3379; vgl. auch Jäger, DStZ 2012, 737 (740) unter Verweis auf BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 (86). 2 BGH v. 11.12.2002 – 5 StR 212/02, wistra 2003, 140; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1029.13. 3 BGH v. 17.9.1997 – 2 StR 317/97, StV 1997, 633. 4 Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zum Entwurf eines StGB, BT-Drucks. V/4095, 21, 22. 5 Fischer67, § 41 StGB Rz. 4.

594 | Peters

C.XXV. Rechtsfolgen | Rz. 11.560 Kap. 11

möglich angewandt wissen wollte.1 Diese Grundsätze gelten auch vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung zur Verschärfung der Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung. Für die Verteidigung bietet sich über die in der Praxis mitunter weniger bekannte Norm des § 41 StGB die Möglichkeit, auch bei der Hinterziehung höherer Summen noch die Verhängung einer bedingten Freiheitsstrafe zu erreichen, wenngleich die Strafzumessung nicht von dem alleinigen Ansinnen getragen sein darf, eine bewährungsfähige Freiheitsstrafe auszuurteilen.2

11.557

Die Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe darf nicht allein deshalb vorgenommen werden, um die an sich gebotene höhere Freiheitsstrafe auf ein Maß herabsetzen zu können, dass die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung ermöglicht.3 Wegen des Ausnahmecharakters ist die Kumulation gesondert zu begründen. Dabei sind zunächst die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und die Aufspaltung der Sanktion in Freiheits- und Geldstrafe zu begründen. Sodann hat in einem zweiten Schritt die wechselseitige Gewichtung der als Freiheitsstrafe bzw. als Geldstrafe zu verhängenden Teil des schuldangemessenen Strafmaßes nach den Grundsätzen des § 46 StGB zu erfolgen.4

11.558

Bei der Bemessung der Geldstrafe ist zu beachten, dass der Schuldgrundsatz es gebietet, bei der Verhängung von Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe das Gesamtstrafübel innerhalb des durch das Maß der Einzeltatschuld eröffneten Rahmens festzulegen. Die zusätzliche Geldstrafe muss deshalb bei der Bemessung der Freiheitsstrafe strafmildernd berücksichtigt werden.5 Bei der Zumessung von Geld- und Freiheitsstrafe dürfen dabei weder Gesichtspunkte der Strafzumessung mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung vermengt werden noch dürfen die in § 56 Abs. 1 und 2 StGB bestimmten Maximalwerte für die Aussetzbarkeit von Freiheitsstrafe „auf kaltem Wege“ angehoben werden.

11.559

Die engen Vorgaben des BGH machen es für den Tatrichter in der Praxis bei Summen weit jenseits der „Millionengrenze“ bisweilen schwierig. Indes hat sich in der Praxis gezeigt, dass sich durch die Anwendung der teils wenig bekannten Norm des § 41 StGB auch in größeren Verfahren für alle Seiten befriedigende Ergebnisse erzielen lassen; zumal wenn das Urteil rechtskräftig wird. Der unbestreitbare Vorteil besteht darin, dass insbesondere bei der Verurteilung von Unternehmern der wirtschaftliche Betrieb in der Regel ohne weitergehende Einschränkungen möglich ist und so Arbeitsplätze erhalten bleiben. Selbst wenn der offene Vollzug in bestimmten Bundesländern die Praxis des Strafvollzugs im Bereich der Steuerhinterziehung darstellt, sind damit jedoch oftmals weitergehende Einschränkungen verbunden, die eine Fortführung des Betriebs schwierig bis gar unmöglich machen. Auch aus gesamtgesellschaftlichen und aus fiskalischen Erwägungen heraus ist dem Staat mehr damit gedient, wenn existierende Unternehmen fortgeführt werden.

11.560

1 BGH v. 24.8.1983 – 3 StR 89/83, BGHSt 32, 60 (64) = NJW 1984, 2170 (2171). 2 BGH, Urt. v. 13.3.2019 – 1 StR 367/18, ECLI:DE:BGH:2019:130319U1STR367.18.0. 3 St. Rspr. BGH, Urt. v. 13.3.2019 – 1 StR 367/18, ECLI: DE: BGH:2019:130319U1STR367.18.0; BGH, Urt. v. 2.12.2004 – 3 StR 246/04, wistra 2005, 137 f.; v. 21.3.1985 – 4 StR 53/85, NJW 1985, 1719 und v. 24.8.1983 -3 StR 89/83, BGHSt 32, 60, 65. 4 BGH, Urt. V. 13.3.2019 – 1 StR 367/18, ECLI: DE: BGH:2019:130319U1STR367.18.0. 5 St. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 24.8.1983 – 3 StR 89/83, BGHSt 32, 60, 66 sowie BGH, Beschl. v. 26.11 2015 – 1 StR 389/15, Rz.7; § 41 StGB erlaubt indes keine Zusatzstrafe, BGH, Beschl. v. 24.7.2014 – 3 StR 176/14.

Peters | 595

Kap. 11 Rz. 11.560 | Steuerhinterziehung Beispiel: A hinterzog in den Jahren 2009 – 2012 insgesamt 3,5 Mio. Euro, indem er ausländische Kapitaleinkünfte und Spekulationsgewinne nicht erklärte. Die Selbstanzeige schlug fehl und das Gericht sieht sich an der Verhängung einer Verhängung einer Bewährungsstrafe durch die Rechtsprechung des BGH gehindert. Die Staatsanwaltschaft äußert eine Strafvorstellung von mindestens drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Das Gericht verhängt i.E. eine Freiheitsstrafe von insgesamt zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzt. Daneben urteilt das Gericht eine (Gesamt-)Geldstrafe von 500 Tagessätzen aus.

11.561

Im Fall des Widerrufs der Bewährung und Nichtzahlung der Geldstrafe wären rechnerisch zwei Jahre Freiheitsstrafe und 500 Tage Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken. c) Strafzumessung bei Steuerhinterziehung über ausländische Familienstiftung

11.562

Dass die Strafzumessungsregeln des BGH zur Steuerhinterziehung nicht statisch sind, beweist die Entscheidung des LG Bochum vom 26.1.2009.1 Der dortige Angeklagte hinterzog über eine liechtensteinische Familienstiftung in den Jahren 2002 – 2006 einen Gesamtbetrag in Höhe von 967.815,85 Euro. Das Landgericht Bochum verurteilte ihn wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte und stützte das Strafmaß im Wesentlichen auf folgende Punkte: – Gesamtbild der Tat nicht derart schwerwiegend; – keine Vorstrafen; – Alter des Angeklagten; – anzuerkennende Lebensleistung; – frühzeitiges von Reue und Einsicht getragenes Geständnis; – aktive Mitwirkung im Strafverfahren; – über die Ermittlungen hinausgehende Angaben; – Schadenswidergutmachung vor Beginn der Hauptverhandlung; – überwiegende Steuerehrlichkeit des Verurteilten; – massives öffentliches Interesse an der Person des Angeklagten; – negative berufliche Konsequenzen.

5. Täter-Opfer-Ausgleich bei der Steuerhinterziehung 11.563

Von Bedeutung für die Strafzumessung kann – wie sonst auch – sein, ob bereits ein TäterOpfer-Ausgleich stattgefunden hat. Die Anwendbarkeit des § 46a StGB wird von der Rechtsprechung mit der Argumentation bestritten, dass der Gesetzgeber mit § 46a Nr. 1 StGB zwar den Ausgleich der immateriellen Tatfolgen intendiere, dies aber ausgeschlossen sei, wenn das geschützte Rechtsgut dem Staat bzw. der Allgemeinheit zustehe.2 Offengelassen wurde seinerzeit noch ausdrücklich, ob die Nachzahlung von Steuern überhaupt ein Fall der Schadenswiedergutmachung i.S.d. § 46a Nr. 2 StGB sein kann.3 Zudem ist zu bemerken, dass die in dem 1 LG Bochum v. 26.1.2009 – 12 KLs 350 Js 1/08, juris. 2 BayObLG v. 28.2.1996 – 4 StR 33/96, wistra 1996, 152. 3 BGH, Urt. V. 13.3.2019 – 1 StR 367/18, ECLI:DE:BGH:2019:130319U1STR367.18.0.

596 | Peters

C.XXV. Rechtsfolgen | Rz. 11.564 Kap. 11

Urteil des BayObLG zitierte BGH-Entscheidung sich auf einen Fall der Vergewaltigung bezog, sich der BGH also nicht explizit zur Steuerhinterziehung äußerte. Jedoch geht der BGH in einer späteren Entscheidung davon aus, dass § 46a Nr. 1 StGB im Fall der Steuerhinterziehung unanwendbar sei1 und beruft sich hierbei auf die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Aus dem wissenschaftlichen Umfeld wird mitunter befürchtet, dass bei einer Anwendung der Vorschrift des § 46a StGB im Steuerstrafrecht die Motivation für die Erstattung von Selbstanzeigen untergraben werde, insbesondere weil dann der Täter auch nach Eingreifen eines Ausschlussgrundes gem. § 371 Abs. 2 AO noch mit einer Privilegierung rechnen könne.2 Daher müsse § 371 AO als lex specialis die allgemeine Regelung des § 46a StGB verdrängen. Für eine Anwendung des § 46a StGB spricht vielmehr die immer stärker werdende Akzentuierung der Opferperspektive und die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich nicht auf bestimmte Deliktsgruppen beschränkt hat.3 Durch die Anwendung der Vorschrift wird auch der Wirkungsbereich des § 371 AO und die dort durch die Ausschlussgründe gezogenen Grenzen nicht unterlaufen. Dies ist schon deswegen kaum zu befürchten, weil § 46a StGB – nur fakultativ – die Möglichkeit einer Strafmilderung bzw. des Absehens von Strafe eröffnet, während § 371 AO im Fall der rechtzeitigen Erstattung der Selbstanzeige völlige Straffreiheit garantiert.4 Die untergerichtliche Rechtsprechung ging schon länger von einer Anwendbarkeit aus.5 „Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (Nachweise b. Fischer, a.a.O., Rz. 8 zu § 46a StGB) ist § 46a Nr. 2 StGB auch auf Steuerstraftaten anwendbar.6 Anders als die nach ihrem Wortlaut (‚Täter-Opfer-Ausgleich‘) auf Straftaten mit individuellen Opfern beschränkte Regelung des § 46a Nr. 1 StGB ist die Regelung des § 46a Nr. 2 StGB, die dem materiellen Ausgleich des durch die Tat angerichteten Schadens dient, auch auf Delikte zum Nachteil der Allgemeinheit anwendbar (Fischer a.a. O.). Ein genereller Ausschluss der Anwendung dieser Regelung auf Steuerstraftaten ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar; der Gesetzgeber hat auch nicht etwa eine diesbezügliche Sonderregelung in der AO getroffen. Zwar ist jedenfalls die bloße Bereitschaft, hinterzogene Steuern nachzuzahlen, für die Anwendung des § 46a Nr. 2 StGB nicht ausreichend (vgl. BGH wistra 2001, 22, 23 f.); der Täter muss einen über die rein rechnerische Kompensation hinaus gehenden Beitrag erbringen (BGH wistra 2000, 95 f.; wistra 2001, 22, 23 f.).“

Der BGH legt die Voraussetzungen wie folgt fest:7 § 46a Nr. 2 StGB setzt voraus, dass die Leistungen vom Täter unter erheblichen Anstrengungen und Belastungen erbracht werden. Dies kann etwa unter Einsatz des gesamten eigenen Vermögens (vgl. SSW-StGB/Eschelbach, StGB, 4. Aufl., § 46a Rn. 35), unter erheblicher Belastung des eigenen Unternehmens unter Inkaufnahme wirtschaftlicher Schwierigkeiten (vgl. BGH, Be-schluss vom 17.12.2008 – 1StR 664/08, wistra 2009, 188) oder durch umfangreiche Arbeiten in der Freizeit (vgl. BT-Drucks. 12/6853) geschehen. Von der Strafmilderungsmöglichkeit nach § 46a Nr. 2 StGB ist auch ein begüterter Täter nicht ausgeschlossen. Die Anforderungen an die Erschwernisse der Leistungserbringung sind bei ihm aber angesichts größerer Leistungsfähigkeit zu modifizieren (vgl. Eschelbach aaO Rn. 35),

1 BGH v. 25.10.2000 – 5 StR 399/00, NStZ 2001, 2000. 2 Blesinger, wistra 1996, 152. 3 Schwedhelm/Spatscheck, DStR 1995, 1450; Brauns, wistra 1996, 214; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1059.2. 4 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1059.2. 5 LG Hildesheim v. 6.8.2009 – 25 KLs 4222 Js 21594/08, NdsRpfl 2009, 432. 6 BGH, Beschl. v. 20.1.2010 – 1 StR 634/09, wistra 2010, 152; vgl. dazu auch Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 347 sowie MüKoStGB/Maier, 3. Aufl., § 46a Rz. 5 jeweils m.w.N. 7 BGH, Urt. V. 13.3.2019 – 1 StR 367/18, ECLI:DE:BGH:2019:130319U1STR367.18.0.

Peters | 597

11.564

Kap. 11 Rz. 11.564 | Steuerhinterziehung zumal nach dem Willen des Gesetzgebers erhebliche Einschränkungen im finanziellen Bereich nur dann ausreichen sollen, wenn sie eine materielle Entschädigung erst ermöglicht haben (vgl. BTDrucks. 12/6853), was bei umfangreich vorhandenem pfändbaren Vermögen nicht der Fall ist.

6. Nebenfolgen 11.565

Die unmittelbaren Nebenfolgen der Steuerhinterziehung sind in § 375 AO normiert und setzen zunächst eine Freiheitsstrafe von einem Jahr voraus.1 Daneben kommen jedoch weitere Nebenfolgen in Betracht, bspw. der Verlust des Jagdscheins, Verlust der Fluglizenz, Eintragungen in Korruptionsvergaberegister oder Mitteilungen an berufsständische Einrichtungen (z.B. Ärztekammer, Steuerberaterkammer). a) Passentzug

11.566

Nach § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 des Passgesetzes (PassG) kann dem Steuerpflichtigen der Pass entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die nach § 7 Abs. 1 PassG die Passversagung rechtfertigen würden.2 Beispiel: A gibt die steuerpflichtige Veräußerung seines Betriebs, des von ihm genutzten Eigenheims und diverser Grundstücke in Höhe von 10 Mio. Euro ordnungsgemäß gegenüber dem Finanzamt an, zahlt die festgesetzten Steuern jedoch nicht. Er verschweigt zudem die rückdatierte Abmeldung beim Einwohnermeldeamt, den Erwerb eines Hausgrundstücks in der Schweiz und die Verbringung seines Mobiliars dorthin.

11.567

Gem. § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG ist ein Pass u.a. dann zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass sich der Passbewerber seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen will. Ausreichend sind bereits erhebliche Steuerrückstände und das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG, nämlich der Steuerfluchtwille.3 Die Gefahr besteht in dieser Konstellation darin, dass der Pass auch entzogen werden kann, wenn sich der Beschuldigte bereits im Ausland befindet, z.B. in Thailand. In entsprechenden Fällen wird dann der Pass von Deutschland aus entzogen und dies den ausländischen Behörden mitgeteilt, mit der Folge, dass der Beschuldigte sich nunmehr illegal dort aufhält und ggf. in Abschiebehaft genommen wird. b) Einreiseverbote

11.568

Als weitere Nebenfolge im Nachgang zu einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung kommt unter Umständen ein drohendes Einreiseverbot in Betracht. Konkret droht die Gefahr beispielsweise bei Einreisen in die USA, wenn der Beschuldigte zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde.4 Die obergerichtliche Rechtsprechung der USA besagt, dass die Steuerhinterziehung ein so genanntes „crime involving moral turpitude“ (CIMT) darstellt, weswegen nach § 212 Buchst. a des Immigration and Nationalty Act Ausländer, die wegen einer entsprechenden Tat verurteilt worden sind oder diese zugegeben haben, kein Visum mehr erhalten können und auch nicht in die USA eingelassen werden. Eine Ausnahme ist nur dann möglich, wenn die maximale mögliche Strafe eine Haftstrafe von einem Jahr nicht über1 2 3 4

Zum Ganzen Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1175. Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1175. OVG Berlin-Brandenburg v. 28.2.2006 – OVG 5 S 52.5, juris. Ausführlich zum Ganzen Hofman/Pauly, PStR 2019, 61.

598 | Peters

C.XXV. Rechtsfolgen | Rz. 11.572 Kap. 11

steigt, der Ausländer nicht mehr als eine Straftat begangen hat und im Fall der Verurteilung auch nicht zu mehr als einer Strafe von sechs Monaten verurteilt worden ist. § 370 AO erfüllt diese Ausnahmemöglichkeit indes nicht, da der mögliche Strafrahmen bis zu fünf Jahre beträgt. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung stellt eine so genannte CIMT dar. Eine Sperre für Reisen in die USA bestünde ggf. auch dann, wenn in den ESTA Anträgen falsche Angaben gemacht würden, oder im Rahmen der Befragung an der Grenze. Dabei ist indes zu bemerken, dass die entsprechenden Einreiseformulare keine Fragen nach einer möglichen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung stellen, welche offenbart werden müssten. Im Hinblick auf eine mögliche Befragung durch US-Grenzbeamten, bietet es sich jedoch an, dies im Vorhinein abzuklären. Diese Beschränkungen gelten nicht, wenn das Verfahren nach § 153 StPO eingestellt oder lediglich eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) ausgesprochen wurde.1 Vor dem Hintergrund, dass nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB die Wirkung, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft ausgeht, insbesondere auch was die berufliche Zukunft betrifft, kann es angezeigt erscheinen, bei entsprechenden drohenden Auswirkungen auf alternative Sanktionen auszuweichen. Eine entsprechende Verfahrensweise wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Beschuldigte beruflich auf Reisen in die USA und insbesondere auf eine Visumserteilung angewiesen ist, in jedem Fall aber, wenn diesbezüglich ein Tätigkeitsschwerpunkt besteht und eine weitergehende Verurteilung die Grundlage für weitergehende geschäftliche Aktivitäten entziehen würde.

11.569

c) Verlust öffentlicher Ämter etc. Die weiteren Nebenfolgen sind ua in § 375 AO normiert. Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahl zu erlangen, aberkennen.

11.570

Es kommen ferner die Entziehung der Gewerbeerlaubnis, die Entziehung der Gaststättenerlaubnis und die Entziehung des Waffenscheins bei der Steuerhinterziehung in Betracht.2 Gleiches gilt für Jagdscheine. d) Einziehung Über § 375 Abs. 2 AO können die Erzeugnisse, Waren und andere Sachen, auf die sich die Hinterziehung von Verbrauchsteuer oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben bezieht, sowie die Beförderungsmittel, die zur Tat benutzt worden sind eingezogen werden.

11.571

Dem Täter sollen, wie sonst auch, die Vorteile seiner Tat nicht verbleiben und auch etwaige Tatmittel sollen eingezogen werden, um weitere, gleichgelagerte Straftaten zu verhindern. Beispiel: Einziehung unverzollter Zigaretten samt Transport-Lkw; Kfz bei Umsatzsteuerkarussell.

7. Verfolgungsverjährung Abweichend von § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB verjährt in den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1–6 genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung die Verfolgung spätestens, wenn 1 Vgl. auch die Vorschläge bei Hofman/Pauly, PStR 2019, 61, 64. 2 VG Berlin v. 4.5.2011 – 1 K 257/10, juris; zum Ganzen Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1178; Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 614 ff.

Peters | 599

11.572

Kap. 11 Rz. 11.572 | Steuerhinterziehung

seit dem in § 78a StGB bezeichneten Zeitpunkt das Zweieinhalbfache der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen ist. Im Übrigen gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von fünf Jahren. Bei der Steuerhinterziehung durch aktives Tun in Zusammenhang mit Veranlagungssteuern ist die Tat beendet mit der Bekanntgabe des (ersten) unrichtigen Steuerbescheids. Daher beginnt die Verjährung in den Fällen der Veranlagungssteuern mit der Bekanntgabe der unrichtigen Steuerfestsetzung an den Steuerpflichtigen. Eine Unterlassungstat ist bei Veranlagungssteuern beendet, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen hat. Bei Fälligkeitssteuern ist die Steuerverkürzung eingetreten, wenn der Tag der gesetzlichen Frist verstrichen ist und keine ausdrückliche Fristverlängerung gewährt wurde. Die Verjährung wird unterbrochen durch die erste Vernehmung des Beschuldigten oder die Anordnung der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oder Bußgeldverfahrens (§ 376 AO). Die interne, schriftliche, in den Geschäftsgang gelangte Anordnung genügt. Wegen dieser Wirkung gilt es die Anordnung stets genau auf Ihre inhaltliche Wirksamkeit und Reichweite zu überprüfen.

11.573

Die Verfolgungsverjährung ist während der Aussetzung des Strafverfahrens nach § 396 AO gehemmt. Andernfalls hätte es der Beschuldigte in der Hand durch Verzögerung des Steuerverfahrens, das Strafverfahren zum Erliegen zu bringen.

XXVI. Konkurrenzen 1. Allgemeines 11.574

Hinsichtlich der Konkurrenzen gelten im Steuerstrafrecht die allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze der allgemeinen Konkurrenzlehre.1 Es kommen Fälle der Gesetzeseinheit (Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion, der Tateinheit gem. § 52 StGB und der Tatmehrheit gem. § 53 StGB in Betracht.

11.575

§ 52 StGB Tateinheit: Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

11.576

§ 53 StGB Tatmehrheit: Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt.

11.577

Problematisch bei der Steuerhinterziehung ist, dass der normative Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit (Erklärungsverhalten) und der Vorwurf des Fehlverhaltens bei rein wirtschaftlicher Betrachtungsweise auseinanderfallen. Die mit der Abgabe der unzutreffenden Steuererklärung beschriebene Tathandlung korrespondiert nicht in jedem Falle mit dem zugrundeliegenden Besteuerungsvorgang. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Täter gar keine Steuererklärung abgibt. Unterlässt bspw. der Geschäftsführer einer GmbH die Abgabe sämtlicher 1 Vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 860, mit einer Vielzahl von Einzelfällen bei Rz. 914 f.; Rolletschke/Steinhart, Die steuerstrafrechtliche Konkurrenzlehre und ihre Auswirkungen insbesondere auf das Selbstanzeigerecht, NZWiSt 2015, 71; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 721 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1235 ff.

600 | Peters

C.XXVI. Konkurrenzen | Rz. 11.580 Kap. 11

Steuererklärungen, handelt es sich um ein Unterlassen, was sich aber gegebenenfalls bei der Umsatzsteuer, bei der Körperschaftsteuer, bei der Einkommensteuer und bei der Gewerbesteuer auswirkt. Bei der Steuerhinterziehung durch aktives Tun in Bezug auf verschiedene Steueransprüche wird in der Regel von Tatmehrheit auszugehen sein. Im Falle unzutreffender Steuererklärung hinsichtlich der Einkommensteuer und Umsatzsteuer eines Jahres oder in Bezug auf die fehlerhaften Einkommensteuer-Jahreserklärungen für nachfolgende Jahre, liegen mehrere Straftaten i.S.d. § 53 StGB auch dann vor, selbst wenn die Erklärungshandlung rein tatsächlich zusammenfällt. Eine Tat im materiellen Sinne ist nur dann gegeben, wenn die Abgaben verschiedener Steuererklärungen im äußeren Vorgang zusammenfallen und in den Erklärungen zumindest teilweise inhaltlich übereinstimmende unrichtige Angaben enthalten sind.1

11.578

Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung ist daher grundsätzlich als selbständige Tat i.S.d. § 53 StGB zu werten. Von Tatmehrheit ist also dann auszugehen, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene Steuerarten, verschiedene Besteuerungszeiträume oder verschiedene Steuerpflichtige betreffen.

11.579

Eine für die Begründung von Tateinheit erforderliche Teilidentität der Ausführungshandlungen ist bei Abgabe mehrerer Steuererklärungen für verschiedene Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt, etwa des Versendens per Post in einem Brief, hinsichtlich der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nach Ansicht des BGH grundsätzlich nicht gegeben.2 Denn regelmäßig beziehen sich die steuerlich erheblichen Tatsachen allein auf einen bestimmten Veranlagungszeitraum und auf eine Steuerart, soweit nicht – wie etwa beim Solidaritätszuschlag bezüglich der Einkommen- oder Körperschaftsteuer – eine Erklärung und Festsetzung zusammen mit den vorgenannten Hauptsteuern erfolgt. Dem äußeren Vorgang des Versendens bzw. der sonstigen Übermittlung der Erklärung und deren Eingang bei der Behörde kommt danach für die tatbestandliche Handlung als solche keine Bedeutung zu. Es mangelt nach Ansicht des BGH an einer Teilidentität der Ausführungshandlungen selbst bei Übermittlung mehrerer Erklärungen durch einen einheitlichen äußeren Akt. Das Geschehen erschöpft sich insoweit in einem bloßen zeitlichen Zusammenfallen, das nicht anders als die Tatbegehung gelegentlich der Ausführung einer anderen Tat die Voraussetzungen des § 52 StGB nicht begründet.3 Für die Steuerhinterziehung als auf Steuerarten und Veranlagungszeiträume bezogenes Erklärungsdelikt ist mithin die einheitliche oder getrennte Versendung ohne jede Bedeutung. Wäre bspw. prozessual nicht mehr aufklärbar, ob die verschiedenen Erklärungen getrennt übersandt worden sind, steht aber ihr taggleicher Eingang bei der Behörde fest, müsste nach der Entscheidungsregel in dubio pro reo beurteilt werden, ob die Annahme einer Tat oder mehrerer Taten die für den Angeklagten günstigere Sachverhaltsvariante wäre.4 Für derartige Zweifelsfragen bleibt kein Raum, wenn bei mehreren Steuererklärungen über mehrere Steuerarten und unterschiedliche Veranla-

11.580

1 BGH v. 21.3.1985 – 1 StR 583/84, BGHST 33,163; BGH v. 14.4.1989 – 3 StR 30/89, wistra 1989, 267; BGH v. 26.5.1993 – 5 StR 134/93, wistra 1993, 222; BGH v. 11.9.2007 – 5 StR 213/07, wistra 2008, 22, 25; BGH v. 22.1.2018 – 1 StR 535/17, juris unter ausdrücklicher Aufgabe der vorherigen Rechtsprechung, vgl. auch die Anmerkungen v. Ebner, HFR 2018, 916; Buse AO-StB, 2018, 333; a. A. wohl Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 721; zum Ganzen auch Rolletschke/Steinhart, NZWiSt 2015, 71. 2 BGH v. 22.1.2018 – 1 StR 535/17, juris; vgl. auch Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 183. 3 BGH v. 22.1.2018 – 1 StR 535/17, juris; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 183. 4 BGH v. 22.1.2018 – 1 StR 535/17, juris.

Peters | 601

Kap. 11 Rz. 11.580 | Steuerhinterziehung

gungszeiträume grundsätzlich von Tatmehrheit auszugehen ist. Dem ist zuzustimmen, da ansonsten der Unterlassungstäter schlechter gestellt würde, bei dem stets Tatmehrheit vorliegt. Für die Praxis zeitigt dies zudem die Konsequenz, dass für jede Tat isoliert zu prüfen ist, ob ggf. ein besonders schwerer Fall in Bezug auf das große Ausmaß vorliegt.

11.581

Nur ausnahmsweise kann Tateinheit vorliegen, wenn die Hinterziehungen durch dieselbe Erklärung bewirkt werden. Entscheidend dabei ist nach Ansicht des BGH, dass die Abgabe der Steuererklärungen im äußeren Vorgang zusammenfällt und überdies in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten sind.1 Daran änderte im konkreten Fall auch nichts, dass sämtliche Umsatzsteuervoranmeldungen (456 an der Zahl) mit frei erfundenen Umsätzen und Vorsteuern für (Schein-) Firmen in derselben Nacht in denselben Briefkasten zur Versendung an verschiedene Finanzämter geworfen wurden. Der BGH stellt entscheidend darauf ab, dass die jeweiligen Angaben gerade nicht in die Prüfung der anderen Steuerschuldverhältnisse einfließen sollten.

11.582

Von Seiten der Literatur wurde der Einwand erhoben, dass bei Abgabe mehrerer Steuererklärungen durch gleichzeitige Versendung und der Annahme von Tatmehrheit „eine Handlung im natürlichen Sinne“ unnatürlich aufgespalten würde und dies nach den Regeln der allgemeinen Konkurrenzlehre zwingend zu einer Tateinheit i.S.d. § 52 StGB führen würde.2 Entscheidend im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Steuerhinterziehung in großem Ausmaß vorliegt ist, dass die Abgabe der Steuererklärungen in einem äußeren Vorgang zusammenfällt und überdies in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten sind.3 Übereinstimmende unrichtige Angaben liegen häufig im Verhältnis von Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung vor; denn hier werden übereinstimmende unrichtige Angaben regelmäßig deshalb abgegeben, weil der Täter sich bei unterschiedlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen in den verschiedenen Steuererklärungen, die letztlich jeweils denselben Lebenssachverhalt betreffen, einem erhöhten Entdeckungsrisiko aussetzen würde.4 Teilweise wird deshalb angeraten, Steuererklärungen isoliert abzugeben.5

11.583

Mehrere Handlungen im natürlichen Sinne können zudem nach den Grundsätzen der sog. natürlichen Handlungseinheit verbunden werden (rechtlich-soziale Bewertungseinheit).6 Dazu ist erforderlich, dass der Täter aufgrund eines einheitlichen Willens mit derselben Willensrichtung handelt und die einzelnen tatbestandsverwirklichenden Handlungen in einem derart engen – zeitlichen, räumlichen und sachlichen – Zusammenhang stehen, dass sie bei 1 BGH v. 24.11.2004 – 5 StR 220/04, juris. 2 Vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 905; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 721; zu monieren ist in der Tat, dass sich in dem Urteil des Bundesgerichtshofs keine weitergehende Auseinandersetzung mit der Problematik findet; hierzu auch Rolletschke/Steinhart, NZWiSt 2015, 71. 3 BGH v. 24.5.2017 – 1 StR 418/16, NStZ-RR 2017, 315; BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris, unter Verweis auf BGH v. 21.5.1985 – 1 StR 583/84, BGHSt. 33, 163, v. 5.3.1996 – 5 StR 73/96, wistra 1996, 231; v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294; v. 28.10.2004 – 5 StR 276/04, NStZRR 2005, 53 (56) und v. 24.11.2004 – 5 StR 220/04, NStZ 2005, 516. 4 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, juris, unter Verweis auf BGH v. 5.3.1996 – 5 StR 73/96, wistra 1996, 231. 5 Vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 370 AO, Rz. 1099.3, 909, unter Verweis auf BGH v. 28.10.2004 – 5 StR 276/04, wistra 2005, 30; OLG Saarl. v. 9.12.2005 – 1 Ws 101 – 103/05, wistra 2006, 117, der zutreffend eine mögliche Besserstellung des Unterlassungstäters moniert, bei dem stets Tatmehrheit vorliegt. 6 Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1245 ff.

602 | Peters

C.XXVI. Konkurrenzen | Rz. 11.587 Kap. 11

natürlicher, an den Anschauungen des Lebens orientierter Betrachtungsweise als ein einheitliches zusammengehörendes Tun erscheinen.1 Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn der Täter einen noch nicht fehlgeschlagenen Versuch der Steuerhinterziehung durch falsche Angaben gegenüber der Finanzbehörde mit dem Ziel fortsetzt, ein und dieselbe Steuer zu verkürzen.2 Dies gilt auch, wenn die späteren Täuschungshandlungen auf einem neuen Tatentschluss beruhen. Gibt der Täter eine falsche Steuererklärung ab, kommt es in der Praxis häufig vor, dass der Täter bei Nachfragen des Finanzamts den wahren Sachverhalt auch weiterhin verschleiert.3 Eine tateinheitliche Begehungsweise liegt bei der Steuerhinterziehung zukünftig nur noch dann vor, wenn durch eine Handlung mehrere Erfolge verwirklicht werden. Dies ist denkbar bei der Hinterziehung von Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer zusammen mit dem als Ergänzungsabgabe festzusetzenden Solidaritätszuschlag.4

11.584

Die geänderte Rspr. führt zu Veränderungen bei der Strafrahmenwahl für das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO „großes Ausmaß“ (Rz. 11.359). Bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestands der Steuerhinterziehung nimmt der BGH bei der Strafrahmenwahl eine Addition des jeweiligen Taterfolgs an.5 Im Falle der Tatmehrheit (§ 53 StGB) kommt eine Addition der Hinterziehungsbeträge bei der Strafrahmenwahl dagegen nicht in Betracht.

11.585

Begeht der Täter eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen, steht die durch Verletzung der Erklärungspflicht begangene Tat jeweils tatmehrheitlich neben der Verkürzung weiterer Steuerforderungen. Allein der einheitliche Tatentschluss, seinen steuerlichen Pflichten für mehrere Steuerarten und mehrere Besteuerungszeiträume künftig nicht nachzukommen, begründet noch keine Handlungs- und damit auch keine Tateinheit i.S.d. § 52 StGB zwischen den einzelnen Steuerhinterziehungen.6 Tateinheit kommt nur dann in Betracht, wenn die unterlassene Erklärung verfahrensrechtlich zur Festsetzung verschiedener Steueransprüche bestimmt gewesen ist (Einkommensteuererklärung bezüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer).7 Tateinheit ist nur dann ausnahmsweise anzunehmen, wenn die erforderlichen Angaben, die der Täter pflichtwidrig unterlassen hat, durch ein und dieselbe Handlung zu erbringen gewesen wären.

11.586

Eine mitbestrafte Vortat liegt vor, wenn im Verlauf eines deliktischen Geschehens verschiedene Angriffsobjekte beeinträchtigt werden, die konkrete Sachverhaltsgestaltung aber ergibt, dass das Schwergewicht des Unrechts nur unter dem Gesichtspunkt des nachfolgenden Delikts zu behandeln ist.8 Dies ist insbesondere bei Durchgangsdelikten gegeben, deren Unrechtsgehalt deshalb nicht über den der Haupttat hinausgeht, weil er sich darin erschöpft, einen intensiveren Angriff auf dasselbe Rechtsgut vorzubereiten.9

11.587

1 2 3 4 5 6 7

BGH, Beschl. v. 19.11.1997 – 3 StR 574/97, BGHSt 43, 312; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 183. BGH, Urt. v. 1.2.1989 – 3 StR 450/88, BGHSt 36, 105. Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 183. Buse, AO-StB 2018, 333, 334. BGH v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, AO-StB 2012, 138 = NJW 2012, 1015. BGH v. 22.1.2018 – 1 StR 535/17, juris; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 183. BGH, Beschl. v. 23.7.2014 – 1 StR 207/14 –, juris; BGH, Urteil v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15, BGHSt 61, 28; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 241. 8 Vgl. MüKo-StGB/von Heintschel-Heinegg, 3. Aufl., Vor § 52 Rz. 59; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1290. 9 BGH v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16, wistra 2018, 43.

Peters | 603

Kap. 11 Rz. 11.588 | Steuerhinterziehung

11.588

Eine so genannte mitbestrafte Nachttat liegt vor, wenn der Täter ein und denselben Steueranspruch in mehrfacher Hinsicht verletzt. Insofern ist nach den steuerlichen Verfahrensabschnitten zu differenzieren.1 Hier wird der Unrechtsgehalt der Nachtat durch die Bestrafung der in erster Linie strafwürdigen Haupttat abgegolten; der Nachtat kommt kein eigener Unwertgehalt mehr zu (z.B. Steuerhinterziehung nach erfolgter Steuerhehlerei2).3 Tatmehrheit liegt vor, wenn der Täter nach einer versuchten oder vollendeten Steuer Hinterziehungen im Festsetzungsverfahren zu einem Erhebungsverfahren neuerlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht und versucht die Durchsetzung des Anspruchs zu vereiteln, beispielsweise wenn der Täter versucht seine Vermögensverhältnisse zu verschleiern.4

11.589

Gleiches gilt für das Erschleichen einer tatsächlichen Verständigung. Hinsichtlich ein und derselben Schenkung ist der Beschenkte sowohl durch Unterlassen (Nichtanzeige der Schenkung) als auch später wegen aktiven Tuns (selbst eine Handlung) jeweils wegen Steuerhinterziehungen zu bestrafen, wenn er eine innerhalb von zehn Jahren nachfolgende Schenkungen anzeigt und dabei den Vorerwerb gemäß § 14 ErbStG nicht mit erklärt.5

11.590

Auch bei Verletzung der Verpflichtung aus § 153 AO bei zuvor bedingt vorsätzlich falsch eingereichter Steuererklärung sind zwei Handlungen anzunehmen. Zu fragen ist aber, ob es sich bei der zweiten Erklärung um eine mitbestrafte Nachttat handelt.

2. Umsatzsteuervoranmeldungen/Umsatzsteuerjahreserklärung 11.591

Die auf einem einheitlichen Vorsatz beruhende Begehung gleichartiger Steuerhinterziehung für aufeinanderfolgende Veranlagungszeiträume ist als tatmehrheitliche Verwirklichung des Tatbestands anzusehen.6

11.592

Unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen stehen zu einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung im Verhältnis der Gesetzeskonkurrenz in Form der mitbestraften Vortaten.7 Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH führt die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung ebenso wie das pflichtwidrige Unterlassen der Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung zunächst lediglich zu einer Steuerhinterziehung auf Zeit; erst die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung oder die pflichtwidrige Nichtabgabe einer Umsatzsteu-

1 Kritisch auch Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 532, die hinsichtlich der mitbestrafte Nacht hat von einer straflosen Selbstbegünstigung ausgehen und daher vertreten, dass die Strafbarkeit der zweiten Tat unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen sein muss; Wessels/ Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1292. 2 BGH, Beschl. v. 23.5.2019 – 1 StR 127/19, wistra 2019, 509. 3 BGH, Beschluss v. 27.10.1992 – 5 StR 517/92, BGHSt 38, 366; BGH, Urteil v. 18.7.2007 – 2 StR 69/07 –, juris; BGH, Beschluss v. 7.11.2013 – 4 StR 340/13, juris. 4 BGH v. 21.8.2012 – 1 StR 26/12, NStZ-RR 2012,372; Rübenstahl, PStR 2012, 17; für eine Verfahrensweise nach § 154a StPO plädiert Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 190. 5 BGH, Beschl. v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14 –, BGHSt 60, 188. 6 BGH v. 3.5.1994 – GSSt 2 und 3/93, wistra 1994, 185; BGH, Urt.v. 10. 12 1991 – 5 StR 536/91, BGHSt 38, 165; BGH, Urteil v. 12.1.2005 – 5 StR 271/04, juris; BGH, Urteil v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221–234; a.A. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO, Rz. 893. 7 BGH v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16, wistra 2018, 43; vgl. bereits BGH v. 24.11.2004 – 5 StR 206/04, BGHSt 49, 359, 362; BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 271/04, wistra 2005, 145, 146; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08 Rz. 28, BGHSt 53, 221, 226; jeweils m.w.N.; hierzu Grommes, NZWiSt 2017, 201, 202.

604 | Peters

C.XXVI. Konkurrenzen | Rz. 11.596 Kap. 11

erjahreserklärung bewirkt die endgültige Steuerverkürzung, d.h. die Verkürzung auf Dauer.1 Denn der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) kommt im Verhältnis zu den vorangegangenen unzutreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen in demselben Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 UStG) in steuerstrafrechtlicher Hinsicht ein selbständiger Unrechtsgehalt zu. Beiden Arten von Steuererklärungen kommt ein eigenständiger Erklärungswert zu, der auch durch die Zusammenfassung in der Jahreserklärung nicht deckungsgleich wird. Dies gilt auch dann, wenn sich die Hinterziehungsbeträge aus den Umsatzsteuervoranmeldungen einerseits und der Umsatzsteuerjahreserklärung andererseits im Ergebnis decken.2 Der enge Zusammenhang zwischen Voranmeldung und Jahressteuererklärung ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.3 Da somit der Unrechtsgehalt unrichtiger Voranmeldungen durch die Abgabe einer unrichtigen Jahreserklärung mitbestraft ist, wenn die unrichtigen Angaben aus den Voranmeldungen darin wieder enthalten sind, bedarf es der in früheren Entscheidungen, die nicht von Gesetzeskonkurrenz ausgehen, angeregten Verfolgungsbeschränkung gem. § 154a Abs. 2 StPO nicht.4

11.593

Für das konkurrenzrechtliche Verhältnis von unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen und unrichtiger Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen Jahres ergeben sich auch keine Unterschiede in Abhängigkeit davon, ob der Täter aufgrund falscher Angaben in den Voranmeldungen zunächst nur – wie in der Praxis häufig – Liquidität erreichen oder ob er von Anfang an auf Dauer Steuern verkürzen wollte. Bleibt der Hinterziehungsumfang durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung hinter demjenigen unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen zurück, kann darin eine strafbefreiende Teilselbstanzeige liegen (vgl. § 371 Abs. 2a Sätze 1 und 4 AO).5

11.594

Jetzt genügt es, die Mängel der Umsatzsteuerjahreserklärung festzustellen und die Verantwortlichkeit für deren Abgabe zu klären. Auf die Umsatzsteuervoranmeldungen kommt es nicht an. Nach der Neubestimmung der Konkurrenzen wird der Unrechtsgehalt falscher Umsatzsteuervoranmeldungen durch die abgeurteilten Umsatzsteuerjahreserklärungen mitbestraft und rechtfertigt deshalb keine eigenständige Verurteilung mehr. Deren Unrechtsgehalt ist nunmehr im Falle abgeurteilter Umsatzsteuerjahreserklärungen mitbestraft und würde deshalb keine eigenständige Verurteilung mehr rechtfertigen.

11.595

3. Beihilfe Ob das Verhalten eines Tatbeteiligten eine Einheit oder eine Mehrheit von Handlungen bildet, richtet sich nicht nach der Haupttat, sondern nach dem Tatbeitrag, den der Beteiligte

1 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08 Rz. 33, BGHSt 53, 221, 228 m.w.N.). 2 BGH v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16, wistra 2018, 43. Dem Umstand, dass die umsatzsteuerlichen Pflichten zur Abgabe für das jeweilige Kalenderjahr eng verzahnt seien und im Ergebnis der Durchsetzung desselben Steueranspruchs dienten, sei bei gleichzeitiger Aburteilung im Rahmen der Gesamtstrafenbildung Rechnung zu tragen. Indes befürwortete der BGH bislang in der Praxis eine Verfahrensweise nach § 154a StPO. Dies ist nun obsolet. 3 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 184. 4 BGH v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16, wistra 2018, 43. 5 Vgl. hierzu Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 168, der jedoch zutreffend auf den Strafzuschlag nach § 398a AO hinweist.

Peters | 605

11.596

Kap. 11 Rz. 11.596 | Steuerhinterziehung

geleistet hat.1 Tatmehrheit gem. § 53 StGB ist anzunehmen, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere selbstständige Taten gefördert werden, also den Haupttaten jeweils eigenständige Beihilfehandlungen zuzuordnen sind. Dagegen lag nach alter Rechtsprechung eine einheitliche Beihilfe i.S.d. § 52 StGB vor, wenn der Gehilfe mit einer einzigen Unterstützungshandlung zu mehreren Haupttaten eines anderen Hilfe leistet.2 Deshalb lag selbst dann nur eine einzige Beihilfe vor, wenn der Gehilfe durch eine Handlung mehrere Haupttaten des Täters unterstützt hätte.3 Nunmehr geht der BGH davon aus, dass Tatmehrheit anzunehmen ist, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere selbständige Taten unterstützt werden, also den Haupttaten jeweils eigenständige Beihilfehandlungen zuzuordnen sind. Dass der Gehilfe bereits zuvor einen einheitlichen fortwirkenden Beihilfebeitrag zur Förderung mehrerer Haupttaten – wie etwa durch die Erlaubnis zur Nutzung einer Halle – leistete, führt dann nicht zur Zusammenfassung zu einer Beihilfetat.4

11.597

Wer durch eine Täuschungshandlung bewirkt, dass ein Tatmittler mehrere Steuerhinterziehungstaten ausführt, begeht nur eine Handlung im konkurrenzrechtlichen Sinne. Die Frage des Vorliegens einer oder mehrerer Handlungen i.S.d. §§ 52, 53 StGB ist für jeden Tatbeteiligten gesondert nach den seinen eigenen Tatbeitrag betreffenden individuellen Gegebenheiten zu beurteilen.5 Daher richtet sich die Beurteilung der Konkurrenzen auch für den mittelbaren Täter nach dessen Tatbeitrag, unabhängig von der konkurrenzrechtlichen Beurteilung der Handlungen, die ihm zuzurechnen sind.6 Hat ein mittelbarer Täter, der an der unmittelbaren Ausführung der Taten nicht beteiligt ist, einen alle Einzeldelikte fördernden Tatbeitrag bereits im Vorfeld erbracht, werden ihm die jeweiligen Taten der Tatmittler als tateinheitlich begangen zugerechnet, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung i.S.d. § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob bei den Tatmittlern hinsichtlich der von ihnen vorgenommenen Handlungen Tatmehrheit vorläge, ist demgegenüber ohne Belang.7 Eine durch eine einheitliche Handlung geleisteter Tatbeitrag führt auch dann zur Tateinheit (§ 52 StGB), wenn mehrere zurechenbare Handlungen des Werkzeugs bei diesem ein Verhältnis der Tatmehrheit begründen würden.

11.598

In Fällen des internationalen Zigarettenschmuggels kommt gegebenenfalls eine Strafbarkeit wegen Steuerhehlerei (§ 374 AO) in Betracht: Die Vortat ist etwa die Hinterziehung der 1 BGH v. 17.10.1995 – 1 StR 372/95, wistra 1996, 140; BGH, Urteil v. 5.12.2012 – 2 StR 117/12, juris; BGH, Urteil v. 22.7.2015 – 1 StR 447/14, juris; Fischer67, § 27 StGB Rz. 31; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 1983; Wessels/Beulke/Satzger, AT49, Rz. 1246. 2 BGH v. 22.7.2015 – 1 StR 447/14, wistra 2016, 31; v. 14.10.2015 – 1 StR 521/14, NZWiSt 2016, 23, m. Anm. Gehm, vgl. auch Jäger, wistra 2000, 344 (346); BGH v. 4.3.2008 – 5 StR 594/07, wistra 2008, 217. 3 Das gesamte Betrugsgeschehen förderte die Angeklagte durch Benennung von Korrespondenzbanken in Österreich, Begutachtung des gefälschten OK-Stempels als zur Täuschung geeignet und fortlaufende Unterrichtung über Kontenstände. Diese Hilfeleistungen stellen nach Auffassung des BGH eine natürliche Handlungseinheit dar; vgl. auch BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt. 46, 107. 4 BGH, Beschl. v. 9.5.2019 – 1 StR 19/19 (juris) unter Verweis auf BGH, Beschl. v. 4.3.2008 – 5 StR 594/07, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Konkurrenzen 2; v. 22.9.2008 – 1 StR 323/08, BGHR AO § 370 Abs. 1 Beihilfe 8 und v. 12.3.2012 – 3 StR 436/11 Rz. 4. 5 BGH, Urt. v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, 238 und BGH, Beschl. v. 18.10.2011 – 4 StR 346/11, wistra 2012, 67. 6 BGH, Beschl. v. 30.3.2004 – 1 StR 99/04, wistra 2004, 264. 7 BGH, Beschl. v. 13.5.2003 – 3 StR 128/03, wistra 2003, 426 und v. 10.5.2001 – 3 StR 52/01, wistra 2001, 336, 337 jeweils m.w.N.

606 | Peters

C.XXVI. Konkurrenzen | Rz. 11.601 Kap. 11

bei der Einfuhr, z.B. bei der Einfuhr von Zigaretten von Russland nach Polen, angefallenen Einfuhrabgaben, nämlich Zoll, polnische Einfuhrumsatzsteuer und polnische Tabaksteuer.1 Das gilt insbesondere dann, wenn die Taten bereits beendet waren, bevor die Zigaretten nach Deutschland verbracht wurden.2 Zwischen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei besteht Tatmehrheit (§ 53 StGB).3 Der speziellere § 373 AO verdrängt jedoch im Falle des gewerbsmäßigen, gewaltsamen oder bandenmäßigen Schmuggels die Grundtatbestände der §§ 370, 372 AO. So genannte unechte Konkurrenz bei Handlungsmehrheit liegt vor, wenn der Täter durch mehrere Handlungen mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verwirklicht. Insofern kann es vorkommen, dass die Verwirklichung des einen Straftatbestands den Unrechts- und oder Schuldgehalt einer vorausgegangenen oder einer nachfolgenden Handlung miteinschließt. In Fällen der mitbestraften Nachttat wird der Unrechtsgehalt der Nachtat durch die Bestrafung der in erster Linie strafwürdigen Haupttat abgegolten. Der Nachtat kommt insofern kein eigener Unwertgehalt zu.4 Kann die Aburteilung der Tat, etwa wegen Verjährung, nicht erfolgen, entfällt hingegen der Grund für die Straflosigkeit der Nachtat.5

11.599

4. Verhältnis zu anderen Straftaten/Ordnungswidrigkeiten Im Falle der Einstellung nach § 153 StPO/§ 398 AO kann der Vorgang an die Verwaltungsbehörde zur Weiterverfolgung der Ordnungswidrigkeit zurückgesandt werden. Geht der Steuerhinterziehung die Begehung einer Ordnungswidrigkeit voraus, kommt allein eine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung in Betracht. Die Ordnungswidrigkeiten sind dann mitbestrafte Vortat. Insbesondere § 26 Buchst. b oder 26 Buchst. c UStG sind gegenüber der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung subsidiär.

11.600

Tateinheit zwischen § 263 StGB und der Steuerhinterziehung kommt nur dann in Betracht, wenn der Täter durch eine Erklärung sowohl Steuern verkürzt, als auch allgemeine, durch den Betrugstatbestand geschützte Vermögensposition beeinträchtigt. Eine tatmehrheitlich begangene Untreue kommt insbesondere bei verdeckten Gewinnausschüttungen zu Gunsten des Gesellschafter Geschäftsführers einer GmbH ohne Einverständnis aller Gesellschafter in Betracht. In Bezug auf ein Vorenthalten von Arbeitsentgelt nach § 266 Buchst. a StGB liegt Tatmehrheit vor. Dies gilt auch in Bezug auf die zumeist verwirklichte Lohnsteuerhinterziehung. Eine Urkundenfälschung nach § 267 StGB ist tateinheitlich mit verwirklicht, wenn die falsche Urkunde gemeinsam mit der Steuererklärung im Finanzamt vorgelegt wird. Dies gilt auch bei Einreichung einer unrichtigen eidesstattlichen Versicherung nach § 156 StGB. Tatmehrheit

1 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644 Rz. 20. 2 Streitig ist, ob der Tatbestand der Steuerhehlerei erst nach Beendigung der Vortat (z.B. Steuerhinterziehung, so etwa BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40; BayObLG v. 11.3.2003 – 4 StR 7/2003, wistra 2003, 315) oder schon im Zeitfenster nach Vollendung aber noch vor Beendigung der Vortat verwirklicht werden kann (so BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, BFH/NV 2013, 493); Engelhardt in H/H/Sp, § 374 AO Rz 17. 3 BGH v. 28.8.2008 – 1 StR 443/08, NStZ 2009, 159; zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO und zu einem möglichen Strafklageverbrauch vgl. unter Rz. 4.18 ff. 4 BGH, Beschl. v. 27.10.1992 – 5 StR 517/92, BGHSt 38, 366; BGH, Beschl. v. 7.11.2013 – 4 StR 340/13, juris. 5 BGH, Beschl. v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14, BGHSt 60, 188.

Peters | 607

11.601

Kap. 11 Rz. 11.601 | Steuerhinterziehung

liegt vor, wenn die gefälschten Urkunden zunächst nicht gegenüber dem Finanzamt verwendet, sondern nur in die Buchhaltung eingeprägt werden. Bei den Bestechungsdelikten besteht sowohl bei dem Bestechenden als auch beim Empfänger Tatmehrheit im Hinblick auf eine durch die Bestechung ermöglichte Steuerhinterziehung.

608 | Peters

Kapitel 12 Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht A. B. I. 1. 2. II. III. IV. V. VI. VII. C. I. II. III. 1. 2.

3. 4. IV. V. D. I. II.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Selbstanzeige Selbstanzeigefähige Straftat Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstanzeige bei fehlender Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatsachenvortrag . . . . . . . . . . . . . . Abgabe der Selbstanzeige durch Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transfer von Unterlagen/Daten aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form der Selbstanzeige . . . . . . . . . Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung zur Berichtigungspflicht von Erklärungen (§ 153 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unverjährte Steuerstraftaten . . . . . Vollständigkeitsgebot . . . . . . . . . . Gestufte Selbstanzeige . . . . . . . . . . . Vollumfängliche Berichtigung unrichtiger Angaben einer Steuerart a) Steuerart . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollständigkeit der Nacherklärung und geringfügige Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausländische Kapitalerträge . . . Selbstanzeige nach der Selbstanzeige Selbstanzeige bei Stiftungsvermögen Nachzahlung der Steuern innerhalb der Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstanzeige bei der Hinterziehung ausländischer Steuern nach § 370 Abs. 6 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sperrgründe Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bekanntgabe der Außenprüfung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO)

12.1

12.3 12.6 12.12 12.16 12.17 12.23 12.24 12.25

12.28 12.30 12.31 12.32 12.36 12.39 12.43 12.44 12.46 12.47 12.51 12.59

III. Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) 12.63 IV. Erscheinen der Finanzbehörde (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c, d, e AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.64 V. Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) 1. Begriff der Tatentdeckung . . . . . . . 12.65 2. Reichweite der Tatentdeckung . . . . 12.70 3. Auslandsspezifische Besonderheiten bei der Frage nach der Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.73 a) Kontrollmitteilungen . . . . . . . . 12.74 b) Auskunftsersuchen als Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.75 c) Mediale Tatentdeckung/Ankauf von Steuer-CDs . . . . . . . . . . . . . 12.80 d) Grenzkontrollen . . . . . . . . . . . . 12.82 e) Tatentdeckung durch ausländische Amtsträger . . . . . . . . . . . 12.83 f) Ausschluss der Tatentdeckung aufgrund eines Verwertungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.86 VI. Subjektives Moment . . . . . . . . . . . 12.87 E. Selbstanzeige bei Unternehmen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.89 II. Selbstanzeige und Verbandsgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.91 F. Fremdanzeige zugunsten Dritter (§ 371 Abs. 4 AO) . . . . . . . . . . . . . . 12.95 G. Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung . . . . . . . . . . . . . . 12.98 H. Umfang der Sperrwirkung . . . . . . 12.99 I. Fertigung der Selbstanzeige/Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.101 J. Selbstanzeige und § 398 AO . . . . . 12.106 K. § 398a AO und Strafklageverbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.109

12.60

Peters | 609

Kap. 12 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht Literatur: Adick, Zur Neuregelung der Selbstanzeige (§ 371 AO) im Jahr 2011, HRRS 2011, 197; Alvermann, Die verdeckte Stellvertretung bei der Selbstanzeige – Chancen und Risiken, Stbg 2008, 544; Bader/Zlimnig, Bargeldverkehr im Dreiländereck Deutschland – Österreich – Schweiz, PStR 2010, 298; Beyer, Auskunftspflichten von Kapitalanlegern bei Fragen der Ermittlungsbehörden betreffend Bankmitarbeiter, Stbg 2011, 32; Beyer, Neuregelung der Selbstanzeige, AO-StB 2011, 119; Bielefeld/Sumecova, Neue „Tischordnung“ bei der Selbstanzeige – keine Einladung mehr zur Teilselbstanzeige, StB 2010, 311; Binnewies, GmbH-Geschäftsführer in Bedrängnis? Die Einschränkung der Selbstanzeige, GmbHR 2010, R 257; Breyer, Der Inhalt der strafbefreienden Selbstanzeige, Baden Baden 1999; Bron/Seidel, Informationsaustausch, Datenkauf sowie Selbstanzeige bei Stiftungs- und Truststrukturen, ErbStB 2010, 111; Bülte, Der strafbefreiende Rücktritt vom vollendeten Delikt: Partielle Entwertung der strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 AO durch § 261 StGB? ZStW 122, 550 (2010); Cornelius/Niendorf, Güterstandsschaukel mit Nebenwirkungen, AO-StB 2019, 153; Eigenthaler, Grundprobleme der Selbstanzeige im Sinne von § 371 AO, StW 2010, 32; Engelhardt/Loose, Der späteste Zeitpunkt für eine Selbstanzeige, AO-StB 2009, 273; Erb, Selbstanzeige: Berufsrechtliche Konsequenzen für Rechtsanwälte und Steuerberater, PStR 2008, 17; Faiß, Kann die Selbstanzeigemöglichkeit nach abgeschlossener Außenprüfung wieder aufleben?, PStR 2010, 73; Fehling/Rothbächer, Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige durch Medienberichte?, DStZ 2008, 821; Füllsack/Bürger, Tohuwabohu um die Selbstanzeige: Wer sich anzeigt, wird bestraft – Situationsbeschreibung und Lösungsansatz, BB 2010, 2403; Füllsack/Bürger, Die Neuregelung der Selbstanzeige, BB 2011, 1239; Gehm, Die Selbstanzeige nach § 371 AO im Zusammenhang mit den Kapitalanlegerfällen Schweiz, NJW 2010, 2161; Geuenich, Strafbefreiende Selbstanzeige – macht jetzt auch der Gesetzgeber „reinen Tisch“?, BB 2010, 2148; Göres/Kleinert, Die Liechtensteinische Finanzaffäre – Steuer- und steuerstrafrechtliche Konsequenzen, NJW 2008, 1353; Grootens, Hinterziehungszinsen bei Wegfall der Steuerschuld, ErbStB 2018, 297; Habammer, Die neuen Koordinaten der Selbstanzeige, DStR 2010, 2425; Handel, Die Stellvertretung bei der Selbstanzeige, DStR 2018, 709; Hechtner, Die strafbefreiende Selbstanzeige nach den Änderungen durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz – Strafbefreiende Selbstanzeige erster und zweiter Klasse mit Zuschlag, DStZ 2011, 265; Heerspink, Die Ermittlungen zur Liechtenstein-Affäre, AO-StB 2009, 25; Heerspink, Auf ein Neues: Steuer-CD, AO-StB 2010, 155; Holewa/Löwe-Krahl, Schwarzgeldkonten in der Schweiz – Fatale Fehler bei Selbstanzeigen, PStR 2010, 91; Hüls/Reichling, Die Selbstanzeige nach § 371 AO im Spannungsfeld zum Insolvenzrecht, wistra 2010, 327; Kamps, Rechtsprechungsänderung des BGH zur Wirksamkeit einer „Teilselbstanzeige“ i.S. des § 371 AO, DB 2010, 1488; Kamps, Selbstanzeige bei Erbschaftsteuerhinterziehung – Handlungsbedarf?, ErbR 2010, 151; Kaspar, Strafprozessuale Verwertbarkeit nach rechtswidriger privater Beweisbeschaffung – Zugleich ein Beitrag zur Systematisierung der Beweisverbotslehre, GA 2013, 206; Kauffmann, Die Affäre Liechtenstein und Schweiz in der Praxis – Zur Verwertbarkeit der angekauften Steuerdaten-CD im Strafverfahren, JA 2010, 597; Kemper, Wieder ein neuer § 371 AO?, DStR 2014, 928; Mack, Nichts ist umsonst: Selbstanzeige und Nachzahlungspflicht, Stbg 2010, 258; Madauß, Selbstanzeige und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, NZWiSt 2014, 126; Müller, A., Die strafbefreiende Selbstanzeige für einen Dritten, AO-StB 2007, 276; Müller, J.R., Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, 2. Aufl. Köln 2015; Mutter/Schwart, Keine Angst vor der Selbstanzeige – Nacherklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen bei Vermögensbindung in Stiftungen und Trusts, IStR 2009, 807; Pezzer, Zur Reichweite der Ablaufhemmungen des § 171 Abs. 5 und 9 AO, BFH/PR 2010, 77; Prowatke/Kelterborn, Zur Wirksamkeit der Selbstanzeige bei „geringfügiger Unvollständigkeit, DStR 2012, 640; Randt/Schauf, Selbstanzeige und Liechtenstein-Affäre, DStR 2008, 489; Ransiek/ Hinghaus, Tatbegriff und Selbstanzeige nach § 371 AO, StV 2010, 711; Rau, Ausgewählte Grundsatzprobleme und Grenzbereich der Selbstanzeige, in FS Streck, Köln 2011, 533; Rolletschke, Zur Einreichung einer Berichtigungsanzeige oder Selbstanzeige beim unzuständigen Finanzamt, wistra 2008, 439; Rolletschke/Roth, Die neue Selbstanzeige: Lebensbeichte, Sperrtatbestände, Zuschlag, Vertrauensschutz, StRR 2011, 171; Roth, Strafbefreiende Selbstanzeige?, NWB 2010, 1004; Rübenstahl/Loy, Der Bezugspunkt „geringfügiger Abweichungen“ bei der strafbefreienden Selbstanzeige (§ 371 AO), wistra 2018, 145; Ruhmannseder, Fallstricke und Verschärfungen bei der Nacherklärung nichtversteuerter ausländischer Kapitalerträge, StBW 2010, 1044, 1182; Sahan/Ruhmannseder, Steuerstrafrechtliche Risiken für Banken und ihre Mitarbeiter bei Kapitaltransfer in die Schweiz, IStR 2009, 715; Salditt, Liechtenstein: Fragen und Argumente, PStR 2008, 84; Salditt, Gestutzte Selbstanzeige – der Beschluss

610 | Peters

A. Einführung | Rz. 12.2 Kap. 12 des 1. Strafsenats des BGH vom 20. Mai 2010, PStR 2010, 168; Schäfers, Selbstanzeige: Praktische Tipps, StBW 2010, 181; Schäfers, Geplante Verschärfung der Selbstanzeige, StBW 2011, 34; Schauf/ Schwartz, Neuregelung der Selbstanzeige, PStR 2011, 8; Schlecht, Die strafbefreiende Selbstanzeige: Reform- und Reparaturansätze, Ubg 2014, 389; Schützeberg, Der persönliche, sachliche und zeitliche Umfang der Sperrwirkung bei der Selbstanzeige nach § 371 AO, StBp 2009, 223; Schwärzler/Wagner/ Frommelt, Datendiebstahl in Liechtenstein: Neues zu den Ansprüchen gegen die LGT Treuhand AG, SAM 2010, 2; Schwedhelm/Wulf, Strafbefreiende Selbstanzeige und Tatentdeckung im Rahmen der „Liechtenstein-Ermittlungen“, Stbg 2008, 294; Seitz, Der Ankauf von Steuerdatensätzen in strafrechtlicher und strafprozessualer Hinsicht, Ubg 2014, 380; Spatscheck, Das Ende des Bankgeheimnisses – Neue Amtshilferegelungen mit Liechtenstein, der Schweiz und Österreich, SAM 2010, 7; Spatscheck, Fallstricke der Selbstanzeige, DB 2013, 1073; Spatscheck/Stiehler, Zuwendungen unter Ehegatten – Wann sind Geschenke nicht nur schenkungsteuerpflichtig, sondern auch strafrechtlich relevant?, SAM 2019, 12; Streck, Testamentsberatung bei ausländischem verschwiegenen Vermögen, insbesondere bei ausländischen verschwiegenen Konten, ErbR 2011, 2; Talaska/Cremers, Auskunftsersuchen an „Airbnb“: Sind Selbstanzeigen noch möglich, DB 2018, 1824; Trüg, Steuerdaten-CDs und die Verwertung im Strafprozess, StV 2011, 111; Wagner, Liechtensteiner Stiftungen oder die Liechtenstein Story – Zur These vom Schleusen von Geld an der Steuer vorbei und der Vorverurteilung derer, die Geld in Liechtenstein anlegen – Steuerrecht, Steuerstrafrecht, Strafrecht, EU-Recht, ZSteu 2008, 95; Wegner, Steuer- und steuerstrafrechtliche Risiken für den Erben eines „Problem-Nachlasses“, ErbBstg 2010, 80; Wegner, § 371 AO: Läuft die strafbefreiende Selbstanzeige zum 31.12.2010 aus?, PStR 2010, 145; Wessing, Nebenfolgen der Selbstanzeige, SAM 2010, 99; Wulf, Auf dem Weg zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige (§ 371 AO)?, wistra 2010, 286; Wulf, Ausschluss der Selbstanzeige durch Kontrollmitteilung?, Stbg 2010, 175; Wulf, Strafbefreiende Selbstanzeige – nach der Reform ist vor der Reform, Stbg 2014, 271.

A. Einführung Nicht nur vor dem Hintergrund im Ausland belegener Konten und daraus resultierender nicht versteuerter Kapitalerträge nimmt das Institut der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht eine besondere Rolle ein. Auch auf Unternehmensebene kommt etwa die Abgabe einer Selbstanzeige in Betracht, etwa wenn sich nachträglich herausstellt, dass etwaige Gewinnverlagerungen ins Ausland zumindest den Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung erfüllen, wenn schwarze Kassen aufgelöst werden sollen oder eine inländische Steuerpflicht (nachträglich) erkannt wird.

12.1

Die Selbstanzeige ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund und wirkt nur zugunsten desjenigen, der die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt.1 Die Motive des Anzeigenden sind unerheblich. Anders als ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB kann eine Selbstanzeige auch nach vollendeter Tat erfolgen. Eine Abgrenzung zum strafbefreienden Rücktritt in Form des Rücktritts vom beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Var. 2 StGB) kann jedoch angezeigt sein, wenn der Steuerpflichtige nicht in der Lage ist, die fälligen Steuern und Zuschläge zu entrichten und die Vollendung der Tat verhindert wird. Sinn und Zweck der Selbstanzeige ist es,

12.2

1 Allg. Meinung. Zu den Auswirkungen hinsichtlich Dritter, etwa Steuerberater oder Bankmitarbeiter, die um die Steuerhinterziehung wussten, vgl. J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1161. Wussten Dritte von der Steuerhinterziehung und ist ihnen der Vorwurf der Beihilfe zu machen, kommt ggf. die Annahme des Sperrgrunds der Tatentdeckung in Betracht, wenn diese um die Selbstanzeige wussten.

Peters | 611

Kap. 12 Rz. 12.2 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

dem Staat bislang unbekannte Steuerquellen zu erschließen und den Steuerpflichtigen zur Rückkehr zur Steuerehrlichkeit zu bewegen.1 Von untergeordneter Bedeutung ist die Honorierung der Rückkehr zur Steuerehrlichkeit. Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO stellt ein Strafverfolgungshindernis dar.

B. Voraussetzungen der Selbstanzeige I. Selbstanzeigefähige Straftat 1. Einführung 12.3

Voraussetzung ist zunächst, dass eine selbstanzeigefähige Straftat vorliegt.2 Zu prüfen ist vorab, ob nicht bereits ein Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ und Art. 50 GRCh eingetreten ist (Kap. 4) oder ob die Tat verjährt ist.3 Die Frage der vorsätzlichen und schuldhaften Handlung ist gleichsam zu prüfen. Auch die Frage der Steuerhinterziehung an sich sollte geklärt sein. Der Katalog ist abschließend und eine Selbstanzeige ist bspw. nicht möglich bei vorherigem Schmuggel (§ 373 AO) oder einer vorherigen Steuerhehlerei (§ 374 AO).4 Beispiel: A erwirbt in Polen unversteuerte Zigaretten, verbringt diese nach Deutschland und verkauft sie gewinnbringend im Straßenverkauf weiter.

12.4

Auch bei der Bereinigung steuerlicher Sachverhalte mit Wirkung für die Vergangenheit sollte stets geklärt werden, ob und ggf. welche strafrechtlichen Implikationen sich daraus ergeben können. Beispiel: A und B leben sind seit vielen Jahren verheiratet. Ein Ehevertrag existiert nicht. A wendet B im Laufe der letzten 10 Jahre erhebliche Vermögenswerte, jenseits aller Freibeträge (ausländische Depotanteile, hälftige Eigentumswohnung auf Mallorca, Schmuck, hälftiger Anteil am Haus in Deutschland, Autos etc.) zu, die grundsätzlich schenkungssteuerpflichtig (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) sind. Zur Bereinigung der Situation wählen sie das Modell der sog. Güterstandsschaukel.5

12.5

Fraglich ist hier insbesondere, ob den Beteiligten klar war, dass die entsprechenden Schenkungen steuerpflichtig waren6 und ob sie, und wenn ja wer in welcher täterschaftlichen Form, ggf. Steuern auch nur auf Zeit hinterzogen haben. Eine vollständige Beseitigung der Strafbarkeit ist zu verneinen, obgleich die Situation steuerlich mit Wirkung auch für die Vergangenheit bereinigt ist. Denn der rückwirkende Wegfall des Schenkungssteueranspruchs (§ 29 Abs. 1

1 Zur Rechtfertigung und zum Zweck der Selbstanzeige vgl. J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 343 ff. 2 Zu einer strafbefreienden Erklärung nach dem Gesetz über die strafbefreiende Erklärung vom 23.12.2003 (StraBEG) ohne vorherige Steuerhinterziehung vgl. BFH v. 1.10.2014 – II R 6/13, FR 2015, 434. Ziel war es in den günstigeren Amnestietarif von 25 % zu gelangen. 3 Vgl. auch die Fälle bei J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 558. 4 BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 127/19, wistra 2019, 509 (510). 5 Hierzu Cornelius/Niendorf, AO StB 2019, 153. 6 Die Entscheidung FG Hessen v. 7.5.2018 – 10 K 477/17, ErbStB 2018, 297 war dadurch geprägt, dass sich die Beteiligten vorab informiert hatten und steuerlich bewandert waren, wenngleich trotzdem fraglich ist, ob man hier um die konkrete Strafbarkeit gewusst haben muss. Vgl. hierzu Cornelius/Niendorf, AO StB 2019, 153.

612 | Peters

B. Voraussetzungen der Selbstanzeige | Rz. 12.9 Kap. 12

Nr. 3 ErbStG) führt nach Ansicht der Rechtsprechung nicht zum Entfallen des Straftatbestands der Steuerhinterziehung.1

2. Selbstanzeige bei fehlender Strafbarkeit Im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts tauchen vermehrt Sachverhaltsgestaltungen auf, in denen ausländische Unternehmen (nachträglich) erkennen, dass bestimmte in Deutschland erbrachte oder von Endverbrauchern in Anspruch genommene – vorzugsweise digitale – Leistungen eine inländische Steuerpflicht auslösen. Teilweise war es in der Vergangenheit so, dass die betroffenen Unternehmen über Jahre hinweg keine Steuererklärung in Deutschland abgegeben haben. In den konkreten Fällen war nach Lage der Dinge weder von einem vorsätzlichen noch von einem leichtfertigen Verhalten auszugehen. Häufig handelt es sich um Fälle, in denen nachträgliche eine Versicherungssteuerpflicht erkannt wurde. Es stellte sich die Frage, wie derartige Sachverhalte, denen ersichtlich keine Steuerstraftat zu Grunde lag, zu bereinigen sind.

12.6

Beispiel: Das ausländische Unternehmen A erkennt nachträglich, dass bestimmte im Ausland versicherte Risiken in Bezug auf ein großes Musikfestival aufgrund der internen Vertragsgestaltung und vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Falles in Deutschland eine bisher nicht erkannte Versicherungssteuerpflicht in Deutschland auslösen.

12.7

Das nicht in der EU ansässige Unternehmen B betreibt eine Internetplattform, auf der auch deutsche Nutzer Leistungen in Deutschland in Anspruch nehmen können. Bislang hat das Unternehmen sämtliche Umsätze zu einem weitaus geringeren Steuersatz im Ausland versteuert. Nach der Einführung von Tax Compliance Maßnahmen erkennt das Unternehmen, dass die Steuern zumindest teilweise in Deutschland abzuführen gewesen wären.

Vornehmliches Ziel in derartigen Situationen muss es sein, zunächst zweifelsfrei darzulegen, dass ersichtlich keine Straftat vorliegt. In der Praxis dürfte es mitunter schwer sein, die Finanzbehörden davon zu überzeugen, dass international tätige Unternehmen sich vor der Erbringung von Leistungen in Deutschland nicht über die Steuerpflicht erkundigt haben. Starkes Indiz für das Nichtvorliegen einer Straftat ist dabei stets, wenn die entsprechenden Umsätze, wenn auch zu einem geringeren Steuersatz, im Ausland versteuert wurden und dies gegenüber den Finanzbehörden belegt werden kann. Problematisch wird es indes, wenn die Umsätze weder in Deutschland noch im Ausland versteuert wurden. Dann stellt sich die Frage, ob eine Selbstanzeige auch für im Ausland hinterzogene Steuern in Betracht kommt (vgl. Rz. 12.51).

12.8

Eine unmittelbare Anwendung von § 153 AO scheidet bei Entrichtung der Steuern im Ausland aus, da der Steuerpflichtige bisher keine Steuererklärung im Inland abgegeben und nicht nachträglich erkannt hat, dass die entsprechenden Angaben falsch waren. Es ließe sich anführen, dass derjenige, der gar keine Steuererklärung abgegeben hat, nicht schlechter gestellt werden kann als derjenige, der eine Steuererklärung abgegeben hat. Dafür spricht, dass der Steuerpflichtige, der weder vorsätzlich oder leichtfertig gar keine Steuererklärung abgegeben hat,

12.9

1 FG Hessen v. 7.5.2018 – 10 K 477/17, ErbStB 2018, 297, wonach der rückwirkende Wegfall des Steueranspruchs „ex tunc“ nicht zum Entfallen des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung führt. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bereits in dem Zeitpunkt vollendet und auch beendet, in dem das FA – bei rechtzeitiger Anzeige der Zuwendung – den Schenkungssteuerbescheid bekannt gegeben hätte; so bereits BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/ 10, NJW 2011, 3249. Zum Ganzen auch mit abweichender Ansicht, was die Strafbarkeit betrifft Spatscheck/Stiehler, SAM 2019, 12, wobei jedoch m.E. der Vergleich mit einem nichtigen Steuergesetz fehl geht. Der Steueranspruch ist einmal entstanden und zumindest eine Hinterziehung auf Zeit wäre gegeben. Vgl. hierzu Grootens, ErbStB 2018, 297.

Peters | 613

Kap. 12 Rz. 12.9 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

ansonsten keine Möglichkeit hätte, sanktionslos steuerliche Korrekturen vorzunehmen. Da die Selbstanzeige nicht als solche bezeichnet werden muss, bietet es sich in derartigen Situationen an, die nachträgliche Korrekturerklärung in jedem Falle selbstanzeigefest zu gestalten. Problematisch ist jedoch, dass hier das Vollständigkeitsgebot erfüllt sein muss und gegebenenfalls weitere nicht entrichtete und hinterzogene Steuern nacherklärt werden müssen. Eine Untätigkeit bei positiv erkanntem Korrekturbedarf birgt das Risiko einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen.

12.10

Die Praxis zeigt, dass sich zumeist einvernehmliche Lösungen mit der Finanzverwaltung finden lassen, insbesondere wenn sogleich eine Zahlung auf die nicht entrichteten Steuern erfolgt und die Hintergründe erläutert werden. Daneben bietet es sich an, die entsprechenden unternehmensinternen Maßnahmen mitaufzuführen, bspw. was eine Änderung der Geschäftsabläufe betrifft oder die Errichtung/Erweiterung eines Tax Compliance Systems.

12.11

Für den Fall, dass dennoch die Strafverfolgungsbehörden mit dem Fall befasst werden, etwa wenn der Fall zur Prüfung eines Anfangsverdachts übersandt wird, kann es sich anbieten, von vornherein einen entsprechenden Zuschlag mit nachzuerklären, der gegebenenfalls eventuelle Abweichungen oder auch schon die Strafzuschläge nach § 398a AO abdeckt.

II. Tatsachenvortrag 12.12

Für die Wirksamkeit der Selbstanzeige ist in inhaltlicher Hinsicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige bzw. sein Vertreter eine gewisse Tätigkeit entfaltet, die in der Richtung einer Berichtigung und Ergänzung der bisherigen Angaben liegt.1 Hierdurch muss ein wesentlicher Beitrag zur Ermöglichung einer zutreffenden nachträglichen Steuerfestsetzung geleistet werden. Dabei wird es als ausreichend betrachtet, wenn die durch die bisherigen unwahren oder unvollständigen Angaben des Steuerpflichtigen dem Finanzamt verschlossenen Steuerquellen durch eigene Aufklärungstätigkeit des Steuerpflichtigen dem Einblick des Finanzamts eröffnet worden sind, sodass es nunmehr dem Finanzamt möglich ist, auf dieser Grundlage ohne langwierige größere Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen.2 Dabei dürfen im Einzelfall keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. So kann etwa nicht verlangt werden, dass das Finanzamt die nachzufordernde Steuer ohne weitere Aufklärungstätigkeit bei anderen auskunftsbereiten Stellen sofort festsetzen kann.3 1 BGH v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373 (375); BGH v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140); BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381; BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 = NJW 2010, 2146; OLG Köln v. 28.8.1979 – 1 Ss 574/79, DB 1980, 57 (58); LG Stuttgart v. 21.8.1989 – 10 KLs 137/88, wistra 1990, 72 (73); OLG Hamburg v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274 (275); vgl. zum Ganzen auch Breyer, Selbstanzeige, 187 ff.; J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 392 ff. 2 St. Rspr.: BGH v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373 (375); BGH v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140); BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381; BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 = NJW 2010, 2146; OLG Köln v. 28.8.1979 – 1 Ss 574/ 79, DB 1980, 57 (58); LG Stuttgart, Beschl. v. 21.8.1989 – 10 KLs 137/88, wistra 1990, 72 (73); OLG Hamburg v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274 (275); vgl. zum Ganzen auch Breyer, Selbstanzeige, 187 ff.; J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 392 ff.; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 160 ff. 3 BGH v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; OLG Stuttgart v. 21.8.1989 – 10 KLs 137/88, wistra 1990, 72 (73).

614 | Peters

B. Voraussetzungen der Selbstanzeige | Rz. 12.15 Kap. 12

Da der Sinn und Zweck einer Selbstanzeige darin liegt, dem Staat eine bisher unbekannte Steuerquelle zu erschließen,1 sind zur Anreizerhöhung der Selbstanzeigebereitschaft an den Erklärungsinhalt wesentlich geringere Anforderungen zu stellen als bei einer Steuererklärung. Es genügt, wenn die Selbstanzeige so viel Material enthält, dass das Finanzamt sich durch eine gewisse weitere eigene – wenn auch nicht langwierige – Aufklärung Klarheit verschaffen kann.2 Die Praxis ist hier bisweilen großzügig, insbesondere wenn sogleich eine Zahlung zu verbuchen ist. Oftmals kommt dies auch in Konstellationen vor, in denen die endgültigen Zahlen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens auch nur unter praktischen Mühen verifizierbar wären.

12.13

Beispiel: Das US Unternehmen A erbringt in Deutschland elektronische Dienstleistungen (Streaming, Zugang zur Übertragung von Sportveranstaltungen) ohne entsprechende Steuern abzuführen. Die mitgeteilten Zahlen weisen Jahr für Jahr eine Steigerung aus und sind für sich genommen plausibel. Das Unternehmen hat sich auch bereits beim BZSt für die Zukunft registriert und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Im „Ernstfall“ hätte es – wenn überhaupt – mit Aussicht auf Erfolg Monate oder Jahre gedauert, in den USA im Wege der Rechtshilfe einen konkreten Überblick über die Umsätze zu erhalten.

Wie jede Erklärung ist auch die Erklärung zur Selbstanzeige der Auslegung i.S.d. § 133 BGB zugänglich.3 Eine Anfechtung kommt hingegen nicht in Betracht, da es sich um eine Wissensund nicht um eine Willenserklärung handelt. Bislang stellte der BGH als entscheidendes Kriterium darauf ab, ob sich für die Finanzbehörde eine wesentliche Verbesserung der für die zutreffende Steuerfestsetzung notwendigen Tatsachengrundlage ergeben hat.4 Der Steuerpflichtige verliert seinen Anspruch auf Straffreiheit nicht schon dadurch, dass die zahlenmäßige Berechnung der Steuer noch eine gewisse eigene Aufklärung durch das Finanzamt erfordert, wie etwa durch Beiziehung von Steuerakten oder Anfragen bei Stellen, die dem Finanzamt gegenüber zur Auskunft verpflichtet oder zweifellos dazu bereit sind.5

12.14

Vor dem Hintergrund des geschützten Rechtsguts der Steuerhinterziehung, das öffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen der einzelnen Steuer6 und dem Sinn und Zweck der Selbstanzeige, kommt es nach hier vertretener Ansicht aber nicht so sehr auf die konkrete Darlegung an. Erforderlich ist vielmehr, dass es der Finanzbehörde ermöglicht wird, die nicht entrichtete Steuer zutreffend festzusetzen. Hierfür ist jedoch zunächst die Kenntnis des steuerrelevanten Sachverhalts vonnöten.7 Auch der BGH stellt darauf ab, dass die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige auf fiskalischen Erwägungen beruht und es dem Staat auf die Erschließung bisher unbekannter Steuerquellen ankommt, damit er die ihm obliegenden Aufgaben erfüllen kann.8

12.15

1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140); Breyer, Selbstanzeige, 175. OLG Hamburg v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274. Breyer, Selbstanzeige, 207. BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381 (384). Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 52 unter Verweis auf RG 70, 350. BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100 (102). Ebenso J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 397, 414. BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (141) unter Verweis auf BGH v. 4.7.1979 – 3 StR 130/79, BGHSt 29, 37 (40); BGH v. 11.11.1958 – 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100 f.; bestätigt durch BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 (2726); vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 160 ff.

Peters | 615

Kap. 12 Rz. 12.16 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

III. Abgabe der Selbstanzeige durch Vertreter 12.16

Die Selbstanzeige muss nicht persönlich abgegeben werden, sondern kann durch einen Vertreter oder Beauftragten erfolgen. Eine schriftliche Bevollmächtigung ist nicht erforderlich.1 Die Selbstanzeige kann auch in verdeckter Stellvertretung abgegeben werden.2 Entscheidend ist nur, dass der Täter die Mitteilung veranlasst hat und sie ihm deshalb zurechenbar ist.3 Für die Frage des Nachweises der Vollmacht gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“, der im Strafprozess auch für Umstände gelten kann, die die Zulässigkeit des Verfahrens betreffen (Prozessvoraussetzungen, Prozesshindernisse), und somit erst recht für die dem materiellen Recht zuzuordnende Frage, ob ein Strafaufhebungsgrund in Form der Selbstanzeige vorliegt.

IV. Transfer von Unterlagen/Daten aus dem Ausland 12.17

Vielfach ist es erforderlich, der Selbstanzeige aus dem Ausland stammende Unterlagen beizufügen, etwa Depot- und Erträgnisaufstellungen oder sonstige relevante Unterlagen. Der Steuerpflichtige steht dabei vor dem Dilemma, dass, wenn er an der Grenze mit entsprechenden Unterlagen aufgegriffen wird, die Entdeckung der Tat droht und damit ein Sperrgrund i.S.d. § 371 Abs. 2 AO gegeben sein könnte.4

12.18

Die erste Möglichkeit, Unterlagen „sicher“ nach Deutschland zu verbringen, besteht darin, die komplette Selbstanzeige im Ausland zu fertigen und durch einen steuerlichen Berater überbringen zu lassen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass § 97 StPO die Beschlagnahmefreiheit nur dann vorsieht, wenn der Steuerpflichtige bereits in den Beschuldigtenstatus gerückt ist.5 In jedem Fall sollte die Möglichkeit geprüft werden, die Unterlagen im Falle gegenständlicher Verbringung zu verschlüsseln und als „privileged and confidential“ zu kennzeichnen.

12.19

Eine weitere Möglichkeit ist, Daten aus dem Ausland im Wege des direkten Datenaustauschs elektronisch (verschlüsselt) zu versenden.

12.20

Die dritte Möglichkeit besteht darin, zunächst eine Schätzung6 abzugeben und dann in einem zweiten Schritt die konkreten Zahlen nebst den Unterlagen zu übersenden, da mit Abgabe der Schätzung ein Anwartschaftsrecht auf Straffreiheit besteht.

12.21

Schließlich besteht die Möglichkeit, Unterlagen anonymisiert aus dem Ausland zu übersenden, etwa in der Form, dass auf den Unterlagen nur ein Kennwort vermerkt wird. Im Falle der Entdeckung können diese Unterlagen keinem konkreten Steuerpflichtigen zugeordnet werden.

12.22

In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass auch bereits größere Überweisungen, z.B. zur Zahlung der Steuern, Zinsen und Zuschläge, aus dem Ausland nach Deutschland ver-

1 BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, wistra 1985, 74 f.; einschränkend wohl Pflaum in Wabnitz/ Janovsky/Schmitt5, Kap. 21 Rz. 118 unter Verweis auf BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140). 2 BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140). 3 BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140). 4 J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1164 ff. 5 Ablehnend zu dieser Vorgehensweise auch J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 189 ff. 6 Hierzu Madauß, NZWiSt 2014, 126.

616 | Peters

B. Voraussetzungen der Selbstanzeige | Rz. 12.24 Kap. 12

dachtsbegründend wirken können. Auch diese Gelder sollten über einen steuerlichen Berater transferiert werden. Eine Herausforderung stellt zukünftig die Ermittlung/Übersendung von Daten bzgl. der Anschaffungskosten und Veräußerungsgewinne bei Kryptowährungen und beim Tausch von Kryptowährungen dar, der dadurch charakterisiert ist, dass eine Kryptowährung im Gegenzug für eine andere Kryptowährung hingegeben wird.1 Beim Tausch ist der Wert des hingegebenen Wirtschaftsgutes zum Zeitpunkt des Tausches zu ermitteln. Die größeren Börsen stellen historische Preisdaten zur Verfügung. Auch spezielle Anbieter und Preis-Aggregatoren (z.B. Coinmarketcap)2 bieten die Möglichkeit, historische Preisdaten für Kryptowährungen zu erhalten.3 Problematisch ist, dass die entsprechenden Originaldaten zumeist auf ausländischen Servern belegen sind4 und schon vor dem Hintergrund der Menge über sichere Leitungen transferiert bzw. zur Verfügung gestellt werden müssen. Die zutreffende Darstellung der Transaktionshistorie gestaltet sich auch vor dem Hintergrund der verschiedenen Formate von den Transaktionsdaten schwierig. Die ausländischen Anbieter bilden das deutsche Steuerrecht nur unzureichend bis gar nicht an. Es wird sich zukünftig zeigen, wie derartige Daten angefordert, aufbereitet und ggf. auch digital der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellt werden können, um die Wirksamkeit der Selbstanzeige im Bereich der Kryptowährungen zu überprüfen.

V. Form der Selbstanzeige Die Selbstanzeige ist nicht an bestimmte Formalien gebunden.5 Es ist nicht erforderlich, dass sie als solche bezeichnet wird.6 Sie kann sogar „beiläufig“ abgegeben werden7 oder konkludent erfolgen.8 Ausführungen wie „vergessen“, „übersehen“ oder nähere Erläuterungen zur inneren Tatseite sind nicht erforderlich. Der Text kann neutral gehalten werden.9

12.23

VI. Adressat Die Selbstanzeige ist dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO folgend bei der Finanzbehörde abzugeben. Dies ist nach herrschender Auffassung das sachlich und örtlich zuständige Finanzamt.10 Zwar ist auch ein unzuständiges Finanzamt zur Weitergabe verpflichtet (§§ 111 ff. AO). Das Risiko einer verspäteten oder verzögerten Weiterleitung sollte jedoch vermieden werden. Sicherheitshalber sollte ggf. eine Kopie an die Straf- und Bußgeldsachenstelle/Steuerfahndung gesandt werden, um Missverständnisse hinsichtlich einer womöglich bevorstehenden Tatentdeckung zu vermeiden. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Zum Ganzen auch Heuel in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1852 ff. https://coinmarketcap.com/. Zum Ganzen Figatowski, RET 05/2020. Heuel in Kohlmann, § 370 AO, Rz. 1892. J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 186; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 50. BGH v. 13.10.1998 – 5 StR 392/98, wistra 1999, 27; Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 65; Stahl, Selbstanzeige3, § 91 Rz. 98. OLG Köln v. 28.8.1979 – 1 Ss 574/79, DB 1980, 57 (58); Breyer, Selbstanzeige, 175. BGH v. 13.10.1992 – 5 StR 253/92, wistra 1993, 66 (68); OLG Köln v. 28.8.1979 – 1 Ss 574/79, DB 1980, 57 (58); Breyer, Selbstanzeige, 175; J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 186 f. Für Beratungshinweise und Muster vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 861 ff. Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 89 m.w.N.

Peters | 617

12.24

Kap. 12 Rz. 12.25 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

VII. Abgrenzung zur Berichtigungspflicht von Erklärungen (§ 153 AO) 12.25

Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, – dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist oder – dass eine durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu entrichtende Steuer nicht in der richtigen Höhe entrichtet worden ist, ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Die Verpflichtung trifft auch den Gesamtrechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen und die nach den §§ 34 und 35 AO für den Gesamtrechtsnachfolger oder den Steuerpflichtigen handelnden Personen (Erben, gesetzliche Vertreter) mit der Folge einer möglichen Strafbarkeit im Fall des Unterlassens.1 Beispiele: 1. Als Gesamtrechtsnachfolger des B erbt A auch ein Schweizer Bankkonto. Die daraus resultierenden Erträge hat der Erblasser nie erklärt. 2. B folgt dem A als Vorstandsvorsitzenden in der X-AG und erfährt von der Existenz im Ausland belegener schwarzer Kassen, die bisher in keiner Bilanz aufgetaucht sind.

12.26

Die Anzeigepflicht besteht ferner, wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder sonstige Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise wegfallen. Die Regelung betrifft den Fall, dass ein Steuerpflichtiger die unvorsätzlich herbeigeführte Steuerverkürzung nachträglich erkennt. Bleibt er indes untätig, kommt eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen in Betracht. Nur selbst verursachte Fehler und Lücken sind anzuzeigen.

12.27

Die steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO besteht auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat (dolus eventualis) und er erst im Nachhinein zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die von ihm getätigten Angaben unrichtig sind. Die aus § 153 AO resultierende steuerrechtliche Pflicht zur Berichtigung von mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz abgegebenen Erklärungen wird in strafrechtlicher Hinsicht erst mit der Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens suspendiert, das die unrichtigen Angaben erfasst.2

C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige I. Überblick 12.28

Zwei Ereignisse der jüngeren Zeit wirkten sich in besonderem Maße auf die Selbstanzeige aus. Zum einen ist das Urteil des BGH vom 20.5.2010 zu nennen.3 Zum anderen ist es das

1 Hierzu BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371 (376); FG Berlin v. 27.1.1999 – 2 K 2138/ 97, EFG 1999, 680. 2 BGH v. 17.3.2008 – 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210. 3 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 = NJW 2010, 2146.

618 | Peters

C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige | Rz. 12.31 Kap. 12

Schwarzgeldbekämpfungsgesetz.1 In der amtlichen Begründung zur Neuregelung der Selbstanzeige heißt es:2 „Die Neuregelung der Selbstanzeige soll dazu dienen, dass in Zukunft Steuerhinterzieher, die ihre Selbstanzeige nur insoweit erstatten, wie sie eine Aufdeckung fürchten, nicht mehr mit Strafbefreiung belohnt werden. [...] Künftig muss eine Selbstanzeige umfassend alle Hinterziehungssachverhalte, die strafrechtlich noch nicht verjährt sind, enthalten, damit die Rechtsfolge Straffreiheit auch eintritt. Sie darf sich nicht nur als sog. Teilselbstanzeige auf bestimmte Steuerquellen, z.B. in bestimmten Ländern oder auf bestimmte Steuergestaltungen beziehen. Strafbefreiung soll nur noch derjenige erwarten dürfen, der alle noch verfolgbaren Steuerhinterziehungen der Vergangenheit vollständig offenbart.“

Das bedeutet, aus sämtlichen strafrechtlich bisher noch nicht verjährten Besteuerungszeiträumen müssen die unterlassenen oder unvollständigen Angaben vollständig nachgeholt beziehungsweise sämtliche Unrichtigkeiten vollumfänglich berichtigt werden. Die in der Gesetzesbegründung vorgesehene Einschränkung, dass unbewusste Unrichtigkeiten und Unvollständigkeiten nicht zum Ausschluss der Selbstanzeige führen sollen,3 ist dem Gesetz nicht unmittelbar zu entnehmen.

12.29

II. Unverjährte Steuerstraftaten Die Selbstanzeige muss lediglich Angaben zu unverjährten Steuerstraftaten enthalten. Die Verjährung richtet sich nach den strafrechtlichen Verjährungsfristen und beträgt in der Regel fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB).4 Zu beachten ist jedoch die Vorschrift des § 376 AO, wonach in den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 15 AO genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung die Verjährungsfrist zehn Jahre beträgt. Die Bestimmung des zeitlichen Umfangs der Nacherklärung ist mithin abhängig von der Prüfung, wann Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

12.30

Beispiel: A erzielte im Jahr 2002 durch die Veräußerungen von Aktienpaketen über seine ausländische Bank hohe Einkünfte, die zu einer Einkommensteuernachzahlung von 100.000 Euro geführt hätten. Die Veräußerung hat A bisher gegenüber dem Finanzamt verschwiegen. Die Lösung hängt davon ab, ob § 376 AO auch für „Altfälle“ Geltung beansprucht.

III. Vollständigkeitsgebot Mit der Neufassung des Gesetzes hat der Gesetzgeber das Erfordernis einer übergreifenden Nacherklärungspflicht eingeführt. Die Berichtigung muss sich nunmehr auf alle unverjährten Steuerstraftaten beziehen. Die Nacherklärung einzelner Taten im materiellen Sinne ist daher nicht mehr möglich.

1 Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz) v. 28.4.2011, BGBl. I 2011, 676; vgl. hierzu auch Beyer, AO-StB 2011, 119; Hechtner, DStZ 2011, 265. 2 BT-Drucks. 17/4182, 4 f. 3 BT-Drucks. 17/4182, 5. 4 BT-Drucks. 17/5067, 21; Hechtner, DStZ 2011, 265 (267).

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12.31

Kap. 12 Rz. 12.32 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

1. Gestufte Selbstanzeige 12.32

Auch nach der Reform des § 371 AO bleibt die sog. „gestufte Selbstanzeige“ möglich,1 etwa wenn die Zollverwaltung im Rahmen der Überwachung des grenzüberschreitenden Bargeldverkehrs (§ 12a ZollVG) Hinweise auf eine mögliche Steuerhinterziehung entdeckt.2 Die Einleitung des Bußgeldverfahrens nach § 31a ZollVG schließt die Selbstanzeige nicht aus. Ist nicht bereits von einer Tatentdeckung auszugehen, kommt eine wirksame Selbstanzeige noch in Betracht. Andernfalls kann sich der Berater schadenersatzpflichtig machen, bspw. wenn er nachdem der Mandant vom Ankauf einer Steuer-CD erfährt, auf der er befindlich sein könnte, auf Grundlage geschätzter Zahlen eine Selbstanzeige hätte abgeben können, indes nicht einmal unverzüglich entsprechende Bankunterlagen aus dem Ausland anfordert.3

12.33

Dem Finanzamt können in einem ersten Schritt die geschätzten Zahlen mitgeteilt werden, deren Konkretisierung in einem zweiten Schritt erfolgen kann.4 Davon zu unterscheiden ist freilich die „pauschale“ Selbstanzeige oder die bloße Ankündigung der Abgabe einer Selbstanzeige. Die Nacherklärung muss immer konkrete, wenn auch geschätzte Zahlen beinhalten, welche den einzelnen Steuern zugeordnet werden können und die Finanzbehörde in die Lage versetzen, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt aufzuklären und die Steuer festzusetzen. Die Schätzung sollte als solche bezeichnet werden und im Zweifel eher zu hoch ausfallen. Welche Angaben weiterhin erforderlich sind, ist vom Einzelfall abhängig. Im Grundsatz dürften jedoch die gleichen Anforderungen wie für Schätzungen durch die Finanzverwaltung gelten.5 Von griffweisen oder wahllos überhöhten Schätzungen ist abzuraten.

12.34

Die Angabe zu hoher Beträge hindert nicht einen Einspruch gegen die Steuerbescheide.6 Auch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist möglich. Sowohl um die Höhe als auch um die rechtliche Qualifikation kann weiterhin gestritten werden, sodass auch eine vorsorgliche Selbstanzeige möglich ist. Auch hier muss gelten, dass geringfügige Abweichungen unbeachtlich sind. Wenngleich die Zahlen lieber zu hoch als zu niedrig geschätzt werden sollten, sollte eine Abweichung von mehr als 5 %7 nicht erfolgen, sofern eine höhere Abweichung im Nachhinein nicht plausibel erklärt werden kann.

12.35

Die Selbstanzeige in Stufen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige aus Angst vor einer Entdeckung der Tat keine Unterlagen in Deutschland vorrätig hat, sondern diese (kostenpflichtig) bei der Bank deponiert sind.8 Keinesfalls sollte der Steuerpflichti1 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 149 ff.; Rolletschke in G/J/W2, § 371 AO Rz. 47 ff.; J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 188, 557; Wessing/Biesgen in Flore/Tsambikakis2, § 371 AO Rz. 70 ff.; ablehnend, aber im Ergebnis nicht überzeugend Hunsmann, NJW 2011, 1484. 2 Madauß, NZWiSt 2014, 126. 3 Vgl. OLG Nürnberg v. 24.2.2017 – 5 U 1687/16, DStRE 2017, 1531. 4 Vgl. auch BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304; Madauß, NZWiSt 2014, 126 (127). 5 Madauß, NZWiSt 2014, 126 (127) unter Verweis auf BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304. 6 Unzutreffend geht LG Heidelberg v. 16.11.2012 – 1 Qs 62/12, NZWiSt 2013, 38, von einem Widerruf der Selbstanzeige aus; hierzu Heuel, AO-StB 2013, 133; J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 558. 7 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, wistra 2011, 428; vgl. aber Jaeger in Klein15, § 371 AO Rz. 207 der sogar eine Abweichung von 10 % für angemessen hält. 8 Die in diesem Zusammenhang anfallenden Kosten der ausländischen Bank für die Zurückbehaltung der Bankunterlagen sind nicht als Werbungskosten abzugsfähig, da diese Kosten nach Ansicht der Finanzverwaltung zur Verschleierung der Bankbeziehung angefallen sind; vgl. auch J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 558.

620 | Peters

C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige | Rz. 12.39 Kap. 12

ge die Unterlagen selbst in das Inland verbringen. Der Steuerpflichtige selbst sollte die Unterlagen erst dann nach Deutschland verbringen, wenn das im Ausland belegene Konto unter dem Namen des Steuerpflichtigen geführt wird und die Selbstanzeige im Wege der Schätzung eingereicht worden ist. Ungeachtet dessen sollte jedoch ein steuerlicher Berater die Unterlagen bei der Bank im Ausland prüfen, bevor diese nach Deutschland verbracht werden. Insbesondere sind Überweisungen an andere Steuerpflichtige im Ausland oder Inland zu überprüfen. Zudem ist vorab abzuklären, woher das Kapital stammt. Insbesondere im Zusammenhang mit ausländischen Provisionszahlungen für die Vorlage entsprechender Unterlagen kommt es regelmäßig zur Aufdeckung von Bestechungsfällen. Hier ist sorgfältig zu prüfen, ob die entsprechende Straftat verjährt ist.1

2. Vollumfängliche Berichtigung unrichtiger Angaben einer Steuerart a) Steuerart Mit Beschluss vom 25.10.2011 hatte der BGH die bisher übliche Teilselbstanzeige faktisch abgeschafft.2 Diese Änderung fand Eingang in die Neufassung des § 371 AO; der Gesetzgeber hat eine Fassung gewählt, die letztlich über die durch den BGH formulierten Anforderungen hinausgeht. Um Straffreiheit zu erlangen, müssen nunmehr zu allen unverjährten Taten derselben Steuerart sogleich „in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt“ werden.

12.36

Nach dem Gesetzeswortlaut sind Angaben zu „allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart“ zu machen. Der Begriff der Steuerart ist jedoch gesetzlich nicht definiert, was Probleme aufwirft.3 Die Gesetzesbegründung versteifte sich auf „Einkommensteuerhinterziehungen“, was den Schluss zulässt, dass sämtliche Unrichtigkeiten – losgelöst von der Einkunftsart und der Frage des Sachzusammenhangs – mit unmittelbarer Auswirkung auf die Einkommensteuer berichtigt werden müssen.

12.37

Nach richtiger Ansicht hat eine Anknüpfung an die speziellen Steuergesetze dergestalt zu erfolgen, dass nur eigene Arten und Formen staatlicher Abgaben erfasst sein können, die sich klar von anderen Steuern, eingeschlossen deren Erhebungsform, abgrenzen lassen. Ungeklärt ist, ob auch Beteiligungen an „gleichartigen“ Steuerhinterziehungen (z.B. Beihilfe zur Einkommensteuerhinterziehung) verschiedener Steuerpflichtiger einzubeziehen sind. Nach hier vertretener Ansicht ist der Wortlaut einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur die „Steuerart“ ein und desselben Steuerschuldners einbezogen wird.

12.38

b) Vollständigkeit der Nacherklärung und geringfügige Abweichungen Nach dem Gesetzeswortlaut hat die Berichtigung in vollem Umfang zu erfolgen. Bisher ließen geringfügige Abweichungen von 6 – 10 % die Wirksamkeit der Selbstanzeige unberührt.4 Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen auch weiterhin Unschärfen im praktischen Vollzug 1 Zum Ganzen auch J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 558. 2 Zum Ganzen auch J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 457 ff.; kritisch hierzu Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 220 ff. 3 Vgl. auch Beyer, AO-StB 2001, 119 (120); Hechtner, DStZ 2011, 265 (268); Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 220 ff. 4 OLG Frankfurt v. 18.10.1961 – I Ss 854/61, NJW 1962, 974; BGH v. 14.12.1976 – 1 StR 196/76, BB 1978, 698; Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 244, Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 20; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 220 ff.

Peters | 621

12.39

Kap. 12 Rz. 12.39 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

hinzunehmen sein, sodass Bagatellabweichungen auch weiterhin nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige führen.1 Richtigerweise kann die jedoch die Summe der Abweichung nur ein Anhaltspunkt für die Geringfügigkeit sein.2 Angesichts der Tatsache, dass eine Selbstanzeige zur Straffreiheit führt, muss Ausgangspunkt die Frage der individuellen Vorwerfbarkeit, mithin der dem Täter anzulastenden Schuld sein. Dadurch wird auch die Problematik um „nicht-dolose“ Teilselbstanzeigen erheblich entschärft.3

12.40

Der BGH ist der Ansicht, dass nach der neuen Gesetzesfassung des § 371 Abs. 1 AO jedenfalls eine Abweichung mit einer Auswirkung von mehr als 5 % vom Verkürzungsbetrag i.S.d. § 370 Abs. 4 AO nicht mehr geringfügig ist.4 Jedoch soll eine wertende Betrachtung vorgenommen werden, ob bei Gesamtwürdigung der Umstände nicht auch unterhalb der postulierten 5 % eine Versagung der Strafbefreiung in Betracht kommt, etwa ob es sich um bewusste Abweichungen handelt, oder in einer zu niedrigen Schätzung noch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit gesehen werden kann.5 Die Ausführungen des BGH lassen den Schluss zu, dass gerade in Fällen, in denen die Zeit drängt, etwa wenn Depotaufstellungen aus dem Ausland noch nicht vorliegen, dies den Weg in die Straffreiheit nicht erschwert. Anzuraten ist allerdings, den Willen zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit zu dokumentierten, etwa durch Beifügung des Schriftverkehrs mit den Bankinstituten.

12.41

Nicht geklärt ist, ob sich die 5 % auf alle Taten beziehen oder den jeweiligen Veranlagungszeitraum (Gesamtbetrachtung/isolierte Betrachtung).6 Wegen des Erfordernisses der vollständigen Rückkehr wird jedoch auf den Gesamtbetrag abzustellen sein.7 Beispiel: A hat Einkommensteuer 2010 in Höhe von 10.500 Euro und Einkommensteuer 2011 in Höhe von 1.000 Euro hinterzogen. Die Einkommensteuer 2010 erklärt er in zutreffender Höhe nach, die Einkommensteuer 2011 nur in Höhe von 500 Euro. Bezüglich 2011 besteht eine Differenz von 50 %. Im Verhältnis zur Gesamterklärung beträgt die Differenz jedoch nur 4,3 %.

12.42

Eine Kompensation innerhalb einer materiellen Tat dürfte als Konsequenz des materiellrechtlichen Tatbegriffs8 nicht in Betracht kommen. c) Ausländische Kapitalerträge

12.43

Den Finanzbehörden sind die konkreten ausländischen Kapitalerträge mitzuteilen. Problematisch ist hierbei, dass die ausländischen Bankinstitute teils mehrere Monate benötigen, die erforderlichen Unterlagen zusammenzustellen und zu übermitteln. Teilweise war in der Vergangenheit das Problem zu verzeichnen, dass Unterlagen bereits vernichtet waren oder elek1 BT-Drucks. 17/5067, 19. 2 So auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 220. 3 Zum Ganzen ausführlich J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 457 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 221. 4 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW-Spezial 2011, 633; Geuenich, BB 2011, 3106; Trüg, NJW 2012, 3256; Spatscheck/Höll, SAM 2011, 206 (561); Prowatke/Kelterborn, DStR 2012, 640. 5 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW-Spezial 2011, 633. 6 Hierzu Sackreuther, PStR 2011, 244. 7 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 220 ff.; Spatscheck/Höll, SAM 2011, 561 (563); Prowatke/Kelterborn, DStR 2012, 640 (643); Heuel/Rau, KÖSDI 2012, 17935; in diese Richtung auch OFD Nds. v. 13.7.2011 – S 0702 – 30 – St 131; a.A. Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200 (201); Jope, NZWiSt 2012, 59. 8 Kritisch hierzu Schwartz, wistra 2011, 81 (86), Heuel/Beyer, StBW 2011, 315, Spatscheck/Dinkgraeve, AO-StB 2004, 262.

622 | Peters

C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige | Rz. 12.45 Kap. 12

tronisch nicht mehr so aufbereitet werden konnten, dass eine Übernahme problemlos möglich war. Daneben gilt es bei der Ermittlung der steuerpflichtigen ausländischen Kapitalerträge gegebenenfalls unterschiedliche Besteuerungssysteme zu beachten. In der Regel liegen dem Berater Kontoauszüge, Depotabrechnungen, Vermögensübersichten, Erträgnisaufstellungen oder Bewegungsbilanzen vor. Oftmals fehlen jedoch Angaben über Erträge, die nach deutschem Recht steuerpflichtig sind. Die Erträgnisaufstellungen sind insoweit zu ergänzen. Erträgnisaufstellungen ausländischer Banken weisen oftmals nur die aus der Ausschüttung resultierende Auszahlung aus. Abweichungen können sich aber aufgrund des ausländischen Steuerabzugs ergeben. Teils kommt es auch vor, dass thesaurierte Erträge erneut angelegt worden und somit in den Erträgnisaufstellungen nicht enthalten sind. Die thesaurierten Erträge sind gesondert zu ermitteln.

3. Selbstanzeige nach der Selbstanzeige Ungeklärt ist weiter, ob eine Selbstanzeige nach der Selbstanzeige möglich ist. Eine Differenzierung zwischen dolosen und undolosen Teilselbstanzeigen ist weiter nicht zu erwarten. Gesetzesbegründung, Wortlaut (es fehlt die Wendung „insoweit“) und der Unterschied zur Altregelung lassen de facto nur den Schluss zu, dass auch im Falle versehentlicher unvollständiger Selbstanzeigen die Wirksamkeit insgesamt verneint werden wird.1 Stellungnahmen des Finanzministeriums NRW2 deuteten bereits in diese Richtung, auch wenn durchaus Argumente für die Anerkennung einer undolosen Teilselbstanzeige sprechen.3 Zum einen ist es in derartigen Fällen keine planvolle Hinterziehungstaktik des Steuerpflichtigen, sondern gleichwohl der Versuch, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass der Steuerpflichtige trotz Willens zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit dauerhaft daran gehindert ist. Dies widerspricht dem fiskalischen Zweck der Selbstanzeige. Wenn der Steuerpflichtige plausibel darlegen kann, warum die erste Selbstanzeige versehentlich unvollständig war, und die Nacherklärung verhältnismäßig gering ist, spricht nach hiesigem Dafürhalten nichts dagegen, die Wirksamkeit insgesamt anzuerkennen.4

12.44

Beispiel: A erstattet angesichts neu aufgetauchter CDs aus Liechtenstein unter Zeitdruck Selbstanzeige hinsichtlich sämtlicher nichterklärter Kapitaleinkünfte seiner ausländischen Konten. Nach Abgabe der Selbstanzeige und Einstellung des Ermittlungsverfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO findet er zufällig sein Postbank Sparbuch aus Kindertagen, auf dem seit 30 Jahren unangetastet 1.000 DM schlummern, die seine Großeltern noch für ihn angelegt hatten.

Vor dem Hintergrund, dass geringfügige Abweichungen unschädlich sein sollen, wird man auch bei Nacherklärung dieses Kontos der ursprünglichen Selbstanzeige nicht die Wirkung versagen wollen. Anders ist indes der Fall zu beurteilen, wenn A bewusst lediglich die europäischen Konten erklärt in der Annahme, hinsichtlich der in Asien belegenen Konten bestehe keine Entdeckungswahrscheinlichkeit.

1 Zum Ganzen Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 240 ff. 2 FinMin. NRW, Stellungnahme v. 25.6.2010 – S 0702-9-VA 1, B.3.; in diese Richtung auch Roth/ Schützeberg, PStR 2010, 214; Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200 (203). 3 Vgl. auch Schwartz, PStR 2011, 150 ff., der eine Unterscheidung nach Lebenssachverhalten trifft und darüber zur Wirksamkeit gelangt; Beyer, AO-StB 2011, 119; Kamps, DB 2010, 1488; Prowakte/Kelterborn, DStR 2012, 640 (642); zur Gegenansicht vgl. Rolletschke/Roth, Stbg 2012, 200. 4 J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 558; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 240.

Peters | 623

12.45

Kap. 12 Rz. 12.46 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

4. Selbstanzeige bei Stiftungsvermögen 12.46

Steht die Erstattung einer Selbstanzeige bei Stiftungsvermögen1 im Raum, gilt es, sich zunächst die steuerlichen Pflichtenkreise und daraus womöglich resultierenden strafrechtlichen Verantwortungsbereiche vor Augen zu führen.2 Insbesondere ist auf die Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Stiftungen zu achten. Davon abhängig ist auch, welche Unterlagen der Selbstanzeige beizufügen sind. Es tritt keine Straffreiheit ein, wenn der Steuerpflichtige – verschuldet oder unverschuldet – zur Sachaufklärung nicht in der Lage ist.3

IV. Nachzahlung der Steuern innerhalb der Frist 12.47

Die hinterzogenen Steuern sind innerhalb einer von der Finanzbehörde gesetzten Frist nachzuzahlen. Bis dahin besteht eine Art Anwartschaft auf Straffreiheit, die mit Zahlung erstarkt. Dem Täter sollte solange Zeit gegeben werden, um die erforderlichen Mittel zu beschaffen (mindestens 14 Tage, maximal jedoch sechs Monate). Die Frist kann verlängert werden. Es bietet sich jedoch an, die finanziellen Mittel bei Abgabe der Selbstanzeige parat zu haben. Ist die Frist zu kurz bemessen, entfaltet sie keine Rechtwirkung.4 Im späteren Strafverfahren wird dann die Unangemessenheit festgestellt und das Strafverfahren bis zum Ablauf einer gerichtlich bestimmten Frist ausgesetzt (§ 228 StPO).

12.48

Zur Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens kann es sich anbieten, i.S.d. höchstrichterlichen Rechtsprechung die Abgabe an die Staatsanwaltschaft zu beantragen, wie dies bei Fragen über die Wirksamkeit von Selbstanzeigen nunmehr gewollt ist.

12.49

Ist der Täter allein aufgrund wirtschaftlichen Unvermögens zur Zahlung nicht in der Lage, legt er aber gleichwohl alle Besteuerungsgrundlagen offen, bleibt abzuwarten, ob eine teilweise Straffreiheit angenommen werden wird bzw. geringfügige Abweichungen unschädlich sind. Gleiches gilt für die Kombination von undoloser Teilselbstanzeige und wirtschaftlichem Unvermögen. Auch hier sprechen die besseren Argumente dafür, derartigen Selbstanzeigen die Wirkung nicht gänzlich zu versagen.

12.50

Nebenleistungen wie Säumniszuschläge, Hinterziehungszinsen oder Verspätungszuschläge fallen nicht unter § 371 Abs. 3 AO, hindern mithin den Eintritt der Straffreiheit nicht. Es kann sich daher anbieten, im Verwendungszweck oder Anschreiben darauf hinzuweisen, dass die Zahlung auf die Steuer erfolgt.

V. Selbstanzeige bei der Hinterziehung ausländischer Steuern nach § 370 Abs. 6 AO 12.51

Die Absätze 1 – 5 des § 370 AO gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit 1 Zu den verschiedenen Stiftungsmodellen und den steuerlichen Auswirkungen vgl. Rz. 14.208 ff.; 17.31 ff. 2 Vgl. hierzu die Ausführungen in Rz. 15.1 ff.; 17.35. 3 LG Hamburg v. 18.6.1986 – 117/86 Ns, wistra 1988, 120 (121) unter Berufung auf BGH v. 14.12.1976 – 1 StR 196/76, BB 1978, 698. 4 LG Koblenz v. 13.12.1985 – 105 JS (Wi) 17.301/83 – 10 KLs, wistra 1986, 79 (81); zur Angemessenheit unterschiedlicher Fristen vgl. die Nachweise bei J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 571.

624 | Peters

C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige | Rz. 12.55 Kap. 12

dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG1 genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden. Abgaben, die von einem anderen Staat verwaltet werden, fallen nicht in den Anwendungsbereich von § 153 AO. Einen § 370 Abs. 6 AO entsprechenden Verweis gibt es in § 153 AO nicht. Von daher besteht keine Anzeigepflicht aus § 153 AO gegenüber einer deutschen oder gegenüber einer ausländischen Finanzbehörde mit der Konsequenz der fehlenden Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, es sei denn das Recht des betroffenen ausländischen Staates kennt eine der deutschen Vorschrift des § 153 AO entsprechende Berichtigungspflicht. Denn eine Strafbarkeit kommt nur dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige ausländische Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dabei Erklärungspflichten im ausländischen Recht missachtet.2

12.52

Die strafbefreiende Selbstanzeige ist über den allgemeinen Verweis auf § 370 AO auch in Fällen der Hinterziehung ausländischer Steuer nach § 370 Abs. 6 AO möglich.3 Bislang ungeklärt ist, gegenüber welcher Finanzbehörde in Fällen des §§ 370 Abs. 6 AO die Berichtigungserklärung zu erstatten ist. So werden die ausländischen Steuern durch ausländische Finanzbehörden verwaltet, indes ist die Selbstanzeige nicht gegenüber einer ausländischen Finanzbehörde zu erstatten. Nach hier vertretener Ansicht ist die Berichtigungserklärung gegenüber der Deutschen Finanzbehörde abzugeben, wie wenn es sich um eine Hinterziehung deutscher Steuern gehandelt hätte.4 Hierfür spricht der Gedanke, dass jede Finanzbehörde i.S.d. § 6 Abs. 2 AO, unabhängig von ihrer sachlichen und örtlichen Zuständigkeit für die jeweils verkürzten Steuern, zur Entgegennahme jedweder Selbstanzeige geeignet ist und die Finanzbehörden untereinander im Wege der Amtshilfe zur Weiterleitung der Anzeige an die zuständige Behörde verpflichtet sind.5 Dies gilt erst recht, wenn keine Finanzbehörde zuständig ist.

12.53

Vorab ist jedoch zu klären, ob in dem betroffenen EU oder EFTA Staat die originäre Möglichkeit der Selbstanzeige besteht. Alsdann ist zu klären, ob der Eingang der Selbstanzeige bei einer Deutschen Finanzbehörde einer Tatentdeckung im Auslandsstaat gleichkommt und ob trotz des Eintritts der Straffreiheit in Deutschland gleichsam noch eine Bestrafung im Ausland droht. Dies hängt davon ab, inwieweit ein transnationaler Strafklageverbrauch in Betracht kommt (vgl. Rz. 4.25 ff.). In der Praxis ist mit aller Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass, wenn eine Selbstanzeige im Hinblick auf hinterzogene ausländische Steuern abgegeben wird, diese im Wege der Amts- oder Rechtshilfe der ausländischen Behörde übermittelt wird. Der auf europäischer Ebene geltende Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen legt dies in besonderem Maße nahe.6

12.54

Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Verfügbarkeit von Informationen und nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ist zumindest bei EU-Staaten anzunehmen, dass

12.55

1 ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 2 BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, NJW 2014, 1029. 3 Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 21, Seer in T/K, § 371 AO Rz. 7, der zutreffend auf die nicht unerheblichen technischen Schwierigkeiten hinweist. 4 Seer in T/K, § 371 AO Rz. 23. 5 Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 120 ff., Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 275 f. m.w.N. 6 RB 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EU 2006 Nr. L 386, 89 und ABl. EU 2007 Nr. L 75, 26); zum Ganzen auch Beyer, AO-StB 2013, 351.

Peters | 625

Kap. 12 Rz. 12.55 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

eine Weiterleitung der Selbstanzeige wie bei inländischen Behörden mit einer entsprechenden strafbefreienden Wirkung in Betracht kommt, sofern im ausländischen Staat ein gleichgelagertes Institut besteht. Bislang ungeklärt ist jedoch, was zu gelten hat, wenn die strafbefreiende Selbstanzeige nach deutschem Verständnis inhaltlich richtig und vollständig ist, der ausländische Staat jedoch weitergehende Erfordernisse aufgestellt hat.

12.56

Da nach der Rechtsprechung des BGH auch Angehörige ausländischer Behörden als Tatentdecker in Betracht kommen,1 wenn der betreffende Staat aufgrund bestehender Abkommen internationale Rechtshilfe leistet, kann daraus im Umkehrschluss gefolgert werden, dass auch eine Selbstanzeige gegenüber ausländischen Behörden eine Rückkehr in die Steuerehrlichkeit bedeutet.

12.57

Angesichts der Tatsache, dass sich § 370 Abs. 6 AO nur auf bestimmte Steuern bezieht, ist zunächst zu prüfen, welchem Staat der Steueranspruch zusteht. Im Zweifel und wenn Eile geboten ist und die Feststellung des Steueranspruchs von weiteren Ermittlungen abhängig ist, dürfte es auch unschädlich sein zunächst sowohl die inländische als auch die ausländische Behörde über den Sachverhalt in Kenntnis zu setzen. Beispiel: A verbringt in großem Ausmaß Kraftfahrzeuge aus Drittstaaten in die europäische Union. Die Autos gelangen über eine Fähre nach Marseille in Frankreich und werden sodann nach Deutschland verbracht. Zum Zeitpunkt der Verbringung der Kraftfahrzeuge ist noch nicht klar, ob und wann die Verbringer wieder aus der EU ausreisen, sprich ob die Einfuhrumsatzsteuer bereits an der französischen Grenze entstanden ist oder erst nach Ablauf von sechs Monaten in Deutschland anfällt.

12.58

Eine weitere Möglichkeit in diesem Zusammenhang besteht darin, dass, wenn die deutsche Finanzbehörde sich für unzuständig oder den Steueranspruch im Ausland für nicht gegeben hält, sondern von einem inländischen Steueranspruch ausgeht, ein Vorabentscheidungsverfahren zu initiieren (vgl. unter Rz. 11.72 ff.).

D. Sperrgründe I. Überblick 12.59

Die Sperrgründe wurden durch das AO Ändg vom 22.12.2014 dahingehend erweitert, dass der Begriff des Täters durch den Begriff des „der an der Tat Beteiligten“ ersetzt wurde, mithin nunmehr auch Teilnehmer erfasst werden. § 371 Abs. 2 AO führt abschließend die Sperrgründe auf, bei deren Vorliegen eine Straffreiheit nicht eintritt.2

II. Bekanntgabe der Außenprüfung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO) 12.60

Dass bereits die bloße Bekanntgabe der steuerlichen Außenprüfung den Weg zur Straffreiheit versperren soll, ist neu. Auf die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung kommt es nicht an,3 solange diese nicht nichtig ist.4 Voraussetzung ist die schriftliche Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gem. § 196 AO. Ob die Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 AO Geltung bean1 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, juris, Rz. 33 f. 2 Zum Ganzen auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 20 Rz. 133 f. 3 BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381 (383); Beyer, AO-StB 2011, 119 (122); a.A. Adick, HRRS 2011, 197 (200). 4 BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381 (383).

626 | Peters

D. Sperrgründe | Rz. 12.64 Kap. 12

sprucht, kann dahinstehen.1 Im Ernstfall trägt die Finanzbehörde die Feststellunglast für den Zugang der mittels einfachem Brief versandten Prüfungsanordnung, der nur schwer zu beweisen ist.2 Ein Prima-facie-Beweis gilt – erst recht im Strafrecht – nicht.3 Fraglich ist, was zu gelten hat, wenn sich die Prüfungsanordnung nicht an den Täter oder seinen Vertreter richtet, sondern an die Kapitalgesellschaft als Steuersubjekt. Im Falle der Steuerhinterziehung durch vertretungsberechtigte Organe ließe sich die Sperre als vom Gesetzeswortlaut umfasst ansehen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Steuerhinterziehung durch Dritte begangen wurde. In diesem Fall wäre die Wortlautgrenze überschritten.

12.61

Spannungen und Argumentationspotenzial ergeben sich auch im Hinblick auf § 378 Abs. 3 AO, der keinen entsprechenden Sperrgrund kennt. Eine leichtfertige Steuerverkürzung kann auch während laufender Prüfung angezeigt werden. Dies bedeutet zum einen, dass der Frage nach der Leichtfertigkeit in erhöhtem Maße Bedeutung zukommt.4 Der sachliche Umfang der Sperrwirkung bestimmt sich nach dem Inhalt der Prüfungsanordnung, d.h. die Sperrwirkung umfasst sämtliche Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsstand in sachlichem Zusammenhang stehen.5 Bedeutung kommt der Prüfungsanordnung jedoch weiterhin in persönlicher Hinsicht zu.

12.62

III. Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) Hinsichtlich der Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (vgl. auch § 397 AO) ist zu beachten, dass die Entdeckung einer der von der Selbstanzeige erfassten Tat die Strafbefreiung für alle unverjährten Taten der entsprechenden Steuerart ausschließt (vertikale Infektionswirkung). Die in der Regel schriftlich vorliegende Einleitungsverfügung umgrenzt dabei die Reichweite6 der Sperrwirkung und ist daher genauestens auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen (vgl. auch Nr. 28 Abs. 2 AStBV).7 Die Finanzverwaltung NRW will wohl auch eine horizontale Infektionswirkung für andere Steuerarten annehmen.8

12.63

IV. Erscheinen der Finanzbehörde (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c, d, e AO) Bezüglich der Regelung des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c, d, e AO gilt auch weiterhin, dass für das Erscheinen der Finanzbehörde das körperliche Erscheinen maßgeblich ist.9 Der Umfang 1 Ablehnend Adick, HRRS 2011, 197 (200). 2 Vgl. die Ausführungen des FG Düsseldorf v. 11.2.2005 – 8 K 2373/04 BB, EFG 2005, 1004 unter Verweis auf BFH v. 5.12.1974 – V R 111/74, BStBl. II 1975, 286; BFH v. 14.3.1989 – VII R 75/85, BStBl. II 1989, 534; BFH v. 12.3.2003 – X R 17/99, BFH/NV 2003, 1031. 3 Im Zweifel muss das Finanzamt den Zugang nachweisen, vgl. auch BFH v. 13.2.2008 – XI B 218/ 07, BFH/NV 2008, 742. 4 Adick, HRRS 2011, 197 (200). 5 Vgl. auch BFH v. 23.1.1985 – I R 53/81, BStBl. II 1985, 566; Adick, HRRS 2011, 197 (200); einschränkend Prowatke/Felten, DStR 2011, 899. 6 Zur Reichweite in persönlicher Hinsicht vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 422 ff. 7 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 175. 8 FinMin. NRW, Stellungnahme v. 25.6.2010 – S 0702-9-VA 1; ablehnend Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 422, 191.2, 206; zu den Auswirkungen im Zusammenhang mit mehreren ausländischen Schwarzgeldkonten vgl. die Ausführungen zur Tatentdeckung in Rz. 11.46. 9 Zum persönlichen Umfang der Sperrwirkung vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 446, 539, 542 ff.

Peters | 627

12.64

Kap. 12 Rz. 12.64 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

der Sperrwirkung bestimmt sich im Fall der steuerlichen Prüfung (§ 200 Abs. 2 AO) sachlich, zeitlich und persönlich nach der Prüfungsanordnung.1 Im Fall der Fahndungsprüfung bestimmt sich die Reichweite der Sperrwirkung über die richterliche Durchsuchungsanordnung und auf alle Taten, die mit dem Erscheinen in Zusammenhang stehen.2 Andernfalls bestimmt sich die Sperrwirkung nach dem sachlichen Umfang der Prüfung. Nach der Rechtsprechung des BGH vom 5.4.20003 und 20.5.20104 erstreckt sich die Sperrwirkung der steuerlichen Prüfung auch auf Vorwürfe, die nicht Gegenstand der Ermittlungen sind, jedoch damit in einem engen sachlichen und/oder zeitlichen Zusammenhang stehen (Sachzusammenhang).5 Fraglich ist, inwieweit in Zukunft bei regulären Außenprüfungen und Sonderprüfungen eine Sperrwirkung angenommen werden wird.6 Die Ausführungen des BGH lassen eine restriktive Tendenz befürchten. Nach Abschluss der Prüfung lebt die Möglichkeit zur Selbstanzeige wieder auf.7 Nach hier vertretener Ansicht ist die Schlussbesprechung der maßgebliche Zeitpunkt bzw. im Umkehrschluss zum Wortlaut „Erscheinen“ das Verlassen des Betriebs. Allerspätestens ist die Prüfung mit Erlass der entsprechenden Steuerbescheide beendet.8

V. Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) Literatur: Brenner, Kein Ausschluss der Selbstanzeige, wenn der konkrete Täter noch nicht entdeckt ist, DStZ 1984, 478; Dörn, Behandlung von Kontrollmitteilungen in Finanzämtern und Bußgeld- und Strafsachenstellen, DStZ 1991, 747; Dörn, Wirksamkeit der Selbstanzeige trotz Vorliegens von Kontrollmaterial, DStZ 1992, 620; Fehling/Rothbächer, Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige durch Medienberichte, DStZ 2008, 821; Leise, Zum Begriff der Tatentdeckung bei Selbstanzeige, BB 1972, 1500; Müller/Burkhard, Überwachung des grenzüberschreitenden Bargeldtransfers in Europa, Stbg 2002, 137; Randt/Schauf, Selbstanzeige und Liechtenstein-Affäre – Ist der Weg in die Straflosigkeit noch möglich oder sind die Taten schon entdeckt?, DStR 2008, 489; Roth, Ankauf von DatenCDs – eine Zwischenbilanz, Stbg 2013, 29; Schwedhelm/Wulf, Strafbefreiende Selbstanzeige und Tatentdeckung im Rahmen der „Liechtenstein-Ermittlungen“, Stbg 2008, 294; Talaska/Cremers, Auskunftsersuchen an „Airbnb“: Sind Selbstanzeigen noch möglich?, DB 2018, 1824.

1. Begriff der Tatentdeckung 12.65

Von besonderer Bedeutung für die Selbstanzeige im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts ist die Frage nach der Tatentdeckung, die gem. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO die Abgabe einer Selbstanzeige sperrt. Der Sperrgrund der Tatentdeckung ist neben dem Sperrgrund der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen einer der häufigsten (vermeintlichen) Sperrgründe in der Praxis. Oftmals bestehen Konstellationen in welchen die Finanzverwaltung bereits (teilweise) über irgendwie geartete Informationen verfügt oder bereits steuerliche Aus1 Zur Sperrwirkung bei rechtswidrigen Prüfungsmaßnahmen vgl. BGH v. 16.5.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381; BayObLG v. 23.1.1985 – Rreg. 4 St 309/84, wistra 1985, 117; Wessing/Biesgen in Flore/Tsambikakis2, § 371 AO Rz. 106 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 530 ff. 2 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 530 ff. 3 BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 219. 4 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304. 5 Vgl. jedoch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 420; a.A. Webel, PStR 2010, 189 (193); vgl. auch FinMin. NRW, Stellungnahme v. 25.6.2010 – S 0702-9-VA 1. 6 Vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 420 ff. 7 BGH v. 23.3.1994 – 5 StR 38/94, wistra 1994, 228; BGH v. 15.1.1988 – 3 StR 232/88, BGHR AO § 371 – Selbstanzeige 1; Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 49 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 421. 8 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 520 f.

628 | Peters

D. Sperrgründe | Rz. 12.68 Kap. 12

kunftsersuchen gestellt hat, indes jedoch fraglich ist, ob die Voraussetzungen von § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO gegeben sind. Das Grundproblem besteht darin, dass § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ausdrücklich von Steuerstraftaten und einer ganz oder teilweisen Entdeckung spricht und zusätzlich der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit hätte rechnen müssen. Zu bemängeln ist zunächst, dass der Gesetzgeber sich trotz aller Friktionen in der Praxis und trotz der seit Jahren anhaltenden Diskussion um die subjektive Komponente nicht dazu entschieden hat, diese aus den Sperrgründen auszunehmen. Wenn der Gesetzgeber sich indes bewusst dafür entschieden hat, die subjektive Komponente auch weiterhin als Wirksamkeitsvoraussetzung für das Vorliegen eines Sperrgrundes anzunehmen, ist aus der Praxis heraus zu monieren, dass die subjektive Seite vielfach nicht genügend geprüft wird.

12.66

Tatentdeckung liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn durch die Kenntnis zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Betroffenen mehr als wahrscheinlich ist.1 Dabei dürfen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose nach Ansicht des BGH nicht überspannt werden, weil sie auf einer (noch) schmalen Tatsachenbasis erfolgen muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Begriff des Entdeckens der Tat i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO mit den üblichen strafprozessualen Verdachtsgründen nicht gleichgesetzt werden, weil ihm ein eigenständiger Bedeutungsgehalt zukommt. Demzufolge ist für eine Tatentdeckung weder ein hinreichender Tatverdacht i.S.d. § 170 Abs. 1, § 203 StPO erforderlich, noch, dass der Täter der Steuerhinterziehung bereits ermittelt ist. Vielmehr genügt es, dass konkrete Anhaltspunkte für die Tat als solche bekannt sind. Die in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO enthaltene Definition der Tatentdeckung enthält – so der BGH – eine doppelte, zweistufige Prognose. Zunächst ist – auf der Grundlage der vorhandenen, regelmäßig noch unvollständigen Informationen – die Verdachtslage, und zwar vorläufig, zu bewerten. Aufbauend auf dieser bloß vorläufigen Bewertung muss der Sachverhalt, auf den sich der Verdacht bezieht, zudem rechtlich geeignet sein, eine Verurteilung wegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit zu rechtfertigen. Ist das Vorliegen eines Sachverhalts wahrscheinlich, der die Aburteilung als Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit rechtfertigen würde, ist die Tat entdeckt. Die Regelung des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO besteht dem Wortlaut nach aus dem objektiven Moment der Entdeckung der Tat. Hinzukommen muss die subjektive positive Kenntnis oder eine dem Täter bekannte hinreichende Entdeckungswahrscheinlichkeit.

12.67

Entdeckt i.S.d. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist die Tat nicht schon bei bloßem Tatverdacht. Dies ist bereits dem Wortsinn des Merkmals des Entdeckens zu entnehmen, der die Fälle bloßen Verdachtschöpfens nicht mit umfasst.2 Das Gesetz stellt auf die Entdeckung der Tat ab, sodass auch die Person, die als Täter oder Teilnehmer der Steuerstraftat in Betracht kommt, noch nicht bekannt zu sein braucht.3 Das Merkmal der Tatentdeckung erfordert daher mehr als die

12.68

1 Vgl. BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, wistra 1983, 197; BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126; BGH v. 27.4.1988 – 3 StR 55/88, wistra 1998, 308; BGH v. 30.3.1993 – 5 StR 77/93, wistra 1993, 227; BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 226; BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/ 16, juris, Rz. 31 f.; vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 629, 633, der aus der Rechtsprechung des BGH folgert, dass die Voraussetzungen für die Erhebung der öffentlichen Klage vorliegen müssen; Spatscheck, DB 2013, 1073 (1077). 2 BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415. 3 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146 unter Verweis auf BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, wistra 2004, 309.

Peters | 629

Kap. 12 Rz. 12.68 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

Kenntnis von Anhaltspunkten, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Anlass geben können. Jedoch müssen die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen nicht bereits so weit bekannt sein, dass der Schuldumfang verlässlich beurteilt werden kann. Es genügt, dass konkrete Anhaltspunkte für die Tat als solche bekannt sind. Die Kenntniserlangung von einer Steuerquelle stellt für sich allein noch keine Tatentdeckung dar.1 Das Merkmal der Tatentdeckung erfordert zudem mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit späterer Aufklärung gegeben ist.2

12.69

In der Regel wird eine Tatentdeckung bereits dann anzunehmen sein, wenn unter Berücksichtigung der zur Steuerquelle oder zum Auffinden der Steuerquelle bekannten weiteren Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit naheliegt.3 Welche Umstände jedoch hinzukommen müssen, damit die Tat (wenigstens zum Teil) entdeckt ist, lässt sich allein im Einzelfall und nicht schematisch beantworten.4 Nach hier vertretener Ansicht muss die Tat in ihren wesentlichen Teilen wahrgenommen worden oder eine solche Wahrnehmung unmittelbar zu erwarten sein (Täter,5 Steuerart, ungefährer Schaden). Stets ist die Tat entdeckt, wenn der Abgleich mit den Steuererklärungen des Steuerpflichtigen ergibt, dass die Steuerquelle nicht oder unvollständig angegeben wurde.

2. Reichweite der Tatentdeckung 12.70

Für die Frage nach der Reichweite der Entdeckung der Tat sind in der Praxis letztlich die Ausführungen des BGH vom 20.5.20106 maßgeblich.7 Danach betrifft der Sperrgrund der Tatentdeckung nicht nur solche Taten, die vom Ermittlungswillen („zur Ermittlung“) des erschienenen Amtsträgers erfasst sind. Er erstreckt sich auch auf solche Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in sachlichem Zusammenhang stehen.8 Damit gilt ein eng materiell-rechtlicher Tatbegriff. Der Normzweck erfordert nach Ansicht des BGH die Erstreckung der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 AO a.F. auch auf solche steuerlichen Sachverhalte, bei denen – soweit sie nicht bereits von dem bisherigen Ermittlungswillen erfasst sind – unter Berücksichtigung des bisherigen Überprüfungsziels einerseits und den steuerlichen Gegebenheiten des beschuldigten Steuerpflichtigen andererseits bei üblichem Gang des Ermittlungsverfahrens zu erwarten ist, dass sie ohnehin in die Überprüfung einbezogen würden.9 Dies sei jedenfalls stets dann der Fall, wenn sich die neuen Tatvorwürfe lediglich auf weitere Besteuerungszeiträume hinsichtlich derselben Steuerarten bei identischen Einkunftsquellen erstrecken. Denn dann erweist sich die bloß teilweise erfolgte Berichtigung,

1 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. 2 BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427. 3 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146; BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, juris, Rz. 31 f. 4 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. 5 BGH v. 30.3.1993 – 5 StR 77/93, wistra 1993, 227; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 633 f., 635. 6 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. 7 Kritisch hierzu Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 630 f., der von einem weiten materiell-rechtlichen Tatbegriff ausgeht und die Nichterfüllung bestimmter materieller Mitwirkungspflichten bzgl. einzelner Besteuerungsgrundlagen für entscheidend hält. 8 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146 unter Hinweis auf BGH v. 19.4.1983 – 1 StR 859/82, wistra 1983, 146; BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 219; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, wistra 2004, 309. 9 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146; vgl. Jäger, wistra 2000, 228.

630 | Peters

D. Sperrgründe | Rz. 12.74 Kap. 12

Ergänzung oder Nachholung nicht als geeignet, den Finanzbehörden bisher unbekannte Steuerquellen zu erschließen. Der Amtsträger erscheint dann auch „zur Ermittlung“ zusammenhängender Taten.1 Vor diesem Hintergrund können etwa bis dato nicht erklärte Auslandskonten eine eigenständige, unbekannte Steuerquelle darstellen. Auch der BGH stellt auf unbekannte Steuerquellen ab, deren Erschließung der maßgebliche Sinn und Zweck der Selbstanzeige ist.2

12.71

Beispiel: A hat in 2009 für den VZ 05-06 eine Selbstanzeige für sein in Liechtenstein belegenes Konto abgegeben. Die Tat war damit entdeckt. Eine weitere Selbstanzeige für nachfolgende Veranlagungszeiträume nach Abschluss des ersten, anlässlich der Selbstanzeige eingeleiteten Ermittlungsverfahrens ist damit nicht gesperrt, solange es sich um eine unbekannte Steuerquelle handelt, z.B. ein Konto in der Schweiz. A könnte in 2012 eine Selbstanzeige für den VZ 09-10 abgeben.3

12.72

3. Auslandsspezifische Besonderheiten bei der Frage nach der Tatentdeckung Angesichts der verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten im Hinblick auf Steuerstraftaten und auch der stärkeren Kooperation bei der internationalen Zusammenarbeit sollen nach Auffassung des BGH keine hohen Anforderungen an die Annahme des „Kennenmüssens“ der Tatentdeckung, mithin die Bejahung der subjektiven Komponente, mehr gestellt werden. Der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO werde heute maßgeblich durch die objektive Voraussetzung der Tatentdeckung im vorstehend verstandenen Sinne und weniger durch die subjektive Komponente bestimmt.4 Die bloße Kenntniserlangung von einer Steuerquelle stellt für sich allein jedoch noch keine Tatentdeckung dar.5

12.73

a) Kontrollmitteilungen Auch bei Kontrollmitteilungen kommt es darauf an, ob sich bereits aus dem Vorliegen derselben Hinweise darauf ergeben, dass die in Rede stehenden Einkünfte keinen Eingang in die Steuererklärung gefunden haben.6 Die bloße Feststellung von (anonymisierten) Auslandstransfers, etwa im Rahmen der Außenprüfung bei Banken, stellt noch keine Tatentdeckung dar,7 zumal vielfach Pseudonyme oder Referenznummern Verwendung finden und die Person des Täters unbekannt ist.8 Etwas anderes würde auch einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit bedeuten. Erforderlich ist auch hier ein Abgleich mit den Steuerakten.9

1 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. 2 Zur Problematik der dolosen Teilselbstanzeige und der Selbstanzeige nach der Selbstanzeige vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 240. 3 A.A. FinMin. NRW, Stellungnahme v. 25.6.2010 – S 0702-9-VA 1; ebenso Roth/Schützeberg, PStR 2010, 214; Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200 (203). 4 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. 5 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146; BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, juris, Rz. 31 f. 6 Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 188. 7 J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1111 ff. 8 J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1111 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 230. 9 BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, wistra 1983, 197; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 227; Streck/ Mack, BB 1995, 2137 (2146); Riegel/Kruse, NStZ 1999, 325.

Peters | 631

12.74

Kap. 12 Rz. 12.75 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

b) Auskunftsersuchen als Tatentdeckung

12.75

Die bloße Stellung eines Auskunftsersuchens an ausländische Behörden, auch im Rahmen sogenannter Gruppenanfragen, führt nicht bereits dazu, dass die Tat als entdeckt gilt.1 Auch sonstige Auskunftsersuchen etwa über die so genannte große Auskunftsklausel nach Art. 26 Abs. 1 OECD-MA führen nicht zu einer Tat Entdeckung. In praktischer Hinsicht ist zu bemerken, dass ungeachtet der Ablehnung einer Tatentdeckung in derartigen Fällen die Gruppenanfrage auf ihre Zulässigkeit hin zu untersuchen ist (vgl. Rz. 6.29 ff.). Gruppenanfragen kommen in jüngerer Zeit insbesondere im Hinblick auf onlinebasierte Erzielung von Einkünften in Betracht, etwa die Vermietung von Wohnraum über Internetplattformen, die Erzielung von Einkünften aus online Games, sowie aus Kryptowährungen.2 Daneben mehren sich Fälle, in denen im Wege des E-Commerce Nutzungsrechte für im Internet übertragene Sportveranstaltungen angeboten werden (z.B. Gamepässe ausländischer Sportverbände). Beispiel: Die deutschen Finanzbehörden stellen ein Auskunftsersuchen an die irischen Steuerbehörden hinsichtlich sämtlicher im Inland belegener Nutzer, die ihre Wohnung (vorübergehend) Dritten über eine von einem irischen Unternehmen betriebene Onlineplattform zur Verfügung stellen. In der Gruppenanfrage wird darum gebeten, die Namen und Daten der Nutzer, insbesondere die Vermietungszeiträume und die aufgerufenen und/oder vereinbarten Entgelte zu übermitteln.3

12.76

Zwar ist eine Tatentdeckung auch schon vor einem Abgleich mit den Steuerakten denkbar, etwa bei verschleierten Steuerquellen, wenn die Art und Weise der Verschleierung kriminalistischer Erfahrung ein signifikantes Indiz für unvollständige oder unrichtige Angaben sind.4 Jedoch ist stets im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob sich aus dem Auskunftsersuchen und aus den Steuerakten ergibt, dass die dem Auskunftsersuchen zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation tatsächlich nach kriminalistischer Erfahrung Konstellationen betrifft, in denen typischerweise eine Hinterziehung erfolgt. Bei so genannten Airbnb Vermietungen, d.h. der onlinebasierten Vermietung von (eigenem) Wohnraum oder im Falle sonstiger onlinegebundener Vermietung oder Veräußerung, ist dies, solange es sich dem Grunde nach um legale Geschäfte handelt, nicht ohne Weiteres der Fall. Etwas anderes kann gelten, wenn es sich bereits dem Grunde nach um verbotene Geschäfte handelt, etwa onlinebasierter Waffen- oder Betäubungsmittelhandel im Internet.5

12.77

Eine Tatentdeckung ist auch nicht durch die ersuchten Behörden zu bejahen. Hier gelten zunächst die Grundsätze der Entdeckung durch ausländische Amtsträger. Die ausländischen Behörden nehmen in der Regel keine inhaltliche Prüfung der zur Verfügung gestellten Daten vor. Schon vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die ausländischen Behörden die Tat auch 1 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, juris, Rz. 33 f.; Talaska/Cremers, DB 2018, 1824 (1827). 2 Vgl. Heuel in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1892; vgl. auch Figatowski in RET 05/2020, der bspw. darauf hinweist, dass im Januar 2020 eine Ausschreibung der britischen Steuer- und Zollbehörde (HM Revenue & Customs) für die Entwicklung eines Analyse-Tools ausgeschrieben wurde, um Transaktionen mit Krypto-Werten sowie deren Nutzer zu identifizieren. Die US-Bundessteuerbehörde IRS hat im Jahr 2018 über ein Sammelauskunftsersuchen von der Plattform Coinbase die Identitäts- und Transaktionsdaten von ca. 14.000 Nutzern erhalten. 3 Talaska/Cremers, DB 2018, 1824,. 4 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, juris, Rz. 33 f.; bejahend für Kryptowährungen wegen der Anonymität wohl Beyer, NWB 2018, 999 (1000). 5 Wobei jedoch fraglich ist, ob Gruppenanfragen sonderlich viel Sinn ergeben, da sich in diesem Kriminalitätsbereich die entsprechenden Nutzer im Internet nicht mit ihren Klarnamen registrieren und vielfach die entsprechenden Server und Anbieter in Ländern belegen sind, die keine Amts- und Rechtshilfe leisten.

632 | Peters

D. Sperrgründe | Rz. 12.80 Kap. 12

so in ihrer Dimension wahrgenommen haben. Eine Tatentdeckung durch ausländische Behörden ist im Rahmen von Auskunftsersuchen nur dann anzunehmen, wenn signifikante Indizien und verdachtsträchtige Sachverhalte in Rede stehen.1 Auch die bloße Kenntniserlangung von einer „Steuerquelle“ genügt für eine Tatentdeckung grds. nicht. Schließlich kommt eine Tatentdeckung auch nicht in dem Zeitpunkt in Betracht, in welchem die Daten nach Deutschland übermittelt werden. Etwas anderes kann gelten, wenn es sich um Fälle handelt, in denen sich das gesamte Konstrukt als Verschleierungsvehikel darstellt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die entsprechenden im Ausland erzielten Einkünfte nicht der Besteuerung unterworfen worden sind.

12.78

Im Rahmen von Gruppenanfragen oder bei bloßen Auskunftsersuchen bleibt es jedoch dabei, dass eine objektive Tatentdeckung erst dann gegeben ist, wenn die Informationen an die Deutsche Finanzbehörde über das BZSt weitergeleitet worden sind und das entsprechend örtlich zuständige Finanzamt einen Abgleich mit den Steuerakten vorgenommen hat. Auch eine weitere systematische Überlegung spricht für die Tatsache, dass die bloße Stellung und oder Beantwortung eines Auskunftsersuchens noch nicht zu einer Tatentdeckung führt. Wollte man bereits aus der Stellung eines Auskunftsersuchens eine Tatentdeckung herleiten, wäre die Finanzbehörde verpflichtet gewesen, ein entsprechendes Ermittlungsverfahren einzuleiten. Der strafrechtliche Anfangsverdacht ist erheblich niedrigschwelliger als der Begriff der Tatentdeckung bei § 371 AO.2 In diesem Falle hätte dann aber nicht mehr der Amtshilfeweg beschritten werden dürfen, sondern die Stellung eines formellen strafrechtlichen Rechtshilfeersuchens oder die Durchführung einer europäischen Ermittlungsanordnung wären erforderlich gewesen.

12.79

c) Mediale Tatentdeckung/Ankauf von Steuer-CDs Vielfach wird über Fälle diskutiert, in denen bereits über Veröffentlichungen in der Presse bekannt ist, dass Datenträger mit Informationen über Auslandskonten und womögliche Steuerhinterziehungen Deutscher angekauft werden sollen oder angekauft worden sind.3 Für eine Tatentdeckung bedarf es zunächst eines Abgleichs der Daten mit der Steuerakte des Betroffenen.4 Die ungeprüften Daten stellen keine Tatentdeckung dar.5 Tatentdeckung liegt erst vor, wenn durch die Kenntnis zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Betroffenen mehr als wahrscheinlich ist.6 Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Allein die Erlangung von Informationen über Geldvermögen im Ausland durch in Deutschland uneingeschränkt steuerpflichtige Personen stellt noch keine Tat-

1 2 3 4 5

Talaska/Cremers, DB 2018, 1824. Peters in MK-StPO, § 152 StPO Rz. 36. Zum Ganzen Fehling/Rothbächer, DStZ 2008, 821; Seitz, Ubg 2014, 380. So auch J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1111 ff. Vgl. auch Spatscheck, DB 2013, 1073 (1078); enger Rolletschke in G/J/W2, § 371 AO Rz. 118; a.A. Roth, Stbg 2013, 29 (33), der darauf abstellt, dass zuvor eine Werthaltigkeitsprüfung stattfindet und diese in mehr als der Hälfte der Fälle positiv ausfällt. 6 Vgl. BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, wistra 1983, 197; BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126; BGH v. 27.4.1988 – 3 StR 55/88, wistra 1998, 308; BGH v. 30.3.1993 – 5 StR 77/93, wistra 1993, 227; BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 226; vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 634 f., der aus der Rechtsprechung des BGH folgert, dass die Voraussetzungen für die Erhebung der öffentlichen Klage vorliegen müssen.

Peters | 633

12.80

Kap. 12 Rz. 12.80 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

entdeckung dar.1 Erforderlich ist überdies, dass die verkürzte Steuer nach Steuerart und Veranlagungszeitraum beziffert werden kann.2 Dabei hilft es auch nichts, wenn mit dem Ankauf der CD Informationen über sog. Hinterziehungsberatungen der jeweiligen Banken erlangt werden. Denn dies sagt noch nichts darüber aus, ob der Steuerpflichtige die Erträge nicht doch in seiner Steuererklärung angegeben hat. Das bloße Unterhalten ausländischer Konten oder Stiftungen im Ausland begründet für sich genommen noch keinen Verdacht. Dies gilt auch bei Nummernkonten.3 Etwas anderes kann gelten, wenn es sich um Sachverhaltsgestaltungen bzw. Anlageformen handelt, die allein der Steuerhinterziehung dienen und sich dies unmittelbar aus dem aufgefundenen Material ergibt.4 Bei Lebensversicherungsverträgen („Wraps“) ist entscheidend, ob es sich um ein steuerrechtlich zulässiges Gestaltungsinstrumentarium zur Vermeidung oder Reduzierung steuerpflichtiger Einkünfte aus Kapitalvermögen handelt (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG). Entscheidend ist, ob ein wirtschaftliches Risiko abgedeckt wird. Fehlt eine solche Risikoabdeckung, liegt bereits kein Versicherungsvertrag vor.5

12.81

Im Übrigen gelten jedoch die allgemeinen Anforderungen an die Tatentdeckung. Allein eine entsprechende Presseberichterstattung begründet noch keine Kenntnis des Täters.6 Auch bei Benennung der konkreten Bank bedarf es tragfähiger Anhaltspunkte, warum der Steuerpflichtige davon ausgehen musste, dass sich etwa genau seine Daten auf einer angekauften CD befanden.7 Die Kenntnis des Steuerpflichtigen ist von der Steuerbehörde nachzuweisen. In derartigen Fällen ist stets gesondert zu prüfen, ob nicht per se ein Beweisverwertungsverbot8 besteht und bereits aus diesem Grund eine Tatentdeckung ausscheidet. Unabhängig von der Frage der Tatentdeckung stellt sich die Frage, ob und wie entsprechende CDs für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und gegebenenfalls im Rahmen der Beweissicherung in einer Hauptverhandlung verwendet werden können (vgl. Rz. 6.281 ff.).9

1 J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1141 f.,1164, 1168. 2 J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 965; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 230.3; Schauf, DStR 2008, 489 (490). 3 Einschränkend Wessing/Biesgen/Biesgen, NJW 2012, 2689 (2692); Wessing/Biesgen in Flore/Tsambikakis2, § 371 AO Rz. 127, die auf die einem Nummernkonto immanente Verschleierung abstellen. 4 Vgl. Roth, Stbg 2013, 29 (33) für die Fälle der Lebensversicherungsmäntel unter Verweis auf LG Düsseldorf v. 21.11.2011 – 10 KLs 14/11, PStR 2012, 248; vgl. auch OFD Karlsruhe v. 18.7.2012 – S 20702/4 – St 413, wonach in den Fällen der Credit-Suisse Life Bermuda Ltd. von einer Tatentdeckung zum 1.1.2012 auszugehen sein soll, vgl. hierzu Burkhard, Steuerconsultant 2013, 22. 5 BMF v. 1.10.2009 – IV C 1 - S 2252/07/0001, BStBl. I 2009, 1172. Vgl. auch Rz. 16.189 f. 6 Kohler in MK-StGB, § 371 AO Rz. 229; Mückenberger/Iannone, NJW 2012, 3481 (3483); Spatscheck, DB 2013, 1073 (1078). 7 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 687; Wulf, wistra 2010, 286 (289). 8 Vgl. BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; vgl. auch LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, juris = NJW 2014, 1434; Beyer, AO-StB 2011, 5; Rüsken, BFH/PR 2011, 112; Vahle, DVP 2011, 170; Wohlers, JZ 2011, 252; Kaiser, NStZ 2011, 383; Coen, NStZ 2011, 433; Lipsky, PStR 2011, 4; Joecks, SAM 2011, 21; Seitz, Ubg 2014, 380; Wenzel, StBW 2010, 1125; Schäfers, StBW 2011, 34; Trüg, StV 2011, 111; Loritz, WuB VII D § 102 StPO 1.11; Hillmer, ZFE 2011, 140; Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 458 ff.; Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 20 Rz. 273. 9 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 694, wobei ein Verwertungsverbot für die Einleitung nur in den seltensten Fällen in Betracht kommt.

634 | Peters

D. Sperrgründe | Rz. 12.84 Kap. 12

d) Grenzkontrollen Werden im Rahmen einer Grenzkontrolle Bankunterlagen aufgefunden, besagt dies solange nichts, wie sich aus den Unterlagen nicht der Nachweis ergibt, dass die in Rede stehenden Erträge keinen Eingang in die Steuererklärung gefunden haben und es zu einer Steuerverkürzung gekommen ist.1 Eine Selbstanzeige ist noch möglich.2 Denn ein Abgleich mit der Steuererklärung setzt ferner voraus, dass auch die seinerzeit eingereichten Belege des Steuerpflichtigen vorliegen und nachvollzogen werden kann, auf welcher Grundlage die Zahlen zustande gekommen sind. Im Regelfall befinden sich diese Unterlagen aber wieder beim Steuerpflichtigen, der wegen des nunmehr drohenden Strafverfahrens nicht mehr zur Vorlage verpflichtet ist („nemo tenetur se ipsum prodere/accusare“). Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die Hinterziehung unmittelbar aus den aufgefundenen Materialien ergibt oder der Steuerpflichtige an Ort und Stelle gesteht.3 Gleiches gilt für bis dahin ungeprüfte/nicht abgeglichene Kontrollmitteilungen und Geldwäscheverdachtsanzeigen.

12.82

Beispiel: A wird an einem Samstag beim Grenzübertritt von der Schweiz nach Deutschland kontrolliert. Unter der Fußmatte in seinem Kfz finden sich Depotübersichten und Erträgnisaufstellungen. Er bittet die Grenzbeamten, ihm Kopien der sichergestellten Unterlagen zu überlassen. Noch am Sonntag wirft er nach anwaltlicher Beratung und Zusammenstellung der relevanten Zahlen eine „Nacherklärung“ bei dem für ihn zuständigen Finanzamt ein. Am Montag um 8.00 Uhr übergibt er das gleiche Schreiben dem Vorsteher persönlich, noch bevor dieser überhaupt einen Abgleich der aufgefundenen Unterlagen veranlassen kann. Fazit: Die Selbstanzeige ist wirksam.

e) Tatentdeckung durch ausländische Amtsträger Bei Tatentdeckung durch eine ausländische Behörde, etwa im Rahmen einer Durchsuchung, im Rahmen einer Gruppenanfrage oder im Rahmen sonstiger steuerlicher Auskunftsersuchen o.Ä., ist hinsichtlich der Sperrwirkung einer Selbstanzeige maßgeblich, ob damit zu rechnen ist, dass diese Erkenntnisse der Inlandsbehörde im Rahmen der Rechtshilfe aufgrund bestehender Abkommen übermittelt würden.4 Auch bei sonstigen ausländischen Personen oder Dritten kommt es darauf an, ob diese die erlangten Kenntnisse an die zuständigen Behörden weiterreichen.5 Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit den sog. Offshore-Leaks Daten zu verneinen. Die Daten wurden zunächst Journalisten angeboten, die diese ausdrücklich nicht weiterleiten wollten. Etwas Anderes kann sich ergeben, wenn Staaten, denen die Daten zu Verfügung gestellt wurden, selbige an Deutschland weiterleiten. Auch in diesem Fall bedarf es jedoch eines Abgleichs mit der Steuerakte.

12.83

Im Panzerhaubitzen Fall war für die Annahme der Entdeckung maßgeblich, dass wegen des bestehenden hohen Medieninteresses und der besonderen Tragweite des Falles damit zu rechnen gewesen sei, dass die gewonnenen Erkenntnisse an die deutschen Ermittlungs-

12.84

1 BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, wistra 1993, 197; einschränkend nunmehr aber BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, juris, Rz. 31 f.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 629 ff. 2 Vgl. auch J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1164. 3 Randt, Steuerfahndungsfall, B 64. 4 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, juris, Rz. 33 f.; Rolletschke in G/J/W2, § 371 AO Rz. 110; Kohler in MK-StGB, § 371 AO Rz. 224; Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 66; Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 219; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 655 f. 5 BGH v. 27.4.1988 – 3 StR 55/88, wistra 1988, 308; BGH v. 13.5.1987 – 3 StR 37/87, wistra 1987, 293; Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 193.

Peters | 635

Kap. 12 Rz. 12.84 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

behörden auf deren Ersuchen weitergeleitet würden. Auch die Erwägung des Landgerichts, dass bei den vorhandenen „brisanten“ länderübergreifenden Erkenntnissen zur Bestechung hoher griechischer Amtsträger durch ein deutsches Rüstungsunternehmen ein wechselseitiger Informationsaustausch zwischen Griechenland und Deutschland schon deshalb stattfindet, weil die jeweiligen Verfolgungsbehörden – mithin auch die griechischen – die im jeweils anderen Staat vorhandenen Informationen zur vollumfänglichen Aufklärung der Taten benötigen, die Gegenstand der eigenen Ermittlungsverfahren sind, wurde nicht beanstandet.1

12.85

Bei Schweizer Behörden ist stets zu prüfen, ob in Steuerstrafsachen überhaupt Rechtshilfe gewährt wird. Die Schweiz leistet in Steuerstrafsachen grundsätzlich keine Rechtshilfe.2 Die Gewährung ist nach innerstaatlichem Recht aber möglich, wenn Gegenstand des Verfahrens ein „Steuerbetrug“ ist bei dem weitere Tatbestände, etwa Urkundenfälschung (§ 267 StGB) mit verwirklicht sind.3 Ein Steuerdelikt kann nach Ansicht des BGH zwar nicht nur von der Finanz- oder Strafverfolgungsbehörde selbst, sondern auch von einem Dritten (einer anderen Behörde oder einer Privatperson, hier: der Schweizer Polizei) „entdeckt“ werden. Dies setzt aber voraus, dass bereits durch seine Kenntnis von der Tat eine Lage geschaffen wird, nach der bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlich ist. Es ist deshalb darauf abzustellen, ob damit zu rechnen ist, dass der Dritte seine Kenntnis an die zuständige Behörde weiterreicht.4 In Fällen internationaler Rechtshilfe kann dies nicht erst zu dem Zeitpunkt anzunehmen sein, in dem sich die ausländischen Behörden nach der Auffindung von Beweismitteln zur Bewilligung der Rechtshilfe entschließen. Der Zeitpunkt kann mit der Auffindung der Unterlagen selbst zusammenfallen. Auf die Möglichkeit der steuerlichen Amtshilfe nach dem DBA-Schweiz kommt es dabei nicht an. f) Ausschluss der Tatentdeckung aufgrund eines Verwertungsverbots

12.86

Eine Tatentdeckung ist ausgeschlossen, wenn die der Entdeckung zugrunde liegenden Tatsachen wegen eines Verfahrenshindernisses oder Verwertungsverbots nicht verwertet werden dürfen. In den sog. „Liechtenstein-Fällen“ wird jedoch das Vorliegen eines Verwertungsverbots durch das BVerfG und die untergerichtliche Rechtsprechung (noch) verneint (zur Problematik der Verwertungsverbote im Steuerstrafverfahren insgesamt s. Rz. 6.250 ff.).5

1 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, juris, Rz. 33 f. 2 Zu den Auswirkungen hinsichtlich des Informationsaustauschs über Art. 27 DBA-Schweiz vgl. Rz. 8.68. 3 Vgl. auch BGH v. 13.5.1987 – 3 StR 37/87, wistra 1987, 293 unter Verweis auf Art. 2 Buchst. a EuRHÜbk und Art. 3 Abs. 3 des Schweizer Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen v. 20.3.1981. 4 BGH v. 13.5.1987 – 3 StR 37/87, wistra 1987, 293. 5 BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09; DStR 2010, 2412; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 10/08, 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 687 f., 694 ff.; Wessing/Biesgen in Flore/Tsambikakis2, § 371 AO Rz. 133 ff. Vgl. hierzu die Beiträge von Beyer, AO-StB 2011, 5; Rüsken, BFH/PR 2011, 112; Vahle, DVP 2011, 170; Wohlers, JZ 2011, 252; Kaiser, NStZ 2011, 383; Coen, NStZ 2011, 433; Lipsky, PStR 2011, 4; Joecks, SAM 2011, 21; Wenzel, StBW 2010, 1125; Schäfers, StBW 2011, 34; Trüg, StV 2011, 111; Loritz, WuB VII D § 102 StPO 1.11; Hillmer, ZFE 2011, 140.

636 | Peters

D. Sperrgründe | Rz. 12.88 Kap. 12

VI. Subjektives Moment Positive Kenntnis von der Tatentdeckung und damit ein Sperrgrund liegt vor, wenn der Steuerpflichtige aus den ihm bekannten Tatsachen nachweislich1 den Schluss gezogen hat, dass die Behörde um die Tat weiß.2 Mit der Entdeckung rechnen muss, wem sich aus nachweislich bekannten Tatsachen der Schluss der Tatentdeckung geradezu aufdrängen muss.3 Mit dem „Rechnenmüssen“ stellt das Gesetz eine widerlegbare Beweisregel zulasten des Täters auf, mit der der Nachweis des vom Täter bestrittenen Wissens in den Fällen ersetzt werden soll, in denen der Strafrichter dem Täter einzelne, bestimmte und zwingende Begleitumstände nachzuweisen vermag, aus denen sich dem Täter die Überzeugung von der Entdeckung seiner Steuerverfehlung aufdrängen musste. Die Frage, ob der Täter „bei verständiger Würdigung der Sachlage“ mit der Entdeckung rechnen musste, ist allein aus der Lage des Täters heraus und abgestellt auf seine individuellen Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen.4 Die einschränkende Tendenz der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat keinen Eingang in die Neufassung des Gesetzes gefunden.5 Im Zweifel gilt der In-dubio-pro-reo-Grundsatz.6

12.87

Im Falle des Ankaufs sog. Steuer-CDs bei entsprechender medialer Veröffentlichung des Ankaufs als solchem ist ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige um die Entdeckung wissen musste.7 Auch wenn der BGH die Anforderungen an das Kennenmüssen vor dem Hintergrund der verstärkten Kooperation im Bereich der internationalen Zusammenarbeit herabgesetzt sieht, erschließt sich nicht, warum der Steuerpflichtige den Schluss ziehen soll, dass gerade seine Daten sich auf der CD befinden.8 Etwas anderes kann gelten, wenn die Bank den Kunden nachweislich nicht nur allgemein bereits über das Abhandenkommen der Daten informiert hat.

12.88

1 Der Nachweis ist durch die Ermittlungsbehörde zu führen, vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 721 ff.; Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 198, und im Rahmen des Zwischenverfahrens oder im Rahmen der Hauptverhandlung über den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung zu lösen. 2 Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 323. 3 Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 323. 4 BayObLG v. 24.2.1974 – 4 St 135/71, BB 1972, 524; Beckemper in H/H/Sp, § 371 AO Rz. 189, die zu Recht nicht auf den fiktiven Maßstab eines durchschnittlichen Steuerpflichtigen abstellen will, sondern betont, dass es auf die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Betroffenen ankommt, die jeweils im Einzelfall festzustellen sind. 5 Füllsack/Bürger, BB 2011, 1239 (1242) unter Verweis auf Füllsack/Bürger, BB 2010, 2403 (2408); vgl. auch Beyer, AO StB 2011, 119 (123); Salditt, PStR 2010, 168 (173); BR-Drucks. 431/14 v. 26.9.2014. 6 Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 71; Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 324; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 721 ff. Ausführlich zum Ganzen auch unter dem Gesichtspunkt strafrechtsdogmatischer Gesichtspunkte Beckemper in H/H/Sp, § 371 AO Rz. 189. 7 So auch J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1138 f., der ebenfalls darauf abstellt, dass über den Inhalt der CDs keine Details veröffentlicht wurden; a.A. Roth, Stbg 2013, 29 (33), der ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass an das subjektive Moment keine hohen Anforderungen mehr zu stellen sind und im Übrigen von einer Information der Kunden durch die Banken ausgeht. 8 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 687 f., der zu Recht bemerkt, dass sich aus den Presseartikeln ein „gesicherter Sachverhalt“ oder „gesicherte Erkenntnisse“ nicht entnehmen lassen; Randt/ Schauf, DStR 2008, 489 (490); vgl. auch Kohler in MK-StGB, § 371 AO Rz. 229; Mückenberger/ Iannone, NJW 2012, 3481 (3483).

Peters | 637

Kap. 12 Rz. 12.89 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

E. Selbstanzeige bei Unternehmen I. Überblick 12.89

Jeder Beteiligte einer Steuerhinterziehung kann eine Selbstanzeige abgeben. Eine Vertretung ist möglich. Es ist anerkannt, dass eine Selbstanzeige des Geschäftsführers strafbefreiende Wirkung für die anderen Organe entfaltet.1 Zu beachten ist jedoch, dass die Zahlung nach § 398a AO durch jeden an der Tat Beteiligten zu entrichten ist. Problematisch ist, dass bei Selbstanzeigen mit (steuerlichen) Wirkungen für das Unternehmen zumeist mehrere beteiligt und nicht selten steuer- und strafrechtliche Konkurrenzverhältnisse im Unternehmens- oder Konzernverbund von Bedeutung sind. Soll die Selbstanzeige auch Wirkung auf der Ebene der Gesellschafter entfalten, bedarf es einer Bevollmächtigung. Ausreichend ist die Selbstanzeige beim Feststellungsfinanzamt aufgrund der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids. Bei zeitgleich abgegebenen Steuererklärungen mit jeweils übereinstimmenden unrichtigen Angaben ist von einer Tat im materiellen Sinne auszugehen. Es kann daher eine Zusammenrechnung, etwa von Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer, angezeigt sein. Problematisch wird zukünftig sein, dem Vollständigkeitsgebot Rechnung zu tragen und nicht bei einer Selbstanzeige Gefahr zu laufen, mögliche Steuerhinterziehungen zu übersehen.2

12.90

Das Verfolgungshindernis tritt nur dann ein, wenn „der Täter“ den entsprechenden Geldbetrag zahlt. Damit kann nur der Täter im strafrechtlichen Sinne gemeint sein, was eine Abgrenzung zwischen Täterschaft (§ 25 StGB) und Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) erforderlich macht und eine genau Prüfung bedingt. Die letztlich täterschaftlich handelnden Personen sind wie Gesamtschuldner zu behandeln, wobei nur einmal auf die volle Summe zu zahlen ist. Zahlt das Unternehmen die Geldauflage, ist diese, wie bei § 153a StPO auch, bei dem Täter als Lohn zu erfassen und wiederum zu versteuern.

II. Selbstanzeige und Verbandsgeldbuße 12.91

Straftaten von Leitungspersonen eines Unternehmens führen immer häufiger auch zur Verhängung einer Verbandsgeldbuße nach dem OWiG. Der Vorteil besteht darin, dass die Geldbuße der Höhe nach recht hoch veranschlagt ist und über § 29a OWiG zusätzlich ein Verfall erreicht werden kann. Die Frage der Anwendbarkeit von § 30 OWiG wird zunehmend auch im Bereich der Selbstanzeige durch Unternehmen diskutiert.3

12.92

Hat jemand – als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs; – als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstandes; – als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft;

1 BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, wistra 1985, 74; zum Ganzen auch Spatschek, DB 2013, 1073 (1079). 2 Diese Befürchtung hegt auch J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 386, der zur Lösung des Problems eine Differenzierung nach doloser und undoloser Teilselbstanzeige vorschlägt. 3 Reichling, NJW 2013, 2233.

638 | Peters

F. Fremdanzeige zugunsten Dritter (§ 371 Abs. 4 AO) | Rz. 12.95 Kap. 12

– als Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter einer juristischen Person oder einer in Nr. 2 oder 3 genannten Personenvereinigung oder – als sonstige Person, die für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens einer juristischen Person oder einer in Nr. 2 oder 3 genannten Personenvereinigung verantwortlich handelt, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört, eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gegen diese gem. § 30 Abs. 1 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden. Im Falle der Gesamtrechtsnachfolge oder einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) kann die Geldbuße auch gegen den oder die Rechtsnachfolger festgesetzt werden. Die Geldbuße darf in diesen Fällen jedoch den Wert des übernommenen Vermögens sowie die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Geldbuße nicht übersteigen (§ 30 Abs. 2 Buchst. a OWiG). Im Bußgeldverfahren tritt der Rechtsnachfolger in die Verfahrensstellung ein, in der sich der Rechtsvorgänger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rechtsnachfolge befunden hat.

12.93

Wird wegen der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ein Straf- oder Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder wird es eingestellt oder wird von Strafe abgesehen, so kann die Geldbuße grundsätzlich selbständig festgesetzt werden (§ 30 Abs. 4 OWiG). Die selbständige Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann (§ 30 Abs. 4 Satz 3 OWiG). Wird für alle an der Steuerhinterziehung beteiligten Leitungspersonen des Unternehmens eine strafbefreiende Selbstanzeige abgegeben, scheidet nach überwiegender Ansicht die Verhängung einer Verbandsgeldbuße aus.1 Auch über § 130 OWiG kommt die Verhängung einer Verbandsgeldbuße nicht in Betracht. Wer als Inhaber eines Betriebs oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt gem. § 130 Abs. 1 OWiG ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch die Bestellung und sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen. Die Regelung des § 378 AO, insbesondere § 378 Abs. 3 AO, ist indes abschließend.

12.94

F. Fremdanzeige zugunsten Dritter (§ 371 Abs. 4 AO) Wird die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattet, wird ein Dritter, der die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat be1 Schauf in Kohlmann, § 377 AO Rz. 123 ff.; Joecks in J/J/R8, § 377 AO Rz. 49b; Reichling, NJW 2013, 2233.

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12.95

Kap. 12 Rz. 12.95 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

kannt gegeben worden ist (§ 371 Abs. 4 AO). Sinn und Zweck der Regelung ist zu verhindern, dass jemand nicht deswegen gehindert wird eine Selbstanzeige abzugeben, weil er damit für Dritte die Gefahr der Strafverfolgung eröffnet. Es soll ein Interessenkonflikt des Anzeigepflichtigen vermieden werden. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, tritt Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet (§ 371 Abs. 4 Satz 2, Abs. 3 AO). Weiterhin umstritten ist, was gilt, wenn der Dritte vorsätzlich Steuern hinterzogen hat.1 Beispiel: Die Z-GmbH hat vier Geschäftsführer (A, B, C, D). A hat vorsätzlich Steuern zugunsten der Gesellschaft hinterzogen. B erfährt davon im Nachhinein und unternimmt nichts, obwohl er wegen § 153 Abs. 1 Sätze 1, 2, § 34 AO zur Berichtigung verpflichtet ist. B hat sich auf diesem Weg der Steuerhinterziehung durch Unterlassen schuldig gemacht. C gibt nunmehr eine strafbefreiende Selbstanzeige ab. Fraglich ist, ob diese Wirkung für und gegen die übrigen Gesellschafter A, B, und D entfaltet.

12.96

Ausgehend vom Wortlaut und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm wird man die Selbstanzeige für alle als wirksam erachten müssen. § 371 Abs. 4 AO benennt als Sperrgrund lediglich die Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- und Bußgeldverfahrens. Sinn und Zweck ist die Erschließung unbekannter Steuerquellen. Auf die Motivation kommt es nicht an. Ferner spricht für diese Sichtweise, dass das Problem seit Jahren bekannt ist und der Gesetzgeber sich auch im Rahmen der jüngsten Neufassung des § 371 AO nicht zu einer Änderung veranlasst sah.2

12.97

Auch nach der Neuregelung der Selbstanzeige ist folgende Vorgehensweise immer noch möglich: Beispiel: Der geschäftsführende Alleingesellschafter A hat zugunsten seiner Firma Steuern hinterzogen. Im Rahmen der Betriebsprüfung zeichnet sich die Entdeckung der Tat ab. Aus diesem Grund bestellt A den B zum weiteren Geschäftsführer, der nunmehr die Erklärung nach § 153 AO mit strafbefreiender Wirkung auch für den A nachholt.

G. Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung 12.98

Die Regelung des § 378 Abs. 3 AO blieb letztlich unangetastet. Nach dem Wortlaut „soweit“ sind Teilselbstanzeigen weiterhin möglich. Die Selbstanzeige bleibt möglich, bis der Sperrgrund der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens eingetreten ist. Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist auch in Fällen über 50.000 Euro möglich, was Streit um den Begriff der Leichtfertigkeit in Abgrenzung zum Eventualvorsatz vorprogrammiert, aber in Zukunft eine wichtige Argumentationslinie darstellt.3

1 Vgl. hierzu Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 851 ff.; Randt, Steuerfahndungsfall, B 127; bejahend LG Bremen v. 26.6.1998 – 42 Qs 84b Ds 860 Js 22051/97, Stbg 1998, 562; a.A. OLG Stuttgart v. 31.1.1996 – 1 Ws 1/96, wistra 1996, 190. 2 Vgl. auch OLG Stuttgart v. 31.1.1996 – Ws 1/96, wistra 1996, 190; Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 228a; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 851; Stahl/Carlé, DStR 2000, 1248; Wessing/Biesgen in Flore/Tsambikakis2, § 371 AO Rz. 174 ff.; zum Ganzen J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1394 ff. 3 Zum Ganzen J.R. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren2, Rz. 1228 ff.

640 | Peters

I. Fertigung der Selbstanzeige/Übersicht | Rz. 12.103 Kap. 12

H. Umfang der Sperrwirkung Was den Umfang und die Reichweite der Sperrwirkung bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes angeht, bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten. Dies gilt insbesondere für die Frage nach einer zweiten Selbstanzeige nach zunächst unvollständiger erster „Teil-Selbstanzeige“.1 Gleiches gilt für sog. „ergänzende Selbstanzeigen“. Es ist davon auszugehen, dass sich Finanzverwaltung und Rechtsprechung auf den Standpunkt stellen, dass wenn ein Sperrgrund vorliegt, eine Selbstanzeige nicht mehr und auch nach Abschluss des Verfahrens nicht wieder möglich ist.

12.99

Nach hiesigem Dafürhalten ließe sich vertreten, dass bei Einstellung des „ersten“ auf die Selbstanzeige hin eingeleiteten Strafverfahrens die Selbstanzeigemöglichkeit insgesamt wieder auflebt. Denn der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 AO hat allein den Sinn, ein Wettrennen zwischen Steuerpflichtigem und Ermittlern zu verhindern und will demjenigen den Weg zur Selbstanzeige abschneiden, bei dem ohnehin mit einer Entdeckung der strafrechtlichen Vorwürfe zu rechnen ist; der also nicht mehr „freiwillig“ im Sinne des Rücktrittsgedankens zur Steuerehrlichkeit zurückfinden würde. Nach Abschluss des ersten Verfahrens uns Nichtentdeckung weiterer Steuerstraftaten handelt der Steuerpflichtige jedoch wieder aus autonomen Motiven heraus.

12.100

I. Fertigung der Selbstanzeige/Übersicht Zunächst ist festzustellen, welche nicht verjährten Einkünfte aus welchen Steuerarten bis dato keinen Eingang in die Steuererklärungen des/der Betroffenen gefunden haben. Angesichts der Neufassung sind vollumfänglich alle Einkünfte derselben Steuerart zu erklären, sodass etwa eine Selbstanzeige lediglich für Erträge eines Schweizer Depots unwirksam ist, wenn nicht auch die Kapitalerträge in Drittstaaten erklärt werden. Vor dem Hintergrund der immer weiter fortschreitenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten im Bereich der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Steuer- und Steuerstrafrechts sollten auch Länder wie Singapur oder Städte wie Hong-Kong oder die Cayman Islands nicht als sichere Häfen erachtet werden. Stellt sich nämlich später heraus, dass die Selbstanzeige nur die halbe Wahrheit gewesen ist, kann diese sogleich als geständnisgleiche Einlassung zur Steuerhinterziehung verwertet werden.

12.101

Unter Umständen ist genau zu prüfen, welchem Staat der originäre Steueranspruch zusteht und wie es sich gegebenenfalls auswirkt, dass in bestimmten Konstellationen auch bloß fiskalische Funktionen durch die Rechtsprechung als originäre Steuern hinterzogen werden können. Ggf. sind Depot- und Erträgnisaufstellungen sämtlicher ausländischer Banken anzufordern und aufzubereiten. Etwaige Erläuterungen in ausländischer Sprache sind zu übersetzen. Dies kann mitunter längere Zeit in Anspruch nehmen. Bescheinigungen über einbehaltene Quellensteuer sollten ebenfalls vorliegen.

12.102

Ist Eile geboten, sollte eine großzügige Schätzung vorgenommen werden, die in keinem Fall hinter den tatsächlichen Angaben zurückbleiben darf. Die spätere Korrektur nach unten ist

12.103

1 Vgl. hierzu Bergmann, JR 2012, 146; Schwartz, wistra 2011, 81, Bielefeld/Sumecova, StB 2010, 311.

Peters | 641

Kap. 12 Rz. 12.103 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

unproblematisch. Die Schätzung darf freilich nicht maßlos ausfallen und jeder Grundlage entbehren.

12.104

Alsdann sind die steuerlichen Auswirkungen genau zu berechnen und die erforderlichen Finanzmittel bereitzustellen. Steuerliche Haftungsregeln sind zu beachten (§ 71 AO). Es ist festzustellen, welche Taten strafrechtlich verjährt sind und inwiefern sich Auswirkungen für die steuerliche Verjährungsfrist von zehn Jahren bei Steuerhinterziehung ergeben können (§ 169 Abs. 2 AO). Ferner gilt es, berufs- und disziplinarrechtliche Folgen für den Betroffenen abzuwägen.1 Sodann ist zu fragen, ob die Abgabe der Selbstanzeige nicht bereits gesperrt ist.

12.105

In praktischer Hinsicht hat sich bewährt, die Vermögensstände in einer Tabelle aufzulisten, jeweils zum 1.1. für die strafbefangenen Zeiträume. Für den steuerlichen Zehnjahreszeitraum bietet es sich an, eine entsprechende Aufstellung zu fertigen. Werbungskosten und Erträge sind darin gesondert aufzuführen. Die Selbstanzeige sollte so übersichtlich wie möglich gehalten werden. Mit Abgabe der Selbstanzeige sollte eine Akontozahlung geleistet werden in Höhe der Steuerschuld auf die Steuerschuld. Der Zinslauf für die Nachversteuerung wird so gestoppt. Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 AO, endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO). Im Falle hinterzogener Umsätze sind nicht nur die Umsätze, sondern sicherheitshalber auch die Bemessungsgrundlage hierfür anzugeben (z.B. Veräußerungen, Kundenzahl etc.) um der Finanzverwaltung eine Verprobung der Umsätze zu ermöglichen. Die bloße Nacherklärung von Umsätzen, ohne dass diese nachvollziehbar sind, birgt in der Praxis die erhebliche Gefahr von Nachfragen.

J. Selbstanzeige und § 398 AO 12.106

Die Regelung des § 398 AO ist im Zusammenhang mit der strafbefreienden Selbstanzeige von besonderer Bedeutung. § 398 AO wie auch die Parallelvorschrift des § 153 StPO stellen eine Durchbrechung und Begrenzung des grundsätzlich uneingeschränkt geltenden Legalitätsprinzips dar. Die Opportunitätsregelung des § 398 AO ist wie § 153 StPO als prozessuale Norm zu verstehen und nicht als persönlicher Strafausschließungsgrund oder als Folge einer Straftat. Das Merkmal der geringen Schuld und des fehlenden öffentlichen Interesses sind nicht justiziabel, mithin mit einer materiell-rechtlichen Deutung unvereinbar. Es handelt sich um eine Ermessensvorschrift. Ein Anspruch auf Einstellung des Verfahrens besteht nicht. Die staatsanwaltliche Einstellung des Verfahrens hat weder bei § 398 AO noch bei § 153 StPO einen Strafklageverbrauch zur Folge. Dies gilt auch bei Einstellung des Verfahrens gem. § 153 Abs.1 StPO mit Zustimmung des Gerichts. Für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen bedarf es jedoch eines einleuchtenden, sachlich wie rechtlich nachvollziehbaren Grundes.

12.107

Die Berichtigung im Wege der Selbstanzeige hat in vollem Umfang zu erfolgen. Geringfügige Abweichungen von 6–10 % ließen die Wirksamkeit der Selbstanzeige bisher unberührt.2 Nach 1 Zum Ganzen Pflaum, wistra 2011, 55. 2 OLG Frankfurt v. 18.10.1961 – I Ss 854/61, NJW 1962, 974; BGH v. 14.12.1976 – 1 StR 196/76, BB 1978, 698; Joecks in J/J/R8, § 371 AO Rz. 244; Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 20; vgl. auch Prowatke/Kelterborn, DStR 2012, 640.

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K. § 398a AO und Strafklageverbrauch | Rz. 12.110 Kap. 12

der Gesetzesbegründung sollen auch weiterhin Unschärfen im praktischen Vollzug hinzunehmen sein und Bagatellabweichungen nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige führen.1 Die Summe der hinterzogenen Steuern und die sich ergebende Abweichung können dabei, wie bei der sonstigen Einstellung nach § 398 AO auch, nur ein Anhaltspunkt für die Geringfügigkeit sein. Zum Begriff der Geringfügigkeit gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze (vgl. Rz. 12.108). Denn neben einer geringwertigen Steuerverkürzung oder geringwertiger Steuervorteile hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, zusätzlich das Merkmal der geringen Schuld und des fehlenden öffentlichen Interesses mit aufzunehmen. Insbesondere in der staatsanwaltlichen Praxis oder gem. § 153 Abs. 2 StPO im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgt auch jenseits der wertmäßig tradierten Geringfügigkeitsgrenzen eine Einstellung nach § 398 AO. Entscheidend ist letztlich die Frage der individuellen Vorwerfbarkeit, mithin die Frage nach der dem Täter anzulastenden Schuld. Die Problematik um „nicht-dolose“ Teilselbstanzeigen wird hierdurch erheblich entschärft. Beispiel: Die Unwirksamkeit der Selbstanzeige gründet allein auf einem Fehler des steuerlichen Beraters, den der Steuerpflichtige nicht zu erkennen vermochte.

Eine Abweichung mit einer Auswirkung von mehr als 5 % vom Verkürzungsbetrag i.S.d. § 370 Abs. 4 AO ist nicht mehr geringfügig.2 Nach Ansicht des BGH soll eine wertende Betrachtung vorgenommen werden, ob bei Gesamtwürdigung der Umstände nicht auch unterhalb der postulierten 5 % eine Versagung der Strafbefreiung in Betracht kommt, etwa ob es sich um bewusste Abweichungen handelt, oder in einer zu niedrigen Schätzung noch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit gesehen werden kann.3

12.108

K. § 398a AO und Strafklageverbrauch Nach § 398a AO ist die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens zulässig, wenn die Finanzbehörde erkennt, dass die Angaben im Rahmen einer Selbstanzeige unvollständig oder unrichtig waren. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere in Sachen Fransson4 und Kretzinger5, wird zukünftig fraglich sein, ob und ggf. inwieweit auch eine Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO i.V.m. § 398a AO nicht doch als rechtskräftige Aburteilung in Betracht kommt und damit als Verfahrenshindernis bereits der Einleitung eines Strafverfahrens entgegensteht.6 Der Grundsatz des „ne bis in idem“ ist allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts und in Art. 50 GRCh niedergelegt.7

12.109

Art. 50 GRCh steht einer Kombination von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen, etwa bei der Verhängung von Steuerzuschlägen oder Zahlungen nach § 398a AO, nicht ent-

12.110

1 BT-Drucks. 17/5067, 19. 2 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW-Spezial 2011, 633, vgl. hierzu Geuenich, BB 2011, 3106; Trüg, NJW 2012, 3256; Prowatke/Kelterborn, DStR 2012, 640. 3 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW-Spezial 2011, 633. 4 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:280 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27; vgl. hierzu Bülte, ZWH 2013, 265; Bülte, NZWiSt 2014, 321; vgl. auch Heger in FS Kühne, 2013, 565 (571 f.); Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93. 5 EuGH v. 18.7.2007 – C-288/05, ECLI:EU:C:2007:441 – Kretzinger, NJW 2007, 3412. 6 Ausführlich vgl. Peters in Kohlmann, § 397 AO Rz. 22 f. 7 EuGH v. 15.3.1967 – C-18/65 und 35/65, ECLI:EU:C:1967:6 – Gutmann/Commission de la CEEA; EuGH v. 13.12.1984 – C-78/83, ECLI:EU:C:1984:393 – Usinor/Kommission; Satzger, IntStR, § 10 Rz. 63.

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Kap. 12 Rz. 12.110 | Ausgewählte Fragen der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht

gegen.1 Eine Kombination von verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen ist jedoch nur als unschädlich zu erachten, solange die verwaltungsrechtliche Sanktion keinen strafrechtlichen Charakter i.S.d. Art. 50 GRCh hat.

12.111

Man wird die Einstellung nach § 398a AO mit erfolgter, im Fall der Wiederaufnahme nicht zu erstattender2 Zahlung zukünftig als Strafe und rechtskräftige Verurteilung i.S.d. Art. 50 GRCh ansehen müssen.3 Eine 20%ige Zusatzzahlung, welche ein Absehen von der (weiteren) Verfolgung einer Steuerstraftat zum Gegenstand hat, ist unschwer als staatliche Sanktion und Reaktion i.S.d. Art. 50 GRCh einzustufen. Dafür spricht zudem, dass § 398a AO nur in „besonderen Fällen“ greift, bei denen grundsätzlich keine Straffreiheit in Betracht kommt.

12.112

Und noch ein Argument spricht für die Annahme einer rechtskräftigen Aburteilung: Das Strafverfahren darf nur bei neuen Tatsachen wieder aufgenommen werden oder wenn sich nachträglich herausstellt, dass das Verfahrenshindernis doch nicht bestanden hat. Weitere Sanktionen aufgrund derselben, bereits bekannten Tatsachen sind nicht möglich. Bülte folgert daher zu Recht eine Sperrwirkung der Strafverfolgung in anderen Mitgliedsstaaten und einen unionsrechtlichen Strafklageverbrauch.4

12.113

Etwas anderes gilt freilich dann, wenn der Steuerpflichtige selbst mittels unrichtiger Selbstanzeige die Finanzbehörden bewusst täuscht, um die Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO i.V.m. § 389a AO zu erreichen. Hier fehlt es an einem schutzwürdigen Vertrauen in den Bestand der behördlichen Entscheidung.5

12.114

Der Strafklageverbrauch umfasst auch außersteuerliche Straftaten, sofern diese im engen tatsächlichen Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung begangen worden sind.6 Dies ist Ausfluss der Rechtsprechung des EuGH zum autonom-europäischen materiellen Begriff der Tatidentität (idem factum) bzgl. Art. 54 SDÜ und Art. 50 GRCh.7 Als Beispiel kommt eine tateinheitlich verwirklichte Urkundenfälschung in Betracht. Was Korruptionstaten und Schmiergelder betrifft, kommt es auf den Einzelfall an. Entscheidend ist insoweit die Frage nach dem idem factum.

1 EuGH v. 26.2.2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:280 – Åkerberg Fransson, UR 2014, 27; vgl. hierzu Bülte, ZWH 2013, 265; Bülte, NZWiSt 2014, 321; vgl. auch Heger in FS Kühne, 2013, 565 (571 f.); Rönnau/Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93; zur Anwendbarkeit nationaler und europäischer Grundrechtsstandards vgl. auch Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/ Schmitt5, Kap. 2 Rz. 292 f.; zu den Auswirkungen der EU-Grundrechte auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung vgl. Rz. 4.1 ff., 11.52 ff. 2 A.A. Hoyer in Gosch, AO, FGO, § 398 AO Rz. 28; Hunsmann, PStR 2011, 983, 985. 3 Vgl. die Ausführungen in EuGH v. 5.6.2014 – C-398/12, ECLI:EU:C:2014:1057 – M; Hoyer in Gosch, AO, FGO, § 398 AO Rz. 28; in diesem Sinne auch Bülte, NZWiSt 2014, 321 (324), der auf die Ähnlichkeit zur Geldbuße und die Elemente der Sühne und des Schuldausgleichs verweist und zu Recht betont, dass die Geldbuße im Rahmen des Strafverfahrens auferlegt wird; vgl. auch Jäger in Klein15, § 398a Rz. 1. 4 Bülte, NZWiSt 2014, 321 (324 f.). 5 Bülte, NZWiSt 2014, 321 (324, 327) unter Verweis auf Dannecker, EuZ 2009, 110 (113). 6 So auch Bülte, NZWiSt 2014, 321 (325). 7 Peters in Kohlmann, § 398 AO Rz. 50.

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Kapitel 13 Korruption und Schmiergelder A. Korruption im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 II. Hintergrund der Verschärfung des Korruptionsstrafrechts . . . . . . . . . . . 13.4 III. Die Bestechungstatbestände 1. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) . . 13.8 2. Vorteilsannahme (§§ 331, 333 StGB) und Bestechung (§§ 332, 334 StGB) . 13.14 a) Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.15 b) Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.16 c) Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.19 d) Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . 13.21 e) Ertragsteuerliche Behandlung von Aufwendungen für VIP Logen in Sportstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.24 f) Verknüpfung von Vorteil und Dienstausübung/Unrechtsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.25 g) Wirksame Genehmigung . . . . . . 13.29 3. Ausländische und internationale Bedienstete (§ 335a StGB) . . . . . . . . . . . 13.34

B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.37 II. Kompensationsverbot . . . . . . . . . . . 13.46 III. Auslandstaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.47 IV. Belehrungspflicht bei Verdacht der Vorteilszuwendung . . . . . . . . . . . . . 13.49 V. Sonstige steuerstrafrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.50 C. Benennungsverlangen nach § 160 AO I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.52 II. Empfänger i.S.d. § 160 AO . . . . . . . 13.54 III. Benennungspflicht bei Provisionszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.57 IV. Umfang der Benennungspflichten . 13.71 V. Verletzung der Benennungspflicht und Steuerhinterziehung . . . . . . . . . 13.75 D. Korruption und Untreue . . . . . . . . . 13.77

Literatur: Ahlbrecht/Dann, Internationale Angestelltenbestechung und steuerliches Abzugsverbot, PStR 2008, 209; Bernsmann, Untreue und Korruption – der BGH auf Abwegen, GA 2009, 296; Böse, Das Rechtsgut der Auslandsbestechung, ZIS 2018, 119; Braun, Mitteilung von im Besteuerungsverfahren bekannt gewordenen Tatsachen an externe Stellen, EFG 2008, 762; Dann, Korruption im Notstand – Zur Rechtfertigung von Schmiergeld- und Bestechungszahlungen, wistra 2011, 127; Greeve, Korruptionsdelikte in der Praxis, München 2005; Höll, Die Mitteilungspflichten bei Korruptionssachverhalten im Regelungsgefüge des Steuergeheimnisses, ZIS 2010, 309; Jahn, Ermittlungen in Sachen Siemens/SEC, StV 2009, 41; Kuhlen/Kudlich/Martin/Gimeno, Korruption und Strafrecht, Heidelberg 2018; Madauß, Verdachtsmeldepflichten nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG für Korruptionstaten im wirtschaftlichen Verkehr, NZWiSt 2016, 437; Matthes, Steuerhinterziehung durch die Behandlung von Bestechungsgeldern als BA, EFG 2012, 288; Meißner, Der „ausländische Bedienstete“ i.S.d. § 335a Abs. 1 Nr. 2a StGB, StV 2017, 128 ff.; Park, § 299 StGB – Auslegungshilfe durch steuerrechtliche Fremdvergleichskriterien?, wistra 2010, 321; Pelz, Aktuelle Rechtsprobleme des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG und seine Folgen, DStR 2014, 449; Peters, Hospitality und Strafrecht oder „Bitte nicht (an)füttern“, ZWH 2012, 262; Pieth, Bestechung ausländischer Amtsträger im Geschäftsverkehr, Eine kriminologische Studie, in Bannenberg/Jehle, Wirtschaftskriminalität, Mönchengladbach 2010, 173 ff.; Randt, Schmiergeldzahlungen bei Auslandssachverhalten, BB 2000, 1006; Rönnau, Untreue durch Einrichtung verdeckter Kassen, Bestechung im geschäftlichen Verkehr im Ausland sowie ausländischer Amtsträger, StV 2009, 246; Rübenstahl, (Un-)Zulässigkeit von Benennungsverlangen (§ 160 AO) bei Überweisungen an intransparente Domizilgesellschaften, StBp 2011, 329; Sahan, Korruption als steuerstrafrechtliches Risiko, in FS Samson, Heidelberg 2010, 599 ff.; Saliger, Hospitality und Kor-

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Kap. 13 Rz. 13.1 | Korruption und Schmiergelder ruption, in FS Kühne, Heidelberg 2013, 443 ff.; Satzger, „Schwarze Kassen“ zwischen Untreue und Korruption, NStZ 2009, 297; Schauf/Idler, Praxiserfahrungen im Zusammenhang mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG, Ubg 2010, 111; Schuhr, Funktionale Anforderungen an das Handeln als Amtsträger (§§ 331 ff. StGB) oder Beauftragter (§ 299 StGB), NStZ 2012, 11; Spatschek, Korruption und Steuerstrafrecht, SAM 2012, 100; von Tippelskirch, Schutz des Wettbewerbs vor Korruption, GA 2012, 574.

A. Korruption im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts I. Vorbemerkung 13.1

Spätestens seit den großen Schmiergeldaffären der letzten Jahre und allen sich daran anschließenden Verfahren ist klar, dass Korruptionstaten auch immer einen steuerstrafrechtlichen Aspekt haben. Der Abzug von Schmiergeldern, von Honoraren für Beraterverträge, Provisionen und sonstigen geldwerten Leistungen und damit zusammenhängenden Zuwendungen als Betriebsausgabe ist gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 1 EStG1 unzulässig, wenn die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt.

13.2

Namentlich in Fällen der Bestechung ausländischer Amtsträger im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen kommt es regelmäßig zur Einleitung eines Steuerstrafverfahrens. Beispiel: Zur Erlangung lukrativer Aufträge im Rüstungsbereich besticht das deutsche Unternehmen A in Griechenland ansässige Beamte und Mitarbeiter regierungsnaher Unternehmen. Die griechischen Behörden ermitteln gegen die bestochenen Amtsträger und teilen ihre Erkenntnisse im Rechtshilfewege nach Deutschland mit.

13.3

Die Betriebsprüfer der Finanzbehörden sind angehalten, insbesondere bei auslandsorientierten Unternehmen, besonderes Augenmerk auf ins Ausland geflossene nützliche Zuwendungen zu legen, vor allem was Beraterverträge im Ausland ansässiger Personen betrifft, da hierüber häufig Schmiergelder generiert werden. Erschwerend kommt hinzu, dass den Steuerpflichtigen insofern erhöhte Mitwirkungspflichten treffen (§ 90 Abs. 2, 3, § 160 AO etc.).

II. Hintergrund der Verschärfung des Korruptionsstrafrechts 13.4

Angesichts der Häufung aufsehenerregender Bestechungsfälle in der öffentlichen Verwaltung und der wachsenden Besorgnis, dass die organisierte Kriminalität mit korruptiven Mitteln in verstärktem Maße in staatliche Strukturen eindringt, hat der Gesetzgeber, um das Vertrauen der Bürger in die Integrität des Staates als einen der Eckpfeiler der Gesellschaft auch für die Zukunft sicherzustellen,2 durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13.8.19973 u.a. nicht nur die Strafandrohungen der einschlägigen Strafvorschriften in den §§ 331 ff. StGB verschärft, sondern auch die Bestimmungen gegen die Vorteilsannahme (§ 331 Abs. 1 StGB)

1 Eingefügt durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. a Doppelbuchst. ee des Jahressteuergesetzes 1996 v. 11.10.1995, BGBl. I 1995, 1250 (1253). 2 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP v. 24.9.1996, BT-Drucks. 13/ 5584, 1 und 8, den die Bundesregierung unverändert übernommen hat, s. BT-Drucks. 13/6424. 3 BGBl. I 1997, 2038.

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A. Korruption im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts | Rz. 13.7 Kap. 13

und die Vorteilsgewährung (§ 333 Abs. 1 StGB) tatbestandlich erweitert. Angesichts der zunehmenden Privatisierung staatlicher Aufgaben sah der Gesetzgeber die Gefahr, dass die Flucht ins Privatrecht auch deutliche strafrechtliche Erleichterungen nach sich ziehen könnte. Gem. § 331 Abs. 1 StGB a.F. machte sich ein Amtsträger wegen Vorteilsannahme nur strafbar, wenn er als Gegenleistung für eine vergangene oder künftige Diensthandlung einen Vorteil für sich selbst forderte, sich versprechen ließ oder annahm. Nach der Neufassung der Vorschrift reicht es nunmehr aus, wenn der Amtsträger den Vorteil für einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Mit der Erweiterung von § 331 Abs. 1 StGB und § 333 Abs. 1 StGB sollten zum einen die Fälle, in denen durch die Vorteile nur das generelle „Wohlwollen“ des Amtsträgers erkauft bzw. „allgemeine Klimapflege“ betrieben wird, in den Tatbestand einbezogen sowie die Schwierigkeiten überwunden werden, die sich bei der Anwendung dieser Vorschriften in ihrer ursprünglichen Fassung daraus ergaben, dass vielfach die Bestimmung des Vorteils als Gegenleistung für eine bestimmte oder zumindest hinreichend bestimmbare Diensthandlung aufgrund der Besonderheiten der Sachverhaltsgestaltungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar waren.1 Ferner sollten auch die – strafwürdigen – Fälle erfasst werden, in denen der Amtsträger den Vorteil zwar für eine Diensthandlung, aber oftmals auch zur Umgehung der einschlägigen Strafvorschriften zugunsten eines Dritten – insbesondere für „Personenvereinigungen“ – fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, ohne dass erkennbar bzw. nachweisbar ist, dass die Zuwendung auch den Amtsträger zumindest mittelbar besserstellt; denn – so die Begründung – die geschützten Rechtsgüter seien durch derartige Zuwendungen in gleicher Weise beeinträchtigt wie bei Vorteilen, die dem Amtsträger selbst zugute kommen.2

13.5

Flankiert durch die ergänzenden Vorschriften des EU-Bestechungsgesetzes (EuBestG)3 und des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung (IntBestG)4 wurden darüber hinaus ausländische, europäische und internationale Amtsträger ebenfalls erfasst.5 Mit dem EUBestG haben die Mitgliedstaaten sich verpflichtet, auch den internationalen Einrichtungen strafrechtlichen Schutz zukommen zu lassen.

13.6

Bereits über § 1 IntBestG wurden Richter ausländischer Staaten, internationaler Gerichte, Amtsträger ausländischer Staaten und internationaler Organisationen sowie ausländische Soldaten inländischen Amtsträgern gleichgestellt.

13.7

Nunmehr gilt die Regelung des § 335a StGB.

1 Vgl. den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags v. 26.6.1997, BT-Drucks. 13/8079, 15. 2 Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP v. 24.9.1996, BT-Drucks. 13/5584, 16. 3 Gesetz zu dem Protokoll v. 27.9.1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, EUBestG v. 10.9.1998, BGBl. II 1998, 2340; vgl. hierzu BT-Drucks. 13/10424. 4 Gesetz zu dem Übereinkommen v. 17.12.1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, IntBestG v. 10.9.1998, BGBl. II 1998, 2327, vgl. hierzu BT-Drucks. 13/10428. 5 Ausführlich dazu Korte, wistra 1999, 81; Pelz, StraFo 2000, 300.

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Kap. 13 Rz. 13.8 | Korruption und Schmiergelder

III. Die Bestechungstatbestände 1. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) 13.8

§ 299 StGB wurde durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz 2015 neu gefasst. Der vormals in § 299 Abs. 3 StGB enthaltene Hinweis der Anwendbarkeit auf Auslandssachverhalte wurde jeweils in § 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB integriert1. Rechtsgut ist auch weiterhin der freie Wettbewerb. Vermögensinteressen der Mitbewerber sollen nur mittelbar geschützt sein. Bei Taten mit Bezug auf einen ausländischen Markt liegt der Tatort im Inland, wenn hier gehandelt wird oder der Erfolg, also im Rahmen der Gewährung des Vorteils, hier eintritt. Für die Teilnahme an Auslandstaten ist § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB zu beachten (vergl. auch Rz. 3.4 ff.).

13.9

Der tatbestandliche Vorteil muss in den Fällen des § 299 Abs. 1 StGB gefordert oder angenommen und im Fall des § 299 Abs. 2 StGB angeboten oder gewährt werden. Vorteil ist dabei alles, was die Lage des Empfängers irgendwie verbessert und auf das er keinen rechtlichen Anspruch hat. Erfasst werden sowohl materielle als auch immaterielle Vorteile (Gewährung von Nebeneinnahmen, Darlehensgewährung, Rabattzuwendung von Gebrauchsgütern, Einladungen, Verleihung von Ehrenämtern). Die Taten nach § 299 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sind spiegelbildlich aufgebaut und setzen jeweils eine Bestechung eines Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs voraus. Der Vorteil muss als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung gefordert, angeboten, versprochen oder angenommen werden. Ein konkretes Gegenleistungsverhältnis ist nicht Voraussetzung. Anders als bei den Bestechungsdelikten wird die allgemeine Klimapflege ohne jedweden Bezug hingegen nicht erfasst. Die Lockerung der Unrechtsvereinbarung hat keine Entsprechung gefunden. Zuwendungen zur Herbeiführung allgemeinen Wohlwollens/Klimapflege ohne Bezug zu einer bestimmten Bevorzugung sind nicht ausreichend.2 Da oftmals noch keine genaue Vorstellung darüber besteht, wann, bei welcher Gelegenheit und in welcher Weise die Unrechtsvereinbarung eingelöst werden soll, genügt es jedoch, dass die ins Auge gefasste Bevorzugung nach ihrem sachlichen Gehalt in groben Umrissen erkennbar und festgelegt ist.3 Anderes gilt bei einer Strafbarkeit wegen (nachträglicher) Gewährung/Annahme eines Vorteils für in der Vergangenheit liegende Bevorzugungen.

13.10

Die Unrechtsvereinbarung i.S.d. § 299 StGB setzt die zukünftige unlautere Bevorzugung eines anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb voraus. Darunter ist nach Ansicht des BGH die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern zu verstehen; sie setzt folglich einen Wettbewerb und die Benachteiligung eines Konkurrenten voraus.4 Entscheidend ist hierbei der zukünftige Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen. Als genügend wird angesehen, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen geeignet sind, eine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen, wobei es nicht der Vorstellung eines bestimmten verletzten Mitbewerbers bedarf.5 Die Bevorzugung wird dann als unlauter angesehen, wenn sie sachfremd in unlauterer Weise durch die Zuwendung des sozial inadäquaten Vorteils geleistet wird und geeignet ist, Mitbewerber durch Umgehung der Regeln des Wettbewerbs und durch Ausschaltung der Konkurrenz zu schädigen. Eine Überschneidung von § 299 StGB und § 331 1 2 3 4 5

Kritisch zum Ganzen Greeve in FS Fischer, 2018, 335. BGH v. 14.7.2010 – 2 StR 200/10, wistra 2010, 447. BGH v. 14.7.2010 – 2 StR 200/10, wistra 2010, 447. BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02 wistra 2003, 385 (386). BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02 wistra 2003, 385 (386).

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A. Korruption im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts | Rz. 13.16 Kap. 13

StGB ergibt sich, wenn der Amtsträger für seine Anstellungskörperschaft im Wettbewerb tätig wird, etwa im Rahmen der Beschaffungsverwaltung.1 Die Üblichkeit von Schmiergeldzahlungen in bestimmten Branchen steht der Unlauterkeit nicht entgegen. Die Grenzen sozialadäquater Vorteile im geschäftlichen Verkehr sind jedoch weiter zu ziehen als im Bereich der öffentlichen Verwaltung (zur Sozialadäquanz vgl. auch unter Rz. 13.21 f.).2

13.11

Positive Indizien, die gegen eine Strafbarkeit sprechen, sind auch hier eine einfache Bewirtung, die Beschränkung von Veranstaltungen auf den fachlichen Teil und das Fehlen von Show- und Unterhaltungselementen.

13.12

Negative Indizien sind hingegen: Unangemessene Höhe der Zuwendung, Veranstaltung mit primärem Freizeitcharakter (Lustreisen), Übernahme der Reise- und Bewirtungskosten, Einladung „fachfremder“ Begleitpersonen (z.B. Ehefrauen), höherwertige Präsente oder Giveaways; Eingeladener ist in anstehende Beschaffungsentscheidungen eingebunden oder für Auftragsvergabe zuständig. Die Einladung von Partnern oder Familienangehörigen kann aber dann angemessen sein, wenn dies aus sozialen Gesichtspunkten heraus üblich ist (Tanzveranstaltung, Ball, Golfturnier, Motorsport, Kulturveranstaltungen).

13.13

2. Vorteilsannahme (§§ 331, 333 StGB) und Bestechung (§§ 332, 334 StGB) Nach § 331 StGB macht sich strafbar, wer als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. § 333 StGB erfasst spiegelbildlich die Geberseite. Die §§ 332, 334 StGB regeln die Bestechung im Hinblick auf konkrete Diensthandlungen, mithin qualifizierte Fälle des § 331 StGB bzw. § 333 StGB. Besonders schwere Fälle sind in § 335 StGB normiert.

13.14

a) Rechtsgut Vornehmliches Ziel jeder gesetzlichen Tatbestandsbildung ist es, den dem Rechtsgut zukommenden Schutz in Bezug auf Einwirkungsintensität und Angriffsart festzulegen. Das geschützte Rechtsgut lässt daher Rückschlüsse auf das deliktstypische Tatunrecht zu. Durch die §§ 331–335 StGB wird das Vertrauen in die Unkäuflichkeit von Trägern staatlicher Funktionen und damit zugleich das Vertrauen in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen und das Vertrauen in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes geschützt.3 Letztlich steht die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Verwaltung als Ganzes im Raum, und die Bestechungstatbestände sind zum größtmöglichen Schutz als abstrakte Gefährdungsdelikte ausformuliert.

13.15

b) Täterkreis Täter auf der Empfängerseite können nur deutsche Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete sein. Die Amtsträgereigenschaft bestimmt sich nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Amtsträger ist nach deutschem Recht, wer Beamter oder Richter ist, in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht oder sonst dazu bestellt ist, bei 1 Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (487). 2 Zum Ganzen Peters, ZWH 2012, 261 (266). 3 Fischer67, § 331 StGB Rz. 3 m.w.N; Bannenberg in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 13 Rz. 46 f.

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13.16

Kap. 13 Rz. 13.16 | Korruption und Schmiergelder

einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen.1

13.17

Der Begriff des Beamten ist im staatsrechtlichen Sinne zu verstehen. Es kommt auf die förmliche Berufung in ein Beamtenverhältnis durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde, nicht auf die Art der übertragenen Aufgaben an.2 Die Vorteilsannahme ist Sonderdelikt, und die täterbegründende Eigenschaft muss zur Tatzeit vorliegen. Es genügt weder, dass sie zuvor bestanden hat noch, dass sie später begründet wird und dann bei Vornahme der Diensthandlung gegeben ist.

13.18

Die Amtsträgereigenschaft nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB setzt eine Bestellung, d.h. eine Übertragung der Tätigkeit durch öffentlich-rechtlichen Akt, der nicht formgebunden sein muss, voraus. Sonstige Stellen sind dabei Institutionen ohne Rücksicht auf ihre Organisationsform, die keine Behörden, rechtlich aber befugt sind, bei der Ausführung von Gesetzen mitzuwirken, namentlich Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, organisatorisch ausgrenzbare Teile von Behörden und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben berufene Vereinigungen, Ausschüsse oder Beiräte.3 Nach den Gesetzesmaterialien und der ständigen Rechtsprechung sollen damit im Wesentlichen diejenigen Tätigkeiten erfasst werden, die im Sinne der Rechtsprechung zu § 359 StGB a.F. aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen. Dazu gehört jedenfalls die Eingriffsverwaltung, welche Aufgaben der staatlichen Anordnungs- und Zwangsgewalt wahrnimmt, und zwar auch dann, wenn Private (z.B. technische Überwachungsvereine) mit solcher Hoheitsbefugnis beliehen sind,4 außerdem aber auch die Leistungsverwaltung zur Daseinsvorsorge,5 die unmittelbar für die Daseinsvoraussetzungen der Allgemeinheit oder ihrer Mitglieder sorgt.6 c) Vorteil

13.19

Ein Vorteil ist jede Leistung, auf die der Amtsträger keinen Anspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert. Darunter fallen insbesondere materielle Zuwendungen mit Vermögenswert.7 Es ist unbeachtlich, wenn der Begünstigte einen vergleichbaren Vorteil auch auf eine andere Art und Weise erlangen kann. Ausnahmsweise kann dies jedoch für die subjektive Wertschätzung durch den Begünstigten und damit für die (angestrebte) Unrechtsvereinbarung von Bedeutung sein.8 Dass die Gewäh-

1 Bannenberg in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 13 Rz. 47 f. 2 BGH v. 9.10.1990 – 1 StR 538/89, BGHSt 37, 191 (192) = MDR 1991, 166. 3 BT-Drucks. 7/550, 209; hierzu auch BGH v. 16.4.2004 – 2 StR 486/03, BGHSt 49, 214 (219); BGH v. 19.6.2008 – 3 StR 490/07, BGHSt 52, 290 (293); BGH v. 9.7.2009 – 5 StR 263/08, BGHSt 54, 39 (41); BGH v. 18.4.2007 – 5 StR 506/06, NJW 2007, 2932 (2933). 4 BGH v. 29.1.1992 – 5 StR 338/91, BGHSt 38, 199 (201). 5 BGH v. 27.11.2009 – 2 StR 104/09, BGHSt 54, 202 (208). 6 Zur Frage der Amtsträgereigenschaft niedergelassener Kassenärzte vgl. die Vorlagebeschlüsse des BGH an den Großen Senat, BGH v. 20.7.2011 – 5 StR 115/11, ZWH 2011, 62; BGH v. 5.5.2011 – 3 StR 458/10, ZWH 2011, 58; BGH v. 29.3.2012 – GSSt 2/11, BGHSt 57, 202. 7 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 unter Verweis auf BGH v. 23.5.2002 – 1 StR 372/ 01, BGHSt 47, 295 (304); BGH v. 21.6.2007 – 4 StR 99/0, NStZ 2008, 216 (217); BGH v. 21.6.2007 – 4 StR 69/07, NStZ-RR 2007, 309 (310); Bannenberg in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 13 Rz. 52. 8 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580.

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A. Korruption im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts | Rz. 13.22 Kap. 13

rung von Vorteilen der Ausübung der dienstlichen Aufgaben zu dienen bestimmt ist, entlastet nicht.1 Als Vorteile sind insbesondere anerkannt die Erhöhung der persönlichen Liquidität,2 die Stundung einer Schuld,3 die Gewährung eines zinslosen Darlehens, Honorare für wertlose Gutachten.4 Da aber im Wortlaut des Gesetzes jeglicher Bezugspunkt für die Bestimmung des Vorteilsbegriffs fehlt, wird der objektive Gehalt der Besserstellung letztlich aus einer Gesamtbewertung von Täterstellung, Dienstpflicht und -ausübung sowie der Unrechtsvereinbarung und der Frage der Sozialadäquanz geschlossen.

13.20

d) Sozialadäquanz Unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz werden in gewissem Umfang übliche und deshalb sozialadäquate Vorteile von der Strafbarkeit ausgenommen, wie gewohnheitsmäßig anerkannte, relativ geringwertige Aufmerksamkeiten (Kugelschreiber, Kalender Werbematerialien).5 Unbestritten ist auch, dass solche Leistungen bzw. Zuwendungen tatbestandlich außer Betracht bleiben, die der Höflichkeit oder Gefälligkeit entsprechen und als gewohnheitsrechtlich anerkannt gelten (z.B. Blumen, Kaffee).6 Zur rechtlichen Einordnung der sog. Bagatellgrenze werden verschiedene Lösungsansätze vertreten.7 Die Rechtsprechung stellt lediglich fest, dass eine Sozialadäquanz nur dann anzuerkennen sei, wenn relativ geringwertige Aufmerksamkeiten vorliegen.8 Auf der anderen Seite gelten aber bereits wiederholte oder regelmäßige Gewährungen von Vorteilen niedrigen Werts als nicht mehr sozialadäquat.9 Mitunter wird vertreten, dass nur solche Zuwendungen strafrechtlich irrelevant seien, die so geringfügig sind, dass bei vernünftiger Betrachtung nicht der Eindruck entstehen könne, dass der Nehmer sich dem Geber durch die Annahme der Zuwendung verpflichtet.10 Vielfach bestehen innerdienstliche Verwaltungsanweisungen, die umfassende, vollumfängliche Verbote hinsichtlich der Entgegennahme von Aufmerksamkeiten und Einladungen enthalten.11

13.21

Eine abschließende Aussage über die Bestimmung der Sozialadäquanz ist damit indes nicht getroffen. Nach hier vertretener Ansicht kann es nicht allein auf die betragsmäßige Höhe der

13.22

1 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580; a.A. Fischer67, § 331 StGB Rz. 12. 2 BGH v. 13.11.1997 – 1 StR 323/97, wistra 1998, 106. 3 BGH v. 8.2.1961 – 2 StR 566/60, BGHSt 16, 40; Bannenberg in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 13 Rz. 54. 4 BGH v. 16.3.1999 – 5 StR 470/98, wistra 1999, 224. 5 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6; BGH v. 2.2.2005 – 5 StR 168/04, wistra 2005, 226; BGH v. 23.10.2002 – 1 StR 541/01, GesR 2003, 16; BGH v. 27.10.1960 – 2 StR 177/60, BGHSt 15, 239; Bannenberg in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 13 Rz. 63 f.; zum Ganzen auch Saliger in FS Kühne, 2013, 443 (444). 6 Greeve, Korruptionsdelikte in der Praxis, 115 Rz. 267. 7 Vgl. zum Ganzen die Nachweise bei Fischer67, § 331 StGB Rz. 25 m.w.N. 8 BGH v. 23.5.2002 – 1 StR 372/01, BGHSt 47, 295. 9 BGH v. 3.12.1997 – 2 StR 267/97, NStZ 1998, 194, für den Fall der Gewährung von zwei Glas Bier in 90 Fällen. 10 OLG Frankfurt v. 9.3.1990 – 1 Ss 505/89, NJW 1990, 2074. 11 Vgl. etwa die allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur Förderung von Tätigkeiten des Bundes durch Leistungen Privater (Sponsoring, Spenden und sonstige Schenkungen) v. 7.7.2003, BAnz. 2003, 14906; Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung v. 30.7.2004, BAnz 2004, 17745.

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Kap. 13 Rz. 13.22 | Korruption und Schmiergelder

Zuwendung ankommen, insbesondere wenn keinerlei Unrechtsvereinbarung in Rede steht. Für die Bestimmung der Sozialadäquanz muss, dem Wortsinn entsprechend, ergänzend die gesellschaftliche Üblichkeit mitentscheidend sein. Richtig dürfte vielmehr sein, sich für die Beantwortung der Frage nach der Sozialadäquanz aus Wertungsgesichtspunkten heraus gedanklich an den steuerlichen Grundsätzen zur verdeckten Gewinnausschüttung zu orientieren. Unter einer verdeckten Gewinnausschüttung ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht.1 Der BFH hat die Veranlassung einer Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte.2 Für die Angemessenheit, d.h. die Sozialadäquanz ist mithin entscheidend, ob die Zuwendung des Vorteils im Sinne des Dritt-Fremdvergleichs so oder so ähnlich auch einem dritten Amtsträger/Geschäftspartner zugewendet worden wäre, freilich ohne Vorhandensein konkreter dienstlicher Berührungspunkte, aus der eine entsprechende Unrechtsvereinbarung zu folgern sein könnte. Auch der BGH nimmt eine differenzierende Betrachtung bei höhergestellten Amtsträgern vor.3 Die untergerichtliche Rechtsprechung führt ergänzend die Verkehrssitte oder Gewohnheitsrecht an.4 Im Bereich des Internationalen Strafrechts gilt es nach hier vertretener Ansicht, auch ortsübliche Gepflogenheiten in die Betrachtung der Sozialadäquanz mit einzubeziehen. Als Anhaltspunkte können folgende in einer Gesamtschau zu würdigende Indizien herangezogen werden:5 – Plausibilität einer anderen Zielsetzung; – Stellung des Amtsträgers; – Beziehung des Vorteilsgebers zum Amtsträger und dessen dienstlichen Aufgaben; – Vorgehensweise bei dem Angebot pp. (transparent oder heimlich); – Art, Wert und Zahl der Vorteile. Für eine Straflosigkeit sprechen: – Zuwendung in öffentlichem Repräsentationsrahmen; – Verknüpfung mit Zuwendungen an andere Personen mit repräsentativen Stellungen (keine Bevorzugung eines Adressaten); – Zuwendung fällt nicht wegen Höhe, Kontinuität oder Verwertbarkeit aus dem Rahmen des für repräsentative Einladungen typischen „gehobenen Konsums“ heraus; – transparentes Verfahren.

1 Zum Ganzen Hey in T/L23, § 11 Rz. 54. 2 BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631 = FR 1989, 562 = GmbHR 1989, 430; BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BFHE 89, 208 = BStBl. III 1967, 626; BFH v. 2.2.1994 – I R 78/92, GmbHR 1994, 416 = FR 1994, 364 = HFR 1994, 407. 3 BGH v. 10.3.1983 – 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264 (279) = NStZ 1984, 501. 4 OLG Hamburg v. 14.1.2000 – 2 Ws 243/99 Rz. 57, juris unter Verweis auf OLG Frankfurt v. 9.3.1990 – 1 Ss 505/89, NJW 1990, 2074. 5 Schünemann in FS Otto, 2007, 777 ff.; Bannenberg in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 13 Rz. 65.

652 | Peters

A. Korruption im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts | Rz. 13.27 Kap. 13

Etwas anderes gilt freilich dann, wenn Vorteile zugewendet werden, die ersichtlich auf die Person und die Tätigkeit des Amtsträgers zugeschnitten sind, vornehmlich, wenn sie dessen allgemeinen Lebenszuschnitt übersteigen (Luxusreisen, exklusive Golfturniere, hochwertige Incentive-Veranstaltungen).1

13.23

e) Ertragsteuerliche Behandlung von Aufwendungen für VIP Logen in Sportstätten Mit BMF-Schreiben vom 22.8.20052 wurde die ertragsteuerliche Behandlung von Aufwendungen für VIP-Logen in Sportstätten geregelt.3 Zur umsatzsteuerlichen Behandlung vgl. BMF Schreiben v. 28.11.2006.4

13.24

f) Verknüpfung von Vorteil und Dienstausübung/Unrechtsvereinbarung Zwischen dem Vorteil und der Dienstausübung muss ein „Gegenseitigkeitsverhältnis“ in dem Sinne bestehen, dass der Vorteil nach dem (angestrebten) ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis der Beteiligten seinen Grund gerade in der Dienstausübung hat.5 Ziel der Vorteilszuwendung muss sein, auf die künftige Dienstausübung Einfluss zu nehmen und/oder die vergangene Dienstausübung zu honorieren.6 Unter „Dienstausübung“ wird jedwede dienstliche Tätigkeit verstanden, die nach den Vorstellungen der Beteiligten nicht einmal in groben Umrissen konkretisiert sein muss. Es genügt, wenn der Wille des Vorteilsgebers auf ein generelles Wohlwollen, bezogen auf künftige Fachentscheidungen gerichtet ist, das bei Gelegenheit aktiviert werden kann.7

13.25

Mit der Neufassung der Bestechungstatbestände wurde der enge Bezug zu bestimmten Diensthandlungen gelockert. Ausreichend ist nunmehr, dass der Vorteil für die Dienstausübung im Allgemeinen gewährt und gefordert wird.8 Die Lockerung der Anforderungen an die Unrechtsvereinbarung soll Zuwendungen einbeziehen, die einer bestimmten Diensthandlung nicht hinreichend konkret zugeordnet werden können. Erfasst werden sollten insbesondere sog. Anbahnungszuwendungen (das sog. „Anfüttern“), die sich auf die Dienstausübung beziehen, ebenso wie die Klimapflege oder „Stimmungspflege“ zur Schaffung allgemeinen Wohlwollens im Rahmen der Dienstausübung. Man spricht insoweit von einer „gelockerten Unrechtsvereinbarung“.9

13.26

Von entscheidender Bedeutung ist stets die Frage nach der konkreten Unrechtsvereinbarung, an der der Gesetzgeber bewusst festgehalten hat. Dabei genügt es, wenn ein Vorteil „für die vergangene oder künftige Dienstausübung“ im Allgemeinen angeboten, versprochen oder gewährt wird. Nicht mehr erforderlich ist, dass der Vorteil als Gegenleistung dafür ge-

13.27

1 Zu sog. Hospitality Veranstaltungen vgl. Peters, ZWH 2012, 262; Saliger in FS Kühne, 2013, 443. 2 BMF v. 22.8.2005 – IV B 2 - S 2144 – 41/05, BStBl. I 2005, 845, ergänzt durch BMF v. 30.3.2006 – IV B 2 - S 2144 – 26/06, BStBl. I 2006, 307. 3 Zum Ganzen vgl. auch Alvermann, AG 2011, 746; Homp/Haimerl, Stbg 2010, 211; Jütten, StW 2006, 186; Mann/Bierstedt, BB 2006, 1366; Möhlenkamp, DStR 2006, 981. 4 BMF v. 28.11.2006 – IV A 5 - S 7109 – 14/06, BStBl. I 2006, 791. 5 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580; BGH v. 7.7.2005 – 4 StR 549/ 04, NJW 2005, 3011. 6 BGH v. 21.6.2007 – 4 StR 69/07, NStZ-RR 2007, 309 (310). 7 BGH v. 21.6.2007 – 4 StR 69/07, NStZ-RR 2007, 309 (310). 8 BT-Drucks. 13/8079, 15. 9 König, JR 1997, 397 (398); Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (480).

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Kap. 13 Rz. 13.27 | Korruption und Schmiergelder

währt wird, dass der Amtsträger eine in seinem Ermessen stehende Diensthandlung künftig vornimmt. Die Diensthandlung muss in ihrer konkreten Ausgestaltung nach Zeitpunkt, Anlass und Ausführungsweise (noch) nicht in allen Einzelheiten feststehen. Es reicht vielmehr aus, wenn sich das Einverständnis der Beteiligten darauf bezieht, dass der Amtsträger innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereichs oder Kreises von Lebensbeziehungen nach einer gewissen Richtung hin tätig geworden ist oder werden soll und die einvernehmlich ins Auge gefasste Diensthandlung nach ihrem sachlichen Gehalt zumindest in groben Umrissen erkennbar und festgelegt ist.

13.28

Ob der Vorteilsgeber dabei ein von § 333 Abs. 1 StGB erfasstes oder ein anderes Ziel verfolgt, mithin die subjektiven Voraussetzungen erfüllt sind, bleibt jedoch Tatfrage1 und weiterhin das Einfallstor für Beweisschwierigkeiten. Auch wenn eine stillschweigende Übereinkunft genügt, sind pauschale Bewertungen unzulässig. Die Abgrenzung ist vielmehr nach den fallbezogenen Umständen, vornehmlich anhand der Interessenlage der Beteiligten vorzunehmen.2 Letztlich bleibt der Nachweis des Beeinflussungswillens in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung, die Raum für Argumentation der Beschuldigten und einen erheblichen Entscheidungsspielraum des Gerichts beinhaltet. Hier wird die Unterscheidung getroffen zwischen tatbestandlichem „Schmieren“ und straflosem Fördern.3 Der BGH ist sich bewusst, dass das Merkmal der Unrechtsvereinbarung nach der von ihm vorgenommenen Auslegung im Randbereich kaum trennscharfe Konturen aufweist, dies zu Beweisschwierigkeiten führen kann und dem Tatrichter einen beträchtlichen Entscheidungsspielraum einräumt.4 g) Wirksame Genehmigung

13.29

Eine wirksame Genehmigung lässt gem. § 331 Abs. 3, § 333 Abs. 3 StGB die Strafbarkeit entfallen. Jedoch nur, wenn nicht zu befürchten ist, dass die Vorteilsannahme die objektive Amtsführung des Beamten beeinträchtigt oder den Eindruck seiner Befangenheit entstehen lassen könnte, kommt eine Genehmigung überhaupt in Betracht.

13.30

Die Genehmigungsbefugnis und die Zuständigkeit hierfür richtet sich mangels einer in § 331 Abs. 3, § 333 Abs. 3 StGB enthaltenen Rechtsgrundlage nach den Vorschriften des öffentlichen Dienstrechts.5 Der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zu § 331 Abs. 3 StGB kann Eindeutiges hinsichtlich der Zuständigkeit nicht entnommen werden.6 Es heißt lediglich, dass die Behörde nicht nur für den Beamten örtlich, sondern zur Erteilung einer Genehmigung auch sachlich zuständig sein muss.7 Die Einhaltung der konkreten Zuständigkeit wird dadurch gesichert, dass die Rechtswirksamkeit der Genehmigung davon abhängig ist, ob diese durch die Behörde „im Rahmen ihrer Befugnis“ erteilt wird.

13.31

Für die Beamten im staatsrechtlichen Sinn ergibt sich die zuständige Behörde aus den einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder. Zuständig ist der Dienstvorgesetzte. Für nicht in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehende Amtsträger ist davon auszugehen, dass „zuständige Behörde“ i.S.d. § 331 Abs. 3 und § 333 StGB 1 2 3 4 5 6 7

Kritisch zum Erfordernis des Beeinflussungswillens Reinhold, HRRS 2010, 213 (214 ff.). BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580. Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (473). BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580. Z.B. § 71 Abs. 1 BBG. BT-Drucks. 7/550, 272. BT-Drucks. 7/550, 272.

654 | Peters

A. Korruption im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts | Rz. 13.35 Kap. 13

zur Genehmigung von Vorteilsannahmen der jeweils für die Beschäftigten zuständige Arbeitgeber ist.1 Bei privatrechtlich organisierten Unternehmen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB wahrnehmen, kann nichts anderes gelten. Zuständige Behörde ist in diesem Fall das Unternehmen selbst und dort die Stelle, welche für den jeweiligen Beschäftigten zuständig ist.2 Schließlich ist zu prüfen, ob die Grenzen der Genehmigungsbefugnis eingehalten wurden. Denn unbeachtlich sind nichtige und erschlichene Genehmigungen sowie solche, die von einer konkret unzuständigen Behörde erteilt sind, wobei die „Unzuständigkeit“ auch darauf beruhen kann, dass ein Sachverhalt nicht genehmigungsfähig oder die Genehmigung gegenständlich beschränkt ist.3 Gerade mit steigendem Wert der Zuwendung erhöht sich aber der Verdacht, dass irgendetwas „nicht mit rechten Dingen zugeht“.4

13.32

Bei nicht in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehenden Amtsträgern, die nicht bei einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber angestellt, sondern bei privatrechtlich organisierten Unternehmen der öffentlichen Hand tätig sind, wird es zulässig sein, Differenzierungen und Abweichungen im Verhältnis zu den für den öffentlichen Dienst geltenden Regelungen anzunehmen. Auch der BGH hält es für vertretbar, auf individuelle Vermögensverhältnisse der einzelnen Amtsträger und die Usancen im jeweiligen Tätigkeitsgebiet abzustellen; namentlich bei öffentlich-rechtlichen Organisationen, deren Verwaltungsaufgabe eine gewisse „Entfremdung“ erfahren haben, die also dem privatwirtschaftlichen Bereich näherstehen, wie etwa die öffentlich-rechtlichen Sparkassen oder Landesbanken.5

13.33

3. Ausländische und internationale Bedienstete (§ 335a StGB) Die Neufassung durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz 2015 überführte die früheren spezialgesetzlichen Regelungen des EUBestG und des IntBestG in das StGB. § 335 Buchst. a StGB enthält eine eigenständige Regelung für Bedienstete ausländischer (auch europäischer) Staaten. Das geschützte Rechtsgut des § 335 Buchst. a StGB soll die Lauterkeit des ausländischen öffentlichen Dienstes und das Vertrauen der Öffentlichkeit in diese Lauterkeit sein.6 Die neue Regelung enthält gegenüber dem internationalen Bestechungsgesetz erhebliche Erweiterungen. Die Gleichstellungsvorschrift verweist nunmehr auch auf § 332 StGB und stellt die Bestechlichkeit des ausländischen Amtsträgers unter Strafe. Zudem ist ein Bezug zum internationalen geschäftlichen Verkehr nicht mehr erforderlich, so dass auch rein innerstaatliche Vorgänge unter § 335a StGB fallen, wie etwa Bestechung durch Einzelpersonen zu nichtwirtschaftlichen Zwecken (Touristen oder Entwicklungshelfer).7

13.34

Der Amtsträgerbegriff in § 335a StGB ist mithin ohne Rückgriff auf das Heimatrecht des jeweiligen Amtsträgers autonom auf der Grundlage des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr

13.35

1 2 3 4 5 6 7

BGH v. 10.3.1983 – 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264 (279) = NStZ 1984, 501. Jutzi, NStZ 1991, 105 (107). BT-Drucks. 7/550, 272. Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (485). BGH v. 10.3.1983 – 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264 (279) = NStZ 1984, 501. BT-Drucks. 18/4350; Böse, ZIS 2018, 119. Vgl. auch die Beiträge von Böse, ZIS 2018, 119 ff.; Meißner, StV 2017, 128 ff.; Kappel/Junkers, NZWiSt 2016, 382; Heinrich, wistra 2016, 471 ff.

Peters | 655

Kap. 13 Rz. 13.35 | Korruption und Schmiergelder

vom 7.12.1997 auszulegen.1 Auszugehen ist deshalb von dem Amtsträgerbegriff des Art. 1 Abs. 4 Buchst. a des genannten OECD-Übereinkommens, der als ausländischen Amtsträger Personen definiert, die in einem anderen Staat durch Ernennung oder Wahl ein Amt im Bereich der Gesetzgebung, Verwaltung oder Justiz innehaben, für einen anderen Staat einschließlich einer Behörde oder eines öffentlichen Unternehmens öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder Amtsträger oder Bevollmächtigter einer internationalen Organisation sind. Nach den Erläuterungen zu dem Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr ist ein „öffentliches Unternehmen“ ungeachtet seiner Rechtsform ein Unternehmen, das von der öffentlichen Hand unmittelbar oder mittelbar beherrscht wird.2

13.36

Dementsprechend kommt es auf die Rechtsform der Einrichtung gerade nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Unternehmen von der öffentlichen Hand beherrscht wird. Dass sich die Einrichtung selbst verwaltet und auch zur Gewinnerzielung tätig werden kann, steht der Annahme eines öffentlichen Unternehmens im Sinne des OECD-Übereinkommens nicht entgegen. Die in Rede stehende Diensthandlung muss pflichtwidrig sein. Auch Beschleunigung oder Erleichterung von Zahlungen sind von § 335 Buchst. a StGB erfasst, wenn eine Ermessensentscheidung des Bediensteten beeinflusst wird. Problematisch erscheint, dass sich die Bestimmung der Pflichtwidrigkeit nach dem Recht des Staates richtet, dessen Bediensteter bestochen wurde. Hier besteht in der Praxis das Problem, dass der ausländische Maßstab der Pflichtwidrigkeit zu bestimmen ist.

B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG I. Einführung 13.37

Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 1 EStG dürfen Betriebsausgaben den Gewinn nicht mindern, die eine Zuwendung von Vorteilen sowie damit zusammenhängende Aufwendungen darstellen, wenn die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt.3 Die Finanzbehörde teilt gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG Tatsachen, die den Verdacht einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit i.S.d. Satzes 1 begründen, der Staatsanwaltschaft oder der Verwaltungsbehörde mit.4

13.38

Eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs kommt insbesondere bei einem Verstoß gegen §§ 299 und 331 ff. StGB in Betracht, also bei Schmiergeldzahlungen.5

13.39

Die Vorteilszuwendungen müssen dem Steuerpflichtigen zuzurechnen sein. Im Unterschied zum Vorteilsbegriff der Bestechungstatbestände muss jedoch tatsächlich ein Abfluss zu verzeichnen sein. Die Vergabe zinsgünstiger oder zinsloser Darlehen genügt etwa nicht.

1 BGH v. 29.8.2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323 (344 ff.), Rz. 65 f. 2 BGH v. 23.10.2018 – 1 StR 234/17, GmbHR 2019, 401 unter Verweis auf BT-Drucks. 13/10428, 24. 3 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145-35/02, BStBl. I 2002, 1031; Preissing/Kiesel, DStR 2006, 118; Spatscheck, NJW 2006, 641; Schauf/Idler, Ubg 2010, 111; Pelz, DStR 2014, 449. 4 BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, AO-StB 2008, 268 m. Anm. Günther. 5 FG Münster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053; vgl. auch Rz. 16.218 ff.

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B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG | Rz. 13.43 Kap. 13

Haben Mitarbeiter gehandelt, ist die Frage der Zurechnung entscheidend und es gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze. Probleme können insbesondere dann auftauchen, wenn Mitarbeiter ausländischer Tochterfirmen gehandelt haben und die Frage der ausreichenden Überwachung durch den Mutterkonzern in Rede steht.

13.40

Beispiel: Deutsche Mitarbeiter einer ausländischen Tochterfirma eines deutschen Telekommunikationsunternehmens wenden über Jahre hinweg zur Erlangung regulativer Vorteile Mitgliedern, Parteien und Amtsträgern eines EU-Beitrittstaates mittels sog. Beraterverträge erhebliche Summen zu. Die aus Deutschland stammenden Gelder werden als Betriebsausgaben verbucht.1 Neben einer Strafbarkeit nach den Bestechungsvorschriften kommt eine Strafbarkeit wegen Untreue gem. § 266 StGB, ggf. im besonders schweren Fall (§ 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 StGB), sowie eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung in Betracht, da gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG ein Abzugsverbot besteht.

Das praktische Problem besteht bereits darin, dass dem strafrechtlich nicht geschulten Betriebsprüfer die Pflicht zur Subsumtion unter strafrechtliche Normen auferlegt wird. Im Zweifel wird dieser, um disziplinar- oder strafrechtlichen Maßnahmen (§ 258a StGB) zu entgehen, frühzeitig und in Zweifelsfällen eine entsprechende Mitteilung an die Straf- und Bußgeldsachenstelle fertigen. Voraussetzung ist aber zunächst stets, dass der in Rede stehende Betrag als Betriebsausgabe geltend gemacht wurde. Andernfalls kommt eine Mitteilung nur in den engeren Grenzen des § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a, Nr. 5 Buchst. a – c AO in Betracht.

13.41

Ein Verdacht i.S.d. § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht im Sinne des Strafrechts gegeben ist. Es gilt das zum Anfangsverdacht Ausgeführte und unterstreicht neuerlich die Bedeutung des Anfangsverdachts. Es müssen in jedem Fall zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen.2

13.42

Hinsichtlich der Mitteilungspflicht verhält sich bereits das BMF-Schreiben restriktiv:3

13.43

„Eine Mitteilungspflicht besteht im Regelfall nicht schon dann, wenn das Abzugsverbot nicht anwendbar ist (insbesondere bei privat mitveranlassten Aufwendungen, Tz. 4, bei einer Vorteilszuwendung, die nicht zu einer BA geführt hat, z.B. bei verbilligten Darlehen, Tz. 7, bei Versagung des BAAbzugs nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 EStG oder bei Anwendung des Abzugsverbots wegen Nichtbefolgung eines Benennungsverlangens nach § 160 AO, Tz. 34 bis 37). In diesen Fällen ist aber immer zu prüfen, ob eine Mitteilung nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b AO (AEAO zu § 30 AO, 8.1 und 8.3) in Betracht kommt und ggf. bei Hinzutreten weiterer Umstände sogar eine Mitteilungspflicht aufgrund einer Ermessensreduzierung besteht.“

Die Rechtsprechung des BFH ist hingegen deutlich weiter. Ein zur Mitteilung ausreichender Verdacht i.S.d. § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht im Sinne des Strafrechts gegeben ist.4 Es müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen. Die Gesetzesbegründung verlangte seinerzeit einen hinreichenden Tatverdacht.5

1 Im konkreten Fall stammten die Gelder von der ausländischen Tochterfirma bzw. die Gelder wurden von Schweizer Firmen bezahlt, die eigens zu diesem Zweck gegründet wurden. 2 BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, AO-StB 2008, 268 m. Anm. Günther. 3 BMF v. 10.10.2002 – IV 6 – S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031 (Tz. 32). 4 BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, AO-StB 2008, 268 m. Anm. Günther. 5 Vgl. BR-Drucks 910/98, 170; hierzu indes Randt, BB 2000, 106 (113), der gleichsam den Anfangsverdacht genügen lässt.

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Kap. 13 Rz. 13.44 | Korruption und Schmiergelder

13.44

§ 37b EStG regelt die steuerliche Behandlung von Sachzuwendungen für die Fälle, in denen Unternehmen ihre Kundenbeziehung durch Einladungen zu Veranstaltungen oder Geschenke unterlegen, wodurch beim Empfänger ein „geldwerter Vorteil“ entsteht, der steuerlich zu veranlagen ist. Die Regelung des § 37b EStG ermöglicht es dem den Vorteil zuwendenden Unternehmen, die steuerlichen Folgen für den Empfänger zu übernehmen und pauschal zu versteuern. Die Frage der steuerlichen Behandlung derartiger Ausgaben ist ein häufiges Prüfungsfeld der steuerlichen Außenprüfung. Die Finanzbehörden sind ausdrücklich ermächtigt unter Durchbrechung des Steuergeheimnisses die Strafverfolgungsbehörden im Verdachtsfall über korruptionsgeneigte Sachverhalte zu informieren.

13.45

Die Möglichkeit bereits eingetretener Strafverfolgungsverjährung oder eines strafrechtlichen Verwertungsverbotes steht der Mitteilungspflicht nicht entgegen. Denn die Prüfung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unterliegt der ausschließlichen Beurteilung der zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Es wäre ein sachwidriger Eingriff der Finanzbehörde in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Strafverfolgungsbehörden, wenn sie den Strafverfolgungsbehörden Erkenntnisse, die sie nach einer gesetzlichen Vorschrift zu übermitteln hat, aufgrund eigener Einschätzung strafverfahrensrechtlicher Voraussetzungen vorenthalten könnte.1 Dem Steuerpflichtigen entstehen hierdurch keine Nachteile, da im Falle der Verjährung das Verfahren ohnehin eingestellt wird. Das Abzugsverbot umfasst sämtliche unmittelbaren und mittelbaren mit der Betriebsausgabe im Zusammenhang stehenden Ausgaben, also auch Transaktionskosten, Reisekosten etc.

II. Kompensationsverbot 13.46

Für solche Ermäßigungsgründe oder Steuervorteile, die im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den unzutreffenden Steuererklärungen stehen, bei denen es sich somit um die steuerrechtliche Beurteilung desselben Vorgangs handelt, gilt das Kompensationsverbot nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht.2 Ein solcher untrennbarer Zusammenhang, der das Kompensationsverbot ausschließt, ist gegeben, wenn die in den Steuererklärungen geltend gemachten Zahlungen dem strafrechtlich zu beurteilenden Sachverhalt entsprechen. Werden bspw. der Betriebsausgabengrund und der Zahlungsempfänger ausgetauscht, beruht dies aber auf dem tatsächlichen Zahlungsabfluss, gilt das Kompensationsverbot nicht. Der Geschäftsvorfall ist in derartigen Fällen nicht vollständig fingiert. Es handelt sich vielmehr um ein und denselben, nur teilweise unrichtig dargestellten Sachverhalt.3

III. Auslandstaten 13.47

Hinsichtlich der Beurteilung von Auslandstaten hält das BMF-Schreiben konkrete Handlungsanweisungen bereit:4 1 Im Ergebnis auch BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, AO-StB 2008, 268 m. Anm. Günther. 2 BGH v. 23.10.2018 – 1 StR 234/17, GmbHR 2019, 401 unter Verweis auf BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, UR 2019, 148 und BFH v. 5.2.2004 – 5 StR 420/03, wistra 2004, 147 (149), Rz. 18; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 95; Bülte, NZWiSt 2016, 1 (7). 3 BGH v. 23.10.2018 – 1 StR 234/17, GmbHR 2019, 401 unter Verweis auf OLG Karlsruhe v. 6.3.1985 – 3 Ws 80/84, wistra 1985, 163 (164); ebenso FG Niedersachsen v. 10.11.2004 – 6 K 385/ 95, juris, Rz. 78 ff.; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 111; Simon/Wagner, Steuerstrafrecht4, 67; Gehm, Steuerstrafrecht3, 61; ähnlich BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (284 f.), Rz. 24. 4 BMF v. 10.10.2002 – IV 6 – S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031, Tz. 12, 13.

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B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG | Rz. 13.51 Kap. 13 „Wird die Tat ganz oder teilweise im Ausland begangen, so ist im Rahmen der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit zunächst zu klären, ob die konkrete Tat vom Schutzbereich des deutschen Straftatbestands erfasst wird. Die Fassung eines Tatbestands und dessen Auslegung kann ergeben, dass dieser sich auf den Schutz inländischer Schutzgüter beschränkt, was insbesondere bei § 108b StGB und Ordnungswidrigkeiten der Fall ist (z.B. bei § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVerfG; § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB; § 405 Abs. 3 Nr. 2 AktG, § 152 Abs. 1 Nr. 1 GenG) oder nur beschränkt nicht deutsche Interessen schützt (vgl. z.B. § 108e StGB hinsichtlich des Stimmenkaufs von EP-Abgeordneten); vgl. auch die Ergänzung durch Art. 2 § 2 IntBestG; s. auch die inlandsbezogene Beschränkung in Art. 7 Abs. 2 Nr. 10.4 StrÄndG. Wenn nicht eine grenzüberschreitende Tat gem. § 3 StGB vorliegt, findet § 7 StGB Anwendung, sodass es im Wesentlichen auf die Strafbarkeit der Tat im Ausland ankommt.“

Inwieweit eine Genehmigung der Annahme des Vorteils die Rechtswidrigkeit entfallen lässt, ist nach dem BMF-Schreiben bei jeder Regelung gesondert zu prüfen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn vor der Annahme eine Genehmigung in wirksamer Weise erteilt wird (vgl. § 333 Abs. 3 StGB). Nachträgliche Genehmigungen können ggf. auch die Rechtswidrigkeit entfallen lassen.1 Vor diesem Hintergrund kann es hilfreich sein, zu bestimmten Zahlungen rechtliche Einschätzungen, Unbedenklichkeitserklärungen oder Ablichtungen erteilter Genehmigungen bereitzuhalten.

13.48

IV. Belehrungspflicht bei Verdacht der Vorteilszuwendung Fordert die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung, die vermutete Vorteilszuwendungen zum Gegenstand haben (auch bei Benennungsverlangen nach § 160 AO) auf, hat die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen über die mögliche Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG, die Möglichkeit der straf- bzw. bußgeldrechtlichen Selbstbelastung und das Zwangsmittelverbot zu belehren. Dies ist namentlich dann angezeigt, wenn durch die Vorteilszuwendung ein Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht wurde und somit das einkommensteuerliche Abzugsverbot eingreift, der Steuerpflichtige gleichwohl die Zuwendung als Betriebsausgabe absetzt, die Finanzbehörde über die Gewinnminderung im Unklaren lässt und dadurch seiner Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Steuererklärung nicht nachkommt.2

13.49

V. Sonstige steuerstrafrechtliche Aspekte Fallen im Rahmen der Zuwendungen Umsatzsteuern an, etwa bei Rechnungen für Berater, Verträgen oder Ähnlichem, und macht der Zuwendende den Abzug von Vorsteuern geltend, darf die Umsatzsteuer mangels Leistungsbeziehung aus dieser Rechnung nicht geltend gemacht werden. Die Berücksichtigung im Bereich der Vorsteuer stellt eine Umsatzsteuerhinterziehung dar. Der Aussteller der Rechnung schuldet gem. § 14c UStG den ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag.

13.50

Den Zuwendungsempfänger trifft dann eine Umsatzsteuerpflicht, wenn er nachhaltig tätig wird, d.h. das Verhalten des Empfängers auf die Erzielung von Einkünften gerichtet und der Zustand von gewisser Dauer ist. Dies kommt dann in Betracht, wenn der Zuwendungsempfänger über Jahre hinweg Scheinrechnungen gestellt und Zuwendungen, etwa aus Beraterverträgen, erhalten hat.

13.51

1 BMF v. 10.10.2002 – IV 6 – S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031, Tz. 7. 2 BMF v. 10.10.2002 – IV 6 – S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031.

Peters | 659

Kap. 13 Rz. 13.51 | Korruption und Schmiergelder

C. Benennungsverlangen nach § 160 AO v. Crailsheim, Die steuerliche Behandlung von Schmiergeldzuwendungen, Diss., Augsburg 1997; Görtzen, Steuerliche Abzugsfähigkeit von Ausgaben an Domizilgesellschaften, FR 94, 770; Hegemann, Benennung von Zahlungsempfängern gemäß § 160 AO, Diss., Frankfurt a.M. u.a. 2004; Müller, Die Bedeutung der Gläubiger- und Empfängerbenennung nach § 160 AO im Steuerstrafrecht, StBp. 2010, 82; Rübenstahl, (Un-)Zulässigkeit von Benennungsverlangen (§ 160 AO) bei Überweisungen an intransparente Domizilgesellschaften, StBp. 2011, 329; Schmitz, Empfängerbenennung bei Auslandssachverhalten – § 16 AStG oder § 160 AO, IStR 97, 193.

I. Einführung 13.52

Die Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 10 EStG steht im unmittelbaren Spannungsfeld zu den steuerlichen Mitwirkungspflichten, insbesondere zu § 160 AO und dem strafrechtlichen Nemotenetur-Prinzip.1 Hinzu kommt die Regelung des § 16 AStG. Will der Steuerpflichtige den Betriebsausgabenabzug herbeiführen, wird er den Empfänger der Zahlung benennen müssen. Gleichsam vergrößert er das Risiko, wegen der Korruptionstat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Bei Auslandssachverhalten sind die Anforderungen an eine wirksame und ausreichende Empfängerbenennung erfüllt, wenn die Zahlung im Rahmen eines üblichen Handelsgeschäfts erfolgt, der Geldbetrag tatsächlich ins Ausland geflossen ist und der Empfänger nachweislich nicht der deutschen Steuerpflicht unterliegt.

13.53

Das nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO auszuübende Ermessen im Hinblick auf ein Benennungsverlangen vollzieht sich in zwei Stufen.2 Auf der ersten Stufe entscheidet das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO), ob es das Benennungsverlangen an den Steuerpflichtigen richten soll. Auf der zweiten Stufe trifft es eine Ermessensentscheidung darüber, ob und inwieweit es die in § 160 Abs. 1 Satz 1 AO genannten Ausgaben, bei denen der Empfänger nicht genau bekannt ist, zum Abzug zulässt.3 Das Benennungsverlangen steht in besonderem Maße unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Es darf nicht unverhältnismäßig sein und die für den Steuerpflichtigen zu befürchtenden Nachteile dürfen nicht außer Verhältnis zum beabsichtigten Erfolg stehen. Es muss die Vermutung naheliegen, dass der Zahlungsempfänger den Bezug zu Unrecht nicht versteuert hat.4 Dabei ist der Zielsetzung entsprechend allein auf die deutsche Steuer abzustellen.5 Das Verlangen darf auch dann gestellt werden, wenn der Steuerpflichtige den Empfänger nicht bezeichnen kann, weil ihm bei Auszahlung des Geldes dessen Name und Anschrift unbekannt waren. Dies gilt umso mehr für Auslandssachverhalte, in denen der Steuerpflichtige nach § 90 Abs. 2, 3 AO und § 16 Abs. 1 AStG in erhöhtem

1 Zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1217 ff.; Seer in T/K, § 160 AO Rz. 1 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.46 ff. 2 BFH v. 30.3.1983 – I R 228/78, BStBl. II 1983, 654; BFH v. 12.9.1985 – VIII R 371/83, BStBl. II 1986, 537; BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; BFH v. 19.1.1994 – I R 40/92, BFH/ NV 1995, 181; BFH v. 24.6.1997 – VIII 9/96, BStBl. II 1998, 51; BFH v. 15.10.1998 – IV R 8/98, BStBl. II 1999, 333; BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II 1999, 434; Seer in T/K, § 160 AO Rz. 14. 3 Zum Ganzen auch Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.51 ff. 4 BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II 1999, 434; BFH v. 17.10.2001 – I R 19/01, AO-StB 2002, 150 m. Anm. Ballof. 5 BFH v. 13.3.1985 – I R 7/81, BStBl. II 1986, 318; BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.48.

660 | Peters

C. Benennungsverlangen nach § 160 AO | Rz. 13.55 Kap. 13

Maße darlegungs- und beweispflichtig ist. Auf eine Empfängerbezeichnung kann nur verzichtet werden, wenn dieser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht steuerpflichtig ist.

II. Empfänger i.S.d. § 160 AO Empfänger i.S.d. § 160 AO ist derjenige, dem der in der Betriebsausgabe erhaltene wirtschaftliche Wert übertragen worden ist.1 Dies gilt nicht nur, wenn der Steuerpflichtige sich Hilfspersonen bedient, die aufgrund bestimmter Vereinbarungen Geldbeträge vom Steuerpflichtigen an nicht bekannte Dritte weitergeleitet haben, sondern auch in Fällen, in denen die natürliche oder juristische Person, die die Zahlungen des Steuerpflichtigen entgegengenommen hatte, lediglich zwischengeschaltet wurde, weil sie die vertraglich ausbedungenen Leistungen entweder mangels eigener wirtschaftlicher Betätigung nicht erbringen konnte oder weil sie aus anderem Grund die empfangenen Gelder an Dritte weiterleitet. Empfänger i.S.d. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist dann nicht die zwischengeschaltete Person, sondern sind die dahinterstehenden Dritten, an die die Gelder letztlich gelangt sind.2

13.54

Dies folgt aus dem Sinn, Steuerausfälle zu verhindern, die dadurch eintreten können, dass der Empfänger geltend gemachter Betriebsausgaben die Einnahmen bei sich nicht steuererhöhend erfasst. Ist eine natürliche oder juristische Person, die die Zahlungen unmittelbar entgegengenommen hat, lediglich zwischengeschaltet, weil sie empfangene Gelder lediglich weitergeleitet hat, dann ist sie nicht Empfänger i.S.d. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO, sodass die hinter ihr stehenden Personen, an die die Gelder letztlich gelangt sind, zu benennen sind.3 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn eine in Deutschland ansässige Gesellschaft der zu gründenden ausländischen Gesellschaft Vermögenswerte zukommen lässt und diese an die Kapitalgeber weitergeleitet würden. Die bloße Zahlung an Dritte führt indes nicht zu einer Versagung des Abzugs als Betriebsausgabe.4 Gläubiger i.S.d. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist der wirtschaftliche Eigentümer der Forderung; Empfänger im Sinne der Vorschrift ist hingegen derjenige, dem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert vom Steuerpflichtigen übertragen wurde.5 § 160 AO bezweckt allein, den wirtschaftlichen Vertragspartner zu erfassen, der die Betriebseinnahme zu versteuern hat.6 Schließt ein Steuerpflichtiger mit einem wirtschaftlich tätigen Geschäftspartner einen Vertrag ab, ist dieser Geschäftspartner bezüglich der vertraglich vereinbarten Entgeltforderung Gläubiger und Empfänger i.S.d. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO. Das gilt auch dann, wenn der Geschäftspartner den Steuerpflichtigen anweist die Zahlungen an einen Dritten zu leisten. Denn auch in diesem Fall erlischt die Forderung durch die Zahlung, und die Zahlung fließt dem Geschäftspartner wirtschaftlich zu.7 Dies gilt auch ohne eine konkrete Anweisung i.S.d. § 787 BGB, wenn der Steuerpflichtige nachweislich eine Leistungsbeziehung mit einem (ausländischen) wirtschaftlich aktiven Unternehmen unterhält und nur

13.55

1 BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312; bestätigt durch BFH v. 11.7.2013 – IV R 27/ 09, BFH/NV 2013, 1826; Seer in T/K, § 160 AO Rz. 16 f. 2 BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312; bestätigt durch BFH v. 11.7.2013 – IV R 27/ 09, BFH/NV 2013, 1826. 3 FG Saarland v. 10.5.2001 – 1 V 44/01, juris. 4 FG Münster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053. 5 FG Münster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053 unter Verweis auf BFH v. 21.7.2009 – IX B 55/09, BFH/NV 2010, 3. 6 FG Hamburg v. 2.2.2007 – 2 K 21/06, EFG 2007, 974. 7 FG Münster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053 unter Verweis auf FG Hamburg v. 2.2.2007 – 2 K 21/06, EFG 2007, 974 mit Anm. Kühnen; Bauhaus, AO-StB 2007, 235.

Peters | 661

Kap. 13 Rz. 13.55 | Korruption und Schmiergelder

die Zahlung an einen Dritten mit der Maßgabe erfolgt, dass die Zahlung auf das Entgelt mit dem Lieferanten anzurechnen ist.1

13.56

In den Fällen, in denen auf Anweisung oder Wunsch des Vertragspartners an einen Dritten gezahlt wird, setzt der Steuerpflichtige kein eigenständiges Risiko einer Steuergefährdung. Es macht im Ergebnis keinen Unterschied, ob der Vertragspartner das Entgelt zunächst selbst in Empfang nimmt, um es anschließend an den Dritten weiterzuleiten, mit dem er allein in Geschäftsbeziehungen steht, oder ob es im abgekürzten Zahlungsweg unmittelbar an den Dritten gezahlt wird. In beiden Fällen entsteht das Risiko einer Steuergefährdung allenfalls durch den Vertragsschluss des Vertragspartners mit dem Dritten. Wird das Risiko aber durch den Vertragspartner gesetzt, kann es nicht überzeugen, wenn gerade der Risikoverursacher, allein durch die Benennung des Dritten als Zahlstelle für den Steuerpflichtigen, das mit § 160 AO verbundene Risiko der Nichtabziehbarkeit von Betriebsausgaben von der eigenen Person auf den Steuerpflichtigen verlagern oder bei diesem erst zur Entstehung bringen könnte, obwohl der Steuerpflichtige naturgemäß weniger über die Verhältnisse bei dem Dritten wissen kann und muss, weil für ihn nur die Tilgung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Vertragspartner von Bedeutung ist.

III. Benennungspflicht bei Provisionszahlungen 13.57

Gem. § 160 AO haben Steuerpflichtige auf Verlangen der Finanzbehörde Gläubiger oder Empfänger von Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und anderen Ausgaben zu benennen. Kommen sie dieser Verpflichtung zur Empfängerbenennung nicht nach, sind die Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und anderen Ausgaben steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen. Zweck der Vorschrift ist es, mögliche Steuerausfälle zu verhindern, die dadurch eintreten können, dass der Empfänger geltend gemachter Betriebsausgaben oder Lasten, die Einnahmen bzw. Forderungen bei sich nicht steuererhöhend erfasst.2 Eine Erweiterung dieses Abzugsverbots erfolgt durch § 16 AStG. Unabdingbare Voraussetzung ist zunächst, dass es sich dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 160 AO folgend um Betriebsausgaben (o.a. Ausgaben) handeln muss, welche grundsätzlich steuerlich abzugsfähig sind. Fehlt es hieran, kommt es auf die weiteren Voraussetzungen der Vorschrift nicht an, da ein Abzug ohnehin nicht in Betracht kommt.3

13.58

Die Rechtsprechung geht mittlerweile jedoch weiter und verlangt vom inländischen Adressaten des Benennungsverlangens Angaben darüber, wem die dem unmittelbaren Zahlungsempfänger zugewandte Zahlung wirtschaftlich zugutegekommen ist. Gefragt wird hierbei nach demjenigen „dem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert“ vom Steuerpflichtigen übertragen wird4 oder nach „den tatsächlichen Erbringern der Leistung der ausländischen Gesellschaft“.5

1 FG Münster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053. 2 BFH v. 17.12.1980 – I R 148/76, BStBl. II 1981, 333; BFH v. 30.3.1983 – I R 228/78, BStBl. II 1983, 654; BFH v. 24.3.1987 – I B 156/86, BFH/NV 1988, 208; BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51 = FR 1998, 74; BFH v. 15.10.1998 – IV R 8/98, BStBl. II 1999, 333; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.46; Sorgenfrei, IStR 2002, 470. 3 BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51 = FR 1998, 74. 4 BFH v. 25.8.1986 – IV B 76/86, BStBl. II 1987, 481, für Bargeldbeträge bzw. Schecks, die erkennbar für einen anderen als den unmittelbaren Empfänger bestimmt waren. 5 BFH v. 10.11.1998 – I R 108/97, BStBl. 1999, 121 = FR 1999, 216 m. Anm. Kempermann; vgl. auch zu Domizilgesellschaften Seer in T/K, § 160 AO Rz. 18.

662 | Peters

C. Benennungsverlangen nach § 160 AO | Rz. 13.61 Kap. 13

Bei Provisionszahlungen an ausländische Gesellschaften ist zu differenzieren: Ist die ausländische Gesellschaft im wirtschaftlichen Sinne Handelsvertreter und als solcher tätig, reicht die Nennung der Gesellschaft für die Anerkennung der Betriebsausgaben aus. Verwendet die ausländische Gesellschaft jedoch die Provision, etwa um die Angestellten des Auftraggebers zu schmieren, bleibt bei ihr nur ein Differenzbetrag hängen und wird die Gesellschaft von einer Person planvoll eingesetzt und gesteuert, die mit dem deutschen Zahlenden nichts zu tun hat, ist der Betriebsausgabenabzug anzuerkennen. Ist die ausländische Gesellschaft vom inländischen Steuerpflichtigen, d.h. dem Zahlenden – ohne dass verdeckte Entnahmen vorliegen –, planvoll eingesetzt, um § 160 AO zu umgehen, so ist das Unternehmen Hilfsperson, und die Dahinterstehenden sind zu benennen. Sind die Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft Angestellte des Auftraggebers, die geschmiert werden sollen, kommt es darauf an, ob sie das Geld durch eine Gewinnausschüttung ihrer Gesellschaft oder durch eine unmittelbare Weiterleitung erhalten. Nur im letzteren Fall soll § 160 AO eingreifen, da die ausländische Gesellschaft insoweit nur eine Treuhandfunktion hat und damit nicht sie, sondern die Angestellten als Empfänger bezeichnet werden müssen. Dagegen sei im ersteren Fall die ausländische Gesellschaft als Empfänger korrekt bezeichnet, da das Geld erst durch eine Gewinnausschüttung zu den Gesellschaftern gelangt.

13.59

Teils wird diese Auffassung als zu weit erachtet,1 denn bei Inlandsgeschäften seien Provisionszahlungen in Niedrigsteuerländer unüblich. Deshalb sei mit der Benennung allein der ausländischen Gesellschaft dem Zweck des § 160 AO nicht genüge getan.2 Würde man dieser Ansicht folgen, soll § 16 AStG zur Anwendung kommen, wonach bei Zahlungen an Personen im Ausland, die mit ihren Einkünften nicht oder nur unwesentlich besteuert werden, der Empfänger i.S.d. § 160 AO erst dann genau bezeichnet sei, wenn der Steuerpflichtige alle Beziehungen offenlegt, die unmittelbar oder mittelbar zwischen ihm und der Gesellschaft, Personen oder Personengesellschaft bestehen oder bestanden haben. Dafür ließe sich anführen, dass eine über die Empfängerbenennung hinausgehende Darstellung der in § 16 AStG geforderten Umstände – im Umkehrschluss – bei § 160 AO gerade nicht erforderlich ist.3 Für diese Regelung sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 160 AO, wonach Steuerausfälle vermieden werden sollen. Nur soweit aber Steuerausfälle nicht zu erwarten sind, ist anerkannt, dass derartige Ausgaben trotz fehlender Empfängerbezeichnung zum Abzug zugelassen werden.4 Hierfür reicht aber nicht schon die bloße Möglichkeit aus, erforderlich ist vielmehr, dass der Empfänger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit den Bezügen weder der unbeschränkten noch der beschränkten Steuerpflicht im Inland unterliegt.

13.60

Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Steuerpflichtige selbst Opfer einer für ihn nicht durchschaubaren Täuschung geworden ist und sich ihm nicht Zweifel hinsichtlich seines Geschäftspartners aufdrängen mussten, bei sonst fehlender Erkennbarkeit, sowie dann, wenn der unmittelbare Zahlungsempfänger in einem EU-Staat ansässig ist, was – im Gegensatz zu in sog. typischen Steueroasen ansässigen Gesellschaften – unverdächtig ist.5 Nach Ansicht des FG Düsseldorf kann eine dahingehende Beweisvorsorgepflicht des Steuerpflichtigen nur bei Erkennbarkeit eines nach objektivem Maßstab steuerrelevanten Sachverhalts, nicht aber bezüglich des Nichtvorhandenseins steuererheblicher Tatsachen in Betracht kommen.6

13.61

Wannemacher, Steuerstrafrecht6, Rz. 1456. Pelka in JbFSt 1982/83, 118. Wassermeyer in F/W/B/S, § 16 AStG Rz. 5. BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51 = FR 1998, 74; Seer in T/K, § 160 AO Rz. 10.; Wassermeyer in F/W/B/S, § 16 AStG Rz. 46. 5 BFH v. 17.10.2001 – I R 19/01, AO-StB 2002, 150 m. Anm. Ballof. 6 FG Düsseldorf v. 21.3.2000 – 3 K 4432/92, juris. 1 2 3 4

Peters | 663

Kap. 13 Rz. 13.62 | Korruption und Schmiergelder

13.62

Es ließe sich anführen, dass, wenn es sich für die inländische Muttergesellschaft so darstellt, dass es sich um zulässige (innereuropäische) Provisionszahlungen gehandelt hat, kein Anlass dahingehend besteht, Zweifel an dem tatsächlichen Vorliegen einer Betriebsausgabe zu hegen. Ein steuerrelevanter Sachverhalt liegt dann insoweit nicht vor, als dass es sich vom Standpunkt der inländischen Gesellschaft aus um eine abzugsfähige Betriebsausgabe an eine ausländische Person handelt, deren inländische Steuerpflicht ausgeschlossen ist. Dafür spricht auch die Überlegung, dass selbst wenn die Gelder direkt von der inländischen Muttergesellschaft an die entsprechenden Empfänger gezahlt würden, aus Sicht der Muttergesellschaft in der Regel keine Zweifel bestehen, dass es sich um ausländische Personen handelt, die der deutschen Steuerpflicht nicht unterliegen.

13.63

Der Steuerpflichtige kann nur Umstände offenlegen, die in seinem Kenntnisbereich liegen oder von denen er sich in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen kann.1 Einblicke bzw. tatsächliche oder gar rechtliche Möglichkeiten (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 2 AO) in die Liefer- und Leistungsbeziehungen seines Vertragspartners hat der inländische Steuerpflichtige regelmäßig nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf den geforderten vollen Namen und die volle Privatanschrift von Personen, die in eine hinter dem unmittelbaren Zahlungsempfänger stehende Liefer- bzw. Leistungskette involviert sind. Unmögliches darf vom Steuerpflichtigen nicht verlangt und hieraus keine nachteiligen steuerlichen Konsequenzen gezogen werden, solange er die Unmöglichkeit nicht (zurechenbar) verursacht hat.2

13.64

Denn in derartigen Fällen würde eine Anwendung von § 160 Abs. 1 AO zu einer Gefährdungshaftung in der Person des inländischen Steuerpflichtigen nicht für (vermutetes) inländisches, sondern für ausländisches Steueraufkommen führen. Sofern also nicht eine durch tatsächliche Anhaltspunkte belegte Vermutung kollusiven Zusammenwirkens von der Finanzverwaltung eingreift, ist eine Ausdehnung von § 160 Abs. 1 AO gesetzlich nicht mehr gedeckt. Dafür spricht auch, dass der anvisierte „wirtschaftliche“ oder „letztliche“ Leistungsempfänger mit der erforderlichen Sicherheit regelmäßig ohnehin nicht bestimmt werden kann.

13.65

Der VIII. Senat des BFH hat schließlich selbst ausdrücklich erwähnt, dass eine restlose Aufklärung der Verwendung ohnehin nicht möglich sei. Der Rechtsgedanke des § 160 AO sei nicht so weitgehend zu verstehen, dass ein Steuerpflichtiger, um den Betriebsausgabenabzug nicht zu gefährden, in jedem Falle „erschöpfende Ermittlungsaufgaben für das Finanzamt“ wahrzunehmen habe.3

13.66

Andere Senate sehen den Normzweck des § 160 AO erst als erfüllt an, wenn „sichergestellt“ bzw. wenn „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ der Empfänger im Inland nicht steuerpflichtig ist.4 Der I. Senat hingegen hat einerseits diesen Wahrscheinlichkeitsgrad vorausgesetzt, andererseits im Leitsatz derselben Entscheidung nicht so stringent formuliert: „Die bloße Möglichkeit einer im Inland für den Empfänger nicht bestehenden Steuerpflicht reicht allein nicht aus, um von der Rechtsfolge des § 160 AO abzusehen“.5

13.67

Im Falle der Provisionszahlung an eine ausländische Tochtergesellschaft, welche diese Gelder dann an die entsprechenden Empfänger weiterleitet, muss es für § 160 AO als genügend 1 2 3 4

BFH v. 1.6.1994 – X R 73/91, BFH/NV 1995, 3; Seer in T/K, § 160 AO Rz. 16 ff. Seer in T/K, § 90 AO Rz. 2; Wittmann, StuW 1987, 35 (42): Vermeidbarkeit der Unmöglichkeit. BFH v. 25.11.1986 – VIII R 350/82, juris. BFH v. 13.9.1999 – IV B 41/99, BFH/NV 2000, 817; BFH v. 12.8.1999 – XI R 51/98, BFH/NV 2000, 299 f. 5 BFH v 13.3.1985 – I R 7/81, BStBl. II 1986, 318.

664 | Peters

C. Benennungsverlangen nach § 160 AO | Rz. 13.71 Kap. 13

angesehen werden, wenn für die deutsche Gesellschaft feststeht, dass die Gelder im Ausland verbleiben und nicht der deutschen Steuerpflicht unterliegen. Dafür muss ausreichend sein, dass dargelegt wird, dass es sich um Provisionszahlungen an ausländische Personen gehandelt hat und die ausländische Gesellschaft quasi nur „Durchlaufstelle“ der Zahlung, gleichwohl der eigentliche Vertragspartner, ist. Für die deutsche Muttergesellschaft ist nie ganz aufklärbar, wer nun letztlich wirtschaftlich Begünstigter der Zahlung ist. Zu denken ist etwa an den Fall, dass ein Vertragspartner der ausländischen Gesellschaft die ihm zustehende Forderung bereits im Wege einer vorweggenommenen stillen Sicherungszession abgetreten hat ohne dies offenzulegen, d.h. für seinen Gläubiger gem. § 185 BGB einzugsberechtigt ist, oder das Konto/Sparbuch bzw. der Pfändung unterworfen ist bzw. der pfändbare Teil überwiesen wird. Hiervon hat der inländische Steuerpflichtige regelmäßig keine Kenntnis. Würde es sich dabei um einen inländischen Steuerpflichtigen handeln, so müsste konsequenterweise ein Abzug als Betriebsausgabe versagt werden, da der Steuerpflichtige nicht den „letztlichen wirtschaftlichen“ Empfänger benannt hat. Ferner kann der inländische Steuerpflichtige meist schon rein tatsächlich nicht darlegen, wer letztlich „wirtschaftlich“ hinter dem Empfänger steht, etwa wenn das angegebene Konto wiederum nur eine „Durchlaufstation“ ist, etwa weil der ausländische Empfänger die Einnahme nicht versteuern will oder es sich um ein anonym geführtes Konto handelt.

13.68

Sinn und Zweck des § 160 Abs. 1 AO ist nicht, den Betriebsausgabenabzug zu versagen, sondern Steuerausfälle zu verhindern. Neben § 160 Abs. 1 AO tritt daneben aber auch noch die Mitwirkungspflicht des Empfängers selbst, welcher im Falle einer inländischen Steuerpflicht die Einnahmen ggf. zu versteuern hätte. § 160 AO kann hingegen nicht derart weit verstanden werden, dass der Leistende, um in den Genuss der Abzugsfähigkeit zu kommen, dem Empfänger jedwede Obliegenheit faktisch abzunehmen hat. Wenn also gegenüber den inländischen Behörden angegeben wird, dass es sich um Provisionszahlungen handelt, die durch die Tochtergesellschaft an ausländische Personen ausbezahlt werden, und dem legale Verträge zugrunde liegen, so ist dies nicht anders zu bewerten, als wenn die Zahlung etwa anlässlich der Begleichung von Mietzinsen der ausländischen Gesellschaft erfolgt.

13.69

Dagegen ließe sich einwenden, dass wenn Zahlungen anlässlich einer Provisionsvereinbarung gezahlt werden, wie bei sonstigen Verträgen auch, der eigentliche Vertragspartner zu benennen ist, welcher zumindest der ausländischen Tochterfirma bekannt ist, mithin sich daraus die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Empfängerbenennung ergibt.1

13.70

IV. Umfang der Benennungspflichten Bestehen Anhaltspunkte, dass der Rechnungssteller eine sog. Domizilgesellschaft ist, ist es nach allgemeiner Ansicht nicht ermessensfehlerhaft, wenn das Finanzamt zur Benennung der Personen auffordert, die die Leistungen tatsächlich gegenüber dem inländischen Steuerpflichtigen erbracht haben. Das Wesen einer Domizilgesellschaft oder Sitzgesellschaft besteht darin, dass diese in dem Niedrigsteuerstaat nur ihren Sitz hat, dort keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und ihr Einkommen ausschließlich aus inländischen Quellen bezieht.2 Ausgeschlossen

1 BFH v. 8.2.1972 – VIII R 41/66, juris. 2 BFH v. 30.8.1995 – I R 126/94, BFH/NV 1996, 267; BFH v. 10.11.1998 – I R 108/97, BStBl. 1999, 121 = FR 1999, 216 m. Anm. Kempermann; BFH v. 13.12.1999 – IV B 41/99, BFH/NV 2000, 818; BFH v. 12.8.1999 – XI R 51/98, BFH/NV 2000, 299; Schmidt, IStR 99, 338.

Peters | 665

13.71

Kap. 13 Rz. 13.71 | Korruption und Schmiergelder

ist ein Benennungsverlangen aber dann, wenn feststeht, dass der hinter der Domizilgesellschaft Stehende der deutschen Besteuerung nicht unterliegt.1

13.72

In einigen diesbezüglichen Entscheidungen klang bereits die Tendenz an, beispielsweise die europäische Limited per se nicht als Domizilgesellschaft anzusehen, da dies einen Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten darstelle.2 Eine Diskriminierung ist insbesondere darin zu sehen, dass mit den Entscheidungen Überseering, Centros3 und Inspire Art4 die ausländische Gesellschaft nicht nur als rechts- sondern auch als parteifähig anerkannt wurde. Diskriminierend ist es ferner, anstelle der ausländischen Gesellschaft seitens des Finanzamts den/ die Gesellschafter zu Verfahrensbeteiligten zu machen. Im Falle einer deutschen GmbH ist auch nur diese als solche zu benennen, sodass für die Limited nichts anderes gelten kann. Die europäische Kapitalgesellschaft würde gegenüber einer ansässigen Gesellschaft benachteiligt.5 Zudem ist seit der Dublin-Docks-Entscheidung anerkannt, dass ein Outsourcing in eine Kapitalgesellschaft nicht missbräuchlich ist und kein Umgehungsgeschäft i.S.d. § 42 AO darstellt.6 Ergänzend sind jedoch die erweiterten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO zu beachten. Bei ausländischen Domizilgesellschaften ist der Steuerpflichtige von sich aus gehalten, die erforderlichen Nachforschungen über den Auftragnehmer und weitere Zahlungsempfänger anzustellen. Als Zahlungsempfänger kommen dabei die Anteilseigner, aber auch die Auftragnehmer der Domizilgesellschaft in Betracht. Die Finanzbehörde ist hingegen nicht verpflichtet, aufzuklären, wer tatsächlich hinter der Domizilgesellschaft steht. Bei dem Steuerpflichtigen müssen indes positive Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass es sich bei den Geschäftspartnern als Zahlungsempfänger um eine Domizilgesellschaft handeln könnte, wie z.B. der Sitz des Unternehmens in Steueroasen.7

13.73

Noch strengere Anforderungen enthält die Regelung des § 16 Abs. 1 AStG.8 Beantragt ein Steuerpflichtiger unter Berufung auf Geschäftsbeziehungen mit einer ausländischen Gesellschaft oder einer im Ausland ansässigen Person oder Personengesellschaft, die mit ihren Einkünften, die in Zusammenhang mit den Geschäftsbeziehungen zu dem Steuerpflichtigen stehen, nicht oder nur unwesentlich besteuert wird, die Absetzung von Schulden oder anderen Lasten oder von Betriebsausgaben oder Werbungskosten, so ist i.S.d. § 160 AO der Gläubiger oder Empfänger erst dann genau bezeichnet, wenn der Steuerpflichtige alle Beziehungen offenlegt, die unmittelbar oder mittelbar zwischen ihm und der Gesellschaft, Person oder Personengesellschaft bestehen und bestanden haben.

1 FG Münster v. 13.3.1997 – 5 K 2954/96, EFG 98, 251; BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312; bestätigt durch BFH v. 11.7.2013 – IV R 27/09, BFH/NV 2013, 1826; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.50. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 19/01, AO-StB 2002, 150 m. Anm. Ballof; BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/ 01, BFH/NV 2002, 312; FG Düsseldorf v. 18.2.2004 – 13 K 4740/00, juris; FG Saarland v. 10.5.2002 – 1 V 44/01, juris; FG Niedersachsen v. 30.11.2000 – 5 K 62/98, juris. 3 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 – Centros, FR 1999, 449 m. Anm. Dautzenberg. 4 EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Inspire Art, GmbH-StB 2003, 315 m. Anm. Riemenschneider. 5 Zu diesem Kriterium auch BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14 = FR 2004, 1064 m. Anm. Fischer. 6 BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14 = FR 2004, 1064 m. Anm. Fischer; so auch Seer in T/K, § 160 AO Rz. 23. 7 Seer in T/K, § 160 AO Rz. 23f. 8 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.54.

666 | Peters

D. Korruption und Untreue | Rz. 13.77 Kap. 13

Kommt der Steuerpflichtige dem Benennungsverlangen nach, bestehen aber gleichwohl Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben, können diese durch eine eidesstattliche Versicherung nach § 16 Abs. 2 AStG ausgeräumt werden. Insoweit besteht jedoch ein Strafbarkeitsrisiko nach § 156 StGB für den Fall, dass die eidesstattliche Versicherung falsch ist.

13.74

V. Verletzung der Benennungspflicht und Steuerhinterziehung Kommt der Steuerpflichtige dem Benennungsverlangen der Finanzbehörde nicht nach, so ist damit nicht automatisch der Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht. Ein entsprechender Umkehrschluss ist unzulässig. Die entsprechend in Rede stehenden Ausgaben sind steuerlich nicht zu berücksichtigen, d.h. sie sind nicht steuermindernd anzusetzen, wie sie dies sonst wären. § 160 AO entfaltet daher keine materiell-rechtliche Wirkung, so dass auch die Verletzung der Benennungspflicht durch einen GmbH-Geschäftsführer keine Haftung begründet.1 Steht die Schuld oder Ausgabe fest, und ist nur der Gläubiger/Empfänger nicht bekannt, scheidet eine Steuerverkürzung aus. Der Steuerpflichtige macht keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben, wenn er nicht bereit ist, den Empfänger der Leistung zu benennen.2

13.75

Ob jedoch ein strafrechtlicher Anfangsverdacht wegen außersteuerlicher Straftaten anzunehmen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Die bloße Tatsache, dass der Steuerpflichtige dem Benennungsverlangen nicht nachkommt, dürfte ohne weitere Anhaltspunkte für die Annahme eines strafrechtlichen Anfangsverdachts nicht genügen. Indes ist jedoch das Risiko zu sehen, dass je nach Ausgestaltung der Zahlungsmodalitäten und je nach beteiligtem Land gegebenenfalls ein Strafverfahren – und seien es nur strafrechtliche Vorermittlungen – initiiert wird. Die Praxis zeigt, dass oftmals eine unterbliebene Mitwirkung des Steuerpflichtigen zum Anlass genommen wird, daraus quasi reflexartig auch ein strafrechtlich relevantes Verhalten zu folgern. Insbesondere bei Sachverhaltsgestaltungen mit grenzüberschreitendem Bezug werden die örtlichen Staatsanwaltschaften immer früher informiert.3 Hinzu kommt, dass die steuerlichen Auswirkungen oftmals enorm sind und die Staatsanwaltschaft auch aus diesem Grunde immer frühzeitiger hinzugezogen wird. Dies gilt insbesondere, wenn sich das Klima in der Betriebsprüfung verschlechtert und der Steuerpflichtige nicht die gewünschte Kooperationsbereitschaft zeigt. In den seltensten Fällen werden jedoch zugleich strafrechtlich versierte Berater hinzugezogen, die in der Lage sind, mögliche Folgerisiken abzuschätzen.

13.76

D. Korruption und Untreue Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH liegt bei Schmiergeldzahlungen in der Regel ein Nachteil i.S.d. § 266 StGB vor, da dem Betrag, der für diese Zahlungen aufgewendet wird, keine Gegenleistung gegenübersteht, der Betrag vielmehr auch in Form eines Preisnachlasses oder -aufschlages hätte gewährt werden können.4 Eine Ausnahme gilt insbesondere dann,

1 2 3 4

Seer in T/K, § 160 AO Rz. 30. Seer in T/K, § 160 AO Rz. 34; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 207 f. Vgl. auch Peters in Kohlmann, § 386 AO Rz. 119 f. BGH v. 23.10.2018 – 1 StR 234/17, GmbHR 2019, 401 unter Verweis auf st. Rspr.; vgl. BGH v. 10.7.2013 – 1 StR 532/12, NJW 2013, 3590 (3592), Rz. 40; BGH v. 2.12.2005 – 5 StR 119/05, BGHSt 50, 299, 314 f.; BGH v. 2.2.2010 – 4 StR 345/09, NStZ 2010, 502 (503) und BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317 (332 f.); hierzu auch Schünemann, NStZ 2006, 196 (200 ff.); Kraatz, ZStW 2010, 521 (531 ff.).

Peters | 667

13.77

Kap. 13 Rz. 13.77 | Korruption und Schmiergelder

wenn Umstände erkennbar sind, die es nicht nahelegen, dass die Leistungen in die Kalkulation zu Lasten des Geschäftsherrn eingestellt wurden.

13.78

An einem tatbestandlichen Vermögensnachteil fehlt es indes im Falle einer schadensausgleichenden Kompensation. Eine solche liegt vor, wenn und soweit der durch die Tathandlung verursachte Nachteil durch zugleich eintretende wirtschaftliche Vorteile ausgeglichen wird.1 Dabei kommt es nicht nur auf die von der Rechtsordnung anerkannten und mit ihr durchsetzbaren Vermögensrechte und Vermögenspflichten an. Vielmehr gilt ein wirtschaftlicher Ausgangspunkt, der durch normative Erwägungen zu korrigieren ist.2 Zwar können normative Gesichtspunkte bei der Feststellung eines Vermögensnachteils durchaus eine Rolle spielen, dürfen aber wirtschaftliche Überlegungen nicht verdrängen, so dass es auch bei einer Verwendung des anvertrauten Vermögens zu verbotenen Zwecken der Prüfung bedarf, ob das verbotene Geschäft – wirtschaftlich betrachtet – nachteilhaft war.3 Damit kommt es für die Frage, ob der Vermögensverlust durch einen unmittelbaren Vermögensvorteil kompensiert wurde, nicht nur auf den rechtlichen Bestand der Forderungen an, auf die geleistet werden soll, sondern auch auf den wirtschaftlichen Wert der Gegenleistung, welche die Treugeberin erlangt hat.

13.79

Beim Arbeitnehmer handelt es sich bei von einem Dritten gezahlten Bestechungsgeldern um sonstige Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG.4 Die Rückzahlung der empfangenen Bestechungsgelder ist im Zeitpunkt des Abflusses der Beträge in voller Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erhaltene Schmiergelder sind von Beginn an mit einem Herausgabeanspruch des Arbeitgebers für den Fall der Aufdeckung der Bestechung belastet.5

1 BGH v. 23.10.2018 – 1 StR 234/17, GmbHR 2019, 401 unter Verweis auf st. Rspr.; vgl. BGH v. 11.12.2014 – 3 StR 265/14, BGHSt 60, 94; BGH v. 13.9.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 m.w. N. 2 BGH v. 27.2.1975 – 4 StR 571/74, NJW 1975, 1234 (1235); vgl. auch Cornelius, NZWiSt 2013, 166 (170). 3 St. Rspr.: vgl. nur BGH v. 2.7.2014 – 5 StR 182/14, NStZ 2014, 517 (519); BGH v. 13.9.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288, Rz. 42 m.w.N.; vgl. auch BVerfG v. 1.11.2012 – 2 BvR 1235/11, NJW 2013, 365 (366) und BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 (212); BGH v. 23.10.2018 – 1 StR 234/17, GmbHR 2019, 401 zu Kaufpreisrückerstattungen als durchlaufende Posten. 4 BFH v. 16.6.2015 – IX R 26/14, FR 2015, 1143 m. Anm. Bode. 5 BFH v. 16.6.2015 – IX R 26/14, FR 2015, 1143 m. Anm. Bode.

668 | Peters

5. Teil Grundzüge des Internationalen Steuerrechts Kapitel 14 Materielles Steuerrecht A. B. I. 1.

2.

3. II. 1. 2. 3. III. 1. 2.

3.

4. 5. 6. IV. 1.

Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Außensteuerrecht Ertragsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.10 Einkommensteuer a) Unbeschränkte Steuerpflicht . . 14.11 b) Beschränkte Steuerpflicht . . . . . 14.15 c) Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht . 14.28 Körperschaftsteuer a) Unbeschränkte Steuerpflicht . . 14.47 b) Beschränkte Steuerpflicht . . . . . 14.50 c) Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht . 14.58 Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.73 Erbschaftsteuer Anknüpfungspunkte für die Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.82 Unbeschränkte Steuerpflicht . . . . . . 14.87 Beschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . 14.97 Verkehrsteuern Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.105 Umsatzsteuer a) Steuerbare Umsätze . . . . . . . . . 14.106 b) Steuerfreie Export-Umsätze . . . 14.129 c) Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . 14.133 Grunderwerbsteuer a) Erwerbsvorgänge . . . . . . . . . . . . 14.137 b) Änderungen im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.139 c) Anteilsvereinigung und Anteilsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . 14.140 d) Steuerbefreiungen . . . . . . . . . . . 14.142 e) Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . 14.143 Versicherungsteuer und Feuerschutzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.144 Kraftfahrzeugsteuer und Luftverkehrsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.148 Rennwett- und Lotteriesteuer . . . . . 14.153 Verbrauchsteuern Kurzüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.157

2. Energiesteuer a) Belastungswirkungen . . . . . . . . 14.158 b) Steueraussetzungsverfahren . . . 14.161 c) Steuerrechtlich freier Verkehr . 14.165 d) Sondervorschriften für Kohle und Erdgas . . . . . . . . . . . . . . . . 14.167 3. Stromsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.170 4. Tabaksteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.174 5. Alkoholsteuern a) Selektive Besteuerung . . . . . . . . 14.180 b) Alkoholsteuer . . . . . . . . . . . . . . 14.181 c) Schaumweinsteuer . . . . . . . . . . 14.183 d) Biersteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.185 e) Alkopopsteuer . . . . . . . . . . . . . . 14.188 6. Kaffeesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.190 V. Hinzurechnungsbesteuerung 1. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.193 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . 14.196 3. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.202 VI. Zurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.208 VII. Internationale Einkünfteabgrenzung 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.216 2. Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten a) Allgemeine Hinweise . . . . . . . . 14.219 b) Erwirtschaftungsprinzip . . . . . . 14.228 c) Entgeltsprinzip . . . . . . . . . . . . . 14.231 3. Einkünfteabgrenzung bei Personengesellschaften a) Mitunternehmerkonzept . . . . . 14.235 b) Einkünftekorrektur . . . . . . . . . . 14.237 4. Einkünfteabgrenzung bei Kapitalgesellschaften a) Allgemeine Hinweise . . . . . . . . 14.241 b) Verdeckte Gewinnausschüttung 14.245 c) Verdeckte Einlage . . . . . . . . . . . 14.251 d) Berichtigung von Einkünften (§ 1 AStG) aa) Fremdvergleich . . . . . . . . . 14.255 bb) Einkünftekorrektur . . . . . . 14.259 cc) Anwendungsbereiche . . . . 14.270

Schaumburg/Häck | 669

Kap. 14 Rz. 14.1 | Materielles Steuerrecht C. Doppelbesteuerungsrecht I. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.276 II. Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung . 14.279 III. Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) 1. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . 14.285

2. 3. 4. 5. 6.

Auslegungskonflikte . . . . . . . . . . . . Steuerumgehung . . . . . . . . . . . . . . . Abkommensberechtigung . . . . . . . Sachliche Reichweite . . . . . . . . . . . . Verteilungs- und Vermeidungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14.287 14.293 14.296 14.300 14.302

Literatur (Gesamtdarstellungen): Achatz, Internationales Steuerrecht, DStJG 36 (2013); Birk/Desens/ Tappe, Steuerrecht, 23. Aufl. Heidelberg 2020; Brähler, Internationales Steuerrecht, 8. Aufl. Wiesbaden 2014; Breithecker/Klapdor, Einführung in die Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 4. Aufl. Berlin 2016; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl. Berlin 2005; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl. München 2020; Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011; Grotherr/Herfort/Strunk, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. Achim 2010; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, 6. Aufl. Heidelberg 2020; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. München 2016; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Baden-Baden 2009; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. München 2000; Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018; Reith, Internationales Steuerrecht, München 2004; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017; Rupp/Knies/Ott/Faust/Hüll, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Stuttgart 2018; Scheffler, Besteuerung von Unternehmen I, 14. Aufl. Heidelberg 2020; Scheffler, Internationale betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 3. Aufl. München 2009; Schmidt/Sigloch/Henselmann, Internationale Steuerlehre, Wiesbaden 2005; Wilke/Weber, Internationales Steuerrecht, 15. Aufl. Herne 2020.

A. Begrifflichkeiten 14.1

Der Begriff des Internationalen Steuerrechts1 ist gesetzlich nicht festgelegt. Er ist auch kein Systembegriff, weil das Steuerrecht, soweit es internationale Bezüge hat, nicht einheitlich kodifiziert und ohne systematische Konzeption ist.2 Der Begriff des Internationalen Steuerrechts hat letztendlich nur Bedeutung für die Verständigung. Wenn daher im Folgenden vom Internationalen Steuerrecht die Rede ist, so sind damit jene Normen angesprochen, die auslandsbezogene Sachverhalte erfassen. Es kann sich hierbei um Normen handeln, die der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sind.

14.2

Auf einer weiteren Ebene lässt sich der Begriff des Internationalen Steuerrechts in zwei weitere Ordnungsbegriffe dahingehend aufteilen, dass sich all jene Normen, die der Vermeidung der Doppelbesteuerung dienen, als Doppelbesteuerungsrecht, und alle übrigen Normen als Außensteuerrecht bezeichnen lassen. Außensteuerrecht und Doppelbesteuerungsrecht stehen nicht selten in einer Wechselbeziehung die dadurch geprägt ist, dass das Außensteuerrecht kollisions- und konfliktbegründend,3 und das Doppelbesteuerungsrecht kollisionsauflösend wirkt.

14.3

Die Kollisionsbegründung4 erfolgt im Bereich der Subjektsteuern (z.B. Einkommen- und Körperschaftsteuer) durch das internationale Nebeneinander von unbeschränkter Steuer1 2 3 4

Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 1.1 ff. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 1.4; Seer in T/L23, § 1 Rz. 82. Dieser Begriff ist nicht im Sinne des Internationalen Privatrechts zu verstehen. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 2.3 ff.

670 | Schaumburg/Häck

A. Begrifflichkeiten | Rz. 14.7 Kap. 14

pflicht durch Erfassung des Welteinkommens in Anknüpfung an Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Ort der Geschäftsleitung und beschränkter Steuerpflicht durch Erfassung inländischen Einkommens. Bei Doppelwohnsitz oder Mehrfachwohnsitz kommt es zu einer Kollisionsbegründung auch durch ein Nebeneinander von unbeschränkter Steuerpflicht in mehreren Staaten. Schließlich ist eine Kollision auch durch eine verschiedenartig ausgeprägte beschränkte Steuerpflicht in mehreren Staaten möglich. Eine Kollisionsauflösung1 ist die Folge von Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf bilateraler (Doppelbesteuerungsabkommen) und unilateraler Ebene (z.B. § 34c EStG).

Von besonderer Bedeutung sind aber auch die sowohl im Außensteuerrecht als auch im Doppelbesteuerungsrecht angesiedelten Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen.2

14.4

Einkünfteverlagerungen sowohl in Hochsteuerländer als auch in Niedrigsteuerländer werden im Außensteuerrecht insbesondere durch

14.5

– § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG (Steuerentstrickung); – § 4h EStG (Zinsschranke); – § 4j EStG (Lizenzschranke); – § 16 Abs. 3a EStG (Steuerentstrickung); – § 8a KStG (Zinsschranke); – § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4j EStG (Zinsschranke); – § 12 Abs. 1, 3 KStG (Steuerentstrickung); – § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung); – § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG (verdeckte Einlage); – § 1 AStG (Berichtigung von Einkünften) und – § 6 AStG (Wegzugsbesteuerung) vermieden.3 Es handelt sich hierbei um unilaterale Normen des Außensteuerrechts, die lediglich einseitig wirken und keine Rücksicht darauf nehmen, ob die betreffenden Einkünfte in dem begünstigten Staat besteuert werden.

Zu den bilateralen Normen, die gegen Einkünfteverlagerungen gerichtet sind, gehört Art. 7 OECD-MA, der im Unterschied zu den vergleichbaren unilateralen Normen zweiseitiger Natur ist und damit zugleich der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung dient. Die Vermeidung der Einkünfteverlagerung ist hier freilich nur Nebenzweck; Primärwertung des Art. 7 OECDMA ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung zugunsten des betreffenden Steuerpflichtigen.

14.6

Zu den Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen zugunsten nur von Niedrigsteuerländern zählen vor allem

14.7

– die §§ 2 – 5 AStG (erweiterte beschränkte Steuerpflicht); – §§ 7 – 14 AStG (Hinzurechnungsbesteuerung); 1 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 2.4. 2 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 2.10 ff. 3 Nach dem RefEntw des ATADUmsG ist mit Wirkung ab 1.1.2020 (!) ein Betriebsausgabenabzugsverbot bei grenzüberschreitenden Besteuerungsinkongurenzen vorgesehen (§ 4k EStG-E).

Schaumburg | 671

Kap. 14 Rz. 14.7 | Materielles Steuerrecht

– § 15 AStG (Besteuerung bei ausländischen Familienstiftungen) sowie – § 42 AO (Steuerumgehung).

14.8

Auf die Vermeidung von Einkünfteverlagerung gerichtete Normen haben auch im Doppelbesteuerungsrecht Verbreitung gefunden. Zu diesen Vermeidungsnormen zählt u.a. § 50d Abs. 3 EStG. Durch diese Treaty-shopping-Klausel soll insbesondere die missbräuchliche Inanspruchnahme einer Quellensteuerreduktion nach Maßgabe der Doppelbesteuerungsabkommen und des § 43b EStG vermieden werden. Dies geschieht dadurch, dass die Zwischenschaltung von Gesellschaften steuerlich nicht anerkannt wird, soweit Personen an ihnen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung (Quellensteuerreduktion) nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar selbst erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Diese Missbrauchsvorschrift, die eine normative Konkretisierung des § 42 AO darstellt, zielt insbesondere auf ausländische Holdinggesellschaften und sog. Künstler- und Sportlerverleihgesellschaften ab.

14.9

Auf der gleichen Systemlinie liegt § 20 Abs. 1 AStG, der im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung von der Rechtsfolge her darauf gerichtet ist, die Abschirmwirkung von DBA zu beseitigen. Damit korrespondiert § 20 Abs. 2 AStG, wonach bei ausländischen Betriebsstätteneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in Abweichung von den bilateralen Regelungen der DBA die Doppelbesteuerung nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung vermieden wird.1

B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern 14.10

Zu den Ertragsteuern, die an Einkünfte anknüpfen,2 gehören die Einkommen-,3 Körperschaftund Gewerbesteuer. Das Einkommensteuergesetz folgt ebenso wie das Körperschaftsteuergesetz dem international üblichen Wohnsitzprinzip mit der Folge der Trennung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht. Im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht wird dementsprechend bei der Einkommensteuer an den Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) und bei der Körperschaftsteuer an den Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder Sitz (§ 11 AO) angeknüpft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 1 Abs. 1 KStG). Im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht wird im Grundsatz das gesamte Welteinkommen (Welteinkommensprinzip oder Universalitätsprinzip) und bei beschränkter Steuerpflicht die inländischen Einkünfte (Quellenprinzip oder Territorialitätsprinzip) erfasst. Demgegenüber ist die Gewerbesteuer als Objektsteuer4 durch die örtliche Anknüpfung an das Gebiet einer bestimmten (inländischen) Gemeinde geprägt (§§ 4, 35a Abs. 3 GewStG). Damit beschränkt sich die Gewerbesteuer auf das Inland, sodass hierfür weitgehend das Territorialitätsprinzip gilt. Im 1 Vgl. auch die geplanten Änderungen des § 20 Abs. 1, 2 AStG durch das ATADUmsG (RegEntw v. 24.3.2020). 2 Hierzu Hey in T/L23, § 7 Rz. 22. 3 Einschließlich Kirchensteuer als Annex zur Einkommensteuer sowie die Lohn- und Kapitalertragsteuer als besondere Erhebungsformen. 4 Hierzu Güroff in Glanegger/Güroff9, § 1 GewStG Rz. 14; Sarrazin in L/S, § 1 GewStG Rz. 9.

672 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.12 Kap. 14

Hinblick darauf nimmt das Gewerbesteuergesetz grundsätzlich auch keine Differenzierung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht vor.

1. Einkommensteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum EStG, zu §§ 2, 6 AStG und zu §§ 8, 9 AO; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 8 Rz. 1 ff.; Jakob, Einkommensteuer, 4. Aufl. München 2008; Niemeier/Schnitter/Kober/Nöcker/Stuparu, Einkommensteuer, 24. Aufl. Achim 2018; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 6.1 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 601 ff.; Zenthöfer, Einkommensteuer, 13. Aufl. Stuttgart 2019.

a) Unbeschränkte Steuerpflicht Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG).1 Primärer Anknüpfungspunkt ist hierbei der Wohnsitz, der dort ist, wo jemand eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Die Wohnung muss nicht angemessen oder gar standesgemäß sein, es reicht aus, wenn es sich um Räumlichkeiten handelt, die überhaupt zum Wohnen geeignet sind.2 Schließlich ist auch ohne Bedeutung, ob die Räumlichkeiten möbliert sind oder nicht. Voraussetzung ist allerdings, dass der Steuerpflichtige über die Wohnung tatsächlich verfügen kann, und zwar aufgrund eigener oder abgeleiteter Verfügungsmacht.3 Eine derartige Verfügungsmacht ist zu verneinen, wenn sich jemand lediglich zu Besuchszwecken bei einer anderen Person, auch wenn es sich hierbei um Verwandte handelt, oder in einem Hotel aufhält.4 Die Umstände müssen ferner darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Es wird hierbei nicht auf die tatsächliche Nutzung abgestellt. So reicht es bei Abwesenheit des Wohnungsinhabers aus, wenn die Wohnung so ausgestattet ist, dass er jederzeit zurückkehren und sich hierin aufhalten kann.5 Die Umstände müssen aber dafür sprechen, dass die Wohnung nicht nur vorübergehend benutzt wird (zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.19 ff.).6

14.11

Neben dem Wohnsitz ist der gewöhnliche Aufenthalt ein weiterer, allerdings subsidiärer Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht. Einen gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO). In der Besteuerungspraxis wird ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland in aller Regel nur angenommen, wenn die Aufenthaltsdauer mehr als sechs Monate beträgt.7 Erfolgt der Aufenthalt allerdings aus-

14.12

1 Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.1 ff. 2 Vgl. die Aufzählung bei Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5 und Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 3 BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294; BFH v. 10.4.2013 – I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909. 4 Zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 6, 6a, 6b. 5 BFH v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2; BFH v. 10.4.2013 – I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909; weitere Einzelheiten bei Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 9 ff. 6 Hier kann auf die Sechs-Monats-Frist des § 9 Satz 2 AO zurückgegriffen werden; BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 68. 7 Vgl. AEAO zu § 9 AO Tz. 1.

Schaumburg | 673

Kap. 14 Rz. 14.12 | Materielles Steuerrecht

schließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken, ist ein gewöhnlicher Aufenthalt nur dann anzunehmen, wenn die Aufenthaltsdauer mindestens ein Jahr beträgt (§ 9 Satz 2 AO; zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.37 ff.).

14.13

Die unbeschränkte Steuerpflicht wird aufgrund einer Sonderregelung (§ 1 Abs. 2 EStG) auf deutsche Staatsangehörige erstreckt, die im Inland zwar weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, die aber zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen (erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht). Betroffen hierdurch sind insbesondere ins Ausland entsandte Diplomaten und Berufskonsuln, die im Empfangsstaat aufgrund des Wiener Übereinkommens für Diplomatische Beziehungen (WÜD)1 und des Wiener Übereinkommens für konsularische Beziehungen (WÜK)2 im Empfangsstaat mit ihren Bezügen freigestellt und im Übrigen mit den dort erzielten Einkünften nur nach Art der beschränkten Steuerpflicht einer Besteuerung unterworfen sind.3

14.14

Neben der „normalen“ unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG) und der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) wird für EU-Grenzpendler darüber hinaus eine unbeschränkte Steuerpflicht fingiert (§ 1 Abs. 3 EStG), allerdings mit der Besonderheit, dass im Rahmen dieser fingierten unbeschränkten Steuerpflicht nicht das Welteinkommen, sondern lediglich die inländischen Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) der Besteuerung unterworfen werden. Die fingierte unbeschränkte Steuerpflicht gilt auf Antrag für natürliche Personen, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, soweit sie inländische Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) beziehen und ihre Einkünfte mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht übersteigen, wobei der vorgenannte Betrag zu kürzen ist, soweit dies nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates notwendig und angemessen ist (§ 1 Abs. 3 Satz 2 EStG). Für diesen Personenkreis ergibt sich als besondere Rechtsfolge, dass sie die familien- und personenbezogenen Steuerentlastungen, die eigentlich nur bei „normaler“ unbeschränkter Steuerpflicht gewährt werden, in Anspruch nehmen können, vorausgesetzt, es handelt sich um Unionsbürger oder um EWR-Staatsangehörige (§ 1a Abs. 1 EStG).4 b) Beschränkte Steuerpflicht

14.15

Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind, soweit nicht die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) oder die fingierte unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) gegeben ist, beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) erzielen. Damit liegt der beschränkten Steuerpflicht das Territorialitätsprinzip zugrunde.5 1 Wiener Übereinkommen für Diplomatische Beziehungen (WÜD) v. 18.4.1961, BGBl. II 1964, 957. 2 Wiener Übereinkommen für konsularische Beziehungen (WÜK) v. 24.4.1963, BGBl. II 1969, 1585, BGBl. II 1971, 1285. 3 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 5.39. 4 Entsprechendes gilt für Schweizer aufgrund des Freizügigkeitsabkommens zwischen der EU und der Schweiz (ABl. EG 2002 Nr. L 114, 6; BGBl. II 2001, 810); vgl. EuGH v. 28.2.2013 – C-425/11, ECLI:EU:C:2013:121 – Ettwein, BStBl. II 2013, 896; ferner EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI: EU:C:2019:138 – Wächtler, BFH/NV 2019, 511 = ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel; vgl. BMF v. 16.9.2013 – IV C 3 - S 1325/11/10014, BStBl. I 2013, 1325. 5 Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.99 ff.

674 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.18 Kap. 14

Die beschränkte Steuerpflicht ist dadurch gekennzeichnet, dass im Unterschied zur unbeschränkten Steuerpflicht die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen weitgehend unberücksichtigt bleiben, wodurch sie einen objektsteuerähnlichen Charakter erhält.1 Dieser Objektsteuercharakter gründet sich insbesondere darauf, dass etwa

14.16

– Sonderausgaben (§§ 10, 10a EStG) nicht abzugsfähig sind (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG); – die Pauschbeträge für Sonderausgaben (§ 10c EStG),2 der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG), die Kinderfreibeträge des § 32 EStG, das Splittingprivileg des § 32a Abs. 6 EStG, die Abzüge wegen außergewöhnlicher Belastung (§§ 33 und 33a EStG) sowie die Pauschbeträge für Behinderte, Hinterbliebene und Pflegepersonen (§ 33b EStG) und die Steuerermäßigungen wegen haushaltsnaher Beschäftigungsverhältnisse sowie für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen und Handwerkerleistungen (§ 35a EStG) nicht berücksichtigt werden (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG); – der Freibetrag gem. § 16 Abs. 4 EStG nicht in Betracht kommt (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG); – Einkünfte, die dem abgeltenden Steuerabzug unterliegen, weder beim Verlustausgleich mit anderen Einkunftsarten noch beim Verlustabzug berücksichtigt werden dürfen (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG); – der Splittingtarif grundsätzlich3 nicht zur Anwendung kommt (vgl. §§ 26 Abs. 1, 32a Abs. 5 EStG) und bei Anwendung des Grundtarifs das zu versteuernde Einkommen um den Grundfreibetrag erhöht wird (§ 50 Abs. 1 Satz 2 EStG); – die Bildung eines steuerlichen Ausgleichspostens gem. § 4g EStG ausgeschlossen ist und schließlich – die Einkommensteuer für steuerabzugspflichtige Einkünfte im Grundsatz4 mit dem Steuerabzug abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). § 49 Abs. 1 EStG führt im Einzelnen auf, welche inländischen Einkünfte der beschränkten Einkommensteuerpflicht unterliegen. Der Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG knüpft zwar an die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG an, ebenso ist das Verhältnis der in § 49 Abs. 1 EStG aufgeführten Einkünfte zueinander nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 13 ff. EStG zu beurteilen, die Einkünftequalifikation selbst erfolgt aber nach den besonderen Gesetzmäßigkeiten der in § 49 Abs. 2 EStG verankerten isolierenden Betrachtungsweise. Diese isolierende Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) besagt, dass die im Ausland gegebenen Besteuerungsmerkmale (Tatbestandsmerkmale) außer Betracht bleiben, soweit bei ihrer Berücksichtigung inländische Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) nicht angenommen werden können.

14.17

Die isolierende Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) räumt den im Inland verwirklichten Tatbestandsmerkmalen die Priorität für die Bestimmung der Einkunftsart ein. Ausländische Besteuerungsmerkmale (Tatbestandsmerkmale) scheiden bei der Bestimmung der Einkunftsart nur insoweit aus, als ihre Berücksichtigung eine nach den Verhältnissen im Inland begrün-

14.18

1 BFH v. 27.7.2011 – I R 32/10, BStBl. II 2014, 513, Loschelder in Schmidt39, § 49 EStG Rz. 1; Hey in T/L23, § 8 Rz. 27 ff., Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 106 ff. 2 Für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gelten allerdings die in § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG bezeichneten Ausnahmen. 3 Ausnahme: § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 1 EStG. 4 Ausnahmen in § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG.

Schaumburg | 675

Kap. 14 Rz. 14.18 | Materielles Steuerrecht

dete Steuerpflicht ausschließen würde.1 Für die Bestimmung der Einkunftsart stehen daher die inlandsbezogenen Qualifikationsmerkmale im Vordergrund. Im Hinblick darauf spielen insbesondere die Subsidiaritätsregeln der Einkunftsarten (§ 20 Abs. 8; § 21 Abs. 3; § 22 Nr. 1 Satz 1; § 22 Nr. 3 Satz 1; § 23 Abs. 2 EStG) keine Rolle, soweit ein auslandsbezogenes Qualifikationsmerkmal hierfür bestimmend wäre.2

14.19

Zu den der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden inländischen Einkünften gehören – Einkünfte aus einer im Inland betriebenen Land- und Forstwirtschaft (§§ 13, 14 EStG); – Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 – 17 EStG), soweit folgende Anknüpfungspunkte gegeben sind: inländische Betriebsstätte, ein für das Inland bestellter ständiger Vertreter, Beförderungsvorgänge mit Seeschiffen und Luftfahrtzeugen zwischen inländischen und von inländischen zu ausländischen Häfen, nicht selbst durchgeführte Beförderungen oder Beförderungsleistungen im Rahmen einer internationalen Betriebsgemeinschaft oder eines Poolabkommens, künstlerische, sportliche, artistische unterhaltende oder ähnliche Darbietungen oder deren Verwertung im Inland sowie Gewinne aus der Veräußerung von bestimmten Anteilen an einer inländischen Kapitalgesellschaft und von unbeweglichem Vermögen, Sachinbegriffen und bestimmten Rechten sowie aus deren Vermietung und Verpachtung und schließlich Ablösezahlungen für im Inland vertraglich verpflichtete Berufssportler; – Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG), die im Inland ausgeübt oder verwertet worden ist oder für die im Inland eine feste Einrichtung oder eine Betriebsstätte unterhalten wird; – Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) mit folgenden Anknüpfungspunkten: Ausübung oder Verwertung im Inland, Zahlungen aus inländischen öffentlichen Kassen, Vergütung für eine Tätigkeit als Geschäftsführer, Prokurist oder Vorstandsmitglied einer inländischen Gesellschaft, Entschädigung für die Auflösung eines Dienstverhältnisses, soweit die hieraus bezogenen Einkünfte zuvor der inländischen Besteuerung unterlegen haben, Ausübung an Bord eines im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeugs, das von einem inländischen Unternehmen betrieben wird; – bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG); – Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG), wenn das unbewegliche Vermögen, die Sachinbegriffe oder Rechte im Inland belegen, in einem inländischen öffentlichen Buch oder Register eingetragen sind oder in einer inländischen Betriebsstätte oder in einer anderen Einrichtung verwertet werden; – bestimmte sonstige Einkünfte (§ 22 EStG).

14.20

Bei beschränkt Steuerpflichtigen wird die Einkommensteuer entweder im Rahmen einer Veranlagung oder durch Steuerabzug an der Quelle erhoben. Soweit die Einkommensteuer durch den Steuerabzug an der Quelle abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG),3 besteht zwischen Steuerveranlagung einerseits und Steuerabzug andererseits insoweit ein Ausschließungsverhältnis. 1 BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367; BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861. 2 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550. 3 Eine Abgeltungswirkung ergibt sich auch aus § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG (Abgeltungsteuer).

676 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.23 Kap. 14

14.21

Eine Steuerveranlagung kommt nur dann in Betracht, wenn – ein Steuerabzug an der Quelle nicht vorgesehen ist; – die dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte solche eines inländischen Betriebs sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG); – sich später herausstellt, dass die Voraussetzungen der erweiterten unbeschränkten (§ 1 Abs. 2 EStG) oder fingierten unbeschränkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 3; 1a EStG) nicht vorlagen (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG); – im Kalenderjahr sowohl eine beschränkte als auch eine unbeschränkte Steuerpflicht bestanden hat, sodass die während der beschränkten Steuerpflicht erzielten Einkünfte in eine Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht einzubeziehen sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG); – als Lohnsteuerabzugsmerkmal ein Freibetrag nach § 39a Abs. 4 EStG gebildet worden ist und der im Kalenderjahr insgesamt erzielte Arbeitslohn 11.900 Euro übersteigt (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. a EStG); – eine Veranlagung beantragt wurde für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b und c EStG) und für Einkünfte i.S.d. § 50a Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 EStG (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG), soweit die Antragsteller Staatsangehörige eines EU/ EWR-Staates sind und dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG)1 sowie für bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Buchst. a EStG (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 EStG) oder – ein Steuerabzug auf Anordnung des Finanzamts erfolgt (§ 50a Abs. 7 EStG). Der Steuerabzug ergibt sich bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aus den §§ 38 ff. EStG, bei den Einkünften aus Kapitalvermögen aus § 43 EStG, bei den Einkünften aus künstlerischen, sportlichen, artistischen, unterhaltenden und ähnlichen Darbietungen im Inland sowie aus deren Verwertung im Inland aus § 50a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EStG, bei den Einkünften aus Rechtsüberlassungen (Lizenz- oder Know-how-Gebühren) aus § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG und bei Aufsichtsratsvergütungen aus § 50a Abs. 1 Nr. 4 EStG. Die Höhe des Steuerabzugs ist für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in § 39b EStG und für die Einkünfte aus Kapitalvermögen in den §§ 32d, 43, 43a und 43b EStG geregelt. Für Aufsichtsratsvergütungen ist ein Steuerabzug in Höhe von 30% (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG) vorgesehen; bei den übrigen nach § 50a EStG steuerabzugspflichtigen Einkünften beträgt der Steuersatz 15% (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG) der Einnahmen (§ 50a Abs. 2 EStG) und bei dem gem. § 50a Abs. 3 EStG vorgesehenen Steuerabzug auf Nettobasis 30% bei natürlichen Personen und 15% bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen (§ 50a Abs. 3 Satz 4 EStG).2

14.22

Die beschränkte Steuerpflicht wird durch § 2 AStG dahingehend erweitert, dass nicht nur die in § 49 Abs. 1 EStG enumerativ aufgeführten Inlandseinkünfte, sondern in Abgrenzung zu

14.23

1 Die Beschränkung der Antragsveranlagung auf EU-/EWR-Staatsangehörige verstößt sowohl gegen Art. 3 Abs. 1 GG als auch gegen die abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbote (Art. 24 OECD-MA); vgl. zum ersten Aspekte unter dem Gesichtspunkt des objektiven Nettoprinzips Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.136 ff. und zum zuletzt genannten Aspekt Schaumburg in FS Wassermeyer, 2015, 121 (126); Gosch, DStR 2007, 1553 (1560). 2 Zum Dualismus von Nettobesteuerung und Bruttobesteuerung und seinen verfassungsrechtlichen Implikationen vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.136 ff.

Schaumburg | 677

Kap. 14 Rz. 14.23 | Materielles Steuerrecht

§ 34d EStG alle nichtausländischen Einkünfte (sog. erweiterte Inlandseinkünfte) erfasst und einer Vollprogression unterworfen werden und die für die abzugspflichtigen Einkünfte gem. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG vorgesehene Abgeltungswirkung aufgehoben wird. Diese erweiterte beschränkte Steuerpflicht gilt für natürliche Personen, die in ein Niedrigsteuerland ausgewandert sind und in den letzten zehn Jahren davor insgesamt fünf Jahre lang als deutsche Staatsangehörige unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht wird sodann für weitere zehn Jahre aufrechterhalten. Es verbleibt allerdings bei der normalen beschränkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 4 und 49 EStG) für diejenigen Veranlagungszeiträume, in denen die Inlandseinkünfte und erweiterten Inlandseinkünfte insgesamt nicht mehr als 16.500 Euro betragen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 AStG).

14.24

Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht tritt im Wesentlichen ein, wenn die natürliche Person in einem ausländischen Gebiet ansässig ist, in dem sie nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt. In welchen ausländischen Gebieten eine niedrige Besteuerung vorliegt, ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG grundsätzlich anhand eines abstrakten Belastungsvergleichs einer unverheirateten natürlichen Person mit steuerpflichtigen Einkünften von 77.000 Euro zu ermitteln. Ergibt dieser unabhängig von den Verhältnissen der konkret zu besteuernden Person anzustellende Vergleich, dass die fiktive Einkommensteuer in dem ausländischen Gebiet mehr als ein Drittel geringer ist als die Belastung einer im Inland ansässigen natürlichen Person, so spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die zu besteuernde Person im ausländischen Gebiet einer niedrigen Besteuerung unterliegt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG). Die Niedrigbesteuerung liegt ferner dann vor, wenn die betroffene natürliche Person in dem ausländischen Gebiet eine Vorzugsbesteuerung in Anspruch nehmen kann (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG). Auch diese Vermutung kann widerlegt werden.

14.25

Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AStG ergebende Vermutung der Niedrigbesteuerung kann durch den Steuerpflichtigen dadurch widerlegt werden, dass er den Nachweis erbringt, dass die von seinem Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern mindestens zwei Drittel der Einkommensteuer betragen, die er bei unbeschränkter Steuerpflicht im Inland zu entrichten hätte. Der Nachweis dieser Zwei-Drittel-Belastung erfolgt durch einen konkreten Belastungsvergleich im Rahmen einer Schattenveranlagung. Bemessungsgrundlage für die Vergleichsberechnung ist das Einkommen. Soweit es um die im Ausland hierauf entrichteten Steuern geht, ist auf das Einkommen i.S.d. betreffenden ausländischen Steuerrechts abzustellen.1 Daher sind auch ausländische Steuern auf Einkunftsarten, die in Deutschland nicht der Einkommensbesteuerung unterliegen, in den Vergleich mit einzubeziehen.2

14.26

In sachlicher Hinsicht setzt die erweiterte beschränkte Steuerpflicht voraus, dass der Auswanderer wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland hat (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AStG). Der Begriff der wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen wird in § 2 Abs. 3 und 4 AStG näher umschrieben. Die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 – 3 AStG aufgeführten Alternativen betreffen die unmittelbaren wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen, während in § 2 Abs. 4 AStG i.V.m. § 5 AStG auch mittelbare wesentliche Inlandsinteressen genannt werden. Soweit es um unmittelbare wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen geht, geht es um folgende drei (alternative) Fälle:

1 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 197. 2 Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 113.

678 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.27 Kap. 14

– Unternehmer- bzw. Mitunternehmerschaft eines inländischen Gewerbebetriebs oder das Halten einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zu Beginn des Veranlagungszeitraums (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG); – nichtausländische Einkünfte, soweit sie mehr als 30% der Gesamteinkünfte oder 62.000 Euro übersteigen (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AStG) und – nichtausländisches Vermögen, soweit dieses zu Beginn des Veranlagungszeitraums mehr als 30% des Gesamtvermögens oder 154.000 Euro übersteigt (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 AStG). Über den Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG hinaus werden im Ergebnis zusätzlich insbesondere noch folgende erweiterte Inlandseinkünfte erfasst:1 1. Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die a) weder einer inländischen noch einer ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind oder b) aus Bürgschafts- und Avalprovisionen erzielt werden, deren Schuldner unbeschränkt steuerpflichtig ist; 2. Einkünfte aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die zum Anlagevermögen eines ausländischen Betriebs gehören und im Inland belegen sind; hierzu gehört auch ein nicht schon unter § 17 EStG fallender Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland hat; 3. Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG, wenn der Schuldner unbeschränkt steuerpflichtig ist und es sich nicht um ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d Nr. 6 EStG handelt; hierunter fallen z.B. Zinsen, die von Inländern auf Schuldscheindarlehen an erweitert beschränkt Steuerpflichtige gezahlt werden, wenn diese Darlehen nicht durch ausländischen Grundbesitz gesichert sind; 4. Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung von beweglichem Vermögen im Inland, sofern dieses nicht zu einem im Ausland belegenen Sachinbegriff gehört; 5. Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen i.S.d. § 22 Nr. 1 EStG, wenn der Verpflichtete unbeschränkt steuerpflichtig ist oder seinen Sitz im Inland hat; 6. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 22 Nr. 2 EStG, wenn die veräußerten Wirtschaftsgüter nicht im Ausland belegen sind; 7. Einkünfte aus Leistungen, wenn der zur Vergütung der Leistung Verpflichtete unbeschränkt steuerpflichtig ist oder seinen Sitz im Inland hat; 8. andere Einkünfte, die das deutsche Steuerrecht (§§ 49 und 34d EStG) weder dem Inland noch dem Ausland zurechnet (z.B. Erträge aus beweglichen Sachen, die nicht zum Anlagevermögen eines ausländischen Betriebs gehören); 9. Einkünfte, die dem Steuerpflichtigen nach §§ 5, 15 AStG zuzurechnen sind.

1 Auszugsweise Wiedergabe des Schreibens BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.5.0.1; zu Einzelheiten Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 66 ff.

Schaumburg | 679

14.27

Kap. 14 Rz. 14.28 | Materielles Steuerrecht

c) Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht

14.28

Im Hinblick darauf, dass allein im Rahmen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht das Welteinkommensprinzip zur Geltung kommt, kann jedes Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht, etwa durch Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, zu einem Ausschluss oder zu einer Beschränkung1 des deutschen Besteuerungsrechts führen.2 Bleibt keine beschränkte oder erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht aufrechterhalten, scheidet der Steuerpflichtige aus der deutschen Steuerhoheit vollends aus. Insbesondere das Ausscheiden aus der deutschen Steuerhoheit (Steuerentstrickung) hat zur Folge, dass – sofern keine Sonderregelungen eingreifen – etwaige während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern gebildete stille Reserven der deutschen Besteuerung entzogen werden. Ein Ausscheiden aus der deutschen Steuerhoheit erfolgt auch dann, wenn der Steuerpflichtige seine unbeschränkte Steuerpflicht im Inland zwar aufrechterhält, durch Begründung einer weiteren unbeschränkten Steuerpflicht im Ausland nach einem DBA dort aber als ansässig gilt (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA) mit der Folge, dass Deutschland die Eigenschaft als Wohnsitzstaat und damit die Befugnis zur uneingeschränkten Besteuerung des Welteinkommens grundsätzlich verliert (vgl. Rz. 14.298 f.).

14.29

Eine Steuerentstrickung tritt auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige durch Wohnsitzwechsel im Ausland bewirkt, dass die beschränkte Steuerpflicht durch ein DBA eingeschränkt wird. Schließlich ist eine Steuerentstrickung auch durch Ausscheiden aus der erweiterten beschränkten Steuerpflicht infolge Wohnsitzwechsels des Steuerpflichtigen denkbar.

14.30

Neben den vorgenannten Fällen, in denen der Steuerpflichtige aus der deutschen Steuerhoheit ausscheidet (subjektbezogene Steuerentstrickung), sind auch jene Fälle von Bedeutung, in denen ein Besteuerungsgegenstand aus der deutschen Steuerhoheit ausscheidet (objektbezogene Steuerentstrickung). Hiermit sind vor allem jene Fälle angesprochen, in denen ein Wirtschaftsgut von einem inländischen Betrieb auf eine ausländische Betriebsstätte überführt wird und nach einem DBA die Besteuerung der Betriebsstättengewinne allein dem Betriebsstättenstaat zugewiesen ist (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA).

14.31

Im Einkommensteuerrecht ist die Entstrickung im Betriebsvermögensbereich in § 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 EStG (fiktive Entnahme), in § 16 Abs. 3a EStG (fiktive Betriebsaufgabe)3 und im Privatvermögensbereich in § 6 AStG (fiktive Veräußerung bei Wegzug) geregelt (zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.22 ff.).

14.32

Von der in § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG verankerten Entstrickungsregelung werden im Betriebsvermögensbereich der Ausschluss und die Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsgutes erfasst. Angesprochen ist damit vor allem der grenzüberschreitende Betriebsvermögenstransfer etwa vom inländischen Stammhaus auf eine ausländische Betriebsstätte, deren Gewinne abkommensrechtlich freigestellt sind oder eine Anrechnung ausländischer Steuern auslösen (§ 4 Abs. 1 Satz 4 EStG). Da nicht auf die Veräußerung, sondern bereits auf die vorgelagerte Überführung abgestellt wird, knüpft § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG die Rechtsfolge im Ergebnis an 1 Z.B. infolge Anrechnung ausländischer Steuern (§ 34c EStG). 2 Dementsprechend sind bei einem innerhalb eines Kalenderjahres erfolgten Wechsel von der unbeschränkten zur beschränkten Steuerpflicht eigentlich zwei Einkommen zu ermitteln und zwei Steuerveranlagungen durchzuführen (BFH v. 17.4.1996 – I R 78/95, BStBl. II 1996, 571); § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG ordnet demgegenüber die Durchführung nur einer Veranlagung an. 3 Vgl. hierzu jeweils die Sonderregelung des § 50i Abs. 1 EStG.

680 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.34 Kap. 14

die abstrakte Gefährdung1 des deutschen Besteuerungsrechts an.2 Neben grenzüberschreitenden wird auch ein ausländischer Betriebsvermögenstransfer erfasst, wenn etwa ein Wirtschaftsgut von einer sog. Anrechnungs- auf eine Freistellungsbetriebsstätte überführt wird.3 Schließlich können die Entstrickungsfolgen auch ausgelöst werden, wenn etwa der gesamte Betrieb oder Teilbetrieb in das Ausland verlegt wird oder der Unternehmer unter „Mitnahme“ seines Betriebs oder Teilbetriebs dorthin verzieht. Soweit die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzende entstrickungsbedingte Entnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) zu einem Gewinn führt,4 kann dieser auf Antrag gem. § 4g EStG unter bestimmten Voraussetzungen in EU-Fällen im Ergebnis über fünf Jahre verteilt der Besteuerung zugeführt werden.5 Eine entstrickungsbedingte Entnahme unterbleibt allerdings, wenn eine SE oder SCE, deren Anteile einem inländischen Betriebsvermögen zuzuordnen sind, ihren Sitz verlegen und hierdurch die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der SE/SCE wegzugsbedingt nicht mehr oder nur noch beschränkt besteuert werden können (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG). Betroffen ist hier insbesondere der Wegzug in EU-Staaten, denen zuzugsbedingt abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung der Anteile mit der Folge der Anrechnung in Deutschland zufällt.6 Diese Ausnahme von der Entnahmefiktion, die auf Art. 10d Abs. 1 FRL beruht, führt dazu, dass die Anteile weiterhin steuerverstrickt bleiben. Werden die Anteile an der weggezogenen SE/SCE später veräußert, so ist ein etwaiger Veräußerungsgewinn gem. § 15 Abs. 1a EStG ungeachtet abkommensrechtlicher Schranken zu versteuern7 und zwar auch hinsichtlich der erst nach dem Wegzug gebildeten stillen Reserven.8

14.33

Soweit eine fiktive Betriebsaufgabe gegeben ist (§ 16 Abs. 3a EStG), werden alle Wirtschaftsgüter einschließlich eines Firmenwerts mit dem gemeinen Wert angesetzt (§ 16 Abs. 3a, Abs. 3 Satz 7 EStG). Ein hierdurch entstandener Aufgabegewinn kann auf Antrag über fünf Jahre

14.34

1 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 228; Wassermeyer, DB 2006, 1176 (1176). 2 Eine derartige Gefährdung ist indessen bei einer ausländischen Freistellungsbetriebsstätte nicht gegeben, da im Veräußerungsfall die im Inland gebildeten stillen Reserven auch abkommensrechtlich für Zwecke der deutschen Besteuerung erhalten bleiben; BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106; a.A. Mitschke, DB 2009, 1376 ff.; gegen die BFH-Rechtsprechung auch die „Klarstellung“ in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG durch das JStG 2010; speziell zur Steuerentstrickung für gewerblich geprägte Personengesellschaften die Sonderregelung in § 50i EStG. 3 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 230; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 468c. 4 Vgl. hierzu die Brexit-Sonderregelung in § 4g Abs. 6 EStG. 5 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortbesteuerung ist allerdings unionsrechtlich zweifelhaft; vgl. EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 – National Grid Indus, FR 2012, 25 m. Anm. Musil; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521 – Kommission/Portugal, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 – Kommission/Spanien, ISR 2013, 225; dagegen zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert von EuGH v. 23.1.2014 – C164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 96 m. Anm. Zwirner = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; hierzu Gosch, IWB 2014, 183; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; vgl. auch EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331 – Verder Lab Tec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller = FR 2015, 600; FG Düsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11, ISR 2014, 58 (Vorlagebeschluss zum EuGH) m. Anm. Müller. 6 Vgl. Art. 13 Abs. 3, 23 Abs. 1 Buchst. b DBA-Tschechien. 7 Dieses treaty overriding entspricht den Vorgaben von Art. 10 Abs. 2 FRL. 8 Kritisch hierzu Stapperfend in H/HR, § 15 Abs. 1a EStG Rz. 971, § 4 EStG Rz. 109; Förster, DB 2007, 72 (75 f.).

Schaumburg | 681

Kap. 14 Rz. 14.34 | Materielles Steuerrecht

verteilt werden (§ 36 Abs. 5 EStG),1 wenn die entstrickten Wirtschaftsgüter einer EU-/EWRBetriebsstätte zuzuordnen sind.2

14.35

Die den Privatvermögensbereich treffende Entstrickungsregelung ist in § 6 AStG verankert.3 Es handelt sich hierbei um eine Wegzugsbesteuerung, aufgrund derer die Besteuerung derjenigen stillen Reserven sichergestellt werden, die in Anteilen an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft i.S.d. § 17 EStG angefallen sind.4 Die Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven erfolgt dadurch, dass das in § 17 EStG für die Gewinnrealisierung vorausgesetzte primäre Tatbestandsmerkmal der Veräußerung durch Tatbestandsmerkmale ersetzt wird, die an das Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht anknüpfen. Die durch § 6 AStG begründete Besteuerung des Vermögenszuwachses wird in seinem Grundtatbestand dadurch erfüllt, dass der betroffene Steuerpflichtige Deutschland verlässt. Diese Wegzugsbesteuerung, die eine subjektbezogene Steuerentstrickung erfasst, ist damit der letzte Akt innerhalb der unbeschränkten Steuerpflicht.5

14.36

Der Grundtatbestand der Wegzugsbesteuerung, nämlich Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, wird gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG unter den dort näher beschriebenen Voraussetzungen um weitere vier Tatbestände ergänzt, und zwar durch – unentgeltliche oder teilentgeltliche Anteilsübertragung oder die Übertragung der Anteile durch Erwerb von Todes wegen auf beschränkt Steuerpflichtige (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG); – Begründung einer ausländischen Ansässigkeit (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG); – Einlage der Anteile in ein ausländisches Betriebsvermögen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG) und – Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts in übrigen Fällen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG).

14.37

Bei allen Ergänzungstatbeständen müssen die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG stets erfüllt sein.6

14.38

Entsprechend der Zielsetzung des § 6 AStG, die während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht entstandenen Vermögenszuwächse für Zwecke der deutschen Besteuerung zu sichern, bedarf es dann keiner Wegzugsbesteuerung, wenn das Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht lediglich vorübergehend ist. Aus diesem Grund ist in § 6 Abs. 3 AStG vorgesehen, dass bei einer bloß vorübergehenden Abwesenheit von nicht mehr als fünf Jahren der 1 Vgl. die dem § 4g EStG angepasste Neuregelung in § 36 Abs. 5 EStG-E (RefEntw. des ATADUmsG v. 24.3.2020). 2 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortbesteuerung ist allerdings unionsrechtlich zweifelhaft; vgl. EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 – National Grid Indus, FR 2012, 25 m. Anm. Musil; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521 – Kommission/Portugal, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 – Kommission/Spanien, ISR 2013, 225; dagegen zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert von EuGH v. 23.1.2014 – C164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 96 m. Anm. Zwirner = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; hierzu Gosch, IWB 2014, 183; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331 – Verder Lab Tec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller = FR 2015, 600. 3 § 6 AStG soll durch das ATADUmsG neu geregelt werden (RefEntw. des ATADUmsG v. 24.3.2020). 4 Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.406 ff. 5 Vgl. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 25. 6 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.416.

682 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.39 Kap. 14

Steueranspruch unter bestimmten Voraussetzungen entfällt. Die vorgenannte Fünfjahresfrist kann um weitere fünf Jahre verlängert werden, wenn berufliche Gründe für die Abwesenheit maßgeblich sind und die Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht. Hieraus ist zu folgern, dass auch bei einer Rückkehr innerhalb der ersten fünf Jahre nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht eine Rückkehrabsicht bestanden haben muss.1 Die tatsächliche Rückkehr innerhalb von fünf Jahren nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht indiziert indessen die gesetzlich vorausgesetzte Rückkehrabsicht.2 Soweit § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG den Wegfall des Steueranspruchs anordnet, greift die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ein,3 sodass der Steuerbescheid entsprechend zu ändern ist.4 Der Steueranspruch entfällt allerdings dann nicht, wenn der Wegzügler die Anteile zwischenzeitlich veräußert oder aber einen der Ersatztatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 3 AStG verwirklicht hat und er zudem im Zeitpunkt der Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht nicht zugleich auch abkommensrechtlich im Inland ansässig wird (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG).5 Die Wegzugsbesteuerung knüpft an einen fingierten Veräußerungsgewinn6 an und berücksichtigt damit nicht die steuerliche Leistungsfähigkeit.7 § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG sieht daher folgerichtig in dieser Besteuerung eine sachliche Härte mit der Folge, dass auf Antrag des Steuerpflichtigen die auf den fiktiven Veräußerungsgewinn geschuldete Einkommensteuer für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren zu stunden ist. Nach § 6 Abs. 4 Satz 3 AStG ist entsprechend der in § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG vorgesehenen Frist eine Stundung auf die Dauer von längstens zehn Jahren zulässig. Für die ersten fünf Jahre ist die Stundung hierbei ohne Tilgung der Steuerschuld möglich, wenn der Steuerpflichtige geltend macht, innerhalb der Frist wieder unbeschränkt steuerpflichtig werden zu wollen. Anschließend kann er eine tilgungsfreie Stundung auf weitere fünf Jahre erhalten, wenn er glaubhaft macht, dass berufliche Gründe für seine Abwesenheit maßgebend sind und seine Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht (§ 6 Abs. 4 Satz 3 AStG). Sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 AStG erfüllt, hat der Steuerpflichtige einen Rechtsanspruch auf Stundung. Im Gegensatz zu § 222 AO ist § 6 Abs. 4 AStG damit keine Ermessensvorschrift. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG ist die Stundung bei endgültigem Wohnsitzwechsel ins Ausland nur gegen Sicherheitsleistung zulässig. Ist dagegen der Wohnsitzwechsel nur ein vorübergehender, kann die Stundung auch ohne Sicherheitsleistung angeordnet werden, wenn der Steueranspruch als nicht gefährdet erscheint. Die Art der Sicherheitsleistung richtet sich nach § 241 AO. Werden die Anteile während des Stundungszeitraums veräußert, ist ggf. die Stundung zu widerrufen (§ 6 Abs. 4 Satz 2 AStG i.V.m. § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO). Da § 6 Abs. 4 AStG keine besondere Zinsregelung enthält, richtet sich die Verzinsung nach § 234 AO. Der Steuerpflichtige hat gem. § 6 Abs. 4 AStG zwar keinen Anspruch auf zinslose Stundung;8 da die Stundung nach der Wertung des § 6 Abs. 4 AStG die Regel und die sofortige Einziehung der Steuer die Ausnahme darstellt, ist 1 Vertreter dieser subjektiven Theorie sind Gropp in Lademann, § 6 AStG Rz. 67; BMF v. 2.12.1994, BStBl. I 1995 (Sondernummer 1), Tz. 6.4.1; a.A. (eingeschränkte objektive Theorie) Häck in F/W/ B/S, § 6 AStG Rz. 442; Kraft in Kraft2, § 6 AStG Rz. 436. 2 Hecht in Fuhrmann³, § 6 AStG Rz. 39. 3 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 446; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 6.4.1. 4 Für einen vorläufigen Steuerbescheid gilt die Änderungsvorschrift des § 165 Abs. 2 AO. 5 Zu diesem zuletzt genannten Aspekt weiterführend Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 456. 6 Besteuerung von Solleinkommen. 7 Zur Vereinbarkeit der Wegzugsbesteuerung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip Schaumburg in FS Tipke, 1995, 125 (141 f.). 8 BFH v. 16.10.1991 – I R 145/90, BStBl. II 1992, 321.

Schaumburg | 683

14.39

Kap. 14 Rz. 14.39 | Materielles Steuerrecht

unter den Voraussetzungen des § 234 Abs. 2 AO aber regelmäßig auf die Zinsen zu verzichten.1

14.40

§ 6 Abs. 5 AStG enthält für den Wegzug in EU-/EWR-Staaten Sonderregelungen, die im Wesentlichen auf eine erweiterte Stundungsmöglichkeit der durch den Wegzug ausgelösten Steuer gerichtet ist. Die erweiterte Stundungsmöglichkeit kann nur von EU-/EWR-Staatsangehörigen in Anspruch genommen werden. Entfällt während des Stundungszeitraums die EU-/EWR-Staatsangehörigkeit, ist die Stundung wegen Wegfalls einer Tatbestandsvoraussetzung zu widerrufen, ohne dass die Widerrufsgründe des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG im Einzelnen vorliegen müssen.2 Voraussetzung für die Stundung ist ferner, dass der Wegziehende nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht im betreffenden Zuzugsstaat einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Entfällt auch diese Voraussetzung während des Stundungszeitraums, ist ebenfalls die Stundung zu widerrufen. Voraussetzung ist schließlich, dass die Amtshilfe und die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuer zwischen Deutschland und dem Zuzugsstaat gewährleistet sind (§ 6 Abs. 5 Satz 2 AStG). Der Austritt des Vereinigten Königreichs (Großbritannien und Nordirland) führt allerdings nicht zum Widerruf der Stundung (§ 6 Abs. 8 AStG).

14.41

Ob eine erweiterte Stundung nach Maßgabe des § 6 Abs. 5 Sätze 1 – 3 AStG in Betracht kommt, beurteilt sich im Wesentlichen nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Wegzuges oder spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem die maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Für bestimmte nachträgliche Ereignisse ist die erweiterte Stundung allerdings zu widerrufen (§ 6 Abs. 5 Satz 4 AStG). Ein derartiger Widerrufsgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn der weggezogene Steuerpflichtige von einem EU-/EWR-Staat z.B. in einen Drittstaat weiterzieht (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG).

14.42

Um sicherzustellen, dass die Finanzbehörden zeitnah die in Betracht kommenden Widerrufsgründe in Erfahrung bringen, enthält § 6 Abs. 7 AStG umfangreiche Mitteilungspflichten. Hiernach ist der wegziehende Steuerpflichtige oder sein Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet, nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck die Verwirklichung eines der Widerrufsgründe mitzuteilen (§ 6 Abs. 7 Satz 1 AStG). Darüber hinaus hat er auch bis zum Ablauf des 31. Januar jeden Jahres schriftlich seine am Ende des Vorjahres geltende Anschrift mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Kapitalanteile ihm oder im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge unter Lebenden seinem Rechtsnachfolger weiterhin zuzurechnen sind. Wird die vorgenannte Mitteilungspflicht verletzt, kann die Finanzbehörde die Stundung widerrufen (§ 6 Abs. 7 Satz 5 AStG).

14.43

Der Wechsel von der beschränkten in die unbeschränkte Steuerpflicht, etwa bei Aufgabe des ausländischen und Begründung eines inländischen Wohnsitzes, führt grundsätzlich3 auch zu einem für die Besteuerung maßgeblichen Wechsel vom Territorialitätsprinzip zum Universalitätsprinzip mit der Folge, dass die inländische Besteuerung nunmehr das Welteinkommen erfasst. Dieses Eintreten in die unbeschränkte Steuerpflicht (Steuerverstrickung) hat zur Folge, dass – sofern keine Sonderregelungen eingreifen – etwaige während der Zeit vor Beginn der unbeschränkten Steuerpflicht im Ausland im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern ge1 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 512; Gropp in Lademann, § 6 AStG Rz. 74. 2 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 533; Strunk/Kaminski in S/K/K, § 6 AStG Rz. 247. 3 Ausnahme: Wechsel von der beschränkten zur fingierten unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3, § 1a EStG).

684 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.46 Kap. 14

bildeten stillen Reserven nunmehr von der deutschen Besteuerung erfasst werden.1 Eine Steuerverstrickung tritt auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz im Ausland zwar aufrechterhält, durch Begründung eines weiteren inländischen Wohnsitzes nach dem maßgeblichen DBA (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA) hier aber als ansässig gilt, sodass deutsches Besteuerungsrecht grundsätzlich nicht beschränkt ist. Eine Steuerverstrickung ist schließlich auch in den Fällen denkbar, in denen durch Wohnsitzwechsel im Ausland eine bislang bestehende Einschränkung der beschränkten oder erweiterten beschränkten Steuerpflicht entfällt. Im Übrigen gelten die für die Steuerentstrickung maßgeblichen Grundsätze vice versa auch für die Steuerverstrickung, sodass auch insoweit zwischen subjektbezogener und objektbezogener Steuerverstrickung zu unterscheiden ist.

Eine Verstrickungsregelung ist für den Betriebsvermögensbereich in § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG (fiktive Einlage) und für den Privatvermögensbereich in § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG (fiktive Anschaffung bei Zuzug) verankert. Soweit es um den Betriebsvermögensbereich geht, regelt § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG, dass die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts einer Einlage gleichsteht. Bemessungsgrundlage ist der gemeine Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) bzw. der Entstrickungswert im Wegzugsstaat, höchstens jedoch der gemeine Wert (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG).

14.44

Aus der Sicht des deutschen Steuerrechts geht es hierbei darum, steuerliche Doppelerfassungen zu vermeiden. Angesprochen ist hiermit insbesondere der Import stiller Reserven: Werden etwa Wirtschaftsgüter von einer ausländischen Betriebsstätte, die in einem Land belegen ist, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, das die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellung vorsieht (Freistellungsbetriebsstätte), auf das inländische Stammhaus übertragen und anschließend veräußert, so werden die im Ausland außerhalb der deutschen Besteuerung2 gebildeten stillen Reserven der deutschen Besteuerung nicht unterworfen, weil für die transferierten Wirtschaftsgüter eine Eingangsbewertung zum gemeinen Wert vorgeschrieben ist. Die für die Steuerent- und Steuerverstrickung maßgeblichen Regelungen sind indessen insoweit inkongruent, als eine fiktive Einlage zum gemeinen Wert nur bei Begründung, nicht aber bei Stärkung des deutschen Besteuerungsrechts angenommen wird.3 Im Hinblick darauf werden etwa die Buchwerte von Wirtschaftsgütern fortgeführt, die von einer ausländischen Betriebsstätte, für deren Einkünfte die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wird, auf das inländische Stammhaus eines unbeschränkt Steuerpflichtigen überführt werden.

14.45

Die den Privatvermögensbereich betreffende Verstrickungsregelung des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG will verhindern, dass Deutschland den vor einem Zuzug entstandenen, bereits im Ausland besteuerten, Wertzuwachs ein weiteres Mal besteuert.4 Die steuerliche Doppelerfassung wird dadurch vermieden, dass für Zwecke der Veräußerungsgewinnbesteuerung nicht die Anschaffungskosten, sondern derjenige Wert zugrunde gelegt wird, den der Wegzugsstaat bei

14.46

1 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch dann, wenn vorher keine beschränkte Steuerpflicht gegeben war. 2 Abkommensrechtliche Freistellung aufgrund des Betriebsstättenprinzips (Art. 7 Abs. 1 OECDMA). 3 Zur Kritik z.B. Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 321; Bode in Kirchhof19, § 4 EStG Rz. 110; Carlé, KÖSDI 2007, 15401 (15403); vgl. aber die durch das ATADUmsG geplante Neuregelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2, Satz 9 EStG, wonach nunmehr auch die Stärkung deutschen Besteuerungsrechts berücksichtigt werden soll (RefEntw v. 24.3.2020). 4 Zu Einzelheiten Töben/Reckwardt, FR 2007, 159 ff.

Schaumburg | 685

Kap. 14 Rz. 14.46 | Materielles Steuerrecht

der Berechnung der der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer angesetzt hat.1 Der Anwendungsbereich dieser Verstrickungsnorm ist indessen dadurch eingeschränkt, dass höchstens der gemeine Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Zuzugs nach Deutschland angesetzt wird.2 Sofern daher der Wegzugsstaat tatsächlich einen höheren als den gemeinen Wert ansetzt, kommt es zu einer partiellen steuerlichen Doppelerfassung. Eine Wertaufstockung bis zur Höhe des gemeinen Werts unterbleibt schließlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige nur vorübergehend von Deutschland abwesend ist und sodann wieder nach Deutschland zuzieht (§ 17 Abs. 2 Satz 4 EStG).3

2. Körperschaftsteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum KStG und zu §§ 10, 11 AO; Alber/Sell, Körperschaftsteuer, 19. Aufl. Stuttgart 2020; Frotscher, Körperschaftsteuer-Gewerbesteuer, 2. Aufl. München 2008; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 11 Rz. 1 ff.; Jäger/Lang/ Künze, Körperschaftsteuer, 19. Aufl. Achim 2016; Niehus/Wilke, Die Besteuerung der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. Stuttgart 2018; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 7.1 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1163 ff.

a) Unbeschränkte Steuerpflicht

14.47

Juristische Personen, die im Inland einen Ort der Geschäftsleitung oder ihren Sitz (Satzungssitz) haben, sind unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 KStG).4 Primärer Anknüpfungspunkt ist der Ort der Geschäftsleitung. Das ist der Ort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird.5 Bei einer an mehreren Orten tätigen Geschäftsführung ist der gem. § 10 AO maßgebliche Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung da, wo sich die in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet.6 Sind kaufmännische und technische Leitung getrennt, ist auf den Ort der kaufmännischen Leitung abzustellen.7 Gibt es mehrere Orte der kaufmännischen Leitung, ist derjenige Ort maßgeblich, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Im Hinblick auf den Wortlaut des § 10 AO „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ gibt es somit stets nur einen einzigen Ort der Geschäftsleitung,8 der sich allerdings gerade bei polyzentrischen Unternehmen in der Praxis nur sehr schwer bestimmen lässt.9 Es kommt allein darauf an, wo die

1 Die den Betriebsvermögensbereich betreffende Verstrickungsregelung (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG) stellt demgegenüber nicht auf eine entsprechende Entstrickungsbesteuerung im anderen Staat ab. 2 Das gilt natürlich nicht, wenn die tatsächlichen Anschaffungskosten höher waren; Gosch in Kirchhof19, § 17 EStG Rz. 81. 3 Hinweis auf § 6 Abs. 3 AStG. 4 Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.1 ff. 5 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622. 6 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 7 BFH v. 3.8.1977 – I R 128/75, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554. 8 Diese in der Praxis wenig bedeutsame Frage ist allerdings streitig; vgl. hierzu den Überblick bei Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 9. 9 Hierzu Raupach in JbFSt 1994/1995, 419 f.; Schaumburg/Schloßmacher in FS Peltzer, 2001, 389 ff.

686 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.49 Kap. 14

für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einigem Gewicht angeordnet werden.1 Das ist regelmäßig der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführungstätigkeit entfalten, d.h., an dem sie die tatsächlichen organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte).2 Unbeachtlich ist mithin, wo die abgegebenen Willenserklärungen wirksam werden oder die angeordneten Maßnahmen auszuführen sind.3 Der Ort der nach außen hin erkennbaren Verwaltung muss daher örtlich nicht identisch sein mit dem Ort der geschäftlichen Oberleitung, der im Zweifel dort ist, wo sich das Büro des Geschäftsführers oder Vorstandes befindet.4 Nimmt der Geschäftsführer (Vorstand) seine Geschäfte von seiner Wohnung aus wahr, ist dort der Ort der Geschäftsleitung (zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.52, 16.268 ff.).5 Neben dem Ort der Geschäftsleitung wird die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht durch den Satzungssitz begründet. Das ist der Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist.6 Angeknüpft wird damit an ein juristisches Merkmal. Insoweit entspricht der Sitz juristischer Personen dem zivilrechtlichen, nicht aber dem steuerrechtlichen Wohnsitz natürlicher Personen. Geschäftsleitung und Sitz stehen als Anknüpfungspunkte für die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 KStG gleichrangig nebeneinander (zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.267 ff.).

14.48

Neben den nach inländischem Recht errichteten Körperschaften werden von der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unter bestimmten Voraussetzungen auch nach ausländischem Recht errichtete Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen erfasst. Hier gilt im Ergebnis Folgendes: Sind nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften7 mit Ort der Geschäftsleitung im Inland körperschaftlich strukturiert und mit den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG genannten Gesellschaften deutschen Rechts vergleichbar,8 sind sie als Kapitalgesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG9 unbeschränkt steuerpflichtig. Sind sie dagegen mit Personengesellschaften deutschen Rechts vergleichbar, unterliegen nicht die Gesellschaften selbst, sondern ihre Gesellschafter der Besteuerung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Nach ausländischem Recht errichtete Gesellschaften sind daher, soweit sie körper-

14.49

1 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 21.9.1989 – V R 55/84, BFH/NV 1990, 353; BFH v. 21.9.1989 – V R 32/88, BFH/NV 1990, 688; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 2 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622. 3 Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 2a; Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 47. 4 BFH v. 29.4.1987 – X R 16/81, BFH/NV 1988, 64; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437. 5 BFH v. 13.7.2006 – IV R 25/05, BStBl. II 2006, 804; Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 2 m.w.N. 6 §§ 5 und 278 AktG, § 4a GmbHG, § 6 GenG, § 18 VAG, §§ 24, 57 und 80 BGB. 7 Der Klammerzusatz in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG enthält eine nicht abschließende Aufzählung von Kapitalgesellschaften („insbesondere“). 8 Zu den einzelnen Merkmalen des maßgeblichen Typenvergleichs: BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222; BFH v. 17.5.2000 – I R 19/98, BStBl. II 2000, 619; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 20.8.2008 – I R 39/07, BStBl. II 2009, 234; BMF v. 19.3.2004 – IV B 4-S 1301 USA-22/04, BStBl. I 2004, 411 (zur LLC). 9 Vgl. BFH v. 15.7.1998 – I B 134/97, BFH/NV 1999, 372; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 29.1.2003 – I R 6/99, BFH/NV 2003, 969; Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 108; Hey in T/L23, § 11 Rz. 31; Schaumburg in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (411 ff.).

Schaumburg | 687

Kap. 14 Rz. 14.49 | Materielles Steuerrecht

schaftlich strukturiert sind, stets Körperschaftsteuersubjekte und damit unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sie im Inland den Ort ihrer Geschäftsleitung haben. Damit entspricht § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV), wie sie für den Zuzug von Kapitalgesellschaften durch die Rechtsprechung des EuGH1 konkretisiert worden ist. Die Qualifikation als Körperschaftsteuersubjekt hat unabhängig davon zu erfolgen, ob nach den Regeln des Internationalen Gesellschaftsrechts die Sitz- oder Gründungstheorie zur Anwendung kommt.2 Damit ist auch unerheblich, ob die ausländische Gesellschaft aus der Sicht des deutschen Internationalen Privatrechts Rechtsfähigkeit hat oder nicht.3 Die vorstehenden Grundsätze gelten, da § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG insoweit nicht differenziert, auch für in Drittstaaten errichtete Rechtsträger mit der Folge, dass diese auch dann Körperschaftsteuersubjekte sind, wenn ihnen nach Maßgabe des deutschen Internationalen Privatrechts in Orientierung an die Sitztheorie die Rechtsfähigkeit versagt wird.4 Diese Grundsätze finden Anwendung nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern auch für die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 – 6 KStG aufgeführten Rechtsträger. So unterliegen dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 2 KStG nicht nur rechtsfähige und nicht rechtsfähige Genossenschaften deutschen Rechts,5 sondern auch nach ausländischem Recht errichtete Genossenschaften, wenn sie ihrer Struktur nach einer Genossenschaft deutschen Rechts entsprechen. Auch rechtsfähige Vereine und rechtsfähige privatrechtliche Stiftungen ausländischen Rechts können gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sein, sofern sie im Inland ihre Geschäftsleitung haben. Entsprechendes gilt schließlich auch für nicht rechtsfähige Vereine und nicht rechtsfähige Stiftungen ausländischen Rechts. Sie werden von § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG erfasst, wenn sie mit den entsprechenden Rechtsträgern deutschen Rechts vergleichbar sind. Dies gilt in besonderer Weise für ausländisches Zweckvermögen, etwa Trusts,6 sofern die vom Trust erzielten Einkünfte nicht dem Stifter- oder Treugeber zuzurechnen sind.7 b) Beschränkte Steuerpflicht

14.50

Der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben (§ 2 Nr. 1 KStG). Im Ergebnis werden damit nur nach ausländischem Recht errichtete Rechtsträger erfasst.

14.51

Welche Einkünfte als inländische zu qualifizieren sind, ergibt sich durch Verweis auf den in § 49 Abs. 1 EStG enthaltenen Einkünftekatalog (§ 8 Abs. 1 KStG).

1 Grundlegend: EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 – Centros, EuGHE 1999, I1459 = FR 1999, 449 m. Anm. Dautzenberg; EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 – Überseering, EuGHE 2002, I-9919; EuGH v. 30.1.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Inspire Art, EuGHE 2003, I-10155 = GmbH-StB 2003, 315 m. Anm. Riemenschneider. 2 Klein in H/H/R, § 1 KStG Rz. 26; Hey in T/L23, § 11 Rz. 31; Schaumburg in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (411 ff.). 3 Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 108; Rengers in Blümich, § 1 KStG Rz. 143. 4 So etwa von in der Schweiz errichteten Kapitalgesellschaften; vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/ 06, ZIP 2008, 2411. 5 Namentlich Erwerbs- und Erzeugergenossenschaften; hierzu Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 75. 6 Vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 7 Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 92.

688 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.54 Kap. 14

Daher sind für die Qualifizierung der inländischen Einkünfte im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht die gleichen Grundsätze wie bei der beschränkten Einkommensteuerpflicht anzuwenden. Das gilt insbesondere für die sich aus § 49 Abs. 2 EStG ergebende isolierende Betrachtungsweise, wonach im Ausland gegebene Besteuerungsmerkmale (Tatbestandsmerkmale) außer Betracht bleiben, soweit bei ihrer Berücksichtigung inländische Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) nicht angenommen werden könnten. Die Reichweite des § 49 Abs. 2 EStG ist indessen beschränkt, weil in jenen Fällen, in denen die Einkunftsart nicht losgelöst vom Steuersubjekt bestimmt werden kann, auf im Ausland verwirklichte Tatbestandsmerkmale zurückgegriffen werden muss. Das gilt insbesondere für Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG), aus nichtselbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG), aus Leistungen gesetzlicher Rentenversicherungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG) und für Abgeordnetenbezüge (§ 49 Abs. 1 Nr. 8a EStG). Derartige Einkünfte können von Körperschaften ihrer Art nach nicht erzielt werden.1 Im Hinblick darauf, dass § 8 Abs. 2 KStG keine Anwendung findet, kann ein Körperschaftsteuersubjekt im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht ohne Weiteres Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§§ 2 Nr. 1; 8 Abs. 1 KStG i. V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielen. Im Vordergrund steht in der Praxis die Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG genannten Anknüpfungsmerkmale kommen hierbei uneingeschränkt auch für Körperschaftsteuersubjekte zur Anwendung. Dies gilt auch für § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, soweit das ausländische Körperschaftsteuersubjekt als Vergütungsgläubiger (Künstlerverleihgesellschaft) für künstlerische, sportliche, artistische, unterhaltende und ähnliche Darbietungen eingeschaltet ist.2

14.52

Bei beschränkt steuerpflichtigen Körperschaftsteuersubjekten wird die Körperschaftsteuer entweder im Rahmen einer Veranlagung durch Steuerbescheid festgesetzt oder durch Steuerabzug an der Quelle erhoben. Soweit das Körperschaftsteuergesetz selbst keine speziellen Vorschriften enthält, gelten über § 31 Abs. 1 KStG die entsprechenden Vorschriften des Einkommensteuergesetzes. Das gilt insbesondere für die für beschränkt Steuerpflichtige geltenden Vorschriften der §§ 50 und 50a EStG (zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.283 ff.).

14.53

Abweichend von den in §§ 43, 43a Abs. 1 EStG genannten Kapitalertragsteuersätzen, die für die Dividenden 25% betragen, ergeben sich für beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften Reduktionen auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Auf Abkommensebene wird die Quellensteuerbefugnis der Höhe nach durchweg auf 5%, 10% oder 15% begrenzt (Art. 10 Abs. 2 OECD-MA),3 sodass unter den Voraussetzungen des § 50d Abs. 2 und 3 EStG (Freistellungsverfahren) von vornherein nur die reduzierte Kapitalertragsteuer einzubehalten ist.4 Gemäß § 43b Abs. 1 Satz 1 EStG wird die Kapitalertragsteuer auf Antrag nicht erhoben,5 wenn Gläu-

14.54

1 BFH v. 30.11.1966 – I 215/64, BStBl. III 1967, 400; BFH v. 4.3.1970 – I R 140/66, BStBl. II 1970, 428; BFH v. 7.7.1971 – I R 41/70, BStBl. II 1971, 771; BFH v. 23.5.1973 – I R 163/71, BStBl. II 1974, 287; BFH v. 20.2.1974 – I R 217/71, BStBl. II 1974, 511; BFH v. 1.12.1982 – I R 238/81, BStBl. II 1983, 213; BFH v. 20.6.1984 – I R 283/81, BStBl. II 1984, 828. 2 BFH v. 2.2.1994 – I B 143/93, BFH/NV 1994, 864; zu Einzelheiten Siegers in D/P/M, § 2 KStG Rz. 45 ff. 3 Vgl. zur deutschen Abkommenspraxis die Abkommensübersicht bei Tischbierek/Specker in V/L6, Art. 10 OECD-MA Rz. 67. 4 Im Falle des Erstattungsverfahrens (§ 50d Abs. 1 EStG) gilt die Einschränkung gem. § 50j EStG. 5 Die Freistellung steht allerdings unter Missbrauchsvorbehalt (§ 50d Abs. 3 EStG).

Schaumburg | 689

Kap. 14 Rz. 14.54 | Materielles Steuerrecht

bigerin eine beschränkt körperschaftsteuerpflichtige EU-Muttergesellschaft1 ist, die im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG) nachweislich seit mindestens zwölf Monaten ununterbrochen mindestens zu 10% unmittelbar am Nennkapital der ausschüttenden unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft (Tochtergesellschaft) beteiligt ist (§ 43b Abs. 2 EStG). Wird der vorgenannte Beteiligungszeitraum erst nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer vollendet, ist die einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten (§ 43b Abs. 2 Satz 5 EStG). Im Hinblick darauf, dass die Kapitalertragsteuer 25%, der tarifliche Steuersatz aber nur 15% (§ 23 Abs. 1 KStG) beträgt, erfolgt gem. § 44a Abs. 9 EStG eine Erstattung von Kapitalertragsteuer in Höhe von 2/5, um so eine Gleichbehandlung mit unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsträgern zu gewährleisten.2 Hierbei finden die Vorschriften des § 50d Abs. 1 Sätze 3 – 9, Abs. 3 und 4 EStG entsprechende Anwendung mit der Folge, dass insbesondere die Aktivitätsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt sein müssen.

14.55

Gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG wird die Körperschaftsteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen, im Falle der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht grundsätzlich durch den Steuerabzug abgegolten.3 Diese Abgeltungswirkung gilt dann nicht, wenn die abzugspflichtigen Einkünfte in einem inländischen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb angefallen sind (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Darüber hinaus entfällt gem. § 32 Abs. 2 KStG die Abgeltungswirkung auch in weiteren vier Fällen: – § 32 Abs. 2 Nr. 1 KStG betrifft den Fall, dass während eines Kalenderjahres sowohl unbeschränkte Steuerpflicht als auch beschränkte Steuerpflicht gegeben ist. Dies hat zur Folge, dass die während der beschränkten Steuerpflicht erzielten steuerabzugspflichtigen Einkünfte in einer Veranlagung zur unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht mit der Maßgabe einzubeziehen sind, dass die einbehaltenen Abzugsteuern zur Anrechnung kommen.4 – Gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 2 KStG entfällt die Abgeltungswirkung, wenn der Gläubiger der in § 50a Abs. 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 EStG genannten Vergütungen eine Veranlagung zur Körperschaftsteuer beantragt. Dieses Veranlagungswahlrecht gilt nur für EU-/EWR-Körperschaften, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung sich innerhalb des Gebietes der EU/EWR befinden (§ 32 Abs. 4 KStG). Diese Regelung entspricht dem § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG. – Die Abgeltungswirkung entfällt gem. § 32 Abs. 2 Nr. 3 KStG ferner dann, wenn die beschränkt steuerpflichtige Körperschaft als Gläubigerin von steuerabzugspflichtigen Beträgen selbst in Anspruch genommen werden könnte. Angesprochen werden hiermit insbesondere § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG, wonach ausnahmsweise der Gläubiger der Kapitalerträ1 Gesellschaften i.S.d. Richtlinie 2011/96/EU v. 30.11.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8, über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Mutter-Tochter-Richtlinie), vgl. Anlage 2 zum EStG. 2 Hierzu Schönfeld, IStR 2007, 850 ff. 3 Bei Portfolio-Dividenden ist die Abgeltungswirkung bei ausländischen EU-Kapitalgesellschaften mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) unvereinbar, EuGH v. 20.10.2011 – C-284/09, ECLI:EU:C:2011:670 – Kommission/Deutschland, FR 2011, 1112; die Benachteiligung ausländischer gegenüber inländischer EU-Kapitalgesellschaften ist mit Wirkung ab 1.3.2013 dadurch beseitigt worden, dass inländischen Kapitalgesellschaften zufließende Dividenden (Bezüge) von der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 KStG ausgenommen sind, wenn die Beteiligung zu Beginn des betreffenden Kalenderjahres weniger als 10 % betragen hat (§ 8b Abs. 4 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils v. 20.10.2011 in der Rechtssache C-284/09 v. 21.3.2013, BGBl. I 2013, 561). 4 Diese Regelung entspricht der des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG.

690 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.58 Kap. 14

ge in Anspruch genommen werden kann, und § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG, wenn der Vergütungsschuldner den Steuerabzug nicht vorschriftsmäßig vorgenommen hat.1 – Schließlich betrifft § 32 Abs. 2 Nr. 4 KStG die Fälle, in denen die Körperschaft gem. § 38 Abs. 2 KStG nach dem Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren während eines Übergangszeitraums Ausschüttungen vornimmt.2 Hierdurch wird gewährleistet, dass die in § 38 Abs. 2 KStG geregelte ausschüttungsbedingte Körperschaftsteuererhöhung während des Übergangszeitraums weiterhin möglich bleibt. Soweit die Körperschaftsteuer durch den Steuerabzug nicht abgegolten ist, gilt gem. § 23 Abs. 1 KStG für beschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte einheitlich ein tariflicher Steuersatz von 15%.3

14.56

Der Steuerabzug erfolgt im Grundsatz unabhängig davon, ob nach Maßgabe des nationalen Rechts oder des Abkommensrechts ein niedrigerer Steuersatz oder gar eine Steuerfreistellung eingreift. In Abweichung hiervon ergibt sich für den Gläubiger von Kapitalerträgen oder Vergütungen nur die Möglichkeit, im Nachhinein die vollständige oder teilweise Erstattung einbehaltener und abgeführter Abzugsteuern oder im Vorhinein eine entsprechende Freistellung zu beantragen (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 50d Abs. 1 – 6 EStG). Sowohl Erstattung4 als auch Freistellung sind u.a. nur unter den für ausländische Kapitalgesellschaften maßgeblichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG zulässig. Nach dieser auf Missbrauchsverhinderung5 gerichteten Vorschrift werden Erstattung und Freistellung von Abzugsteuern versagt, soweit an der antragstellenden Auslandsgesellschaft Personen beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und

14.57

– die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen sowie – in Bezug auf diese für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder – die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. c) Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht Der Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht betrifft im Kern den grenzüberschreitenden Wegzug und Zuzug von Körperschaftsteuersubjekten,6 womit zugleich Rechtsfragen der Steuerentstrickung und Steuerverstrickung angesprochen werden. Steuerentstrickung und Steuerverstrickung können allerdings auch ohne Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht ausgelöst werden. Verlegt etwa eine Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung des inländischen Satzungsitzes ihre Geschäftsleitung in das Ausland, bleibt die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten. In Abkommensfällen erfolgt dennoch wegzugsbedingt in aller Regel ein Wechsel in der Abkommensberechtigung (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) mit der Folge, dass das deutsche Besteuerungsrecht eingeschränkt oder gar völlig aufgehoben wird, sodass auch insoweit ein Fall der Steuerent1 2 3 4 5 6

Zu Einzelheiten Siegers in D/P/M, § 32 KStG Rz. 37 ff. Hierzu Siegers in D/P/M, § 32 KStG Rz. 46 ff. Zuzüglich Solidaritätszuschlag. Für die Erstattung gilt zusätzlich noch die Einschränkung gem. § 50j EStG. Rule-/directive shopping. Nachfolgend geht es nur noch um Kapitalgesellschaften.

Schaumburg | 691

14.58

Kap. 14 Rz. 14.58 | Materielles Steuerrecht

strickung gegeben ist. Der Wegzug und Zuzug von Kapitalgesellschaften betrifft somit gleichermaßen die isolierte und simultane Verlegung von Geschäftsleitung und Satzungssitz.

14.59

Eine grenzüberschreitende Sitzverlegung im Sinne der Verlegung des Satzungssitzes und des Ortes der Geschäftsleitung ist nach derzeit geltendem nationalen Recht als identitätswahrender Wegzug nur bei der SE (Art. 8 Abs. 1 SE-VO)1 und der SCE (Art. 7 Abs. 1 SCE-VO)2 mit der Maßgabe möglich, dass Sitz und Hauptverwaltung3 in ein und demselben Mitgliedstaat liegen müssen (Art. 7 SE-VO, Art. 6 SCE-VO). In allen anderen Fällen ist der Wegzug durch Verlegung des Satzungssitzes nach nationalem Recht rechtstechnisch (noch) ausgeschlossen,4 aufgrund europarechtlicher Vorgaben für den Fall des formwechselnden Wegzugs aber geboten.5 Demgegenüber ist die Verlegung des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung) unter Beibehaltung des inländischen Satzungssitzes in das Ausland6 nach nationalem Recht möglich,7 was allerdings europarechtlich nicht zwingend ist.8 Dieses Problemfeld des Internationalen Privatrechts hat im Ausgangspunkt für das Steuerrecht indessen keine Bedeutung: So sind etwa nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht auch dann unterworfen, wenn sie den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG), also ohne Rücksicht darauf, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung9 eine derart zuziehende Gesellschaft nach Maßgabe der unverändert geltenden Sitztheorie als nichtrechtsfähige Personenvereinigung zu qualifizieren ist. Die steuerlichen Folgen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften ergeben sich mithin losgelöst davon, durch welche Doktrin (Sitztheorie vs. Gründungstheorie) das Internationale Privatrecht des einen oder anderen Staates beherrscht wird.

14.60

Die steuerlichen Rechtsfolgen eines Wegzugs einer Kapitalgesellschaft sind in § 12 Abs. 1 und 3 KStG geregelt.10 Die dort verankerten Entstrickungsregelungen erfassen die Verlegung des Satzungssitzes und des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung)11 einer SE (SCE) in das EU-Ausland sowie im Übrigen die Verlegung des Orts der Geschäftsleitung in das Ausland durch nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften.12 In beiden Fallvari-

1 2 3 4 5

6 7 8 9 10 11 12

Societas Europea = Europäische Aktiengesellschaft = Europa-AG. Societas Cooperativa Europea = Europäische Genossenschaft. Entspricht in etwa Satzungssitz und Ort der Geschäftsleitung (§§ 10, 11 AO). OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915; vgl. den Überblick bei Koch in Hüffer/Koch14, § 5 AktG Rz. 13 ff. EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 – Cartesio, NJW 2009, 569 (obiter dictum); EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 – VALE Építési, EWS 2012, 375; und im Anschluss hieran auch nach nationalem Recht für den Fall des formwechselnden Zuzugs für zulässig gehalten vom OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349; vgl. auch Schaper, ZIP 2014, 810 ff. EU/EWR-Bereich und Drittstaaten. Vgl. § 5 AktG, § 4a GmbHG. EuGH v. 27.9.1988 – C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456 – Daily Mail, EuGHE 1988, 5483; EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 – Cartesio, NJW 2009, 569. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411. § 12 Abs. 1 KStG soll neu gefasst und ein Absatz 1a neu eingefügt werden (RefEntwurf des ATADUmsG v. 24.3.2020). Zu den Unterschieden zwischen Verwaltungssitz und Ort der Geschäftsleitung Schön in Lutter/ Hommelhoff/Teichmann², SE-Kommentar, Teil D Rz. 70 ff. § 12 Abs. 1 KStG erfasst auch die Überführung von Wirtschaftsgütern vom inländischen Stammhaus auf eine ausländische Betriebsstätte (Entstrickung), wobei § 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 EStG entsprechend gelten; vgl. hierzu Rz. 13.22 f.

692 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.63 Kap. 14

anten scheiden die betreffenden Kapitalgesellschaften aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht aus. Die Verlegung des Satzungssitzes einer Kapitalgesellschaft in das Ausland ist dagegen, soweit es sich nicht um eine SE handelt, nach nationalem Recht im Grundsatz (noch) ausgeschlossen. Sie führt stets zur Auflösung1 mit der Folge, dass bei entsprechender Umsetzung nicht § 12 Abs. 1 KStG, sondern eine Liquidationsbesteuerung gem. § 11 KStG eingreift. Etwas anderes gilt für den formwechselnden Wegzug, der ohne Auflösung grundsätzlich2 durch die unionsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) gewährleistet wird.3 Von § 12 Abs. 1 KStG wird allerdings auch der Fall erfasst, dass eine Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung des inländischen Satzungssitzes ihre Geschäftsleitung in das EU-/EWR-Ausland verlegt und hierdurch bei Anwendung von DBA nunmehr abkommensrechtlich als dort ansässig gilt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Die Rechtsfolgen des Wegzugs einer Kapitalgesellschaft auf Gesellschaftsebene hängen im Wesentlichen davon ab, ob der Wegzug in einen EU/EWR-Staat oder in einen Drittstaat erfolgt:

14.61

Bei Wegzug einer Kapitalgesellschaft in einen EU-/EWR-Staat erfolgt nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 KStG auf Gesellschaftsebene4 eine wirtschaftsgutbezogene Gewinnrealisierung (Entstrickung): Wird wegzugsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung und der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt, gilt dies als Veräußerung oder Überlassung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert. Erfasst wird durch die vorstehende Entstrickungsregelung nicht nur der Wegzug, der zum Ausscheiden aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht führt, sondern auch der Wegzug unter Beibehaltung der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Damit ergeben sich für den Wegzug in einen EU-/EWR-Staat drei Fallgruppen:

14.62

1. Verlegung des Satzungssitzes und des Orts der Geschäftsleitung einer SE (SCE); 2. Verlegung des Orts der Geschäftsleitung einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft und 3. die Verlegung der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft mit Satzungssitz in Deutschland. Das deutsche Besteuerungsrecht wird auf Gesellschaftsebene weder ausgeschlossen noch beschränkt, soweit Wirtschaftsgüter unverändert dem inländischen Betriebsstättenvermögen der wegziehenden Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind. Hierbei spielt es keine Rolle, ob ein DBA eingreift oder nicht. Dies gilt nicht, wenn Wirtschaftsgüter dem ausländischen Betriebsvermögen der nunmehr im Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind. Davon sind insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter sowie Beteiligungen an nachgeschalteten Ka-

1 Hierzu Roth in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 379 (395, 399). 2 Ausnahme: Vorbehalt der Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls; EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 – Cartesio, NJW 2009, 569; zur Frage des Gläubigerschutzes und der Mitbestimmung Kindler, NZG 2009, 493 ff. 3 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 – Cartesio, NJW 2009, 569; EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 – VALE Építési, EWS 2012, 375; vgl. auch: Zimmer/ Naendrup, NJW 2009, 545 (547); Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Teichmann, ZIP 2009, 393 (402); Paefgen, WM 2009, 529 (532); Jaensch, EWS 2012, 353 ff. 4 Zu den Rechtsfolgen auf Gesellschafterebene Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.54 ff.

Schaumburg | 693

14.63

Kap. 14 Rz. 14.63 | Materielles Steuerrecht

pitalgesellschaften betroffen.1 Im Ergebnis führt das dazu, dass eine gem. § 12 Abs. 1 KStG gebotene Steuerentstrickung nur dann unterbleibt, wenn die Wirtschaftsgüter unverändert inländisches Betriebsstättenvermögen bilden. In Abkommensfällen ist hierbei auf den abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) abzustellen, weil sich allein hiernach entscheidet, ob ein deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Das bedeutet zugleich, dass in den vorgenannten Fällen für die Zuordnung der Wirtschaftsgüter zum Betriebsstättenvermögen allein die abkommensrechtlichen Zuordnungskriterien maßgeblich sind.2

14.64

Soweit Wirtschaftsgüter einem ausländischen Betriebsstättenvermögen zuzuordnen sind, ergeben sich wegzugsbedingt keine Veränderungen, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter bereits vor dem Wegzug abkommensrechtlich durch Anwendung der Freistellungsmethode der deutschen Besteuerung entzogen waren. In den übrigen Fällen, also etwa dann, wenn überhaupt kein DBA eingreift oder aber vor dem Wegzug die Doppelbesteuerung durch Anrechnung vermieden wurde,3 entfällt das deutsche Besteuerungsrecht durch den Wegzug. Das gilt nicht nur in den Fällen, in denen die wegziehende Kapitalgesellschaft aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht ausscheidet, sondern auch dann, wenn wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht zwar aufrechterhalten bleibt, die abkommensrechtliche Ansässigkeit aber in den anderen Staat wechselt.4 Darüber hinaus erfolgt schließlich auch eine Gewinnrealisierung, wenn Wirtschaftsgüter anlässlich des Wegzugs oder auch unabhängig davon aus einem inländischen in ein ausländisches Betriebsstättenvermögen verbracht werden.

14.65

Die aufgrund der Anwendung des § 12 Abs. 1 KStG entstehende Gewinnrealisierung unterliegt uneingeschränkt der Körperschaftsteuer. Wird allerdings die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland aufrechterhalten, kann in EU-Fällen die in § 4g EStG vorgesehene über fünf Jahre gestreckte Besteuerung in Anspruch genommen werden, soweit es sich um Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens handelt (§ 12 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4g EStG).

14.66

Der Wegzug einer Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat führt auf Gesellschaftsebene5 zu einer Liquidationsbesteuerung (§ 12 Abs. 3 Satz 1 KStG), wenn die Kapitalgesellschaft hierdurch aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht ausscheidet.6 Gleiches gilt, wenn eine nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaft aufgrund von Abkommensrecht nach dem Wegzug als nicht mehr im Inland oder in einem anderen EU-/EWR-Staat als ansässig anzusehen ist (§ 12 Abs. 3 Satz 2 KStG; Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Damit werden etwaige während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht bis zum Wegzug gebildete stille Reserven einer Schlussbesteuerung zugeführt (§ 11 KStG). Das setzt im Grundfall (§ 12 Abs. 3 Satz 1 KStG) voraus, dass nach Wegzug sowohl der Satzungssitz (§ 11 AO) als auch der Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) in einem Drittstaat belegen ist. Da die Verlegung des Sat1 BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4, 2.6.1 (c); BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 -S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.4; zu Einzelheiten Ritzer in R/H/vL, UmwStG3, Anh. 6 Rz. 109 ff. 2 Zu diesen Zuordnungskriterien Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA (2000) Rz. 240 f.; Ditz in S/D, DBA², Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 25 f. 3 Insbesondere aufgrund bilateraler Aktivitätsklauseln oder wegen § 20 Abs. 2 AStG oder § 50d Abs. 9 EStG. 4 Art. 4 Abs. 3 OECD-MA; zu Einzelheiten Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 242 ff. 5 Zu den Rechtsfolgen auf Gesellschaftsebene Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.57. 6 Vgl. hierzu die Brexit-Sonderregelung in § 12 Abs. 3 Satz 4 KStG.

694 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.70 Kap. 14

zungssitzes einer Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat nach nationalem Recht rechtstechnisch nicht möglich ist,1 kommt in dem hier interessierenden Zusammenhang (§ 12 Abs. 3 Satz 1 KStG) allein die Verlegung der Geschäftsleitung einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat in Betracht.2 Bleibt nach Wegzug der Kapitalgesellschaft eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten, so erfolgt eine Reduktion des Welteinkommensprinzips auf das Territorialitätsprinzip. Dieser Fall ist insbesondere dann gegeben, wenn die Kapitalgesellschaft inländisches Betriebsstättenvermögen unterhält. Obwohl die in diesem Betriebsstättenvermögen enthaltenen stillen Reserven auch zukünftig im Inland steuerverhaftet bleiben, schreibt § 12 Abs. 3 Satz 1 KStG in entsprechender Anwendung des § 11 KStG eine Liquidationsbesteuerung vor, in deren Rahmen es zu einer Realisation aller stillen Reserven kommt.3

14.67

Soweit ausländisches Betriebsstättenvermögen vorhanden ist, entsteht durch die Schlussbesteuerung (§ 12 Abs. 3 KStG) regelmäßig nur dann eine Steuerbelastung, wenn das ausländische Betriebsstättenvermögen in einem Staat belegen ist, mit dem Deutschland kein DBA abgeschlossen hat.4 Greifen dagegen DBA ein, führt § 12 Abs. 3 KStG hinsichtlich des ausländischen Betriebsstättenvermögens auf Gesellschaftsebene im Grundsatz5 zu keiner Steuerbelastung, soweit die Freistellungsmethode zur Anwendung kommt: Abkommensrechtlich sind die aus deutscher Sicht entstandenen Gewinne aus der Realisierung der in dem ausländischen Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven der deutschen Besteuerung entzogen.6

14.68

Bleibt trotz Wegzugs die unbeschränkte Steuerpflicht aufrechterhalten und erfolgt auch kein Wechsel in der abkommensrechtlichen Ansässigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA), richten sich die Steuerfolgen nach § 12 Abs. 1 KStG, sodass es darauf ankommt, ob wegzugsbedingt deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Angesprochen sind hiermit insbesondere Fälle, in denen eine Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung ihres inländischen Satzungssitzes ihre Geschäftsleitung in einen Drittstaat verlegt mit dem Deutschland kein DBA abgeschlossen hat (zu Pflichtverletzungen bei Wegzug Rz. 16.45 ff.).

14.69

Der Wechsel von der beschränkten zur unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht betrifft im Wesentlichen den Zuzug ausländischer Kapitalgesellschaften. Durch den Zuzug einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft, etwa einer SE, wird die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht begründet, womit zugleich in Abkommensfällen auch die Ansässigkeit wechselt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Der Wechsel in die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht erfüllt auf Gesellschaftsebene7 keinen Steuertatbestand.8 Es bleibt insbesondere bei

14.70

1 OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915. 2 Verlegt eine nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaft ihre Geschäftsleitung in einen Drittstaat, greift nicht § 12 Abs. 3 Satz 2 KStG, sondern § 12 Abs. 1 KStG ein, s. Rz. 14.69. 3 Diese Rechtsfolge ist gemessen am Sinn und Zweck des § 12 Abs. 3 KStG nicht gerechtfertigt, sodass insoweit eine teleologische Reduktion geboten ist; Pfirrmann in Blümich, § 12 KStG Rz. 100 f.; von Freeden in R/H/N, § 12 KStG Rz. 132; Hey in T/L23, § 11 Rz. 104; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.59. 4 In diesem Fall erfolgt eine (begrenzte) Anrechnung der ausländischen Steuern (§ 26 Abs. 1 KStG). 5 Ausnahme: Anrechnungsmethode wegen bilateraler oder unilateraler Aktivitätsklauseln oder wegen § 50d Abs. 9 EStG. 6 Betriebsstättenprinzip: Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA. 7 Zu den Rechtsfolgen auf Gesellschafterebene Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.67. 8 Schulz/Petersen, DStR 2002, 1504 (1513).

Schaumburg | 695

Kap. 14 Rz. 14.70 | Materielles Steuerrecht

der steuerlichen Identität der zuziehenden Kapitalgesellschaft, weil § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG Kapitalgesellschaften unabhängig davon erfasst, ob sie nach in- oder ausländischem Recht errichtet sind. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die zuziehende Kapitalgesellschaft zuzugsbedingt die Rechtsfähigkeit verliert.1 Ergibt sich aufgrund des maßgeblichen Typenvergleichs, dass die ausländische Gesellschaft vor ihrem Zuzug als Kapitalgesellschaft zu qualifizieren ist, ändert sich an diesem Befund durch den Zuzug nichts. Somit tritt kein steuerlicher Rechtsträgerwechsel ein mit der Folge, dass insoweit auch eine Gewinnrealisierung unterbleibt.2 Entsprechendes gilt auch in den Fällen, in denen zuzugsbedingt zwar keine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht, abkommensrechtlich aber eine inländische Ansässigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) begründet wird. Es handelt sich hierbei um nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaften, die den Ort der Geschäftsleitung vom Ausland in das Inland verlegen. Auch in diesem Fall löst der Zuzug keine inländische Besteuerung aus.

14.71

Zuzugsbedingte Auswirkungen ergeben sich allerdings hinsichtlich der Zugangsbewertung des von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen Betriebsvermögens: Gem. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG steht die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts einer Einlage gleich mit der Folge, dass insoweit die nunmehr verstrickten Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Diese fiktive Einlage gilt nicht nur für den Transfer von Wirtschaftsgütern vom Ausland in das Inland, sondern auch für den Zuzug einer Kapitalgesellschaft.3 Der gemeine Wert ist hierbei sowohl für materielle als auch für immaterielle Wirtschaftsgüter einschließlich des Geschäftswerts anzusetzen.4 Die Zugangsbewertung zum gemeinen Wert greift auch in dem Fall ein, in dem eine nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaft den Ort der Geschäftsleitung vom Ausland in das Inland verlegt und hierdurch abkommensrechtlich im Inland ansässig wird (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Zuzugsbedingt wird hierdurch nämlich ebenfalls deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerung des von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen Betriebsvermögens begründet.

14.72

Eine fiktive Einlage (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG) ist indessen in allen Fällen nur insoweit gegeben, als nicht bereits vor dem Zuzug die Gewinne aus der Veräußerung von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen Wirtschaftsgütern der Besteuerung unterlagen. Angesprochen sind hiermit Wirtschaftsgüter, die einer inländischen Betriebsstätte bereits vor dem Zuzug zuzuordnen waren. Die Steuerverstrickung greift daher insbesondere dann ein, wenn bislang dem ausländischen Betriebsvermögen zuzuordnende Wirtschaftsgüter nunmehr dem inländischen Betriebsvermögen der zuziehenden Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind.5 Darüber hinaus setzt eine Steuerverstrickung auch für solche Wirtschaftsgüter der zuziehenden Kapitalgesellschaft ein, die zu einem ausländischen Betriebsstättenvermögen gehören, wenn die Gewinne aus der Veräußerung der betreffenden Wirtschaftsgüter abkommensrechtlich nicht von deutscher Steuer freizustellen sind (Art. 7 Abs. 1, 13 Abs. 2 OECD-MA).6 1 Etwa bei einem Zuzug aus Drittstaaten; vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411. 2 Hierzu Schaumburg, DK 2005, 341 (351); Kahle/Cortez, FR 2014, 673 (684). 3 Blumenberg, IStR 2009, 549 (551); Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (766); Dötsch/Pung, DB 2006, 2704; Dötsch/Pung, DB 2006, 2648 (2651). 4 § 5 Abs. 2 EStG i.V.m. § 248 Abs. 2 HGB gilt hier wegen des Vorrangs der Regeln über die Einlagen nicht (§ 5 Abs. 6 EStG). 5 Ritzer in R/H/vL², UmwStG, Anh. 6 Rz. 182. 6 Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.66.

696 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.77 Kap. 14

3. Gewerbesteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum GewStG; Hidien/Pohl/Schnitter, Gewerbesteuer, 15. Aufl. Achim 2014; Montag in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 12 Rz. 1 ff.; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 9.1 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1132 ff.

Aus dem dem Gewerbesteuergesetz zugrunde liegenden Äquivalenzprinzip1 folgt die örtliche Anknüpfung an das Gebiet einer bestimmten (inländischen) Gemeinde, in der ein Gewerbebetrieb unterhalten wird (§§ 4 und 35a Abs. 3 GewStG). Da nur inländische Gemeinden begünstigt sind, beschränkt sich die Gewerbesteuer grundsätzlich2 auf das Inland.3 Im Gegensatz zur Einkommen-, Körperschaft- und Erbschaftsteuer verwirklicht damit die Gewerbesteuer als Objektsteuer4 weitgehend das Territorialitätsprinzip. Im Hinblick darauf nimmt das Gewerbesteuergesetz grundsätzlich auch keine Differenzierung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht vor.5

14.73

Aufgrund des Objektsteuercharakters steht im Gewerbesteuergesetz das Steuerobjekt im Vordergrund. Das Steuersubjekt bezeichnet lediglich denjenigen, der die Gewerbesteuer zu entrichten hat.6

14.74

Obwohl die Gewerbesteuer vor allem die Erträge von gewerblichen Unternehmen als Besteuerungsgut7 erfasst, ist Steuerobjekt das gewerbliche Unternehmen, der Gewerbebetrieb8 selbst. Betroffen sind daher lediglich der stehende Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG) und der Reisegewerbebetrieb (§ 35a GewStG), soweit sie im Inland betrieben werden.

14.75

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ist unter einem Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen i.S.d. Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Hierdurch sind rechtsformunabhängige Gewerbebetriebe angesprochen, für die die allgemeine Legaldefinition des § 15 Abs. 2 EStG einschlägig ist.9 Darüber hinaus werden aber auch die nur teilweise gewerblich tätigen Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) und die gewerblich geprägten Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) erfasst. Deren Einkünfte unterliegen stets in vollem Umfang der Gewerbesteuer.

14.76

Von § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG werden neben den Personengesellschaften deutschen Rechts auch Personengesellschaften ausländischen Rechts erfasst, soweit sie im Inland eine Be-

14.77

1 BVerfG v. 13.5.1969 – 1 BvR 25/65, BVerfGE 26, 1; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; vgl. zur Kritik Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 1132 ff.; Güroff in Glanegger/Güroff9, § 1 GewStG Rz. 12; Montag in T/L23, § 12 Rz. 1 ff. m.w.N.; Wendt, BB 1987, 1257 ff.; Jochum, StuB 2005, 254 ff. 2 Ausnahme in § 7 Sätze 7 u. 8 GewStG, wonach Hinzurechnungsbeträge und Einkünfte i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG als in einer inländischen Betriebsstätte angefallen gelten. 3 Zum Folgenden Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 9.1 ff. 4 Güroff in Glanegger/Güroff9, § 1 GewStG Rz. 14; Sarrazin in L/S, § 1 GewStG Rz. 2; Einzelheiten bei Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, 106 ff. 5 Ausnahme: § 2 Abs. 6 GewStG. 6 Sarrazin in L/S, § 2 GewStG Rz. 26; vgl. zu den Begriffen Steuersubjekt und Steuerobjekt Seer in T/L23, § 6 Rz. 30 ff., 36 ff. 7 Zum Begriff Seer in T/L23, § 6 Rz. 36; Burmester, StuW 1993, 221 ff. 8 § 2 Abs. 1 und § 35a GewStG. 9 Güroff in Glanegger/Güroff9, § 2 GewStG Rz. 7; Drüen in Blümich, § 2 GewStG Rz. 76.

Schaumburg | 697

Kap. 14 Rz. 14.77 | Materielles Steuerrecht

triebsstätte unterhalten und in ihrer rechtlichen Grundstruktur einer Personengesellschaft inländischen Rechts entsprechen (Typenvergleich).1

14.78

Für die rechtsformabhängigen Gewerbebetriebe findet § 2 Abs. 2 GewStG Anwendung, wonach als Gewerbebetriebe stets und in vollem Umfang die Tätigkeiten der dort näher bezeichneten Kapitalgesellschaften gelten. Zu den rechtsformabhängigen Gewerbebetrieben gehören gem. § 2 Abs. 3 GewStG auch sonstige juristische Personen des privaten Rechts und nichtrechtsfähige Vereinigungen, soweit sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten. Als rechtsformabhängige Gewerbebetriebe typisiert § 2 Abs. 2 GewStG die Tätigkeit von Kapitalgesellschaften, wobei ebenso wie durch § 1 Abs. 1 KStG auch Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts erfasst werden.2

14.79

Ein Gewerbebetrieb wird im Inland betrieben, soweit für ihn im Inland oder auf einem in einem inländischen Schiffsregister eingetragenen Kauffahrteischiff eine (gewerbliche) Betriebsstätte3 unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Ob im Rahmen der inländischen Betriebsstätte eine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt wird, beurteilt sich unter Einbeziehung der im Ausland verwirklichten Tätigkeitsmerkmale. Die isolierende Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) gilt im Gewerbesteuerrecht nicht.4

14.80

Steuersubjekt (Steuerschuldner) ist der Unternehmer, für dessen Rechnung ein Gewerbe tatsächlich betrieben wird (§ 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG). Ist die Tätigkeit einer Personengesellschaft ein Gewerbebetrieb, so ist Steuerschuldnerin die Gesellschaft (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Ob der Unternehmer im Inland oder Ausland ansässig ist, spielt keine Rolle. Soweit der maßgebliche Unternehmer eine juristische Person ist, kommt es auch nicht darauf an, ob diese nach inländischem oder nach ausländischem Recht errichtet worden ist.5 Wird das Gewerbe in der Rechtsform einer europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) mit Sitz im Gemeinschaftsgebiet betrieben, sind deren Mitglieder6 Gesamtschuldner (§ 5 Abs. 1 Satz 4 GewStG).

14.81

Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ist der Gewerbesteuermessbetrag (§ 14 GewStG). Grundlage für die Berechnung des Gewerbeertrags ist der nach den Vorschriften des Einkommensteuer-/Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG). Eine besondere Entstrickungsbesteuerung existiert nicht, so dass eine isolierte gewerbesteuerliche Entstrickung keine Auswirkungen auf den Gewerbeertrag hat. Eine Verrechnungspreiskorrektur nach § 1 AStG schlägt über § 7 Satz 1 GewStG dagegen auf den Gewerbeertrag ebenso durch wie das Abzugsverbot für Sonderbetriebsausgaben gem. § 4i EStG. § 7 GewStG enthält einige für die Ermittlung des Gewerbeertrages maßgebliche Modifikationen. Hierzu gehört u.a. auch die Anwendung des § 50d Abs. 10 EStG, wonach Sondervergütungen, 1 RFH v. 4.4.1939, RStBl. 1939, 854; BFH v. 28.3.1979 – I R 81/76, BStBl. II 1979, 447; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; Güroff in Glanegger/Güroff9, § 2 GewStG Rz. 26. 2 Vgl. den Klammerzusatz in § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG „insbesondere [...]“; BFH v. 28.3.1979 – I R 81/76, BStBl. II 1979, 447; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; Güroff in Glanegger/ Güroff9, § 2 GewStG Rz. 466; Sarrazin in L/S, § 2 GewStG Rz. 1737; Drüen in Blümich, § 2 GewStG Rz. 120. 3 § 12 AO; ein ständiger Vertreter (§ 13 AO) reicht also nicht aus. 4 BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983 77; Drüen in Blümich, § 2 GewStG Rz. 120; Güroff in Glanegger/Güroff9, § 2 GewStG Rz. 13. 5 Vgl. zu entsprechenden Qualifikationsfragen im Körperschaftsteuerrecht Rz. 14.49. 6 Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 v. 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABl. EG 1985 Nr. L 199, 1 (EWIV-VO).

698 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.82 Kap. 14

soweit abkommensrechtlich keine ausdrückliche Regelung gegeben ist, als Unternehmensgewinne gelten mit der Folge, dass diese insoweit auch in den Gewerbeertrag einzubeziehen sind (§ 7 Satz 6 GewStG). Das gilt auch für den Hinzurechnungsbetrag nach § 10 AStG (§ 7 Satz 7 GewStG)1 und für Einkünfte aus einer niedrig besteuerten ausländischen Betriebsstätte nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG (§ 7 Satz 8 GewStG).2 Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb werden ferner die in § 8 GewStG genannten Beträge hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt sind. Die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen wird sodann nach Maßgabe des § 9 GewStG gekürzt. Im außensteuerlichen Kontext ist, soweit es nicht um die Vermeidung der Doppelbesteuerung geht, auch die Hinzurechnung von Verlustanteilen an einer ausländischen Mitunternehmerschaft von Bedeutung (§ 8 Nr. 8 GewStG). Im Hinblick auf das sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG ergebende systemtragende Prinzip der Inlandsbesteuerung ist diese Hinzurechnung selbstverständlich.3 Das Gleiche gilt für die entsprechende Kürzung von Gewinnanteilen nach § 9 Nr. 2 GewStG. Schließlich ist auch die Kürzung gem. § 9 Nr. 3 GewStG um den Teil des Gewerbeertrags eines inländischen Unternehmens, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt, lediglich von deklaratorischer Bedeutung.4 Durch die Kürzung ist lediglich der Teil des Gewerbeertrags betroffen, der auf die ausländische Betriebsstätte selbst entfällt. Ist dieser Anteil negativ, führt die in § 9 Nr. 3 GewStG angeordnete Kürzung im Ergebnis zu einer Hinzurechnung.5 Die Kürzung betrifft stets nur die Teile des Gewerbeertrags, die der eigenen ausländischen Betriebsstätte des Unternehmens zuzuordnen sind.

II. Erbschaftsteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum ErbStG und BewG und zu § 4 AStG; Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, München 2017; Brüggemann/Stirnberg, Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer, 10. Aufl. Achim 2018; Eisele, Erbschafsteuerreform 2009, 2. Aufl. Herne 2009; Eisele, Erbschaftsteuerreform 2016, Herne 2017; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. München 2008; Horschitz/Groß, Erbschaft- und Schenkungsteuer, Bewertungsrecht, 19. Aufl. Stuttgart 2018; Hübner, Erbschaftsteuerreform 2009, München 2009; Moench/Hübner, Erbschaftsteuer, 3. Aufl. München 2012; Pauli/Maßbaum, Erbschaftsteuerreform 2009, Köln 2009; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 7.1 ff.; Schulte/Birnbaum, Erbschaftsteuerrecht, 2. Aufl. Heidelberg 2017; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 869 ff.

1. Anknüpfungspunkte für die Besteuerung Die deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuer6 vereinigt von ihrer Belastungswirkung her die Typenmerkmale der Steuern von Einkommen und von Vermögen gleichermaßen: Sie ist eine Steuer auf das Einkommen,7 weil sie die Bereicherung des Erben besteuert; sie ist eine Steuer auf das Vermögen, weil sie anlässlich des Vermögensübergangs die Vermögenssub-

1 2 3 4 5

Nichtanwendungsgesetz zu BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049. Durchbrechung des Territorialitätsprinzips (Prinzip der Inlandsbesteuerung). Zu Einzelheiten Güroff in Glanegger/Güroff9, § 8 Nr. 8 GewStG Rz. 2. Güroff in Glanegger/Güroff9, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 1. BFH v. 21.4.1971 – I R 200/67, BStBl. II 1971, 743; BFH v. 10.7.1974 – I R 248/71, BStBl. II 1974, 752. 6 Zum Folgenden Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 8.1 ff. 7 Im Sinne eines Reinvermögenszugangs.

Schaumburg | 699

14.82

Kap. 14 Rz. 14.82 | Materielles Steuerrecht

stanz besteuert.1 Diese besondere steuersystematische Qualifikation beruht darauf, dass durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 – 3 ErbStG der Vermögensanfall, der sich von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden vollzieht, besteuert wird und durch § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in Zeitabständen (30 Jahre) das Vermögen von inländischen Familienstiftungen und Familienvereinen erfasst wird. Unter dem Gesichtspunkt des Vermögensanfalls beim Empfänger ist es gerechtfertigt, die deutsche Erbschaftsteuer als Bereicherungssteuer2 oder als Erbanfallsteuer3 zu bezeichnen, die ihre Legitimation aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip herleitet.4

14.83

Die gesetzliche Ausgestaltung als Erbanfallsteuer artikuliert sich im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht in zwei persönlichen Anknüpfungspunkten: Es sind dies der Erblasser/Schenker sowie der Erwerber, soweit es sich um Inländer handelt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

14.84

Ist Steuerobjekt nicht der Vermögensanfall (§ 1 Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG), sondern das Vermögen von inländischen Familienstiftungen und Familienvereinen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG), wird nur an die Stiftung bzw. an den Verein angeknüpft. Insoweit ist die Erbschaftsteuer keine Erbanfallsteuer, sondern eine in periodischen Abständen (30 Jahre) zu erhebende Steuer auf das Vermögen (Substanzsteuer).5 Diese Ersatzerbschaftsteuer steht außerhalb der grundlegenden Besteuerungskonzeption des Erbschaftsteuergesetzes und führt damit zwar zu einem Systembruch, nicht aber zu deren Verfassungswidrigkeit.6

14.85

Sind die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG) gegeben, wird grundsätzlich der weltweite Vermögensanfall bzw. das weltweite Vermögen der Besteuerung unterworfen. Hierdurch verwirklicht sich das Welteinkommens-/Weltvermögensprinzip. Einschränkungen ergeben sich lediglich aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen.7

14.86

Sind Erblasser/Schenker und Erwerber keine Inländer, kommt im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nur eine räumliche Anknüpfung für die Besteuerung in Betracht. Diese setzt voraus, dass der Vermögensanfall in Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG besteht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), wobei ein Schuldenabzug nur eingeschränkt (§ 10 Abs. 6 ErbStG) und eine 1 Für Steuer vom Einkommen: Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 872 ff.; Seer in T/L23, § 15 Rz. 2; Gottschalk in T/G/J/G, Einführung ErbStG Rz. 15; für Substanzsteuer aus der Sicht des übertragenen Vermögens Seer, GmbHR 2002, 873 (874); für Verkehrsteuer: BFH v. 22.9.1982 – II R 61/80, BStBl. II 1983, 179; BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258; BFH v. 9.7.2009 – II R 47/07, BStBl. II 2010, 74; BFH v. 9.12.2009 – II R 22/08, BStBl. II 2010, 363; BFH v. 25.1.2017 – II R 26/16, BStBl. II 2018, 199; für Sollertragsteuer: Zitzelsberger in FS Ritter, 1997, 661 (665). 2 Seer in T/L23, § 15 Rz. 1; Gottschalk in T/G/J/G, Einführung ErbStG Rz. 2; Schindhelm, ZEV 1997, 8 (10), Crezelius in DStJG 22 (1999), 73 (103). 3 Seer in T/L23, § 15 Rz. 1. 4 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 873; Viskorf in V/S/W5, Einf. ErbStG Rz. 31; Meincke in DStJG 22 (1999), 39 (40 ff.); Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 26; Crezelius in FS Tipke, 1995, 403 (405); Mellinghoff in DStJG 22 (1999), 127 (135); Seer, GmbHR 2009, 225 ff.; vgl. allerdings zum Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG: BFH v. 27.9.2012 – II R 9/11, BFH/NV 2012, 1881. 5 Meincke/Hannes/Holtz17, Einf. ErbStG Rz. 1; Seer in T/L23, § 15 Rz. 35. 6 BVerfG v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BStBl. II 1983, 779; BFH v. 10.12.1997 – II R 25/94, BStBl. II 1998, 114; zur Kritik Meincke/Hannes/Holtz17, § 1 ErbStG Rz. 15 f.; Seer in T/L23, § 15 Rz. 35. 7 Erbschaftsteuerabkommen bzw. sog. große DBA, die auch die Erbschaftsteuer umfassen, hat Deutschland abgeschlossen mit Schweden und Dänemark; kleine Abkommen bestehen mit Griechenland, der Schweiz, Frankreich und den USA.

700 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.89 Kap. 14

Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer (§ 21 ErbStG) ausgeschlossen ist. Insoweit wird also das Territorialitätsprinzip verwirklicht. Für das Steuerobjekt „Vermögen“ von Familienstiftungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) ist eine bloß räumliche Steueranknüpfung nicht vorgesehen, sodass es eine beschränkte Ersatzerbschaftsteuerpflicht nicht gibt.1

2. Unbeschränkte Steuerpflicht Die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist im Gegensatz zum Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz nicht steuersubjektbezogen, sondern regelt die Reichweite der Erbschaftsteuer in dem Sinne, dass der weltweite Vermögensanfall (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 – 3 ErbStG) der Besteuerung unterworfen wird (Weltvermögensprinzip), wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.2 Unbeschränkt steuerpflichtig sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG damit nicht die in § 20 ErbStG genannten Steuersubjekte, sondern die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 – 3 ErbStG aufgeführten Steuerobjekte (Steuergegenstände). Demgegenüber ist die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG subjektbezogen: Unbeschränkt steuerpflichtig sind Familienstiftung und Familienverein; beide Steuersubjekte unterliegen der Erbschaftsteuer (§ 20 Abs. 1 ErbStG) mit der Folge, dass ihr gesamtes Weltvermögen der Erbschaftsteuer unterworfen wird.3

14.87

Die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG setzt voraus, dass an den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 – 3 ErbStG bezeichneten Vermögensübergängen ein Inländer beteiligt ist (§ 42 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) oder das Vermögen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) einer inländischen Familienstiftung oder einem inländischen Familienverein gehört (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Als Inländer gelten natürliche Personen mit Wohnsitz (§ 8 AO; Rz. 14.11) oder gewöhnlichem Aufenthalt (§ 9 AO; Rz. 14.12) sowie nichtnatürliche Personen mit Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO; Rz. 14.47) oder Sitz (§ 11 AO; Rz. 14.48) im Inland (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und d ErbStG). Damit verwirklicht das Erbschaftsteuergesetz im Rahmen der persönlichen Anknüpfung das Wohnsitzprinzip.

14.88

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG tritt die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht auch dann ein, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG) Personen sind, die sich als deutsche Staatsangehörige, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben, nicht länger als fünf Jahre lang dauernd im Ausland aufhalten (erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht). Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass die deutsche Erbschaftsteuer durch lediglich vorübergehende Wohnsitzverlegung in das Ausland umgangen werden kann.4 Im Hinblick darauf kann § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG zu den Normen zur Vermeidung von Vermögensverlagerungen gezählt werden Rz. 14.4). § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn sowohl der Erblasser (Schenker) als auch der Erwerber im Inland keinen Wohnsitz haben (zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 17.5 ff.).

14.89

1 Meincke/Hannes/Holtz17, § 2 ErbStG Rz. 18; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 46. 2 Meincke/Hannes/Holtz17, § 2 ErbStG Rz. 9. 3 Das Weltvermögensprinzip für Familienstiftungen und Familienvereine ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, aber aus dem Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; Meincke/Hannes/Holtz17, § 2 ErbStG Rz. 18. 4 So die Begründung der Regierungsvorlage zum 2. Steuerreformgesetz, BR-Drucks. 140/72.

Schaumburg | 701

Kap. 14 Rz. 14.90 | Materielles Steuerrecht

14.90

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ErbStG gelten als Inländer auch deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Körperschaft des öffentlichen Rechts stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen. Voraussetzung ist ferner, dass der Wohnsitzstaat nur eine nach den Grundsätzen der beschränkten Steuerpflicht entsprechende Erbschaftsteuer erhebt.

14.91

Sind diese Voraussetzungen gegeben, erstreckt sich die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht auch auf die zum Haushalt gehörenden Angehörigen, soweit diese die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Vorschrift greift erst nach Ablauf von fünf Jahren nach Aufgabe des letzten inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes1 ein, weil zuvor die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG vorrangig ist.2

14.92

Die in § 1 Abs. 1 ErbStG genannten Erwerbe bilden das Steuerobjekt, nämlich – der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG); – Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG); – Zweckzuwendungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG); – das Vermögen von Familienstiftungen und Familienvereinen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG).

14.93

Die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht gilt für den gesamten Vermögensanfall (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Es kommt daher grundsätzlich nicht darauf an, ob es sich um Inlands- oder um Auslandsvermögen handelt (Weltvermögensprinzip).3 Der Umfang des Vermögensanfalls ist indessen unterschiedlich. Ist der Erblasser ein Inländer, so sind sämtliche Erwerbe aus seinem Nachlass und alle sonstigen Vermögensanfälle, die nach § 3 ErbStG als von ihm zugewendet gelten, steuerpflichtig.4 Entsprechendes gilt für die Schenkung unter Lebenden: Hier sind die unentgeltlichen Zuwendungen in vollem Umfang steuerpflichtig.

14.94

Soweit § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG den gesamten Vermögensanfall in die unbeschränkte Steuerpflicht einbezieht, ist damit das Nettovermögen gemeint. Dieses Nettoprinzip5 artikuliert sich insbesondere in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, wonach für Zwecke der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs auf die Bereicherung, d.h. auf das Bruttovermögen unter Berücksichtigung der gesetzlich zugelassenen Abzugsposten6 sowie der dort genannten Befreiungen und Freibeträge,7 abzustellen ist.8 Zu den in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG genannten Befreiungen und Freibeträgen gehören insbesondere die für Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftliches 1 Nach h.M. kommt es auf den inländischen gewöhnlichen Aufenthalt nicht an; vgl. etwa Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG, Rz. 21. 2 Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 28. 3 Für Diplomaten und Konsuln ergeben sich allerdings Einschränkungen des Welteinkommens-/ Weltvermögensprinzips aufgrund des WÜD und WÜK; vgl. zu Einzelheiten Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 31 ff. 4 Meincke/Hannes/Holtz17, § 2 ErbStG Rz. 8. 5 Hierzu Seer in T/L23, § 15 Rz. 124. 6 Nach Meincke/Hannes/Holtz17, § 10 ErbStG Rz. 2 „Nettobetrag I“. 7 Nach Meincke/Hannes/Holtz17, § 10 ErbStG Rz. 2 „Nettobetrag II“. 8 Damit wird zugleich der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) entsprochen; vgl. EuGH v. 11.12.2003 – C-364/01, ECLI:EU:C:2003:665 – Barbier, EuGHE 2003, I-15013, EuGH v. 11.9.2008 – C-11/07, ECLI:EU:C:2008:489 – Eckelkamp, IStR 2008, 697; EuGH v. 11.9.2008 – C-43/07, ECLI:EU:C:2008:490 – Arens-Sikken, IStR 2008, 700; EuGH v. 17.10.2013 – C-181/12, ECLI:EU: C:2013:662 – Welte, ISR 2014, 25 m. Anm. Felten = ErbStB 2014, 32 m. Anm. Esskandari/Bick.

702 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.97 Kap. 14

Vermögen und für Beteiligungen an Kapitalgesellschaften vorgesehenen Vergünstigungen, die sowohl einen Verschonungsabschlag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) als auch jenseits dessen Reichweite einen degressiv ausgestalteten Abzugsbetrag von höchstens 150.000 Euro (§ 13a Abs. 2 ErbStG) beinhalten. Der Verschonungsabschlag bezieht sich nur auf begünstigtes Vermögen (§ 13b ErbStG), wozu nur inländisches und in EU-/EWR-Staaten belegenes Vermögen gehört (§ 13b Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 ErbStG).1 Drittstaatenvermögen ist somit von vornherein der Begünstigung entzogen, es sei denn, es wird mittelbar über begünstigungsfähige Bewertungseinheiten des § 13b Abs. 1 Nr. 1–Nr. 3 ErbStG gehalten.2 Das gilt insbesondere für Anteile an Kapitalgesellschaften in Drittstaaten, die durch Einbringung in EU-/EWR-Kapitalgesellschaften oder durch Zuzug in den Begünstigungsrahmen gelangen können. Ist nur der Erwerber, etwa der Erbe oder der Beschenkte, ein Inländer, so erstreckt sich die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht nicht auf den gesamten Vermögensanfall, sondern nur auf das Vermögen, das von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden auf den inländischen Erwerber übergeht. Diese Eingrenzung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 ErbStG, sie ist aber nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift geboten. Die persönlichen Anknüpfungspunkte des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bestimmen die Reichweite der unbeschränkten Steuerpflicht nämlich nur in dem Sinne, dass das bei den dort genannten inländischen Erwerbern weltweit anfallende Vermögen der Erbschaftsteuer zu unterwerfen ist. Das bei ausländischen Erwerbern anfallende Vermögen unterliegt dagegen nicht der unbeschränkten Steuerpflicht, wenn Erblasser oder Schenker keine Inländer sind.

14.95

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG tritt die in § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG geregelte Ersatzerbschaftsteuerpflicht nur ein, wenn die Stiftung oder der Verein ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben. Über die Reichweite dieser Ersatzerbschaftsteuerpflicht, darüber, ob neben dem Inlandsvermögen auch Auslandsvermögen erfasst wird, trifft das Gesetz keine ausdrückliche Regelung. Da indessen inländischer Sitz und Ort der Geschäftsleitung die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht markieren und hierfür grundsätzlich das Weltvermögensprinzip gilt, ist § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG in Abgrenzung zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG im Sinne einer unbeschränkten Ersatzerbschaftsteuerpflicht auszulegen, sodass auch ausländisches Vermögen erfasst wird (zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 17.4 ff.).3

14.96

3. Beschränkte Steuerpflicht Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG tritt die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht in allen anderen Fällen ein, in denen weder der Erblasser (Schenker) noch der Erwerber Inländer sind. Es handelt sich damit um eine Auffangvorschrift, die im Hinblick auf die für die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht maßgebliche Doppelanknüpfung Erblasser (Schenker) und Erwerber und die zeitliche Ausdehnung durch die erweiterte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht in der Praxis keine sehr große Bedeutung hat und zudem nicht für ausländische Familienstiftungen gilt, die im Inland weder Sitz noch Ort der Geschäftsleitung haben.4 Die beschränkte 1 Damit wird im Ergebnis insoweit europarechtlichen Vorgaben entsprochen; vgl. EuGH v. 25.10.2007 – C-464/05, ECLI:EU:C:2007:631 – Geurts und Vogten, EuGHE 2007, I-9344; EuGH v. 17.1.2008 – C-256/06, ECLI:EU:C:2008:20 – Jäger, EuGHE 2008, I-140. 2 Jülicher in T/G/J/G, § 13b ErbStG Rz. 68; Hübner, Ubg 2009, 1 (8); von Oertzen in JbFStR 2008/ 09, 97 (189). 3 Meincke/Hannes/Holtz17, § 2 ErbStG Rz. 18; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 46. 4 Es gibt also keine beschränkte Steuerpflicht bei der Ersatzerbschaftsteuer; vgl. Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 46; Meincke/Hannes/Holtz17, § 2 ErbStG Rz. 18.

Schaumburg | 703

14.97

Kap. 14 Rz. 14.97 | Materielles Steuerrecht

Steuerpflicht erstreckt sich zudem nur auf den Vermögensanfall, der Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG betrifft.

14.98

§ 121 BewG enthält einen numerus clausus derjenigen Vermögensgegenstände, die zum Inlandsvermögen zählen. Vermögensgegenstände, die dort nicht aufgeführt sind, etwa Bankoder Sparguthaben und Wertpapierdepots bei inländischen Kreditinstituten, nicht dinglich gesicherte Forderungen gegen inländische Schuldner, gehören somit nicht zum Inlandsvermögen. Daher sind auch der auf Geld gerichtete Pflichtteilsanspruch, selbst wenn er gegen einen inländischen Erben gerichtet ist, sowie ein Geldvermächtnis, auch wenn es aus einem Nachlass zu entrichten ist, der nur aus Inlandsvermögen besteht, nicht beschränkt erbschaftsteuerpflichtig.1 Für Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften wird § 121 BewG allerdings durch § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG erweitert (zu diesbezüglichen Pflichtverletzungen Rz. 17.21 ff.).

14.99

§ 121 BewG enthält einen Katalog von Vermögensgruppen, der in etwa dem in § 49 Abs. 1 EStG aufgeführten Einkünftekatalog entspricht.2 Obwohl das Bewertungsgesetz für die Qualifizierung von Inlandsvermögen keine ausdrückliche Bestimmung enthält, wird seitens der Rechtsprechung gleichwohl eine dem § 49 Abs. 2 EStG entsprechende allgemeingültige isolierende Betrachtungsweise angenommen.3 Welcher der in § 121 BewG aufgezählten Vermögensarten Wirtschaftsgüter zuzuordnen sind, ist daher danach zu entscheiden, wie sich diese Wirtschaftsgüter vom Inland aus gesehen darstellen.4 Bei der Qualifizierung dieser Wirtschaftsgüter ist auf die Begriffe und Maßstäbe des deutschen Rechts abzustellen. Ausländische Rechtsinstitute sind den vergleichbaren deutschen Rechtsinstituten gleichzustellen.5

14.100

Das Inlandsvermögen (§ 121 BewG) umfasst folgende Vermögensgruppen: – inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen; – inländisches Grundvermögen; – inländisches Betriebsvermögen; – Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften; – Patente, Gebrauchsmuster und Topografien; – Wirtschaftsgüter, die einem inländischen gewerblichen Betrieb überlassen sind; – grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen; – Forderungen aus stiller Beteiligung und partiarischem Darlehen; – Nutzungsrechte am Inlandsvermögen.

1 Meincke/Hannes/Holtz17, § 2 ErbStG Rz. 21; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 67 ff.; SchienkeOhletz in vO/L, § 2 ErbStG Rz. 58, 59a. 2 Die Parallelität von § 49 Abs. 1 EStG und § 121 Abs. 2 BewG ist unter dem Gesichtspunkt, dass die Erbschaftsteuer auch eine Steuer auf das Einkommen ist, durchaus konsequent. 3 BFH v. 2.9.1953 – III 105/53 S, BStBl. III 1953, 324; BFH v. 20.1.1959 – I 112/57 S, BStBl. III 1959, 133; BFH v. 30.1.1981 – III R 116/79, BStBl. II 1981, 560; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 49. 4 Noll in Flick/Piltz2, Rz. 1285. 5 BFH v. 20.7.1960 – II 262/57 U, BStBl. III 1960, 385; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 8.18 ff.

704 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.104 Kap. 14

Durch § 4 AStG wird die beschränkte Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) über die in § 121 BewG genannten Wirtschaftsgüter hinaus auf alle Vermögenswerte ausgedehnt, deren Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht zu den ausländischen Einkünften i.S.d. § 34c Abs. 1 EStG gehören. Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht, die auf den Erblasser oder Schenker abstellt, setzt voraus, dass weder Erblasser (Schenker) noch Erwerber Inländer sind. Die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht betrifft ausgewanderte natürliche Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit unter den gleichen Voraussetzungen wie die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG).

14.101

Die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht ist sowohl der unbeschränkten als auch der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht gegenüber subsidiär.1 Soweit es daher zu Überschneidungen zwischen der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht einerseits und der erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht andererseits kommt, tritt die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht zurück. Ist also der Erblasser (Schenker) deutscher Staatsangehöriger, wird im Regelfall die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht nur für die Zeit zwischen Ablauf der Fünfjahresfrist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG und Ablauf des Zehnjahreszeitraums nach § 2 Abs. 1 AStG eingreifen, sofern auch die Erwerber nicht Inländer sind und für den Erwerb im Ausland nicht eine entsprechende Steuer in Höhe von mindestens 30% der deutschen Erbschaftsteuer zu entrichten ist (§ 4 Abs. 2 AStG).2

14.102

§ 4 Abs. 1 Satz 1 AStG enthält eine Anknüpfung an die Tatbestandsmerkmale des für die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht maßgebenden § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG. Eine erweitert beschränkte Erbschaftsteuerpflicht setzt demnach insbesondere Folgendes voraus:

14.103

– Der Erblasser oder Schenker muss eine natürliche Person (gewesen) sein, die in den letzten zehn Jahren vor der Auswanderung als Deutscher insgesamt mindestens fünf Jahre lang unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war; – der Erblasser oder Schenker muss(te) in einem ausländischen Gebiet ansässig sein, in dem er mit seinem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung von Einkommen (§ 2 Abs. 2 AStG) unterliegt (unterlag); – der Erblasser oder Schenker muss(te) unmittelbar oder mittelbar wesentliche wirtschaftliche Interessen (§ 2 Abs. 3 und 4 AStG) im Inland haben. Über das Inlandsvermögen gem. § 121 BewG hinaus wird daher noch folgendes erweitertes Inlandsvermögen erfasst:3 1. Kapitalforderungen gegen Schuldner im Inland; 2. Spareinlagen und Bankguthaben bei Geldinstituten im Inland; 3. Aktien und Anteile an Kapitalgesellschaften, Investmentfonds und offenen Immobilienfonds sowie Geschäftsguthaben bei Genossenschaften im Inland; 4. Ansprüche auf Renten und andere wiederkehrende Leistungen gegen Schuldner im Inland sowie Nießbrauchs- und Nutzungsrechte an Vermögensgegenständen im Inland; 5. Erfindungen und Urheberrechte, die im Inland verwertet werden; 6. Versicherungsansprüche gegen Versicherungsunternehmen im Inland; 1 H.-U. Viskorf in V/S/W6, § 2 ErbStG Rz. 38; Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 7. 2 Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 7; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 81. 3 BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 4.1.1.

Schaumburg | 705

14.104

Kap. 14 Rz. 14.104 | Materielles Steuerrecht

7. bewegliche Wirtschaftsgüter, die sich im Inland befinden; 8. Vermögen, dessen Erträge nach § 5 AStG der erweiterten beschränkten Steuerpflicht unterliegen; 9. Vermögen, das nach § 15 AStG dem erweitert beschränkt Steuerpflichtigen zuzurechnen ist.

III. Verkehrsteuern Literatur (Gesamtdarstellungen): Bruschke, Grunderwerbsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, 7. Aufl. Achim 2016; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, §§ 17, 189; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Verkehrsteuern, 18. Aufl. Berlin 2013; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Kap. 10 u. 11.

1. Überblick 14.105

Zu den Verkehrsteuern, die an Verkehrs- und Realakte, insbesondere an Umsätze, anknüpfen, gehören die Umsatz-, Grunderwerb-, Versicherung-, Feuerschutz-, Renn-, Wett- und Lotterie-, Kraftfahrzeug- und Luftverkehrsteuer, die von ihrer Belastungswirkung her als Steuern auf die Einkommensverwendung Verbrauchsteuercharakter haben.1 Während das Umsatzsteuergesetz im Hinblick auf das prägende Bestimmungslandprinzip international steuerrechtliche Bezüge aufweist, sind die speziellen Verkehrsteuern im Wesentlichen binnenorientiert. Allerdings erfasst das Grunderwerbsteuergesetz tatbestandlich auch ausländische Rechtsvorgänge, zu denen etwa Änderungen im Gesellschafterbestand ausländischer Gesellschafter (§ 1 Abs. 2a GrEStG) und ausländische Anteilsvereinigungen (§ 1 Abs. 3 GrEStG) gehören. Im Hinblick darauf beschränkt sich der nachfolgende Überblick auf die Umsatzsteuer,2 die Grunderwerbsteuer und auf übrige Verkehrsteuern, soweit sie im internationalen Kontext Bedeutung haben.

2. Umsatzsteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum UStG; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 17 Rz. 1 ff., 392 ff.; Hummel, Umsatzsteuerrecht bei Auslandsbeziehungen, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 14.1 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, 4. Aufl. München 2009; Kurz/Meissner, Umsatzsteuer, 19. Aufl. Stuttgart 2020; Lippross, Umsatzsteuer, 24. Aufl. Achim 2017; Möller, Umsatzsteuerrecht, Stuttgart 2017; Reiß, Umsatzsteuerrecht, 18. Aufl. Münster 2020; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Verkehrsteuern, 18. Aufl. Berlin 2013; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 10.1 ff.; Seer, Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, DStJG 32 (2009); Sikorski, Umsatzsteuer im Binnenmarkt, 10. Aufl. Herne 2018; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 967 ff.; Wäger, UStG, Köln 2020.

a) Steuerbare Umsätze

14.106

Die in § 1 Abs. 1 UStG bezeichneten Umsätze unterliegen der Umsatzsteuer nur dann, wenn sie im Inland ausgeführt werden. Zum Inland zählt das Landgebiet, das Seegebiet innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone (Küstenmeer) sowie der Untergrund unter beiden und der Luftraum darüber, mit Ausnahme der Gemeinde Büsingen (Hochrhein), der Insel Helgoland, der Freihäfen, der Gewässer und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie 1 Vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, § 10 Rz. 1 ff., § 11 Rz. 1 ff. 2 Hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 10.1 ff.

706 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.109 Kap. 14

sowie der deutschen Schiffe und der deutschen Luftfahrzeuge in Gebieten, die zu keinem Zollgebiet gehören (§ 1 Abs. 2 UStG). Zu diesen steuerbaren Umsätzen gehören Lieferungen, Gegenstandsentnahmen, Personalzuwendungen, sonstige Leistungen, Nutzungsentnahmen, die Einfuhr und der innergemeinschaftliche Erwerb. Im Hinblick auf die für die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb notwendige Differenzierung zwischen Drittlandsgebiet und Gemeinschaftsgebiet enthält § 1 Abs. 2a UStG eine Aufzählung zum Gemeinschaftsgebiet gehörenden Mitgliedstaaten einschließlich einiger für sie geltenden Besonderheiten.1 § 3 Abs. 1 UStG bezeichnet als Lieferungen Leistungen eines Unternehmers, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Der unter der Kurzformel „Verschaffung der Verfügungsmacht“ allgemein verwendete Lieferbegriff ist dann erfüllt, wenn der Abnehmer wie ein Eigentümer über den Liefergegenstand verfügen kann.2

14.107

Lieferungen sind nur dann steuerbar, wenn sie im Inland ausgeführt werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Der Ort der Lieferung richtet sich gem. § 3 Abs. 5a UStG, vorbehaltlich der §§ 3c, 3e und 3g UStG, nach § 3 Abs. 6–8 UStG.3 Im Verhältnis zu den anderen Vorschriften enthält § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG die für die Ortsbestimmung maßgebliche Grundregel. Der Lieferort ist nach dieser Grundregel dort, wo sich der Gegenstand der Lieferung zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.4

14.108

Von der systematischen Grundregel des § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG gibt es für Transportlieferungen folgende Abweichungen:

14.109

– Beförderungs- und Versendungsort, d.h. der Lieferort ist dort, wo sich der Liefergegenstand zu Beginn der Beförderung bzw. bei Übergabe an den Beauftragten (Versendung) befindet (§ 3 Abs. 6 UStG); – Empfängerort für innergemeinschaftliche Versandverkäufe an private Endverbraucher und bestimmte andere nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Abnehmer (§ 3c Abs. 1 UStG) und für die Lieferung von Gas, Elektrizität, Wärme oder Kälte an Wiederverkäufer (§ 3g Abs. 1 Satz 1 UStG);5 – Abgangsort für Lieferungen von Gegenständen oder die Ausführung von Restaurationsleistungen während einer Beförderung innerhalb des Gemeinschaftsgebiets an Bord eines Schiffes, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn (§ 3e Abs. 1 UStG); 1 Vgl. die Aufzählung in Abschn. 1.10 Abs. 1 UStAE. 2 Einzelheiten bei Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 501 ff.; Leonard/Robisch in Bunjes19, § 3 UStG Rz. 51 ff.; Fritsch in R/K/L, § 3 UStG Rz. 116 ff.; aus der Rspr. des EuGH: EuGH v. 6.2.2003 – C185/01, ECLI:EU:C:2003:73 – Auto Lease Holland, BStBl. II 2004, 573 = UR 2003, 137; EuGH v. 15.12.2005 – C-63/04, ECLI:EU:C:2005:773 – Centralan Property, EuGHE 2005, I-11087 = UR 2006, 418; vgl. auch BFH v. 21.4.2005 – VR 11/03, BStBl. II 2007, 63. 3 Das JStG-E enthält in § 3 Abs. 3a UStG-E sowie in § 3 Abs. 6b KStG-E Sonderregelungen für den elektronischen Geschäftsverkehr sowie für Terminkäufe (BT-Drucksache 19/22850). 4 In den wichtigsten Fällen des Beförderns und Versendens (Transportlieferungen) ist der Ort der Lieferung dort, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes an den Abnehmer beginnt (§ 3 Abs. 6 UStG); § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG gilt daher nur für Lieferbeziehungen, denen keine Warenbewegung zugrunde liegt (ruhende Lieferungen), sodass § 3 Abs. 6 UStG in der Praxis den Regelfall und § 3 Abs. 7 UStG den Ausnahmefall normiert; hierzu Wäger in Wäger, UStG, § 3 UStG Rz. 226 f.; Fritsch in R/K/L, § 3 UStG Rz. 437 f. 5 Der Empfängerort soll zukünftig auch für Fernverkäufe gelten (§ 3c UStG-E).

Schaumburg | 707

Kap. 14 Rz. 14.109 | Materielles Steuerrecht

– Verbrauchsort für die Lieferung von Gas, Elektrizität, Wärme oder Kälte an Nichtunternehmer und Unternehmer für den eigenen Verbrauch (§ 3g Abs. 2 UStG).

14.110

Nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG wird einer Lieferung gegen Entgelt die Entnahme eines Gegenstandes aus dem Unternehmen für Zwecke außerhalb des Unternehmens (Gegenstandsentnahme) gleichgestellt. Diese Fiktion, die sich sowohl auf die Lieferung als auch auf die Entgeltlichkeit bezieht, dient der Sicherstellung der Besteuerung des Letztverbrauchs, womit zugleich dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer entsprochen wird.1 Wie sich aus § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG ergibt, ist die Regelung darauf angelegt, einen vorgenommenen Vorsteuerabzug zu neutralisieren.2 Ort der Gegenstandsentnahme ist stets der Unternehmensort (§ 3f UStG).

14.111

Für Personalzuwendungen, also für die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstandes durch einen Unternehmer an sein Personal für dessen privaten Bedarf wird die Entgeltlichkeit der Lieferung fingiert, soweit keine bloße Aufmerksamkeit3 vorliegt (§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 UStG). Damit wird im Ergebnis auch hier der zuvor vorgenommene Vorsteuerabzug neutralisiert und zugleich ein unversteuerter Endverbrauch vermieden.4

14.112

Sonstige Leistungen sind gem. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG Leistungen, die nicht Lieferungen sind. Der wirtschaftliche Schwerpunkt der sonstigen Leistung besteht im Gegensatz zur Lieferung nicht in der Zuwendung eines Gegenstandes, sondern in der Erbringung einer Dienstleistung, in einer Nutzungsüberlassung oder in der Übertragung eines Rechtes.5 Die sonstige Leistung kann auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustandes bestehen (§ 3 Abs. 9 Satz 2 UStG).

14.113

Sonstige Leistungen sind nur dann steuerbar, wenn sie im Inland erbracht werden. Nach der Grundregel des § 3a Abs. 1 UStG ist der Unternehmensort maßgeblich, also der Ort, von dem aus das Unternehmen betrieben wird.6 Hiervon gibt es im Wesentlichen folgende Abweichungen: – Empfängerort für sonstige Leistungen,7 die an einen Unternehmer für dessen Unternehmer ausgeführt werden (§ 3a Abs. 2 UStG)8 und darüber hinaus für bestimmte sonstige Leistungen, soweit der Empfänger weder ein Unternehmen, für dessen Unternehmen die Leistung bezogen wird, noch eine nicht unternehmerisch tätige juristische Person mit Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ist (§ 3a Abs. 2 Satz 3 UStG), es sich also im Wesentlichen um Nichtunternehmer handelt, die im Drittlandsgebiet ansässig sind (§ 3a Abs. 4

1 EuGH v. 20.1.2005 – C-412/03, ECLI:EU:C:2005:47 – Hotel Scandic Gåsabäck, EuGHE 2005, I743 = UR 2005, 98; EuGH v. 27.7.2014 – C-438/13, ECLI:EU:C:2014:2093 – BCR Leasing, UR 2014, 924; BFH v. 9.12.2010 – V R 17/10, BStBl. II 2012, 53; Englisch in T/L23, § 17 Rz. 153. 2 EuGH v. 8.3.2001 – C-415/98, ECLI:EU:C:2001:136 – Bakcsi, EuGHE 2001, I-1831 = UR 2001, 149; Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 1616; Wäger in Wäger, UStG, § 3 UStG Rz. 73 ff. 3 Allgemeine Wertgrenze 60 Euro (Abschn. 1.8 Abs. 3 UStAE); für Betriebsveranstaltungen 110 Euro (Abschn. 1.8 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 UStAE. 4 Englisch in T/L23, § 17 Rz. 175, 155. 5 Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 3733. 6 Das kann auch eine Betriebsstätte sein (§ 3a Abs. 2 Satz 2 UStG); vgl. Art. 44 MwStSystRL; Art. 10, 11 MwStVO. 7 Vorbehaltlich § 3a Abs. 3–8, §§ 3b und 3e UStG (§ 3a Abs. 2 Satz 1 UStG). 8 Das kann auch am Ort der Betriebsstätte sein.

708 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.114 Kap. 14

UStG) und für bestimmte auf elektronischem Weg vom Drittlandsgebiet aus erbrachte sonstige Leistungen für private Zwecke (§ 3a Abs. 5 UStG); – Grundstücksort für sonstige Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück1 (§ 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG); – Übergabeort für die kurzfristige Vermietung eines Beförderungsmittels (§ 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG);2 – Tätigkeitsort für kulturelle, künstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende, sportliche, unterhaltende oder ähnliche Leistungen einschließlich der Leistungen der jeweiligen Veranstalter (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a UStG), Restaurationsleistungen (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b UStG), für Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und die Begutachtung dieser Gegenstände (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c UStG)3 sowie für die Einräumung der Eintrittsberechtigung zu kulturellen, künstlerischen, wissenschaftlichen etc. Veranstaltungen, wie Messen und Ausstellungen sowie die damit zusammenhängenden sonstigen Leistungen an einen Unternehmer für dessen Unternehmen oder an eine nicht unternehmerisch tätige juristische Person mit Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (§ 3a Abs. 3 Nr. 5 UStG); – Umsatzort für Vermittlungsleistungen, wenn der Auftraggeber weder ein Unternehmer ist, für dessen Unternehmen die Leistung bezogen wird, noch eine nicht unternehmerisch tätige juristische Person mit Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (§ 3a Abs. 3 Nr. 4 UStG);4 – Nutzungsort für die Vermietung eines Beförderungsmittels von einem im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmer, soweit das Fahrzeug im Inland genutzt wird (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 UStG), für bestimmte sonstige Leistungen von Unternehmern im Drittlandsgebiet an im Inland ansässige juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 UStG) und für Telekommunikationsdienstleistungen und Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, die von einem im Drittland ansässigen Unternehmer erbracht werden (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 UStG). Darüber hinaus enthalten Sonderregelungen weitere Bestimmungsorte, insbesondere den – Beförderungsort, wonach im Grundsatz die Beförderungsleistung dort ausgeführt wird, wo sie bewirkt wird, sodass bei grenzüberschreitenden Beförderungen der auf das Ausland entfallende Teil der Beförderung nicht zur Steuerbarkeit führt (§ 3b Abs. 1 UStG); – Tätigkeitsort für an Nichtunternehmer erbrachte selbständige sonstige Leistungen, soweit sie das Beladen, Entladen und Umschlagen von Waren betreffen (§ 3b Abs. 2 UStG);5 – Abgangsort für an Nichtunternehmer erbrachte grenzüberschreitende innergemeinschaftliche Beförderungen (§ 3b Abs. 3 UStG) sowie für Restaurationsleistungen während einer Beförderung an Bord eines Schiffes, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn (§ 3e UStG);

1 2 3 4 5

Zum Grundstückbegriff Abschn. 3a.3 Abs. 2 UStAE. Vgl. Art. 38, 40 MwStVO. Vgl. Art. 59a Buchst. B MwStSystRL. Vgl. Art. 30 MwStVO. Soweit sie als Nebenleistungen zu Beförderungsleistungen erbracht werden, gilt der Beförderungsort (§ 3b Abs. 1 UStG).

Schaumburg | 709

14.114

Kap. 14 Rz. 14.114 | Materielles Steuerrecht

– Unternehmensort für in eigenem Namen erbrachte Reiseleistungen, bei denen Reisevorleistungen in Anspruch genommen werden (§ 25 Abs. 1 UStG).

14.115

Nutzungsentnahmen (Verwendungsentnahmen) werden einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt (§ 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG). Diese Fiktion ist darauf gerichtet, die Besteuerung des Letztverbrauchs durch Neutralisierung eines zuvor vorgenommenen Vorsteuerabzugs sicherzustellen.1 Zu den Nutzungsentnahmen zählt insbesondere die private Nutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Fahrzeugs durch den Unternehmer sowie die private Nutzung von Telefonanlagen, Faxgeräten usw. Ort der Nutzungsentnahme ist der Unternehmensort, also der Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt (§ 3f UStG).2

14.116

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG unterliegt die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg3 der Umsatzsteuer, und zwar in der Form der Einfuhrumsatzsteuer. Was unter Einfuhr zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Umsatzsteuergesetz, sondern über § 21 Abs. 2 Satz 1 UStG aus dem Zollkodex der Union (UZK). Danach ist Einfuhr das Verbringen von Gegenständen aus einem Drittlandsgebiet zum freien Verkehr.4 Der Einfuhrtatbestand ist daher nicht erfüllt, wenn der betreffende Gegenstand im Inland einem Versandverfahren oder einer Zolllagerregelung unterliegt (zu Pflichtverletzungen bei der Einfuhr Rz. 18.76 ff.).

14.117

Die Einfuhrumsatzsteuer hat den Zweck, aus dem Drittlandsgebiet eingeführte Gegenstände, die nach dem international geltenden Bestimmungslandprinzip bei der Ausfuhr im anderen Staat von der Umsatzsteuer entlastet worden sind, auf das inländische Steuerniveau heraufzuschleusen, soweit die Einfuhr selbst nicht steuerfrei ist (§ 5 UStG). Daher entsprechen die Steuersätze der Einfuhrumsatzsteuer stets denjenigen der Umsatzsteuer selbst. Ist der Einführende ein Nichtunternehmer, so wird dieser endgültig mit der Einfuhrumsatzsteuer belastet. Damit wird der Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer Rechnung getragen. Ist der Einführende dagegen ein Unternehmer, so kann dieser die entstandene Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG).5 Zwischen der Einfuhrumsatzsteuer einerseits und der steuerbefreiten Ausfuhr ohne Vorsteuerverlust6 andererseits besteht daher ein systembedingter Zusammenhang.

14.118

Dieser Grenzausgleich funktioniert nur zwischen Staaten, die durch Steuergrenzen getrennt sind. Aus steuererhebungstechnischen Gründen wird daher bei innergemeinschaftlichen Lieferungen das Bestimmungslandprinzip im Grundsatz durch eine vergleichbare Regelung dadurch sichergestellt, dass mit der steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung ohne

1 Soweit der Vorsteuerabzug in bestimmten Fällen (§ 15 Abs. 1b UStG) ausgeschlossen oder eine Vorsteuerberichtigung (§ 15a Abs. 6a UStG) durchzuführen ist, unterbleibt die Besteuerung der Nutzungsentnahme (§ 3 Abs. 9a Nr. 1 Halbs. 2 UStG). 2 Die bis zum 17.12.2019 geltende spezielle Ortsbestimmungsregelung des § 3f UStG ist ersatzlos gestrichen worden; nunmehr gelten die allgemeinen Ortsbestimmungsregeln des § 3a UStG; vgl. hierzu Korn in Bunjes19, § 3f UStG Rz. 1 ff. 3 Es handelt sich um Zollanschlussgebiete zum freien Verkehr. 4 Vgl. Abschn. 15.8 Abs. 2 UStAE. 5 Die Einfuhrumsatzsteuer muss nicht entrichtet sein; vgl. EuGH v. 29.3.2012 – C-414/10, ECLI: EU:C:2012:183 – Véleclair, UR 2012, 602; dem folgend § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG 6 Entsprechend § 4 Nr. 1a, § 15 Abs. 3 Nr. 1a UStG.

710 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.123 Kap. 14

Vorsteuerverlust1 in dem einen Mitgliedstaat die Erwerbsteuer2 in dem anderen Mitgliedstaat korrespondiert. Der innergemeinschaftliche Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG) dient der Umsetzung des Bestimmungslandprinzips. Die Besteuerung des Erwerbs korrespondiert nämlich mit der Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG) in dem anderen Mitgliedstaat.3 Dementsprechend knüpft der Erwerbstatbestand mit seiner durch § 1a UStG gefundenen begrifflichen Ausprägung an den Liefertatbestand (§ 3 Abs. 1 UStG) an. Diese Anknüpfung (§ 1a Abs. 1 Nr. 3 UStG) findet ihre Rechtfertigung insbesondere darin, dass Erwerb und Lieferung grundsätzlich auf dem Vollzug desselben Rechtsgeschäfts beruhen.4 Einen Gegenstand erwirbt daher stets der, dem die Verfügungsmacht an dem Gegenstand verschafft wird.

14.119

Nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 UStG ist ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt5 gegeben, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

14.120

– eine grenzüberschreitende Lieferung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes, insbesondere in das Inland (§ 1 Abs. 2a UStG) oder eine Lieferung aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in die in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete (§ 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG); – ein Unternehmer, der für sein Unternehmen erwirbt (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG), oder eine juristische Person, die für ihren nichtunternehmerischen Bereich erwirbt (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG), und – ein Unternehmer, der die Lieferung an den Erwerber im Rahmen seines Unternehmens ausführt und hierfür nicht eine Steuerbefreiung für Kleinunternehmer (entsprechend § 19 Abs. 1 UStG) in Anspruch nimmt (§ 1a Abs. 1 Nr. 3 UStG). Durch § 1a Abs. 2 UStG wird ein weiterer Tatbestand mittels Fiktion dem innergemeinschaftlichen Erwerb gegen Entgelt gleichgestellt: das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat (§ 1a Abs. 2 UStG).

14.121

Die Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb (Erwerbsteuer) erfüllt damit den gleichen Zweck wie die Umsatzsteuer auf die Einfuhr (Einfuhrumsatzsteuer): Im Anschluss an die steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung in dem anderen Mitgliedstaat bewirkt die Erwerbsteuer die Heraufschleusung der von EU-Umsatzsteuer entlasteten Ware auf inländisches Steuerniveau. Die Erwerbsteuer verwirklicht damit ebenso das Bestimmungslandprinzip wie die Einfuhrumsatzsteuer.

14.122

Ausnahmen hiervon enthalten ab 1.1.2020 § 1a Abs. 2a UStG in Fällen der Konsignationslagerung (§ 6b UStG) sowie § 1a Abs. 3 UStG: Ein innergemeinschaftlicher Erwerb wird danach nicht angenommen, wenn

14.123

1 2 3 4 5

Entsprechend § 4 Nr. 1b, § 15 Abs. 3 Nr. 1a UStG. Entsprechend § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG. Hierzu Englisch in T/L23, § 17 Rz. 409. Den Erwerber trifft allerdings keine Nachforschungspflicht; Robisch in Bunjes19, § 1a UStG Rz. 16. Ein unentgeltlicher innergemeinschaftlicher Erwerb ist nicht steuerbar.

Schaumburg | 711

Kap. 14 Rz. 14.123 | Materielles Steuerrecht

– die Erwerber nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Personen sind (§ 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG) und – ihr Erwerb unter einer Erwerbsschwelle von 12.500 Euro bleibt (§ 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG).1

14.124

An die Stelle der Erwerbsteuer tritt in diesem Ausnahmefall die Besteuerung des Lieferers im Ursprungs- oder im Bestimmungsland nach Maßgabe der sog. Versandhandelsregelung in § 3c UStG. § 1a Abs. 3 UStG korrespondiert daher vor allem mit § 3c Abs. 2 und 1 UStG, wonach bei Beförderungs- und Versendungslieferungen der Ort der Lieferung im Bestimmungsland liegt.

14.125

§ 1b Abs. 1 UStG bestimmt als weitere Sonderregelung, dass der Erwerb neuer Fahrzeuge nicht nur bei den in § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG bezeichneten Unternehmern und juristischen Personen, sondern auch bei allen anderen Personen, insbesondere bei Privatpersonen, der Erwerbsteuer unterliegt. Diese Vorschrift ist im Zusammenhang mit den §§ 2a und 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. §§ 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c und 15 Abs. 4a UStG zu sehen.

14.126

Weitere Ausnahmen von der Erwerbsteuer enthält § 1c UStG: Ein innergemeinschaftlicher Erwerb liegt hiernach nicht vor, wenn aus einem anderen Mitgliedstaat an im Inland ansässige oder stationierte diplomatische Missionen oder berufskonsularische Vertretungen, zwischenstaatliche Einrichtungen sowie an fremde NATO-Streitkräfte für deren nichtunternehmerische Bereiche geliefert wird (§ 1c Abs. 1 UStG).2 Das grenzüberschreitende Verbringen eines Gegenstandes durch deutsche Streitkräfte aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland für den Ge- oder Verbrauch dieser Streitkräfte gilt schließlich als innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt (§ 1c Abs. 2 UStG).

14.127

Gemäß § 3d Satz 1 UStG liegt der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs dort, wo die Beförderung oder Versendung des Liefergegenstandes endet. Dies ist grundsätzlich im Bestimmungsland.

14.128

Gemäß § 3d Satz 2 UStG wird allerdings ein inländischer Ort des Erwerbs fingiert, wenn der Liefergegenstand unter Verwendung einer deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in einen anderen Mitgliedstaat gelangt. Wird eine dortige Erwerbsbesteuerung nachgewiesen, ist die deutsche Erwerbsteuer zu erstatten. b) Steuerfreie Export-Umsätze

14.129

Die Steuerfreiheit bestimmter Exportumsätze nach Maßgabe des § 4 Nr. 1–3, 5, 6, 7 UStG bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) ermöglicht eine Entlastung von deutscher Umsatzsteuer, wodurch dem Bestimmungslandprinzip entsprochen wird. Das Bestimmungsland erhebt bei der Einfuhr eine Einfuhrumsatzsteuer sowie beim innergemeinschaftlichen Erwerb eine Erwerbsteuer mit dem Ziel, Importware auf innerstaatliches Steuerniveau hochzuschleusen. Dadurch gelangt die Ware, nur mit der Umsatzsteuer des Bestimmungslandes belastet, in die Hand des privaten Endverbrauchers.3

1 Der Erwerber kann auf die Anwendung dieser Erwerbsschwellenregelung verzichten und somit zur Erwerbsbesteuerung optieren (§ 1a Abs. 4 UStG); die Erwerbsteuer ist allerdings zwingend beim Erwerb neuer Fahrzeuge und verbrauchsteuerpflichtiger Waren (§ 1a Abs. 5 UStG). 2 Die Ausnahme gilt nicht für den Erwerb neuer Fahrzeuge (§ 1c Abs. 1 Satz 3 UStG). 3 Tehler in R/D, § 4 Nr. 1 UStG Rz. 36 f.; Englisch in T/L23, § 17 Rz. 404, 409.

712 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.133 Kap. 14

Die Steuerbefreiung von Exportumsätzen betrifft im Wesentlichen Lieferungen, nicht aber sonstige Leistungen. Hier wird das Bestimmungslandprinzip nur partiell etwa über den Empfängerort, Grundstücksort und Tätigkeitsort nach Maßgabe insbesondere des § 3a Abs. 2 und 3 UStG verwirklicht.

14.130

Folgende Steuerbefreiungen sind von Bedeutung:

14.131

– Ausfuhrlieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG); – Lohnveredelung an Gegenständen der Ausfuhr (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 7 UStG); – innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG); – Umsätze für die Seeschifffahrt und für die Luftfahrt (§ 4 Nr. 2, § 8 UStG); – grenzüberschreitende Beförderungen (§ 4 Nr. 3 UStG); – Vermittlung von Exportumsätzen (§ 4 Nr. 5 UStG); – Leistungen im Eisenbahnverkehr (§ 4 Nr. 6 Buchst. a UStG); – Lieferung eingeführter Gegenstände (§ 4 Nr. 6 Buchst. c UStG); – Fährverkehr mit Helgoland (§ 4 Nr. 6 Buchst. d UStG); – Abgabe von Speisen und Getränken auf Seeschiffen (§ 4 Nr. 6 Buchst. e UStG); – Leistungen an NATO-Streitkräfte (§ 4 Nr. 7 Buchst. a, b UStG); – Leistungen an Diplomaten und zwischenstaatliche Einrichtungen (§ 4 Nr. 7 Buchst. c, d UStG). Zu Pflichtverletzungen bei Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen Rz. 18.8 ff., Rz. 18.22 ff. Steuerfrei ist schließlich auch der innergemeinschaftliche Erwerb von bestimmten Gegenständen, deren Lieferung im Inland selbst ebenfalls steuerfrei wäre (§ 4b UStG). Darüber hinaus ist unter bestimmten Voraussetzungen auch die Einfuhr von Gegenständen von der Einfuhrumsatzsteuer befreit (§ 5 UStG).

14.132

c) Steuerschuldner Steuersubjekt und Steuerschuldner der Umsatzsteuer sind grundsätzlich Unternehmer (§§ 2; 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG). Darüber hinaus können auch Nichtunternehmer als Steuersubjekte und Steuerschuldner in Betracht kommen: – beim innergemeinschaftlichen Erwerb z.B. natürliche Personen als Privatpersonen (§ 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG); – bei einer fälschlich als innergemeinschaftlich befreite Lieferung behandelten Leistung ein privater Abnehmer (§ 13a Abs. 1 Nr. 3 UStG); – bei einer zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuer auch derjenige, der Nichtunternehmer ist (§ 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG); – beim innergemeinschaftlichen Reihengeschäft der letzte Abnehmer, wozu auch juristische Personen des öffentlichen Rechts als Nichtunternehmer zählen (§ 13a Abs. 1 Nr. 5 UStG), und schließlich Schaumburg | 713

14.133

Kap. 14 Rz. 14.133 | Materielles Steuerrecht

– im Falle der Einfuhr hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer, die auch von Nichtunternehmern (Zollschuldner) erhoben wird (§ 13a Abs. 2 UStG).

14.134

In Ausnahmefällen wird die Steuerschuldnerschaft vom Leistenden auf den Leistungsempfänger verlagert (§ 13b Abs. 5 UStG, „reverse charge“).1 Hiernach ist der Leistungsempfänger, soweit er Unternehmer oder eine juristische Person ist, Steuerschuldner für die an ihn ausgeführten steuerpflichtigen oder sonstigen Leistungen. Besonderheiten ergeben sich für im Inland nicht ansässige Unternehmer, die im Inland ausschließlich steuerfreie Umsätze ausführen und keine Vorsteuer abziehen können: Zur Erfüllung ihrer Steuererklärungspflichten2 haben sie die Möglichkeit, einen Fiskalvertreter zu bestellen (§§ 22a – 22e UStG), der die Pflichten des betreffenden ausländischen Unternehmers als eigene zu erfüllen hat (§ 22b Abs. 1 UStG). Damit ist ihm auch die eigentlich dem Unternehmer obliegende Pflicht, gesonderte Aufzeichnungen zu führen, auferlegt (§ 22b Abs. 2, 3 UStG). Dementsprechend erhält der Fiskalvertreter3 für jeden von ihm vertretenen ausländischen Unternehmer eine gesonderte Steuernummer und Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (§ 22d Abs. 1 UStG). Der Fiskalvertreter wird insbesondere in den Fällen des steuerfreien innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 4b Nr. 3; § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG) und anschließender steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b; § 6a UStG) tätig werden.4

14.135

Soweit im Ausland ansässige Unternehmer im Inland entweder keine Umsätze oder nur die folgenden Umsätze ausführen – grenzüberschreitende Beförderungsleistungen (§ 4 Nr. 3 UStG); – Lieferungen und sonstige Leistungen, für die das Reverse-Charge-Verfahren gilt (§ 13b UStG); – Beförderungsleistungen, die der Einzelbesteuerung unterliegen (§ 16 Abs. 5, § 18 Abs. 5 UStG); – innergemeinschaftliche Erwerbe und daran anschließende Lieferungen (§ 25 Abs. 2 UStG) oder – auf elektronischem Wege erbrachte sonstige Leistungen an Nichtunternehmer bei Ausübung des Wahlrechts im Sinne einer steuerlichen Erfassung in nur einem EU-Mitgliedstaat (§ 3a Abs. 5 UStG i.V.m. § 18 Abs. 4c UStG); wird ihnen die abziehbare Vorsteuer auf Antrag durch das BZSt vergütet (§ 18 Abs. 9 UStG, § 59 UStDV), wobei im Rahmen des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens zwischen im Unionsgebiet und im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmen differenziert wird.5 Sind die Voraus1 Mit Wirkung ab 1.1.2021 soll § 13b Abs. 5 KStG auf Telekommunikationsdienstleistungen erstreckt werden (§ 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG-E (UStG-E 2020)). 2 Voranmeldung: § 18 Abs. 1, 2 UStG; Steuererklärung: § 18 Abs. 3, 4, 4c UStG; Zusammenfassende Meldung für innergemeinschaftliche Warenlieferungen: § 18a UStG. 3 Gem. § 22a Abs. 2 UStG i.V.m. § 3, § 4 Nr. 9c StBerG sind hierzu befugt die steuerberatenden Berufe sowie Spediteure, Zolldeklaranten und Lagerhalter, soweit die zuletzt genannten drei Berufsgruppen nicht Kleinunternehmer (§ 19 UStG) sind. 4 Zu weiteren Einzelheiten Mondorf, BB 1997, 705 ff.; Nieskens, UR 1997, 1 (15); Lange, UR 1996, 401 ff.; Birkenfeld, DStZ 1997, 461 ff. 5 Zu Einzelheiten Abschn. 18.13 u. 18.14 UStAE, dort insbesondere zu den Einschränkungen bei im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmern; ferner Leonhard/Heidner in Bunjes19, § 18 UStG Rz. 53 ff.

714 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.138 Kap. 14

setzungen für die Anwendung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens nach § 59 UStDV nicht erfüllt, können Vorsteuerbeträge nur im allgemeinen Besteuerungsverfahren (§§ 16, 18 Abs. 1 – 4 UStG) berücksichtigt werden.1 Im Inland ansässige Unternehmer, denen in einem anderen EU-Mitgliedstaat von Unternehmen Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden, können ebenfalls beim BZSt Anträge auf Vorsteuervergütung stellen, wobei die entsprechenden Anträge nach Vorprüfung an die zuständigen ausländischen Behörden weitergeleitet werden (§ 18g UStG).2

14.136

3. Grunderwerbsteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum GrEStG; Bruschke, Grunderwerbsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, 7. Aufl. Achim 2016; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 1 ff.; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Verkehrsteuern, 18. Aufl. Berlin 2013, Rutemöller, Die umsatz- und grunderwerbsteuerliche Behandlung von Grundstücksumsätzen, Hamburg 2011; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1017 ff. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 11.6 ff.

a) Erwerbsvorgänge Die in § 1 Abs. 1 GrEStG aufgeführten Erwerbsvorgänge unterliegen der GrESt3 nur dann, wenn sie sich auf inländische Grundstücke beziehen.4 Damit gilt uneingeschränkt das grundstücksbezogene Territorialitätsprinzip. Wo hingegen das Erwerbsgeschäft abgeschlossen worden ist, spielt keine Rolle. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob an dem Erwerbsgeschäft Inoder Ausländer beteiligt sind.5 Einen Auslandsbezug weisen allerdings die Tatbestände des § 1 Abs. 2a, 3 GrEStG auf, wonach die Änderung des Gesellschafterbestands auch einer grundbesitzenden ausländischen Personengesellschaft und die Anteilsvereinigung und Anteilsübertragung einer grundbesitzenden ausländischen Personen- oder Kapitalgesellschaft eine Grunderwerbsteuer auslösen.

14.137

Folgende Erwerbsvorgänge sind von Bedeutung:

14.138

– Verpflichtungsgeschäft, als ein Rechtsgeschäft, das einen Anspruch auf Grundstücksübereignung begründet (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG);6 – Auflassung, soweit ihr kein Verpflichtungsgeschäft vorausgegangen ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG);

1 Mit Wirkung ab 1.4.2021 ist die Einführung weiterer Besteuerungsverfahren vorgesehen (§§ 18i– 18k UStG-E idF des JStG-E 2020). 2 Zu Einzelheiten BMF v. 3.12.2009 – IV B 9-S 7359/09/10001, BStBl. I 2009, 1520, Tz. 31 ff. 3 Als Steuer auf die Einkommensverwendung/Verbrauchsteuer kann es zu einer Kumulation von Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer kommen; zur europarechtlichen Unbedenklichkeit im Hinblick auf Art. 401 MwStSystRL: EuGH v. 8.7.1986 –C-73/85, ECLI:EU:C:1986:295 – Kerrutt, EuGHE 1986, 2219; BFH v. 2.4.2008 – II R 53/06, BStBl. II 2009, 544. 4 Viskorf in Boruttau19, § 2 GrEStG Rz. 21; Lieber in B/W, § 2 GrEStG Rz. 6. 5 Viskorf in Boruttau19, § 2 GrEStG Rz. 23. 6 Die hiermit verbundene frühzeitige Erhebung der Grunderwerbsteuer und die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts für Zwecke der Grundbucheintragung (§ 22 GrEStG) dient der Sicherstellung der Steuer.

Schaumburg | 715

Kap. 14 Rz. 14.138 | Materielles Steuerrecht

– Eigentumsübergang, soweit ihm kein Verpflichtungsgeschäft vorausgegangen ist und es auch keiner Auflassung bedarf (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG);1 – Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG);2 – bestimmte Zwischengeschäfte (§ 1 Abs. 1 Nr. 5-7 GrEStG); – Verschaffung der Verwertungsbefugnis (§ 1 Abs. 2 GrEStG), dem eigentlichen Grundtatbestand;3 – Änderungen im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft (§ 1 Abs. 2a GrEStG), wonach in den Fällen, in denen mindestens 95% der Anteile innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren unmittelbar oder mittelbar auf neue Gesellschafter übergehen, ein auf die Übereignung des Grundstücks gerichtetes Rechtsgeschäft auf eine neue Personengesellschaft fingiert wird (hierzu s. Rz. 19.3 ff.);4 – Anteilsvereinigung und Anteilsübertragung, wenn mindestens 95% der Anteile in der grundbesitzenden Gesellschaft in einer Hand vereinigt werden oder aber übergehen (§ 1 Abs. 3, 3a GrEStG; hierzu s. Rz. 19.14 ff.). b) Änderungen im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft

14.139

Gehen mindestens 95% der Anteile an einer grundstücksbesitzenden Personengesellschaft innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren auf neue Gesellschafter über, fingiert § 1 Abs. 2a GrEStG ein auf die Übereignung des Grundstücks gerichtetes Rechtsgeschäft auf eine neue Personengesellschaft. Erfasst werden unmittelbare und mittelbare Veränderungen im Gesellschafterbestand an in- und ausländischen Personengesellschaften gleichermaßen.5 Bei nach ausländischem Recht errichteten Gesellschaften erfolgt hierbei die Qualifikation als Personengesellschaft im Rahmen eines Typenvergleichs.6 Neben der unmittelbaren wird auch die mittelbare Änderung des Gesellschafterbestandes einer grundbesitzenden in- oder ausländischen Personengesellschaft erfasst. Angesprochen ist damit u.a. auch der Gesellschafterwechsel bei mehrstöckigen Personengesellschaften, und zwar auch dann, wenn der Gesellschafterwechsel in einer höheren Stufe einer ausländischen Personengesellschaft erfolgt.7 In diesen Fällen ist die Erhebung der Steuer allerdings strukturell schwierig.8 1 Z.B. Eigentumserwerb durch Erbgang (steuerfrei gem. § 3 Nr. 2 GrEStG), bei Umwandlung (ggf. steuerfrei gem. § 6a GrEStG) oder bei Anwachsung (ggf. teilweise steuerfrei gem. § 6 Abs. 2 GrEStG). 2 Diese frühzeitige Steueranknüpfung dient der Sicherstellung. 3 Vgl. Englisch in T/L23, § 18 Rz. 5. 4 Die Berechnungsweise ergibt sich aus § 1 Abs. 2a Sätze 2 – 5 GrEStG; vgl. zu Einzelheiten gleichlautender Ländererlass v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314. 5 Meßbacher/Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 752. 6 Meßbacher/Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 752; vgl. zum Typenvergleich Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.7, 7.14; vgl. zur nach US-amerikanischem Recht errichteten LLC: BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263; BMF v. 16.4.2010, BStBl. I, 2010, 354, Tz. 1.2. 7 Die Berechnung der 95%-Grenze beurteilt sich nach § 1 Abs. 2a Sätze 2 – 5 GrEStG mit der Folge, dass bei mittelbar beteiligten Personengesellschaften eine quotale Durchrechnung und bei mittelbar beteiligten Kapitalgesellschaften allein auf die 95%-Grenze bei derselben abzustellen ist; vgl. hierzu die Hinweise mit Beispielen im gleichlautenden Ländererlass v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314. 8 Micker, DStZ 2009, 285 (290).

716 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.142 Kap. 14

c) Anteilsvereinigung und Anteilsübertragung § 1 Abs. 3 GrEStG erfasst die Anteilsvereinigung und die Anteilsübertragung, und zwar

14.140

– die Vereinigung von mindestens 95% der Anteile einer grundbesitzenden Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 GrEStG, § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG); – die weitere Übertragung von mindestens 95% der Anteile einer grundbesitzenden Gesellschaft (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 GrEStG), und – die Vereinigung von mindestens 95% der Anteile einer grundbesitzenden Gesellschaft in der Hand eines Konzerns bzw. Organkreises (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 GrEStG). Erfasst wird nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Anteilsvereinigung1 und Anteilsübertragung, und zwar sowohl bei inländischen als auch bei ausländischen Gesellschaftern.2 Im Hinblick darauf hat im Grunderwerbsteuerrecht die internationale Organschaft Bedeutung erlangt mit der Folge, dass z.B. auch Anteilsverschiebungen auf einer im Ausland angesiedelten höheren Konzernstufe im Inland Grunderwerbsteuer auslösen können.3

14.141

d) Steuerbefreiungen Im Zusammenhang mit Änderungen im Gesellschafterbestand an in- und ausländischen Personengesellschaften (§ 1 Abs. 2a GrEStG) und der Anteilsvereinigung und Anteilsübertragung bei in- und ausländischen Gesellschaften, insbesondere Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 3 GrEStG), haben die in den §§ 5, 6 und 6a GrEStG verankerten Steuerbefreiungen besondere Bedeutung. Die §§ 5 und 6 GrEStG betreffen Übertragungsvorgänge vom Gesellschafter auf eine Personengesellschaft (Gesamthand) sowie von einer Personengesellschaft (Gesamthand) auf eine andere Personengesellschaft (Gesamthand). Die Steuerbefreiung tritt hierbei in dem Umfang nicht ein, in dem der Gesellschafter am Vermögen beteiligt ist. Die §§ 5 und 6 GrEStG sind auch bei ausländischen Personengesellschaften anwendbar, soweit diese als Gesamthandsgemeinschaften qualifiziert werden können.4 Die Steuerbefreiungen greifen nur dann ein, wenn die in § 5 Abs. 3, § 6 Abs. 4 GrEStG geregelten fünfjährigen Behaltefristen erfüllt sind. § 6a GrEStG enthält ein Konzernprivileg, wonach unter § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1, Abs. 2, 2a, 3 oder 3a GrEStG fallende Rechtsvorgänge von der Steuer freigestellt werden, soweit diese auf Umwandlungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 – 3 UmwG beruhen. Voraussetzung ist, dass an der Umwandlung ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem Unternehmen unmittelbar oder mittelbar abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Die hiernach erforderliche Mindestbeteiligungsquote von 95% muss fünf Jahre vor (Vorbehaltensfrist) und fünf Jahre nach dem Erwerbsvorgang (Nachbehaltensfrist) bestanden haben (§ 6a Satz 4 GrEStG). Diese Steuerbefreiung erfasst gleichermaßen in- und ausländische

1 Die maßgebliche Beteiligungsquote von 95% muss auf jeder Beteiligungsstufe erfüllt sein; vgl. BFH v. 25.8.2010 – II R 65/08, BStBl. II 2011, 225; gegen sog. RETT-Blocker-Strukturen (RETTBlocker – Real Estate Transfer Tax-Blocker) ist § 1 Abs. 3a GrEStG gerichtet, wonach bei unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen eine Durchrechnung verlangt wird (§ 23 Abs. 11 GrEStG); vgl. hierzu Wagner/Lieber, DB 2013, 1387 ff.; Tiede, StuB 2014, 765 ff. 2 BFH v. 5.11.2002 – II R 23/00, BFH/NV 2003, 505; BFH v. 9.4.2008 – II R 39/06, BFH/NV 2008, 1529; BFH v. 27.9.2017 – II R 41/15, BFH/NV 2018, 393; Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 962; Grotherr, BB 1994, 1972 (1973 ff.). 3 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 1131 ff.; Behrens in B/W, § 1 GrEStG Rz. 601 ff. 4 FinMin Baden-Württemberg, Erlass v. 14.1.2010 – 3 – S 451.4/25, DB 2010, 816.

Schaumburg | 717

14.142

Kap. 14 Rz. 14.142 | Materielles Steuerrecht

EU-/EWR-Rechtsträger (§ 6a Satz 2 GrEStG)1 und entsprechende Erwerbsvorgänge, welche auf Grundlage des Rechts eines EU- bzw. EWR-Staates vorgenommen worden sind.2 e) Steuerschuldner

14.143

Steuersubjekte und damit Steuerschuldner sind grundsätzlich die am Erwerbsvorgang beteiligten Vertragsteile, also Erwerber und Veräußerer (§ 13 GrEStG).3 Das gilt auch in den Fällen der Übertragung von mindestens 95% der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, 4 GrEStG). Führt die Übertragung der Anteile zu einer Anteilsvereinigung (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG), ist allein der Erwerber der Steuerschuldner (§ 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG). Bei einer Anteilsvereinigung im Organkreis sind Steuerschuldner alle Organkreismitglieder, die zusammen als Ergebnis mindestens 95% der Anteile der Gesellschaft mit Grundbesitz halten (§ 13 Nr. 5 Buchst. b GrEStG).

4. Versicherungsteuer und Feuerschutzsteuer Literatur: Kommentare zum VersStG und FeuerschStG; Crezelius, Versicherungsteuer – terra incognita des Steuerrechts?, in FS Haarmann, München 2015, 428; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 67 ff.; Grünwald, Wer bezahlt die Versicherungsteuer?, DStR 2013, 738; Hicks, Problematiken bei der Feuerschutzsteuerpflicht, UVR 1992, 48; Hicks, Abgrenzung der versicherungssteuerlichen Tatbestände von den umsatzsteuerlichen Tatbeständen, UVR 1999, 184; Hicks, Steuerbare Versicherungsverhältnisse i.S.d. §§ 1, 2 VersStG, UVR 2005, 387; Kühnast, Inländische Versicherungsteuer auf Versicherungsverhältnisse mit ausländischen Versicherungen, UVR 1989, 78; Medert, Änderungen bei der Versicherungsteuer ab 2013 im Überblick, DStR 2013, 496; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 11.20 ff.; Schlange, Deutsche Steuerhoheit bei innergemeinschaftlicher grenzüberschreitender Versicherung nur bei Belegenheit des versicherten Risikos in Deutschland, DStR 2010, 2562; Schrinner, Versicherungsteuer als Standortproblem, IFSt-Schrift 352 (1997); Strunz, Zur Doppelbesteuerung mit Versicherungsteuer in der Bundesrepublik Deutschland, DStR 2001, 777; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1029 ff.

14.144

Als Verkehrsteuer erfasst die Versicherungsteuer4 Vorgänge des Rechtsverkehrs im Rahmen von Versicherungsverhältnissen,5 wobei konkret an die Zahlung des Versicherungsentgelts angeknüpft wird.6 Steuerentrichtungsschuldner ist zwar der Versicherer (§ 7 Abs. 2 VersStG), Steuerschuldner ist aber der Versicherungsnehmer (§ 7 Abs. 1 VersStG), der die Versicherungsteuer letztlich auch wirtschaftlich zu tragen hat. Im Hinblick darauf handelt es sich von der Belastungswirkung her bei der Versicherungsteuer um eine die Einkommens- und Vermögensverwendung belastende direkte Steuer.7 Indessen belastet insbesondere die Versiche1 Zu Einzelheiten insgesamt gleichlautende Ländererlasse v. 19.6.2012, BStBl. I 2012, 662; gleichlautende Ländererlasse v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1375; vgl. hierzu auch die Anm. von Jorde/Trinkhaus, Ubg 2012, 649 ff.; Behrens, DStR 2012, 2149 ff. 2 Ergänzende Klarstellung mit Wirkung ab 7.6.2013 (§ 23 Abs. 12 GrEStG). 3 Bei rechtsgeschäftlichem Erwerb (§ 13 Nr. 1 GrEStG) besteht Gesamtschuldnerschaft. 4 Zu geplanten Änderungen des UStG vgl. den Gesetzentwurf der BReg vom 15.7.2020 (BT-Drucksache 19/21089). 5 Gambke/Flick, § 1 VersStG Rz. 2; Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 30; Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 1. 6 Schmidt, § 1 VersStG Rz. 1; Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 30. 7 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1029; Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 67; Grünwald, DStR 2013, 738; Crezelius in FS Haarmann, 2015, 429; die kumulierende Wirkung wird im Verhältnis zur Umsatzsteuer durch § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG gemildert.

718 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.147 Kap. 14

rungsteuer auf die Unfall- und Haftpflichtversicherung auch Unternehmen, ohne dass hier ähnlich wie bei der Umsatzsteuer eine Entlastung durch einen Vorsteuerabzug möglich wäre.1 Wie auch die übrigen Verkehrsteuern ist die Versicherungsteuer im Wesentlichen binnenorientiert. Ihr sind vor allem versicherte Risiken unterworfen, die im Inland belegen sind. Über dieses versicherungsteuerrechtliche Belegenheitsprinzip hinaus werden aber auch ausländische Risiken steuerlich belastet. Dies beruht auf der in § 1 Abs. 2 und 3 VersStG vorgegebenen dualen Anknüpfung,2 wonach sowohl auf personale – Ansässigkeit des Versicherungsnehmers – als auch gegenständliche – Belegenheit des versicherten Risikos – Tatbestandsmerkmale abgestellt wird. Hierbei ist zwischen Versicherern in EU-/EWR-Staaten und solchen in Drittstaaten zu unterscheiden.3

14.145

Ebenso wie die Versicherungsteuer zählt auch die Feuerschutzsteuer zu den besonderen Verkehrsteuern, obwohl sie als Zwecksteuer zur Förderung des Feuerlöschwesens und des vorbeugenden Brandschutzes erhoben wird.4 Im Unterschied zur Versicherungsteuer knüpft sie technisch nicht an die Zahlung von Versicherungsentgelten, sondern an die Entgegennahme derselben an,5 so dass nicht der Versicherungsnehmer, sondern der Versicherer Steuerschuldner ist (§ 5 FeuerschStG). Das ändert aber nichts daran, dass die Feuerschutzsteuer durch Überwälzung die Einkommens-/Vermögensverwendung seitens des Versicherungsnehmers belastet.6

14.146

Der Feuerschutzsteuer, die neben der Versicherungsteuer erhoben wird,7 unterliegen alle empfangenen Entgelte für Feuerversicherungen einschließlich Feuer-Betriebs-Unterbrechungsversicherungen, Wohngebäudeversicherungen oder Hausratversicherungen für versicherte Gegenstände, die sich bei Zahlung des Entgelts im Inland befinden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 FeuerschStG). Damit wird dem Belegenheitsprinzip entsprochen. In den Fällen von EU-/ EWR-Versicherern wird das Belegenheitsprinzip allerdings dahingehend modifiziert, dass statt der reinen Sachbelegenheit an die Risikobelegenheit angeknüpft wird.

14.147

5. Kraftfahrzeugsteuer und Luftverkehrsteuer Literatur: Kommentare zum KraftStG; Bruschke, Die neue Förderung von Dieselfahrzeugen bei der Kraftfahrzeugsteuer, UVR 2007, 219; Bruschke, Neue Besteuerung schwerer Nutzfahrzeuge, UVR 2008, 60; Eilers/Hey, Haushaltskonsolidierung ohne Kompetenzgrundlage – Finanzverfassungsrechtliche Würdigung des neuen Luftverkehrsteuergesetzes, DStR 2011, 97; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 85 ff.; Gawel, Klimaschutz durch Kfz-Besteuerung, StuW 2011, 250; Goldmann/Gutschalk, Eine Einführung in die neue Luftverkehrsteuer, ZfZ 2010, 283; Halaczynski, Ist die Luftverkehrsteuer verfassungsgemäß?, UVR 2014, 213; Kloepfer, Luftverkehrsteuer-Rechtsprobleme eines Luftverkehrsteuergesetzes, Berlin 2010; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 11, 28 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2001, 1099 f., § 18 Rz. 129. 1 Im Ergebnis handelt es sich hierbei um eine nicht zu rechtfertigende Sonder-Unternehmensteuer; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1032; Seer, ZfZ 2013, 146 (153). 2 Vgl. hierzu den Überblick bei Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 240 ff. 3 Vgl. zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 11.22 ff. 4 Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 51; Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 75; den Verkehrsteuercharakter verneinend Grünwald/Dallmayr, Einführung Rz. 1. 5 Insoweit ist die Versicherungsteuer also eine indirekte Verkehrsteuer. 6 Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 77. 7 Die Versicherungsteuer zählt allerdings nicht zum Versicherungsentgelt (§ 4 Abs. 3 FeuerschStG); die Doppelbesteuerung wird durch quotale Reduktion der Bemessungsgrundlage vermieden (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 VersStG und § 3 FeuerschStG); vgl. zu verbleibenden Steuerkumulierungseffekten Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 53.

Schaumburg | 719

Kap. 14 Rz. 14.148 | Materielles Steuerrecht

14.148

Die Kraftfahrzeugsteuer wird überwiegend als Verkehrsteuer qualifiziert, und zwar entweder als Realverkehrsteuer, weil sie an einen Akt des technischen Verkehrs anknüpft,1 oder als Rechtsverkehrsteuer, weil ihr ein Vorgang des Rechtsverkehrs auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Zulassung) zugrunde liegt.2 Indessen belastet die Kraftfahrzeugsteuer nicht nur die (private) Einkommen- und Vermögensverwendung, sondern auch den gewerblichen Einsatz von Kraftfahrzeugen, so dass insoweit die Kraftfahrzeugsteuer auch eine Unternehmensteuer ist. Wegen der Differenzierung der Steuersätze für schadstoffarme, bedingt schadstoffarme und übrige PKW (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a KraftStG) lässt sich die Kraftfahrzeugsteuer auch als umweltpolitische Lenkungsteuer legitimieren.3

14.149

Der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt grundsätzlich das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG). Zu den inländischen Fahrzeugen gehören solche, die unter die im Inland geltenden Zulassungsvorschriften fallen (§ 2 Abs. 3 KraftStG). Steuerschuldner ist stets derjenige, für den das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (§ 7 Nr. 1 KraftStG). Ob es sich hierbei um Personen handelt, die im Inland ihren Wohnsitz (§ 8 AO) oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) haben, spielt keine Rolle.

14.150

Der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt darüber hinaus auch das Halten von ausländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen, solange die Fahrzeuge sich im Inland befinden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 KraftStG). Steuerschuldner ist bei einem ausländischen Fahrzeug – also einem solchen, das im Zulassungsverfahren eines anderen Staates zugelassen ist (§ 2 Abs. 4 KraftStG) – derjenige, der das Fahrzeug im Inland benutzt (§ 7 Nr. 2 KraftStG). Die Steuerpflicht dauert hierbei solange an, wie sich das Fahrzeug im Inland befindet (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG). Um Doppelbesteuerungen zu vermeiden enthält § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 KraftStG eine Ausnahme von der Besteuerung für in anderen EU-Staaten zugelassene Nutzfahrzeuge.4 Die gleiche Zielsetzung verfolgen die in § 3 Nr. 13 – 15 KraftStG verankerten Steuerbefreiungen, wobei diejenige von besonderer Bedeutung ist, die zum vorübergehenden Aufenthalt in das Inland gelangte ausländische Pkw für die Dauer bis zu einem Jahr freistellt (§ 3 Nr. 13 KraftStG).

14.151

Ebenso wie die Kraftfahrzeugsteuer ist auch die Luftverkehrsteuer von ihrer tatbestandlichen Anknüpfung her eine Verkehrsteuer.5 Sie ist als Rechtsverkehrsteuer zu qualifizieren, weil sie an einen Rechtsvorgang anknüpft, der zum Abflug eines Fluggastes von einem inländischen Startort mit einem Flugzeug durch ein Luftfahrtverkehrsunternehmen zu einem Zielort berechtigt (§ 1 Abs. 1 LuftVStG).6 Der maßgebliche Rechtsvorgang ist hierbei in der Regel der

1 Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 102, 105. 2 BFH v. 27.6.1973 – II R 179/71, BStBl. II 1973, 807; a.A. Desens in FS Kirchhof, 2013, § 189 Rz. 31: Aufwandsteuer. 3 Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 86; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, S. 1099; Seer, ZfZ 2013, 146 (148); die Kraftfahrzeugsteuer sollte ursprünglich zudem die Beanspruchung der öffentlichen Straßeninfrastruktur abgelten, dieser Äquivalenzgedanke ist inzwischen aber überholt; vgl. hierzu Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 85. 4 Rechtsgrundlage: Richtlinie 1999/62/EG v. 17.6.1999, ABl. EG Nr. L 187, 42. 5 Der Verbrauchsteuercharakter nach Maßgabe der VStSystRL wurde verneint vom BFH v. 1.12.2015 – VII R 55/13, DStRE 2016, 497. 6 Vgl. BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 Rz. 29; Kloepfer, LuftVSt, 7 ff.; Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 99; dagegen als Aufwandsteuer qualifizierend Eilers/Hey, DStR 2011, 97 (101); Desens in FS Kirchhof, 2013, § 189 Rz. 32.

720 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.154 Kap. 14

Abschluss eines (entgeltlichen) Beförderungsvertrages.1 Von der Belastungswirkung her ist die Luftverkehrsteuer eine Steuer auf die Einkommens- oder Vermögensverwendung, da der Gesetzgeber von der Überwälzung der Steuer auf die Fluggäste ausgeht.2 Gemessen hieran kann sie aber auch als indirekte Aufwandsteuer3 qualifiziert werden.4 Die Luftverkehrsteuer erfasst im Wesentlichen Inlandsflüge und grenzüberschreitende Flüge von einem inländischen Startort (§ 1 Abs. 1 LuftVStG).

14.152

Im Hinblick auf das für die Luftverkehrsteuer spezifische Belegenheitsprinzip (inländischer Startort) spielt es keine Rolle, ob in- oder ausländische Fluggäste durch in- oder ausländische Fluggesellschaften befördert werden.

6. Rennwett- und Lotteriesteuer Literatur: Kommentare zum Rennwett- und Lotteriegesetz; Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 80 ff.; Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, München 2014; Kahle, Glücksspiele im Steuerrecht, DStZ 2011, 520; Maslaton/Sensburg, Lotteriesteuern in den neuen Medien, DStZ 2002, 24; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 11.34 ff.; Sensburg, Oddset-Sportwetten: Veranstaltung im Inland oder Vermittlung im Ausland, DStZ 2006, 189; Strahl/Eich, Der lotteriesteuerliche Begriff der Veranstaltung, UVR 2006, 246; Welz, Besteuerung von ausländischen und inländischen Lotterien nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz, UVR 2010, 308; Wernsmann/Loscher, Rennwetterlaubnis und Rennwettsteuer nach Neuregelung der Pferderennwetten, DVBl 2014, 211.

Der Rennwettsteuer (§ 10 RennwLottG) und der Sportwettensteuer (§ 17 Abs. 2 RennwLottG) unterliegen Wetten anlässlich bestimmter Sportereignisse und der Lotteriesteuer (§ 17 Abs. 1 RennwLottG) wettverwandte Spiele aus anderen Anlässen. Die im Rennwett- und Lotteriegesetz geregelten Steuern zählen zu den Verkehrsteuern,5 die vom Tatbestand her an den Abschluss eines Wettvertrages6 oder an einen Lotterie-/Ausspielvertrag anknüpfen.7

14.153

Der Rennwettsteuer unterliegt der Abschluss von Wetten aus Anlass öffentlicher Pferderennen und anderen öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde bei einem Totalisator (§ 1 Abs. 1, § 10 Abs. 1 RennwLottG) oder einem Buchmacher (§ 2 Abs. 1, § 11 Abs. 1 RennwLottG). Dementsprechend wird die Rennwettsteuer entweder als Totalisatorsteuer oder als Buchmachersteuer erhoben. Steuerschuldner sind daher die Totalisatorunternehmer, also die Vereine, die den Totalisator betreiben, an denen die Spieler ihre Wetteinsätze platzieren oder die Buchmacher, die Partei des Wettvertrages mit den Spielern sind (§ 13 Abs. 1 RennwLottG). Die territoriale Reichweite der Rennwettsteuer ist auf das Inland begrenzt mit der Folge, dass nur der Abschluss von Rennwetten im Inland eine Steuer auslöst.8

14.154

1 Vgl. BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 Rz. 30; dort auch zu der Feststellung, dass der in § 1 Abs. 2 LuftVStG fingierte Rechtsvorgang an der Qualifikation als Rechtsverkehrsteuer nichts ändert. 2 Vgl. BT-Drucks. 17/3030, 4. 3 Aufwandsteuern sind Steuern auf das Halten bzw. den Gebrauch von Gütern und Dienstleistungen; zu dieser Begriffsbildung Seer in Tipke/Lang23, § 2 Rz. 48. 4 Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 99, 102. 5 Desens in FS Kirchhof, 2013, § 189 Rz. 129: indirekte Verkehrsteuer. 6 Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, 2015, 129 f. 7 BFH v. 19.6.1996 – II R 29/95, BFH/NV 1997, 69; Kahle, DStZ 2011, 520 (524). 8 Zu Einzelheiten Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, 2015, 273 ff.; im Ergebnis ebenso Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, München 2014, Rz. 18; Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 81.

Schaumburg | 721

Kap. 14 Rz. 14.155 | Materielles Steuerrecht

14.155

Soweit Wetten aus Anlass von Sportereignissen nicht bereits der Rennwettsteuer (§ 1 RennwLottG) unterliegen, greift eine besondere Sportwettensteuer ein (§ 17 Abs. 2 RennwLottG). § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 RennwLottG knüpft an die Veranstaltung der Sportwette im Inland an, wobei auf die Gestaltung des Wettgeschehens – Festlegen der Wettquoten, Auswahl der Sportereignisse, Wettvertrag – abzustellen ist.1 Darüber hinaus werden aber auch Wettveranstaltungen im Ausland erfasst, wenn der Spieler eine natürliche Person ist und bei Abschluss des Wettvertrages seinen Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland hat oder, wenn er keine natürliche Person ist, bei Abschluss des Wettvertrages seine Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder seinen Sitz (§ 11 AO) im Inland hat (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RennwLottG). Im Ergebnis werden damit auch ausländische Veranstalter zur Sportwettensteuer herangezogen.

14.156

Die (klassische) Lotteriesteuer erfasst im Inland veranstaltete öffentliche Lotterien und Ausspielungen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG).2 Für den Inlandsbezug ist hierbei darauf abzustellen, wo die Gewinnverteilung, d.h. der Ort der Ziehung der Lose, stattfindet.3 Über § 17 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG hinaus werden aber auch im Ausland veranstaltete Lotterien und Ausspielungen mit (deutscher) Lotteriesteuer belastet, wenn die entsprechenden Lose oder Ausweise ins Inland gelangen (§ 21 RennwLottG).4

IV. Verbrauchsteuern Literatur (Gesamtdarstellungen): Bender/Möller/Retemeyer, Verbrauchsteuerstrafrecht, Regensburg (Loseblatt); Bongartz/Schroer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 17 Rz. 105 ff.; Förster, Die Verbrauchsteuern, Geschichte, Systematik, finanzverfassungsrechtliche Vorgaben, Heidelberg 1989; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Kruse, Zölle, Verbrauchsteuern, europäisches Marktordnungsrecht, DStJG 11 (1988); Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 11.40 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1037 ff., 1103 ff.

1. Kurzüberblick 14.157

Die in Deutschland erhobenen Verbrauchsteuern werden nicht unmittelbar beim Verbraucher, sondern als indirekte Steuer beim Hersteller oder Händler erhoben.5 Sie sind allerdings auf Überwälzung ausgerichtet, sodass letztlich der Verbraucher als intendierter Steuerträger 1 Birk/Brüggemann in Dietlein/Hecker/Ruttig2, § 17 RennwLottG Rz. 26; Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, München 2014, Rz. 70; Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, 2015, 172. 2 Zum Begriff der Lotterie BFH v. 19.6.1996 – II R 29/95, BFH/NV 1997, 68 (69); BFH v. 2.4.2008 – II R 4/06, BStBl. II 2009, 735 (737): Eine Lotterie liegt vor, „wenn sich jemand für eigene Rechnung einem anderen gegenüber schuldrechtlich verpflichtet, nach einem fest gesetzten Plan beim Eintritt eines ungewissen, wesentlich vom Zufall abhängigen Ereignisses dem anderen einen bestimmten Geldgewinn zu gewähren, während der andere unbedingt einen bestimmten Geldbetrag, den Einsatz, zu zahlen hat“; im Unterschied dazu kann der in Aussicht gestellte Gewinn bei der Ausspielung auch ein Sachwert sein; zu weiteren Nachweisen Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, 2015, 292. 3 Birk/Brüggemann in Dietlein/Hecker/Ruttig2, § 17 RennwLottG Rz. 17; Kahle, DStZ 2011, 520 (526); Welz, UVR 2010, 308 (309). 4 Zu Einzelheiten Welz, UVR 2010, 308 (310 f.). 5 Englisch in T/L23, § 18 Rz. 109.

722 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.159 Kap. 14

die Belastung zu tragen hat.1 Die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern sind in Orientierung an der Systemrichtlinie2 überwiegend harmonisiert. Hierzu gehören Branntweinsteuer (ab 1.1.2018 Alkoholsteuer), Schaumweinsteuer, Biersteuer, Energiesteuer, Stromsteuer und die Tabaksteuer. Nicht harmonisiert sind die Kaffeesteuer, Alkopopsteuer und die Kernbrennstoffsteuer.

2. Energiesteuer Literatur: Kommentare zum EnergieStG; Bongartz/Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. H; Bongartz/Schröer-Schallenberg, Das neue Energiesteuergesetz, Köln 2006; Eichhorn/Utescher-Dabitz, Die Besteuerung von Strom, Erdgas und Kohle, Frankfurt 2009; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 116 ff.; Friedrich/Köthe, Änderungen des Energie- und Stromsteuerrechts, DStR 2013, 65; Hey/Hoffsümmer, Steuerentlastung bei Zahlungsausfall im Rahmen der Strom- und Erdgasbesteuerung, UVR 2007, 55; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, F1 ff.; Middendorp, Einfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ZfZ 2011, 1; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 11.40 ff.; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht, 3. Aufl. Köln 2013; Stein/Thoms, BB-Rechtsprechungsreport Energie- und Stromsteuerrecht 2014, BB 2015, 1876; Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 3. Aufl. Köln 2016; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, 1092 ff.

a) Belastungswirkungen Bei der im Energiesteuergesetz geregelten Energiesteuer handelt es sich um eine auf der Grundlage der Verbrauchsteuersystemrichtlinie3 und der Energiesteuerrichtlinie4 harmonisierte Verbrauchsteuer. Sie belastet im Wesentlichen die Verwendung von Energieerzeugnissen als Kraftstoffe und als Heizstoffe,5 und zwar insbesondere Mineralöl (Benzin), Kohle und Erdgas.

14.158

Als (indirekte)6 Verbrauchsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG) ist die Energiesteuer darauf gerichtet, die konsumtive und produktive Verwendung von Einkommen bzw. Vermögen zu erfassen.7 Zugleich verfolgt die Energiesteuer ökologische Lenkungszwecke, den Energieverbrauch und damit schädliche Emissionen abzusenken.8 Darüber hinaus wird auch eine Orientierung am Äquivalenzprinzip dahingehend erkennbar, dass insbesondere die auf Mineralöl

14.159

1 Hierzu Schaumburg in FS Reiß, 2008, 25 ff. (37 f.). 2 Richtlinie 2008/118/EG des Rates über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG v. 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 3 Richtlinie 2008/118/EG v. 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12 mit Wirkung ab 16.1.2009; hierzu Schröer-Schallenberg/Bongartz, ZfZ 2009, 161 ff. 4 Richtlinie 2003/96/EG zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom v. 16.10.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 283, 51. 5 Die übrigen Verwendungsarten sind von der Steuer befreit (§ 25 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). 6 In den Fällen von § 16 Abs. 2 Satz 2 und § 38 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG wirkt die Energiesteuer ausnahmsweise als direkte Verbrauchsteuer. 7 Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, Vorb. EnergieStG Rz. 4; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 88; zur Zulässigkeit der Belastung auch des produktiven Bereiches: BFH v. 26.6.1984 – VII R 60/83, BFHE 141, 9. 8 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1092 f.; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, F9; Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 116.

Schaumburg | 723

Kap. 14 Rz. 14.159 | Materielles Steuerrecht

(Benzin) lastende Energiesteuer jedenfalls partiell als Ausgleich für die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrseinrichtungen angesehen werden kann.1 Dass die Energiesteuer jedenfalls auch die konsumtive Einkommensverwendung belastet, ergibt sich daraus, dass sie als indirekte Steuer auf Überwälzung angelegt ist.2

14.160

Entsprechend dem Charakter als (indirekte) Verbrauchsteuer wird im Energiesteuergesetz ebenso wie im Umsatzsteuergesetz (Rz. 14.105) das Bestimmungslandprinzip verwirklicht,3 und zwar im Rahmen des Steueraussetzungsverfahrens (Rz. 14.161) oder durch ein speziell geregeltes Entlastungsverfahren in den Fällen, in denen Energieerzeugnisse im steuerrechtlich freien Verkehr aus dem Steuergebiet verbracht oder ausgeführt werden (Rz. 14.165). b) Steueraussetzungsverfahren

14.161

Nur bestimmte Energieerzeugnisse unterliegen im Steuergebiet der Energiesteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). In Orientierung an Art. 2 VStSystRL wird an die Herstellung innerhalb des Steuergebiets und an die Einfuhr in dieses Gebiet angeknüpft. Um welche Energieerzeugnisse es sich hierbei handelt, ergibt sich aus § 1 Abs. 2 EnergieStG,4 wobei diejenigen Erzeugnisse, die in § 1 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 5 EnergieStG genannt sind, ohne weiteres als Energieerzeugnisse zu qualifizieren sind. Demgegenüber werden die in § 1 Abs. 2 Nr. 1, 4 und 6 EnergieStG bezeichneten Erzeugnisse nur dann zu Energieerzeugnissen, wenn sie dazu bestimmt sind, als Kraft- oder Heizstoffe verwendet zu werden.5

14.162

Während die Energiesteuerpflicht somit bereits an die Herstellung der betreffenden Erzeugnisse im Steuergebiet6 oder an ihre Einfuhr in dieses Gebiet anknüpft, entsteht der Energiesteueranspruch für dem Steueraussetzungsverfahren unterliegende Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG) in der Regel7 erst zum Zeitpunkt der Überführung derselben in den steuerrechtlich freien Verkehr (§ 8 Abs. 1 EnergieStG). Ausgenommen hiervon sind solche Energieerzeugnisse, die zu anderen Zwecken als zur Verwendung als Kraft- und Heizstoffe (nichtenergetische Verwendung) verwendet werden. Hierfür kommt die Steuerbefreiung gem. § 25 Abs. 1 EnergieStG in Betracht. Dem Steueraussetzungsverfahren unterliegen schließlich nicht Kohle und Erdgas, für die Sonderregelungen gelten (Rz. 14.167).

1 Vgl. Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts,1997, 63; kritisch zu diesem äquivalenztheoretischen Ansatz Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1092 f. 2 Hierzu Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, Vorb. EnergieStG Rz. 9; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 1997, 37, 55. 3 Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 9 Rz. 1; Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis3, 90. 4 Vgl. Art. 2 Abs. 1 EnergieStRL. 5 Zu Einzelheiten Alexander in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 1 EnergieStG Rz. 16 ff.; Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 1 EnergieStG Rz. 4 ff.; ferner Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, F 24 ff., dort auch zu in „dual use“-Prozessen verwendeten Energieerzeugnissen. 6 Das ist die Bundesrepublik Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG); beide Gebiete gehören weder zum Zollgebiet der Union (Art. 3 Abs. 1 ZK), noch zu ihrem Verbrauchsteuergebiet (Art. 5 Abs. 3 Buchst. a und b VStSystRL). 7 Weitere Steuerentstehungstatbestände sind Herstellung ohne Erlaubnis (§ 9 EnergieStG), Differenzbesteuerung (§ 20 EnergieStG), gekennzeichnete Energieerzeugnisse (§ 21 EnergieStG), Sonstiges (§§ 22, 23 EnergieStG), Vermischung versteuerter Energieerzeugnisse (§ 10 EnergieStV), Kohle (§§ 32, 36 EnergieStG), Erdgas (§§ 38, 42, 43 EnergieStG).

724 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.166 Kap. 14

Das in § 5 Abs. 1 EnergieStG geregelte Steueraussetzungsverfahren – Lagerverfahren und Beförderungsverfahren – ist dadurch gekennzeichnet, dass der Energiesteueranspruch für die betreffenden Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG)1 noch nicht entstanden ist, obwohl der Steuertatbestand (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG) bereits erfüllt ist.2 Hierdurch wird bewirkt, dass die Energiesteuer suspendiert ist, solange Energieerzeugnisse aus dem Steuerlager nicht zum freien Verkehr entnommen werden (§ 8 Abs. 1 EnergieStG). Im Kern geht es darum, innerhalb der Unternehmerkette, also im Rahmen des sogenannten Lager- und Beförderungsverfahrens, das Entstehen einer Energiesteuer zu vermeiden.3

14.163

Im Zusammenhang mit der Beförderung von dem Steueraussetzungsverfahren unterliegenden Energieerzeugnissen (§ 4 EnergieStG) sind von Bedeutung:4

14.164

– die Beförderung aus Steuerlagern in andere Steuerlager im Steuergebiet (§ 10 Abs. 1 EnergieStG); – grenzüberschreitende Beförderungen aus anderen und in andere EU-Mitgliedstaaten (§ 11 EnergieStG); – grenzüberschreitende Beförderungen aus und in Drittländer (§§ 13, 19 EnergieStG).5 c) Steuerrechtlich freier Verkehr Energieerzeugnisse, die nicht im Steueraussetzungsverfahren sind, befinden sich im steuerrechtlich freien Verkehr6 und lösen erst dann eine Energiesteuer aus, wenn sie in den Kraftoder Heizstoffbereich gelangen (§ 23 Abs. 1 EnergieStG). Das gilt freilich nicht für Kohle und Erdgas (§ 23 Abs. 1 EnergieStG), für die eigenständige Regelungen (§§ 31 – 44 EnergieStG) bestehen. Dem steuerrechtlich freien Verkehr unterliegen aber auch Energieerzeugnisse i.S.d. § 4 EnergieStG, wenn diese aus einem Verfahren der Steueraussetzung entnommen (§ 8 Abs. 1 EnergieStG) oder außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung hergestellt worden sind (§ 9 Abs. 1 EnergieStG). Damit entsteht zugleich die Energiesteuer.7 Eine Energiesteuer wird allerdings im Steuergebiet dann nicht ausgelöst, wenn die in das Steuergebiet verbrachten Energieerzeugnisse für einen anderen EU-Mitgliedstaat bestimmt sind (§ 15 Abs. 2 Satz 2 EnergieStG). Diese (steuerneutrale) Durchfuhr muss allerdings durch entsprechende Begleitdokumente8 belegt werden.

14.165

§ 18 EnergieStG enthält eine Sonderregelung für den Versandhandel9 mit Energieerzeugnissen i.S.d. § 4 EnergieStG. Für Lieferungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten an Privatpersonen

14.166

1 Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 57 f. mit Hinweis auf anderweitige Begrifflichkeiten wie steuerliche Verstrickung, steuerlicher Nexus oder steuerliche Gebundenheit. 2 Vgl. in diesem Sinne: EuGH v. 12.12.2001 – C-395/00, ECLI:EU:C:2002:751 – Cipriani, ZfZ 2003, 128, Tz. 41; EuGH v. 28.1.2016 – C-64/15, ECLI:EU:C:2016:62 – BP Europa, ZfZ 2016, 66, Rz. 22. 3 Als Aufschub der Steuerpflicht bezeichnet von EuGH v. 28.1.2016 – C-64/15, ECLI:EU:C:2016:62 – BP Europa, ZfZ 2016, 66, Rz. 22; EuGH v. 29.4.2010 – C-230/08, ECLI:EU:C:2010:231 – Dansk Transport og Logisitik, ZfZ 2010, 211, Rz. 78. 4 Vgl. hierzu auch den Überblick bei Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 11.46 ff. 5 Ein- und Ausfuhr. 6 Allgemein hierzu Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 95 ff. 7 Vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 11.50. 8 Vgl. Art. 34 VStSystRL. 9 Zu Einzelheiten Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 106 ff.

Schaumburg | 725

Kap. 14 Rz. 14.166 | Materielles Steuerrecht

im Steuergebiet entsteht die Steuer mit der Auslieferung an die Privatperson (§ 18 Abs. 2 EnergieStG). d) Sondervorschriften für Kohle und Erdgas

14.167

Kohle und Erdgas zählen nicht zu den in § 4 EnergieStG aufgeführten Energieerzeugnissen, so dass sie auch nicht dem Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG) unterliegen. Für sie enthalten die §§ 31 ff. EnergieStG Sonderregelungen, die im Grundsatz ebenfalls gewährleisten, dass das Bestimmungslandprinzip zur Anwendung kommt.

14.168

Der Energiesteuer unterliegt: – die Lieferung von Kohle im Steuergebiet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG); – das Verbringen von Kohle aus einem EU-Mitgliedstaat in das Steuergebiet (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG); – die Einfuhr von Kohle aus Drittländern in das Steuergebiet (§ 35 iVm § 19b EnergieStG); – die Ausfuhr von Kohle, wobei allerdings auf Antrag eine Steuerentlastung gewährt wird (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG).

14.169

Die für Kohlelieferungen maßgeblichen Grundsätze gelten auch für Erdgas. Im Regelfall, also für leitungsgebundenes Erdgas, entsteht die Steuer durch Entnahme im Steuergebiet aus dem Leitungsnetz zum Verbrauch (§ 38 Abs. 1 EnergieStG). Wo das Erdgas in das Leitungsnetz eingespeist worden ist, woher es also stammt, ist für die Steuerentstehung ohne Bedeutung.1

3. Stromsteuer Literatur: Kommentare zum StromStG; Bongartz/Schröer-Schallenberg, Die Stromsteuer – Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht und nationales Verfassungsrecht?, DStR 1999, 962; Bongartz/SchröerSchallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. H; Eichhorn/Utescher-Dabitz, Die Besteuerung von Strom, Erdgas und Kohle, Frankfurt 2009; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 116 f.; Hidien, Neue Steuern braucht das Land? – Anmerkungen zur geplanten Stromsteuer, BB 1999, 341; Jatzke, Die Stromsteuer – eine Anomalie im landesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuerecht, DStZ 1999, 520; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, F 1 ff.; Jesse, Entstehung, Geltendmachung und Verjährung von Stromsteuervergütungsansprüchen, BB 2015, 2711; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht, 3. Aufl. Köln 2013, Teil 3; Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 3. Aufl. Köln 2016; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, 1097 ff.

14.170

Ebenso wie die Energiesteuer zählt auch die Stromsteuer zu den harmonisierten Verbrauchsteuern. Entsprechend ihrem Charakter als Verbrauchsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 2 StromStG) ist die Stromsteuer auf Überwälzung angelegt, so dass letztlich der Verbraucher belastet ist. Indessen unterliegt der Stromsteuer aber nicht nur der konsumtive, sondern auch der produktive Stromverbrauch, so dass insoweit die Stromsteuer nach Art einer Produktionsmittelsteuer Unternehmen belastet.2 Eine Steuerentlastung wird allerdings für Unternehmen des produzie-

1 Soyk in Friedrich/Soyk, § 38 EnergieStG Rz. 9; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 7 Rz. 197; zur Rechtslage bei nicht leitungsgebundenem Erdgas vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 11.61 ff. 2 Gebilligt vom BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 1748/99, 905/90, BVerfGE 110, 274 (296); zur Kritik Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 130.

726 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.173 Kap. 14

renden Gewerbes und der Land- und Forstwirtschaft gewährt (§ 9b StromStG).1 Die Stromsteuer ist zugleich auch eine so genannte Öko-Steuer, die auf den sparsamen Umgang mit Strom sowie auf die Förderung von Strom unter Nutzung erneuerbarer Energieträger – Steuerbefreiung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG) – abzielt.2 Die für die Steuerentstehung maßgebliche Grundlagennorm ist § 5 Abs. 1 StromStG, wonach die Steuer entsteht, wenn ein Letztverbraucher im Steuergebiet Strom aus dem Versorgungsnetz zum Verbrauch entnimmt. Letztverbraucher können hierbei natürliche oder juristische Personen sein, die Energie für den eigenen Verbrauch erwerben.3 Die Steuerentstehung setzt allerdings voraus, dass der Versorger im Steuergebiet ansässig ist. Unterhält daher ein ausländischer Versorger im Steuergebiet lediglich eine Betriebsstätte (§ 12 AO), ist für die Stromentnahme nicht § 5 StromStG, sondern allenfalls § 7 StromStG einschlägig.4 Wo der Strom in das Versorgungsnetz eingespeist worden ist, spielt für die Anwendung des § 5 StromStG keine Rolle, so dass der Stromimport durch inländische Versorger stets von der Reichweite des § 5 Abs. 1 StromStG erfasst wird. Da der Strom im Leitungsnetz unversteuert ist, unterliegt neben der (rechtsgeschäftlichen) Entnahme des Stroms aus dem Leitungsnetz folgerichtig auch die Entnahme zum Selbstverbrauch durch den Versorger der Stromsteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 EnergieStG).

14.171

Neben der Stromversorgung durch im Steuergebiet ansässige Versorger wird auch die Stromlieferung durch ausländische Versorger mit Stromsteuer belastet (§ 7 Satz 1 StromStG). Woher der Strom stammt, ist hierbei ohne Bedeutung.5 Entscheidend ist also allein, dass der Strom in das Steuergebiet geliefert wird.

14.172

Während im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 StromStG der im Steuergebiet ansässige Versorger der Steuerschuldner ist (§ 5 Abs. 2 StromStG), wird beim gem. § 7 Satz 1 StromStG steuerbaren Strombezug der Letztverbraucher als Steuerschuldner herangezogen (§ 7 Satz 2 StromStG). Insoweit ist die Stromsteuer (ausnahmsweise) als direkte Verbrauchsteuer ausgestaltet.6

14.173

4. Tabaksteuer Literatur: Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. K; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 111; Jarsombeck, Irrungen und Wirrungen im Tabaksteuerrecht, ZfZ 1998, 69; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, E 1 ff.; Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, Frankfurt 2005; F. Kirchhof, Die steuerrechtliche Doppelbelastung der Zigaretten, Berlin 1990; Köthe/Knoll, Die Besteuerung von Tabakwaren in Deutschland, BB 2015, 1174; Middendorp, Verbringen von Tabakwaren des steuer-

1 Zu Einzelheiten Jesse, BB 2015, 2711. 2 Vgl. hierzu Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 9 StromStG Rz. 4 f.; Henseler in Friedrich/Soyk, § 9 StromStG Rz. 12 ff.; zur Rechtfertigung Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1097 f. 3 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 5 StromStG Rz. 19. 4 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 7 StromStG Rz. 8; a.A. Köthe in Friedrich/Soyk, § 5 StromStG Rz. 11 und Möhlenkamp/Milewski, § 7 StromStG Rz. 5, wonach eine Betriebstätte als Anknüpfungspunkt für die (inländische) Ansässigkeit angesehen wird. 5 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 7 StromStG Rz. 9; Köthe in Friedrich/Soyk, § 7 StromStG Rz. 9. 6 Das ist mit dem Verbrauchsteuercharakter durchaus vereinbar; vgl. Bongartz/Schröer-Schallenberg, DStR 1999, 962 (968).

Schaumburg | 727

Kap. 14 Rz. 14.173 | Materielles Steuerrecht rechtlich freien Verkehrs anderer Mitgliedstaaten, ZfZ 2011, 197; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, 1076 ff.

14.174

Die im Tabaksteuergesetz geregelte Tabaksteuer ist eine auf der Grundlage der Verbrauchsteuersystemrichtlinie1 und der Tabaksteuerrichtlinie2 harmonisierte Verbrauchsteuer. Sie belastet den Tabakkonsum, womit zugleich die gesundheitspolitische Ausrichtung3 der Tabaksteuer, erkennbar wird. Sie ist insoweit als Lenkungsteuer zu qualifizieren.4 Die Tabaksteuer ist wie auch die übrigen Verbrauchsteuern auf Überwälzung angelegt.5

14.175

Der Tabaksteuer unterliegen vor allem Zigaretten, Zigarren, Zigarillos und Rauchtabak (§ 1 Abs. 2 TabStG) im Steuergebiet.6 Die Steuer entsteht, wenn die Tabakwaren7 in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werden, es sei denn, es schließt sich eine Steuerbefreiung an (§ 15 Abs. 1 TabStG). Damit wird die Steuerentstehung nah an den Verbrauch herangeführt, so dass z.B. die Herstellung und der Handel von Tabakwaren innerhalb der Unternehmerkette keine Tabaksteuer auslöst. Diesem Zweck dient das Steueraussetzungsverfahren, in dessen Rahmen Tabakwaren (unversteuert) hergestellt, bearbeitet oder verarbeitet, gelagert, empfangen oder versandt und befördert werden dürfen.

14.176

Das Steueraussetzungsverfahren gilt auch grenzüberschreitend. Im Vordergrund steht hierbei das Beförderungsverfahren, wonach Tabakwaren unter Steueraussetzung, auch über Drittländer oder Drittgebiete, befördert werden dürfen aus anderen, in andere oder über andere EUMitgliedstaaten (§ 12 Abs. 1 TabStG). Im Hinblick darauf dürfen Steuerlagerinhaber (§ 6 TabStG), registrierte Empfänger (§ 7 TabStG) sowie Begünstigte (§ 9 TabStG) Tabakwaren ohne steuerliche Belastung aus anderen EU-Mitgliedstaaten beziehen (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 TabStG). Da registrierte Empfänger nicht berechtigt sind, unter Steueraussetzung zu lagern oder unter Steueraussetzung die Tabakwaren an Dritte abzugeben, entsteht die Tabaksteuer mit der Aufnahme in den Betrieb des registrierten Empfängers (§ 15 Abs. 2 Nr. 3 TabStG). In diesem Zeitpunkt müssen die Steuerzeichen bereits verwendet sein (§ 17 Abs. 1 Satz 3 TabStG).8

14.177

Neben der Beförderung unter Steueraussetzung in andere EU-Mitgliedsländer (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 TabStG) ist eine Beförderung unter Steueraussetzung auch im Falle der Ausfuhr zulässig (§ 13 Abs. 1 TabStG). Voraussetzung hierfür ist die Beförderung aus einem Steuerlager im Steuergebiet oder von registrierten Versendern vom Ort der Einfuhr im Steuergebiet (§ 13 Abs. 1 TabStG). Soweit die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen bereits entrichtet worden ist, kommt ein Erlass und die Erstattung in Betracht (§ 32 Abs. 1 TabStG).9 Hierdurch wird im Ergebnis das Bestimmungslandprinzip umgesetzt.

1 Richtlinie 2008/118/EG v. 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. 9, 12 mit Wirkung ab 16.1.2009. 2 Richtlinie 2011/64/EU über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren v. 21.6.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 176, 24. 3 Vgl. BT-Drucks. 9/844, 8. 4 Zu Einzelheiten Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, 140 ff.; zur mangelnden Folgerichtigkeit Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 129. 5 Vgl. hierzu Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, 137 ff.; Jatzke, ZfZ 2011, 109 (110 f.). 6 Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland (§ 1 Abs. 1 Satz 2 TabStG). 7 Zu den Begrifflichkeiten Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, E 3 ff. 8 Vgl. hierzu Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, K 90 ff. 9 Zu Einzelheiten Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, K 111 ff.

728 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.180 Kap. 14

Im Falle der Einfuhr (§ 19 TabStG) entsteht die Tabaksteuer ohne weiteres, es sei denn, die Tabakwaren werden unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt oder es schließt sich eine Steuerbefreiung an (§ 21 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Befinden sich die Tabakwaren allerdings in einem zollrechtlichen Nicht-Erhebungsverfahren, ist eine Einfuhr nicht gegeben (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 TabStG), so dass die Entstehung der Tabaksteuer bis zur Entnahme aus diesem Verfahren hinausgeschoben wird (Suspensiveffekt).1

14.178

Werden Tabakwaren aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen EU-Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht, ist wie folgt zu differenzieren: Wurden die Tabakwaren von Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erworben, wird keine Tabaksteuer ausgelöst (Steuerfreiheit), wenn die Privatperson die Tabakwaren persönlich in das Steuergebiet verbringt (§ 22 Abs. 1 TabStG). Mit dieser Regelung verbleibt es aus Vereinfachungsgründen beim Ursprungslandprinzip. Das gilt aber nur dann, wenn bestimmte Mengen nicht überschritten werden.2 Werden Tabakwaren zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder dorthin versandt (Versandhandel), entsteht die Tabaksteuer, wenn die Tabakwaren erstmals3 zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden (§ 23 Abs. 1 TabStG).

14.179

5. Alkoholsteuern Literatur: Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 113 f.; Esser, Das Alkoholsteuergesetz mit der verbrauchsteuerrechtlichen Anschlussregelung zum Ende des deutschen Branntweinmonopols, ZfZ 2013, 225; Falthauser, Die Harmonisierung der speziellen Verbrauchsteuern in der EG am Beispiel der Biersteuer, DStZ 1993, 17; Jarsombeck, Ist die Struktur der Biersteuer in der EU harmonisiert?, ZfZ 2002, 186; Jatzke, Der Alkohol im Steuerrecht, ZfZ 2015, 90; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, D 1 ff.; Pfab, Die Besteuerung von Alkopops, ZfZ 2004, 329; Pfab, Rechtsfragen rund um das Alkopopsteuergesetz (AlkopopStG) ZfZ 2005, 110; Pfab, Die Besteuerung von „Alkopops“, DStZ 2006, 249; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht, in FS Reiß, Köln 2008, 25 (39 f.); Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap G und M; Süß, Die Alkoholsteuer, Köln 2019; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1058.

a) Selektive Besteuerung Die Alkoholsteuern betreffen die Alkoholsteuer,4 Schaumweinsteuer und Biersteuer als harmonisierte Verbrauchsteuern sowie die nicht harmonisierte Alkopopsteuer. Entsprechend ihrem Verbrauchsteuercharakter belasten die vorgenannten Alkoholsteuern insbesondere den privaten Konsum von Alkoholerzeugnissen.5 Neben dem mit den Alkoholsteuern verfolgten

1 Vgl. Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, E 93 ff. 2 § 22 Abs. 3 TabStG: Mengenbegrenzung für Zigaretten aus bestimmten EU-Mitgliedstaaten von 300 Stück bis zum 31.12.2017; im Übrigen Mengenbegrenzung auf 800 Zigaretten, 200 Zigarren, 400 Zigarillos oder ein Kilogramm Rauchtabak gem. § 22 Abs. 4 i.V.m. § 39 TabStV; die mengenmäßigen Kriterien sind allerdings unionsrechtlich problematisch; vgl. EuGH v. 14.3.2013 – C216/11, ECLI:EU:C:2013:162 – Kommission/Frankreich, ZfZ 2013, 136. 3 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644; dagegen BFH v. 12.12.2012 – VII R 44/11, BFH/NV 2013, 860, wonach jeder Steuerschuldner ist, der (später) mit der unversteuerten Ware angetroffen wird. 4 Neue Begrifflichkeit mit Wirkung ab 1.1.2008 aufgrund des Branntweinmonopol-Abschaffungsgesetzes v. 21.6.2013, BGBl. I 2013, 1650. 5 Zur Geschichte der Alkoholsteuern vgl. Jatzke, ZfZ 2015, 90.

Schaumburg | 729

14.180

Kap. 14 Rz. 14.180 | Materielles Steuerrecht

Fiskalzweck, wird deren Erhebung auch gesundheitspolitisch gerechtfertigt.1 Das gilt insbesondere für die Alkopopsteuer, die als Sondersteuer erhoben wird.2 b) Alkoholsteuer

14.181

Alkohol und alkoholhaltige Waren unterliegen im Steuergebiet (§ 1 Abs. 2 AlkStG)3 der Alkoholsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AlkStG). Die Steuer entsteht zum Zeitpunkt der Überführung der Alkoholerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr, es sei denn, es schließt sich eine Steuerbefreiung an. Im Hinblick auf die in § 27 Abs. 1, 2 AlkStG verankerten Steuerbefreiungen werden von der Alkoholsteuer im Ergebnis nur Alkoholerzeugnisse belastet, wenn sie zu Trink- und Genusszwecken eingesetzt werden. Im Übrigen unterbleibt eine Besteuerung, solange sich die Alkoholerzeugnisse im Steueraussetzungsverfahren befinden. Entsprechend der Richtliniensystematik wird zwischen der Beförderung unter Steueraussetzung im Steuergebiet, der Beförderung unter Steueraussetzung mit anderen Mitgliedstaaten und der Ausfuhr unter Steueraussetzung unterschieden (§ 14 AlkStG).4 Im internationalen Kontext ist das Beförderungsverfahren in den Fällen von Bedeutung, in denen Alkoholerzeugnisse aus anderen, in andere oder über andere EU-Mitgliedstaaten befördert werden (§ 15 AlkStG). Hierdurch wird keine Branntweinsteuer/Alkoholsteuer ausgelöst, so dass im Ergebnis das Bestimmungslandprinzip verwirklicht wird. Das Bestimmungslandprinzip gilt auch für die Ausfuhr in Drittländer oder Drittgebiete (§ 16 AlkStG). Das Bestimmungslandprinzip wird schließlich auch bei der Einfuhr von Alkoholerzeugnissen aus Drittländern oder Drittgebieten umgesetzt. Die Steuer entsteht nämlich zum Zeitpunkt der Überführung der Alkoholerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Einfuhr, es sei denn, sie werden unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt oder eine Steuerbefreiung greift ein (§ 22 Abs. 1 Satz 1 AlkStG).

14.182

Für den Erwerb von Alkoholerzeugnissen im steuerrechtlich freien Verkehr (vgl. zum Begriff Rz. 14.165) anderer EU-Mitgliedstaaten ist wie folgt zu differenzieren: Werden Alkoholerzeugnisse von einer Privatperson für ihren Eigenbedarf in anderen Mitgliedstaaten im steuerrechtlich freien Verkehr erworben und selbst in das Steuergebiet befördert (private Zwecke), unterbleibt eine Besteuerung (§ 23 Abs. 1, 2 AlkStG). Diese Steuerbefreiung entspricht dem Ursprungslandprinzip, das aus Vereinfachungsgründen im privaten Grenzverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten allgemeine Geltung hat. Werden dagegen Alkoholerzeugnisse zu gewerblichen (unternehmerischen) Zwecken aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen EU-Mitgliedstaats bezogen, entsteht die Steuer, wenn die Alkoholerzeugnisse im Steuergebiet in Empfang genommen oder die außerhalb des Steuergebiets in Empfang genommenen Alkoholerzeugnisse in das Steuergebiet befördert werden (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AlkStG). c) Schaumweinsteuer

14.183

Die im SchaumwStG geregelten Steuergegenstände betreffen zum einen die Schaumweinsteuer (§§ 1 – 28 SchaumwZwStG) und zum anderen die Zwischenerzeugnissteuer (§§ 39–31 SchaumwZwStG). Der Schaumweinsteuer unterliegen vor allem Champagner und Sekt und der Zwischenerzeugnissteuer z.B. Cherry, Madeira und Portwein. 1 2 3 4

Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1058 f.; Jatzke, ZfZ 2015, 90 (96). Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, G 94. Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne Helgoland. Zum Steueraussetzungsverfahren vgl. Rz. 14.161.

730 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.188 Kap. 14

Aufgrund der für die Verbrauchsteuern typischen territorialen Begrenzung entsteht die Schaumwein- und Zwischenerzeugnissteuer nur im Steuergebiet.1 Die Steuer entsteht hierbei grundsätzlich bei Überführung des Schaumweins bzw. der Zwischenerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr (§ 14 Abs. 1, § 29 Abs. 3 SchaumwZwStG). Die in der Praxis wichtigste Fallgruppe ist die steuerauslösende Entnahme aus dem Steuerlager. Die Steuer wird aber suspendiert, wenn sich ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung anschließt (§ 14 Abs. 2 Nr. 1, § 29 Abs. 3 SchaumwZwStG). Im internationalen Kontext ist hierbei die Beförderung unter Steueraussetzung (Beförderungsverfahren), die auch grenzüberschreitend zur Anwendung kommt (§§ 11, 12, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG), von besonderer Bedeutung.

14.184

d) Biersteuer Die Biersteuer gehört wie die übrigen Alkoholsteuern zu den Verbrauchsteuern (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BierStG).2 Als Verbrauchsteuer ist die Biersteuer auf Überwälzung angelegt, um so die konsumtive Verwendung von Einkommen bzw. Vermögen zu erfassen. Zugleich werden mit der Biersteuer aber auch gesundheitspolitische Ziele verfolgt.

14.185

Wie bei den anderen harmonisierten Verbrauchsteuern entsteht die Biersteuer bei Überführung des Bieres in den steuerrechtlich freien Verkehr. Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn das Bier aus dem Steuerlager (§ 4 BierStG)3 entnommen wird, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 BierStG).

14.186

Im internationalen Kontext ist die Beförderung unter Steueraussetzung aus anderen, in andere oder über andere EU-Mitgliedstaaten (§ 11 BierStG) von besonderer Bedeutung. Hierdurch wird im Ergebnis das für die Verbrauchsteuern maßgebliche Bestimmungslandprinzip umgesetzt. Das gilt auch für die Ausfuhr, wonach unter Steueraussetzung Bier z.B. aus Steuerlagern im Steuergebiet in Drittländer oder Drittgebiete ohne steuerliche Belastung befördert werden darf (§ 12 Abs. 1 BierStG). Das Bestimmungslandprinzip wird schließlich auch in den Fällen der Einfuhr realisiert, es sei denn, das Bier wird unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BierStG). Das Bestimmungslandprinzip wird ferner auch beim Bezug zu gewerblichen Zwecken (§ 20 Abs. 1 BierStG) sowie im Versandhandel (§ 21 Abs. 1 BierStG) im steuerrechtlich freien Verkehr mit anderen EUMitgliedstaaten gewährleistet. Aus Vereinfachungsgründen wird allerdings ausnahmsweise das Ursprungslandprinzip umgesetzt, wenn Privatpersonen für ihren Eigenbedarf in anderen EU-Mitgliedstaaten Bier im steuerrechtlich freien Verkehr erwerben und selbst in das Steuergebiet befördern. Dieser Erwerb ist steuerfrei (§ 19 Abs. 1 BierStG).

14.187

e) Alkopopsteuer Die Alkopopsteuer gehört zu den nicht harmonisierten deutschen Verbrauchsteuern. Sie ist unionsrechtlich zulässig, weil mit ihrer Erhebung besondere Zwecke verfolgt werden (Art. 1 Abs. 2 VStSystRL) und sie nicht lediglich fiskalisch motiviert ist.4 Dass mit der Alkopopsteuer 1 Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und Helgoland (§ 1 Abs. 1 Satz 2, § 29 Abs. 1 Satz 1 SchaumwZwStG). 2 Zum historischen Hintergrund Jatzke, ZfZ 2015, 90 (91). 3 Hierzu gehört insbesondere die Brauerei (§ 1 Nr. 9 BierStV). 4 Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 107, 113; Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 3; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 11.37.

Schaumburg | 731

14.188

Kap. 14 Rz. 14.188 | Materielles Steuerrecht

besondere Lenkungsziele verfolgt werden, ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AlkopopStG, wonach alkoholhaltige Süßgetränke (Alkopops) im Steuergebiet einer „Sondersteuer zum Schutz junger Menschen“ unterliegen.

14.189

Das AlkopopStG enthält keine eigenständigen Vorschriften zur Steuerentstehung. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf das AlkStG und auf das KaffeeStG (§ 3 AlkopopStG). Der Verweis auf die für die Alkoholsteuer maßgeblichen Vorschriften (§ 3 Abs. 1 AlkopopStG) bewirkt, dass auch für Alkopops die Grundsätze des Steueraussetzungsverfahren gelten.1 Im Hinblick darauf entsteht die Alkopopsteuer insbesondere bei Entnahme aus dem Steuerlager (§ 3 Abs. 1 AlkopopStG i.V.m § 143 Abs. 1, 2 Nr. 1 BranntwMonG/§ 18 Abs. 1, 2 Nr. 1 AlkStG). Soweit es indessen um die Beförderung unter Steueraussetzung in oder aus anderen EU-Mitgliedstaaten geht, finden die entsprechenden Vorschriften des KaffeeStG Anwendung (§ 3 Abs. 2 AlkopopStG).2

6. Kaffeesteuer Literatur: Bongartz, Das Kaffeesteuerrecht im Lichte der Verbrauchsteuerharmonisierung, ZfZ 1998, 290; Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. L; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 123; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht, in FS Reiß, Köln 2008, 25 (38 f.); Tipke, Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht, in FS Reiß, Köln 2008, 9 (19).

14.190

Die Kaffeesteuer ist eine nicht harmonisierte Verbrauchsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 3 KaffeeStG) und darauf gerichtet, die Verwendung von Einkommen (Vermögen) für den privaten Lebensbedarf zu belasten. Es handelt sich insoweit um eine wettbewerbsneutrale Privatkonsumsteuer, die dem Typus der Verbrauchsteuer in vollem Umfange entspricht.3 Die Belastung des Privatkonsums erfolgt hierbei durch entsprechende Überwälzung der Steuer vom Unternehmer als Steuerschuldner auf den Verbraucher.4

14.191

Der Kaffeesteuer unterliegt Röstkaffee (§ 1 Abs. 3 KaffeeStG) sowie löslicher Kaffee (§ 1 Abs. 4 KaffeeStG). Zum Steuergegenstand zählt auch kaffeehaltige Waren, wenn sie in das Steuergebiet befördert wird (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KaffeeStG). Diese Anknüpfung an die Überführung kaffeehaltiger Ware aus anderen EU-Mitgliedstaaten oder die Einfuhr aus einem Drittland/ Drittgebiet dient dem Ziel einer Wettbewerbsgleichheit mit im Steuergebiet hergestellten kaffeehaltigen Waren, die der Kaffeesteuer unterliegen.5

14.192

Wie bei den meisten anderen Verbrauchsteuern kommt auch für die Kaffeesteuer das Steueraussetzungsverfahren zur Anwendung. Dementsprechend entsteht die Steuer bei Überführung von Kaffee in den steuerrechtlich freien Verkehr, und zwar insbesondere durch Entnahme aus dem Steuerlager (§ 5 Abs. 1 KaffeeStG), es sei denn, es schließt sich ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung an (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 KaffeeStG).

1 2 3 4 5

Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 17. Hierzu Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 21. Zum Steuertypus Verbrauchsteuer Drüen, ZfZ 2012, 309 (315). Zur Überwälzbarkeit als typusprägendes Merkmal Drüen, ZfZ 2012, 309 (317 f.). Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, L 6, 7.

732 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.193 Kap. 14

V. Hinzurechnungsbesteuerung Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zu §§ 7 – 14 AStG; Aigner, Hinzurechnungsbesteuerung und DBA-Recht, Wien 2004; Brähler, Controlled Foreign Companies-Rules, Frankfurt u.a. 2007, 16; Burwitz, Ausländische Konzernfinanzierunggesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2005; Cortez, Neuausrichtung der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung, Lohmar 2013; Große, Subpart F als Referenz für die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung, Frankfurt u.a. 2003; Haase, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2. Aufl. Herne 2015; Henkel/Klein, Hinzurechnungsbesteuerung, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 8.1 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. München 2016, 405, 438; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. München 2000, 405 ff.; Köhler, Die Steuerpolitik der deutschen internationalen Unternehmen im Einflussbereich der Hinzurechnungsbesteuerung, Frankfurt 1994; Maier-Frischmuth, Internationale Unternehmenstätigkeit und deutsche Hinzurechnungsbesteuerung, Lohmar/ Köln 2003; Moser, Die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 – 14 AStG und die Besteuerung ausländischer Familienstiftungen nach § 15 AStG, Lohmar 2015; Pitzal, Nicht- und Niedrigbesteuerung in Vorschriften des nationalen Außensteuerrechts und des Abkommensrechts, Baden-Baden 2008; Rasch, Die Ziele der neuen deutschen Hinzurechnungsbesteuerung, Weilerswist 2004; Rehfeld, Die Vereinbarkeit des Außensteuergesetzes mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages, Frankfurt u.a. 2008; Reith, Internationales Steuerrecht, München 2004, 473 ff.; Rödder, Hinzurechnungsbesteuerung – Praxisorientierte Analyse der aktuellen Rechtslage aus der Sicht eines deutschen international tätigen Konzerns, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne/Berlin 2011, 2041 ff.; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, München 2007; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 13.1 ff.; Schmidtmann, Hinzurechnungsbesteuerung bei internationalen Umstrukturierungen, Berlin 2007; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005; von Waldthausen, Steuerlastgestaltung im Einflussbereich der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung im Außensteuergesetz, Lohmar/Köln 1999.

1. Zielsetzung Es gehört zu den international tragenden Besteuerungsprinzipien, Kapitalgesellschaften als eigenständige Steuersubjekte zu behandeln. Damit entfalten Kapitalgesellschaften in steuerlicher Hinsicht eine Abschirmwirkung. Im außensteuerlichen Kontext bedeutet diese Abschirmwirkung, dass Gewinne ausländischer Kapitalgesellschaften, an denen inländische Anteilseigner beteiligt sind, solange der inländischen Besteuerung entzogen sind, als Ausschüttungen unterbleiben. Diese Aufschub- bzw. Abschirmwirkung ist besonders signifikant in den Fällen, in denen aus steuerlichen Motiven Kapitalgesellschaften in Niedrigsteuerländern (Basisgesellschaften) errichtet worden sind. Die Steuervorteile bleiben nämlich nur solange erhalten, wie die Gewinne dieser Gesellschaften thesauriert werden. Von der technischen Ausgestaltung her zielt die Hinzurechnungsbesteuerung1 (§§ 7 – 14 AStG) darauf ab, die Aufschub- bzw. Abschirmwirkung für niedrig besteuerte sog. Einkünfte aus passivem Erwerb (vgl. § 8 Abs. 1 AStG) durch eine Ausschüttungsfiktion zu beseitigen, wobei die sonst für die Dividendenerträge vorgesehenen (partiellen) Steuerbefreiungen (vgl. § 3 Nr. 40 Buchst. d; § 32d EStG, § 8b Abs. 1 KStG) nicht zur Anwendung kommen.2 Dieses Ziel wird dadurch erreicht, dass auf einer ersten Stufe die niedrig besteuerten Einkünfte der ausländischen Kapitalgesellschaft aus passivem Erwerb als eigene Einkünfte der unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner behandelt werden (§ 7 Abs. 1 AStG).3 Auf der zweiten Stufe werden diese Einkünfte 1 Die Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung sollen mit Wirkung ab 2021 durchgehend geändert werden (Art. 5, 4. Teil des ATADUmsG-E). 2 Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.1 ff. 3 Vgl. den Überblick bei Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 138 ff.

Schaumburg/Häck | 733

14.193

Kap. 14 Rz. 14.193 | Materielles Steuerrecht

sodann in ausgeschüttete Dividendenerträge umqualifiziert (§ 10 Abs. 2 AStG). Damit betrifft die Hinzurechnungsbesteuerung im Ergebnis die Einkommen-, Körperschaft- und ggf. die Gewerbesteuer.

14.194

Im Hinblick darauf, dass die Hinzurechnungsbesteuerung von ihrer teleologischen Ausrichtung her Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen in Niedrigsteuerländer umfasst,1 liegt damit den §§ 7–14 AStG eine dem § 42 AO vergleichbare gesetzgeberische Wertung zugrunde.2 Für das Konkurrenzverhältnis gelten folgende Grundsätze:3 – Zwar ergibt sich aus § 42 Abs. 1 Satz 2 AO, dass einzelsteuerliche Umgehungsvorschriften vorgehen; das gilt aber nur, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen und die angeordneten Rechtsfolgen zumindest vergleichbar sind.4 Das ist bei § 42 AO einerseits und den §§ 7–14 AStG andererseits nicht der Fall, weil die Rechtsfolge des § 42 AO bereits bei der Einkünftezurechnung ansetzt und die Einkünfte von vornherein dem zurechnet, der sie bei unterstellter angemessener Gestaltung erzielt hätte. Demgegenüber behandeln die §§ 7–14 AStG die (ausländische) Zwischengesellschaft als Einkünfteerzielungssubjekt, sodass ihr die von ihr erzielten Einkünfte aus passivem Erwerb auch steuerlich zugerechnet werden und erst auf einer weiteren Stufe diese Einkünfte so besteuert werden, als hätte die Zwischengesellschaft die von ihr erzielten und ihr zugerechneten Einkünfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausgeschüttet. – Die Anwendung des § 42 AO setzt voraus, dass dessen Tatbestandsmerkmale sämtlich erfüllt sind. Das ist nicht der Fall, wenn – die Hinzurechnungsbesteuerung, auf die Gesamtdauer der Gestaltung gesehen, eine höhere inländische Steuer auslöst5 oder – die Unangemessenheit der Gestaltung ausschließlich auf Tatumständen beruht, die nach § 8 AStG die Einkünfte einer Auslandsgesellschaft als Zwischeneinkünfte qualifizieren.6

14.195

Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass im Ergebnis § 42 AO durch die §§ 7–14 AStG verdrängt wird, soweit über das Erzielen von Einkünften aus passivem Erwerb hinaus keine weiteren Umstände vorliegen, die die Einschaltung einer Auslandsgesellschaft als unangemessen – als Manipulation – erscheinen lassen.7 Die Anwendung des § 42 AO wird im Ergebnis auf

1 Dem Gesetzgeber schwebte zwar eine Missbrauchsabwehrregelung vor; vgl. Wassermeyer in F/W/ B/S, vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 21; Pohl in Fuhrmann3, Vorbem. zu §§ 7 – 14 AStG Rz. 8 ff.; die bloße Niedrigbesteuerung (§ 8 Abs. 3 AStG) und das Vorliegen sog. Einkünfte aus passivem Erwerb (§ 8 Abs. 1 AStG) führen aber noch nicht zu einer „unangemessenen Gestaltung“ (§ 42 Abs. 2 AO). 2 Ein relevantes Konkurrenzverhältnis zu § 39 AO (Zurechnung von Einkünften) und § 41 AO (Scheingeschäfte) ergibt sich nicht; hierzu Reiche in Haase3, § 7 AStG Rz. 10 f. 3 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50 zu § 42 AO a.F. 4 Die Einzelheiten sind umstritten, vgl. Drüen in T/K, vor § 42 AO Rz. 19 ff. 5 Vgl. BFH v. 12.7.1989 – I R 46/85, BStBl. II 1990, 113; BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 6 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 7 So im Ergebnis bei allerdings anderer Begründung Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 8; Reiche in Haase3, § 7 AStG Rz. 13.

734 | Schaumburg/Häck

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.199 Kap. 14

sog. Briefkastengesellschaften ohne eigene Geschäftsräume und ohne eigenes Personal beschränkt und damit insoweit die Ausnahme sein.1 Insoweit ist auch ein Gleichlauf mit unionsrechtlichen Vorgaben gegeben,2 wonach nur rein künstliche Gestaltungen durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) nicht geschützt sind.3

2. Tatbestandsvoraussetzungen Der Grundtatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung umfasst drei Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich die Beteiligung unbeschränkt steuerpflichtiger Personen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu mehr als der Hälfte, die Einkünfte aus passivem Erwerb und die Niedrigbesteuerung der ausländischen Kapitalgesellschaft (Zwischengesellschaft).

14.196

Die unbeschränkte Steuerpflicht der an der Zwischengesellschaft beteiligten natürlichen oder juristischen Personen muss sowohl zum Ende des maßgeblichen Wirtschaftsjahres4 als auch zum Zeitpunkt des Zuflusses des Hinzurechnungsbetrages (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG), also unmittelbar nach Ablauf des maßgeblichen Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft, gegeben sein.5 Die Hinzurechnungsbesteuerung setzt ferner voraus, dass die unbeschränkt Steuerpflichtigen, jedenfalls mit erweitert beschränkt steuerpflichtigen Personen zusammen (§ 7 Abs. 2 AStG), zu mehr als der Hälfte an der Zwischengesellschaft beteiligt sind. Davon abweichend gilt für Zwischengesellschaften, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen, eine Sonderregelung (§ 7 Abs. 6, 6a AStG):

14.197

Betragen die den Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter zugrunde liegenden Bruttoerträge mehr als 10% aber nicht mehr als 90% der gesamten Bruttoerträge6 der ausländischen Zwischengesellschaft oder übersteigen die hiernach außer Ansatz zu lassenden Beträge insgesamt 80.000 Euro, so erfolgt insoweit eine Hinzurechnung zum unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner, wenn dieser mindestens zu 1% an der Zwischengesellschaft beteiligt ist (§ 7 Abs. 6 Sätze 1 und 2 AStG). Betragen die den Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter zugrunde liegenden Bruttoerträge mehr als 90 %7 der gesamten Bruttoerträge der vorgenannten Art, so löst auch eine Beteiligung von weniger als 1 % die Hinzurechnungsfolge aus, es sei denn, die ausländische Gesellschaft ist börsennotiert (§ 7 Abs. 6 Satz 3 AStG).

14.198

Die Hinzurechnungsbesteuerung greift nur ein, soweit die Zwischengesellschaft niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb erzielt. Das Gesetz enthält allerdings nicht etwa einen Katalog der Einkünfte aus passivem Erwerb, sondern einen numerus clausus der Einkünfte aus aktiver Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 AStG). Alle nicht ausdrücklich als Einkünfte aus aktiver Tätigkeit genannten Einkünfte sind also demnach solche aus passivem Erwerb. Soweit mehrere der in dem Einkünftekatalog aufgeführten Tätigkeiten ausgeübt werden, sind diese, soweit

14.199

1 Hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.32f; Winkelmann, Steuerumgehung durch die Einschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften, 73 (202 ff.); Kraft, IStR 1993, 148 (153); Gosch in FS Reiß, 2008, 597 (602, 604 f.). 2 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995. 3 Vgl. § 8 Abs. 2 AStG. 4 Hierzu Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 9.3, 21.2, 69. 5 Hierzu Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 9.3, 21.2, 69, § 10 AStG Rz. 156 ff. 6 Solleinnahmen ohne durchlaufende Posten und ohne gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer, vgl. BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 9.0.1; zu Einzelheiten Reiche in Haase3, § 7 AStG Rz. 120 f. 7 Ausschließlich oder fast ausschließlich; vgl. BFH v. 30.8.1995 – I R 77/94, BStBl. II 1996, 122; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 76.1.

Schaumburg/Häck | 735

Kap. 14 Rz. 14.199 | Materielles Steuerrecht

sie in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, derjenigen Tätigkeit zuzuordnen, die das Gepräge gibt.1 Hieraus folgt, dass für die Einkünftequalifikation eine funktionale Betrachtungsweise geboten ist.2 Aufgrund dieser funktionalen Betrachtungsweise sind insbesondere Einkünfte aus Nebentätigkeiten denen der Haupttätigkeit zuzuordnen. So gehören etwa Zinserträge für die Anlage von Kapital eines Produktionsunternehmens, z.B. für spätere Investitionen, sowie Zinserträge für die Stundung von Forderungen aus Lieferung von Produktionsgütern zu den Einkünften aus aktiver Tätigkeit, obwohl Zinserträge – isoliert betrachtet – zu den Einkünften aus passivem Erwerb zählen. Als aktive Einkünfte werden aufgeführt: – Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG); – Einkünfte aus industrieller Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG); – Einkünfte aus Bank- und Versicherungsgeschäften, soweit hierfür ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Betrieb unterhalten wird, es sei denn, es handelt sich überwiegend um konzerninterne Geschäfte (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG);3 – Einkünfte aus Handelstätigkeit, soweit sie eigenständig operierenden Handelsgesellschaften mit weit verzweigtem Kundennetz zuzuordnen ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG);4 – Einkünfte aus Dienstleistungen, soweit diese tatsächlich von den entsprechenden Dienstleistungsgesellschaften ausgeführt werden (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG);5 – Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wobei allerdings zumeist6 Lizenzgebühren von Patentverwertungsgesellschaften ausgenommen sind;7 – Einkünfte aus Finanzierungstätigkeit, soweit das Kapital ausschließlich bei fremden Dritten auf ausländischen Kapitalmärkten aufgenommen und entweder inländischen Betrieben oder Betriebsstätten oder im Ausland belegenen aktiv tätigen Betrieben oder Betriebsstätten zugeführt wird (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG); – Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften (§ 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG); – Beteiligungsveräußerungsgewinne (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG);8 – Umwandlungsgewinne (§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG).9

1 BFH v. 16.5.1990 – I R 16/88, BStBl. II 1990, 1049; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 8.0.2. 2 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 31 ff.; Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 13; Geurts in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 36 ff.; Vogt in Blümich, § 8 AStG Rz. 12 ff.; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 8.0.2. 3 Im Einzelnen hierzu Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 31 ff. 4 Zu den näheren auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelten Ausnahmeregelungen im Einzelnen Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.88 ff. 5 Zu Einzelheiten Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 49 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.100 ff. 6 Ausnahme: eigene Forschungs- und Entwicklungstätigkeit. 7 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.110 ff. 8 Zu den Ausnahmen Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 304.1 ff.; Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 89 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.118 ff. 9 Zu den Besonderheiten Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 316.1 ff.; Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 99 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.136 ff.

736 | Schaumburg/Häck

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.204 Kap. 14

Soweit nach Maßgabe des vorstehenden Einkünftekatalogs die Einkünfte als passiv zu qualifizieren sind, enthält § 8 Abs. 2 AStG für EU-/EWR-Gesellschaften eine Ausnahmeregelung, soweit diese im EU-/EWR-Bereich einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen und zudem vonseiten der vorgenannten Staaten Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen.1

14.200

Die Hinzurechnungsbesteuerung kommt schließlich nur in Betracht, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte aus passivem Erwerb der ausländischen Gesellschaft einer niedrigeren Besteuerung unterliegt. Dies ist allgemein der Fall, wenn die Belastung dieser Einkünfte durch Ertragsteuern2 weniger als 25% beträgt, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht (§ 8 Abs. 3 Satz 1 AStG).

14.201

3. Rechtsfolge Als Rechtsfolge ergibt sich im Grundsatz, dass die niedrig besteuerten Einkünfte aus passivem Erwerb der ausländischen Kapitalgesellschaft (Zwischeneinkünfte) dem unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner nach Maßgabe seiner Beteiligung unmittelbar nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft als eigene Einkünfte zufließen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG). Die Zwischeneinkünfte sind hierbei in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AStG). Steuerliche Vergünstigungen, die an die unbeschränkte Steuerpflicht oder an das Bestehen eines inländischen Betriebs oder einer inländischen Betriebsstätte anknüpfen, bleiben allerdings ebenso außer Betracht wie bestimmte Vorschriften des EStG, des KStG und des UmwStG (§ 10 Abs. 3 Satz 4 AStG).3

14.202

In den Fällen eines mehrstufigen Beteiligungsaufbaus, in denen einer ausländischen Obergesellschaft eine oder mehrere Zwischengesellschaften nachgeschaltet sind, werden die Zwischeneinkünfte dieser Untergesellschaften der vorgeschalteten Obergesellschaft zugerechnet (§ 14 Abs. 1 Satz 1 AStG). Die Zurechnung setzt auf der Ebene der ausländischen Obergesellschaft bei der Berechnung des Hinzurechnungsbetrages an.4 Die zuzurechnenden Zwischeneinkünfte der ausländischen Untergesellschaft gehören zu den dem Hinzurechnungsbetrag der ausländischen Obergesellschaft gem. § 10 Abs. 3 AStG zugrunde liegenden Einkünften. Diese Zurechnung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 AStG hat an erster Stelle unmittelbar nach Ermittlung der Zwischeneinkünfte zu erfolgen (zu Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit ausländischen Basisgesellschaften Rz. 16.214 ff.).5

14.203

Bei der Ermittlung des beim unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner anzusetzenden Hinzurechnungsbetrags sind die zugrunde liegenden Zwischeneinkünfte um die von der ausländischen Kapitalgesellschaft entrichteten außerbetrieblichen Steuern zu kürzen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AStG).6 Schließlich sind die Zwischeneinkünfte auch noch zu kürzen um bestimmte

14.204

1 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.140 ff. 2 Das sind Steuern auf das Gesamteinkommen oder Teile des Einkommens; vgl. hierzu BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 8.3.1.2. 3 Zu Einzelheiten Intemann in Haase3, § 10 AStG Rz. 81 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.167 ff. 4 BFH v. 28.9.1988 – I R 91/87, BStBl. II 1989, 13. 5 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.243; zu Einzelheiten im Zusammenhang mit der Zurechnung von Zwischeneinkünften nachgeschalteter Untergesellschaften dort unter Rz. 13.243 ff. 6 Begründung: Der Hinzurechnungsbesteuerung kann nur der Betrag unterliegen, den die ausländische Gesellschaft günstigstenfalls hätte ausschütten können.

Schaumburg/Häck | 737

Kap. 14 Rz. 14.204 | Materielles Steuerrecht

steuerfreie Beteiligungsveräußerungsgewinne (§ 11 AStG) und um einen Verlustabzug (§ 10 Abs. 3 Satz 5 AStG i.V.m. § 10d EStG). Der sich so ergebende Hinzurechnungsbetrag ist nach Maßgabe der Beteiligung eines jeden einzelnen unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigners sodann als eigene Einkünfte anzusetzen.1 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der betreffende Anteilseigner von dem ihm eingeräumten Wahlrecht Gebrauch macht und statt des Steuerabzugs die Anrechnung der von der ausländischen Kapitalgesellschaft entrichteten Steuern begehrt (§ 12 Abs. 1 AStG). In diesem Fall ist der Hinzurechnungsbetrag um die anteiligen anrechenbaren Steuern zu erhöhen (Aufstockungsbetrag). Der auf diese Weise ermittelte anzusetzende Hinzurechnungsbetrag wird steuerlich als Dividende (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG i.V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) angesetzt und entweder den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder den Einkünften aus Gewerbebetrieb, aus Land- und Forstwirtschaft oder aus selbständiger Arbeit zugeordnet, wenn die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft zu einem Betriebsvermögen gehört (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AStG).

14.205

Auf den anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag finden § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG (Teileinkünfteverfahren), § 32d EStG (Abgeltungsteuer) sowie § 8b Abs. 1 KStG (Dividendenfreistellung) keine Anwendung, wodurch im Ergebnis sichergestellt wird, dass die betreffenden Zwischeneinkünfte auf das maßgebliche inländische Ertragsteuerniveau angehoben werden.2 Im Hinblick darauf, dass der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag als (fiktive) Einnahme zu qualifizieren ist, regelt § 10 Abs. 2 Satz 4 AStG, dass hierauf § 3c Abs. 2 EStG entsprechend zur Anwendung kommt3 mit der Folge, dass auf Gesellschafterebene anfallende Werbungskosten und Betriebsausgaben nur zu 60% abzugsfähig sind,4 obwohl der Hinzurechnungsbetrag voll besteuert wird.5

14.206

Soweit der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört, unterliegt dieser im Grundsatz auch der Gewerbesteuer (§ 7 Satz 7 GewStG).6 Da der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag aufgrund der teleologischen Ausrichtung der Hinzurechnungsbesteuerung als „Quasi-Ausschüttung“ (Dividende) zu qualifizieren ist,7 kommt die Anwendung der Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG in Betracht,8 die im Ergebnis auch bei Drittstaatensachverhalten zur Anwendung kommt.9

14.207

Die für den anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag vorgenommene Qualifizierung als Dividende (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG) wirkt auch abkommensrechtlich (§ 20 Abs. 1 AStG). Hieraus folgt, dass Deutschland grundsätzlich auch insoweit den anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag nach Maßgabe der für Dividenden geltenden Verteilungsnormen (Art. 10 OECD-MA) besteuern darf.10 Wird zu einem späteren Zeitpunkt seitens der ausländischen 1 Zum Ermittlungsschema vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.166. 2 Zu Einzelheiten Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 202 ff. 3 Allerdings keine Anwendung auf Kapitalgesellschaften; zu Einzelheiten Wassermeyer/Schönfeld in F/ W/B/S, § 10 AStG Rz. 208 ff.; Luckey in S/K/K, § 10 AStG Rz. 61; Köhler/Haun, Ubg 2008, 73 (87). 4 Gegen BFH v. 7.9.2005 – I R 118/04, BStBl. II 2006, 537 durch das JStG 2008 in das Gesetz eingefügt; vgl. zur Anwendung § 21 Abs. 17 Satz 1 AStG. 5 Das kann zu einer Überbesteuerung führen. 6 Nichtanwendungsgesetz gegen BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BFH/NV 2015, 921 (gewerbesteuerliche Kürzung beim inländischen Anteilseigner gem. § 9 Nr. 3 GewStG). 7 BFH v. 7.9.2005 – I R 118/04, BStBl. 2006, 537; BFH v. 11.2.2009 – I R 40/08, IStR 2009, 363. 8 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 187. 9 EuGH v. 20.9.2018 – C-685/16, ECLI:EU:C:2018:743 – EV, BStBl. II 2019, 111; gleichlautender Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder v. 25.1.2019, BStBl. I 2019, 91. 10 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.207.

738 | Schaumburg/Häck

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.208 Kap. 14

Kapitalgesellschaft tatsächlich ausgeschüttet, wird zwecks Vermeidung einer Doppelbelastung unter bestimmten Voraussetzungen eine Steuerbefreiung gewährt (§ 3 Nr. 41 EStG). Eine etwa einbehaltene Kapitalertragsteuer kann gleichwohl angerechnet werden (§ 12 Abs. 3 AStG).

VI. Zurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen Literatur: Kommentare zu § 15 AStG; Habammer, Der ausländische Trust im deutschen Ertrag- und Erbschaft-/Schenkungsteuerrecht, DStR 2002, 425; Helmert, Die Zurechnung nach § 15 AStG bei Verlusten, IStR 2005, 272; Hey, Hinzurechnungsbesteuerung bei ausländischen Familienstiftungen gem. § 15 AStG i.d.F. des JStG 2009 – europa- und verfassungswidrig!, IStR 2009, 181; Jülicher, Zurechnung von Erträgen und Vermögen einer Auslandsstiftung nach § 15 AStG, PIStB 2002, 8; Kellersmann/ Schnitger, Europarechtliche Bedenken hinsichtlich der Besteuerung ausländischer Familienstiftungen, IStR 2005, 253; Kinzl, Nachfolgeplanung mit Familienstiftungen: § 15 AStG zwischen Hindernis und Europarechtswidrigkeit, IStR 2005, 264; Kirchhain, Die Familienstiftungen und ihrer Begünstigten in Deutschland, DB 2006, 414; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Herne 2010; von Löwe, Österreichische Privatstiftung mit Stiftungsbeteiligten in Deutschland, IStR 2005, 578; Milatz/ Herbst, Die Besteuerung der Destinatäre einer ausländischen Familienstiftung, BB 2012, 1500; Opel, Steuerliche Behandlung von Familienstiftungen, Stiftern und Begünstigten in nationalen und internationalen Verhältnissen, Zürich 2009; Piltz, Die österreichische Privatstiftung in der Nachfolgeplanung – für Steuerinländer tabu?, ZEV 2000, 378; Rehm/Nagler, Zurechnungsbesteuerung bei ausländischen Familienstiftungen (§ 15 AStG) und die Empfängerbenennung (§ 160 AO) auf dem Prüfstand des Gemeinschaftsrechts, IStR 2009, 284; Richter/Wachter, Handbuch des internationalen Stiftungsrechts, Angelbachtal 2007; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 14.1; Schönfeld, Probleme der neuen einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für Zwecke der Anwendung des § 15 AStG (ausländische Familienstiftungen), IStR 2009, 16; Schulz, Die Besteuerung ausländischer Familienstiftungen nach dem Außensteuergesetz, Wiesbaden 2010; Seifart/von Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl. München 2014; Wassermeyer, Die Zurechnung von Einkünften aus Kapital, DStJG 30 (2007), 257; Wassermeyer, Einkommenszurechnung nach § 15 AStG, IStR 2009, 191; Wassermeyer, Zurechnung negativen Einkommens nach § 15 AStG im Verfahren nach § 180 AO, IStR 2009, 72; Wienbracke, Die ertragsteuerliche Behandlung von Trusts nach nationalem und nach DBA-Recht, RIW 2007, 201.

Ebenso wie Kapitalgesellschaften werden auch Stiftungen als eigenständige Steuersubjekte behandelt. Das gilt auch dann, wenn derartige Stiftungen Vermögen lediglich im Interesse des Stifters oder der Destinatäre halten. Soweit Vermögen in ausländischen Familienstiftungen angelegt ist, entfalten diese gegenüber der deutschen Besteuerung eine Abschottungswirkung mit der Folge, dass eine Besteuerung im Inland allenfalls dann ermöglicht wird, wenn unbeschränkt steuerpflichtigen Personen Vermögen oder Einkommen zugewendet wird. § 15 AStG zielt auf die Besteuerung der den Familienstiftungen nahestehenden und unbeschränkt steuerpflichtigen Personen ab.1 Die durch ausländische Familienstiftungen gegenüber der deutschen Besteuerung verursachte Abschottungswirkung wird dadurch durchbrochen, dass Einkünfte2 und Vermögen3 dieser ausländischen Familienstiftungen unmittelbar dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter, Anfalls- oder Bezugsberechtigten zugerechnet werden (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG).

1 Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 14.1. Hinweis: § 15 AStG soll mit Wirkung ab 2021 geändert werden (Art. 5, 5. Teil des ATADUmsG-E). 2 Hierfür erfolgt eine gesonderte Feststellung gem. § 18 Abs. 4 AStG; so die Neureglung i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 3 Die Vermögensteuer wird nicht mehr erhoben, und für die Erbschaftsteuer gilt § 15 AStG nicht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 AStG).

Schaumburg/Häck | 739

14.208

Kap. 14 Rz. 14.209 | Materielles Steuerrecht

14.209

Unter die Zurechnungsvorschrift des § 15 AStG fallen in erster Linie ausländische Familienstiftungen.1 Gemäß § 15 Abs. 2 AStG sind Familienstiftungen Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind. Während Stifter derjenige ist, der die Stiftung errichtet und/oder dieser Vermögen zugewendet hat,2 das dem Stiftungskapital zuwachsen soll, sind Angehörige die in § 15 AO und Abkömmlinge die in § 1589 BGB genannten Personen.

14.210

Bei der Frage, ob eine Bezugs- oder Anfallsberechtigung zu mehr als der Hälfte vorliegt, ist getrennt auf die Bezugs- oder die Anfallsberechtigung abzustellen,3 wobei jeweils die Barwerte der jeweiligen Bezüge bzw. des Anfalls4 die Ausgangsgröße für die Quotenbesteuerung bilden (zu Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit ausländischen Familienstiftungen Rz. 16.199 ff.).5

14.211

Neben Familienstiftungen werden über § 15 Abs. 3 AStG auch Unternehmensstiftungen erfasst, soweit sie überwiegend den Stifter und/oder seine Gesellschafter, von ihm abhängige Gesellschaften, Mitglieder, Vorstandsmitglieder, leitende Angestellte oder Angehörige dieser Personen begünstigen.6 Stifter selbst kann hiernach ein Unternehmer, Mitunternehmer sowie eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse sein.

14.212

Schließlich werden auch sonstige Zweckvermögen und Vermögensmassen wie Familienstiftungen behandelt (§ 15 Abs. 4 AStG). Voraussetzung ist indessen, dass sie auch Stiftungscharakter haben, d.h., dass nach der Satzung Bezugs- und/oder Anfallsberechtigte vorgesehen sind.7 Damit werden von der Reichweite des § 15 AStG auch ausländische Trusts erfasst, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um rechtsfähige oder um nichtrechtsfähige Gebilde handelt; die wirtschaftliche Selbständigkeit reicht aus.8 Voraussetzung ist allerdings, dass der Trust selbst Einkünfteerzielungssubjekt ist. Sog. revocable Trusts, bei denen der Errichter oder Treugeber (settlor, grantor) dem Vermögensverwalter (trustee) Vermögenswerte nur widerruflich zum Eigentum überträgt, führen nicht zur Übertragung einer Einkunftsquelle: Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO sind die Einkünfte unverändert dem Treugeber zuzurechnen.9 Denkbar ist aber auch, dass der trustee das Vermögen treuhänderisch für die Anfalls- bzw. Bezugsberechtigten (beneficiaries) hält mit der Folge, dass die Einkünfte unmittelbar diesem

1 Zum Typenvergleich BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 47. 2 Oder für dessen Rechnung Vermögen übertragen wird; vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.1. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 86 ff.; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 42. 4 Das Einkommen der Stiftung ist unmaßgeblich. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 90; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.3; modifizierend Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 43, die bei Anfallsberechtigten die bloße Addition der jeweiligen Ansprüche auf das Stiftungsvermögen, bei Auflösung der Stiftung also ohne Abzinsung, für ausreichend halten; vgl. die Übersicht der zum Teil stark divergierenden Literaturmeinungen bei Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 59. 6 Zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 98 ff. 7 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 126; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 70; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 130. 8 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727. 9 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; vgl. auch BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 132; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 14.14.

740 | Schaumburg/Häck

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.214 Kap. 14

Personenkreis zuzurechnen sind.1 In diesem Fall greift § 15 AStG ebenfalls nicht ein. Erfasst wird lediglich der sog. irrevocable Trust, bei dem der settlor dem trustee die Wirtschaftsgüter endgültig zu Eigentum überträgt, ohne dass der settlor oder die beneficiaries als wirtschaftliche Eigentümer des Trustvermögens anzusehen sind. In diesem Fall besteht lediglich eine treuhänderische Bindung des trustees gegenüber dem Trust, die ihre Grundlage in einem Vertrag zugunsten Dritter zwischen dem settlor und dem trustee hat. Hieraus folgt, dass die Einkünfte des Trusts als Vermögensmasse gem. § 15 Abs. 4 AStG der Zurechnung (§ 15 Abs. 1 AStG) unterliegen.2 Aus der Zurechnung von Einkünften folgt, dass die Ermittlung der Einkünfte3 auf der Stufe der ausländischen Familienstiftung vorzunehmen ist, sodass allein deren Verhältnisse maßgeblich sind.4 Die zurechnungspflichtigen Einkünfte sind hierbei nach den Vorschriften des KStG und des EStG zu ermitteln (§ 8 Abs. 1 KStG), allerdings mit der Maßgabe, dass in Anwendung von § 10 Abs. 3 AStG bestimmte Steuerbefreiungen (z.B. § 8 Abs. 1 und 2 KStG) unberücksichtigt bleiben (§ 15 Abs. 7 AStG).5 Zu den Einkünften der ausländischen Familienstiftung gehören auch die Zwischeneinkünfte nachgeschalteter Zwischengesellschaften und in Drittstaaten ansässiger Stiftungen (§ 15 Abs. 9 und 10 AStG).6 Im Ergebnis werden damit die Regelungen der §§ 7 – 14 AStG (Hinzurechnungsbesteuerung) insoweit auf § 15 AStG ausgedehnt. Die Zurechnung erfasst allerdings keine negativen Einkünfte (§ 15 Abs. 7 Satz 2 AStG). Zulässig ist lediglich ein Verlustrück- oder Verlustvortrag gem. § 10d EStG (§ 15 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG).

14.213

Die Zurechnung erfolgt in erster Linie bei dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AStG). Scheidet eine Zurechnung hiernach aus, werden Einkünfte und Vermögen der ausländischen Familienstiftung bei den unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugsund Anfallsberechtigten entsprechend ihrem Anteil zugerechnet (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AStG). Bezugs- und Anfallsberechtigter kann nur sein, wer gegenüber der Stiftung einen Rechtsanspruch oder jedenfalls eine rechtliche Anwartschaft hat.7 Die zuzurechnenden Einkünfte sind bei den vorgenannten (natürlichen) Personen Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG), soweit sie nicht zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören (§ 15 Abs. 8 Sätze 1 und 2 Halbs. 1 AStG).8 Hierbei kommt auch das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG) sowie die abgeltende Besteuerung (§ 32d EStG) zur Anwen-

14.214

1 Das setzt voraus, dass sich der settlor des Vermögens endgültig begeben hat und die beneficiaries als wirtschaftliche Eigentümer des Trustvermögens anzusehen sind; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 2 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 32; Bredow, WIB 1995, 775 (780); Seibold, IStR 1993, 545 ff. 3 Zu ermitteln nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts (§ 15 Abs. 7 Satz 1 AStG). 4 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 8.4.2009 – I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437; von Löwe, IStR 2005, 578; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.1.1. 5 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 6 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 7 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 54 ff.; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 50; Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 14.25; a.A. BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98 BFH/NV 2001, 1457; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.1, wonach es für die Berechtigung ausreicht, dass die Zuwendung tatsächlich erfolgt oder nach den Umständen zu erwarten ist. 8 Vgl. hierzu Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 231 ff.

Schaumburg/Häck | 741

Kap. 14 Rz. 14.214 | Materielles Steuerrecht

dung (§ 15 Abs. 8 Satz 2 Halbs. 2 AStG).1 Für der Körperschaftsteuer unterworfene (juristische) Personen greift die Freistellung gem. § 8b Abs. 1 und 2 KStG ein (§ 15 Abs. 8 Satz 3 AStG).2

14.215

Erfolgen tatsächliche Zuwendungen unterbleibt eine Besteuerung beim Stifter und/oder bei den Bezugs- oder Anfallsberechtigten, soweit die zugrunde liegenden Einkünfte bereits zugerechnet worden sind (§ 15 Abs. 10 Satz 2 AStG).

VII. Internationale Einkünfteabgrenzung Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Kommentare zu § 8 Abs. 3 KStG, § 1 AStG und zu Art. 7 Abs. 2 und Art. 9 OECD-MA; Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, Hamburg 2000; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung im Steuerrecht, Berlin 2004; Baumhoff/Bodenmüller, Die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne/Berlin 2011, 541; Baumhoff/Liebchen, Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, 3.1 ff.; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen im Ausland, Düsseldorf 2004; Borstell, Verrechnungspreispolitik bei konzerninternen Lieferungsbeziehungen, in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne/Berlin 2011, 519; Brändel, Verrechnungspreise bei grenzüberschreitender Lizenzierung von Marken im Konzern, Berlin 2010; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten: Ableitung einer rechtsformneutralen Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes im internationalen Steuerrecht, Berlin 2004; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen in Schaumburg/Rödder, Unternehmenssteuerreform 2008, Köln 2007, 541; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. München 2016, 549 ff., 1078 ff.; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Dienstleistungen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne/Berlin 2011, 693; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied 2001; Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, Göttingen 2008; Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Köln; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Kurzewitz, Die Bestimmung von Verrechnungspreisbandbreiten als Problem der internationalen Doppelbesteuerung, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne/Berlin 2011, 635; Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften: Steuerliche Gewinnermittlung und Einkunftsabgrenzung, Berlin 2008; Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern, Lohmar 2003; Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, München 2000; Rasch, Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht, Köln 2001; Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, Herne/Berlin 2010; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 21.1 ff.; Schein, Verrechnungspreismethoden für den datennetzgeschützten Geschäftsverkehr zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften, München 2005; Schuch, Verrechnungspreisgestaltung im Internationalen Steuerrecht, Wien 2001; Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, 5. Aufl. München 2020, Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, Berlin 2003; Wehner, Verrechnungspreise, Bonn 2003; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen 2009: Die steuerliche Behandlung von Verrechnungspreisen, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, nach der Unternehmenssteuerreform 2008, Baden-Baden 2009; Ziehr, Einkünftezurechnung im internationalen Einheitsunternehmen, Lohmar 2008.

1 Zu Einzelheiten Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 2 ff. 2 Zu Einzelheiten Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 376 ff.

742 | Schaumburg/Häck und Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.218 Kap. 14

1. Grundlagen Das Internationale Steuerrecht verlangt innerhalb einer jeden Einkunftsart eine Abgrenzung zwischen in- und ausländischen Einkünften.1 Die Zuordnung zu ausländischen Einkünften ist für unbeschränkt steuerpflichtige Personen im Hinblick auf Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (z.B. §§ 34c und 34d EStG) erforderlich. Demgegenüber knüpft die beschränkte Steuerpflicht nur an inländische Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) an. Diese internationale Einkünftezuordnung (Einkünfteabgrenzung) erfolgt entweder bei ein und demselben Steuerpflichtigen – etwa bei der Ausgrenzung von Betriebsstättengewinnen aus dem Gesamtgewinn des Stammhauses für Zwecke des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und der Steuerentstrickung und Steuerverstrickung gem. § 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 und 8 EStG sowie gem. § 1 Abs. 4, 5 AStG – oder bei verschiedenen Steuersubjekten. Die Einkünfteabgrenzung zwischen verschiedenen Steuersubjekten führt hierbei nicht selten zu einer Einkünftekorrektur nach den Regeln der verdeckten Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 1 KStG), der verdeckten Einlage (§ 8 Abs. 1 Satz 3 KStG) oder gem. § 1 AStG.2

14.216

Einkunftsartenzuordnung, Einkünfteermittlung und subjektive Einkünftezuordnung des Einkommensteuerrechts finden ihre Parallele auch in DBA. Dort geht es vor allem um die Zuordnung der Einkünfte zu den einzelnen Verteilungsnormen. Während hierfür die DBA weitgehend eigenständige Regelungen vorsehen, wird für Zwecke der subjektiven Einkünftezuordnung und der Einkünfteermittlung durchweg auf das jeweilige innerstaatliche Recht verwiesen.3

14.217

Die Einkünfteabgrenzung nach Maßgabe des nationalen Rechts und des Abkommensrechts betrifft ferner das grenzüberschreitende Verhältnis zwischen in- oder ausländischen Betriebsstätten und dem in- oder ausländischen Stammhaus. Als Stammhaus im vorgenannten Sinne kommen neben natürlichen Personen als Einzelunternehmer und Kapitalgesellschaften auch Personengesellschaften in Betracht. Soweit es um die Einkünfteabgrenzung verschiedener Steuersubjekte geht, sind insbesondere angesprochen die grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen in- und ausländischen Kapitalgesellschaften und ihren in- oder ausländischen Gesellschaftern sowie entsprechend für Personengesellschaften, die gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG den Kapitalgesellschaften gleichgestellt sind.

14.218

2. Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten Literatur (ab 2000): Andresen/Busch, Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung: Steuerliche Untiefen bei der Transformierung des Authorised OECD Approaches in nationales Recht, Ubg 2012, 451; Baldamus, Neues zur Betriebsstättengewinnermittlung, Ifst-Schrift 480 (2012); Bendlinger, Die deutschen Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung, TPI 2017, 58; Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, Tützingen 2016; Busch, Fiktive Transaktionen im Authorised OECD Approach, BB 2012, 2281; Dietz/Luckhaupt, Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – Neues Gewinnermittlungsrecht für Betriebsstätten, ISR 2015, 1; Ditz, Betriebsstättengewinnabgrenzung nach dem „Authorised OECD Approach“ – Eine kritische Analyse, ISR 2012, 48; Froitzheim, Steuerliche Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und deren Auswirkung auf die Gewinnabgrenzung, Köln 2015; Girlich/Müller, Betriebsstätte und Authorized OECD Approach, ISR 2015, 169; Greier/Persch, Auswirkungen der Änderung des Art. OECD-MA auf die Gewinnabgrenzung bei Baubetriebsstätten, BB 2012, 1318; Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorised OECD Approach“ (AOA) für 1 Vgl. zum folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.1 ff. 2 Die Regelungen zur Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG sollen mit Wirkung ab 2021 geändert werden (Art. 5, 1. Teil des ATADUmsG-E). 3 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 1 OECD-MA Rz. 49, Drüen in Wassermeyer, DBA, Vor 6 – 22 OECD-MA Rz. 55 ff.

Schaumburg | 743

Kap. 14 Rz. 14.218 | Materielles Steuerrecht die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37; Hruschka, Die Zuordnung von Beteiligungen zu Betriebsstätten und Personengesellschaften, IStR 2016, 437; Kaeser, Betriebsstättenvorbehalte und AOA: "Der Begriff der tatsächlichen Zugehörigkeit" nach dem OECD-MK 2010, ISR 2012, 63; Kahle, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstäten nach dem Authorised OECD Approach, in Lüdicke/ Mössner/Hummel, Das Steuerrecht der Unternehmen, FS Frotscher, Freiburg 2013, 287; Kahle/Mödinger, Betriebsstättenbesteuerung: Zur Anwendung und Umsetzung des Authorised OECD Approach, DStZ 2012, 802; Kraft/Dombrowski, Die Praktische Umsetzung des „Authorized OECD Approach“ vor dem Hintergrund der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, FR 2014, 1105; Kroppen, Der „Authorised OECD Approach“ zur Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in Kessler/Förster Watrin, Unternehmensbesteuerung, FS Herzig, München 2010, 1071; Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Aufl. München 2017; Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne/Berlin 2016; Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018; Schaumburg, Grenzüberschreitende Einkünftekorrektur bei Betriebstätten, ISR 2013, 197 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 21.16; Schnitger, Änderungen des § 1 AStG und Umsetzung des AOA durch das JStG 2013, IStR 2012, 633; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl. Köln 2018; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Aufteilung von Unternehmensgewinnen zwischen den beteiligten Staaten, IStR 2012, 277; Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, 5. Aufl. München 2020.

a) Allgemeine Hinweise

14.219

Das Erfordernis internationaler Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten besteht – allerdings mit unterschiedlichem Funktionsgehalt – sowohl auf der Ebene des innerstaatlichen Rechts als auch auf der des Abkommensrechts. Entsprechendes gilt für die internationale Vermögenszuordnung, die nach gleichen Kriterien erfolgt.1

14.220

Im innerstaatlichen Recht sind Betriebsstätteneinkünfte für Zwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer Anknüpfungsmerkmale einerseits für die beschränkte Steuerpflicht2 und andererseits für unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung3 sowie für die Verlustausgleichsbeschränkungen gem. § 2a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG, für die Entstrickung und Verstrickung gem. § 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 und 8, § 16 Abs. 3a EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) und für die grenzüberschreitende Einkünftekorrektur (§ 1 Abs. 5 AStG).

14.221

Darüber hinaus verlangt auch das Gewerbesteuergesetz die Ermittlung von Betriebsstätteneinkünften: Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer, soweit er im Inland betrieben wird. Der auf eine Auslandsbetriebsstätte entfallende Gewinn ist damit nicht der Gewerbesteuer ausgesetzt (Kürzung gem. § 9 Nr. 3 GewStG).4

14.222

Im Abkommensrecht dagegen sind Betriebsstätteneinkünfte Kriterium für das Besteuerungsrecht des einen oder anderen Vertragsstaates (Art. 7 OECD-MA; zum Betriebsstättenprinzip). Auf beiden Ebenen geht es zwar gleichermaßen darum, der Betriebsstätte diejenigen Einkünfte zuzuordnen, die sie im Rahmen des Gesamtunternehmens erwirtschaftet hat, die hierfür 1 Zur Parallelität der Zuordnungsregeln Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.16. 2 § 1 Abs. 4, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, § 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 KStG i.V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte). 3 § 34c, § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG, § 26 Abs. 1 und 2 KStG (Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte). 4 Anders § 7 Satz 8 GewStG, wonach (fiktive) Zwischeneinkünfte einer ausländischen Betriebsstätte ab 2017 der Gewerbesteuer unterliegen (§ 36 Abs. 2a GewStG).

744 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.225 Kap. 14

maßgeblichen Regeln sind aber unterschiedlich. Die Einkünftezuordnung bezieht sich insoweit also stets nur auf verschiedene Unternehmensteile ein und desselben Steuerpflichtigen. Im innerstaatlichen Recht orientiert sich die Einkünftezuordnung im Grundsatz am Veranlassungsprinzip (Erwirtschaftungsprinzip).1 Das gilt im Rahmen der unbeschränkten und der beschränkten Steuerpflicht gleichermaßen. Während bei unbeschränkter Steuerpflicht die Einkünftezuordnung zur inländischen Betriebsstätte lediglich Bedeutung für die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrages (§ 28 GewStG) hat, entscheidet die Zuordnung zu einer ausländischen Betriebsstätte darüber, ob und ggf. in welchem Umfang ausländische Steuern angerechnet oder abgezogen werden können (§ 34c Abs. 1 – 3, § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG, § 26 KStG).2

14.223

Bei beschränkter Steuerpflicht ist die inländische Betriebsstätte ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die Besteuerung. Der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, wonach inländische Einkünfte vorliegen, wenn für den Gewerbebetrieb im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird, bietet Orientierungsmaßstäbe für die Auslegung im Sinne einer Einkünftezuordnung nur im Zusammenwirken mit der in § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG getroffenen Regelung, aufgrund deren Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) oder Werbungskosten (§ 9 EStG) nur insoweit abgezogen werden können, als sie mit inländischen Einkünften im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Da ein unmittelbarer Zusammenhang nicht verlangt wird, gilt insoweit das allgemein für Betriebsausgaben und Werbungskosten gültige Veranlassungsprinzip.3 Dieses Veranlassungsprinzip artikuliert sich konkret in § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG: Danach sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb solche, die durch eine in einem ausländischen Staat belegene Betriebsstätte erzielt werden. Dieses Veranlassungsprinzip wird in Bezug auf die internationale Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten objektiviert durch das dealing at arm's lengthPrinzip, das somit auch im innerstaatlichen Steuerrecht Anwendung findet.4

14.224

Das Veranlassungsprinzip knüpft an das Unternehmen als Einheit mit der Folge an, dass bloße Innentransaktionen etwa zwischen Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte im Grundsatz nicht Gegenstand einer Einkünftezuordnung sind. Grenzüberschreitend sind im Ertragssteuerrecht allerdings Ausnahmen vorgesehen, und zwar aufgrund der Regelungen über die Entstrickung (Rz. 14.30 ff.) und Verstrickung (Rz. 14.43 ff.). Darüber hinaus enthält auch § 1 AStG eine Sonderregelung, wonach für Zwecke der grenzüberschreitenden Einkünftekorrektur etwa zwischen Stammhaus und Betriebsstätte Außentransaktionen fingiert werden. Diese Selbständigkeitsfiktion beruht auf § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG, wonach im Ergebnis die Einkünfte des Einheitsunternehmens zwischen Betriebsstätte und Stammhaus nach denselben Grundsätzen zu verteilen sind wie zwischen Tochter- und Muttergesellschaft (Entgeltsprinzip). Dieses Konzept des „Authorised OECD Approach“ (AOA) suspendiert das Veranlassungsprinzip (Erwirtschaftungsprinzip). Die AOA-Regeln haben indessen eine begrenzte

14.225

1 Vgl. Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 137; Hey in T/L23, § 8 Rz. 230 ff.; speziell zum internationalen Kontext: BFH v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch², Rz. 1.31. 2 Hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 18.49 ff. 3 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; vgl. auch BFH v. 17.11.1999 – I R 7/99, BStBl. II 2000, 605; BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510; BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.271. 4 BFH v. 9.11.1988 – I R 335/83, BStBl. II 1989, 510; Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 1.23.

Schaumburg | 745

Kap. 14 Rz. 14.225 | Materielles Steuerrecht

Reichweite: Sie gelten nur im Rahmen der Einkünftekorrektur (§ 1 Abs. 5 AStG),1 ferner nur für (fingierte) Geschäftsbeziehungen (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG) zum Ausland und nur dann, wenn die Einkünftekorrektur zu einer Einkünfteerhöhung führt.2

14.226

Das Abkommensrecht enthält ebenfalls eine entsprechende AOA-Regelung (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010), so dass auch insoweit für Zwecke der Gewinnabgrenzung die Betriebsstätte als selbständiges Unternehmen fingiert wird. Innerhalb der hierdurch gesetzten Schrankenwirkungen3 kommt § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG zur Anwendung. Da indessen nur wenige deutsche DBA dem Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 entsprechende Regelungen enthalten,4 wird die Reichweite in Abkommensfällen zusätzlich eingeschränkt. Diese Schrankenwirkung erfährt allerdings im Wege eines treaty overriding5 eine Durchbrechung: Der betroffene Steuerpflichtige muss (kumulativ) geltend machen, dass das an sich zur Anwendung kommende DBA den AOA-Regelungen widerspricht, der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht entsprechend ausübt und es deshalb zu einer Doppelbesteuerung kommen würde (§ 1 Abs. 5 Satz 8 AStG).6

14.227

In den Fällen, in denen auf Abkommensebene die AOA-Regeln (noch) nicht zur Anwendung kommen, gilt (unverändert) das Veranlassungsprinzip. Danach können im Betriebsstättenstaat die Gewinne besteuert werden „nur insoweit, als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können“. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 enthält sodann in Ausformung des vorgenannten Grundsatzes die sog. dealing at arm's length-Klausel (Drittvergleich). Hiernach sind der Betriebsstätte die Gewinne zuzuordnen, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre.

1 Dagegen als Einkünfteermittlungsvorschrift qualifizierend z.B. Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 63 ff.; Nientimp/Schwarz/Stein, IStR 2016, 487; differenzierend Brüninghaus in V/B/B5, Kap. K Rz. 105: § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG als Korrektur- und § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG als Gewinnermittlungsnorm. 2 Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 700 f.; Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5 – 6 AStG Rz. 109; Ditz, ISR 2013, 261 (266 f.); Neumann-Tomm, IStR 2015, 907; Gosch in FG Wassermeyer, 2015, 209 (220); Schwenke in FS Gosch, 2016, 377 (385); Schaumburg, ISR 2013, 198 (198). 3 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; Nichtanwendungserlass: BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/ 0291611, BStBl. I 2016, 455; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 12.292; Ditz/Haverkamp, Ubg 2019, 101; einschränkend zu unbesicherten Konzerndarlehen BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, BFH/NV 2020, 185; BFH v. 14.8.2019 – I R 14/18, BFH/NV 2020, 755; BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, BFH/NV 2020, 757; BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18, BFH/ NV 2020, 759. 4 Z.B. DBA-NL, DBA-FL, DBA-Lux, DBA-UK, DBA-Irl, DBA-USA. 5 Treaty overriding ist für verfassungsgemäß gehalten worden vom BVerfG v. 15.2.2015 – 2 BvL 1/ 12, DStR 2016, 359 zu § 50d Abs. 8 EStG. 6 Zur Kritik an dieser Regelung, die den Untersuchungsgrundsatz (§ 88 AO) verletzt (ein DBA ist stets von Amts wegen zu berücksichtigen!), Schnitger, IStR 2012, 633 (641); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41).

746 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.231 Kap. 14

b) Erwirtschaftungsprinzip Soweit auf Grundlage des § 1 Abs. 5 AStG das in Anlehnung an die AOA-Regelungen maßgebliche Entgeltsprinzip nicht zur Anwendung kommt, gilt unverändert das Erwirtschafterprinzip, wonach sog. Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im Grundsatz zu keiner Gewinnrealisierung führen.1 Für die im Übrigen erforderliche Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten bedient sich die internationale Praxis der direkten und indirekten Methode.

14.228

Bei der direkten Methode werden die Einkünfte der Betriebsstätte regelmäßig aufgrund einer eigenständigen Betriebsstättenbuchführung oder, soweit eine derartige Buchführung nicht vorliegt, im Schätzungswege so zugeordnet, wie sie sich aufgrund einer eigenen Buchführung ergeben hätten.2 Die direkte Methode baut auf der (eingeschränkten) fiktiven Trennung zwischen Betriebsstätte einerseits und Stammhaus andererseits auf. Demgegenüber geht die indirekte Methode von den gesamten Einkünften des ganzen Unternehmens aus, um diese dann nach Maßgabe bestimmter Schlüssel – etwa nach Umsatz, Lohnsumme, Materialaufwendungen oder Prämieneinnahmen3 – auf Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA). Die indirekte Methode ist zwar abkommensrechtlich zulässig, sie geht allerdings insoweit ins Leere, als für den grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfer zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte nach nationalem Recht für Zwecke der ultima-ratio-Besteuerung stiller Reserven eine Entstrickungsentnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG; vgl. Rz. 14.30 f.) eingreift.

14.229

Zu den Regelungen, die (ausnahmsweise) eine Gewinnrealisation auch bei bloßen Innentransaktionen vorsehen, gehören u.a. § 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4, § 16 Abs. 3a EStG, § 12 Abs. 1 KStG.4 Diese Entstrickungsregelungen enthalten eine Ausnahme von dem geltenden Grundsatz, dass bloße Innentransaktionen keine Gewinnrealisierung auslösen. Die Entstrickungsregelungen sind darauf gerichtet, unter dem Gesichtspunkt einer ultima ratio-Besteuerung stille Reserven für Zwecke der Besteuerung in den Fällen abzurechnen, in denen das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird.

14.230

c) Entgeltsprinzip Für Zwecke der Einkünftezuordnung geht das Entgeltsprinzip von der uneingeschränkten Selbständigkeit von Betriebsstätten aus. Demzufolge erfolgt die Einkünftezuordnung zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) nach den gleichen Grundsätzen wie zwischen nahestehenden Personen mit der Folge, dass auch bloße Innentransaktionen mit einbezogen werden. Dieses Entgeltsprinzip hatte vor Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 AStG keine Rechtsgrundlage im nationalen Recht.5 Diese bietet nunmehr § 1 Abs. 5 AStG, der erst1 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.26 ff. 2 Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 101 f.; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 188. 3 Hierzu im Einzelnen Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 104 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 190. 4 Ebenso § 1 Abs. 5 AStG im Anwendungsbereich des Entgeltsprinzips. 5 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; vgl. auch Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 1.23; Ditz, IStR 2005, 37 (40 ff.); dagegen wurde das Entgeltsprinzip immer schon vertreten z.B. von Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 107 ff.; Burmester, Probleme der Gewinn- und Verlustrealisierung, 204; Becker, DB 1989, 10 ff.; Baiser, IStR 1992, 7 ff.; Sieker, DB 1996, 110 (112).

Schaumburg | 747

14.231

Kap. 14 Rz. 14.231 | Materielles Steuerrecht

mals für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2012 beginnen (§ 21 Abs. 2 Satz 3 AStG). Auf Abkommensebene ist das Entgeltsprinzip in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA in der Fassung ab 2010 verankert. Hiernach sind der Betriebsstätte jene Gewinne zuzurechnen „die sie hätte erzielen können, insbesondere im Verkehr mit anderen Teilen des Unternehmens, dessen Betriebsstätte sie ist, wenn sie als selbstständiges und unabhängiges Unternehmen eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausgeübt hätte“. Dieser „Functionally Separate Entity“-Approach beruht auf dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010,1 der ihn zur maßgeblichen Methode der Einkünftezuordnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte benannt hat (sog. Authorised OECD Approach – AOA). Diese im OECD-MA 2010 enthaltene AOA-Regelung ist allerdings bislang nur in einigen deutschen DBA umgesetzt worden,2 so dass im Verhältnis zu den übrigen DBA wegen der von ihnen ausgehenden Schrankenwirkung3 (Rz. 14.226) § 1 Abs. 5 AStG grundsätzlich keine Anwendung findet. Diese Schrankenwirkung wird allerdings durch § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG modifiziert.4 Hiernach wird die Schrankenwirkung unter den Vorbehalt gestellt, dass der Steuerpflichtige sich auf die abweichende abkommensrechtliche Regelung beruft und nachweist, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem betreffenden DBA ausübt und deshalb die Anwendung der AOA-Regelung von § 1 Abs. 5 AStG zu einer Doppelbesteuerung führen würde.

14.232

Im Gefolge der (uneingeschränkten) Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte sind weitere Fiktionen erforderlich, um überhaupt das Entgeltsprinzip zur Anwendung bringen zu können. Hierfür ist eine Funktions- und Risikoanalyse der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte als Teil der Geschäftstätigkeit des Unternehmens durchzuführen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BsGaV). Danach ist für die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte eine Vergleichbarkeitsanalyse vorzunehmen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BsGaV), um für die Geschäftsvorfälle der Betriebsstätte mit nahestehenden Personen und mit dem Stammhaus – anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG – Verrechnungspreise zu bestimmen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Diese zweistufige Vorgehensweise erfordert in einem ersten Schritt – die Feststellung, welche Funktionen durch das Personal der Betriebsstätte bzw. des übrigen Unternehmens ausgeübt werden (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG, § 1 Abs. 2 Nr. 1 BsGaV); – die Zuordnung von Vermögenswerten, die für die Ausübung der maßgeblichen Personalfunktionen benötigt werden (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG, § 1 Abs. 2 Nr. 2 BsGaV); – die Zuordnung von Chancen und Risiken, die sich aufgrund der maßgeblichen Personalfunktionen und der zugeordneten Vermögenswerte der Betriebsstätte ergeben (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 AStG, § 1 Abs. 2 Nr. 2 BsGaV) sowie

1 Part I, Textziffer 8; hierzu im Überblick Brüninghaus in V/B/B5, Kap. K Rz. 86 f. 2 Z.B. DBA-NL, DBA-FL, DBA-Lux, DBA-KK, DBA-Irl, DBA-USA. 3 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; Nichtanwendungserlass: BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/ 0291611, BStBl. I 2016, 455; einschränkend zu Konzerndarlehen BFH v. 27.2.2019 – I R 73/10, BStBl. II 2019, 394, BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 1893; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/ 17, BFH/NV 2020, 185; BFH v. 14.8.2019 – I R 14/18, BFH/NV 2020, 755; BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, BFH/NV 2020, 757; BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18, BFH/NV 2020, 759. 4 Insoweit ist ein Treaty Overriding gegeben; Kahle/Kindich in H/K/G/R, § 1 Abs. 5 – 6 AStG Rz. 129; Grotherr/Endert in FS Frotscher, 2013, 169; Kahle, DStZ 2012, 698.

748 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.234 Kap. 14

– ausgehend von den zugeordneten Vermögenswerten und den zugeordneten Chancen und Risiken die Zuordnung eines angemessenen Dotationskapitals (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG, § 1 Abs. 2 Nr. 3 BsGaV). Auf der Grundlage der Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken und von Dotationskapital sind in einem zweiten Schritt die Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen zu bestimmen (§ 1 Abs. 5 Satz 4 AStG). Es handelt sich hierbei um eine Fiktion, weil schuldrechtliche Beziehungen zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen nicht möglich sind. Im Hinblick darauf werden die fiktiven Geschäftsbeziehungen gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (Dealings) benannt. Die Fiktion hat allerdings eine beschränkte Reichweite, weil sie nur im Verhältnis zwischen Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) Anwendung findet (§ 1 Abs. 5 Satz 4 AStG, § 16 Abs. 1 BsGaV). Hieraus folgt, dass Geschäftsbeziehungen zwischen Betriebsstätten ein- und desselben Unternehmens sowie gegenüber verbundenen Unternehmen stets als solche gegenüber und vom übrigen Unternehmen zu qualifizieren sind. Das bedeutet etwa, dass „Veräußerungen“ von Wirtschaftsgütern von einer Betriebsstätte zu einer anderen Betriebsstätte ein- und desselben Unternehmens zunächst als von der fiktiv veräußernden Betriebsstätte an das übrige Unternehmen (Stammhaus) und sodann von diesem an die fiktiv erwerbende Betriebsstätte als übertragen gelten.1 Dieser „Umweg“ ist auch für fiktive Dienstleistungen und fiktive Nutzungsüberlassungen von Nöten, womit im Ergebnis eine unmittelbare Gewinnabgrenzung zwischen verschiedenen Betriebsstätten eines Unternehmens ausgeschlossen ist.2

14.233

Für die zwischen Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) fingierten Geschäftsbeziehungen sind sodann Verrechnungspreise anzusetzen, wie sie zwischen rechtlich selbstständigen Unternehmen maßgeblich sind (§ 1 Abs. 5 Satz 1 AStG). Damit gilt das gesamte für verbundene Unternehmen maßgebliche Verrechnungspreisregime auch im Verhältnis zu Betriebsstätten. Dies ist freilich nur ein Grundsatz, der in Fällen der in § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG verankerten Öffnungsklausel ebenso eine Ausnahme erfährt wie in den Fällen von Finanzierungsleistungen (§ 16 Abs. 3 BsGaV). Hiernach führt die Nutzung von finanziellen Mitteln des übrigen Unternehmens durch eine Betriebsstätte zu keiner anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung (fiktives Darlehen), weil die entsprechende Zuordnung zum Dotationskapital (§ 12 BsGaV) oder zu den übrigen Passivposten (§ 14 BsGaV) bereits im Vorfeld erfolgt.3 Im Hinblick darauf können für Bürgschaften, Garantien u.ä. Rechtsverhältnisse zwischen Betriebsstätte und übrigem Unternehmen schuldrechtliche Beziehungen nicht fingiert werden.4 Besonderheiten gelten allerdings für Bankbetriebsstätten (§ 19 Abs. 6 BsGaV) und für Finanzierungsbetriebsstätten (§ 17 BsGaV).5

14.234

1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Tz. 170. Vgl. VWG BsGa, Tz. 170. Vgl. VWG BsGa, Tz. 174. Vgl. VWG BsGa, Tz. 177. Wegen weiterer Einzelheiten vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.95 ff.

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Kap. 14 Rz. 14.234 | Materielles Steuerrecht

3. Einkünfteabgrenzung bei Personengesellschaften Literatur Vgl. Literaturübersicht zu 1. Friedrichs, Die Beendigung des Engagements in einer ausländischen Personengesellschaft, Bielefeld 1996; Frotscher, Abkommensrechtliche Behandlung von Lizenzzahlungen als Sondervergütungen nach Inkrafttreten des § 50d Abs. 10 EStG, IStR 2009, 866; Gröhs, Die Gewinnbesteuerung der Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht Österreichs, Wien 1986; Haas, Mitunternehmerschaften mit beschränkter Haftung – national und international –, Bielefeld 1978, 81 ff.; Hagemann/ Kahlenberg, Verschärfung der Rechtsunsicherheiten bei internationalem Sonderbetriebsvermögen, IStR 2014, 233; Hils, Neuregelung internationaler Sondervergütungen nach § 50d Abs. 10 EStG, DStR 2009, 888; Hock, Personengesellschaften mit internationalem Gesellschafterkreis, Wiesbaden 1994; Hruschka, Sondervergütungen und der AOA i.d.F. des AHiRLUmsG – Das Verhältnis von § 1 AStG zu § 50d Abs. 10 EStG, IStR 2013, 830; Kahlenberg/Melkonyan, Novellierung des Regelwerks zur Besteuerung grenzüberschreitender Einkünfte aus dem Sonderbetriebsvermögensbereich, ISR 2013, 340; Kofler/Moshammer, Zurechnungskonflikte bei Personengesellschaften, SWI 2013, 6; Kudert/Kahlenberg, Die Neufassung des § 50d Abs. 10 EStG – Die Besteuerung grenzüberschreitender Mitunternehmerschaften geht in die nächste Runde, IStR 2013, 801; Lang, M., Qualifikationskonflikte bei Personengesellschaften, IStR 2000, 129; Lang, M., Ist der Betriebsstättenvorbehalt bloß im Quellenstaat anwendbar?, SWI 2003, 319; Lang, M., Steuerlich transparente Rechtsträger und Abkommensberechtigung, IStR 2011, 1; Lethaus, Steuerliche Probleme der internationalen Personengesellschaft, Hamburg 1990; Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften: Steuerliche Gewinnermittlung und Einkunftsabgrenzung, Berlin 2008; Lüdicke, Neue Entwicklungen der Besteuerung von Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht, StbJb 1997/1998, 449; Lüdicke, Beteiligung an ausländischen intransparent besteuerten Personengesellschaften, IStR 2011, 91; Machens, Ausländische Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht, Bern 2007; Mitschke, Grenzüberschreitende Sondervergütungen bei PersGes und gewerblich geprägte PersGes im internationalen Steuerrecht nach dem AmtshilfeRL-UmsG – Zu § 50d Abs. 10 n.F. EStG und § 50i EStG, FR 2013, 694; Ostendorf, Behandlung von Sondervergütungen der Mitunternehmer im Internationalen Steuerrecht, Berlin 1994; Piltz, Die Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1981; Pinkernell, Einkünftezurechnung bei Personengesellschaften, Berlin 2000; Pott, Die Kollision unterschiedlicher Formen der Gesellschaftsbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1982; Pyszka/Bauer, Ausländische Personengesellschaften im Unternehmenssteuerrecht, Herne 2004; Riemenschneider, Abkommensberechtigung von Personengesellschaften und abkommensrechtliche Behandlung der Einkünfte aus Beteiligungen inländischer Gesellschafter an ausländischen Personengesellschaften, Frankfurt 1995; Schaumburg, Die Personengesellschaft im internationalen Steuerrecht, Stbg. 1999, 97, 156; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 21.114 ff.; Schliephake, Steuerliche Gewinnabgrenzung internationaler Personengesellschaften, Bielefeld 1990; Selent, Ausländische Personengesellschaften im Ertrag- und Vermögensteuerrecht, Gelsenkirchen 1982; Spengel/Schaden/Wehrße, Grenzüberschreitende Besteuerung von Personengesellschaften im OECD-MA – Problembereiche und Lösungsansätze, StuW 2012, 105; Urtz/Züger, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Wien 2001; Wassermeyer, Sondervergütungen und Sonderbetriebsvermögen im Abkommensrecht, in FS Ruppe, Wien 2007, 681; Wassermeyer, Die Anwendung deutscher Doppelbesteuerungsabkommen auf ausländische Personengesellschaften, in FS Spiegelberger, Bonn 2009, 566; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Behandlung von Einkünften einer in einem Vertragsstaat ansässigen Personengesellschaft, IStR 2011, 85; Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2015; Weggenmann, Einordnungskonflikte bei Personengesellschaften im Recht der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des OECD-Partnership-Reports 1999, Nürnberg 2002; Weggenmann/Rödl, Sonderregelungen für Personengesellschaften in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, in FS für Reiß, Köln 2008, 697.

750 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.237 Kap. 14

a) Mitunternehmerkonzept Das Erfordernis internationaler Einkünfteabgrenzung besteht bei Personengesellschaften sowohl auf der Ebene des innerstaatlichen Steuerrechts als auch auf der Ebene des Abkommensrechts. Personengesellschaften1 sind für Zwecke der Steuern vom Einkommen nach den Grundsätzen des deutschen Steuerrechts keine Steuersubjekte, so dass insoweit stets auf die Gesellschafter abzustellen ist. Sie sind indessen insoweit beschränkt steuerrechtsfähig, als sie selbst etwa mit den von ihnen geführten Gewerbebetrieben Gewinn erzielen mit der Folge, dass für steuerliche Zwecke die Personengesellschaft einerseits und ihre Gesellschafter andererseits wie Fremde zueinander in Rechtsbeziehungen treten und dementsprechend mit Gewinnrealisierung Leistungen austauschen können.2 Damit sind sie selbständige Gewinnerzielungs- und Gewinnermittlungssubjekte.3 Dieses im deutschen Steuerrecht verwirklichte Mitunternehmerkonzept4 gilt sowohl für nach deutschem als auch für nach ausländischem Recht errichtete Personengesellschaften,5 soweit diese nach dem maßgeblichen Typenvergleich6 aus deutscher Sicht als Personengesellschaften zu qualifizieren sind. Hierbei ist ohne Bedeutung, ob die Gesellschafter im Inland unbeschränkt, beschränkt oder überhaupt nicht steuerpflichtig sind.

14.235

Soweit die Gesellschafter einer in- oder ausländischen Personengesellschaft als Mitunternehmer nicht Land- und Forstwirte oder Freiberufler sind,7 erzielen sie nach innerstaatlichem (deutschem) Steuerrecht Einkünfte aus Gewerbebetrieb.8 Abkommensrechtlich ergeben sich keine Besonderheiten, weil zumeist durchweg die Qualifikation als Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) in Betracht kommt

14.236

b) Einkünftekorrektur Im Hinblick darauf, dass Personengesellschaften nach deutschem Steuerrecht zwar eigenständige Gewinnerzielungs- und Gewinnermittlungssubjekte, aber keine Steuersubjekte sind, werden sie für Zwecke der Einkünftekorrektur im Anwendungsbereich des § 1 AStG (auch) als selbständiges Steuersubjekt fingiert (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AStG). Damit kommen (auch) die im Verhältnis zu Kapitalgesellschaften maßgeblichen Regeln des Fremdvergleichs zur Anwendung.9 Damit ergibt sich grenzüberschreitend für Personengesellschaften eine duale Einkünftekorrektur: Anknüpfend daran, dass Personengesellschaften keine selbständigen Steuersubjekte sind, ist Adressat der Einkünftekorrektur nur der Gesellschafter. Im Hinblick darauf 1 Nachfolgend wird nur auf Personengesellschaften abgestellt, deren Gesellschafter Mitunternehmer i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sind (Mitunternehmerschaften); vgl. hierzu Hennrichs in T/ L23, § 10 Rz. 25. 2 Zu Einzelheiten Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 160 ff. mit Nachweisen aus der Rspr. 3 BFH v. 2.9.1985 – IV B 51/85, BStBl. II 1986, 10; BFH v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1995, 617; BFH v. 11.4.2005 – GrS 2/02, BStBl. II 2005, 679; BFH v. 23.3.2007 – IV R 72/02, BStBl. II 2008, 420; zur Dogmatik im Einzelnen Hennrichs in T/L23, § 10 Rz. 10 ff.; Pinkernell, Einkünftezurechnung bei Personengesellschaften, 62 ff.; 81 ff.; 130 ff. 4 § 15 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 15a, § 13 Abs. 5, § 18 Abs. 4 EStG; hierzu im Einzelnen Hennrichs in T/L23, § 10 Rz. 10. 5 Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 173. 6 Hierzu im Einzelnen Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht2, Rz. 3.5 ff. 7 § 13 Abs. 5, § 18 Abs. 4 EStG verweisen auf § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. 8 Gewerbliche Mitunternehmerschaft (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 EStG). 9 Ditz in W/R/S, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht2, Rz. 12.20.

Schaumburg | 751

14.237

Kap. 14 Rz. 14.237 | Materielles Steuerrecht

kommen für ihn als Korrekturnormen insbesondere in Betracht: Entnahmen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG), fiktive (Entstrickungs-) Entnahmen (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG), Einlagen (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 1 EStG), fiktive (Verstrickungs-)Einlagen (§ 4 Abs. 1 Abs. 8 Halbs. 2 EStG) und § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Ausgehend von der Selbständigkeitsfiktion kommt für die Personengesellschaft als Einkünftekorrekturnorm allein § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG zur Anwendung. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG und § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG stehen als Rechtsgrundlagen für eine Einkünftekorrektur selbständig nebeneinander.1 Das Konkurrenzverhältnis beider Vorschriften ist zwar nicht ausdrücklich geregelt, in Orientierung an § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG ist aber von einer Meistbegünstigung im Sinne des Fiskus auszugehen.2

14.238

Auf Grundlage von § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG – also ohne Berücksichtigung der Selbständigkeitsfiktion des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG – gehen die übrigen an die fehlende Steuersubjekteigenschaft der Personengesellschaft anknüpfenden Korrekturnormen vor.3 Indessen regelt § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG, dass im Ergebnis der Fremdvergleichsgrundsatz zur Anwendung kommt, wenn dessen Rechtsfolgen weiterreichen. Es handelt sich insoweit mithin um eine Meistbegünstigung zugunsten des Fiskus.4 Daraus folgt, dass in Fällen der Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG) oder Einlage (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 1 EStG) der in aller Regel höhere Fremdvergleichspreis anzusetzen ist.5 Damit ist der Fremdvergleich insgesamt der maßgebliche Korrekturmaßstab,6 der auch auf Abkommensebene (Art. 7 OECD-MA) Geltung hat.7

14.239

Die Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG setzt eine Geschäftsbeziehung zum Ausland voraus. Erfasst werden damit insbesondere Sachverhalte zwischen der Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern. Das gilt freilich nur dann, wenn ihnen keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b AStG). Im Hinblick darauf sind etwa Gesellschafterbeiträge, die die Gesellschafterstellung erst begründen, oder Gegenstand einer Gewinnverteilungsabrede sind, keine für § 1 Abs. 1 AStG relevanten Geschäftsbeziehungen.8

14.240

Über die zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft mögliche Geschäftsbeziehung hinaus, sind für Zwecke der Einkünftekorrektur zudem solche zwischen der Personengesellschaft und nachgeschalteten Personen- und Kapitalgesellschaften relevant, wobei Personengesellschaften als Folge ihrer fingierten Selbständigkeit selbst nahestehende Person sein können (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG). Im Anwendungsbereich des § 1 AStG gelten insoweit die für Kapitalgesellschaften maßgeblichen Grundsätze der Einkünftekorrektur (Rz. 14.255) Schließlich geht es auch um den in der Praxis wichtigen Fall der im Verhältnis von Personengesellschaft und ihrer Betriebsstätte fingierten Geschäftsbeziehung (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG). Hierfür gelten im Ergebnis die in § 1 Abs. 5 AStG umgesetzten AOA-Grundsätze (Rz. 14.231). 1 Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 121. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 121 geht demgegenüber von einer gleichzeitigen Anwendung der beiden Vorschriften aus, wobei allerdings eine doppelte Einkünftekorrektur versagt bleiben soll. 3 § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „unbeschadet anderer Vorschriften“ ist somit subsidiär; Wassermeyer in F/ W/B/S, § 1 AStG Rz. 383; Ditz in W/R/S, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht2, Rz. 12.31; anders nunmehr im Sinne eines Wahlrechts: BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19, ISR 2020, 380 m. Anm. Köhler. 4 Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 384. 5 Zu dieser „Wertauffüllerfunktion“ des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG: Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 385. 6 Ditz in W/R/S, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht2, Rz. 12.32. 7 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.265 ff. 8 Ditz in W/R/S, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht2, Rz. 12.22.

752 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.241 Kap. 14

4. Einkünfteabgrenzung bei Kapitalgesellschaften Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Kommentare zu § 8 Abs. 3 KStG, § 1 Abs. 1 – 3 AStG und zu Art. 9 OECD-MA; Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, Hamburg 2000; Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, Berlin 2009; Baumhoff, Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 3.1 ff.; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 4.1 ff., Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland – Ertragsteuerliche Folgen, Strategien und Modelle, Düsseldorf 2004, Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Berlin 2003; Engel, Konzerntransferpreise im internationalen Steuerrecht, Köln 1986; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung, in Schaumburg/Rödder, Unternehmenssteuerreform 2008, München 2007, 541; Graf, Gewinnabgrenzung im Electronic Commerce, Hamburg 2003; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. München 2016, 733 ff.; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied 2001; Klein, Die steuerliche Verrechnungspreisgestaltung international tätiger Unternehmen: Problem der nationalen und internationalen Anwendung des dealing-at-arm’s-length-Prinzips, Bergisch Gladbach 1987; Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, Göttingen 2008; Korff, Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen aus Sicht Deutschlands und der USA, Lohmar 2008; Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Köln; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, München 1997; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethoden zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg, 2009; Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern, Lohmar 2003; Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, Berlin 2003; Rasch, Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht, Köln 2001; Raupach, Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschafts- und steuerrechtlicher Sicht, Herne/ Berlin 1999; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 21.136 ff.; Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Köln 2000; Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerung – Neuausrichtung?, Köln 2010; Schein, Verrechnungspreismethoden für den datennetzgestützten Geschäftsverkehr zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften, München 2005; Schuch, Verrechnungspreisgestaltung im Internationalen Steuerrecht, Wien 2001; Sinz/Kahle, Praxis der Verrechnungspreissysteme in ausgewählten Branchen, Herne 2013; Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, 5. Aufl. München 2020; Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, Berlin 2003; Wehner, Verrechnungspreise, Bonn 2003; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, Baden-Baden 2009; Ziehr, Einkünftezurechnung im internationalen Einheitsunternehmen, Lohmar 2008.

a) Allgemeine Hinweise Im Hinblick darauf, dass Kapitalgesellschaften eigenständige Steuersubjekte sind, ist zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterebene zu trennen. Dieses Trennungsprinzip1 gilt auch für international operierende Konzerne,2 sodass für jede einzelne Konzerngesellschaft die Einkünfte gesondert zu ermitteln sind.

1 Vgl. BVerfG v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, DStR 2010, 2393; BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, DStR 2006, 1316; BFH v. 24.3.1987 – I B 117/86, BStBl. II 1987, 508; Desens in H/H/R, Einf. KSt Rz. 90; Hey in T/L23, § 11 Rz. 1 Böhmer, StuW 2012, 33. 2 Schaumburg in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1 (1).

Schaumburg | 753

14.241

Kap. 14 Rz. 14.242 | Materielles Steuerrecht

14.242

Dass internationale Konzerne aus selbständigen Steuersubjekten bestehen, ändert nichts an dem Umstand, dass sie wirtschaftlich eine Einheit darstellen können.1 Aus diesem Grund sind Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen durchweg nicht von zwischen fremden Dritten üblichen Interessengegensätzen geprägt. Im Hinblick darauf hat die allgemeine Zuordnungsregel (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 2 Abs. 1 EStG) für miteinander verbundene Kapitalgesellschaften durch Sondervorschriften nicht nur eine Konkretisierung, sondern auch eine Erweiterung im Sinne einer Einkünftekorrektur erfahren. Die für die Einkünftezuordnung bei Kapitalgesellschaften geltenden besonderen Normen sind zugleich stets auch Einkünftekorrekturnormen. Zu diesen insbesondere für Kapitalgesellschaften bedeutsamen besonderen Einkünftekorrekturnormen gehören vor allem § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung), § 8 Abs. 3 Sätze 3 – 6 KStG (verdeckte Einlage) und § 1 AStG (Berichtigung von Einkünften).

14.243

Während sich die Regelungen betreffend verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen gegenseitig ausschließen, gehen diese der Einkünftekorrektur vor (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG),2 sodass bei Kapitalgesellschaften folgendes Konkurrenzverhältnis gilt: Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen3 haben im Grundsatz Vorrang vor der Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG, diese ergänzt aber die übrigen Korrekturnormen, soweit deren Rechtswirkungen über die Rechtswirkungen der anderen Korrekturnormen hinausgehen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG). Diese „Wertauffüllerklausel“ bewirkt insoweit eine Umkehrung dahingehend, dass grenzüberschreitend für alle Einkünftekorrekturnormen einheitlich der Fremdvergleichspreis gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zur Anwendung kommt, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 1 AStG und der übrigen Korrekturnormen gleichermaßen erfüllt sind.4

14.244

Gegen die Anwendung der grenzüberschreitend wirkenden Einkünftekorrekturnormen sind allerdings unionsrechtliche und abkommensrechtliche Schranken gerichtet. Aus europarechtlicher Sicht ist zwar eine die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) beschränkende Verrechnungspreisregelung wegen der gebotenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten und der Notwendigkeit der Verhinderung von Steuerumgehungen im Grundsatz gerechtfertigt,5 im Einzelnen muss sie sich aber als verhältnismäßig erweisen, d.h. nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.6 Im Hinblick darauf muss dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet werden, den nicht unter fremdüblichen Bedingungen erfolgten Abschluss von Geschäften zu rechtfertigen7 und hierfür wirtschaftliche Gründe darzu1 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.136. 2 „[...] unbeschadet anderer Vorschriften [...]“ (§ 1 Abs. 1 AStG); BFH v. 9.11.1988 – I R 335/93, BStBl. II 1989, 510; BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; so die h.M., z.B. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 441 ff.; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 13; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.137 teils im Sinne einer Subsidiarität; im Ergebnis ebenso BMF v. 14.5.2005, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 1.1.2.; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 5.3.3. 3 Ebenso z.B. Entstrickung (§ 12 Abs. 1 KStG). 4 Zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.7 ff.; ferner z.B. Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 42; Baumhoff/ Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.83; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.137. 5 EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – SGI, IStR 2010, 144, Rz. 60 ff., 65 ff. 6 EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt, ISR 2018, 284 m. Anm. Eisendle. 7 EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt, ISR 2018, 284 m. Anm. Eisendle, Rz. 51; vgl. hierzu Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8 156 ff. m.w.N.

754 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.245 Kap. 14

legen.1 Aus abkommensrechtlicher Sicht (Art. 9 OECD-MA) bleibt eine Einkünftekorrektur wegen verdeckter Gewinnausschüttung darüber hinaus in den Fällen versagt, in denen es (nur) an einer im Vorhinein getroffenen Vereinbarung fehlt.2 b) Verdeckte Gewinnausschüttung Bei verdeckten Gewinnausschüttungen handelt es sich um Vermögensvorteile, die eine Kapitalgesellschaft ihren unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung zuwendet, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter sie einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umständen nicht zugewendet hätte.3 Oder anders: Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung),4 die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Einkommens (genauer: Unterschiedsbetrag gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG)5 auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht.6 Die Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) muss zudem die Eignung haben, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) auszulösen.7 Ob die Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) erlitten hat, lässt sich in Orientierung am Fremdvergleich erst nach einer vergleichenden Bewertung von Vor- und Nachteilen eines oder mehrerer Geschäfte feststellen, die zwischen der Kapitalgesellschaft und ihrem Gesellschafter und/oder diesem nahestehenden Personen abgewickelt worden sind. Soweit es sich um ein einheitliches Geschäft, etwa um einen gegenseitigen Vertrag handelt, ist ein Ausgleich von Vor- und Nachteilen ohne Weiteres geboten.8 Ist hiernach eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) nicht feststellbar, kommt es auf die weitere Frage der Ursächlichkeit des Gesellschaftsverhältnisses

1 EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt, ISR 2018, 284 m. Anm. Eisendle, Rz. 54; nach BMF v. 6.12.2018 – IV B 5 - S 1341/11/10004 – 09, BStBl. I 2018, 1305 werden als wirtschaftliche Gründe nur sanierungsbedingte Maßnahmen anerkannt; vgl. zur Kritik Leonhardt in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 488. 2 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 144; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.30; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.143, 18.87. 3 So die alte Formel, z.B. BFH v. 24.9.1980 – I R 88/77, BStBl. II 1981, 108. 4 Nach Berücksichtigung eines Vorteilsausgleichs; BFH v. 22.4.1964 – I 62/61 U, BStBl. III 1964, 370; BFH v. 4.5.1965 – I 130/62 U, BStBl. III 1965, 598; BFH v. 21.12.1972 – I R 70/70, BStBl. II 1973, 449; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 20.8.1986 – I R 87/83, BStBl. II 1987, 75; BFH v. 7.12.1988 – I R 25/82, BStBl. II 1989, 248; zu weiteren Einzelheiten Wilk in H/H/ R, § 8 KStG Rz. 100 ff. 5 BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BStBl. II 2003, 329; hierzu Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 165; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 169. 6 So die neue Formel seit 1989; vgl. BFH v. 22.2.1989 – I R 44/85, BStBl. II 1989, 475; BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631; BFH v. 14.3.1989 – I R 8/85, BStBl. II 1989, 633; BFH v. 12.4.1989 – I R 142/85, I R 143/85, BStBl. II 1989, 636; BFH v. 28.6.1989 – I R 89/85, BStBl. II 1989, 854; seitdem ständige Rechtsprechung. 7 BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131; BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190. 8 BFH v. 16.11.1965 – I 302/61 S, BFHE 84, 268; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 115; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 261; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 214.

Schaumburg | 755

14.245

Kap. 14 Rz. 14.245 | Materielles Steuerrecht

nicht mehr an.1 Liegt dagegen ein vom Fremdvergleich abweichendes Verhalten vor, wird hierdurch die Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis indiziert.2

14.246

Handelt es sich um mehrere Geschäfte, so ist ein Ausgleich von Vor- und Nachteilen (Vorteilsausgleich) nur unter den folgenden Voraussetzungen möglich:3 – Der Ausgleich muss auch zwischen Fremden denkbar sein.4 – Die Geschäfte müssen in einem inneren Zusammenhang stehen.5 – Die Vor- und Nachteile müssen quantifizierbar sein.6 – Die Vorteilsverrechnung muss vereinbart gewesen sein7 oder zur Geschäftsgrundlage eines nachteiligen Geschäfts gehört haben.8

14.247

Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist bei einem beherrschenden Gesellschafter auch dann anzunehmen, wenn es an einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung fehlt, ob und in welcher Höhe ein Entgelt von der Kapitalgesellschaft gezahlt werden soll.9 Damit wird auch diese Form der verdeckten Gewinnausschüttung als durch das

1 BFH v. 23.6.1981 – VIII R 102/80, BStBl. II 1982, 245; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.140. 2 BFH v. 19.3.1997 – I R 75/96, BStBl. II 1997, 577; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/100, BStBl. II 2004, 171; Wassermeyer in FS Offerhaus, 1999, 405. 3 BFH v. 22.4.1964 – I 62/61 U, BStBl. III 1964, 370; BFH v. 4.5.1965 – IV 322/64 U, BStBl. III 1965, 589; BFH v. 21.12.1972 – I R 70/70, BStBl. II 1973, 449; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 20.8.1986 – I R 87/83, BStBl. II 1987 75; BFH v. 7.12.1988 – I R 25/82, BStBl. II 1989, 248; zu weiteren Einzelheiten Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2705. 4 BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704. 5 BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 13.12.1995 – X R 261/93, BStBl. II 1996, 180. 6 Daher stellen lediglich allgemeine Vorteile, die eine Konzernzugehörigkeit bietet, z.B. erhöhte Kreditwürdigkeit oder Überlassung des Konzernnamens, soweit dieser nicht zugleich Marke ist (BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140), als sog. Konzernrückhalt keine ausgleichsfähigen Vorteile dar; einschränkend BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 13, 18; BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BFH/NV 2019, 1265, Rz. 17; BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BFH/NV 2019, 1267, Rz. 15; BFH v. 19.6.2017 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183, Rz. 16; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/ 17, BFH/NV 2020, 185, Rz. 15. 7 Mit einem beherrschenden Gesellschafter muss der Vorteilsausgleich stets im Voraus klar und eindeutig vereinbart worden sein; so BFH v. 21.7.1976 – I R 223/74, BStBl. II 1976, 734; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 20.8.1986 – I R 87/83, BStBl. II 1987, 75; BFH v. 7.12.1988 – I R 25/82, BStBl. II 1989, 248; BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; seit BVerfG v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34 hat das Fehlen einer Vereinbarung lediglich Indizwirkung; vgl. BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573; in Abkommensfällen kommt es auf diesen formalen Aspekt allerdings nicht an; BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BFH/ NV 2013, 324. 8 Ein Vorteilsausgleich im Konzern kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht; vgl. BFH v. 1.8.1984 – I R 99/80, BStBl. II 1985, 18; BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 263; Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Teil C Rz. 91. 9 Es handelt sich insoweit nur um Indizwirkungen; vgl. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; BFH v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten von BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005.

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B. Außensteuerrecht | Rz. 14.249 Kap. 14

Gesellschaftsverhältnis veranlasst angesehen.1 Da die abkommensrechtlichen Gewinnkorrekturklauseln (Art. 9 OECD-MA) auf diesen formalen Aspekt indessen nicht abstellen,2 entfalten diese insoweit eine Schrankenwirkung gegenüber der Einkünftekorrektur gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG.3 Grenzüberschreitende Vermögensverschiebungen zwischen Schwestergesellschaften können ebenfalls zu einer verdeckten Gewinnausschüttung zugunsten der Muttergesellschaft führen. Bei einem derartigen Dreiecksverhältnis wird eine verdeckte Gewinnausschüttung der einen Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft und von dort eine verdeckte Einlage in die andere Schwestergesellschaft angenommen, soweit es sich um einlagefähige Wirtschaftsgüter handelt.4 Sind Gegenstand der verdeckten Gewinnausschüttung zwischen Schwestergesellschaften dagegen nicht aktivierungsfähige Wirtschaftsgüter, etwa Nutzungen und Leistungen, so ist zwar eine verdeckte Gewinnausschüttung der einen Schwestergesellschaft zugunsten der Muttergesellschaft gegeben, die Weitergabe des Nutzungs- oder Leistungsvorteils an die andere Schwestergesellschaft führt aber nicht zu einer verdeckten Einlage.5 Die Weiterleitung dieses Vorteils ohne Anschaffungskosten bewirkt einen Vorteilsverbrauch, der im Ergebnis wie eine Betriebsausgabe zu behandeln ist mit der Folge, dass sich auf diese Weise Ertrag und Aufwand in gleicher Höhe gegenüberstehen,6 es bei der Muttergesellschaft grundsätzlich also zu einer steuerlich wertgleichen Kompensation kommt.

14.248

Die Rechtsfolge der verdeckten Gewinnausschüttung7 besteht auf Gesellschaftsebene darin, dass diese das Einkommen nicht mindert (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG). Ist der von der Kapitalgesellschaft auf der ersten Gewinnermittlungsstufe8 ausgewiesene Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG infolge verdeckter Gewinnausschüttungen zu niedrig, erfolgt gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG außerhalb der Steuerbilanz9 auf der zweiten Gewinnermittlungs-

14.249

1 BFH v. 29.7.1992 – I R 18/91, BStBl. II 1993, 139; BFH v. 31.5.1995 – I R 64/94, BStBl. II 1996, 246; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545. 2 Sie differenzieren nicht zwischen beherrschenden und übrigen Gesellschaftern und sie unterstellen auch nicht, dass mangels einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung eine Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis anzunehmen sei; hierzu Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff. 3 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 144; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.30; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff. 4 BFH v. 23.10.1968 – I 228/65, BStBl. II 1969, 243; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 11.6.1975 – II R 131/66, BStBl. II 1975, 831; BFH v. 6.4.1977 – I R 183/75, BStBl. II 1977, 571; BFH v. 18.7.1985 – IV R 135/82, BStBl. II 1985, 635; BFH v. 23.10.1985 – I R 248/81, BStBl. II 1986, 178; BFH v. 20.8.1986 – I R 150/82, BStBl. II 1987, 455; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 28.1.1992 – VIII R 207/85, BStBl. II 1992, 605; BFH v. 12.12.2000 – VIII R 62/93, BStBl. II 2001, 234; vgl. auch Roser in Gosch4, § 8 KStG Rz. 131, Stichwort „Dreiecksverhältnisse“; Frotscher in Frotscher/Drüen, Anh. zu § 8 KStG Rz. 302, Stichwort „Schwestergesellschaft; Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Teil C Rz. 830. 5 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 4.12.2006 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508. 6 Zu dieser „Ertrag/Aufwandslösung“ Roser in Gosch4, § 8 KStG Rz. 131, Stichwort „Dreiecksverhältnisse“. 7 Hierzu ausführlich Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 201 ff. 8 Zu den Gewinnermittlungsstufen vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 247; Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 204. 9 BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366; BFH v. 12.10.1995 – I R 27/95, BStBl. II 2002, 367; BFH v. 28.1.2004 – I R 21/03, BStBl. II 2005, 841; BMF v. 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742-32/02, BStBl. I 2002, 603.

Schaumburg | 757

Kap. 14 Rz. 14.249 | Materielles Steuerrecht

stufe1 eine Hinzurechnung,2 die Körperschaftsteuer auslöst, und zwar grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, wann die verdeckte Gewinnausschüttung dem Gesellschafter zufließt.3 § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG erschöpft sich somit in der Funktion einer bloßen Einkünftekorrektur.4

14.250

Als Rechtsfolge bewirkt die (zugeflossene) verdeckte Gewinnausschüttung bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG), sofern die Kapitalanteile Privatvermögen sind, oder Einkünfte aus Gewerbebetrieb, sofern diese zu einem Betriebsvermögen gehören. Gehören sie zum Privatvermögen wird eine als Abgeltungsteuer wirkende Kapitalertragsteuer in Höhe von 25% erhoben (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 32d EStG), wobei die Möglichkeit besteht, eine Veranlagung zum individuellen Steuersatz zu wählen, wenn eine solche tarifgünstiger ist. Gehören die Anteile zum Betriebsvermögen einer natürlichen Person, greift das Teileinkünfteverfahren ein, sodass 60% der Bezüge steuerpflichtig sind (§ 3 Nr. 40 Buchst. d EStG). Fließt die verdeckte Gewinnausschüttung einer Körperschaft zu, greift bei einer Mindestbeteiligung von 10% (§ 8b Abs. 4 KStG) die Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 KStG ein, wobei 5% als nicht abziehbare Betriebsausgaben gelten (§ 8b Abs. 5 KStG). Voraussetzung für die (partielle) Steuerbefreiung ist allerdings, dass bei der leistenden Kapitalgesellschaft die verdeckte Gewinnausschüttung nicht zu einer Einkommensminderung geführt hat (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d Satz 2 EStG, § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Dieses materielle Korrespondenzprinzip gilt insbesondere für verdeckte Gewinnausschüttungen ausländischer Kapital-(Tochter-)gesellschaften und ab 2014 auch für übrige Gewinnausschüttungen (Bezüge),5 und zwar auch, wenn abkommensrechtlich eine Freistellung aufgrund des internationalen Schachtelprivilegs eingreift (§ 8b Abs. 1 Satz 3 KStG). Ist der Gesellschafter beschränkt steuerpflichtig, gehören (zugeflossene) verdeckte Gewinnausschüttungen als sonstige Bezüge zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, soweit die Anteile nicht einem inländischen Betriebsstättenvermögen zuzuordnen sind.6 c) Verdeckte Einlage

14.251

Das Einkommen von Kapitalgesellschaften ermittelt sich gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes. Zu diesen Vorschriften zählen § 4 Abs. 1 Sätze 1, 8, § 5 EStG, die für Zwecke des Vermögensvergleichs den Abzug von Einlagen gebieten. Dementsprechend ordnet § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG an, dass verdeckte Einlagen das Einkommen

1 Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 204; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 247; Wassermeyer, IStR 2001, 633 ff. 2 Die Bewertung erfolgt nach Fremdvergleichsgrundsätzen, was in der Regel zum Ansatz mit dem gemeinen Wert führt; BFH v. 23.2.2005 – I R 70/04, BStBl. II 2005, 882; vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 383, 385. 3 Vorteilsgeneigtheit reicht aus; BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131; BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190; BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; BFH v. 15.2.2012 – I R 19/11, BFH/NV 2012, 885. 4 BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366; BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, HFR 1995, 445; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BMF v. 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742-32/02, BStBl. I 2002, 603; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 395; Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 202. 5 § 34 Abs. 7 Sätze 12 und 13 KStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 6 § 2 Abs. 1, § 49 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 5a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 5a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG; Kapitalertragsteuerpflicht gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EStG mit Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG, § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG).

758 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.252 Kap. 14

der Körperschaft grundsätzlich nicht erhöhen. Eine verdeckte Einlage liegt dann vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person seiner Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Einlagen Vermögensgegenstände zuwendet und diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat.1 Ob die Zuwendung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, beurteilt sich aufgrund des Fremdvergleichs, also danach, ob ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, den Vermögensvorteil der Gesellschaft nicht gewährt hätte.2 Als Einlagen sind nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehren, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens.3 Dagegen führt die Überlassung von Wirtschaftsgütern oder von Kapital zur Nutzung ohne Entgelt oder gegen ein unangemessen niedriges Entgelt zu keiner unmittelbaren Vermögensmehrung.4 Die Vermögensmehrung ist nämlich nicht die Nutzungsüberlassung selbst, sondern allenfalls die Folge der Nutzung, wenn also die Kapitalgesellschaft durch Nutzung der überlassenen Wirtschaftsgüter oder des überlassenen Kapitals Erträge erzielt.5 Nutzungsüberlassungen, und zwar auch solche über die Grenze, können damit nicht Gegenstand einer verdeckten Einlage sein.6 Daher sind nur aktivierungsfähige Wirtschaftsgüter einlagefähig.7 Zu diesen aktivierungsfähigen Wirtschaftsgütern gehören im Grundsatz auch immaterielle Wirtschaftsgüter, die im Betrieb selbst geschaffen worden sind. Das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 1 und 2 EStG, § 248 Abs. 2 HGB wird hier durch den steuerlichen Trennungsgrundsatz, wonach der Gesellschaftsbereich von dem Gesellschafterbereich steuerlich abzugrenzen ist, verdrängt.8

1 BFH v. 19.2.1970 – I R 24/67, BStBl. II 1970, 442; BFH v. 9.3.1983 – I R 182/78, BStBl. II 1983, 744; BFH v. 16.4.1991 – VIII R 100/87, BStBl. II 1992, 234; BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 308; zu Einzelheiten Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 460 ff.; Roser in Gosch4, § 8 KStG Rz. 105; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.60 ff. 2 BFH v. 21.9.1989 – IV R 115/88, BStBl. II 1990, 86; BFH v. 15.10.1997 – I R 80/96, BFH/NV 1998, 624; BFH v. 14.7.2009 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508; Weber-Grellet, DB 1998, 1532 ff. 3 BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 4 BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240; vgl. auch den Wortlaut in § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG, wo im Klammerzusatz im Unterschied zum Klammerzusatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG der Hinweis auf Nutzungen fehlt. 5 Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 177. 6 So die ständige Rspr.: BFH v. 8.11.1960 – I 131/59 S, BStBl. III 1960, 513; BFH v. 9.3.1962 – I 203/ 61 S, BStBl. III 1962, 338; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 16.11.1977 – I R 83/75, BStBl. II 1978, 386; BFH v. 22.1.1980 – VIII R 74/77, BStBl. II 1980, 244; BFH v. 28.1.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612; BFH v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 631; BFH v. 22.11.1983 – VIII R 37/79, BFHE 140, 63; BFH v. 22.11.1983 – VIII R 133/82, BFHE 140, 69; BFH v. 24.5.1984 – I R 166/78, BStBl. II 1984, 747; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 20.9.1990 – IV R 300/84, BStBl. II 1991, 82; BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240; BFH v. 4.12.2006 – GrS 1/ 05, BStBl. II 2007, 508. 7 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 8 BFH v. 20.8.1986 – I R 150/82, BStBl. II 1987, 455; BFH v. 24.3.1987 – I R 202/83, BStBl. II 1987, 705; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348.

Schaumburg | 759

14.252

Kap. 14 Rz. 14.253 | Materielles Steuerrecht

14.253

Die Rechtsfolgen der verdeckten Einlage bestehen auf Gesellschaftsebene darin, dass die durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens eingetretene Vermögensmehrung bei der Ermittlung des steuerlichen Gewinns im Rahmen der zweistufigen Gewinnermittlung1 auf der zweiten Stufe außerbilanziell wieder abgezogen wird (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG).2 Stattdessen wird einlagebedingt das steuerliche Einlagekonto (§ 27 KStG) erhöht.3 Das gilt allerdings nicht, soweit die verdeckte Einlage das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG). Dieses materielle Korrespondenzprinzip gilt insbesondere für grenzüberschreitende verdeckte Einlagen in eine inländische Kapitalgesellschaft.

14.254

Auf Gesellschafterebene führt die verdeckte Einlage als Rechtsfolge zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung, und zwar grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, ob die Anteile zu einem Betriebsvermögen gehören oder Beteiligungen i.S.d. §§ 17, 20 Abs. 2 EStG darstellen.4 Der Gesellschafter kann daher die verdeckten Einlagen nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehen.5 Die gewinnerhöhende Aktivierung als nachträgliche Anschaffungskosten hat abgesehen von der in § 8 Abs. 3 Satz 6 KStG getroffenen Regelung allerdings im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu unterbleiben, wenn der Wert der Beteiligung durch die verdeckte Einlage nicht erhöht wird.6 Die nach träglichen Anschaffungskosten sind gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG mit dem Teilwert und bei zum Privatvermögen gehörenden Anteilen mit dem gemeinen Wert anzusetzen, sodass es insoweit im Betriebsvermögen grundsätzlich7 zu einer Gewinnrealisierung kommt. Diese steuerliche Behandlung gilt auch für grenzüberschreitende verdeckte Einlagen in eine ausländische Tochtergesellschaft.8

1 Zur zweistufigen Gewinnermittlung BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366; BMF v. 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742-32/02, BStBl. I 2002, 603, Rz. 2 f.; Wassermeyer in Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.5. 2 Bewertung der verdeckten Einlage erfolgt im Grundsatz gem. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG zum Teilwert, in Fällen der verstrickungsbedingten Einlage (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) und der Einlage von Gesellschaftsanteilen i.S.d. § 17 EStG und § 20 EStG (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 4 EStG) zum gemeinen Wert sowie bei der Einlage von Wirtschaftsgütern, die innerhalb der letzten drei Jahre angeschafft oder hergestellt worden sind (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) zum Buchwert; zu Einzelheiten Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 465. 3 Bauschatz in Gosch4, § 27 KStG Rz. 33; Dötsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 35. 4 BFH v. 28.1.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612; BFH v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 631; BFH v. 24.5.1984 – I R 166/78, BStBl. II 1984, 747; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 16.4.1991 – VIII R 100/87, BStBl. II 1992, 234; BFH v. 26.11.1993 – VI R 3/92, BStBl. II 1994, 242; BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307; BFH v. 29.7.1997 – VIII R 57/ 94, BStBl. II 1998, 652; BFH v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436; BFH v. 23.2.2005 – I R 44/04, BStBl. II 2005, 522; Gosch in Kirchhof19, § 17 EStG Rz. 93; Weber-Grellet in Schmidt39, § 17 EStG Rz. 164, § 5 Rz. 639. 5 BFH v. 15.9.1961 – VI 224/61 U, BStBl. III 1961, 547. 6 BFH v. 6.3.2003 – XI R 52/01, BStBl. II 2003, 658; zu den Besonderheiten bei nachträglichen Anschaffungskosten aus kapitalersetzenden Darlehen und Bürgschaften im Unterschied zu § 17 EStG, BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733; BFH v. 20.4.2005 – X R 2/03, BStBl. II 2005, 694. 7 Ausnahme, wenn das Wirtschaftsgut innerhalb von drei Jahren vor der verdeckten Einlage angeschafft oder hergestellt wurde (§ 6 Abs. 6 Satz 3 EStG). 8 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.158.

760 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.257 Kap. 14

d) Berichtigung von Einkünften (§ 1 AStG) aa) Fremdvergleich Bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen,1 insbesondere verbundenen Kapitalgesellschaften2, sieht § 1 AStG3 eine Einkünfteberichtigung vor, sofern die Einkünfte dadurch gemindert werden, dass Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise) zugrunde gelegt worden sind, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz). In diesem Fall sind die Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Damit normiert § 1 AStG eine Abweichung von der Regel, dass Einkünftetatbestände4 nur durch ein tatsächliches oder rechtliches, nicht aber durch ein vorgestelltes Geschehen verwirklicht werden können.5 § 1 AStG fingiert also Einkünfte.6

14.255

Maßstab für die Einkünfteberichtigung sind Bedingungen für Geschäftsbeziehungen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG).7 Dies entspricht dem international allgemein anerkannten Dealing-at-arm‘s-length-Prinzip. Andere Hochsteuerländer haben dem § 1 AStG vergleichbare Korrekturvorschriften. Trotz internationaler Akzeptanz des Dealing-at-arm‘s-lengthPrinzips ergeben sich in der Besteuerungspraxis der einzelnen Staaten dennoch erhebliche Abweichungen bei der Einkünfteberichtigung, sodass bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen international verbundenen Unternehmen eine Doppelbesteuerung nicht selten unvermeidbar ist.8

14.256

Dass es zu erheblichen Abweichungen bei der Einkünfteberichtigung mit der Folge einer Doppelbesteuerung kommt, beruht u.a. auch darauf, dass für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG davon auszugehen ist, „dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehungen kennen und

14.257

1 § 1 Abs. 2 AStG: Eine Person ist dann nahestehend, wenn zwischen ihr und dem unbeschränkt Steuerpflichtigen ein Beherrschungsverhältnis (§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 2 AStG), eine Einflussmöglichkeit außerhalb der Geschäftsbeziehungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG) oder eine Interessenidentität (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG) besteht; vgl. zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 501 ff. 2 Zu den Steuerpflichtigen, deren Einkünfte berichtigt werden können, zählen im Grundsatz nur Steuersubjekte, also unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Personen. Aufgrund der Sonderregelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG werden Personengesellschaften den Kapitalgesellschaften gleichgestellt und somit für die Anwendung des § 1 AStG als Steuerpflichtige behandelt. 3 § 1 KStG soll durch das ATADUmsG neu geregelt werden (RefE v. 24.3.2020). 4 § 38 AO, § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 3, §§ 13 – 24 EStG. 5 BFH v. 8.11.1960 – I 131/59 S, BStBl. III 1969, 513; BFH v. 9.3.1962 – I 203/61 S, BStBl. III 1962, 338; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 28.1.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; zum Prinzip der Ist-Einkommensbesteuerung als Subprinzip des Leistungsfähigkeitsprinzips Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 631 ff. 6 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875. 7 Tatsächlicher und hypothetischer Fremdvergleich; obwohl die Formulierung „[...] hätten“ nur auf einen hypothetischen Fremdvergleich hindeutet; hierzu Kaminski, RIW 2007, 594 (594). 8 Vgl. zur EU-Schiedsverfahrenskonvention Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 23.1 ff. und zur Streitbeilegungsrichtlinie Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 24.1 ff.

Schaumburg | 761

Kap. 14 Rz. 14.257 | Materielles Steuerrecht

nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln“. Diese Transparenzklausel1 gilt für den tatsächlichen und hypothetischen Fremdvergleich gleichermaßen2 und ist nicht auf den Anwendungsbereich des § 1 AStG beschränkt. § 1 AStG ergänzt nämlich die übrigen Korrekturnormen, soweit deren Rechtswirkungen über die Rechtswirkungen der anderen Korrekturnormen hinausgehen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG).3

14.258

Die Berichtigung betrifft lediglich Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen, also durchweg schuldrechtliche Beziehungen,4 die keine gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen sind und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder wären, wenn sich der Geschäftsvorfall im Inland ereignet hätte (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AStG).5 Die Geschäftsbeziehungen müssen zum Ausland unterhalten werden,6 sodass Geschäftsbeziehungen im Ausland und zum Inland nicht unter den Anwendungsbereich des § 1 AStG fallen.7 bb) Einkünftekorrektur

14.259

Die Rechtsfolge der Einkünfteberichtigung nach § 1 AStG besteht darin, dass der Berichtigungsbetrag den betreffenden Einkünften des Steuerpflichtigen hinzuzurechnen ist.8

14.260

Maßstab für die Einkünftekorrektur ist das Dealing-at-arm‘s-length-Prinzip (Fremdvergleich). Bei diesem Fremdvergleich, der im Grundsatz dem Fremdvergleich der bilateralen Einkünfte-Korrekturklausel (Art. 9 OECD-MA) entspricht, kommt es darauf an, was andere unabhängige Unternehmen vereinbart hätten. Darüber hinaus stellt § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG darauf ab, dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehungen kennen (Transparenzklausel) und nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln. Während die Transparenzklausel einer Parallele sowohl im Abkommensrecht (Art. 9 OECD-MA) als auch in der EU-Schiedsverfahrenskonvention (Art. 4 EU-SchK) entbehrt, steht die Rechtsfigur des (doppelten) ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters9 zwar in Einklang insbesondere mit dem Abkommensrecht10 und mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur verdeckten Gewinnausschüttung und 1 Zur Unvereinbarkeit mit Art. 9 OECD-MA und Art. 4 EU-Schiedsverfahrenskonvention Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 350; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 275; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.163; Wassermeyer, DB 2007, 535 (536). 2 Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 203; für eine restriktive Auslegung im Sinne einer Anwendbarkeit nur auf den hypothetischen Fremdvergleich Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 351; Frischmuth, IStR 2007, 485 (486); Frischmuth in FS Schaumburg, 2009, 647 (656 ff.). 3 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.162. 4 Soweit es sich um das Verhältnis zu einer ausländischen Betriebsstätte handelt, ist auf Geschäftsvorfälle (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) abzustellen (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG). 5 Für die letzte Fallalternative ist auf eine fiktive inländische nahestehende Person abzustellen. 6 Zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 126 ff. 7 BFH v. 20.4.1988 – I R 41/82, BStBl. II 1988, 868; zu den hierdurch entstehenden „Korrekturlücken“ Ege in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 15 (25 ff.). 8 In Betracht kommt eine Hinzurechnung insbesondere bei Gewinneinkünften i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 – 3 EStG; so BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875; BFH v. 5.12.1990 – I R 94/88, BStBl. II 1991, 287; zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 381 ff. 9 Hierzu Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 313 ff. 10 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 126 f.; Ditz in S/D, DBA², Art. 9 OECD-MA Rz. 74, § 1 AStG Rz. 111.

762 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.262 Kap. 14

verdeckten Einlage,1 hierüber gibt es aber keinen internationalen Konsens, sodass insoweit Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA) ausgelöst werden können.2 Die Ableitung angemessener Verrechnungspreise aus den hierfür maßgeblichen Fremdvergleichswerten regelt § 1 Abs. 3 AStG. Hierbei wird unterschieden zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich.3 Innerhalb des Anwendungsbereichs des tatsächlichen Fremdvergleichs, der als innerbetrieblicher oder zwischenbetrieblicher Vergleich4 durchgeführt werden kann, ist darauf abzustellen, ob die in Betracht kommenden Fremdvergleichswerte uneingeschränkt oder nur eingeschränkt vergleichbar sind. Die vorgenannten Kriterien stehen in einem Drei-Stufen-Verhältnis, sodass der tatsächliche dem hypothetischen Fremdvergleich und im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs die uneingeschränkt vergleichbaren den nur beschränkt vergleichbaren Werten vorgehen.5 In Orientierung an diesem DreiStufen-Verhältnis entscheidet sich, welche Verrechnungspreismethode zur Anwendung kommt. Darüber hinaus wird hierdurch auch der Umfang einer etwaigen Verrechnungspreiskorrektur determiniert.

14.261

Sind im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte verfügbar, ist für die Angemessenheit der Verrechnungspreise vorrangig auf die Preisvergleichsmethode (Comparable uncontrolled price method),die Wiederverkaufspreismethode (Resale price method) oder die Kostenaufschlagsmethode (Cost plus method) als Standardmethoden abzustellen.6 Die Fremdvergleichswerte sind am Markt zu ermitteln, wobei die uneingeschränkte Vergleichbarkeit nach Vornahme sachgerechter Anpassungen7 im Hinblick auf die ausgeübten Funktionen, die eingesetzten Wirtschaftsgüter und die übernommenen Chancen und Risiken (Funktionsanalyse),8 hergestellt werden kann (§ 1 Abs. 3 Satz 1 AStG). Eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit liegt vor, wenn die Geschäftsbedingun-

14.262

1 Ständige Rechtsprechung seit BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204. 2 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 535 (536). 3 Tatsächlicher Fremdvergleich: § 1 Abs. 3 Sätze 1 – 4 AStG; hypothetischer Fremdvergleich: § 1 Abs. 3 Sätze 5 – 8 AStG. 4 Im Rahmen des zwischenbetrieblichen Vergleichs wird in der Praxis nicht selten auf Datenbankanalysen zurückgegriffen, aus denen bestimmte betriebswirtschaftliche Kennziffern abgeleitet werden; zu den hiermit verbundenen Problemen (z.B. Vergleichbarkeit) Vögele/Crüger in V/B/B5, Kap. H Rz. 28 ff.; Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 3.131; Oestreicher, StuW 2006, 243 ff.; Wahl/Preisser, IStR 2008, 51 ff. 5 Zu diesem Stufenverhältnis Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 905; Vögele/Raab in V/ B/B5, Kap. A Rz. 223. 6 Die Standardmethoden stehen gleichrangig nebeneinander, wobei diejenige zu wählen ist, „mit der der Fremdvergleichspreis im konkreten Einzelfall mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit ermittelt werden kann“; so BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; zu den Standardmethoden im einzelnen Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 661 ff.; zu den gewinnorientierten Methoden – insbesondere Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (profit split method) und geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (transactional net margin method – TNMM) – Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 791 ff. 7 Die Anpassungsrechnungen sind aufzuzeichnen (§ 4 Abs. 4 Buchst. d GAufzV). 8 Hierunter versteht man diejenigen Untersuchungsschritte, die der Ermittlung der von einem verbundenen Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten, übernommenen Zuständigkeiten und Kompetenzen dienen; zu Einzelheiten Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 4.4.

Schaumburg | 763

Kap. 14 Rz. 14.262 | Materielles Steuerrecht

gen identisch sind oder Unterschiede bei den Geschäftsbedingungen keine wesentliche Auswirkung auf die Preisgestaltung haben oder Unterschiede in den Geschäftsbedingungen (z.B. unterschiedliche Zahlungsziele) durch hinreichend genaue Anpassungen beseitigt worden sind.1 Diese Voraussetzungen werden in der Praxis nur bei Geschäftsbeziehungen möglich sein, die homogene Güter oder standardisierte Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Unter den vorgenannten Voraussetzungen werden uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte nur im Rahmen bestimmter Bandbreiten (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 AStG) feststellbar sein.2 Soweit der vereinbarte Verrechnungspreis sich innerhalb dieser Bandbreiten bewegt, ist dieser uneingeschränkt zu akzeptieren.3 Hieraus folgt im Grundsatz, dass stets der für den Steuerpflichtigen günstigste Wert innerhalb der Bandbreite angesetzt werden kann.4

14.263

In den Fällen, in denen die ermittelten Fremdvergleichswerte nur eingeschränkt vergleichbar sind, sind diese nach Vornahme sachgerechter Anpassungen einer geeigneten Verrechnungspreismethode zugrunde zu legen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 AStG). Zu den geeigneten Verrechnungspreismethoden gehören in erster Linie die Standardmethoden.5 Neben den vorgenannten (transaktionsbezogenen) Standardmethoden (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) kommen auch transaktionsbezogene Gewinnmethoden und ggf. die Gewinnaufteilungsmethode in Betracht.6 Sind mehrere eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte7 feststellbar, ist die sich ergebende Bandbreite einzuengen (§ 1 Abs. 3 Satz 3 AStG). Was darunter zu verstehen ist, lässt sich dem Gesetz nicht unmittelbar entnehmen. Angesprochen sind damit statistisch anerkannte Verfahren, die darauf gerichtet sind, Extremwerte bei der Ermittlung von Durchschnittswerten auszuschalten.8 Im Vordergrund hierbei steht die sog. Interquartil-Methode,9 bei der sowohl das untere als auch das obere Viertel der Werte der ermittelten Preisbandbreite unberücksichtigt bleiben. Im Ergebnis wird damit die am Markt ermittelte Bandbreite um 50% pauschal eingeengt.10

14.264

Liegen die tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreise in den Fällen der uneingeschränkt und nur eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte außerhalb der normalen bzw.

1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.7 Buchst. a (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 2 Zur Entstehung von Preisbandbreiten Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.168 ff. 3 Borstell in V/B/B5, Kap. B Rz. 132 f.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.283; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.7 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 4 Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.186; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1463); vgl. auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 5 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BFH/NV 2005, 1719. 6 Ausführlich zu den einzelnen Verrechnungspreismethoden Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 661 ff. sowie Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 791. 7 Gemeint sind Fremdvergleichspreise. 8 Hierzu Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (551). 9 Interquartile-Range; Begründung des Regierungsentwurfs § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, BR-Drucks. 220/07, 143 unter Hinweis auf BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.5. (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 10 Zur Kritik hieran Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 967; Baumhoff in FS Wassermeyer, 2015, 347 (362 ff.); Werra, IStR 2005, 19 (21); Finsterwalder, DStR 2005, 765 (769).

764 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.266 Kap. 14

eingeengten Bandbreite, hat eine Einkünftekorrektur zu erfolgen, wobei Maßstab der Median ist (§ 1 Abs. 3 Satz 4 AStG). Mit der Bezugnahme auf den Median wird ein statistischer Begriff verwendet, der bedeutet, dass mindestens 50% aller Merkmalswerte kleiner oder gleich und mindestens 50% aller Merkmalswerte auch größer oder gleich diesem Wert sind.1 Können auch keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden, ist ein hypothetischer Fremdvergleich durchzuführen (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG).2 Das bedeutet, dass ein am Markt zwischen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleuten typischer Preisbildungsprozess simuliert werden muss.3 Hierbei ist davon auszugehen, dass die auf der Anbieter- und Nachfrageseite gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter4 alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehungen kennen (§ 1 Abs. 3 Satz 5 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG).5 Im Rahmen des vorgenannten simulierten Preisbildungsprozesses ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungsgrundsätze zu ermitteln (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Hierdurch entsteht ein Einigungsbereich, der letztlich von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotenzialen) bestimmt wird.6 § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG unterstellt somit, dass die Preisobergrenze des Leistungsempfängers stets über der Preisuntergrenze des Leistenden liegt (Einigungsbereich). Liegt die Preisobergrenze des Leistungsempfängers dagegen unter der Preisuntergrenze des Leistenden, kommt jedenfalls nach den üblichen Gesetzmäßigkeiten des Marktes kein Geschäft zustande. In einem derartigen Fall versagt somit auch der hypothetische Fremdvergleich, ohne dass sich aus dem Gesetz ergibt, welcher Verrechnungspreis sodann angemessen sein soll.7

14.265

Das Gebot, aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers unter Einbeziehung der jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotenziale) zu ermitteln, läuft im Kern auf eine doppelte ertragswertorientierte Bewertung hinaus,8 die der Unternehmensbewertung entspricht.9 Auf der Grundlage des so ermittelten Einigungsbereichs ist derjenige Verrechnungspreis angemessen, der innerhalb dieses Einigungsbereichs angesiedelt ist und der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht, wobei im Zweifel10 der

14.266

1 Zu Einzelheiten Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 995; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (551 f.) mit dem Hinweis, dass diese Methode eine ungerade Zahl von Merkmalswerten unterstellt. 2 Diese Pflicht obliegt dem Steuerpflichtigen. 3 Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1041 ff. 4 Zum doppelten ordentlichen, gewissenhaften Geschäftsleiter: BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204. 5 Zur Kritik an dieser realitätsfernen Transparenzklausel Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 350; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.263; Roeder, Ubg 2008, 202 (205); Piltz in JbFStR 2007/2008, 99 (149 ff.). 6 Einzelheiten zur Ermittlung des Einigungsbereichs bei BaumhoffLiebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1041 ff. 7 Zur Kritik Kahle in H/K/G/R, § 1 Abs. 3 AStG Rz. 426; Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1089 ff.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1464). 8 Schreiber, Ubg 2008, 433 (434 ff.). 9 Hierzu Greinert, Ubg 2010, 102 ff. 10 Widerlegbare Vermutung; der Steuerpflichtige kann einen für ihn günstigeren Wert glaubhaft machen; Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1086.

Schaumburg | 765

Kap. 14 Rz. 14.266 | Materielles Steuerrecht

Mittelwert1 des Einigungsbereichs den angemessenen Verrechnungspreis abbildet (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG).2

14.267

Weicht der tatsächlich vereinbarte Verrechnungspreis vom Mittelwert des Einigungsbereichs oder von dem Wert innerhalb des Einigungsbereichs ab, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht, hat eine Einkünftekorrektur zu erfolgen. § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG enthält indessen eine Erleichterung dahin gehend, dass eine Einkünftekorrektur unterbleiben kann,3 wenn der zugrunde gelegte Einigungsbereich unzutreffend ermittelt wurde und der tatsächlich vereinbarte Verrechnungspreis einem Wert entspricht, der innerhalb des zutreffend ermittelten Einigungsbereichs liegt.4 Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Geschäftsbeziehungen sind. Weicht die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten (§ 1 Abs. 3 Satz 11 AStG).5

14.268

Die Einkünftekorrektur setzt voraus, dass die dem Dealing-at-arm‘s-length-Prinzip nicht entsprechenden Bedingungen zu einer Minderung der Einkünfte führen. Dies lässt sich erst nach Berücksichtigung eines Vorteilsausgleichs6 feststellen. Der Vorteilsausgleich betrifft nur den Ausgleich von Vor- und Nachteilen verschiedener Rechtsgeschäfte. Vor- und Nachteile eines einheitlichen Rechtsgeschäfts sind dagegen ohne Weiteres ausgleichsfähig.7

14.269

Im Unterschied zu dem insbesondere im Rahmen der verdeckten Gewinnausschüttung maßgeblichen Vorteilsausgleich (hierzu Rz. 14.246), gilt im Rahmen des § 1 AStG ein erweiterter Vorteilsausgleich.8 Im Hinblick darauf wird lediglich vorausgesetzt,9 dass – ein Ausgleich auch zwischen Fremden denkbar sein muss und – die Vor- und Nachteile quantifizierbar sind.10 1 Als Mittelwert ist wohl der arithmetische Mittelwert gemeint; vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (556 f.), dort auch zur Kritik an der normativen Fehlverwendung statistischer Begriffe. 2 Entgegen BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867, wonach wie beim tatsächlichen Fremdvergleich (BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171) auch beim hypothetischen Fremdvergleich auf den für den Steuerpflichtigen günstigsten Wert abzustellen ist; zur Kritik an dieser mit Art. 9 OECD-MA und den OECD-RL (Rz. 1.45) nicht zu vereinbarenden „Mittelwertmethode“: Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.112; Kaminski, StuW 2008, 337 (342); Hornig, PIStB 2008, 45 (45). 3 Ermessen der Finanzverwaltung. 4 Zu Einzelheiten Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (557 f.); Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1466). 5 Der Referentenentwurf des ATADUmsG enthält in § 1b AStG (Preisanpassungsklausel) eine gesonderte Regelung. 6 Das ist der Ausgleich zwischen den Ergebnissen aus vorteilhaften und nachteiligen Geschäften. 7 Sog. Palettenbetrachtung: Wassermeyer/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2713; Kaminski in S/ K/K, § 1 AStG Rz. 164 ff.; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141 f. 8 Zur Begründung im Einzelnen Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.174; Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2705 ff. 9 So Tz. 3.14 OECD-Leitlinien 2010. 10 Anders dagegen BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218 (Verwaltungsgrundsätze), Rz. 2.3.2, wonach die Gesellschafter in einem inneren Zusammenhang stehen müssen und die Vorteilsverrechnung vereinbart oder Geschäftsgrundlage gewesen sein muss.

766 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.271 Kap. 14

cc) Anwendungsbereiche Folgende Sachverhalte sind in der Praxis von besonderer Bedeutung:1

14.270

– Funktionsverlagerungen

14.271

Es handelt sich um einen Vorgang, bei dem ein Unternehmen (das verlagernde Unternehmen) einem anderen nahestehenden Unternehmen (das übernehmende Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV).2 Erfasst wird also nicht die bloße Übertragung oder Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern oder die Erbringung von sonstigen Leistungen, sondern die Übertragung eines Bündels von Wirtschaftsgütern und sonstigen Leistungen. Angesprochen ist damit insbesondere die Übertragung gesondert geführter Bereiche eines Unternehmens, ohne dass hierbei ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinne vorliegen muss.3 Derartige Funktionen sind z.B. Einkauf, Produktion, Marketing, Verkauf, Logistik, Forschung und Entwicklung oder Verwaltung.4 Ist eine Funktionsverlagerung gegeben, ist für Zwecke der Gesamtbewertung auf die verlagerte Funktion als Ganzes (Transferpaket) abzustellen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG). Das gilt aber nur für den Fall, dass ein hypothetischer Fremdvergleich vorzunehmen ist.5 Werden also uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Werte im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs – etwa durch Ableitung aus vergleichbaren am Markt ermittelten Unternehmenstransaktionen – festgestellt, gelten die allgemeinen Grundsätze, sodass insbesondere die Preisvergleichsmethode zur Anwendung kommt. Ist das nicht der Fall, ist das Transferpaket als Ganzes im Grundsatz unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze (§ 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 1 AStG) wertmäßig zu bestimmen. Hierbei ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers zu ermitteln, wobei der hierdurch geprägte Einigungsbereich durch die jeweiligen Gewinnerwartungen bestimmt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 AStG). Die von Gesetzes wegen gebotene ertragswertorientierte Gesamtbewertung bei grenzüberschreitender Funktionsverlagerung kann allerdings durch eine Einzelbewertung der betroffenen Wirtschaftsgüter ersetzt werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile mit der Funktion übergegangen sind (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG),6 die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise, gemessen an der Bewertung des Transferpaketes als Ganzes 1 Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.197 ff. 2 Die vom Gesetz vorgegebene Definition ist eine Tautologie; zur Kritik Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650); vgl. auch die Definition von Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 275 ff.; ausführlich zu Funktionsverlagerungen Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1201 ff. 3 Zum Begriff des Teilbetriebs i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG: Teilbetrieb ist ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter organisatorisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebes, der für sich allein lebensfähig ist; vgl. BFH v. 10.3.1998 – VIII R 31/95, BFH/NV 1998, 1209. 4 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003, BStBl. I 2010, 774, Rz. 15 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung). 5 § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG verweist auf Satz 5 in Absatz 3. 6 Vgl. hierzu BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003, BStBl. 2010, 774 Rz. 38 ff (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung).

Schaumburg | 767

Kap. 14 Rz. 14.271 | Materielles Steuerrecht

dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG) oder dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist, und er es genau bezeichnet (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG).1

In den Fällen der Funktionsverlagerung, in deren Rahmen wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Geschäftsbeziehung sind, ist bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs die in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG (§ 9 FVerlV) verankerte Anpassungsklausel2 von Bedeutung.3 Diese greift ein, wenn die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung abweicht, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag. Eine derartige erhebliche Abweichung ist gegeben, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt (§ 10 FVerlV). Wenn eine derartige Anpassungsregelung nicht getroffen wurde, gilt § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG mit der Folge, dass unter den dort genannten Voraussetzungen ein entsprechender Anpassungsbetrag auf den ursprünglichen Verrechnungspreis der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen ist, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist (§ 1 Abs. 3 Satz 12 AStG) (zu Pflichtverletzungen bei Funktionsverlagerungen Rz. 16.160 ff.).4

14.272

– Warenlieferungen Die Angemessenheit von Preisen für die Lieferung von Waren und Gütern wird in der Praxis überwiegend anhand der Standardmethoden ermittelt, wobei die Preisvergleichsmethode und die Wiederverkaufspreismethode im Vordergrund stehen.5 Welche der Standardmethoden letztlich sachgerecht ist, hängt von der Funktion des betreffenden Unternehmens innerhalb etwa eines konzerninternen Produktions- und Vertriebsprozesses ab. Hierzu bedarf es in aller Regel einer Funktions- und Risikoanalyse.6 Diese Funktionsund Risikoanalyse ist jeweils aus der Sicht des Produktions- und Vertriebsunternehmens anzustellen.7

14.273

– Dienstleistungen Die Angemessenheit von Entgelten für erbrachte Dienstleistungen wird in der Praxis überwiegend anhand der Standardmethoden ermittelt, wobei die Preisvergleichsmethode und die Kostenaufschlagsmethode im Vordergrund stehen.8 Voraussetzung ist allerdings, 1 Zu diesen Escape-Regelungen Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1355 ff.; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003, BStBl. 2010, 774, Rz. 38 ff. (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung). 2 Diese kommt in allen Fällen des hypothetischen Fremdvergleichs in Betracht; vgl. auch die im ATADUmsG geplante Neuregelung (Preisanpassungsklausel) in § 1b AStG-E. 3 Zur Anpassungsklausel Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1381 ff.; vgl. Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 844 ff.; Peter/Spohn/Hogg, IStR 2008, 864 ff.; Scholz, IStR 2007, 521 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.; Pohl, IStR 2010, 690 ff. 4 Zu Einzelheiten Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1391 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff. 5 Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1602; Borstell/Hülster in V/B/B5, Kap. M Rz. 9; Ege in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 15; ausführlich zur Lieferung von Gütern und Waren Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1601 ff. 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 7 Zu Einzelheiten Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1607 ff. 8 Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1783 ff.; Elbert/Gotsis in V/B/B5, Kap. N Rz. 144 f.; Ege in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 15; ausführlich Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1721 ff.

768 | Schaumburg

B. Außensteuerrecht | Rz. 14.275 Kap. 14

dass die Dienstleistungen überhaupt verrechenbar sind, was bei einer Veranlassung aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses nicht der Fall ist.1

14.274

– Finanzierungsleistungen

Finanzierungsleistungen2

Entgelte für können unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs zwischen international verbundenen Unternehmen mit steuerlicher Wirkung nur dann verrechnet werden, wenn die Finanzierungsleistungen betrieblich veranlasst sind.3 Hieraus folgt, dass etwa dem Konzern gewidmetes Eigenkapital nicht entgeltsfähig ist. Ob Eigen- oder Fremdkapital gewidmet worden ist, beurteilt sich danach, ob das Kapital auf schuldrechtlicher oder auf gesellschaftsrechtlicher Ebene hingegeben worden ist.4 Handelt es sich um Fremdkapital sind im Grundsatz Zinsen zu verrechnen, wobei die Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe nur im Rahmen der Zinsschranke (§ 8a KStG, § 4h EStG) möglich ist.5 Die Berechnung der Entgelte für zwischen international verbundenen Unternehmen ausgetauschte Finanzierungsleistungen orientiert sich, soweit es sich um Kreditgewährungen handelt, durchweg an der Preisvergleichsmethode. Unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs folgt hieraus, dass für die Hingabe von Darlehen diejenigen Zinssätze zugrunde zu legen sind, wie sie zwischen fremden Dritten vereinbart werden. Hiernach gilt Folgendes: Hat die darlehensgebende Kapitalgesellschaft selbst einen Kredit aufgenommen, so bemisst sich der angemessene Zinssatz nach den in Rechnung gestellten Sollzinsen, wenn und soweit davon ausgegangen werden kann, dass die hingegebenen Darlehensbeträge andernfalls zur Kreditrückzahlung verwendet worden wären.6 Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bilden die banküblichen Habenzinsen die Untergrenze und die banküblichen Sollzinsen die Obergrenze.7 Betreibt die darlehensgebende Kapitalgesellschaft keine Bankgeschäfte und ist sie deshalb auch nicht mit dem damit verbundenen Aufwand belastet, sind nicht die banküblichen Sollzinsen8 zugrunde zu legen, sondern es ist davon auszugehen, dass sich Darlehensgeber und Darlehensnehmer die Marge zwischen Sollzinsen einerseits und Habenzinsen andererseits teilen.9

14.275

– Forschungsleistungen In der internationalen Praxis wird der grenzüberschreitende Technologietransfer unterschiedlich abgerechnet. Während die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter, etwa die 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. hierzu den Überblick bei Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1754 ff. Vgl. hierzu die im ATADUmsG geplante Sonderregelung in § 1a AStG-E. Zu Einzelheiten Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 2201 ff. Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720; BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2008, 123; BFH v. 23.6.20120 – I R 37/09, DStR 2010, 1883. Ggf. ergeben sich auch Einschränkungen nach dem SteuerHBekG/SteuerHBekV; zu verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Zinsschranke BFH v.14.10.2015 – I R 20/15, BStBl. II 2017, 1240 (Vorlagebeschluss – Az. beim BVerfG 2 BvL 1/16). Hierzu unter dem Gesichtspunkt der verhinderten Vermögensmehrung bei verdeckter Gewinnausschüttung BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649. BFH v. 28.2.1990 – I R83/87, BStBl. II 1990, 649; BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; BFH v. 22.10.2003 – I R 36/03, BStBl. II 2004, 307; Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 2225 ff.; Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 45 (55). So aber BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 4.2.1. (Verwaltungsgrundsätze); vgl. zur Kritik gegen diese Verwaltungsregelung Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2220; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 1179. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; BFH v. 22.10.2003 – I R 36/03, BStBl. II 2004, 307; zu weiteren Einzelheiten Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 2218 ff.

Schaumburg | 769

Kap. 14 Rz. 14.275 | Materielles Steuerrecht

Nutzungsüberlassung von Patenten, Know-how sowie Schutzrechtsüberlassungen zumeist nach festen Lizenzsätzen1 nach Maßgabe der Preisvergleichsmethode abgerechnet werden,2 steht bei der Auftragsforschung die Kostenaufschlagsmethode im Vordergrund.3 In den Fällen, in denen die angemessene Lizenzgebühr für die Überlassung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter zur Nutzung auf der Grundlage des hypothetischen Fremdvergleichs ermittelt wurde, bedarf es einer nachträglichen Anpassung derselben, wenn die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung von derjenigen abweicht, die der Lizenzvereinbarung zugrunde lag (§ 1 Abs. 3 Satz 11 AStG).4 Das gilt allerdings dann nicht, wenn Lizenzvereinbarungen getroffen werden, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen (§ 9 FVerlV).5

C. Doppelbesteuerungsrecht I. Grundsätze 14.276

Die Doppelbesteuerung beruht im Bereich der Subjektsteuern6 vor allem auf dem internationalen Nebeneinander von unbeschränkter Steuerpflicht durch Erfassung des Welteinkommens/ Weltvermögens, die anknüpft an Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Ort der Geschäftsleitung, und beschränkter Steuerpflicht durch Erfassung inländischen Einkommens/inländischen Vermögens. Neben dieser primären Kollision von unbeschränkter Steuerpflicht einerseits und beschränkter Steuerpflicht andererseits kann es zu einer Doppelbesteuerung auch durch das Nebeneinander von unbeschränkter Steuerpflicht in mehreren Staaten kommen. Schließlich ist eine Kollision auch durch eine verschiedenartig ausgeprägte beschränkte Steuerpflicht in mehreren Staaten möglich. Es gibt keinen völkerrechtlichen Satz, der eine derartige Doppelbesteuerung verböte und der die Vermeidung der Doppelbesteuerung zur Auflage machte.7

14.277

Auch der AEUV enthält kein ausdrückliches Doppelbesteuerungsverbot.8 Ein Doppelbesteuerungsverbot lässt sich auch nicht unmittelbar aus den unionsrechtlich verbürgten 1 In der Praxis werden vergleichbare Lizenzsätze aufgrund von Informationen aus allgemein zugänglichen Datenbanken ermittelt; zur Verwertbarkeit im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO, § 1 Abs. 1, 3 GAufzV) vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.4 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 5.1.1. (Verwaltungsgrundsätze); Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2446 ff.; Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 78 (91 ff.). 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 5.2.2.; 5.3. (Verwaltungsgrundsätze); ausführlich zur Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter und zur Auftragsforschung Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 2401 ff.; 2481 ff. 4 Zu dieser Anpassungsklausel Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 1381 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff. 5 Schaumburg, IStR 2009, 877 (881). 6 Zu ihnen gehören insbesondere Einkommensteuern; zur Steuertypologie im Einzelnen Hey in T/ L23, § 7 Rz. 20 ff. 7 Vgl. BFH v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 17.3, dort auch zum Folgenden (Rz. 17.1 ff.). 8 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.27; Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, 135 ff.; Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 381 ff.; Scherer, Doppelbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 76 f.

770 | Schaumburg und Schaumburg/Häck

C. Doppelbesteuerungsrecht | Rz. 14.278 Kap. 14

Grundfreiheiten ableiten.1 Das sekundäre Unionsrecht enthält allerdings für bestimmte Sachbereiche mitunter ein partielles Gebot der Vermeidung der Doppelbesteuerung. Angesprochen sind hiermit insbesondere die steuerliche Fusionsrichtlinie,2 die Mutter-Tochter-Richtlinie3 und die Zins- und Lizenz-Richtlinie.4 Schließlich wird angenommen, dass auch dem nationalen Recht kein Rechtsatz dahingehend zu entnehmen sei, dass eine Doppelbesteuerung verboten und deren Vermeidung geboten sei.5 Indessen ist es das verfassungsrechtlich verankerte Rechtsprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, das eine Vermeidung der Doppelbesteuerung gebietet.6 Da insbesondere die Umsatzsteuer und die verschiedenen Verbrauchsteuern durch ein strenges Territorialitätsprinzip geprägt sind,7 wird die Notwendigkeit besonderer Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung insoweit nicht gesehen.8 Auf uni- und bilateraler Ebene (DBA) wird die Doppelbesteuerung insbesondere durch folgende Methoden vermieden bzw. gemildert:

1 EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221 – Gilly, EuGHE 1998, I-2793, Rz. 30; EuGH v. 14.11.2006 – C-513/04, ECLI:EU:C:2006:713 – Kerckhaert und Morres, EuGHE 2006, I-10967, Rz. 20 ff.; EuGH v. 12.2.2009 – C-67/08, ECLI:EU:C:2009:92 – Block, FR 2009, 294 m. Anm. Billig, Rz. 27 ff.; EuGH v. 16.7.2009 – C-128/08, ECLI:EU:C:2009:471 – Damseaux, IStR 2009, 622 Rz. 20 ff.; EuGH v. 15.4.2010 – C-96/08, ECLI:EU:C:2010:185 – CIBA, Rz. 25 ff.; EuGH v. 8.12.2011 – C-157/10, ECLI:EU:C:2011:813 – Banco Bilbao, IStR 2012, 152 Rz. 31; Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, 135 ff.; Schön, IStR 2004, 289 (299); Hahn, IStR 2002, 681 (686); Mössner/Kellersmann, DVBl. 1995, 968 (970); für ein grundfreiheitliches Verbot dagegen Englisch, Dividendenbesteuerung, 251 ff.; Englisch, IStR 2007, 67; Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 154 ff.; Kofler, IStR 2011, 668 ff. (669); Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, 155 ff.; Dautzenberg, DB 1994, 1542 ff.; ferner mehr oder weniger stark differenzierend Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 857 ff.; Lehner in FS Wassermeyer, 2015, 241 ff.; Schönfeld, StuW 2005, 158 ff.; die Vereinbarkeit des abkommensrechtlichen Progressionsvorbehaltes mit den Grundfreiheiten wurde bejaht von BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660. 2 Richtlinie 2009/133/EG über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat v. 19.10.2009, ABl. EU 2009 Nr. L 310, 34, geändert durch Richtlinie 2013/13/EU v. 13.5.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30. 3 Ursprüngliche Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem von Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 6; umgesetzt durch § 43b EStG, § 8 Abs. 1, 9 KStG und § 9 Nr. 7 Satz 1 Halbs. 2 GewStG; nunmehr Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutterund Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8; zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2015/121 des Rates v. 27.1.2015; ABl. EU 2015 Nr. L 21, 1. 4 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 49; zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/13/EU des Rates v. 13.5.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30; umgesetzt durch § 50g EStG. 5 BFH v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497. 6 Schönfeld/Häck in S/D, DBA², DBA-Systematik Rz. 10; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 17.8 ff. m.w.N. 7 Steuerbar sind nur Umsätze im Inland (§ 1 Abs. 1 UStG) oder durch Übergang der belasteten Ware in dem steuerrechtlich freien Verkehr im Inland (z.B. § 8 Abs. 1 EnergieStG). 8 Vgl. allerdings Stadie in R/D, Einf. UStG Rz. 730 ff.

Schaumburg/Häck | 771

14.278

Kap. 14 Rz. 14.278 | Materielles Steuerrecht

– Anrechnungsmethode, aufgrund derer die auf ausländische Einkünfte oder ausländisches Vermögen erhobene ausländische Steuer auf die anteilige deutsche Steuer angerechnet werden kann; – Freistellungsmethode, durch die ausländische Einkünfte oder Vermögensteile ganz oder teilweise von deutscher Steuer freigestellt werden; – Abzugsmethode, wonach eine auf ausländische Einkünfte erhobene ausländische Steuer bei der inländischen Einkünfteermittlung wie eine Betriebsausgabe abgezogen werden kann; – Pauschalierungsmethode, wonach ausländische Einkünfte nur in Höhe eines (geringeren) Pauschalsteuersatzes versteuert werden; – Erlassmethode, aufgrund derer als ultima ratio die inländische Steuer auf ausländische Einkünfte oder Vermögensteile ganz oder teilweise erlassen werden kann.

II. Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Zum EStG: Kommentare zu § 3 Nr. 40 und 41, § 32d Abs. 5, § 34c, § 34d EStG und InvStG; Desens, Das Halbeinkünfteverfahren, Köln 2004; Dinkelsbach, Besteuerung des Anteilsbesitzes an Kaitalgesellschaften im Halbeinkünfteverfahre, Düsseldorf 2006; Mössner, Doppelbesteuerung und deren Beseitigung, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 2.244 ff.; Otto, Die Besteuerung von gewinnausschüttenden Körperschaften und Anteilseignern nach dem Halbeinkünfteverfahren, Berlin 2007; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 18.1 ff. Zum KStG: Kommentare zu §§ 8b, 26 KStG; § 50g EStG; Englisch, Dividendenbesteuerung, Köln 2005; Mössner, Doppelbesteuerung und deren Beseitigung, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 2.378 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 18.143 ff. Zum GewStG: Kommentare zu § 9 GewStG; Mössner, Doppelbesteuerung und deren Beseitigung, in Mössner u.a. Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 2.411 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 18.215 ff. Zum ErbStG: Kommentare zu § 21 ErbStG; Hamdan, Die Beseitigung internationaler Doppelbesteuerung durch § 21 ErbStG, Angelbachtal 2007; Hönninger, Internationale Doppelbesteuerung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, Frankfurt/ M. 2003; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 18.243 ff.

14.279

Die im nationalen Recht verankerten Regelungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden durch Doppelbesteuerungsabkommen nur dann verdrängt, wenn die abkommensrechtlichen Regelungen eine größere Reichweite aufweisen, im Ergebnis für den Steuerpflichtigen also günstiger sind. Das bedeutet etwa, dass eine im nationalen Recht vorgesehene Steueranrechnung durch eine weiterreichende Steuerfreistellung im Abkommensrecht verdrängt wird (vgl. § 34c Abs. 6 Sätze 2 – 6 EStG).1 Im Übrigen stehen die DBA, der Erlassoder Pauschalisierungsmethode (§ 34c Abs. 5 EStG) nicht entgegen.2 Schließlich ist der optio1 BFH v. 11.9.1987 – VI R 19/84, BStBl. II 1987, 856; BFH v. 11.9.1987 – VI R 64/86, BFH/NV 1988, 631; BFH v. 24.3.1998 – I R 38/97, BStBl. II 1998, 471; BFH v. 19.4.1999 – I B 141/98, BFH/NV 1999, 1317; Gosch in Kirchhof19, § 34c EStG Rz. 8. 2 Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 421; Gosch in Kirchhof19, § 34c EStG Rz. 35; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 171.

772 | Schaumburg/Häck

C. Doppelbesteuerungsrecht | Rz. 14.282 Kap. 14

nale Steuerabzug auch bei Anwendung von DBA (§ 34c Abs. 6 Satz 2 EStG) in den Grenzen des § 34c Abs. 2 EStG möglich. Soweit die DBA sich darauf beschränken, die Steueranrechnung dem Grunde nach zu regeln, hinsichtlich der Modalitäten aber auf nationales Recht verweisen, greifen die nationalen Anrechnungsregeln ein.1 Bei der Einkommensteuer kommt die Freistellungsmethode in folgenden Fällen zur Anwendung:

14.280

– Im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG) werden insbesondere die Veräußerungen von Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften sowie Ausschüttungen derselben bei unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen zu 40% steuerfrei gestellt. Im Kern geht es hier zwar um die Vermeidung der steuerlichen Doppelbelastung, wegen der Abhängigkeit von der steuerlichen Vorbelastung auch auf ausländischer Gesellschaftsebene dient § 3 Nr. 40 EStG so gesehen aber auch der Vermeidung der (internationalen) wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. – Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft sowie Gewinnausschüttungen derselben werden steuerfrei gestellt (§ 3 Nr. 41 EStG), soweit für das Kalenderjahr (Wirtschaftsjahr) oder für die vorangegangenen sieben Kalenderjahre (Wirtschaftsjahre) entsprechende Hinzurechnungsbeträge auf Gesellschafterebene der Einkommensteuer unterlegen haben. – In Investmenterträgen in- und ausländischer Investmentfonds enthaltene ausländische Einkünfte werden bei den Investmentfondsanlegern freigestellt, wenn sie bei unmittelbarem Bezug abkommensrechtlich von der deutschen Besteuerung auszunehmen wären. Die Anrechnungsmethode wird durch § 34c EStG verwirklicht, soweit unbeschränkt steuerpflichtige Personen ausländische Einkünfte (§ 34d EStG) erzielen, wobei die im Ausland gezahlte Steuer bis zur Höhe der deutschen Einkommensteuer zur Anrechnung kommt. Eine entsprechende Anrechnung wird auch beschränkt steuerpflichtigen Personen für Drittstaateneinkünfte gewährt (§ 50 Abs. 3 EStG).2

14.281

Bei der Körperschaftsteuer gilt die Steuerfreistellung in folgenden Fällen:

14.282

– In § 8b Abs. 1 KStG werden In- und Auslandsdividenden von der Körperschaftsteuer freigestellt. Die Steuerbefreiung wird vorbehaltlos gewährt, sodass es auf irgendwelche Mindestbesitzzeiten, Mindestbeteiligungs- oder Aktivitätsvorbehalte nicht ankommt. Das gilt allerding nicht für sog. Steuerbesitzdividenden, also in den Fällen, in denen die Beteiligungen zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 v.H. des Grund- oder Stammkapitals betragen haben (§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG)3 und ferner dann nicht, wenn die Bezüge bei der ausschüttenden Körperschaft das Einkommen gemindert haben (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG).4

1 BFH v. 20.12.1995 – I R 57/94, BStBl. II 1996, 261; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 82. 2 Zur Anwendung der Pauschalierungs- und Erlassmethode vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 18.132 ff. 3 Fassung ab 1.3.2013 (Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils v. 20.10.2011 in der Rs. C-284/09 v. 21.3.2012, BGBl. I 2013, 561). 4 Zu dieser Korrespondenzklausel Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 (514 ff.). Hinweis: Nach dem Referentenentwurf des ATADUmsG entfällt die Steuerbefreiung auch in Fällen von internationalen Besteuerungsinkongruenzen (§ 8b Abs. 1 Satz 3 KStG-E).

Schaumburg/Häck | 773

Kap. 14 Rz. 14.282 | Materielles Steuerrecht

– Gewinne aus der Veräußerung von in- oder ausländischen Kapitalanteilen werden gem. § 8b Abs. 2 KStG freigestellt. – In Umsetzung der Zins- und Lizenz-Richtlinie1 enthält § 50g EStG2 eine Steuerfreistellung für Zins- und Lizenzgebühren, die an ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges verbundenes Unternehmen gezahlt werden. Normadressaten des § 50g EStG sind ausschließlich nach dem Recht der EU-Mitgliedstaaten errichtete Kapitalgesellschaften.3 – Soweit eine Steuerfreistellung nicht in Betracht kommt, erfolgt entweder eine Steueranrechnung (§ 26 Abs. 1 KStG), ein Steuerabzug (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 2 und 3 EStG) oder ein Steuererlass und Steuerpauschalierung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 5 EStG).

14.283

Obwohl durch das Gewerbesteuergesetz das Territorialitätsprinzip verwirklicht wird,4 ist eine Vermeidung der Doppelbesteuerung insbesondere bei ausländischen Dividenden geboten. Diese Vermeidung der Doppelbesteuerung wird durch Steuerfreistellung im Wege des sog. gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs (§ 9 Nr. 7 GewStG) gewährleistet.

14.284

Für Zwecke der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) wird die Doppelbesteuerung allein durch die Steueranrechnung (§ 21 ErbStG) vermieden.5

III. Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Kommentare zum OECD-MA 2008 und 2010 und zu den deutschen DBA; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. München 2016, 64 ff.; Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Berlin 2009; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. München 2000, 645 ff.; Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007; Lampert, Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, Baden-Baden 2010; Locher, Einführung in das Internationale Steuerrecht der Schweiz, 3. Aufl. Bern 2005; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008; Mössner, Beseitigung der Doppelbesteuerung durch Staatsverträge, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. 2018, Rz. 2.418 ff.; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 19.1 ff.

1. Allgemeine Hinweise 14.285

DBA sind darauf gerichtet, gegenüber den aufgrund des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Vertragsstaaten entstehenden Steueransprüchen Schrankenwirkungen6 zu entfalten. Diese Wirkungen beruhen im Wesentlichen auf den mit Lex-specialis-Charakter ausgestatteten

1 Richtlinie 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 49, zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/13/EU v. 13.5.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30. 2 Diese Vorschrift gilt auch für die Körperschaftsteuer, vgl. Anlage 3 Nr. 2 zu § 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG. 3 § 50g Abs. 3 Nr. 5 EStG i.V.m. Anlage 3 Nr. 1 zum EStG. 4 Hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 18.215. 5 Zur Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 18.243 ff. 6 Zu den in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich verwendeten, für die Rechtsanwendung aber nicht weiter bedeutsamen Begrifflichkeiten Lehner in V/L6, Grundlagen Rz. 66.

774 | Schaumburg/Häck

C. Doppelbesteuerungsrecht | Rz. 14.286 Kap. 14

Normen der DBA,1 die nach Umsetzung in innerstaatliches Recht2 einen gegenseitigen Steuerverzicht der Vertragsstaaten begründen.3 Dieser gegenseitige Steuerverzicht wird, entsprechend der Grundkonzeption des OECD-MAs,4 dadurch gewährleistet, dass einerseits die Besteuerung im Quellenstaat umgrenzt wird (Art. 6 – 21 OECD-MA) und andererseits der Wohnsitzstaat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Steueranrechnung oder Steuerfreistellung gewährt (Art. 23 OECD-MA). Während die Steueranrechnung auf die Vermeidung der effektiven Doppelbesteuerung gerichtet ist, geht es bei der Steuerfreistellung um die Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung, d.h. sie erfolgt im Grundsatz ohne Rücksicht darauf, ob der Quellenstaat die betreffenden Einkünfte überhaupt besteuert (zu den Ausnahmen, z.B. Subject-to-tax-Klauseln, s. Rz. 14.291). Entsprechendes gilt auch für die Steuerumgrenzung – Steuerfreistellung oder reduzierter (Quellen-)Steuersatz – im Quellenstaat, die ebenfalls grundsätzlich ohne Rücksicht auf eine Besteuerung im Ansässigkeitsstaat erfolgt. Zu den bilateralen DBA zählen auch die insbesondere von Deutschland mit einigen Staaten abgeschlossenen Sonderabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Einkünfte von Luft- und/oder Schifffahrtunternehmen.5 Die Sonderabkommen beinhalten eine Freistellung der Einkünfte von Luft- und/oder Schifffahrtunternehmen von der Steuer in dem einen Vertragsstaat, sofern der Ort der Geschäftsleitung des Unternehmens in dem anderen Vertragsstaat belegen ist. Zudem enthalten mehrere Sonderabkommen6 eine Meistbegünstigungsklausel, nach der die Vertragsstaaten verpflichtet sind, dem Unternehmen aus dem anderen Vertragsstaat mindestens die Vorteile zu gewähren, welche sie Unternehmen aus Drittstaaten gewähren. Darüber hinaus beziehen sich die Sonderabkommen häufig nicht allein auf einen steuerrechtlichen, sondern zusätzlich auch auf einen handelsrechtlichen Anwendungsbereich – z.B. Maßnahmen zur erleichterten Abwicklung des Schiffsverkehrs, Zollabfertigung und Zolltarife. Der Sinn und Zweck der Sonderabkommen besteht somit nur teilweise darin, die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Zudem hat insbesondere Deutschland mit Staaten und anderen Jurisdiktionen, mit denen bislang entweder keine DBA oder aus deutscher Sicht DBA mit nur unzureichenden Auskunftsklauseln bestehen, Informationsaustauschabkommen (Tax Information Exchange Agreements – TIEA) abgeschlossen. Diese sind gegen den von sog. Steueroasen ausgehenden schädlichen Steuerwettbewerb gerichtet und dienen vor allem der vollständigen Erfassung von Kapitaleinkünften.7 Soweit mit Staaten zugleich DBA bestehen, die mit den Sonderabkommen und den Informationsaustauschabkommen vergleichbare Regelungen enthalten, sind wegen der Gleichrangigkeit der Abkommen die diesbezüglichen Regelungen gleichermaßen anwendbar, ohne dass die eine Regelung die andere verdrängt.8

1 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 2, 5. 2 In Deutschland durch Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG); vgl. zum Abschluss und Wirksamwerden von DBA: Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.19 ff. 3 Lehner in V/L6, Grundlagen Rz. 66. 4 Zur Bedeutung Schönfeld/Häck in S/D, DBA², DBA-Systematik Rz. 26 ff.; das deutsche MusterDBA hat bislang noch keine wesentliche Bedeutung erlangt; vgl. Text und Kommentierung bei Schönfeld/Ditz in S/D, DBA², Anh. 4. 5 Zum Abkommensstand: Nr. 3 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 15.1.2020 – IV B 2 - S 1301/ 07/10017 – 11, BStBl. I 2020, 162. 6 Z.B. Chile und China. 7 Zum derzeitigen Stand vgl. Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 15.1.2020– IV B 2 - S 1301/07/10017 – 11, BStBl. I 2020, 162; zu Einzelheiten Rz. 9.45 ff. 8 So ausdrücklich Abschn. 2 des Schlussprotokolls zum DBA-China 1985 betreffend Sonderabkommen.

Schaumburg/Häck | 775

14.286

Kap. 14 Rz. 14.286 | Materielles Steuerrecht

2. Auslegungskonflikte Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu Art. 25 OECD-MA; Albert, DBA-Verständigungsverfahren – Probleme und Verbesserungsvorschläge, ifst-Schrift Nr. 457 (2009); Eigelshoven/Wolff, Verständigungsverfahren – Praktische Erfahrungen und ungelöste Probleme, in Lüdicke, Praxis und Zukunft des deutschen internationalen Steuerrechts, Köln 2012, 129 ff.; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Berlin 2009; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 19.79; Züger, Schiedsverfahren für Doppelbesteuerungsabkommen: Möglichkeiten zur Verbesserung des Rechtsschutzes im internationalen Steuerrecht, Wien 2011.

14.287

Es ist nicht zu vermeiden, dass die Vertragsstaaten ein und dieselben Abkommensvorschriften unterschiedlich auslegen. Eine derartige unterschiedliche Auslegung führt zu einer Störung der Regelungshomogenität und vereitelt damit nicht selten die Vermeidung der Doppelbesteuerung als eigentliches Vertragsziel der DBA. Es kommt hierbei zu Auslegungskonflikten.1 Diese können bilateral entweder durch normspezifische Switch-over-Klauseln2 oder durch ein Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA), multilateral partiell durch die Schiedsverfahrenskonvention3 oder in Anwendung des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten4 sowie durch bilaterale und unilaterale5 Subjekt-totax-Klauseln behoben werden.

14.288

Insbesondere folgende Instrumente sind darauf gerichtet, eine unterschiedliche Anwendung von Abkommensrecht und damit eine Doppelbesteuerung zu vermeiden: – Verständigungsverfahren, die den zuständigen Behörden beider Vertragsstaaten die Möglichkeit eröffnen, Schwierigkeiten bei der Auslegung und Anwendung der DBA in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln (Art. 25 OECD-MA); – Vorabverständigungsverfahren (APAs), die darauf abzielen, zwischen zwei oder mehreren Staaten eine einvernehmliche Besteuerung von noch nicht verwirklichten Geschäften eines Steuerpflichtigen und ihm nahestehenden Personen i.S.d. § 1 AStG, eine einvernehmliche Gewinnaufteilung zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländische Betriebsstätte oder eine einvernehmliche Gewinnermittlung einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens herbeizuführen;6 – Konsultationsverfahren, bei denen es darum geht, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung der Abkommen entstehen, im gegenseitigen Einvernehmen zu beseitigen sowie Regelungslücken im DBA zu schließen; – Schiedsverfahren, die in einigen DBA den Zweck der Behebung von Auslegungskonflikten sicherstellen wollen;7 1 Zur Typologie Lehner in V/L6, Grundlagen Rz. 96b ff.; von Poser/Groß-Naedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei DBA, 104 ff.; Hannes, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, 129 ff. 2 Hierzu Schönfeld/Häck in S/D, DBA², Art. 23A/B Rz. 93 ff; ferner § 50d Abs. 9 EStG. 3 Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen, 90/436/EWG, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10; geändert durch Richtlinie 2005/19/EG zur Änderung der Richtlinie 90/434/EWG v. 17.2.2005, ABl. EU 2005 Nr. L 58, 19 ff. 4 V. 29.4.1957, BGBl. II 1961, 81; vgl. auch Art. 41 Abs. 5 DBA-Schweden. 5 Z.B. § 50d Abs. 8 EStG bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. 6 So die Formulierung in § 178a Abs. 1 AO. 7 Hierzu der Überblick bei Lehner in V/L6, Art. 25 OECD-MA Rz. 250, 260 ff.

776 | Schaumburg/Häck

C. Doppelbesteuerungsrecht | Rz. 14.291 Kap. 14

– EU-Schiedsverfahrenskonvention,1 wonach im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen und dem Verhältnis zu Betriebsstätten die Doppelbesteuerung beseitigt werden soll;2 – EU-Streitbeilegungsrichtlinie3 und das diese umsetzende EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz v. 10.12.2019 (EU-DBA-SBG)4 zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Deutschland und einem oder mehreren EU-Staaten durch die Auslegung und Anwendung von DBA.

Im Hinblick darauf, dass die vor allem im Ansässigkeitsstaat abkommensrechtlich gebotene Steuerfreistellung traditionell auf die Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung gerichtet ist, kann es bei Nichtbesteuerung im Quellenstaat zu einer doppelten Nichtbesteuerung kommen.5

14.289

Das gilt auch für den Fall, dass der Quellenstaat freistellt, ohne dass der Ansässigkeitsstaat besteuert. Zu einer bloß (internationalen) Minderbesteuerung kommt es im vorgenannten Fall, wenn die Einkünfte im Quellenstaat nur mit einem begrenzten Quellensteuersatz belastet werden.6

14.290

Gegen die doppelte Nichtbesteuerung sind insbesondere bilaterale7 und multilaterale Switchover-Klauseln8 und Subject-to-tax-Klauseln9 in folgenden Fällen gerichtet:

14.291

– negative Qualifikationskonflikte, die dazu führen, dass durch divergierende Auslegung von Abkommensbestimmungen jeder Staat sein Besteuerungsrecht verneint, also den jeweils anderen Staat für berechtigt hält, die betreffenden Einkünfte zu besteuern:10 § 50d Abs. 9 EStG;11 – Nichtausübung des Besteuerungsrechts im Quellen- oder im Ansässigkeitsstaat: Abkommensrechtliche Subject-to-tax-Klauseln; § 50d Abs. 8 EStG.12 1 Richtlinie 90/434/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10, geändert durch Richtlinie 2005/ 19/EG zur Änderung der Richtlinie 90/434/EWG v. 17.2.2005, ABl. EU 2005 Nr. L 58, 19. 2 Zu Einzelheiten Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.114 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 23.1 ff. 3 Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates vom 10.10.2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union; dazu Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 24.1 ff.; Zinowsky/Schönfeld, ISR 2018, 7 ff. 4 BGBl. I 2019, 2103. 5 Zur Begriffsvielfalt: Weiße Einkünfte, Keinmalbesteuerung, Minderbesteuerung, Nullbesteuerung, Doppelfreistellung; vgl. hierzu Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 32 ff.; Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503. 6 Sog. Graue Einkünfte; vgl. hierzu Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 187 f. 7 Unilaterale Klauseln verdrängen die abkommensrechtliche Freistellung; zu diesem treaty overriding vgl. Rz. 2.35. 8 Anrechnung statt Freistellung bei negativen Qualifikationskonflikten. 9 Besteuerung trotz Freistellung, wenn der andere Staat nicht besteuert; es wird auch der Begriff „Rückfallklausel“ verwendet; vgl. hierzu den Überblick bei Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 173 f. 10 Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.87; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 57. 11 Zur Verfassungsmäßigkeit des § 50d Abs. 9 EStG (treaty overriding) BFH v. 20.8.2014 – I R 86/ 13, DB 2014, 2439 (Vorlagebeschluss – Az. beim BVerfG 2 BvL 21/14). 12 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des in § 50d Abs. 8 EStG verankerten treaty overriding BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1; zu § 50d Abs. 10 EStG BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, DStR 2014, 306 (Vorlagebeschluss – Az. beim BVerfG 2 BvL 15/14).

Schaumburg/Häck | 777

Kap. 14 Rz. 14.292 | Materielles Steuerrecht

14.292

Von Bedeutung sind schließlich auch unilaterale Korrespondenzklauseln, die eine internationale Minderbesteuerung in den Fällen verhindern wollen, in den zwei oder mehrere Staaten bei verschiedenen Steuerpflichtigen korrespondierende Sachverhalte steuerlich unterschiedlich einordnen.1

3. Steuerumgehung Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu § 20 Abs. 2 AStG, § 50d Abs. 3 EStG, § 42 AO; Lampe, Missbrauchsvorbehalte in völkerrechtlichen Abkommen am Beispiel der Doppelbesteuerungsabkommen, Köln/Berlin/München 2006; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, BadenBaden 2008; Lutz, Die Maßnahmen gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, Zürich 2000; Paschen, Steuerumgehung im nationalen und internationalen Steuerrecht, Wiesbaden 2001; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 19.124.

14.293

Da die Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unterschiedlich ausgeprägt sind, kommt es international zu einem starken Regelungsgefälle. Die Folge dieses internationalen Regelungsgefälles bei den unilateralen und bilateralen Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist das Bestreben von Steuerpflichtigen, sich durch entsprechende Gestaltungen unter den Schutz jener Abkommensvorschriften zu stellen, die eine Milderung oder gar eine Vermeidung der Doppelbesteuerung am besten gewährleisten. International steht die Ausnutzung des Regelungsgefälles von DBA im Vordergrund. Es handelt sich hierbei um Fallgestaltungen, bei denen es darum geht, – durch Zwischenschaltung einer Person die Schutzwirkung eines Abkommens in Anspruch zu nehmen, die sonst nicht gewährt würde (treaty shopping); – durch bestimmte Gestaltungen Einkünfte von einer in eine andere Einkunftsart des Abkommens umzuqualifizieren (rule shopping) oder – Doppelbefreiungen bzw. eine doppelte Nichtbesteuerung (negative Qualifikationskonflikte) zu erlangen.

14.294

Gegen die nicht gerechtfertigte Inanspruchnahme von Abkommensregelungen durch Steuerpflichtige sind auf Abkommensebene folgende Maßnahmen gerichtet: – Einschränkung der Abkommensberechtigung insbesondere in den mit der Schweiz und den USA abgeschlossenen DBA;2 – Aktivitätsklauseln, wonach die Freistellung von Betriebsstättengewinnen und von Schachteldividenden davon abhängig gemacht wird, dass die Einnahmen der Betriebsstätte oder der Tochtergesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich aus sog. aktiven oder produktiven Tätigkeiten stammen;3

1 Beispiele: § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 2 EStG; § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG, wonach eine (partielle) Steuerfreistellung für Gewinnausschüttungen (Bezüge) nur gewährt wird, wenn sie das Einkommen der leistenden (ausländischen) Kapitalgesellschaft nicht gemindert haben. 2 Zu Einzelheiten Prokisch in V/L6, Art. 1 OECD-MA Rz. 137 ff. 3 Abkommensübersicht bei Schwenke in Wassermeyer, DBA, Art. 23A/B OECD-MA, Anlage.

778 | Schaumburg/Häck

C. Doppelbesteuerungsrecht | Rz. 14.295 Kap. 14

– Beneficiary-Klauseln, wonach Empfänger von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren die Reduzierung von Quellensteuern oder deren Nicht-Erhebung im Quellenstaat nur dann beanspruchen können, wenn sie Nutzungsberechtigte (beneficial owner) sind;1 – bilaterale und unilaterale Switch-over-Klauseln,2 die zum Wechsel von der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode führen, um eine auf negativen Qualifikationskonflikten beruhende doppelte Nichtbesteuerung in beiden Vertragsstaaten zu verhindern; – bilaterale und unilaterale Subject-to-tax-Klauseln,3 die ebenfalls darauf gerichtet sind, insbesondere eine Doppelfreistellung zu verhindern;4 – Künstlerverleihklauseln (Art. 17 Abs. 2 OECD-MA), die bewirken, dass Personen, denen Einkünfte aus der Tätigkeit als Künstler oder Sportler zufließen, obwohl sie selbst nicht als Künstler oder Sportler auftreten, der Besteuerung in dem Staat unterliegen, in dem die künstlerische oder sportliche Tätigkeit ausgeübt wird; – Grundstücksklauseln (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA), wonach Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Grundstücksgesellschaften vom Belegenheitsstaat besteuert werden dürfen, sodass statt der Freistellungs- die Anrechnungsmethode eingreift;5 – Arbeitnehmerüberlassungsklauseln, wonach in Abweichung von Art. 15 Abs. 2 OECDMA auch der Tätigkeitsstaat besteuern darf.6 Soweit keine spezifischen abkommensrechtlichen Missbrauchsklauseln zur Anwendung kommen, verbleibt ein Anwendungsbereich für § 42 AO.7 Darüber hinaus greifen auch weitere spezielle Missbrauchsklauseln des nationalen Rechts ein, die, soweit ihr Anwendungsbereich reicht, ebenfalls § 42 AO verdrängen (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Hierzu gehören u.a. die unilaterale Switch-over-Klausel des § 20 Abs. 2 AStG, wonach für niedrig besteuerte ausländische Betriebsstätteneinkünfte aus passivem Erwerb die abkommensrechtliche Steuerfreistellung durch die Steueranrechnung ersetzt wird,8 ferner § 50d Abs. 1 EStG, wonach gewährleistet ist, dass die durch DBA eingeräumte Reduzierung oder Freistellung von Quellensteuern nur dann beansprucht werden kann, wenn der Empfänger der betreffenden Einkünfte seine Abkommensberechtigung nachweist und schließlich die (Anti-) Treaty-shopping-Klausel des § 50d Abs. 3 EStG, die regelt, dass eine nicht aktiv tätige ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf Steuerentlastung nach Maßgabe der DBA und gem. der §§ 43b, 50g EStG hat, soweit an ihr Personen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn diese die Einkünfte unmittelbar erzielten.9

1 Zu Einzelheiten Tischbirek in V/L6, vor Art. 10 – 12 OECD-MA Rz. 10 ff.; Kraft, Die missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 20 ff. 2 Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L6, Art. 1 OECD-MA Rz. 136; im nationalen Recht § 50d Abs. 9 EStG; hierzu Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.525. 3 Abkommensübersicht mit den wichtigsten Industriestaaten bei Schönfeld/Häck in S/D, DBA², Art. 23A/B OECD-MA Rz. 108; im nationalen Recht § 50d Abs. 8 EStG; hierzu Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.522 f. 4 Zu Einzelheiten Schönfeld/Häck in S/D, DBA², Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73ff. 5 Reimer in V/L6, Art. 13 OECD-MA Rz. 174. 6 Hierzu Prokisch in V/L6, Art. 15 OECD-MA Rz. 54 ff.; dort auch zu den entsprechenden missbräuchlichen Gestaltungen. 7 Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.133 ff., 19.154 ff. 8 Hierzu Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.151. 9 Hierzu Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.153, 19.160 ff.

Schaumburg/Häck | 779

14.295

Kap. 14 Rz. 14.295 | Materielles Steuerrecht

4. Abkommensberechtigung Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu Art. 1, 3 und 4 OECD-MA; Helde, Dreiecksverhältnisse im Internationalen Steuerrecht unter Beteiligung einer Betriebsstätte, Köln 2000; Lang/Schuch/Staringer, Die Ansässigkeit im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2008; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 19.169 ff., 19.194 ff.

14.296

Die Schrankenwirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen können nur Personen in Anspruch nehmen, die abkommensberechtigt sind. Für die Abkommensberechtigung stellen die DBA (Art. 1 OECD-MA) darauf ab, ob eine Person in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig ist. Mit dieser Anknüpfung unterfallen dem Abkommensschutz lediglich solche Personen, die wenigstens zu einem der beiden Vertragsstaaten eine besondere persönliche Bindung aufweisen. Werden diese Merkmale – Person (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA) und Ansässigkeit (Art. 4 OECD-MA) – nicht erfüllt, versagt der Abkommensschutz mit der Folge, dass insoweit eine Doppelbesteuerung bilateral nicht vermieden werden kann.

14.297

Der Kreis derjenigen, die als Personen im Sinne des Abkommens als Abkommenssubjekte1 und damit als Träger von Rechten und Pflichten in Betracht kommen, ist im Abkommen weit gezogen. Neben den natürlichen Personen fallen auch Gesellschaften, d.h. juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden, sowie alle anderen Personenvereinigungen in diesen Schutzkreis (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und b OECD-MA). Dieser Schutzkreis verengt sich allerdings dadurch, dass nur solche Personen unter den Abkommensschutz fallen, die in wenigstens einem der beiden Vertragsstaaten ansässig sind. Hierzu gehören jene Personen, die in einem oder in beiden Vertragsstaaten nach dortigem Recht aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthaltes, des Orts der Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig sind.2 Durch bilaterale und multilaterale Anti-treaty-shopping-Klauseln kann die Abkommensberechtigung in Sonderfällen, insbesondere bei missbräuchlicher Ausnutzung von Abkommensvergünstigungen, allerdings ausgeschlossen werden.3

14.298

Der Begriff der Ansässigkeit (Art. 4 OECD-MA) hat nicht nur Bedeutung für die Abkommensberechtigung einer Person, er dient auch als Anknüpfungspunkt für die Besteuerung im Wohnsitzstaat in Abgrenzung gegen die Besteuerung im Quellenstaat. Nach der Grundkonzeption der DBA wenden sich deren Schrankenwirkungen zum einen gegen den Quellenstaat und zum anderen gegen den Wohnsitzstaat. Die den Quellenstaat betreffenden Abkommensvorschriften führen zu einer Umgrenzung der Quellenstaatsbesteuerung, wonach entweder die Besteuerung im Quellenstaat voll aufrechterhalten bleibt,4 den Besteuerungsgrundlagen5 oder der Steuerhöhe nach eingeschränkt6 oder aber gänzlich aufgehoben7 wird. Die den 1 Prokisch in V/L6, Art. 1 OECD-MA Rz. 5. 2 Damit sind (deutsche) Personengesellschaften (Mitunternehmerschaften) grundsätzlich nicht abkommensberechtigt. 3 Vgl. z.B. die sog. Limitation-on-benefits-Klausel in Art. 28 DBA-USA sowie § 50d Abs. 3 EStG. 4 So das für die Besteuerung unbeweglichen Vermögens geltende Belegenheitsprinzip (Art. 6 Abs. 1 OECD-MA). 5 So das für Unternehmensgewinne geltende Betriebsstättenprinzip (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECDMA). 6 Vgl. etwa die Steuersatzbegrenzung für auf Dividenden und Zinsen erhobene Quellensteuern (Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 OECD-MA). 7 So etwa für Lizenzgebühren (Art. 12 Abs. 1 OECD-MA).

780 | Schaumburg/Häck

C. Doppelbesteuerungsrecht | Rz. 14.301 Kap. 14

Wohnsitzstaat betreffenden Vorschriften regeln sodann, auf welche Weise der Wohnsitzstaat die (verbleibende) Doppelbesteuerung auszugleichen hat.1 Der Begriff der Ansässigkeit ist schließlich noch von Bedeutung für die Regelung derjenigen Fälle, in denen sich eine Doppelbesteuerung daraus ergibt, dass zwei Wohnsitze vorhanden sind.2 Die Entscheidung darüber, welcher Staat als Wohnsitzstaat oder als Quellenstaat besteuern darf, wird sodann auf einer Stufenfolge zumeist ortsbezogener Kriterien getroffen (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA). Als Wohnsitzstaat gilt danach stets derjenige Vertragsstaat, in dem die Person aufgrund eines abgestuften Regelungssystems als ansässig gilt. Der andere Vertragsstaat ist sodann automatisch der Quellenstaat.3

14.299

5. Sachliche Reichweite Literatur (ab 2002): Kommentare zu Art. 2 OECD-MA; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 19.189 ff.

Die DBA bestimmen durchweg, dass unter ihren sachlichen Anwendungsbereich solche Steuern fallen, die vom Einkommen und Vermögen für Rechnung eines Vertragsstaates oder seiner Gebietskörperschaften erhoben werden (Art. 2 Abs. 1 OECD-MA). Hierbei spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Steuern durch Veranlagung oder durch Abzug an der Quelle erhoben werden. Da die deutsche Kirchensteuer keiner derartigen Gebietskörperschaft zufließt, unterliegt sie zwar nicht dem sachlichen Anwendungsbereich der DBA, als Annexsteuer zur Einkommensteuer wird sie aber mittelbar erfasst.4 Mit den Steuern vom Einkommen und Vermögen ist der Kreis der in die Abkommen einbezogenen Steuern sehr weit gezogen. Aus deutscher Sicht gehören hierzu nicht nur die Einkommen-, Körperschaft-5 und Vermögensteuer,6 sondern auch die Gewerbesteuer.7

14.300

Als Steuer vom Vermögen unterliegt die Grundsteuer dem sachlichen Anwendungsbereich der DBA,8 was allerdings im Hinblick darauf, dass nur inländische Grundstücke der Besteuerung unterliegen,9 keine weiteren Auswirkungen hat. Nicht erfasst werden indessen grundsätzlich die Umsatzsteuer und (sonstige) Verbrauchsteuern sowie zumeist die Erbschaftsteuer,10 für die Deutschland allerdings einige eigenständige Abkommen abgeschlossen hat.11 Zu den Steuern vom Einkommen und Vermögen gehören nicht Sozialversicherungsbeiträge, selbst wenn diese als Steuern bezeichnet werden.12 Die von Deutschland abgeschlossenen DBA stellen durchweg klar, dass zu den Steuern vom Einkommen und Vermögen auch die Steuern vom Vermögenszuwachs gehören. Damit wird auch die Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG erfasst.13

14.301

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Entweder durch Steueranrechnung oder durch Steuerfreistellung (Art. 23A, 23B OECD-MA). Art. 4 Abs. 2 OECD-MA (tie-breaker-rule); hierzu Rz. 16.251 ff. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 2. Dremel in S/D, DBA², Art. 2 OECD-MA Rz. 29. Einschließlich des als Ergänzungsabgabe erhobenen Solidaritätszuschlags, vgl. §§ 1 und 5 SolZG. Sie wird seit dem 1.1.1997 nicht mehr erhoben. Hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L6, Art. 2 OECD-MA Rz. 53. Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 2 OECD-MA Rz. 32. § 1 Abs. 1 und 2 GrStG. Ausnahme: DBA-Schweden; DBA-Dänemark. Mit Griechenland, Schweiz, Frankreich und den USA. Ismer in V/L6, Art. 2 OECD-MA Rz. 30. Dremel in S/D, DBA², Art. 2 OECD-MA Rz. 34.

Schaumburg/Häck | 781

Kap. 14 Rz. 14.301 | Materielles Steuerrecht

6. Verteilungs- und Vermeidungsnormen Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu Art. 6 – 21 OECD-MA; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. München 2000, 740 ff.; Mössner, Beseitigung der Doppelbesteuerung durch Staatsverträge, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 2.418 ff.; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 19.211 ff.

14.302

Die Schrankenwirkungen1 der DBA artikulieren sich primär in ihren Verteilungsnormen,2 die darauf gerichtet sind, die Verteilung des Steuergutes3 zwischen Wohnsitzstaat und Quellenstaat vorzunehmen. In ihrem Ausgangspunkt zielen die Verteilungsnormen darauf ab, die Steuerberechtigung des Wohnsitzstaates aufrechtzuerhalten und diejenige des Quellenstaates zu umgrenzen mit der Folge, dass die Steuerberechtigung des Quellenstaates entweder aufrechterhalten, begrenzt oder gänzlich aufgehoben wird. Die Reichweite der abkommensrechtlichen Verteilungsnormen ist begrenzt: Sie enthalten durchweg keine Regeln über die Einkünfteermittlung und -zurechnung, sodass abkommensrechtlich beides dem innerstaatlichen Recht vorbehalten ist.4 Im Hinblick darauf sind die diesbezüglichen Regeln jeweils dem nationalen Recht zu entnehmen.

14.303

Für die einzelnen Einkunftsarten, für deren Abgrenzung und Konkurrenzen vom deutschen Steuerrecht abweichende Regeln gelten, sind die folgenden Verteilungsnormen maßgeblich:5 – Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen, zu denen im Wesentlichen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und aus Grundstücksvermietung zählen, unterliegen im Grundsatz gleichermaßen der Steuerberechtigung des Wohnsitz- und des Quellenstaates (Art. 6 OECD-MA). Der Ausgleich der Doppelbesteuerung erfolgt durch den Wohnsitzstaat, was in der deutschen Vertragspraxis überwiegend durch Steuerfreistellung geschieht.6 – Für Unternehmensgewinne, zu denen insbesondere Einkünfte aus Gewerbebetrieb zählen,7 steht im Ausgangspunkt die Steuerberechtigung ausschließlich dem Wohnsitzstaat zu (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 OECD-MA). Unterhält das Unternehmen in dem anderen Vertragsstaat indessen eine Betriebsstätte, so können die Unternehmensgewinne im Betriebsstättenstaat insoweit besteuert werden, als sie der Betriebsstätte dort zugerechnet werden können (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Abs. 2 OECD-MA). Für derartige Betriebsstättengewinne erfolgt in der deutschen Vertragspraxis die Vermeidung der Doppelbesteue1 Zum Folgenden Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.211 ff. 2 Art. 6 – 22 OECD-MA; neben Verteilungsnormen sind auch die Begriffe Zuteilungsnormen und Kollisionsnormen gebräuchlich, vgl. zur Terminologie im Einzelnen Lehner in V/L6, Grundlagen Rz. 65; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 1 OECD-MA Rz. 9 mit Kritik am Begriff „Verteilungsnorm“. 3 Zur Abgrenzung zwischen (wirtschaftlichem) Steuergut und (rechtlichem) Steuerobjekt Seer in T/ L23, § 6 Rz. 36. 4 Hemmelrath in V/L6, Art. 7 OECD-MA Rz. 21; Drüen in Wassermeyer, DBA, Vor Art. 6 – 22 OECD-MA Rz. 15; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 55. 5 Zugleich unter Hinweis auf die Vermeidungsnormen (Art. 23 A, B OECD-MA) – Steuerfreistellung oder Steueranrechnung. 6 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L6, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. Anders bspw. im DBASchweiz; s. hierzu Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 157 (Anrechnungsmethode). 7 Seit dem OECD-MA 2000 auch Einkünfte aus selbständiger Arbeit nicht aber Gewinnanteile an gewerblich geprägten Personengesellschaften; vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.2.1.

782 | Schaumburg/Häck

C. Doppelbesteuerungsrecht | Rz. 14.303 Kap. 14

rung durch den Wohnsitzstaat im Wege der Freistellungsmethode, die mitunter allerdings unter Aktivitätsvorbehalt gestellt ist.1 Der Freistellung von Betriebsstättengewinnen entspricht die Nichtberücksichtigung von Betriebsstättenverlusten (sog. Symmetriethese).2 Dies gilt angesichts der jüngsten Rechtsprechung des EuGH3 – anders als bisher4 – (wohl) auch für die Fälle ausländischer Verluste in Freistellungsbetriebsstätten, wenn diese in dem anderen Staat unter keinen Umständen berücksichtigt werden können, also endgültig sind (sog. finale Verluste).5 Die Betriebsstättenbesteuerung erfordert eine Gewinnabgrenzung6 zwischen Stammhaus einerseits und Betriebsstätte andererseits (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA). Diese für Zwecke der bilateralen Besteuerungszuordnung erforderliche Gewinnabgrenzung zwischen Teilen ein und desselben Unternehmens findet ihre Parallele bei (steuerlich selbständigen) verbundenen Unternehmen (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA),7 für die ebenfalls eine Gewinnabgrenzung z.B. zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft oder zwischen Schwestergesellschaften vorgesehen ist. – Gewinne aus Schifffahrt und Luftfahrt können nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet (Art. 8 Abs. 1 und 2 OECD-MA). – Bei Dividendeneinkünften bestehen die Schrankenwirkungen der DBA darin, dass die Besteuerung im Wohnsitzstaat aufrechterhalten und diejenige im Quellenstaat der Höhe nach begrenzt wird (Art. 10 OECD-MA). In der deutschen Abkommenspraxis ist die Quellensteuerbefugnis zumeist auf 0%, 5%, 10% oder 15% begrenzt,8 wobei ggf. im EU-Bereich eine völlige Freistellung nach Maßgabe der Mutter-Tochter-Richtlinie9 in Betracht kommt. Der Wohnsitzstaat des Dividendenempfängers rechnet die Steuer des Quellenstaates an oder gewährt Steuerbefreiung.

1 Zu Einzelheiten Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.229 ff. 2 BFH v. 11.3.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161; BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, DStR 2010, 918; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, ISR 2014, 204 m. Anm. Müller; im Grundsatz unionsrechtlich unbedenklich, vgl. EuGH v. 7.11.2013 – C-322/11, ECLI:EU:C:2013:716 – K, ISR 2013, 425 m. Anm. Müller; ferner EuGH v. 17.7.2014 – C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087 – Nordea, ISR 2014, 311 m. Anm. Henze. 3 EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 – Timac Agro Deutschland, ISR 2016, 14. 4 EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 – Lidl Belgium, FR 2008, 831; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, FR 2010, 896 m. Anm. Buciek; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, ISR 2014, 204 m. Anm. Müller; Hey in FS Gosch, 2016, 161 (167 ff.). 5 Vgl. zur Einordnung der Entscheidung des EuGH in der Rs. Timac Agro Deutschland Schnitger, IStR 2016, 72 ff.; Eisendle, ISR 2016, 37 (38 f., 42 f.); Benecke/Staats, IStR 2016, 74 (80 f.); Schiefer, IStR 2016, 74 (80); Patzner/Nagler, GmbHR 2016, 170 (177); Ackermann/Höft, EuZW 2016, 258 ff.; Schlücke, FR 2016, 126 (131); Mitschke, FR 2016, 126 (132). 6 Gleichbedeutend mit Einkünfteabgrenzung und Einkünfte- oder Gewinnzuordnung bzw. Gewinnzurechnung. 7 Um verbundene Unternehmen handelt es sich, wenn ein Unternehmen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital des anderen Unternehmens beteiligt ist oder wenn dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsführung, der Kontrolle oder dem Kapital beider Unternehmen beteiligt sind. 8 Vgl. die Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L6, Art. 10 OECD-MA Rz. 67. 9 Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 6; nunmehr Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 345; zuletzt Änderungsrichtlinie 2014/ 86/EU des Rates v. 8.7.2014, ABl. EU 2014 Nr. L 219, 40; vgl. § 43b EStG.

Schaumburg/Häck | 783

Kap. 14 Rz. 14.303 | Materielles Steuerrecht

– Für Zinseinkünfte bleibt die Besteuerungsbefugnis im Wohnsitzstaat uneingeschränkt aufrechterhalten, wobei die Besteuerung im Quellenstaat der Höhe nach begrenzt wird (Art. 11 Abs. 1, 2 OECD-MA). Soweit die DBA eine Quellensteuerbefugnis einräumen, wird die Doppelbesteuerung dadurch vermieden, dass der Wohnsitzstaat des Zinsempfängers die Steuer des Quellenstaates anrechnet. Zwischen verbundenen in der EU ansässigen Unternehmen bestimmt zudem die Zins- und Lizenz-Richtlinie1 eine Quellensteuerbefreiung auf Zinszahlungen, um grenzüberschreitende Finanzbeziehungen insbesondere zwischen Konzernunternehmen innerhalb der EU gegenüber solchen innerhalb eines Mitgliedstaates gleichzustellen. Die Zins- und Lizenz-Richtlinie ist durch § 50g EStG umgesetzt worden. – Lizenzgebühren sind in der internationalen Abkommenspraxis zumeist der ausschließlichen Besteuerungsbefugnis des Wohnsitzstaates, in dem der Lizenzgeber ansässig ist, zugewiesen (Art. 12 Abs. 1 OECD-MA).2 Dem entspricht im Ergebnis auch die durch § 50g EStG umgesetzte Zins- und Lizenz-Richtlinie,3 wonach zwischen verbundenen in der EU ansässigen Unternehmen gezahlte Lizenzgebühren im Quellenstaat nicht besteuert werden dürfen. – Für Veräußerungsgewinne gelten folgende Regeln: Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens können im Grundsatz sowohl vom Belegenheitsstaat als auch vom Wohnsitzstaat besteuert werden, wobei allerdings die Doppelbesteuerung in aller Regel durch Steuerfreistellung im Wohnsitzstaat vermieden wird.4 Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Betriebsvermögens einer Betriebsstätte sind dem sogenannten Betriebsstättenprinzip unterworfen, sodass der Vertragsstaat der Betriebsstätte besteuerungsbefugt ist, ohne den Schrankenwirkungen des Abkommens zu unterliegen (Art. 13 Abs. 2 OECDMA). Im Wohnsitzstaat wird die Doppelbesteuerung allerdings entweder durch Freistellung oder durch Steueranrechnung vermieden, wobei in der deutschen Abkommenspraxis die Steuerfreistellung ggf. unter Aktivitätsvorbehalt vorherrscht.5 Für die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen ist ausschließlich der Vertragsstaat zuständig, in dem der Ort der Geschäftsleitung liegt (Art. 13 Abs. 3 OECDMA). Der Wohnsitzstaat hat daher die Veräußerungsgewinne stets freizustellen. Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften unterliegen sowohl der Besteuerung im Wohnsitzstaat als auch im Belegenheitsstaat (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA). Die Doppelbesteuerung wird in der deutschen Abkommenspraxis in aller Regel im Wohnsitzstaat durch Anrechnung vermieden.6 Für Gewinne aus der Veräußerung von übrigen Vermögen, zu denen insbesondere Gewinne aus der Veräußerung von privat gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften zählen, gilt das Wohnsitzprinzip mit der Folge, dass der Quellenstaat nicht besteuern darf (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).

1 Richtlinie 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 49, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU 2006 Nr. L 363, 19. 2 Vgl. die Abkommensübersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L6, Art. 12 OECD-MA Rz. 29. 3 Richtlinie 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 49, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU 2006 Nr. L 363, 19. 4 So durchweg die deutsche Abkommenspraxis; vgl. Abkommensübersicht bei Vogel in V/L6, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 5 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L6, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 6 Reimer in V/L6, Art. 13 OECD-MA Rz. 131.

784 | Schaumburg/Häck

C. Doppelbesteuerungsrecht | Rz. 14.303 Kap. 14

– Einkünfte aus selbständiger Arbeit1 sind grundsätzlich allein dem Wohnsitzstaat zur Besteuerung zugewiesen.2 Der Staat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, darf als Quellenstaat nur dann besteuern, wenn für die Tätigkeit dort gewöhnlich bzw. regelmäßig eine feste Einrichtung zur Verfügung steht. In diesem Fall wird die Doppelbesteuerung im Wohnsitzstaat entweder durch Freistellung oder durch Steueranrechnung vermieden. In der deutschen Abkommenspraxis steht die Freistellung unter Progressionsvorbehalt im Vordergrund. – Einkünfte aus unselbständiger Arbeit werden im Ausgangspunkt der Besteuerung allein dem Wohnsitzstaat zugewiesen (Art. 15 OECD-MA). Das im Grundsatz geltende Wohnsitzprinzip wird durch das Arbeitsortsprinzip abgelöst, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit im Staat des Arbeitsortes ausübt und sich dort innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten an mehr als 183 Tagen aufgehalten hat oder wenn die Vergütungen von einem Arbeitgeber, für einen Arbeitgeber oder von einer Betriebsstätte oder festen Einrichtung im Staat des Arbeitsortes gezahlt worden sind. – Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen (Art. 16 OECD-MA) sind der Besteuerungsbefugnis sowohl dem Wohnsitzstaat als auch dem Sitzstaat als Quellenstaat zugewiesen. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung wird im Wohnsitzstaat entweder durch Freistellung oder Anrechnung bewirkt.3 Die Besteuerungsbefugnis im Sitzstaat unterliegt dabei grundsätzlich keinen Schrankenwirkungen. – Einkünfte von Künstlern und Sportlern sind in eigenständigen Verteilungsnormen geregelt, die unabhängig davon eingreifen, ob die Künstler oder Sportler selbständig oder unselbständig tätig sind (Art. 17 OECD-MA). Aufgrund dieser Verteilungsnormen wird die Besteuerungsbefugnis vorrangig dem Tätigkeitsstaat als Quellenstaat zugewiesen. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Anrechnung oder Freistellung obliegt dem Wohnsitzstaat. Soweit eine Freistellung vorgesehen ist, erfolgt diese grundsätzlich ohne Rücksicht auf die tatsächliche Besteuerung. – Für Ruhegehälter4 wird in der internationalen Abkommenspraxis aufgrund besonderer Verteilungsnormen (Art. 18 OECD-MA) allgemein das Wohnsitzprinzip statuiert, und zwar ohne Rücksicht darauf, in welchem Staat die frühere unselbständige Tätigkeit ausgeübt wurde.5 Abweichend hiervon sehen einige deutsche DBA eine Steuerbefreiung im Wohnsitzstaat vor6 oder räumen dem früheren Tätigkeitsstaat als Quellenstaat eine uneingeschränkte Besteuerungsbefugnis oder eine Quellensteuerbefugnis ein.7 – Einkünfte aus dem öffentlichen Dienst unterliegen in der internationalen Abkommenspraxis allgemein dem Kassenstaatsprinzip, sodass allein der Staat zur Besteuerung befugt 1 Die für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit maßgebliche Verteilungsnorm des Art. 14 OECDMA ist zwar seit dem OECD-MA 2000 suspendiert, weil sich deren Regelungskreis nicht wesentlich von dem des Art. 7 OECD-MA unterscheidet, da aber die meisten deutschen DBA eine dem Art. 14 OECD-MA vergleichbare Verteilungsnorm enthalten, hat die nachfolgende Darstellung weiterhin Bedeutung. 2 Art. 14 Abs. 1 OECD-MA a.F. 3 Prokisch in V/L6, Art. 16 OECD-MA Rz. 3; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, DBA, Art. 16 OECD-MA Rz. 1. 4 Im Sinne von Einnahmen; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, DBA, Art. 18 OECD-MA Rz. 16. 5 Das Wohnsitzprinzip ist im Hinblick auf die sog. nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften in Deutschland problematisch; hierzu Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 153 ff. 6 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L6, Art. 18 OECD-MA Rz. 80, 85. 7 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L6, Art. 18 OECD-MA Rz. 80, 86, 93.

Schaumburg/Häck | 785

Kap. 14 Rz. 14.303 | Materielles Steuerrecht

ist, der die Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen zahlt.1 Die Kehrseite dieses ausschließlichen Kassenstaatsprinzips ist die grundsätzliche Freistellung der Bezüge aus dem öffentlichen Dienst im Wohnsitzstaat, sofern dieser nicht mit dem Kassenstaat identisch ist. In Abweichung von diesem Kassenstaatsprinzip (Art. 19 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA) gilt das ausschließliche Wohnsitzprinzip, wenn die Dienste im Wohnsitzstaat geleistet werden, die betreffende Person dort ansässig ist und sie die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt oder sie aus anderen Gründen als zur Arbeitsausübung in diesem Staat ansässig geworden ist (Art. 19 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA). – Einkünfte von Studenten, also Zahlungen für den Unterhalt, das Studium oder der Ausbildung sind im Aufenthaltsstaat (Gastland) freigestellt, wenn die Zahlungen aus Quellen außerhalb des Gastlandes stammen (Art. 20 OECD-MA). – Andere Einkünfte, zu denen im Wesentlichen Einkünfte aus dem Quellenstaat, soweit sie ihrer Art nach nicht den speziellen Verteilungsnormen zuzuordnen sind,2 Einkünfte aus Drittstaaten sowie Einkünfte aus dem Wohnsitzstaat3 gehören, sind im Grundsatz allein dem Wohnsitzstaat der Besteuerung zugewiesen (Art. 21 Abs. 1 OECD-MA). In der internationalen Abkommenspraxis ist allerdings häufig geregelt, dass das in der abkommensrechtlichen Auffangklausel verankerte Wohnsitzprinzip nicht für Einkünfte gilt, die einer im anderen Vertragsstaat belegenen Betriebsstätte oder festen Einrichtung zuzuordnen sind (Art. 21 Abs. 2 OECD-MA). In diesem Fall erfolgt die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellung im Wohnsitzstaat.

1 Art. 19 OECD-MA; zur Rechtfertigung für den Vorrang des Quellenstaates Dürrschmidt in V/L6, Art. 19 OECD-MA Rz. 6; Haase in Haase3, Art. 19 OECD-MA Rz. 2; Rodi, RIW 1992, 484 (487); kritisch dagegen Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 19 OECD-MA Rz. 1; Wessel in S/K/K, Art. 19 OECD-MA Rz. 4. 2 Hierzu die Übersicht bei Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 21 OECD-MA Rz. 21 ff.; Tcherveniachki in S/D, DBA², Art. 21 OECD-MA Rz. 26 ff. 3 Rust in V/L6, Art. 21 OECD-MA Rz. 4; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 21 OECD-MA Rz. 1; Schütte in Haase3, Art. 21 OECD-MA Rz. 16; Kempermann in F/W/K, Art. 21 DBA-Schweiz Rz. 11.

786 | Schaumburg/Häck

Kapitel 15 Mitwirkungspflichten A. B. C. D. E.

Allgemeine Mitwirkungspflichten . . . 15.1 Erweiterte Mitwirkungspflichten . . . . 15.4 Gesteigerte Mitwirkungspflichten . . . 15.9 Dokumentationspflichten . . . . . . . . . 15.13 Besondere Mitwirkungspflichten . . . . 15.20

F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten . . . . 15.22 G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . 15.34

Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu §§ 90 ff. AO und §§ 16, 17 AStG; Hegemann, Benennung von Zahlungsempfängern gem. § 160 AO, Frankfurt/M. u.a. 2004; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, Köln 2004; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen der Verletzung, Frankfurt 2006; Pohl, Besteuerungsvollzug im internationalen Steuerrecht, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl., Köln 2018, Rz. 13.1 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 22.7 ff.; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., Köln 2018, § 21 Rz. 172 ff.; Spiler, Abgaberechtliches Mitwirkungssystem im Spannungsverhältnis mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz, DB 2016, 1842; Talaska, Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Spannungsverhältnis von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, Frankfurt 2006; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014, Rz. 9.1 ff.

A. Allgemeine Mitwirkungspflichten Literatur (ab 2000): Kommentare zu §§ 90 Abs. 1 und § 393 Abs. 1 AO; Englisch, Europarechtliche Einflüsse auf den Untersuchungsgrundsatz im Steuerverfahren, IStR 2009, 37; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, Frankfurt 2006; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 22.7 ff.; Seer, Der Vollzug von Steuergesetzen unter den Bedingungen einer Massenverwaltung, in DStJG 31 (2008), 7 ff.; Seer in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., Köln 2018, § 21 Rz. 172 ff.

Zur Erfüllung ihrer Untersuchungspflicht (§ 88 Abs. 1 AO) bedient sich die Finanzbehörde gem. § 90 AO der Mitwirkung der Steuerpflichtigen oder anderer beteiligter Personen.1 Diese Mitwirkungspflicht ist ein Aufklärungs- oder Beweismittel, das gleichberechtigt neben den übrigen in § 92 AO genannten Beweismitteln2 steht. § 90 Abs. 1 Satz 1 AO begründet eine allgemeine Mitwirkungspflicht, die ihre Konkretisierung und Erweiterung in anderen Mitwirkungstatbeständen der Abgabenordnung findet.3 Darüber hinaus gebietet § 90 Abs. 1 Satz 2

1 Hierzu im Überblick Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.7 ff.; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, 2006. 2 Auskünfte Beteiligter und dritter Personen; Sachverständige, Urkunden und Akten, Augenschein. 3 Konkretisierung: §§ 93, 95, 97, 99, 100, 135, 137 – 139, 140 ff., 149, 153, 154, 200, 208 Abs. 1 Sätze 2 und 3, § 210 AO; Erweiterung auf beweissichernde Aufzeichnungspflichten: § 90 Abs. 3 Satz 1 und 2, §§ 140 ff. AO; § 4 Abs. 3 Satz 5, Abs. 7; § 6 Abs. 2 Satz 4, § 5 EStG; § 22 UStG; gesteigerte Mitwirkungspflichten nach dem SteuerHBekG: § 90 Abs. 2 Satz 3.

Schaumburg | 787

15.1

Kap. 15 Rz. 15.1 | Mitwirkungspflichten

AO, die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig offenzulegen und die bekannten Beweismittel anzugeben.1 Das gilt auch für den Fall, dass sich der Beteiligte, soweit er Steuerpflichtiger ist, hierdurch wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit belasten würde (§ 393 Abs. 1 AO).2

15.2

Mitwirkungsverpflichtet ist jeder Beteiligte.3 Er kann von der Finanzbehörde innerhalb der von § 5 AO gesetzten allgemeinen Ermessensgrenzen zur Mitwirkung herangezogen werden; d.h. die Mitwirkung muss zur Aufklärung des steuererheblichen Sachverhalts notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar sein.4 Ein Mitwirkungsverweigerungsrecht ist für Beteiligte nicht vorgesehen,5 sodass auch belastende Tatsachen den Finanzbehörden mitgeteilt werden müssen.

15.3

Zwecks Aufklärung grenzüberschreitender und ausländischer Sachverhalte haben die sog. erweiterten und gesteigerten Mitwirkungspflichten sowie die Dokumentations- und besonderen Mitwirkungspflichten eine besondere Bedeutung.6

B. Erweiterte Mitwirkungspflichten Literatur: Kommentare zu § 90 Abs. 2 AO und §§ 16, 17 AStG; Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433; Dreßler, Unbeachtlichkeit ausländischer Auskunftsverbote im deutschen Steuerrecht, StBp 1992, 149; Frotscher, Mitwirkungs-, Nachweis- und Dokumentationspflichten im internationalen Steuerrecht, in Lüdicke, Fortentwicklung der Internationalen Unternehmensbesteuerung, Köln 2002, 168; Hruschka, Feststellungslast und Mitwirkungspflicht bei Auslandsbetriebsstätten, IStR 2002, 753; Kempermann, Mitwirkungspflichten und Beweislast bei Auslandssachverhalten, FR 1990, 473; Korts/Korts, Ermittlungsmöglichkeiten deutscher Finanzbehörden bei Auslandssachverhalten, IStR 2006, 869; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 22.10 ff.; Schaumburg/Schaumburg, Der Zeuge im Ausland, in FS Flick, Köln 1997, 989; Schaumburg/Schaumburg, Grenzüberschreitende Sachaufklärung – Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, Köln 2011, 369 ff.; Schnitger, Die erweiterte Mitwirkungspflicht und ihre gemeinschaftlichen Grenzen, BB 2002, 332 ff.; Seer, Steuerverfahrensrechtliche Bewältigung grenzüberschreitender Sachverhalte, in FS Schaumburg, Köln 2009, 151; Seer, Steuerliche Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, EWS 2013, 257; Seer/Gabert, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 3; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014, Rz. 9.6 ff.

1 Zur Wahrheitspflicht Seer in T/K, § 90 AO Rz. 9. 2 Zwangsmittel (§ 328 AO) gegen den Steuerpflichtigen sind aber unzulässig (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO); vgl. im Übrigen Rz. 2.13, 2.65, 5.22 ff. 3 Zum Begriff des Beteiligten s. § 78 AO. 4 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 13, § 92 Rz. 5 ff.; Söhn in H/H/Sp, § 90 AO Rz. 72 ff.; zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Mitteilungspflichten Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 42 ff. 5 Die Verweigerungsrechte der §§ 101 – 103 AO gelten nur für andere Personen. 6 Hierzu Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 369 ff.

788 | Schaumburg

B. Erweiterte Mitwirkungspflichten | Rz. 15.8 Kap. 15

Da die Finanzbehörden aus Gründen des Völkerrechts1 nicht befugt sind, im Ausland Sachaufklärung zu betreiben, begründet § 90 Abs. 2 AO erweiterte Mitwirkungspflichten.2 Hiernach haben die Beteiligten grenzüberschreitende und ausländische Sachverhalte aufzuklären und die dafür erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Ggf. ist Beweisvorsorge zu treffen, wenn die Gefahr besteht, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Beweismittelbeschaffung an rechtlicher und/oder tatsächlicher Unmöglichkeit scheitert.

15.4

Eine rechtliche Unmöglichkeit der Beweismittelbeschaffung ist insbesondere dann gegeben, wenn diese gesetzlich untersagt ist.3 In derartigen Fällen ist ein auf § 90 Abs. 2 AO gestütztes Auskunftsbegehren wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit jedenfalls dann rechtswidrig, wenn für den betreffenden Steuerpflichtigen das Risiko der Strafverfolgung besteht.4

15.5

In Fällen tatsächlicher Unmöglichkeit ist von Bedeutung, dass § 90 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO keine Pflicht begründet, Beweismittel zu schaffen.5 § 90 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO verlangen lediglich, dass vorhandene Beweismittel für Zwecke der Besteuerung vorgehalten bzw. gesichert werden. Nur insoweit ist gegenüber § 90 Abs. 1 AO, der keine Rechtsgrundlage für die Anfertigung und Aufbewahrung von Aufzeichnungen ist,6 eine Pflichtenerweiterung gegeben.

15.6

Durch die sich aus § 90 Abs. 2 AO ergebende gesteigerte Mitwirkungspflicht wird der Untersuchungsgrundsatz nicht suspendiert7 und keine subjektive Beweislast eingeführt.8

15.7

Erweiterte Mitwirkungspflichten enthält auch § 17 Abs. 1 AStG, der eine besondere Ausprägung der §§ 90 ff. AO, insbesondere des § 90 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO beinhaltet.9 § 17 Abs. 1 AStG bezieht sich auf die Sachverhaltsermittlung bei zwischengeschalteten Gesellschaften (§ 5 AStG), bei Zwischengesellschaften (§§ 7 – 14 AStG) und bei Familienstiftungen (§ 15 AStG) und trifft diejenigen Personen, bei denen eine Zurechnung oder eine Hinzurechnung von Einkünften und Vermögen in Betracht kommt.10 Im Wesentlichen dient damit § 17 Abs. 1 AStG der Durchführung der Hinzurechnungsbesteuerung (hierzu Rz. 13.193 ff.). Entsprechend dieser Zielsetzung sind auf Verlangen insbesondere die Geschäftsbeziehungen zu Zwischengesell-

15.8

1 Vgl. Epping in Ipsen, Völkerrecht6, § 5 Rz. 60 2 Die Unionsrechtskonformität des § 90 Abs. 2 AO ist zu bejahen; EuGH v. 20.2.1979 – C-120/78, ECLI:EU:C:1979:42 – Rewe, EuGHE 1979, 649, Rz. 8; EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU: C:1997:239 – Futura/Singer, EuGHE 1997, I-2471; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 37 m.w.N. auch zu Gegenansichten. 3 Etwa gem. Art. 273 des Schweizerischen Strafgesetzbuches und Art. 4 des Liechtensteinischen Staatsschutzgesetzes; für eine Sperrwirkung dieser Vorschriften gegenüber § 90 Abs. 2 AO: Schmidt/Gassmann, AWD 1970, 464 ff.; Debatin/Vogel, H., AWD 1958, 202 ff.; Hangarter, RIW/ AWD 1982, 176 ff.; gegen eine Sperrwirkung: BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492; BFH v. 16.4.1986 – I R 32/84, BStBl. II 1986, 736; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 35; Heise, Die Vorlage im Ausland belegener Geschäftsunterlagen im Steuerermittlungsverfahren, 94 ff.; Dreßler, StBp 1992, 149 ff.; Fiedler/Riegel, BB 2014, 3100 (3102). 4 Hierzu Seer in T/K, § 90 AO Rz. 35; Söhn in H/H/Sp, § 90 AO Rz. 160 ff.; Großfeld in FS Michaelis, 118 ff.; Dreßler, StBp 1992, 149 (152 f.); Fiedler/Riegel, BB 2014, 3100 (3102). 5 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 34; Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 369 (375). 6 BFH v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, DStR 2009, 2006. 7 BFH v. 18.11.2008 – VIII R 24/07, BStBl. II 2009, 518; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731. 8 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 20. 9 Zum Lex-specialis-Charakter Wassermeyer in F/W/B/S, § 17 AStG Rz. 16. 10 Hans in Haase3, § 17 AStG Rz. 8.

Schaumburg | 789

Kap. 15 Rz. 15.8 | Mitwirkungspflichten

schaften offenzulegen (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 AStG) sowie die Bilanzen und Erfolgsrechnungen dieser Gesellschaften vorzulegen (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 AStG). Die Mitwirkungsverpflichtung des Steuerpflichtigen geht auch im Rahmen des § 17 Abs. 1 AStG nicht über das rechtlich und/ oder tatsächlich Mögliche hinaus.1 Ebenso wie bei § 90 Abs. 2 AO ist auch das Auskunftsverlangen nach § 17 Abs. 1 AStG eine Ermessensentscheidung, wobei insbesondere die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit zu beachten sind.2

C. Gesteigerte Mitwirkungspflichten Literatur: Kommentare zu § 90 Abs. 2 AO; Drüen, Internationale Amtshilfe in Steuersachen im Lichte des deutschen Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 369 ff.; Geuenich, Neue Maßnahmen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung, NWB 2009, 2369; Geurts, So much trouble …? Anmerkungen zum Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz, DStR 2009, 1883; Haarmann/Suttorp, Zustimmung des Kabinetts zum Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz, BB 2009, 1275; Hegemann, Benennung von Zahlungsempfängern gem. § 160 AO, Frankfurt/M. u.a., 2004; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, Köln 2004; Kessler/Eicke, Gedanken zur Verfassungs- und Europarechtskonformität des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes, DB 2009, 1314; Kleinert/Görres, Das neue Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung, NJW 2009, 2713; Puls, BMF-Entwurf eines Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes: Abkehr vom Rechtsstaatsprinzip?, Ubg 2009, 186; Puls, Erster Überblick über die Rechtsverordnung zum Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz, Ubg 2009, 556; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 19.19 ff.; Schaumburg/Schaumburg, Grenzüberschreitende Sachaufklärung – Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, Köln 2011, 369 ff.; Seer, Steuerliche Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, EWS 2013, 257; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., Köln 2018, § 21 Rz. 174 ff.; Worgulla/Söffing, Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz, FR 2009, 545.

15.9

§ 90 Abs. 2 Satz 3 AO regelt gesteigerte Mitwirkungspflichten3 wie folgt: Wenn Steuerpflichtige über Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in nicht kooperativen Staaten und Gebieten (Jurisdiktionen) verfügen, kann die Finanzbehörde für die Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Steuerpflichtigen erteilten Angaben eine eidesstattliche Versicherung und darüber hinaus eine Vollmacht verlangen, im Namen des Steuerpflichtigen mögliche Auskunftsansprüche gegen die betreffenden ausländischen Finanzinstitute außergerichtlich und gerichtlich geltend zu machen. Diese gesteigerten Mitwirkungspflichten sind im Kern darauf gerichtet, nicht kooperative Jurisdiktionen (Steueroasen) zu einem effektiven Informationsaustausch mit Deutschland zu zwingen.4

15.10

Sich die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen an Eides statt versichern zu lassen,5 setzt voraus, dass es objektiv erkennbare Anhaltspunkte für die Annahme gibt, dass der Steuerpflichtige überhaupt Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in nicht 1 Wassermeyer in F/W/B/S, § 17 AStG Rz. 14 f.; im Rahmen des § 17 Abs. 1 AStG gilt insoweit nichts anderes als bei § 90 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 17 AStG Rz. 25.1; Hans in Haase3, § 17 AStG Rz. 16. 3 Eingeführt durch das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz (SteuerHBekG) v. 27.9.2009, BGBl. I 2009, 2302; Zielsetzung: Verbesserung der finanzbehördlichen Ermittlungsmöglichkeiten einerseits und Anreiz zur bilateralen Auskunftsverpflichtung durch andere Staaten andererseits; vgl. Seer in T/K, § 90 AO Rz. 27; Geuenich, NWB 2009, 2396 ff.; Wagner, BB 2009, 2293 ff. (2294). 4 So die RegBegr., BT-Drucks. 16/13106, 1; zu verfassungsrechtlichen Zweifeln Seer in T/K, § 90 AO Rz. 29. 5 § 90 Abs. 2 Satz 3 AO ist lex specialis zu § 95 AO.

790 | Schaumburg

D. Dokumentationspflichten | Rz. 15.12 Kap. 15

kooperativen Staaten oder Gebieten unterhält. So lange indessen unklar ist, welche Jurisdiktionen überhaupt unkooperativ sind, wird die eidesstattliche Versicherung gem. § 90 Abs. 2 Satz 3 AO1 in der Praxis keine allzu große Rolle spielen, zumal sie ohnehin nicht erzwingbar ist. Von besonderer Bedeutung ist die in § 90 Abs. 2 Satz 3 AO vorgesehene Verpflichtung, auf Anforderung der Finanzbehörde diese zu bevollmächtigten, im Namen des Steuerpflichtigen mögliche Auskunftsansprüche gegenüber in nicht kooperativen Jurisdiktionen ansässigen Kreditinstituten außergerichtlich und gerichtlich geltend zu machen. Erforderlich hierfür ist, dass die Finanzbehörde im Einzelnen darlegt, aufgrund welcher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass eine Geschäftsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem betreffenden Kreditinstitut vorliegt. Eine „Rasterbevollmächtigung“ durch Aufzählung beliebiger ausländischer Kreditinstitute ist daher unzulässig.2 Wird die Vollmacht seitens des Steuerpflichtigen nicht erteilt, ergeben sich über die normative Brücke des § 1 Abs. 5 SteuerHBekV weitreichende, zulasten des Steuerpflichtigen wirkende Rechtsfolgen, die im Wesentlichen darin bestehen, dass für Dividenden das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG), der Abgeltungsteuertarif (§ 32d Abs. 1 EStG) sowie die Steuerfreistellung (§ 8b Abs. 1 KStG)3 nicht zur Anwendung kommen.4

15.11

Die durch das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz5 und durch die Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung6 eingeführten gesteigerten Mitwirkungspflichten7 haben bislang keine Bedeutung erlangt.8

15.12

D. Dokumentationspflichten Literatur: Kommentare zu § 90 Abs. 3 und § 162 Abs. 3 und 4 AO; Andresen, Neue gesetzliche Verpflichtung zur Dokumentation von Verrechnungspreisen: Handlungsbedarf für grenzüberschreitend tätige Unternehmen, RIW 2003, 489; Bärsch/Engelen/Färber, Die Dokumentation von Verrechnungspreisen und das „Country-by-Country-Reporting“, DB 2016, 972; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV), DStR 2004, 157; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach dem „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014, Rz. 8.1 ff.; Ditz/Quilitzsch, Erweiterung von Offenlegungspflichten durch Countryby-Country-Reporting, DStR 2014, 127; Eigelshoven/Kratzer, Rechtsverordnung zu Aufzeichnungspflichten bei der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise – Bisherige Erfahrungen mit der Be1 Zum Problem der Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Versicherung (§ 156 StGB) trotz strafbefreiender Selbstanzeige Geuenich, NWB 2009, 2396 (2402); von Wedelstädt, DB 2009, 1731 (1732). 2 Drüen in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 371 ff. (375); Worgulla/Söffing, FR 2009, 545 (548). 3 Entsprechendes gilt für abkommensrechtliche Schachtelprivilegien. 4 Dies gilt auch für die Steuerfreistellung für Veräußerungsgewinne (§ 8b Abs. 2 KStG). 5 Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz v. 27.9.2009, BGBl. I 2009, 2302. 6 Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung v. 18.9.2009, BGBl. I 2009, 3046. 7 Zu verfassungsrechtlichen Fragen Drüen in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 369 ff. (381 ff.); Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 369 ff. (376 ff.). 8 Vgl. Seer in T/K, § 90 AO Rz. 29; Rätke in Klein15, § 90 AO Rz. 41.

Schaumburg | 791

Kap. 15 Rz. 15.12 | Mitwirkungspflichten triebsprüfung und aktuelle Entwicklungen, BB 2007, 918; Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – Bisherige Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und aktuelle Entwicklungen, BB 2007, 918; Frotscher, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung, in FS Wassermeyer, München 2005, 391; Groß, Verrechnungspreisdokumentation, DB Beilage zu Heft 47/2014, 10; Kaminski/Strunk, Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, RIW 2003, 561; Kaminski/Strunk, Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, StBp 2004, 1, 29; Moebus, Neue Dokumentationspflichten bei Transferpreisen – Irrweg und/oder Irrglaube? DB 2003, 1413; Rasch/Rettinger, Aktuelle Fragen der Verrechnungspreisdokumentation: Unternehmenscharakterisierung und Methodenwahl in den Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, BB 2007, 353; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 22.24 ff.; Schaumburg/Schaumburg, Grenzüberschreitende Sachaufklärung – Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, Köln 2011, 369 ff.; Schreiber, Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise, Stbg 2003, 474; Seer, Neue Dokumentations- und Nachweispflichten, in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, Köln 2003, 35; Seer, Steuerliche Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, EWS 2013, 257; Vögele/Brem, Die neue Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO: Systematik zu Aufbau und Struktur der Verrechnungspreisdokumentation, IStR 2004, 48; Vögele/Vögele in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, 5. Aufl. München 2020, Kap. D; Wassermeyer, Dokumentationspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, DB 2003, 1535; Werra, Zweifelsfragen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen, IStR 2005, 18.

15.13

Die in § 90 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO verankerte Beweismittelbeschaffungspflicht erstreckt sich nur auf tatsächlich vorhandene Beweismittel, so dass hierdurch allein nicht die Pflicht begründet wird, entsprechende Beweismittel zu erstellen.1 Eine diesbezügliche Pflichtenerweiterung enthält allerdings § 90 Abs. 3 AO, wonach unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Personen, die grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen (§ 1 Abs. 2 AStG) unterhalten, sowie in Fällen anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen zu ausländischen Betriebsstätten (§ 90 Abs. 3 Satz 1 AO),2 umfangreichen Dokumentationspflichten unterworfen sind. Hierzu gehört neben einer Sachverhaltsdokumentation auch eine Angemessenheitsdokumentation, die u.a. Informationen zur Auswahl und Anwendung der verwendeten Verrechnungspreismethoden, zu den dabei verwendeten Fremdvergleichsdaten sowie zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung enthalten muss (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO). Darüber hinaus besteht für bestimmte Unternehmen, die Teil einer multilateralen Unternehmensgruppe sind, die Verpflichtung, einen Überblick über die weltweite Geschäftstätigkeit und die angewandten Verrechnungspreisgrundsätze zu geben (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO); § 5 GAufzV.3

15.14

Die vorgenannten Dokumentationspflichten sollen es der Finanzverwaltung ermöglichen, die zwischen international verbundenen Unternehmen vereinbarten Verrechnungspreise und die grenzüberschreitende unternehmensinterne Gewinnaufteilung zu prüfen. Damit dienen die Dokumentationspflichten im Wesentlichen der steuerlichen Außenprüfung, die in zunehmendem Maße auf die Prüfung internationaler Verrechnungspreise gerichtet ist.4 Dem entspricht es, dass die Vorlage der zu erstellenden Verrechnungspreisdokumentation seitens der Finanzbehörde nur für Zwecke der Außenprüfung verlangt werden soll (§ 90 Abs. 3 Satz 5 AO; § 2 Abs. 6 GAufzV).5 Die Vorlage hat innerhalb einer Frist von 60 Tagen zu erfolgen 1 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 34. 2 In der Fassung des AHRL-ÄndUmsG mit Wirkung ab 2017 (Art. 97 EGAO, § 22 Abs. 1 Satz 4). 3 Sog. Stammdokumentation (Master File); zu Einzelheiten vgl. Vögele/Vögele in V/B/B5, D 11, 223 ff. 4 Hierzu Kaminski/Strunk, Stbg. 2005, 407 (416). 5 Es ist beabsichtigt, die GAufzV dem § 90 Abs. 3 AO i.d.F. des AHRL-ÄndUmsG anzupassen.

792 | Schaumburg

D. Dokumentationspflichten | Rz. 15.18 Kap. 15

(§ 90 Abs. 3 Satz 7 AO). Die Frist bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen beträgt gem. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO 30 Tage. In begründeten Einzelfällen können die vorgenannten Fristen verlängert werden (§ 90 Abs. 3 Satz 9 AO). Im Hinblick darauf, dass die Erfüllung der in § 90 Abs. 3 AO statuierten Dokumentationspflichten für die betroffenen Unternehmen zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand und damit verbunden auch zu zusätzlichen Kosten führen, enthält § 6 GAufzV für kleinere Unternehmen Erleichterungen.1

15.15

Die Dokumentationspflichten betreffen vor allem Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, also solchen Personen, die in § 1 Abs. 2 AStG im Einzelnen aufgeführt sind. Erfasst werden damit im Wesentlichen grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen von in der Rechtsform von Kapital- und Personengesellschaften geführten Unternehmen sowie grenzüberschreitende Innentransaktionen bei Einheitsunternehmen, die gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG als Geschäftsbeziehungen fingiert werden.2

15.16

§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO (§ 1 Abs. 2 GAufzV) verlangt für Zwecke der Sachverhaltsdokumentation Aufzeichnungen über die Art, den Umfang und die Abwicklung sowie über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Geschäftsbeziehungen. Hierzu gehören allgemeine Informationen über Beteiligungsverhältnisse, Geschäftsbetrieb und Organisationsaufbau, über Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen sowie eine Funktions- und Risikoanalyse (§ 4 Nr. 1 – 4 GAufzV).3 Von besonderer Bedeutung ist in der Praxis die Funktions- und Risikoanalyse (§ 4 Nr 3 GAufzV). In diesem Zusammenhang sind Informationen über die wesentlichen eingesetzten Wirtschaftsgüter, über die Vertragsbedingungen, über die gewählte Geschäftsstrategie sowie über die für die Preisvereinbarung bedeutsamen Marktund Wettbewerbsverhältnisse aufzuzeichnen und ggf. zu erläutern (§ 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV).4 Darüber hinaus ist auch die gesamte Wertschöpfungskette zu beschreiben und der eigene Wertschöpfungsbeitrag des Steuerpflichtigen darzustellen (§ 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV).5

15.17

Die Angemessenheitsdokumentation beinhaltet insbesondere die Darstellung der Marktund Wettbewerbsverhältnisse, die für die Tätigkeiten des Steuerpflichtigen und die vereinbarten Bedingungen von Bedeutung sind (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO, § 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV). Für die konkret gewählte Verrechnungspreismethode6 sind betriebsexterne und -interne Fremd-

15.18

1 Zu Einzelheiten Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.29 ff; Vögele/Vögele in V/B/B5, D 89. 2 Vgl. hierzu BMF v. 22.12.2016 – IV B 5-S 1341/12/10001-03, BStBl. I 2017, 182 (Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung – VWGBsGa). 3 Zu Einzelheiten vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.11 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren); Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.47; Vögele/Vögele in V/B/B5, D 124 ff. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.11.4 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren) mit weitergehenden Konkretisierungen; zu Einzelheiten ferner Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.75 ff. 5 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.11.5 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren); vgl. ferner Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.86 ff. 6 Maßgebend ist also die Ist-Beziehung; vgl. Wassermeyer, DB 2003, 1535 (1538); Seer in T/K, § 90 AO Rz. 43.

Schaumburg | 793

Kap. 15 Rz. 15.18 | Mitwirkungspflichten

vergleichsdaten heranzuziehen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 GAufzV), die sich auf Fremdpreise direkt oder aber auch auf Bruttomargen, Kostenaufschläge und Nettomargen beziehen können.1

15.19

Im Kern handelt es sich um eine Verrechnungspreisanalyse, die vor allem die Darstellung der tatsächlich angewandten Verrechnungspreismethode und die Begründung der Geeignetheit der angewandten Methode umfasst (§ 4 Nr. 4 GAufzV).2

E. Besondere Mitwirkungspflichten 15.20

Was § 90 Abs. 1 Satz 1 AO als allgemeine Mitwirkungspflicht zusammenfasst, findet seine Konkretisierung in zahlreichen besonderen Vorschriften der Abgabenordnung und anderen Steuergesetzen, die für die Ermittlung inländischer, grenzüberschreitender und ausländischer Sachverhalte gleichermaßen gelten.

15.21

Hierzu zählen z.B.3 – Auskunftspflicht beteiligter und anderer Personen (§ 93 AO), – die eidliche Vernehmung (§ 94 AO), – Kontrollmitteilungen (§ 93a AO i.V.m. der Mitteilungsverordnung – MV), – Daten- und Kontenabruf (§ 93 Abs. 7, 8, § 93b AO), – Versicherung an Eides statt (§ 95 AO), – Hinzuziehung von Sachverständigen (§ 96 AO), – Vorlage von Urkunden (§ 97 AO), – Augenscheinseinnahme (§ 98 AO), – das Betreten von Grundstücken und Räumen (§ 99 AO), – Vorlage von Wertsachen (§ 100 AO), – Benennung eines Empfangsbevollmächtigten (§ 123 AO), – Bestellung eines Fiskalvertreters (§§ 22a–22e UStG), – Anzeige über die Gründung usw. von Körperschaften (§ 137 AO), – Anzeige über Erwerbstätigkeit (§ 138 AO), – länderbezogener Bericht multinationaler Unternehmensgruppen (§ 138a AO), – Mitteilungspflichten bei Beziehungen zu Drittstaat-Gesellschaften (§ 138b AO), – Mitteilungspflichten bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen (§138d – k AO), 1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.2 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren); zu Einzelheiten Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.121 ff.; dort auch zur Heranziehung von Vergleichsdaten funktional vergleichbarer Unternehmen aus Finanzdatenbanken (Rz. 8.132 ff.). 2 Andere (geeignete) Methoden sind daher nicht darzustellen; Seer in T/K § 90 AO Rz. 43; Sieker in GS Traszkalik, 142 ff.; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353 (356). 3 Im Rahmen des JStG 2020 (Gesetzentwurf der BReg v. 25.9.2020, BT-Drs. 19/22850) sind bei folgenden Vorschriften Änderungen geplant: §§ 93 Abs. 9; 93a Abs. 1, 2 u. 4 (neu); 138 Abs. 2, 5; 138a Abs. 2; 146 Abs. 2a (neu), Abs. 2b, Abs. 5 AO; ferner geplante Änderungen nach dem ATADUmsG (RefEntw v. 24.3.2020): §§ 6 Abs. 7 (Abs. 5 neu); 16 Abs. 1 AStG.

794 | Schaumburg

F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten | Rz. 15.22 Kap. 15

– Anzeige für Zwecke von Verbrauchsteuern und besonderen Verkehrsteuern (§ 139 AO), – Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (§§ 140 ff. AO, § 22 KStG), – Aufbewahrung von Unterlagen (§ 147 ff. AO), – Abgabe von Steuererklärungen (§§ 149 f. AO), – Empfängerbenennung (§ 160 AO, § 16 Abs. 1 AStG), – Berichtigung von Steuererklärungen (§ 153 AO), – Mitwirkungspflichten bei Außenprüfungen (§ 200 AO), – Anzeigepflichten nach Wegzug (§ 39 Abs. 7 EStG), – Mitwirkungspflichten bei Steuerfahndung und Zollfahndung (§ 208 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO), – Mitwirkungspflichten bei Nachschau (§ 210 AO), – Mitwirkungspflichten nach Wegzug (§ 6 Abs. 7 AStG), – Nachweispflichten nach Einbringung (§ 22 Abs. 3 UmwStG).

F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten Literatur: Kommentare zu §§ 160, 162, 328 AO; Bruschke, Sanktionen bei einem Verstoß gegen die Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise, DStZ 2006, 575; Carlé, Schätzung bei Auslandssachverhalten – verschärfte Dokumentationspflichten und Sanktionen, AO-StB 2004, 360; Grotherr, Anwendungsfragen bei der länderbezogenen Berichterstattung Country-by-Country-Reporting, IStR 2016, 991; Häuselmann, Unerwünschte Nebenwirkungen der Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung für ausländische Investoren, Ubg 2009, 704; Hagen, Das Empfängerbenennungsverlangen nach § 160 AO, DStZ 2004, 564; Rehm/Nagler, Zurechnungsbesteuerung bei ausländischen Familienstiftungen (§ 15 AStG) und die Empfängerbenennung (§ 160 AO) auf dem Prüfstand des Gemeinschaftsrechts, IStR 2008, 284; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 22.31; Schmitz, Empfängerbenennung bei Auslandssachverhalten – § 16 AStG oder § 160 AO?, IStR 1997, 193; Sieker, Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen zu internationalen Verrechnungspreisen i.S. von § 162 Abs. 3 und 4 AO, in GS Trzaskalik, Köln 2005, 135; Sorgenfrei, Reichweite und Schranken des § 160 AO, IStR 2002, 469; Tipke, § 160 AO – nochmals systematisch überdacht, in GS Trzaskalik, Köln 2005, 121; Wassermann, Domizilgesellschaft und Benennungsverlagen nach § 160 (Beispiel Schweiz), IStR 2003, 112; von Wedelstädt, Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern, AO-StB 2007, 325; von Wedelstädt, Wann darf das Finanzamt schätzen?, AO-StB 2008, 244.

Kommt der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, können diese unter Anwendung von Zwangsmitteln (§ 328 AO) durchgesetzt werden, es sei denn, er würde sich durch seine Mitwirkung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit bezichtigen (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Im Ergebnis erlangt der Steuerpflichtige damit eine Rechtsposition, die einem Mitwirkungsverweigerungsrecht entspricht.1 Wird die Mitwirkungspflicht durch den Beteiligten verletzt, wird hierdurch die Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörde nicht

1 BFH v. 19.9.2001 – XI B 6/01, BStBl. II 2002, 236; Drüen in T/K, § 393 AO Rz. 42; Joecks in J/J/R8, § 393 AO Rz. 6; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 1.

Schaumburg | 795

15.22

Kap. 15 Rz. 15.22 | Mitwirkungspflichten

suspendiert.1 Die Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Beteiligten führt vor allem dann, wenn er der einzige Wissensträger ist, allerdings zu einer Reduzierung des für die Sachverhaltsaufklärung erforderlichen Gewissheitsgrades (Beweismaßreduzierung),2 sodass verbleibende Unsicherheiten zu einer Schätzung dem Grunde nach berechtigen.3 Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Beteiligten auf der einen Seite führt somit zu einer Einschränkung der Ermittlungspflichten der Finanzbehörde auf der anderen Seite.4 Die Finanzbehörde braucht im Grundsatz also keine unverhältnismäßigen Anstrengungen zu unternehmen, um die Beweisschwierigkeiten auszuräumen, die sich aus der Verletzung der Mitwirkungspflichten der Beteiligten ergeben.5 Können daher aufgrund der Verletzung der Mitwirkungspflichten Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt werden, so dürfen diese gem. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO geschätzt werden. Die einer jeden Schätzung anhaftenden Unsicherheiten können hierbei zulasten des Steuerpflichtigen gehen.6 Darüber hinaus können aus der Verletzung der Mitwirkungspflichten im Wege der Beweiswürdigung negative Schlüsse gezogen werden, sodass die Fälle der Unerwiesenheit des Sachverhaltes und damit die Anwendung der Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) nur selten in Betracht kommen werden.7

15.23

Wird der in § 90 Abs. 2 AO verankerten Beweismittelbeschaffungspflicht nicht entsprochen, so liegt insoweit eine Pflichtverletzung auch bei tatsächlicher und/oder rechtlicher Unmöglichkeit vor, wenn der Beteiligte Beweisvorsorge hätte treffen können. War indessen auch die Beweisvorsorge aus rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen nicht möglich, ist eine Verletzung der Beweismittelbeschaffungspflicht nicht gegeben, sodass die Finanzbehörde im Rahmen der Beweiswürdigung keine negativen Schlüsse ziehen darf.8

15.24

Ist dagegen eine Mitwirkungspflicht verletzt und ist die Informationsbeschaffung auch nicht über Ersuchensauskünfte der Finanzverwaltung zu bewerkstelligen, erfolgt eine freie Beweiswürdigung9 und nach § 162 Abs. 2 Satz 1 AO eine Reduzierung des Beweismaßes für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen (Schätzung), wobei auch eine Beweiswürdigung zulasten des Steuerpflichtigen in Betracht kommen kann, die allerdings nicht für steuerstrafrechtliche Zwecke gilt (vgl. Rz. 2.65).10 Eine Konkretisierung des für die Tatbestände der §§ 5 und 7 – 15 AStG maßgeblichen Schätzungsrahmen enthält § 17 Abs. 2 AStG.

1 BFH v. 18.11.2008 – VIII R 24/07, BStBl. II 2009, 518; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731. 2 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 15 f.; die Grundsätze der Beweismaßreduzierung gelten nicht im Steuerstrafrecht; hierzu Joecks in J/J/R8, § 370 AO, Rz. 73 ff. 3 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 15, § 162 AO Rz. 32 ff. 4 BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; BFH v. 9.6.2005 – IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765; BFH v. 3.11.2005 – VIII B 12/05, BFH/NV 2006, 250; BFH v. 28.12.2006 – VIII B 48/06, BFH/NV 2007, 646; BFH v. 14.5.2008 – V B 227/07, BFH/NV 2008, 1371; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 14. 5 BFH v. 13.3.1985 – I R 7/81, BStBl. II 1986, 318. 6 BFH v. 26.4.1983 – VIII R 38/82, BStBl. II 1983, 618; BFH v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381; BFH v. 29.3.2001 – IV R 67/99, BStBl. II 2001, 484; Seer in T/K, § 162 AO Rz. 44. 7 Zu Einzelheiten Seer in T/K, § 90 AO Rz. 15; Martin, BB 1986, 1021 (1025, 1028). 8 Zu weiteren Einzelheiten Seer in T/K, § 90 AO Rz. 34; Seer, FR 2002, 380 (389); Suchanek/Jansen, GmbHR 2009, 412 (417). 9 BFH v. 6.11.1987 – III R 241/83, BStBl. II 1988, 438; Crezelius, IStR 2002, 433 (436), Hruschka, IStR 2002, 753 (754 f.). 10 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 20, § 162 AO Rz. 35 m.w.N.

796 | Schaumburg

F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten | Rz. 15.28 Kap. 15

Soweit im Rahmen gesteigerter Mitwirkungspflichten eine Vollmachtserteilung für die Finanzverwaltung angefordert wird, ergeben sich nachteilige steuerliche Rechtsfolgen, wenn diese Vollmacht seitens des Steuerpflichtigen nicht erteilt wird (§ 1 Abs. 5 SteuerHBekV). Zu diesen zulasten des Steuerpflichtigen wirkenden Rechtsfolgen gehört, dass für Dividenden das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG), der Abgeltungsteuertarif (§ 32d Abs. 1 EStG) sowie die Steuerfreistellung (§ 8b Abs. 1 KStG)1 nicht zur Anwendung kommen.2

15.25

Über die vorstehenden, ohnehin gravierenden Rechtsfolgen hinaus wird der Finanzbehörde auch die Möglichkeit einer besonderen Schätzung eröffnet (§ 162 Abs. 2 Satz 3 AO). Kommt nämlich der Steuerpflichtige dem Verlangen nach eidesstattlicher Versicherung oder nach Vollmachtserteilung nicht nach, greift die widerlegbare gesetzliche Vermutung ein, dass der Steuerpflichtige in dem betreffenden ausländischen Staat steuerpflichtige Einkünfte erzielt hat und/oder die steuerpflichtigen Einkünfte höher sind als bisher erklärt.3 Damit beschränken sich die Rechtsfolgen nicht auf eine bloße Beweismaßreduzierung, sondern ermächtigen die Finanzbehörden, die Einkünfte dem Grunde nach zu schätzen. Wurden bereits in dem inkriminierten Staat erzielte Einkünfte steuerlich erklärt, so erstreckt sich die widerlegbare gesetzliche Vermutung darauf, dass die Einkünfte tatsächlich höher waren als erklärt.

15.26

Wird die Verrechnungspreisdokumentation nach Anforderung durch die Finanzbehörde nicht vorgelegt oder ist die vorgelegte Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass die Dokumentation nicht zeitnah erstellt worden ist, wird gem. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO im Rahmen einer Schätzung widerlegbar vermutet, dass die im Inland erzielten steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Dokumentation dient, höher als die erklärten Einkünfte sind. Es handelt sich hier um eine auf das Steuerrecht selbst begrenzte Beweisvermutung zulasten des Steuerpflichtigen, die unmittelbar auf die Rechtsfolge, nämlich höhere Einkünfte, abzielt.4 Voraussetzung ist, dass die Dokumentationspflichten verletzt worden sind, dass also entweder innerhalb der 60- oder 30-Tages-Frist überhaupt keine oder eine im Wesentlichen unverwertbare Dokumentation vorgelegt wird oder dass außergewöhnliche Geschäftsvorfälle (§ 90 Abs. 3 Satz 8 AO) nicht zeitnah dokumentiert worden sind. Maßstab dafür, ob die Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar ist oder nicht, ist, ob ein sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit feststellen und prüfen kann, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige verwirklicht hat und inwieweit dabei der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde.5 Der Verwertbarkeitstest bezieht sich somit gleichermaßen auf die Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation. Im Ergebnis wird eine Verrechnungspreisdokumentation nur dann unverwertbar sein, wenn ihr keine Aussagekraft mehr zukommt.6

15.27

Sofern wegen Verletzung der Dokumentationspflichten eine Schätzung im vorgenannten Sinne dem Grunde nach zulässig ist, bleibt dem Steuerpflichtigen gleichwohl die Möglichkeit, im Nachhinein die in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO verankerte, zu seinen Lasten gehende Beweisvermutung durch andere Beweismittel und/oder eine entsprechende Verrechnungspreisanalyse

15.28

1 2 3 4 5

Entsprechendes gilt für abkommensrechtliche Schachtelprivilegien. Dies gilt auch für die Steuerfreistellung für Veräußerungsgewinne (§ 8b Abs. 2 KStG). Das gilt nicht für steuerstrafrechtliche Zwecke (vgl. Rz. 2.65). Seer in T/K, § 162 AO Rz. 66. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren) Rz. 3.4.19. 6 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 67; Bruschke, DStZ 2006, 575 (576 f.); Seer, EWS 2013, 257 (262); Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 369 (381).

Schaumburg | 797

Kap. 15 Rz. 15.28 | Mitwirkungspflichten

zu widerlegen.1 Davon abgesehen bleibt der Finanzbehörde eine entsprechende Schätzung zuungunsten des Steuerpflichtigen versagt, wenn sie selbst z.B. aufgrund anderweitiger Erkenntnisse zu dem Ergebnis kommt, dass die Verrechnungspreise angemessen sind.2 Der in § 88 AO verankerte Untersuchungsgrundsatz wird nämlich durch § 162 Abs. 3 Satz 1 AO nicht suspendiert, sodass die Schätzung keinen Strafcharakter haben darf.3

15.29

Werden die Dokumentationspflichten verletzt, können Steuerzuschläge bei Nichtvorlage und verspäteter Vorlage verwertbarer Dokumentationen festgesetzt werden (§ 162 Abs. 4 AO). Während bei Nichtvorlage ein Steuerzuschlag in Höhe von 5.000 Euro, mindestens aber 5% und höchstens 10%, der hinzu geschätzten Einkünfte fällig wird, sind bei verspäteter Vorlage für jeden vollen Tag der Säumnis 100 Euro, maximal 1 Mio. Euro, zu zahlen. Bei diesen Steuerzuschlägen handelt es sich nicht um Strafen im Rechtssinne, sondern um Beugemittel.4

15.30

In den Fällen, in denen bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zu nicht kooperativen Jurisdiktionen (Steueroasen) die Dokumentationen gem. § 90 Abs. 3 AO nicht zeitnah erstellt und vorgelegt worden sind (§ 1 Abs. 2 SteuerHBekV), werden die Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1, 2 KStG sowie die Schachtelfreistellungen nach den DBA versagt (§ 4 SteuerHBekV). Schließlich ergibt sich als zusätzliche Rechtsfolge weiterhin, dass eine völlige oder teilweise Entlastung vom Steuerabzug gem. § 50d Abs. 1, 2 oder § 44a Abs. 9 EStG außer Betracht bleibt, wenn die ausländische Gesellschaft den Namen und die Ansässigkeit der natürlichen Personen, die zu mehr als 10% an ihr beteiligt sind, nicht benennt (§ 2 SteuerHBekV).5

15.31

Wird den besonderen Mitwirkungspflichten nicht entsprochen, ergibt sich als allgemeine Rechtsfolge eine auf das Steuerrecht begrenzte Beweismaßreduzierung. Eine Besonderheit ergibt sich in den Fällen, in denen die Finanzbehörde auf schriftlichen Antrag des Steuerpflichtigen bewilligt hat, dass elektronische Bücher und sonstige erforderliche Aufzeichnungen im Ausland geführt und aufbewahrt werden (§ 146 Abs. 2a Satz 1 AO). Werden Umstände bekannt, die zu einer Beeinträchtigung der Besteuerung führen, kann die Bewilligung seitens des Finanzamts widerrufen werden. Als Folge hiervon sind die elektronischen Bücher und Aufzeichnungen zurückzuverlagern (§ 146 Abs. 2a Satz 3 AO). Kommt der Steuerpflichtige der Aufforderung zur Rückverlagerung innerhalb der ihm hierfür bestimmten Frist nicht nach, kann ein Verzögerungsgeld (§ 146 Abs. 2b AO) zwischen 2.500 Euro und 250.000 Euro auferlegt werden. Das gilt auch im Falle der Verlagerung ohne Bewilligung und in den Fällen, in denen die Mitteilungspflichten gem. § 146 Abs. 2a Satz 4 AO, die Pflicht zur Einräumung des Datenzugriffs gem. § 147 Abs. 6 AO und die Pflicht zur Auskunftserteilung oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S.d. § 200 Abs. 1 AO verletzt worden sind.6

1 § 90 Abs. 3 AO enthält keine Ausschlussfristen, sodass entsprechende Unterlagen noch im Termin zur mündlichen Verhandlung beim FG nachgereicht werden können; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, 2006, 106; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 213 f. 2 Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 134 f. 3 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 13, 45. 4 Rechtsfolge: kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG (ne bis in idem); vgl. Seer in T/K, § 162 AO Rz. 72; Seer, EWS 2013, 257 (263); vgl. auch Rz. 4.47. 5 Mangels Börsenklausel wird die Benennung nicht selten an tatsächlicher Unmöglichkeit scheitern; hierzu Häuselmann, Ubg 2009, 704 (706); im Übrigen sind die Regelungen der SteuerHBekV derzeit ohnehin obsolet; vgl. Rz. 15.12. 6 BFH v. 24.4.2014 – IV R 25/11, BStBl. II 2014, 819; dagegen auf den Fall der Buchführungsverlagerung beschränkend Drüen in T/K, § 146 AO Rz. 50.

798 | Schaumburg

G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten | Rz. 15.34 Kap. 15

Werden auf Verlangen der Finanzbehörde Gläubiger und Empfänger von Lasten, Betriebsausgaben und Werbungskosten und anderen Ausgaben seitens des Steuerpflichtigen nicht benannt (§ 160 AO), so sind Lasten und Ausgaben in der Regel steuerlich nicht zu berücksichtigen. Soweit Betriebsausgaben gelten gemacht worden sind, führt dieses Abzugsverbot durchweg zu einer Einkünfteerhöhung. Anders ist die Rechtsfolge beim Abzugsverbot für bestimmte Schulden. Hier kommt es zwar zu einer Erhöhung des Betriebsvermögens, diese Vermögensmehrung kann jedoch aus steuerpflichtigen Gewinnen, aus steuerfreien Einnahmen oder aus Einlagen stammen.1 Stammt die Vermögensmehrung aus steuerpflichtigen Einkünften, ist zu klären, ob diese Einkünfte in dem Jahr der Vermögensmehrung zugeflossen sind. Nur dann führt das Abzugsverbot für Schulden auch zu einer Einkünfteerhöhung.2

15.32

Die Regelung des § 160 AO erfährt durch § 16 Abs. 1 AStG insoweit eine Verschärfung, als eine genaue Gläubiger- oder Empfängerbenennung erst dann vorliegt, wenn der Steuerpflichtige alle Beziehungen offenlegt, die unmittelbar oder mittelbar zwischen ihm und unwesentlich besteuerten ausländischen Gesellschaften oder Personen bestehen und bestanden haben.3 (zu Einzelheiten vgl. Rz. 13.52 ff., Rz. 16.218 ff.).

15.33

G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten Literatur: Kommentare zu §§ 160, 162 AO; Bornheim, Nachweis der Steuerhinterziehung mittels Schätzung, AO-StB 2004, 138; Dörn, Schätzung im Steuerstraf- und im Besteuerungsverfahren, wistra 1993, 1 ff. und 50 ff.; Hild, Schätzungen im Steuer- und Strafrecht, DB 1996, 2300; Joecks, Steuerliche Schätzungen im Strafverfahren, wistra 1990, 52; Lohr, Schätzungen im Steuer- und Steuerstrafrecht, in FS Volk, München 2009, 323; Müller, Die Bedeutung der Gläubiger- und Empfängerbenennung nach § 160 AO im Steuerstrafrecht, StBp 2010, 82; Rübenstahl, (Un-)Zulässigkeit von Benennungsverlangen (§ 160 AO) bei Überweisungen an intransparente Domizilgesellschaften, StBp 2011, 329; Schützeberg, Die Schätzung im Besteuerungs- und im Steuerstrafverfahren, StBp 2009, 33; Vogelberg, Die Bedeutung des § 160 AO bei Nichtbesteuerung von Zahlungsempfängern, PStR 2005, 294 ff.; Volk, Zur Schätzung im Steuerstrafrecht, in FS Kohlmann, Köln 2003, 579.

Die Verletzung von den in den Steuergesetzen ausdrücklich verankerten Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten führt erst dann zu einer Steuerhinterziehung, wenn in diesem Zusammenhang entweder gar keine oder Steuererklärungen mit zu niedrigen Einkünften abgegeben werden oder es sonst infolge der Verletzung der vorgenannten Pflichten zu keiner oder zu einer zu niedrigen oder verspäteten Steuerfestsetzung kommt (§ 370 AO). Soweit die Pflichtverstöße nicht zu einer vollendeten oder versuchten Steuerhinterziehung führen, kann insbesondere der Tatbestand der Steuergefährdung gem. § 379 AO erfüllt sein.4 Hiernach werden insbesondere Handlungen, die zur Vorbereitung einer Steuerverkürzung oder zur Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile geeignet sind, als Ordnungswidrigkeiten erfasst. § 379 AO hat in der Praxis allerdings nur eine geringe Bedeutung, weil zumeist auch unrichtige Steuererklärungen abgegeben werden, sodass wegen daraus folgender unzutreffender Steuerfestsetzung eine Steuerverkürzung nach den vorrangig anzuwendenden §§ 370, 378 AO die Folge ist. Im Hinblick darauf greift § 378 AO regelmäßig nur dann ein, wenn die Tathand1 BFH v. 27.9.1967 – I 231/64, BStBl. II 1968, 67; BFH v. 24.3.1987 – I B 156/86, BFH/NV 1988, 208. 2 BFH v. 24.3.1987 – I B 156/86, BFH/NV 1988, 208; BFH v. 16.3.1988 – I R 151/85, BStBl. II 1988, 759; Kuhsel, DB 1995, 650 (650). 3 Vgl. hierzu Schmitz, IStR 1997, 193 ff. 4 Zur Subsidiarität des § 379 AO: Talaska in Kohlmann, § 379 AO Rz. 618.

Schaumburg | 799

15.34

Kap. 15 Rz. 15.34 | Mitwirkungspflichten

lungen vor Abgabe der Steuerklärungen aufgedeckt werden.1 Während § 379 AO nur ganz bestimmte Pflichtverstöße in eigener Sache erfasst, erstreckt sich der Bußgeldtatbestand des § 380 AO auf die Verletzung von Pflichten, die dritten Personen Besteuerungsverfahren hinsichtlich fremder Steuerschulden obliegen. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Gefährdung von Abzugsteuern.

15.35

Im außensteuerlichen Kontext ist unter strafrechtlichen Gesichtspunkten insbesondere die Verletzung der im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Anzeigepflichten von besonderer Bedeutung. Diese Anzeigepflichten sind darauf gerichtet, ergänzend zur Abgabe von Steuererklärungen/Steueranmeldungen und der Abführung von Abzugsteuern die vollständige Erfassung aller potenziellen Steuerpflichtigen sicherzustellen. Soweit die Verletzung der betreffenden Anzeigepflichten nicht in eine vollendete oder versuchte Steuerhinterziehung einmündet, kann sie mit einem Bußgeld geahndet werden, falls dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist. Zu einigen Einzelheiten:

15.36

§ 137 Abs. 1 AO verlangt von Körperschaften, Vereinen, Vermögensmassen und ggf. Personengesellschaften dem zuständigen Finanzamt (§ 20 AO) und den Gemeinden die Umstände anzuzeigen, die für die steuerliche Erfassung von Bedeutung sind. Es geht hierbei insbesondere um die Gründung, den Erwerb der Rechtsfähigkeit, die Änderung der Rechtsform, die Verlegung der Geschäftsleitung oder des Sitzes und die Auflösung. Diese Anzeigepflichten gelten auch für beschränkt steuerpflichtige Rechtsträger, soweit deren Steuerpflicht nicht durch den Steuerabzug abgegolten ist.2 Da steuerlich relevante Umstände anzuzeigen sind, muss die Anzeige selbst dann erfolgen, wenn die Einkünfte etwa abkommensrechtlich freigestellt sind.3 Die vorgenannten Anzeigepflichten gegenüber dem für die Besteuerung zuständigen Finanzamt (§ 20 AO) betreffen allerdings nicht Personengesellschaften, da sie selbst nicht Steuersubjekte sind.4 Gegenüber der Gemeinde besteht allerdings eine Anzeigepflicht, weil die Personengesellschaft sowohl Schuldnerin der Grundsteuer (§ 10 GrStG) als auch der Gewerbesteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG) sein kann. Obwohl die in § 137 AO verankerte Anzeigeverpflichtung auf eine vollständige Erfassung der potenziellen Steuerpflichtigen gerichtet ist, bewirkt deren Verletzung keine Ordnungswidrigkeit.5

15.37

§ 138 Abs. 1, 1a, 1b, 3 AO verpflichtet natürliche und juristische Personen, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bzw. die Eröffnung einer Betriebsstätte sowie die Verlegung und die Aufgabe des Betriebs, einer Betriebsstätte oder einer freiberuflichen Tätigkeit der betreffenden Gemeinde mitzuteilen, die ihrerseits unverzüglich das Finanzamt zu unterrichten hat. Obwohl es auch hierbei um die vollständige Erfassung potenzieller Steuerpflichtiger geht, führt die Verletzung dieser Anzeigepflichten zu keiner Ordnungswidrigkeit.6

15.38

Demgegenüber handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig der ihm obliegenden Mitteilungspflicht gem. § 138 Abs. 2 AO nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO). § 138 Abs. 2 AO betrifft unbeschränkt steuerpflichtige Steuersubjekte, die innerhalb von fünf Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das mel-

1 2 3 4 5 6

Zu weiteren Anwendungsfällen des § 379 AO: Talaska in Kohlmann, § 379 AO Rz. 30 ff., 53 ff. Brandis in T/K, § 137 AO Rz. 1. Brandis in T/K, § 137 AO Rz. 1; Schmieszek in Gosch, § 137 AO Rz. 18. Brandis in T/K, § 137 AO Rz. 2; Cöster in Koenig3, § 137 AO Rz. 2. Vgl. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO. Vgl. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO.

800 | Schaumburg

G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten | Rz. 15.41 Kap. 15

depflichtige Ereignis eingetreten ist (§ 138 Abs. 3 AO), gegenüber dem jeweils zuständigen Finanzamt (§§ 18 – 20 AO) Mitteilung zu machen haben über – die Gründung und den Erwerb von Betrieben und Betriebsstätten im Ausland, – die Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften oder deren Aufgabe oder Änderung sowie – den Erwerb oder die Veräußerung von Beteiligungen an einer ausländischen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, wenn damit unmittelbar oder mittelbar eine Beteiligung von mindestens 10% am Kapital oder am Vermögen der vorgenannten Rechtsträger erreicht wird oder wenn die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen mehr als 150.000 Euro beträgt.1 Wer die gegenüber dem BZSt bestehende Pflicht, grenzüberschreitende Steuergestaltungen mitzuteilen (§ 138d Abs. 1, § 138f Abs. 1, 2, 3 Satz 1 Nr. 1 – 7, 9, 10, § 138h Abs. 2 AO) verletzt, handelt ordnungswidrig (§ 379 Abs. 2 Nr. 1c – 1g AO). Betroffen sind hierdurch insbesondere sog. Intermediäre (§ 138d Abs. 1; § 138f Abs. 3 AO) sowie die Nutzer (§ 138f Abs. 6 AO). Die Ordnungswidrigkeit erstreckt sich auch auf den Fall, dass der Nutzer die von ihm in Anspruch genommene grenzüberschreitende Steuergestaltung in seiner Steuererklärung entgegen § 138k Satz 1 AO nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig angibt (§ 379 Abs. 2 Nr. 1g AO).

15.39

Die Verletzung der vorstehenden Mitteilungspflichten, die der steuerlichen Überwachung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten dient, münden nicht selten in eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bzw. in eine leichtfertige Steuerverkürzung ein (§ 378 AO).2 § 139 AO verpflichtet zur Anmeldung von Betrieben für Zwecke der Verbrauchsteuern und besonderer Verkehrsteuern. Diese Anmeldepflicht, die neben die Anzeigepflicht nach §§ 137, 138 AO tritt,3 dient insbesondere der Überwachung von Betrieben, die der Steueraufsicht gem. §§ 209 – 212 AO unterliegen. Erfasst werden auch im Ausland ansässige Steuerpflichtige, soweit sie im Inland Betriebsstätten unterhalten.4 Eine Verletzung der in § 139 Abs. 1 AO verankerten Anmeldepflicht kann zu einer Verbrauchsteuergefährdung (§ 381 Abs. 1 Nr. 1 AO) führen, soweit in den betreffenden Verbrauchsteuergesetzen auf § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO verwiesen wird.5

15.40

Gem. § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ist ordnungswidrig das Nicht- oder Falschverbuchen von Geschäftsvorfällen oder von Betriebsvorgängen, die nach Gesetz buch- oder aufzeichnungspflichtig sind. Damit wird insbesondere auf die §§ 140, 141 AO verwiesen. Nach § 140 AO sind aufgrund außersteuerlicher Gesetze und Verordnungen bestehende Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten auch für Zwecke der Besteuerung zu erfüllen. Neben diesen abgeleiteten Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten normiert § 141 AO originäre steuerrecht-

15.41

1 Nach dem JStG-E wird unter bestimmten Voraussetzungen auf die Mitteilungspflicht verzichtet, sowie es sich um börsennotierte Beteiligungen von weniger als 1 Prozent handelt (§ 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b Satz 2–4 AO-E). 2 Hierzu Mösbauer, wistra 1991, 43 f.; Hentschel, wistra 2005, 371. 3 Brandis in T/K, § 139 AO Rz. 1. 4 Für die Auslegung von Betrieb im Sinne von Betriebsstätte auch Brandis in T/K, § 139 AO Rz. 2; Cöster in Koenig3, § 139 AO Rz. 4. 5 Hierzu der Überblick auf die einzelnen Verweisungsnormen bei Matthes in Kohlmann, § 381 AO Rz. 45.

Schaumburg | 801

Kap. 15 Rz. 15.41 | Mitwirkungspflichten

liche Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten, die indessen nur dann eingreifen, wenn sich die entsprechenden Pflichten nicht schon aus § 140 AO ergeben.1 Zu den außersteuerlichen Vorschriften, die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten begründen, gehören auch ausländische Rechtsnormen.2 Betroffen hierdurch sind vor allem beschränkt steuerpflichtige Personen, die in Deutschland Betriebsstätten (§ 12 AO) unterhalten, die nicht zugleich Zweigniederlassungen (§§ 13d – 13g HGB) sind.3 Gibt es keine außersteuerlichen in- oder ausländischen Rechtsnormen, greift § 141 AO ein. Soweit inländische Unternehmen, gleich ob Einzelkaufleute, Personengesellschaften oder Kapitalgesellschaften, ausländische Betriebsstätten unterhalten, erstrecken sich die außersteuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten des deutschen Rechts auch auf diese.4 Darüber hinaus können sich hierfür Buchführungsund Aufzeichnungspflichten auch aus ausländischen Rechtsnormen ergeben. Damit sind im Ergebnis Verstöße gegen sich aus ausländischem Recht ergebende Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten tatbestandsmäßig i.S.d. § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, womit zugleich eine Parallele zu § 283b StGB gegeben ist, wonach auch im Ausland zu erfüllende Buchführungspflichten erfasst werden.5 Die Verletzung von Buchführungs- oder Aufzeichnungspflichten ist nur dann ordnungswidrig, wenn hierdurch ermöglicht wird, Steuern zu verkürzen oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu erlangen (§ 379 Abs. 1 Satz 1 AO). Damit reicht bereits die abstrakte Gefahr einer Steuerverkürzung aus,6 soweit sich diese auf inländische Steuern bezieht.7 Da § 379 Abs. 1 Nr. 3 AO durch § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO verdrängt wird,8 können Verstöße gegen verbrauchsteuerliche Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften nur nach § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

15.42

Neben den in den §§ 140 – 146 AO im Einzelnen verankerten Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten, von denen lediglich die Verletzung der Aufzeichnungspflicht des Warenausgangs (§ 144 AO) mit einem Bußgeld bewehrt ist (§ 379 Abs. 2 Nr. 1a AO),9 enthalten die §§ 147 und 147a AO Aufbewahrungspflichten, deren Verletzung allerdings zu keiner Ordnungswidrigkeit führt.10 Die Vernichtung von Geschäftsunterlagen kann allerdings gem. § 274 StGB als Urkundenunterdrückung strafbar sein.11

15.43

Als Steuerordnungswidrigkeit mit Geldbuße bedroht wird derjenige, der vorsätzlich oder leichtfertig seiner Verpflichtung, Steuerabzugsbeträge einzubehalten und abzuführen, nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt (§ 380 Abs. 1 AO). Da diese Ordnungswidrigkeit gegenüber der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) subsidiär ist, wird nur der Fall erfasst, dass die Steuerabzugsbeträge rechtzeitig und vollständig angemeldet, aber nicht entsprechend einbehalten und abgeführt worden 1 Drüen in T/K, § 140 AO Rz. 1. 2 BFH v. 14.11.2018 – I R 81/16, BStBl. II 2019, 390; Drüen in T/K, § 140 AO Rz. 7; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 29.25. 3 Hierfür gelten die sonst für Einzelkaufleute, Personengesellschaften oder Kapitalgesellschaften geltenden Buchführungspflichten; vgl. Drüen in T/K, § 140 AO Rz. 11. 4 Rechtsgrundlagen: §§ 238 – 245, 264 ff., 290 ff., § 120 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB, §§ 91, 270, 286 AktG, § 41 GmbHG, § 33 GenG. 5 OLG Karlsruhe v. 21.2.1985 – 4 So 1/85, BB 1985, 1957. 6 Jäger in J/J/R8, § 379 AO Rz. 71; Talaska in Kohlmann, § 379 AO Rz. 265. 7 Jäger in J/J/R8, § 379 AO Rz. 74; Talaska in Kohlmann, § 379 AO Rz. 269. 8 Loose in T/K, § 381 AO Rz. 4; Jäger/Ebner in J/J/R8, § 381 AO Rz. 16; Matthes in Kohlmann, § 381 AO Rz. 25, 40. 9 Hierzu OFD Koblenz v. 29.3.2011 – S 0711 A-St 43 3, DStR 2012, 85. 10 Jäger in J/J/R8, § 379 AO Rz. 39. 11 BGH v. 29.1.1980 – 1 StR 683/79, BGHSt 29, 192 (194 f.).

802 | Schaumburg

G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten | Rz. 15.46 Kap. 15

sind.1 § 380 AO betrifft im Wesentlichen den Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber (§§ 38 ff. EStG), den Steuerabzug bei Kapitalerträgen (§§ 43 ff. EStG), die Bauabzugsteuer (§§ 48 ff. EStG) und im außensteuerlichen Kontext insbesondere den Quellensteuerabzug bei beschränkter Steuerpflicht (§ 50a EStG). Auf der gleichen Linie liegt § 26b UStG,2 wonach ordnungswidrig handelt, wer die in einer Rechnung (§ 14 UStG) ausgewiesene Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet. Im Falle einer gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens ist eine Straftat i.S.d. § 26c UStG gegeben. §§ 26b, 26c UStG kommen nur in Betracht, wenn die Umsatzsteuer vollständig und rechtzeitig angemeldet worden ist. Andernfalls liegt eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) vor.

15.44

Im außensteuerlichen Kontext ist schließlich auch § 50e EStG von Bedeutung, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig bestimmte, sich aus § 45d EStG gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern bestehende Mitteilungspflichten nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt.

15.45

Soweit insbesondere aufgrund der Verletzung von Mitwirkungspflichten das Finanzamt eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen vornimmt (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO), hat die Schätzung steuerstrafrechtlich grundsätzlich keine Bedeutung. Im Steuerstrafverfahren und Steuerordnungswidrigkeitenverfahren ist nämlich der Sachverhalt in Orientierung an § 261 StPO selbständig zu ermitteln mit der Folge, dass nicht die auf § 162 AO beruhende Beweismaßreduzierung, sondern allein die Regeln freier Beweiswürdigung maßgeblich sind.3 Das gilt vor allem in den Fällen, in denen wegen Verletzung von Dokumentationspflichten steuerlich eine Schätzung zulasten des Steuerpflichtigen legitimiert ist (§ 162 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO). Die Übernahme einer derartigen Schätzung verbietet sich für den Strafrichter. Er darf nur die Besteuerungsgrundlagen heranziehen, die zu seiner Überzeugung als erwiesen anzusehen sind.4 Nur in diesem Rahmen können Schätzungen zugrunde gelegt werden,5 wobei allerdings im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist. In der Praxis wird daher nicht selten ein Abschlag von der Schätzung des Finanzamts vorgenommen (vgl. auch Rz. 11.543 f.).6

15.46

1 Jäger in J/J/R8, § 380 AO Rz. 5; Matthes in Kohlmann, § 380 AO Rz. 5 ff. 2 Nach dem JStG-E soll § 26b UStG zum Fortfall kommen und in § 26a UStG aufgenommen werden (BT-Drs. 19/22850). 3 Vgl. nur Seer in T/K, § 162 AO Rz. 16. 4 BGH v. 10.9.1987 – 4 StR 287/85, wistra 1986, 65; BGH v. 4.2.1992 – 5 StR 655/91, wistra 1991, 147; BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 98/07, wistra 2007, 345; BGH v. 19.7. 2007 – 5 StR 251/07, wistra 2007, 470; BGH v. 29.1.2014 – 1 StR 561/13, NZWiSt 2014, 353. 5 Vgl. BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 98/07, wistra 2007, 345; BFH v. 19.7.2007 – 5 StR 251/07, wistra 2007, 470. 6 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 16; Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 ff. (2050); Schützeberg, StBp 2009, 33 ff. (38).

Schaumburg | 803

6. Teil Pflichtverletzungen im Internationalen Steuerrecht Kapitel 16 Ertragsteuerrecht A. B. I. 1. 2. 3.

II. 1. 2. 3.

III. 1. 2. 3.

IV. 1. 2. 3.

Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . 16.1 Typische Problembereiche Wegzug natürlicher Personen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.11 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.19 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . 16.22 a) Wohnsitzaufgabe im Inland . . . 16.23 b) Wohnsitzaufgabe in einem ausländischen EU-/EWR-Staat . . . 16.29 c) Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.37 d) Aufgabe der Ansässigkeit im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.40 Wegzug von Kapitalgesellschaften Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.45 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.51 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . 16.52 a) Verlegung der Geschäftsleitung in das Ausland . . . . . . . . . . . . . 16.53 b) Verlegung der Ansässigkeit in das Ausland . . . . . . . . . . . . . . . 16.59 Grenzüberschreitender Leistungstransfer bei Betriebsstätten Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.65 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.74 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . 16.76 a) Betriebsvermögenstransfer in eine ausländische Betriebsstätte 16.79 b) Nutzungsüberlassung an eine ausländische Betriebsstätte . . . . 16.83 c) Betriebsvermögenstransfer in eine inländische Betriebsstätte . 16.85 Internationale Umwandlungen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.88 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.93 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . 16.94 a) Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . 16.95 b) Grenzüberschreitende Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.102

804 | Schaumburg/Häck

V. 1. 2. 3.

4. VI. 1. 2. 3. VII. 1. 2. 3. VIII. 1. 2. 3. IX. 1. 2. 3. X. 1. 2. 3. XI. 1.

c) Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug . . . . . . . . . . . Grenzüberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . a) Verdeckte Gewinnausschüttung b) Verdeckte Einlage . . . . . . . . . . c) Berichtigung von Einkünften (§ 1 AStG) . . . . . . . . . . . . . . . . Korrekturmaßstäbe . . . . . . . . . . . . Funktionsverlagerungen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . Ausländische Betriebsstätteneinkünfte Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . Ausländische Kapitalerträge Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dividenden . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . Ausländische Familienstiftungen und Trusts Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . Ausländische Basisgesellschaften Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . Schmiergeldzahlungen im und ins Ausland Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.110

16.118 16.120 16.124 16.130 16.134 16.139 16.146 16.156 16.159 16.160 16.164 16.165 16.168 16.172 16.174 16.181 16.182 16.185 16.191 16.196 16.199 16.202 16.208 16.209 16.218

A. Allgemeine Hinweise | Rz. 16.2 Kap. 16 2. XII. 1. 2. 3.

Pflichtenkreis/Pflichtverletzungen . Zuzug natürlicher Personen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . a) Wohnsitz im Inland . . . . . . . . . b) Gewöhnlicher Aufenthalt im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansässigkeit im Inland . . . . . . . XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.223 16.226 16.229 16.233 16.234 16.242 16.251

2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . a) Ort der Geschäftsleitung im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Satzungssitz im Inland . . . . . . . c) Ansässigkeit im Inland . . . . . . . XIV. Inländische Einkünfte 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . .

16.265 16.267 16.268 16.273 16.277 16.282 16.283 16.290

16.259

A. Allgemeine Hinweise Strafverfahren wegen Pflichtverletzungen im Internationalen Ertragsteuerrecht werden in der Praxis zumeist von den Finanzämtern und den dazu berufenen Straf- und Bußgeldsachenstellen (§ 386 Abs. 1 Satz 1, § 387 Abs. 2 AO i.V.m. § 17 Abs. 2 FVG), dem Bundeszentralamt für Steuern (§ 386 Abs. 1 Satz 2 AO) und der Steuerfahndung (§ 208 Abs. 1 Nr. 1, § 404 AO; § 163 StPO) eingeleitet.1 Das Strafverfahren ist in diesen Fällen eingeleitet, sobald die vorgenannten Behörden Maßnahmen treffen, die erkennbar darauf abzielen, wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen (§ 397 Abs. 1 AO).2 Voraussetzung ist das Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts, der dann gegeben ist, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Tat vorliegen (§ 152 Abs. 2 StPO). Hierfür müssen konkrete Tatsachen bekannt sein, die einen begründeten Anhalt für eine Straftat liefern. Diese Tatsachen brauchen zwar noch nicht zur Überzeugung der Strafverfolgungsbehörden festzustehen, erforderlich ist aber mehr als eine bloße Vermutung, sodass etwa eine bloße kriminalistische Hypothese nicht ausreicht3 (hierzu Rz. 6.8 ff.). Aber auch in den Fällen, in denen ein Anfangsverdacht noch nicht bejaht werden kann, werden insbesondere seitens der Steuerfahndung sog. Vorfeldermittlungen durchgeführt (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 AO), die bei grenzüberschreitenden Sachverhalten insbesondere dann von Bedeutung sind, wenn die Steuerpflichtigen der Person nach unbekannt sind (zu Einzelheiten Rz. 6.17 ff.).4

16.1

Soweit in den vorgenannten Fällen die Finanzbehörden selbständige Ermittlungsbefugnisse haben, wird die Strafsache gleichwohl an die zuständige Staatsanwalt abgegeben (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO), wenn etwa eine Freiheitsstrafe zu erwarten ist, die nicht im Strafbefehlsverfahren geahndet werden kann.5 Darüber hinaus kann die Staatsanwaltschaft die Strafsache auch jederzeit an sich ziehen (§ 386 Abs. 4 Satz 2 AO). Von diesem Evokationsrecht wird die Staatsanwaltschaft bei entsprechendem Umfang und Bedeutung der Steuerstraftat Gebrauch machen.

16.2

1 In Zusammenhang mit Ertragsteuern sind ferner zur Einleitung von Strafverfahren befugt: Familienkasse im Zusammenhang mit der Gewährung von Kindergeld als Steuervergütung i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 2 AO; Polizei etwa im Zusammenhang mit Schmuggelsachverhalten; Staatsanwaltschaft meist anlässlich der Verfolgung von (anderen) Wirtschaftsstraftaten; Strafrichter insbesondere in Funktion als Ermittlungsrichter; vgl. hierzu den Überblick bei Quedenfeld in Flore/Tsambikakis2, § 397 AO Rz. 8 ff.; Peters in Kohlmann, § 397 AO Rz. 15 ff.; vgl. ferner oben Rz. 5.18 ff.; 6.1 ff. 2 Für die Einleitung eines Bußgeldverfahrens gilt Entsprechendes (§ 410 Abs. 1 Nr. 6 AO). 3 Vgl. BVerfG v. 4.7.2006 – 2 BvR 950/05, NJW 2006, 2974; Peters in Kohlmann, § 397 AO Rz. 5 f. 4 Seer in T/K, § 208 AO Rz. 26 f.; Matthes in Kohlmann, § 404 AO Rz. 81. 5 Zu weiteren Fällen vgl. Nr. 22 AStBV.

Schaumburg/Häck | 805

Kap. 16 Rz. 16.3 | Ertragsteuerrecht

16.3

Ob überhaupt der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung gegeben ist, ob also Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind, lässt sich insbesondere im Bereich des Internationalen Steuerrechts nicht immer sicher beurteilen. Im Hinblick darauf können eingeleitete Strafverfahren ausgesetzt werden, bis die Besteuerungsverfahren, etwa bis zu einer Entscheidung des BFH, rechtskräftig abgeschlossen sind (§ 396 Abs. 1 AO). Ob ausgesetzt wird, obliegt dem Ermessen der zuständigen Stelle – Finanzbehörde, Staatsanwaltschaft, Strafgericht –, wobei eine Ermessenreduzierung auf null gegeben ist, wenn in einem Verfahren vor dem Finanzgericht oder BFH oder in einem Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA) zu entscheiden ist, ob überhaupt ein (tatrelevanter) Steueranspruch besteht. Entsprechendes gilt, wenn in einem anhängigen Verfahren das BVerfG über die Wirksamkeit einer Norm zu entscheiden hat, auf die eine Steuerhinterziehung gestützt wird.1 Eine Aussetzung des Strafverfahrens sollte jedenfalls bei (vermeintlichen) Pflichtverletzungen im Internationalen Steuerrecht die Regel sein. Während der Aussetzung des Strafverfahrens ruht die strafrechtliche Verjährung (§ 396 Abs. 3 AO).2 Erfolgt (ausnahmsweise) eine strafrechtliche Verurteilung vor dem rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens, besteht bei einer Entscheidungsdivergenz nur ausnahmsweise die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens (§ 359 StPO).

16.4

Zu den Ermittlungsanlässen zählt vor allem die Verletzung von Mitwirkungspflichten während der Außenprüfung. Angesprochen sind damit Fälle, in denen der Steuerpflichtige trotz Aufforderung durch die Außenprüfung die Erteilung von Auskünften verweigert, obwohl bei Auslandssachverhalten eine erhöhte Mitwirkungspflicht besteht (§ 90 Abs. 2 AO). Soweit sich hieraus der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit ergibt, besteht für den Prüfer die Verpflichtung, zunächst unverzüglich die Straf- und Bußgeldsachenstelle zu unterrichten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BpO). Unterhalb der Schwelle eines Anfangsverdachts3 wird die Straf- und Bußgeldsachenstelle unterrichtet, wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss (§ 10 Abs. 1 Satz 2 BpO). Bloße steuerliche Mehrergebnisse lösen allerdings eine Mitteilungspflicht nicht aus.4 Richtet sich der Verdacht gegen den Steuerpflichtigen selbst, dürfen Ermittlungen, soweit der Verdacht reicht, erst fortgesetzt werden, wenn ihm die Einleitung des Strafverfahrens mitgeteilt worden ist (§ 397 AO).5 Hierüber hat ein Einleitungsvermerk der Straf- und Bußgeldsachenstelle zu erfolgen (§ 397 Abs. 2 AO). Zudem hat der Prüfer den Steuerpflichtigen darüber zu belehren, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht mehr erzwungen werden kann (§ 393 Abs. 1 AO). Darüber hinaus werden Ermittlungsverfahren auch aufgrund eigener Wahrnehmungen seitens der Finanzbehörden ausgelöst. Zu den diesbezüglichen Erkenntnisquellen gehören Presse, Rundfunk und in zunehmendem Maße auch das Internet. Von Bedeutung sind eingehende Auskünfte aus dem Ausland, wobei automatische Auskünfte etwa über ausländische Kapitalerträge eine besondere Rolle spielen (zur Amts- und Rechtshilfe Rz. 9.1 ff., 10.1 ff.). Ferner lösen eingehende Strafanzeigen aus dem privaten oder geschäftlichen Umfeld des Betroffenen sowie angekaufte CDs (hierzu s. Rz. 6.281 ff.) Ermittlungen aus. Das gilt auch für anonyme Anzeigen jedenfalls dann, wenn diese so konkret gefasst sind, dass sie auf ein gewisses Insiderwissen schließen lassen. Schließlich werden Ermittlungsverfahren auch dann eingeleitet, wenn der 1 Hierzu Brandenstein/Tsambikakis in Flore/Tsambikakis², § 396 AO Rz. 13 ff. 2 Das gilt auch für die absolute Verjährungsfrist gem. § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, OLG Karlsruhe v. 8.3.1990 – 2 Sg 222/89, wistra 1990, 205. 3 Hierzu Rz. 6.8 ff. 4 Vgl. hierzu Seer in T/K, Vor § 193 AO Rz. 28 f. 5 Die Mitteilungspflicht dient dem Schutz des Beschuldigten vor Selbstbezichtigung; Jäger in J/J/R8, § 397 AO Rz. 123; Peters in Kohlmann, § 397 AO Rz. 38.

806 | Schaumburg

A. Allgemeine Hinweise | Rz. 16.7 Kap. 16

betreffende Steuerpflichtige eine Selbstanzeige erstattet. Das gilt auch für Selbstanzeigen Dritter, vor allem dann, wenn sie nur für einzelne Tatbeteiligte zur Straffreiheit führen. Im Bereich des Internationalen Steuerrechts wird die Steuerhinterziehung gleichermaßen durch unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) und durch Verstoß gegen Erklärungspflichten durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) begangen.1 Im Hinblick darauf, dass die vom Steuerpflichtigen geforderten Steuererklärungen nicht in erster Linie die Mitteilung steuerlich erheblicher Tatsachen verlangen, sondern durchweg eigene steuerliche Subsumtionen einfordern, kann von unrichtigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen überhaupt nur dann die Rede sein, wenn das mitgeteilte Subsumtionsergebnis von dem zugrunde liegenden Sachverhalt unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt gedeckt ist. Das bedeutet, dass der Steuerpflichtige in seinen Steuererklärungen auch eine für ihn günstige Rechtsansicht vertreten darf.2 Wird allerdings eine von der Rechtsprechung und den Steuerrichtlinien abweichende Rechtsansicht vertreten, bedarf es in der Steuererklärung eines entsprechenden Hinweises.3 Gibt es keine entsprechenden Vorgaben durch Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen, was im Bereich des Internationalen Steuerrechts häufig der Fall ist, besteht eine entsprechende Hinweispflicht nicht.4

16.5

Im Hinblick darauf, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung im Ausland begrenzt sind (hierzu Rz. 8.1), enthalten zahlreiche dem Internationalen Steuerrecht zuzuordnende Vorschriften steuerliche Beweislastregelungen sowie Nachweispflichten, deren Verletzung eine für den Steuerpflichtigen belastende steuerliche Rechtsfolge auslösen. Derartige Beweislastregelungen und Nachweispflichten bleiben im Steuerstrafverfahren außer Betracht.5 Aus dieser Divergenz folgt im Ergebnis, dass an die Sachverhaltsermittlung für steuerstrafrechtliche Zwecke erhöhte Anforderungen zu stellen sind.

16.6

Eine Steuerhinterziehung ist nur dann strafbar, wenn bezogen auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale Vorsatz gegeben ist. Zwar ist ein Eventualvorsatz ausreichend, dies setzt aber den Nachweis voraus, dass der betroffene Steuerpflichtige einen Steueranspruch für möglich gehalten hat. Wenn demgegenüber nicht nachgewiesen werden kann, dass überhaupt eine Vorstellung von einem entsprechenden Steueranspruch bestand, ist der Vorsatz zu verneinen. In den Fällen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gehört zum Vorsatz zusätzlich auch die Kenntnis aller Umstände, die eine steuerliche Erklärungspflicht auslösen (zu Einzelheiten s. Rz. 11.263 ff.). Im Bereich des Internationalen Ertragsteuerrechts ist es häufig nicht möglich, einen entsprechenden Vorsatz nachzuweisen. Im Hinblick darauf bleibt nur die Ahndung als leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) oder, so der in der Praxis häufige Fall, die Einstellung gem. § 153a StPO.

16.7

1 § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO spielt in dem hier interessierenden Zusammenhang keine Rolle. 2 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 49; Joecks in J/ J/R8, § 370 AO Rz. 179 ff.; Schmitz/Wulf in MK-StGB³, § 370 AO Rz. 241 ff.; vgl. Rz. 11.153 ff. 3 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137 (140); vgl. zur Kritik Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 179 ff.; Randt in FS Schaumburg, 1255 ff. und zum Streitstand Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 49. 4 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 50a; Joecks in J/J/R 8, § 370 AO Rz. 181; Schmitz/Wulf in MK-StGB³, § 370 AO Rz. 247; Wulf in Grotherr, Hdb. der Internationalen Steuerplanung3, 2069 ff. (2075); Harms, Stbg 2005, 14. 5 BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in J/J/R 8, § 370 AO Rz. 74 ff.; Randt in J/J/R8, § 385 AO Rz. 2077; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94; Spriegel, wistra 1998, 241; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (253).

Schaumburg | 807

Kap. 16 Rz. 16.8 | Ertragsteuerrecht

16.8

Im privaten Bereich ist die Steuerhinterziehung in der Praxis insbesondere im Zusammenhang mit steuerlich nicht erklärten Einkünften aus ausländischen Kapitalanlagen von Bedeutung.

16.9

Allein aufgrund des mit zahlreichen Staaten vereinbarten Informationsaustausches (Rz. 9.1 ff.) gehen beim BZSt Jahr für Jahr mehrere Millionen Datensätze ein, deren Auswertung bei den zuständigen Finanzämtern einstweilen allerdings auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Mittelfristig wird die Zahl der steuerlich und steuerstrafrechtlich relevanten Auskünfte und damit auch der Ermittlungsverfahren weiter ansteigen. Das gilt auch in den Fällen, in denen die Kapitalanlagen mittelbar über ausländische Familienstiftungen oder Trusts gehalten werden (hierzu s. Rz. 14.208 ff.).

16.10

Im betrieblichen Bereich geht es u.a. um die grenzüberschreitende Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer, die als Ergebnis „aggressiver Steuerplanung“ seit 2012 in das Visier der internationalen Steuerpolitik geraten ist.1 Im Vordergrund stehen hierbei die insbesondere von US-Konzernen praktizierten Steuersparmodelle,2 die im Wesentlichen das internationale Steuergefälle, die unterschiedlichen steuerlichen Anknüpfungspunkte der einzelnen Staaten sowie Besteuerungslücken im US-Steuerrecht nutzen mit der Folge, dass deren Steuerquote zum Teil unter 10% liegt. Es handelt sich zumeist um Fälle, in denen „mobile“ Besteuerungsgrundlagen, also Marken, Patente, Know-how und Kapital in Niedrigsteuerländern allokiert werden, um von dort über Lizenzgebühren und Zinsen die Steuerbemessungsgrundlagen in Hochsteuerländern zu schmälern. Die hiergegen gerichteten Maßnahmen dienen der Bekämpfung von Steuerverkürzung und Gewinnverschiebung durch multinationale Unternehmen.3 Die vorgeschlagenen und zum Teil in nationales Recht umgesetzten Maßnahmen zielen darauf ab, die internationalen und nationalen Steuersysteme anzupassen und eine verstärkte koordinierte Vorgehensweise der Staaten zu ermöglichen. Für in Deutschland ansässige Unternehmen sind insbesondere im nationalen Recht verankerte Verrechnungspreisregelungen (§ 1 AStG, hierzu Rz. 14.216 ff.) sowie spezielle Missbrauchsregelungen (z.B. § 50d Abs. 3 EStG, hierzu Rz. 14.293 ff.) sowie das Normeninstrumentarium der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 – 14 AStG; hierzu Rz. 14.193 ff.) angesprochen. In steuerstrafrechtlicher Hinsicht ergeben sich hieraus keine Besonderheiten, weil in den Fällen, in denen internationale Besteuerungslücken geschickt genutzt werden und die Tatbestände der vorgenannten Normen erfüllt sind, eine Steuerhinterziehung nicht ohne Weiteres gegeben ist. Das ist allenfalls dann der Fall, wenn damit einhergehende Mitwirkungspflichten verletzt werden.4

1 Vgl. Abschlussbericht der OECD zum „Base Erosion and Profit Shifting“ Project (BEPS) v. 5.10.2015 sowie die verschiedenen Maßnahmen der EU, insbes. Die ATAD I- und II-Richtlinie; vgl. hierzu nur den zusammenfassenden Überblick von Kofler/Schnitger in Kofler/Schnitger, BEPS-Hdb., A Rz. 1 ff. 2 Hierzu Pinkernell, Internationale Steuergestaltung im Electronic Commerce, ifst-Schrift Nr. 494 (2013); Pinkernell, StuW 2012, 369 ff.; Pinkernell, IStR 2013, 180 ff. 3 Vgl. hierzu die Kommentierung bei Kofler/Schnitger, BEPS-Hdb., B-N, sowie den Überblick bei Böhmer in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch², Rz. 14.1 ff. 4 Vgl. zu § 42 AO BGH v. 24.8.1983 – 3 StR 89/83, BGHSt 32, 60 (64), BGH v. 30.5.1990 – 3 StR 55/60, wistra 1990, 307 (308); BFH v. 1.2.1983 – VIII R 30/80, BStBl. II 1983, 534; BFH v. 29.8.2007 – IX R 17/07, BStBl. II 2008, 502; Hartmann in Flore/Tsambikakis2, § 42 AO Rz. 3; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 198.

808 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.11 Kap. 16

B. Typische Problembereiche I. Wegzug natürlicher Personen Literatur (ab 2000): Kommentare zu §§ 8, 9 AO, § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 4g, § 16 Abs. 3a, § 36 Abs. 5 EStG, §§ 2, 6 AStG; Baßler, Die Bedeutung des § 6 AStG bei der Planung der Unternehmensnachfolge, FR 2008, 218; Deininger/Lang, Wegzug aus steuerlichen Gründen, 2. Aufl. Bonn 2009; Ditz, Aufgabe der finalen Entnahmetheorie – Analyse des BFH-Urteils vom 17.7.2008 und seiner Konsequenzen, IStR 2009, 115; Dörfler/Adrian/Oblau, Europäisierung des deutschen Steuerrechts durch das SEStEG, RIW 2007, 226; Ettinger, Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG und Gemeinschaftsrecht, IStR 2006, 747; Förster, SEStEG: Rechtsänderungen im EStG, DB 2007, 72; Häck, Steuerlicher Wegzug natürlicher Personen mit einbringungsgeborenen Anteilen i.S.v. § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995, Ubg 2014, 171; Häck, Wegzug natürlicher Personen mit sperrfristbehafteten Anteilen iSv § 22 Absatz 1 UmwStG, IStR 2018, 929; Hoffmann, Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme in der BFH-Rechtsprechung, DB 2008, 2286; Hruschka, Die Ent- und Verstrickung stiller Reserven nach dem SEStEG, StuB 2006, 584; Keller, Die Fortentwicklung der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG, Frankfurt/M. 2006; Kessens, Die Besteuerung der grenzüberschreitenden Überführung von Wirtschaftsgütern, Frankfurt/M. 2009; Lohmann/Heerdt, Umwandlungsvorgänge im Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung i.S. des § 6 Abs. 5 S. 5 AStG, IStR 2014, 153 ff.; Mitschke, Zur gesetzlichen Entstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, DB 2009, 1376; Ostertun/Reimer, Wegzugsbesteuerung Wegzugsberatung, München 2007; Richter/Escher, Deutsche Wegzugsbesteuerung bei natürlichen Personen nach dem SEStEG im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, FR 2007, 674; Roser, Überführung von Wirtschaftsgütern ins Ausland – eine Grundsatzentscheidung mit vielen Fragen, DStR 2008, 2389; Roser/ Hamminger, Wohnsitzverlegung ins Ausland als Instrument der Steuerplanung und damit zusammenhängende Besteuerungsprobleme bei und nach der Wohnsitzverlegung, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 1523 ff.; Schaumburg, Die neue Dogmatik der internationalen Steuerentstrickung, in StbJb 2008/2009, 193; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 6.370; Schneider/Oepen, Finale Entnahme, Sicherstellung stiller Reserven und Entstrickung, FR 2009, 22; Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, ifst-Schrift Nr. 487 (2013); Schönfeld, Der Wegzug in die Schweiz, in FS Lüdicke, München 2019, S. 567; Söffing/ Bron, Die Wegzugsbesteuerung im Verhältnis zur Schweiz unter Berücksichtigung des Freizügigkeitsabkommens, RIW 2009, 358; Wassermeyer, Merkwürdigkeiten bei der Wegzugsbesteuerung, IStR 2007, 833.

1. Überblick Der Wegzug natürlicher Personen führt zum Ausscheiden aus der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht, wenn im Inland weder ein (weiterer) Wohnsitz (§ 8 AO) noch ein gewöhnlicher Aufenthalt (§ 9 AO) zurückbleibt. Werden nach dem Wegzug keine (erweiterten) Inlandseinkünfte erzielt, scheidet auch eine beschränkte bzw. erweitert beschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG, § 2 AStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) aus. Soweit trotz Wegzugs eine unbeschränkte Steuerpflicht aufrechterhalten bleibt, etwa wegen eines zurückbleibenden (weiteren) Wohnsitzes oder eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland, hängt die Reichweite der Besteuerung in Abkommensfällen davon ab, ob Deutschland oder der andere Staat (Zuzugsstaat) als Ansässigkeitsstaat (Wohnsitzstaat) gilt (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA).1 Hinsichtlich der laufenden Besteuerung ist daher in Wegzugsfällen wie folgt zu unterscheiden: – Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Überwechseln zur beschränkten Steuerpflicht bei Aufgabe des inländischen Wohnsitzes und eines gewöhnlichen Aufent1 Zu Einzelheiten Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.202; ferner Rz. 14.28 ff.

Schaumburg/Häck | 809

16.11

Kap. 16 Rz. 16.11 | Ertragsteuerrecht

haltes im Inland mit der Folge, dass fortan nur noch inländische Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen (§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) und eine Gewerbesteuer nur anfällt, soweit im Inland eine Betriebsstätte verbleibt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG), – Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Aufgabe des inländischen Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthaltes ohne Begründung der beschränkten oder erweitert beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG, § 2 AStG) mit der Folge, dass eine inländische Steuerpflicht gänzlich entfällt, – Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht im Ausland unter Aufrechterhaltung der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland dadurch, dass hier ein vorrangiger oder ein nachrangiger Wohnsitz oder ein gewöhnlicher Aufenthalt verbleibt mit der Folge, dass in Abkommensfällen Deutschland entweder als Wohnsitzstaat oder lediglich als Quellenstaat gilt (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA), – Beendigung der erweitert beschränkten Steuerpflicht, etwa durch Wohnsitzverlegung in ein Hochsteuerland mit der Folge, dass eine Besteuerung der erweiterten Inlandseinkünfte (§ 2 AStG) entfällt.

16.12

Soweit in Wegzugsfällen eine unbeschränkte, beschränkte oder erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht nicht entfällt, sind hiergegen die Schrankenwirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet. Hiernach hat Deutschland als Wohnsitzstaat ausländische Einkünfte freizustellen oder die hierauf entfallende ausländische Steuer anzurechnen. Als Quellenstaat verbleibt Deutschland nur eine eingeschränkte Besteuerungsbefugnis. In den Fällen, in denen keine Doppelbesteuerungsabkommen eingreifen, hat Deutschland im Rahmen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung auf ausländische Einkünfte entfallende ausländische Steuern zur Anrechnung zu bringen (§ 34c Abs. 1 EStG). Entsprechendes gilt bei sog. Dreiecksfällen im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht (§ 50 Abs. 3 EStG).

16.13

Der Wegzug hat nicht nur Folgen hinsichtlich der laufenden Besteuerung. Denn das Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht oder der Wechsel zur abkommensrechtlichen Ansässigkeit im anderen Staat kann zu einem Ausschluss oder zu einer Beschränkung1 des deutschen Besteuerungsrechts führen. Das gilt insbesondere, wenn keine beschränkte oder erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht aufrechterhalten bleibt. Damit in derartigen Fällen etwaige während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern gebildete stille Reserven der deutschen Besteuerung nicht entzogen werden, ist für den Betriebsvermögensbereich in den § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 16 Abs. 3a EStG eine besondere Entstrickungsbesteuerung und für den Privatvermögensbereich in § 6 AStG eine Wegzugsbesteuerung vorgesehen.2

16.14

Von der in § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG verankerten Entstrickungsentnahme werden der Ausschluss und die Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts erfasst. Angesprochen ist damit vor allem der grenzüberschreitende Betriebsvermögenstransfer etwa vom inländischen Stammhaus auf eine ausländische Betriebsstätte, deren Gewinne abkommensrechtlich freigestellt sind oder

1 Z.B. infolge Anrechnung ausländischer Steuern aufgrund eines DBA. 2 Zu den Besonderheiten einer Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung bei sog. alt-einbringungsgeborenen Anteilen i.S.d. § 21 Abs. 1 UmwStG 1995 s. ausf. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 41 ff.; Häck, Ubg 2014, 171ff.

810 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.15 Kap. 16

eine Anrechnung ausländischer Steuern auslösen.1 Die Entstrickungsfolgen können aber auch ausgelöst werden, wenn der betreffende Steuerpflichtige wegzieht und einzelne Wirtschaftsgüter (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) oder einen Teilbetrieb oder den gesamten Betrieb2 (§ 16 Abs. 3a EStG) „mitnimmt“.3 Hiervon wird z.B. der Fall erfasst, dass wegzugsbedingt Wirtschaftsgüter, die bisher einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen waren, nunmehr einer neu gebildeten ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind.4 Soweit die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2. EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzende fiktive Entnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) zu einem Gewinn führt, erfolgt eine Sofortversteuerung, die in EU-Fällen auf Antrag nur dann über fünf Jahre gestreckt werden kann, wenn der betreffende Steuerpflichtige in der unbeschränkten Steuerpflicht verbleibt.5 Wird wegzugsbedingt der gesamte Betrieb entstrickt, greifen die Rechtsfolgen wie bei der Aufgabe des Gewerbebetriebs insgesamt ein (§ 16 Abs. 3a EStG). Führt die gem. § 16 Abs. 3a, Abs. 3 Satz 7 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzende entstrickungsbedingte Betriebsaufgabe zu einem Gewinn, so erfolgt auch hier eine Sofortversteuerung mit der Möglichkeit einer fünfjährigen Ratenzahlung in EU-/EWR-Fällen (§ 36 Abs. 5 EStG).6 Im Privatvermögensbereich wird durch § 6 AStG die Besteuerung derjenigen stillen Reserven sichergestellt, die sich in Anteilen an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft i. S.d. § 17 EStG angesammelt haben.7 Die Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG setzt voraus, dass eine natürliche Person insgesamt mindestens zehn Jahre lang unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war und durch Aufgabe ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes die unbeschränkte Steuerpflicht beendet. Dieser Grundtatbestand wird um weitere vier Tatbestände ergänzt, und zwar durch 1 Das ist nach der Rspr. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106 in Abkommensfällen indessen nicht der Fall, weil zukünftige Gewinne aus der Veräußerung der überführten Wirtschaftsgüter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeiträgen aufzuteilen sind, sodass etwa Deutschland die bis zur Überführung entstandenen stillen Reserven weiterhin besteuern darf. Dem § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG lässt sich allerdings eine andere gesetzgeberische Konzeption entnehmen (s. dazu das beim BFH anhängige Revisionsverfahren unter Az.: I R 99/15, Vorinstanz: FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, EFG 2016, 209). 2 Für „mitgenommene“ Teilbetriebe und Betriebe gilt § 16 Abs. 3a EStG. Über den Wortlaut des § 16 Abs. 3a EStG hinaus findet dieser auch beim Wegzug des (alleinigen) Mitunternehmers Anwendung, wenn anschließend das deutsche Besteuerungsrecht an sämtlichen Wirtschaftsgütern der Mitunternehmerschaft ausgeschlossen oder beschränkt wird. 3 Ausf. hierzu Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 55 ff. 4 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 232; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 488; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.386. 5 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortversteuerung ist vom EuGH in der Vergangenheit grds. akzeptiert worden (vgl. EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU: C:2015:331 – Verder LabTec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller). Ob dies auch für Wegzugsfälle gilt, ist im Anschluss an EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler, ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel, wieder offen (vgl. stv. Schönfeld in FS Lüdicke, 2019, 567 [570]). Es verstößt zudem gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip; hierzu Schnitger, ifst-Schrift Nr. 487 (2013), 106; Andresen, DB 2012, 879 ff. (883); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 6 Auch insoweit bestehen unionsrechtliche und verfassungsrechtliche Zweifel. 7 Der Steuergesetzgeber beabsichtigt, § 6 AStG grundlegend zu überarbeiten (vgl. Art. 5 3. Teil des RefE des ATADUmsG v. 24.3.2020). Zu den geplanten Neuerungen s. stv. Kühn/Weiss, IWB 2020, 46 ff.

Schaumburg/Häck | 811

16.15

Kap. 16 Rz. 16.15 | Ertragsteuerrecht

– unentgeltliche oder teilentgeltliche Anteilsübertragung oder die Übertragung der Anteile durch Erwerb von Todes wegen auf beschränkt Steuerpflichtige (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG); – Begründung einer ausländischen Ansässigkeit (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG); – Einlage der Anteile in ein ausländisches Betriebsvermögen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG) und – Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts in übrigen Fällen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG).

16.16

Die Wegzugsbesteuerung entfällt bei einer bloß vorübergehenden Abwesenheit von nicht mehr als fünf Jahren, wobei die Fünf-Jahres-Frist um weitere fünf Jahre verlängert werden kann, wenn berufliche Gründe für die Abwesenheit maßgeblich sind und die Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht (§ 6 Abs. 3 AStG).1

16.17

Im Unterschied zu den für den Betriebsvermögensbereich maßgeblichen Entstrickungsregelungen (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 16 Abs. 3a EStG) folgt die Wegzugsbesteuerung nicht dem Konzept der (gemilderten) Sofortversteuerung, sondern regelt, dass auf Antrag die auf den fiktiven Veräußerungsgewinn geschuldete Einkommensteuer für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren zu stunden ist (§ 6 Abs. 4 Satz 1 AStG). Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Stundung auf die Dauer von längstens 10 Jahren zulässig (§ 6 Abs. 4 Satz 3 AStG). Für die ersten fünf Jahre ist die Stundung hierbei ohne Tilgung der Steuerschuld möglich, wenn der Steuerpflichtige geltend macht, innerhalb dieser Frist wieder unbeschränkt steuerpflichtig werden zu wollen. Bei endgültigem Wohnsitzwechsel ins Ausland ist die Stundung2 nur gegen Sicherheitsleistung zulässig. Ist dagegen der Wohnsitzwechsel nur ein vorübergehender, kann die Stundung auch ohne Sicherheitsleistung angeordnet werden, wenn der Steueranspruch als nicht gefährdet erscheint.3 Auf die Erhebung von Stundungszinsen (§ 234 Abs. 2 AO) sollte bei dauerhaftem Wegzug aus teleologischen Gründen seitens des Finanzamts verzichtet werden.4

16.18

Beim Wegzug in EU-/EWR-Staaten gilt eine Sonderregelung dahingehend, dass eine Wegzugssteuer zwar festgesetzt werden darf, diese aber ohne Sicherheitsleistung und ohne Festsetzung von Ratenzahlungen zeitlich unbegrenzt zinslos zu stunden ist (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Diese erweiterte Stundungsmöglichkeit kann nur von EU-/EWR-Staatsangehörigen für den Wegzug in einen EU-/EWR-Staat in Anspruch genommen werden. Entfällt während des Stundungszeitraums eine Voraussetzung für die Stundung oder liegt einer der ausdrückliche genannten Widerrufsgründe des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG vor, ist die Stundung zu widerrufen. Voraussetzung für die Stundung ist ferner, dass der Wegziehende nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht im betreffenden Zuzugsstaat eine der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Entfällt diese Voraussetzung während des Stundungszeitraums, ist die Stundung gleichfalls zu widerrufen.5 Voraussetzung ist schließlich, dass die Amtshilfe und die gegenseitige Unterstüt1 Zu weiteren Einzelheiten Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 431 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.430. 2 Hierauf besteht ein Rechtsanspruch. 3 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 526. 4 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 512; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.433. 5 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG, Rz. 569.1.

812 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.21 Kap. 16

zung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuer zwischen Deutschland und dem Zuzugsstaat gewährleistet sind (§ 6 Abs. 5 Satz 2 AStG).1

2. Pflichtenkreis Für den Wegzug natürlicher Personen ins Ausland bestehen – abgesehen für Zwecke der Lohnsteuer (§ 39 Abs. 7 EStG) – grundsätzlich keine gegenüber den Finanzbehörden zu erfüllenden Meldepflichten. Während für die Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland bei bereits bestehendem Wohnsitz im Ausland auch nach außersteuerlichen Vorschriften keine Meldepflichten bestehen, ist die Aufgabe einer inländischen Wohnung bei der zuständigen Meldebehörde anzumelden. Rechtsgrundlage hierfür ist § 17 Abs. 2 BMG i.V.m. mit den entsprechenden Meldegesetzen der Länder. Die Meldepflicht ist innerhalb von zwei Wochen gegenüber der Meldebehörde2 zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 BMG). Wird dieser Meldepflicht vorsätzlich oder fahrlässig nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig entsprochen, kann dieser Verstoß als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden (§ 54 Abs. 2 Nr. 2 BMG).

16.19

In den Fällen, in denen beim Wegzug in den EU-/EWR-Bereich die Steuer gestundet wurde (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG), hat der Steuerpflichtige oder sein Gesamtrechtsnachfolger dem zuständigen Wohnsitzfinanzamt (§ 19 AO) gem. § 6 Abs. 7 Satz 1 AStG auf amtlich vorgeschriebenen Vordruck3 darüber Mitteilung zu machen, ob Tatbestände verwirklicht worden sind, die einen Widerruf der Stundung rechtfertigen (§ 6 Abs. 5 Satz 4 AStG). Diese Mitteilung ist innerhalb eines Monats nach dem meldepflichtigen Ereignis zu erstatten (§ 6 Abs. 7 Satz 2 AStG). Der Mitteilung sind ggf. schriftliche Nachweise beizufügen (§ 6 Abs. Satz 3 AStG). Darüber hinaus hat der Steuerpflichtige jeweils bis zum 31. Januar schriftlich seine am 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres geltende Anschrift mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Anteile ihm oder im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge unter Lebenden seinem Rechtsnachfolger weiter zuzurechnen sind (§ 6 Abs. 7 Satz 4 AStG). Ein Verstoß gegen die vorgenannten Mitteilungspflichten hat keine bußgeldrechtlichen Folgen, kann aber zu einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) führen.4

16.20

Wenn nach dem Wegzug im Inland ein (nachrangiger) Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt beibehalten wird, besteht die Pflicht, ein wegzugsbedingtes neues Auslandsengagement dem zuständigen Finanzamt anzuzeigen (§ 138 Abs. 2 AO).5 Das gilt auch für den Fall, dass ein Betrieb oder eine Betriebsstätte im Zuge des Wegzugs vom In- in das Ausland verlegt wird.6 Die Mitteilung ist innerhalb eines Monats nach Eintritt des meldepflichtigen Ereignisses zu erstatten (§ 138 Abs. 4 AO). Wer vorsätzlich oder leichtfertig der vorgenannten Anzeigepflicht nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO), die vorbehaltlich des § 378 AO mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro geahndet werden kann (§ 379 Abs. 7 AO).

16.21

1 2 3 4 5 6

Zu Einzelheiten Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 547 ff. In NRW sind das die Gemeinden als örtliche Ordnungsbehörden (§ 1 MG NRW). Abgebildet bei Häck in F/W/B/S, § 6 AStG, Anhang 2 Rz. 7. Vgl. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 668. § 138 Abs. 2 AO soll geändert werden (JStG-E 2020, RegE v. 25.9.2020, BT-Drs. 19/22850). Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 6a; Schallmoser in H/H/Sp, § 138 AO Rz. 36; Grotherr in Gosch, § 138 AO Rz. 23; Dißars, Stbg 2009, 453 ff. (454).

Schaumburg/Häck | 813

Kap. 16 Rz. 16.22 | Ertragsteuerrecht

3. Pflichtverletzungen 16.22

Im Zusammenhang mit dem Wegzug in das Ausland betreffen die Probleme mit strafrechtlicher Relevanz in erster Linie die Frage, ob im Inland tatsächlich ein Wohnsitz aufgegeben worden ist oder nicht.1 Hierbei geht es zum einen darum, dass etwa bei vorgetäuschter Wohnsitzaufgabe eine unbeschränkte Steuerpflicht unverändert gegeben ist und zum anderen darum, dass eine Wohnsitzaufgabe verheimlicht worden ist, um etwa eine gewinnrealisierende Entstrickung von Wirtschaftsgütern im Betriebsvermögensbereich (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG), eine Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a EStG) oder eine Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) zu vermeiden. Ferner sind die Fälle von Bedeutung, in denen vorgegeben wird, den Wohnsitz in ein Hochsteuerland verlegt zu haben, tatsächlich aber, um der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht zu entgehen (§ 2 AStG), der Wegzug in einem Niedrigsteuerland erfolgt ist. Schließlich ist strafrechtlich relevant der Wegzug von einem EU-/EWR-Staat in einen Drittstaat nach gewährter Stundung der Wegzugsteuer (§ 6 Abs. 5 AStG), wenn der Wegzug in den Drittstaat entgegen der Verpflichtung in § 6 Abs. 7 AStG dem Finanzamt nicht angezeigt wurde. In allen Fällen geht es um die Wohnsitzaufgabe im Inland oder in einem EU-/ EWR-Staat. a) Wohnsitzaufgabe im Inland

16.23

Ob im Inland der Wohnsitz wegzugsbedingt aufgegeben wurde, hängt nicht vom Willen des Steuerpflichtigen, sondern allein von der tatsächlichen Gestaltung ab.2 Zeigt sich allerdings der Wille des Steuerpflichtigen dadurch, dass er seinen Wohnsitz bei der Meldebehörde ordnungsgemäß abgemeldet hat, kann hierin ein entsprechender Indikator für die Aufgabe des Wohnsitzes gegeben sein.3 Im Hinblick darauf wird in der Praxis seitens der Wegziehenden zumeist eine umfangreiche Dokumentation angelegt, um im Einzelnen darzulegen, dass der Wegzug auch tatsächlich erfolgt ist. Zu diesen Maßnahmen gehören u.a. der Verkauf oder die Vermietung der bislang benutzten Wohnung, Abmeldung von Telefon, Gas, Strom und Wasser, Nachsendeantrag für die Postzustellung, Abmeldung des Pkw bei der Straßenzulassungsbehörde, Abmeldung bei Vereinen und dergleichen. Damit geht einher zumeist auch die Mitteilung an das bislang zuständige Wohnsitzfinanzamt, obwohl hierzu keine Verpflichtung besteht (hierzu Rz. 16.19). Nicht selten wird allerdings ein (verdeckter) Wohnsitz, wenn auch im eingeschränkten Maße, aufrechterhalten. Auch wenn es sich hierbei nur um einfache Wohnräume handelt, sind sie gleichwohl als Wohnung i.S.d. § 8 AO anzusehen. Denn es spielt grundsätzlich keine Rolle, ob die Räumlichkeiten angemessen oder gar standesgemäß sind.4 Somit kommen als Wohnungen in Betracht: Baracken, Hotelzimmer bei Dauernutzung, Wochenendhäuser, Ferienhäuser, Jagdhäuser, Gartenhäuschen in einer Laubenkolonie, Wohnwagen bei Dauermiete auf einem Campingplatz.5 In den Fällen des (angeblichen) Weg-

1 Vgl. zu den entsprechenden Hinterziehungskonstellationen auch Rödl/Grube in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 22 Rz. 33a ff. 2 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 24.7.1996 – I R 74/95, BStBl. II 1997, 132; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; BFH v. 21.3.2003 – III B 123/02, BFH/NV 2003, 944; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 2; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. B87. 3 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153. 4 Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5; Kratzsch in Schwarz/Pahlke, § 8 AO Rz. 5; vgl. auch oben Rz. 14.11. 5 So die Aufzählung bei Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5 und Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; vgl. ferner Eich, EStB 2011, 269 ff.

814 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.24 Kap. 16

zuges spielt die Frage, ob bei einem Aufenthalt in einer inländischen Wohnung auch ein Innehaben derselben anzunehmen ist, eine große Rolle. Ein Innehaben ist zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige über die Wohnung tatsächlich verfügen kann, und zwar aufgrund eigener oder abgeleiteter Verfügungsmacht.1 Eine jedenfalls abgeleitete Verfügungsmacht ist insbesondere in den Fällen eines Familienwohnsitzes anzunehmen, wenn der Betreffende bei sich bietender Gelegenheit dorthin immer wieder zurückkehrt, um sich dort bei der Familie aufzuhalten.2 Beispiel: Die Eheleute A waren seit vielen Jahren im Inland wohnhaft und hier unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Im Verlauf der Jahre haben sie ein beachtliches Privatvermögen aufgebaut. Hierzu gehörten u.a. drei Aktienpakete, die jeweils 0,8% des betreffenden Grundkapitals von drei börsennotierten ausländischen Kapitalgesellschaften repräsentierten. Ferner waren sie Eigentümer eines aufwendig ausgestatteten Ferienhauses in einer bekannten inländischen Feriengegend. Zum Ende ihrer beruflichen Tätigkeit veräußerten die Eheleute A ihr bislang eigengenutztes Einfamilienhaus an Dritte. Darüber hinaus übertrugen sie das Ferienhaus im Rahmen vorweggenommener Erbfolge auf ihre Tochter. Danach verzogen sie in einen Niedrigsteuerkanton der Schweiz. Während der Sommermonate haben sich die Eheleute A Jahr für Jahr regelmäßig zusammenhängend für etwa drei Monate in dem Ferienhaus, dessen Einrichtung unverändert geblieben ist, aufgehalten. Nachdem die Eheleute A ihre drei Aktienpakete nach dem Wegzug mit hohem Gewinn veräußert hatten, erhielt das Finanzamt, in dessen Bezirk das Ferienhaus liegt, Kenntnis von wiederholten Aufenthalten der Eheleute A in dem Ferienhaus. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde bei der Durchsuchung des Ferienhauses durch die Steuerfahndung festgestellt, dass die Einrichtung unverändert auf die persönlichen Bedürfnisse der Eheleute A zugeschnitten war und zudem entsprechende Kleidung, Wäsche und Toilettenartikel so vorgehalten wurden, dass ein jederzeitiger Aufenthalt in dem Ferienhaus möglich war.

Der Wegzug der Eheleute A in die Schweiz hat keine Wegzugsbesteuerung gem. § 6 Abs. 1 AStG ausgelöst. Dies deshalb nicht, weil die Anteile an den drei ausländischen Aktiengesellschaften wegen der Beteiligung von weniger als 1% keine solchen i.S.d. § 17 EStG waren. Im Rahmen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht sind zwar die entsprechenden Veräußerungsgewinne der Einkommensteuer zu unterwerfen (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG), von der Wegzugsbesteuerung werden sie aber dennoch nicht erfasst.3 Da die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an den drei ausländischen Kapitalgesellschaften hier weder der beschränkten noch der erweitert beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4, § 49 Abs. 1 EStG, § 2 AStG) unterlagen,4 kommt eine Besteuerung im Inland nur im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht in Betracht, soweit ihr keine abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen entgegenstehen. Da die Eheleute A nach den Feststellungen der Steuerfahndung über das Ferienhaus jederzeit verfügen konnten und während ihrer Aufenthalte dort nicht „aus dem Koffer“ leben mussten und stets Zugang zu den Räumlichkeiten hatten, ist jedenfalls von einer abgeleiteten Verfügungsmacht über dieses Ferienhaus auszugehen. Dass das Haus nur zu Ferienzeiten und auch nur über drei Monate regelmäßig genutzt wurde, spielt keine Rolle. Damit unterliegen die erzielten Veräußerungsgewinne der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht

1 BFH v. 23.11.1988 – II R 149/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294. 2 BFH v. 29.10.1959 – IV 129/58 S, BStBl. III 1960/61; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146; BFH v. 30.10.2002 – VIII R 86/00, BFH/NV 2003, 464. 3 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 35; Strunk/Kaminski in S/K/K, § 6 AStG Rz. 20; zu dieser bloß singulären Erfassung von Kapitalanteilen Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.407 f. 4 Die Veräußerungsgewinne sind weder Inlandseinkünfte noch erweiterte Inlandseinkünfte, sondern ausländische Einkünfte (§ 34d Nr. 6 EStG).

Schaumburg/Häck | 815

16.24

Kap. 16 Rz. 16.24 | Ertragsteuerrecht

der Eheleute A. Da sie aber in der Schweiz über eine ständige Wohnstätte verfügen,1 dort jedenfalls ihren Mittelpunkt der Lebensinteressen haben, gelten sie als in der Schweiz ansässig mit der Folge, dass Deutschland die Veräußerungsgewinne im Ergebnis nicht besteuern darf (Art. 13 Abs. 3 DBA-Schweiz). Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz räumt Deutschland zwar ein besonderes Besteuerungsrecht für den Fall ein, dass die Schweiz als Ansässigkeitsstaat gilt (überdachende Besteuerung), dies gilt aber hier deshalb nicht, weil die Eheleute A in Deutschland keine ständige Wohnstätte unterhalten haben. Eine derartige ständige Wohnstätte wird jedenfalls durch ein nur vorübergehend im Jahr ausschließlich zu Erholungszwecken genutztes Ferienhaus nicht vermittelt.2

16.25

Damit ist schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben.

16.26

In den Fällen, in denen die Verlegung des Wohnsitzes in das Ausland nicht offengelegt wird, geht es nicht selten darum, eine Entstrickungsbesteuerung (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) zu vermeiden. Beispiel: A betreibt seit vielen Jahren im Inland ein Einzelunternehmen. Gegenstand des Einzelunternehmens ist die Herstellung und der Vertrieb von Konsumerzeugnissen. Zum Betriebsvermögen des Einzelunternehmens gehören u.a. auch Anteile an in verschiedenen Staaten ansässigen Vertriebskapitalgesellschaften. Um den französischen Markt besser zu erschließen, verlegt A seinen Wohnsitz nach Frankreich an den Sitz der dortigen Vertriebskapitalgesellschaft. Den inländischen Wohnsitz gibt er auf, ohne das Finanzamt hierüber zu unterrichten oder sich bei der zuständigen Meldebehörde abzumelden. Die inländische Produktion wird im Inland von einem Prokuristen geleitet, der auch die kaufmännischen Routineentscheidungen trifft. Alle wesentlichen Leitentscheidungen trifft A von Frankreich aus. Hierzu bedient er sich der kaufmännischen Einrichtung der dortigen Vertriebstochterkapitalgesellschaft. In Frankreich hat A den dortigen Finanzbehörden seinen neuen Wohnsitz nicht mitgeteilt. Dementsprechend hat er dort auch keinerlei Steuererklärungen abgegeben. Das bislang von ihm bewohnte Haus im Inland, unter dessen Adresse er immer noch gemeldet ist, hat er an dritte Personen vermietet. Dort eingehende Post wird von den Mietern nach Frankreich weitergeleitet. Aufgrund anonymer Hinweise erfahren die deutschen Finanzbehörden, dass A seit Jahren keinen Wohnsitz mehr im Inland unterhält. Gegen A wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und zugleich für das Jahr des Wegzugs ein geänderter Einkommensteuerbescheid und Gewerbesteuermessbescheid erlassen, in dem die stillen Reserven in den Anteilen an der französischen Vertriebsgesellschaft der Besteuerung unterworfen werden. Hiergegen wendet sich A mit dem Einspruch.

16.27

Aufgrund des Wegzugs nach Frankreich und der damit verbundenen Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht wird eine Entstrickungsbesteuerung (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) ausgelöst, soweit wegzugsbedingt deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Abzustellen ist hierbei auf den Gewinn aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsgutes. Das ist der Fall, wenn bislang dem inländischen Gewerbebetrieb zuzuordnende Wirtschaftsgüter nunmehr einer französischen Betriebsstätte zuzuordnen sind und etwaige auch auf früheren Vermögenszuwächsen beruhende Veräußerungsgewinne der französischen

1 Besonders qualifizierter Wohnsitz, den die natürliche Person nicht nur gelegentlich und auch nicht nur zu vorübergehenden Zwecken nutzt; vgl. BFH v. 23.10.1985 – I R 274/82, BStBl. II 1986, 133; BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562; BFH v. 16.12.1998 – I R 40/97, BStBl. II 1999, 207; BFH v. 5.6.2007 – I R 22/06, BStBl. II 2007, 812; Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 180 ff.; vgl. auch Milatz/Weist, IWB 2011, 408 ff. 2 Verhandlungsprotokoll v. 18.6.1971 zu Art. 4 Abs. 2 und 3 DBA-Schweiz; hierzu Hardt/Hamminger in Wassermeyer, DBA, Art. 4 DBA-Schweiz Rz. 71.

816 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.28 Kap. 16

Besteuerung unterliegen.1 Sollten die Ermittlungen ergeben, dass die in den Räumlichkeiten der französischen Vertriebstochterkapitalgesellschaft von A ausgeübten Aktivitäten abkommensrechtlich zu einer Betriebsstätte2 führen, womit zugleich wegen der Ansässigkeit des A in Frankreich insoweit ein französisches Unternehmen gegeben wäre, käme es wegzugsbedingt zu einer Zuordnung jedenfalls der Anteile an der französischen Vertriebstochterkapitalgesellschaft. Die Folge hiervon wäre eine Gewinnrealisierung in Höhe der Differenz zwischen dem bilanziellen Buchwert und dem gemeinen Wert der Anteile (§ 4 Abs. 1, Sätze 3 und 4, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG).3 Da A nach dem Wegzug in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig ist, scheidet die Bildung eines Ausgleichposten gem. § 4g EStG aus.4 Die Besteuerung erfolgt sodann nach Maßgabe des sog. Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG).5 Im Rahmen der Abgabe der Steuererklärung für unbeschränkt Steuerpflichtige hätte A im Jahr des Wegzugs in Kenntnis aller Umstände und ausgehend von der Ansicht der Finanzverwaltung6 im Rahmen seiner Einkünfte aus Gewerbebetrieb die aufgrund der Entstrickung (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) ausgelöste Gewinnrealisation erklären müssen. Im Hinblick auf das anhängige Einspruchsverfahren ist es geboten, das strafrechtliche Ermittlungsverfahren auszusetzen (§ 396 Abs. 1 AO), wozu die Finanzbehörde befugt ist, solange sie das Ermittlungsverfahren selbständig durchführt (§ 386 Abs. 2 AO).7 Dies deshalb, weil rechtlich zweifelhaft ist, ob § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG überhaupt eingreift8 und zudem diese Vorschrift 1 Das ist nach der Rspr. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106 in Abkommensfällen indessen nicht der Fall, weil zukünftige Gewinne aus der Veräußerung der überführten Wirtschaftsgüter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeiträgen aufzuteilen sind, sodass etwa Deutschland die bis zur Überführung entstandenen stillen Reserven weiterhin besteuern darf. Dem § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG lässt sich allerdings eine andere gesetzgeberische Konzeption entnehmen. 2 Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 DBA-Frankreich. 3 Nach Ansicht des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/ 08, FR 2010, 183; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106 erfolgt demgegenüber eine Aufteilung der Veräußerungsgewinne zwischen Deutschland und Frankreich. 4 Zu den unionsrechtlichen Aspekten dieser Vorschrift Meyer in K/K/R, § 4g EStG Rz. 14 ff. 5 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortversteuerung ist vom EuGH in der Vergangenheit grds. akzeptiert worden (vgl. EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU: C:2015:331 – Verder LabTec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller). Ob dies auch für Wegzugsfälle gilt, ist im Anschluss an EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler, ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel, wieder offen (vgl. stv. Schönfeld in FS Lüdicke, 2019, 567 (570). Es verstößt zudem gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip; hierzu Schnitger, ifstSchrift Nr. 487 (2013), 106; Andresen, DB 2012, 879 ff. (883); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 6 Vgl. R 4.3 (2–4) EStR. 7 Andernfalls die Staatsanwaltschaft (§ 396 Abs. 2 Halbs.1 AO) oder im Zwischenverfahren sowie im Hauptverfahren das Strafgericht (§ 396 Abs. 2 Halbs. 2 AO). 8 Das ist nach der Rspr. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106 in Abkommensfällen nicht der Fall, weil zukünftige Gewinne aus der Veräußerung der überführten Wirtschaftsgüter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeiträgen aufzuteilen sind, sodass etwa Deutschland die bis zur Überführung entstandenen stillen Reserven weiterhin besteuern darf. Dem § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG lässt sich allerdings eine andere gesetzgeberische Konzeption entnehmen (s. dazu das beim BFH anhängige Revisionsverfahren unter Az.: I R 99/15, Vorinstanz: FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, EFG 2016, 209).

Schaumburg/Häck | 817

16.28

Kap. 16 Rz. 16.28 | Ertragsteuerrecht

im Zusammenspiel mit § 4g EStG unionsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt ist.1 Da A trotz Wohnsitzes in Frankreich dort keine Steuererklärungen abgegeben hat und demzufolge die auf die französische Betriebsstätte entfallenen Gewinne dort nicht der Besteuerung unterworfen worden sind, hat A in Frankreich eine Steuerhinterziehung begangen. Diese Tat ist in Deutschland nicht strafbar, weil § 370 AO sich grundsätzlich2 nur auf inländische Steuern bezieht.3 Die deutschen Finanzbehörden werden allerdings gem. § 8 EUAHiG (Spontanauskunft) über das BZSt4 den französischen Finanzbehörden entsprechende Auskünfte erteilen, aufgrund deren in Frankreich ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 1 EUAHiG). Eine Auskunftserteilung kommt schließlich auch auf der Grundlage von Art. 22 Abs. 2 DBA-Frankreich in Betracht.5 In beiden Fällen ist A vorher zu hören (Rz. 9.12). Eine etwaige Bestrafung wegen Steuerhinterziehung in Deutschland und in Frankreich unterliegt nicht dem innerhalb der EU geltenden Doppelbestrafungsverbot (vgl. Art. 54 SDÜ), weil es sich nicht um „dieselbe Sache“, also nicht um ein einheitliches Tatgeschehen handelt.6 b) Wohnsitzaufgabe in einem ausländischen EU-/EWR-Staat

16.29

Von strafrechtlicher Bedeutung sind auch begangene Pflichtverletzungen nach Wegzug in das Ausland. Angesprochen ist hierbei insbesondere der Fall, dass im Anschluss an einen (privilegierten) Wegzug in einen anderen EU-/EWR-Staat ein weiterer Wohnsitzwechsel in einen Drittstaat erfolgt, wodurch eine bislang im Inland gewährte Steuervergünstigung, etwa eine Stundung gem. § 6 Abs. 5 AStG, durch einen nachfolgenden Wohnsitzwechsel in einen Drittstaat zum Fortfall kommt. Beispiel: A ist zu 20% an der inländischen A-GmbH beteiligt. Die Beteiligung hält er in seinem Privatvermögen. A verlegt seinen Wohnsitz von Deutschland nach Österreich. Hierüber informiert er sowohl die deutsche als auch die österreichische Finanzverwaltung. Aufgrund des Wegzuges erlässt das bislang für ihn zuständige inländische Wohnsitzfinanzamt einen Steuerbescheid, in dem in Höhe der Differenz zwischen den Anschaffungskosten der GmbH-Anteile und deren gemeinen Wert zum Zeitpunkt des Wegzugs ein Veräußerungsgewinn gem. § 6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 Abs. 1 EStG erfasst wird. Die diesbezügliche Einkommensteuer wird unter Berücksichtigung des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG) festgesetzt und sodann gem. § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet. Nach Ablauf von drei Jahren verzieht A von Österreich in die Schweiz, ohne hiervon dem für ihn bislang zuständigen Finanzamt Mitteilung zu machen. Er hat es

1 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortversteuerung ist vom EuGH in der Vergangenheit grds. akzeptiert worden (vgl. EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU: C:2015:331 – Verder LabTec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller). Ob dies auch für Wegzugsfälle gilt, ist im Anschluss an EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler, ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel, wieder offen (vgl. stv. Schönfeld in FS Lüdicke, 2019, 567 (570). Es verstößt zudem gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip; hierzu Schnitger, ifstSchrift Nr. 487 (2013), 106; Andresen, DB 2012, 879 ff. (883); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 2 Ausnahme: § 370 Abs. 6 AO, der nicht für Ertragsteuern gilt. 3 Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 34, § 370 AO Rz. 35; Peters in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 17. 4 Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 5 und 9 FVG; BMF v. 29.5.2019 – IV B 6-S 1320/07/10004:008, BStBl. I 2019, 480, Rz. 1.5.1.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen). 5 Zu Einzelheiten Kramer in Wassermeyer, DBA, Art. 22 DBA-Frankreich Rz. 8 ff. 6 Vgl. BGH v. 12.12.2013 – 3 StR 531/12, NJW 2014, 1025; zu Einzelheiten Rz. 4.24 ff.

818 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.34 Kap. 16 zudem auch in den Vorjahren unterlassen, dem Finanzamt seine Anschrift mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Anteile ihm weiterhin zuzurechnen sind. Nach einigen Monaten erhält das bislang zuständige inländische Finanzamt (§ 19 AO) durch Hinweise von dritter Seite Kenntnis von der Wohnsitzverlegung des A in die Schweiz. Erst nach Ablauf von mehr als einem Jahr wird die Stundung widerrufen und die Einkommensteuer fällig gestellt.

A war nach seinem Wegzug verpflichtet, dem bislang für ihn zuständigen Wohnsitzfinanzamt (§ 19 AO) jährlich bis zum Ablauf des 31. Januar schriftlich seine am 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres geltende Anschrift mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Anteile ihm weiterhin zuzurechnen sind (§ 6 Abs. 7 Satz 4 AStG). Obwohl A dieser Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, hat das vorgenannte Wohnsitzfinanzamt die Stundung nicht widerrufen, was im Ermessen des Finanzamts steht (vgl. § 6 Abs. 7 Satz 4 AStG). Hingegen war aufgrund des Wegzugs von A in die Schweiz der Widerruf der Stundung insoweit zwingend vorgeschrieben (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG).1 Insoweit hat A seine Mitwirkungspflicht dadurch verletzt hat, dass er seinen Wegzug in die Schweiz dem vorgenannten Wohnsitzfinanzamt nicht innerhalb eines Monats mitgeteilt hat.2 Es handelt sich hierbei um den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes (§ 131 AO), sodass der Widerruf nur innerhalb eines Jahres nach Erlangung der Kenntnis des Widerrufsgrundes zulässig ist (§ 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 i.V.m. § 130 Abs. 3 AO).3

16.30

Für das vormalige Wohnsitzfinanzamt besteht die Möglichkeit des Widerrufs der Stundung wegen der versäumten Jahresfrist erst dann wieder, wenn A nachfolgend seiner Pflicht zur jährlichen Mitteilung seiner Anschrift (§ 6 Abs. 7 Sätze 4 und 5 AStG) nicht nachkommt oder einer der Widerrufsgründe des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG vorliegt, wobei freilich wiederum die Jahresfrist des § 131 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 130 Abs. 3 AO eingehalten werden muss.

16.31

Hätte A seinem vormaligen Wohnsitzfinanzamt (§ 19 AO) rechtzeitig den Wegzug in die Schweiz mitgeteilt (§ 6 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AStG), wäre das Finanzamt in der Lage gewesen, die Stundung zu widerrufen. Dass das Finanzamt nach der späteren tatsächlichen Kenntniserlangung die maßgebliche Jahresfrist des § 131 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 130 Abs. 3 AO versäumt hat mit der Folge, dass der Widerruf insoweit ausgeschlossen war, spielt keine Rolle. Damit ist davon auszugehen, dass aufgrund der von Gesetzes wegen gebotenen Mitteilung des A der Widerruf der Stundung rechtzeitig erfolgt wäre.4 Dadurch, dass A aufgrund seiner unterlassenen Mitteilung den (rechtzeitigen) Widerruf der Stundung vereitelt hat, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt.5

16.32

Den Umständen entsprechend kann auch davon ausgegangen werden, dass der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist, jedenfalls dann, wenn im Rahmen der gewährten Stundung seitens des Finanzamts ausdrücklich auf die Mitteilungspflichten hingewiesen wurde.

16.33

Der Wohnsitzwechsel von einem ausländischen EU-/EWR-Staat in einen Drittstatt löst auch im Gefolge steuerneutraler Umwandlungen eine ganz- oder teilweise Nachversteuerung aus. Da hier insoweit keine Mitteilungspflichten wegziehender Personen bestehen, ist eine Steu-

16.34

1 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 568. 2 Vgl. § 6 Abs. 7 Sätze 1 und 2, Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG, s. den Vordruck abgedruckt bei Häck in F/W/B/S, § 6 AStG hinter Rz. 800. 3 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 566. 4 Hierzu Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 89. 5 Nicht gerechtfertigter Steuervorteil durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).

Schaumburg/Häck | 819

Kap. 16 Rz. 16.34 | Ertragsteuerrecht

erhinterziehung in derartigen Wegzugsfällen in aller Regel auch dann nicht gegeben, wenn die Finanzverwaltung hiervon (zunächst) keine Kenntnis hat. Beispiel: A, französischer Staatsbürger und in Frankreich ansässig, ist Einzelunternehmer und unterhält in Deutschland eine Betriebsstätte, die als Betrieb i.S.d. § 20 Abs. 1 UmwStG zu qualifizieren ist. Er bringt seinen Betrieb im Wege der Sachgründung in die A-GmbH zu Buchwerten ein. Die entsprechenden Steuerbescheide ergehen erklärungsgemäß. Er erbringt jeweils zum 31.5.des Jahres gegenüber dem zum Zeitpunkt der Einbringung zuständigen Finanzamt1 den Nachweis, dass ihm die GmbHAnteile zuzurechnen sind (§ 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). In der Zwischenzeit, d.h. zwei Jahre nach der Einbringung verlegt er seinen Wohnsitz von Frankreich in die Schweiz, ohne hiervon der deutschen Finanzverwaltung Mitteilung zu machen. Weitere zwei Jahre später erhält das für die A-GmbH zuständige Finanzamt Kenntnis davon, dass der einbringende Gesellschafter A seinen Wohnsitz verlegt hat.

16.35

Die ursprüngliche Einbringung seines Betriebs durch A unterlag dem Regelungsbereich des UmwStG u.a. nur deshalb, weil A zum Zeitpunkt der Einbringung in Frankreich ansässig war (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. b UmwStG). Im Übrigen wurde die Steuerneutralität der Einbringung dadurch ermöglicht, dass die deutsche Besteuerung für die Gewinne aus der Veräußerung des von A eingebrachten Betriebsvermögens seitens der AGmbH nicht eingeschränkt war (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG). Durch den Wegzug in die Schweiz ist das durch § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. b UmwStG vorausgesetzte Erfordernis der EU-/EWR-Ansässigkeit im Nachhinein weggefallen mit der Folge, dass hierdurch die Besteuerung eines sog. Einbringungsgewinns I ausgelöst wird (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG). Das bedeutet, dass dieser Einbringungsgewinn I, der innerhalb von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitraum ganz oder teilweise anzusetzen ist, rückwirkend auf den Zeitpunkt der Einbringung der Besteuerung zu unterwerfen ist. Einbringungsgewinn I ist danach der Betrag, um den der gemeine Wert des eingebrachten Betriebsvermögens im Einbringungszeitpunkt abzüglich Veräußerungskosten den von der A-GmbH angesetzten Buchwert übersteigt, vermindert um jeweils ein Siebtel für jedes seit dem Einbringungszeitpunk abgelaufene Zeitjahr (§ 22 Abs. 1 Satz 3 UmwStG). Da das Finanzamt erst nach zwei Jahren von dem Wegzug Kenntnis erlangt hat, ist der entsprechende Einkommenund Gewerbesteuermessbescheid (Gewerbesteuerbescheid) mit erheblicher Verspätung ergangen.

16.36

Hätte A dem zuständigen Finanzamt über seinen Wegzug frühzeitig Mitteilung gemacht, wäre die Steuerfestsetzung zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt. Indessen ergibt sich für A als Einbringenden keine konkrete sich aus dem UmwStG ergebende Mitteilungspflicht hinsichtlich des Wegzuges. § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwStG enthält lediglich eine Nachweispflicht betreffend die Zurechnung der Anteile selbst.2 Es ist daher Aufgabe der Finanzbehörden den Verlust der Ansässigkeitsvoraussetzungen i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG zu überwachen und festzustellen.3 A war auch nicht verpflichtet, die im Einbringungsjahr abgegebenen Steuererklärungen zu berichtigen (§ 153 Abs. 1 AO). Dies deshalb nicht, weil sie seinerzeit richtig waren.4 Da somit A keine Pflichtverletzung trifft, ist von vornherein schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. 1 Vgl. zur Zuständigkeit BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE), Rz. 22.29 S. 3. 2 Hierzu Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 85 f.; Dettmeier/Prodan, Ubg 2019, 562. 3 Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 51; Stangl in R/H/vL3, § 22 UmwStG Rz. 417. 4 Steuererklärungen werden nicht dadurch unrichtig, dass sich nach ihrer Abgabe die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ändern; vgl. hierzu Seer in T/K, § 153 AO Rz. 8.

820 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.38 Kap. 16

c) Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes Auch bei Aufgabe eines inländischen Wohnsitzes verbleibt es nicht selten bei einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, insbesondere in den Fällen, in denen trotz Wegzugs unverändert im Inland etwa einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen wird. Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nämlich dort, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO). Auf einen entsprechenden Willen des Steuerpflichtigen kommt es nicht an.1 Als gewöhnlicher Aufenthalt im Inland ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen (§ 9 Satz 2 AO). Kurzfristige Unterbrechungen, etwa zu Urlaubszwecken, bleiben unberücksichtigt mit der Folge, dass sie einerseits nicht zu einer Neuberechnung der Sechs-Monats-Frist führen und andererseits bei der Berechnung nicht mit einzubeziehen sind.2 Die Sechs-Monats-Frist3 muss nicht zur Gänze in ein Kalenderjahr fallen.4

16.37

Beispiel: A, deutsche Staatsangehörige, ist Filmschauspielerin, die vor einigen Jahren ihren Wohnsitz vom Inland in die Schweiz verlegt hat. Aufgrund eines mit einem deutschen Fernsehsender abgeschlossenen mehrjährigen Vertrages produziert sie seitdem regelmäßig Fernsehfilme im Inland. Während der Produktionswochen reist sie in der Regel montags an und kehrt donnerstagabends in die Schweiz zurück. Vertraglich vereinbarte Produktionspausen wurden eingelegt während der Osterund Pfingstfeiertage von jeweils einer Woche, im Sommer von sechs Wochen und um die Weihnachtszeit von zwei Wochen. A hat während der Produktionswochen in ein und demselben Hotel wechselnde Hotelzimmer gebucht, wobei sie während der Anwesenheitszeiten stets „aus dem Koffer“ lebte. A hat nach ihrem Wegzug in die Schweiz in Deutschland keine Steuererklärungen abgegeben. Von dem ihr in monatlichen Abständen ausgezahlten Honorar wurde seitens der Fernsehanstalt eine Quellensteuer in Höhe von 15 % einbehalten. Darüber hinaus unterhält A bei einer inländischen Bank größere Festgeldguthaben, aus denen sie Zinsen bezog. Im Rahmen einer bei der Fernsehanstalt durchgeführten Quellensteuerprüfung5 ergeben sich Anhaltspunkte für einen gewöhnlichen Aufenthalt der A im Inland. Dementsprechend wird dem zuständigen Wohnsitzfinanzamt6 Mitteilung gemacht. Daraufhin wird gegen A ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Entsprechend der Vorgehensweise in der Praxis ist darauf abzustellen, ob ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten gegeben ist (§ 9 Satz 2 AO). Die Frist, bei deren Berechnung kurzfristige Unterbrechungen nicht mitgerechnet werden, muss nicht innerhalb eines Kalenderjahres bzw. Veranlagungszeitraums überschritten werden.7 Ob kurzfristige Unterbrechungen unberücksichtigt bleiben (§ 9 Satz 2 Halbs. 2 AO) hängt davon ab, ob der Aufenthalt trotz der Unterbrechung nach den objektiven Umständen, etwa wegen der Fortdauer des Anlasses für den Aufenthalt, noch als zusammenhängend angesehen werden kann.8 Daher sind etwa Familienheimfahrten und urlaubsbedingte Abwesenheiten unbeacht1 2 3 4 5 6

Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 2; vgl. auch oben Rz. 14.12. BFH v. 22.6.2001 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001; Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 11. Berechnung nach §§ 187 ff. BGB. BFH v. 19.8.1981 – I R 51/78, BStBl. II 1982, 452; Deppe, StuW 1982, 332 ff. Vgl. § 73d Abs. 2 EStDV. Das ist das Finanzamt, in dessen Bezirk sich der gewöhnliche Aufenthalt befindet (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO). 7 BFH v. 19.8.1981 – I R 51/78, BStBl. II 1982, 452; BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001; Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 12. 8 BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001.

Schaumburg/Häck | 821

16.38

Kap. 16 Rz. 16.38 | Ertragsteuerrecht

lich, und zwar auch dann, wenn die Unterbrechung mehr als zwei oder drei Wochen andauert.1 Da A sich im Inland nur für einen einzigen Zweck – der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen zur Produktion von Fernsehfilmen im Inland – aufgehalten hat, handelt es sich um einen einheitlich zu betrachtenden Aufenthalt mit der Folge, dass die Zeiten der Abwesenheit an den Wochenenden sowie während der Produktionspausen mit einzubeziehen sind. Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass die sechswöchige Sommerpause keine kurzfristige Unterbrechung mehr darstellt, ist die Sechsmonatsfrist gleichwohl erfüllt, weil diese dann von Sommerpause zu Sommerpause kalenderjahrübergreifend zu berechnen ist.2

16.39

Als Folge ergibt sich, dass A in den betreffenden Jahren auch nach dem Wegzug in die Schweiz aufgrund des gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland unbeschränkt steuerpflichtig geblieben ist. Wegen ihres Wohnsitzes im Sinne einer ständigen Wohnstätte in der Schweiz gilt sie dort allerdings als ansässig (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Schweiz). Deutschland kann gleichwohl ungeachtet der abkommensrechtlichen Schranken die Besteuerung durchführen, falls A ihren gewöhnlichen Aufenthalt von mindestens sechs Monaten im Kalenderjahr im Inland gehabt hat (Art. 4 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz).3 Da hier auch die vertraglich vereinbarte Sommerpause eine nicht mitzurechnende „kurzfristige Unterbrechung“ ist, können die von A erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit sowie die Einkünfte aus Kapitalvermögen (Zinsen) im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht erfasst werden. Im Hinblick darauf hätte A in den betreffenden Jahren Steuererklärungen für unbeschränkt Steuerpflichtige abgeben müssen. Da dies nicht geschehen ist, wurden die Honorare aus künstlerischer Tätigkeit bislang lediglich der beschränkten Steuerpflicht unterworfen, wobei die Einkommensteuer durch Einbehaltung einer Quellensteuer in Höhe von 15% abgegolten wurde (§ 49 Abs. 1 Nr. 3, § 50 Abs. 2 Satz 1, § 50a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG). Die Zinsen aus dem Inländischen Festgeldkonto wurden demgegenüber im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht erfasst (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG). Damit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Aufgrund der Umstände wird indessen ein Vorsatz kaum nachzuweisen sein. Dies gilt jedenfalls hinsichtlich der Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit. Sollten allerdings die Ermittlungen ergeben, dass A in der Schweiz mit ihren Einkünften einer niedrigen Besteuerung oder einer Vorzugsbesteuerung unterlag, hätten die Zinsen im Rahmen der sog. erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 AStG) als nicht ausländische Einkünfte der Einkommensteuer unterworfen werden müssen, ohne dass dem abkommensrechtliche Schranken entgegengestanden hätten (vgl. Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz). Aber auch hier wird die Bejahung des subjektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung eher zweifelhaft sein. d) Aufgabe der Ansässigkeit im Inland

16.40

Ist eine natürliche Person in zwei Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig, etwa aufgrund eines dortigen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, beurteilt sich abkommensrechtlich die Ansässigkeit, die immer nur in einem oder dem anderen Staat sein kann, nach der in Art. 4 Abs. 2 OECD-MA verankerten sog. Tie-Breaker-Rule. Hiernach sind nacheinander folgende Kriterien für die Bestimmung der Ansässigkeit maßgeblich: ständige Wohnstätte, 1 BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001; Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 11; Gosch in Kirchhof19, § 1 EStG Rz. 8; a.A. Kratzsch in Schwarz/Pahlke, § 9 AO Rz. 9, wonach von einer kurzfristigen Unterbrechung bei einer Dauer von mehr als zwei bis drei Wochen nicht mehr gesprochen werden könne. 2 BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001. 3 Sog. überdachende Besteuerung, vgl. Hamminger in Wassermeyer, DBA, Art. 4 DBA-Schweiz Rz. 101.

822 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.43 Kap. 16

Mittelpunkt der Lebensinteressen, gewöhnlicher Aufenthalt, Staatsangehörigkeit, gegenseitiges Einvernehmen.1 Die Ansässigkeit hat nicht nur Bedeutung für die Abkommensberechtigung einer Person, sie dient auch als Anknüpfungspunkt für die Besteuerung im Wohnsitzstaat in Abgrenzung gegen die Besteuerung im Quellenstaat. Nach der Grundkonzeption der DBA wenden sich dessen Schrankenwirkungen nämlich zum einen gegen den Quellenstaat und zum anderen gegen den Wohnsitzstaat. Die den Quellenstaat betreffenden Abkommensvorschriften führen zu einer Umgrenzung der Quellenstaatsbesteuerung, wonach entweder die Besteuerung im Quellenstaat voll aufrechterhalten bleibt,2 dem Grunde3 oder der Höhe nach eingeschränkt4 oder aber gänzlich aufgehoben5 wird. Die den Wohnsitzstaat betreffenden Vorschriften regeln sodann, auf welche Weise der Wohnsitzstaat die (verbleibende) Doppelbesteuerung auszugleichen hat.6

16.41

Beispiel: A, deutscher Staatsangehöriger, hat außerhalb seiner gewerblichen bzw. beruflichen Tätigkeit eine Zufallserfindung gemacht, die er an ein inländisches Unternehmen zwecks Vermarktung gegen eine jährlich zu zahlende Lizenzgebühr überlässt. A hat eine Wohnung im Inland. Wegen anderweitiger beruflicher Tätigkeiten nimmt er sich zusätzlich noch eine Wohnung in Österreich, in der er sich ganz überwiegend aufhält. Nach dreijähriger Tätigkeit in Österreich wird er nunmehr in der Schweiz als Angestellter bei einem großen Unternehmen tätig. Er gibt die Wohnung in Österreich auf und lebt fortan in der Schweiz. In der Wohnung in Deutschland hält er sich unverändert nur selten auf. A hat die deutsche Finanzverwaltung zwar über die Begründung einer Wohnung in Österreich, nicht aber über seinen Wegzug von dort in die Schweiz informiert. Das zuständige Wohnsitzfinanzamt hat A bislang als in Österreich ansässig angesehen.

Aufgrund der Ansässigkeit in Österreich7 sind die Lizenzeinkünfte des A im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht nach Maßgabe von Art. 12 Abs. 1 DBA-Österreich von deutscher Einkommensteuer freigestellt worden. Die Begründung der Ansässigkeit in Österreich hat in Deutschland zu keiner nur für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens geltenden Entstrickungsbesteuerung geführt (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 16 Abs. 3a EStG). Es handelte sich nämlich um eine Zufallserfindung, die Privatvermögen darstellt und bei ihm zu Einkünften aus zeitlich begrenzter Überlassung von Rechten (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) führt.8

16.42

Der Wegzug von Österreich in die Schweiz ändert nichts daran, dass A in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig bleibt. Allerdings gilt er nunmehr als in der Schweiz ansässig, weil er dort eine ständige Wohnstätte unterhält und dort jedenfalls den Mittelpunkt der Lebensinteressen hat (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Schweiz). Gleichwohl darf Deutsch-

16.43

1 Hierzu Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 51 ff.; Pohl in S/D, DBA2, Art. 4 OECD-MA Rz. 61 ff.; Kaminski in S/K/K, Art. 4 OECD-MA Rz. 35 ff.; ferner Rz. 16.251 ff. 2 So das für die Besteuerung unbeweglichen Vermögens geltende Belegenheitsprinzip (Art. 6 Abs. 1 OECD-MA). 3 So das für die Unternehmensgewinne geltende Betriebsstättenprinzip (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECDMA). 4 So etwa die Steuersatzbegrenzung für auf Dividenden und Zinsen erhobene Quellensteuern (Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2 OECD-MA). 5 So etwa für Lizenzgebühren (Art. 12 Abs. 1 OECD-MA). 6 Entweder durch Steueranrechnung oder durch Steuerfreistellung (Art. 23a, 23b OECD-MA). 7 A unterhält dort eine ständige Wohnstätte (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Österreich). 8 Vgl. BFH v. 18.6.1998 – IV R 29/97, BStBl. II 1998, 567; BFH v. 23.4.2003 – IX R 57/99, BFH/NV 2003, 1311.

Schaumburg/Häck | 823

Kap. 16 Rz. 16.43 | Ertragsteuerrecht

land die Besteuerung ungeachtet der abkommensrechtlichen Bestimmungen durchführen (Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz).1 Das bedeutet, dass die Lizenzeinkünfte in Deutschland nunmehr der Steuerpflicht zu unterwerfen sind, wobei allerdings die von A für die Lizenzeinkünfte in der Schweiz entrichtete Steuer zur Anrechnung kommt (Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz).

16.44

Im Rahmen der von A in Deutschland abgegebenen Einkommensteuererklärungen hätte A angeben müssen, dass er nunmehr in der Schweiz ansässig ist. Das für ihn zuständige Finanzamt (§ 19 AO) hätte sodann die Lizenzeinkünfte nicht freigestellt, sondern unter Anrechnung der Steuern in der Schweiz der Besteuerung unterworfen. Im Hinblick darauf hat A den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt, wobei bei der Frage, welcher Steuerbetrag verkürzt worden ist, die in der Schweiz gezahlten anrechenbaren Steuern zu berücksichtigen sind.2 Ob der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist, wird im Hinblick auf die in anderen Doppelbesteuerungsabkommen unbekannte Sondervorschrift des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz mehr als zweifelhaft sein.

II. Wegzug von Kapitalgesellschaften Literatur: Kommentare zu §§ 11, 12 Abs. 1, 3 KStG; Blumenberg, Steuerfragen im Zusammenhang mit der Sitzverlegung der Europäischen Gesellschaft, in FS Schaumburg, Köln 2009, 559; Breuninger, Die „Zentralfunktion des Stammhauses“ bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, in FS Schaumburg, Köln 2009, 587; Brinkmann/Reiter, National Grid Indus: Auswirkungen auf die deutsche Entstrickungsbesteuerung, DB 2012, 16; Eickmann/Stein, Die Wegzugsbesteuerung von Kapitalgesellschaften nach dem SEStEG, DStZ 2007, 723; Eismayr/Linn, Steuerliche Aspekte des Wegzugs von Kapitalgesellschaften, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 471 ff.; Hey, Personalstatut und Steuerrecht, DK 2004, 577; Hofmeister, Sind die Rechtsfolgen des § 12 Abs. 1 KStG mit Art. 43, 48 EG-Vertrag vereinbar?, in FS Wassermeyer, München 2005, 437; Kessler/Huck/Obser/Schmalz, Wegzug von Kapitalgesellschaften, DStZ 2004, 813; Kessler/Philipp, Rechtssache National Grid Indus BV – Ende oder Bestätigung der Entstrickungsbesteuerung?, DStR 2012, 267; Köhler, Der Wegzug von Unternehmen und Unternehmensteilen in die EU, in FS Schaumburg, Köln 2009, 813; von der Laage, Besteuerungsbedürfnis versus Europarechtskonformität beim Wegzug einer Europäischen Aktiengesellschaft, StuW 2012, 182; Möller-Gosoge/Kaiser, Die deutsche EXIT-Besteuerung bei Wegzug von Unternehmens ins Ausland, BB 2012, 803; Rautenstrauch/Seitz, National Grid Indus: Europarechtliche Implikationen für den Wegzug und die internationale Umwandlung von Gesellschaften, Ubg 2012, 14; Rödder, Steuerorientierte Überlegungen beim Wegzug und Zuzug von Unternehmen, Ubg 2009, 597; Schaumburg, Zuzug und Wegzug von Kapitalgesellschaften im Steuerrecht, in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, Köln 2005, 403; Schaumburg, Der Wegzug von Unternehmen, in FS Wassermeyer, München 2005, 411; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 7.43 ff.; Schnittker/Pitzal, Wegzug und Zuzug, in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2013, Rz. 10.1 ff.; Thömmes, Zulässigkeit einer identitätswahrenden Sitzverlegung von Gesellschaften in der EU, IWB 2012, 571; Thömmes/Linn, Verzinsung und Sicherheitsleistung bei aufgeschobener Fälligkeit von Steuern im Wegzugsfall, IStR 2012, 282; Wassermeyer, Die bilanzielle Behandlung der Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und nach § 12 Abs. 1 KStG, DB 2008, 430.

1. Überblick 16.45

Der Wegzug von Kapitalgesellschaften führt zum Ausscheiden aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht, wenn im Inland weder ein Sitz (§ 11 AO) noch eine Geschäftsleitung 1 Sog. überdachende Besteuerung; vgl. Hamminger in Wassermeyer, DBA, Art. 4 DBA-Schweiz Rz. 101. 2 Das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht; vgl. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 105; Rolletschke, wistra 2006, 471 ff. (472).

824 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.46 Kap. 16

(§ 10 AO) zurückbleibt. Werden nach dem Wegzug keine Inlandseinkünfte erzielt, scheidet auch eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG) aus. Soweit trotz Wegzugs eine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten bleibt, etwa wegen eines zurückbleibenden Satzungssitzes, hängt die Reichweite der Besteuerung in Abkommensfällen davon ab, ob Deutschland oder der andere Staat (Zuzugsstaat) als Ansässigkeitsstaat (Wohnsitzstaat) gilt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA)1. Ein Wegzug im Sinne der Verlegung des Satzungssitzes und des Ortes der Geschäftsleitung ist zwar nach derzeit geltendem nationalen Recht als identitätswahrender Wegzug nur bei der SE (Art. 8 Abs. 1 SE-VO)2 und der SCE (Art. 7 Abs. 1 SCE-VO)3 vorgesehen,4 aufgrund der Rechtsprechung des EuGH und der diesem folgenden Rechtspraxis aber auch in Fällen des sog. grenzüberschreitenden Formwechsels möglich.5 In allen anderen Fällen kommt in dem hier interessierenden Zusammenhang nur der Wegzug einer Kapitalgesellschaft durch Verlegung der Geschäftsleitung in Betracht. Hinsichtlich der laufenden Besteuerung ist daher in Wegzugsfällen wie folgt zu unterscheiden (vgl. zu Einzelheiten Rz. 14.58 ff.): – Beendigung der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht durch Aufgabe des inländischen Satzungssitzes und der inländischen Geschäftsleitung einer SE, SCE oder – in Fällen des grenzüberschreitenden Formwechsels – sonstiger Kapitalgesellschaften mit der Folge, dass fortan nur noch inländische Einkünfte der Körperschaftsteuer unterliegen (§ 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) und eine Gewerbesteuer nur anfällt, soweit im Inland eine Betriebsstätte verbleibt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG); – Beendigung der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft durch Verlegung der Geschäftsleitung in das Ausland mit der Folge, dass fortan nur noch inländische Einkünfte der Körperschaftsteuer unterliegen (§ 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) und eine Gewerbesteuer nur anfällt, soweit im Inland eine Betriebsstätte verbleibt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG); – Begründung der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht im Ausland unter Aufrechterhaltung der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht im Inland dadurch, dass hier der Satzungssitz verbleibt mit der Folge, dass in Abkommensfällen Deutschland lediglich als Quellenstaat gilt. Soweit trotz Wegzugs eine unbeschränkte oder beschränkte Körperschaftsteuerpflicht im Inland aufrechterhalten bleibt, sind hiergegen die Schrankenwirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet. Hiernach hat Deutschland, soweit hier der Satzungssitz belegen ist, als Quellenstaat nur eine eingeschränkte Besteuerungsbefugnis. In den Fällen, in denen keine Doppelbesteuerungsabkommen eingreifen, hat Deutschland im Rahmen der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung auf ausländische Einkünfte entfallene ausländische Steuern zur Anrechnung zu bringen (§ 26 Abs. 1, 6

Zu Einzelheiten Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.209 f. Societas Europea = Europäische Aktiengesellschaft = Europa-AG. Societas Cooperativa Europea = Europäische Genossenschaft. Sitz und Hauptverwaltung müssen allerdings in ein und demselben Mitgliedstaat liegen (Art. 7 SE-VO, Art. 6 SCE-VO). 5 S. ausf. Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.101ff. Die MobilRL (Richtlinie [EU] 2019/2121, ABl. EU 2019 Nr. L 321, 1) sieht nun normative Regeln auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel vor (dazu Bayer/Schmidt BB 2019, 1922 [1925 ff.]). Die Mitgliedstaaten haben entsprechende Regelungen bis zum 23.1.2023 umzusetzen. 1 2 3 4

Schaumburg/Häck | 825

16.46

Kap. 16 Rz. 16.46 | Ertragsteuerrecht

KStG). Entsprechendes gilt bei sog. Dreiecksfällen im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht (§ 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 50 Abs. 3 EStG).

16.47

Der Wegzug hat nicht nur Folgen hinsichtlich der laufenden Besteuerung. Denn das Ausscheiden aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht oder der Wechsel zur abkommensrechtlichen Ansässigkeit im anderen Staat kann zu einem Ausschluss oder zu einer Beschränkung1 des deutschen Besteuerungsrechts führen. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen keine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten bleibt. Damit in derartigen Fällen etwaige während der Zeit der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht im Inland im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern gebildete stille Reserven der deutschen Besteuerung nicht entzogen werden, enthält § 12 Abs. 1, 3 KStG eine besondere Entstrickungsbesteuerung, die auf eine teilweise oder vollständige Realisierung der im Betriebsvermögen gebundenen stillen Reserven gerichtet ist, wobei in § 12 Abs. 1 KStG2 die teilweise und in § 12 Abs. 3 KStG die vollständige Gewinnrealisierung verankert ist. Hiernach ist wie folgt zu unterscheiden: – § 12 Abs. 1 KStG betrifft den Wegzug in einen EU-/EWR-Staat ohne Rücksicht darauf, ob eine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht im Inland aufrechterhalten bleibt und in einen Drittstaat, aber nur, wenn die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht hierdurch nicht entfällt. – § 12 Abs. 3 KStG betrifft den Wegzug in einen Drittstaat bei Aufgabe der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht oder der EU/EWR-Ansässigkeit im Sinne des Abkommensrechts.

16.48

Soweit § 12 Abs. 1 KStG eingreift, erfolgt auf Gesellschaftsebene eine wirtschaftsgutbezogene Gewinnrealisierung (Entstrickung): Wird wegzugsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt, gilt dies als Veräußerung oder Überlassung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert. Eine derartige Entstrickung erfolgt daher nicht, soweit Wirtschaftsgüter unverändert dem inländischen Betriebsstättenvermögen der wegziehenden Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind. Hierbei spielt es keine Rolle, ob ein DBA eingreift oder nicht. Eine Entstrickung unterbleibt ebenfalls, soweit Wirtschaftsgüter einem ausländischen Betriebsstättenvermögen zuzuordnen sind, und diese bereits vor dem Wegzug abkommensrechtlich durch Anwendung der Freistellungsmethode der deutschen Besteuerung entzogen waren.3 In den übrigen Fällen, also etwa dann, wenn überhaupt kein DBA eingreift oder vor dem Wegzug die Doppelbesteuerung durch Anrechnung vermieden wurde,4 entfällt das deutsche Besteuerungsrecht durch den Wegzug. Das gilt nicht nur in den Fällen, in denen die wegziehende Kapitalgesellschaft aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht ausscheidet, sondern auch dann, wenn wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht zwar aufrechterhalten bleibt, die abkommensrechtliche Ansässigkeit aber in den anderen Staat wechselt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA).5 1 Z.B. infolge Anrechnung ausländischer Steuern. 2 § 12 Abs. 1 KStG soll geändert und durch einen neuen Abs. 1a ergänzt werden (Art. 2 des ATADUmsG-E idF des RefE v. 24.3.2020). 3 In der deutschen Abkommenspraxis wird die Doppelbesteuerung von Betriebsstättengewinnen grundsätzlich durch Steuerfreistellung vermieden; hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L6, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 4 Insbesondere aufgrund bilateraler Aktivitätsklauseln oder wegen § 20 Abs. 2 AStG oder § 50d Abs. 9 EStG. 5 Zu Einzelheiten Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.209f.

826 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.51 Kap. 16

Die aufgrund der Anwendung des § 12 Abs. 1 KStG entstehende Gewinnrealisierung unterliegt uneingeschränkt der Körperschaft- und Gewerbesteuer. Wird allerdings die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland aufrechterhalten, kann die in § 4g EStG vorgesehene über fünf Jahre gestreckte Besteuerung in Anspruch genommen werden, soweit es sich um Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens handelt (§ 12 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4g EStG).

16.49

In den Fällen des § 12 Abs. 3 KStG erfolgt im Rahmen einer Liquidationsbesteuerung eine vollständige Realisation aller stiller Reserven. Im Wesentlichen ist der Fall betroffen, in dem eine Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat wegzieht und hierdurch aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht ausscheidet (§ 12 Abs. 3 Satz 1 KStG). Gleiches gilt, wenn die Kapitalgesellschaft aufgrund von Abkommensrecht nach dem Wegzug als nicht mehr im Inland oder in einem anderen EU-/EWR-Staat als ansässig anzusehen ist (Art. 12 Abs. 3 Satz 2 KStG i.V.m. Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Wegzugsbedingt werden somit etwa während der Zeit der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht bis zum Wegzug gebildete stille Reserven einer Schlussbesteuerung zugeführt (§ 11 KStG). Da die Verlegung des Satzungssitzes einer Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat nach nationalem Recht rechtstechnisch (noch) nicht möglich ist,1 kommt in dem hier interessierenden Zusammenhang allein die Verlegung der Geschäftsleitung einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat in Betracht. Die vollständige Realisierung aller stillen Reserven erfolgt auch dann, wenn nach dem Wegzug eine inländische Betriebsstätte verbleibt, obwohl die in diesem Betriebsstättenvermögen enthaltenen stillen Reserven auch zukünftig im Inland steuerverhaftet bleiben2.

16.50

2. Pflichtenkreis Der Wegzug, insbesondere also die Verlegung der Geschäftsleitung in das Ausland, ist seitens der wegziehenden Kapitalgesellschaft gleichermaßen dem zuständigen Finanzamt und der Gemeinde anzuzeigen (§ 137 AO). Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob etwa durch Verlegung der Geschäftsleitung in das Ausland die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht wegfällt oder erhalten bleibt. Zugleich hat die wegziehende Kapitalgesellschaft gegenüber der zuständigen Gemeinde die Verlegung der Geschäftsleitung innerhalb eines Monats mitzuteilen (§ 138 Abs. 1 Satz 4 AO). Darüber hinaus hat die wegziehende Kapitalgesellschaft die Pflicht, das wegzugsbedingte neue Auslandsengagement dem zuständigen Finanzamt anzuzeigen (§ 138 Abs. 2 AO). Das gilt auch für den Fall, dass ein Betrieb oder eine Betriebsstätte im Zuge des Wegzugs vom In- in das Ausland verlegt wird.3 Die Mitteilungen sind innerhalb der Fristen i. S.d. § 138 Abs. 4, 5 AO zu erstatten. Wer vorsätzlich oder leichtfertig der vorgenannten Anzeigepflicht i.S.d. § 138 Abs. 2 Satz 1 AO nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nach1 OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915; anders allerdings OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349. 2 Hier ist eine teleologische Reduktion dahingehend geboten, dass eine Schlussbesteuerung gem. § 12 Abs. 3 KStG nur für den Fall erfolgt, dass eine künftige Besteuerung der stillen Reserven auch im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht nicht gewährleistet ist; andernfalls ist eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung gegeben; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.59; im Ergebnis ebenso Pfirrmann in Blümich, § 12 KStG Rz. 100 f.; von Freeden in R/H/N, § 12 KStG Rz. 132; Hey in Tipke/Lang23, § 11 Rz. 104; Blumenberg/Lechner, BB 2006, 25 (32); Eickmann/Stein, DStR 2007, 723 (725); Prinz, JbFSt 2007/2008, 416. 3 Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 6a; Schallmoser in H/H/Sp, § 138 AO Rz. 36; Grotherr in Gosch, § 138 AO Rz. 23; Dißars, Stbg 2009, 453 ff (454).

Schaumburg/Häck | 827

16.51

Kap. 16 Rz. 16.51 | Ertragsteuerrecht

kommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO),1 die vorbehaltlich des § 378 AO mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro geahndet werden kann. Betroffen sind hierdurch insbesondere die gesetzlichen Vertreter (Vorstände, Geschäftsführer), die in erster Linie Adressaten der sich aus § 138 AO ergebenden Verpflichtung sind.

3. Pflichtverletzungen 16.52

Im Zusammenhang mit dem Wegzug von Kapitalgesellschaften in das Ausland betreffen die Probleme mit strafrechtlicher Relevanz in erster Linie die Frage, ob im Inland tatsächlich eine Geschäftsleitung aufgegeben worden ist oder nicht. Diese Frage lässt sich nur selten mit Sicherheit beantworten. Dies deshalb, weil in der Praxis zumeist Geschäftsführungsmaßnahmen sowohl vom Inland als auch vom Ausland aus erfolgen. Der Wegzug einer Kapitalgesellschaft wird daher gegenüber dem Finanzamt im Rahmen der Abgabe von Steuererklärungen überhaupt nur dann bekannt, wenn der Satzungssitz in das Ausland verlegt wird, was aus rechtstechnischen Gründen aber nur, dann aber auch zugleich mit der Verlegung der Geschäftsleitung, bei einer SE, einer SCE oder im Rahmen eines sog. grenzüberschreitenden Formwechsels möglich ist (hierzu s. Rz. 14.49). a) Verlegung der Geschäftsleitung in das Ausland

16.53

Gem. § 10 AO ist der Ort der Geschäftsleitung dort, wo sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet, also dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird.2 Ist die Geschäftsführung an mehreren Orten tätig, ist auf den Ort abzustellen, wo sich die in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet.3 Im Zweifel ist der Ort der kaufmännischen Leitung maßgeblich.4 Es besteht ein internationaler Konsens, als Ort der Geschäftsleitung den Ort anzusehen, an dem die Sitzungen des Vorstandes stattfinden. Ist dies in mehreren Staaten der Fall oder werden sie im Rahmen von Telefon-, Video- oder Internetkonferenzen durchgeführt, wird im Zweifel darauf abgestellt, wo die Mehrheit der Vorstände bzw. Geschäftsführer ihren Dienstsitz oder ihren Wohnsitz haben.5

16.54

Die bloße Ausübung von gesellschaftsrechtlichem Einfluss auf den Vorstand oder die Geschäftsführer hat auf den Ort der Geschäftsleitung zwar grundsätzlich keinen Einfluss,6 erstreckt sich diese Beeinflussung allerdings auf den täglichen Geschäftsablauf, wird also in die Tagesgeschäfte hineindirigiert, so verdichtet sie sich in eine Geschäftsführung. Aufgrund dieses Umstandes haben nach ausländischem Recht errichtete inländisch beherrschte Kapitalgesellschaften mitunter (ungewollt) den Ort der Geschäftsleitung im Inland. In der Praxis wird hierbei nicht selten versucht, durch entsprechende organisatorische Maßnahmen den Ort der Geschäftsleitung (wieder) in das Ausland zu verlegen.

1 Hierzu Gehm, NWB 2012, 1072 ff. 2 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622; vgl. auch oben Rz. 14.47. 3 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 4 BFH v. 3.8.1977 – I R 128/75, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 454. 5 Vgl. Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 267 m.w.N. 6 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175.

828 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.56 Kap. 16 Beispiel: A, deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz im Inland, hält seit Jahren alle Anteile einer auf Guernsey registrierten Kapitalgesellschaft (Ltd.). Die Gesellschaft erzielt Lizenzeinnahmen aus der Vergabe von geschützten Marken, die sie von dritter Seite erworben hat. Die Lizenznehmer sind ausnahmslos im Inland ansässig. Die Gesellschaft wird vertreten durch einen dort ansässigen Rechtsanwalt, der nur auf Anweisung von A tätig wird. A selbst steuert die gesamten Geschäfte von seinem Wohnsitz in Deutschland aus. A verlegt seinen Wohnsitz in die Schweiz, von wo er sodann nachfolgend die Geschäfte der Gesellschaft betreibt. In der Schweiz nimmt A eine Vorzugsbesteuerung in Anspruch. Die Gesellschaft, die in Guernsey keiner Körperschaftsteuer unterliegt, hat in allen Jahren keine Ausschüttungen getätigt. Im Inland hat A im Zusammenhang mit der Gesellschaft keinerlei Steuererklärungen abgegeben. In seiner eigenen Einkommensteuererklärung fehlen Hinweise auf seine Beteiligung an der Gesellschaft.

Da die Geschäfte der Gesellschaft in den Jahren vor seinem Wegzug in die Schweiz von seinem deutschen Wohnsitz aus gesteuert wurden, war der Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) während dieser Zeit in Deutschland1 mit der Folge, dass die Gesellschaft in allen Jahren im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig war (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) und zudem der Gewerbesteuer unterlag (§ 2 Abs. 1 GewStG). Der Sitz (§ 11 AO) dieser Gesellschaft auf Guernsey ändert an der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht nichts. Da mit Guernsey kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht und Guernsey selbst auch nicht in das Doppelbesteuerungsabkommen mit Großbritannien einbezogen ist,2 stellt sich auch nicht die Frage der abkommensrechtlichen Ansässigkeit. Damit gilt: Die Lizenzeinnahmen der Gesellschaft sind im Inland zur Körperschaft- und Gewerbesteuer heranzuziehen. Darüber hinaus unterliegen die Lizenzeinnahmen auch der Umsatzsteuer (§ 1 Nr. 1 UStG).3 Die Quellensteuern, die die inländischen Schuldner der Lizenzvergütungen in der Annahme einbehalten haben, bei der Gläubigerin handele es sich um eine beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft, können zwar nicht angerechnet werden, weil die betreffenden Lizenzeinkünfte keine inländischen Einkünfte sind,4 eine Erstattung der einbehaltenen Quellensteuer ist aber geboten.5 Die durch die Wohnsitzverlegung in die Schweiz verbundene Verlegung der Geschäftsleitung der Gesellschaft dorthin führt zu einem Ausscheiden aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Hierdurch wird eine Liquidationsbesteuerung (§ 12 Abs. 3, § 11 KStG) ausgelöst, in deren Rahmen6 insbesondere die in den Marken ruhenden stillen Reserven gewinnerhöhend zu realisieren sind.7

16.55

Im Hinblick darauf, dass die Gesellschaft den Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) im Inland hatte, sie mithin unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig war (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) und A nicht veranlasst hat, dass für sie im Inland Steuererklärungen abgegeben wurden,8 ist der ob-

16.56

1 2 3 4 5 6 7

Zur Wohnung als Ort der Geschäftsleitung BFH v. 13.7.2006 – IV R 25/05, BStBl. II 2006, 804. Vgl. hierzu Beckmann in Wassermeyer, DBA, Art. 3 Rz. 4 DBA-Großbritannien. Ort der sonstigen Leistung liegt im Inland (§ 3a Abs. 1, Abs. 4 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 UStG). Vgl. §§ 34c, 34d EStG. § 37 Abs. 2 AO; vgl. hierzu Frotscher in Frotscher/Geurts, § 50d EStG Rz. 29 ff. Zur Ermittlung des Verlegungsgewinns Kolbe in H/H/R, § 12 KStG Rz. 61 ff. Da es zu keiner Auskehrung des Vermögens kommt, schlagen die Rechtsfolgen des § 12 Abs. 3 KStG nicht auf die Gesellschafterebene durch, sodass § 17 Abs. 4 EStG insoweit nicht zur Anwendung kommt; Kessens in Schnitger/Fehrenbacher2, § 12 KStG Rz. 298 mit Hinweis auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG; Schaumburg in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, 40 ff. (427 ff.); a.A. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 513. 8 A ist als Verfügungsberechtigter i.S.d. § 35 AO anzusehen, weil er aufgrund seiner Stellung in der Lage war, „tatsächliche und rechtliche Rechtsverhältnisse herbeizuführen, die ihn dazu befähigen, rechtlich verbindlich die Pflichten des gesetzlichen Vertreters entweder selbst zu erfüllen oder durch die Bestellung der entsprechenden Organe erfüllen zu lassen“; BFH v. 16.3.1995 – VII R 20/ 89, BStBl. II 1991, 284; BFH v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591.

Schaumburg/Häck | 829

Kap. 16 Rz. 16.56 | Ertragsteuerrecht

jektive und nach Lage der Dinge auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Die Höhe der zugunsten der Gesellschaft hinterzogenen Steuern errechnet sich auf der Grundlage der Steuern, die auf die Lizenzeinkünfte sowie auf die wegzugsbedingte Liquidation der Gesellschaft entfallen, wobei die im Inland einbehaltenen und zu erstattenden Quellensteuern zu berücksichtigen sind.1

16.57

Der Wegzug von A in die Schweiz hat bei ihm selbst aber auch eine Wegzugsbesteuerung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG) ausgelöst. Hiernach ist der Unterschied zwischen den Anschaffungskosten der Anteile und deren gemeiner Wert zum Zeitpunkt des Wegzugs der Einkommensteuer im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a EStG) zu unterwerfen. Da nachfolgend auch der Ort der Geschäftsleitung der Gesellschaft in die Schweiz verlegt worden ist, könnte zudem auch die Entstrickungsvorschrift des § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG eingreifen, die im Grundsatz zwar vorrangig anzuwenden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AStG), wegen des zeitlichen Ablaufs hier aber erst dem Wegzug und damit § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG nachfolgt. Nach dem Wegzug unterliegt A der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG), in deren Rahmen die Lizenzeinkünfte der Gesellschaft, die passiv und niedrig besteuert sind (vgl. § 8 Abs. 1, 3 AStG),2 dem A zuzurechnen sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AStG). Im Ergebnis werden damit die Lizenzeinnahmen der Gesellschaft, die bei nunmehr bestehender beschränkter Steuerpflicht in Deutschland einer Quellensteuer in Höhe von 15% (§ 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 EStG) unterliegen, aufgrund der Zurechnung gem. § 5 AStG bei A der (höheren) individuellen Einkommensteuerbelastung unterworfen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 AStG), wobei jedoch zwecks Vermeidung einer Überbesteuerung die in Deutschland von den Lizenzeinnahmen einbehaltenen Quellensteuern zur Anrechnung kommen.3 Da A in der Schweiz eine Vorzugsbesteuerung in Anspruch nimmt, kann er die Schrankenwirkung des DBA-Schweiz nicht für sich beanspruchen (Art. 4 Abs. 6 DBA-Schweiz).

16.58

A hat in allen Jahren, obwohl er Verfügungsberechtigter (§ 35 AO) war, nicht dafür Sorge getragen, dass für die unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft Körperschaftsteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen abgegeben wurden. Hätte er sie abgegeben, wäre seitens der Finanzämter rechtzeitig Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer und seitens der Kommunalbehörden Gewerbesteuer erhoben worden.4 A hat auch zu seinen eigenen Gunsten den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung dadurch verwirklicht, dass er es unterlassen hat, im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht und der nach Wegzug erweitert beschränkten Steuerpflicht entsprechende Steuererklärungen sowie Feststellungserklärungen (§ 5 Abs. 3, § 18 AStG) abzugeben. Hätte er diese Steuererklärungen bei den zuständigen Finanzämtern eingereicht, wäre sowohl der im Rahmen der Wegzugsbesteuerung angefallene Vermögenszuwachs auf die Anteile an der Limited sowie die nach dem Wegzug dem A zuzurechnenden Lizenzeinkünfte der Limited steuerlich erfasst worden. Nach Lage der Dinge wird auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben sein.

1 Das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht; vgl. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 105; Rolletschke, wistra 2006, 471 ff. (472). 2 Das (bisherige) EU-/EWR-Privileg gilt für Guernsey nicht; da die Insel nicht zum Vereinigten Königreich und damit auch nicht zur Europäischen Union gehört; vgl. Art. 335 Abs. 5 Buchst. c AEUV; hierzu Jaeckel in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU/AEUV Art. 355 AEUV Rz. 23. 3 BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernr. 1 Rz. 5.1.1.3; zu weiteren Einzelheiten Kaiser in Haase3, § 5 AStG Rz. 52 ff. 4 Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB); vgl. BGH v. 26.5.1993 – 5 StR 134/93, wistra 1993, 222; OLG Saarbrücken v. 25.2.1999 – Ss 89/98 (130/98), Ss 89/98, wistra 1999, 276.

830 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.61 Kap. 16

b) Verlegung der Ansässigkeit in das Ausland Sind in Abkommensfällen juristische Personen und (ausnahmsweise) abkommensberechtigte Personengesellschaften in beiden Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig, etwa aufgrund des Sitzes oder des Orts der Geschäftsleitung, so ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung befindet (Art. 4 Abs. 3 OECDMA). Da die deutsche Rechtsprechung zu § 10 AO bei der Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung auf tatsächliche Verhältnisse abstellt, können diese Rechtsprechungsgrundsätze auch für den abkommensrechtlichen Begriff „Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung“ herangezogen werden.1 Der Ort der Geschäftsleitung befindet sich danach dort, wo der für die Geschäftsleitung maßgebende Wille tatsächlich gebildet wird; d.h., wo die geschäftsleitenden Anordnungen abgegeben, nicht aber dort, wo sie wirksam werden.2 Im Hinblick darauf, dass nur der eine oder der andere Staat Wohnsitzstaat sein kann, kommt für die tatsächliche Geschäftsleitung nur ein einziger Ort in Betracht.3

16.59

Wo sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung befindet, ist insbesondere bei nach deutschem Recht errichteten international tätigen Kapitalgesellschaften nicht immer ohne Weiteres feststellbar. Das gilt insbesondere dann, wenn für einzelne Sparten zuständige Vorstandsmitglieder in verschiedenen Staaten ansässig sind und von dort die betreffende Sparte, die auch einen Teilkonzern darstellen kann, grenzüberschreitend leiten. In diesen Fällen kommt es darauf an, wo die Sitzungen des Vorstandes stattfinden. Finden sie in mehreren Staaten (abwechselnd) statt, ist der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung dort, wo die meisten Vorstandssitzungen abgehalten werden. Diese Abgrenzung hilft allerdings dann nicht weiter, wenn die Vorstandssitzungen im Rahmen von Telefon-, Video- oder Internetkonferenzen durchgeführt werden. Hier wird im Zweifel darauf abgestellt, wo die Mehrheit der Vorstände bzw. Geschäftsführer ihren Dienstsitz oder ihren Wohnsitz haben.4 Da die Geschäftsleitung nicht nur durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführung, sondern auch durch nachgeordnete Führungsebenen ausgeübt wird, ist auch hierauf abzustellen.

16.60

Beispiel: Zur A-AG mit Sitz im Inland gehören verschiedene ausländische Tochterkapitalgesellschaften, die ausschließlich in Ländern ansässig sind, mit denen Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat. Die A-AG sowie ihre ausländischen Tochterkapitalgesellschaften stellen Produkte her, die in den jeweiligen Ländern auch vertrieben werden. Der Vorstand bestand bislang aus drei Personen, die im Inland am Sitz der A-AG tätig waren. Durch Erwerb einer auf dem gleichen Gebiet tätigen US-amerikanischen Kapitalgesellschaft wird der Vorstand der A-AG auf fünf Personen aufgestockt. Der Vorstandsvorsitzende, der zugleich für Forschung und Entwicklung zuständig ist, sowie der Finanzvorstand, der zugleich auch das Personalressort leitet, sind im Inland bei der A-AG tätig. Die drei übrigen Vorstandsmitglieder sind auch bei der US-amerikanischen Tochtergesellschaft tätig und leiten von dort weltweit den Vertrieb und die beiden wichtigsten Produktionssparten des Konzerns. Die Vorstandssitzungen werden per Videokonferenz abgehalten. Lediglich einmal im Jahr erfolgt eine Strategiesitzung des Vorstandes am Sitz der A-AG im Inland. Die dem Vorstand nachgeordnete Führungsebene arbeitet ganz überwiegend am Sitz der A-AG im Inland. In

16.61

1 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 265. 2 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 3.8.1977– III R 92/74, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 29.4.1987 – X R 16/81, BFH/NV 1988, 64; BFH v. 21.9.1989 – V R 55/84, BFH/NV 1990, 353; BFH v. 21.9.1989 – V R 32/88, BFH/ NV 1990, 688; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/ 97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 9.7.2003 – I R 4/02, BFH/NV 2004, 83. 3 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 265. 4 Vgl. Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 267 m.w.N.; ferner oben Rz. 14.47.

Schaumburg/Häck | 831

Kap. 16 Rz. 16.61 | Ertragsteuerrecht der deutschen Steuererklärung sind aus dem Umstand, dass drei Vorstandsmitglieder in den USA tätig sind, keine steuerlichen Folgerungen gezogen worden. Im Hinblick darauf wird gegen alle Vorstandsmitglieder ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

16.62

Da die A-AG im Inland den Satzungssitz (§ 11 AO) unterhält, ist sie hier unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Nach Abwägung aller für den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung maßgeblichen Umstände ist davon auszugehen, dass auch nach dem Erwerb der US-amerikanischen Gesellschaft die Ansässigkeit der A-AG im Inland verblieben ist. Hierfür sprechen folgende Umstände: Die maßgebliche Strategiesitzung des Vorstandes findet im Inland statt, hier sind auch der Vorstandsvorsitzende und der Finanzvorstand tätig, die mit ihren Verantwortungsbereichen zentrale Funktionen ausüben. Hinzu kommt, dass die nachgeordneten Führungsebenen ganz überwiegend vom Inland aus agieren.

16.63

Damit ist zwar eine Verlegung des Orts der tatsächlichen Geschäftsleitung und damit die Ansässigkeit in die USA nicht feststellbar, sodass auch eine Liquidationsbesteuerung gem. § 12 Abs. 3 Satz 2, § 11 KStG unterbleibt, durch die Aktivitäten der in den USA ansässigen Vorstandsmitglieder sind dort aber Geschäftsleitungsbetriebsstätten (Art. 5 Abs. 2 Buchst. c DBA-USA) der A-AG gebildet worden. Die auf diese Geschäftsleitungsbetriebsstätten entfallenden Gewinne sind von deutscher Körperschaft- und Gewerbesteuer freizustellen (Art. 23 Abs. 3 Buchst. a DBA-USA) und allein in den USA zu versteuern. Welche Gewinne auf diese Geschäftsleitungsbetriebsstätten in den USA entfallen, ergibt sich aus Art. 7 Abs. 2, 3 DBAUSA, wonach den dortigen Betriebsstätten die Gewinne zugerechnet werden, „die sie hätte[n] erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte[n]“ (Art. 7 Abs. 2 DBA-USA).1 Unter den vorgenannten Gesichtspunkten ist somit eine Steuerverkürzung nicht gegeben. Aus deutscher Sicht kann es durch Begründung von Geschäftsleitungsbetriebsstätten in den USA allerdings zu einem Zuordnungswechsel von Wirtschaftsgütern und im Zusammenhang damit zu einer steuerwirksamen Gewinnrealisierung kommen (§ 12 Abs. 1 KStG; vgl. Rz. 14.69). Nach bisheriger Auffassung der deutschen Finanzverwaltung ist im Zweifel hiervon aber nicht auszugehen.2 Davon abgesehen steht der Annahme einer Gewinnrealisierung auch die Rechtsprechung des BFH3 entgegen, wonach künftige Gewinne aus der Veräußerung nunmehr einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnenden Wirtschaftsgüter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeiträgen aufzuteilen sind.4

16.64

Soweit die A-AG im Rahmen ihrer abgegebenen Steuererklärungen von unbeschränkter Körperschaftsteuerpflicht und Ansässigkeit im Inland ausgegangen ist, ist das nach Maßgabe der vorgenannten Gesichtspunkte zutreffend. Dass in den USA eine Geschäftsleitungsbetriebsstät-

1 Sog. Dealing-at-arm‘s-length-Klausel; hierzu Blum in Wassermeyer, DBA, Art. 7 DBA-USA Rz. 137 ff. 2 So auf Basis der bisher vertretenen sog. Zentralfunktion des Stammhauses; vgl. BMF v. 25.1.2006 – IV B 1-S 1320-11/06, BStBl. I 2006, 26, Rz. 2.1.2; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4 (BMF v. 25.8.2009 – IV B 5-S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.4; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 [UmwStE], Rz. 11.09); vgl. nunmehr § 1 Abs. 4, 5 AStG und die in der BsGaV niedergelegten Zuordnungsgrundsätze. 3 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106. 4 Hieran ändert auch nichts der bloß Beispiele aufführende § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG; vgl. Gosch, IWB 2012, 779 ff. (785); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200).

832 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.67 Kap. 16

te gebildet worden ist, war zwar mitteilungspflichtig,1 hat aber mangels Zuordnungswechsel von Wirtschaftsgütern zu keiner Steuerverkürzung im Inland geführt.2 Damit ist bereits der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Das Ermittlungsverfahren ist einzustellen (§ 170 Abs. 2 StPO).

III. Grenzüberschreitender Leistungstransfer bei Betriebsstätten Literatur: Kommentare zu Art. 7 OECD-MA, § 4 Abs. 1, 2 und 4, § 4g, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG, § 12 Abs. 1 KStG; vgl. im Übrigen die Literaturübersicht vor Rz. 16.11, 16.45.

1. Überblick Der grenzüberschreitende Leistungstransfer bei Betriebsstätten umfasst vor allem den grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfer, die grenzüberschreitende Nutzungsüberlassung sowie die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen.

16.65

Beim grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfer geht es im Wesentlichen um die Überführung von materiellen oder immateriellen Wirtschaftsgütern vom inländischen Stammhaus auf die ausländische Betriebsstätte oder von der inländischen Betriebsstätte auf ein ausländisches Stammhaus (Outbound-Fall). Erfasst wird aber auch die entsprechende Überführung von Wirtschaftsgütern vom Ausland in das Inland (Inbound-Fall).

16.66

Bei der ersten Fallgruppe (Outbound-Fälle) kommt es zu einem Ausschluss oder zu einer Beschränkung deutschen Besteuerungsrechts, wenn die Gewinne aus der späteren Veräußerung der überführten Wirtschaftsgüter entweder steuerfrei sind, etwa in Abkommensfällen,3 oder zu einer Anrechnung von ausländischen Steuern auf die auf den Veräußerungsgewinn erhobene deutsche Einkommensteuer führt.4 Um den Steuerzugriff auf die zuvor im Inland gelegten stillen Reserven zu sichern, bewirkt die Überführung der Wirtschaftsgüter in das Ausland (Steuerentstrickung) eine fiktive Entnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) zum gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG). Soweit es hiernach zu einer Gewinnrealisierung kommt, kann ein steuerlicher Ausgleichsposten gebildet werden, wobei dieser jeweils zu 1/5 gewinnerhöhend aufzulösen ist (§ 4g EStG).5 Die in § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG verankerte

16.67

1 § 138 Abs. 2 Nr. 1 AO; vgl. auch Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze, BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.1.4.2 (BMF v. 25.8.2009– IV B 5-S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888); Folge: Ordnungswidrigkeit gem. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO (Steuergefährdung); vgl. Rz. 15.38. 2 Hinweis: US-Betriebsstättengewinne sind grundsätzlich freizustellen (Art. 23 Abs. 3 Buchst. a DBA-USA). 3 Art. 13 Abs. 2, Art. 23A OECD-MA. 4 Vgl. § 34c Abs. 1, § 34d Nr. 1 EStG; Art. 23B OECD-MA. 5 Diese Steuerstreckung gilt allerdings nur in EU-Fällen und nur für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens und kann zudem nur von unbeschränkt steuerpflichtigen Personen in Anspruch genommen werden; zu unionsrechtlichen Zweifeln: Kolbe in H/H/R, § 4g EStG Rz. 5; Reddig in Kirchhof19, § 4g EStG Rz. 11; die Steuerstreckung über fünf Jahre wurde zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 allerdings akzeptiert von EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; ferner von EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331 – Verder LabTec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller; ob dies auch für Wegzugsfälle gilt, ist im Anschluss an EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler, ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel wieder offen; vgl. stv. Schönfeld in FS Lüdicke, 2019, 567 (570). Hinweis: § 4g EStG soll durch ATADUmsG-E idF des RefE v. 24.3.2020 geändert werden.

Schaumburg/Häck und Schaumburg | 833

Kap. 16 Rz. 16.67 | Ertragsteuerrecht

Entstrickungsregelung (fiktive Entnahme) kommt auch auf einen ausländischen Betriebsvermögenstransfer zur Anwendung, wenn etwa ein Wirtschaftsgut von einer sog. Anrechnungsauf eine Freistellungsbetriebsstätte überführt wird.1 Eine entsprechende Entstrickungsregelung gilt für Kapitalgesellschaften allerdings mit der Maßgabe, dass eine Veräußerung des Wirtschaftsgutes zum gemeinen Wert fingiert wird (§ 12 Abs. 1 KStG). Im Hinblick darauf, dass insbesondere in Abkommensfällen nicht klar ist, ob überhaupt und ggf. in welchem Umfang überführungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht verloren geht,2 wird durch das in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG genannte Regelbeispiel klargestellt,3 dass ein Ausschluss oder eine Beschränkung deutschen Besteuerungsrechts insbesondere dann gegeben ist, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut nunmehr einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist.4

16.68

Wird die gesamte Betriebsstätte (Betrieb, Teilbetrieb) auf das ausländische Stammhaus überführt, greift die (spezielle) Entstrickungsvorschrift des § 16 Abs. 3a EStG ein. Die festgesetzte Steuer auf den hiernach ausgelösten Aufgabegewinn kann gem. § 36 Abs. 5 EStG in fünf gleichen Jahresraten zinslos entrichtet werden. Dieses Privileg gilt allerdings nur für den EU/EWR-Bereich.5

16.69

Neben der Überführung, also etwa der körperlichen Verbringung von materiellen Wirtschaftsgütern, wird von § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) auch die veränderte Zuordnung insbesondere von immateriellen Wirtschaftsgütern etwa durch ausschließliche Nutzung durch eine ausländische Betriebsstätte erfasst. Darüber hinaus erfasst der Regelungsbereich des § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) auch den Fall der grenzüberschreitenden Nutzungsüberlassung. Angesprochen sind damit insbesondere diejenigen Fälle, in denen etwa das inländische Stammhaus der ausländischen Betriebsstätte materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlässt, ohne dass dadurch eine Zuordnung dieses Wirtschaftsguts zum ausländischen Betriebsstättenvermögen erfolgt.6 In allen Fällen ist der gemeine Wert anzusetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG), wobei sich dieser bei der grenzüberschreitenden Nutzungsüberlassung nur auf den Nutzungswert und nicht etwa auf das betreffende Wirtschaftsgut selbst bezieht.7 Durch Ansatz des gemeinen Wertes werden zwar die stillen Reserven für Zwecke der Besteuerung sichergestellt, zugleich erfolgt aber auch eine Doppelbesteuerung, 1 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 230; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 486c. 2 Verneint vom BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106, wonach zukünftige Gewinne aus der Veräußerung der überführten Wirtschaftsgüter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeiträgen aufzuteilen sind; ebenso Wassermeyer, IStR 2008, 176; Gosch, BFH/PR 2008, 500; Prinz, DB 2009, 810; Ditz, IStR 2009, 120; Schneider/Oepen, FR 2009, 572; Kahle/Franke, IStR 2009, 408; Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200); dagegen bejahend z.B. Mitschke, DB 2009, 1377 f. 3 Als Reaktion auf das Urteil des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464. 4 So die Intention des Gesetzgebers; durch die Aufführung von Beispielfällen wird aber noch nicht festgeschrieben, dass Überführungsfälle stets zu einem Ausschluss oder Beschränkung deutschen Besteuerungsrechts führen; hierzu Gosch, IWB 2012, 779 ff. (785 f.); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198). 5 Vgl. zu Einzelheiten Lammers in H/H/R, § 36 EStG Rz. 59 ff.; ferner oben Rz. 14.34; vgl. die dem § 4g EStG angepasste Neuregelung in § 36 Abs. 5 EStG-E (RefE des ATADUmsG v. 24.3.2020). 6 Bei bloß kurzfristiger Nutzungsmöglichkeit und bei Nutzung durch mehrere Betriebsstätten; zu Einzelheiten Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 ff. 7 Bode in Kirchhof19, § 4 EStG Rz. 108; Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 232; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.387; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1485); anders Werra/Teiche, DB 2006, 1456 (1457 f.); Förster, DB 2007, 72 (75 f.).

834 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.73 Kap. 16

wenn etwa bei der ausländischen Betriebsstätte das betreffende Wirtschaftsgut nicht mit dem gemeinen Wert, sondern mit den ursprünglichen Buchwerten angesetzt wird.1 Zu den in der ersten Fallgruppe angesprochenen Outbound-Fällen zählt schließlich auch der Fall, dass Anteile an einer SE/SCE wegzugsbedingt nicht mehr einer inländischen, sondern nunmehr einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG, § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG). Hier gilt folgende Besonderheit: Entgegen § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG erfolgt keine fiktive Entnahme. Die Anteile bleiben vielmehr weiterhin steuerverstrickt. Werden die Anteile an der weggezogenen SE/SCE allerdings später veräußert, so ist ein etwaiger Veräußerungsgewinn gem. § 15 Abs. 1a EStG ungeachtet abkommensrechtlicher Schranken zu versteuern,2 und zwar auch hinsichtlich der erst nach dem Wegzug gebildeten stillen Reserven.3

16.70

Bei den in der zweiten Fallgruppe genannten Inbound-Fällen geht es im Wesentlichen um die Überführung von Wirtschaftsgütern vom Ausland in das inländische Stammhaus oder in eine inländische Betriebsstätte (§ 4 Abs. 1 Satz 8 EStG). Die derart überführten Wirtschaftsgüter gelten in das inländische Betriebsvermögen mit dem gemeinen Wert als eingelegt (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Voraussetzung ist, dass hierdurch überführungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht begründet wird.4

16.71

Im Wesentlichen wird damit als fiktive Entnahme und Einlage erfasst die Überführung von Wirtschaftsgütern

16.72

– von einem inländischen Stammhaus auf eine ausländische Betriebsstätte; – von einer inländischen Betriebsstätte auf ein ausländisches Stammhaus; – von einer ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte auf eine ausländische Freistellungsbetriebsstätte; – von einem ausländischen Stammhaus auf eine inländische Betriebsstätte; – von einer ausländischen Freistellungsbetriebsstätte auf ein inländisches Stammhaus; – von einer ausländischen Freistellungsbetriebsstätte auf eine ausländische Anrechnungsbetriebsstätte.

Durch die in § 1 Abs. 4, 5 AStG verankerte Regelung zur grenzüberschreitenden Einkünftekorrektur bei Betriebsstätten wird im Ergebnis das Verrechnungspreisregime des § 1 Abs. 1 AStG auch auf grenzüberschreitende Geschäftsvorfälle zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ausgedehnt (Einzelheiten Rz. 14.219 ff.). Von der Reichweite dieser Regelung werden die grenzüberschreitende Überführung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern, deren Nutzungsüberlassung sowie zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ausgetauschte Dienstleistungen erfasst. Als Einkünftekorrekturnorm ist § 1 Abs. 5 AStG darauf gerichtet, wegen nicht angemesse-

1 Hierzu Frotscher in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 398; die Lösung ist hier nur über Verständigungsverfahren nach der Schiedsverfahrenskonvention oder nach den Doppelbesteuerungsabkommen und auf Grundlage der Streitbeilegungs-richtlinie möglich; zu Abgrenzungsfragen vgl. Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 24.36. 2 Dieses treaty overriding entspricht den Vorgaben von Art. 10 Abs. 2 FRL. 3 Kritisch hierzu Bode in Kirchhof19, § 4 EStG Rz. 109; Förster, DB 2007, 72 (75 f.). 4 Eine Verstärkung deutschen Besteuerungsrechts bzw. die Begründung oder die Verstärkung eines nutzungsbezogenen Besteuerungsrechts werden nicht erfasst; zur Kritik hierzu Carlé, KÖSDI 2007, 15403.

Schaumburg | 835

16.73

Kap. 16 Rz. 16.73 | Ertragsteuerrecht

ner Verrechnungspreise die inländischen Einkünfte unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtiger Personen zu erhöhen. Im Ergebnis werden damit fiktive Einkünfte der Besteuerung unterworfen.1 Dass bloße Innentransaktionen Einkünfte auslösen, ist keine Besonderheit des § 1 Abs. 5 AStG, da bereits die spezifischen Entstrickungsregelungen (§ 4 Abs. 1 Sätze 3, 4, § 16 Abs. 3a EStG, § 12 Abs. 1 KStG) ebenfalls entsprechende Einkünfte fingieren. Soweit sich die vorgenannten Regelungen mit denen des § 1 Abs. 5 AStG überschneiden, ist § 1 Abs. 5 AStG schon wegen des in Bezug genommenen § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „unbeschadet anderer Vorschriften“ nur subsidiär anzuwenden.2 Damit beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 AStG im Wesentlichen auf Innentransaktionen, die Dienstleistungen und die Überlassung von Kapital betreffen.3 Die auf Grundlage von § 1 Abs. 5 AStG vorzunehmende Einkünftekorrektur kann in den Fällen, in denen die zur Anwendung kommenden Doppelbesteuerungsabkommen keine entsprechende Regelung enthalten, zu einer Doppelbesteuerung führen. Im Hinblick darauf unterbleibt die Einkünftekorrektur, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend diesem Abkommen ausübt und deshalb die in § 1 Abs. 5 AStG verankerte Regelung zu einer Doppelbesteuerung führen würde (§ 1 Abs. 5 Satz 8 AStG).

2. Pflichtenkreis 16.74

Die in diesem Zusammenhang zu erstellende Hilfs- und Nebenrechnung (§ 3 Abs. 1 BsGaV) dient der steuerlichen Ergebnisberechnung der Betriebsstätte. Sie ist spätestens zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung zu erstellen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 BsGaV). Das gilt für in- und ausländische Betriebsstätten gleichermaßen.4 Für den grenzüberschreitenden Leistungstransfer zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte oder inländischer Betriebsstätte und ausländischem Stammhaus ergeben sich umfangreiche Dokumentationspflichten, die im Wesentlichen der steuerlichen Außenprüfung dienen (§ 90 Abs. 3 Satz 5 AO; vgl. hierzu Rz. 15.14 ff.). Hiernach sind Aufzeichnungen über die grenzüberschreitenden Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zu erstellen. Es geht hierbei insbesondere darum, ob die etwa auf eine ausländische Betriebsstätte überführten Wirtschaftsgüter zutreffend mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG) angesetzt worden sind. § 90 Abs. 3 Satz 2 AO5 verlangt Aufzeichnungen, die die Prüfung ermöglichen sollen, welche Sachverhalte verwirklicht wurden (Sachverhaltsdokumentation) und ob und inwieweit der auch für die Einkünfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte geltende Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde (Angemessenheitsdokumentation).6

16.75

Würde für den grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfer in Anwendung von § 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) die Steuerstreckung gem. § 4g EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) in Anspruch genommen, bestehen bestimmte Aufzeichnungspflichten (§ 4g Abs. 4 EStG) und darüber hinaus die Pflicht, dem zuständigen Finanzamt unverzüglich die Ereignisse mitzuteilen, die zu einer vorzeitigen (gewinnerhöhenden) Auflösung des gebildeten Ausgleichspostens führen (§ 4g Abs. 5 EStG). 1 Schaumburg, ISR 2013, 197 (198). 2 Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2817; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.67 ff.; Schnitger, IStR 2012, 633 (638); Kahle, DStZ 2012, 691 (698); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198 f.). 3 Vgl. Schaumburg, ISR 2013, 197 (198 f.). 4 Vgl. Rz. 51 ff. VWG BsGa. 5 Die Vorschrift gilt auch im Verhältnis zu Betriebsstätten; vgl. Seer in T/K, § 90 AO Rz. 40. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 1, 3.4.19 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren).

836 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.79 Kap. 16

3. Pflichtverletzungen Wird den in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO für den grenzüberschreitenden Leistungstransfer verankerten Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten nicht entsprochen, etwa weil trotz Anforderung durch die Finanzbehörde keine oder im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen vorgelegt oder verwertbare Aufzeichnungen verspätet vorgelegt werden, ist gem. § 162 Abs. 4 AO ein Zuschlag festzusetzen, und zwar bei Nichtvorlage von Aufzeichnungen bzw. Vorlage unverwertbarer Aufzeichnungen von mindestens 5 v.H. und höchstens 10 v.H. des positiven Mehrbetrags der Einkünfte, mindestens jedoch 5.000 Euro und bei verspäteter Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen in Höhe von mindestens 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung, höchstens jedoch 1 Mio. Euro für alle Fälle verspäteter Vorlage.1 Darüber hinaus ergibt sich als Folge der Verletzung der Dokumentationspflichten nach allgemeinen Grundsätzen eine Beweismaßreduzierung, wonach für Zwecke der Besteuerung nicht der Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, sondern auch derjenige mit einem geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad der Besteuerung zugrunde gelegt werden kann.2 Ferner ergibt sich bei entsprechendem Pflichtverstoß eine Beweisrisikoverlagerung zulasten des Steuerpflichtigen nach § 162 Abs. 3 AO, wonach widerlegbar vermutet wird, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind (§ 162 Abs. 3 Satz 1 AO). Die Festsetzung des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO oder auch der Einsatz von Zwangsmitteln (§§ 328 ff. AO) schließt die Durchführung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens (§§ 369 ff. AO) nicht aus. Allerdings haben die nach allgemeinen Grundsätzen im Steuerrecht zulässige Beweismaßreduzierung und die besonders geregelte Beweisrisikoverlagerung zulasten des Steuerpflichtigen (§ 162 Abs. 3 Satz 1AO) im Strafrecht keine Geltung.3

16.76

Wurde für den überführungsbedingten Entnahmegewinn (§ 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 EStG) ein Ausgleichsposten gebildet, ist dieser bei Verletzung der obliegenden Aufzeichnungs- und Anzeigepflichten vorzeitig gewinnerhöhend aufzulösen (§ 4g Abs. 5 Satz 2 EStG).

16.77

In steuerstrafrechtlicher Hinsicht sind insbesondere jene Fälle von Bedeutung, in denen materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter auf eine ausländische Betriebsstätte überführt worden sind, ohne dass diese Vorgänge in der Buchführung oder in den betreffenden Steuererklärungen abgebildet wurden. Entsprechendes gilt auch für die Überführung von Wirtschaftsgütern einer ausländischen Betriebsstätte auf das inländische Stammhaus.

16.78

a) Betriebsvermögenstransfer in eine ausländische Betriebsstätte Im Regelfall liegt einem grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfer eine zielgerichtete Handlung der Steuerpflichtigen zugrunde. Das gilt insbesondere bei der Überführung von materiellen Wirtschaftsgütern, die aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung fortan auf Dauer im Rahmen einer ausländischen Betriebsstätte genutzt werden sollen. In tatsäch-

1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 4.6.3 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 2 Vgl. BFH v. 15.2.1989, BStBl. II 1989, 462; BFH v. 9.8.1991, BStBl. II 1992, 55; BFH v. 17.10.2001, BStBl. II 2004, 171; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 4.4 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 3 BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94; Dumke/ Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 79 ff.; Volk in FS Kohlmann, 579 ff. (580); vgl. auch Seer in T/K, § 162 AO Rz. 16 m.w.N.

Schaumburg | 837

16.79

Kap. 16 Rz. 16.79 | Ertragsteuerrecht

licher Hinsicht erfolgt in diesen Fällen zumeist eine körperliche Verbringung der betreffenden Wirtschaftsgüter. Im Rahmen der gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gebotenen zweistufigen Gewinnermittlung1 ist der Betriebsvermögenstransfer auf der zweiten Stufe als (fiktive) Entnahme zu berücksichtigen. Das bedeutet etwa, dass der Gewinn der ersten Stufe um den gemeinen Wert der auf die ausländische Betriebsstätte überführten Wirtschaftsgüter zu erhöhen ist (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG).2 In Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert der überführten Wirtschaftsgüter und deren gemeinem Wert kann allerdings bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens auf Antrag ein Ausgleichsposten gebildet werden, soweit die Wirtschaftsgüter auf eine andere EU-Betriebsstätte überführt worden sind (§ 4g Abs. 1 EStG). Der Ausgleichsposten ist hierbei im Wirtschaftsjahr der Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren zu jeweils einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen (§ 4g Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese dem Konzept der Sofortversteuerung folgende Entstrickungsregelung geht nach Maßgabe der Rechtsprechung des BFH ins Leere (s. Rz. 14.33, 16.14) und ist zudem gemessen an der europarechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) zweifelhaft.3

16.80

Beispiel: Die im Inland ansässige A-GmbH & Co. KG unterhält in Österreich eine Betriebsstätte, die von der inländischen A-GmbH & Co. KG gelieferte Halbfertigprodukte weiterbearbeitet und sodann in Österreich und anderen Staaten vertreibt. Um eine gebotene Produktionserweiterung zu ermöglichen, wurden seitens der inländischen A-GmbH & Co. KG 2018 maschinelle Anlagen in die österreichische Betriebsstätte überführt, die dort seitdem zur Weiterverarbeitung der gelieferten Produkte eingesetzt werden. Dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH war zwar die Entstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG bekannt, aufgrund einer gutachtlichen Stellungnahme seines Steuerberaters stellte er sich aber auf den Standpunkt, dass die betreffende Regelung angesichts der Rechtsprechung des BFH leerläufig und zudem mit Unionsrecht unvereinbar sei. Aus diesem Grunde blieb eine fiktive Entnahme unberücksichtigt. Auf Anraten seines Steuerberaters hat der Geschäftsführer in einem der elektronischen Feststellungserklärung (§ 181 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AO) beigefügten Anschreiben an das Finanzamt allerdings auf diesen Umstand hingewiesen. In der von ihm für die AGmbH & Co. KG für 2018 am 1.7.2019 abgegebenen Feststellungserklärung selbst finden sich dagegen keinerlei Hinweise auf die Überführung der Maschinen in die österreichische Betriebsstätte.

16.81

Durch die Überführung von Maschinen seitens der inländischen A-GmbH & Co. KG in die österreichische Betriebsstätte ist in Orientierung an die Rechtsprechung des BFH4 eine Beschränkung oder ein Ausschluss deutschen Besteuerungsrechts nicht gegeben, sodass von vornherein der Tatbestand der § 4 Abs. 1 Satz 3, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG nicht

1 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.5. 2 § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG geht dem § 1 Abs. 4 und 5 AStG vor; s. Rz. 12.43. 3 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 – National Grid Indus, FR 2012, 25 m. Anm. Musil; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521 – Kommission/Portugal, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 – Kommission/Spanien, ISR 2013, 225 m. Anm. Müller; eine Steuerstreckung über fünf Jahre wurde zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 allerdings akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; vgl. hierzu ferner Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; Gosch, IWB 2014, 183; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI: EU:C:2015:331 – Verder LabTec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller. Ob dies auch für Wegzugsfälle gilt, ist im Anschluss an EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler, ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel wieder offen; vgl. stv. Schönfeld in FS Lüdicke, 2019, 567 (570). 4 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 103.

838 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.83 Kap. 16

erfüllt worden ist.1 Da der Geschäftsführer seine Rechtsansicht zu § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG offengelegt hat, kann offenbleiben, ob er hierzu überhaupt verpflichtet war.2 Dass er seine Rechtsansicht nicht in einem hierfür vorgesehenen Freitextfeld der Feststellungserklärung selbst vermerkt hat, spielt hierbei keine Rolle.3 Diese streitige Rechtsfrage (s. Rz. 14.33, 16.14) kann hier im Ergebnis aber offenbleiben, weil nach der (vertretbaren) Rechtsansicht des verantwortlichen Geschäftsführers diese Vorschrift wegen Verstoßes gegen die unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten4 ohnehin nicht anwendbar ist.5 Die Unionsrechtswidrigkeit dieser auf Gewinnrealisierung gerichteten Entstrickungsnorm ist in vergleichbaren Fällen durch den EuGH bejaht,6 aber auch verneint7 worden. Dass der EuGH nicht konkret zu § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG entschieden hat, spielt hierbei keine Rolle. Dessen Rechtsgrundsätze gelten nämlich ganz allgemein für Entstrickungsfälle und somit auch für den gegenüber § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG nur subsidiär anwendbaren § 1 Abs. 4 und 5 AStG, dem eine vergleichbare Wertung zugrunde liegt.8 Hieraus folgt, dass aus der Sicht des Geschäftsführers die Überführung der Wirtschaftsgüter in die ausländische Betriebsstätte keine zur Besteuerung führende gewinnrealisierende Entnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 4 und 5 EStG) oder Einkünftekorrektur (§ 1 Abs. 4 und 5 AStG) ausgelöst hat. Insoweit ist jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung zu verneinen. Dass der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH den in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO verankerten Dokumentationspflichten nicht entsprochen hat, insbesondere Aufzeichnungen über die Verbringung der Wirtschaftsgüter in die österreichische Betriebsstätte nicht erstellt hat, ist strafrechtlich ohne Belang. Eine Ordnungswidrigkeit ist ebenfalls nicht gegeben (Rz. 16.76).

16.82

b) Nutzungsüberlassung an eine ausländische Betriebsstätte Die in § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) verankerte Entstrickungsregelung9 erfasst nicht nur die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte als Hauptanwendungsfall, sondern auch eine entsprechende Nutzungsüberlassung. Angesprochen sind damit insbesondere diejenigen Fälle, in denen etwa das inländische Stammhaus der 1 Für spätere Wirtschaftsjahre gilt: § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG geht dem für nach dem 31.12.2012 endenden Wirtschaftsjahren anwendbaren § 1 Abs. 4 und 5 AStG vor. 2 Vgl. zum Streitstand hierzu Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 49. 3 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 245; Sterzinger, NZWiSt 2012, 286 (289); a.A. Krumm in T/ K, § 370 AO Rz. 51; Rolletschke, NZWiSt 2018, 302 (303). 4 Hier Niederlassungsfreiheit Art. 49 AEUV. 5 Die Steuerstreckung über fünf Jahre gem. § 4g EStG ist unzureichend. 6 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 – National Grid Indus, FR 2012, 25 m. Anm. Musil; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521 – Kommission/Portugal, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 – Kommission/Spanien, ISR 2013, 225 m. Anm. Müller; zuvor schon EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU: C:2004:138 – de Lasteyrie du Saillant, FR 2004, 659 und EuGH v. 7.7.9.2006 – C-470/04, ECLI: EU:C:2006:525 – N, FR 2006, 1128. 7 EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331 – Verder LabTec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller. 8 Ultima-ratio-Besteuerung; vgl. Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. 9 Diese geht dem § 1 Abs. 4 und 5 AStG insoweit vor; vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2817; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.67 ff.; Schnitger, IStR 2012, 633 (638); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198 f.).

Schaumburg | 839

16.83

Kap. 16 Rz. 16.83 | Ertragsteuerrecht

ausländischen Betriebsstätte materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlässt, ohne dass dadurch eine Zuordnung dieser Wirtschaftsgüter zum ausländischen Betriebsstättenvermögen und damit ein grenzüberschreitender Betriebsvermögenstransfer erfolgt. Soweit hierfür der gemeine Wert anzusetzen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 1 EStG), bezieht sich dieser auf den Nutzungswert und nicht etwa auf das betreffende Wirtschaftsgut selbst.1 Ob ein Wirtschaftsgut auf eine ausländische Betriebsstätte überführt oder dieser lediglich zur Nutzung überlassen worden ist, entscheidet sich nach allgemeinen Veranlassungsgesichtspunkten oder – soweit es um die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes (§ 1 Abs. 5 AStG) geht – entsprechend der maßgeblichen Personalfunktionen (§§ 5 ff. BsGaV), wobei allgemein gilt, dass ein Wirtschaftsgut entweder nur dem Stammhaus oder nur der Betriebsstätte zuzuordnen ist.2 In Orientierung an diesen Grundsatz ist eine Überführung in eine ausländische Betriebsstätte dann gegeben, wenn das betreffende Wirtschaftsgut ausschließlich und auf Dauer von der ausländischen Betriebsstätte genutzt wird.3 Wird dagegen das Wirtschaftsgut der ausländischen Betriebsstätte nur vorübergehend oder nicht ausschließlich zur Nutzung überlassen, ist eine überführungsbedingte Entstrickung ausgeschlossen, sodass die stillen Reserven des betreffenden Wirtschaftsgutes selbst nicht realisiert werden. Allein möglich ist daher nur eine nutzungsbedingte Entstrickung, für die als gemeiner Wert (Nutzungswert) der kapitalisierte Barwert der zukünftigen Nutzungsvergütungen anzusetzen ist.4 Die vorgenannte nutzungsbedingte Entstrickungsregelung wird nicht durch § 1 Abs. 5 AStG verdrängt, weil die dort verankerte Einkünftekorrektur wegen des in Bezug genommenen § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG5 lediglich subsidiär zur Anwendung kommt.6 Beispiel: Die A-GmbH im Inland vertreibt bundesweit Textilien unter einer für sie geschützten Marke. Die entsprechenden Textilien werden in ihrem Auftrag von Lohnunternehmern in Asien hergestellt. Die A-GmbH unterhält in Österreich mehrere Boutiquen, die die entsprechenden Textilien unter der für die A-GmbH geschützten Marke seit 2008 vertreiben. Die entsprechenden Aufträge an die asiatischen Lohnunternehmer werden nach den eigenen Design-Vorgaben der Boutiquen durch diese in Auftrag gegeben.7 Der Geschäftsführer der A-GmbH hat aus dem Umstand, dass die Marke auch von den ausländischen Boutiquen genutzt wird, keine steuerlichen Folgerungen gezogen. Im Rahmen einer bei der A-GmbH durchgeführten Außenprüfung für die Jahre 2014 bis 2016 wird der vorliegende Sachverhalt aufgedeckt und sogleich gegen den Geschäftsführer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Hierbei wird seitens der Finanzverwaltung die Ansicht vertreten, die A-GmbH hätte gegenüber den ausländischen Boutiquen für die Nutzung der Marke eine (fiktive) Lizenzgebühr berechnen müssen, sodass der Gewinn der A-GmbH entsprechend zu niedrig ausgewiesen worden sei. 1 Bode in Kirchhof19, § 4 EStG Rz. 108; Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 232; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.387; Rödder/Schumacher, IStR 2006, 1481 (1485); anders Werra/Teiche, DB 2006, 1456 (1457 f.); Förster, DB 2007, 72 (75 f.). 2 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 2.4; BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 888; für eine anteilige Zuordnung dagegen z.B. Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 2.44; im Anwendungsbereich von § 1 Abs. 5 AStG ist ausnahmsweise auch eine anteilige Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter möglich (§ 6 Abs. 4 Satz 2 BsGaV). 3 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 232, Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 327; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 294; Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 (102). 4 Brüninghaus in V/B/B5, K Rz. 220 f.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.387; Frotscher in Frotscher/Drüen, § 12 KStG Rz. 52, der allerdings auf den jährlichen Nutzungswert abstellt. 5 „Unbeschadet anderer Vorschriften“; vgl. Rz. 14.243. 6 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.387; Schnitger, IStR 2012, 633 (638); Kahle, DStZ 2012, 691 (698); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198 f.) 7 Vgl. zum Sachverhalt Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 (101).

840 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.84 Kap. 16

Im Hinblick darauf, dass fremden dritten Geschäftspartnern gegenüber die Marke nicht unentgeltlich zur Nutzung überlassen worden wäre, sind im Grundsatz die Voraussetzungen für eine Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1, 4 Satz 2, Abs. 5 AStG erfüllt. Zwar können zwischen einem inländischen Stammhaus und einer (ausländischen) Betriebsstätte keine schuldrechtlichen Vereinbarungen getroffen werden, sodass insoweit auch keine Geschäftsbeziehungen vorliegen können und somit § 1 AStG eigentlich keine Anwendung finden kann, gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG werden aber Geschäftsvorfälle zwischen Stammhaus und (ausländischer) Betriebsstätte als Geschäftsbeziehungen fingiert. Im Hinblick darauf ist die ausländische Betriebsstätte eines inländischen Stammhauses wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln. Hieraus folgt, dass für Zwecke der Einkünftekorrektur bei der A-GmbH eine gewinnerhöhende Lizenzgebühr zum Ansatz zu bringen ist, wie sie mit fremden Dritten vereinbart worden wäre. Die vorgenannte Einkünftekorrektur hat allerdings nur eine „Wertauffüllungsfunktion“, so dass § 12 Abs. 1 KStG vorrangig anzuwenden ist.1 Hiernach ist eine (fiktive) Nutzungsüberlassung mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Der gemeine Wert entspricht dem kapitalisierten Barwert der zukünftigen Nutzungsvergütungen, bezogen auf die voraussichtliche Nutzungsdauer.2 Diese Rechtsansicht, die auch von der Finanzverwaltung vertreten wird,3 entspricht dem § 12 Abs. 1 KStG zugrunde liegenden Konzept der Sofortversteuerung, das allerdings mit der Rechtsprechung des BFH4 und mit der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV)5 unvereinbar ist und damit so nicht angewendet werden darf. Die Unionsrechtswidrigkeit beruht darauf, dass § 12 Abs. 1 KStG in Höhe des Barwertes der zukünftigen Nutzungsvergütungen eine Gewinnrealisierung vorschreibt, ohne dass eine Steuerstreckung gem. § 4g EStG vorgesehen ist.6 Damit ist schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Daran ändert sich im Ergebnis auch nichts dadurch, dass § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 4g EStG dahingehend normerhaltend angewendet wird,7 dass auch Nutzungsüberlassungen einbezogen werden oder

1 Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2817; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.67; Schnitger, IStR 2012, 633 (638); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41); BMF v. 22.12.2016 – IV B 5-S 1341/12/10001-03, BStBl. I 2017, 182, Rz. 20 (VWG BsGa). 2 Brüninghaus in V/B/B5, K Rz. 220 f.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.387. 3 Vgl. hierzu den Hinweis bei Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 (101). 4 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106, wonach die tatsächlich realisierten Gewinne zwischen Betriebsstätte und Stammhaus nach Verursachungsgesichtspunkten aufzuteilen sind, die Beispielsaufzählung in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG ändert hieran nichts, vgl. nur Gosch, IWB 2012, 779 (785 f.); Schaumburg, ISR 2013, 197 (200). 5 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 – National Grid Indus, FR 2012, 25 m. Anm. Musil; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521 – Kommission/Portugal, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 – Kommission/Spanien, ISR 2013, 225 m. Anm. Müller; eine Steuerstreckung über fünf Jahre wird zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 allerdings akzeptiert von EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller, vgl. auch EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331 – Verder LabTec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller. Ob dies auch für Wegzugsfälle gilt, ist im Anschluss an EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU: C:2019:138 – Wächtler, ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel wieder offen; vgl. stv. Schönfeld in FS Lüdicke, 2019, 567 (570). 6 § 4g EStG sieht keinen Ausgleichsposten bei Nutzungsüberlassung vor; vgl. Kolbe in H/H/R, § 4g EStG Rz. 17. 7 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 4.51.

Schaumburg | 841

16.84

Kap. 16 Rz. 16.84 | Ertragsteuerrecht

stattdessen § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Abs. 5 AStG zur Anwendung gebracht wird. Jedenfalls wird der subjektive Tatbestand zu verneinen sein. c) Betriebsvermögenstransfer in eine inländische Betriebsstätte

16.85

Der Betriebsvermögenstransfer vom Ausland in das Inland betrifft im Wesentlichen die Überführung von materiellen oder immateriellen Wirtschaftsgütern von einer ausländischen Betriebsstätte in das inländische Stammhaus oder von einem ausländischen Stammhaus in eine inländische Betriebsstätte. Wird in beiden Fallkonstellationen überführungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der überführten Wirtschaftsgüter begründet, handelt es sich um eine (fiktive) Einlage (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG), die mit dem gemeinen Wert anzusetzen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Im Rahmen der gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gebotenen zweistufigen Gewinnermittlung1 führt diese Verstrickung dazu, dass der Gewinn auf der ersten Stufe um den gemeinen Wert der in das inländische Stammhaus oder die inländische Betriebsstätte überführten Wirtschaftsgüter zu vermindern ist. Erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt eine Veräußerung des betreffenden Wirtschaftsguts, entsteht in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem gemeinen Wert des überführten Wirtschaftsgutes und dem Veräußerungspreis ein Gewinn oder ein Verlust. Entsprechendes gilt für den Fall, dass das in das Inland überführte Wirtschaftsgut zu einem späteren Zeitpunkt in eine ausländische Betriebsstätte oder auf das ausländische Stammhaus überführt wird: In Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert des überführten Wirtschaftsgutes und dem gemeinen Wert entsteht ein Gewinn oder ein Verlust (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG).

16.86

Beispiel: Der in den USA ansässige X betreibt in den USA und in verschiedenen anderen Ländern Kunstgalerien, in denen er Werke zeitgenössischer Künstler ausstellt und zum Verkauf anbietet. Er hat von einem deutschen Nachwuchskünstler verschiedene Kunstwerke erworben, die er, nachdem er sie in den USA nicht hat verkaufen können, in seine deutsche Galerie verbringt und dort zum Verkauf anbietet. Ihm gelingt es, zwei Jahre später alle Kunstwerke dieses Künstlers mit einem erheblichen Gewinn an einen deutschen Sammler zu verkaufen. Durch entsprechende anonyme Hinweise wird gegen X ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen festgestellt wird, dass X die entsprechenden Veräußerungsgewinne in seinen Einkommensteuererklärungen nicht erfasst hat.

16.87

Die Veräußerungsgewinne unterliegen als inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb bei X der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs., § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Darüber hinaus unterliegen die Veräußerungsgewinne auch der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 GewStG). Nach Maßgabe des DBA-USA ergeben sich keine Schrankenwirkungen: Für die einer deutschen Betriebsstätte zuzuordnenden Unternehmensgewinne hat Deutschland das uneingeschränkte Besteuerungsrecht (Art. 7 Abs. 1 DBA-USA). Damit ist der objektive und den Umständen entsprechend wohl auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Was die Höhe der Steuerverkürzung anbelangt, ist zu berücksichtigen, dass durch die Verbringung der Kunstwerke in die inländische Galerie des X der Verstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG erfüllt worden ist. X hätte also im Rahmen der Gewinnermittlung die überführten Kunstwerke mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) ansetzen müssen. Der durch die spätere Veräußerung der Kunstwerke erzielte Veräußerungsgewinn berechnet sich daher aus dem Unterschied zwischen dem Veräußerungserlös und dem gemeinen Wert zum Zeitpunkt der Überführung der Kunstwerke. Da nach US-Steuer-

1 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.5.

842 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.88 Kap. 16

recht zeitgleich mit der Veräußerung in Deutschland eine Gewinnrealisierung erfolgt, die auf den Zeitpunkt der Überführung der Kunstwerke zurückbezogen wird,1 ist davon auszugehen, dass jedenfalls die deutschen Steuerbehörden (BZSt) auf Grundlage von Art. 26 DBA-USA die zuständigen US-Steuerbehörden über den Sachverhalt informieren.2

IV. Internationale Umwandlungen Literatur: Kommentare zum UmwStG und zu § 12 Abs. 2 KStG; Benecke, Ausländische Umstrukturierungen mit Inlandsbezug, in DStJG 43 (2020), 623; Beinert/Benecke, Internationale Aspekte der Umstrukturierung von Unternehmen, FR 2010, 1009, 1120; Brähler/Heerdt, Steuerneutralität bei grenzüberschreitender Verschmelzung unter Beteiligung hybrider Gesellschaften, StuW 2007, 260; Ettinger/Königer, Steuerliche Rückwirkung bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungsvorgängen, GmbHR 2009, 590; Girlich/Philipp, Entstrickungsaspekte bei der Hinausverschmelzung von Kapitalgesellschaften, Ubg 2012, 150; Göbel/Ungemach, Entstrickungsfallen des UmwStG bei internationalen Umwandlungen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, Herne 2011, 427 ff.; Hecht, Auslandsverschmelzungen unter Beteiligung steuerverstrickten inländischen Vermögens und Anteile, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 405 ff.; Helm/Hübner, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften als Instrument internationaler Reorganisationen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 339 ff.; Henkel, Internationale Umwandlungen, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 10.1 ff.; Hruschka, Umwandlungen mit Auslandsberührungen, StuB 2011, 540; Klingberg/Nitzschke, Grenzüberschreitende Umwandlungen am Beispiel grenzüberschreitender Verschmelzungen, Ubg 2011, 451; Köhler/Käshammer, Umwandlung von Kapitalgesellschaften mit ausländischen Anteilseignern in Personengesellschaften nach dem UmwSt-Erlass 2011, GmbHR 2012, 301; Middendorf/Strothenke, Umwandlungen mit internationalem Bezug, StuB 2012, 305; Prinz, Grundlagen zum internationalen Umwandlungssteuerrecht, DB 2012, 820; Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2013; Pyszka/Jüngling, Steuerfalle: Umwandlung von EU-Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften, GmbHR 2012, 327; Schaumburg, Steuerliche Restriktionen bei internationalen Umwandlungen, GmbHR 2010, 1341; Schaumburg/ Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 20.1 ff.; Schell, Internationale Bezüge bei Verschmelzungen zwischen Körperschaften, FR 2012, 101; Schön, Grenzüberschreitende Umstrukturierungen von Unternehmen zwischen deutschem, internationalem und Europäischem Steuerrecht, in DStJG 43 (2020), 563; Schönfeld, Ausgewählte internationale Aspekte des neuen Umwandlungssteuererlasses, IStR 2011, 497.

1. Überblick 16.88

Zu den internationalen Umwandlungen3 zählen – inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug, also Umwandlungen inländischer Gesellschaften mit ausländischen Gesellschaftern und/oder mit Auslandsvermögen, – grenzüberschreitende Umwandlungen, hier insbesondere Hinaus- und Hereinverschmelzungen sowie Hinaus- und Hereinspaltungen und – ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug, also Umwandlungen ausländischer Gesellschaften mit inländischen Gesellschaftern und/oder mit Inlandsvermögen. 1 Hierzu Blum in Wassermeyer, DBA, Art. 7 USA Rz. 157. 2 Die spontane Informationserteilung ist zulässig, vgl. Eimermann in Wassermeyer, DBA, DBAUSA, Art. 26 Rz. 27. 3 Vgl. hierzu Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 1.8; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.4 ff.; im Überblick auch Prinz, DB 2012, 820 ff.

Schaumburg und Schaumburg/Häck | 843

Kap. 16 Rz. 16.89 | Ertragsteuerrecht

16.89

Während inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug sowohl im UmwG als auch im UmwStG eine Regelung erfahren haben, sind grenzüberschreitende Umwandlungen umwandlungsrechtlich nur für die SE und die SCE1 und im Übrigen für Kapitalgesellschaften nur die Hinaus- und Hereinverschmelzung2 geregelt. Das UmwStG erfasst demgegenüber sämtliche grenzüberschreitenden Umwandlungen von in EU- und EWR-Staaten ansässigen Rechtsträgern.3 Entsprechende Drittstaatenumwandlungen werden daher abgesehen von den in § 13 UmwStG normierten Rechtsfolgen vom UmwStG nicht erfasst. Eine partielle Regelung findet sich lediglich insoweit in § 12 Abs. 2 KStG.

16.90

Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug vollziehen sich rechtstechnisch allein nach Maßgabe des für den Sitz des ausländischen Rechtsträgers maßgeblichen Rechts. Daher enthält das UmwG keine diesbezüglichen Regeln. Demgegenüber erfasst der sachliche und persönliche Anwendungsbereich des UmwStG auch mit inländischen Umwandlungen vergleichbare Umwandlungsvorgänge in EU-/EWR-Staaten (§ 1 Abs. 1 und 3 UmwStG). Darüber hinaus ist für die Hinzurechnungsbesteuerung eine Sonderregelung getroffen (§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG).

16.91

In den vom UmwStG geregelten Fällen ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Steuerneutralität der Umwandlungen möglich. Zu den Voraussetzungen zählt u.a., dass umwandlungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei dem übernehmenden Rechtsträger nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird.4 Die Steuerneutralität wird technisch durch Buchwertverknüpfung hergestellt, wobei dem übernehmenden Rechtsträger ein entsprechendes Wahlrecht zur Seite steht.5 Bleibt umwandlungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht nicht uneingeschränkt erhalten, erfolgt eine Sofortversteuerung durch Realisation der in den übergehenden Wirtschaftsgütern ruhenden stillen Reserven. Eine derartige Sofortversteuerung ist allerdings mit den unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten unvereinbar.6 Zulässig ist allerdings die sog. Stundungslösung, wonach zwecks Sicherung der stillen Reserven eine Gewinnrealisierung normiert werden darf, wenn hierauf entfallende Steuern bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Gewinnrealisierung etwa durch Veräußerung gestundet werden. Der EuGH akzeptiert grds. auch eine Stundung über wenige Jahre.7

16.92

In den Fällen der steuerneutralen Einbringung, also dann, wenn ein Betrieb oder ein Teilbetrieb oder Kapitalanteile in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten zu einem unter dem gemeinen Wert liegenden Wert eingebracht werden (§§ 20, 21 1 2 3 4

Vgl. Art. 2, 17 SE-VO, Art. 2, 19 SCE-VO. Vgl. §§ 122a – l UmwG. § 1 Abs. 2, 4 UmwStG. Vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG für die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften; allg. hierzu Schaumburg in FS Herzig, 2011, 711 ff. 5 Vgl. z.B. § 3 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bei der Verschmelzung einer Körperschaft auf eine nur Personengesellschaft. 6 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 – National Grid Indus, FR 2012, 25 m. Anm. Musil; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521 – Kommission/Portugal, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 – Kommission/Spanien, ISR 2013, 225 m. Anm. Müller. 7 Eine Steuerstreckung über fünf Jahre wurde zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert von EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller; vgl. hierzu Linn, IStR 2014, 136; Gosch, IWB 2014, 183; ferner EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331 – Verder LabTec, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller.

844 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.94 Kap. 16

UmwStG), erfolgt in bestimmten Fällen eine nachträgliche Versteuerung. Hierzu gehört insbesondere der Fall, dass nach der Einbringung eines Betriebs oder Teilbetriebs (Sacheinlage) die erhaltenen Anteile oder bei Einbringung von Kapitalanteilen (Anteilstausch) die eingebrachten Anteile innerhalb von sieben Jahren veräußert werden (§ 22 Abs. 1 und 2 UmwStG). Entsprechendes gilt bei der Einbringung von Betriebsvermögen in eine Personengesellschaft (§ 24 Abs. 5 i.V.m. § 22 Abs. 3 UmwStG).

2. Pflichtenkreis Für internationale Umwandlungen bestehen keine gegenüber den Finanzbehörden speziell zu erfüllenden Meldepflichten. Insoweit gelten daher etwa für internationale Umwandlungen von Kapitalgesellschaften die allgemeinen Anzeigepflichten gem. §§ 137, 138 Abs. 2 AO1 und Steuererklärungspflichten.2 Besonderheiten ergeben sich z.B. bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, wonach die übertragende Kapitalgesellschaft jeweils zur Erstellung und Abgabe einer steuerlichen Schlussbilanz auf den steuerlichen Übertragungsstichtag verpflichtet ist (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 UmwStG). Diese Verpflichtung ist aufgrund Gesamtrechtsnachfolge (§ 12 Abs. 3 UmwStG) von der übernehmenden Kapitalgesellschaft zu erfüllen3 und gilt unabhängig davon, ob die übertragende Kapitalgesellschaft im Inland unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig oder im Inland zur Führung von Büchern verpflichtet ist.4 Von besonderer Bedeutung sind die Nachweispflichten im Zusammenhang mit sperrfristbehafteten Anteilen. Es geht hierbei um die im Zuge einer Sacheinlage (§ 20 UmwStG) erhaltenen und um die im Rahmen eines Anteilstauschs übertragenen Anteile (§ 21 UmwStG). Werden die vorgenannten Anteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt veräußert, ist der Gewinn aus der Einbringung rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung als sog. Einbringungsgewinn I (§ 22 Abs. 1 UmwStG) bzw. als Einbringungsgewinn II (§ 22 Abs. 2 UmwStG) nachzuversteuern, wenn weitere im Gesetz genannte Voraussetzungen erfüllt sind. Um die Besteuerung des Einbringungsgewinns I und des Einbringungsgewinns II sicherzustellen, hat der Einbringende in den dem Einbringungszeitpunkt folgenden sieben Jahren jährlich spätestens bis zum 31. Mai den Nachweis darüber zu erbringen, wem die sperrfristbehafteten Anteile zuzurechnen sind (§ 22 Abs. 3 Satz 1 UmwStG). Wird dieser Nachweis nicht erbracht, gelten die Anteile zu Beginn des jeweiligen jährlichen Überwachungszeitraums innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist als veräußert (§ 22 Abs. 3 Satz 2 UmwStG). Die entsprechenden Nachweispflichten bestehen in bestimmten Fällen auch bei der Einbringung in eine Personengesellschaft (§ 24 Abs. 5 UmwStG).

16.93

3. Pflichtverletzungen Im Zusammenhang mit internationalen Umwandlungen betreffen die Probleme mit strafrechtlicher Relevanz in erster Linie die Frage, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt umwandlungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der 1 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 01.20. 2 Aufgrund Gesamtrechtsnachfolge zu erfüllen vom übernehmenden Rechtsträger (vgl. § 4 Abs. 2, § 12 Abs. 3 UmwStG). 3 Entsprechendes gilt für die Abgabe von Steuererklärungen für die übertragende Kapitalgesellschaft. 4 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 03.01.

Schaumburg/Häck | 845

16.94

Kap. 16 Rz. 16.94 | Ertragsteuerrecht

übertragenen Wirtschaftsgüter bei dem übernehmenden Rechtsträger ausgeschlossen oder beschränkt wird. Ist dies der Fall, ist die Steuerneutralität der Umwandlung von vornherein ausgeschlossen. Im Hinblick darauf sind abgegebene Steuer- und Feststellungserklärungen nicht selten unzutreffend, weil die Voraussetzungen einer steuerneutralen Umwandlung nicht gegeben sind. Dies gilt unabhängig davon, ob etwa seitens des übernehmenden Rechtsträgers ein Antrag auf Buchwertfortführung gestellt wurde oder nicht.1 Denn der Antrag, der spätestens bis zur erstmaligen Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz bei dem für die Besteuerung des übernehmenden Rechtsträgers zuständigen Finanzamt zu stellen ist,2 wird nicht etwa durch das zuständige Finanzamt beschieden, sondern erzeugt unmittelbare Rechtswirkungen, falls die hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. a) Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug

16.95

Bei inländischen Umwandlungen mit Auslandsbezug geht es in der Praxis im Wesentlichen um folgende Fallgruppen:3 die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften mit beschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern und/oder ausländischen Betriebsstätten auf andere Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften sowie die Verschmelzung von Personengesellschaften auf Kapitalgesellschaften (Einbringung), die bzw. deren Gesellschafter später wegziehen.

16.96

Bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf andere Kapitalgesellschaften4 oder auf Personengesellschaften5 darf die übertragende Kapitalgesellschaft in ihrer steuerlichen Schlussbilanz (Übertragungsbilanz) die übergehenden Wirtschaftsgüter mit einem Wert unterhalb des gemeinen Wertes insoweit ansetzen, als insbesondere sichergestellt ist, dass deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übergehenden Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 3 Abs. 2, § 11 Abs. 2 UmwStG). Ein Ansatz mit dem gemeinen Wert, also eine Entstrickung, kommt insbesondere dann in Betracht, wenn in DBA-Staaten ansässige Anteilseigner der übertragenden Kapitalgesellschaft in Deutschland lediglich beschränkt steuerpflichtig sind. Strafrechtlich relevant sind derartige Verschmelzungsvorgänge dann, wenn dem zuständigen Finanzamt die Kenntnis über den Steuerstatus der Anteilseigner vorenthalten wird.

16.97

Beispiel: Die unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige A-GmbH hielt ursprünglich alle Anteile an der B-GmbH; weiteres Vermögen hatte die A-GmbH nicht. An der A-GmbH waren je zur Hälfte im Inland unbeschränkt sowie beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen beteiligt. Die beschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner waren sämtlich in Spanien ansässig. Aufgrund entsprechender Gesellschafterbeschlüsse wurde die A-GmbH Mitte 2015 auf die B-GmbH verschmolzen (Abwärtsverschmelzung). Der Geschäftsführer der B-GmbH, der zugleich Geschäftsführer der A-GmbH war, stellte bei dem für die A-GmbH zuständigen Finanzamt Ende 2015 den Antrag, die übergehenden Wirtschaftsgüter (Anteile an der B-GmbH) in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem Buchwert anzusetzen (§ 11 Abs. 2 UmwStG). Der Geschäftsführer hatte sich in dieser Angelegenheit vorher steuerlich mit dem Ergebnis beraten lassen, dass ein Buchwertansatz rechtlich zulässig sei. Dementspre-

1 Vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG für den Fall der Sacheinlage. 2 Vgl. § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG. 3 Vgl. hierzu Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, 2013, Rz. 6.56; ferner Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.25 ff. 4 Hierzu im Überblick Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, 2013, Rz. 8.46 ff. 5 Hierzu im Überblick Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.29 ff.

846 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.98 Kap. 16 chend hat der Geschäftsführer in der maßgeblichen Körperschaftsteuererklärung der A-GmbH keinen Übertragungsgewinn ausgewiesen. Im Zuge einer späteren Außenprüfung wird festgestellt, dass an der übertragenden A-GmbH beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen beteiligt waren. Die Außenprüfung vertritt die Ansicht, dass im Zuge der Abwärtsverschmelzung bei der A-GmbH ein Übertragungsgewinn hätte versteuert werden müssen. Gegen den Geschäftsführer der A-GmbH wird daher ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Die Abwärtsverschmelzung ist dann steuerneutral möglich, wenn u.a. deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenden Wirtschaftsgüter (Anteile an der B-GmbH) bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft (hier B-GmbH) nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG). Ob dies bei einer Abwärtsverschmelzung hinsichtlich der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft der Fall ist, war in der Vergangenheit umstritten: Einigkeit bestand darin, dass eine Abwärtsverschmelzung auf Ebene der übernehmenden Tochtergesellschaft (hier B-GmbH) nicht zu einem steuerpflichtigen Durchgangserwerb eigener Anteile führt, sodass die Anteile an der übernehmenden Tochtergesellschaft (hier B-GmbH) unmittelbar (im Wege des Direkterwerbs) auf die Anteilseigner der übertragenen Muttergesellschaft (hier A-GmbH) übergehen.1 Die Finanzverwaltung stellt für einen Buchwertansatz darauf ab, ob das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Anteile an der übernehmenden Tochtergesellschaft (hier B-GmbH) entfällt oder eingeschränkt wird.2 Ausgehend von dieser Verwaltungsansicht entfiele verschmelzungsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht. Dies deshalb, weil vor der Verschmelzung die etwaige Veräußerung der Anteile an der B-GmbH auf Ebene der A-GmbH der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterlagen, während nach der Verschmelzung die Anteile an der B-GmbH nunmehr nicht mehr der deutschen Veräußerungsgewinnbesteuerung ausgesetzt sind, soweit die vorgenannten Anteile den beschränkt steuerpflichtigen spanischen Gesellschaftern zuzuordnen sind: Etwaige Veräußerungsgewinne unterlägen zwar der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG), abkommensrechtlich entfiele jedoch der Steuerzugriff (Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien). Die vorgenannte Ansicht der Finanzverwaltung wurde im steuerrechtlichen Schrifttum allerdings überwiegend nicht geteilt.3 Danach waren in Orientierung an dem Gesetzeswortlaut die Anteile an der übernehmenden Tochtergesellschaft (B-GmbH) nicht als im Rahmen der Abwärtsverschmelzung übergehende Wirtschaftsgüter und die Anteilseigner der übertragenden Muttergesellschaft (A-GmbH) nicht als übernehmende Rechtsträger anzusehen. Danach war eine steuerneutrale Abwärtsverschmelzung ohne Weiteres möglich. Hiernach war also ein Übertragungsgewinn der AGmbH steuerlich nicht zu erklären gewesen. Da A aufgrund steuerlicher Beratung mit guten Gründen davon ausgehen durfte, dass die Abwärtsverschmelzung auf Ebene der A-GmbH keinen Übertragungsgewinn auslöst, war jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Er war auch nicht verpflichtet etwa bei Abgabe der Körperschaft-

1 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 11.18; vgl. auch BFH v. 28.10.2009 – I R 4/09, BStBl. II 2011, 315. 2 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 11.19. 3 Vgl. etwa Schmitt in S/H/S8, § 11 UmwStG Rz. 125; Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 112; Schmitt/Schloßmacher, UmwStE 2011, München 2012, Anm. zu Rz. 11.19; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.49; Rödder/Schmidt-Fehrenbacher, UmwStE 2011, Bonn 2012, Anm. zu Rz. 11.19; Rödder/Schaden, Ubg 2011, 40 ff.; Kessler/Philipp, DB 2011, 1658; Schumacher/Neitz-Hackstein, Ubg 2011, 409 (412); Schönfeld, IStR 2011, 497.

Schaumburg/Häck | 847

16.98

Kap. 16 Rz. 16.98 | Ertragsteuerrecht

steuererklärung darauf hinzuweisen, dass spanische Anteilseigner an der übertragenden AGmbH beteiligt waren.1 Der BFH hat sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 zwar der Ansicht der Finanzverwaltung im Ergebnis anschlossen;2 dies ändert aber nichts daran, dass der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung bei A zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht erfüllt war.

16.99

Die Verschmelzung von Kapital- auf Personengesellschaften mit ausländischem Betriebsstättenvermögen ist steuerneutral nur möglich, wenn sichergestellt ist, dass deutsches Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Soweit unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind, tritt hinsichtlich des ausländischen Betriebsstättenvermögens im Grundsatz keine steuerliche Änderung ein. Anders ist es dagegen bei beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern, weil sowohl die laufenden Gewinne als auch die Gewinne aus der Veräußerung von Betriebsstättenvermögen nach der Verschmelzung auf die Personengesellschaft als ausländische Betriebsstättengewinne nicht mehr der beschränkten Steuerpflicht unterliegen.3 Das gilt allerdings nur in den Fällen, in denen keine DBA eingreifen, und in Abkommensfällen, soweit die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wird, weil andernfalls bereits vor der Verschmelzung kein Besteuerungsrecht bestand.4 Beispiel: Aufgrund entsprechender Gesellschafterbeschlüsse wird die A-GmbH auf die A-GmbH & Co. KG verschmolzen. Anteilseigner der A-GmbH sind im Inland ansässige natürliche Personen sowie in Höhe von 10 v.H. der in Gibraltar wohnhafte X. Die A-GmbH unterhält u.a. eine Betriebsstätte in Gibraltar. Der Geschäftsführer der A-GmbH & Co. KG stellt bei dem für die A-GmbH zuständigen Finanzamt den Antrag, die im Zuge der Verschmelzung übergehenden Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz der A-GmbH mit dem Buchwert anzusetzen. Dass X in Gibraltar ansässig ist, erwähnt er bei seinem Antrag nicht. Die auf die A-GmbH & Co. KG übergehenden Wirtschaftsgüter setzt der Geschäftsführer in der steuerlichen Schlussbilanz der A-GmbH mit dem Buchwert an, sodass ein Übertragungsgewinn weder in der steuerlichen Schlussbilanz noch in der entsprechenden Körperschaftsteuererklärung der A-GmbH ausgewiesen wird. Während der späteren Außenprüfung erlangt das zuständige Finanzamt erstmals Kenntnis davon, dass X in Gibraltar wohnhaft ist. Daher wird entsprechend der Beteiligung des X an der früheren AGmbH (10 v.H.) ein Übertragungsgewinn für die der Betriebsstätte in Gibraltar zuzuordnenden Wirtschaftsgüter ermittelt. Gegen den Geschäftsführer wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

16.100

Die Verschmelzung der A-GmbH auf die A-GmbH & Co. KG war hier deshalb nicht im vollen Umfang steuerneutral möglich, weil deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne aus der Veräußerung der auf die A-GmbH & Co. KG übertragenen der Betriebsstätte in Gibraltar zuzuordnenden Wirtschaftsgüter wegfällt (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Ob deutsches Besteuerungsrecht verloren geht oder beschränkt wird, ist zunächst gesellschafterbezogen zu prüfen, und zwar bezogen auf die jeweils übergehenden Wirtschaftsgüter. Diese

1 Zur Reichweite der Erklärungspflichten i.S.d. § 370 AO: BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203; Harms, Stbg 2005, 12 (14); ferner Randt in FS Schaumburg, 2009, 1255 ff. m.w.N. 2 BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, IStR 2019, 76; BFH v. 30.5.2018 – I R 35/16, BFH/NV 2019, 46. 3 Vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663; BMF, Schr. v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.19 (UmwStE); Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.32. 4 Möhlenbrock/Pung in D/P/M, § 3 UmwStG Rz. 96; Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 189; Martini in W/M, § 3 UmwStG Rz. 841; Schmitt in S/H/S8, § 3 UmwStG Rz. 85; Schnitter in Frotscher/Drüen, § 3 UmwStG Rz. 160.

848 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.102 Kap. 16

gesellschafterbezogene Betrachtungsweise1 führt hier dazu, dass die der Betriebsstätte in Gibraltar zuzuordnenden Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind, soweit X hieran (10%) beteiligt ist.2 Dies deshalb, weil verschmelzungsbedingt die vorgenannten Wirtschaftsgüter, soweit sie über die Beteiligung an der A-GmbH & Co. KG auf X entfallen, gänzlich aus dem deutschen Steuerzugriff ausscheiden: Während die Gewinne aus der Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter vor der Verschmelzung bei der AGmbH der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterlagen, ohne dass dem die Schrankenwirkungen eines DBA entgegenstanden,3 sind nach der Verschmelzung die betreffenden Wirtschaftsgüter, soweit X an der A-GmbH & Co. KG beteiligt ist (10%) überhaupt keiner deutschen Besteuerung ausgesetzt.4 Damit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Sollten die weiteren Ermittlungen ergeben, dass dem Geschäftsführer bewusst war, dass es auf den Wohnsitz des X ankam, wird auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben sein.

16.101

b) Grenzüberschreitende Umwandlungen Rechtstechnisch ist aus dem Bereich grenzüberschreitender Umwandlungen lediglich die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften möglich, soweit mindestens eine der beteiligten Kapitalgesellschaften dem Recht eines anderen EU-/EWR-Staates unterliegt (§§ 122a ff. UmwG).5 Schließlich sieht auch die SE-VO6 die Gründung einer SE durch grenzüberschreitende Verschmelzung vor, wobei insoweit lediglich eine Verschmelzung durch Aufnahme oder durch Neugründung in Betracht kommt.7 Im Übrigen kann das Ziel einer grenzüberschreitenden Umwandlung auch durch die Einbringung von Betrieben, Teilbetrieben, Mitunternehmeranteilen oder Kapitalanteilen in EU-/EWR-Kapitalgesellschaften gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten verwirklicht werden (§§ 20, 21 UmwStG). Unionsrechtlich geboten und nach unionskonformem nationalen Recht zulässig ist schließlich auch der formwechselnde Zuzug/Wegzug von EU-Kapitalgesellschaften.8 1 Hierzu BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 03.18. 2 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 03.19. 3 Mit Gibraltar besteht kein DBA; das DBA-Großbritannien umfasst nicht Gibraltar. 4 Auch keine beschränkte Steuerpflicht bei X, da insoweit keine inländische Betriebsstätte gegeben ist (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). 5 Weitergehend Drygala in Lutter6, § 1 UmwG Rz. 11 ff., der aus unionsrechtlichen Gründen z.B. auch eine grenzüberschreitende Spaltung für zulässig erachtet (Rz. 19); ebenso Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.99 ff. und 2.106 ff. m.w.N.; Kleba, RNotZ 2016, 273 ff.; Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (765). Die MobilRL (Richtlinie [EU] 2019/2121, ABl. EU 2019 Nr. L 321, 1) sieht nun normative Regeln auch für grenzüberschreitende Spaltungen (zur Neugründung) vor, dazu Bayer/Schmidt, BB 2019, 1922 (1925 ff.). Die Mitgliedstaaten haben entsprechende Regelungen bis zum 23.1.2023 umzusetzen. 6 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 v. 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG 2001 Nr. L 294, 1. 7 Entsprechendes gilt für die SCE; Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE); ABl. EG 2007 Nr. L 49, 35. 8 EuGH v. 12.7.2012 – C 278/10, ECLI:EU:C:2012:440 – VALE Építési, ZIP 2012, 1394; OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349; vgl. zu diesem Problemkreis Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.101 ff; Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 ff.; Schön, ZGR 2013, 333 ff.

Schaumburg/Häck | 849

16.102

Kap. 16 Rz. 16.103 | Ertragsteuerrecht

16.103

Die Hinausverschmelzung von inländischen auf ausländische Kapitalgesellschaften1 gehört in der Praxis zur wichtigsten Fallgruppe der internationalen Umwandlung von Kapitalgesellschaften. Vom Regelungsbereich des UmwStG werden sie nur dann erfasst, wenn sowohl übertragende als auch übernehmende Rechtsträger nach dem Recht eines EU- oder EWR-Staates gegründete Gesellschaften i.S.d. Art. 54 AEUV oder Art. 34 EWR-Abkommens sind und deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung sich in einem EU-/EWR-Staat befindet (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Die Steuerneutralität einer derartigen Hinausverschmelzung ist neben anderen Voraussetzungen nur möglich, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Zu einer Entstrickung und damit zu einem Übertragungsgewinn kommt es in den vorgenannten Fällen insbesondere dann, wenn im Zuge der Hinausverschmelzung materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter nunmehr der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind. Diese Fälle sind in besonderer Weise strafrechtlich relevant, wenn aus dem Zuordnungswechsel keine steuerlichen Konsequenzen gezogen werden. Beispiel: Die in Deutschland ansässige A-GmbH unterhält hier einen großen Produktionsbetrieb mit einer entsprechenden kaufmännischen Einrichtung, die auch Beteiligungen an in- und ausländischen Tochtergesellschaften sowie Patente verwaltet. Die A-GmbH wird rückwirkend zum 31.12.2013 auf die französische X-SA verschmolzen. Die Eintragung der Verschmelzung erfolgt acht Monate nach dem Verschmelzungsstichtag in den entsprechenden Registern beider Staaten. Erst nach der Registereintragung wechseln die Geschäftsführer der A-GmbH in die Geschäftsführung der französischen XSA über. Beide Geschäftsführer haben zuvor den Antrag gestellt, die übergehenden Wirtschaftsgüter der A-GmbH mit dem Buchwert anzusetzen (vgl. § 11 Abs. 2 UmwStG). In der auf den steuerlichen Übertragungsstichtag erstellten steuerlichen Schlussbilanz sind dementsprechend die Buchwerte angesetzt und in der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärung keine Übertragungsgewinne ausgewiesen worden. Ebenso wurden seitens der übernehmenden X-SA in den folgenden Steuererklärungen keine Gewinnrealisierungen bezüglich der übergegangenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter erklärt. Im Rahmen einer zu einem späteren Zeitpunkt bei der X-SA durchgeführten Außenprüfung wird festgestellt, dass es zu einer Gewinnrealisierung in den Beteiligungen und in den Patenten gekommen ist. Dementsprechend wird gegen die beiden Geschäftsführer der früheren AGmbH und jetzigen X-SA ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

16.104

Da sowohl die A-GmbH als übertragender als auch die X-SA als übernehmender Rechtsträger im EU-/EWR-Bereich ansässig sind, liegen die Eingangsvoraussetzungen für die Anwendung der §§ 11 ff. UmwStG vor (§ 1 Abs. 1, 2 Nr. 1 UmwStG). Eine Steuerneutralität auf Ebene der übertragenden A-GmbH hängt davon ab, ob verschmelzungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden X-SA nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Abzustellen ist hierbei auf den Verschmelzungsstichtag (§ 2 Abs. 1 UmwStG).2 Zu diesem zurückliegenden Zeitpunkt konnte ein verschmelzungsbedingter Zuordnungswechsel nicht gegeben sein, weil damals die A-GmbH tatsächlich noch existent war. Ein Wechsel in der Zuordnung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter von der zurückbleibenden deutschen Produktionsbetriebsstätte auf die X-SA als Stammhaus in Frankreich konnte daher frühestens mit dem Wechsel der beiden Geschäftsführer der früheren A-GmbH zur X-SA Ende August 2014 erfolgen.3 1 Hierzu im Überblick Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.80 ff.; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2013, Rz. 8.245 ff. 2 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 11.05 S. 3. 3 Schmitt in S/H/S8, § 11 UmwStG Rz. 116; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/ 0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 02.15.

850 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.105 Kap. 16

Sollten die Ermittlungen erweisen, dass die Beteiligungen an in- und ausländischen Tochtergesellschaften sowie die Patente nicht mehr im Inland, sondern im Rahmen der Geschäftsleitung in der französischen X-SA als Stammhaus verwaltet werden und somit diesem steuerlich zuzuordnen sind,1 sind jedenfalls aus Sicht der Finanzverwaltung die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG2 gegeben mit der Folge, dass in Höhe der Differenz zwischen Buchwert und dem gemeinen Wert der übergangenen Wirtschaftsgüter ein fiktiver Veräußerungsgewinn der Besteuerung zu unterwerfen ist. Dem steht allerdings die Rechtsprechung des BFH3 entgegen, wonach künftige Gewinne aus der Veräußerung der nunmehr dem ausländischen Stammhaus zuzuordnenden Wirtschaftsgüter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeiträgen aufzuteilen sind.4 Die Rechtsfrage kann hier im Ergebnis offenbleiben, weil aus Sicht der Geschäftsführer in 2014 diese steuerliche Entstrickungsregelung wegen Verstoßes gegen die unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten5 ohnehin nicht anwendbar war.6 Die Unionsrechtswidrigkeit dieser auf Gewinnrealisierung gerichteten Entstrickungsnorm des § 12 Abs. 1 KStG (§ 4 Abs. 1 Sätze 3, 4, § 4g EStG) ist nicht nur von Anbeginn an in der Literatur,7 sondern in vergleichbaren Fällen durch den EuGH bejaht,8 aber auch (später) verneint9 worden. Hieraus folgt, dass beide Geschäftsführer in 2014 davon ausgehen durften, dass der Wechsel in der Zuordnung keine unmittelbar zur Steuerpflicht führende fiktive Veräußerung auslöst. Das bedeutet zugleich, dass jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist. Den Geschäftsführern der X-SA oblag nicht die Verpflichtung, im Rahmen der von Ihnen abzugebenden Steuererklärungen den Zuordnungswechsel der betreffenden Wirtschaftsgüter als steuerlich erhebliche Tatsache zu offenbaren: Sie haben eine Rechtsansicht zugrunde gelegt, die in Orientierung an die BFH- und EuGH-Rechtsprechung zu dem Ergebnis kam, dass entweder überhaupt keine Gewinnrealisierung oder die in § 12 Abs. 1 KStG verankerte Entstrickungsregelung mit den unionsrechtlich verbürgten 1 So auf Basis der bisher vertretenen sog. Zentralfunktion des Stammhauses; vgl. BMF v. 25.1.2006 – IV B 1-S 1320-11/06, BStBl. I 2006, 26, Rz. 2.1.2; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4 (BMF v. 25.8.2009 – IV B 5-S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.4; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 [UmwStE], Rz. 11.09); vgl. nunmehr § 1 Abs. 4, 5 AStG und die in der BsGaV niedergelegten Zuordnungsgrundsätze. 2 § 12 Abs. 1 KStG soll geändert und um einen Abs. 1a erweitert werden (RefE ATADUmsG v. 24.3.2020). 3 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 404; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106. 4 Hieran ändert auch nichts der bloß Beispiele aufzählende § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG; vgl. Gosch, IWB 2012, 779 (785); Schaumburg, ISR 2013, 197 (200). 5 Hier Niederlassungsfreiheit Art. 49 AEUV. 6 Die Steuerstreckung über fünf Jahre gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 4g EStG ist unzureichend. 7 Hierzu Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.25 m.w.N. 8 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 – National Grid Indus, FR 2012, 25 m. Anm. Musil; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521 – Kommission/Portugal, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 – Kommission/Spanien, ISR 2013, 225 m. Anm. Müller; zuvor schon EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU: C:2004:138 – de Lasteyrie du Saillant, FR 2004, 659 und EuGH v. 7.7.9.2006 – C-470/04, ECLI: EU:C:2006:525 – N, FR 2006, 1128. 9 EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC, FR 2014, 466 m. Anm. Musil = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller. Ob dies auch für Wegzugsfälle gilt, ist im Anschluss an EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler, ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel wieder offen; vgl. stv. Schönfeld in FS Lüdicke, 2019, 567 (570).

Schaumburg/Häck | 851

16.105

Kap. 16 Rz. 16.105 | Ertragsteuerrecht

Grundfreiheiten unvereinbar und deshalb nicht anwendbar ist.1 Dass die Geschäftsführer den in § 90 Abs. 3 Satz 4 AO .a.F. aufgeführten Dokumentationspflichten, wonach grenzüberschreitende Innentransaktionen für Stammhaus und Betriebsstätte zu erstellen waren, nicht entsprochen haben, ist strafrechtlich ohne Belang. Eine Ordnungswidrigkeit ist ebenfalls nicht gegeben.

16.106

In der Praxis sind die Fälle von besonderer Bedeutung, in denen Unternehmensteile – Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil – oder Kapitalanteile in eine ausländische Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten eingebracht werden. Diese grenzüberschreitenden Einbringungsvorgänge unterliegen dem Regelungsbereich des UmwStG, wenn die übernehmende ausländische Kapitalgesellschaft im EU-/EWR-Bereich ansässig ist (§ 1 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Nr. 5 UmwStG). Die Steuerneutralität hängt davon ab, dass im Falle der Einbringung von Unternehmensanteilen deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden Gesellschaft (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG) und beim grenzüberschreitenden Anteilstausch deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG). Die Steuerneutralität wird nur unter Vorbehalt gewährt. Werden etwa die eingebrachten Kapitalanteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt durch die übernehmende ausländische Kapitalgesellschaft veräußert oder wird ein entsprechender Ersatzrealisationstatbestand verwirklicht, wird hierdurch die rückwirkende Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns II beim Einbringenden ausgelöst (§ 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG). Zu den Ersatzrealisationstatbeständen zählt auch der Wegzug der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat (§ 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG). Erlangt das zuständige deutsche Finanzamt von dem Wegzug der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft keine oder nur verspätet Kenntnis, ergeben sich ggf. strafrechtliche Folgen für die an dem grenzüberschreitenden Anteilstausch beteiligten Personen. Beispiel: Der in Deutschland ansässige A hält alle Anteile an der in der Schweiz domizilierenden AAG. Er bringt seine Anteile an der A-AG in die in Luxemburg ansässige X-SA gegen Gewährung neuer Gesellschaftsrechte ein. A ist Vorstand der X-SA. Die Einbringung der Anteile an der A-AG erfolgt antragsgemäß zu Buchwerten. Demzufolge hat A keinen Einbringungs- bzw. Veräußerungsgewinn hinsichtlich der Anteile an der inländischen A-GmbH erklärt. A hat in der Folgezeit dem Finanzamt jährlich mitgeteilt, dass die von ihm eingebrachten Kapitalanteile unverändert der X-SA zuzurechnen sind.2 Im Zuge einer späteren Außenprüfung wird festgestellt, dass die X-SA zwei Jahre nach der Einbringung der Anteile an der A-GmbH ihren Ort der Geschäftsleitung in die Schweiz verlegt hat. Dementsprechend wird bei dem einbringenden A rückwirkend ein Einbringungsgewinn II angesetzt. Sogleich wird gegen A ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

16.107

Die Anteilseinbringung fällt in den Anwendungsbereich des UmwStG, weil die übernehmende X-SA eine EU-Kapitalgesellschaft ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 5 UmwStG). Dass die A-AG, deren Anteile eingebracht werden, in einem Drittstaat ansässig ist, spielt keine Rolle. Im Hinblick darauf, dass eine mehrheitsvermittelnde Beteiligung eingebracht wurde, es sich also um einen qualifizierten Anteilstausch handelt (§ 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG), waren auf Antrag des einbringenden A die erhaltenen Anteile an der X-SA mit dem Buchwert

1 Zur Reichweite der Erklärungspflicht i.S.d. § 370 AO: BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203; Harms, Stbg 2005, 12 (14); Randt in FS Schaumburg, 2009, 1255 ff. m.w.N. 2 Vgl. § 22 Abs. 3 UmwStG.

852 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.110 Kap. 16

anzusetzen: Deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile war abkommensrechtlich nicht ausgeschlossen oder beschränkt (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 DBA-Luxemburg). Ob die übernehmende X-SA in Luxemburg ihrerseits den Buchwert angesetzt hat, spielt keine Rolle.1 Durch die Verlegung des Orts der Geschäftsleitung der X-SA in die Schweiz innerhalb des maßgeblichen Sieben-Jahres-Zeitraums entfallen im Nachhinein die Eingangsvoraussetzungen für die Anwendung des UmwStG. Denn die Steuerneutralität der Einbringung war nur deshalb möglich, weil die in Luxemburg gegründete X-SA dort sowohl den Sitz als auch den Ort der Geschäftsleitung hatte (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 5 UmwStG). Der Wegfall dieser Voraussetzung löst einen Einbringungsgewinn II aus, der zu einer Besteuerung bei dem einbringenden A führt (§ 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG).

16.108

In strafrechtlicher Hinsicht ist die Rechtslage wie folgt: Der Wegzug der X-SA in die Schweiz ist zwar ein rückwirkendes Ereignis, das bei A als Einbringendem zum Zeitpunkt der Einbringung einen steuerpflichtigen Einbringungsgewinn II2 auslöst und demzufolge zu einer Änderung des betreffenden Einkommensteuerbescheides führt (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO). A war aber nicht verpflichtet, dem für ihn zuständigen Finanzamt über dieses rückwirkende Ereignis Mitteilung zu machen. Insbesondere war A nicht gehalten, seine seinerzeitige Einkommensteuererklärung gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu berichtigen, weil die von ihm abgegebene Steuererklärung, die von der Steuerneutralität des Einbringungsvorgangs ausging, zutreffend war. Sie ist auch nicht durch den Wegzug der X-SA unrichtig geworden. A war auch nicht gem. § 22 Abs. 3 UmwStG verpflichtet, das Finanzamt über den Wegzug der X-SA zu informieren. Denn § 22 Abs. 3 UmwStG verlangt von A nur eine Mitteilung darüber, wem die von ihm eingebrachten Anteile zuzurechnen sind. Diesen Nachweis hat A erbracht. Ob der Ersatzrealisationstatbestand-Wegfall der Voraussetzungen i.S.d. § 1 Abs. 4 UmwStG (hier: Wegzug) erfüllt war oder nicht, obliegt allein der Überwachung durch das Finanzamt.3 Eine Strafbarkeit des A scheidet somit aus.

16.109

c) Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug Ausländische Umwandlungen, die nicht selten nach dem maßgeblichen ausländischen Steuerrecht steuerneutral möglich sind,4 wirken auch auf das inländische Steuerrecht ein. Hiermit sind insbesondere diejenigen Fälle angesprochen, in denen entweder im Zuge der ausländischen Umwandlung inländisches Betriebsstättenvermögen übergeht oder an den ausländischen Rechtsträgern unbeschränkt steuerpflichtige Personen beteiligt sind. Soweit die ausländischen Umwandlungen in EU-/EWR-Staaten vollzogen werden, fallen derartige Umwandlungen, soweit sie mit Umwandlungen nach dem UmwG vergleichbar sind, in den Anwendungsbereich des UmwStG (§ 1 Abs. 2, 4 UmwStG). Damit ist eine Steuerneutralität auch im Inland möglich. Das gilt auch für die in den §§ 20 ff. UmwStG geregelten Einbringungen, wobei Steuerneutralität für die Einbringung in Kapitalgesellschaften (§§ 22 ff. UmwStG) nur im EU-/EWR-Bereich (§ 1 Abs. 4 Satz 1 UmwStG) und für die Einbringung in Personengesellschaften (§ 24 UmwStG) auch für Drittstaaten in Betracht kommt (§ 1 Abs. 4 Satz 2

1 Keine doppelte Buchwertverknüpfung; vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001// 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 21.15 S. 3. 2 Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Buchst. c EStG). 3 Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 51. 4 Vgl. die Länderübersicht bei W/M, Anh. 3.

Schaumburg/Häck | 853

16.110

Kap. 16 Rz. 16.110 | Ertragsteuerrecht

UmwStG), ohne dass es in den vorgenannten Fällen auf eine Vergleichbarkeit mit einem Umwandlungsvorgang i.S.d. UmwG ankommt (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 und 5 UmwStG). Schließlich ist für die Verschmelzung ausländischer Kapitalgesellschaften in Drittstaaten1 auch die Anwendung von § 12 Abs. 2 KStG und von §§ 7 ff. AStG (Hinzurechnungsbesteuerung) möglich.

16.111

Strafrechtliche Probleme treten in diesem Zusammenhang dann auf, wenn für den verschmelzungsbedingten Übergang von Wirtschaftsgütern inländischer Betriebsstätten eine Steuerneutralität beansprucht wird, obwohl die Voraussetzungen hierfür tatsächlich nicht gegeben sind.

16.112

Beispiel: Die X-AG in der Schweiz unterhält in Deutschland eine Produktionsbetriebsstätte, mit deren Einkünften die X-AG der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegt. Aufgrund von in der Schweiz geltenden Umwandlungsvorschriften wird die X-AG auf die ebenfalls in der Schweiz ansässige Y-AG verschmolzen. In diesem Zusammenhang werden den ausschließlich in der Schweiz ansässigen Aktionären der A-AG aus Gründen eines wertmäßigen Spitzenausgleichs bare Zuzahlungen geleistet, die 10 v.H. des Gesamtnennbetrages der gewährten Aktien an der Y-AG übersteigen.2 Der Vorstand Y der Y-AG behandelt den verschmelzungsbedingten Übergang der Wirtschaftsgüter der inländischen Betriebsstätte als steuerneutral. In der betreffenden Körperschaftsteuererklärung verweist er diesbezüglich auf die Vorschrift des § 12 Abs. 2 KStG. Im Rahmen einer späteren Außenprüfung kommt die Finanzverwaltung zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 KStG nicht erfüllt worden sind. Dementsprechend wird gegen den verantwortlichen Vorstand Y ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

16.113

Die an sich gem. § 12 Abs. 2 KStG mögliche Steuerneutralität scheitert hier schon daran, dass die ausländische Verschmelzung nicht mit der in § 2 UmwG aufgeführten (inländischen) Verschmelzung vergleichbar ist (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KStG). Dies deshalb, weil hier die baren Zuzahlungen mehr als 10 v.H. des Gesamtnennbetrages der gewährten Anteile betragen3 und im Hinblick auf den hiermit herbeigeführten Spitzenausgleich eine als Veräußerungsentgelt zu qualifizierende Gegenleistung gegeben ist (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 KStG).4 Dass verschmelzungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung der übertragenden Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte nicht beschränkt wird (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 KStG), spielt hierbei keine Rolle. Die Steuerneutralität kann damit nicht auf § 12 Abs. 2 KStG gestützt werden.

16.114

Damit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Sollten die Ermittlungen ergeben, dass dem Vorstand Y in Kenntnis des Gesetzeswortlautes des § 12 Abs. 2 KStG bewusst war, dass in Deutschland eine Steuerneutralität bei einer gewährten Gegenleistung nicht in Betracht kommt, wird auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein.

16.115

Ausländische Umwandlungen können auch dann inländische Steuerfolgen auslösen, wenn zwar verschmelzungsbedingt kein inländisches Betriebsstättenvermögen übergeht, an dem übertragenden ausländischen Rechtsträger aber im Inland ansässige Anteilseigner beteiligt sind. Angesprochen ist hiermit insbesondere die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG).

1 Dieser eingeschränkte Anwendungsbereich ergibt sich aus § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KStG; hierzu Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 403. 2 Vgl. § 54 Abs. 4 UmwG. 3 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001//2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE), Rz. 1.25. 4 Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 406.

854 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.117 Kap. 16 Beispiel: Die deutsche A-GmbH hält alle Anteile an der in Luxemburg ansässigen X-SA, die ihrerseits alle Anteile an der Y-SA und an der Z-SA hält. Diese beiden Gesellschaften sind ebenfalls in Luxemburg ansässig. Aufgrund entsprechender Beschlüsse wird die Y-SA auf die Z-SA verschmolzen, ohne dass in Luxemburg eine verschmelzungsbedingte Gewinnrealisierung erfolgt. Der Geschäftsführer der deutschen A-GmbH, der über alle Vorgänge informiert ist, hat die Verschmelzung in den von der A-GmbH abzugebenden Feststellungs- oder Steuererklärungen nicht erfasst.

16.116

Im Rahmen einer späteren Außenprüfung bei der A-GmbH gelangt die Verschmelzung der Y-SA auf die Z-SA zur Kenntnis der deutschen Finanzverwaltung. Diese geht davon aus, dass die Verschmelzung bei der A-GmbH eine Hinzurechnungsbesteuerung auslöst. Dementsprechend wird gegen den Geschäftsführer der A-GmbH ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Eine Hinzurechnungsbesteuerung, für deren Zweck der Geschäftsführer der A-GmbH eine Feststellungserklärung abzugeben hätte (§ 18 Abs. 3 AStG), greift in dem hier interessierenden Zusammenhang nur ein, wenn die X-SA aus der Verschmelzung der Y-SA auf die Z-SA niedrig besteuernde Einkünfte aus passivem Erwerb (Zwischeneinkünfte) erzielt hat (vgl. § 8 Abs. 1, 3 AStG). Das ist hier nicht der Fall, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG gegeben sind. Hiernach sind die im Rahmen der Verschmelzung anfallenden Übertragungsgewinne als nicht der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegende aktive Einkünfte zu qualifizieren, wenn die Verschmelzung zu Buchwerten hätte erfolgen können, wenn sie sich im Inland vollzöge und zudem feststeht, dass sie nicht auf sog. Kapitalanlagegüter1 entfallen. Die erste Voraussetzung ist hier gegeben, weil die Verschmelzung, wäre sie im Inland (Deutschland) erfolgt, gem. § 11 Abs. 2 UmwStG steuerneutral möglich gewesen wäre. Ob die zweite Voraussetzung erfüllt ist, ist unklar. Wegen der Bezugnahme des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG auf § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG geht die Finanzverwaltung in der Praxis davon aus, dass der Steuerpflichtige (hier die A-GmbH) nachzuweisen hat, dass die verschmelzungsbedingt übergegangenen Wirtschaftsgüter bei der Y-SA nicht der Erzielung von Kapitalanlageeinkünften (§ 7 Abs. 6a AStG) dienten. Soweit also hier dieser Nachweis nicht erbracht wird, handelt es sich um Einkünfte aus passivem Erwerb, die bei der A-GmbH der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 Abs. 1 AStG) unterliegen. Indessen stellt § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG, der insoweit auf die Regelungen des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG verweist, ein derartiges Nachweiserfordernis nicht auf.2 Sollte daher trotz weiterer Sachverhaltsermittlungen nicht feststellbar sein, dass die Y-SA als übertragender Rechtsträger tatsächlich schädliche Kapitalanlagegüter i.S.d. § 7 Abs. 6a AStG erzielt hatte,3 geht der Nachteil aus dem Fehlen des Nachweises nicht zulasten der AGmbH. Das gilt in strafrechtlicher Hinsicht auch für den verantwortlichen Geschäftsführer der A-GmbH, weil steuerliche Beweislast- und Vermutungsregelungen im Strafverfahren keine Anwendung finden.4

V. Grenzüberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Kommentare zu § 8 Abs. 3 KStG, § 1 Abs. 1 – 3 AStG und zu Art. 9 OECD-MA; Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, Hamburg 2000; Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, Berlin 2009; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln Kap. 4, Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland – Ertragsteuerliche Folgen, Strategien und Modelle, Düsseldorf 2004, Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Eisele, Grenzüber1 2 3 4

Wirtschaftsgüter, die den in § 7 Abs. 6a AStG bezeichneten Tätigkeiten dienen. Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 390. Dieser Nachweis ist in der Praxis ohnehin meist nicht zu führen; vgl. Lieber, FR 2002, 139 (145). Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94; Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO Rz. 87a.

Schaumburg/Häck und Schaumburg | 855

16.117

Kap. 16 Rz. 16.117 | Ertragsteuerrecht schreitende Funktionsverlagerung, Berlin 2003; Engel, Konzerntransferpreise im internationalen Steuerrecht, Köln 1986; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung, in Schaumburg/Rödder, Unternehmenssteuerreform 2008, München 2007, 541; Graf, Gewinnabgrenzung im Electronic Commerce, Hamburg 2003; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. München 2016, 733 ff.; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied 2001; Klein, Die steuerliche Verrechnungspreisgestaltung international tätiger Unternehmen: Problem der nationalen und internationalen Anwendung des dealing-at-arm’s-length-Prinzips, Bergisch Gladbach 1987; Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, Göttingen 2008; Korff, Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen aus Sicht Deutschlands und der USA, Lohmar 2008; Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Köln; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, München 1997; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethoden zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg, 2009; Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern, Lohmar 2003; Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, Berlin 2003; Rasch, Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht, Köln 2001; Raupach, Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschafts- und steuerrechtlicher Sicht, Herne/Berlin 1999; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 21.136 ff.; Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Köln 2000; Schaumburg/ Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerung – Neuausrichtung?, Köln 2010; Schein, Verrechnungspreismethoden für den datennetzgestützten Geschäftsverkehr zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften, München 2005; Schuch, Verrechnungspreisgestaltung im Internationalen Steuerrecht, Wien 2001; Sinz/Kahle, Praxis der Verrechnungspreissysteme in ausgewählten Branchen, Herne 2013; Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, 5. Aufl. München 2020; Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, Berlin 2003; Wehner, Verrechnungspreise, Bonn 2003; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, Baden-Baden 2009; Ziehr, Einkünftezurechnung im internationalen Einheitsunternehmen, Lohmar 2008.

1. Überblick 16.118

Im Hinblick darauf, dass in- und ausländische Kapitalgesellschaften selbständige Steuersubjekte1 sind, ist stets zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterebene zu trennen. Dieses Trennungsprinzip2 gilt auch für international verbundene Kapitalgesellschaften, insbesondere für international operierende Konzerne,3 sodass für jede einzelne derart verbundene Kapitalgesellschaft die Einkünfte gesondert zu ermitteln sind. Dass insbesondere internationale Konzerne aus selbständigen Steuersubjekten bestehen, ändert nichts an dem Umstand, dass sie wirtschaftlich eine Einheit darstellen können. Aus diesem Grund sind Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften durchweg nicht von zwischen fremden Dritten üblichen Interessengegensätzen geprägt. Ist ein derartiges Drittfremdverhalten nicht gegeben und sind hierdurch die Einkünfte der an den Geschäftsbeziehungen beteiligten mit miteinander verbundenen Kapitalgesellschaften beeinflusst worden, greifen besondere Einkünftekorrekturnormen ein. Zu diesen insbesondere für Geschäftsbeziehungen zwischen Kapitalgesellschaften bedeutsamen besonderen Einkünftekorrekturnormen gehören vor allem § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung), § 8 Abs. 3 Sätze 3 – 6 KStG (verdeckte Einlage) und § 1 AStG (Berichtigung von Einkünften).4 Diese vorgenannten (unilateralen) 1 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Nr. 1 KStG, § 2 Abs. 2 GewStG. 2 BFH v. 24.3.1987 – I B 117/86, BStBl. II 1987, 508; Hey in T/L23, § 11 Rz. 1. 3 Schaumburg in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1 (1). 4 § 1 AStG gilt zwar für alle Steuerpflichtigen, betroffen sind in der Besteuerungspraxis in erster Linie aber Kapitalgesellschaften; zu Einzelheiten Rz. 14.241 ff.

856 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.120 Kap. 16

Einkünftekorrekturnormen unterliegen bei Anwendung von DBA den Schrankenwirkungen der abkommensrechtlichen (bilateralen) Korrekturklauseln (Art. 9 OECD-MA).1 Während sich die Regelungen betreffend verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen gegenseitig ausschließen, gehen diese der Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG stets vor,2 sodass bei Kapitalgesellschaften folgendes Konkurrenzverhältnis gilt: Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen3 haben im Grundsatz Vorrang vor der Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG; diese ergänzt aber die vorgenannten Korrekturnormen, soweit Rechtswirkungen des § 1 AStG über die Rechtswirkungen der anderen Korrekturnormen hinausgehen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG). Im Ergebnis wird somit eine Meistbegünstigung zugunsten der Finanzverwaltung dahin gehend normiert, dass grenzüberschreitend für alle Einkünftekorrekturnormen einheitlich der Fremdvergleichspreis gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zur Anwendung kommt, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 1 AStG und der übrigen Korrekturnormen gleichermaßen erfüllt sind.4 Die Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG unterliegt allerdings den Schrankenwirkungen der unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten5 sowie dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.6 Im Hinblick darauf ist zwar § 1 AStG im Grundsatz unionskonform, dem betroffenen Steuerpflichtigen muss hierbei aber die Möglichkeit eingeräumt werden, in Bezug auf die nicht fremdvergleichskonformen Verrechnungspreise wirtschaftliche Gründe nachzuweisen.7

16.119

2. Pflichtenkreis Da die Finanzbehörden aus Gründen des Völkerrechts nicht befugt sind, im Ausland Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, begründet § 90 Abs. 2 AO erweiterte Mitwirkungspflichten.8 Hiernach haben die Beteiligten grenzüberschreitend ausländische Sachverhalte aufzuklären 1 BFH v. 11.10.2012 –I R 75/11, IStR 2013, 54; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; BFH v. 17.12.2014 – I 23/13, BStBl. II 2016, 261; anders nunmehr zur Einkünftekorrektur bei gewinnmindernder Ausbuchung und Teilwertabschreibung unbesicherter Forderungen im Konzern BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BFH/NV 2019, 1205; BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BFH/NV 2019, 1267. 2 „[...] unbeschadet anderer Vorschriften [...]“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG); BFH v. 9.11.1988 – I R 335/ 93, BStBl. II 1989, 510; BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 441 ff.; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 187; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.137; im Ergebnis ebenso BMF v. 14.5.2005, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 1.1.2.; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 5.3.3; anders nunmehr im Sinne eines Wahlrechts: BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19, ISR 2020, 380 m. Anm. Köhler. 3 Ebenso Entnahmen und Einlagen. 4 Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 42; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (547); Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.7. 5 Hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 7.62 ff. 6 Hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 12.16. 7 EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – SGI, IStR 2010, 144; EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt, ISR 2018, 284 m. Anm. Eisendle; vgl. Leonhardt in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 483 ff.; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.152 ff. 8 Die Unionsrechtskonformität des § 90 Abs. 2 AO ist zu bejahen; EUGH v. 20.2.1979 – C-120/78, ECLI:EU:C:1979:42 – Rewe, Rz. 8; EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU:C:1997:239 – Futura Participations und Singer, FR 1997, 567 m. Anm. Dautzenberg; Seer in T/K, § 90 Rz. 37 m.w.N. auch zu Gegenansichten; zum Folgenden auch Rz. 15.4 ff.

Schaumburg | 857

16.120

Kap. 16 Rz. 16.120 | Ertragsteuerrecht

und die dafür erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Diese Beweismittelbeschaffungspflicht erstreckt sich allerdings nur auf tatsächlich vorhandene Beweismittel, sodass hierdurch nicht die Pflicht begründet wird, entsprechende Beweismittel zu erstellen.1 Eine diesbezügliche Pflichtenerweiterung enthält allerdings § 90 Abs. 3 AO, wonach unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Personen, die grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen (§ 1 Abs. 2 AStG) unterhalten, umfangreichen Dokumentationspflichten unterworfen sind (zu Einzelheiten Rz. 15.13 ff.). Diese Dokumentationspflichten sollen es der Finanzverwaltung ermöglichen, die zwischen international verbundenen Unternehmen, insbesondere zwischen Kapitalgesellschaften, vereinbarten Verrechnungspreise zu prüfen. Damit dienen die Dokumentationspflichten im Wesentlichen der steuerlichen Außenprüfung, die in zunehmendem Maße auf die Prüfung internationaler Verrechnungspreise gerichtet ist. Dem entspricht es, dass die Vorlage der zu erstellenden Verrechnungspreisdokumentation seitens der Finanzbehörde nur für Zwecke der Außenprüfung verlangt werden soll (§ 90 Abs. 3 Satz 5 AO; § 2 Abs. 6 GAufzV). Die Vorlage hat innerhalb einer Frist von 60 Tagen zu erfolgen (§ 90 Abs. 3 Satz 7 AO), wobei in begründeten Einzelfällen die Frist auch mehrfach verlängert werden kann (§ 90 Abs. 3 Satz 9 AO). Die Frist bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen beträgt gem. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO 30 Tage.

16.121

Soweit § 90 Abs. 3 Satz 1 AO Aufzeichnungen über den Inhalt der Geschäftsbeziehungen zu ausländischen nahestehenden Personen verlangt, korrespondiert diese Pflicht zur Sachverhaltsdokumentation mit den in § 90 Abs. 2 AO verankerten Mitwirkungspflichten, die sich im Grundsatz nur auf Sachverhaltsaspekte beziehen (§ 1 Abs. 2 GAufzV). Über diese Sachverhaltsdokumentation hinaus verlangt § 90 Abs. 3 Satz 2 AO aber auch eine Angemessenheitsdokumentation, in deren Rahmen dem Steuerpflichtigen rechtliche Wertungen, insbesondere eine Subsumtion unter § 1 AStG abverlangt werden.

16.122

§ 1 Abs. 2 GAufzV verlangt für Zwecke der Sachverhaltsdokumentation (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO) Aufzeichnungen über die Art, den Umfang und die Abwicklung sowie über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Geschäftsbeziehungen. Hierzu gehören allgemeine Informationen über Beteiligungsverhältnisse, Geschäftsbetrieb und Organisationsaufbau, über Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen sowie eine Funktions- und Risikoanalyse (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 – 4 GAufzV).2 Von besonderer Bedeutung ist in der Praxis die Funktions- und Risikoanalyse. In diesem Zusammenhang sind Informationen über die wesentlichen eingesetzten Wirtschaftsgüter, über die Vertragsbedingungen, über die gewählte Geschäftsstrategie sowie über die für die Preisvereinbarung bedeutsamen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse aufzuzeichnen und ggf. zu erläutern (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a GAufzV).3 Darüber hinaus ist auch die gesamte Wertschöpfungskette zu beschreiben und der eigene Wertschöpfungsbeitrag des Steuerpflichtigen darzustellen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV).4

1 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 34; Schaumburg/ Schaumburg in FS Streck, 2011, 369 (375). 2 Zu Einzelheiten vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.11 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren) sowie den Überblick bei Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.47 ff. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.11.4 (VerwaltungsgrundsätzeVerfahren) mit weitergehenden Konkretisierungen. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.11.5 (VerwaltungsgrundsätzeVerfahren).

858 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.125 Kap. 16

Die Angemessenheitsdokumentation (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO) beinhaltet insbesondere die Darstellung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, die für die Tätigkeiten des Steuerpflichtigen und die vereinbarten Bedingungen von Bedeutung sind (§ 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV). Für die konkret gewählte Verrechnungspreismethode1 sind betriebsexterne und -interne Fremdvergleichsdaten heranzuziehen, die sich auf Fremdpreise direkt oder aber auch auf Bruttomargen, Kostenaufschläge und Nettomargen beziehen können.2 Im Kern handelt es sich um eine Verrechnungspreisanalyse, die vor allem die Darstellung der tatsächlich angewandten Verrechnungspreismethode und die Begründung der Geeignetheit der angewandten Methode umfasst (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV).3 Die Aufzeichnungen müssen lediglich das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen, seine Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV).4

16.123

3. Pflichtverletzungen Wird die Verrechnungspreisdokumentation nach Anforderung durch die Finanzbehörde nicht vorgelegt oder ist die vorgelegte Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass die Dokumentation nicht zeitnah erstellt worden ist, wird gem. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO im Rahmen einer Schätzung widerlegbar vermutet, dass die im Inland erzielten steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Dokumentation dient, höher als die erklärten Einkünfte sind. Es handelt sich hier um eine Beweisvermutung zulasten des Steuerpflichtigen, die unmittelbar auf die Rechtsfolge, nämlich höhere Einkünfte, abzielt. Voraussetzung ist, dass die Dokumentationspflichten verletzt worden sind, dass also entweder innerhalb der 60- oder 30-Tages-Frist überhaupt keine oder eine im Wesentlichen unverwertbare Dokumentation vorgelegt wird oder dass außergewöhnliche Geschäftsvorfälle (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO)5 nicht zeitnah dokumentiert worden sind. Maßstab dafür, ob die Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar ist oder nicht, ist, ob ein sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit feststellen und prüfen kann, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige verwirklicht hat und inwieweit dabei der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde.6 Der Verwertbarkeitstest bezieht sich somit gleichermaßen auf die Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation. Im Ergebnis wird eine Verrechnungspreisdokumentation nur dann unverwertbar sein, wenn ihr keine Aussagekraft mehr zukommt.7

16.124

Sofern wegen Verletzung der Dokumentationspflichten eine Schätzung im vorgenannten Sinne dem Grunde nach zulässig ist, bleibt dem Steuerpflichtigen gleichwohl die Möglichkeit, im Nachhinein die in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO verankerte, zu seinen Lasten gehende Beweisver-

16.125

1 Maßgebend ist also die Ist-Beziehung; vgl. Wassermeyer, DB 2003, 1535 (1538); Schreiber, Stbg 2003, 474 (484); Kaminski/Strunk, RIW 2003, 561 (562). 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.2 (VerwaltungsgrundsätzeVerfahren). 3 Andere (geeignete) Methoden sind daher nicht darzustellen; Sieker in GS Traszkalik, 2005, 142 ff.; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353 (356). 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.3 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren); zum Grundsatz des ernsthaften Bemühens Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 135; Vögele/Brem, IStR 2004, 48 (49). 5 § 90 Abs. 3 Satz 3 AO soll geändert werden (RefE ATADUmsG v. 24.3.2020). 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.19 (VerwaltungsgrundsätzeVerfahren). 7 Bruschke, DStZ 2006, 575 (576 f.); Seer, EWS 2013, 257 (262); Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 2011, 369 (381).

Schaumburg | 859

Kap. 16 Rz. 16.125 | Ertragsteuerrecht

mutung durch andere Beweismittel und/oder eine entsprechende Verrechnungspreisanalyse zu widerlegen.1 Davon abgesehen bleibt der Finanzbehörde eine entsprechende Schätzung zuungunsten des Steuerpflichtigen versagt, wenn sie selbst z.B. aufgrund anderweitiger Erkenntnisse zu dem Ergebnis kommt, dass die Verrechnungspreise angemessen sind.2 Der in § 88 AO verankerte Untersuchungsgrundsatz wird nämlich durch § 162 Abs. 3 Satz 1 AO nicht suspendiert, sodass die Schätzung nicht zu einer Strafschätzung werden darf.3 Ist indessen eine Schätzung geboten, ermächtigt § 162 Abs. 3 Satz 2 AO die Finanzbehörde in den Fällen, in denen sich angemessene Verrechnungspreise innerhalb bestimmter Bandbreiten bewegen, zu einer Schätzung, bei der die Bandbreite zu Lasten der Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden kann.4

16.126

Werden die Dokumentationspflichten verletzt, können Steuerzuschläge bei Nichtvorlage und verspäteter Vorlage verwertbarer Dokumentationen festgesetzt werden (§ 162 Abs. 4 AO). Während bei Nichtvorlage ein Steuerzuschlag in Höhe von mindestens 5.000 Euro, mindestens aber 5% und höchstens 10% der hinzu geschätzten Einkünfte fällig wird, ist bei verspäteter Vorlage für jeden vollen Tag der Säumnis 100 Euro maximal 1 Mio. Euro zu zahlen. Bei diesen Steuerzuschlägen handelt es sich nicht um Strafen im Rechtssinne, sondern um Beugemittel.5

16.127

In den Fällen, in denen bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zu nicht kooperativen Jurisdiktionen (Steueroasen) die Dokumentationen gem. § 90 Abs. 3 AO nicht zeitnah erstellt und vorgelegt worden sind (§ 1 Abs. 2 SteuerHBekV), werden die Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1, 2 KStG sowie die Schachtelfreistellungen nach den DBA versagt (§ 4 SteuerHBekV). Schließlich ergibt sich als zusätzliche Rechtsfolge weiterhin, dass eine völlige oder teilweise Entlastung vom Steuerabzug gem. § 50d Abs. 1, 2 oder § 44 Abs. 9 EStG außer Betracht bleibt, wenn die ausländische Gesellschaft den Namen und die Ansässigkeit der natürlichen Personen, die zu mehr als 10% an ihr beteiligt sind, nicht benennt (§ 2 SteuerHBekV).6

16.128

In steuerstrafrechtlicher Hinsicht gilt Folgendes:

16.129

Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung aufgrund nicht fremdüblicher Verrechnungspreise ermittelte Einkünfte erklärt und hierdurch Steuern verkürzt werden.7 Die Steuerverkürzung ist hierbei grundsätzlich durch Vergleich der auf Grundlage der unrichtigen Angaben festgesetzten Ist-Steuer 1 § 90 Abs. 3 AO enthält keine Ausschlussfristen, sodass entsprechende Unterlagen noch im Termin zur mündlichen Verhandlung beim FG nachgereicht werden können; Frotscher in Schwarz/ Pahlke, § 162 AO Rz. 71; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, 2006, 106; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 213 f. 2 Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 134 f. 3 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 68. 4 Der BFH hatte noch eine Schätzung an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Ende der Bandbreite vorgeschrieben, vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 5 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 72. 6 Mangels Börsenklausel wird die Benennung nicht selten an tatsächlicher Unmöglichkeit scheitern; hierzu Häuselmann, Ubg 2009, 704 (706); im Übrigen sind die Regelungen der SteuerHBekV derzeit ohnehin weitgehend obsolet; vgl. Rz. 15.12. 7 Insoweit werden gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben gemacht; vgl. Peters in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1594 ff.; Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (507); Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (251).

860 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.129 Kap. 16

und der zutreffenden festzusetzenden Soll-Steuer zu ermitteln.1 Dieser Ist-Soll-Vergleich setzt im Ergebnis voraus, dass nach voller Überzeugung des Strafrichters die der Besteuerung zugrunde gelegten Verrechnungspreise tatsächlich nicht fremdüblich (unangemessen) sind und somit zu einer verdeckten Gewinnausschüttung, verdeckten Einlage oder einer Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG führen. Im Hinblick darauf hat also die bloße Verletzung von Dokumentationspflichten für sich keine strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Bedeutung.2 Wird etwa eine Verrechnungspreisdokumentation nicht vorgelegt, wird zwar hierdurch eine zulasten des Steuerpflichtigen wirkende (widerlegbare) Beweisvermutung dahin gehend ausgelöst, dass die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte höher als die erklärten Einkünfte sind (§ 162 Abs. 3 Satz 1 AO), diese gesetzliche Beweisvermutung ist aber für den maßgeblichen Ist-Soll-Vergleich und damit strafrechtlich ohne Bedeutung,3 so dass es insoweit zu einer Normspaltung4 kommt.5 Da es den (einzigen) richtigen Verrechnungspreis nicht gibt,6 ist in strafrechtlicher Hinsicht ein Verrechnungspreis nur dann unangemessen, wenn er bei Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG) außerhalb feststellbarer Bandbreiten und bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG) außerhalb des maßgeblichen Einigungsbereichs liegt (zu Einzelheiten Rz. 14.264 f.). Der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung7 setzt Vorsatz voraus,8 der in der Praxis nur dann (ausnahmsweise) nachweisbar sein wird, wenn etwa der Steuerpflichtige bewusst Verrechnungspreise außerhalb der maßgeblichen Bandbreite festlegt.9 Soweit in diesem Zusammenhang eine Dokumentation vorgelegt wird, aufgrund derer die Überlegungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in vertretbarer Weise dargelegt werden, wird der erforderliche Vorsatz in aller Regel nicht nachweisbar sein.10 Wer dagegen ohne Rücksicht auf die Vorgaben des § 1 Abs. 3 AStG den Verrechnungspreis festlegt, der sodann „zufällig“ innerhalb der maßgeblichen Bandbreiten liegt, wird sich ggf. einer versuchten Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, 2 AO, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht haben.11

1 BGH v. 30.7.1985 – 1 StR 286/85, wistra 1986, 23; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94. 2 Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.36; Weigell, IStR 2005, 162; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (250). 3 BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94; vgl. Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 74 ff., 56; Wulf in Grotherr, Hdb. der internationalen Steuerplanung3, 2080; a.A. Klein, Die Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislasten im Steuerrecht und im Strafrecht 1989, 82 f. 4 Steuerrecht einerseits und Strafrecht andererseits. 5 Vgl. zum Problem der Normspaltung Schmidt-Aßmann in M/D, Art. 103 GG Rz. 178 ff.; 201 ff.; Krumm in T/K, § 369 AO Rz. 12; Jäger, DStJG 38 (2015), 29 ff. C 38; Dumke/Webel in Schwarz/ Pahlke, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 74 ff; a.A. Klein, Die Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislasten im Steuerrecht und im Strafrecht 1989, 82 f. 6 Vgl. Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (498 f., 508). 7 Hierzu Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.23. 8 Randt, Der Steuerfahndungsfall, C 694; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (255); vgl. auch Rz. 11.265 ff. 9 Vgl. Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (512). 10 Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 54; Peters in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1600; Puls in Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.33; Peters/ Pflaum, wistra 2011, 250 (255); Schaumburg/Schaumburg in FG Baumhoff, 297 (305). 11 Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (255 f.); dort auch mit Hinweisen zur Frage, wann bei nicht fremdüblichen Verrechnungspreisen der Vorwurf der Leichtfertigkeit i.S.d. § 378 AO in Betracht kommt.

Schaumburg | 861

Kap. 16 Rz. 16.130 | Ertragsteuerrecht

a) Verdeckte Gewinnausschüttung

16.130

Bei verdeckten Gewinnausschüttungen,1 die bei der leistenden Kapitalgesellschaft das Einkommen nicht mindern dürfen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), handelt es sich um Vermögensvorteile, die eine Kapitalgesellschaft ihren unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung zuwendet, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter sie einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umständen nicht zugewendet hätte.2 Oder anders: Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung),3 die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Einkommens (genauer: Unterschiedsbetrag gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG4) auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht.5 Ob die Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) erlitten hat, lässt sich in Orientierung am Fremdvergleich erst nach einer vergleichenden Bewertung von Vor- und Nachteilen eines oder mehrerer Geschäfte feststellen, die zwischen der Kapitalgesellschaft und ihrem Gesellschafter und/oder diesem nahestehenden Personen abgewickelt worden sind. Soweit es sich um ein einheitliches Geschäft, etwa um einen gegenseitigen Vertrag handelt, ist ein Ausgleich von Vor- und Nachteilen ohne Weiteres geboten.6 Ist hiernach eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) nicht feststellbar, kommt es auf die weitere Frage der Ursächlichkeit des Gesellschaftsverhältnisses nicht mehr an.7 Liegt dagegen ein vom Fremdvergleich abweichendes Verhalten vor, wird hierdurch die Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis indiziert (widerlegbare Vermutung).8 Diese widerlegbare Vermutung gilt freilich nur in steuerrechtlicher Hinsicht nicht aber für das Strafrecht (Rz. 16.129).

1 Zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.138 ff.; ferner Rz. 14.249 ff. 2 So die alte Formel des BFH; z.B. BFH v. 24.9.1980 – I R 88/77, BStBl. II 1981, 108. 3 Nach Berücksichtigung eines Vorteilsausgleichs; BFH v. 22.4.1964 – I 62/61 U, BStBl. III 1964, 370; BFH v. 4.5.1965 – I 130/62 U, BStBl. III 1965, 598; BFH v. 21.12.1972 – I R 70/70, BStBl. II 1973, 449; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 20.8.1986 – I R 87/83, BStBl. II 1987, 75; BFH v. 7.12.1988 – I R 25/82, BStBl. II 1989, 248; zu weiteren Einzelheiten Wilk in H/H/ R, § 8 KStG Rz. 100. 4 BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BStBl. II 2003, 329; hierzu Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 165; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 221. 5 So die neue Formel des BFH seit 1989; vgl. BFH v. 22.2.1989 – I R 44/85, BStBl. II 1989, 475; BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631; BFH v. 14.3.1989 – I R 8/85, BStBl. II 1989, 633; BFH v. 12.4.1989 – I R 142/85, I R 143/85, BStBl. II 1989, 636; BFH v. 28.6.1989 – I R 89/85, BStBl. II 1989, 854; seitdem ständige Rechtsprechung allerdings mit folgender Ergänzung: Die Vermögensminderung (verminderte Vermögensmehrung) muss die Eignung haben, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) auszulösen; vgl. BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 13; BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190. 6 BFH v. 16.11.1965 – I 302/61 S, BFHE 84, 268; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 115; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 261; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 214. 7 BFH v. 23.6.1981 – VIII R 102/80, BStBl. II 1982, 245; Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 115 f.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.40; Lang, FR 1984, 629 (630). 8 BFH v. 19.3.1997 – I R 75/96, BStBl. II 1997, 577; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 226; Wassermeyer in FS Offerhaus, 1999, 405; Wassermeyer, DB 2001, 2465 (2466).

862 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.132 Kap. 16

Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist bei einem beherrschenden Gesellschafter auch dann anzunehmen, wenn es an einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung fehlt, ob und in welcher Höhe ein Entgelt von der Kapitalgesellschaft gezahlt werden soll.1 Damit wird auch diese Form der verdeckten Gewinnausschüttung als durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst angesehen.2 Da die abkommensrechtlichen Gewinnkorrekturklauseln (Art. 9 OECD-MA) auf diesen formalen Aspekt indessen nicht abstellen,3 entfalten diese insoweit eine Schrankenwirkung gegenüber der Einkünftekorrektur gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG4 mit der Folge, dass von vornherein der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht gegeben ist.5 Davon abgesehen ist auch ohne Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen eine verdeckte Gewinnausschüttung bloß wegen Nichteinhaltung formaler Anforderungen strafrechtlich ohne Bedeutung.6 Ist daher in diesen Fällen ein dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechender angemessener Preis bei der Einkünfteermittlung zugrunde gelegt worden, ist unabhängig davon, wie der Preis zustande gekommen ist, der Tatbestand der Steuerhinterziehung zu verneinen.7

16.131

Beispiel: Die in den Niederlanden ansässige in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft (B.V.) geführte Speditionsgesellschaft (X-B.V.) hält alle Anteile an der deutschen A-GmbH, die ihrerseits ebenfalls Speditionsgeschäfte ausführt. Aufgrund in der Vergangenheit getroffener mündlicher Vereinbarungen zahlt die A-GmbH am Jahresende für bestimmte seitens der X-B.V. in der Vergangenheit erbrachte und nunmehr zum Jahresende in Rechnung gestellte Dienstleistungen ein Entgelt. Das Entgelt wurde als Betriebsausgabe behandelt. Im Rahmen der Außenprüfung wird der Betriebsausgabenabzug bei der A-GmbH mangels im Vorhinein getroffener klarer und eindeutiger Vereinbarungen versagt und dementsprechend als verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) behandelt. Zugleich wird gegen den verantwortlichen Geschäftsführer der A-GmbH ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Die ständige Rechtsprechung geht zwar von einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis und damit von einer verdeckten Gewinnausschüttung aus, wenn die Kapitalgesellschaft mit dem beherrschenden Gesellschafter keine im Vorhinein getroffene klare und eindeutige Vereinbarung darüber getroffen hat, ob und in welcher Höhe ein Entgelt für eine gegenüber der Kapitalgesellschaft zu erbringende Leistung gezahlt werden soll (Rz. 14.247), es handelt sich aber weder um ein Tatbestandsmerkmal der verdeckten Gewinnausschüttung i.S. d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG noch um eine dort geregelte unwiderlegbare Vermutung. Es geht 1 Es handelt sich insoweit nur um Indizwirkungen (BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; BFH v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten von BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005), die strafrechtlich unbeachtlich sind (vgl. Rz. 15.129). 2 BFH v. 29.7.1992 – I R 18/91, BStBl. II 1993, 139; BFH v. 31.5.1995 – I R 64/94, BStBl. II 1996, 246; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545. 3 Sie differenzieren nicht zwischen beherrschenden und übrigen Gesellschaftern, und sie unterstellen auch nicht, dass mangels einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung eine Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis anzunehmen sei; hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.145; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff. 4 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; Ditz in S/D, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 25 ff. m.w.N., Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.245. 5 Madauß, NZWiSt 2013, 207 (209). 6 Heuel in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1421; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 304; Seipl in Wannemacher6, § 370 AO Rz. 1026; Bornheim, Steuerstrafverteidigung2, 336 f.; a.A. Madauß, NZWiSt 2013, 207 (209). 7 Ggf. kommt aber eine versuchte Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, 2 AO, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) in Betracht; vgl. Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (255).

Schaumburg | 863

16.132

Kap. 16 Rz. 16.132 | Ertragsteuerrecht

hierbei lediglich um Indizwirkungen,1 die abkommensrechtlich ohne Bedeutung sind, weil die entsprechenden Gewinnkorrekturklauseln (hier Art. 6 Abs. 1 DBA-NL) auf diesen formalen Aspekt nicht abstellen.2 Hiernach kommt es allein darauf an, ob das an die X-B.V. gezahlte Entgelt im Sinne eines Drittfremdverhaltens (dealing at arm‘s length) angemessen war oder nicht. Sollte dies der Fall sein, verbietet sich wegen der von Art. 6 Abs. 1 DBA-NL ausgehenden Schrankenwirkung eine Einkünftekorrektur mit der Folge, dass es insoweit bei dem geltend gemachten Betriebsausgabenabzug verbleibt. Dementsprechend ist von vornherein auch der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Aber selbst wenn man davon ausginge, dass die abkommensrechtlichen Gewinnkorrekturklauseln keine Sperrwirkung entfalten, ist die Rechtslage in strafrechtlicher Hinsicht nicht anders: Da hier das Entgelt für eine tatsächlich erbrachte Leistung bezahlt worden ist, bedarf es der Feststellung, dass das Entgelt unangemessen hoch war,3 anderenfalls ist das Ermittlungsverfahren einzustellen.

16.133

Grenzüberschreitend wirkende, verdeckte Gewinnausschüttungen kommen in der Praxis nicht nur im Verhältnis zwischen Tochter- und Muttergesellschaft vor, sondern auch in Fällen von (grenzüberschreitenden) Vermögensverschiebungen zwischen Schwestergesellschaften. Bei einem derartigen Dreiecksverhältnis wird eine verdeckte Gewinnausschüttung der einen Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft und von dort eine verdeckte Einlage in die andere Schwestergesellschaft angenommen, soweit es sich um einlagefähige Wirtschaftsgüter handelt.4 Sind Gegenstand der verdeckten Gewinnausschüttung zwischen Schwestergesellschaften dagegen nicht aktivierungsfähige Wirtschaftsgüter, etwa Nutzungen und Leistungen, so ist zwar eine verdeckte Gewinnausschüttung der einen Schwestergesellschaft zugunsten der Muttergesellschaft gegeben, die Weitergabe des Nutzungs- oder Leistungsvorteils an die andere Schwestergesellschaft führt aber nicht zu einer verdeckten Einlage.5 Die Weiterleitung dieses Vorteils ohne Anschaffungskosten führt vielmehr zu einem sog. Vorteilsverbrauch, der im Ergebnis wie eine Betriebsausgabe zu behandeln ist mit der Folge, dass sich auf diese Weise Ertrag und Aufwand in gleicher Höhe gegenüberstehen,6 es bei der Muttergesellschaft grundsätzlich also zu einer steuerlich wertgleichen Kompensation kommt. Diese 1 Vgl. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; BFH v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten von BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005. 2 Sie differenzieren nicht zwischen beherrschenden und übrigen Gesellschaftern, und sie unterstellen auch nicht, dass mangels einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung eine Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis anzunehmen sei; vgl. hierzu BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, IStR 2013, 54; Ditz in S/D, DBA2, Art. 90 OECD-MA Rz. 25 f. m.w.N. 3 Vgl. BGH v. 3.3.1993 – 5 StR 546/92, wistra 1993, 185; Heuel in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1421; Schwedhelm, StraFo 1999, 362. 4 BFH v. 23.10.1968 – I 228/65, BStBl. II 1969, 243; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 11.6.1975 – II R 131/66, BStBl. II 1975, 831; BFH v. 6.4.1977 – I R 183/75, BStBl. II 1977, 571; BFH v. 18.7.1985 – IV R 135/82, BStBl. II 1985, 635; BFH v. 23.10.1985 – I R 248/81, BStBl. II 1986, 178; BFH v. 20.8.1986 – I R 150/82, BStBl. II 1987, 455; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; v. 28.1.1992 – VIII R 207/85‚BStBl. II 1992, 605; BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1997, 307; BFH v. 20.8.2008 – I R 19/07, BStBl. II 2011, 60; vgl. auch Roser in Gosch4, § 8 KStG Rz. 131b, Stichwort „Dreiecksverhältnisse“; Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 481 f.; Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG, Rz. C 830. 5 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 4.12.2006 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508. 6 Zu dieser „Ertrag/Aufwandslösung“ Roser in Gosch4, § 8 KStG Rz. 131b, Stichwort „Dreiecksverhältnisse“; Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 159 ff.; zu Einzelheiten Rz. 14.248 ff.

864 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.135 Kap. 16

Kompensation wirkt auch in strafrechtlicher Hinsicht, weil Ertrag und Aufwand in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang miteinander verknüpft sind.1 b) Verdeckte Einlage

Eine verdeckte Einlage,2 die das Einkommen der empfangenden Körperschaft grundsätzlich nicht erhöht (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG), liegt dann vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Einlagen Vermögensgegenstände zuwendet und diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat.3 Ob die Zuwendung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, beurteilt sich aufgrund des Fremdvergleichs, also danach, ob ein Nicht-Gesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmans, den Vermögensvorteil der Gesellschaft nicht gewährt hätte.4

16.134

Als Einlagen sind nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehren, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens.5 Die Bewertung erfolgt hierbei mit dem Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG).6 Dagegen führt die Überlassung von Wirtschaftsgütern oder von Kapital zur Nutzung ohne Entgelt oder gegen ein unangemessen niedriges Entgelt zu keiner unmittelbaren Vermögensmehrung.7 Die Vermögensmehrung ist nämlich nicht die Nutzungsüberlassung selbst, sondern allenfalls die Folge der Nutzung, wenn also die Kapitalgesellschaft durch Nutzung der überlassenen Wirtschaftsgüter oder des überlassenen Kapitals Erträge erzielt.8 Nutzungsüberlassungen, und zwar auch solche über die Grenze, können damit nicht Gegenstand einer verdeckten Einlage sein.9 Daher sind nur aktivierungsfähige Wirt-

16.135

1 Zum Kompensationsverbot Joecks in J/J/R 8, § 370 AO Rz. 91 ff.; vgl. auch Rz. 11.256 ff. 2 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.151 ff. 3 BFH v. 19.2.1970 – I R 24/67, BStBl. II 1970, 442; BFH v. 9.3.1983 – I R 182/78, BStBl. II 1983, 744; BFH v. 16.4.1991 – VIII R 100/87, BStBl. II 1992, 234; BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 308; zu Einzelheiten Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 460 ff.; Roser in Gosch4, § 8 KStG Rz. 105; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1274 ff. 4 BFH v. 21.9.1989 – IV R 115/88, BStBl. II 1990, 86; BFH v. 15.10.1997 – I R 80/96, BFH/NV 1998, 624; BFH v. 14.7.2009 – X R 6/09, HFR 2010, 288; Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 463; Weber-Grellet, DB 1998, 1532 ff. 5 BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 6 BFH v. 11.2.1998 – I R 89/97, BStBl. II 1998, 691; Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 465. 7 BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240; BFH v. 4.12.2006 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508; vgl. auch den Wortlaut in § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG, wo im Klammerzusatz im Unterschied zum Klammerzusatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG der Hinweis auf Nutzungen fehlt. 8 Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 177. 9 So die ständige Rspr.: BFH v. 8.11.1960 – I 131/59 S, BStBl. III 1960, 513; BFH v. 9.3.1962 – I 203/ 61 S, BStBl. III 1962, 338; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 16.11.1977 – I R 83/75, BStBl. II 1978, 386; BFH v. 22.1.1980 – VIII R 74/77, BStBl. II 1980, 244; BFH v. 28.1.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612; BFH v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 631; BFH v. 22.11.1983 – VIII R 37/79, BFHE 140, 63; BFH v. 22.11.1983 – VIII R 133/82, BFHE 140, 69; BFH v. 24.5.1984 – I R 166/78, BStBl. II 1984, 747; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 20.9.1990 – IV R 300/84, BStBl. II 1991, 82; BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240; BFH v. 4.12.2006 – GrS 1/ 05, BStBl. II 2007, 508.

Schaumburg | 865

Kap. 16 Rz. 16.135 | Ertragsteuerrecht

schaftsgüter einlagefähig.1 Zu diesen aktivierungsfähigen Wirtschaftsgütern gehören im Grundsatz auch immaterielle Wirtschaftsgüter, die im Betrieb selbst geschaffen worden sind.

16.136

Die Rechtsfolgen der verdeckten Einlage bestehen auf Gesellschaftsebene darin, dass die durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens eingetretene Vermögensmehrung bei der Ermittlung des steuerlichen Gewinns im Rahmen der zweistufigen Gewinnermittlung2 auf der zweiten Stufe außerbilanziell wieder abgezogen wird (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG).3 Stattdessen wird einlagebedingt das steuerliche Einlagekonto (§ 27 KStG) erhöht.4 Diese steuerliche Behandlung gilt auch für grenzüberschreitende verdeckte Einlagen in eine inländische Kapitalgesellschaft.

16.137

Die außerbilanzielle Hinzurechnung der verdeckten Einlage auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe führt im Ergebnis bei der empfangenen Kapitalgesellschaft zu einer Steuerneutralität. Dies gilt allerdings nicht, soweit die verdeckte Einlage beim leistenden Gesellschafter zu einer Minderung dessen Einkommens5 geführt hat (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG). Mit dieser materiellen Korrespondenz sind insbesondere Fälle angesprochen, in denen die verdeckte Einlage auf Gesellschafterebene zum Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzug geführt hat.6 Worauf dieser Umstand beruht, spielt keine Rolle.7 Das vorstehende Korrespondenzprinzip gilt auch grenzüberschreitend,8 wodurch allerdings insbesondere mit dem Abkommensrecht nicht zu vereinbarende kompensatorische Steuereffekte sowie Doppelbesteuerungen ausgelöst werden können.9 Diese Verwerfungen beruhen im Wesentlichen darauf, dass auf die Bemessungsgrundlage deutschen Rechts abgestellt, das Trennungsprinzip durchbrochen und Abkommensrecht unterlaufen wird.10 Zudem ergeben sich Konsequenzen in steuerstrafrechtlicher Hinsicht, wenn die grenzüberschreitende verdeckte Einlage bei der empfangenden inländischen Kapitalgesellschaft steuerneutral behandelt wird, obwohl der ausländische Gesell1 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 463. 2 Zur zweistufigen Gewinnermittlung BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366; BMF v. 28.5.2002 – IV A 2-S 2742-32/02, BStBl. I 2002, 603 Rz. 2 f.; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.5; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.3. 3 Bewertung der verdeckten Einlage erfolgt im Grundsatz zum Teilwert (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG), bei verstrickungsbedingter Einlage (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) und bei Einlage von Gesellschaftsanteilen i.S.d. § 17 EStG und § 20 EStG (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 4 EStG) zum gemeinen Wert sowie bei der Einlage von Wirtschaftsgütern, die innerhalb der letzten drei Jahre angeschafft oder hergestellt worden sind (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG), zum Buchwert; zu Einzelheiten Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 465. 4 Bauschatz in Gosch4, KStG, § 27 Rz. 33; Dötsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 35. 5 Der Minderung des Einkommens steht die verhinderte Vermögensmehrung gleich (BR-Drucks. 622/06, 119; BT-Drucks. 16/2712, 70); ebenso Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Teil B Rz. 153; Rengers in Blümich, § 8 KStG Rz. 186; Dötsch/Pung, DB 2007, 11 (14); a.A. Watermeyer in H/H/ R, § 8 KStG Rz. 471; Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 ff.; Dörfler/Heurung/Adrian, DStR 2007, 515 (518); Strnad, GmbHR 2006, 1321 (1321). 6 Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 341; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1494. 7 Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1494; Strnad, GmbHR 2006, 1321 (1322). 8 Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 471; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1497; Grotherr, RIW 2006, 898 (902); zur Verfassungsmäßigkeit derartiger grenzüberschreitender Korrespondenzklauseln Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 (514 ff.). 9 Hierzu Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 (1649); Dörfler/Adrian, Ubg 2008, 373 (377 ff.); Kempf in StbJb 2008/2009, 147 (150 ff.), jeweils mit Praxisfällen. 10 Dörfler/Adrian, Ubg 2008, 373 (378).

866 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.140 Kap. 16

schafter, etwa die ausländische Muttergesellschaft, den gewährten Vorteil steuerlich mindernd bzw. nicht steuerlich erhöhend behandelt hat. Beispiel: Die in Belgien unbeschränkt steuerpflichtige X-S.A. (entspricht einer AG) hält alle Anteile an der deutschen A-GmbH. Die X-S.A. veräußert der A-GmbH verschiedene Wirtschaftsgüter ihres Anlagevermögens zu einem Preis von insgesamt 1 Mio. Euro, was dem Buchwert, nicht aber dem am Markt erzielbaren Drittfremdpreis (1,5 Mio. Euro) entspricht. Noch im selben Jahr werden die erworbenen Wirtschaftsgüter für insgesamt 1,5 Mio. Euro veräußert, wobei Geschäftsführer A entsprechend § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG den erzielten Gewinn außerbilanziell um 500.000 Euro kürzt. Im Rahmen der späteren Außenprüfung wird festgestellt, dass die belgische X-S.A. die gelieferten Wirtschaftsgüter mit dem vereinbarten Preis von 1 Mio. Euro steuerlich erfasst hat. Im Hinblick darauf stellt sich die Finanzverwaltung unter Hinweis auf § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG auf den Standpunkt, dass das Einkommen der A-GmbH für steuerliche Zwecke um 500.000 Euro zu erhöhen sei. Demgemäß wird gegen den Geschäftsführer A ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

In Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG wird das Einkommen der A-GmbH nur dann erhöht, wenn die „verdeckte Einlage das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat“. Dieses Korrespondenzprinzip gilt zwar auch grenzüberschreitend,1 nach dem Wortlaut der Vorschrift aber nur dann, wenn die verdeckte Einlage bei der X-S.A. zu einer Minderung des Einkommens, also zu einem Betriebsausgabenabzug geführt hat. Der Minderung des Einkommens steht zwar nach allgemeinen Grundsätzen die verhinderte Vermögensmehrung gleich,2 diese Gleichstellung lässt sich aber nicht unmittelbar dem Gesetzestext entnehmen. Selbst wenn der mögliche Wortsinn des § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG das Ergebnis – Einbeziehung verhinderter Vermögensmehrung – noch deckt, darf diese weitgehende Auslegung nicht zulasten des Geschäftsführers A gehen: Er durfte in Orientierung an den Gesetzeswortlaut und an der in der Literatur entsprechend vertretenen Ansicht davon ausgehen, dass das materielle Korrespondenzprinzip nicht für den Fall der verhinderten Vermögensmehrung gilt. Im Ergebnis wird jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht zu bejahen sein.

16.138

c) Berichtigung von Einkünften (§ 1 AStG) Bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen, insbesondere verbundenen Kapitalgesellschaften, sieht § 1 AStG eine Einkünfteberichtigung vor, sofern die Einkünfte dadurch gemindert werden, dass Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise) zugrunde gelegt worden sind, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz).3 In diesem Fall sind die Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären.

16.139

Die Regelung des § 1 AStG4 stellt zwar eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) dar, sie ist jedoch im Hinblick auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungs-

16.140

1 Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 471; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1497; Grotherr, RIW 2006, 898 (902). 2 Vgl. BR-Drucks. 622/06, 119; BT-Drucks. 16/2712, 70; ebenso Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG, Teil B Rz. 153; Rengers in Blümich, § 8 KStG Rz. 186; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1494; Dötsch/Pung, DB 2007, 11 (14); a.A. Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 471; Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 ff.; Dörfler/Heurung/Adrian, DStR 2007, 515 (518); Strnad, GmbHR 2006, 1321 (1321). 3 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.159 ff.; ferner Rz. 14.255 ff. 4 § 1 AStG soll durch das ATADUmsG neu geregelt werden (RefE v. 24.3.2020).

Schaumburg | 867

Kap. 16 Rz. 16.140 | Ertragsteuerrecht

befugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und zwecks Vermeidung von Steuerumgehungen durch sog. künstliche Gestaltungen gerechtfertigt.1 Maßstab dafür, ob eine künstliche Gestaltung vorliegt, ist der Fremdvergleichsgrundsatz. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einzuräumen, den Gegenbeweis zu erbringen und hierbei wirtschaftliche Gründe für die gewählte Gestaltung nachzuweisen.2

16.141

Maßstab für die Einkünfteberichtigung sind Bedingungen für Geschäftsbeziehungen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG).3 Maßgebend ist damit der Drittfremdpreis. Dies entspricht dem international allgemein anerkannten Dealing-at-arm‘s-length-Prinzip. Andere Hochsteuerländer haben dem § 1 AStG vergleichbare Korrekturvorschriften. Trotz internationaler Akzeptanz des Dealing-at-arm‘s-length-Prinzips ergeben sich in der Besteuerungspraxis der einzelnen Staaten dennoch so erhebliche Abweichungen bei der Einkünfteberichtigung, dass bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen international verbundenen Unternehmen eine Doppelbesteuerung nicht selten unvermeidbar ist.4

16.142

Dass es zu erheblichen Abweichungen bei der Einkünfteberichtigung mit der Folge einer Doppelbesteuerung kommt, beruht u.a. auch darauf, dass für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG davon auszugehen ist, „dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehungen kennen und nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln“. Diese Transparenzklausel gilt für den tatsächlichen und hypothetischen Fremdvergleich gleichermaßen5 und ist nicht auf den Anwendungsbereich des § 1 AStG beschränkt. § 1 AStG ergänzt nämlich die übrigen Korrekturnormen, soweit deren Rechtswirkungen über die Rechtswirkungen der anderen Korrekturnormen hinausgehen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG).

16.143

Die wirklichkeitsfremde Transparenzklausel, die im Ergebnis eine Fiktion bedeutet und mit Abkommensrecht ohnehin unvereinbar ist, ist strafrechtlich nicht relevant. Beispiel: Die X-YH (entspricht einer GmbH) in Südkorea hält alle Anteile an der deutschen AGmbH. Die X-YH stellt Computer her, die sie weltweit vertreibt. In Deutschland werden die Computer von der A-GmbH vertrieben. Darüber hinaus beliefert die X-YH aber auch unabhängige Händler in Deutschland. Der Geschäftsführer der A-GmbH, der von einem steigenden Absatz ausgeht, erwirbt von der X-YH eine größere Zahl von Computern, um so die von ihm erwartete Nachfrage für das nächste halbe Jahr abdecken zu können. Der von der A-GmbH gezahlte Preis entspricht dem Preis, den auch die unabhängigen deutschen Händler an die X-YH zu entrichten haben. Sowohl A als auch den übrigen deutschen Händlern ist nicht bekannt, dass die X-YH bereits die Entwicklung eines leistungsfähigeren Computers abgeschlossen hat, der tatsächlich zwei Monate nach dem Erwerb der alten 1 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – SGI, IStR 2010, 144, Rz. 55. 2 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – SGI, IStR 2010, 144, Rz. 71; EuGH v. 31.5.2018 – C – 382/16 – Hornbach-Baumarkt, DStR 2018, 1221; vgl. Leonhardt in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 483 ff.; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.152 ff. 3 Tatsächlicher und hypothetischer Fremdvergleich; obwohl die Formulierung „[...] hätten“ nur auf einen hypothetischen Fremdvergleich hindeutet; hierzu Kaminski, RIW 2007, 594 (594). 4 Vgl. zur Schiedsverfahrenskonvention der EU Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.1 ff.; zu abkommensrechtlichen Schiedsverfahren Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.110 ff. und zur Streitbeilegungsrichtlinie Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 24.1 ff. 5 Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 352; Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 203; für eine restriktive Auslegung im Sinne einer Anwendbarkeit nur auf den hypothetischen Fremdvergleich Frischmuth, IStR 2007, 485 (486); Frischmuth in FS Schaumburg, 2009, 647 (656 ff.).

868 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.145 Kap. 16 Computer auf dem Markt vorgestellt und zum Verkauf angeboten wird. Im Zuge einer später bei der A-GmbH durchgeführten Außenprüfung wird der von der A-GmbH an die X-YH entrichtete Verrechnungspreis für die Altcomputer als unangemessen hoch beanstandet. Hierbei beruft sich der Außenprüfer auf die in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG verankerte Transparenzklausel, wonach davon auszugehen ist, „dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehungen kennen und nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln“. Auf dieser Grundlage hält der Außenprüfer einen wesentlich niedrigeren Verrechnungspreis für angemessen. Dementsprechend ist beabsichtigt, das zu versteuernde Einkommen der A-GmbH zu erhöhen. Zugleich wird gegen den Geschäftsführer der A-GmbH ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Entsprechend der vom Außenprüfer vertretenen Ansicht hat die A-GmbH an die X-YH für die Lieferung der Altcomputer einen Überpreis bezahlt, somit der Alleingesellschafterin einen Vermögensvorteil zugewendet, der bei der A-GmbH zu einer Vermögensminderung geführt hat. Eine verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) ist aber nur dann gegeben, wenn diese Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, wenn also ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter den Vermögensvorteil einem Nicht-Gesellschafter unter sonst gleichen Umständen nicht zugewendet hätte.1 Da der Geschäftsführer der A-GmbH von der Neuentwicklung des Computers keine Kenntnis hatte und somit nach seinem Kenntnisstand für die Altcomputer einen angemessenen Preis gezahlt hat, liegen die Voraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung nicht vor, insbesondere enthält die für die verdeckte Gewinnausschüttung maßgebliche Grundlagennormen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG keine dem § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG entsprechende Transparenzklausel.2 Gem. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG wird indessen § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung) durch § 1 Abs. 1 AStG überlagert mit der Folge, dass im Ergebnis auch insoweit die Transparenzklausel des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zur Anwendung kommt. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG ist allerdings den Schrankenwirkungen der abkommensrechtlichen Gewinnberichtigungsvorschriften ausgesetzt, die das Gebot der Transparenz der Geschäftsbeziehungen nicht vorsehen.3 Konkret: Art. 9 Abs. 1 DBA-Korea lässt eine Einkünftekorrektur unter Anwendung der Transparenzklausel nicht zu.4

16.144

Da somit die Transparenzklausel (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AStG) nicht zur Anwendung kommt, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Aber selbst wenn man die Transparenzklausel für anwendbar hielte,5 kann jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung hieraus nicht abgeleitet werden, weil es sich insoweit um eine lediglich für das Steuerrecht wirksame Fiktion handelt, die in strafrechtlicher Hinsicht bedeutungslos ist.6 Sollten die Ermittlungen allerdings ergeben, dass der Geschäftsführer der A-GmbH tatsächlich Kenntnis von der Neuentwicklung des Computers hatte, liegen die Voraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung vor, weil er als ordentlicher und gewissenhafter Ge-

16.145

1 Zur Entwicklung der Rspr. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 166 ff. 2 Hierzu Piltz in JbFSt 2007/2008, 150. 3 Baumhoff/Liebchen in Mössner u. a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.93 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.163; Wassermeyer, DB 2007, 535 (536); Piltz in JbFSt 2007/2008, 152; Kroppen in FS Schaumburg, 2009, 857 (868 f.); Frischmuth in FS Schaumburg, 2009, 647 (656 ff.). 4 Ein wirksames treaty overriding ist nicht gegeben; vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.163; konkret zu Art. 9 Abs. 1 DBA-Korea Dreher in Wassermeyer, DBA, Art. 9 DBA-Korea Rz. 3, 7. 5 So die Finanzverwaltung. 6 Vgl. hierzu Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94; Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 74 ff.; Volk in FS Kohlmann, 2003, 579 ff. (580).

Schaumburg | 869

Kap. 16 Rz. 16.145 | Ertragsteuerrecht

schäftsleiter den derart hohen Preis nicht bezahlt hätte bzw. hätte bezahlen dürfen.1 Unter den vorstehenden Voraussetzungen wären sodann der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben.

4. Korrekturmaßstäbe 16.146

Obwohl die in Betracht kommenden, in Konkurrenz zueinander stehenden Einkünftekorrekturnormen unterschiedliche Korrekturmaßstäbe2 regeln, führt die Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG durchweg dazu, dass bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen der Fremdvergleichspreis der maßgebliche Korrekturmaßstab ist.3 Das bedeutet, dass eine Einkünftekorrektur stets dann zu erfolgen hat, wenn etwa der tatsächlich vereinbarte Preis (Verrechnungspreis) vom maßgeblichen Fremdvergleichspreis abweicht. Da es indessen nicht nur um Preise, sondern auch um andere Bedingungen geht, bilden Fremdvergleichswerte die maßgeblichen Orientierungspunkte für angemessene Verrechnungspreise.

16.147

Die Ableitung angemessener Verrechnungspreise aus den hierfür maßgeblichen Fremdvergleichswerten regelt § 1 Abs. 3 AStG. Hierbei wird unterschieden zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich.4 Innerhalb des Anwendungsbereichs des tatsächlichen Fremdvergleichs ist darauf abzustellen, ob die in Betracht kommenden Fremdvergleichswerte uneingeschränkt oder nur eingeschränkt vergleichbar sind. Die vorgenannten Kriterien stehen in einem Drei-Stufen-Verhältnis, sodass der tatsächliche dem hypothetischen Fremdvergleich und im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs die uneingeschränkt vergleichbaren den nur beschränkt vergleichbaren Werten vorgehen.5 In Orientierung an dieses Drei-Stufen-Verhältnis entscheidet sich, welche Verrechnungspreismethode zur Anwendung kommt. Darüber hinaus wird hierdurch auch der Umfang einer etwaigen Verrechnungspreiskorrektur determiniert.

16.148

Sind im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte6 verfügbar, ist für die Angemessenheit der Verrechnungspreise vorrangig auf die Preisvergleichsmethode, die Wiederverkaufspreismethode oder die Kostenaufschlagsmethode (Standardmethoden) abzustellen.7 Uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte werden nur im Rahmen bestimmter Bandbreiten (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 AStG) feststellbar sein.8 Soweit der vereinbarte Verrechnungspreis sich innerhalb dieser Bandbreiten bewegt, ist dieser

1 Auf die Transparenzklausel kommt es insoweit nicht an. 2 Zumeist Teilwert oder gemeiner Wert. 3 Zu § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG i.S. der Meistbegünstigung zugunsten der Finanzverwaltung, Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 67. 4 Tatsächlicher Fremdvergleich: § 1 Abs. 3 Sätze 1 – 4 AStG; hypothetischer Fremdvergleich: § 1 Abs. 3 Sätze 5 – 8 AStG. 5 Zu diesem Stufenverhältnis: Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 905; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.182. 6 Wie z.B. bei identischen Geschäftsbedingungen oder solchen Geschäftsbedingungen mit geringen durch entsprechende Anpassungen zu beseitigenden Unterschieden; vgl. BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.7 Buchst. a (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 7 Vgl. zu den Standardmethoden im Überblick Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.289 ff. 8 Zur Entstehung von Preisbandbreiten Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Kap. C Rz. 25; Baumhoff in FS Wassermeyer, 2005, 347 (348 ff.).

870 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.151 Kap. 16

uneingeschränkt zu akzeptieren.1 Hieraus folgt im Grundsatz, dass stets der für den Steuerpflichtigen günstigste Wert innerhalb der Bandbreite angesetzt werden kann.2 Dies gilt auch für das Strafrecht, und zwar selbst dann, wenn der betreffende Steuerpflichtige die sich aus § 90 Abs. 3 AO ergebenden Dokumentationspflichten verletzt hat und dementsprechend eine Schätzung (§ 162 Abs. 3 AO) erfolgt. Gem. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO darf die Finanzbehörde, etwa bei Anwendung der Preisvergleichsmethode, die Bandbreite zwar zu Lasten des Steuerpflichtigen ausschöpfen, eine derartige Schätzung ist aber in strafrechtlicher Hinsicht unzulässig.3 Sind die ermittelten Fremdvergleichswerte nur eingeschränkt vergleichbar, sind diese nach Vornahme sachgerechter Anpassungen einer geeigneten Verrechnungspreismethode4 zugrunde zu legen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 AStG). Sind mehrere eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte5 feststellbar, ist die sich ergebende Bandbreite einzuengen (§ 1 Abs. 3 Satz 3 AStG). Angesprochen sind damit statistisch anerkannte Verfahren, die darauf gerichtet sind, Extremwerte bei der Ermittlung von Durchschnittswerten auszuschalten.6 Im Vordergrund hierbei steht die sog. Interquartil-Methode,7 bei der sowohl das untere als auch das obere Viertel der Werte der ermittelten Preisbandbreite unberücksichtigt bleibt. Im Ergebnis wird damit die am Markt ermittelte Bandbreite um 50% pauschal eingeengt.8

16.149

Liegen die tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreise in den Fällen der uneingeschränkt und nur eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte außerhalb der normalen bzw. eingeengten Bandbreite, hat eine Einkünftekorrektur zu erfolgen, wobei Maßstab der Median ist (§ 1 Abs. 3 Satz 4 AStG). Mit der Bezugnahme auf den Median wird ein statistischer Begriff verwendet, der bedeutet, dass mindestens 50% aller Merkmalswerte kleiner oder gleich und mindestens 50% aller Merkmalswerte auch größer oder gleich diesem Wert sind.9

16.150

Der Median mag zwar für die Bestimmung angemessener Fremdvergleichspreise maßgeblich sein,10 aus strafrechtlicher Sicht ist er indessen ohne Bedeutung. Die Frage nämlich, ob der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist, hängt nicht von statistischen Vorgaben ab, sondern orientiert sich allein an dem Ermittlungsergebnis der hierzu berufenen

16.151

1 Greinert in Rödder/Schaumburg, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (549); BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.7 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 2 Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.186; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1463); vgl. auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 3 Spezifisch steuerliche Beweislastregeln haben im Steuerstrafverfahren außer Betracht zu bleiben; vgl. BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 74 ff.; Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO Rz. 87a; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94; Peters/ Pflaum, wistra 2011, 250 (253). 4 Vor allem die Standardmethoden. 5 Gemeint sind Fremdvergleichspreise. 6 Hierzu Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 962. 7 Interquartile-Range; Begründung des Regierungsentwurfs § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, BR-Drucks. 220/07, 143 unter Hinweis auf BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.5. (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 8 Zur Kritik hieran Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 967; Baumhoff in FS Wassermeyer, 2005, 347 (362 ff.); Werra, IStR 2005, 19 (21); Finsterwalder, DStR 2005, 765 (769). 9 Zu Einzelheiten Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.194 ff.; 5.200; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (551 f.), mit dem Hinweis, dass diese Methode eine ungerade Zahl von Merkmalswerten unterstellt. 10 Zur Kritik hieran: Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 996.

Schaumburg | 871

Kap. 16 Rz. 16.151 | Ertragsteuerrecht

Stellen. Das bedeutet, dass im Zweifel der für den Steuerpflichtigen günstigste Wert innerhalb einer Preisbandbreite ohne Einengung aufgrund der sog. Interquartil-Methode zugrunde zu legen ist.1 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung wird im Ergebnis nur dann zu bejahen sein, wenn feststeht, dass der vereinbarte Verrechnungspreis außerhalb der Bandbreite der am Markt feststellbaren ggf. angepassten Vergleichspreise liegt.2

16.152

Können auch keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden, ist ein hypothetischer Fremdvergleich durchzuführen (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG).3 Das bedeutet, dass ein am Markt zwischen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleuten typischer Preisbildungsprozess simuliert werden muss.4 Hierbei ist davon auszugehen, dass die auf der Anbieter- und Nachfrageseite gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter5 alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehungen kennen (§ 1 Abs. 3 Satz 5 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG).6 Im Rahmen des vorgenannten simulierten Preisbildungsprozesses ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers zu ermitteln (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Hierdurch entsteht ein Einigungsbereich, der letztlich von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotenzialen) bestimmt wird. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG unterstellt somit, dass die Preisobergrenze des Leistungsempfängers stets über der Preisuntergrenze des Leistenden liegt (Einigungsbereich). Auf der Grundlage des so ermittelten Einigungsbereichs ist derjenige Verrechnungspreis angemessen, der innerhalb dieses Einigungsbereichs angesiedelt ist und der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht, wobei im Zweifel der Mittelwert7 des Einigungsbereichs den angemessenen Verrechnungspreis abbildet (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG).8

16.153

In strafrechtlicher Hinsicht ist dieser Mittelwert allerdings ohne Bedeutung. Denn auch beim hypothetischen Fremdvergleich ist darauf abzustellen, ob der tatsächlich zugrunde gelegte Verrechnungspreis sich innerhalb des Einigungsbereichs findet, wobei unter dem Gesichtspunkt des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes innerhalb des Einigungsbereichs der für den Steuerpflichtigen günstigste Wert zugrunde zu legen ist.9

1 Vgl. hierzu Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (253). 2 Vgl. hierzu Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.52; Rödl/Grube in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 22 Rz. 117; Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (507 ff.). 3 Diese Pflicht obliegt dem Steuerpflichtigen. 4 Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 313 ff. 5 Zum doppelten ordentlichen, gewissenhaften Geschäftsleiter: BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. C 3.143 ff. 6 Zur Kritik an dieser realitätsfernen Transparenzklausel Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 349 ff.; Roeder, Ubg 2008, 202 (205); Piltz in JbFStR 2007/2008, 99 (149 ff.); vgl. auch Rz. 16.143 f. 7 Als Mittelwert ist wohl der arithmetische Mittelwert gemeint; vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (556 f.), dort auch zur Kritik an der normativen Fehlverwendung statistischer Begriffe. 8 Entgegen BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867, wonach wie beim tatsächlichen Fremdvergleich (BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171) auch beim hypothetischen Fremdvergleich auf den für den Steuerpflichtigen günstigsten Wert abzustellen ist; zur Kritik an dieser mit Art. 9 OECD-MA und den OECD-RL (Rz. 1.45) nicht zu vereinbarenden „Mittelwertmethode“ Kaminski, StuW 2008, 337 (342); Hornig, PIStB 2008, 45 (45). 9 Spezifisch steuerliche Beweislastregeln haben im Steuerstrafverfahren außer Betracht zu bleiben; vgl. BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94; Peters/ Pflaum, wistra 2011, 250 (253).

872 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.155 Kap. 16

Für den Bereich des hypothetischen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG) enthält § 1 Abs. 3 Sätze 11 – 13 AStG eine Anpassungsklausel.1 Diese Anpassungsklausel ist in eine gesetzliche Vermutungsregelung wie folgt eingekleidet: „[...] weicht die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lagen, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten“. Eine erhebliche Abweichung ist dabei gegeben, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt (§ 10 FVerlV). Wurde eine entsprechende Anpassungsregelung tatsächlich nicht getroffen, gilt § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG mit der Folge, dass unter den dort genannten Voraussetzungen ein entsprechender Anpassungsbetrag auf den ursprünglichen Verrechnungspreis der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen ist, dass dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist (§ 1 Abs. 3 Satz 12 AStG).2

16.154

Die vorstehende Vermutungsregelung ist in strafrechtlicher Hinsicht ohne Bedeutung. Entscheidend ist, ob eine Anpassungsklausel tatsächlich vereinbart worden ist oder in Orientierung an dem Fremdvergleichsgrundsatz zwischen fremden Dritten vereinbart worden wäre. Können solche Feststellungen nicht getroffen werden, ist zugunsten des Steuerpflichtigen für strafrechtliche Zwecke davon auszugehen, dass eine derartige Anpassungsklausel nicht vereinbart worden wäre. Das bedeutet im Ergebnis, dass insoweit eine Steuerhinterziehung nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommt.

16.155

VI. Funktionsverlagerungen Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 3 AStG; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in FS Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Eigenproduzent versus Lohnfertiger – Qualifikation ausländischer Produktionsstätten für Zwecke der steuerlichen Verrechnungspreisplanung, in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Köln 2000, 53; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, IStR 2008, 1945; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den Änderungen des § 1 Abs. 3 AStG durch das EU-Umsetzungsgesetz, DStR 2010, 1309; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, Ubg 2011, 161; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Die Expansion deutscher Unternehmen ins Ausland: Steuerliche Implikationen der Gründung von Vertriebsgesellschaften – Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen im Fall von „Vertriebsabspaltungen, IStR 2008, 1; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, Düsseldorf 2004; Borstell/Schäperclaus, Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, 275; Borstell/Wehnert, Funktions- und Geschäftsverlagerung in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, 5. Aufl. München 2020, Q Rz. 1 ff.; Brüninghaus/Bodenmüller, Tatbestandsvoraussetzungen der Funktionsverlagerung, DStR 2009, 1285; Crüger/Wintzer, Funktionsverlagerungen ins Ausland – Aktuelle Neuerungen durch die Unternehmenssteuerreform 2008 und Gestaltungshinweise, GmbHR 2008, 306; Ditz, Übertragung von Geschäftschancen bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2006, 1625; Ditz, Praxisfall einer Funktionsverlagerung unter besonderer Berücksichtigung der VWGFunktionsverlagerung vom 13.10.2010, IStR 2011, 125; Ditz/Greinert, Funktionsverlagerungen, in

1 Zur Anpassungsklausel vgl. Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1381 ff.; Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 844 ff.; Peter/Spohn/Hogg, IStR 2008, 864 ff.; Scholz, IStR 2007, 521 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.; Pohl, IStR 2010, 690 ff; nach dem RefE ATADUmsG vom 24.3.2020 wird die Anpassungsklausel gesondert in § 1b AStG-E geregelt. 2 Zu Einzelheiten Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1391 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.

Schaumburg | 873

Kap. 16 Rz. 16.155 | Ertragsteuerrecht Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014, Rz. 7.1 ff.; Ditz/Just, Besteuerung einer Produktionsverlagerung nach der Funktionsverlagerungsverordnung – Praxisfall, DB 2009, 141; Eigelshoven/Nientimp, Funktionsverlagerungen und kein Ende – Die Änderungen bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach dem EU-Umsetzungsgesetz, Ubg 2010, 233; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Freudenberg/ Ludwig, Chancen für Gestaltungen aufgrund der geänderten Vorschriften zur Funktionsverlagerung, BB 2010, 1268; Freudenberg/Peters, Steuerliche Allokation von Restrukturierungsaufwendungen im Kontext von Funktionsverlagerungen, BB 2008, 1424; Frischmuth, Die Konzeption der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, 386; Frischmuth, Wann genau liegt eine Funktionsverlagerung nach der FVerlV vor?, StuB 2008, 864; Frischmuth, Austausch von Funktionen im Konzern und Bewertung von Transferpaketen, in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, Köln 2010, 73; Frotscher, Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, Köln 2007, 541; Greinert, Maßgebende Überschussgröße zur Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DB 2009, 755; Greinert/ Thiele, Steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen vor 2008, DStR 2011; Haas, Funktionsverlagerungen nach dem Erlass der Funktionsverlagerungsverordnung, Ubg 2008, 517; Haas, Funktionsverlagerung, Verhältnis zu DBAs, in FS Schaumburg, Köln 2009, 715; Jahndorf, Besteuerung der Funktionsverlagerungen, FR 2008, 101; Kahle, Die Ertragsbesteuerungen von Funktionsverlagerungen nach der Unternehmensteuerreform 2008, Der Konzern 2007, 647; Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung – der nächste Akt, IWB 2010, 316; Looks/Scholz, Funktionsverlagerungen nach der Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG, BB 2007, 2541; Naumann, Funktionsverlagerungsverordnung, in Lüdicke, Besteuerung von Unternehmen im Wandel, Köln 2007, 167; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637 (Teil I) und 1963 (Teil II); Oestreicher/Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlässlich der grenzüberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 145; Oestreicher/Wilke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fällen einer Funktionsverlagerung nach dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Pohl, Ergänzung der Funktionsverlagerungsregelung durch das Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften, IStR 2010, 357; Schaumburg, Anpassungsklausel, IStR 2009, 877; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 21.198 ff.; Schreiber, Funktionsverlagerungen im Konzern – Neue Rechtsgrundlagen durch die Unternehmensteuerreform 2008, Ubg 2008, 433; Schwenke, Funktionsverlagerung über die Grenze – Verrechnungspreise und Funktionsausgliederung, in Piltz/Günkel, Steuerberater-Jahrbuch 2007/2008, Köln 2008, 137; Schwenke, Funktionsverlagerung: neue Gesetzeslage, in Lüdicke, Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Köln 2008, 115; Vögele, Bewertung von Transferpaketen bei der Funktionsverlagerung, DStR 2010, 418; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung 2009: Die steuerliche Behandlung von Verrechnungspreisen, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, nach der Unternehmensteuerreform 2008, Baden-Baden 2009; Zech, Funktionsverlagerung auf einen Eigenproduzenten und auf ein Routineunternehmen, IStR 2011, 131.

1. Überblick 16.156

Die Einkünftekorrektur bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen wegen vom Fremdvergleichspreis abweichender Verrechnungspreise hat für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3 Sätze 9 – 12 AStG eine Sonderregelung erfahren. Diese ist insbesondere darauf gerichtet, den im Handelsrecht und Steuerrecht verankerten Grundsatz der Einzelbewertung1 zu suspendieren und durch eine Gesamtbewertung eines Transferpaketes zu 1 Vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB; § 6 Abs. 1 EStG; BFH v. 22.11.1988 – VIII R 62/85, BStBl. II 1989, 359.

874 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.157 Kap. 16

ersetzen. Im Ergebnis werden damit für Zwecke der Bewertung Teile des Geschäfts- oder Firmenwerts abgespalten und auf einzelne Wirtschaftsgüter projiziert.1 Damit sind in Fällen von Funktionsverlagerungen die Verrechnungspreise grundsätzlich auf der Grundlage einer Verlagerung der Funktion als Ganzes (Transferpaket) zu bestimmen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i. V.m. § 1 Abs. 2 FVerlV). Denn einem fremden Dritten in der Situation des übernehmenden Unternehmens käme es auf die Übernahme der Funktion (und auf die damit verbundenen Gewinnaussichten) an und nicht vorrangig auf den Erwerb oder die Nutzung einzelner Wirtschaftsgüter.2 Das verlagernde Unternehmen wird in derartigen Fällen nicht nur eine Vergütung für die Übertragung der für die Funktionsausübung notwendigen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile, sondern auch einen Ausgleich für den Verzicht auf die zukünftige Nutzung des Gewinnpotenzials verlangen.3 Die für eine derartige Funktionsverlagerung maßgebliche Sonderregelung gilt nur im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG), wenn also nicht zumindest eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vorliegen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG).

Eine Funktionsverlagerung im vorgenannten Sinne (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG) liegt vor, wenn ein Unternehmen (das verlagernde Unternehmen) einem anderen nahestehenden Unternehmen (das übernehmende Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird (§ 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV).4 Erfasst wird also nicht die bloße Übertragung oder Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern oder die Erbringung von sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 4 FVerlV), sondern die Übertragung eines Bündels von Wirtschaftsgütern und sonstigen Leistungen. Angesprochen ist damit vor allem die Übertragung gesondert geführter Bereiche eines Unternehmens, ohne dass hierbei ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinne vorliegen muss.5 Derartige Funktionen sind z.B. Einkauf, Produktion, Marketing, Verkauf, Logistik, Forschung und Entwicklung oder Verwaltung.6 In der Praxis kommen derartige Funktionsverlagerungen7 insbesondere als Funktionsausgliederung,8

1 Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.5 2 So die Formulierung im Schreiben des BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 6. 3 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 13. 4 Die vom Gesetz vorgegebene Definition ist eine Tautologie; zur Kritik Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650); vgl. auch die Definition von Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 275 ff. 5 Zum Begriff des Teilbetriebs i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG: Teilbetrieb ist ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter organisatorisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebes, der für sich allein lebensfähig ist; vgl. BFH v. 10.3.1998 – VIII R 31/95, BFH/NV 1998, 1209. 6 Vgl. die Aufstellung in BMF v. 13.10.2010– IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.15; Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.22; Greinert in Schaumburg/ Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (559). 7 Zu Einzelheiten Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.42 ff.; Frischmuth, StuB 2007, 386 (387); Kaminski, RIW 2007, 594 (599). 8 Vollständige Übertragung einer Funktion mit den dazugehörigen Chancen und Risiken einschließlich Wirtschaftsgütern.

Schaumburg | 875

16.157

Kap. 16 Rz. 16.157 | Ertragsteuerrecht

Funktionsabschmelzung,1 Funktionsabspaltung2 und Funktionsverdoppelung vor,3 die allerdings nur zum Teil von der Reichweite des für die Funktionsverlagerung geltenden Sonderregimes des § 1 Abs. 3 AStG erfasst werden. Das gilt namentlich in Fällen der Funktionsabspaltung, wenn das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion etwa als Lohnfertiger ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausübt und das Entgelt für die Ausübung der Funktion nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird (§ 2 Abs. 2 FVerlV). Hier ist davon auszugehen, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG). Der Fall der Funktionsverdoppelung wird nur dann erfasst, wenn es innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion durch ausländische nahestehende Unternehmen zu keiner Einschränkung der Ausübung der betreffenden Funktion durch das inländische Unternehmen kommt. Kommt es allerdings innerhalb dieser Frist zu einer solchen Einschränkung, liegt zum Zeitpunkt, in dem die Einschränkung eintritt, insgesamt eine einheitliche Funktionsverlagerung vor, es sei denn, es wird glaubhaft gemacht, dass diese Einschränkung nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Funktionsverdoppelung steht (§ 1 Abs. 6 Satz 2 FVerlV).

16.158

Ist eine Funktionsverlagerung gegeben, ist für Zwecke der Gesamtbewertung auf die verlagerte Funktion als Ganzes (Transferpaket) abzustellen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG). Die Bewerbung erfolgt unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszusätze. Hierbei ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers zu ermitteln, wobei der hierdurch geprägte Einigungsbereich durch die jeweiligen Gewinnerwartungen bestimmt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Damit ist im Grundsatz eine vierfache Bewertung dahin gehend vorgesehen, dass sowohl das verlagernde als auch das übernehmende Unternehmen ihre künftigen Gewinne jeweils vor und nach der Funktionsverlagerung zu schätzen haben (§ 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV).4 Im Ergebnis gehen auch hierdurch ausländische Standortvorteile und sonstige Synergieeffekte in die Bewertung ein, womit die Grundlagen für eine Doppelbesteuerung gelegt werden.5 Die Berücksichtigung der vom Gesetz geforderten Kapitalisierungszinssätze (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG) hat in Orientierung an die für risikolose Investitionen maßgeblichen Zinssätze zu erfolgen (§ 5 FVerlV), wobei im Grundsatz von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen ist (§ 6 FVerlV).6

2. Pflichtenkreis 16.159

Die ganz allgemein für grenzüberschreitende Vorgänge maßgeblichen erweiterten Mitwirkungspflichten gelten auch für Funktionsverlagerungen, sodass hierfür der insoweit verwirk-

1 Übertragung eines Teils einer Funktion mit den dazugehörigen Chancen und Risiken einschließlich Wirtschaftsgütern. 2 Übertragung (eines Teils) einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken. 3 Verdoppelung einer im Inland weiterhin ausgeübten Funktion mit den dazugehörigen Chancen und Risiken einschließlich Wirtschaftsgütern. 4 Zu Einzelheiten Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.80 ff. 5 Zur Kritik in diesem Zusammenhang Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.92; Blumers, BB 2007, 1757 (1761); Frischmuth, StuB 2007, 386 (391); Hey, BB 2007, 1303 (1308); vgl. auch Rödder, ZHR 2007, 380 (402). 6 Zu Einzelheiten Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.96 ff.

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B. Typische Problembereiche | Rz. 16.162 Kap. 16

lichte Sachverhalt aufzuklären und Beweisvorsorge zu treffen ist und zudem die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen sind (§ 90 Abs. 2 AO). Darüber hinaus enthält § 90 Abs. 3 AO eine Pflichtenerweiterung, wonach insbesondere alle eine Funktionsverlagerung betreffenden (schriftlichen) Verträge vorzuhalten sind.1 Da Funktionsverlagerungen außergewöhnliche Geschäftsvorfälle sind, müssen die entsprechenden Aufzeichnungen zeitnah erstellt werden (§ 90 Abs. 3 Satz 8 AO i.V.m. § 3 Abs. 2 GAufzV). Zu diesen Aufzeichnungen gehören eine entsprechende Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation.2

3. Pflichtverletzungen Werden die in § 90 Abs. 1 – 3 AO verankerten Mitwirkungspflichten verletzt, können insbesondere folgende steuerliche Konsequenzen eintreten:3

16.160

– Minderung der Ermittlungspflichten der Finanzbehörde, – Beweismaßreduzierung, – Beweisrisikoverlagerung zulasten des Steuerpflichtigen, – Schätzung der Besteuerungsgrundlage durch die Finanzbehörde gem. § 162 Abs. 1–3 AO, – Festsetzung eines Zuschlags (§ 162 Abs. 4 AO).4 Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch die Finanzbehörde hat besondere Bedeutung, weil die Bandbreite angemessener Verrechnungspreise zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden kann (§ 162 Abs. 3 Satz 2 AO). Diese Schätzung zulasten des Steuerpflichtigen ist auch dann möglich, wenn Zweifel an der Richtigkeit des ausgewiesenen Gewinns sich nicht ausräumen lassen, weil eine ausländische, dem Steuerpflichtigen nahestehende Person ihre Mitwirkungspflichten nicht erfüllt (§ 162 Abs. 3 Satz 3 AO).

16.161

Die vorstehenden für den Steuerpflichtigen nachteiligen Rechtsfolgen sind in strafrechtlicher oder ordnungswidrigkeitsrechtlicher Hinsicht ohne Relevanz. Dies gilt insbesondere für die Beweisrisikoverlagerung zulasten des Steuerpflichtigen, wonach eine Beweisvermutung dahingehend besteht, dass die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte höher als die erklärten Einkünfte sind (§ 162 Abs. 3 Satz 1 AO) und schließlich für die in § 162 Abs. 3 Satz 2 AO vorgesehene Möglichkeit den Schätzungsrahmen zulasten des Steuerpflichtigen auszuschöpfen.5 Ebenso kann in Schätzungsfällen bei der Bestimmung des Werts des Transferpakets in Anwendung des Ertragswertverfahrens nicht ohne Weiteres zum Nachteil des Steuerpflichtigen

16.162

1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 151. 2 Vgl. hierzu umfassend Vögele/Dettmann in V/B/B5, D 96 ff. 3 Vgl. hierzu BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 4.3 ff. (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren); BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 161. 4 Zu Einzelheiten Seer in T/K, § 162 AO Rz. 72 ff. 5 Spezifische steuerliche Beweislastregeln bleiben im Steuerstrafverfahren außer Betracht; vgl. BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 74 ff.; Randt in J/J/R8, § 385 AO Rz. 22; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 94; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (253).

Schaumburg | 877

Kap. 16 Rz. 16.162 | Ertragsteuerrecht

von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum ausgegangen werden.1 Steuerstrafrechtlich kommt es allein auf die Feststellung solcher Besteuerungsgrundlagen an, die als erwiesen anzusehen sind.2 Beispiel: Die im Inland ansässige A-GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der in Frankreich ansässigen X-SA. Die X-SA hält zugleich alle Anteile an der als Kapitalgesellschaft organisierten chinesischen Y-LLC. Die A-GmbH produziert verschiedene Elektroantriebe und vertreibt diese weltweit. Wegen einer zukunftsweisenden eigenen Neuentwicklung eines Elektroantriebs überlässt die AGmbH der chinesischen Y-LLC die Produktion des alten Elektroantriebs, um so für sich die entsprechenden Produktionskapazitäten für die Herstellung des neuen Antriebs zu nutzen. Bei diesem Nachfolgeprodukt handelt es sich um eine Weiterentwicklung, bei der im Wesentlichen das Know-how genutzt wurde, das bisher bei der Herstellung der alten Elektroantriebe zum Einsatz kam. Im Hinblick darauf werden auch die alten Produktionsmaschinen und das bisher eingesetzte Personal für die Herstellung des Nachfolgeprodukts eingesetzt. Da die chinesische Y-LLC kein entsprechendes Produktions-Know-how hat, wird dieses von der A-GmbH gegen eine angemessene jährlich zu zahlende Lizenzgebühr zur Nutzung überlassen. Im Rahmen der Betriebsprüfung geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die Überlassung der Produktion der alten Elektroantriebe an die chinesische Schwestergesellschaft eine Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 2 FVerlV sei.3 Da der Geschäftsführer der A-GmbH trotz wiederholter Aufforderung durch das Finanzamt keinerlei Aufzeichnungen im Zusammenhang mit der von der Betriebsprüfung angenommenen Funktionsverlagerung vorlegt, erfolgt seitens der Betriebsprüfung unter Hinweis auf § 162 Abs. 3 Satz 2 AO eine Schätzung. Die Betriebsprüfung ermittelt hierbei den Wert der von ihr angenommenen Funktionsverlagerung in Anwendung von § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG entsprechend den Regelungen in den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung wie folgt: Da es sich um die Substitution eines technisch veralteten Produktes handelt und das für die Produktion der alten Elektroantriebe erforderliche ProzessKnow-how lizenziert wird, wird für die Berechnung des Einigungspreises (§ 7 FVerlV) für die AGmbH als verlagerndes Unternehmen ein Mindestpreis von 0 zugrunde gelegt.4 In Anlehnung an die bisher mit der Produktion der Altantriebe erzielten Gewinne schätzt die Betriebsprüfung unter Berücksichtigung der Steuer- und Standortvorteile in China einen Höchstpreis für die Y-LLC als übernehmendes Unternehmen.5 Da der Geschäftsführer der A-GmbH weder von der X-SA noch von der Y-LLC irgendwelche Informationen über die Gewinne aus der übernommenen Produktion der Altantriebe erhält und zudem auch das Finanzamt beide Auslandsgesellschaften erfolglos zur Mitwirkung aufgefordert hat, wird seitens des Finanzamts wegen aus seiner Sicht gegebener Verletzung von Mitwirkungspflichten der Wert des Transferpakets nicht auf der Grundlage des Mittelwerts (§ 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG), sondern in Anlehnung an den Höchstpreis im Einigungsbereich ermittelt.6 Gegen den Geschäftsführer der A-GmbH wird zugleich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

1 Gem. § 6 FVerlV ist bei der Diskontierung nur dann von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen, wenn keine Gründe für einen abweichenden Kapitalisierungszeitraum glaubhaft gemacht werden; vgl. hierzu BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 171. 2 BGH v. 10.9.1985 – 4StR 487/85, wistra 1986, 65; BGH v. 4.2.1992 – 5 StR 655/91, wistra 1992, 147; BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345; BFH v. 19.7.2007 – 5 StR 251/07, wistra 2007, 470, Volk in FS Kohlmann, 2003, 579 (580). 3 Hinweis auf BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 19 ff., dort insbesondere das Beispiel zur Substitution in Rz. 23. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 119. 5 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 124 ff. 6 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 199.

878 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.163 Kap. 16

Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV ist eine Funktion ein organischer Teil eines Unternehmens, der zwar keinen Teilbetrieb im steuerlichen Sinne begründen, diesem aber relativ nahe kommen muss.1 Hieraus folgt, dass die Produktion eines bestimmten Produktes noch keine Funktion ist.2 Hinzu kommt, dass die Geschäftstätigkeit der A-GmbH sich nicht verändert hat, weil die Produktion mit dem Nachfolgeprodukt fortgeführt wird. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann von einer Funktionsverlagerung keine Rede sein.3 Ob eine Funktionsverlagerung tatsächlich gegeben ist, kann allerdings offenbleiben, weil die seitens der Betriebsprüfung vorgenommene Schätzung strafrechtlich irrelevant ist. Die Schätzung der Betriebsprüfung erfolgte nämlich zulasten der A-GmbH dahingehend, dass der Wert des Transferpaketes mit dem Höchstpreis im Einigungsbereich angesetzt wurde (§ 162 Abs. 3 Satz 2 AO). Demgegenüber sind für strafrechtliche Zwecke von den Besteuerungsgrundlagen auszugehen, die als erwiesen anzusehen sind.4 Das bedeutet zwar nicht, dass nur sicher errechnete Zahlen zugrunde gelegt werden dürfen,5 erforderlich ist aber jedenfalls die richterliche Überzeugung, dass bestimmte Mindestbeträge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verkürzt worden sind.6 Im Hinblick darauf ist hier daher im Zweifel vom Mindestpreis im Einigungsbereich auszugehen. Da die A-GmbH für die Überlassung des Prozess-Know-how Lizenzgebühren vereinnahmt, ist für die Berechnung des Einigungspreises (§ 7 FVerlV) für die AGmbH von einem Mindestpreis von 0 auszugehen.7 Das bedeutet, dass insoweit schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist.

VII. Ausländische Betriebsstätteneinkünfte Literatur: Kommentare zu § 12 AO, Art. 5 OECD-MA; Bendlinger, Die Betriebsstätte in der Praxis des internationalen Steuerrechts, 3. Aufl. Wien 2016; Buciek, Aktuelle Entwicklungen zur Betriebsstättenbesteuerung, DStZ 2003, 139; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004; Ditz/Quilitzsch, Aktuelle Entwicklungen im Hinblick auf die Definition der Betriebsstätte, FR 2012, 493; Früchtl, Betriebsstätteneinkünfte und Doppelbesteuerungsabkommen, BB 2008, 1212; Görl, Aktuelle Aspekte des Betriebsstättenbegriffs unter besonderer Berücksichtigung der Präsenzanforderungen, StbJb 2004/2005, 81; Haiß, Steuerliche Abgrenzungsfragen bei der Begründung einer Betriebsstätte im Ausland, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 31; Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Aufl. München 2017; Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, Herne 2016; Möller, Der Begriff der Betriebsstätte im deutschen Steuerrecht, StuB 2005, 350; Piltz, Wann liegt eine DBA-Vertreter-Betriebsstätte vor?, IStR 2004, 181; Piltz/Schaumburg, Internationale Betriebsstättenbesteuerung, Köln 2000; Reimer, Die Zukunft der Dienstleistungsbetriebsstätte, IStR 2009, 378; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 16.229 ff.; Schnitger/Bildstein, Praxisfragen der Betriebsstättenbesteuerung, Ubg 2008, 444; Schoss, Betriebsstätte

1 Schreiber in Kroppen/Rasch, Hdb. Internationale Verrechnungspreise, FVerlV Rz. 43; Baumhoff, WPg 2012, 396 ff. (398). 2 Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.41; a.A. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 14 ff. 3 Vgl. nur Baumhoff, WPg 2012, 396 (399). 4 Hierzu Volk in FS Kohlmann, 2003, 579 (580). 5 BGH v. 26.10.1998 – 5 StR 746/97, wistra 1999, 103; BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345; Volk in FS Kohlmann, 579 (586 ff.). 6 Zur Schätzung auf Grundlage freier Beweiswürdigung Schützeberg, StBp 2009, 33 (37 f.); vgl. auch Rz. 11.543 f. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 119.

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16.163

Kap. 16 Rz. 16.163 | Ertragsteuerrecht oder Tochtergesellschaft im Ausland, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 51; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten Handbuch, 2. Aufl. Köln 2018; Wichmann, Aktuelle Tendenzen der OECD-Arbeiten zur Betriebsstätte, insbesondere bei Vertretern und Dienstleistungen, StbJb 2004/05, 93 ff.; Wilke, Die Vertreterbetriebsstätte im internationalen Steuerrecht, PIStB 2001, 22.

1. Überblick 16.164

Im Rahmen der unbeschränkten Einkommen- und Körperschaftsteuerpflicht gilt das Welteinkommensprinzip1 mit der Folge, dass es im Grundsatz nicht darauf ankommt, wo die Einkünfte erzielt werden. Insbesondere zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht indessen die Notwendigkeit, die ausländischen Einkünfte gesondert zu ermitteln: Soweit unioder bilateral die Anrechnungsmethode zur Anwendung kommt, kann nur die auf die ausländischen Einkünfte (§ 34d EStG) entfallende ausländische Steuer auf die entsprechende deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer angerechnet werden (§ 34c Abs. 1 EStG, § 26 Abs. 1 KStG). Von der Reichweite der Freistellungsmethode werden schließlich ebenfalls nur ausländische Einkünfte erfasst. Zu den ausländischen Einkünften zählen insbesondere ausländische Betriebsstätteneinkünfte (§ 34c Abs. 1 Satz 1, § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG, § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG). Soweit die Doppelbesteuerung unilateral vermieden wird, ist insoweit der in § 12 AO verankerte Betriebsstättenbegriff maßgeblich. Kommen Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung, gilt der jeweilige abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff (Art. 5 OECD-MA). Beide Begriffe sind weitgehend identisch, unterscheiden sich allerdings z.B. bei Bauausführungen und Montagen, wonach gem. § 12 Satz 1 Nr. 8 AO eine Dauer von mehr als sechs Monaten und nach Art 5 Abs. 3 OECD-MA eine Dauer von mehr als 12 Monaten erforderlich ist. Darüber hinaus umfasst der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff im Unterschied zum deutschen Recht (§ 13 AO) auch abhängige Vertreter (Art. 5 Abs. 5 OECDMA).2 Sind hiernach die Voraussetzungen einer Betriebsstätte gegeben, hat auf einer zweiten Stufe eine Einkünftezuordnung, d.h. eine Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, zu erfolgen (Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 OECD-MA 2017; zu Einzelheiten Rz. 14.219 ff.). Zentraler Maßstab zur Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen mehreren Betriebsstätten ist der Fremdvergleichsgrundsatz (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2017). Um diesen Fremdvergleichsgrundsatz (Dealing-at-arm‘s-length-Prinzip) zur Geltung zu bringen, wird die (ausländische) Betriebsstätte als selbständiges und unabhängiges Unternehmen fingiert. Aus dieser uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte folgt, dass auch reine Innentransaktionen für die Gewinnabgrenzung relevant sind. Hiernach ist für Zwecke der Betriebsstättengewinnabgrenzung eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse der betroffenen Unternehmensteile vorzunehmen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Zuordnung von Personal, Funktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken sowie von Eigenkapital,3 wobei das Kriterium wesentlicher Personalfunktionen (significant people functions) von besonderer Bedeutung ist.4 Das vorstehende AOA5-Konzept ist zwar durch § 1 Abs. 4, 5 AStG und durch die BsGaV in innerstaatliches

1 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.53 ff. 2 Zu den Unterschieden im Einzelnen Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 40 ff.; Hruschka in S/D, DBA2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 34 ff. 3 Vgl. hierzu Ditz in S/D, DBA2, Art. 7 (2017) Rz. 23 ff. 4 Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2933; Ditz in S/D, DBA2, Art. 7 (2017) Rz. 23; Kaeser, ISR 2012, 63 (67). 5 Authorised OECD Approach.

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B. Typische Problembereiche | Rz. 16.166 Kap. 16

Recht umgesetzt worden (vgl. Rz. 14.231 ff.), insgesamt enthalten aber nur wenige deutsche Doppelbesteuerungsabkommen eine entsprechende Regelung.1

2. Pflichtenkreis Um die steuerliche Erfassung ausländischer Betriebsstätten zu gewährleisten, sind unbeschränkt Steuerpflichtige verpflichtet, die Gründung und Erwerb von Betrieben und Betriebsstätten im Ausland dem zuständigen Finanzamt (§§ 18 – 20 AO) mitzuteilen (§ 138 Abs. 2 Nr. 1 AO). Erfasst wird damit nicht nur die Neugründung, sondern auch die Verlegung vom Inland in das Ausland sowie von einem Ausland in ein anderes Ausland.2 Maßgeblich ist, dass die Voraussetzungen einer Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO gegeben sind, sodass es nicht darauf ankommt, ob es sich auch um eine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne handelt.3 Die Mitteilung ist zusammen mit der maßgeblichen Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuererklärung spätestens bis zum Ablauf von 14 Monaten nach Ablauf des betreffenden Besteuerungszeitraums zu erstatten (§ 138 Abs. 5 Satz 1 AO). In den Fällen, in denen keine Steuerklärungen abzugeben sind, beträgt die Frist 14 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der mitzuteilende Sachverhalt verwirklicht worden ist (§ 138 Abs. 5 Satz 3 AO).

16.165

Neben der (formellen) Mitteilungspflicht sind die ausländische Betriebsstätteneinkünfte gem. §§ 238 – 245, 264 ff., 290 ff. HGB, § 120 Abs. 1 und § 161 Abs. 2 HGB, §§ 91, 270, 286 AktG, § 41 GmbHG, § 33 GenG, § 141 AO zu ermitteln.4 Soweit die Buchführungspflicht auf außersteuerlichen Vorschriften5 beruht, ist diese gem. §140 AO auch für Zwecke der Besteuerung zu erfüllen. Im Gegensatz zum deutschen Handelsrecht verlangt § 146 Abs. 2 Satz 1 AO im Grundsatz, dass Bücher und Aufzeichnungen im Ausland befindlicher Betriebsstätten im Inland geführt werden.6 Das gilt nur insoweit, als ausländisches Recht nicht die Führung von Büchern und Aufzeichnungen im Ausland vorschreibt (§ 146 Abs. 2 Satz 2 AO). Werden die Bücher und Aufzeichnungen im Ausland geführt, müssen die Ergebnisse der dortigen Buchführung in die Buchführung des inländischen Stammhauses übernommen werden. Das bedeutet, dass die Salden der einzelnen Posten der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung unter Eliminierung innerbetrieblicher Gewinne und Anpassungen an die Gewinnermittlungsvorschriften des deutschen Steuerrechts Bestandteil der Buchführung des Stammhauses selbst werden.7 Werden die Bücher der ausländischen Betriebsstätte in Fremdwährung geführt, sind die ausländischen Betriebsstättenergebnisse in Euro umzurechnen.8 Ergeben sich aufgrund der Währungsumrechnung Währungsgewinne oder -verluste, sind diese den Betriebsstätteneinkünften zuzurechnen, sodass im Falle der abkommensrechtliche verankerten

16.166

1 § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG enthält allerdings ein bedingtes treaty override; hierzu Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 714; Schnitger, IStR 2012, 633 (641 ff.). 2 Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 6a; Schallmoser in H/H/Sp, 138 AO Rz. 36; Kämper in Schwarz/ Pahlke, § 138 AO Rz. 17; Dißars, Stbg 2009, 453 ff. 3 Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 6a; Grotherr in Gosch, § 138 AO Rz. 23; Dißars, Stbg 2009, 453 (454). 4 Zu weiteren Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.25 ff. 5 Zu ihnen gehören auch ausländische Rechtsnormen; BFH v. 14.11.2018 – I R 81/16, BStBl. II 2019, 390; Drüen in T/K, § 140 AO Rz. 7; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 22.25. 6 Ausnahme gem. § 146 Abs. 2a AO für elektronische Bücher und Aufzeichnungen. 7 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.26. 8 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.27.

Schaumburg | 881

Kap. 16 Rz. 16.166 | Ertragsteuerrecht

Freistellungsmethode eine steuerliche Berücksichtigung im Inland grundsätzlich unterbleibt.1 Das gilt allerdings nicht für umrechnungsbedingte Währungsverluste aus der grenzüberschreitenden Rückführung des Dotationskapitals einer EU-/EWR-Betriebsstätte auf das inländische Stammhaus, weil anderenfalls ein Verstoß gegen die unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten gegeben wäre.2 Entsprechendes hat auch für Teilrückführungen von Dotationskapital und laufende (realisierte) Währungsverluste zu gelten, weil diese naturgemäß im Betriebsstättenstaat nicht entstehen können.3

16.167

Wird die Anzeigepflicht (§ 138 Abs. 2 AO) verletzt, ist eine Ordnungswidrigkeit gegeben (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO).4 Es handelt sich hierbei um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, so dass es nicht darauf ankommt, ob durch die unterlassene Meldung überhaupt eine Steuerverkürzung ermöglicht worden ist.5 Ist hierdurch allerdings der Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) erfüllt, tritt der Bußgeldtatbestand des § 379 AO zurück (§ 379 Abs. 7 AO).6

3. Pflichtverletzungen 16.168

Neben der unzutreffenden Gewinnabgrenzung zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte (Rz. 14.219 ff.) sind in der Praxis insbesondere jene Fälle strafrechtlich relevant, in denen im Rahmen der unbeschränkten Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflicht steuerfreie ausländische Betriebsstättengewinne erklärt werden, obwohl tatsächlich im Ausland eine Betriebsstätte nicht vorlag. Beispiel: Die in Deutschland ansässige A-GmbH stellt im Inland Werkzeugmaschinen her, die sie weltweit vertreibt. In Moskau unterhält die A-GmbH ein sog. Repräsentationsbüro, in dem u.a. ein deutscher Ingenieur mit Abschlussvollmacht tätig ist. Darüber hinaus gibt es dort auch Ausstellungsräume, in denen die Werkzeugmaschinen gezeigt werden. Der Geschäftsführer A der A-GmbH hat das Repräsentationsbüro mit Hinweis auf die Ausstellungsräume fristgerecht bei dem für die AGmbH zuständigen Finanzamt als Betriebsstätte gemeldet (§ 138 Abs. 2 Nr. 1 AO). In der für das Jahr 2016 abgegebenen Körperschaft- und Gewerbesteuererklärung der A-GmbH findet sich der Hinweis, dass der deutsche Ingenieur in Russland Aufträge akquiriert und dort die maßgeblichen Verhandlungen über die Lieferung von Werkzeugmaschinen geführt habe und auch technische Hilfsleistungen erbracht würden. Dementsprechend ist der hierauf entfallende Gewinn nach Maßgabe des DBA-Russland als steuerfreier Betriebsstättengewinn erklärt und veranlagt worden. Im Rahmen der Betriebsprüfung wird festgestellt, dass in Russland tatsächlich nur ein Ausstellungs- und Informationsbüro bestand, wo keine Rechtsgeschäfte abgeschlossen wurden. Der deutsche Ingenieur hatte zwar Abschlussvollmacht, hiervon hat er aber zu keinem Zeitpunkt Gebrauch gemacht. Die Verträge wurden daher tatsächlich von dem Geschäftsführer A in Deutschland endverhandelt und von ihm und dem deutschen Ingenieur während seiner regelmäßigen Deutschland-Aufenthalte hier unterzeichnet. Zugleich stellt sich heraus, dass vom russischen Repräsentationsbüro keinerlei technische Dienstleis-

1 BFH v. 16.2.1996 – I R 46/95, BStBl. II 1996, 588; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; BFH v. 8.9.1996 – I R 69/95, BFH/NV 1997, 408; BFH v. 16.12.2008, I B 44/08, BFH/NV 2009, 940; Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Hdb.², Rz. 8.10. 2 EuGH v. 28.2.2008 – C-293/06, ECLI:EU:C:2008:129 – Deutsche Shell. 3 De Weerth, IStR 2008, 226 f.; Ditz/Plansky, DB 2009, 1669 (1670) (für Teilrückführung), Zieher, IStR 2009, 261 ff.; a.A. Hruschka, IStR 2008, 499 ff. (für laufende Betriebsstättenverluste); zu weiteren Einzelheiten Lüdicke/Braunnagel in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht, 177 (182 ff.). 4 Geldbuße bis zu 25.000 Euro (bis einschließlich 2019: 5.000 Euro). 5 Vgl. Jäger in J/J/R8, § 379 AO Rz. 84. 6 Zu Einzelheiten Jäger in J/J/R8, § 379 AO Rz. 175.

882 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.170 Kap. 16 tungen erbracht wurden. Im Rahmen eines über das BZSt an die russische Finanzverwaltung gerichteten Auskunftsersuchens wird mitgeteilt, dass die A-GmbH dort lediglich ein Repräsentationsbüro ohne rechtsgeschäftliche Aktivitäten angemeldet habe mit der Folge, dass dort eine Besteuerung unterblieben sei.

Die A-GmbH erzielt mit ihren Einkünften aus der Herstellung und der Veräußerung von Werkzeugmaschinen Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 8 Abs. 2 KStG). Hiervon werden im Grundsatz auch die Gewinne erfasst, die durch die Veräußerung von Werkzeugmaschinen an russische Abnehmer erzielt werden. Diese Gewinne sind allerdings dann von deutscher Körperschaftsteuer freizustellen, wenn sie im Rahmen einer in Russland unterhaltenen Betriebsstätte erzielt worden sind (Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-Russland). Das von der A-GmbH in Moskau unterhaltene Repräsentationsbüro ist zwar eine feste Geschäftseinrichtung, sodass die Betriebsstättenvoraussetzungen des § 12 Satz 1 AO und von Art. 5 Abs. 1 DBA-Russland gleichermaßen erfüllt sind. Eine Besonderheit ergibt sich aber aus dem in Art. 5 Abs. 4 DBA-Russland enthaltenen Negativkatalog. Hiernach gilt eine feste Geschäftseinrichtung nicht als Betriebsstätte, wenn sie ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, Güter oder Waren des Unternehmens auszustellen oder für das Unternehmen Güter oder Waren einzukaufen oder Informationen zu beschaffen (Art. 5 Abs. 4 Buchst. a und d DBARussland). Aufgrund der von der deutschen Finanzverwaltung getroffenen Feststellungen sind die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 4 Buchst. a und d DBA-Russland erfüllt, sodass unter diesem Gesichtspunkt eine Betriebsstätte dort nicht gegeben ist.1 Entsprechendes gilt auch unter dem Gesichtspunkt des abhängigen Vertreters (Art. 5 Abs. 5 DBA-Russland). Der deutsche Ingenieur ist zwar für die A-GmbH in Russland tätig und hat auch eine Vollmacht, im Namen der A-GmbH Verträge abzuschließen, von dieser Vollmacht hat er aber dort tatsächlich keinen Gebrauch gemacht und auch sonst die ihm eingeräumte Vollmacht dort gewöhnlich nicht ausgeübt.2 Damit steht fest, dass A als Geschäftsführer der A-GmbH eine unzutreffende Körperschaftsteuererklärung abgegeben hat. Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist damit gegeben und den Umständen nach auch der subjektive Tatbestand. Das gilt allerdings nicht ohne Weiteres für die Gewerbesteuer. Dies deshalb nicht, weil das in Russland belegene Repräsentationsbüro als feste Geschäftseinrichtung eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 Abs. 1 AO darstellt und somit der hierauf entfallende Gewerbeertrag von vornherein nicht der Gewerbesteuer unterliegt (§ 2 Abs. 1 GewStG).3 Die Höhe des auf die russische Betriebsstätte entfallenden Gewerbeertrags bleibt weiteren Ermittlungen vorbehalten. Der objektive Tatbestand der Gewerbesteuerhinterziehung wird in diesem Zusammenhang überhaupt nur dann gegeben sein, wenn der nach allgemeinen Grundsätzen zu ermittelnde Betriebsstättengewinn tatsächlich niedriger ist als von A in der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärung angegeben.

16.169

In der Praxis sind auch jene Fälle von Bedeutung, in denen in einem anderen DBA-Staat eine dort tatsächlich gegebene Betriebsstätte verheimlicht wird, um dort einer Besteuerung zu ent-

16.170

1 Vgl. Wellmann in Wassermeyer, DBA, Art. 5 DBA-Russland Rz. 10; Hruschka in S/D, DBA2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 133. 2 Aus russischer Sicht ist eine Abschlussvollmacht wohl nicht erforderlich; vgl. Wagner/Wellmann in Wassermeyer, DBA, Art. 5 DBA-Russland Rz. 14; im Übrigen hierzu Hruschka in S/D, DBA2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 159. 3 Der Gewerbesteuer unterliegt im Grundsatz nur der Gewerbeertrag, soweit er auf eine inländische Betriebsstätte entfällt; vgl. auch zu der insoweit nur deklaratorisch wirkenden Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG.

Schaumburg | 883

Kap. 16 Rz. 16.170 | Ertragsteuerrecht

gehen. Im Inland wird dem gegenüber das Vorhandensein einer Betriebsstätte in dem anderen Vertragsstaat offengelegt und somit eine zutreffende Steuererklärung abgegeben. Beispiel: Die im grenznahen Bereich zu Belgien ansässige inländische B-GmbH betreibt ein Abbruchunternehmen. Im Jahr 2016 führt sie entsprechende Abbrucharbeiten in Lüttich (Belgien) aus. Es handelt sich hierbei um den Abbruch einer alten Fabrikanlage, die auch die Sprengung eines Schornsteins beinhaltet. Auftragsgemäß ist die B-GmbH für die gesamte Sicherung der Abbruchstelle sowie den Abtransport des Abbruchmaterials, auch soweit dieses kontaminiert ist, verantwortlich. Die Arbeiten werden für einen Zeitraum von weniger als 12 Monaten veranschlagt. Tatsächlich dauern die Abbrucharbeiten aber mehr als 13 Monate an. Aufgrund der Angaben des Geschäftsführers B der B GmbH gehen die belgischen Finanzbehörden von einer Dauer von weniger als 12 Monaten aus, sodass dort eine Besteuerung nach Maßgabe des mit Deutschland abgeschlossenen DBAs unterbleibt. Den deutschen Finanzbehörden wird demgegenüber die tatsächliche Dauer der Betriebsstätte von 13 Monaten offengelegt, sodass auch hier eine Besteuerung in Orientierung an das DBA-Belgien insoweit unterblieben ist. Der vorgenannte Sachverhalt wird im Zuge einer Betriebsprüfung aufgedeckt.

16.171

Die B-GmbH erzielt mit ihren in Belgien erzielten Abbrucharbeiten Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 8 Abs. 2 KStG), die im Rahmen der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) der Besteuerung unterliegen. Eine Einschränkung ergibt sich indessen aus dem DBA-Belgien, wonach belgische Betriebsstättengewinne (Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien), freizustellen sind. Zu den Betriebsstätten zählen auch Bauausführungen und Montagen (Art. 5 Abs. 2 Nr. 7 DBA-Belgien). Die Bauausführungen umfassen nicht nur die Erstellung von Bauwerken, sondern auch Abbrucharbeiten.1 Die Frist für Bauausführungen beträgt zwar nur neun Monate (Art. 5 Abs. 2 Nr. 7 DBA-Belgien), diese Frist verlängert sich allerdings auf zwölf Monate, sofern Belgien mit einem Nachbarstaat eine solche Frist abkommensrechtlich vereinbart hat (Nr. 2 SP zu Art. 5 DBA-Belgien). Dies ist im DBA-Belgien/Niederlande geschehen, sodass im Verhältnis zu Deutschland seit dem Jahre 2003 eine 12-Monats-Frist gilt.2 Auf die vorgenannte 12-Monats-Frist ist auch dann abzustellen, wenn etwa durch Errichtung von Baucontainern usw. in Belgien eine feste Geschäftseinrichtung geschaffen worden ist.3 Für die Berechnung der hier maßgeblichen 12-Monats-Frist sind auch vertraglich geschuldete Vorbereitungsarbeiten einzubeziehen.4 Im Hinblick auf die vorgenannten Gesichtspunkte sind die Angaben des Geschäftsführers B gegenüber dem für die B-GmbH zuständigen Finanzamt zutreffend, sodass die Steuerfreistellung der belgischen Betriebsstättengewinne zu Recht erfolgt ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es aufgrund unzutreffender Angaben gegenüber den belgischen Finanzbehörden dort zu keiner Besteuerung gekommen ist, denn weder das DBA-Belgien noch das deutsche nationale Recht enthält in dem hier interessierenden Zusammenhang eine Subject-to-tax-Klausel, die die Steuerfreistellung in Deutschland von einer Besteuerung in Belgien abhängig machen würde.5 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist somit von vornherein nicht ge1 BFH v. 22.9.1977 – IV R 51/72, BStBl. II 1978, 140; Hruschka in S/D, DBA2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 110; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 104 f.; Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 58. 2 Zu Einzelheiten Malinski in Wassermeyer, DBA, Art. 5 DBA-Belgien, Rz. 10. 3 Vgl. BFH v. 16.5.2001 – I R 47/00, IStR 2001, 564; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 1.2.1.2 (Betriebsstättenverwaltunsgrundsätze); Art. 17 Rz. 16 OECD-MK; Hruschka in S/D, DBA2, Art. 5 OECD-MA Rz. 107; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 95; dass Art. 5 Abs. 2, 3 DBA-Belgien insoweit anders aufgebaut ist, spielt keine Rolle. 4 Zur Fristberechnung im Einzelnen Hruschka in S/D, DBA2, Art. 5 OECD-MA Rz. 124 ff. 5 Anders z.B. bei den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit, vgl. § 50d Abs. 8 EStG; zu diesem Problem der internationalen Minderbesteuerung Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 ff.

884 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.174 Kap. 16

geben. Nach Lage der Dinge hat allerdings B zugunsten der B-GmbH belgische Steuern hinterzogen. Daher wird B davon ausgehen müssen, dass die deutsche Finanzverwaltung auf Grundlage von Art. 26 Abs. 1 DBA-Belgien eine Spontanauskunft erteilt und die belgischen Behörden darüber informiert, dass seitens der B-GmbH im Zusammenhang mit den Abbrucharbeiten in Lüttich eine belgische Betriebsstätte (Bauausführung) begründet wurde. Die Voraussetzungen für diesen Informationsaustausch ohne Ersuchen sind gegeben, weil objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Informationen für den anderen Staat steuerlich von Bedeutung sein können. Die übermittelten Auskünfte dürfen in Belgien sodann auch in einem Steuerstrafverfahren verwendet werden (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 DBA-Belgien). Zu dieser Spontanauskunft besteht gem. § 8 Abs. 2 EUAHiG eine Verpflichtung, wobei auch in diesem Fall die Auskünfte für steuerstrafrechtliche Zwecke verwendet werden dürfen (Rz. 9.27 ff.).

VIII. Ausländische Kapitalerträge Literatur (Kommentare und Monographien ab 2007): Kommentare zu §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2, 20, 32d EStG, § 8b KStG und §§ 7, 9 Nr. 7 GewStG; Feyerabend, Besteuerung privater Kapitalanlagen, München 2009; Haisch, Derivatebesteuerung im Privatvermögen ab 2009, München 2009; Harenberg/ Zöller, Abgeltungsteuer, 3. Aufl. Herne/Berlin 2012; Henkel, Beteiligung an ausländischen Kapitalgesellschaften in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 7.1; Jankoviak, Doppelte Nichtbesteuerung im internationalen Steuerrecht, Baden-Baden 2009; Janssen, Verdeckte Gewinnausschüttungen, 12. Aufl. Herne 2017; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 18.20 ff., 18.151 ff., 18.223 ff.

1. Überblick Diejenigen Einkünfte, die ihrer Art nach zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören, sind in § 20 EStG1 aufgeführt. Aufgrund der in § 20 Abs. 8 EStG verankerten Subsidiaritätsklausel gehören sie allerdings zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung, wenn entweder die zugrundeliegende Kapitalanlage zum notwendigen oder gewillkürten Betriebsvermögen oder Sonderbetriebsvermögen gehört bzw. die Kapitaleinkünfte in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Vermietung oder Verpachtung (§ 21 EStG) anfallen. Diese Subsidiaritätsklausel gilt für in- und ausländische Kapitaleinkünfte gleichermaßen, nicht aber, soweit sie seitens beschränkt steuerpflichtiger Personen erzielt werden.2

16.172

Zu den Kapitaleinkünften, die in steuerstrafrechtlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung sind, gehören Bezüge aus Kapitalanteilen und Genussrechten einschließlich verdeckter Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und Dividenden sowie Erträge aus Kapitalforderungen jeder Art (§ 20 Abs. 1 Nr. 5-8 EStG), vor allem Zinsen.

16.173

a) Dividenden Bezüge, insbesondere Dividenden, unterliegen bei der Einkommensteuer im Anwendungsbereich der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung dem sog. Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d Satz 1 EStG). Hiernach werden 40% der Bezüge steuerfrei gestellt, wobei die 1 Die Vorschrift gilt auch für die Körperschaftsteuer (§ 8 Abs. 1 KStG). 2 Zur isolierenden Betrachtungsweise gem. § 49 Abs. 2 EStG vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.153 ff.

Schaumburg | 885

16.174

Kap. 16 Rz. 16.174 | Ertragsteuerrecht

im wirtschaftlichen Zusammenhang hiermit stehenden Vermögensminderungen und Erwerbsaufwendungen ebenfalls zu 40% vom Steuerabzug ausgeschlossen sind (§ 3c Abs. 2 EStG). Das Teileinkünfteverfahren ist darauf gerichtet, die steuerliche Doppelbelastung für Gewinne durch Körperschaftsteuer einerseits und Einkommensteuer andererseits abzumildern, ohne dass es im Grundsatz darauf ankommt, ob etwa die ausschüttende Kapitalgesellschaft mit Körperschaftsteuer vorbelastet ist.1 Allerdings führen Bezüge nur dann zu einer teilweisen Steuerbefreiung, soweit sie das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d Satz 2 EStG).2 Das vorgenannte Teileinkünfteverfahren findet im Übrigen keine Anwendung, soweit – die Dividenden den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Abs. 8 Satz 1 EStG) zuzurechnen sind (§ 3 Nr. 40 Satz 2 EStG), da insoweit die Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG) eingreift,3 – die zugrundeliegenden Kapitalanteile bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten dem Handelsbuch zuzurechnen sind (§ 3 Nr. 40 Satz 3 Halbs. 1 EStG), – die zugrundeliegenden Anteile von Finanzunternehmen mit dem Ziel der kurzfristigen Erzielung eines Eigenhandelserfolges erworben worden sind (§ 3 Nr. 40 Satz 3 Halbs. 2 EStG), – sie von einer REIT-AG erzielt werden (§ 19 Abs. 3 REITG).

16.175

Das Teileinkünfteverfahren gilt zwar für unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen gleichermaßen, für beschränkt Steuerpflichtige ergeben sich aber weitgehende Einschränkungen durch die in § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG verankerte Abgeltungswirkung. Im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG) wird nämlich im Grundsatz eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 25% vom Bruttobetrag einbehalten (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG). Im Ergebnis kommt daher das Teileinkünfteverfahren für beschränkt Steuerpflichtige nur dann zur Anwendung, wenn die Dividenden einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG), mit der Folge, dass sodann bei der Veranlagung die einbehaltene Kapitalertragsteuer angerechnet werden kann (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG).4

16.176

Bei der Körperschaftsteuer werden Dividenden im Grundsatz steuerfrei gestellt (§ 8b Abs. 1 KStG). Diese sachliche Steuerbefreiung gilt für In- und Auslandsdividenden gleichermaßen und kann sowohl von unbeschränkt als auch von beschränkt steuerpflichtigen Körperschaftsteuersubjekten (Kapitalgesellschaften) in Anspruch genommen werden. Die Steuerbefreiung wird nicht gewährt, wenn die betreffende Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10% betragen hat (§ 8b Abs. 4 KStG). Die Körperschaftsteuerbefreiung berücksichtigt einerseits die körperschaftsteuerliche Vorbelastung der ausschüttenden in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft einerseits sowie die steuerliche Endbelastung beim Anteilseigner im Rahmen der sog. Abgeltungsteuer (§ 32d EStG) und des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG) andererseits. In welcher Höhe eine in- oder ausländische körperschaftsteuerliche Vorbelastung besteht, spielt für die Steuerbefreiung keine Rolle; ent1 Hierzu Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.90. 2 Zur Kritik an diesem materiellen Korrespondenzprinzip Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 (1649); Dörfler/Adrian, Ubg 2008, 373 (377 ff.); Kempf in StbJb 2008/2009, 147 (150 ff.); speziell zur Verfassungsmäßigkeit Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 (514 ff.). 3 Vgl. allerdings § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG, wonach auf Antrag die Abgeltungsteuer nicht gilt: Option zur Regelbesteuerung. 4 Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 223; Loschelder in Schmidt39, § 50 EStG Rz. 28.

886 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.180 Kap. 16

scheidend ist allein, dass die Ausschüttungen (Bezüge) das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Mit der vorgenannten Steuerfreistellung verknüpft ist die in § 8b Abs. 5 KStG verankerte sog. Schachtelstrafe, wonach 5% der Bezüge als Ausgaben fingiert werden, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Das bedeutet im Ergebnis, dass stets nur 95% der inoder ausländischen Bezüge steuerfrei sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob tatsächlich Betriebsausgaben in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien Bezügen entstanden sind. Da die vorgenannte Schachtelstrafe auf jeder Beteiligungsstufe eingreift, ergibt sich bei einem mehrstufigen Konzern ein (negativer) Kaskadeneffekt,1 sodass die Steuerfreistellung für Bezüge hierdurch stark eingeschränkt wird.

16.177

Als Folge der Freistellung regelt § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG, dass Substanzverluste, insbesondere Teilwertabschreibungen auf in- und ausländischen Kapitalanteilen nicht mit steuerlicher Wirkung vorgenommen werden dürfen. Ein entsprechendes Abzugsverbot gilt für bestimmte Gesellschafterdarlehen (§ 8b Abs. 3 Sätze 4-7 KStG).

16.178

Die Steuerfreistellung gilt nicht

16.179

– für Gewinnausschüttungen, soweit diese bei der leistenden in- oder ausländischen Körperschaft (Kapitalgesellschaft) das Einkommen gemindert haben (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG),2 – für Gewinnausschüttungen, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10% des Grund- oder Stammkapitals betragen hat (§ 8b Abs. 4 KStG), – für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, bei denen die zugrundeliegenden Kapitalanteile dem Handelsbuch zuzurechnen sind (§ 8b Abs. 7), – für Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen, bei denen die zugrundeliegenden Kapitalanteile den Kapitalanlagen zuzurechnen sind (§ 8b Abs. 8 KStG) und – für bestimmte Wertpapierleih- und Wertpapierpensionsgeschäfte (§ 8b Abs. 10 KStG).

Die (teilweise) Körperschaftsteuerbefreiung (§ 8b Abs. 1, 3 KStG) gilt im Grundsatz auch für die Gewerbesteuer (§ 7 Satz 1 GewStG). Hieraus folgt im Ausgangspunkt, dass 95% der Dividenden aus dem Gewerbeertrag herausgenommen sind. Sodann erfolgt aber eine Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG, es sei denn die Voraussetzungen der in § 9 Nr. 2a, 7 GewStG verankerten gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien sind erfüllt. Das setzt eine Mindestbeteiligungsquote von 15% – bei EU-Kapitalgesellschaften bis 2019 10% – seit Beginn des Erhebungszeitraums voraus. Damit bewirkt die Hinzurechnung im Ergebnis stets eine uneingeschränkte Gewerbesteuerbelastung für Streubesitzdividenden und für in- und ausländische Dividenden aus Kapitalanteilen, die unterjährig erworben wurden. Allerdings ist die Reichweite der Hinzurechnung (§ 8 Nr. 5 GewStG) begrenzt: In den Fällen, in denen Auslandsdividenden den abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien unterliegen und diese auch für die Gewerbesteuer gelten, kommt die abkommensrechtliche Freistellung ohne die Einschränkung des § 8 Nr. 5 GewStG zur Anwendung.3 1 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 452; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 18.165. 2 Nach dem RefE ATADUmsG soll die Steuerbefreiung auch bei internationalen Besteuerungsinkongruenzen anfallen (§ 8b Abs. 1 Satz3 KStG-E). 3 BFH v. 23.6.2010 – I R 71/09, BStBl. II 2011, 129; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 48; Schnitger in Schnitger/Fehrenbacher², § 8b KStG Rz. 66; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 18.230; Hageböke, IStR 2009, 473 (477).

Schaumburg | 887

16.180

Kap. 16 Rz. 16.181 | Ertragsteuerrecht

b) Zinsen

16.181

Im Rahmen der Einkommensteuer unterliegen im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht in- und ausländische Zinsen gleichermaßen der Einkommensteuer (§ 20 Abs. 1 Nr. 5–8 EStG). Das gilt insbesondere für Hypothekenzinsen (§ 20 Abs. 1 Nr. 5 EStG), Kapitalerträge aus Versicherungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG), Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) und Diskontbeträge aus Wechseln, Anweisungen und Schatzwechseln (§ 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG). Im Rahmen der beschränkten Einkommensteuerpflicht werden Zinsen allerdings nur teilweise der Besteuerung unterworfen, und zwar nur insoweit, als die zugrundeliegenden Forderungen im Inland dinglich gesichert sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG). Trotz dinglicher Sicherung sind Zinsen aus Anleihen und Forderungen aus der beschränkten Steuerpflicht ausgenommen, wenn sie in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen, über Sammelurkunden oder über Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa Satz 2 EStG). Erfasst werden schließlich auch Einkünfte aus Genussrechten, mit denen nicht das Recht an Gewinn und am Liquidationserlös verbunden ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. bb EStG). Im Ergebnis sind damit Zinseinkünfte, etwa aus Sparbüchern und Festgeldanlagen, beschränkt steuerpflichtiger Personen aus der Besteuerung ausgenommen.1

2. Pflichtenkreis 16.182

Steuerpflichtige ausländische Kapitalerträge sind im Rahmen der unbeschränkten Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflicht in den jährlich abzugebenden Steuererklärungen (§ 25 Abs. 3 EStG, § 31 Abs. 1 KStG, § 14a GewStG) zu erfassen. Das gilt auch für jene Kapitalerträge, die dem gesonderten Steuertarif (§ 32d EStG) unterliegen, für die eine Steuer mit abgeltender Wirkung (sog. Abgeltungsteuer) aber nicht einbehalten worden ist (§ 32d Abs. 3 Satz 1 EStG).

16.183

Ein Großteil der bekannt gewordenen und vermuteten Steuerhinterziehungen beruht darauf, dass aus ausländischen Bankkonten und Depots fließende Kapitalerträge im Inland steuerlich nicht erklärt worden sind bzw. werden. Dass insoweit der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) gegeben ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Probleme tauchen in der Praxis allerdings in Fällen der Selbstanzeige auf, wenn die Tat bereits aufgrund der Finanzverwaltung vorliegender CDs entdeckt ist oder die Selbstanzeige sich als nicht vollständig erweist (zur Wirksamkeit von Selbstanzeigen Rz. 12.28 ff.). Von Bedeutung sind aber auch Fälle, in denen nur die Gehilfen und nicht die Steuerhinterzieher bekannt sind. Angesprochen sind damit etwa von inländischen Banken veranlasste anonyme Transfers – ohne Legitimationsprüfung – von Wertpapieren auf ausländische Banken. Eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung der mitwirkenden Bankmitarbeiter kommt zwar abstrakt ohne Weiteres in Betracht, das setzt allerdings voraus, dass die Haupttäter bekannt sind. Solange dies nicht der Fall ist, kann eine Beihilfe nicht bejaht werden. Denn es bedarf der Feststellung, dass der jeweilige Inhaber des im Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, ohne dass sie steuerlich erklärt worden sind.2 Es gibt jedenfalls keinen allgemeinen Erfahrungsansatz, dass, wer Kapital ano1 Eine gleichwohl erhobene Abgeltungsteuer ist auf formlosen Antrag hin durch das Betriebsstättenfinanzamt des Abzugsschuldners (auszahlende Stelle) zu erstatten; vgl. BMF v. 5.11.2002, BStBl. I 2002, 1346 Tz. 49. 2 BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFH/NV 2013, 799: keine Haftung wegen Steuerhinterziehung (§ 71 AO); zur Voraussetzung einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat Joecks in J/J/R8, § 369 AO Rz. 78.

888 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.186 Kap. 16

nym ins Ausland verbringt, auch in der Steuererklärung unrichtige Angaben hinsichtlich der daraus erzielten Erträge macht.1 Sind die ausländischen Kapitaleinkünfte als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit zu qualifizieren, gelten für sie die allgemein maßgeblichen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (§§ 140, 141, 145, 146 AO). Dementsprechend sind die einschlägigen Unterlagen aufzubewahren (§ 147 AO). Hierzu zählen auch Kontoauszüge von gemischten Konten, über die gleichermaßen betriebliche und private Vorgänge abgewickelt werden.2 Soweit die Kapitaleinkünfte den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen sind, ergeben sich im Grundsatz keine Aufzeichnung- und Aufbewahrungspflichten, sodass etwa entsprechende private Kontoauszüge nicht aufbewahrt werden müssen.3 Eine Ausnahme ergibt sich allerdings für Steuerpflichtige, bei denen die Überschusseinkünfte mehr als 500.000 Euro im Kalenderjahr betragen (§ 147a AO). Aufzubewahren sind hiernach einkunftsbezogene Aufzeichnungen und Unterlagen, also vor allem Kreditabrechnungen, Konto- und Depotauszüge sowie Erträgnisaufstellungen.4 Die Aufbewahrung der einschlägigen Unterlagen im Ausland ist zulässig.5

16.184

3. Pflichtverletzungen Werden die in den §§ 140 ff. AO verankerten Buchführungs- bzw. Aufzeichnungspflichten und Aufbewahrungspflichten verletzt, können folgende steuerliche Konsequenzen eintreten:

16.185

– Zwangsgeld (§ 329 AO), – Verzögerungsgeld (§ 146 Abs. 2b AO), – Schätzung (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Zu den strafrechtlichen Konsequenzen: Soweit nicht ohnehin eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) gegeben ist, handelt derjenige ordnungswidrig, der nach Gesetz buchungs- oder aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfälle oder Betriebsvorgänge nicht oder in tatsächlicher Hinsicht unrichtig aufzeichnet/verbucht oder aufzeichnen/verbuchen lässt und dadurch ermöglicht, dass Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden (§ 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Dagegen bleibt die Verletzung von Aufzeichnungspflichten (§§ 147, 147a AO) ohne strafrechtliche oder bußgeldrechtliche Folgen.6 Allerdings kann im Einzelfall eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder eine fahrlässige Steuerverkürzung (§ 378 AO) gegeben sein, wenn mit einer (vorzeitigen) Vernichtung von Aufzeichnungen7 das Verschweigen buchführungspflichtiger Tatsachen hinzukommt.8 Der Nachweis, dass derjenige, der steuerpflichtige Kapitalerträge gegenüber dem 1 Vgl. BFH v. 20.6.2007 – II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057; BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFH/ NV 2013, 799. 2 BFH v. 15.9.1992 – VII R 66/91, BFH/NV 1993, 76; FG Hamburg v. 22.3.1991 – VII 164/90, EFG 1991, 636; FG München v. 11.12.2002 – 9 K 252/01, EFG 2003, 625; Drüen in T/K, § 147 AO Rz. 18. 3 Drüen in T/K, § 147 AO Rz. 23; OFD München v. 9.2.2004, DB 2004, 518. 4 Vgl. Dißars, BB 2010, 2085 (2086). 5 Drüen in T/K, § 147a AO Rz. 15a. 6 Vgl. Rätke in Klein15, § 147a AO Rz. 42; Drüen in T/K, § 147a AO Rz. 21. 7 Ggf. Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB). 8 Drüen in T/K, § 147 AO Rz. 64a.

Schaumburg | 889

16.186

Kap. 16 Rz. 16.186 | Ertragsteuerrecht

Finanzamt nicht erklärt, vorsätzlich handelt, ist in der Praxis zumeist ohne Weiteres möglich.1 Dies gilt gleichermaßen auch für die Hinterziehung ausländischer Kapitalerträge. Die Aufdeckung der Steuerhinterziehung ausländischer Kapitalerträge erfolgt zumeist durch Anzeigen, Zufallsfunde bei Durchsuchungen seitens der Steuerfahndung, durch internationalen Informationsaustausch (hierzu Rz. 8.1 ff.; 9.1 ff.; 10.1 ff.) sowie auch durch seitens der Finanzbehörden aufgekaufte CDs (zur Verwertbarkeit Rz. 6.281) und schließlich durch Selbstanzeigen.

16.187

Im außensteuerlichen Kontext entstehen besondere Probleme z.B. im Zusammenhang mit einer internationalen Minderbesteuerung,2 soweit diese durch eine entsprechende Gestaltung bewusst herbeigeführt wird. Beispiel: Die inländische A-GmbH, die weltweit über Tochterkapitalgesellschaften operativ tätig ist und ihr Geschäft im Ausland ausbauen will, stand 2011 vor der Notwendigkeit, einige Auslandsgesellschaften mit entsprechendem Eigen- oder Fremdkapital auszustatten. Aufgrund eines Gutachtens seines Steuerberaters, hat sich der Geschäftsführer A in einigen Fällen für die Vergabe von Genussrechtskapital, in anderen Fällen für die Hingabe von Darlehen und im Übrigen für die Ausstattung mit Eigenkapital durch entsprechende Kapitalerhöhung entschieden. Die Ausstattung des Genussrechtskapitals erfolgte nur bei den Auslandsgesellschaften, bei denen nach dortigem Steuerrecht die hierauf vorgenommenen Ausschüttungen als gewinnabhängige Zinsen steuerlich abzugsfähig sind. Das Genussrechtskapital ist so ausgestaltet, dass die Ausschüttungen aus der Sicht des deutschen Steuerrechts als steuerfreie Bezüge (Dividenden) zu qualifizieren sind, sodass sie nicht nur ein Recht am Gewinn, sondern auch am Liquidationserlös vermitteln. Geschäftsführer A weist dementsprechend in den Körperschaftsteuererklärungen 2011–2013 der A-GmbH insoweit steuerfreie Auslandsdividenden aus. Im Rahmen einer später durchgeführten Betriebsprüfung werden die unterschiedlichen Sachverhaltsgestaltungen3 aufgedeckt. Die Betriebsprüfung stellt sich auf den Standpunkt, dass im Hinblick auf die gezielte Schaffung „weißer Einkünfte“ die Steuerfreiheit zu Unrecht in Anspruch genommen worden sei. Es handele sich um eine missbräuchliche Gestaltung (§ 42 AO), die vom Gesetzgeber, wie die Änderung des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG durch das AmtshilfeRLUmsG4 beweise, nicht gewollt war. Die Betriebsprüfung erfasst daher die Ausschüttungen aus dem ausländischen Genussrechtskapital als steuerpflichtige Zinsen. Im Übrigen wird gegen A wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

16.188

Bezüge (Dividenden) seitens in- oder ausländischer Kapitalgesellschaften sind im Grundsatz von der Körperschaftsteuer freizustellen (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG). Das gilt auch für bezogene Ausschüttungen auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der leistenden Kapitalgesellschaft verbunden ist (vgl. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG).5 Die Steuerfreiheit (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG) hängt hierbei grundsätzlich nicht davon ab, ob und ggf. in welcher Höhe die Bezüge (Dividenden) bei der leistenden (ausländischen) Kapitalgesellschaft das Einkommen gemindert haben. Etwas anderes gilt lediglich für verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG) und ab 2014 für alle Bezüge und somit auch für Ausschüttungen auf Genussrechte.6 Damit hat die inländische A-GmbH im Aus-

1 Etwas anderes gilt, wenn von Banken erstellte Erträgnisaufstellungen (unerkannt) unvollständig sind und diese der Steuererklärung zugrunde gelegt werden. 2 Sog. weiße Einkünfte; hierzu Jankoviak, Doppelte Nichtbesteuerung im internationalen Steuerrecht, 2009; Burmester in FS Debatin, 1997, 55 ff.; M. Lang, CDFI 89a (2004), 21 ff.; Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 ff. 3 VZ vor 2014. 4 Mit Wirkung ab VZ 2014; vgl. § 34 Abs. 7 Sätze 13 und 14 KStG. 5 Zur Qualifikation als Bezüge (Dividende) im Einzelnen vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 148 ff. 6 § 8b Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 7 Sätze 13 und 14 KStG i.d.F des AmtshilfeRLUmsG.

890 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.189 Kap. 16

gangspunkt bis dahin zu Recht die Steuerbefreiung für die Ausschüttungen auf Genussrechte in Anspruch genommen. Die Anwendung des § 42 AO führt hier nicht dazu, dass anstelle steuerfreier Ausschüttungen auf Genussrechte steuerpflichtige Zinsen anzusetzen sind. Die Voraussetzungen des § 42 AO sind nämlich in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt. So scheitert die Anwendung des § 42 AO schon daran, dass § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG das Korrespondenzprinzip in dem hier maßgeblichen Zeitraum nur auf verdeckte Gewinnausschüttungen und nicht für andere Bezüge vorsieht (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Diese speziell gegen weiße Einkünfte gerichtete Korrespondenzklausel bedeutet für das deutsche Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz einen Systembruch.1 Denn allgemein gilt, dass die Qualifikation der Einkünfte und deren Besteuerung beim Einkünfteempfänger unabhängig davon erfolgen, ob und ggf. in welchem Umfang entsprechende Aufwendungen beim Leistenden steuerliche Berücksichtigung finden. Im Hinblick darauf ist der Ausnahmevorschrift des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG die Wertung zu entnehmen, dass das Korrespondenzprinzip in dem hier maßgeblichen Zeitraum insoweit nur für verdeckte Gewinnausschüttungen, nicht aber für andere Bezüge gelten soll. Diese Wertung schlägt auf die Anwendung des § 42 AO durch (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO).2 Davon abgesehen führt die vom Geschäftsführer A für die A-GmbH gewählte Gestaltung zu keinem für die Anwendung des § 42 AO relevanten Steuervorteil. Ob ein Steuervorteil gegeben ist, ergibt sich nämlich aus einem Abgleich zwischen den steuerlichen Auswirkungen einer angemessenen mit denen der tatsächlich gewählten rechtlichen Gestaltung.3 Kommen mehrere angemessene Gestaltungen in Betracht, ist hierbei die für den Steuerpflichtigen günstigste Gestaltung bei der Vergleichsbetrachtung heranzuziehen.4 Das ist hier die Ausstattung mit Eigenkapital im Zuge einer Kapitalerhöhung, denn in diesem Falle wären Ausschüttungen bei der A-GmbH ebenfalls von der Körperschaftsteuer befreit. Dass bei den ausschüttenden Auslandsgesellschaften bei dieser Fallgestaltung ein Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen ist, spielt keine Rolle. Dies deshalb nicht, weil bei der Frage, ob ein Steuervorteil vorliegt, nur auf die deutsche Steuerbelastung abzustellen ist.5 Schließlich gilt ohnehin, dass eine Steuerumgehung weder verboten noch strafbar ist. Eine Strafbarkeit ergibt sich allenfalls, wenn der Steuerpflichtige pflichtwidrig unvollständige oder unrichtige Angaben macht, um das Vorliegen einer Steuerumgehung zu verschleiern.6 Da der Geschäftsführer A die Körperschaftsteuererklärungen 2011 – 2013 für die A-GmbH entsprechend vollständig ausgefüllt hat, ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine Pflichtwidrigkeit zu verneinen. Im Übrigen bestand für ihn auch keine Verpflichtung, die Finanzverwaltung auf den Betriebsausgabenabzug bei den Auslandsgesellschaften hinzuweisen. Diese Verpflichtung ergibt sich erst ab dem Veranlagungszeitraum 2014.7 Damit ist das gegen A eingeleitete Ermittlungsverfahren einzustellen. In der Praxis sind u.a. mit ausländischen Versicherungsgesellschaften abgeschlossene Lebensversicherungsverträge von besonderer Bedeutung. Beispiel: A, der seit Jahren bei einer ausländischen Bank Depots und Festgeldkonten unterhält, die er bislang gegenüber dem deutschen Finanzamt nicht offengelegt hat, schließt mit der auf den Bermudas ansässigen Versicherungsgesellschaft X eine Kapitallebensversicherung ab, in die er eine namhafte 1 2 3 4 5

Hierzu Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 (514 ff.). Vgl. Drüen in T/K, vor § 42 AO Rz. 13a; Ratschow in Klein15, § 42 AO Rz. 91. Koenig in Koenig4, § 42 AO Rz. 22. Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 50; Schwarz in Schwarz/Pahlke, § 42 AO Rz. 84. Dremel in S/D, DBA2, Art. 10 OECD-MA Rz. 121; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.147; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (9 f.). 6 Ratschow in Klein15, § 42 AO Rz. 15; BMF v. 17.7.2008, BStBl. I 2008, 694, (AEAO) § 42 Rz. 3; zu Einzelheiten Rz. 11.44 ff. 7 Vgl. § 8b Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 7 Sätze 13 und 14 KStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG.

Schaumburg | 891

16.189

Kap. 16 Rz. 16.189 | Ertragsteuerrecht Summe einzahlt. Bestimmungsgemäß soll die Versicherungsleistung nach Ablauf von zwölf Jahren ausgezahlt werden. Zu diesem Zeitpunkt wird A das 60. Lebensjahr vollendet haben. Der Versicherungsvertrag enthält die üblichen für die steuerliche Anerkennung maßgeblichen Regelungen. Aufgrund einer mit der Lebensversicherung geschlossenen Sondervereinbarung wird die eingezahlte Versicherungssumme von der ausländischen Versicherung gesondert verwaltet und auf Anweisung des A bestimmungsgemäß angelegt. Die aus der Anlage des Kapitals erwirtschafteten Kapitalerträge hat A in seinen Steuererklärungen nicht angegeben. Aufgrund von der Finanzverwaltung durch den Ankauf einer CD zugegangenen Informationen erfolgt bei A seitens der Steuerfahndung eine Durchsuchungsaktion, in deren Rahmen der Versicherungsvertrag und die entsprechenden Nebenabreden sichergestellt werden.

16.190

Da der von A geschlossene Lebensversicherungsvertrag auf die individuellen Bedürfnisse des A ausgerichtet ist und er insbesondere über die Anlage der eingezahlten Versicherungssumme verfügen kann, ist der Lebensversicherungsvertrag als vermögensverwaltender Versicherungsvertrag (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG) zu qualifizieren. Hieraus folgt, dass die erwirtschafteten Kapitalerträge nicht erst bei Auszahlung der Versicherungssumme (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG), sondern, soweit sie auch dem Versicherungsunternehmen zugeflossen sind, unmittelbar und periodengerecht, d.h. von Jahr zu Jahr der Besteuerung zu unterwerfen sind. Die Besteuerung erfolgt hierbei im Rahmen der sog. Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 3 EStG) in Höhe von 25% (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG). Da A die ihm unmittelbar zuzurechnenden Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht der Besteuerung unterworfen hat, liegt der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Nach Lage der Dinge ist auch von einem Vorsatz auszugehen. Dass die entsprechenden Informationen einer erworbenen CD entnommen worden sind, steht deren Verwertbarkeit nicht entgegen.1

IX. Ausländische Familienstiftungen und Trusts Literatur: Vgl. vor Rz. 14.208.

1. Überblick 16.191

Ausländische Familienstiftungen und Trusts2 entfalten als eigenständige Steuersubjekte gegenüber der deutschen Besteuerung eine Abschirmwirkung mit der Folge, dass eine Besteuerung im Inland allenfalls dann ermöglicht wird, wenn unbeschränkt steuerpflichtige Personen entsprechende Zuwendungen erhalten. Diese Abschirmwirkung wird aufgrund der in § 15 AStG3 verankerten Sonderregelung bei ausländischen Familienstiftungen dadurch durchbrochen, dass Vermögen und Einkünfte dem Stifter, wenn er unbeschränkt steuerpflichtig ist, sonst den unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, die bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind, entsprechend ihrem Anteil zugerechnet werden (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG). Neben ausländischen Familienstiftungen werden auch ausländische Unternehmensstiftungen sowie ausländische Trusts erfasst (§ 15 Abs. 3, 4 AStG).

16.192

Die Zurechnung, die weitgehend der Hinzurechnung gem. §§ 7–14 AStG entspricht, greift nur ein, soweit nicht ohnehin die Einkünfte nach der allgemeinen Zurechnungsregelung des 1 BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; LG Düsseldorf v. 17.9.2010 – 14 Qs 60/10, wistra 2011, 37; vgl. ferner Kölbel, NStZ 2008, 241 ff. und Rz. 6.281 ff. 2 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 14.1 ff. sowie oben Rz. 14.208 ff. 3 § 15 AStG soll nach dem RefE ATADUmsG v. 24.3.2020 geändert werden.

892 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.193 Kap. 16

§ 39 AO anderweitig zuzurechnen sind.1 Im Hinblick darauf ist Voraussetzung für die Zurechnung gem. § 15 AStG, dass den in Betracht kommenden Zurechnungsempfängern die Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen rechtlich und tatsächlich entzogen ist.2 Das gilt nicht nur für ausländische Familienstiftungen, sondern auch für ausländische Trusts. Sog. revocable trusts, bei denen der Errichter oder Treugeber (settlor, grantor) dem Vermögensverwalter (trustee) Vermögenswerte nur widerruflich zum Eigentum überträgt, führen nicht zur Übertragung einer Einkunftsquelle, sodass die Einkünfte gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO unverändert dem Treugeber zuzurechnen sind.3 Denkbar ist aber auch, dass der trustee das Vermögen treuhänderisch für die Anfalls- bzw. Bezugsberechtigten (beneficiaries) mit der Folge hält, dass die Einkünfte unmittelbar diesem Personenkreis zuzurechnen sind.4 In diesem Fall greift die Zurechnung gem. § 15 AStG ebenfalls nicht ein. Erfasst wird daher lediglich der sog. revocable trust, bei dem der settlor dem trustee die Wirtschaftsgüter endgültig zum Eigentum überträgt, ohne dass der settlor oder die beneficiaries als wirtschaftliche Eigentümer des Trustvermögens anzusehen sind.5 Zurechnungsempfänger sind diejenigen, die zum Ende des Wirtschafts- oder Kalenderjahres der ausländischen Familienstiftung Stifter, Bezugs- und/oder Anfallsberechtigte sind.6 In erster Linie erfolgt die Zurechnung bei dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG). Stifter ist derjenige, der die Stiftung errichtet hat, für dessen Rechnung das Stiftungsgeschäft abgeschlossen worden ist oder der Vermögen auf die Stiftung mit der Bestimmung übertragen hat, dass dieses Vermögen dem Stiftungskapital zuwächst.7 Die Zurechnung gegenüber unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten erfolgt im Verhältnis zu den Stiftern lediglich subsidiär. Wer Bezugs- und Anfallsberechtigter ist, erläutert das Gesetz nicht. Daher ist entscheidend auf den Wortsinn der verwendeten Begriffe abzustellen. Hieraus folgt, dass Bezugsberechtigter nur derjenige sein kann, der gegenüber der Familienstiftung einen Rechtsanspruch oder jedenfalls eine rechtliche Anwartschaft auf den Bezug von Gütern in Geld oder Geldeswert hat. Eine bloß tatsächliche Chance oder Erwartung, Zuwendungen seitens der Familienstiftung zu erhalten, reicht für die Zurechnung nicht aus.8 Demgegenüber soll Bezugsberechtigter bereits derjenige sein, der solche Zuwendungen tatsächlich erhält oder bei dem nach den Umständen zu erwarten ist, dass er sie erhalten wird.9 Darüber, wer Anfallsberechtigter ist, ist ebenfalls nicht aufgrund irgendwelcher Zuwendungsprognosen zu entscheiden. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die Satzung einem bestimmten 1 Vgl. BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 47; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 14.14. 2 Vgl. § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG. 3 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; vgl. auch BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. 4 Das setzt voraus, dass sich der settlor des Vermögens endgültig begeben hat und die beneficiaries als wirtschaftliche Eigentümer des Trustvermögens anzusehen sind; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 5 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 132; Bredow, WIB 1995, 775 ff. (780); Seibold, IStR 1993, 545 ff. 6 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 218; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 14.17. 7 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 48; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 18. 8 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 56 ff.; Vogt in Blümich, § 15 AStG Rz. 42; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 56. 9 BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.1.

Schaumburg | 893

16.193

Kap. 16 Rz. 16.193 | Ertragsteuerrecht

Personenkreis einen Rechtsanspruch bzw. eine Rechtsanwartschaft einräumt. Ist dies nicht der Fall, gibt es auch keine Anfallsberechtigten.1

16.194

Gegenstand der Zurechnung sind Vermögen2 und Einkünfte mit der Besonderheit, dass die zuzurechnenden Einkünfte in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln sind, wobei allerdings z.B. die Steuerfreistellung für Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen (§ 8b Abs. 1, 2 KStG) außer Betracht bleiben (§ 15 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 3 Satz 4 AStG). Die derart zuzurechnenden Einkünfte zählen bei dem Zurechnungsempfänger zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG), soweit sie nicht als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten (§ 15 Abs. 8 Sätze 1 und 2 AStG) oder nicht zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören (§ 20 Abs. 8 EStG). Im Übrigen ist wie bei der Hinzurechnungsbesteuerung eine Anrechnung der von der Stiftung gezahlten ausländischen Steuern beim Zurechnungsempfänger zulässig (§ 15 Abs. 5 AStG).

16.195

Die Zurechnung unterbleibt allerdings, wenn die ausländische Familienstiftung ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem EU-Mitgliedstaat bzw. einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat. Voraussetzung ist hierfür u.a., dass die betreffenden EU-/EWR-Staaten aufgrund zwei- oder mehrseitiger Vereinbarungen diejenigen Auskünfte erteilen, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen.3 Damit ergibt sich, dass die Zurechnungsbesteuerung im Wesentlichen nur in Drittstaaten angesiedelte Familienstiftungen und gleichgestellte Vermögensmassen (§ 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG) erfasst.

2. Pflichtenkreis 16.196

Soweit unbeschränkt steuerpflichtige Personen tatsächlich Zuwendungen seitens einer ausländischen Familienstiftung erhalten, sind diese etwa in der jährlich abzugebenden Einkommensteuererklärung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG) anzugeben. Das Gleiche gilt für den Fall, dass die von der ausländischen Familienstiftung erzielten Einkünfte auch dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter zuzurechnen sind, weil ihm die von der ausländischen Familienstiftung gehaltenen Wirtschaftsgüter zuzurechnen sind (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Darüber hinaus haben der unbeschränkt steuerpflichtige Stifter sowie die unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten die Pflicht, für Zwecke der gesonderten Feststellung der zuzurechnenden Einkünfte (§ 18 Abs. 4 AStG) eine Feststellungserklärung beim zuständigen Feststellungsfinanzamt abzugeben (§ 18 Abs. 4, 3 AStG).4 Die vorstehende Verpflichtung kann durch die Abgabe einer gemeinsamen Feststellungserklärung erfüllt werden (§ 18 Abs. 4, 3 Satz 2 AStG). Die Feststellungserklärung ist auch dann abzugeben, wenn die Beteiligten davon ausgehen, dass eine Zurechnungsbesteuerung aus unionsrechtlichen Gründen (§ 15 Abs. 6 AStG) ausscheidet (§ 18 Abs. 4, 3 Satz 1 Halbs. 2 AStG).5

16.197

Über die vorgenannten Erklärungspflichten hinaus gelten die allgemeinen Mitwirkungspflichten bei Auslandsbeziehungen (§ 90 Abs. 2 AO), die in § 17 Abs. 1 AStG eine Konkretisierung erfahren haben. Danach haben der unbeschränkt steuerpflichtige Stifter sowie die un1 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 60. 2 Die Vermögensteuer wird nicht mehr erhoben und für die Erbschaftsteuer gilt § 15 AStG nicht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 AStG). 3 Das trifft auf Liechtenstein als EWR-Staat zu; vgl. Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 194. 4 Vgl. zu Einzelheiten Schönfeld/Engler in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 400 ff. 5 Zu Einzelheiten Schönfeld/Engler in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 440 ff.

894 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.200 Kap. 16

beschränkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten für Zwecke der Sachverhaltsaufklärung alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 AStG). Die sich im Übrigen aus § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AStG ergebenden besonderen Mitwirkungspflichten gelten hierbei allerdings nicht für den vorgenannten Personenkreis.1 Insoweit verbleibt es bei den Mitwirkungspflichten, die alle Personen im außensteuerlichen Kontext treffen (§ 90 Abs. 2 AO, § 17 Abs. 1 Satz 1 AStG). Weitergehende Melde- bzw. Anzeigepflichten, wie sie sich etwa hinsichtlich der Beteiligung an ausländischen Kapitalgesellschaften aus § 138 Abs. 2 AO ergeben, bestehen in Bezug auf ausländische Familienstiftungen und Trusts nicht.

16.198

3. Pflichtverletzungen Werden die dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnenden Einkünfte der ausländischen Familienstiftung oder die tatsächlichen Zuwendungen in den Einkommensteuererklärungen der unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- oder Anfallsberechtigten nicht erfasst, können die Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden (§ 162 AO).2 Entsprechendes gilt, wenn entgegen § 18 Abs. 3 Satz 1 AStG eine Feststellungserklärung nicht abgegeben wird.3 Geht es allerdings um eine Familienstiftung mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem EU-/EWR-Staat, reicht es aus, wenn der Steuerpflichtige anhand geeigneter Dokumente den Nachweis führt, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der betreffend begünstigten Personen rechtlich und tatsächlich entzogen ist und zwischen den betreffenden ausländischen Staat und Deutschland ein dem EU-Amtshilfegesetz entsprechender Auskunftsverkehr besteht (§ 15 Abs. 6 AStG). Im Hinblick darauf gehen die in § 18 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AStG verankerten weitreichenden Erklärungspflichten insoweit über das erforderliche Maß hinaus.4

16.199

Unter steuerstrafrechtlichen Aspekten führt die Verletzung der vorgenannten Steuererklärungspflicht – auch soweit es die Feststellungserklärungen betrifft5 – zu einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder zu einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO). In der Praxis sind insbesondere diejenigen Fälle bedeutsam, in denen unbeschränkt steuerpflichtige Stifter Kapitalvermögen in eine ausländische Familienstiftung einbringen, ohne hierbei die Verfügungsmacht über die entsprechenden Kapitalanlagen aufzugeben.

16.200

Beispiel: Der unbeschränkt steuerpflichtige A hat vor Jahren in Liechtenstein eine Stiftung errichtet und hierauf bei liechtensteinischen und schweizerischen Banken verwaltete Depots übertragen. Nach der Satzung der Stiftung sind die Kinder des A bezugs- bzw. anfallsberechtigt. Die Kinder des A sind ebenfalls unbeschränkt steuerpflichtig. Zugleich enthält die Satzung der Stiftung eine Regelung, wonach dem A als Stifter vorbehalten bleibt, die Anlage des Stiftungskapitals zu bestimmen und jederzeit über das Stiftungsvermögen zu verfügen, insbesondere die Vermögenswerte auf sich selbst oder andere zu übertragen. In den von A und seinen Kindern abgegebenen Einkommensteuererklärungen sind diesbezügliche Kapitalerträge nicht erklärt worden. Feststellungserklärungen sind ebenfalls nicht abgegeben worden. Kapitalerträge sind seitens der Stiftung bislang nicht ausgekehrt worden. Im Zuge des Ankaufs einer CD durch die Finanzverwaltung wird der vorgenannte Sachverhalt aufgedeckt und gegen A sowie gegen seine Kinder ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

1 2 3 4 5

Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 17 AStG Rz. 46, 51, 70, 73.1. Hierzu Schönfeld/Engler in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 435. Der durch § 17 Abs. 2 AStG vorgegebene Schätzungsrahmen kommt hier nicht zur Anwendung. Zu diesem unionsrechtlichen Aspekt Schönfeld/Engler in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 442. BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99, Rz. 104 – 107; BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 539/ 12, NJW 2013, 1750.

Schaumburg | 895

Kap. 16 Rz. 16.201 | Ertragsteuerrecht

16.201

Im Hinblick darauf, dass A als Stifter die Anlage des Stiftungsvermögens bestimmen kann und darüber hinaus sich vorbehalten hat, das Stiftungsvermögen auf sich selbst oder auf von ihm bestimmte Dritte zu übertragen, ist das wirtschaftliche Eigentum an den Kapitalanlagen nicht auf die Stiftung übergegangen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).1 Hieraus folgt, dass bei Errichtung der ausländischen Stiftung der Schenkungsteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG nicht erfüllt wurde2 und die Kapitalerträge aus dem Stiftungsvermögen unmittelbar A als eigene Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) zuzurechnen sind. Da A die entsprechenden Kapitalerträge steuerlich nicht erklärt hat, ist insoweit der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gegeben. Sollte A einwenden, er sei davon ausgegangen, dass die Kapitalanlagen der ausländischen Stiftung zuzurechnen waren, ändert das an der Steuerhinterziehung nichts, weil A dann verpflichtet gewesen wäre, entsprechende Feststellungserklärungen (§ 18 Abs. 3 Satz 1 Abs. 4 AStG) abzugeben. Den Umständen kann entnommen werden, dass auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben sein wird. Da die Kapitalerträge gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO dem A zuzurechnen sind, sind die von den Kindern des A abgegebenen Einkommensteuererklärungen insoweit zutreffend. Da eine Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG) wegen der vorrangigen Zurechnung der Kapitalerträge zu A ausscheidet, waren die Kinder des A auch nicht verpflichtet, Feststellungserklärungen (§ 18 Abs. 3 Satz 1 Abs. 4 AStG) abzugeben. Insoweit ist bereits der objektive Tatbestand der Steuerziehung nicht gegeben. Nach Sachlage wird auch eine versuchte Steuerhinterziehung nicht nachzuweisen sein. Daher ist insoweit das Ermittlungsverfahren einzustellen. Dass die Informationen den von der Finanzverwaltung angekauften CD entnommen wurden, hindert die Verwertung nicht.3

X. Ausländische Basisgesellschaften Literatur: Kommentare zu §§ 7 – 14 AStG und § 42 AO; Brosig, Zur steuerlichen Behandlung von Basisgesellschaften, Frankfurt 1993; Dreßler, Gewinn- und Vermögensverlagerungen in Niedrigsteuerländer und ihre steuerliche Überprüfung, 4. Aufl. Köln 2007; Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, Köln 1980; Gosch, Die Zwischengesellschaft nach Hilversum I und II“, „Cadbury Schweppes“ und den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008, in FS Reiß, Köln 2008, 597; Großfeld, Basisgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Tübingen 1974; Kraft, Schlussfolgerungen aus der BFH-Rechtsprechung zur Abgrenzung des § 42 AO von den §§ 7 ff. AStG aus der Sicht der internationalen Steuerberatung, IStR 1993, 148; Paschen, Steuerumgehung im nationalen und internationalen Steuerrecht, Wiesbaden 2001; Renner, Briefkastenfirmen und internationaler Gestaltungsmissbrauch, in FS Loukota, Wien 2005, 399 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 13.23 ff.; Winkelmann, Steuerumgehung durch die Einschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften, Frankfurt 1997; Wurster, Die ausländische Basisgesellschaft, Thun/Frankfurt 1984.

1. Überblick 16.202

Basisgesellschaften sind in Niedrigsteuerländern (Steueroasen) ansässige Kapitalgesellschaften, durch deren Einschaltung Einkünfte der inländischen Besteuerung entzogen wer1 BFH v. 6.5.1989 – VIII R 196/84, BStBl. II 1989, 877; BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 188; BMF v. 14.5.2008 – IV B 4-S 1361/07/0001, BStBl. I 2008, 638. 2 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. 3 Zur Verwertbarkeit BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Q2 2/09, NStZ 2010, 351; LG Düsseldorf v. 17.9.2010 – 14 Qs 60/10, wistra 2011, 37; VGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434; vgl. ferner Kölbel, NStZ 2008, 241 ff.; Gehm, StBW 2014, 228 ff. und Rz. 6.281 ff.

896 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.204 Kap. 16

den sollen.1 Typischerweise werden seitens dieser Basisgesellschaften keine Ausschüttungen vorgenommen, sodass im Ergebnis die (niedrig besteuerten) ausländischen Gewinne gegenüber der deutschen Besteuerung abgeschirmt werden. Selbst wenn diese Gesellschaften keinerlei Aktivitäten entfalten und nur pro forma in geschäftliche Transaktionen zwischengeschaltet werden, sind sie doch im Grundsatz steuerlich anzuerkennen.2 Die gegenüber der deutschen Besteuerung bestehende Abschirmwirkung wird allerdings in den Fällen beseitigt, in denen der Ort der Geschäftsleitung im Inland belegen ist,3 die Einschaltung der Basisgesellschaft als missbräuchliche Gestaltung (§ 42 AO) qualifiziert wird oder die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 ff. AStG) vorliegen. Eine missbräuchliche Gestaltung (§ 42 AO) oder eine Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 ff. AStG) scheiden von vornherein aus, wenn der Ort der Geschäftsführung der Basisgesellschaft (§ 10 AO) im Inland liegt: In diesem Fall sind im Ausgangspunkt sämtliche Welteinkünfte der Basisgesellschaft der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG) zu unterwerfen. Dies setzt voraus, dass der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung der Kapitalgesellschaft im Inland belegen ist. Das ist stets dann der Fall, wenn hier der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird.4 Bei Basisgesellschaften ohne eigenen Geschäftsbetrieb werden die ihr zugewiesenen Geschäfte nicht selten von den im Inland ansässigen Gesellschaftern oder von von ihnen bestimmten Personen vom Inland aus dadurch geführt, dass sie über ihre gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten hinaus die tatsächliche Geschäftsführung, etwa durch entsprechende Anweisungen an ausländische Domizilhalter, an sich ziehen. In derartigen Fällen ist der Ort der Geschäftsleitung im Inland.

16.203

Lassen sich dahingehende Feststellungen nicht treffen, ist also davon auszugehen, dass der Ort der Geschäftsleitung der Basisgesellschaft im Ausland belegen ist, bedarf es der Prüfung, ob die Zwischenschaltung der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der rechtsmissbräuchlichen Gestaltung (§ 42 AO) steuerlich überhaupt anzuerkennen ist (s. Rz. 14.194 f.). Der Tatbestand des § 42 Abs. 2 AO ist vor allem dann als erfüllt anzusehen, wenn für die Errichtung von Auslandsgesellschaften wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet wird.5 Die Frage, ob für die Errichtung der Auslandsgesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO), beurteilt sich nach der Rechtsprechung nicht allein nach dem in dem Statut niedergelegten Gesellschaftszweck oder den Angaben der Gründer, sondern nach dem tatsächlichen Vollzug des Gesellschaftszwecks, so

16.204

1 Zum Begriff im Einzelnen sowie zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.24 ff.; ferner oben Rz. 14.193 ff. 2 Es handelt sich insoweit weder um ein Scheingeschäft noch um eine Treuhandschaft; ebenso führt auch die sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht dazu, eine tatsächlich existente juristische Person wirtschaftlich in eine Nicht-Person zu transformieren; vgl. im Einzelnen Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.29 ff. 3 Dann unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG). 4 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. I 2004, 622; zu Einzelheiten Schaumburg/ von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.3 ff. 5 Aus der umfangreichen Rechtsprechung nur BFH v. 29.1.1975 – I R 135/70, BStBl. II 1975, 553; BFH v. 29.7.1976 – VIII R 116/72, BStBl. II 1977, 268; BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339; BFH v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl. II 1986, 496; BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 28.1.1992 – VIII R 7/88, BStBl. II 1993, 84; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 19.1.2000 – I R 94/97, BStBl. II 2001, 222; BFH v. 19.1.2000 – I R 117/97, BFH/NV 2000, 824; BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14.

Schaumburg | 897

Kap. 16 Rz. 16.204 | Ertragsteuerrecht

wie er nach außen in Erscheinung tritt.1 Es reichen damit nicht nur beachtliche wirtschaftliche Motive für die Errichtung einer Auslandsgesellschaft aus, vielmehr muss diese eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfalten. Beim Fehlen wirtschaftlicher Gründe für die Errichtung einer Auslandsgesellschaft werden von der Rechtsprechung als sonst beachtliche Gründe nur solche anerkannt, die sich auf die Wahl des Sitzes und der Rechtsform der Gesellschaft beziehen, soweit sich diese Wahl mit außersteuerlichen Gründen rechtfertigen lässt.2 Kann beides nur mit der Absicht der Steuerersparnis erklärt werden, fehlt es an sonst beachtlichen Gründen für die Errichtung der Auslandsgesellschaft.3 Gem. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO gehen zwar in Einzelsteuergesetzen geregelte Steuerumgehungsvorschriften vor, das gilt aber nicht in Bezug auf die §§ 7 – 14 AStG (Hinzurechnungsbesteuerung), weil die Rechtsfolge des § 42 AO bereits bei der Einkünftezurechnung ansetzt und die Einkünfte von vornherein dem zurechnet, der sie bei unterstellter angemessener Gestaltung erzielt hätte (hierzu s. Rz. 14.194). Im Rahmen der Auslegung des § 42 AO ist aber wiederum auf die Wertungen der §§ 7 – 14 AStG zurückzugreifen.4 Daher reicht das bloße Erzielen von Einkünften aus passivem Erwerb für sich genommen nicht aus, einen Gestaltungsmissbrauch anzunehmen.5 Im Hinblick darauf wird die Anwendung des § 42 AO auf Basisgesellschaften ohne eigene Geschäftsräume und ohne eigenes Personal beschränkt und damit insoweit die Ausnahme sein.6 Das gilt insbesondere im EU/EWR-Bereich, wonach es darauf ankommt, ob gemessen an dem Geschäftsgegenstand ausreichende Geschäftsräume, Personal- und Ausrüstungsgegenstände vorhanden sind7 und ob die ausländische Basisgesellschaft nur einmalig für eine bestimmte Transaktion oder auf Dauer eingeschaltet worden ist.8

16.205

Auf ausländische Basisgesellschaften kommt daher in aller Regel die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 – 14 AStG)9 zur Anwendung, womit letztlich der gesetzgeberischen Intention des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO entsprochen wird. Die Hinzurechnungsbesteuerung dient der Vermeidung von Einkünfteverlagerungen in Niedrigsteuerländer.10 Technisch wird dieses Ziel dadurch erreicht, dass die Aufschub- bzw. Abschirmwirkung für niedrig besteuerte sog. Einkünfte aus passivem Erwerb (vgl. § 8 Abs. 1 AStG) durch eine Ausschüttungsfiktion beseitigt wird, wobei die fingierten Ausschüttungen aus dem Regelungsbereich der §§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d, 32d EStG und § 8b Abs. 1 KStG ausgenommen sind (§ 10 Abs. 2 Satz 3 AStG). Mit anderen Worten: Bestimmte sich in der ausländischen Gesellschaft ansammelnde Einkünfte werden zeitlich vor den tatsächlichen Ausschüttungen der inländischen Besteue1 2 3 4

5 6 7 8 9 10

Z.B. BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401. BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265. BFH v. 29.7.1976 – VIII R 142/73, BStBl. II 1977, 263. BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 25 f.; Kraft, IStR 1993, 148 ff.; Gosch in FS Reiß, 2008, 597 (602 f.). BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 117/97, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; BFH v. 20.3.2001 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; hierzu Gosch in FS Reiß, 2008, 597 (602 f.). Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.37; Kraft, IStR 1993, 148 (153); Gosch in FS Reiß, 2008, 597 (602, 604 f.). EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes, FR 2006, 987 m. Anm. Lieber, Rz. 67. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes, FR 2006, 987 m. Anm. Lieber, Rz. 54; ferner BFH v. 17.1.2004 – I R 5/03, BFH/NV 2005, 1016; BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, BStBl. II 2006, 118; zu Einzelheiten Gosch in FS Reiß, 2008, 597 (607 ff). Die §§ 7–14 AStG sollen nach dem RefE ATADUmsG v. 24.3.2020 geändert werden. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.2.

898 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.208 Kap. 16

rung zugeführt, ohne dass hierfür die sonst für Dividendenerträge vorgesehenen (partiellen) Steuerbefreiungen zur Anwendung kommen. Die Hinzurechnungsbesteuerung setzt voraus, dass unbeschränkt Steuerpflichtige zu mehr als der Hälfte an einer ausländischen niedrig besteuerten Kapitalgesellschaft beteiligt sind, soweit diese sog. Einkünfte aus passivem Erwerb erzielt. Ist dieser Grundtatbestand erfüllt, werden die niedrig besteuerten Einkünfte aus passivem Erwerb der ausländischen Kapitalgesellschaft (Zwischengesellschaft) den unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Maßgabe ihrer Beteiligung zum frühestmöglichen Zeitpunkt hinzugerechnet. Die Hinzurechnungsbeträge zählen ihrer Art nach zu den Dividendeneinkünften (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Diese Rechtsfolge tritt in den Fällen, in denen die Zwischengesellschaft Kapitalanlageeinkünfte (§ 7 Abs. 6a AStG) erzielt, auch dann ein, wenn unbeschränkt Steuerpflichtige insgesamt zu weniger als der Hälfte beteiligt sind (§ 7 Abs. 6 AStG). Die Rechtsfolge greift schließlich auch bei nachgeschalteten Zwischengesellschaften ein (§ 14 AStG).

16.206

Von besonderer Bedeutung ist in der Praxis die Frage, ob überhaupt Einkünfte aus passivem Erwerb gegeben sind. Diese Frage wird dadurch gelöst, dass bestimmte Einkünfte aufgezählt werden, für die die ausländische Gesellschaft nicht Zwischengesellschaft ist (§ 8 Abs. 1 AStG). Im Wege des Umkehrschlusses lässt sich sodann auf diejenigen Einkünfte schließen, für die die ausländische Kapitalgesellschaft Zwischengesellschaft ist. Eine Sonderregelung für den EU-/ EWR-Bereich enthält § 8 Abs. 2 AStG,1 wonach Einkünfte aus passivem Erwerb nicht anzunehmen sind, wenn nachgewiesen wird, dass die ausländische Gesellschaft einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht und der andere Staat entsprechende Auskünfte erteilt.

16.207

2. Pflichtenkreis Neben den im außensteuerlichen Kontext maßgeblichen Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2, 3 AO)2 besteht die Verpflichtung, den Erwerb von Beteiligungen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft dem zuständigen Finanzamt mitzuteilen, wenn damit unmittelbar eine Beteiligung von mindestens 10 v.H. oder mittelbar eine Beteiligung von mindestens 25 v.H. am Kapital oder am Vermögen der ausländischen Kapitalgesellschaft erreicht wird oder wenn die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen an Auslandsgesellschaften mehr als 150.000 Euro beträgt (§ 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO). Die Mitteilung ist zusammen mit den maßgeblichen Steuererklärungen spätestens bis zum Ablauf von 14 Monaten nach Ablauf des betreffenden Betreuungszeitraums zu erstatten (§ 138 Abs. 5 Satz 1 AO). Soweit die (ausländische) Basisgesellschaft unbeschränkt oder beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist, ist für sie im Inland eine Körperschaftsteuererklärung (§ 31 Abs. 1a KStG) und eine Gewerbesteuererklärung (§ 14a GewStG) abzugeben. Soweit wegen Gestaltungsmissbrauchs die Zwischenschaltung der Basisgesellschaft steuerlich nicht anerkannt wird (§ 42 AO), haben diejenigen Personen – in aller Regel die Gesellschafter – eine Einkommen- oder Körperschaftsteuererklärung für Einkünfte abzugeben, die sie bei unterstellter angemessener Gestaltung selbst erzielt hätten. Greift dagegen die Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 – 14 AStG) ein, haben die an der ausländischen Basisgesellschaft beteiligten unbeschränkt und erweitert unbeschränkt Steuerpflichtigen eine Feststellungserklärung abzugeben (§ 18 Abs. 3 AStG). Das gilt auch für den Fall, dass unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten eine Hinzurechnung wegen § 8 Abs. 2 AStG unterbleibt (§ 18 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 AStG).3 1 Umsetzung von EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes, FR 2006, 987 m. Anm. Lieber. 2 § 90 Abs. 3 Satz 3 u. 5 AO sollen nach dem RefE ATADUmsG v. 24.3.2020 geändert werden. 3 Zu den unionsrechtlichen Bedenken dieser Erklärungspflicht Schönfeld/Engler in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 442 ff.

Schaumburg | 899

16.208

Kap. 16 Rz. 16.209 | Ertragsteuerrecht

3. Pflichtverletzungen 16.209

Wird eine Körperschaft- oder Gewerbesteuererklärung nicht abgegeben, obwohl die (ausländische) Basisgesellschaft wegen des Orts der Geschäftsleitung (§ 10 AO) unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG), ergeben sich folgende steuerliche Rechtsfolgen: – Verspätungszuschlag in Höhe von 0,25% der festgesetzten Steuer, mindestens jedoch 10 Euro für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung und höchstens 25.000 Euro (§ 152 Abs. 5 Satz 1, Abs. 10 AO),1 – Zwangsgeld bis zur Höhe von 25.000 Euro (§ 329 AO), – Schätzung (§ 162 Abs. 1 AO), wobei sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren darf.2

16.210

Die vorgenannten steuerlichen Rechtsfolgen treten auch ein, wenn in den Fällen der Anwendung des § 42 AO seitens des Gesellschafters die ihm zuzurechnenden Einkünfte nicht erklärt.

16.211

Unterliegen die Gewinne der ausländischen Basisgesellschaft bei den inländischen Gesellschaftern der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 – 14 AStG)3, so löst die Nichtabgabe der an sich gem. § 18 AStG gebotenen Feststellungserklärung im Grundsatz die gleichen steuerlichen Rechtsfolgen aus, wie die Nichtabgabe der vorgenannten Steuererklärungen. Für die Schätzung gelten allerdings die Besonderheiten des § 17 Abs. 2 AStG, wonach im Rahmen der Schätzung gem. § 162 Abs. 1 AO mangels anderer geeigneter Anhaltspunkte die Einkünfte der ausländischen Basisgesellschaft in Höhe von mindestens 20% des gemeinen Werts der von den unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern gehaltenen Kapitalanteile anzusetzen sind. Zinsen oder Nutzungsentgelte, die die Gesellschaft für überlassene Wirtschaftsgüter an die unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner zahlt, sind hierbei abzuziehen (§ 17 Abs. 2 Halbs. 2 AStG).4

16.212

Wer vorsätzlich oder leichtfertig die Mitteilungspflicht nach § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO5 nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO), die mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden kann. Wenn es hierdurch oder wegen Nichtabgabe der oben genannten Steuererklärungen zu einer Steuerverkürzung kommt, tritt die vorgenannte Ordnungswidrigkeit allerdings hinter die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zurück (vgl. § 21 OWiG).

16.213

In der Praxis spielt die Steuerhinterziehung wegen Nichtabgabe oder Abgabe einer unrichtigen Feststellungserklärung6 gem. § 18 Abs. 1 AStG eine besondere Rolle. 1 Rechtslage ab 1.1.2019. 2 Allgemein bei Verletzung von Erklärungspflichten BFH v. 1.10.1992 – IV R 34/90, BStBl. II 1993, 259; BFH v. 13.7.2000 – IV R 55/99, BFH/NV 2001, 3. 3 Hinweis: Geplante Neuregelung (RefE ATADUmsG v. 24.3.2020). 4 Die vorstehende Schätzungsvorschrift spielt in der Praxis keine Rolle. 5 § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe b AO soll geändert werden (JStG 2020-E idF des RegE v. 25.9.2020 (BT-Drs. 19/22850). 6 Zur Steuerhinterziehung (-verkürzung) bei nicht gerechtfertigten Steuervorteilen aufgrund unrichtiger Feststellungsbescheide BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt. 53, 99, Rz. 104 – 107; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 537/12, NJW 2013, 1750; zu Hinterziehungskonstellationen im Zusammenhang mit der Hinzurechnungsbesteuerung Rödl/Grube in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 22 Rz. 33a ff.

900 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.216 Kap. 16 Beispiel: Die im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige A-AG erwirbt alle Anteile an der ausländischen X-Inc., die in den USA als Holding ansässig ist. Die X-Inc. ist nicht nur an zahlreichen operativ tätigen Tochtergesellschaften beteiligt, sondern u.a. auch an einer auf den Niederländischen Antillen ansässigen Finanzierungsgesellschaft. Diese Finanzierungsgesellschaft ist mit erheblichem Eigenkapital ausgestattet. Die entsprechenden Barmittel werden sämtlich als Darlehen zwecks Finanzierung der übrigen Konzerngesellschaften weltweit vergeben. Die hieraus vereinnahmten Zinsen, die bei der Finanzierungsgesellschaft thesauriert werden, unterliegen einer nur ganz geringen steuerlichen Belastung. Im Rahmen einer später bei der A-AG durchgeführten Betriebsprüfung wird der vorgenannte Sachverhalt erstmals festgestellt. Die A-AG hat für die abgelaufenen Veranlagungszeiträume keine Feststellungserklärungen (§ 18 AStG) abgegeben. In ihren Körperschaftsteuererklärungen finden sich ebenfalls keine Hinweise auf die Einkünfte der Finanzierungsgesellschaft.

Ein Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO), der gegenüber der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 – 14 AStG) logisch vorrangig ist,1 scheidet hier aus zwei Gründen aus: Zum einen ist die Zwischenschaltung der auf den Niederländischen Antillen ansässigen Finanzierungsgesellschaft nicht selbst von der A-AG gestaltet worden.2 Zum anderen beruht die etwaige Unangemessenheit der Zwischenschaltung der Finanzierungsgesellschaft allein auf Tatumständen, die nach § 8 Abs. 1 AStG die Einkünfte einer Auslandsgesellschaft als Zwischeneinkünfte qualifizieren.3 Eine Hinzurechnungsbesteuerung bei der inländischen A-AG setzt in dem hier interessierenden Zusammenhang insbesondere voraus, dass die ausländische Finanzierungsgesellschaft Einkünfte aus passivem Erwerb erzielt. Das ist bei dem Betrieb von Kreditinstituten, soweit für das entsprechende Geschäft ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Betrieb unterhalten wird, nicht der Fall (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG). Hierfür ist eine personelle und sachliche Mindestausstattung erforderlich, aufgrund deren die abgewickelten Finanzierungsgeschäfte überhaupt erst möglich werden.4 Indizien für einen in einer kaufmännischen Weise eingerichteten Betrieb sind neben etwa erforderlichen Räumlichkeiten und Personal insbesondere Bilanzierung, Buchführung, Lohnbuchhaltung und die Aufbewahrung von Korrespondenz.5 Ist ein derartiger Geschäftsbetrieb gegeben, werden die von der ausländischen Finanzierungsgesellschaft erzielten Einkünfte dennoch als Einkünfte aus passivem Erwerb qualifiziert, wenn die zugrunde liegenden Geschäfte überwiegend mit unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern oder mit ihm nahestehenden Personen abgewickelt werden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 AStG). Schädlich sind damit konzerninterne Finanzierungsgeschäfte. Da hier die ausländische Finanzierungsgesellschaft ihre Einkünfte ausschließlich aus konzerninternen Finanzierungsgeschäften erzielt, handelt es sich insoweit um Einkünfte aus passivem Erwerb.

16.214

Im Hinblick darauf kommt es nicht mehr darauf an, ob ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb unterhalten wird.

16.215

Der Vorstand der A-AG war daher verpflichtet, für die abgelaufenen Veranlagungszeiträume Feststellungserklärungen nach § 18 Abs. 1 AStG abzugeben. Das ist indessen nicht geschehen. Insoweit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Ob die Verantwortlichen vorsätzlich gehandelt haben, ist Tatfrage.

16.216

1 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 117/97, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; hierzu Gosch in FS Reiß, 2008, 597 (602 f.); vgl. Rz. 14.194. 2 Zu diesem Erfordernis Ratschow in Klein15, § 42 AO Rz. 75; ob eine Missbrauchsabsicht erforderlich ist, kann daher hier offenbleiben; hierzu Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 44 f. 3 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/8, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 4 Vgl. Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 101. 5 Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 34.

Schaumburg | 901

Kap. 16 Rz. 16.217 | Ertragsteuerrecht

16.217

In der Praxis tauchen immer wieder Gestaltungen auf, die darauf gerichtet sind, einen Teil von im Inland an sich steuerpflichtigen Einkünften auf ausländische Kapitalgesellschaften umzulenken, an denen die betreffenden Personen nicht beteiligt sind. Angesprochen sind die Fälle, in denen etwa selbständig tätige technische oder kaufmännische Berater durch ausländische Vermittlungsagenturen für entsprechende Beratungs- und Entwicklungsleistungen an inländische Auftraggeber vermittelt werden, wobei die vereinbarten Honorare an ausländische Managementgesellschaften gezahlt werden. Von dort werden sodann Teilbeträge aufgrund von den Beratern gegenüber den Managementgesellschaften in Rechnung gestellten Honorare auf deren Konto im Inland überwiesen. Nach Abzug einer Provision werden sodann die Restbeträge auf von den Beratern im Ausland unterhaltenen Konten deponiert. In den vorgenannten Fällen ist trotz Zahlung an die ausländischen Managementgesellschaften bereits ein steuerlicher Zufluss über die Gesamtbeträge bei den Beratern gegeben mit der Folge, dass insoweit Einkünfte aus Gewerbebetrieb bzw. aus selbständiger Arbeit gegeben sind. In Höhe der Differenz zwischen erklärten und tatsächlich zugeflossenen Einkünften ist eine Steuerverkürzung gegeben. Damit ist der objektive und nach Sachlage auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben (§ 370 AO).1

XI. Schmiergeldzahlungen im und ins Ausland Literatur (ab 1999): Kommentare zu § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 10 EStG und zu § 160 AO; Apitz, Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern (§ 160 AO), StBp 2003, 97; Breuer, Pflicht zur Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern, AO-StB 2002, 84; Bruschke, Benennungsverlangen nach § 160 AO, StB 2001, 42; Dörn, Nichtabzugsfähigkeit von Bestechungsgeldern als Betriebsausgaben, DStZ 2001, 736; Gotzens, Nützliche Aufwendungen und das Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, DStR 2005, 673; Hagen, Das Empfängerbenennungsverlangen nach § 160 AO, DStZ 2004, 564; Kiesel, Die Zuwendung an Angestellte und Beauftragte im Ausland und das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, DStR 2000, 949; Madauß, Reichweite der Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG und Korruptionsbekämpfung, NZWiSt 2013, 176; Park, Die Ausweitung des Abzugsverbots für Bestechungs- und Schmiergelder durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, DStR 1999, 1097; Preising/Kiesel, Korruptionsbekämpfung durch das Steuerrecht? – Zu den Problemen des Abzugsverbots und der Mitteilungspflicht gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, DStR 2006, 118; Randt, Schmiergeldzahlungen bei Auslandssachverhalten, BB 2000, 1006; Schaumburg, Mitwirkung von Betriebsprüfung und Staatsanwaltschaft bei nützlichen Abgaben, StbJb 2001/2002, 239; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 22.46 ff.; Sorgenfrei, Reichweite und Schranken des § 160 AO, IStR 2002, 469; Stahl, Schmiergeld: Steuerliche sowie zivil- und strafrechtliche Probleme, KÖSDI 1999, 12022; Stapf, Steuerliche Folgen der Zuwendung korrumpierender Vorteile ab 1999, DB 2000, 1092; von Stuhr/Walz, Die Informationsweiterleitung bei Verdacht einer steuerlich relevanten Straftat, StuB 1999, 408; von Stuhr/Walz, Steuerliche Behandlung von Schmiergeldern, StuB 1999, 118; Teufel/Wassermann, Domizilgesellschaft und Benennungsverlangen nach § 160, IStR 2003, 112; Tipke, § 160 AO – nochmals systematisch überdacht, in GS Trzaskalik, 2005, 121; Vogelberg, Die Bedeutung des § 160 AO bei Nichtbenennung von Zahlungsempfängern, PStR 2005, 294; Weidemann, Zum Abzugsverbot des § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 10 EStG: Erfasst § 299 Abs. 2 StGB auch Auslandssachverhalte?, DStZ 2002, 329; Wichterich/Glockemann, Steuer- und strafrechtliche Aspekte von Schmiergeldzahlungen an Mitarbeiter von Staatsunternehmen, INF 2000, 1, 40.

1 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 30.1.2012 – 10 K 5492/08; EF6 2013, 435 (rkr.); hierzu Frank, PStR 2013, 116 f.

902 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.218 Kap. 16

1. Überblick § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG enthält ein steuerliches Abzugsverbot1 für Schmier- und Bestechungsgelder. Voraussetzung für das Abzugsverbot ist, dass die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt. Auf ein Verschulden des Zuwendenden, auf die Stellung eines Strafantrags oder auf eine tatsächliche Ahndung kommt es nicht an.2 Obwohl der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig formuliert ist, ergibt sich doch aus dem Zusammenhang, dass das Abzugsverbot nur dann eingreift, wenn eine abstrakte Strafbarkeit nach deutschem Recht gegeben ist.3 In Betracht kommen hiernach insbesondere die folgenden Tatbestände:4 – § 108b StGB (Wählerbestechung), – § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung), – § 265c Abs. 2, 4 StGB (Sportwettbetrag), § 265d Abs. 2, 4 StGB (Sportmanipulation), – § 299 Abs. 2 und 3 StGB (Bestechung im geschäftlichen Verkehr), – § 299b StGB (Bestechung im Gesundheitswesen), – § 333 StGB (Vorteilsgewährung), – § 334 StGB (Bestechung), – § 335a StGB (Vorteilsgewährung und Bestechung ausländischer und internationaler Bediensteter), – Art. 2 § 2 IntBestG (Bestechung ausländischer Abgeordneter im Zusammenhang mit internationalem geschäftlichen Verkehr), – § 119 Abs. 1 BetrVerfG (Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder), – § 81 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 GWB (Vorteilsgewährung für wettbewerbsbeschränkendes Verhalten), – § 405 Abs. 3 Nr. 7 AktG (Vorteilsgewährung in Bezug auf das Stimmverhalten in der Hauptversammlung), – § 152 Abs. 1 Nr. 2 GenG (Vorteilsgewährung in Bezug auf das Abstimmungsverhalten in der Generalversammlung), – § 23 Abs. 1 Nr. 3 SchVG (Vorteilsgewährung in Bezug auf das Abstimmungsverhalten in der Gläubigerversammlung).

1 Einnahmeminderungen des Zuwendenden, z.B. aufgrund entgangener Einnahmen für die Erbringung unentgeltlicher Dienstleistungen oder durch Hingabe eines verbilligten oder zinslosen Darlehens oder von Rabatten werden von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG nicht erfasst; Loschelder in Schmidt39, § 4 EStG Rz. 610; Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1853. 2 Frotscher/Watrin in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 865; Bode in Kirchhof19, § 4 EStG Rz. 228; R 4.14 S. 1 EStR; Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1859. 3 Loschelder in Schmidt39, § 4 EStG Rz. 611; Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1858; Schaumburg in StbJb 2001/2002, 239 (242). 4 Vgl. H 4.14 EStR; zum Korruptionsstrafrecht vgl. Rz. 13.1 ff.

Schaumburg | 903

16.218

Kap. 16 Rz. 16.219 | Ertragsteuerrecht

16.219

Von besonderer Bedeutung sind in der Praxis die Tatbestände der Amtsträgerbestechung und der Bestechung im geschäftlichen Verkehr (s. Rz. 13.1 ff.). Die Amtsträgerbestechung – Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) und Bestechung (§ 334 StGB) – findet auch auf Auslandssachverhalte Anwendung. Das ergibt sich aus Art. 2 § 1 EUBestG, wonach EU-Amtsträger deutschen Amtsträgern gleichgestellt werden, und aus Art. 2 § 2 EUBestG, wonach deutsche Strafverfolgungsbehörden auch für entsprechende Auslandstaten zuständig sind. Rechtsgrundlage ist ferner Art. 2 § 1 IntBestG, aufgrund dessen ausländische Amtsträger im Falle der Bestechung (§ 334 StGB) nicht aber bei Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) wie deutsche Amtsträger behandelt werden. Schließlich hat die Reichweite des deutschen Strafrechts gem. Art. 2 § 3 IntBestG bezüglich der Bestechung ausländischer Amtsträger im Zusammenhang mit dem internationalen geschäftlichen Verkehr auch auf Auslandstaten ausgedehnt, wenn der Täter Deutscher ist. Soweit es um die Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) geht, werden auch Handlungen im ausländischen Wettbewerb erfasst (§ 299 Abs. 3 StGB). Betroffen sind daher auch Deutsche, die im Ausland den ausländischen Wettbewerb durch Bestechung beeinträchtigen (§ 299 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 StGB).

16.220

Ob eine Bestechung (§ 334 StGB), Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) oder eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) vorliegt, obliegt der Feststellungslast des Finanzamtes. Sind Tatsachen festgestellt worden, die lediglich einen Verdacht begründen, ist die Steuer vorläufig gem. § 165 AO festzusetzen, wobei der Betriebsausgabenabzug regelmäßig zu gewähren ist. Ist der Verdacht im Rahmen der Außenprüfung aufgetreten, ist die Prüfung dennoch abzuschließen. Der Verdacht ist der Staatsanwaltschaft oder der sonst zustehenden Verwaltungsbehörde ohne eigene Prüfung, ob eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht kommt,1 mitzuteilen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG).2 Nach Rückmeldung über den Ausgang des Verfahrens und die zugrunde liegenden Tatsachen erfolgt ggf. eine Änderung der vorläufigen Steuerfestsetzung oder sie wird für endgültig erklärt.3

16.221

Lässt sich eine der vorgenannten Bestechungstaten nicht feststellen, ist ein Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG zwar ausgeschlossen, im Falle einer verweigerten Gläubigerbenennung kommt dann allerdings ein Abzugsverbot nach dem sog. Schmiergeld-Paragrafen (§ 160 AO) in Betracht.4 Nach dieser Vorschrift sind Schulden und andere Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und andere Ausgaben regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger/Empfänger genau zu benennen. Zur genauen Empfängerbenennung gehört die Angabe des vollen Namens sowie der Adresse,5 sodass sich das Finanzamt von der Empfängereigenschaft selbst überzeugen kann.6 Bei ausländischen Domizilgesellschaften ist daher, was auch § 16 AStG verlangt, die Benennung der Anteilseigner und derjenigen Personen erforderlich, die die vertraglich ausbedungenen Leistungen tatsächlich ausführen.7 1 Ausreichend, aber auch erforderlich, ist ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO, BFH v. 14.7.2008, BStBl. II 2009, 850; vgl. Rz. 13.42. 2 Zur Reichweite der Mitteilungspflicht Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1875; Madauß, NZWiSt 2013, 176 ff. mit einer Übersicht über die zum Teil stark voneinander abweichenden Rechtsansichten; vgl. zur entsprechenden Meldepflicht bei Extremismusverdacht § 51 Abs. 3 Satz 3 AO. 3 Zu Einzelheiten: BMF v. 10.10.2002 – IV A 6-S 2145-35/02, BStBl. I 2002, 1031. 4 Seer in T/K, § 160 AO Rz. 11; s. Rz. 13.52 ff. 5 BFH v. 15.3.1995 – I R 46/94, BStBl. II 1996, 51; BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II 1999, 434. 6 BFH v. 27.11.2000 – IV B 23/00, BFH/NV 2001, 424. 7 BFH v. 10.11.1998 – I R 108/97, BStBl. II 1999, 121; BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312; BFH v. 1.4. 2003 – I R 28/02, BStBl. II 2007, 855; BFH v. 11.7.2013 – IV R 27/09, BStBl. II 2013, 989 Rz. 31 mit Hinweis auf die nach § 90 Abs. 2 AO gebotene Beweisvorsorge.

904 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.223 Kap. 16

§ 160 AO ist eine Ermessensvorschrift.1 Voraussetzung für die Ermessensbetätigung ist zunächst die Ermittlung der Höhe der Betriebsausgaben, Werbungskosten usw.2 Erst danach sind sodann Ermessensentscheidungen auf zwei Stufen zu treffen. Auf der ersten Stufe geht es um das Benennungsverlangen selbst. Dieses muss für den Steuerpflichtigen zumutbar sein, was beispielsweise zu bejahen ist, wenn er zum Zeitpunkt der Anknüpfung der Geschäftsbeziehungen mit dem Zahlungsempfänger in der Lage war, entsprechende Beweisvorsorge zu treffen.3 Auf der zweiten Stufe ist eine Ermessensentscheidung dahin gehend zu treffen, ob und in welcher Höhe die Ausgaben zu berücksichtigen sind.4 Hierbei kommt eine nur teilweise Versagung des Betriebsausgabenabzugs etwa dann in Betracht, wenn feststeht, dass die Zahlungsempfänger mit ihren Einkünften einer nur geringen Steuerbelastung ausgesetzt sind.5 Im Hinblick darauf, dass § 160 AO den Ausfall deutscher Steuer vermeiden will, ist es ermessensfehlerhaft, die Gläubiger- bzw. Empfängerbenennung zu verlangen, wenn ein solcher Steuerausfall ausgeschlossen ist.6 Das ist vor allen Dingen dann der Fall, wenn der Empfänger der Zahlungen nicht der deutschen Besteuerung unterliegt.7

16.222

2. Pflichtenkreis/Pflichtverletzungen Im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Bestechungs- und Schmiergeldern gelten die allgemeinen Mitwirkungspflichten (§§ 90, 200 AO). Eine Schranke ergibt sich allerdings aus § 393 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach Zwangsmittel (§ 328 AO) nicht eingesetzt werden dürfen, wenn sich der Steuerpflichtige durch die Mitwirkung wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit selbst belasten würde. Im Hinblick darauf ist bei der Ermittlung der für die Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG bedeutsamen Tatsachen die Erzwingung einer weitergehenden Mitwirkung durch den Steuerpflichtigen ausgeschlossen.8 Wird festgestellt, dass es sich tatsächlich um Bestechungs- und Schmiergelder handelt, ergibt sich als Rechtsfolge neben dem steuerlichen Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG in strafrechtlicher Hinsicht, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt ist. Soweit nicht festgestellt werden kann, dass es sich um nicht abziehbare Bestechungs- und Schmiergelder handelt, ergibt sich ein steuerliches Abzugsverbot gem. § 160 AO bei entsprechender Ermessensausübung.9 Das gilt aber nur für den Fall, dass der Steuerpflichtige, dem Benennungsverlangen des Finanzamts nicht nachkommt. Verweigert der Steuerpflichtige die Empfängerbenennung, so liegt hierin kein pflichtwidriges Verhalten.10 Demzufolge kann das Benennungsverlangen auch nicht erzwungen werden (§ 328 AO).11 Darüber hinaus ist die Verweigerung der Gläubigerbenennung für sich allein auch strafrechtlich nicht relevant.12

1 BFH v. 25.11.1986 – VIII R 350/82, BStBl. II 1987, 286. 2 BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51. 3 BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II 1999, 434; BFH v. 20.4.2005 – X R 40/04, BFH/NV 2005, 1739. 4 BFH v. 25.8.1986 – IV B 76/86, BStBl. II 1987, 421. 5 BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II 1999, 434. 6 BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; BFH v. 5.11.1992 – I R 8/91, BFH/NV 1994, 357. 7 BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; AEAO zu § 160 Nr. 4. 8 Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1870. 9 Seer in T/K, § 160 AO Rz. 11. 10 Vgl. BGH v. 22.11.1985 – 2 StR 64/85, wistra 1986, 109. 11 Seer in T/K, § 160 AO Rz. 36. 12 BGH v. 22.11.1985 – 2 StR 64/85, wistra 1986, 109; Dannecker, wistra 2001, 244.

Schaumburg | 905

16.223

Kap. 16 Rz. 16.223 | Ertragsteuerrecht Beispiel: Der in Deutschland ansässige A stellt Werkzeugmaschinen her, die er u.a. in Staaten des mittleren Ostens exportiert. Die entsprechenden Aufträge werden von dem dort ansässigen X vermittelt, der hierfür eine Provision von 20% des jeweiligen Auftragsvolumens erhält. Im Zuge der Außenprüfung wird A u.a. aufgefordert mitzuteilen, welche Beträge als Vorteilszuwendungen an Personen weitergeleitet worden sind, die für die Auftragsvergabe verantwortlich waren. Zugleich wird der aufgefordert, Name und Anschrift dieser Personen zu benennen. In diesem Zusammenhang wird A über die mögliche Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG, die Möglichkeit der strafbzw. bußgeldrechtlichen Selbstbelastung und über das Zwangsmittelverbot belehrt.1 Da A keinerlei Angaben macht, werden der zuständigen Staatsanwaltschaft die entsprechenden Tatsachen mitgeteilt. Zugleich wird gegen A ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet.

16.224

Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) setzt voraus, dass die an X geleisteten Provisionszahlungen dem Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG unterliegen. Dafür, dass es sich bei den Provisionszahlungen an X jedenfalls zum Teil um weitergeleitetes Bestechungs- und Schmiergeld handelt, spricht schon allein die Höhe der Provision, die über das marktübliche Maß hinausgeht. Da die Außenprüfung auch keine ausreichende Dokumentation über die von X im Einzelnen zu erbringenden Leistungen erhalten hat, liegen jedenfalls insoweit zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 und 3 StGB) vorliegt, wobei A als Täter und X als Gehilfe in Betracht kommen.2 Insoweit erfolgte also die Mitteilung an die zuständige Staatsanwaltschaft (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG) zu Recht.3

16.225

Allerdings sind weitere Ermittlungen erforderlich. So bedarf es der Feststellung, ob X als Vermittler aufgrund seiner Stellung die Möglichkeit besaß, auf die betrieblichen Entscheidungen insbesondere über die Auftragsvergabe bei den einzelnen Auftraggebern Einfluss zu nehmen.4 Bejahendenfalls ist der Tatbestand des § 299 Abs. 2, 3 StGB erfüllt. Anderenfalls bedarf es der Feststellung, ob und ggf. in welcher Höhe X die von ihm empfangenen Provisionen als Bestechungs- und Schmiergelder an die für die Auftragsvergabe verantwortlichen Angestellten der Auftraggeber weitergeleitet hat. Sollte dies der Fall sein, so ist auch insoweit A Täter einer Bestechung im geschäftlichen Verkehr.5 Erweist sich somit die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit der Bestechung im geschäftlichen Verkehr,6 greift das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG ein, womit zugleich der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt ist. Ob auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist, ist Tatfrage. Sollte sich dagegen der Tatbestand des § 299 Abs. 2, 3 StGB nicht erweisen mit der Folge, dass das steuerliche Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG nicht eingreift, kommt die Anwendung des § 160 AO in Betracht. Hier bedarf es allerdings keiner weitergehenden Ermittlungen. Dies deshalb nicht, weil die gewinnmindernde Buchung der tatsächlich geleisteten Provisionszahlungen als Betriebsausgaben zu Recht erfolgt ist und die spätere in das Ermessen der Finanzverwaltung bestellte Versagung der Abzugsfähigkeit (§ 160 AO) hieran nichts ändert.7 Entsprechendes gilt auch für die Verweigerung der Gläubigerbe1 Entsprechend BMF v. 10.10.2002 – IV A 6-S 2145-35/02, BStBl. I 2002, 1031, Tz. 30. 2 Wittig, wistra 1989, 7 (10). 3 Ausreichend, aber auch erforderlich ist ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO; BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, BStBl. II 2008, 850; s. Rz. 13.42. 4 Heger in Lackner/Kühl29, § 299 StGB Rz. 2; Schramm, JuS 1999, 333. 5 Die Bestechung gilt auch im ausländischen Wettbewerb (§ 299 Abs. 3 StGB) und als Auslandstat (§ 7 Abs. 2 StGB). 6 Auf einen Strafantrag (§ 301 StGB) kommt es nicht an; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 905; Watrin in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 865; Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1859. 7 BGH v. 22.11.1985 – 2 StR 64/85, wistra 1986, 109; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 147.

906 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.227 Kap. 16

nennung durch A, die als solche nicht strafbar ist.1 Abgesehen davon ist es ohnehin ermessensfehlerhaft, die Gläubiger- bzw. Empfängerbenennung zu verlangen, wenn der Empfänger der Zahlungen ein Ausländer ist und insoweit nicht der deutschen Besteuerung unterliegt.2 Damit ergibt sich, dass in dem Fall, in dem eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr nicht nachweisbar ist, das Ermittlungsverfahren einzustellen ist.

XII. Zuzug natürlicher Personen Literatur (ab 2006): Kommentare zu § 1, § 4 Abs. 1 Satz 8, § 6 Abs. 1 Nr. 5a, § 17 Abs. 2 EStG; §§ 8, 9 AO; Art. 4 OECD-MA; Eich, Grenzen der beschränkten Steuerpflicht von Flugpersonal, EStB 2011, 269; Hruschka, Die Ent- und Verstrickung stiller Reserven nach dem SEStEG, StuB 2006, 574; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 6.12 ff., 6.402 ff., 19.194 ff.; Töben/Reckwardt, Entstrickung und Verstrickung privater Anteile an Kapitalgesellschaften, FR 2007, 159.

1. Überblick Der Zuzug betrifft im Wesentlichen den Fall, dass natürliche Personen im Inland einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder den gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) begründen und hierdurch unbeschränkt einkommensteuerpflichtig werden. Wurden vor dem Zuzug keine inländischen Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) erzielt, wird zuzugsbedingt eine deutsche Steuerpflicht erstmals begründet. Andernfalls erfolgt zuzugsbedingt ein Wechsel von der beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) oder von der erweiterten unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) oder von der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) in die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG). Erfasst wird aber auch der Fall, dass zuzugsbedingt im Inland ein Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt begründet wird, ohne dass im Ausland der bisherige Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben wird. In derartigen Wohnsitzfällen kann es zu einer doppelten oder gar mehrfachen unbeschränkten Steuerpflicht in verschiedenen Staaten kommen.

16.226

Die durch Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ausgelöste unbeschränkte Steuerpflicht führt dazu, dass nunmehr im Grundsatz das gesamte Welteinkommen der inländischen Einkommensteuer zu unterwerfen ist (§ 2 Abs. 1 EStG). Gegen diese weitreichende Besteuerung sind allerdings die Schrankenwirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet. Hierbei wird die Steuerberechtigung des Wohnsitzstaates aufrechterhalten mit der Folge, dass dieser im Unterschied zum Quellenstaat die vorrangige Besteuerung hat. Aus dieser vorrangigen Besteuerung folgt als Kehrseite, dass es im Ausgangspunkt der Wohnsitzstaat ist, der auf eine weitreichende Steuerberechtigung ganz oder teilweise verzichtet, soweit dem Quellenstaat die Steuerberechtigung nicht genommen ist. Dem Quellenstaat verbleibt demgegenüber eine bloß nachrangige Besteuerung, die ihm im Grundsatz nur die uneingeschränkte Besteuerung der Einkünfte von in seinem Gebiet belegenen Betriebsstätten und unbeweglichem Vermögen sowie die reduzierte Besteuerung von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren belässt. Im Hinblick darauf ist für Zwecke der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen stets zu entscheiden, wer Wohnsitzstaat und wer Quellenstaat ist (s. Rz. 14.296 f.). Diese Entscheidung wird aufgrund der sog. tie-breaker-rule getroffen (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA). In Abkommensfällen ist daher neben der zuzugsbedingten Begründung

16.227

1 BGH v. 22.11.1985 – 2 StR 64/85, wistra 1986, 109; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 147; Dannecker, wistra 2001, 244. 2 BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; AEAO zu § 160 Nr. 4.

Schaumburg und Schaumburg/Häck | 907

Kap. 16 Rz. 16.227 | Ertragsteuerrecht

der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland auch der Fall von Bedeutung, dass etwa durch Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen die natürliche Person im abkommensrechtlichen Sinne im Inland ansässig und damit Deutschland Wohnsitzstaat wird (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA). Die in den Doppelbesteuerungsabkommen verankerten tie-breakerrules umfassen fünf Stufen, auf denen jeweils über die Ansässigkeit und damit zugleich über die Steuerberechtigung als Wohnsitzstaat entschieden wird. Ist eine Entscheidung auf einer Stufe nicht möglich, so ist sie auf der nächstfolgenden Stufe zu treffen, wobei zuletzt als Ultima Ratio die Entscheidung über die Ansässigkeit im gegenseitigen Einvernehmen beider Vertragsstaaten zu treffen ist. Die folgenden fünf Stufen sind maßgeblich: – ständige Wohnstätte, – Mittelpunkt der Lebensinteressen, – gewöhnlicher Aufenthalt, – Staatsangehörigkeit, – gegenseitiges Einvernehmen.

16.228

Das zuzugsbedingte Eintreten in die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (Steuerverstrickung) hat zur Folge, dass – sofern keine Sonderregelungen eingreifen – etwaige während der Zeit vor Beginn der unbeschränkten Steuerpflicht im Ausland im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern gebildete stille Reserven nunmehr von der deutschen Besteuerung erfasst werden. Eine derartige Steuerverstrickung tritt auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige etwa seinen Wohnsitz im Ausland zwar aufrechterhält, durch Begründung eines weiteren inländischen Wohnsitzes nach den maßgeblichen in den DBA verankerten tie-breaker-rules hier aber als ansässig gilt, sodass deutsches Besteuerungsrecht grundsätzlich nicht beschränkt wird. Um indessen aus der Sicht des deutschen Steuerrechts eine steuerliche Doppelerfassung von bis zum Zuzug entstandenen stillen Reserven zu vermeiden, gilt für den Bereich des Betriebsvermögens eine allgemeine Regelung, wonach eine Einlage in das Betriebsvermögen einer Begründung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts gleichsteht (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG), wobei Bemessungsgrundlage der gemeine Wert ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Damit ist insbesondere der Fall erfasst, dass ein bislang im Ausland ansässiger Gewerbetreibender seinen Wohnsitz und zugleich seinen Gewerbebetrieb in das Inland verlegt.1 Über die vorstehende ganz allgemein für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens maßgebliche Verstrickungsregelung hinaus gilt für Wirtschaftsgüter des Privatvermögens nur eine in ganz engen Grenzen wirkende Sonderregelung. Für privat gehaltene Anteile an in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften wird im Falle einer nach dem Zuzug erfolgten Veräußerung der Veräußerungsgewinn nicht auf der Grundlage der originären Anschaffungskosten, sondern nach Maßgabe des Wertes berechnet, den der Wegzugsstaat im Rahmen einer dort geltenden dem § 6 AStG vergleichbaren Wegzugsteuer angesetzt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG).2 Der Anwendungsbereich dieser Verstrickungsregelung ist zudem dadurch eingeschränkt, dass höchstens der gemeine Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Zuzugs angesetzt wird.3 1 Die vorstehende Verstrickungsregelung gilt auch für die Gewerbesteuer (vgl. § 7 Satz 1 GewStG). 2 Zur Kritik an dieser einschränkenden Regelung vgl. Gosch in Kirchhof19, § 17 EStG Rz. 81 f. m.w. N., wonach generell auf den gemeinen Wert abzustellen ist, zu dem die steuerlich relevante Beteiligung entstanden ist; vgl. auch BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05 u.a., BStBl. II 2011, 86. 3 Das gilt natürlich nicht, wenn die tatsächlichen Anschaffungskosten höher waren; Gosch in Kirchhof19, § 17 EStG Rz. 81.

908 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.232 Kap. 16

2. Pflichtenkreis Die Steuergesetze enthalten beim Zuzug natürlicher Personen keine Meldepflichten, die gegenüber den Finanzbehörden zu erfüllen wären.1 Während die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland auch nach außersteuerlichen Vorschriften keine Meldepflichten auslöst, ist das Beziehen einer Wohnung im Inland bei der zuständigen Meldebehörde anzumelden. Rechtsgrundlage hierfür ist § 17 Abs. 1 BMG i.V.m. den entsprechenden Meldegesetzen der Länder. Die Meldepflicht ist innerhalb von zwei Wochen gegenüber der Meldebehörde2 zu erfüllen (§ 17 Abs. 1 BMG). Wird dieser Meldepflicht vorsätzlich oder fahrlässig nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig entsprochen, kann dieser Verstoß als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 BMG).

16.229

Soweit der Zugezogene einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft, einen gewerblichen Betrieb oder eine Betriebsstätte im Inland eröffnet, hat er dies der zuständigen Gemeinde mitzuteilen, die ihrerseits das zuständige Finanzamt unverzüglich unterrichtet (§ 138 Abs. 1 AO). Angesprochen ist damit insbesondere die zuzugsbedingte Verlegung eines Betriebs oder einer Betriebsstätte sowie einer freiberuflichen Tätigkeit in das Inland.3 Die Mitteilung ist innerhalb eines Monats vorzunehmen (§ 138 Abs. 4 AO). In den vorgenannten Fällen kann die Anzeigepflicht auch dadurch erfüllt werden, dass eine entsprechende elektronische Anzeige bei der für die Umsatzbesteuerung zuständigen Finanzbehörde eingereicht wird (§ 138 Abs. 1a AO).4

16.230

Mit Eintritt in die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht entstehen, soweit nicht bereits zuvor beschränkte Steuerpflicht gegeben war, entsprechende Steuererklärungspflichten (§§ 149 ff. AO; § 25 Abs. 2 und 3 EStG), die nach Ablauf des Veranlagungszeitraums zu erfüllen sind (Jahressteuererklärung). Für Zwecke der Einkommensteuervorauszahlungen bestehen indessen derartige Erklärungspflichten nicht. Die Einkommensteuervorauszahlungen sind zwar vierteljährlich fällig und entstehen jeweils mit Beginn des Kalendervierteljahres oder, wenn die Steuerpflicht erst im Laufe des Kalendervierteljahres begründet wird, mit Begründung der Steuerpflicht (§ 37 Abs. 1 Satz 2 EStG), es ist aber allein Aufgabe des zuständigen Finanzamtes, alle für die Festsetzung von Vorauszahlungen notwendigen Ermittlungen durchzuführen. Von sich aus muss der Steuerpflichtige nicht tätig werden, und zwar auch dann nicht, wenn er erkennt, dass aufgrund seiner Einkommensverhältnisse Steuervorauszahlungen zu entrichten wären.5 Im Hinblick darauf erschöpft sich seine Pflicht in der gegenüber der Gemeinde vorzunehmenden Anzeige über die Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit (§ 138 Abs. 1 AO). Damit ergibt sich weiter, dass eine Vorauszahlungspflicht in den vorgenannten Fällen erst aufgrund einer Steuerfestsetzung durch Vorauszahlungsbescheid (§ 37 Abs. 3 Satz 1 EStG) entsteht, obwohl von Gesetzes wegen die Einkommensteuervorauszahlungen zuvor entstanden und fällig wurden (§ 37 Abs. 1 Satz 2 EStG). Die vorstehende Rechtslage gilt auch für Gewerbesteuer-Vorauszahlungen (§ 19, 21 GewStG).

16.231

Anders ist dagegen die Rechtslage bei der Umsatzsteuer. Hiernach hat der Unternehmer grundsätzlich zum 10. Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums ohne Aufforderung

16.232

1 2 3 4

Auch die 2017 aufgehobenen §§ 134 – 136 AO enthielten keine entsprechenden Meldepflichten. In NRW sind das die Gemeinden als örtliche Ordnungsbehörden (§ 1 MG NRW). Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 1a. Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 4; Schallmoser in H/H/Sp, § 138 AO Rz. 26; a.A. Grotherr in Gosch, § 138 AO Rz. 16 f., wonach der Anzeigepflicht gegenüber der Gemeinde stets nachzukommen ist. 5 A. Schmidt in H/H/R, § 37 EStG Rz. 24; Schiffers in Korn, § 37 EStG Rz. 18.

Schaumburg/Häck | 909

Kap. 16 Rz. 16.232 | Ertragsteuerrecht

eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben (§ 18 Abs. 1 Sätze 1 und 4 UStG). Zugleich ist zu diesem Zeitpunkt die Umsatzsteuervorauszahlung fällig (§ 18 Abs. 1 Satz 3 UStG). Entsprechendes gilt auch für die im Übrigen nach dem UStG maßgeblichen Melde- und Erklärungspflichten (z.B. §§ 18a, 18b UStG).

3. Pflichtverletzungen 16.233

Im Zusammenhang mit dem Zuzug in das Inland betreffen die Probleme mit strafrechtlicher Relevanz in erster Linie die Frage, ob im Inland ein Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt oder im abkommensrechtlichen Sinne eine Ansässigkeit gegeben ist. a) Wohnsitz im Inland

16.234

Mit § 8 AO hat sich das Steuerrecht einen spezifischen Wohnsitzbegriff geschaffen,1 der sich etwa von den §§ 7 und 8 BGB dadurch unterscheidet, dass er nicht auf subjektive Umstände, sondern allein auf die tatsächliche Gestaltung abstellt.2 Im Hinblick darauf kommt es auch nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige einen Wohnsitz begründen oder aufheben wollte. Manifestiert sich der Wille des Steuerpflichtigen indessen nach außen, etwa durch Anund Abmeldung des Wohnsitzes bei der Ordnungsbehörde, kann insoweit ein dahin gehender Indikator für den Wohnsitz gegeben sein.3

16.235

Der Wohnsitzbegriff setzt eine Wohnung voraus. Es müssen also zum Wohnen geeignete Räumlichkeiten vorhanden sein, die allerdings nicht bestimmten Anforderungen entsprechen müssen. Daher spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob die Räumlichkeiten angemessen oder gar standesgemäß sind.4 Somit kommen als Wohnungen in Betracht: Baracken, Hotelzimmer bei Dauernutzung, Wochenendhäuser, Jagdhäuser, Gartenhäuschen in einer Laubenkolonie, Wohnwagen bei Dauermiete auf einem Campingplatz.5 Ohne Bedeutung ist, ob die Räumlichkeiten möbliert sind oder nicht.

16.236

Der Wohnsitzbegriff verlangt ferner ein Innehaben der Wohnung. Ein Innehaben ist zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige über die Wohnung tatsächlich verfügen kann, und zwar aufgrund eigener oder abgeleiteter Verfügungsmacht.6 Eine jedenfalls abgeleitete Verfügungsmacht ist insbesondere in den Fällen eines Familienwohnsitzes anzunehmen, wenn der Betreffende bei sich bietender Gelegenheit dorthin immer wieder zurückkehrt, um dort mit der Familie zu wohnen.7 Im Hinblick darauf ist im Zweifel davon auszugehen, dass etwa auswärts arbeitende Ehegatten und an einem anderen Studienort studierende Kinder ihren Wohnsitz

1 Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.12 ff. 2 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 24.7.1996 – I R 74/95, BStBl. II 1997, 132; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; BFH v. 21.3.2003 – III B 123/02, BFH/NV 2003, 944; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 2; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. B 87. 3 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153. 4 Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5; Kratzsch in Schwarz/Pahlke, § 8 AO Rz. 5. 5 So die Aufzählung bei Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5 und Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; vgl. ferner Eich, EStB 2011, 269 ff. 6 BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294. 7 BFH v. 29.10.1959 – IV 129/58 S, BStBl. III 1960, 61; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146 (1148); BFH v. 30.10.2002 – VIII R 86/00, BFH/NV 2003, 464.

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B. Typische Problembereiche | Rz. 16.240 Kap. 16

dort haben, wo die Familie ihren Wohnsitz hat.1 Eine derartige Verfügungsmacht ist indessen grundsätzlich zu verneinen, wenn sich jemand lediglich zu Besuchszwecken bei einer anderen Person, auch wenn es sich hierbei um Verwandte handelt, oder in einem Hotel aufhält.2 Für den Wohnsitzbegriff kommt es auch auf die Umstände des Innehabens an. Diese müssen darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Wesentlich ist somit, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist.3 Es wird also nicht auf die tatsächliche Nutzung abgestellt. So reicht es bei Abwesenheit des Wohnungsinhabers aus, wenn die Wohnung so ausgestattet ist, dass er jederzeit zurückkehren und sich hierin aufhalten kann.4 Wird die Wohnung während der Abwesenheit dagegen vermietet, entfällt die von § 8 AO vorausgesetzte Verfügungsmacht über diese Wohnung, es sei denn, es handelt sich nur um eine vorübergehende Unterbrechung der Verfügungsmacht.5 In Anlehnung an § 9 Satz 2 AO kann ein Zeitraum von nicht mehr als sechs Monaten noch als vorübergehend angesehen werden.6

16.237

Ob die Umstände auf ein Beibehalten und Benutzen der Wohnung schließen lassen, beurteilt sich nach der Lebenserfahrung.7 Hiernach werden Räumlichkeiten, die eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Bleibe darstellen, ebenso für ein Beibehalten und Benutzen sprechen8 wie regelmäßige Aufenthalte des Steuerpflichtigen dort selbst.9

16.238

Das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass der Steuerpflichtige sie beibehalten und benutzen wird, drückt schließlich ein Zeitmoment aus. Das bedeutet, dass die Umstände dafür sprechen müssen, dass die Wohnung nicht nur vorübergehend benutzt wird. Da § 8 AO keine konkrete Zeitregelung enthält, kann insoweit auf die Sechsmonatsfrist des § 9 Satz 2 AO zurückgegriffen werden.10

16.239

In der Praxis sind nicht selten solche Gestaltungen dadurch strafrechtlich relevant, dass Personen mit ausländischem Wohnsitz im Inland verdeckt einen Wohnsitz – etwa bei nahen Angehörigen – unterhalten, ohne dass entsprechende Steuererklärungen abgegeben werden.

16.240

1 Zu Ehegatten BFH v. 6.2.1985 – I R 23/82, BStBl. II 1985, 331; BFH v. 2.11.1994 – I B 110/94, BFH/NV 1995, 753; zu Studenten BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294; zu weiteren Einzelheiten Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 65 ff. 2 Zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 6, 6a, 6b. 3 BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; BFH v. 22.4.1994 – III R 22/92, BStBl. II 1994, 887; BFH v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294. 4 BFH v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2; weitere Einzelheiten bei Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 9 ff. 5 BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 949, Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 70. 6 Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 68, vgl. auch BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; enger dagegen FG Hessen v. 13.12.2010 – 3 K 1060/09, juris; FG Hamburg v. 10.7.2008 – 6 K 56/ 06, juris; hierzu Eich, EStB 2011, 269 ff. 7 BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 9. 8 BFH v. 24.4.1964 – VI 236/62 U, BStBl. III 1964, 462; BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; BFH v. 23.10.1985 – I R 274/82, BStBl. II 1986, 133; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447. 9 BFH v. 4.6.1964 – IV 29/64 U, BStBl. III 1964, 535; BFH v. 6.3.1968 – I 38/65, BStBl. II 1968, 439; BFH v. 26.2.1986 – II R 200/82, BFH/NV 1987, 301; BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 22.4.1994 – III R 22/92, BStBl. II 1994, 887. 10 BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956 Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 68.

Schaumburg/Häck | 911

Kap. 16 Rz. 16.240 | Ertragsteuerrecht Beispiel: A wohnt seit vielen Jahren in Hongkong und ist dort als selbständiger Vertreter für verschiedene mittelständische europäische Unternehmen tätig. Um Kontakte insbesondere mit deutschen Unternehmen aufrechtzuerhalten bzw. aufzubauen, hält sich A Jahr für Jahr mehrmals – verteilt jeweils über das gesamte Jahr – für insgesamt etwa vier Wochen im Inland auf. Aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung steht fest, dass A während seiner Aufenthalte in Deutschland anlässlich von Geschäftsbesuchen in verschiedenen Hotels übernachtet und im Übrigen im Haus seiner Eltern sein früheres „Kinderzimmer“ bewohnt hat. Überdies wird festgestellt, dass A unter der Adresse seiner Eltern bei der zuständigen Meldebehörde eine Wohnung gemeldet hat, um – so die Einlassung von A – im Inland eine Postadresse für die auftraggebenden Unternehmen zu haben. A erzielt erhebliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus seiner Tätigkeit als Provisionsvertreter und zudem Einkünfte aus Kapitalvermögen aus festverzinslichen Anleihen asiatischer Schuldner. Das entsprechende Wertpapierdepot unterhält A bei einer Bank in Hongkong. Steuererklärungen hat A im Inland nicht abgegeben.

16.241

Durch den Aufenthalt in verschiedenen inländischen Hotels wird kein inländischer Wohnsitz des A begründet, weil er die nur gelegentlich benutzten Räumlichkeiten nicht als Wohnung innehat.1 Die Unterkunft im „Kinderzimmer“ im Hause der Eltern ist nicht schon deshalb eine Wohnung (§ 8 AO) des A, weil er diese als solche bei der zuständigen Meldebehörde gemeldet hat, weil allein auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ist.2 Allerdings indiziert die Anmeldung einer Wohnung bei der zuständigen Meldebehörde einen Wohnsitz.3 Diese Indizwirkung, die strafrechtlich ohnehin nicht ausreicht,4 ist freilich dann ohne Bedeutung, wenn die tatsächlichen Feststellungen ergeben, dass ein Wohnsitz (§ 8 AO) nicht vorliegt. Von Bedeutung ist hier u.a., ob A jederzeit Zugang zu den Räumlichkeiten im Hause seiner Eltern hatte, etwa weil ihm auf Dauer die Schlüssel zu jederzeitigen Benutzung des Hauses überlassen wurden, oder ob er sich jedes Mal zu Besuchszwecken anmelden musste. Von Bedeutung ist ferner, ob die während seines Aufenthaltes benötigten Kleidungsstücke und Toilettenartikel auf Dauer im „Kinderzimmer“ deponiert waren oder ob A jedes Mal bei seiner Anreise nach Deutschland „aus dem Koffer“ lebte. Sollten die Ermittlungen ergeben, etwa durch Vernehmung der Eltern und von Nachbarn, dass A sich tatsächlich nur zu Besuchszwecken im vorgenannten Sinne aufhielt, dann hatte A insoweit keine Wohnung inne5 mit der Folge, dass eine unbeschränkte Steuerpflicht und somit insoweit der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht gegeben ist. Dass das Haus der Eltern als Postadresse des A für Zwecke seiner gewerblichen Tätigkeit diente, führt auch nicht zur beschränkten Steuerpflicht, insbesondere schon deshalb nicht, weil eine derartige Postadresse als bloßer „Briefkasten“ keine Betriebsstätte ist und somit keinen Anknüpfungspunkt für die beschränkte Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) im Inland darstellt. Gleiches gilt für den Fall, dass A in den Räumlichkeiten der Eltern, die ihm zu Besuchszwecken überlassen wurden, Telefongespräche mit Geschäftsfreunden führte, da ihm insoweit die für die Bejahung einer inländischen Be-

1 Anders bei Dauernutzung bestimmter Hotelzimmer FG Münster v. 22.2.1984 – V 2216/83 U, EFG 1984, 636; FG Rheinland-Pfalz v. 24.4.1998 – 4 K 2608/95, EFG 1998, 1182; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5. 2 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 24.7.1996 – I R 74/95, BStBl. II 1997, 132; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; BFH v. 21.3.2003 – III B 123/02, BFH/NV 2003, 944; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 2; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. B 87. 3 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153. 4 Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 74. 5 BFH v. 17.3.1961 – VI 185/60 U, BStBl. III 1961, 298; BFH v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687; FG Bremen v. 27.7.1989 – II 246/85 K, EFG 1990, 93; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 7.

912 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.244 Kap. 16

triebsstätte erforderliche Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten fehlte.1 Sollte sich indessen erweisen, dass sich A in den Räumen des Hauses seiner Eltern nicht nur zu Besuchszwecken – „als Gast“ – aufhielt, die Räumlichkeiten ihm also als eigene Wohnung zuzurechnen sind, unterliegt A mit seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb und den Einkünften aus Kapitalvermögen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht, ohne dass abkommensrechtliche Schrankenwirkungen dem entgegenstünden.2 Soweit allerdings in Hongkong auf die dort erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen Steuern entrichtet worden sind, sind diese auch auf die deutsche Einkommensteuer anrechenbar (§ 34c Abs. 1, § 34d Nr. 2 Buchst. a, § 32d Abs. 5 EStG). Da A keine Einkommensteuererklärungen abgegeben hat, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gegeben, wobei bei der Frage, welcher Steuerbetrag verkürzt worden ist, die im Ausland gezahlten anrechenbaren Steuern zu berücksichtigen sind.3 Da A jedenfalls im Inland keine Betriebsstätte hatte, unterliegen die im Ausland erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb nicht der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 9 Nr. 3 GewStG). Schließlich sind die von A im Ausland erzielten Umsätze als sonstige Leistungen nicht steuerbar (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Im Hinblick darauf ist insoweit der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht gegeben. b) Gewöhnlicher Aufenthalt im Inland Gem. § 9 Satz 1 AO hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Damit knüpft der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ebenso wie der Wohnsitzbegriff an äußere Merkmale an. Auf einen entsprechenden Willen des Steuerpflichtigen kommt es nicht an.4 Daher kann auch ein Zwangsaufenthalt, etwa im Gefängnis5 oder im Krankenhaus,6 zu einem gewöhnlichen Aufenthalt führen.

16.242

§ 9 Satz 1 AO verlangt einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt. Hierfür ist eine körperliche Anwesenheit für einen längeren Zeitraum an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Gebiet erforderlich.7 Hieraus folgt, dass auch ein wechselnder Aufenthalt an verschiedenen Orten im Bundesgebiet nach § 9 Satz 1 AO einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann.8

16.243

Im Wege des Umkehrschlusses aus § 9 Satz 2 AO ergibt sich, dass eine Aufenthaltsdauer von mehr als sechs Monaten nicht erforderlich ist, um einen gewöhnlichen Aufenthalt nach Maßgabe des § 9 Satz 1 AO zu begründen. In diesem Fall muss aber erkennbar gewesen sein, dass der Steuerpflichtige sich ursprünglich länger als sechs Monate im Inland aufhalten wollte.9 Im

16.244

1 Zum Erfordernis der Verfügungsmacht Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 11 ff.; Schaumburg in Schaumburg Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.166, jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung. 2 Hongkong ist nicht in das DBA-China einbezogen. 3 Das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht; vgl. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 105; Rolletschke, wistra 2006, 471 (472); vgl. auch Rz. 11.256 ff. 4 Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 2. 5 BFH v. 14.11.1986 – VI B 97/86, BFH/NV 1987, 262. 6 BFH v. 23.7.1971 – III R 60/70, BStBl. II 1971, 758; hier greift aber ggf. § 9 Satz 3 AO ein. 7 BFH v. 3.8.1977 – I R 210/75, BStBl. II 1978, 118; BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956, BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001. 8 Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 5; Musil in H/H/Sp, § 9 AO Rz. 19; für Zwecke der unbeschränkten Steuerpflicht wird das gesamte Inland als „Gebiet“ angenommen. 9 BFH v. 3.8.1977 – I R 210/75, BStBl. II 1978, 118; BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956.

Schaumburg/Häck | 913

Kap. 16 Rz. 16.244 | Ertragsteuerrecht

Hinblick darauf wird in der Besteuerungspraxis bei einer kürzeren Aufenthaltsdauer ein gewöhnlicher Aufenthalt nur ausnahmsweise angenommen werden können.1

16.245

Die Umstände des Aufenthalts müssen erkennen lassen, dass sich die betreffende Person nicht nur vorübergehend im Inland aufhält. Diese Voraussetzung ist insbesondere nicht bei Personen erfüllt, die im Inland eine Tätigkeit ausüben und täglich in ihre im Ausland gelegene Wohnung zurückkehren. Daher ist ein gewöhnlicher Aufenthalt bei ausländischen Grenzgängern stets zu verneinen.2 Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Arbeitnehmer oder um selbständige Unternehmer handelt.3 Wer allerdings regelmäßig an Arbeitstagen am inländischen Arbeits-/Geschäftsort übernachtet und sich nur am Wochenende bzw. an Feiertagen und im Urlaub zu seinem ausländischen Wohnsitz begibt, hat jedenfalls einen inländischen gewöhnlichen Aufenthalt.4

16.246

Im Hinblick darauf, dass die Begriffsmerkmale vorübergehender Aufenthalt und Begleitumstände des Aufenthalts sehr unscharf sind, enthält § 9 Satz 2 AO die Bestimmung, dass als gewöhnlicher Aufenthalt im Inland stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist. Sobald die Sechsmonatsfrist überschritten ist, wird der gewöhnliche Aufenthalt auf den Beginn zurückbezogen. § 9 Satz 2 AO regelt, dass kurzfristige Unterbrechungen, etwa zu Urlaubszwecken, unberücksichtigt bleiben mit der Folge, dass sie einerseits nicht zu einer Neuberechnung der Sechsmonatsfrist führen und andererseits bei der Berechnung der Sechsmonatsfrist nicht mit einzubeziehen sind.5 Die Sechsmonatsfrist6 muss nicht zur Gänze in ein Kalenderjahr fallen.7

16.247

§ 9 Satz 3 AO ist eine Sondervorschrift im Verhältnis zu § 9 Satz 2 AO, sodass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht anzunehmen ist, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken erfolgt und nicht länger als ein Jahr dauert. Damit wird die Sechsmonatsfrist für die vorgenannten Zwecke auf ein Jahr ausgedehnt. Das gilt allerdings nur, wenn die Sechsmonatsfrist (§ 9 Satz 2 AO) noch nicht abgelaufen ist, sodass die Jahresfrist nicht eingreift, wenn sich etwa ein zweimonatiger Erholungsaufenthalt an einen siebenmonatigen Geschäftsaufenthalt im Inland anschließt.8

16.248

Unter strafrechtlichen Gesichtspunkten sind insbesondere solche Fälle von Bedeutung, in denen im Ausland wohnende Personen im Inland tätig sind, ohne hierbei einen Wohnsitz zu begründen. Beispiel: B ist Unternehmensberater und wohnt seit vielen Jahren in Monaco, wo er mit seinen Einkünften nur einer ganz geringen Besteuerung unterliegt. B berät u.a. deutsche Unternehmen. Die Beratung erfolgt vor Ort in den Geschäftsräumen der betreffenden auftraggebenden Unternehmen, in 1 Vgl. AEAO zu § 9 AO Tz.1. 2 BFH v. 10.5.1989 – I R 50/85, BStBl. II 1989, 755; BFH v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687; BFH v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; BFH v. 10.8.1983 – I R 241/82, BStBl. II 1984, 11; BFH v. 5.2.1965 – VI 334/63 U, BStBl. III 1965, 352; BFH v. 9.2.1966 – I 244/63, BStBl. III 1966, 522; BFH v. 1.3.1963 – VI 119/61 U, BStBl. III 1963, 212. 3 BFH v. 6.2.1985 – I R 23/82, BStBl. II 1985, 331; AEAO zu § 9 AO Tz. 2. 4 BFH v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; AEAO zu § 9 AO Tz. 2. 5 BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001, Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 10, 11; Lampert in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 2.36. 6 Berechnung nach §§ 187 ff. BGB. 7 BFH v. 19.8.1981 – I R 51/78, BStBl. II 1982, 452. 8 Zu Einzelheiten Musil in H/H/Sp, § 9 AO Rz. 41.

914 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.249 Kap. 16 denen er für deren Angestellte Schulungsmaßnahmen durchführt, die in aller Regel nicht länger als fünf Tage dauern. Die Schulungsmaßnahmen werden in von den Unternehmen zur Verfügung gestellten Tagungsräumen durchgeführt. Aufgrund bundesweit durchgeführter Fahndungsmaßnahmen wird festgestellt, dass B sich Jahr für Jahr in einem zusammenhängenden Zeitraum von zwischen 100 und 150 Tagen bei verschiedenen Unternehmen an verschiedenen Orten für Beratungszwecke aufgehalten hat. Während dieser Zeit übernachtete er in entsprechenden Hotels. In einem Jahr musste sich B einer Operation unterziehen. Er hielt sich im Inland in einer Universitätsklinik und anschließend in einem Sanatorium für insgesamt 60 Tage auf. In dem betreffenden Jahr betrug der berufsund krankheitsbedingte Aufenthalt zusammenhängend insgesamt 200 Tage. B hat in allen Jahren keine Steuererklärungen abgegeben.

Da A sich im Inland lediglich in verschiedenen Hotels und darüber hinaus in einem Krankenhaus und Sanatorium aufgehalten hat, hat er insoweit keinen Wohnsitz (§ 8 AO) begründet. Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) kann daher nur der gewöhnliche Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland sein. Aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung ist davon auszugehen, dass sich B auch nicht länger als sechs Monate im Inland aufhalten wollte, sodass in den Zeiträumen, in denen B sich tatsächlich weniger als sechs Monate aufgehalten hat, ein gewöhnlicher Aufenthalt zu verneinen ist.1 Obwohl B sich in dem Jahr, in dem er sich einer Operation unterzogen hat, länger als sechs Monate im Inland aufhielt, ist ein gewöhnlicher Aufenthalt gleichwohl zu verneinen, weil der Aufenthalt insgesamt nicht länger als ein Jahr dauerte und die maßgebliche Sechs-Monats-Frist (§ 9 Satz 2 AO) ausschließlich aus Gründen der Erholung2 überschritten wurde (§ 9 Satz 3 AO).3 Damit ergibt sich, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb des B im Rahmen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG) nicht erfasst werden können. Dies gilt auch für die beschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG). Dies deshalb, weil es an einem inländischen Anknüpfungspunkt für die Besteuerung fehlt, insbesondere eine inländische Betriebsstätte des B nicht gegeben ist (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Die für die Betriebsstätte (§ 12 AO) maßgebliche Geschäftseinrichtung oder Anlage muss nämlich in der Verfügungsmacht des betreffenden Unternehmers stehen,4 was dann nicht der Fall ist, wenn wie hier die gewerbliche Tätigkeit in Räumlichkeiten eines anderen Unternehmens ausgeübt wird, in denen hierfür Arbeitsplätze von Fall zu Fall zugewiesen werden.5 Unter den vorgenannten Gesichtspunkten scheidet somit eine Besteuerung im Inland aus, obwohl B seine gewerblichen Einkünfte durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit erzielt.6 Sollten allerdings die Ermittlungen ergeben, dass B als deutscher Staatsangehöriger in den letzten zehn Jahren seinen inländischen Wohnsitz aufgegeben und dadurch aus der unbeschränkten Steuerpflicht ausgeschieden ist, kommt eine erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 2 AStG) in Betracht. Diese erweiterte beschränkte Steuerpflicht gilt für natürliche Personen, die in ein Niedrigsteuerland ausgewandert sind und in den letzten zehn Jahren davor insgesamt fünf Jahre lang als deutsche Staatsangehörige unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die erweiterte beschränkte Steuer1 Vgl. AEAO zu § 9 AO Tz. 1. 2 Hierzu zählt auch die Gesundung; Musil in H/H/Sp, § 9 AO Rz. 41. 3 Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 13; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 76; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.24. 4 BFH v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365; BFH v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166; BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462; BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12; BFH v. 23.5.2002 – III R 8/00, BStBl. II 2002, 512; a.A. Wassermeyer in FS Kruse, 2001, 590 (595 f.). 5 BFH v. 30.10.1996 –- II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. 6 Zur lückenhaften Anknüpfung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.193.

Schaumburg/Häck | 915

16.249

Kap. 16 Rz. 16.249 | Ertragsteuerrecht

pflicht wird sodann für weitere zehn Jahre aufrechterhalten. Hierbei gilt die Besonderheit, dass in dem Fall, dass die Einkünfte weder durch eine ausländische Betriebsstätte noch durch einen in einem ausländischen Staat tätigen ständigen Vertreter erzielt werden, eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte fingiert wird (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AStG).1 Auf dieser Grundlage ist zwar der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung zu bejahen, angesichts der mehr als verworrenen Rechtslage2 wird ein vorsätzliches Handeln wohl nicht nachzuweisen sein.

16.250

Da die Fiktion des § 2 Abs. 1 Satz 2 AStG – inländische Betriebsstätte – nicht für die Gewerbesteuer gilt, scheidet eine Gewerbesteuerpflicht aus (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 9 Nr. 3 GewStG). Demgegenüber fällt Umsatzsteuer an, weil die seitens des B erbrachten Umsätze als sonstige Leistungen im Inland steuerbar und steuerpflichtig sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Satz 1 UStG). Insoweit ist jedenfalls der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. c) Ansässigkeit im Inland

16.251

In den Fällen, in denen natürliche Personen in zwei Staaten unbeschränkt steuerpflichtig sind, beurteilt sich abkommensrechtlich die Ansässigkeit, die immer nur in einem oder in dem anderen Staat sein kann, nach der im Art. 4 Abs. 2 OECD-MA verankerten tie-breakerrule.3 Hierfür sind fünf Kollisionsstufen maßgeblich.

16.252

Ist eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten aufgrund ihres Wohnsitzes oder ihres ständigen Aufenthaltes unbeschränkt steuerpflichtig und damit nach der Grundregel in beiden Vertragsstaaten ansässig, so entscheidet auf der ersten Kollisionsstufe die ständige Wohnstätte über die Ansässigkeit und damit über die Steuerberechtigung als Wohnsitzstaat. Da der Begriff „ständige Wohnstätte“ nicht identisch ist mit „Wohnsitz“, vielmehr einen besonders qualifizierten Wohnsitz meint, den die natürliche Person nicht nur gelegentlich und auch nicht nur zu vorübergehenden Zwecken nutzt,4 bietet die ständige Wohnstätte nicht nur die Lösung für die Kollisionspaare Wohnsitz/ständiger Aufenthalt, sondern auch für den Fall, dass die natürliche Person in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz unterhält.

16.253

Verfügt die natürliche Person in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte, so orientiert sich auf einer zweiten Kollisionsstufe die Abgrenzung zwischen Wohnsitzstaat einerseits und Quellenstaat andererseits am Mittelpunkt der Lebensinteressen der abkommensberechtigten Person. Danach ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, zu dem die natürliche Person die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen unterhält.5 Hin1 Eingeführt durch das JStG 2009 v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794; Nichtanwendungsgesetz gegen BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398; zur Kritik an der gesetzlichen Neuregelung Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 144. 2 § 2 Abs. 1 Satz 2 AStG läuft leer, weil nach der Rechtsprechung des BFH im Zweifel auch am ausländischen Wohnsitz eine Betriebsstätte gegeben ist; zu Einzelheiten Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 144. 3 Vgl. zum Folgenden Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.202 ff.; ferner Rz. 16.227. 4 BFH v. 23.10.1985 – I R 274/82, BStBl. II 1986, 133; BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562; BFH v. 16.12.1998 – I R 40/97, BStBl. II 1999, 207; Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 180 ff.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 33, 53 ff.; M. Frotscher in Haase3, Art. 4 OECD-MA Rz. 103. 5 Zum Begriff im Einzelnen Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 66 ff.; Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 192 ff.; Pohl in S/D, DBA2, Art. 4 OECD-MA Rz. 76 ff.

916 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.256 Kap. 16

sichtlich der persönlichen Beziehungen ist abzustellen auf die gesamte private Lebensführung, insbesondere auf das familiäre, gesellschaftliche, politische und kulturelle Umfeld.1 Demgegenüber kommt es im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Beziehungen darauf an, von wo aus die natürliche Person ihrer täglichen Arbeit nachgeht und wo ihr Vermögen und ihre Einkünfte verwaltet werden.2 Der Mittelpunkt der Lebensinteressen in einem Vertragsstaat erfordert nicht, dass zu diesem persönliche und wirtschaftliche Beziehungen kumulativ vorliegen müssten. Hat die Person die engeren persönlichen Beziehungen zu einem Vertragsstaat und die wirtschaftlichen Beziehungen3 dagegen zu dem anderen Vertragsstaat, so liegt der Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem Vertragsstaat, zu dem die Beziehungen für die natürliche Person bedeutungsvoller sind.4 Hat die abkommensberechtigte Person in beiden Vertragsstaaten eine ständige Wohnstätte, kann aber nicht festgestellt werden, in welchem Staat sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte, so ist auf einer dritten Kollisionsstufe auf den gewöhnlichen Aufenthalt der natürlichen Person abzustellen. Der Begriff gewöhnlicher Aufenthalt ist nicht im Rückgriff auf innerstaatliches Recht (§ 9 AO), sondern in Abgrenzung zu den anderen Kollisionsmerkmalen autonom auszulegen.5 Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person wird hierbei in dem Vertragsstaat liegen, in dem sie überwiegend lebt.6

16.254

Hat die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragsstaaten oder in keinem von beiden, so ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie hat. Für dieses auf der vierten Kollisionsstufe maßgebliche Abgrenzungskriterium ist auf das innerstaatliche Recht desjenigen Vertragsstaates zurückzugreifen, dessen Staatsangehörigkeit die natürliche Person besitzt.7

16.255

Hat die natürliche Person schließlich die Staatsangehörigkeit beider Vertragsstaaten oder keines dieser Staaten, so entscheidet auf einer fünften Kollisionsstufe das gegenseitige Einvernehmen der beiden Vertragsstaaten darüber, wer Wohnsitzstaat und wer Quellenstaat ist. Es handelt sich hierbei um ein Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA), dass eine Modifikation dahin gehend erfährt, dass die Vertragsstaaten sowohl zur Einleitung als auch zu einer Einigung verpflichtet sind, weil andernfalls das DBA nicht anwendbar wäre.8

16.256

1 Hierzu im Einzelnen Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 192; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 69; Pohl in S/D, DBA2, Art. 4 OECD-MA Rz. 79. 2 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 194; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 69; Pohl in S/D, DBA2, Art. 4 OECD Rz. 80. 3 Nur gegenwartsbezogene wirtschaftliche Beziehungen, die sich voraussichtlich in Zukunft abbauen werden, fallen nicht stark ins Gewicht, BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562. 4 BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562; BFH v. 23.7.1971 – III R 60/70, BStBl. II 1971, 758; Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 195; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 71; vgl. auch BFH v. 25.9.2007 – I B 84/06, BFH/NV 2008, 226. 5 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 203; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 74; Pohl in S/D, DBA2, Art. 4 OECD-MA Rz. 85. 6 Zu weiteren Einzelheiten Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 74 ff. 7 Art. 4 Abs. 2 Buchst. c i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. g OECD-MA; im Einzelnen Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 208; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 80 f.; Pohl in S/D, DBA2, Art. 4 OECD-MA Rz. 95. 8 Ein Zwang zur Einigung besteht sonst nicht; Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 210; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 84; M. Frotscher in Haase3, Art. 4 OECD-MA Rz. 115.

Schaumburg/Häck | 917

Kap. 16 Rz. 16.256 | Ertragsteuerrecht Beispiel: C, der schweizerischer Staatsbürger ist, bewohnt in Zug ein größeres Anwesen und ist somit in der Schweiz unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Da er in Deutschland in einem Großunternehmen zu Beginn des nächsten Jahres eine Vorstandsposition übernimmt, mietet er sich ab Anfang November des laufenden Jahres für zwei Monate in eine sehr kleine, möblierte Wohnung in Deutschland ein, um sich dort auf seine künftige Vorstandsposition vorzubereiten und den Umzug in ein noch zu erwerbendes Einfamilienhaus in der Nähe des künftigen Arbeitsortes in die Wege zu leiten. Um den Kaufpreis für dieses Einfamilienhaus zu finanzieren, veräußert er noch im Dezember des laufenden Jahres seine bislang an einer schweizerischen Kapitalgesellschaft gehaltenen Anteile (30%). Im Januar des nächsten Jahres zieht er zusammen mit seiner Familie in das neue Einfamilienhaus ein. Seine möblierte Wohnung hat er der zuständigen Meldebehörde nicht gemeldet. Darüber hinaus hat er für das laufende Jahr keine Steuererklärungen abgegeben. Im Zuge der Einkommensteuerveranlagung für das nächste Jahr erfährt das zuständige Finanzamt, dass C aufgrund der Veräußerung seiner Kapitalanteile einen erheblichen Veräußerungsgewinn erzielt hat. Daraufhin wird gegen C ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet.

16.257

Da auch eine möblierte Wohnung einen Wohnsitz (§ 8 AO) begründet,1 ist C seit der Anmietung unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 EStG). Dass er sich bei der Meldebehörde nicht gemeldet hat, spielt für die Frage, ob eine Wohnung gegeben ist oder nicht, keine Rolle. Als Folge der unbeschränkten Steuerpflicht im laufenden Kalenderjahr ergibt sich, dass im Grundsatz das gesamte Welteinkommen der Besteuerung zu unterwerfen ist. Hierzu zählen auch die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der schweizerischen Kapitalgesellschaft (§ 17 Abs. 1 EStG). Gegen diese Besteuerung sind allerdings die Schrankenwirkungen des deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet. Da C wegen seines dortigen Wohnsitzes auch in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig ist, hängt die Reichweite der abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen davon ab, ob C in der Schweiz oder in Deutschland ansässig ist. Aufgrund der in Art. 4 Abs. 2 DBA-Schweiz verankerten tie-breaker-rule ist zunächst darauf abzustellen, wo C über eine ständige Wohnstätte verfügt. Damit ist ein besonders qualifizierter Wohnsitz gemeint, der aufgrund einer langfristigen Rechtsposition ständig genutzt werden kann und tatsächlich regelmäßig genutzt wird.2 Da die möblierte Wohnung in Deutschland nur für einen kurzen Zeitraum zur Verfügung steht, ist hier keine „ständige Wohnstätte“ gegeben, so dass A abkommensrechtlich in der Schweiz ansässig ist und auch eine „überdachende“ Besteuerung Deutschlands i.S.d. Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz ausscheidet. Insoweit sind die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an einer schweizerischen Kapitalgesellschaft von deutscher Steuer freizustellen (Art. 13 Abs. 3 DBA-Schweiz). Vor diesem Hintergrund ist bereits der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben.

16.258

Hätte A die Anteile erst im folgenden Jahr nach Umzug seiner Familie in das deutsche Einfamilienhaus veräußert, hätte Deutschland gem. § 17 Abs. 1 EStG und ohne Beschränkung durch das DBA-Schweiz den Gewinn aus der Differenz zwischen Verkaufspreis und historischen Anschaffungskosten besteuern können. Bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns (§ 17 Abs. 1 EStG) müsste Deutschland nicht den Verkehrswert der Anteile im Zeitpunkt des zuzugsbedingten Wechsels in der Ansässigkeit von der Schweiz als Anschaffungskosten heranziehen. Insoweit setzen sowohl § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG als auch Art. 13 Abs. 5 DBASchweiz (sog. Wegzugsklausel) voraus, dass die bis zum Zuzug entstandenen stillen Reserven in den Anteilen im Wegzugsstaat (Schweiz) einer Wegzugsbesteuerung unterlegen haben. Die Schweiz kennt jedoch keine solche Wegzugsbesteuerung. 1 BFH v. 22.3.1966 – I 65/63, BStBl. III 1966, 463; BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; FG Bremen v. 27.7.1989 – II 246/85 K, EFG 1990, 93; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5. 2 Vgl. BFH v. 5.6.2007 – I R 22/06, BStBl. II 2007,812. Zur ständigen Wohnstätte im Einzelnen Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 180 f.

918 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.260 Kap. 16

XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften Literatur (ab 2006): Kommentare zu § 1 KStG, zum UmwStG, zur SE-VO und zu Art. 4 Abs. 3 OECD-MA; Haslinger, Der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung als Tie-Breaker nach Art. 4 Abs. 3 OECD-MA und seine in Diskussion befindlichen Reformen, in Lang/Schuch/Staringer, Die Ansässigkeit im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2008, 33; Kahle/Cortez, Zuzug von Kapitalgesellschaften im Ertragsteuerrecht, FR 2014, 672; Kaminski/Strunk, Ansässigkeit und Vermeidung der Doppelbesteuerung nach Abkommensrecht, IStR 2007, 189; Rödder, Steuerorientierte Überlegungen beim Wegzug und Zuzug von Unternehmen, Ubg 2009, 597; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 7.62 ff.; Schnitger, Fragestellungen zur steuerlichen Behandlung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften, IStR 2013, 82; Schnittker/Pitzal, Wegzug und Zuzug, in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2013, Rz. 10.104 ff.

1. Überblick Beim Zuzug von Kapitalgesellschaften geht es in der Praxis im Wesentlichen um den Fall, dass ein nach ausländischem Recht errichteter Rechtsträger seine Geschäftsleitung (§ 10 AO) in das Inland verlegt. Darüber hinaus ist aber auch der Fall von Bedeutung, dass eine nach inländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft ihre Geschäftsleitung vom Ausland in das Inland (zurück-)verlegt. Schließlich ist auch die Verlegung des Satzungssitzes (§ 11 AO) vom Ausland in das Inland denkbar, was allerdings derzeit aus Gründen des Gesellschaftsrechts nur in bestimmten Fällen möglich ist.1 Zuzugsbedingt erfolgt in den vorgenannten Fällen zumeist ein Wechsel von der beschränkten (§ 2 Nr. 1 KStG) in die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG) mit der Folge, dass nunmehr im Grundsatz das gesamte Welteinkommen der Besteuerung unterliegt (§ 1 Abs. 2 KStG). Wurden vor dem Zuzug keine inländischen Einkünfte (§ 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) erzielt, wird zuzugsbedingt die deutsche Steuerpflicht erstmals begründet. Soweit Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung kommen, gilt als Zuzug auch der Fall, dass etwa durch Verlegung der Geschäftsleitung einer nach inländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft in das Inland abkommensrechtlich eine inländische Ansässigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) begründet wird. Als Folge der inländischen Ansässigkeit ergibt sich, dass Deutschland als sog. Wohnsitzstaat im Unterschied zum ausländischen Quellenstaat die vorrangige Besteuerung hat. Soweit dem Quellenstaat abkommensrechtlich die Steuerberechtigung nicht genommen ist, tritt allerdings der Wohnsitzstaat mit seiner Besteuerung zurück, indem er die Doppelbesteuerung entweder durch Steuerfreistellung oder durch Steueranrechnung zu vermeiden hat.

16.259

Gesetzlich geregelt ist bisher2 nur der Zuzug einer SE (Art. 7 SE-VO) und einer SCE (Art. 6 SCE-VO) innerhalb der EU. Es handelt sich hierbei um einen simultanen Zuzug, sodass sowohl Satzungs- als auch Verwaltungssitz (Ort der Geschäftsleitung) sich stets in ein und demselben Mitgliedstaat befinden müssen. Da es keine weitergehenden europaweit geltenden Re-

16.260

1 Vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411; OLG Nürnberg v. 13.2.2011 – 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572; Ausnahme: Zuzug einer SE oder SCE gem. Art. 7 SE-VO oder Art. 6 SCE-VO; ferner für den formwechselnden Zuzug OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349. 2 Die MobilRL (Richtlinie [EU] 2019/2121, ABl. EU 2019 Nr. L 321, 1) sieht nun normative Regeln auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel vor (dazu Bayer/Schmidt, BB 2019, 1922 [1925 ff.]). Die Mitgliedstaaten haben entsprechende Regelungen bis zum 23.1.2023 umzusetzen. Zum grenzüberschreitenden Formwechsel ausf. Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.101 ff.

Schaumburg/Häck | 919

Kap. 16 Rz. 16.260 | Ertragsteuerrecht

gelungen gibt,1 kommt es für die rechtliche Möglichkeit eines Zuzugs aus der Sicht Deutschlands als Zuzugsstaat auf das zur Anwendung kommende Internationale Privatrecht (Gesellschaftsstatut) an. Hiernach gilt: Verlegt eine nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft den Verwaltungssitz (Ort der Geschäftsleitung) in das Inland, verliert die Gesellschaft die Rechtsfähigkeit, weil diese die Eintragung ins deutsche Handelsregister voraussetzt, was für Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts (noch) ausgeschlossen ist.2 Eine ursprünglich rechtsfähige Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts mutiert daher durch Zuzug zu einer nicht rechtsfähigen Personenvereinigung.3 Für den Zuzug aus EU-/EWR-Staaten gilt indessen in Orientierung an der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) im Ergebnis die Gründungstheorie mit der Folge, dass die Rechtsfähigkeit der zuziehenden Gesellschaft im Zuzugsstaat anerkannt werden muss.4

16.261

Die durch das Gesellschaftsstatut geprägten rechtlichen Vorgaben spielen indessen für die Steuersubjektqualifikation zuziehender, nach ausländischem Recht errichteter Kapitalgesellschaften keine Rolle, weil auch derartige Gesellschaften von § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG ohne Rücksicht darauf erfasst werden, ob sie im Inland Rechtsfähigkeit erlangt haben oder nicht. Entscheidend ist allein, dass die nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft aufgrund des maßgeblichen Typenvergleichs einer deutschen Kapitalgesellschaft entspricht.

16.262

Die zuzugsbedingte Begründung der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht erfüllt keinen Steuertatbestand.5 Insbesondere tritt zuzugsbedingt kein steuerlicher Rechtsträgerwechsel ein mit der Folge, dass insoweit auch eine Gewinnrealisierung unterbleibt.6 Entsprechendes gilt auch in den Fällen, in denen zuzugsbedingt zwar keine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht, abkommensrechtlich aber eine inländische Ansässigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) begründet wird. Dass der Zuzug selbst keine inländische Besteuerung auslöst, beruht auf § 1

1 Vgl. allerdings den Vorentwurf für eine gesellschaftsrechtliche Sitzverlegungsrichtlinie, ZIP 1997, 1721 ff.; ZIP 1999, 157. Die MobilRL (Richtlinie [EU] 2019/2121, ABl. EU 2019 Nr. L 321, 1) sieht nun normative Regeln auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel vor (dazu Bayer/ Schmidt, BB 2019, 1922 [1925 ff.]). Die Mitgliedstaaten haben entsprechende Regelungen bis zum 23.1.2023 umzusetzen. 2 Vgl. allerdings EuGH v. 12.7.2012 – C 278/10, ECLI:EU:C:2012:440 – VALE Építési, ZIP 2012, 1394, wonach eine identitätswahrende Sitzverlegung als grenzüberschreitender Formwechsel primärrechtlich geboten ist, und in der Folge OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349, wonach der formwechselnde Zuzug auch nach unionskonformem nationalem Recht für zulässig gehalten wird; vgl. Bayer/Schmidt, ZIP 2013, 1481 ff. Zum grenzüberschreitenden Formwechsel ausf. Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 20.101 ff. 3 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411; hierzu Hilgert/Illmer, NZG 2009, 94 ff.; Gottschalk, ZIP 2009, 948 ff. 4 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 – Centros, FR 1999, 449 m. Anm. Dautzenberg; EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 – Überseering; EuGH v. 30.1.2003 – C167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Inspire Art; die vorgenannten Fälle betreffen nur den Zuzug einer unter dem Recht der Gründungstheorie errichteten Gesellschaft; im Ergebnis dürfte aber nichts anderes gelten für den Zuzug einer unter dem Recht der Sitztheorie errichteten Gesellschaft; hierzu Schaumburg in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (413); Schaumburg, DK 2005, 347 (349); Hey, DK 2004, 577 (582). 5 Jochum in Habersack/Drinhausen, SE-Recht2, „Steuerrecht der SE“, Rz. 135; s. auch Schön in Lutter/Hommelhoff/Teichmann2, SE-Kommentar, Anhang D „Steuerrecht“, Rz. 30; Schulz/Petersen, DStR 2002, 1504 (1513); Kahle/Cortez, FR 2014, 673 (684). 6 Hierzu Schaumburg, DK 2005, 341 (351).

920 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.266 Kap. 16

Abs. 1 Nr. 1 KStG, wonach Kapitalgesellschaften unabhängig davon, ob sie nach in- oder ausländischem Recht errichtet sind, als Steuersubjekte erfasst werden. Unerheblich ist daher auch, ob die zuziehende Kapitalgesellschaft zuzugsbedingt die Rechtsfähigkeit verliert. Durch den Eintritt in die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht erfolgt allerdings eine Steuerverstrickung, sodass nunmehr die dem deutschen Steuerzugriff ausgesetzten Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens der zuziehenden Kapitalgesellschaft mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Der gemeine Wert ist hierbei sowohl für materielle als auch für immaterielle Wirtschaftsgüter einschließlich des Geschäftswerts anzusetzen (zu Einzelheiten Rz. 14.71 f.). Diese Rechtsfolge tritt auch in dem Fall ein, in dem eine nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaft den Ort der Geschäftsleitung vom Ausland in das Inland verlegt und hierdurch abkommensrechtlich im Inland ansässig wird (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA).

16.263

Gehören die Anteile an der zuziehenden Kapitalgesellschaft zu einem inländischen Betriebsstättenvermögen des Gesellschafters, sind die Anteile zum gemeinen Wert anzusetzen, falls zuzugsbedingt deutsches Besteuerungsrecht begründet wird (§ 4 Abs. 1 Satz 8, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG, § 8 Abs. 1 KStG).1 Eine derartige Verstrickung wird in der Praxis nur selten vorkommen, etwa dann, wenn mit dem Zuzug der Kapitalgesellschaft auch ein Zuordnungswechsel der Anteile von einem ausländischen zu einem inländischen Betriebsstättenvermögen des Gesellschafters verbunden ist, soweit vor dem Zuzug abkommensrechtlich die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile der deutschen Besteuerung entzogen waren (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). Sind die Anteile Privatvermögen des Gesellschafters, unterbleibt mangels gesetzlicher Regelung2 ein Ansatz mit dem gemeinen Wert. Betroffen sind hierdurch insbesondere beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter im Falle des Zuzugs einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft: Greift kein DBA ein, sind die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile uneingeschränkt der beschränkten Steuerpflicht unterworfen, wobei für die Berechnung des Veräußerungsgewinns auf die historischen Anschaffungskosten abzustellen ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa, § 17 Abs. 1, 2 EStG).

16.264

2. Pflichtenkreis Der Zuzug, insbesondere also die Verlegung der Geschäftsleitung in das Inland, ist seitens der zuziehenden Kapitalgesellschaft gleichermaßen dem zuständigen Finanzamt und der Gemeinde anzuzeigen (§ 137 AO). Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob etwa durch Verlegung der Geschäftsleitung in das Inland die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht oder die abkommensrechtliche Ansässigkeit im Inland begründet wird. Zugleich hat die zugezogene Kapitalgesellschaft gegenüber der zuständigen Gemeinde ihre inländische Erwerbstätigkeit innerhalb eines Monats anzuzeigen (§ 138 Abs. 1, 4 AO).

16.265

Mit dem Eintritt in die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht entstehen, soweit nicht bereits zuvor beschränkte Steuerpflicht gegeben war, entsprechende Steuererklärungspflichten (§§ 149 ff. AO, § 31 Abs. 1a KStG). Für Zwecke der Körperschaftsteuervorauszahlungen bestehen allerdings keine Erklärungspflichten. Damit ergibt sich, dass eine Vorauszahlungspflicht erst aufgrund einer Steuerfestsetzung durch Vorauszahlungsbescheid (vgl. § 30 Nr. 2 KStG) entsteht, obwohl von Gesetzes wegen die Körperschaftsteuervorauszahlungen zuvor

16.266

1 Ritzer in R/H/vL3, Anh. 6 Rz. 145. 2 § 17 Abs. 2 Sätze 3 ff. EStG betrifft nur den Zuzug des Gesellschafters.

Schaumburg/Häck | 921

Kap. 16 Rz. 16.266 | Ertragsteuerrecht

entstanden waren und fällig wurden.1 Die vorstehende Rechtslage gilt auch für die Gewerbesteuer-Vorauszahlungen (§§ 19, 21 GewStG).2 Demgegenüber hat die zuziehende Kapitalgesellschaft für Zwecke der Umsatzsteuer grundsätzlich am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums ohne Aufforderung eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben (§ 18 Abs. 1 Sätze 1 und 4 UStG). Zugleich ist zu diesem Zeitpunkt die Umsatzsteuervorauszahlung fällig (§ 18 Abs. 1 Satz 3 UStG). Entsprechendes gilt auch für die im Übrigen nach dem UStG maßgeblichen Melde- und Erklärungspflichten (z.B. §§ 18a, 18b UStG).

3. Pflichtverletzungen 16.267

In der steuerstrafrechtlichen Praxis sind in dem hier interessierenden Zusammenhang besonders jene Fälle von Bedeutung, in denen sich nachträglich herausstellt, dass nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften tatsächlich den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben und damit mit ihrem gesamten Welteinkommen der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterworfen sind. a) Ort der Geschäftsleitung im Inland

16.268

Nach der Legaldefinition des § 10 AO ist Geschäftsleitung der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Das ist der Ort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird.3 Bei einer an mehreren Orten tätigen Geschäftsführung ist der gem. § 10 AO maßgebliche Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung da, wo sich die in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet.4 Sind kaufmännische und technische Leitung getrennt, ist im Zweifel auf den Ort der kaufmännischen Leitung abzustellen.5 Gibt es mehrere Orte der kaufmännischen Leitung, ist derjenige Ort maßgeblich, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. In der Praxis lässt sich der „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ gerade bei sog. polyzentrischen Unternehmen6 und solchen Unternehmen mit ausgeprägter Matrix-Organisation7 nur sehr schwer feststellen. Es besteht allerdings ein internationaler Konsens, im Zweifel auf den Ort abzustellen, an dem der Vorstand seine Entscheidungen trifft.8 Sind die Vorstände in verschiedenen Staaten ansässig bzw. tätig, kommt es auf den Ort an, an dem die Sitzungen des Vorstandes stattfinden. Ist dies in mehreren Staaten der Fall oder werden sie im Rahmen von Telefon-, Video- oder Internetkonferenzen durchgeführt, wird im Zweifel darauf abgestellt, wo die Mehrheit der Vorstände bzw. Geschäftsführer ihren Dienstsitz oder ihren Wohnsitz haben. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen etwa Handels- und Dienstleistungsunternehmen als sog. virtuelle Unternehmen auf einen zentralen Leitungs- und Produktionsstandort verzichten.9 1 Zur Frage, ob der Vorauszahlungsbescheid konstitutiv wirkt: Lebelt in H/H/R, § 30 KStG Rz. 14; A. Schmidt in H/H/R, § 37 EStG Rz. 25. 2 Sarrazin in Lenski/Steinberg, § 21 GewStG Rz. 2. 3 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622; vgl. zum Folgenden auch Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.2 ff. 4 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 5 BFH v. 3.8.1977 – I R 128/95, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554. 6 Hierzu Raupach in JbFSt 1994/1995, 419 f.; Schaumburg/Schloßmacher in FS Peltzer, 389 ff. 7 Es handelt sich hierbei um Konzernstrukturen, in denen sich vertikale und horizontale Leitungssysteme überlagern. 8 Vgl. Nachweise bei Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 265. 9 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 267 m.w.N.

922 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.270 Kap. 16

Die Ausübung von gesellschaftsrechtlichem Einfluss auf den Vorstand oder die Geschäftsführer, etwa im Rahmen derjenigen Befugnisse, die dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (§ 111 AktG) oder den Gesellschaftern einer GmbH (§ 46 GmbHG) zustehen, hat auf den Ort der Geschäftsleitung grundsätzlich keinen Einfluss.1 Die Einwirkung auf die Geschäftsführung muss vielmehr über die fallweise Beeinflussung hinausgehen und sich auf den täglichen Geschäftsablauf erstrecken. Daher befindet sich bei Organgesellschaften der Ort der Geschäftsleitung nur dann am Ort der Geschäftsleitung des Organträgers, wenn die Organgesellschaft nach Art einer Betriebsabteilung des Organträgers geführt wird.2 Die bloße Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, etwa durch Holdinggesellschaften,3 ist demgegenüber für § 10 AO ebenso wenig von Bedeutung wie der einheitliche Betätigungswille bei Betriebsaufspaltungen.4 Nicht selten werden bei im Ausland domizilierenden Gesellschaften ohne eigenen Geschäftsbetrieb die Geschäfte von den im Inland ansässigen Gesellschaftern oder durch von ihnen bestimmte Personen vom Inland aus dadurch geführt, dass sie über ihre gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten hinaus die tatsächliche Geschäftsführung an sich ziehen. Daher stehen insbesondere „ausländische“ Briefkastengesellschaften, Basisgesellschaften und Holdinggesellschaften aus der Sicht der deutschen Finanzverwaltung in besonderem Maße im Verdacht, im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig zu sein.

16.269

Beispiel: A ist seit vielen Jahren an einer in Zug (Schweiz) domizilierenden Patentverwertungsgesellschaft A-AG beteiligt. Diese Gesellschaft, die über kein eigenes Personal und nicht über Geschäftsräume verfügt, erwirbt von dritten Personen entwickelte Patente und vermarktet sie sodann weltweit. Von den vereinnahmten Lizenzgebühren werden zum Teil in Drittstaaten Quellensteuern einbehalten. Die Patentverwertungsgesellschaft hat in der Schweiz unter Anrechnung ausländischer Quellensteuern Steuern entrichtet. Die Steuerbelastung beträgt vor Anrechnung etwa 10%. Ausschüttungen wurden bislang nicht vorgenommen. A hält die Anteile an der A-AG verdeckt über einen schweizerischen Treuhänder. Als Verwaltungsrat fungiert ein Rechtsanwalt in Zug, der als Domizilhalter für eine Vielzahl vergleichbarer Unternehmen tätig ist. Das zuständige Finanzamt hat von der Beteiligung des A bislang keine Kenntnis. Aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung steht fest, dass A die Geschäfte der A-AG überwiegend vom Inland aus abgewickelt und hier insbesondere Verhandlungen über den Erwerb von Patenten oder der Vergabe von Lizenzen geführt hat. Allerdings fanden auch einige Verhandlungen bei den entsprechenden Geschäftspartnern im Ausland statt. Der zum Verwaltungsrat berufene Domizilhalter wurde in Zug nur auf Anweisung des A tätig. Dort unterschrieb er den Vorgaben entsprechend Verträge, vereinnahmte Lizenzgebühren und führte die gesamte Geschäftskorrespondenz.

Da der Verwaltungsrat nur auf Weisung des A tätig wurde, liegt der Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) der A-AG im Inland. Hier wurde der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet. Dass A bei der A-AG keine Vorstandsposition innehat, ist ohne Bedeutung. Als Folge ergibt sich, dass die A-AG mit ihrem gesamten Welteinkommen der deutschen Körperschaftsteuer unterliegt. Da die A-AG den Sitz in der Schweiz hat, ist sie auch dort unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wegen des Orts der Geschäftsleitung in Deutschland, gilt sie aber als in Deutschland ansässig (Art. 4 Abs. 8 DBA-Schweiz).5

1 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 2 BFH v. 26.5.1970, BStBl. II 1970, 759; Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 6. 3 Hierzu Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 10; Lechner in FS Stoll, 1990, 395 (400). 4 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 8 m.w.N. 5 Dass die A-AG nach internationalem Privatrecht als Personenvereinigung gilt (so BGH v. 27.10.2008 – II 2 R 158/06, ZIP 2008, 2411) ist wegen § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG steuerlich ohne Bedeutung.

Schaumburg/Häck | 923

16.270

Kap. 16 Rz. 16.271 | Ertragsteuerrecht

16.271

Da die A-AG in der Schweiz keine eigenen Geschäftsräume unterhält und auch sonst über keine geschäftlichen Einrichtungen verfügt, ist dort auch keine Betriebsstätte gegeben. Im Rahmen der durchzuführenden Körperschaftsteuerveranlagungen sind daher sämtliche Einkünfte der Gesellschaft zu erfassen. Entsprechendes gilt für die Gewerbesteuer, wobei im Zweifel der Wohnsitz von A als Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a DBASchweiz, § 12 Satz 1 Nr. 1 AO) anzusehen ist.1 Auf die Körperschaftsteuer sind allerdings die auf die vereinnahmten Lizenzgebühren einbehaltenen Quellensteuern anzurechnen, soweit die Anrechnung auch nach den in Betracht kommenden deutschen Doppelbesteuerungsabkommen möglich wäre. Soweit die Schweiz ihre Besteuerung trotz Ansässigkeit der Gesellschaft in Deutschland nicht zurücknimmt, entsteht eine Doppelbesteuerung. Ein auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung gerichtetes Verständigungsverfahren (Art. 26 DBA-Schweiz) wird die deutsche Finanzverwaltung nicht einleiten.2 Ebenso scheidet eine Anrechnung der in der Schweiz gezahlten Steuer aus. Da hier für die Einschaltung der Patentverwertungsgesellschaft in der Schweiz wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen, kommt auch ein Steuerabzug (§ 34c Abs. 3 EStG) nicht in Betracht (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 6 Satz 6 EStG).3

16.272

Da aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung der Ort der Geschäftsleitung der Patentverwertungsgesellschaft im Inland ist, mithin unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht vorliegt, und A nicht veranlasst hat, dass für die schweizerische Kapitalgesellschaft Steuererklärungen abgegeben wurden,4 ist der objektive und auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Die Höhe der zugunsten der Patentverwertungsgesellschaft hinterzogenen Steuern errechnet sich unter Berücksichtigung der anzurechnenden ausländischen Quellensteuern.5 b) Satzungssitz im Inland

16.273

Gem. § 11 AO hat eine juristische Person ihren Sitz6 an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist (statutarischer Sitz).7 Angeknüpft wird damit an ein juristisches Merkmal. Insoweit entspricht der Sitz juristischer Personen dem zivilrechtlichen, nicht aber dem steuerrechtlichen Wohnsitz natürlicher Personen. 1 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, IStR 2008, 330. 2 Beide Staaten lehnen wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben in derartigen Fällen unter bestimmten Voraussetzungen eine Verständigungslösung ab; vgl. ferner BMF v. 12.4.2005 – IV B 4S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 6.1.3.2 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren); vgl. hierzu auch Flüchter in S/D, DBA2, Art. 25 OECD-MA Rz. 103 f. 3 BFH v. 24.3.1998 – IR 38/97, BStBl. II 1998, 471, wonach ein Steuerabzug gem. § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 3 EStG noch bejaht wurde, ist seit dem StBereinG 1999 überholt. 4 A ist als Verfügungsberechtigter i.S.d. § 35 AO anzusehen, weil er aufgrund seiner Stellung in der Lage war, „tatsächliche und rechtliche Rechtsverhältnisse herbeizuführen, die ihn dazu befähigen, rechtlich verbindlich die Pflichten des gesetzlichen Verwerters entweder selbst zu erfüllen oder durch die Bestellung der entsprechenden Organe erfüllen zu lassen“; BFH v. 16.3.1995 – VII R 20/ 89, BStBl. II 1991, 284; BFH v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591. 5 Das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht; vgl. Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 105; Rolletschke, wistra 2006, 471 (472); vgl. hierzu auch Rz. 11.256 f. 6 Der zivilrechtliche Begriff „Verwaltungssitz“ ist der Ort, an dem die Geschäftsführungsentscheidungen umgesetzt werden; BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, NJW 1986, 2194 (entspricht eher dem steuerlichen Begriff der Geschäftsleitung); BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972; Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 47. 7 §§ 5 und 278 AktG, § 4a GmbHG, § 6 GenG, § 18 VAG, §§ 24, 57 und 80 BGB.

924 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.275 Kap. 16

Nach inländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften1 sind, soweit der Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) im Ausland belegen ist, der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht in zwei verschiedenen Staaten ausgesetzt. Greift ein Doppelbesteuerungsabkommen ein, gilt das mit der Maßgabe, dass abkommensrechtlich die unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft im Ausland ansässig ist (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Obwohl unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht gegeben ist, werden derartige Gesellschaften als „ausländische“ Gesellschaften behandelt. Die hiermit verbundenen steuerlichen Probleme sind nicht selten auch von strafrechtlicher Relevanz.

16.274

Beispiel: Die A-GmbH hat ihren Satzungssitz im Inland und den Ort der Geschäftsleitung in den Niederlanden. Die A-GmbH, die im Inland über keine eigenen Geschäftsräume verfügt, übt Dienstleistungs- und Vermögensverwaltungsfunktionen aus, für die sie keinen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb unterhält.2 Sie bezieht Ende 2013 von verschiedenen deutschen Kapitalgesellschaften bei einer Beteiligung von jeweils weniger als 10 v.H. (Streubesitz-)Dividenden. Geschäftsführer der AGmbH ist der in den Niederlanden ansässige X, der gegenüber der deutschen Finanzverwaltung auch als alleiniger Anteilseigner der A-GmbH auftritt. Tatsächlich hält er alle Anteile treuhänderisch für den im Inland ansässigen A. X hat beim BZSt Anträge auf Freistellung von Kapitalertragsteuer gestellt und hierbei in dem von ihm ausgefüllten Fragebogen trotz eines im Vordruck angebrachten ausdrücklichen Hinweises das Treuhandverhältnis nicht angegeben.3 Aufgrund der von X beim BZSt erwirkten Freistellungsbescheinigungen ist von den an die A-GmbH ausschüttenden inländischen Kapitalgesellschaften jeweils eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 15% (vgl. Art. 13 Abs. 2 DBANiederlande) einbehalten worden. Aufgrund einer beim für die A-GmbH zuständigen Finanzamt eingehenden anonymen Anzeige und den anschließenden amtsinternen Ermittlungen erlangt die Finanzverwaltung Kenntnis von dem zwischen X und A bestehenden Treuhandverhältnis. Gegen X wird ein Steuerstrafverfahren wegen Steuerhinterziehung eröffnet. Der steuerlich nicht vorgeprägte Strafverteidiger zieht kurz vor der Anfang 2017 stattfinden Hauptverhandlung steuer(straf)rechtlichen Rat hinzu, der wertvolle Hinweise gibt.

Auf der Grundlage der deutschen Steuergesetze und der Verwaltungsauffassung wäre die AGmbH für nach dem 28.2.2013 zufließende Dividende nicht berechtigt gewesen, eine Entlastung der deutschen Kapitalertragsteuer von 25% auf 15% zu beanspruchen: Die von den inländischen Kapitalgesellschaften bezogenen Dividenden sind bei der A-GmbH zwar steuerfrei (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG, § 7 Satz 1 GewStG),4 soweit sie vor dem 1.3.2013 zugeflossen sind (§ 34 Abs. 7a Satz 2 KStG). Für Zuflüsse nach dem 28.2.2013 wird die Steuerfreistellung aber nicht mehr gewährt (§ 8b Abs. 4, § 34 Abs. 7a Satz 2 KStG). In beiden Fällen ist von den Dividenden im Grundsatz eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 25% einzubehalten (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 43 Abs. 1 Nr. 1, § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG). Da hier die A-GmbH eine Freistellungsbescheinigung des BZSt vorgelegt hat, ist der Kapitalertragsteuerabzug aufgrund der abkommensrechtlichen Regelungen des im fraglichen Zeitraum anzuwendenden DBANiederlande 1959 (Art. 13 Abs. 2) nicht in Höhe von 25%, sondern nur in Höhe von 15% vorgenommen worden (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG). Die Erteilung der Freistellungsbescheinigung über die teilweise Entlastung von deutscher Kapitalertragsteuer von 25% auf 15% hat das BZSt insbesondere auf der Grundlage von § 50d Abs. 3 EStG5 getroffen. Hiernach wird

1 Satzungssitz im Inland. 2 Vgl. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG. Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO ist hingegen nicht gegeben. 3 Vgl. den Abdruck des Fragebogens bei Schönfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 223. 4 Allerdings Hinweis auf die sog. Schachtelstrafe (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG). 5 Neufassung durch BeitrRLUmG v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592.

Schaumburg/Häck | 925

16.275

Kap. 16 Rz. 16.275 | Ertragsteuerrecht

einer ausländischen Gesellschaft,1 soweit sie nicht die dort genannten Aktivitätserfordernisse erfüllt,2 nur diejenige Entlastung von Kapitalertragsteuer zugestanden, die die Anteilseigner in Anspruch nehmen könnten, wenn sie die Einkünfte selbst erzielt hätten.3 Dementsprechend hat das BZSt für Zwecke der Entlastung auf den in den Niederlanden ansässigen X abgestellt und eine Reduktion der Kapitalertragsteuer auf 15% bescheinigt. Da X die Anteile an der AGmbH indes nur treuhänderisch für den A gehalten hat, sind die Kapitalanteile dem A als Treugeber zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).4 Als unbeschränkt Steuerpflichtiger hätte A aber keinen Anspruch auf Entlastung von Kapitalertragsteuern, wenn er die Dividenden selbst bezogen hätte. Wäre also das Treuhandverhältnis seitens X offengelegt worden, hätte das BZSt keine Freistellungsbescheinigung erteilt mit der Folge, dass die Schuldner der Dividenden eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 25% hätten einbehalten müssen (§ 43 Abs. 1 Nr. 1, § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG).5 Damit hat X als Geschäftsführer der A-GmbH zu deren Gunsten bewirkt, dass durch Vorlage der Freistellungsbescheinigung die Schuldner der Dividenden lediglich eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 15% einbehalten haben. Insoweit liegt der subjektive und objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Dass X in den Niederlanden ansässig war, spielt keine Rolle. Sollte A in die Tathandlungen des X eingeweiht sein, kommt Anstiftung oder Mittäterschaft infrage. Mit der Abgabe der Körperschaftsteuererklärung für die A-GmbH durch X als Geschäftsführer ist keine strafbefreiende Selbstanzeige verbunden, weil hierdurch zum einen die gegenüber dem BZSt gemachten unrichtigen Angaben nicht richtiggestellt werden und zum anderen die zutreffende Kapitalertragsteuer nicht nachentrichtet wird. Aus diesem Grunde ist auch ohne Bedeutung, dass die A-GmbH einen Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer in Höhe der Differenz zu dem für sie maßgeblichen Körperschaftsteuersatz (15 v.H.) hat (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG).6 Die Erstattung, die auf Grundlage eines Freistellungsbescheides des BZSt erfolgt (§ 50 d Abs. 1 Satz 3 EStG), ist nämlich vom vorangegangenen Kapitalertragssteuereinbehalt zu trennen.7

16.276

Vor diesem Hintergrund droht X im Strafverfahren eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung. Allerdings gibt der hinzugezogene Steuerstrafrechtler vor der Hauptverhandlung Anfang 2017 den Hinweis, dass das FG Köln dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit des § 50d

1 Hierzu gehören auch unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften, die abkommensrechtlich im Ausland ansässig sind; Schönfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 53; Gosch in Kirchhof19, § 50d Rz. 28a; BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171, Tz. 3. 2 Die A-GmbH hat keinen für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG). 3 Zu diesem fiktiven Entlastunganspruch Schönfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 71; BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171, Tz. 12. 4 Hierzu Schönfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 84; Hahn-Joecks in K/S/M, § 50d Rz. E 24. 5 Zum Problem der sog. Mäander-Strukturen Schönfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 82 ff.; Loschelder in Schmidt39, § 50d EStG Rz. 47; Gosch in Kirchhof19, § 50d EStG Rz. 33; Schaumburg/ Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.164; Klein/Hagena in H/H/R, § 50d EStG Rz. 55 BMF v. 24.1.2012 – IV B 3-S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, 171, Tz. 4.2; nach HahnJoecks in K/S/M, § 50d EStG Rz. E 13 ff.; Lüdicke in Piltz/Schaumburg, Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, 1995, 102 (107), soll nur auf Steuerausländer abzustellen sein, für Steuerinländer käme hiernach nur § 42 AO in Betracht. 6 Vgl. zu diesem Erstattungsanspruch BFH v. 22.4.2009 – I R 53/07, BFH/NV 2009, 1543; BFH v. 11.1.2012 – I R 25/10, BFH/NV 2012, 871; Loschelder in Schmidt39, § 50d Rz. 35. 7 Zur sog. Steuerverkürzung auf Zeit (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO): BGH v. 17.3.2009 – I StR 627/08, wistra 2009, 355; im Überblick Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 319 ff.; vgl. auch Rz. 11.292 ff.

926 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.279 Kap. 16

Abs. 3 EStG mit EU-Recht zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.1 Das Gericht setzt hieraufhin gem. § 396 AO das Strafverfahren aus.2 Nachdem der EuGH mit Entscheidung vom 20.12.20173 die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG für weitgehend mit EU-Recht unvereinbar erklärt, wird X freigesprochen, da es am objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung fehlt. Wäre X verurteilt worden, wäre eine Wiederaufnahme des Verfahrens (nahezu) unmöglich.4 c) Ansässigkeit im Inland Sind juristische Personen und abkommensberechtigte Personengesellschaften in beiden Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig, etwa aufgrund des Sitzes oder des Orts der Geschäftsleitung, so ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung befindet (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Dieser Begriff ist zwar autonom ohne Rückgriff auf innerstaatliches Recht auszulegen,5 da aber die deutsche Rechtsprechung zu § 10 AO (s. Rz. 16.268) bei der Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung auf tatsächliche Verhältnisse abstellt, können diese Rechtsprechungsgrundsätze auch für Doppelbesteuerungsabkommen herangezogen werden.6 Der Ort der Geschäftsleitung befindet sich danach dort, wo der für die Geschäftsleitung maßgebende Wille tatsächlich gebildet wird; d.h. wo die geschäftsleitenden Anordnungen abgegeben, nicht aber dort, wo sie wirksam werden.7

16.277

Da bei juristischen Personen und abkommensberechtigten Personengesellschaften die Kollision der Steuerberechtigung der beiden Vertragsstaaten auf nur einer Stufe gelöst werden kann (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA), kommt für die tatsächliche Geschäftsleitung nur ein einziger Ort in Betracht. Insoweit entspricht die Rechtslage der des § 10 AO.8

16.278

Im Hinblick darauf kommt dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung in der Praxis besondere Bedeutung zu. Dieser Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung lässt sich in Zweifelsfällen nur aufgrund einer Abwägung der einzelnen tatsächlich getroffenen Geschäftsleitungsmaßnahmen treffen. Die Entscheidung hat sich hierbei daran zu orientieren, an welchem Ort die Sitzungen des Vorstands stattfinden und wo die täglichen Entscheidungen auch die des nachgeordneten Managements getroffen werden.9 Besondere Probleme entstehen in den Fällen, in

16.279

1 Vgl. FG Köln v. 8.7.2016 – 2 K 2995/12, EFG 2016, 1801; FG Köln v. 1.8.2016 – 2 K 721/13, EFG 2017, 51. 2 In der Praxis ist allerdings zu sehen, dass die im Ermessen stehende Aussetzung nach § 396 AO nur selten genutzt wird, vgl. Hild, wistra 2016, 59 (60). 3 EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16, ECLI:EU:C:2017:1009 – Deister Holding, ISR 2018, 61 m. Anm. Schiefer/Scheuch. 4 Vgl. hierzu Jäger in J/J/R8, § 396 AO Rz. 52 ff. 5 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 263; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 95; Pohl in S/D, DBA2, Art. 4 OECD-MA Rz. 113. 6 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 265; vgl. allerdings die Kritik an dieser Rspr. Wassermeyer/ Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 96 f. 7 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 3.8.1977– III R 92/74, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 29.4.1987 – X R 16/81, BFH/NV 1988, 64; BFH v. 21.9.1989 – V R 55/84, BFH/NV 1990, 353; BFH v. 21.9.1989 – V R 32/88, BFH/ NV 1990, 688; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/ 97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 9.7.2003 – I R 4/02, BFH/NV 2004, 83. 8 S. aber BFH v. 5.11.2014 – IV R 30/11, BStBl. II 2015, 601. 9 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 268.

Schaumburg/Häck | 927

Kap. 16 Rz. 16.279 | Ertragsteuerrecht

denen zur Bestimmung der vorrangigen Ansässigkeit abkommensrechtlich nicht auf den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung abgestellt wird, sondern dies der Klärung durch ein Verständigungsverfahren überlassen bleibt.1 Kann im Rahmen des Verständigungsverfahrens keine Einigung erzielt werden oder wird erst gar kein Verständigungsversuch unternommen, so gilt die betreffende Person als in keinem der beiden Vertragsstaaten als ansässig mit der Folge, dass die Schrankenwirkung des betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen versagt bleibt.2 Wird dagegen im Rahmen des Verständigungsverfahrens eine Einigung erzielt, so bedeutet dies aber nicht, dass das Ergebnis zum Nachteil des Steuerpflichtigen auch für steuerstrafrechtliche Zwecke zugrunde gelegt werden kann. Verständigungsverfahren sind nämlich bloß Verwaltungsverfahren, die in der Praxis durchweg flexibel gehandhabt werden3 und für die zwar durchweg Billigkeits- und Praktikabilitätserwägungen,4 nicht aber die Grundsätze und Garantien von rechtsförmlichen Verfahren gelten.5 Im Hinblick darauf haben Verständigungsvereinbarungen, die keineswegs zwingend sind,6 lediglich den Charakter eines (schlichten) Verwaltungsabkommens,7 das zwar die Finanzbehörde bindet,8 nicht aber die Gerichte.9

16.280

Beispiel: Die A-GmbH in Deutschland hält alle Anteile an einer Kapitalgesellschaft estnischen Rechts in Estland. Diese Kapitalgesellschaft baut dort aufgrund der mit staatlichen Stellen abgeschlossenen Substanzausbeuteverträge Bodenschätze ab, die ausschließlich in Deutschland abgesetzt werden. Die Geschäftsführung der estnischen Tochtergesellschaft besteht aus drei Geschäftsführern, wovon zwei in Deutschland wohnhaft und zugleich Geschäftsführer der A-GmbH sind. Die A-GmbH, die den Alleinvertrieb in den Händen hält, steuert über ihre beiden Geschäftsführer den gesamten Abbau der Bodenschätze und bestimmt insbesondere den Umfang der Gewinnung. Der Geschäftsführer der estnischen Tochtergesellschaft überwacht die Gewinnung der Bodenschätze vor Ort und hält den Kontakt zu den estnischen Behörden. Die meisten Sitzungen der Geschäftsführung finden in Deutschland statt. 1 Zur Abkommensübersicht vgl. Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 291. 2 Lehner in V/L6, Art. 4 OECD-MA Rz. 292. 3 Lehner in V/L6, Art. 25 OECD-MA Rz. 41; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.90. 4 Lehner in V/L6, Art. 25 OECD-MA Rz. 72; Flüchter in S/D, DBA2, Art. 25 OECD-MA Rz. 140 f.; Lüthi in G/K/G/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 69; Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen internationalen Steuerrecht, 164 ff.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 169 ff. 5 Lehner in V/L6, Art. 25 OECD-MA Rz. 72; Tittel, Das Verständigungsverfahren nach den DBA, 73 ff.; Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 84; Reich, Das Verständigungsverfahren nach den internationalen DBA der Schweiz, 31; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 162 ff. 6 OECD-MK zu Art. 25 OECD-MA, Ziff. 26 (abgedruckt bei Lehner in V/L6, Art. 25 OECD-MA Art. 25); Lehner in V/L6, Art. 25 OECD-MA Rz. 89; Lüthi in G/K/G/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 373; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 30; die Einigung ist aber die Regel. 7 Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG; hierzu im Einzelnen Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 132 ff.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 178 ff.; aus der Sicht der Schweiz: Reich, Das Verständigungsverfahren nach den internationalen DBA der Schweiz, 104 f. 8 Lehner in V/L6, Art. 25 OECD-MA Rz. 132; Eilers/Drüen in Wassermeyer, DBA, Art. 25 OECDMA Rz. 57; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 182; dagegen auch für einen Vorrang vor einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung: Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 25; Mühlhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 130. 9 BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; BFH v. 10.7.1997 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15; BFH v. 2.9.2009 – I R 111/08, BFH/NV 2009, 2044; vgl. weitergehende Hinweise bei Flüchter in S/ D, DBA², Art. 25 Rz. 237.

928 | Schaumburg/Häck

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.281 Kap. 16 Die Geschäftsführer der estnischen Kapitalgesellschaft sind bislang davon ausgegangen, dass die estnische Tochtergesellschaft in Deutschland weder unbeschränkt noch beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. Aufgrund der im Rahmen einer Betriebsprüfung getroffenen Feststellungen kommt die Finanzverwaltung zu dem Ergebnis, dass der Ort der Geschäftsleitung der estnischen Kapitalgesellschaft in Deutschland belegen ist mit der Folge, dass die thesaurierten Gewinne, die in Estland keiner Körperschaftsteuer unterliegen, nunmehr im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht der Körperschaftsteuer zu unterwerfen sind. Der Abbaubetrieb ist allerdings eine in Estland belegene Betriebsstätte (Art. 5 Abs. 2 Buchst. f. DBA-Estland), sodass die auf diese Betriebsstätte entfallenen Gewinne abkommensrechtlich von deutscher Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer auszunehmen sind (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Estland). Da für die estnische Kapitalgesellschaft im Inland keine Steuererklärungen abgegeben wurden, wird gegen die beiden deutschen Geschäftsführer ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet. Gegen die Körperschaftsteuerbescheide und Gewerbesteuermessbescheide haben die beiden Geschäftsführer für die estnische Kapitalgesellschaft Einspruch eingelegt. Wegen der Doppelansässigkeit wurde zugleich zwischen Deutschland und Estland auf Anregung der beiden Geschäftsführer ein Verständigungsverfahren (Art. 25 DBA-Estland) eingeleitet, in deren Rahmen der Rechtsstandpunkt der deutschen Finanzbehörden durchgesetzt wurde mit der Folge, dass die estnische Kapitalgesellschaft als in Deutschland ansässig gilt.

Obwohl sich aufgrund des Verständigungsverfahrens beide Vertragsstaaten auf Deutschland als Ansässigkeitsstaat geeinigt haben, kann diese Einigung nicht ohne Weiteres für das Strafverfahren übernommen werden.1 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung steht nicht schon deshalb fest, weil beide Vertragsstaaten sich auf die deutsche Ansässigkeit geeinigt haben. Erforderlich sind vielmehr entsprechende tatrichterliche Feststellungen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Verständigungsverfahren auf eine rechtsrichtige Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen selbst und auf die zutreffende Ermittlung des Sachverhalts2 und der zutreffenden Rechtsanwendung3 gerichtet sind. In der Praxis werden daher die strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen während des Verständigungsverfahrens ausgesetzt (§ 396 AO).4 Darüber hinaus wird angesichts der Schwierigkeiten, die vorrangige Ansässigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht festzulegen, der subjektive Tatbestand in aller Regel zu verneinen sein.

XIV. Inländische Einkünfte Literatur (ab 2000): Kommentare zu § 49 EStG; Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433; Ege, Beschränkte Steuerpflicht – Systematik und aktuelle Entwicklungen, DStR 2010, 1205; Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer, Die beschränkte Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, Wien 2004; Gosch, Altes und Neues, Bekanntes und weniger Bekanntes zur sog. isolierenden Betrachtungsweise, in FS Wassermeyer, München 2005, 263; Kahle/Schulz, Zum Einkünftekatalog des § 49 EStG nach den jüngsten Rechtsentwicklungen, DStZ 2008, 784; Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3; Lehner, Die verfassungsrechtliche Verankerung des objektiven Nettoprinzips, DStR 2009, 185; Lüdicke, Probleme der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger im Inland, DStR 2008, Beihefter zu Heft 17, 25; Schaumburg, Besteuerung von Einkommen, in DStJG 24 (2001), 225; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017,

1 Anders in den Fällen, in denen sich die Verständigungsvereinbarung zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt. 2 Hieran hat der Steuerpflichtige ggf. mitzuwirken; vgl. BMF v. 9.10.2018 – IV B 2-S 1304/17/10001, BStBl. I 2018, 1122, Rz. 3.2.1.; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 24 unter Hinweis auf § 90 Abs. 2 AO. 3 Lehner in V/L6, Art. 25 OECD-MA Rz. 73. 4 Vgl. zum Gesetzeszweck des § 396 AO Jäger in J/J/R8, § 396 AO Rz. 6 m.w.N.

Schaumburg/Häck und Schaumburg | 929

16.281

Kap. 16 Rz. 16.281 | Ertragsteuerrecht Rz. 6.122 ff.; Tiedke/Langheim, Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der beschränkten und der (fiktiven) unbeschränkten Steuerpflicht, DStR 2003, 10; Wassermeyer, Das Besteuerungsrecht für nachträgliche Einkünfte im internationalen Steuerrecht, IStR 2010, 461.

1. Überblick 16.282

Steuerausländer, also Personen, die über keinen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügen, unterliegen mit ihren inländischen Einkünften der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG). Die inländischen Einkünfte sind abschließend in § 49 Abs. 1 EStG aufgeführt, wobei deren Qualifizierung auf der Grundlage der sog. isolierenden Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) erfolgt.1 Über die in § 49 Abs. 1 EStG aufgeführten inländischen Einkünfte hinaus werden im Rahmen der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 AStG) auch nicht ausländische Einkünfte2 erfasst. Diese erweiterte beschränkte Steuerpflicht (s. Rz. 14.23 ff.) gilt für natürliche Personen, die in ein Niedrigsteuerland ausgewandert sind und in den letzten zehn Jahren davor insgesamt fünf Jahre lang als deutsche Staatsangehörige unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die erweitert beschränkte Steuerpflicht wird sodann für weitere zehn Jahre aufrechterhalten.3 Gegen die beschränkte und erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht sind allerdings die Schrankenwirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet, die nicht selten dazu führen, dass der deutsche Steuerzugriff nicht aufrechterhalten bleibt. Das gilt insbesondere für inländische Einkünfte aus – der Beförderung mit Seeschiffen oder Luftfahrzeugen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG), weil abkommensrechtlich die Einkünfte nur dem Staat zustehen, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet (Art. 8 OECD-MA); – mit künstlerischen, sportlichen usw. Darbietungen zusammenhängenden Leistungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG), die nach den Regelungen der DBA (Art. 17 OECD-MA) nicht im Quellenstaat zu besteuern sind; – der Verwertung der im Ausland ausgeübten künstlerischen, sportlichen usw. Darbietungen im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG), die abkommensrechtlich durchweg der Besteuerung im Wohnsitzstaat vorbehalten sind (Art. 17 OECD-MA);4 – der Veräußerung von in einem inländischen Register eingetragenen Schiffen und Luftfahrzeugen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. b EStG), da es sich insoweit abkommensrechtlich nicht um unbewegliches Vermögen handelt (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA); – der Verwertung der im Ausland erbrachten selbständigen Tätigkeit im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG), da abkommensrechtlich der (ausländische) Betriebsstättenstaat allein steuerberechtigt ist (Art. 7 Abs. 1, Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA); – der Verwertung der im Ausland ausgeübten nicht selbständigen Tätigkeit im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG), der ausländischen Tätigkeit als Geschäftsführer, Prokurist oder Vorstandsmitglied einer Gesellschaft mit Ort der Geschäftsleitung im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG) und der Entschädigung für die Auflösung eines inländischen 1 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.153 ff.; vgl. ferner Rz. 14.17 f. 2 Sog. erweiterte Inlandseinkünfte. 3 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.312 ff. 4 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.191 ff.

930 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.286 Kap. 16

Dienstverhältnisses (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG), weil in den vorgenannten Fällen abkommensrechtlich im Grundsatz nur der Tätigkeitsstaat steuerberechtigt ist (Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 OECD-MA);1 – Dividenden und Zinsen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG), für die abkommensrechtlich entweder nur eine eingeschränkte Quellensteuerbefugnis oder gar kein Besteuerungsrecht besteht (Art. 10, 11 OECD-MA);2 – der zeitlich begrenzten Überlassung von Rechten (§ 49 Abs. 1 Nr. 6, 9 EStG), für die Deutschland als Quellenstaat grundsätzlich kein Besteuerungsrecht hat (Art. 12 OECD-MA).

2. Pflichtenkreis Beschränkt Steuerpflichtige haben im Grundsatz die gleichen Mitwirkungspflichten wie unbeschränkt Steuerpflichtige. Allerdings gelten insoweit Besonderheiten, als die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen entweder im Rahmen einer Veranlagung oder durch Steuerabzug an der Quelle erhoben wird. Erfolgt ein Steuerabzug, so ist die Einkommensteuer hiermit im Grundsatz abgegolten (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG).3 Insoweit besteht zwischen Steuerveranlagung einerseits und Steuerabzug andererseits ein Ausschließungsverhältnis (zu Einzelheiten Rz. 14.20 ff.).

16.283

Bei beschränkter Einkommensteuerpflicht wird der Steuerabzug an der Quelle erhoben bei Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 43 ff. EStG), aus nicht selbständiger Arbeit (§ 38 ff. EStG), Bauleistungen (§ 48 ff. EStG) sowie bei weiteren bestimmten inländischen Einkünften (§ 50a EStG). Während Kapitalertragsteuer, Lohnsteuer und Bauabzugsteuer auch bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht einbehalten wird, findet die Abzugsteuer (§ 50a EStG) nur bei beschränkter Steuerpflicht Anwendung. Hierbei ist wie folgt zu unterscheiden:

16.284

Steuerabzug auf Bruttobasis: Der Steuerabzug führt wegen der im Grundsatz anwendbaren Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG) stets zu einer Bruttobesteuerung, soweit nicht die Ausnahmen gem. § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG gegeben sind oder ein Steuerabzug auf Nettobasis eingreift. Im Ergebnis ist ein Steuerabzug auf Bruttobasis damit zwingend z.B. für alle Lizenzvergütungen unabhängig davon, wo der beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger ansässig ist (§ 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 EStG), für sämtliche dem Steuerabzug gem. § 50a EStG unterliegende Vergütungen an Drittstaatenangehörige (§ 50a Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 EStG) sowie entsprechende Vergütungen an EU-/EWR-Staatsangehörige, die in Drittstaaten ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 50a Abs. 3 Satz 2, Alt. 2 EStG).4

16.285

Der Steuerabzug beträgt grundsätzlich 15% und für Aufsichtsratsvergütungen 30% der Einnahmen (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG). Bei den Einnahmen aus Darbietungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 1 EStG) greift eine Bagatellgrenze von 250 Euro ein (§ 50a Abs. 2 Satz 3 EStG). Im Übrigen unterliegen auch vom Vergütungsschuldner ersetzte oder übernommene Reisekosten unter bestimmten Voraussetzungen nicht dem Steuerabzug (§ 50a Abs. 2 Satz 2 EStG).

16.286

1 Zu den Besonderheiten der sog. 183-Tage-Klausel vgl. Bourseaux/Sendler in S/D, DBA2, Art. 15 OECD-MA Rz. 98 ff.; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.429 ff. 2 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.324 ff., 19.356 ff. 3 Eine Abgeltungswirkung ergibt sich auch aus § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG (Abgeltungsteuer). 4 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.281.

Schaumburg | 931

Kap. 16 Rz. 16.287 | Ertragsteuerrecht

16.287

Steuerabzug auf Nettobasis: Für Vergütungsgläubiger, die EU-/EWR-Staatsangehörige sind und in einem EU-/EWR-Staat auch ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, eröffnet sich die Möglichkeit eines Steuerabzugs auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG).1 Das bedeutet, dass der Vergütungsschuldner den Steuerabzug unter Berücksichtigung nachgewiesener Werbungskosten oder Betriebsausgaben vornehmen kann, soweit diese in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einnahmen stehen. Der Steuerabzug auf Nettobasis beträgt 30 % für natürliche Personen und 15 % für Körperschaften (§ 50a Abs. 3 Satz 4 EStG).2

16.288

Steuerabzug auf Anordnung: Ist der Steuerabzug unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung des Steueranspruchs zweckmäßig, kann das Finanzamt auch in anderen Fällen einen Steuerabzug verlangen (§ 50a Abs. 7 EStG). Der Steuerabzug beträgt hierbei 25 % und bei Körperschaften 15 %. Es kann indessen ein unter 25 % liegender Satz angeordnet werden, wenn aus Sicht des Finanzamtes erkennbar ist,3 dass die geschuldete Einkommensteuer letztlich niedriger ist (§ 50a Abs. 7 Satz 2 Halbs. 2 EStG) Der Steuerabzug ist in allen Fällen zu dem Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem die betreffenden Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn, vom Kapitalertrag oder von den Vergütungen gem. § 50a Abs. 1 EStG unterliegen, zufließen (§ 38 Abs. 2, § 44 Abs. 1 Satz 2, § 50a Abs. 5 Satz 2, § 50a Abs. 7 Satz 3 EStG). Soweit in Abkommensfällen die Abzugsteuer entfällt oder der Höhe nach reduziert ist, darf der Steuerabzug nur dann unterbleiben oder nach einem geringeren Steuersatz vorgenommen werden, wenn eine diesbezügliche Bescheinigung des BZSt vorliegt (§ 50d Abs. 2 EStG). Die Anmeldung der Abzugsteuer auf Vergütung (§ 50a Abs. 1 EStG) ist bis zum 10. des Monats, der dem Kalendervierteljahr folgt, in dem die Vergütung ausgezahlt wurde, gegenüber dem BZSt vorzunehmen (§ 73e Satz 2 EStDV). Innerhalb dieser Frist muss auch die Abzugsteuer an das BZSt abgeführt werden (§ 50a Abs. 5 Satz 3 EStG, § 73e Satz 1 EStDV).

16.289

In den Fällen, in denen ein Steuerabzug mit Abgeltungswirkung nicht vorgesehen ist, wird die Einkommensteuer für beschränkt steuerpflichtige Personen im Rahmen des Veranlagungsverfahrens festgesetzt. Das gilt vor allem für inländische Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG), aus Gewerbebetrieb im Zusammenhang mit einer im Inland unterhaltenen Betriebsstätte (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), aus selbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG) und aus Vermietung/Verpachtung inländischen Grundvermögens (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG).

3. Pflichtverletzungen 16.290

In den Fällen, in denen ein Veranlagungsverfahren durchzuführen ist, etwa bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung inländischen Grundvermögens (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG), kommt es insbesondere dann zu Pflichtverletzungen, wenn der Steuerpflichtige z.B. die Einkommensteuererklärung nicht oder nicht rechtzeitig abgibt. In diesem Fall ergibt sich als steuerliche Rechtsfolge die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 151 AO).4 Zudem kommt auch eine Schätzung (§ 162 Abs. 1, 2 AO) in Betracht, wobei sog. Sicherheitszuschläge gerechtfertigt sein können.5 1 Das gilt nicht für Lizenzvergütungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG). 2 Vgl. im Einzelnen Gosch in Kirchhof19, § 50a EStG Rz. 25 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.215 ff. 3 Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. 4 Verspätungszuschlag und Zwangsgeld können kumulativ festgesetzt werden, wobei allerdings das Übermaßverbot zu berücksichtigen ist; hierzu Seer in T/K, § 152 AO Rz. 4. 5 Hierzu Seer in T/K, § 162 AO Rz. 44 f.; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 38.

932 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.293 Kap. 16

In der Praxis gewinnt die Nutzungsüberlassung im Electronic Commerce seit Jahren zunehmend an Bedeutung. Angesprochen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das grenzüberschreitende Cloud-Computing. Es geht hierbei um die Erbringung von IT-Dienstleistungen ausländischer Dienstleister, die zumeist von einem im Ausland (Luxemburg, Irland) betriebenen Server wesentliche IT-Funktionen über ein Netzwerk jederzeit abrufbereit im Inland zur Verfügung stellen. Diese Cloud-basierten Leistungen werden automatisiert über das Internet erbracht.1 Da hier eine physische Lieferung oder persönliche Beratung seitens der ausländischen Dienstleister unterbleibt, sind die für die beschränkte Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflicht maßgeblichen Anknüpfungspunkte für inländische Einkünfte der Cloud-Anbieter weitgehend "unsichtbar", so dass es nicht selten zu Steuerverkürzungen im Inland kommt.

16.291

Beispiel: Die deutsche A-GmbH schließt mit der in Luxemburg ansässigen X-SA einen Vertrag über die Nutzungsüberlassung von Software und die Nutzung bestimmter in Luxemburg vorgehaltener EDV-Infrastruktur ab. Aufgrund dieses Vertrages ist die X-SA als Cloud-Anbieter u.a. verpflichtet, die jederzeitige Verfügbarkeit bestimmter IT-Ressourcen zu gewährleisten (sog. PaaS-Vertrag)2. Die X-SA erhält hierfür von der A-GmbH im Jahre 2017 Dienstleistungsentgelte, die sie der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht in Deutschland nicht unterworfen hat. Zudem hat die A-GmbH die Dienstleistungsentgelte keinem Quellensteuerabzug unterworfen und hierbei auch keine Umsatzsteuer abgeführt.

Die X-SA unterliegt der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht nur mit ihren inländischen Einkünften (§ 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG). Derartige inländische Einkünfte sind hier nicht gegeben. Insbesondere handelt es sich nicht um Einkünfte, die durch Vermietung von Sachinbegriffen oder Rechten, deren Verwertung in einer inländischen Betriebsstätte erfolgt (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG). Zum einen bilden die zur Verfügung gestellten IT-Ressourcen keinen Sachinbegriff, weil es insoweit an einer wirtschaftlich und technisch abgestimmten Einheit fehlt,3 und zum anderen ist die bloße Nutzungsüberlassung einer Programmkopie keine Verwertung von Urheberrechten der Rechtsinhaber.4 Da auch im Übrigen ein Inlandsbezug für die von der X-SA erzielten Einkünfte fehlt, ist eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG) zu verneinen. Davon abgesehen hätte Deutschland für derart betriebsstättenlose Unternehmensgewinne ohnehin kein Besteuerungsrecht (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg)5. Im Ergebnis ist somit von vornherein der objektive Tatbestand einer Körperschaftsteuerhinterziehung zu verneinen.

16.292

Demgegenüber ist der objektive Tatbestand einer Umsatzsteuerhinterziehung aus folgenden Gründen gegeben: Die von der X-SA aufgrund des PaaS-Vertrages über Datennetze erbrachten Leistungen sind als sonstige Leistungen gem. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG zu qualifizieren6. Dementsprechend ist der Ort der sonstigen Leistung am Unternehmenssitz der A-GmbH als Leistungsempfängerin (§ 3a Abs. 2 Satz 1 UStG). Damit ist die von der X-SA erbrachte sonstige Leistung steuerbar und mangels Steuerbefreiung auch steuerpflichtig. Der Steuersatz be-

16.293

1 2 3 4

Zu Einzelheiten Pinkernell, Ubg 2012, 331 (331 f.). PaaS = Platform as a Service; hierzu Pinkernell, Ubg 2012, 331 (332). Zum Sachinbegriff Klein in H/H/R, § 49 EStG Rz. 930. Zum Ganzen Klein in H/H/R § 49 EStG Rz. 933, Stichwort „Software und Datenbanken“; Pinkernell, Ubg 2012, (333 ff.); Pinkernell, Ubg 2018, 139; BMF v. 27.10.2017 – IV C 5-S 2300/12/ 10003:004, BStBl. I 2017, 1448, Rz. 3, 6. 5 Weitergehend Pinkernell, Ubg 2012, 331 (334 f.). 6 Sinewe/Frase, BB 2011, 2198 (2202); Pinkernell, Ubg 2012, 331 (339).

Schaumburg | 933

Kap. 16 Rz. 16.293 | Ertragsteuerrecht

trägt 19% (§ 12 Abs. 1 UStG).1 Obwohl die X-SA die steuerpflichtige sonstige Leistung erbracht hat, ist nicht sie, sondern allein die A-GmbH als Leistungsempfängerin Steuerschuldnerin (§ 13b Abs. 2 Satz 1 UStG).2 Dass die X-SA als leistende Unternehmerin keine Rechnung mit der Angabe "Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers" (§ 14a Abs. 5 Satz 1 UStG) erstellt hat, spielt hierbei keine Rolle. Die A-GmbH war als Leistungsempfängerin verpflichtet, die entsprechenden Eingangsleistungen aufzuzeichnen (§ 22 Abs. 2 Nr. 1, 2 UStG) sowie in den entsprechenden Voranmeldungen des Jahres 2017 und in der Umsatzsteuererklärung 2017 die Umsätze gem. § 13b Abs. 5 UStG zu erfassen (§ 18 Abs. 1, 2, 4a UStG). Für die X-SA besteht dagegen eine derartige Verpflichtung grundsätzlich nicht.3 Da der Geschäftsführer A den für die A-GmbH maßgeblichen Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten nicht nachgekommen ist und als Folge hiervon die Umsatzsteuer nicht abgeführt wurde, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gegeben. Was die Höhe der gem. § 13b Abs. 5 UStG geschuldeten Steuer anbelangt, so ist diese von den in den Rechnungen ausgewiesenen Beträgen als Nettoentgelt zu berechnen (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 UStG).4

16.294

Wird die Lohnsteuer (§§ 38 ff. EStG), Kapitalertragsteuer (§§ 43 ff. EStG), Bauabzugsteuer (§§ 48 ff. EStG) und die Abzugsteuer (§ 50a EStG) nicht einbehalten und/oder nicht abgeführt, ergeben sich die nachstehenden steuerlichen Rechtsfolgen: – Lohnsteuer: Unterbleibt der Lohnsteuerabzug, der auch bei beschränkter Steuerpflicht obligatorisch ist,5 haften der inländische Arbeitgeber (§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) sowie der ausländische Verleiher von Arbeitskräften (§ 38 Abs. 1 Nr. 2 EStG) für die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 EStG). Die Haftung ist allerdings ausgeschlossen, soweit die Lohnsteuer etwa in dem Fall, dass Arbeitslohn von dritter Seite gezahlt worden ist (§ 38 Abs. 4 Satz 3 EStG), von beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern nachgefordert werden kann (§ 42d Abs. 2 EStG). Im Übrigen besteht zwischen dem Arbeitgeber als Haftungsschuldner und dem beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer als Steuerschuldner Gesamtschuldnerschaft (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). – Kapitalertragsteuer: Kommt der Schuldner der Kapitalerträge seiner Pflicht nicht nach, die Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen (§ 44 Abs. 1 Sätze 3, 5, § 43 Abs. 1 EStG), so haftet er, es sei denn, er weist nach, dass er die ihm auferlegte Pflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat (§ 44 Abs. 5 Satz 1 EStG). Eine Abzugspflicht besteht ferner nicht, wenn eine Freistellungsbescheinigung des BZSt vorliegt (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG) oder – so etwa bei Festgeldzinsen (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG) – eine beschränkte Steuerpflicht von vornherein nicht gegeben ist.6 Schuldner und Gläubiger der Kapitalerträge sind als Haftungs- und Steuerschuldner im Grundsatz zwar Gesamtschuldner (§ 44 AO), der Gläubiger wird aber nur in Anspruch genommen, wenn die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt wurden, der Gläubiger weiß, dass die einbehal1 Der ermäßigte Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG) kommt nur zur Anwendung, wenn dem Leistungsempfänger das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung nicht nur als Nebenfolge eingeräumt wird; BFH v. 13.3.1997 – V R 13/96, BStBl. II 1997, 372; BFH v. 27.9.2001 – V R 14/01, BStBl. II 2002, 114; Pinkernell, Ubg 2012, 331 (339). 2 Sog. Reverse-Charge-Verfahren. 3 Vgl. Abschn. 13b.16 Abs. 2 UStAE. 4 Vgl. Leonhard/Korn in Bunjes19, § 13b UStG Rz. 164; Stadie in R/D, § 13b UStG Rz. 590 ff. 5 Ausnahme: Freistellung aufgrund von DBA bei entsprechender Bescheinigung (§ 39b Abs. 6, § 52 Abs. 51b EStG) oder bei entsprechender elektronischer Mitteilung (§ 39 Abs. 4 Nr. 5 EStG). 6 Vgl. Klein/Link in H/H/R, § 49 EStG Rz. 810; BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004:017, BStBl. I 2016, 85, Rz. 313.

934 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 16.296 Kap. 16

tene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt wurde oder die Kapitalerträge von der auszahlenden Stelle zu Unrecht ohne Abzug der Kapitalertragsteuer ausgezahlt wurden (§§ 44 Abs. 5 Satz 2 EStG). – Bauabzugsteuer: Der Leistungsempfänger haftet für einen nicht oder zu niedrig abgeführten Abzugsbetrag (§ 48a Abs. 3 Satz 1 EStG). Beim Vorliegen einer unzutreffenden Freistellungsbescheinigung kommt eine Haftung allerdings nur in Betracht, wenn dem Leistungsempfänger bekannt war oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war, dass die Bescheinigung durch unlautere Mittel oder falsche Angaben erwirkt wurde (§ 48a Abs. 3 Satz 2 EStG). Eine derartige Freistellungsbescheinigung wird beschränkt steuerpflichtigen Leistenden insbesondere dann erteilt, wenn die Gewinne aus den Bauleistungen abkommensrechtlich freizustellen sind (§ 48d Abs. 1 Satz 5 EStG). Anderenfalls kann sich der Leistungsempfänger im Haftungsverfahren nicht darauf berufen, dass der Leistende Rechte aus einem DBA geltend machen könnte (§ 48d Abs. 1 Satz 6 EStG). Ist der Leistende etwa mangels inländischer Betriebsstätte mit den Bauleistungen nicht beschränkt steuerpflichtig, besteht gleichwohl eine Abzugspflicht,1 soweit eine Freistellungsbescheinigung nicht vorgelegt wurde.2 – Abzugsteuer gem. § 50a EStG: Wenn der Vergütungsschuldner die Abzugsteuer nicht oder nicht vollständig einbehält und abführt, haftet er, und zwar sowohl in den Fällen des Steuerabzugs auf Bruttobasis (§ 50a Abs. 2 EStG) als auch beim Steuerabzug auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG). Die Inanspruchnahme erfolgt im Grundsatz durch Haftungsbescheid (§ 73g EStDV). Hat allerdings der Vergütungsschuldner die Abzugsteuer nicht oder nicht vollständig einbehalten und abgeführt, kann auch der beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger durch Nachforderungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 50 Abs. 5 EStG, § 73g Abs. 1 Alt. 2 EStDV). Die Pflicht, eine Abzugsteuer einzubehalten und abzuführen, entfällt, wenn der Vergütungsgläubiger eine entsprechende Freistellungsbescheinigung vorlegt (§ 50d Abs. 2 EStG). Soweit die beschränkte Steuerpflicht bei inländischen Einkünften nicht durch den Steuerabzug (Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer und Abzugsteuer gem. § 50a EStG) abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG), besteht die Pflicht, alljährlich eine Steuererklärung abzugeben (§ 25 Abs. 3 EStG). Die Erklärungspflicht umfasst die inländischen Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG), die während des Veranlagungszeitraums bezogen wurden. Wird dieser Erklärungspflicht nicht entsprochen oder werden zu niedrige Einkünfte erklärt, ist der objektive und ggf. auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt (§ 370 Abs. 1 AO).

16.295

Wer seiner Verpflichtung, Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, Bauabzugsteuer oder die Abzugsteuer gem. § 50a EStG einzubehalten und abzuführen, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt, erfüllt – isoliert betrachtet – den Tatbestand des § 380 AO (Gefährdung der Abzugsteuern). Es handelt sich hierbei um eine Ordnungswidrigkeit, die gegenüber § 370 AO (Steuerhinterziehung) und § 378 AO (leichtfertige Steuerverkürzung) subsidiär ist (§ 380 Abs. 2 AO).3 Das bedeutet, dass der Tatbestand des § 380 AO grundsätzlich nur dann eingreift, wenn die Abzugsteuern zwar rechtzeitig und vollständig angemeldet, aber nicht abgeführt wurden. Sind die einzubehaltenden Abzugsteuern auch nicht rechtzeitig oder in zu ge-

16.296

1 Apitz in H/H/R, § 48 EStG Rz. 3, 9. 2 Eine Freistellungsbescheinigung soll in diesem Fall erteilt werden (§ 48 Abs. 2 EStG); vgl. BMF v. 27.12.2001 – IV A 5-S 2272-1/02, BStBl. I 2002, 1399, Rz. 34. 3 Hierzu Jäger in J/J/R8, § 380 AO Rz. 49 ff.

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Kap. 16 Rz. 16.296 | Ertragsteuerrecht

ringer Höhe angemeldet worden, ist dagegen eine Steuerhinterziehung gegeben.1 Geht es um die Lohnsteuer, wird neben den §§ 370, 378, 380 AO zumeist auch der Tatbestand des § 266a StGB (Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen) in Tatmehrheit erfüllt sein.2 Beispiel: A ist seit vielen Jahren im Inland ansässig und hier im Vorstand der B-AG tätig. Nach einem Anteilseignerwechsel scheidet A 2016 aus den Diensten der B-AG aus und verlegt daraufhin seinen Wohnsitz nach Belgien. Nach dem Wegzug wird ihm vereinbarungsgemäß eine Entschädigung für die Auflösung des Dienstverhältnisses (Abfindung) gezahlt. Die Abfindung wurde – wie mit dem Finanzvorstand C abgesprochen – ohne Einbehalt von Lohnsteuer ausgezahlt. Die Abfindung wurde auch in der betreffenden beim Finanzamt abgegebenen Lohnsteuer-Anmeldung nicht erfasst. Der Sachverhalt wird später im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung aufgedeckt. Gegen C und A wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

16.297

Da die Vorstandsbezüge des A zuvor der Besteuerung im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht unterlegen haben, ist die für die Auflösung des Dienstverhältnisses gezahlte Entschädigung (Abfindung) der beschränkten Steuerpflicht unterworfen (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG).3 Obwohl keine Freistellungsbescheinigung (§ 39b Abs. 6 EStG) vorgelegt wurde,4 unterblieb der Steuerabzug. Eine solche Freistellungsbescheinigung ist aber auch nicht erforderlich, um von der Einbehaltung der Lohnsteuer abzusehen. Dies deshalb nicht, weil die Freistellungsbescheinigung, die auf Antrag erteilt wird, wenn nach einem DBA der Arbeitslohn freizustellen ist, nicht konstitutiv für die Steuerfreiheit ist.5 Die Freistellungsbescheinigung hat lediglich den Charakter einer Lohnsteuer-Anrufungsauskunft (§ 42e EStG), die für die Beteiligten Rechtssicherheit erzeugt.6 Im Hinblick darauf ist die Nichteinbehaltung der Lohnsteuer nicht schon deshalb pflichtwidrig, weil eine Freistellungsbescheinigung nicht vorlag. Es kommt daher allein darauf an, ob nach dem DBA-Belgien Deutschland die Abfindung freizustellen hat oder nicht. Das ist hier der Fall, weil die Abfindung nicht gezahlt wurde für eine konkrete in Deutschland ausgeübte Tätigkeit, sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut (Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien) nicht.7 Allerdings ergibt sich aus der Verständigungsvereinbarung mit Belgien,8 dass entgegen Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien Abfindungen dem ehemaligen Tätigkeitsstaat, also hier Deutschland, zur Besteuerung zugewiesen werden. Da diese Verständigungsvereinbarung mit Belgien als bloßes Verwaltungsabkommen keine normative Bindung erzeugt9 und auch keine bloße Auslegung des Abkommenstextes bedeu-

1 Jäger in J/J/R8, § 380 AO Rz. 49. 2 Jäger in J/J/R8, § 380 AO Rz. 55. 3 Die Formulierung in § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG: „Der inländischen Besteuerung unterlegen haben“ bezieht sich gleichermaßen auf die vorherige unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht ohne Rücksicht auf etwaige DBA-Regelungen; hierzu Haiß in H/H/R, § 49 EStG Rz. 787; Gosch in Kirchhof19, § 49 EStG Rz. 69. 4 § 39b Abs. 6 EStG wurde zwar durch die Regelung in § 39 Abs. 4 Nr. 5 EStG ersetzt, da das dort vorgesehene elektronische Mitteilungsverfahren noch nicht eingesetzt wird, werden bis auf weiteres auf Antrag Freistellungsbescheinigungen erteilt (R 39 b. 10 LStR); vgl. hierzu Eisgruber in Kirchhof19, § 39b EStG Rz. 19. 5 So Wagner in H/H/R, § 39b EStG Rz. 66; Barein in Littmann/Bitz/Pust, § 39b EStG Rz. 54a; a.A. BFH v. 5.10.1977, BStBl. II 1978, 205; BFH v. 26.11.1986, BFH/NV 1988, 82. 6 Allerdings keine Bindung des für den Arbeitnehmer zuständigen Wohnsitzfinanzamts, BFH v. 13.1.2011 – VI R 61/09, BStBl. II 2011, 479. 7 Vgl. BFH v. 2.9.2009 – I R 111/08, BStBl. II 2010, 387. 8 BMF v. 10.1.2007 – IV B 6-S 1301 BEL-1/07, BStBl. I 2007, 261. 9 BFH v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394.

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B. Typische Problembereiche | Rz. 16.300 Kap. 16

tet,1 ist aufgrund der Ermächtigung in § 2 Abs. 2 AO eine entsprechende Konsultationsvereinbarungsverordnung zum DBA mit Belgien erlassen worden.2 Die Ermächtigungsnorm des § 2 Abs. 2 AO ist zwar entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 80 GG hinsichtlich Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt,3 sie bewirkt aber dennoch keine normative Bindung, weil bloße Verwaltungsvereinbarungen nicht durch Rechtsverordnung in innerstaatlich verbindliches Gesetzesrecht umgesetzt werden können.4 Konkret: Das Zustimmungsgesetz zum DBA-Belgien5 ist zusammen mit dem DBA selbst ein Gesetz im formellen Sinne, dessen Änderung nicht durch die Konsultationsvereinbarungsverordnung,6 die in der Normenhierarchie im Rang unterhalb von Gesetzen im formellen Sinne steht, erfolgen darf.7 Da somit die Abfindung an A aufgrund Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien von deutscher Steuer freizustellen ist, ist bereits der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung8 nicht gegeben. Das gegen C und A eingeleitete Ermittlungsverfahren ist daher einzustellen.

16.298

Die Verpflichtung, Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, Bauabzugsteuer oder die Abzugsteuer gem. § 50a EStG einzubehalten und abzuführen, ist in rechtlicher Hinsicht nicht immer eindeutig und in tatsächlicher Hinsicht oftmals ohnehin nicht durchsetzbar. Das gilt insbesondere in den Fällen der inländischen Verwertung von Darbietungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG).

16.299

Beispiel: Die in Luxemburg ansässige Y-SA überträgt von einem dortigen Server auf Abruf gegen Entgelt Multimediadateien auf Endgeräte inländischer Kunden. Im Wesentlichen geht es hierbei um das "Streaming" von Musik, etwa Liveübertragungen oder zeitversetzte Übertragungen von in- und ausländischen Konzertveranstaltungen.9 Die vorbezeichneten Leistungen werden ausschließlich von Privatpersonen in Anspruch genommen. Die Y-SA hat die Entgelte für die von ihr erbrachten Multimedia-Leistungen im Jahr 2014 weder in ihrer Körperschaftsteuererklärung noch in ihren Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. ihrer Umsatzsteuererklärung erfasst.

Die Y-SA erzielt im Rahmen ihrer beschränkten Körperschaftsteuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG) gewerbliche Einkünfte durch die Verwertung von künstlerischen oder unterhaltenden Darbietungen im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG). Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um in- oder ausländische Darbietungen handelt. Entscheidend ist allein die Vermarktung im Sinne einer finanziellen Nutzbarmachung, die hier durch die Y-SA als Cloud-Anbieterin durch die Übertragung der Konzertveranstaltungen im Inland erfolgt ist.10 Im Ergebnis werden somit die von der Y-SA im Jahr 2014 vereinnahmten Entgelte von der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht erfasst.11 Dieses deutsche Besteuerungsrecht entfällt indessen aufgrund des DBA-Luxemburg, weil die Einkünfte aus dem Streaming nicht im Rahmen einer in 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BFH v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394. KonsVerBELV v. 20.12.2010, BGBl. I 2010, 2137. Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 43e. Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 43 f.; Heuselmann, SteuK 2010, 511; FG Hessen v. 8.12.2013 – 10 K 2176/11, EFG 2014, 288 (Rev. unter Az. I R 79/13). DBA-Belgien v. 6.1.1969, BGBl. II 1969, 17; DBA-Belgien v. 12.11.2001, BGBl. II 2003, 1615. Konsultationsvereinbarungsverordnung v. 20.12.2010, BGBl. I 2010, 2137. Zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 43 f.; hierzu auch Gosch in FS Spindler, 2011, 379 (420 f.); Rechtsfolge: Nichtigkeit der KonsultationsvereinbarungsVO; vgl. Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 43 f. § 380 AO tritt hiergegen zurück. Zu urheberrechtlichen Fragen vgl. Ensthaler, NJW 2014, 1553 ff. Zum Verwertungstatbestand BFH v. 4.3.2009 – I R 6/07, BStBl. II 2009, 625. Zu Einzelheiten Pinkernell, Ubg 2012, 331 (335 f.).

Schaumburg | 937

16.300

Kap. 16 Rz. 16.300 | Ertragsteuerrecht

Deutschland belegenen Betriebsstätte der Y-SA anfallen (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg).1 Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg verdrängende Sonderregelungen greifen nicht ein. Das gilt insbesondere für Art. 12 Abs. 1 DBA-Luxemburg und Art. 16 Abs. 2 DBA-Luxemburg; denn es handelt sich mangels Überlassung urheberrechtlicher Nutzungsbefugnisse2 nicht um Lizenzgebühren3 und nicht um Tätigkeitseinkünfte.4

16.301

Die vorgenannten als sonstige Leistungen zu qualifizierenden Online-Umsätze (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG) lösen bis 2014 keine Umsatzsteuer aus. Die Steuerbarkeit entfällt, weil der Ort der sonstigen Leistung nicht im Inland belegen ist (§ 3a Abs. 1 Satz 1 UStG).5

16.302

Für die privaten Kunden des Musik-Streaming im Internet ergeben sich unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten keine Folgen. Sie unterliegen im Grundsatz als Vergütungsschuldner der Verpflichtung, vom Entgelt einen Steuerabzug vorzunehmen (§ 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG),6 Voraussetzung ist, dass es sich um inländische Einkünfte des Vergütungsgläubigers handelt,7 was hier gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG der Fall ist. Wird der Verpflichtung, den Steuerabzug vorzunehmen, seitens des (privaten) Vergütungsschuldners nicht entsprochen, ist insoweit der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt.8 Dass der Vergütungsgläubiger abkommensrechtlich mit seinen Einkünften in Deutschland freigestellt ist, spielt keine Rolle. Die Abzugsverpflichtung entfällt erst dann, wenn eine Freistellungsbescheinigung des BZSt vorliegt (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG). Da indessen die Durchsetzung der vorgenannten Steuerabzugspflichten gegenüber privaten Streaming-Kunden praktisch ausgeschlossen ist,9 bleiben nicht nur die Finanzbehörden,10 sondern auch die Strafverfolgungsbehörden in den vorgenannten Fällen untätig.11

1 Vgl. Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 78. 2 Vgl. zuletzt LG Köln v. 24.1.2014 – 209 O 188/13, GRUR-RR 2014, 114; anders ggf. dagegen bei Speicherung; hierzu Ernsthaler, NJW 2014, 1553 ff. 3 Zum Begriff Bozza-Bodden in S/D, DBA2, Art. 12 OECD-MA Rz. 37. 4 Schlotter in S/D, DBA2, Art. 17 OECD-MA Rz. 59. 5 Sinewe/Frase, BB 2011, 2198 (2202); Pinkernell, Ubg 2012, 331 (339); ab 1.1.2015 gilt § 3a Abs. 5 UStG, wonach der Ort der sonstigen Leistung insoweit der Empfängerort ist; vgl. hierzu Grambeck, NWB 2014, 3230 ff. 6 Die einbehaltene Steuer ist jeweils bis zum zehnten des dem Kalendervierteljahr, in dem der Steuerabzug vorgenommen wurde, folgenden Monats an das BZSt abzuführen (§ 50a Abs. 5 Satz 3 EStG); zum gleichen Zeitpunkt ist eine entsprechende Steueranmeldung abzugeben (§ 73e EStDV). 7 Lohschelder in Schmidt39, § 50a EStG Rz. 8 ff.; BFH v. 2.2.2010 – I B 91/09, BFH/NV 2010, 878 (keine Abzugsverpflichtung bei Liebhaberei). 8 § 380 AO (Gefährdung der Abzugssteuern) ist gegenüber § 370 AO (Steuerhinterziehung) subsidiär; vgl. Jäger in J/J/R8, § 380 AO Rz. 49; Heerspink in Flore/Tsambikakis2, § 380 AO Rz. 84. 9 Vgl. BMF v. 25.11.2010 – IV C 3-S 2303/09/10002, BStBl. I 2010, 1350 Rz. 42; Pinkernell, Ubg 2012, 331 (336). 10 Zum Problem steuerlicher Vollzugsdefizite unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwendungsgleichheit im Überblick Hey in T/L23, § 3 Rz. 111 ff. 11 Zu Recht, weil der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung zu verneinen sein wird.

938 | Schaumburg

Kapitel 17 Erbschaftsteuerrecht A. B. I. 1. 2. 3. II. 1.

Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . 17.1 Typische Problembereiche Ausländisches Vermögen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . 17.12 Inländisches Vermögen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.21

2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . III. Ausländische Familienstiftungen und Trusts 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . .

17.25 17.26 17.31 17.35 17.36

Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum ErbStG; Birk (Hrsg.), Steuern auf Erbschaft und Vermögen, DStJG 22 (1999); Brüggemann/Stirnberg, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 10. Aufl., Berlin 2018; Eisele, Erbschaftsteuerreform 2009, 2. Aufl., Herne 2009; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl., München 2008; Fraberger, Nationale und internationale Unternehmensnachfolge: Steuergestaltung beim Schenken und Vererben, Wien 2001; Halaczinsky/Wochner, Schenken, Erben, Steuern, 11. Aufl., Bonn 2017; Handzik, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 9. Aufl., Berlin 2017; Hübner, Erbschaftsteuerreform, München 2009; Moench/Loose, Erbschaftsteuer, 4. Aufl., München 2020; Pauli/Maßbaum, Erbschaftsteuerreform 2009, Köln 2009; Rose/Watrin, Erbschaftsteuer, 12. Aufl., Berlin 2009; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 8.1 ff.; Schulte/Birnbaum, Erbschaftsteuerrecht, 2. Aufl., Heidelberg 2017; Seer in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 15 Rz. 1 ff.; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, 869 ff.; Weinmann/Revenstorff/Offerhaus/Erkis, Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, 4. Aufl., München 2017.

A. Allgemeine Hinweise Strafverfahren wegen Pflichtverletzungen im internationalen Erbschaftsteuerrecht werden in der Praxis zumeist von den Finanzämtern und den dazu berufenen Straf- und Bußgeldsachenstellen (§ 387 Abs. 2 AO) und der Steuerfahndung (§ 208 Abs. 1 Nr. 1, § 404 AO; § 163 StPO) eingeleitet.1 Nicht selten folgt ein Ermittlungsverfahren wegen Erbschaftsteuerhinterziehung einem bereits eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Einkommensteuerhinterziehung nach. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen bei ausländischen Banken unterhaltene Festgeldguthaben und Wertpapierdepots etwa im Rahmen vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich übertragen werden oder von Todes wegen übergehen, ohne dass diese Vorgänge in Erbschaftsteuer- und in der Folgezeit in Einkommensteuererklärungen ihren Niederschlag finden. Werden derartige Fälle aufgedeckt, ist eine steuerliche Nacherhebung jedenfalls bei nicht erklärten Schenkungen auch für weit zurückliegende Zeiträume ohne weiteres möglich. Dies deshalb, weil die in § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO verankerte Anlaufhemmung bewirkt, dass die 1 Für die Einleitung eines Bußgeldverfahrens sind die Finanzämter und die dazu berufenen Strafund Bußgeldsachenstellen zuständig (§ 409 AO); Einzelheiten zum Ermittlungsverfahren Rz. 6.4 ff.

Schaumburg | 939

17.1

Kap. 17 Rz. 17.1 | Erbschaftsteuerrecht

Festsetzungsfrist1 nicht vor Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat.2 Beim Erwerb von Todes wegen beginnt die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat (§ 170 Abs. 5 Nr. 1 AO).3

17.2

Da in Schenkungsfällen Schenker und Beschenkter gleichermaßen Steuerschuldner sind (§ 20 Abs. 1 ErbStG), sind auch beide im Grundsatz verpflichtet, die entsprechende Anzeige gegenüber dem zuständigen Finanzamt zu erstatten (§ 30 Abs. 1, 2 ErbStG). Unterbleibt die Anzeige oder ist diese nicht vollständig, kommt eine Steuerhinterziehung in Betracht. In Erbfällen trifft die Anzeigepflicht den Erwerber (§ 30 Abs. 1 ErbStG).

17.3

Unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten sind insbesondere jene Fälle von großer praktischer Bedeutung, in denen im Rahmen unbeschränkter Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 ErbStG) ausländisches Vermögen und im Rahmen beschränkter Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) inländisches Vermögen nicht angegeben wird. Darüber hinaus sind auch die Fälle von Bedeutung, in denen Vermögen in ausländischen Familienstiftungen oder Trusts gehalten werden.

B. Typische Problembereiche Literatur: Kommentare zu §§ 2, 21, 30–34 ErbStG; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl., München 2008, 350 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 7.8 ff.; Schaumburg, Problemfelder im internationalen Erbschaftsteuerrecht, RiW 2001, 161 ff.; Scheffler/Zinser, Internationale Doppelbesteuerung bei der Erbschaftsteuer, StuW 2005, 216 ff.; Schindhelm, Grundfragen des Internationalen Erbschaftsteuerrechts, ZEV 1997, 8 ff.; Seer in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., Köln 2018, § 15 Rz. 41 ff.; Strunk/Kaminski, Internationale Aspekte des neuen Erbschaftsteuerrechts, Stbg 2009, 158 ff.; Watrin/Kappenberg, Internationale Besteuerung von Vermögensnachfolgen, ZEV 2011, 105 ff.

I. Ausländisches Vermögen 1. Überblick 17.4

Im Rahmen der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) wird der gesamte Erwerb erfasst, wenn beim Erwerb von Todes wegen der Erblasser zur Zeit seines Todes oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuerschuld bzw. bei einer Schenkung unter Lebenden der Schenker oder der Beschenkte (Erwerber) zur Zeit der Entstehung der Steuerschuld (Ausführung der Zuwendung) ein Inländer ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ErbStG). Einbezogen werden damit im Inland Ansässige (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG), deutsche Staatsangehörige im Ausland innerhalb von fünf Jahren nach Wegzug (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG),4 deutsche Auslandsbedienstete (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. c ErbStG) sowie inlandsansässige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. d ErbStG). Von der unbeschränkten Erb-

1 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO regulär vier Jahre, bei Steuerhinterziehung zehn Jahre und bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre. 2 Zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 170 AO Rz. 25 f. 3 Zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 170 AO Rz. 22 ff.; Korts, Stbg 2011, 357 ff. 4 Sog. erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht.

940 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 17.6 Kap. 17

schaftsteuerpflicht werden schließlich auch Familienstiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz im Inland der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht erfasst (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). In den vorgenannten Fällen gilt im Grundsatz, dass der gesamte Erwerb der Erbschaftsteuer unterworfen wird, unabhängig davon, ob es sich um Inlands- oder Auslandsvermögen handelt (Weltvermögensprinzip).1 Hierbei sind allerdings von Gesetzes wegen zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Ist der Erblasser/Schenker Inländer, wird von der Reichweite der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht der gesamte Erwerb der Besteuerung unterworfen. Ist dagegen nur der Erwerber Inländer, erstreckt sich die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht naturgemäß nur auf den auf ihn entfallenden Erwerb.2 Gegen die vorgenannte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht sind allerdings die Schrankenwirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet, und zwar insbesondere in den Fällen, in denen zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung Deutschland etwa im Erwerb enthaltenes unbewegliches Vermögen im Ausland von der Erbschaftsteuer freistellt.3

2. Pflichtenkreis Für Erbfälle und Schenkungen enthält das Erbschaftsteuergesetz einen fest umrissenen Pflichtenkreis, und zwar

17.5

– die Anzeigepflicht des Erwerbers (§ 30 Abs. 1 ErbStG) und bei Schenkungen zusätzlich die Anzeigepflicht des Schenkers (§ 30 Abs. 2 ErbStG), – die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung auf Verlangen (§ 31 ErbStG), – die Anzeigepflicht von Banken und Versicherungen (§ 33 ErbStG) und – die Anzeigepflicht von Gerichten, Behörden und Notare (§ 34 ErbStG). Im Einzelnen: § 30 Abs. 1 ErbStG verpflichtet im Erbfall und bei Schenkungen den Erwerber, innerhalb von drei Monaten nach erlangter Kenntnis dem zuständigen Finanzamt von dem Erwerb Mitteilung zu machen, und zwar unabhängig davon, ob der Erwerber im In- oder Ausland ansässig ist. Diese Anzeigepflicht besteht auch dann, wenn das Finanzamt zusätzlich zur Abgabe einer Steuererklärung (§ 31 ErbStG) auffordert.4 Die Anzeigepflicht trifft nicht nur jeden einzelnen Erwerber, sondern auch gesetzliche Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigte (§§ 31, 35 AO).5 Sie besteht allerdings nur dann, wenn überhaupt die Möglichkeit einer Erbschaftsteuerpflicht gegeben ist, sodass etwa Erwerbe, die wertmäßig unter den Freibeträgen (§ 16 ErbStG) bleiben, aus der Anzeigepflicht herausfallen.6 Die Anzeigefrist für den Erwerber beträgt drei Monate ab Kenntnis des Erwerbers von seinem Erwerb, wobei auf die positive Kenntnis etwa aufgrund Testamentseröffnung7 abzustellen ist.

1 Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 8.26 ff. 2 Hierzu Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 7. 3 Derzeit gibt es folgende deutsche Erbschaftsteuerabkommen: Griechenland, Schweden, Schweiz, USA, Dänemark und Frankreich. 4 Jülicher in T/G/J/G, § 31ErbStG Rz. 1; Gohlisch, ZErb 2011, 102 ff. 5 Jülicher in T/G/J/G, § 30 ErbStG Rz. 7. 6 BFH v. 11.6.1958 – II R 56/57, BStBl. III 1958, 339; Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 30 ErbStG Rz. 3; Meincke/Hannes/Holtz17, § 30 ErbStG Rz. 8; Jülicher in T/G/J/G, § 30 ErbStG Rz. 16; Grootens in von Oertzen/Loose2, § 30 ErbStG, Rz. 10. 7 BFH v. 27.11.1981 – II R 18/80, BStBl. II 1982, 276.

Schaumburg | 941

17.6

Kap. 17 Rz. 17.7 | Erbschaftsteuerrecht

17.7

Bei Schenkung unter Lebenden wird die Anzeigepflicht zusätzlich auf den Schenker ausgedehnt (§ 30 Abs. 2 ErbStG), wobei diese Anzeigepflicht im Hinblick darauf, dass der Beschenkte primärer Steuerschuldner ist, in der Praxis zumeist nicht beachtet wird.1

17.8

Die Anzeigepflicht entfällt in den Fällen, in denen dem Finanzamt der betreffende Erwerb bereits bekannt ist oder der Erwerb auf einer von einem deutschen Gericht, Notar oder Konsul eröffneten Verfügung von Todes wegen beruht und sich aus der Verfügung das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser unzweifelhaft ergibt (§ 30 Abs. 3 Satz 1 ErbStG) oder wenn eine Schenkung unter Lebenden oder eine Zweckzuwendung gerichtlich oder notariell beurkundet ist (§ 30 Abs. 3 Satz 2 ErbStG). Gehört allerdings zum Erwerb Auslandsvermögen, ist eine Anzeige durch den Erwerber oder den Schenker unumgänglich (§ 30 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ErbStG).

17.9

Unabhängig von der Anzeigepflicht (§ 30 ErbStG) kann das Finanzamt von jedem an einem erbschaftsteuerpflichtigen Vorgang Beteiligten die Abgabe einer Steuererklärung verlangen (§ 31 Abs. 1–4 ErbStG). Ist ein Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter oder Nachlasspfleger vorhanden, ist die Steuererklärung von diesem abzugeben (§ 31 Abs. 5, 6 ErbStG).2 Das Erklärungsverlangen steht im Ermessen des Finanzamtes. Im Hinblick darauf wird das Finanzamt auf die Abgabe von Steuererklärungen verzichten, wenn zweifelsfrei feststeht, dass für niemanden eine Steuerfestsetzung in Betracht kommt.3

17.10

Durch §§ 33, 34 ErbStG werden auch dritte Personen in den Pflichtenkreis einbezogen. Hierzu gehören insbesondere Banken, Bausparkassen und Versicherungen, die dem zuständigen Finanzamt Guthaben des Erblassers zu melden haben. Der anzeigenpflichtige Personenkreis ist hierbei weit gezogen, sodass hierunter ausländische Niederlassungen inländischer Banken und inländische Niederlassungen ausländischer Banken gleichermaßen fallen.4 Anzeigepflichtig sind ferner Steuerberater, Rechtsanwälte und Notare, soweit diese Ander- oder Treuhandkonten unterhalten,5 ebenso Treuhänder-Kommanditisten etwa von geschlossenen Immobilienfonds.6 Die Anzeigepflicht besteht unabhängig davon, ob der Erbfall überhaupt der Erbschaftsteuer unterliegt, wobei allerdings in Fällen der Geringfügigkeit die Anzeige unterbleiben darf.7 Für Versicherungsunternehmen enthält § 33 Abs. 3 ErbStG eine Sonderregelung, wonach Versicherungssummen oder Leibrenten erst dann ausgezahlt werden dürfen, wenn sie zuvor dem Finanzamt hierüber Anzeige erstattet haben. Der Auszahlung steht die Umschreibung zur Fortführung des Versicherungsvertrages gleich.8 § 33 Abs. 2 ErbStG enthält schließlich auch eine Anzeigepflicht von Wertpapieremittenten.

1 Hierzu Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 30 ErbStG Rz. 6; Meincke/Hannes/Holtz17, § 30 ErbStG Rz. 10; Jülicher in T/G/J/G, § 30 ErbStG Rz. 26; Grootens in von Oertzen/Loose2, § 30 ErbStG Rz. 17. 2 Die Anzeigepflicht des Erwerbers (§ 30 Abs. 1 ErbStG) bleibt hiervon unberührt; BFH v. 11.5.2012 – II B 63/11, BFH/NV 2012, 1455 Rz. 4. 3 Jülicher in T/G/J/G, § 31 ErbStG Rz. 2. 4 Vgl. EuGH v. 26.11.2015 – C-522/14, ECLI:EU:C:2016:253 – Sparkasse Allgäu, BStBl. II 2017, 421; BFH v. 16.11.2016 – II R 239/13, BStBl. II 2017, 413; BFH v. 31.5.2006 – II R 66/04, BStBl. II 2007, 49; Jülicher in T/G/J/G, § 33 ErbStG Rz. 9. 5 Geck in Kapp/Ebeling, § 33 ErbStG Rz. 6. 6 FinMin. Baden-Württemberg v. 27.11.1998 – 3-S 3224/11, ZEV 1999, 25. 7 Schwellenwert 5.000 Euro; § 1 Abs. 4 Nr. 2 ErbStDV. 8 Vgl. HE 33 ErbStR 2019.

942 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 17.13 Kap. 17

§ 34 ErbStG verpflichtet Gerichte, Behörden, Beamte und Notare dem zuständigen Finanzamt schriftlich Anzeige zu erstatten über erbschaftsteuerlich relevante Beurkundungen, Zeugnisse und Anordnungen. Soweit Urkunden erstellt werden, müssen dem zuständigen Finanzamt vollständige Abschriften übersandt werden.1 Die Anzeige darf allerdings in Fällen von geringerer Bedeutung unterbleiben (§ 8 Abs. 3 ErbStDV). Die Anzeigepflicht trifft auch diplomatische Vertretungen und Konsulate im Ausland (§ 9 ErbStDV), wonach dem Bundeszentralamt für Steuern Sterbefälle sowie bekannt gewordene Zuwendungen ausländischer Erblasser oder Schenker an inländische Erwerber mitzuteilen sind.

17.11

Über die originär im ErbStG normierten Anzeigepflichten hinaus, sieht § 153 Abs. 2 AO eine Anzeigepflicht in den Fällen vor, in denen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung oder -vergünstigung nachträglich ganz oder teilweise entfallen. Angesprochen sind damit vor allem diejenigen Steuerbefreiungen, die zum Fortfall kommen, wenn die begünstigten Gegenstände innerhalb von zehn Jahren veräußert werden (z.B. § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2, Nr. 3 Satz 2, Nr. 4b Satz 5, Nr. 4c Satz 5 ErbStG für Grundbesitz) oder der Zuwendungsempfänger innerhalb von zehn Jahren bestimmte Anforderungen an die Vergünstigung nicht mehr erfüllt (z.B. § 13 Abs. 1 Nr. 13, Nr. 16 Buchst. b, Nr. 18 ErbStG). Betroffen sind schließlich auch die in § 13a Abs. 6, § 19a Abs. 5 ErbStG enthaltenen Nachsteuerregelungen.2

3. Pflichtverletzungen Im außensteuerlichen Kontext kommt es insbesondere dadurch zu Pflichtverletzungen, dass den sich aus §§ 30, 33, 34 ErbStG verankerten Anzeigepflichten nicht entsprochen wird und/oder die vom zuständigen Finanzamt angeforderten Erbschaftsteuererklärungen (§ 31 ErbStG) unvollständig sind. Soweit der Anzeigepflicht aus § 30 ErbStG nicht entsprochen wird, führt dieser Pflichtenverstoß in steuerlicher Hinsicht zu einer Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist (§ 170 Abs. 5 AO), weil bei Schenkungen die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat (§ 170 Abs. 5 Nr. 2 AO).3 Beim Erwerb von Todes wegen beginnt die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat (§ 170 Abs. 5 Nr. 1 AO).4 Weitergehende steuerliche Folgen ergeben sich nicht, insbesondere können Verspätungszuschläge nicht erhoben werden.5 In steuerstrafrechtlicher Hinsicht führt der Verstoß gegen die Anzeigepflicht (§ 30 ErbStG) zu einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO), wenn durch die unterlassene Anzeige die Erbschaftsteuer nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt wird.6

17.12

Wird die vom Finanzamt angeforderte Steuererklärung überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig7 abgegeben, kann ein Zwangsgeld (§ 329 AO) bis zur Höhe von 25.000 Euro festgesetzt werden. Bei verspäteter Abgabe kommt ein Verspätungszuschlag (§ 152 AO) in Betracht. Im Übrigen kann die Erbschaftsteuer in diesen Fällen auch geschätzt werden.8 In steuerstrafrecht-

17.13

1 2 3 4 5 6 7 8

Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 34 ErbStG Rz. 2. Vgl. zu diesen Anzeigepflichten Jülicher in T/G/J/G, § 30 ErbStG Rz. 4 f. Zur Anlaufhemmung im Einzelnen Drüen in T/K, § 170 AO Rz. 25 ff. Zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 170 AO Rz. 21 ff. Die Anzeige ist keine Steuererklärung i.S. von § 150 AO; vgl. Jülicher in T/G/J/G, § 30 ErbStG Rz. 1. Im Einzelnen Halaczinsky/Füllsack, BB 2011, 2839 ff. Die Frist beträgt mindestens einen Monat (§ 31 Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 31 ErbStG Rz. 5.

Schaumburg | 943

Kap. 17 Rz. 17.13 | Erbschaftsteuerrecht

licher Hinsicht führt die Nichtabgabe und die verspätete Abgabe der Erbschaftsteuererklärung oder die unrichtige Steuererklärung in aller Regel zu einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder zu einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO).

17.14

Der Verstoß gegen die Anzeigepflicht gem. § 33 ErbStG kann in steuerlicher Hinsicht zu einer Haftung für Steuerausfälle nach § 20 Abs. 6 ErbStG führen. Hierdurch sind insbesondere Banken und Versicherungsunternehmen betroffen.

17.15

Wird die Anzeigepflicht gem. § 33 ErbStG etwa dadurch verletzt, dass die Bank dem zuständigen Finanzamt über das Vorhandensein eines Bankschließfaches des Erblassers keine Mitteilung macht, wird der Tatbestand einer Steuerordnungswidrigkeit erfüllt (§ 33 Abs. 4 ErbStG), die mit Geldbuße geahndet werden kann (§ 377 Abs. 2 AO i.V.m. § 17 Abs. 1 OWiG). Soweit der zur Anzeige Verpflichtete Vermögensverwalter ist (§ 34 Abs. 3 AO), etwa bei Versicherungsunternehmen, führt der Pflichtenverstoß jedenfalls zu einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO).

17.16

Für einen Verstoß gegen die Anzeigepflichten durch Gerichte, Behörden, Beamte und Notare (§ 34 ErbStG) sind in steuerlicher Hinsicht keine steuerlichen Folgen vorgesehen. Insbesondere können gegen Notare keine Zwangsmittel (§§ 328 ff. AO) festgesetzt werden, weil sie hoheitliche Tätigkeiten (§ 255 Abs. 1 AO) im Rahmen ihrer Anzeigepflichten wahrnehmen.1 In ordnungswidrigkeitsrechtlicher Hinsicht sind ebenfalls keine besonderen Rechtsfolgen vorgesehen, insbesondere fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Ordnungswidrigkeit.

17.17

In strafrechtlicher Hinsicht ist in der Praxis von besonderer Bedeutung die Nichtangabe oder unvollständige Angabe von ererbtem oder geschenktem Auslandsvermögen in den vom Finanzamt angeforderten Steuererklärungen.

17.18

Beispiel: A, der sowohl die deutsche als auch die kanadische Staatsbürgerschaft hat, ist Anfang der 70er Jahre nach Kanada ausgewandert. Dort hat er in allen Jahren seinen alleinigen Wohnsitz gehabt. Im Jahr 2016 hat er sich in einem süddeutschen Kurort eine Wohnung gemietet, in der er sich insgesamt für etwa drei Monate zu Erholungs- bzw. Kurzwecken aufgehalten hat. Nachdem A erfährt, dass er unheilbar erkrankt ist, gibt er seine Wohnung in Deutschland auf, und hält sich seitdem nur noch in Kanada auf. A verstirbt im Frühjahr 2017. Alleinerben sind seine beiden volljährigen Kinder, die ihren alleinigen Wohnsitz in Kanada haben. Beide Kinder haben ebenfalls sowohl die deutsche als auch die kanadische Staatsangehörigkeit. Zum Nachlass gehört umfangreicher Grundbesitz in Kanada sowie alle Anteile an einer von A in Kanada errichteten Kapitalgesellschaft. Das für seine vormalige Wohnung in Süddeutschland zuständige Erbschaftsteuer-Finanzamt erfährt von dem Erbgang im Jahr 2018 und fordert die Alleinerben zur Abgabe von Steuererklärungen auf. Zugleich wird gegen beide Erben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

17.19

Da A als Erblasser zur Zeit seines Todes deutscher Staatsangehöriger war und sich zu diesem Zeitpunkt nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten hat, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben, sind die Voraussetzungen der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht gegeben (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG). Dass A auch die kanadische Staatsbürgerschaft hatte und zudem nur kurzfristig im Inland einen Wohnsitz unterhielt, spielt keine Rolle.2 Als Rechtsfolge ergibt sich, dass der gesamte Erwerb (Weltvermögen) der deutschen Erbschaftsteuer unterfällt mit der Folge, dass hier sowohl das kanadische

1 Hierzu Jülicher in T/G/J/G, § 34 ErbStG Rz. 16. 2 Vgl. Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 21; Hinweis: Ggf. kommt auch eine Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) in Betracht; vgl. Rz. 14.35 ff.

944 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 17.21 Kap. 17

Grundvermögen als auch die Anteile an der kanadischen Kapitalgesellschaft von deutscher Erbschaftsteuer erfasst werden. Die in § 13b ErbStG vorgesehenen Verschonungsregelungen greifen hier nicht ein, weil es sich bei der von A errichteten Kapitalgesellschaft um eine sog. Drittlandsgesellschaft handelt (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Soweit in Kanada für den Übergang des ausländischen Grundvermögens und der Anteile an der kanadischen Kapitalgesellschaft eine capital-gains-tax erhoben wird, ist eine Doppelbesteuerung nicht vermeidbar. Mit Kanada besteht kein Erbschaftsteuerabkommen und die kanadische capital-gains-tax ist keine der deutschen Erbschaftsteuer vergleichbare Steuer, sodass die Anrechnung gem. § 21 ErbStG ausgeschlossen ist.1 Stattdessen ist die kanadische capital-gains-tax als Nachlassverbindlichkeit von der Bemessungsgrundlage abziehbar.2 Damit steht fest, dass die unterlassene Anzeige (§ 30 ErbStG) zu einer Verkürzung von Erbschaftsteuer geführt hat. Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist gegeben. Ob allerdings auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt ist, erscheint mehr als zweifelhaft. Auch in Orientierung an die Parallelwertung in der Laiensphäre3 wird man nicht davon ausgehen können, dass Auslandsvermögen eines zum Zeitpunkt seines Todes und davor ganz überwiegend im Ausland ansässigen Erblassers nur deshalb der (erweiterten) unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegt, weil dieser innerhalb der letzten fünf Jahre vor seinem Ableben drei Monate einen Nebenwohnsitz in Deutschland unterhielt.

17.20

II. Inländisches Vermögen Literatur: Kommentare zu § 2 ErbStG, § 121 BewG, § 4 AStG; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl., München 2008, Ettinger, Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer beim Wegzug ins Ausland und danach, Zerb 2006, 41 ff.; von Oertzen, Erbschaftsteuerplanung bei beschränkt Steuerpflichtigen, in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Berlin 2011, 2003 ff.; Reich, Internationales Erbschaftsteuerrecht, in Süß, Erbrecht in Europa, 4. Aufl., Berlin 2020, 241 ff.; Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 8.31 ff.; Wachter, Beschränkte Erbschaftsteuerpflicht, ErbStB 2004, 25 ff.; Werz, Gestaltungsmöglichkeiten bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht, in FS Spiegelberger, Bonn 2009, 584 ff.

1. Überblick In den Fällen, in denen weder der Erblasser (Schenker) noch der Erwerber Inländer sind, greift die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht ein (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Ergänzt wird die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht durch die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 4 AStG). Die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht erstreckt sich auf den Vermögensanfall, der Inlandsvermögen (§ 121 BewG) betrifft. Zum Inlandsvermögen gehören nur diejenigen Vermögensgegenstände, die ausdrücklich in § 121 BewG aufgeführt werden. Das bedeutet, dass etwa Bank- oder Sparguthaben oder Wertpapierdepots bei inländischen Kreditinstituten sowie nicht dinglich gesicherte Forderungen gegen inländische Schuldner nicht zum Inlandsvermögen zählen. Daher sind auch der auf Geld gerichtete Pflichtteilsanspruch, selbst wenn er gegen einen inländischen Erben gerichtet ist, sowie ein Geldvermächtnis, auch wenn es aus 1 BFH v. 26.4.1995 – II R 13/92, BStBl. II 1995, 540; kritisch hierzu Jülicher, ZEV 1996, 295 ff. (296 f.). 2 Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 7; Schienke-Ohletz in von Oertzen/Loose2, § 21 ErbStG Rz. 12. 3 Hierzu BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, BGHSt 50, 332; Joecks in MK-StGB³, § 16 StGB Rz. 70 f.; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 125.

Schaumburg | 945

17.21

Kap. 17 Rz. 17.21 | Erbschaftsteuerrecht

einem Nachlass zu entrichten ist, der nur aus Inlandsvermögen besteht, nicht beschränkt erbschaftsteuerpflichtig.1 Zum Inlandsvermögen gehören: – inländisches Land- und forstwirtschaftliches Vermögen, wobei auf die Belegenheit dieses Vermögens und nicht etwa auf den Sitz der Leitung des Land- und forstwirtschaftlichen Betriebs abgestellt wird (§ 121 Nr. 1 BewG), – inländisches Grundvermögen, zu dem neben Grund und Boden, Gebäuden, sonstigen Bestandteilen und Zubehör auch das Erbbaurecht und das Wohnungseigentum sowie Gebäude auf fremden Grund und Boden gehören (§ 121 Nr. 2 BewG), – inländisches Betriebsvermögen, also das Vermögen, das einem im Inland betriebenen Gewerbe dient, wenn hierfür im Inland eine Betriebsstätte (§ 12 AO) unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter (§ 13 AO) bestellt ist,2 ohne dass es darauf ankommt, ob sich die betreffenden Wirtschaftsgüter im Inland oder im Ausland befinden3 (§ 121 Nr. 3 BewG), – Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften, wenn die Beteiligung mindestens 1/10 des Nennkapitals ausmacht (§ 121 Nr. 4 BewG), – Patente, Gebrauchsmuster und Topographien, soweit sie nicht bereits zu einem inländischen Betriebsvermögen gehören und in einem inländischen Buch oder Register eingetragen sind (§ 121 Nr. 5 BewG), – Wirtschaftsgüter, die einem inländischen gewerblichen Betrieb überlassen sind, wozu insbesondere vermietete und verpachtete Wirtschaftsgüter sowie in Lizenz vergebene Erfindungen, Gebrauchsmuster, Know-how und Marken gehören, (§ 121 Nr. 6 BewG), – grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen, also insbesondere Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden und andere Forderungen oder Rechte, wenn sie durch inländischen Grundbesitz oder inländische grundstücksgleiche Rechte oder durch Schiffe, die in einem inländischen Schiffsregister eingetragen sind, unmittelbar oder mittelbar gesichert sind (§ 121 Nr. 7 BewG), – Forderungen aus stillen Beteiligungen und partiarischen Darlehen, wenn der Schuldner unbeschränkt steuerpflichtig ist (§ 121 Nr. 8 BewG), – Nutzungsrechte am Inlandsvermögen, wozu sowohl dingliche als auch obligatorische Rechte, insbesondere der Nießbrauch an Grundstücken und an Beteiligungen zählen (§ 121 Nr. 9 BewG).

17.22

Ebenso wie bei unbeschränkter Steuerpflicht sind auch bei beschränkter Steuerpflicht Schulden und Lasten bei Feststellung der Bereicherung nur insoweit abziehbar, als sie mit den steuerpflichtigen Vermögensgegenständen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG). Damit wird auch im Bereich der beschränkten Steuerpflicht im Grundsatz das Nettoprinzip sichergestellt.

17.23

Im Rahmen der erweitert beschränkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 4 AStG) wird die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) über die in § 121 BewG genannten Wirt1 Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz.67; Eisele in Kapp/Ebeling, § 2 ErbStG Rz. 52; anders für Erbfälle nach dem 17.8.2015 aufgrund von Art. 83 Abs. 1 EuErbVO bei sog. dinglichen Vermächtnissen nach Maßgabe des ausländischen Erbrechts; vgl. Rz. 17.30. 2 Dies gilt entsprechend auch für eine freiberufliche Tätigkeit (vgl. § 96 BewG). 3 Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz 54; Schienke-Ohletz in von Oertzen/Loose2, § 2 ErbStG Rz. 41.

946 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 17.25 Kap. 17

schaftsgüter hinaus auf alle Vermögenswerte ausgedehnt, deren Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht zu den ausländischen Einkünften i.S. des § 34c Abs. 1 EStG gehören. Betroffen hierdurch sind ausgewanderte natürliche Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, und zwar unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der erweiterten beschränken Einkommensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG; hierzu Rz. 13.23 ff.). Das bedeutet insbesondere: – Der Erblasser oder Schenker muss eine natürliche Person (gewesen) sein, die in den letzten zehn Jahren vor der Auswanderung als Deutscher insgesamt mindestens fünf Jahre lang unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war. – Der Erblasser oder Schenker muss(te) in einem ausländischen Gebiet ansässig sein, in dem er mit seinem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung vom Einkommen (§ 2 Abs. 2 AStG) unterliegt (unterlag). – Der Erblasser oder Schenker muss(te) unmittelbar oder mittelbar wesentliche wirtschaftliche Interessen (§ 2 Abs. 3 und 4 AStG) im Inland haben. Über das Inlandsvermögen (§ 121 BewG) hinaus wird noch folgendes erweitertes Inlandsvermögen erfasst:1

17.24

– Kapitalforderungen gegen Schuldner im Inland, – Spareinlagen und Bankguthaben bei Geldinstituten im Inland, – Aktien und Anteile an Kapitalgesellschaften, Investmentfonds und offenen Immobilienfonds sowie Geschäftsguthaben bei Genossenschaften im Inland, – Ansprüche auf Renten und andere wiederkehrende Leistungen gegen Schuldner im Inland sowie Nießbrauchs- und Nutzungsrechte an Vermögensgegenständen im Inland, – Erfindungen und Urheberrechte, die im Inland verwertet werden, – Versicherungsansprüche gegen Versicherungsunternehmen im Inland, – bewegliche Wirtschaftsgüter, die sich im Inland befinden, – Vermögen, dessen Erträge nach § 5 AStG2 der erweiterten beschränkten Steuerpflicht unterliegen, – Vermögen, das nach § 15 AStG3 dem erweitert beschränkt Steuerpflichtigen zuzurechnen ist.

2. Pflichtenkreis Die sich insbesondere aus den §§ 30, 31, 33 und 34 ErbStG ergebenden Verpflichtungen (Rz. 17.5 ff.) gelten auch in den Fällen der beschränkten oder erweitert beschränkten Erbschaftsteuerpflicht. Daher hat etwa ein im Ausland ansässiger Erwerber auch bei beschränkter Steuerpflicht den Erwerb dem zuständigen inländischen Finanzamt anzuzeigen. Darüber hinaus kann das Finanzamt auch ohne weiteres einen im Ausland ansässigen Erwerber zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auffordern.4 Soweit hiernach der (ausländische) Erwerber

1 2 3 4

BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3, Tz. 4.1.1. Es geht um zwischengeschaltete Auslandsgesellschaften. Betrifft ausländische Familienstiftungen; vgl. Rz. 14.208 ff. Vgl. AEAO zu § 122 AO Rz. 1.8.4; vgl. allerdings die in Rz. 3.1.4.1 aufgeführten Ausnahmen (Länderliste).

Schaumburg | 947

17.25

Kap. 17 Rz. 17.25 | Erbschaftsteuerrecht

Angaben zu machen hat, trifft ihn ggf. eine erhöhte Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO; zu Einzelheiten Rz. 15.4 ff.). Sind etwa Banken, Bausparkassen und Versicherungen zur Anzeige verpflichtet (§ 33 ErbStG), trifft sie diese Verpflichtung nur, wenn sie im Inland ansässig sind. Das bedeutet, dass etwa ausländischen Niederlassungen inländischer Banken ebenso anzeigepflichtig sind wie inländische Niederlassungen ausländischer Banken.1 Gerichte, Behörden, Beamte und Notare sind zwar im Grundsatz nur zur Anzeige verpflichtet, wenn sie im Inland ansässig sind (§ 34 ErbStG), eine Pflichtenerweiterung ergibt sich allerdings für Auslandsstellen, also für diplomatische Vertreter und Konsuln, die dem Bundeszentralamt für Steuern die ihnen bekannt gewordenen Sterbefälle von Deutschen ihres Amtsbezirks, die ihnen bekannt gewordenen Zuwendungen ausländischer Erblasser oder Schenker an Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, anzuzeigen haben (§ 9 ErbStDV).

3. Pflichtverletzungen 17.26

Im Hinblick darauf, dass der Pflichtenkreis bei beschränkter und erweitert beschränkter Erbschaftsteuerpflicht sich nicht von demjenigen unterscheidet, der bei unbeschränkter und erweitert unbeschränkter Erbschaftsteuerpflicht maßgeblich ist, ergeben sich auch keine Unterschiede bei den möglichen Pflichtverletzungen. Da allerdings Anzeigepflichten dritter Personen eine geringere Bedeutung haben, steht die Verletzung von Anzeigepflichten der am Erwerbsvorgang beteiligten Personen sowie die Verletzung von Steuererklärungspflichten im Vordergrund.

17.27

Beispiel: X ist US-Staatsbürger und an der in Österreich ansässigen X-AG zu 60 % beteiligt. Die XAG hält ihrerseits zahlreiche Portfoliobeteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften und sonstige ausländische Kapitalanlagen, die von zwei angestellten Anlagemanagern in einem von der X-AG angemieteten Büro in Wien verwaltet werden. Die X-AG ist zudem an der inländischen A-AG in Deutschland zu 100% beteiligt. X, der in den USA ansässig ist, schenkt seiner dort ebenfalls ansässigen Tochter, die die US-Staatsbürgerschaft besitzt, alle seine Anteile an der X-AG. Das zuständige Erbschaftsteuerfinanzamt2 erfährt drei Jahre später von dieser Schenkung und fordert X sowie dessen Tochter auf, die Schenkungsteuererklärungen abzugeben. Zugleich wird gegen X und dessen Tochter ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

17.28

Die Schenkung des X an seine Tochter unterliegt nicht der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht, weil weder er noch sie Inländer sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Daher kommt nur eine beschränkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) in Betracht, falls es sich bei der Schenkung der Anteile an der X-AG um Inlandsvermögen handelt. Das ist hier nicht der Fall. § 121 Nr. 4 BewG erfasst als Inlandsvermögen nur Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften, wenn der Erblasser oder Schenker entweder allein oder zusammen mit anderen ihm nahestehenden Personen am Nennkapital mindestens zu 1/10 unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift wären die Anteile an der inländischen A-AG an sich Inlandsvermögen, weil X zum Zeitpunkt der Schenkung mittelbar alle Anteile an der A-AG hielt. § 121 Nr. 4 BewG wird indessen einschränkend dahin ausgelegt, dass mittelbar gehaltene Beteiligungen nur für die Ermittlung der Beteiligungsgrenze, nicht aber selbst beim Inlandsvermögen berücksichtigt werden.3 Damit zählt eine ausschließlich mittelbar über eine 1 Zu ausländischen Niederlassungen inländischer Banken BFH v. 31.5.2006 – II R 66/04, BStBl. II 2007, 49; EuGH v. 14.4.2016 – C-522/14, ECLI:EU:C:2016:253 – Sparkasse Allgäu, ISR 2016, 207 m. Anm. Henze; BFH v. 16.11.2016 – II R 29/13, BStBl. II 2017, 413; vgl. auch Jülicher in T/G/J/G, § 33 ErbStG Rz. 8 f. 2 Bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht ist das Finanzamt zuständig, in dessen Bezirk sich das Inlandsvermögen befindet (§ 35 Abs. 4 ErbStG i.V.m. § 19 Abs. 2 AO). 3 RE 2.2 Abs. 3 Satz 5 ErbStR 2019.

948 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 17.30 Kap. 17

ausländische Gesellschaft gehaltene Beteiligung einer inländischen Kapitalgesellschaft nicht zum Inlandsvermögen.1 Etwas anderes gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung dann, wenn es sich bei der Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft um einen Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten handelt (§ 42 AO). Das soll insbesondere dann in Betracht kommen, wenn für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet.2 Von einem Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten kann hier indessen schon deshalb keine Rede sein, weil die X-AG in Österreich mit eigenem Personal in eigenen Geschäftsräumen vermögensverwaltend tätig ist. Eine derart vermögensverwaltende Tätigkeit wird von der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) geschützt,3 sodass unter diesem Gesichtspunkt ein Gestaltungsmissbrauch zu verneinen ist. Dass die Niederlassungsfreiheit nur Unionsbürger schützt, spielt keine Rolle, weil wegen des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) auch Drittstaatsangehörige sich auf die entsprechenden Schutzwirkungen berufen können.4 Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die gewählte Gestaltung rein künstlich ist und nur dazu dient, die Steuerentstehung im Inland zu umgehen. Dass dies hier nicht der Fall ist, ist offenkundig, sodass insoweit weitere Ermittlungen nicht anzustellen sind. Da somit schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist, muss das Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Beispiel: Die in Polen ansässige E, die die polnische Staatsangehörigkeit besitzt, erhält 2017 im Wege eines dinglichen Vermächtnisses polnischen Rechts von ihrer Tante T ein in Deutschland belegenes unbebautes Grundstück. T war ebenfalls polnische Staatsangehörige und bis zu ihrem Tode (2017) in Polen wohnhaft. T und E hatten zu keinem Zeitpunkt in Deutschland einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder einen gewöhnlichen Aufenthalt. 5

17.29

Das zuständige Erbschaftsteuerfinanzamt6 erfährt 2019 von dem Vermächtnis und fordert E auf eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben. Zugleich wird gegen E ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Der Erwerb des Grundstücks durch E unterliegt nicht der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht, weil weder sie noch die verstorbene T Inländer sind bzw. waren (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). In Betracht kommt somit allein eine beschränkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), falls es sich bei dem Vermächtnis um Inlandsvermögen handelt (§ 121 Nr. 1–9 BewG). Ein Vermächtnis ist nach deutschem Recht nur ein Forderungsrecht (§ 2147 BGB), das als solches nicht unter § 121 Nr. 1–9 BewG fällt.7 Das gilt auch dann, wenn es sich auf ein in Deutschland belegenes Grundstück bezieht.8 Ob das Vermächtnis zugunsten der E bloß 1 Andernfalls führte der Durchgriff i.S. einer Transparenzfiktion zu einer uferlosen Anwendung; hierzu im Einzelnen Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 58. 2 RE 2.2 Abs. 3 Sätze 6, 7 ErbStR 2019. 3 EuGH v. 16.7.1998 – C-264/96, ECLI:EU:C:1998:370 – ICI, EuGHE 1998, I-4711; EuGH v. 18.9.2003 – C-168/01, ECLI:EU:C:2003:479 – Bosal Holding, EuGHE 2003, I-9430; EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadburry Schweppes, FR 2006 987 m. Anm. Lieber. 4 Schaumburg in Schaumburg/Englisch², Rz. 4.72 m.w.N. auch zur Gegenansicht (h.L.); zur Überlagerung des § 42 AO durch die Grundfreiheiten Drüen in T/K, vor § 42 AO Rz. 39 ff. 5 Vgl. FG München v. 10.7.2019 – 4 K 174/16, EFG 2019, 1545. 6 Bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht ist das Finanzamt zuständig, in dessen Besitz sich das Inlandsvermögen befindet (§ 35 Abs. 4 ErbStG i.V.m. § 19 Abs. 2 AO). 7 Forderungsrechte fallen unter § 121 Nr. 7 BewG nur dann, wenn sie dinglich gesichert sind. 8 Meßbacher-Hönsch in Wilms/Jochum, § 2 ErbStG Rz. 154; Richter/Fischer in V/S/W5, § 121 BewG Rz. 6; Schienke-Ohletz in von Oertzen/Loose2, § 2 ErbStG Rz. 36; Wachter, DB 2019, 2214 ff.; a.A. FG München v. 10.7.2019 – 4 K 174/16, EFG 2019, 1545 (Rev. beim BFH, Az. II R 37/19).

Schaumburg | 949

17.30

Kap. 17 Rz. 17.30 | Erbschaftsteuerrecht

schuldrechtlicher oder dinglicher Natur ist, beurteilt sich allerdings für alle Erbfälle mit Auslandsberührung ab 17.8.2015 nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO). Hiernach kommt es auf das für den Erbfall maßgebliche ausländische Erbrecht an. Nach polnischem Erbrecht handelt es sich hier um ein Vindikationslegat, also um ein Vermächtnis mit dinglicher Wirkung.1 E ist somit bei Eintritt des Erbfalls unmittelbar Eigentümerin des deutschen Grundstücks geworden2 mit der Folge, dass insoweit auch inländisches Grundvermögen (§ 121 Nr. 2 BewG) gegeben ist. E wäre also verpflichtet gewesen, den Erwerb beim zuständigen Finanzamt anzuzeigen (§ 30 Abs. 1, 4 ErbStG). Da die Anzeige unterblieben ist, wurde seitens der E der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) erfüllt. Ob E vorsätzlich gehandelt hat, wird im Rahmen des Ermittlungsverfahrens festzustellen sein.

III. Ausländische Familienstiftungen und Trusts Literatur: Kommentare zu §§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 Nr. 1 und 8 ErbStG; Birnbaum/Lohbeck/Pöllath, Die Verselbständigung von Nachlassvermögen: Stiftung, Trust und andere Gestaltungen im Vergleich, FR 2007, 479 ff.; Bron/Seidel, Informationsaustausch, Datenkauf sowie Selbstanzeige bei Stiftungs- und Trust-Strukturen, ErbStB 2010, 111 ff.; Deininger/Gökenberger, Internationale Vermögensnachfolgeplanung mit Auslandsstiftungen und Trusts, Angelbachtal 2006; Jorde/Götz, Ausländische Familienstiftungen und Trusts in der Gestaltungsberatung, FS Spiegelberger, Bonn 2009, 1301 ff.; Habammer, Der ausländische Trust im deutschen Ertrag- und Erbschaft-/Schenkungsteuerrecht, DStR 2002, 425 ff.; Jülicher, Der Trust als untaugliches Mittel der Vermögensnachfolge in Deutschland, PIStB 1999, 37 ff.; Jülicher, Treuhandverhältnisse im Erbschaftsteuerrecht, DStR 2001, 2177 ff.; Jülicher, Ausländische Familienstiftungen und Trusts – Chancen und Risiken durch die neue BFH-Rechtsprechung, ZErb 2007, 361 ff.; Noll, Foundation and Trust in Succession Planing, in FS Piltz, Köln 2014, 353 ff.; von Oertzen/Stein, Deutsch-US-amerikanische Nachfolgeplanung: Steuervorteile im ErbStG durch Verwendung von Trusts, ZEV 2010, 550; Richter/Haag, Trust und Trustbesteuerung in Deutschland, in FS Meincke, München 2015, 299; Schindhelm/Stein, Der Trust im deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht nach dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, FR 1999, 880 ff.; Schütz, Die Besteuerung ausländischer, insbesondere liechtensteinischer Familienstiftungen und ihre Begünstigten in Deutschland, DB 2008, 603 ff.; Verstl, Der internationale Trust als Instrument der Vermögensnachfolge, Berlin 2000; Wassermeyer, W., Die Besteuerung ausländischer Familienstiftungen und Trusts aus deutscher Sicht, FR 2015, 149; Weber/Zürcher, Keine Schenkungsteuerbarkeit der Übertragung von Vermögen auf eine liechtensteinische Familienstiftung als (unechte) Treuhänderin, DStR 2008, 803 ff.; Werz/Brunner, Steuerfolgen beim Liechtenstein-Trust, PiStB 2006, 59 ff. Wienbracke, Die erbschaft- und schenkungsteuerliche Behandlung von Trusts in Deutschland, Steuerrevue 2007, 409 ff., 290 ff.; Wienbracke, Trusts in Deutschland, Wiesbaden 2012.

1. Überblick 17.31

Inländische Familienstiftungen3 unterliegen in Zeitabständen von je 30 Jahren der Ersatzerbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Das gilt nicht für ausländische Familienstiftungen, weil im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nur Vermögensanfälle erfasst werden (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) unterliegt allerdings der Ver-

1 Vgl. die Nachweise bei EuGH v. 12.10.2017 – C-218/16, ECLI:EU:C:2017:755 – Kubicka, NJW 2017, 3767; Tereszkiewicz/Longchamps de Bérier in Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch, Internationales Erbrecht³, Länderbericht Polen Rz. 37 ff. 2 Tereszkiewicz/Longchamps de Bérier in Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch, Internationales Erbrecht³, Länderbericht Polen Rz. 38. 3 Trusts sind zivilrechtlich im deutschen Rechtskreis nicht vorgesehen.

950 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 17.33 Kap. 17

mögenstransfer auf ausländische Familienstiftungen und Trusts, und zwar sowohl bei der Errichtung (§ 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG) als auch bei weiteren Erwerbungen und Zustiftungen (§ 3 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Voraussetzung ist allerdings, dass die ausländische Familienstiftung1 bzw. der ausländische Trust2 über das zugewendete Vermögen im Verhältnis zum Leistenden tatsächlich und rechtlich frei verfügen kann.3 Denn nur in einem solchen Fall handelt es sich um eine vom Gesetz (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) geforderte Bereicherung.4 Eine freigebige Zuwendung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) ist daher insbesondere dann nicht gegeben, wenn sich z.B. der Stifter bei Errichtung der Stiftung das Recht am Stiftungsvermögen, an den Erträgen, auf Satzungsänderungen, auf Weisungen gegenüber dem Treuhänder und auf Rückübertragung des Vermögens vorbehalten hat.5 Diese für ausländische (Familien-)Stiftungen maßgeblichen Grundsätze gelten auch für ausländische Trusts.6 Das bedeutet im Ergebnis, dass in der Praxis Vermögenstransfers auf revocable trusts und grantor’s trusts keine Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) auslösen. Soweit die ausländische (Familien-)Stiftung oder der ausländische Trust mittels seiner Organe über das zugewendete Vermögen uneingeschränkt verfügen kann, ist der Vermögenstransfer bei Errichtung als Erstausstattung der Schenkungsteuer unterworfen (§ 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG), wobei stets Steuerklasse III zur Anwendung kommt.7 Entsprechendes gilt auch für spätere Vermögenstransfers insbesondere bei Zustiftungen.8

17.32

Wird während des Bestehens des ausländischen Trusts Vermögen an Zwischenberechtigte,9 etwa Destinatäre, ausgekehrt, ist diese Zuwendung ebenfalls der Schenkungsteuer unterworfen (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG),10 wobei für die für die Besteuerung maßgebliche Steuerklasse auf das Verwandtschaftsverhältnis der Erwerber zum Stifter bzw. zum Trustgeber abzustellen ist (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG).11

17.33

1 Familienstiftungen sind Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind, § 15 Abs. 2 AStG. 2 Der Trust ist eine Vermögensmasse ausländischen Rechts, deren Zweck auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2; § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2, Nr. 9 Satz 2 ErbStG); zum Begriff und rechtlichen Ausgestaltung der Überblick von Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 116 ff. 3 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. 4 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. 5 Vgl. hierzu Bron/Seidel, ErbStB 2010, 111 ff. (115). 6 FG Baden-Württemberg v. 15.7.2010 – 7 K 38/07, EFG 2011, 164; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 129; Jorde/Götz in FS Spiegelberger, 2009, 1301 ff. (1319). 7 § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG, der auf das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zum Stifter abstellt, gilt nur für inländische Familienstiftungen; zu unionsrechtlichen Zweifeln Thömmes/Stockmann, IStR 1999, 261 ff.; vgl. auch Jülicher in T/G/J/G, § 15 ErbStG Rz. 110. 8 Sie unterliegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wobei ebenfalls Steuerklasse III anzuwenden ist; vgl. Jülicher in T/G/J/G, § 15 ErbStG Rz. 112. 9 Zum Begriff BFH v. 27.9.2012 – II R 45/10; BStBl. II 2013, 84, 135 Rz. 16 ff. 10 BFH v. 27.9.2012 – II R 45/10, BStBl. II 2013, 84; hierzu Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 131; diese Regelung wird nicht auf ausländische Familienstiftungen angewendet; vgl. Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 224a; Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 271; ebenso im Ergebnis BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14, ZEV 2014, 504. 11 Vgl. Jülicher in T/G/J/G, § 15 ErbStG Rz. 130 f.; Gebel in T/G/J/G, § 7 ErbStG Rz. 346; zur Doppelbelastung mit Einkommensteuer (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG oder § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 AStG); Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 140.

Schaumburg | 951

Kap. 17 Rz. 17.34 | Erbschaftsteuerrecht

17.34

Die Auflösung einer ausländischen (Familien-)Stiftung oder eines ausländischen Trusts führt ebenfalls zur Steuerpflicht, und zwar beim Anfallsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 ErbStG) sowie gleichermaßen bei anderen Personen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG),1 wobei für die maßgebliche Steuerklasse auf das Verwandtschaftsverhältnis zum Stifter bzw. Trustgeber abzustellen ist (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG).2 Die Rückübertragung des Vermögens an den Stifter selbst unterliegt demgegenüber der Steuerklasse III.3

2. Pflichtenkreis 17.35

Die sich insbesondere aus den §§ 30, 31, 33 und 34 ErbStG ergebenden Verpflichtungen (Rz. 17.5 ff.) betreffen auch ausländische (Familien-)Stiftungen sowie ausländische Trusts. Die gesetzlichen Vertreter (Organe) bzw. Verfügungsberechtigten haben dabei die entsprechenden Verpflichtungen zu erfüllen (§§ 34, 35 AO).

3. Pflichtverletzungen 17.36

In der Praxis treten die Pflichtverletzungen sowohl bei Errichtung und Auflösung einer ausländischen (Familien-)Stiftung oder eines ausländischen Trusts als auch beim Zwischenerwerb auf. In allen Fällen geht es um unterlassene Anzeigen bzw. um die Nichtabgabe von Steuererklärungen, wobei in dem hier interessierenden Zusammenhang es nicht nur um Erbschaftsteuererklärungen, sondern auch um Feststellungserklärungen für Zwecke der Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG; Rz. 16.196) geht.

17.37

Beispiel: A, der von Anbeginn an in Deutschland einen Wohnsitz unterhält, hat vor drei Jahren in Liechtenstein eine Familienstiftung liechtensteinischen Rechts durch einen von ihm beauftragten Treuhänder errichtet. Entsprechend der Stiftungsurkunde hat A auf die Stiftung erhebliches Barvermögen übertragen. Begünstigte sind seine Familienangehörigen. Der Stiftungsrat, dem A nicht angehört, hat entsprechend den Vorgaben in der Satzung das Vermögen mündelsicher anzulegen. Irgendwelche Weisungen des A als Stifter sind in der Satzung nicht vorgesehen. Aufgrund einer von der Finanzverwaltung erworbenen Daten-CD erhält das Finanzamt Kenntnis von der von A errichteten Familienstiftung in Liechtenstein. Im Rahmen einer Durchsuchung seitens der Steuerfahndung wird der vorgenannte Sachverhalt aufgedeckt, wobei zugleich festgestellt wird, dass A gegenüber dem Stiftungsrat keinerlei Weisungen hinsichtlich der Anlage des Vermögens gegeben hat.

17.38

Die Errichtung der Familienstiftung durch A ist schenkungsteuerpflichtig (§ 3 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG), wobei Steuerklasse III (§ 15 Abs. 1 ErbStG) zur Anwendung kommt.4 Voraussetzung ist allerdings, dass die Stiftung tatsächlich und rechtlich über das ihr zugewendete Vermögen verfügen kann. Aufgrund der getroffenen Feststellungen ist das hier der Fall, sodass A zum Zeitpunkt der Zuwendung des Vermögens gegenüber dem zuständigen Finanzamt5 eine Anzeige hätte erstatten müssen (§ 30 Abs. 2 ErbStG). Da er dieser Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist und aufgrund dessen eine Erbschaftsteuer gegen ihn nicht festgesetzt wurde, ist jedenfalls der objektive Tatbestand und bei entsprechenden weiteren 1 Vgl. Gebel in T/G/J/G, § 7 ErbStG Rz. 337. 2 Jülicher in T/G/J/G, § 15 ErbStG Rz. 131. 3 BFH v. 21.11.1992 – II R 77/90, BStBl. II 1993, 238; Götz in Wilms/Jochum, § 15 ErbStG Rz. 122; Geck in Kapp/Ebeling, § 15 ErbStG Rz. 66. 4 § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG, der auf das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zum Stifter abstellt, gilt nur für inländische Stiftungen. 5 Zuständig ist das Wohnsitzfinanzamt des Schenkers (§ 35 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 19 Abs. 1, § 20 AO).

952 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 17.40 Kap. 17

Feststellungen auch der subjektive Tatbestand der Erbschaftsteuerhinterziehung gegeben. Dass die entsprechenden Informationen einer erworbenen CD entnommen worden sind, steht deren Verwertbarkeit hierbei nicht entgegen.1 Das von der Familienstiftung erzielte Einkommen unterliegt zwar im Grundsatz der Zurechnungsbesteuerung bei A (§ 15 Abs. 1 AStG), da die Familienstiftung aber in Liechtenstein (EWR-Staat) ansässig ist, unterbleibt eine Zurechnungsbesteuerung, weil das Stiftungsvermögen dem Stifter und seinen Angehörigen rechtlich und tatsächlich entzogen ist und zudem Liechtenstein aufgrund des mit Deutschland abgeschlossenen Informationsaustauschabkommens und Doppelbesteuerungsabkommen sich verpflichtet hat, entsprechende Auskünfte zu erteilen (§ 15 Abs. 6 AStG).2 Damit ist von vornherein der objektive Tatbestand der Einkommensteuerhinterziehung nicht gegeben.

17.39

Besonderheiten ergeben sich im Zusammenhang mit der Ersatzerbschaftsteuer, die unabhängig von einem Rechtsträgerwechsel das Vermögen einer Familienstiftung alle 30 Jahre der Besteuerung unterwirft (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Damit erfolgt eine Gleichstellung mit der bei natürlichen Personen durch Generationenwechsel ausgelösten Erbschaftsteuer. Im Hinblick darauf erfolgt die Besteuerung typisierend so, als würde das Stiftungsvermögen im Erbgang auf zwei Kinder übergehen, sodass der doppelte Freibetrag zu gewähren ist und zudem die Steuerklasse I zur Anwendung kommt (§ 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG).3 Der Ersatzerbschaftsteuer unterliegen allerdings nur inländische Familienstiftungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), also nur dann, wenn sie im Inland Geschäftsleitung oder Sitz haben. Ist das nicht der Fall, ist nicht nur eine unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht zu verneinen, es entfällt vielmehr zugleich auch die beschränkte Steuerpflicht, sodass Inlandsvermögen nicht erfasst wird.4 Unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten sind solche Fälle von Bedeutung, in denen nach ausländischem Recht errichtete Familienstiftungen ihre Geschäftsleitung tatsächlich im Inland haben.

17.40

Beispiel: A ist zusammen mit zwei in Liechtenstein ansässigen Rechtsanwälten Stiftungsrat der liechtensteinischen Familienstiftung F, die im Jahr 1987 von dem seinerzeit in der Schweiz ansässigen und inzwischen verstorbenen X errichtet und am 1.4.1987 mit erheblichem Stiftungsvermögen ausgestattet wurde. Begünstigte sind dessen Familienangehörige, die ausnahmslos außerhalb Deutschlands ansässig sind. A, ein langjähriger Vertrauter des verstorbenen X, wird als Stiftungsrat gegen Aufwandsersatz tätig und zählt nicht zum Kreis der Begünstigten der Familienstiftung. Nach den Statuten der Stiftung entscheidet der Stiftungsrat einstimmig, anderenfalls kommt es entscheidend auf die Stimme von A an. A hat im Jahr 2016 seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt, von wo er die Geschäfte der Stiftung führt. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Stiftungsvermögens, das nur aus ausländischen Kapitalanlagen (Aktien und Anleihen) in Höhe von mehr als 10 Mio. Euro besteht. Aufgrund anonymer Hinweise erlangt die Finanzverwaltung Kenntnis von dem inländischen Wohnsitz des A. Im Rahmen einer bei ihm durchgeführten Steuerfahndung wird der vorstehende Sachverhalt aufgedeckt.

1 Vgl. BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; LG Düsseldorf v. 17.9.2010 – 14 Qs 60/10, wistra 2011, 27; VGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, PStR 2014, 100; Kaiser, NStZ 2011, 383 ff.; Roth, Stbg 2013, 29 ff.; a. A. z.B. Trüg, StV 2011, 111 ff.; Wulf, PStR 2012, 33 ff. 2 Vgl. Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 194. 3 Die Ersatzerbschaftsteuer ist vom BVerfG als verfassungsgemäß gebilligt worden; BVerfG v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BStBl. II 1983, 779; vgl. auch BVerfG v. 22.8.2011 – 1 BvR 2570/10, ZEV 2012, 51. 4 Rückschluss aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG; hierzu im Einzelnen Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 46.

Schaumburg | 953

Kap. 17 Rz. 17.41 | Erbschaftsteuerrecht

17.41

Da A die laufenden Geschäfte seit dem Jahr 2016 vom Inland aus führt, ist der Ort der Geschäftsleitung der Familienstiftung F seitdem im Inland.1 Aus dem inländischen Ort der Geschäftsleitung folgt, dass F nunmehr seit 2016 als inländische Familienstiftung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG zu qualifizieren ist. Die Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung in das Inland hat als einzige für die Erbschaftsteuer maßgebliche Rechtsfolge, dass zuzugsbedingt der Anwendungsbereich der Ersatzerbschaftsteuer eröffnet ist. Hiernach entsteht die Steuerschuld grundsätzlich in Zeitabständen von 30 Jahren (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, § 9 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Der 30-Jahres-Zeitraum berechnet sich hier ab dem 1.4.1987, sodass die Ersatzerbschaftsteuer zum 1.4.2017 entstanden ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 ErbStG). Dass die Familienstiftung zum Zeitpunkt des ersten Übergangs des Vermögens nicht unbeschränkt steuerpflichtig war, spielt keine Rolle; denn § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 9 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG regeln nicht, dass die 30-Jahres-Frist erst mit dem Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht zu laufen beginnt.2 Ebenso wenig ist von Bedeutung, dass es sich bei den Begünstigten ausnahmslos um Steuerausländer handelt.

17.42

A hat allerdings keine Pflichtverletzung begangen. Die Anzeigepflicht gem. § 30 ErbStG betrifft nur Erwerbe, die von der Ersatzerbschaftsteuer nicht erfasst werden,3 und § 33 ErbStG ist nicht einschlägig, weil A als Stiftungsrat nicht „geschäftsmäßig" mit der Vermögensverwaltung der Stiftung betraut war. Er ist nämlich für die Stiftung nur aufgrund seiner persönlichen Verbundenheit als Privatperson unentgeltlich tätig gewesen.4 A war im Übrigen auch nicht zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung verpflichtet, weil diese nur auf Anforderung durch das Finanzamt zu erfolgen hat (§ 31 ErbStG).5 Damit ist mangels Pflichtverletzung der objektive Tatbestand einer Erbschaftsteuerhinterziehung nicht gegeben.

17.43

Indessen sind die Voraussetzungen der Hinterziehung von Körperschaftsteuer zugunsten der Familienstiftung F erfüllt: Seit dem Jahr 2016 ist die Familienstiftung F wegen des Ortes der Geschäftsleitung im Inland (§ 10 AO) als sonstige juristische Person des privaten Rechts unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG).6 Für die von der Familienstiftung erzielten Kapitalerträge gilt somit im Ausgangspunkt das Welteinkommensprinzip mit der Folge, dass auch die ausländischen Kapitalerträge steuerlich zu erfassen sind. Einschränkungen ergeben sich auch nicht aufgrund des DBA-Liechtenstein,7 das für Besteuerungszeiträume ab 2013 Geltung hat (Art. 33 Abs. 2 Buchst. b DBA-FL). Da die Familienstiftung auf1 Vgl. Jülicher in T/G/J/G, § 1 ErbStG Rz. 33 mit dem Hinweis auf die Praxis der Finanzverwaltung, die bei zur Verwaltung berufenen inlandsansässigen Stiftungsräten von einem inländischen Ort der Geschäftsleitung ausgeht; vgl. FinMin. NRW v. 5.1.1971 – S 1301-Schweiz 23-VB 3, DB 1971, 74; ferner FG Niedersachsen v. 12.12.1969 – I 43/68, EFG 1970, 316 zur Vermögensteuer und Werkmüller, ZEV 1999, 138 ff. (139); im Übrigen gelten die für den Ort der Geschäftsleitung von Kapitalgesellschaften maßgeblichen Gesichtspunkte entsprechend; vgl. Rz. 15.280 ff. 2 Meßbacher-Hönsch in Wilms/Jochum, § 1 ErbStG Rz. 43. 3 Jülicher in T/G/J/G, § 30 ErbStG Rz. 5; Eisele in Kapp/Ebeling, § 30 ErbStG Rz. 2; Schuck in V/S/ W, § 30 ErbStG Rz. 10; Ebeling, DStR 1999, 665; a.A. Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 30 ErbStG Rz. 3. Nach dem JStG-E ist gem. § 30 Abs. 5 ErbStG-E eine generelle Anzeigepflicht für Vermögensübergänge auf die Stiftung (Verein) vorgesehen (GEntwurf der BReg v. 25.9.2020, BTDrs. 19/22850). 4 Vgl. Jülicher in T/G/J/G, § 33 ErbStG Rz. 3, 7; Jochum in Wilms/Jochum, § 33 ErbStG Rz. 19; Ebeling, DStR 1999, 665. 5 Vgl. hierzu § 31 Abs. 1 Satz 1 u. 2 ErbStG-E (GEntw. der BReg v. 25.9.2020, BT-Drs. 18/22850). 6 Vgl. Münch in D/P/M, § 1 KStG Rz. 42, 87a; Hummel in Gosch3, § 1 KStG Rz. 83, 108; Klein in H/H/R, § 1 KStG Rz. 52. 7 V. 17.11.2011, Gesetz v. 5.12.2012 (in Kraft getreten am 19.12.2012), BStBl. I 2013, 488 (507).

954 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 17.47 Kap. 17

grund des Ortes ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung in Deutschland als ansässig gilt (Art. 4 Abs. 3 DBA-FL), bleibt die Besteuerung für Dividenden und Zinsen, unabhängig davon, wo sie erzielt werden, dem deutschen Besteuerungszugriff ausgesetzt, wobei ggf. eine ausländische Steuer zur Anrechnung gebracht werden kann (Art. 10, 11, 21, 23 Abs. 1 Buchst. b DBA-FL). Aus den vorgenannten Gründen wäre A als gesetzlicher Vertreter der Familienstiftung F1 verpflichtet gewesen, Körperschaftsteuererklärungen abzugeben (§§ 149 ff. AO, § 31 Abs. 1 KStG). Das gilt allerdings nicht für Zwecke der Gewerbesteuer, weil die Familienstiftung als sonstige juristische Person des privaten Rechts nur vermögensverwaltend tätig ist und keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält (§ 2 Abs. 3 GewStG). Ob auch der subjektive Tatbestand der Körperschaftsteuerhinterziehung zugunsten der Familienstiftung gegeben ist, erscheint zweifelhaft und wird sich erst aufgrund weiterer Ermittlungen feststellen lassen.

17.44

Von Bedeutung sind in der Praxis auch Zuwendungen seitens ausländischer Familienstiftungen an im Inland ansässige Personen.

17.45

Beispiel: Die Familienstiftung X hat ihren Sitz in der Schweiz. Sie verfolgt nach den Regelungen der Stiftungsurkunde und des Stiftungsreglements, Angehörige der Familie Y zum Zwecke der Ausstattung zu unterstützen. Die Unterstützungsleistungen können hiernach den Familienangehörigen in jugendlichen Jahren als Anschubfinanzierung ausgereicht werden. Die Entscheidung hierüber trifft der Stiftungsrat nach seinem Ermessen. Ein Rechtsanspruch auf die Gewährung von Mitteln aus der Stiftung besteht nicht. Im Jahre 2011 erhielt der in Deutschland wohnhafte A, ein Nachkommen der Familie Y, einen Betrag in Höhe von 1 Mio. Euro. Zu diesem Zeitpunkt war A 29 Jahre alt. Das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt erhielt erst 2018 Kenntnis von der Zuwendung an den A als Zuwendung unter Lebenden (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), erließ einen entsprechenden Erbschaftsteuerbescheid an A und leitete zugleich ein Ermittlungsverfahren gegen A wegen Hinterziehung von ErbStG ein.2

Eine freigebige Zuwendung unter Lebenden (Schenkung) setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und unentgeltlich ist. In subjektiver Hinsicht bedarf es des Willens des Zuwendenden zur Freigebigkeit.3 Die vorstehenden Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil die Zuwendung seitens der Stiftung im Rahmen ihrer Satzung erfolgt und diese nicht eindeutig überschreitet. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass in derartigen Fällen den Stiftungsorganen ein weitreichender Entscheidungsspielraum zusteht, so dass A mit seinem Alter von 29 Jahren noch als „in jugendlichen Jahren“ angesehen werden kann. Die Zuwendung ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 Halbs. 2 ErbStG steuerbar. Dies deshalb nicht, weil A kein Zwischenberechtigter ist, da er gegenüber der Stiftung keinerlei Ansprüche hatte.4 Das Ermittlungsverfahren wegen Hinterziehung von ErbSt ist daher einzustellen.

17.46

Die Zuwendung der Familienstiftung X an den A unterliegt zwar nicht der Erbschaftsteuer, sie löst aber Einkommensteuer aus (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG). Im Hinblick darauf hätte A die Zuwendung seitens der X als Einkünfte aus Kapitalvermögen erklären müssen. Da dies unterblieben ist, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) gegeben.

17.47

1 Stiftungsräte sind gesetzliche Vertreter (§ 34 AO) der Stiftung (Art. 180 Abs. 1 i.V.m. Art. 110 Abs. 1 PGR); vgl. zum Recht in Liechtenstein Müller/Bösch in Richter/Wachter, Hdb. des internationalen Stiftungsrechts, 1108 ff. 2 Vgl. BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, DStR 2019, 2195. 3 BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, DStR 2019, 2195 Rz. 15. 4 BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, DStR 2019 Rz. 35.

Schaumburg | 955

Kapitel 18 Umsatzsteuerrecht A. B. I. 1. 2. 3. 4. II. 1. 2.

Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . Typische Problembereiche Ausfuhrlieferungen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . Unentgeltliche Ausfuhrlieferungen . . Innergemeinschaftliche Lieferungen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.1

18.8 18.11 18.12 18.16 18.22 18.28

3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . 4. Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Betrügerische Umsatzsteuerkarusselle und Lieferketten . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfuhren 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . .

18.31 18.36 18.41 18.76 18.79 18.81

Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum UStG; Adick/Höink/Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Heidelberg 2016; Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2020; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 17 Rz. 1 ff., 392 ff.; Hummel, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 14.1 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, 4. Aufl. München 2009; Kurz/Meissner, Umsatzsteuer, 19. Aufl. Stuttgart 2020; Lippross, Umsatzsteuer, 24. Aufl. Achim 2017; Möller, Umsatzsteuerrecht, Heidelberg 2017; Reiß, Umsatzsteuerrecht, 17. Aufl. Münster 2019; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Verkehrsteuern, 18. Aufl. Berlin 2013; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 10.1 ff.; Seer (Hrsg.), Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, DStJG 32 (2009); Sikorski, Umsatzsteuer im Binnenmarkt, 7. Aufl. Herne 2018; Stadie, Umsatzsteuerrecht, Köln 2005; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 967 ff.

A. Allgemeine Hinweise 18.1

Strafverfahren wegen Pflichtverletzungen im Internationalen Umsatzsteuerrecht werden in der Praxis zumeist von den Finanzämtern und den dazu berufenen Straf- und Bußgeldsachenstellen (§ 387 Abs. 2 AO), dem Bundeszentralamt für Steuern (§ 386 Abs. 1 Satz 2 AO) und der Steuerfahndung (§ 208 Abs. 1 Nr. 1, § 404 AO, § 163 StPO) eingeleitet.1 Im Hinblick darauf, dass Pflichtverstöße im Umsatzsteuerrecht in besonderem Maße zu erheblichen Steuerausfällen führen und im grenzüberschreitenden Bereich – etwa bei grenzüberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen (vgl. hierzu s. Rz. 11.77 ff.; 18.41 ff.) – mitunter ein großer Ermittlungsaufwand erforderlich ist, werden entsprechende Strafsachen seitens der Finanzbehörden in aller Regel an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO), soweit nicht bereits zuvor die Staatsanwaltschaft die Strafsache an sich gezogen hat (§ 386 Abs. 4 Satz 2 AO; vgl. hierzu Rz. 5.20).

18.2

Umsatzsteuerrechtliche Pflichtverstöße kommen in der Praxis häufig vor. Das beruht im Wesentlichen auf der Konzeption der Umsatzsteuer als indirekte Verbrauchsteuer.2 Hiernach 1 Für die Einleitung eines Bußgeldverfahrens sind die Finanzämter und die dazu berufenen Strafund Bußgeldsachenstellen zuständig (§ 409 AO); Einzelheiten zum Ermittlungsverfahren Rz. 6.4 ff. 2 Hierzu Englisch in T/L23, § 17 Rz. 12; Reiß in DStJG 13 (1990), 3 (13).

956 | Schaumburg und Adick

A. Allgemeine Hinweise | Rz. 18.3 Kap. 18

wird nicht etwa der Endverbraucher, der mit der Umsatzsteuer letztlich belastet ist, sondern der leistende Unternehmer als Steuerschuldner herangezogen. So gesehen fungiert der Unternehmer lediglich als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse“.1 Um diese Indienstnahme der Unternehmer zur Erhebung der Umsatzsteuer2 abzusichern, ist der Unternehmer einem dichten Netz insbesondere von Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten ausgesetzt, deren Verletzung ein Steuerstrafverfahren oder Ordnungswidrigkeitenverfahren3 zur Folge haben kann.

18.3

Zu den umsatzsteuerrechtlichen Pflichten4 gehören z.B.: – die Verpflichtung, für Lieferungen und sonstige Leistungen Rechnungen mit einem bestimmten Inhalt innerhalb von sechs Monaten nach Ausführung der Leistung auszustellen (§ 14 Abs. 2 UStG), wobei auch elektronische Rechnungen mit Zustimmung des Empfängers zulässig sind (§ 14 Abs. 1 Satz 7 UStG);5 – die Verpflichtung zur Ausstellung von Rechnungen mit bestimmten besonderen Merkmalen (§ 14a UStG); – die Verpflichtung, Doppel von Ausgangsrechnungen sowie alle Eingangsrechnungen zehn Jahre aufzubewahren (§ 14b Abs. 1 Satz 1 UStG), wobei im Falle elektronischer Rechnungen die Lesbarkeit für den gesamten Zeitraum der Aufbewahrung gewährleistet sein muss (§ 14b Abs. 1 Satz 2 UStG); – Berichtigungspflichten, und zwar hinsichtlich des Vorsteuerabzugs, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren (bei Grundstücken zehn Jahren) ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse geändert haben (§ 15a UStG) sowie in den Fällen, in denen sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert hat (§ 17 UStG); – Aufzeichnungspflichten, und zwar hinsichtlich der für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs maßgeblichen Berechnungsgrundlagen (§ 22 Abs. 4 UStG), für Zwecke der Besteuerung von Reiseleistungen (§ 25 Abs. 5 UStG), in den Fällen, in denen der Leistungsempfänger gem. § 13b UStG Steuerschuldner ist (§ 22 Abs. 2 Nr. 8 UStG), die Führung eines Umsatzsteuerheftes durch Reisegewerbetreibende (§ 22 Abs. 5 UStG), im Zusammenhang mit dem innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie bei Im- und Exportlieferungen und Lohnveredelungen an Exportwaren (§§ 13, 17d–22 UStDV), bei innergemeinschaftlichen Verbringungsfällen nach § 6a Abs. 2 UStG (§ 22 Abs. 4a UStG) und in Fällen innergemeinschaftlicher Dreiecksgeschäfte (§ 25b Abs. 6 UStG); darüber hinaus sind die allgemeinen in § 22 UStG verankerten Aufzeichnungspflichten und für die steuerbefreite Einfuhr (§ 5 UStG) maßgeblichen zollrechtlichen Aufzeichnungspflichten zu beachten;

1 EuGH v. 20.10.1993 – C-10/92, ECLI:EU:C:1993:846 – Balocchi, UR 1994, 116, Rz. 25; EuGH v. 21.2.2008 – C-271/06, ECLI:EU:C:2008:105 – Netto Supermarkt, UR 2008, 508, Rz. 21. 2 Zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG v. 16.3.1971 – 1 BvR 52/66 u.a., BVerfGE 30, 392; BVerfG v. 29.11.1967 – 1 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380; vgl. auch Heber in Wäger, UStG, § 2 UStG Rz. 1 f. 3 Vgl. den Überblick über die Ordnungswidrigkeitstatbestände bei Kemper, UR 2014, 673 ff. 4 Das im Entwurf vorliegende JStG 2020 enthält weitere im Zuge der geplanten Umsetzung des MwSt-Digitalpakets den Unternehmer treffende Pflichten etwa gem. § 18i–k UStG (BT-Drucks. 19/22850 v. 25.9.2020). 5 Eine Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung besteht nicht, wenn der Umsatz nach § 4 Nr. 8 – 28 UStG steuerfrei ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG).

Schaumburg | 957

Kap. 18 Rz. 18.3 | Umsatzsteuerrecht

– Nachweispflichten, und zwar Ausfuhrnachweise (§§ 8–12 UStDV) und entsprechender Buchnachweis, (§ 13 UStDV) Abnehmernachweis im nichtkommerziellen Reiseverkehr (§ 17 UStDV), Gelangensnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in Beförderungs- und Versendungsfällen (§ 22 Abs. 4 f, g UStG);1 – Erklärungspflichten, und zwar die Verpflichtung zur Abgabe von monatlichen oder vierteljährlichen Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 Abs. 1–2a UStG), jährlicher Umsatzsteuererklärungen (§ 18 Abs. 3 UStG) sowie von Zusammenfassenden Meldungen in Fällen innergemeinschaftlicher Warenlieferungen (§ 18a UStG), zur Abgabe gesonderter Erklärungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen und bestimmten sonstigen Leistungen (§ 18b UStG) sowie Meldepflichten bei der Lieferung neuer Fahrzeuge (§ 18c UStG).

18.4

Soweit sich aus der Verletzung der vorgenannten umsatzsteuerrechtlichen Pflichten sowie ggf. auch der Verletzung erhöhter Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO) der Verdacht einer Steuerstraftat (§ 370 AO) oder einer Steuerordnungswidrigkeit (§ 26a UStG) ergibt, ist ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Soweit Pflichtverletzungen im Rahmen einer Außenprüfung aufgedeckt werden, besteht für den Prüfer die Verpflichtung, zunächst unverzüglich die Straf- und Bußgeldsachenstelle zu unterrichten (§ 10 BpO). Hierüber hat ein Einleitungsvermerk der Straf- und Bußgeldsachenstelle zu erfolgen (§ 397 Abs. 2 AO). Zudem hat der Prüfer den Steuerpflichtigen darüber zu belehren, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht erzwungen werden kann (§ 393 Abs. 1 AO).

18.5

Ermittlungsanlässe ergeben sich insbesondere aufgrund eingehender Auskünfte aus dem Ausland, wobei etwa Spontanauskünfte nach der MwSt-ZVO eine besondere Rolle spielen (hierzu s. Rz. 9.28 ff.). Geht es um eine bandenmäßige Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Nr. 5 AO, § 26c UStG; hierzu s. Rz. 18.47), etwa bei grenzüberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen, kommt es in aller Regel zu einer internationalen Zusammenarbeit der Strafermittlungsbehörden, der durch den zwischenstaatlichen Datenaustausch mit dem zwischen EU-Mitgliedstaaten möglichen unmittelbaren Datenaustausch (Art. 17–21 MwSt-ZVO) sowie im Rahmen von Eurofisc (Art. 33 ff. MwSt-ZVO) erleichtert wird (vgl. hierzu s. Rz. 9.28).

18.6

In dem hier interessierenden Zusammenhang ist unter strafrechtlichen Gesichtspunkten von Bedeutung insbesondere die unberechtigte Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG), innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG), die Lohnveredelung an Gegenständen der Ausfuhr (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 7 UStG), grenzüberschreitenden Beförderungen (§ 4 Nr. 3 Buchst. a UStG) und bei der Einfuhr (§ 5 UStG) sowie bei sonstigen Leistungen, die sich unmittelbar auf eingeführte Gegenstände beziehen (§ 4 Nr. 3 Buchst. c UStG). Die hierauf beruhenden unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen und die entsprechenden unrichtigen oder unterlassenen Umsatzsteuerjahreserklärungen bilden unabhängige Taten im materiellen Sinne (§ 53 StGB), wobei allerdings regelmäßig die Strafverfolgung auf die durch die Jahreserklärung bewirkte Umsatzsteuerverkürzung beschränkt und von der Verfolgung der Taten im Zusammenhang mit den Umsatzsteuervoranmeldungen abgesehen wird.2

18.7

Darüber hinaus geht es vor allem darum, dass aufgrund kollusiven Zusammenwirkens beteiligter Unternehmer ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen wird, obwohl der leistende Unternehmer in der Kette die Umsatzsteuer an das Finanzamt nicht abführt (zu den sog. Um-

1 In der ab 1.1.2020 geltenden Fassung 2 Vgl. BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, wistra 2009, 355; Wulf, Stbg 2014, 64 (65 f.).

958 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.8 Kap. 18

satzsteuerkarussellen Rz. 11.77 ff.; 18.41 ff.).1 Da die bloße Nichtzahlung einer beim Finanzamt angemeldeten aber nicht abgeführten Umsatzsteuer grundsätzlich keine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und zudem auch keine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) darstellt, statuiert § 26b UStG ausnahmsweise eine Ordnungswidrigkeit2 für den Fall, dass jemand vorsätzlich die in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet. Der zu weit geratene Tatbestand des § 26b Abs. 1 UStG bedarf einer Einschränkung in zweifacher Hinsicht: Die (teilweise) Nichtzahlung der in der Rechnung ausgewiesenen Umsatzsteuer setzt voraus, dass die Umsatzsteuer zuvor angemeldet wurde, weil die verspätete oder gänzlich unterbliebene Anmeldung bereits den Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt, sodass andernfalls § 26b Abs. 1 UStG insoweit ohne Bedeutung wäre.3 Die Nichtzahlung zum Fälligkeitszeitpunkt ist zudem im Hinblick darauf, dass es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, nur dann tatrelevant, wenn der Schuldner zur Zahlung überhaupt zumutbar in der Lage war.4 Wird die Schädigung des Umsatzsteueraufkommens gewerbsmäßig oder bandenmäßig herbeigeführt, ergibt sich aus § 26c UStG ein spezieller Straftatbestand, der damit ausnahmsweise die bloße Nichtzahlung einer Steuer unter Strafe stellt.5 Wegen der tatbestandlichen Verknüpfung mit § 26b Abs. 1 UStG gelten die hierzu maßgeblichen Einschränkungen des Tatbestandes auch für § 26c UStG.

B. Typische Problembereiche I. Ausfuhrlieferungen Literatur: Kommentare zu § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG; Achatz/Tumpel, Umsatzsteuer und Internationales Steuerrecht, Wien 2012; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 17 Rz. 392; Hummel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 14.108 ff.; Huschens, Beleg- und Buchnachweispflichten bei Ausfuhrlieferungen, UVR 2012, 77 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 10.80 ff.; Thoma, Umsatzsteuerliche Ausfuhr, UStB 2006, 221 ff.; Thoma/Böhm/Kirchhainer, Zoll und Umsatzsteuer, 3. Aufl. 2015, 140 ff.

1. Überblick Die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG) dient ebenso wie die Steuerbefreiung anderer Exportumsätze der Umsetzung des dem UStG zugrunde liegenden Bestimmungslandprinzips.6 Im Hinblick darauf, dass aufgrund der Ausfuhr die Entlastung von deutscher Umsatzsteuer erfolgt,7 erhebt das Bestimmungsland eine entsprechende 1 Nach der ab 1.1.2020 in § 25f Abs. 1 UStG getroffenen Regelung bleibt sowohl die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG als auch der Vorsteuerabzug versagt. 2 Es handelt sich um eine Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 377 Abs. 1 AO, für die sich die Verfolgungszuständigkeit der Finanzbehörden aus § 409 AO ergibt; vgl. hierzu auch Kemper, UR 2014, 673 (680). 3 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 743f.; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1199.2. 4 Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 760; Tormöhlen in R/K/L, § 26b UStG Rz. 10. 5 Auch hier geht es um die Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellen; zu Einzelheiten Rz. 11.77 ff., 18.41 ff. 6 Möller in Wäger, § 4 Nr. 1 UStG Rz. 3; Englisch in T/L23, § 17 Rz. 398 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 10.80. 7 Dies wird beim Exporteur durch Vorsteuerabzug auf Eingangsumsätze gewährleistet (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG).

Schaumburg | 959

18.8

Kap. 18 Rz. 18.8 | Umsatzsteuerrecht

Einfuhrumsatzsteuer mit dem Ziel, Importwaren auf innerstaatlichem Steuerniveau hochzuschleusen. Dadurch gelangt die Ware nur mit Umsatzsteuer des Bestimmungslandes belastet in die Hand des privaten Endverbrauchers.

18.9

Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass die Ausfuhrlieferung im Inland erbracht wird, der Ort der Lieferung also im Inland liegt. Die Ausfuhrlieferung wird erbracht entweder dadurch, dass der liefernde Unternehmer den Liefergegenstand in das Drittlandsgebiet1 befördert oder versendet, wobei der Abnehmer kein ausländischer Abnehmer sein muss (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG) oder der ausländische Abnehmer2 den Liefergegenstand abholt und in das Drittlandsgebiet3 befördert oder versendet (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG).

18.10

Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung müssen durch Ausfuhrnachweis (§ 6 Abs. 4 UStG, §§ 8–11, 17 UStDV)4 und Buchnachweis (§ 6 Abs. 4 UStG, § 13 UStDV)5 belegt werden. Soweit die Ausländereigenschaft des Abnehmers maßgeblich ist, muss auch hierfür der Nachweis erbracht werden. Sowohl Ausfuhrnachweis als auch Buchnachweis sind nicht materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerfreiheit.6 Steht fest, dass die Voraussetzungen des § 6 UStG vorliegen, bedarf es keines formalisierten Nachweises mehr.7

2. Pflichtenkreis 18.11

Die Ausfuhr ist seitens des Unternehmers durch entsprechende Belege nachzuweisen (§ 6 Abs. 4 UStG, §§ 8–11 UStDV). Darüber hinaus ist auch ein Buchnachweis erforderlich (§ 6 Abs. 4 UStG, § 13 UStDV). Der zu erbringende Ausfuhrnachweis richtet sich danach, ob die Ausfuhrlieferung durch Beförderung oder durch Versendung erfolgt. In Beförderungsfällen 1 Ausnahme Freihäfen usw. (§ 1 Abs. 3 UStG). 2 Ausländischer Abnehmer ist ein Abnehmer mit Wohnort oder Sitz im Ausland, also auch in der EU, nicht aber in Freihäfen usw. oder eine ausländische Zweigniederlassung eines inländischen oder in einem Freihafen ansässigen Unternehmers (§ 6 Abs. 2 UStG). 3 Ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG. 4 Zu Einzelheiten Abschn. 6.5 ff. UStAE. 5 Zu Einzelheiten Abschn. 6.10 ff. UStAE. 6 EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 – Teleos; EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz; EuGH v. 21.2.2008 – C-271/06, ECLI:EU:C:2008:105 – Netto Supermarkt, UR 2008, 508; EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU:C:2012:592 – VSTR, UR 2012, 832 m. Anm. Burgmaier; BFH v. 8.11.2007 – VR 72/05, BStBl. II 2009, 55 = UR 2008, 340; BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075 = UR 2009, 161; BFH v. 28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II 2010, 517 = UR 2009, 714; BFH v. 19.11.2009 – V R 8/09, UR 2010, 416, Rz. 13; BFH v. 28.5.2013 – XI R 11/09, UR 2013, 756; BFH v. 21.1.2015 – XI R 5/13, BStBl. II 2015, 725 = UR 2015, 265; BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 206/09, wistra 2009, 475. 7 Steht aufgrund der objektiven Beweislage nicht fest, dass die materiellen Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung vorliegen, etwa bei gefälschtem Ausfuhrnachweis, kommt ein Erlass aus Billigkeitsgründen in Betracht, wenn der liefernde Unternehmer alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihm getätigten Umsätze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führen; BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656 = UR 2013, 764; BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075 = UR 2009, 161; BFH v. 19.11.2009 – V R 8/09, BFH/NV 2010, 1141; Abschn. 6.5 Abs. 6 UStAE; restriktiv aber BFH v. 10.8.2016 – V R 45/15, UR 2016, 888 und BFH v. 19.3.2015 – V R 14/14, UR 2015, 719, wonach ein anderweitiger Nachweis (Zeugenbeweis) nur in Betracht kommt, wenn der Formalbeweis ausnahmsweise nicht oder nicht zumutbar geführt werden kann.

960 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.13 Kap. 18

ergeben sich die Anforderungen an den Ausfuhrnachweis im Einzelnen aus § 9 UStDV. Hiernach wird der Nachweis entweder durch eine Ausfuhranmeldung im elektronischen Ausfuhrverfahren mit Ausgangsvermerk (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStDV) oder durch einen Beleg erbracht, der Name und Anschrift des liefernden Unternehmers, die Menge des ausgeführten Gegenstandes, die handelsübliche Bezeichnung, Ort und Tag der Ausfuhr und zudem eine Ausfuhrbestätigung der Grenzzollstelle enthält (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStDV). Anstelle dieser Ausfuhrbestätigung können unter bestimmten Voraussetzungen auch Erleichterungen in Anspruch genommen werden (§ 9 Abs. 3 UStDV).1 In Versendungsfällen hat der Unternehmer den Ausfuhrnachweis entweder durch eine Ausfuhranmeldung im elektronischen Ausfuhrverfahren mit Ausgangsvermerk oder durch andere Ausfuhranmeldungen zu erbringen, die den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStDV entsprechen.2 Der Ausfuhrnachweis bei Ausfuhrlieferungen in Be- und Verarbeitungsfällen und bei Lohnveredelungen an Gegenständen der Ausfuhr sind in den §§ 11 und 12 UStDV geregelt. Der über den vorgenannten Ausfuhrnachweis hinaus erforderliche buchmäßige Nachweis beinhaltet, dass in der Buchführung insbesondere Menge des Gegenstands der Lieferung, Name und Anschrift des Abnehmers oder Auftraggebers, der Tag der Lieferung, das vereinbarte Entgelt sowie der Tag der Ausfuhr aufzuzeichnen sind (§ 13 UStDV).3 Für Ausfuhrlieferungen im nicht kommerziellen Reiseverkehr verlangt § 17 UStDV insbesondere einen Abnehmernachweis (Name und Anschrift des Abnehmers) sowie eine Bestätigung der Grenzzollstelle eines Mitgliedstaates darüber, dass der Gegenstand in das Drittlandsgebiet verbracht worden ist.4

3. Pflichtverletzungen Wird der für die Steuerbefreiung gem. § 6 UStG erforderliche Ausfuhr- oder Buchnachweis nicht erbracht, kann die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen nicht in Anspruch genommen werden, soweit die erforderlichen Nachweise nicht anderweitig erbracht werden können. Damit sind die von den §§ 8–11, 13 und 17 UStDV geforderten Nachweise nicht materiellrechtliche Vorrausetzungen der Steuerbefreiung.5 Der fehlende materiell-rechtliche Charakter der geforderten Nachweise hat auch steuerstrafrechtliche Konsequenzen.

18.12

Beispiel: A betreibt in der Bundesrepublik Deutschland den Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen. Im Jahr 2017 veräußert er mehrere Gebrauchtfahrzeuge an den in Kiew (Ukraine) ansässigen Kfz-Händler X. Die Kraftfahrzeuge werden von X durch einen eigenen Tieflader bei A abgeholt. Im Rahmen der im Jahr 2018 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung wird festgestellt, dass A, der für die Kfz-Lieferung an den X die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1, § 6 UStG in Anspruch genommen hat, keine Ausfuhrbestätigung der den Ausgang der Kraftfahrzeuge aus dem Gemeinschaftsgebiet

18.13

1 Zu Einzelheiten Abschn. 6.6 UStAE. 2 Zu Einzelheiten Abschn. 6.7 UStAE. 3 Verbuchung auf einem separaten Konto reicht aus; vgl. BFH v. 28.8.2014 – V R 16/14, BStBl. II 2015, 46 = UR 2014, 893. 4 Abschn. 6.11 UStAE. 5 EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 – Teleos; EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz; EuGH v. 21.2.2008 – C-271/06, ECLI:EU:C:2008:105 – Netto Supermarkt, UR 2008, 508; EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU:C:2012:592 – VSTR, UR 2012, 832 m. Anm. Burgmaier; BFH v. 8.11.2007 – VR 72/05, BStBl. II 2009, 55 = UR 2008, 340; BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075 = UR 2009, 161; BFH v. 28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II 2010, 517 = UR 2009, 714; BFH v. 19.11.2009 – V R 8/09, UR 2010, 416, Rz. 13; BFH v. 28.5.2013 – XI R 11/09, UR 2013, 756; BFH v. 21.1.2015 – XI R 5/13, BStBl. II 2015, 725 = UR 2015, 265; BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 206/09, wistra 2009, 475.

Schaumburg | 961

Kap. 18 Rz. 18.13 | Umsatzsteuerrecht überwachenden Grenzzollstelle in Händen hält. Dementsprechend wird die Steuerbefreiung versagt und der bereits ergangene Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2017 entsprechend geändert. Zugleich ist gegen A wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens legt A eine von ihm von X geforderte Bestätigung vor, wonach die gelieferten Fahrzeuge tatsächlich in die Ukraine gelangt und dort auch zugelassen sind.

18.14

Im Hinblick auf den fehlenden materiell-rechtlichen Charakter der gem. § 6 Abs. 4 UStG i.V. m. §§ 8–17 UStDV beizubringenden Nachweise ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) nicht schon deshalb gegeben, weil die Nachweise nicht in der geforderten Form vorgelegt worden sind.1 Auch wenn die Nachweispflichten nicht erfüllt worden sind, bleiben Ausfuhrlieferungen steuerfrei, wenn „aufgrund der objektiven Beweislage feststeht“, dass die Voraussetzungen der Ausfuhrlieferungen vorliegen.2 Sollten also die weiteren Ermittlungen ergeben, dass X ausländischer Abnehmer ist und tatsächlich Kraftfahrzeuge in die Ukraine befördert hat, sind die Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG) erfüllt.3 In diesem Fall ist sodann das gegen A eingeleitete Ermittlungsverfahren einzustellen.

18.15

Selbst wenn die Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung nicht gegeben sind, kann die Steuerbefreiung unter Umständen gleichwohl in Anspruch genommen werden. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen vom Abnehmer gefälschte Ausfuhrbelege vorgelegt werden und der liefernde Unternehmer die Fälschung der Ausfuhrnachweise auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hat erkennen können.4 Ob die Grundsätze des Vertrauensschutzes die Gewährung der Steuerbefreiung gebieten, obwohl die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung nicht erfüllt sind, kann nur im Billigkeitsverfahren entschieden werden.5 Hat der liefernde Unternehmer hierbei alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die von ihm getätigten Umsätze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führen, ist das Verwaltungsermessen hinsichtlich der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme auf null reduziert.6

4. Unentgeltliche Ausfuhrlieferungen 18.16

Die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG) gilt nicht für Lieferungen i.S.d. § 3 Abs. 1b UStG (§ 6 Abs. 5 UStG). Angesprochen sind damit die Entnahme und die unentgeltliche Lieferung von Gegenständen (§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 und 3 UStG). Es handelt sich hierbei um eine Fiktion, die allerdings nur dann eingreift, wenn der entnommene oder zugewendete Gegenstand oder dessen Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben (§ 3 Abs. 1b Satz 2 UStG). Ist das nicht der Fall, etwa beim Erwerb des unternehmerisch genutzten Gegenstandes von einer Privatperson, unterliegt die nachfolgende Ausfuhrlieferung dieses Gegenstandes nicht dem Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1b UStG mit der Folge, dass die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG in Betracht kommt.7 Handelt es sich dagegen um vorsteuerentlastete Gegenstände, wird die Steuerbefrei1 2 3 4

BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 206/09, wistra 2009, 475. BFH v. 28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II 2010, 517 = UR 2009, 714. Auf die formellen Anforderungen insbesondere des § 9 UStDV kommt es also insoweit nicht an. BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075 = UR 2009, 161; FG Berlin-Brandenburg v. 4.6.2013 – 5 V 5022/13, DStRE 2014, 364. 5 BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075 = UR 2009, 161; Abschn. 6.5 Abs. 6 UStAE; zur Kritik hieran Stapperfend, UR 2013, 321 (326). 6 BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075 = UR 2009, 161; Abschn. 6.5 Abs. 6 UStAE. 7 Tehler in R/D, § 6 UStG Rz. 779.

962 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.19 Kap. 18

ung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG nur dann versagt, wenn es sich um eine Entnahme oder um eine unentgeltliche Lieferung handelt (§ 6 Abs. 5 UStG).1 In der Praxis hat die Regelung des § 6 Abs. 5 UStG Bedeutung in den Fällen, in denen zwischen nahestehenden Personen grenzüberschreitend Liefergegenstände unentgeltlich zugewendet werden. In ertragsteuerlicher Hinsicht handelt es sich hierbei entweder um verdeckte Gewinnausschüttungen, etwa bei der unentgeltlichen Lieferung von Wirtschaftsgütern der inländischen Tochter- an die ausländische Muttergesellschaft, oder um verdeckte Einlagen, etwa bei der Lieferung von Wirtschaftsgütern seitens der inländischen Muttergesellschaft an die ausländische Tochtergesellschaft (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 14.245 ff.). In beiden Fällen kommt es zu Einkünftekorrekturen, die steuerstrafrechtlich von Relevanz sind (hierzu im Einzelnen Rz. 16.124 ff.). Das bedeutet, dass sodann nicht nur eine Verkürzung von Körperschaft- und Gewerbesteuer, sondern auch eine solche von Umsatzsteuer in Betracht kommt.

18.17

Beispiel: Die inländische Tochtergesellschaft T liefert 2017 vorsteuerentlastete Waren an die in der Schweiz ansässige Muttergesellschaft M, ohne hierfür ein Entgelt in Rechnung zu stellen. Die unentgeltlich gelieferten Waren hat T zuvor von dritter Seite erworben. Der diesbezügliche Einkaufspreis gilt unverändert auch zum Zeitpunkt der unentgeltlichen Lieferung an M. Der Drittfremdpreis liegt auf der entsprechenden Handelsstufe 10% darüber. Der Geschäftsführer der T hat die unentgeltlichen Lieferungen an M in der von ihm abgegebenen Körperschaftsteuererklärung und Gewerbesteuererklärung der T nicht erfasst und in der Umsatzsteuererklärung für das betreffende Jahr als steuerfreie Ausfuhrlieferungen ausgewiesen. Im Rahmen einer bei T durchgeführten Außenprüfung wird der vorstehende Sachverhalt aufgedeckt und in der Folge ein Ermittlungsverfahren gegen den verantwortlichen Geschäftsführer eingeleitet.

18.18

In ertragsteuerlicher Hinsicht (Körperschaft- und Gewerbesteuer) handelt es sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung der T gegenüber M mit der Folge einer Gewinnerhöhung in Höhe des Drittfremdpreises (zu Einzelheiten s. Rz. 14.245 ff.). Dieser Vorgang hätte von dem verantwortlichen Geschäftsführer in der Körperschaftsteuererklärung entsprechend ausgewiesen und in der Gewerbesteuererklärung nachvollzogen werden müssen. Da dies nicht geschehen ist, liegt insoweit der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Dass der verantwortliche Geschäftsführer der T entgegen § 44 Abs. 1 Satz 5, § 45a Abs. 1 Satz 1 EStG, § 168 AO keine Kapitalertragsteueranmeldung abgegeben hat, erfüllt zwar ebenfalls den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung, insoweit liegt aber eine mitbestrafte Vortat zur Steuerhinterziehung wegen Falschabgabe der Körperschaft- und Gewebesteuererklärung vor.2 In umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht sind steuerbare unentgeltliche Lieferungen gegeben (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG).3 Trotz der Ausfuhr in die Schweiz als Drittland ist eine steuerfreie Ausfuhrlieferung gem. § 6 Abs. 5 UStG ausgeschlossen. Bemessungsgrundlage ist der Einkaufspreis zuzüglich der Nebenkosten zum Zeitpunkt der unentgeltlichen Lieferung (§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG). Das bedeutet letztlich, dass Bemessungsgrundlage der Wiederbeschaffungspreis ist.4

18.19

1 Bei unentgeltlichen Lieferungen an Dritte widerspricht diese Rechtsfolge allerdings dem Bestimmungslandprinzip; Tehler in R/D, § 6 UStG Rz. 781; Möller in Wäger, UStG, § 6 UStG Rz. 175 f. 2 Vgl. hierzu Madauß, NZWiSt 2018, 433 (438). 3 In der ab 2020 geltenden Fassung ist § 3f UStG zum Fortfall gekommen; der Ort der unentgeltlichen Lieferung beurteilt sich seitdem nach § 3 Abs. 6-8 UStG. 4 Abschn. 10.6 Abs. 1 Satz 2 UStAE; damit weicht die umsatzsteuerliche von der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage ab.

Schaumburg | 963

Kap. 18 Rz. 18.20 | Umsatzsteuerrecht

18.20

Da der verantwortliche Geschäftsführer in der Umsatzsteuererklärung der T die unentgeltlichen Lieferungen an M als steuerfreie Ausfuhrlieferungen behandelt hat, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung auch insoweit erfüllt. Nach Lage der Dinge ist auch der subjektive Tatbestand gegeben, sodass sich der verantwortliche Geschäftsführer wegen Hinterziehung von Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie von Umsatzsteuer strafbar gemacht hat (§ 370 AO).1

18.21

Erfolgen die Lieferungen demgegenüber zu einem unangemessen niedrigen Entgelt, handelt es sich nicht um unentgeltliche Lieferungen2 mit der Folge, dass ein steuerbarer Umsatz gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG gegeben ist, für den die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG in Anspruch genommen werden kann. Die Mindestbemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 5 UStG) kommt nicht in Betracht, weil es sich insoweit um einen steuerfreien Umsatz handelt.3 Hieraus folgt, dass in den Fällen, in denen in ertragsteuerlicher Hinsicht für die Lieferung von Waren ein unangemessen niedriges Entgelt verlangt wird, eine Umsatzsteuerhinterziehung von vornherein ausscheidet.

II. Innergemeinschaftliche Lieferungen Literatur: Kommentare zu § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG; Becker, Erfordernis eines allgemeinen Gutglaubensschutzes im Umsatzsteuerrecht, UR 2009, 664 ff.; Bülte, USt-Hinterziehung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, DB 2011, 442 ff.; Bürger, Innergemeinschaftliche Lieferungen im Reihengeschäft, UR 2012, 941 ff.; Bürger/Paul, Steine statt Brot: Die Entscheidung des EuGH v. 7.12.2010 zur Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen, BB 2011, 540 ff.; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften, Hamburg, 2008; Drüen, Zum Gutglaubensschutz im Umsatzsteuerrecht, DB 2010, 1847 ff.; Eder, Die Einbindung vorsatzloser Dritter in ein Umsatzsteuerkarussell, NZWiSt 2014, 90 ff.; Englisch, Nachweispflichten und Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, UR 2008, 481 ff.; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 17 Rz. 408 ff.; Englisch/Becker/Kurzenberger, BMF-Schreiben zu innergemeinschaftlichen Lieferungen, UR 2010, 285 ff.; Gehm, Das Umsatzsteuer-Karussellgeschäft im Licht der aktuellen Rechtsprechung, NWB 2012, 3237 ff.; Hoink/Adick, Innergemeinschaftliche Lieferungen – EuGH bestätigt Rechtsansicht des BGH, PStR 2011, 37 ff.; Hummel, Umgang mit „betrugsbehafteten“ Umsätzen im Umsatzsteuerrecht, UR 2014, 256 ff.; Hummel in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 14.330 ff.; Huschens, Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen: Stand der Diskussion nach dem BMF vom 5.5.2010, UVR 2010, 205 ff.; Huschens, Umsatzsteuerliche Karussellgeschäfte und deren Auswirkungen, SteuK 2012, 479 ff.; Huschens, Neuregelung der Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen ab 1.1.2013, NWB 2013, 1394; Korf, Umsatzsteuer: Zum Vorsteuerabzug bei Beihilfe zur Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat, IStR 2011, 30 ff.; Langer/Hammerl, Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung, NWB 2012, 4046 ff.; Langer/Hammerl, Gelangensbestätigung wird auch künftig nicht einzig möglicher Belegnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sein, DStR 2013, 1068 ff.; Meurer, Die bewegte Lieferung im Reihengeschäft, DStR 2011, 199 ff.; Möhlenkamp/Masuch, Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte in der Europäischen Union, UR 2009, 268 ff.; Nieskens, Intra-community supplies, in FS Schaumburg, Köln 2009, 1147 ff.; Pahne, Dem Umsatzsteuerbetrug hinterherlaufen, UR 2011, 247 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 10.96 ff.; Schießl, Konkretisierung der Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, StuB 2013, 330 ff.; Stapperfend, Schutz des guten Glaubens im Umsatzsteuerrecht, UR 2013, 321 ff.; Sterzinger, Befreiung der aufeinanderfolgenden Lieferungen derselben Gegenstände innerhalb der Union bei einer einzigen inner-

1 Zwischen Körperschaft- und Gewerbesteuer liegt Tateinheit und in Bezug auf die Umsatzsteuer Tatmehrheit vor; hierzu Joecks in J/J/R8, § 370 AO Rz. 723; zu den Konkurrenzen vgl. Rz. 11.574 ff. 2 Anders bei einem bloß symbolischen Preis; vgl. EuGH v. 20.1.2005 – C-412/03, ECLI:EU: C:2005:47 – Hotel Scandic Gåsabäck, UR 2005, 98 3 Tehler in R/D, § 6 UStG Rz. 782.

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B. Typische Problembereiche | Rz. 18.23 Kap. 18 gemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung, UR 2011, 269 ff.; Sterzinger, Steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung trotz Fehlens der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers?, UR 2013, 45 ff.; von Streit, Innergemeinschaftliches Reihengeschäft – Neues vom EuGH?, UStB 2013, 47 ff.; Thietz-Bartram, Die dolosen Gesamtschuldner in der USt-Kette bzw. im USt-Karussell, DB 2013, 418 ff.; Walter/Lohse/Dürrer, Innergemeinschaftliche Lieferung und Mehrwertsteuerhinterziehung in Deutschland und im EU-Ausland, wistra 2012, 125 ff.; Wulf/Alvermann, Umsatzsteuer für innergemeinschaftliche Lieferungen als Sanktion für missbräuchliches Verhalten?, DB 2011, 731 ff.

1. Überblick Ebenso wie bei Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG) ist auch die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen darauf gerichtet, das Bestimmungslandprinzip umzusetzen.1 Das Bestimmungslandprinzip wird technisch dadurch gewährleistet, dass einerseits die innergemeinschaftliche Lieferung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 UStG bei uneingeschränktem Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) steuerbefreit ist und andererseits im anderen Mitgliedstaat (Bestimmungsland) hierzu korrespondierend als innergemeinschaftlicher Erwerb2 der Umsatzsteuer unterworfen wird. Dieses Korrespondenzprinzip3 bedeutet allerdings nicht, dass der innergemeinschaftliche Erwerb im EU-Ausland tatsächlich besteuert wird.4 Erforderlich ist lediglich die Steuerbarkeit des innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG).5

18.22

Die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 UStG, die nur in Betracht kommt, wenn die betreffende Lieferung wegen des Orts der Lieferung im Inland überhaupt steuerbar ist, setzt u.a. voraus,

18.23

– die Beförderung oder Versendung des Liefergegenstandes in das übrige Gemeinschaftsgebiet (§ 6a Abs. 1 Nr. 1 UStG) – an einen Abnehmer, der den Gegenstand entweder als Unternehmer6 für sein Unternehmen oder als juristische Person für den nichtunternehmerischen Bereich oder ein neues Fahrzeug erworben hat (§ 6a Abs. 1 Nr. 2 UStG), – wenn der Gegenstand der Lieferung bei ihm in einem anderen Mitgliedstaat der Erwerbsteuer unterliegt (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG) und ab 2020 – wenn der Abnehmer eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) mitteilt (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). 1 Burgmaier in Wäger, UStG, § 6a UStG Rz. 3 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 10.96. 2 Art. 2 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL. 3 Nach EuGH v. 18.11.2010 – C-84/09, ECLI:EU:C:2010:693 – X, UR 2011, 103, Rz. 28, sind innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftlicher Erwerb ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang. 4 EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 – Teleos, Rz. 69 ff.; BFH v. 8.11.2007 – VR 72/05, BStBl. II 2009, 55 = UR 2008, 340; BFH v. 21.1.2015 – XI R 5/13, BStBl. II 2015, 725 = UR 2015, 265, Rz. 24 5 BFH v. 29.7.2009 – XI B 24/09, BFHE 226, 449 = UR 2009, 728; BFH v. 21.1.2015 – XI R 5/13, BStBl. II 2015, 725 = UR 2015, 265, Rz. 24. 6 Die ordnungsgemäße Erfüllung von Steuererklärungspflichten (im anderen Mitgliedstaat) ist hierbei kein Tatbestandsmerkmal der Unternehmereigenschaft; vgl. BFH v. 14.12.2011 – XI R 32/09, BFH/NV 2012, 1004; ab 2020 muss es sich aber um einen im anderen Mitgliedstaat registrierten Unternehmer handeln; vgl. zu Einzelheiten Frye, UR 2020, 325.

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Kap. 18 Rz. 18.23 | Umsatzsteuerrecht

Mit Wirkung ab 2020 bleibt die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen schließlich versagt, wenn der liefernde Unternehmer seiner Pflicht zur Abgabe der Zusammenfassenden Meldung (§ 18a UStG) nicht nachgekommen ist oder soweit er diese im Hinblick auf die jeweilige Lieferung unvorsichtig oder unvollständig abgegeben hat (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG).

18.24

Wer den Liefergegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet, spielt keine Rolle. Der Abnehmer muss auch nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sein.1 Daher kann eine Lieferung an inländische Abnehmer als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein, wenn der Liefergegenstand etwa zu einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte des Abnehmers gelangt.2 Die in diesem Zusammenhang bedeutsamen Nachweispflichten (§§ 17a–17c UStDV)3 haben keine materiell-rechtliche Bedeutung.4 Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist in der ab 2020 geltenden Fassung des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG allerdings, dass der Abnehmer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte gültige UStIdNr. verwendet. Gibt daher der Abnehmer seine (gültige) USt-IdNr. an, kann, sofern sich keine Zweifel aufdrängen, davon ausgegangen werden, dass der Gegenstand für unternehmerische Zwecke erworben wird und in einem anderen Mitgliedstaat der Besteuerung unterliegt (§ 6a Abs. 4 UStG).5 Die Inanspruchnahme des Vertrauensschutzes nach § 6a Abs. 4 UStG setzt voraus, dass die bestehenden Nachweispflichten formell vollständig erbracht sind und der Lieferer hierbei im guten Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.6 Damit kann die Steuerbefreiung im Ergebnis in Anspruch genommen werden, wenn eine innergemeinschaftliche Lieferung tatsächlich vorliegt und der Unternehmer alle Nachweispflichten erfüllt hat oder wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind und oder dem Unternehmer trotz Nichtvorliegens einer innergemeinschaftlichen Lieferung Vertrauensschutz zu gewähren ist.7 Dass die innergemeinschaftliche Lieferung von neuen Fahrzeugen auch an private Letztverbraucher steuerfrei ist, beruht darauf, dass dieser PersonenStadie3, § 6a UStG Rz. 13. Frye in R/D, § 6a UStG Rz. 342. Mit Wirkung ab 2020: §§ 17b – 17d UStDV. EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 – Teleos; EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz; EuGH v. 27.9.2007 – C-184/05, ECLI:EU:C:2007:550 – Twoh International BV, UR 2007, 787; BFH v. 8.11.2007 – V R 26/05, BStBl. II 2009, 49 = UR 2008, 394; BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2009, 57 = UR 2008, 186; BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511 = UR 2009, 719; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957 = UR 2011, 824; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407 = UR 2013, 456; BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656 = UR 2013, 764; BMF v. 6.1.2009 – IV B 9 - S 7141/08/ 10001, BStBl. I 2009, 60; ausführlich hierzu Englisch, UR 2008, 481 ff.; Englisch/Becker/Kurzenberger, UR 2010, 285 ff. 5 Vgl. Abschn. 6a.1 Abs. 13 UStAE. Im Hinblick auf die in § 6a Abs. 1 Nr. 4 UStG mit Wirkung ab 2020 geltenden Neuregelung ist zweifelhaft, ob das Fehlen einer USt-IdNr. weiterhin unschädlich ist, wenn der Abnehmer unstreitig Unternehmer ist (so EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU: C:2012:592 – VSTR, UR 2012, 832 m. Anm. Burgmaier; EuGH v. 20.10.2016 – C-24/15, ECLI:EU: C:2016:791 – Plöckl, UR 2016, 882). 6 BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656 = UR 2013, 764 unter Hinweis auf EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 – Teleos, 3. Leitsatz und EuGH v. 6.9.2012 – C-273/ 11, ECLI:EU:C:2012:547 – Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 m. Anm. Maunz, Rz. 48 ff. 7 BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656 = UR 2013, 764. 1 2 3 4

966 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.28 Kap. 18

kreis beim Erwerb zur Besteuerung herangezogen wird (vgl. § 1b Abs. 1 UStG). Eine etwaige Be- oder Verarbeitung des Liefergegenstandes vor dessen Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet ist unschädlich (§ 6a Abs. 1 Satz 2 UStG). Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gem. § 6a Abs. 2 UStG auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes in das übrige Gemeinschaftsgebiet (§ 3 Abs. 1a UStG). Es handelt sich hierbei um das grenzüberschreitende unternehmensinterne Verbringen von Gegenständen. Mit der vorgenannten Vorschrift, die zu einer Entlastung von Umsatzsteuer führt, korrespondiert § 1a Abs. 2 UStG (Erwerbsteuer), sodass die Besteuerung im Bestimmungsland sichergestellt ist.1

18.25

Im Rahmen eines Reihengeschäfts (§ 3 Abs. 6 UStG),2 bei dem die Warenbewegung im Inland beginnt und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaat endet, kann mit der Beförderung oder Versendung des Liefergegenstandes in das übrige Gemeinschaftsgebiet stets nur eine einzige innergemeinschaftliche Lieferung i.S.d. § 6a UStG bewirkt werden (für die sog. bewegte Lieferung bzw. Transportlieferung s. Rz. 18.38). Die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 UStG kommt somit nur bei der Beförderungs- oder Versendungslieferung zur Anwendung.3

18.26

In strafrechtlicher Hinsicht ergibt sich im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen die Besonderheit, dass der deutsche Lieferant etwa bei Verschleierung der Identität des Erwerbers eine Steuerhinterziehung sowohl deutscher Umsatzsteuer als auch der Umsatzsteuer im Bestimmungsland begehen kann (§ 370 Abs. 6 AO; hierzu s. Rz. 18.35).

18.27

2. Pflichtenkreis Die entsprechenden für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen maßgeblichen Voraussetzungen müssen vom liefernden Unternehmer nachgewiesen werden (§ 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a – 17c UStDV).4 Die Nachweise sind allerdings keine materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit. Ist daher erwiesen, dass der Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist und der Abnehmer den innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern hat, ist dem Lieferer die Steuerbefreiung zu gewähren.5 1 Frye in R/D, § 6a UStG Rz. 471; Burgmaier in Wäger, UStG, § 6a UStG Rz. 109 f.; die Finanzverwaltung fordert den Nachweis der Erwerbsbesteuerung, vgl. BMF v. 6.1.2009 – IV B 9 - S 7141/ 08/10001, BStBl. I 2009, 60, Rz. 19; vgl. im Übrigen BMF v. 5.5.2010 – IV D 3 - S 7141/08/10001, BStBl. I 2010, 508 m.w.N. 2 Mit Wirkung ab 2020 geregelt in § 3 Abs. 6a UStG. 3 Zu Einzelheiten Abschn. 3.14 Abs. 13 UStAE. 4 In der ab 2020 geltenden Fassung §§ 17 b – d USDV. 5 EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 – Teleos; EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz; EuGH v. 27.9.2007 – C-184/05, ECLI:EU:C:2007:550 – Twoh International BV, UR 2007, 787; BFH v. 8.11.2007 – V R 26/05, BStBl. II 2009, 49 = UR 2008, 394; BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2009, 57 = UR 2008, 186; BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511 = UR 2009, 719; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957 = UR 2011, 824; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407 = UR 2013, 456; BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656 = UR 2013, 764; BMF v. 6.1.2009 – IV B 9 - S 7141/08/ 10001, BStBl. I 2009, 60; ausführlich hierzu Englisch, UR 2008, 481 ff.; Englisch/Becker/Kurzenberger, UR 2010, 285 ff.

Schaumburg | 967

18.28

Kap. 18 Rz. 18.29 | Umsatzsteuerrecht

18.29

Folgende Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sind von Bedeutung: – Gelangensbestätigung (§ 17a Abs. 2 Satz 1Nr. 2 UStDV)1 in den Fällen, in denen der Unternehmer oder Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat, wobei die Gelangensbestätigung entweder die Unterschrift des Abnehmers, eines von dem Abnehmer zur Abnahme des Liefergegenstandes Beauftragten oder von einem zur Vertretung des Abnehmers Berechtigten enthalten muss, es sei denn, die Gelangensbestätigung wird elektronisch übermittelt;2 – Frachtbrief oder Konnossement in den Fällen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet versendet hat (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStDV);3 – Spediteurbescheinigung in den Fällen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet versendet hat (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b UStDV);4 – Versendungsprotokoll eines Kurierdienstleisters in den Fällen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet versendet hat (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c UStDV);5 – Empfangsbescheinigung eines Postdienstleisters in den Fällen von Postsendungen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet versendet hat und in denen eine Belegnachweisführung mithilfe eines Kurierdienstleisters nicht möglich ist (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b UStDV);6 – Spediteurversicherung in den Fällen, in denen die Versendung des Gegenstandes durch einen vom Abnehmer beauftragten Spediteur erfolgt (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 UStDV);7 – Bestätigung der Abgangsstelle in Beförderungsfällen im Unionsversandverfahren (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 UStDV);8 – EMCS-Eingangsmeldung bei der Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung und Verwendung des IT-Verfahrens EMCS9 (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a UStDV);10 – dritte Ausfertigung des vereinfachten Begleitdokuments bei Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren, des steuerrechtlich freien Verkehrs in Beförderungsfällen (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b UStDV);11 1 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStDV. 2 Die Gelangensbestätigung ist im Abholfall zu weitgehend, weil vom Steuerpflichtigen nicht der Nachweis gefordert werden kann, dass der Liefergegenstand den Mitgliedstaat tatsächlich verlassen hat; vgl. EuGH v. 6.9.2012 – C-273/11, ECLI:EU:C:2012:547 – Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 m. Anm. Maunz, Rz. 56 ff.; zur Gelangensbestätigung im Einzelnen Langer/Hammerl, DStR 2013, 1068 ff. 3 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStDV. 4 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStDV. 5 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c UStDV. 6 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d UStDV. 7 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 UStDV. 8 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 UStDV. 9 Excise Movement and Control System. 10 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a UStDV. 11 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b UStDV.

968 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.31 Kap. 18

– Zulassungsnachweis bei Lieferung von Fahrzeugen, die durch den Abnehmer befördert werden (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 UStDV).1 Über die vorgenannten Belegnachweise hinaus, für die § 17b UStDV2 bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in Bearbeitungs- und Verarbeitungsfällen eine Ergänzung enthält, ist Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung der buchmäßige Nachweis,3 wonach u.a. die für die Steuerbefreiung maßgeblichen Voraussetzungen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung ersichtlich sein müssen (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV).4 Diesbezüglich enthält § 17c Abs. 2–4 UStDV5 detaillierte Aufzeichnungspflichten.

18.30

3. Pflichtverletzungen Im Hinblick darauf, dass der liefernde Unternehmer die Beweislast für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung trägt,6 scheitert die Steuerbefreiung, wenn entsprechende Nachweise nicht erbracht werden. Da die in den §§ 17a–c UStDV7 verankerten Beleg- und Buchnachweise keinen materiell-rechtlichen Charakter haben,8 kann der Nachweis auch auf andere Art erbracht werden.9 Er erübrigt sich, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, etwa auf1 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 UStDV. 2 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17c UStDV. 3 Hierzu gehört auch die Aufzeichnung der USt-IdNr. des Abnehmers; vgl. EuGH v. 6.9.2012 – C273/11, ECLI:EU:C:2012:547 – Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 m. Anm. Maunz, Rz. 60, und EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU:C:2012:592 – VSTR, UR 2012, 832 m. Anm. Burgmaier, wonach eine USt-IdNr. entbehrlich ist, wenn der Nachweis gelingt, dass der Erwerb der Ware im übrigen Gemeinschaftsgebiet der Erwerbsbesteuerung unterliegt; hierzu Sterzinger, UR 2013, 45 ff.; Langer/Hammerl, NWB 2012, 4046 ff. 4 In der ab 2020 geltenden Fassung § 17d Abs. 1 Satz 2 UStDV. 5 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17d Abs. 2 – 4 UStDV. 6 Die Urteile des EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, dazu, dass bloße Zweifel der Finanzbehörden nicht ausreichen, dem Unternehmer das Recht auf Vorsteuerabzug zu verwehren und es vielmehr den Finanzbehörden obliegt, die objektiven Umstände nachzuweisen, aus denen sich ergibt, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bezogene Eingangsumsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war, gelten nicht für innergemeinschaftliche Lieferungen (EuGH v. 27.9.2012 – C-587/ 10, ECLI:EU:C:2012:592 – VSTR, UR 2012, 832 m. Anm. Burgmaier; EuGH v. 20.10.2016 – C-24/ 15, ECLI:EU:C:2016:791 – Plöckl, UR 2016, 882; BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596, Rz. 54); wegen der ab 2020 geltenden Neufassung von § 6a Abs. 1 Nr. 4 und § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG im Sinne von materiell-rechtlichen Voraussetzungen nunmehr möglicherweise anders; vgl. hierzu Burgmaier in Wäger, § 6a UStG Rz. 94 ff.; Weymüller, DStR 2020, 185 (188). 7 In der ab 2020 geltenden Fassung, § 17 b – d UStDV. 8 EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 – Teleos; EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 – Collée, BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813 m. Anm. Maunz; EuGH v. 27.9.2007 – C-184/05, ECLI:EU:C:2007:550 – Twoh International BV, UR 2007, 787; BFH v. 8.11.2007 – V R 26/05, BStBl. II 2009, 49 (52, 55) = UR 2008, 394; BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2009, 57 = UR 2008, 186; BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511 = UR 2009, 719; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957 = UR 2011, 824; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407 = UR 2013, 456; BFH v. 25.4.2013 – VR 28/11, BStBl. II 2013, 656; BMF v. 6.1.2009 – IV B 9 - S 7141/08/10001, BStBl. I 2009, 60. 9 Vgl. BFH v. 14.12.2011 – XI R 18/10, BFH/NV 2012, 1006; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/ NV 2012, 1188; BFH v. 14.12.2011 – XI R 32/09, BFH/NV 2012, 1004; BFH v. 14.12.2011 – XI R 33/10, BFH/NV 2012, 1009; BFH v. 28.8.2014 – V R 16/14, BStBl. II 2015, 46 = UR 2014, 893.

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18.31

Kap. 18 Rz. 18.31 | Umsatzsteuerrecht

grund eigener Feststellungen der Finanzbehörden, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind.1 Das Recht, die Voraussetzungen der Steuerfreiheit objektiv nachzuweisen,2 besteht allerdings nicht, wenn etwa über die Identität des Abnehmers getäuscht werden sollte.3

18.32

Beispiel: A ist ansässig in Deutschland und betreibt hier eine Werft für Sportboote.4 Er schließt mit der in Irland domizilierenden X-Inc. einen Kaufvertrag über die Lieferung einer Motorjacht ab. Die Motorjacht wird bestimmungsgemäß von Deutschland aus von dem Frachtführer B nach Marbella (Spanien) befördert und dort einer Person übergeben, die als Beauftragte der X-Inc. auftritt. In der betreffenden Umsatzsteuervoranmeldung sowie in seiner Zusammenfassenden Meldung behandelt A die Lieferung an die X-Inc. als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung. Im Zuge der daraufhin bei A stattfindenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung legt A über die vorgenannte Lieferung eine Rechnung vor, die keine Umsatzsteuer ausweist und auch sonst keine Hinweise auf die innergemeinschaftliche Lieferung enthält. Ferner legt A einen Frachtbrief vor, bei dem Ort und Tag der Versendung des Sportbootes nicht aufgeführt sind und der zudem eine nicht leserliche Unterschrift enthält. Nachdem A auf Befragung die Auskunft darüber verweigert, mit welcher natürlichen Person er die Verhandlungen über den Verkauf des Sportbootes geführt hat, und die Finanzverwaltung über das BZSt feststellt, dass die X-Inc. eine inaktive Gesellschaft ist, erfolgt bei A seitens der zuständigen Steuerfahndungsstelle eine Durchsuchung, in deren Rahmen Unterlagen beschlagnahmt werden, aus denen sich ergibt, dass A mit B kollusiv zusammengewirkt und die von ihm eingeschaltete X-Inc. als Abnehmerin akzeptiert hat, um eine Erwerbsbesteuerung des B in Spanien zu verhindern. Die Vernehmung des Frachtführers B ergibt allerdings, dass das Sportboot tatsächlich in Marbella (Spanien) übergeben worden ist. Zugleich wird aufgrund eines Auskunftsersuchens von der spanischen Finanzverwaltung festgestellt, dass seitens der X-Inc. in Spanien eine Erwerbsteuer weder angemeldet noch abgeführt wurde.

18.33

Die Lieferung des A an die X-Inc. ist nicht gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 UStG als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, weil die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen von A nicht nachgewiesen wurden. So fehlt der gem. § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. § 17a Abs. 2 Nr. 1 UStDV erforderliche Nachweis durch Vorlage eines Doppels einer (ordnungsgemäßen) Rechnung (§ 14 UStG). Denn die Rechnung enthält keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung; der bloße Nichtausweis einer Umsatzsteuer reicht nicht aus.5 Darüber hinaus liegt auch kein ordnungsgemäßer Versendungsbeleg (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStDV) vor. So fehlen nicht nur die erforderlichen Angaben zu Ort und Tag der Versendung, sondern auch eine auf die Identität des Abnehmers hinweisende Unterschrift.6 Zwar eröffnet sich für A grundsätzlich die Möglichkeit, die Voraussetzungen der Steuerfreiheit objektiv nachzuweisen, das gilt aber nicht in den Fällen, in denen die Identität 1 BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511 = UR 2009, 719; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957 = UR 2011, 824; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407 = UR 2013, 456, Rz. 22. 2 BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957 = UR 2011, 824; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188. 3 EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger, Rz. 52; BFH v. 17.2.2011 – V R 30/10, UR 2011, 784; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/ 10, BStBl. II 2011, 957 = UR 2011, 824; BFH v. 11.8.2011 – V R 50/09, BStBl. II. 2012, 151; BFH v. 11.8.2011 – V R 19/10, BStBl. II 2012, 145; BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596, Rz. 55; Abschn. 6a. 2 Abs. 3 Satz 7 UStAE; zur Kritik an diesem Sanktionscharakter Bülte, DB 2011, 442 ff.; Hoink/Adick, PStR 2011, 37; Korf, IStR 2011, 30 ff.; Bürger/Paul, BB 2011, 540 ff. 4 Vgl. zum Sachverhalt BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596. 5 BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957 = UR 2011, 824; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596, Rz. 44. 6 Vgl. BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596, Rz. 49.

970 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.35 Kap. 18

des Abnehmers verschleiert wird.1 Diese Einschränkung beruht auf § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG, wonach Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt. Mit der Steuerbefreiung soll also eine korrespondierende Besteuerung im Bestimmungsland sichergestellt werden.2 Dieses Korrespondenzprinzip verlangt zwar nicht, dass im Bestimmungsland tatsächlich eine Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb erhoben wird,3 Voraussetzung ist aber, dass aufgrund der zutreffenden Angaben des leistenden Unternehmers die Person des Abnehmers bekannt ist, damit dieser im Bestimmungsland als Steuerschuldner erfasst werden kann.4 In steuerstrafrechtlicher Hinsicht ergibt sich: A hat gegen die sich aus § 6a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ergebende Nachweispflicht5 mit dem Ziel verstoßen, die Identität des B als Erwerber der Motorjacht zu verschleiern, um diesem in Spanien eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen. Im Hinblick darauf ist der Tatbestand der Steuerbefreiung als innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG) nicht gegeben, womit zugleich der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt ist.6 Dass die Motorjacht tatsächlich nach Spanien verbracht wurde, spielt keine Rolle, weil hier die Identität des Warenerwerbers verschleiert wurde.7

18.34

Sollte auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein,8 ist damit eine Steuerhinterziehung von deutscher Umsatzsteuer gegeben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), wobei die Tat bereits mit Zugang der (unrichtigen) Umsatzsteuervoranmeldung beim Finanzamt vollendet ist.9 Zusätzlich hat sich A auch der Hinterziehung spanischer Mehrwertsteuer (Erwerbsbesteuerung) dadurch schuldig gemacht, dass er es gegenüber den deutschen Behörden unterlassen hat, den wahren

18.35

1 EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; BFH v. 17.2.2011 – V R 30/10, UR 2011, 784; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957 = UR 2011, 824; BFH v. 11.8.2011 – V R 50/09, BStBl. II. 2012, 151; BFH v. 11.8.2011 – V R 19/10, BStBl. II 2012, 156; BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596, Rz. 55; Abschn. 6a.2 Abs. 3 Satz 7 UStAE; zur Kritik an diesem Sanktionscharakter Bülte, DB 2011, 442 ff.; Hoink/Adick, PStR 2011, 37; Korf, IStR 2011, 30 ff.; Bürger/Paul, BB 2011, 540 ff. 2 Burgmaier in Wäger, UStG, § 6a UStG Rz. 83. 3 Vgl. EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 – Teleos, Rz. 69 ff. 4 BFH v. 29.7.2009 – XI B 24/09, BFHE 226, 449 = UR 2009, 728; BFH v. 17.2.2011 – V R 30/10, UR 2011, 784; Treiber in S/R, § 6a UStG Rz. 60 ff. Mit Wirkung ab 1.1.2020 ist Voraussetzung für die Steuerbefreiung, dass der Abnehmer gegenüber dem liefernden Unternehmer eine gültige USt-IdNr. verwendet (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). 5 Unrichtige Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) in der Umsatzsteuervoranmeldung sowie in der Zusammenfassenden Meldung. 6 Eine tatsächliche (spätere) Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland oder einer Empfängerbenennung hat keine strafrechtlichen Folgen; vgl. Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125 (128). 7 BGH v. 20.10.2011 – 1 StR 41/09, ZWH 2012, 323 unter Hinweis auf EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 – R., BStBl. II 2011, 846 = UR 2011, 15 m. Anm. Sterzinger; BGH v. 19.3.2013 – 1 StR 318/12, NZWiSt 2014, 73; ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) wird unter Hinweis auf BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, DStRE 2012, 379 verneint; zur Kritik Bülte, HRRS 2011, 465 (469); Bülte, BB 2010, 1759 ff.; Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 (736). 8 Zur Frage des Tatbestandsirrtums im Hinblick auf die (früher) bestehende unklare Rechtslage Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125 (131). 9 BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, wistra 2009, 355; die unrichtige Voranmeldung und die nachfolgende unrichtige (oder unterlassene) Jahreserklärung bilden unabhängige Taten im materiellen Sinne (§ 53 StGB); vgl. hierzu Wulf, Stbg 2014, 64 (65 f.).

Schaumburg | 971

Kap. 18 Rz. 18.35 | Umsatzsteuerrecht

Erwerber zu benennen, und hierdurch verhindert hat, dass die spanischen Finanzbehörden auf Grundlage der MwSt-ZVO (hierzu s. Rz. 8.24 ff.) auf die entsprechenden Informationen zugreifen konnten (§ 370 Abs. 6 Sätze 1 und 2 AO).1 Darüber hinaus kommt auch eine (aktive) Beihilfe zur Steuerhinterziehung des B in Spanien dadurch in Betracht, dass A gegenüber den deutschen Behörden unzutreffende Angaben über den Erwerber gemacht hat, wodurch im Ergebnis die Feststellung der Identität des B als Abnehmer in Spanien erschwert wurde.2

4. Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte 18.36

In der Praxis haben innergemeinschaftliche Lieferungen, soweit sie im Rahmen von Reihengeschäften erfolgen, besondere Bedeutung auch in strafrechtlicher Hinsicht. Eine besondere Brisanz erhalten derartige innergemeinschaftliche Reihengeschäfte in den Fällen, in denen bei einer etwaigen Rücklieferung an den Ausgangsunternehmer nicht selten auch die Voraussetzungen eines zu erheblichen Steuerausfällen führenden sog. Umsatzsteuerkarussells (hierzu Rz. 18.41 ff.) vorliegen können.3

18.37

Ein Reihengeschäft (Art. 36a MwStSystRL, § 3 Abs. 6a UStG)4 ist dann gegeben, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und der Liefergegenstand bei der Beförderung oder Versendung dabei unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt (§ 3 Abs. 6a Satz 1 UStG).5 Im Kontext mit innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG) geht es in der Grundkonstellation – zwei Lieferungen zwischen drei Beteiligten – darum, für welche Lieferung die Umsatzsteuerbefreiung in Anspruch genommen werden kann. Denn die (grenzüberschreitende) Warenbewegung kann stets nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden (§ 3 Abs. 6a Satz 5 UStG).6 Angesprochen sind damit insbesondere Fälle, in denen ein im Inland ansässiger Unternehmer den Gegenstand an einen im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer (Zwischenhändler) und dieser den Liefergegenstand an einen ebenfalls im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen weiteren Abnehmer veräußert, wobei der Gegenstand unmittelbar vom ersten an den dritten Unternehmer gelangt.7 Entscheidend ist hierbei, wer für den Transport des Gegenstandes über die innergemeinschaftliche Grenze verantwortlich ist.

18.38

In der für das innergemeinschaftliche Reihengeschäft typischen Dreiparteienkonstellation ist der Fall problematisch, in dem der Zwischenhändler die Beförderung oder Versendung aus 1 Im Einzelnen Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125 (128 ff.). 2 Im Einzelnen Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125 (130 f.) dort auch zum Konkurrenzverhältnis von aktiver Hinterziehung von deutscher und Unterlassungstäterschaft oder Teilnahme in Bezug auf die Mehrwertsteuer im Bestimmungsland. 3 Vgl. nur den Hinweis von Sterzinger, UR 2011, 269 (270); zu betrügerischen Umsatzsteuerkarussellen nachfolgend Rz. 18.41 ff. 4 Neuregelung mit Wirkung ab 1.1.2020 (Art. 12 i.V.m. Art. 39 Abs. 2 JStG 2019); zuvor galt § 3 Abs. 6 Sätze 5 und 6 UStG. 5 Entspricht § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG a.F. 6 Entspricht § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG a.F.; zur alten Rechtslage vgl. EuGH v. 6.4.2006 – C-245/04, ECLI:EU:C:2006:232 – EMAG Handel Eder, UR 2006, 342, EuGH v. 23.4.2020 – C-401/18, ECLI: EU:C:2020:295 – Herst, UR 2020, 386; zur Neuregelung Wäger in Wäger, § 3 UStG Rz. 237 ff., 273 ff.; Pflaum, UR 2020, 455. 7 In dieser Grundkonstellation kommt die Sonderregelung des § 25b UStG (innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte) nicht zur Anwendung, weil diese Vereinfachungsregelung (fiktive Erwerbsbesteuerung) voraussetzt, dass drei unmittelbar nacheinander liefernde Unternehmer beteiligt sind, die mit ihren USt-IdNrn. aus drei verschiedenen Mitgliedstaaten auftreten.

972 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.39 Kap. 18

dem Liefer- in den Bestimmungsmitgliedstaat unmittelbar vom Erstlieferer zum Letzterwerber durchführt. Soweit nämlich der Erstlieferer die Beförderung oder Versendung in den Bestimmungsmitgliedstaat veranlasst, kann er für seine (bewegte) Lieferung die Steuerbefreiung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6 UStG) beanspruchen. Entsprechendes gilt für den Letztabnehmer, wenn dieser den Transport übernimmt.1 Befördert oder versendet dagegen der Zwischenerwerber den Liefergegenstand, ist dieser zugleich Abnehmer der vom Erstlieferanten ausgehenden Lieferung und zugleich Lieferer seiner eigenen Lieferung an den Letztabnehmer.2 Hierfür stellt § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG a.F. die widerlegbare Vermutung auf, dass die Lieferung an den Zwischenerwerber die bewegte Lieferung (Transportlieferung) ist mit der Folge, dass der Erstlieferant hierfür die Steuerbefreiung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6 UStG) in Anspruch nehmen kann. Diese Vermutung kann durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Zwischenerwerber nicht als Abnehmer, sondern als Lieferant transportiert. Davon ist auszugehen, wenn der Zwischenerwerber unter der USt-IdNr. des Mitgliedstaates auftritt, in dem der Transport beginnt und er aufgrund der mit seinem Vorlieferanten und seinem Auftraggeber vereinbarten Lieferkonditionen Gefahr und Kosten des Transports übernommen hat.3 Unabhängig von dieser Vermutungsregelung kommt es im Rahmen einer Einzelfallwürdigung4 auf die konkrete Feststellung an, welche die bewegte Lieferung (Transportlieferung) in der Kette ist. Hiernach gilt: Der Erstlieferant kann davon ausgehen, dass seine Lieferung als bewegte und damit als steuerfreie Lieferung anzusehen ist, wenn der Zwischenerwerber erklärt, die Ware in einen anderen Mitgliedstaat als den Abgangsmitgliedstaat befördern zu wollen und mit einer ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilten USt-IdNr. auftritt.5 Das gilt aber dann nicht, wenn ihm der Zwischenerwerber mitgeteilt hat, dass er den Gegenstand, bevor dieser den Abgangsmitgliedstaat verlassen hat, an einen anderen Steuerpflichtigen weiterverkauft hat, womit klargestellt wird, dass noch vor der Beförderung oder Versendung in den Bestimmungsmitgliedstaat der Zwischenerwerber seine eigene Lieferung ausgeführt hat.6 Beispiel: Der inländische Unternehmer A veräußert 2018 eine Maschine an den in Spanien ansässigen Unternehmer B. Der Veräußerung liegen eine per Telefax übermittelte Bestellung und die Mitteilung der spanischen USt-IdNr. zugrunde. Die Gültigkeit der spanischen USt-IdNr. und die Übereinstimmung der Angaben zu Name, Ort, Postleitzahl und Straße des B ließ sich A vom BZSt bestätigen. Die von A ausgestellte Rechnung wies unter Hinweis auf das Vorliegen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung keine Umsatzsteuer aus. Die Maschine wurde von einem französischen Frachtführer bei A im Inland abgeholt. Der französische Frachtführer übergab dem A eine eidesstattliche Versicherung über den Empfang der Maschine und die Beförderung nach Spanien sowie eine schriftliche Abholvollmacht, die B auf den Frachtführer ausgestellt hatte. Noch vor der Abholung der Maschine erhielt A von B per Telefax die Mitteilung, dass er die Maschine zwischenzeitlich an C in Frankreich weiterveräußert habe. In der Umsatzsteuerjahreserklärung für 2018 hat A die Lieferung der Maschine an B als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG) behandelt. Im Rahmen einer Umsatzsteuernachschau (§ 27b UStG) geht das zuständige Finanzamt aufgrund der von A vorgelegten Telefaxnachricht des B davon aus, dass im Rahmen des Reihengeschäfts die Liefe1 2 3 4

Abschn. 3.14 Abs. 8 Sätze 1 und 2 mit Beispielen in Buchst. a und b UStAE. Abschn. 3.14 Abs. 9 Satz 1 UStAE. Abschn. 3.14 Abs. 10 Satz 2 UStAE; so jetzt ausdrücklich § 3 Abs. 6a Satz 5 UStG n.F. EuGH v. 16.12.2010 – C-430/09, ECLI:EU:C:2010:786 – Euro Tyre Holding, UR 2011, 176, Rz. 27; EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU:C:2012:592 – VSTR, UR 2012, 832 m. Anm. Burgmaier, Rz. 32. 5 EuGH v. 16.12.2010 – C-430/09, ECLI:EU:C:2010:786 – Euro Tyre Holding, UR 2011, 176, Rz. 35. 6 EuGH v. 16.12.2010 – C-430/09, ECLI:EU:C:2010:786 – Euro Tyre Holding, UR 2011, 176, Rz. 36; vgl. auch BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, UR 2011, 909.

Schaumburg | 973

18.39

Kap. 18 Rz. 18.39 | Umsatzsteuerrecht rung des B an C die für die Steuerbefreiung maßgebliche bewegte Lieferung sei. Dementsprechend wird gegen A ein nach § 164 Abs. 2 AO geänderter Umsatzsteuerbescheid erlassen, wonach die Lieferung an B als steuerpflichtig behandelt wird. Zugleich wird gegen A ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) eröffnet.

18.40

Die Lieferung des A an B erfolgte im Rahmen eines Reihengeschäfts, wobei die Lieferung des A an den B steuerbar ist, weil der Ort der Lieferung im Inland liegt.1 Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Lieferung des A an den B selbst die Beförderungs- oder Versendungslieferung ist – dann beurteilt sich der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG – oder es sich um eine Lieferung handelt, die einer Beförderungs- oder Versendungslieferung vorangeht – dann gilt § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG.2 Die in § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 1 UStG verankerte (widerlegbare) Vermutung ist zwar darauf gerichtet, dass im Rahmen eines Reihengeschäfts die Beförderung oder Versendung durch den B als Zwischenerwerber dem A als Erstlieferanten zuzuordnen ist mit der Folge, dass dieser die Umsatzsteuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG in Anspruch nehmen kann. Das gilt aber nicht, wenn der Ersterwerber dem Erstlieferer bereits vor der Beförderung oder Versendung mitteilt, dass er den Gegenstand an einen Zweiterwerber verkauft hat.3 Diese Fallkonstellation liegt hier vor. Im Ergebnis hat es damit der B als Zwischenerwerber im Fall des Weiterverkaufs in der Hand, durch Mitteilung oder Verschweigen des Weiterverkaufs darüber zu entscheiden, ob A als Erstlieferant oder er selbst eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erbringt. Damit liegt der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Ob dem A allerdings Vorsatz nachgewiesen werden kann, erscheint mehr als zweifelhaft. Zwar kommt ihm der in § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG verankerte Vertrauensschutz nicht zugute, weil die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nicht auf unrichtigen Angaben des B beruht. Dass es aber darauf ankam, ob der Zwischenerwerber B vor Beginn des Transports die Maschine bereits weiterveräußerte, wird für A nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sein. Die steuerliche Relevanz dieser Mitteilung ergibt sich jedenfalls nicht unmittelbar aus dem Gesetz.4

5. Betrügerische Umsatzsteuerkarusselle und Lieferketten 18.41

Betrügerische Karussellgeschäfte sind im Kern darauf gerichtet, unter Nutzung der besonderen umsatzsteuerlichen Regelungen für innergemeinschaftliche Lieferungen und Erwerbe einem in der Lieferkette eingebundenen Unternehmer den Vorsteuerabzug zu verschaffen, ohne dass die in der Lieferkette entstehende Umsatzsteuer angemeldet bzw. entrichtet wird.5 Gegenstand derartiger Karussellgeschäfte6 sind in der Praxis zumeist Liefergeschäfte mit kleinteiligen Wirtschaftsgütern, soweit Warenbewegungen überhaupt stattfinden.7 Einge1 Hier begann die Beförderung oder Versendung des Liefergegenstandes (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). 2 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – C-245/04, ECLI:EU:C:2006:232 – EMAG Handel Eder, UR 2006, 342, Leitsatz 2; BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, UR 2011, 909, Rz. 14 f. 3 EuGH v. 16.12.2010 – C-430/09, ECLI:EU:C:2010:786 – Euro Tyre Holding, UR 2011, 176, Rz. 36; BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, UR 2011, 909, Rz. 18. 4 Vgl. zu den insoweit bestehenden Unklarheiten von Streit, UStB 2013, 47 ff.; Wäger, UR 2013, 81 (92 ff.), wonach „die Behandlung der Reihengeschäfte weiterhin rätselhaft“ bleibt (93). 5 Vgl. zum Begriff Weimann in Weimann/Lang, Umsatzsteuer national und international5, § 25d UStG Tz. 1.1.2; Gehm, NWB 2012, 3237 (3237); Huschens, SteuK 2012, 479 (479 f.); Eder, NZWiSt 2014, 90 (90 f.). 6 Die Ausfälle werden jährlich in Milliardenhöhe geschätzt; vgl. Hundt-Eßwein in O/S/L, § 15 UStG Rz. 17d; Kemper, MwStR 2014, 640 (640). 7 Vgl. § 13b Abs. 2 Nr. 10 UStG (Umkehr der Steuerschuldnerschaft) i.d.F. des Kroatien-AnpG, der hochpreisige Kleinteile erfasst und insoweit Steuerausfälle durch Umsatzsteuer-Karussellgeschäfte verhindern soll.

974 | Schaumburg und Adick

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.42 Kap. 18

schaltet sind in den Lieferketten mehrere verschiedene Unternehmer, wobei das Karussellgeschäft in aller Regel vom inländischen Distributor ausgeht, der seinerseits an einen im EUAusland ansässigen Abnehmer liefert, von wo aus sodann die gelieferte Ware über den im Inland ansässigen sog. Missing Trader über den inländischen Buffer an den im Inland ansässigen Distributor zurückgelangt. Die an diesem Karussellgeschäft beteiligten Unternehmer behandeln gewöhnlich die getätigten Umsätze wie folgt: Für die Lieferung des inländischen Distributors an den im EU-Ausland ansässigen Händler wird die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1, § 6a UStG in Anspruch genommen, wobei der Händler im EU-Ausland die Lieferung dort der Erwerbsbesteuerung bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug1 unterwirft. Die Lieferung des im EU-Ausland ansässigen Händlers an den inländischen Missing Trader ist im Ausland umsatzsteuerfrei2 und unterliegt beim Missing Trader im Inland der Erwerbsbesteuerung (§ 1a UStG) bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG). Die Lieferung des Missing Trader an den im Inland ansässigen Buffer ist eine steuerbare und steuerpflichtige Lieferung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG), wobei der Buffer im Inland die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Die Lieferung des Buffer an den Distributor unterliegt der Umsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) und berechtigt den Distributor zum Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Die Besonderheit besteht in der Praxis darin, dass der Missing Trader die von ihm geschuldete Umsatzsteuer für die Lieferung an den Buffer entgegen seiner aus § 18 Abs. 1 UStG ergebenden Verpflichtung beim zuständigen Finanzamt nicht anmeldet und auch nicht zahlt.3 Bei dem Missing Trader handelt es sich in aller Regel um einen Unternehmer,4 der am Markt nur kurzzeitig auftritt und sodann wieder untertaucht.5 Während Distributor und Missing Trader stets kollusiv zusammenwirken, haben die im Übrigen in das Karussellgeschäft eingeschalteten Unternehmer nicht selten keine Kenntnis davon, dass es sich um ein betrügerisches Karussellgeschäft handelt. Hinsichtlich der steuerrechtlichen Folgen ist von besonderer Bedeutung, ob der sog. Buffer für die an ihn erbrachte Lieferung den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann oder nicht. Hierbei ist wie folgt zu unterscheiden: – Der vertraglich geschuldete Liefergegenstand wird tatsächlich nicht geliefert: Der Vorsteuerabzug ist ausgeschlossen, weil die Lieferung nicht erbracht worden ist und auch nicht erbracht werden soll (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG).6

1 Vgl. § 1a, § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG. 2 Vgl. § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG. 3 Denkbar ist auch der eher seltenere Fall, dass die Umsatzsteuer zwar angemeldet, aber nicht bezahlt wird. 4 Natürliche oder juristische Personen. 5 Dass der Missing Trader ggf. seinen steuerlichen Erklärungspflichten nicht nachkommt, ändert an seiner grundsätzlich gegebenen Unternehmereigenschaft nichts; vgl. BFH v. 14.12.2011 – XI R 32/09, BFH/NV 2013, 1004. 6 Bei bloßen Zweifeln der Finanzverwaltung an der tatsächlichen Durchführung der Lieferung kann der Vorsteuerabzug nur dann versagt werden, wenn nachgewiesen wird, dass der Umsatz in eine vom Lieferer oder auf einer Vorstufe begangenen Steuerhinterziehung einbezogen worden war; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195; hierzu Kaiser, PStR 2013, 86 f.; anders BMF v. 7.2.2014 – IV D 2 - S 7100/12/10003, BStBl. I 2014, 271: Trägt die Finanzbehörde objektive Umstände vor, wonach der Unternehmer von einem Umsatzsteuerbetrag wusste oder hätte wissen müssen, ist es Sache des Unternehmers, sich zu entlasten; kritisch hierzu Kaiser, NWB 2014, 3057.

Adick | 975

18.42

Kap. 18 Rz. 18.42 | Umsatzsteuerrecht

– Der leistende Unternehmer (Missing Trader) ist bloßer Strohmann, der so auftritt, dass die Vertragsparteien – Strohmann und Leistungsempfänger – einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem Hintermann (Distributor) eintreten sollen.1 Der Vorsteuerabzug ist ausgeschlossen, weil Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer nicht identisch sind.2 Tritt der leistende Unternehmer, auch wenn er Strohmann ist, im eigenen Namen auf und verschafft er auch die Verfügungsmacht an den vertraglich geschuldeten Liefergegenständen, ist dagegen der Vorsteuerabzug gegeben.3 Dieser Vorsteuerabzug bleibt dem Buffer erhalten, wenn ihm nicht nachgewiesen werden kann, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass die entsprechenden Umsätze in ein System der Steuerhinterziehung eingebettet waren.4 – Der leistende Unternehmer (Missing Trader) existiert gar nicht.5 Der Vorsteuerabzug für den Buffer ist grundsätzlich ausgeschlossen.6 Das gilt allerdings nicht, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass der Buffer wusste oder hätte wissen müssen, dass die entsprechenden Umsätze in ein System der Steuerhinterziehung eingebettet waren.7

18.43

Unabhängig davon, ob die formalen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (§ 15 Abs. 1 UStG) gegeben sind oder nicht, ist der Vorsteuerabzug stets zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich

1 Das vorgeschobene Strohmanngeschäft als Scheingeschäft (§ 41 Abs. 2 AO) qualifizierend BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622 = UR 2002, 275; BFH v. 17.10.2003 – V B 111/02, BFH/NV 2004, 235; BFH v. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259 = UR 2010, 423; BFH v. 12.5.2011 – VR 25/10, BFH/NV 2011, 1541; vgl. auch BGH v. 22.5.2003 – 1 StR 520/02, wistra 2003, 344; BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, wistra 2013, 314; BGH v. 29.1.2014 – 1 StR 469/13, BGH v. 5.2.2014 – 1 StR 422/13, NZWiSt 2014, 112; hierzu Steinlein/Meyberg, PStR 2014, 93 ff. 2 BFH v. 19.12.2003 – V B 83/02, BFH/NV 2003, 626; in diesem Fall ist hinsichtlich der Steuerschuld des Missing Traders wegen unberechtigten Steuerausweises gem. § 14 c Abs. 2 UStG und der Erstattungspflicht des bösgläubigen Buffers wegen unberechtigter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges (§ 37 Abs. 2 AO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG) Gesamtschuldnerschaft (§ 44 Abs. 1 AO) gegeben; hierzu Thietz-Bartram, DB 2013, 418 ff. 3 BFH v. 28.1.1999 – V R 4/98, BStBl. II 1999, 628 = UR 1999, 283; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622 = UR 2002, 275; BFH v. 17.2.2011 – V R 30/10, UR 2011, 784; BFH v. 12.5.2011 – V R 25/10, BFH/NV 2011, 1541; BFH v. 14.12.2011 – XI R 18/10, BFH/NV 2012, 1006; BFH v. 14.12.2011 – XI R 32/09, BFH/NV 2012, 1004; vgl. auch BGH v. 9.4.2013 –1 StR 586/12, wistra 2013, 314. 4 EuGH v. 12.1.2006 – C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16 – Optigen u.a., UR 2006, 157, Rz. 52; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591; für die Frage der Bösgläubigkeit kommt es auf den Zeitpunkt der Durchführung des Geschäftes an; BGH v. 5.2.2014 – 1 StR 422/13, NZWiSt 2014, 112; ggf. kommt hierfür ein Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO in Betracht, vgl. BFH v. 30.4.2009 – V R 15/ 07, BFH/NV 2009, 1342; BFH v. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259 = UR 2010, 423; zur Kritik Stapperfend, UR 2013, 321 (326). 5 Entsprechendes gilt, wenn Rechnungsformulare existierender Firmen ohne deren Wissen verwendet werden. 6 BFH v. 19.10.1978 – V R 39/75, BStBl. II 1979, 345; BFH v. 17.9.1992 – V R 41/89, BStBl. II 1993, 205 = UR 1993, 60 m. Anm. Weiß. 7 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195; hierzu Eder, NZWiSt 2014, 90 ff.

976 | Adick

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.45 Kap. 18

geltend gemacht wird.1 Das gilt gleichermaßen für den Fall, dass der betreffende Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht,2 und für den Fall, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist.3 Diese Rechtsprechung ist für die Praxis des Internationalen Steuerstrafrechts ebenso maßgeblich wie unglücklich.4 Besondere Relevanz hat die mehrfach bestätigte5 Italmoda-Entscheidung des EuGH erlangt.6 Sie verschärfte die Rechtslage nach einer Reihe zunehmend restriktiver Entscheidungen, mit denen der EuGH die Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile in Fällen missbräuchlicher Berufung auf das Gemeinschaftsrecht einschränkte, nochmals deutlich.7 Ein solches missbräuchliches Berufen auf das Gemeinschaftsrecht liegt nach dem EuGH vor, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligte, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.

18.44

Hierin lag eine bedeutende Verschärfung in zweierlei Hinsicht. Erstens, weil für die Versagung der steuerlichen Rechte nunmehr die reine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von Steuerstraftaten eines anderen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedsstaat ausreichte. Zweitens, weil eine kumulative Versagung steuerlicher Vorteile möglich wurde. Denn dem Steuerpflichtigen, der eine innergemeinschaftliche Lieferung ausführt und hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Umsatz an einem auf die Hinterziehung von Umsatzsteuern gerichteten System beteiligt, würde dann sowohl der Vorsteuerabzug bzgl. der von

18.45

1 EuGH v. 3.3.2005 – C-32/03, ECLI:EU:C:2005:128 – Fini H, UR 2005, 433, Rz. 34; EuGH v. 12.1.2006 – C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16 – Optigen u.a., UR 2006, 157, Rz. 52; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger, Rz. 55; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI: EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, Rz. 42; EuGH v. 6.9.2012 – C-324/11, ECLI:EU:C:2012:549 – Tóth, UR 2012, 851, Rz. 53; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, ECLI:EU: C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195, Rz. 37; BFH v. 19.4.2007 – V R 48/04, BStBl. II 2009, 315 = UR 2007, 693; BFH v. 19.5.2010 – XI R 78/07, UR 2010, 952. 2 Vgl. EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121 – Halifax, UR 2006, 232 m. Anm. Wäger, Rz. 58 f.; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger, Rz. 53; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, ECLI:EU: C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195, Rz. 38. 3 EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446 – Kittel und Recolta Recycling, UR 2006, 594 m. Anm. Wäger, Rz. 56; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU: C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, Rz. 46; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, ECLI: EU:C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195, Rz. 39; BFH v. 19.4.2007 – VR 48/04, BStBl. II 2009, 315; BFH v. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259 = UR 2010, 423; Kenntnis und Kennenmüssen von Angestellten werden dem Unternehmer zugerechnet; vgl. BFH v. 19.5.2010 – XI R 78/07, UR 2010, 952. 4 Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. ausführlich Bülte in G/J/W2, § 370 AO Rz. 376 ff. sowie Wäger, UR 2020, 45 ff. 5 EuGH v. 9.2.2017 – C-21/16, ECLI:EU:C:2017:106 – Euro Tyre, UR 2017, 271; EuGH v. 20.10.2016 – C-24/15, ECLI:EU:C:2016:791 – Plöckl, UR 2016, 882. 6 EuGH v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, UR 2015, 106. 7 Kemper, NZWiSt 2015, 441 (444).

Adick | 977

Kap. 18 Rz. 18.45 | Umsatzsteuerrecht

ihm bezogenen Ware als auch die Steuerbefreiung für seine innergemeinschaftliche Lieferung versagt.1 Zutreffend ist der plastische Begriff der Infektion der gesamten Lieferkette.2

18.46

Die Entscheidung war von Anfang an starker Kritik ausgesetzt. Dogmatisch bestanden Bedenken gegen eine Aushöhlung des Neutralitätsprinzips als eines der tragenden Prinzipien des Umsatzsteuerrechts.3 Ferner wurde geltend gemacht, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung einer Grundlage im nationalen Recht bedürfe, das UStG diese Rechtsfolgen jedoch nicht vorsehe. Inhaltlich wurde die Rechtsprechung insbesondere aufgrund ihrer einerseits weitreichenden Rechtsfolgen, andererseits aber ihrer Pauschalität als unverhältnismäßig und mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar angesehen.4 Die Versagung sämtlicher steuerlicher Vorteile diene nicht mehr allein dem Schutz des Steueraufkommens, sondern erhalte den Charakter einer Sanktion.5 Kritik entzündete sich schließlich auch daran, dass der unionsrechtliche Begriff der Steuerhinterziehung nicht ausreichend konturiert sei.6 Es sei nicht klar, an welches konkrete Verhalten die Steuerbefreiung anknüpfen solle.7 Nach zutreffender Ansicht ist eine Steuerhinterziehung im unionsrechtlichen Sinne auf einer anderen Stufe der Leistungskette nur dann zu berücksichtigen, wenn es sich um eine Steuerhinterziehung nach deutschem Verständnis (§ 370 Abs. 1 AO) handelt.8 Deren Feststellung setzt nach hier vertretener Auffassung die strafrechtliche Verurteilung (in einem anderen Mitgliedsstaat) voraus.9

18.47

Zum 1.1.2020 wurde mit § 25f UStG eine Vorschrift eingeführt, welche die EuGH-Rechtsprechung in nationales Steuerrecht umsetzt. Nach § 25f Abs. 1 UStG ist eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG oder das Vorsteuerabzugsrecht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 UStG dem Unternehmer zu versagen, der wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs i.S.d. § 370 AO oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens i.S.d. §§ 26b, 26c UStG einbezogen war. Die Einführung des § 25f UStG dient der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges, insbesondere in Form von Ketten- und Karussellgeschäften. Er soll die vorstehend erläuterte EuGH-Rechtsprechung im Interesse einer einheitlichen und praxisgerechten Rechtsanwendung in nationales Recht umsetzen.10

18.48

Eine Einschränkung erhält die Regelung jedoch dadurch, dass die eigene Steuerhinterziehung vom Wortlaut nicht erfasst zu sein scheint, da explizit auf die vorhergehende bzw. nachfol1 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1413.2; Kemper, UR 2017, 451 (453); Höink in Adick/Höink/ Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4 Rz. 160. 2 Gehm, StraFO 2015, 441 (442); zustimmend Bülte in G/J/W2, § 370 AO Rz. 380a; vgl. FG BerlinBrandenburg, Beschl. v. 5.2.2020 – 5 K 5311/16 zur EuGH-Vorlage wegen der Auslegung des Begriffs „Lieferkette“. 3 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1400. 4 Wäger, UR 2015, 81 (87); Bülte in G/J/W2, § 370 AO Rz. 380b; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1413.2. 5 Bülte in G/J/W2, § 370 AO Rz. 381c; Kemper, UR 2017, 451 (453). 6 Hierzu ausführlich Pflaum, UR 2019, 63 f. 7 Schmitz/Wulf in MK-StGB3, § 370 AO Rz. 256; Hummel, BB 2015, 449. 8 Pflaum, UR 2019, 63 (64). 9 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1414. 10 BT-Drucks. 19/13436, 161.

978 | Adick

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.53 Kap. 18

gende Umsatzstufe Bezug genommen wird. Auf diese Weise wird der Unternehmer, der Umsätze verschweigt, ohne in ein größeres Umsatzsteuerhinterziehungssystem eingebunden zu sein, aus dem Anwendungsbereich des § 25f UStG ausgenommen. Es muss vielmehr mindestens eine (vorhergehende oder nachfolgende) weitere Umsatzstufe, auf der eine Steuerhinterziehung begangen oder das Umsatzsteueraufkommen geschädigt wurde, existieren.1 Für eine Versagung der Steuerbefreiung oder des Vorsteuerabzugs besteht in einer Lieferkette bei einer Steuerhinterziehung durch andere Personen als dem eigenen Vertragspartner nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung jedenfalls im Fall eines bloßen Wissenmüssens keine erkennbare rechtliche Grundlage. Die EuGH-Rechtsprechung wirke in diesem Bereich zumindest präzisierungsbedürftig. Auch für die in § 25f UStG vorgesehene Rechtsversagung bei einer vorwerfbaren Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung auf vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufen bestehe erheblicher Klärungsbedarf.2

18.49

Insgesamt ist nicht davon auszugehen, dass sich die mit der Versagung von Steuerbefreiung und Vorsteuerabzug in der Praxis verbundenen Probleme mit § 25f UStG lösen lassen. Insbesondere die subjektive Komponente wird weiterhin für erhebliche Rechtsunsicherheit zulasten des Steuerpflichtigen sorgen.

18.50

Denn das für die Praxis zentrale Problem liegt seit je her bei der Frage, wann der Steuerpflichtige von einer in der Lieferkette begangenen Steuerhinterziehung „wissen musste“. Der EuGH überließ es den Gerichten der Mitgliedsstaaten, nach dort geltenden Beweislastregeln festzustellen, ob der Steuerpflichtige wusste oder wissen musste.3

18.51

Nach zutreffender Ansicht setzt ein Wissenmüssen im Sinne der EuGH-Rechtsprechung zumindest grobe Fahrlässigkeit bzw. Leichtfertigkeit voraus.4 Dies erfordert neben einem Verstoß gegen eine objektive Sorgfaltspflicht,5 dass der Steuerpflichtige auch nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten imstande war, steuerunehrliches Verhalten auf einer anderen Stufe der Lieferkette zu erkennen. Diese Ansicht hat nicht allein den Vorzug, einer einseitigen Risikoverlagerung auf den Steuerpflichtigen entgegenzuwirken, sondern sie fügt sich auch in die Rechtsprechung des EuGH und des BFH zu den Sorgfaltspflichten des Steuerpflichtigen ein.

18.52

Nach dem EuGH muss der Lieferer in gutem Glauben handeln und alle Maßnahmen ergreifen, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.6 Nach dieser Rechtsprechung ist es, wenn eine Steuerhinterziehung vorliegt, gerechtfertigt, das Recht des Lieferers auf Mehrwertsteuerbefreiung von seiner Gutgläubigkeit abhängig zu machen. Hierzu sind alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände der Rechtssache umfassend zu beurteilen, um festzustellen, ob der Lieferer in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die von ihm vernünftigerweise verlangt werden konnten, um sicherzustellen, dass

18.53

1 Grommes, UR 2020, 135 (138). 2 Wäger, UR 2020, 45 (55). 3 EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121 – Halifax, UR 2006, 232 m. Anm. Wäger, Rz. 76. 4 Kemper, UR 2017, 449 (453); Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1415; Bärenweiler UStB 2018, 242 (244). 5 Vgl. hierzu Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, 4.3.2.4. 6 EuGH v. 6.9.2012 – C-273/11, ECLI:EU:C:2012:547 – Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 m. Anm. Maunz, Rz. 55.

Adick | 979

Kap. 18 Rz. 18.53 | Umsatzsteuerrecht

er sich aufgrund des getätigten Umsatzes nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat. Insoweit verweist der EuGH auf den BFH, nach dessen Rechtsprechung der Unternehmer Nachforschungen bis zur Grenze der Zumutbarkeit durchführen muss.1

18.54

Liegen Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder eine Steuerhinterziehung vor, kann ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen.2

18.55

Die Steuerverwaltung kann jedoch von dem Steuerpflichtigen, der sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, nicht generell verlangen, zu prüfen, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände und Dienstleistungen, für die dieses Recht geltend gemacht wird, verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und der Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorgelagerten Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vorliegen oder entsprechende Unterlagen vorzulegen.3 Es ist nämlich „grundsätzlich Sache der Steuerbehörden, bei den Steuerpflichtigen die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken und gegen den Steuerpflichtigen, der diese Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung begangen hat, Sanktionen zu verhängen.“4

18.56

Sowohl der BFH als auch der BGH vertreten die Ansicht, die Versagung der Steuerbefreiung könne nicht nur auf das Wissen der Organe einer steuerpflichtigen juristischen Person gestützt werden, sondern auch auf das Wissen sonstiger Mitarbeiter der Gesellschaft, wenn diese ihr Wissen ihm Rahmen ihrer Zuständigkeit für die juristische Person erlangt haben.5

18.57

Für diese Wissenszurechnung wenden die Gerichte die Vorschrift des § 166 BGB analog an. Dort heißt es in Absatz 1 wie folgt: „Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht.“

18.58

Die ergänzende Vorschrift des § 166 Abs. 2 BGB lautet: „Hat im Falle einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht (Vollmacht) der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt, so kann sich dieser in Ansehung solcher Umstände, die er selbst kannte, nicht auf die Unkenntnis des Vertreters berufen. Dasselbe gilt von Umständen, die der Vollmachtgeber kennen musste, sofern das Kennenmüssen der Kenntnis gleichsteht.“

18.59

Die Vorschrift des § 166 BGB geht auf die sog. Repräsentationstheorie zurück: Der Vertretene, der sich zu seinem Vorteil eines Vertreters bedient, soll sich nicht auf seine Unkenntnis 1 BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407 = UR 2013, 456. 2 Vgl. EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, Rz. 60. 3 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, Rz. 61. 4 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, Rz. 62. 5 BFH v. 19.5.2010 – XI R 78/07, UR 2010, 952; BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, wistra 2019, 63, Rz. 198 m.w.N.

980 | Adick

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.64 Kap. 18

berufen können. Denn es ist seine Sache, einen zuverlässigen Vertreter auszuwählen, ihn adäquat einzusetzen und zu überwachen.1 Der Vertretene kann sich insbesondere nicht auf Unkenntnis berufen, wenn er den Vertreter durch Weisungen steuert. Der Vorschrift des § 166 BGB wird heute zum Teil ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen, dass bei einem arbeitsteiligen Vorgehen unter bestimmten Voraussetzungen eine Wissenszurechnung erfolgen muss, auch wenn es sich nicht um einen Fall der gewillkürten Stellvertretung handelt.2

18.60

Sowohl der BFH als auch der BGH gehen deshalb davon aus, dass dem Unternehmer die Kenntnis oder das Kennenmüssen seiner Angestellten über § 166 BGB analog zuzurechnen ist. Diese in der ständigen Rechtsprechung vertretene Ansicht ist im Grundsatz unstreitig. Zwar findet § 166 BGB außerhalb von Rechtsgeschäften und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen unmittelbar keine Anwendung. Gleichwohl befürworten sowohl die steuerrechtliche und die strafrechtliche Rechtsprechung als auch die Literatur einhellig eine Wissenszurechnung bei Organvertretern, Wissensvertretern und anderen Personen, die in einen arbeitsteiligen Prozess eingebunden sind.3 Als grundsätzliche Wirkungsweise lässt sich also festhalten: Die Bösgläubigkeit des Mitarbeiters begründet die Bösgläubigkeit der juristischen Person.4

18.61

Dies gilt allerdings nicht ohne Einschränkungen. Denn auch die grundsätzliche Möglichkeit der Wissenszurechnung führt nicht zu einer strict liability nach dem Prinzip einer unbegrenzten Gefährdungshaftung. Ein solches Haftungskonzept, das eine Verantwortlichkeit für von Dritten verwirklichte Delinquenz („ex iniuria tertii“) voraussetzt, ist insbesondere dem deutschen Sanktionsrecht fremd.5

18.62

Überdies kann die analoge Anwendung von § 166 BGB im Umsatzsteuerrecht nicht weiter reichen als die direkte Anwendung im Zivilrecht. Wie vorstehend erläutert, sollen die Repräsentationstheorie und die analoge Anwendung von § 166 BGB gewährleisten, dass ein als juristische Person organisiertes Unternehmen, das Angestellte beschäftigt, nicht gegenüber einem Einzelunternehmer privilegiert wird, der seine betrieblichen Pflichten selbst erfüllt. Sinn und Zweck der Wissenszurechnung ist nach einhelliger Ansicht eine Gleichstellung zwischen natürlichen und juristischen Personen.6

18.63

Rechnete man jedoch einer juristischen Person, die Mitarbeiter beschäftigt, ohne weitere Voraussetzungen das Wissen jedes Mitarbeiters zu, wäre sie nicht gleich-, sondern offensichtlich schlechter gestellt. Dies läge insbesondere in Fällen auf der Hand, in denen Mitarbeiter für die Geschäftsführung unerkannt pflichtwidrig handeln oder – erst recht – in Fällen, in denen sie die Geschäftsführung gezielt über ihr Vorgehen in Unkenntnis lassen.

18.64

1 Schubert in MK-BGB8, § 166 BGB Rz. 1 m.w.N. 2 Schubert in MK-BGB8, § 166 BGB Rz. 3, 4. 3 Vgl. OLG Karlsruhe v. 16.3.2015 – 1(4) Ss 560/14, NZWiSt 2015, 233 m. Anm. Bülte; BFH v. 29.7.2003 – VII R 3/01, BFHE 203, 222; BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, wistra 2019, 63; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1415; eingehend Dannecker in Leitner/Brandl, Finanzstrafrecht 2018, 2019, 57, 76 f. 4 Bülte in GS Joecks, 2018, 365 (377). 5 Vgl. Rogall in KK-OWiG, § 130 OWiG Rz. 4 m.w.N. 6 Vgl. Schubert in MK-BGB8, § 166 BGB Rz. 48; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, 176 f.

Adick | 981

Kap. 18 Rz. 18.65 | Umsatzsteuerrecht

18.65

Eine Zurechnung von Wissen so agierender Mitarbeiter wäre offenkundig nicht gerecht und durch keinen sachlichen Grund zu erklären. Im Zivilrecht wird deshalb sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur ausdrücklich betont, dass die Wissenszurechnung bei juristischen Personen nicht zu einer Schlechterstellung führen soll. Das zentrale Argument, dass die Zurechnung eine Gleichstellung sicherstellen soll, dient deshalb gleichzeitig zur Begründung und zur Begrenzung der Wissenszurechnung.1

18.66

So hat der BGH in Zivilsachen insbesondere Folgendes ausgeführt: „Dieses Gleichstellungsargument, wonach der Vertragspartner einer Gemeinde (oder einer sonstigen juristischen Person) nicht schlechter, aber auch nicht bessergestellt sein soll als derjenige einer natürlichen Person, hat im Fachschrifttum Zustimmung gefunden [...].“2 Kommt danach eine Wissenszurechnung grundsätzlich in Betracht, „so folgt andererseits gerade aus dem Gleichstellungsargument, dass auch der Wissenszurechnung persönliche und zeitliche Grenzen zu ziehen sind: das als Wissen Zuzurechnende darf nicht zu einer Fiktion entarten, die juristische Personen oder andere am Rechtsverkehr teilnehmende Organisationen weit über jede menschliche Fähigkeit hinaus belastet.“3 Deshalb lässt sich „die Frage der Wissenszurechnung [...] nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz, sondern nur in wertender Beurteilung entscheiden.“4

18.67

Auch der BFH und der BGH in Strafsachen nehmen eine wertende Betrachtung vor.5 Um eine gesetzlich nicht vorgesehene Schlechterstellung der juristischen Person zu vermeiden, ist in diese wertende Betrachtung insbesondere einzustellen, ob das Unternehmen bzw. das gesetzliche Vertretungsorgan mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt haben. Zu den Sorgfaltspflichten gehört insbesondere, die Arbeitnehmer sorgfältig auszusuchen und anzuleiten, entsprechend ihrer Fähigkeiten einzusetzen und bei ihrer Tätigkeit zu überwachen.6

18.68

Im Ergebnis ist hiermit die Frage angesprochen, ob die interne Organisation der juristischen Person den Anforderungen genügt, die sich aus ihrer Struktur, der Art ihrer Tätigkeit sowie dem daraus entstehenden Risikopotenzial ergeben. Wurde die insoweit erforderliche Sorgfalt eingehalten, fehlt es nach hier vertretener Auffassung an einer Verletzung betriebsbezogener Organisationspflichten und muss die juristische Person sich das Wissen eines dolos agierenden Mitarbeiters nicht über § 166 BGB analog zurechnen lassen.

18.69

Für diese Sichtweise spricht neben dem zivilrechtlichen Gleichstellungsargument auch der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung. Insbesondere die Bußgeldvorschrift der Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen nach § 130 OWiG verfolgt ebenfalls das Ziel, eine Besserstellung arbeitsteiliger Organisationseinheiten zu vermeiden. Ein Unternehmen soll auch nach dem Normzweck des § 130 OWiG nicht ausschließlich von den Vorteilen einer Kollektivierung profitieren, sondern auch für deren Nachteile einstehen. Ferner sollen Zurechnungslücken geschlossen werden, die ansonsten durch das Auseinanderfallen von Wissen und Handeln entstehen können. Ebenso wie die Zurechnung von Wissen durch analoge Anwendung von § 166 BGB wird die Bußgeldbewehrung einer Aufsichtspflichtverletzung mit dem Argument legitimiert, es bestehe kein Anlass, den Betriebsinhaber aus seiner Verantwor-

Schubert in MK-BGB8, § 166 BGB Rz. 48. BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 (1340). BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 (1341). BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 (1340). BFH v. 19.5.2010 – XI R 78/07, UR 2010, 952; BGH v. 29.1.2015 – 1 StR 216/14, NStZ 2015, 283; BGH v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, wistra 2019, 63. 6 Vgl. Schubert in MK-BGB8, § 166 BGB Rz. 1. 1 2 3 4 5

982 | Adick

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.72 Kap. 18

tung zu entlassen, weil er andere für sich tätig werden lasse.1 Funktional gesehen geht es bei § 130 OWiG ebenso wie bei der analogen Anwendung von § 166 BGB also um die Sicherung von Zurechnung.2 All dies spricht dafür, die für § 130 OWiG geltenden Kriterien auch für die Zurechnung von Wissen über § 166 BGB analog heranzuziehen. Hat der Unternehmer seine Aufsichtspflichten erfüllt, scheidet eine Wissenszurechnung aus. Die Feststellungslast für die Voraussetzungen der Versagung der Steuerbefreiung oder des Vorsteuerabzugs obliegt der Finanzverwaltung.3 In der Praxis des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sieht sich der Steuerpflichtige allerdings häufig in der Situation, faktisch einen Negativbeweis hinsichtlich seiner ihm von der Steuerfahndung unterstellten Bösgläubigkeit führen zu müssen.

18.70

Insoweit ist immer wieder daran zu erinnern, dass die Beweislast für die missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht bei der Finanzverwaltung liegt.4 Hierzu muss sie für jeden Fall einer Lieferung den konkreten Nachweis erbringen, dass eine Steuerhinterziehung vorlag und der Steuerpflichtige dies wusste oder wissen musste. Dies gilt insbesondere auch für eine in einem anderen EU-Mitgliedsstaat begangene Steuerhinterziehung. Nimmt ein FG an, der Vorsteuerabzug sei zu versagen, weil der Leistungsempfänger habe wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem „Mehrwertsteuerbetrug“ des leistenden Unternehmers beteiligt, bedarf es tatsächlicher Feststellungen dazu, welchen „Mehrwertsteuerbetrug“ der leistende Unternehmer begangen haben soll.5 Der BGH fordert zur Annahme einer Bösgläubigkeit eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Hierzu müsse das Gericht „den Sachverhalt möglichst umfassend in den Blick nehmen und Auftragsgewinnung, Auftragsabwicklung, Zahlungsweise, Zahlungsabwicklung sowie alle weiteren Umstände des Sachverhaltes nach Unstimmigkeiten, Auffälligkeiten und atypischen Sachverhaltsmomenten prüfen.“6

18.71

Insbesondere auf der Ebene der Steuerfahndung geraten diese Grundsätze regelmäßig in Vergessenheit. Fahndungsberichte, die bereits im Ansatz unzutreffend von einem „hätte wissen können“ ausgehen und sich in pauschalen Ausführungen zur allgemeinen Betrugsanfälligkeit ganzer Märkte in EU-Mitgliedsstaaten ergehen (z.B. „italienische Verhältnisse“), sind keine Ausnahme. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass so geführte Verfahren das Potenzial haben, Existenzen zu ruinieren – auch wenn sich am Ende nach mehreren Jahren herausstellt,

18.72

1 Beck in BeckOK OWiG, § 130 OWiG Rz. 5; Rogall in KK-OWiG, § 130 OWiG Rz. 4; Niesler G/J/ W2, § 130 OWiG Rz. 3. 2 Rogall in KK-OWiG, § 130 OWiG Rz. 4. 3 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591, Rz. 49; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195, Rz. 43; EuGH v. 31.1.2013 – C-642/11, ECLI:EU:C:2013:54 – Stroy trans, UR 2013, 275; EuGH v. 31.1.2013 – C-643/11, ECLI:EU:C:2013:55 – LVK – 56, UR 2013, 346; EuGH v. 28.2.2013 – C563/11, ECLI:EU:C:2013:125 – Forvards V, DB 2013, 1212; EuGH v. 16.5.2013 – C-444/12, ECLI: EU:C:2013:318 – Hardimpex, DB 2013, 2009; EuGH v. 13.2.2014 – C-18/13, ECLI:EU:C:2014:69 – Maks Pen, UR 2014, 861. 4 BFH v. 18.2.2016 – V R 62/14, BStBl. II 2016, 589 = UR 2016, 397; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/ 11, ECLI:EU:C:2012:774 – Bonik, UR 2013, 195, Rz. 43; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11, C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid, UR 2012, 591. 5 BFH v. 3.7.2019 – XI B 17/19, ZWH 2020, 83 m. Anm. Adick. 6 BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866; BGH v. 7.9.2016 – 1 StR 57/16, NZWiSt 2017, 32 (33).

Adick | 983

Kap. 18 Rz. 18.72 | Umsatzsteuerrecht

dass die Voraussetzungen für eine Versagung von Steuerbefreiung der Vorsteuerabzug nicht erfüllt waren.

18.73

Darüber hinaus sind die in ein betrügerisches Karussellgeschäft eingebundenen Unternehmer einer Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer aus vorangegangenen Umsätzen ausgesetzt (§ 25d UStG). Diese Haftung setzt voraus,1 dass die Umsatzsteuer aus einem tatsächlich durchgeführten Umsatz2 aus den Vorstufen in einer Rechnung (§ 14 UStG) ausgewiesen und entsprechend einer vorgefassten Absicht nicht entrichtet wurde3 und nachgewiesen wird, dass der in Haftung zu nehmende Leistungsempfänger bei Abschluss des Vertrages über seinen Eingangsumsatz vom vorsätzlichen Handeln des Rechnungsausstellers Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns Kenntnis hätte haben müssen.4 Soweit etwa Kapitalgesellschaften eingebunden sind, haften die gesetzlichen Vertreter ggf. wegen zugunsten der von ihnen vertretenen Kapitalgesellschafter verkürzter Umsatzsteuer oder zu Unrecht gewährter Vorsteuer gem. § 71 AO.5

18.74

In steuerstrafrechtlicher Hinsicht gilt Folgendes: – Soweit der Buffer Kenntnis davon hat, dass der vertraglich geschuldete Liefergegenstand tatsächlich nicht existiert oder hieran keine Verfügungsmacht verschafft wurde, begeht er eine Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2 AO, wenn er aus den Rechnungen des Missing Traders die Vorsteuer (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG) zieht.6 Das Gleiche gilt für den Fall, dass er den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Missing Traders geltend macht, obwohl für ihn erkennbar ist, dass dieser im Namen des Distributors liefert oder es sich insoweit um eine nicht existente Scheinfirma handelt.7 Unabhängig von den vorgenannten Gesichtspunkten begeht der Buffer eine Steuerhinterziehung, wenn er sich wissentlich an dem betrügerischen Umsatzsteuerkarussell beteiligt und aus seinen Eingangsumsätzen einen Vorsteuerabzug geltend macht.8 Abzustellen ist dabei auf das Vorstellungsbild des Buffers zum Zeitpunkt des Warenbezugs und nicht bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung/Umsatzsteuererklärung.9 Damit verbleibt es beim Vorsteuerabzug auch dann, wenn er später nach dem Zeitpunkt des Leistungsbezugs Kenntnis von seiner

1 Vgl. Abschn. 25d.1 UStAE. 2 Die Haftung greift bei bloß fingierten Umsätzen nicht ein, vgl. Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften, 111; Widmann UR 2002, 468 ff. (470). 3 Hierzu gehört auch das vorsätzlich herbeigeführte finanzielle Unvermögen des Rechnungsausstellers. 4 Zur Kritik Stadie², § 25 UStG Rz. 5 ff.; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften, 111 ff.; Hummel, UR 2014, 256. 5 Vgl. BFH v. 26.9.2012 – VII R 3/11, wistra 2013, 203. 6 Vgl. BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, NJW 2003, 2924; BGH v. 20.3.2002 – 5 StR 448/01, NJW 2002, 1963; BGH v. 8.2.2011 – 1 StR 24/10, NJW 2011, 1616; BGH v. 1.10.2013 – 1 StR 312/13, DStR 2014, 365; zu Einzelheiten Höink/Adick, ZWH 2014, 220 ff. 7 Vgl. BGH v. 20.3.2002 – 5 StR 448/01, NJW 2002, 1963; zu Einzelheiten Höink/Adick, ZWH 2014, 220 ff. 8 Vgl. BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866; BGH v. 8.2.2011 – 1 StR 24/10, NJW 2011, 1616; zur Kritik an dieser Entscheidung, soweit die Unternehmereigenschaft des Strohmannes verneint wird, Heinrichshofen, wistra 2011, 310; vgl. auch BGH v. 5.2.2014 – 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335. 9 BGH v. 1.10.2013 – 1 StR 312/13, DStR 2014, 365 unter Hinweis das Urteil des EuGH v. 29.4.2004 – C-152/02, ECLI:EU:C:2004:268 – Terra Baubedarf-Handel, UR 2004, 323; BGH v. 5.2.2014 – 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335.

984 | Adick

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.75 Kap. 18

Einbindung in ein betrügerisches Umsatzsteuerkarussell erhält. Damit ist eine Steuerhinterziehung des Buffers nur dann gegeben, wenn er bereits beim Warenbezug bösgläubig war. In den vorgenannten Fällen reicht Eventualvorsatz aus, sodass es insoweit nur darauf ankommt, ob der Buffer die Einbindung in das betrügerische Umsatzsteuerkarussell für möglich hielt und sie billigend in Kauf nahm.1 Der Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung ist in solchen Fällen erfüllt, wenn der Buffer zwar keine positive Kenntnis von dem Umsatzsteuerkarussell hat, aber diesen Sachverhalt hätte erkennen können.2 In den Fällen des kollusiven Zusammenwirkens etwa mit dem Distributor und dem Missing Trader kommt auch eine Strafbarkeit nach §§ 26c, 26b UStG in Betracht, wenn der Buffer die in seiner Rechnung an das nächste Kettenglied ausgewiesene Umsatzsteuer zu den maßgeblichen Fälligkeitszeitpunkten nicht oder nicht vollständig abführt. – In den Fällen, in denen der geschuldete Liefergegenstand entweder überhaupt nicht existiert oder an ihm keine Verfügungsmacht verschafft worden ist, erfolgt seitens des Distributors keine Lieferung, sodass insoweit der Vorgang umsatzsteuerlich irrelevant ist.3 Macht er aus der Rechnung des Buffers den Vorsteuerabzug geltend, begeht er eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO), da ihm als Initiator des betrügerischen Umsatzsteuerkarussells der Vorsteuerabzug versagt bleibt.4 Unabhängig vom geltend gemachten Vorsteuerabzug kommt auch eine Strafbarkeit wegen Mittäterschaft bzw. Beihilfe wegen sonstiger Karussellstraftaten zugunsten anderer Kettenmitglieder in Betracht. – Erfasst der Missing Trader die von ihm getätigten Lieferungen nicht in der von ihm monatlich abzugebenden Voranmeldung, macht er sich gem. § 370 Abs. 1 AO strafbar. Das gilt auch in den Fällen, in denen von ihm Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden ist, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 14c Abs. 2 UStG). Der Missing Trader macht sich ferner tateinheitlich nach §§ 26c, 26b UStG (Schädigung des Umsatzsteueraufkommens) strafbar. Hiernach werden die Fälle erfasst, in denen die im Umsatzsteuerkarussell abgewickelten Lieferungen erklärt, aber die Umsatzsteuern nicht abgeführt werden. Ggf. ist auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Buffers gegeben.5 Diese steht nach § 53 Abs. 1 StGB in Tatmehrheit zu seiner eigenen Straftat, tritt jedoch in den Fällen der §§ 26c, 26b UStG zurück. Ggf. kommt auch eine bandenmäßige oder mittäterschaftliche Begehung in Betracht.6 Die gewerbs- oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26c UStG) spielt bei betrügerischen Umsatzsteuerkarussellen eine besondere Rolle. Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer in den Fällen des § 26b UStG gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt. § 26c UStG ist eine Qualifikation zum Bußgeldtatbestand des § 26b UStG, wonach ordnungswidrig handelt, wer die fällige Umsatzsteuer nicht oder nicht vollständig bis zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt entrichtet. Erforderlich ist stets vorsätzliches Verhalten. Der Grundsatz, dass die bloße Nichtzahlung der Steuer trotz ordnungsgemäßer Anmeldung straflos ist, wird mit der Zielsetzung durchbro-

1 2 3 4

BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866. Vgl. BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866; Huschens, SteuK 2012, 479 (483). Bülte in G/J/W2, § 370 AO Rz. 401. Der Distributor erklärt durch die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ausdrücklich die Missbrauchsfreiheit der Warenbewegung und macht bei Fehlen der Voraussetzungen insoweit unrichtige Angaben. 5 Vgl. BGH v. 11.12.2002 – 5 StR 212/02, wistra 2003, 140. 6 Vgl. BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, wistra 2013, 314.

Adick | 985

18.75

Kap. 18 Rz. 18.75 | Umsatzsteuerrecht

chen, insbesondere den Missing Trader bestrafen zu können.1 Problematisch ist in der Praxis, eine bandenmäßige Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Nr. 5 AO, § 26c UStG) nachzuweisen. Das gilt insbesondere, wenn bei Umsatzsteuerkarussellen gutgläubige Unternehmer eingebunden werden.2 Der Begriff der Bande setzt nämlich den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige im Einzelnen noch ungewisse Straftaten zu begehen. Die auf Dauer angelegte Verbindung ist gerade bei Umsatzsteuerkarussellen mit wechselnden Tatbeteiligten nicht ohne Weiteres anzunehmen. Die Kenntnis sämtlicher Mitglieder untereinander ist allerdings nicht erforderlich.3 Ebenso wenig kommt es darauf an, dass sich alle Beteiligten zu einer gemeinsamen Tatbeteiligung gleichzeitig absprechen.4

III. Einfuhren Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 1 Nr. 4, §§ 5, 11, 15 Abs. 1 Nr. 2, § 21 UStG; Eckert, Die Steuerbefreiung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG, eine willkommene Vorschrift für den unehrlichen Unternehmer?, UVR 2000, 244 ff.; Proske/Zühlke, eCommerce im www – Können dem Steuerbetrug im Netz keine Grenzen gesetzt werden? Version 2.0 – Kleinsendungen aus Drittländern, StBp 2014, 89 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 10.124 ff.; Vellen, Befreiung von Umsatzsteuern bei der Einfuhr im grenzüberschreitenden Reiseverkehr, UR 1999, 402 ff.

1. Überblick 18.76

Steuerbar ist die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG).5 Die auf die Einfuhr entfallende Einfuhrumsatzsteuer knüpft an das Verbringen von Gegenständen von außerhalb des EU-Zollgebietes zum freien Verkehr in das Inland an. Sie entsteht regelmäßig erst mit der Überführung der betreffenden Gegenstände in den freien Verkehr, soweit keine Steuerbefreiung (§ 5 UStG) eingreift. Eine Einfuhr liegt somit erst dann vor, wenn auch die Voraussetzungen für eine Zollschuld (Art. 83 – 87 UZK) erfüllt sind.6 Insoweit gelten weitgehend die im UZK verankerten Vorschriften mit der Folge eines Gleichlaufs von Einfuhrumsatzsteuer und Zoll. Die Besteuerung der Einfuhr korrespondiert durchweg mit der Ausfuhrbefreiung im Ursprungsland7 und dient damit im Ergebnis dem Bestimmungslandprinzip.8 Dieses systemtragende Prinzip wird sichergestellt einerseits dadurch, dass der Steuersatz bei der Einfuhr derselbe ist wie bei der Lieferung des Gegenstandes (§ 12 Abs. 1, 2 Nr. 1 UStG), sowie andererseits durch den entsprechenden Vorsteuerabzug auf Unternehmerebene (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG).9 Die eingeführten Gegenstände sind damit im Grundsatz vollständig von der Umsatzsteuer des Ursprungslandes entlastet. Das gilt freilich nicht in den Fällen, in denen Gegenstände durch

1 Vgl. BT-Drucks. 14/7470 f. 2 Hierzu Eder, NZWiSt 2014, 90 ff. 3 BGH v. 16.12.2003 – 1 StR 297/03, wistra 2004, 265; BGH v. 12.1.2000 – 1 StR 603/99, StV 2000, 259; BGH v. 17.7.1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158 (164). 4 BGH v. 16.6.2005 – 3 StR 492/04, BGHSt 50, 160. 5 Zollanschlussgebiete. 6 BFH v. 6.5. 2008 – VII R 30/07, BFH/NV 2008, 1971. 7 Vgl. §§ 4 Nr. 1a, 6 UStG 8 Englisch in T/L23, § 17 Rz. 18. 9 Der Vorsteuerabzug entsteht nicht erst dann, wenn die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet wird, sondern bereits dann, wenn sie für die Einfuhr geschuldet wird; EuGH v. 29.3.2012 – C-414/10, ECLI:EU:C:2012:183 – Véleclair, UR 2012, 692, Rz. 27.

986 | Adick und Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.79 Kap. 18

Nicht-Unternehmer eingeführt werden. Dies kann zu systemwidrigen Belastungsdivergenzen führen, die allerdings im Rahmen der für den nicht kommerziellen Reiseverkehr und für Kleinsendungen geltenden Vorschriften1 abgemildert werden.

Grundsätzlich ist bei der Einfuhr aus dem Drittlandsgebiet in das Inland der Ort der Lieferung im Ausland (§ 3 Abs. 6 UStG). Wird nämlich der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). Soweit allerdings bei der Einfuhr der Lieferung der Lieferer oder dessen Beauftragter (z.B. Spediteur) Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, wird bei Beförderungs- und Versendungsgeschäften der Ort der Lieferung in das Inland verlegt (§ 3 Abs. 8 UStG). Ist dagegen der Abnehmer oder sein Beauftragter Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, bleibt es bei der Regelung des § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG mit der Folge, dass der Ort der Lieferung im Drittlandsgebiet belegen ist. Mit der Verlagerung des Ortes der Lieferung in das Inland (§ 3 Abs. 8 UStG) wird bewirkt, dass der Umsatz exakt mit der Steuer belastet wird, die für übliche Inlandslieferungen maßgeblich ist.2 Da der Ort der Lieferung an die Schuldnerschaft bei der Einfuhrumsatzsteuer anknüpft, ergeben sich für die Beteiligten entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten. Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist nämlich stets derjenige, der den Gegenstand bei der Einfuhr anmeldet (§ 13a Abs. 2, § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG i.V.m. Art. 77 Abs. 3 Satz 1 UZK), und Anmelder ist der, der im eigenen Namen die Zollanmeldung abgibt oder in dessen Namen diese (mit Vollmacht) abgegeben wird (Art. 5 Nr. 15 UZK).3 Vereinbaren die Vertragspartner, dass die Lieferung verzollt und versteuert erfolgen soll, liegt der Ort der Lieferung bei Beförderungs- und Versendungsgeschäften gem. § 3 Abs. 8 UStG im Inland. In diesem Fall kann der Lieferer die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen. Wird demgegenüber unverzollt und unversteuert geliefert, liegt bei Beförderungs- und Versendungsgeschäften der Lieferort im Drittland (§ 3 Abs. 6 UStG). In diesem Fall ist der Abnehmer zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt.

18.77

Der Ort der Lieferung bestimmt sich auch dann nach § 3 Abs. 8 UStG, wenn der Lieferer als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer diese tatsächlich nicht abgeführt hat4 oder die Einfuhrumsatzsteuer wegen Steuerfreiheit nicht erhoben worden ist.5 Das gilt insbesondere in den Fällen der Einfuhrumsatzsteuerfreiheit für Sendungen von Waren, deren Gesamtwert 22 Euro je Sendung nicht übersteigt (§ 1a Abs. 1 EUStBV).6

18.78

2. Pflichtenkreis Werden Waren aus einem Drittland in die Europäische Union, z.B. nach Deutschland, eingeführt, so besteht hierfür ein sog. Zollstraßenzwang (§ 2 Abs. 1 ZollVG i.V.m. § 2 ZollV).7 Das

1 Vgl. § 5 Abs. 2 und 3 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Einreise-Freimengen-Verordnung (EF-VO); Wertgrenzen: 300 Euro; für Flug- und Seereisende 430 Euro; für Reisende unter 15 Jahren 175 Euro (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 EF-VO) und § 1 Abs. 1 Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung (KFVO); Wertgrenze: 45 Euro. 2 Wäger in Wäger, UStG, § 3 UStG Rz. 361. 3 BFH v. 21.3.2007 – V R 32/05, BStBl. II 2008, 153. 4 EuGH v. 29.3.2012 – C-414/10, ECLI:EU:C:2012:183 – Véleclair, UR 2012, 692, Rz. 27. 5 Abschn. 3.13 Abs. 1 Sätze 1 – 4 UStAE 6 Die Regelung gilt nur bis 31.12.2020; vgl. JStG 2020-E zu §§ 1, 1a EUStBV (RegE v. 25.9.2020, BT-Drs. 19/22850). 7 Vgl. zum Folgenden Proske/Zühlke, StBp 2014, 89 mit weiteren Hinweisen.

Schaumburg | 987

18.79

Kap. 18 Rz. 18.79 | Umsatzsteuerrecht

bedeutet, dass die betreffenden Waren auf einem vorgeschriebenen Verkehrsweg (sog. Zollstraße)1 zu einer Zollabfertigungsstelle befördert werden müssen (Art. 135 Abs. 1 UZK i.V.m. §§ 2, 3, ZollVG). Dort sind sodann die eingeführten Waren zu gestellen (Art. 139 UZK i.V.m. § 4 Abs. 1 ZollVG).2 In Ausnahmefällen, etwa im Grenz- und Postverkehr (§ 5 Abs. 1, 2 ZollV), gilt eine Befreiung vom Zollstraßenzwang.

18.80

Da der Anmelder der Ware zugleich Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist (§ 13 Abs. 2, § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG i.V.m. Art. 77 Abs. 3 Satz 1 UZK), können die an der Einfuhr Beteiligten, also insbesondere Lieferant und Abnehmer, durch entsprechende Gestaltung bestimmen, wer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer sein soll. Soll dies der Abnehmer sein, müssen in seinem Namen die entsprechenden zollrechtlichen Verfahrenshandlungen vorgenommen werden (Art. 5 Nr. 6 UZK). Hierfür bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung, für den Abnehmer zu handeln, wobei zusätzlich anzugeben ist, ob es sich um eine direkte oder indirekte Vertretung handelt (Art. 18 Abs. 1, 19 UZK).3 Personen, die nicht ausdrücklich erklären, im Namen oder für Rechnung eines anderen zu handeln, oder die erklären, im Namen oder für Rechnung eines anderen zu handeln, aber keine Vertretungsmacht besitzen, gelten als im eigenen Namen und für eigene Rechnung handelnd (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 UZK).4 Da die Vertretungsvollmacht ausdrücklich erteilt werden muss, reichen entsprechende Regelungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder Hinweise in Versandrichtlinien, die Gegenstand des Vertrages geworden sind, nicht aus.5

3. Pflichtverletzungen 18.81

In der Praxis beruhen Pflichtverletzungen vor allem darauf, dass der Gestellungspflicht (Art. 139 UZK i.V.m. § 4 Abs. 1 ZollVG) bei der Einfuhr nicht entsprochen wird. Soweit keine Steuerbefreiungen eingreifen und eine Einfuhrumsatzsteuer nicht angemeldet worden ist, wird der Tatbestand des Schmuggels (§ 373 Abs. 1 AO) erfüllt (s. Rz. 11.419 ff.). Das gilt ggf. auch für hinterzogenen Zoll. In aller Regel ist damit bei Weiterveräußerung der nämlichen Waren auch eine Hinterziehung von Umsatzsteuer (§ 370 AO) verbunden. Es handelt sich insoweit um zwei verschiedene Steuerhinterziehungstaten, sodass, soweit dem nicht das Selbstbelastungsverbot entgegensteht,6 Tatmehrheit (§ 53 StGB) gegeben ist.7 Wegen des wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen der vorsteuerbelasteten Einfuhr und den umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätzen kann die Einfuhrumsatzsteuer bei der Ermittlung des Verkürzungsumfangs bei der Steuerhinterziehung mindernd angesetzt werden.8 Insoweit gilt also kein Kompensationsverbot. Dass die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer bereits abgezogen werden kann, wenn sie für die Einfuhr geschuldet wird,9 spielt hierbei keine Rolle.10 Die Straf-

1 Zur Definition § 2 Abs. 4 ZollVG; Einzelheiten bei Weerth in Dorsch, Zollrecht, A 2, § 2 ZollVG Rz. 37 ff. 2 Zum Begriff der Gestellung Weerth in Dorsch, Zollrecht, A 2, § 4 ZollVG Rz. 5 ff. 3 Zu diesem Offenkundigkeitsprinzip Craig in H/H/Sp, Art. 19 UZK Rz. 5 ff. 4 Vgl. auch BFH v. 21.11.2002 – VII B 163/02, BFH/NV 2003, 523. 5 BFH v 21.3.2007 – V R 32/05, BStBl. II 2008, 153; BFH v. 16.6.2015 – X I R 17/13, BFH/NV 2015, 1655. 6 Vgl. BGH v. 24.4.2019 – I StR 81/18, wistra 2019, 494. 7 Vgl. BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. 8 Vgl. BGH v. 13.9.2018 – 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71. 9 EuGH v. 29.3.2012 – C-414/10, ECLI:EU:C:2012:183 – Véleclair, UR 2012, 692, Rz. 27. 10 BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102.

988 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 18.82 Kap. 18

barkeit wegen Schmuggels wird hierdurch nicht berührt.1 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch in den Fällen, in denen die Einfuhrumsatzsteuer entgegen der Rechtslage nicht angemeldet wird, weil die dem Zoll bei der Einfuhr vorgelegten sog. Freischreibungslisten nur Warenwerte unter 22 Euro enthalten, obwohl tatsächlich die Verkaufspreise wesentlich höher liegen.2 Schließlich kommt es auch zu Steuerverkürzungen dadurch, dass die eingeführten Waren nicht aufgrund ausdrücklicher Vollmacht für den Abnehmer angemeldet werden mit der Folge, dass der Ort der Lieferung im Inland belegen ist (§ 3 Abs. 8 UStG), ohne dass die Umsatzsteuer vom Lieferanten angemeldet wird.3 Beispiel: Die X-AG in der Schweiz betreibt einen Versandhandel mit Musik-CDs und Film-DVDs. Die Bestellungen erfolgen über das Internet, wobei die einzelnen Sendungen so ausgestaltet sind, dass deren Warenwert jeweils unter 22 Euro liegt. Die AGB der X-AG enthalten den Hinweis, dass die Auslieferung der Ware direkt von einem Auslieferungslager in der Schweiz vorgenommen wird. Zugleich enthalten die AGB an versteckter Stelle eine Vollmacht, wonach die X-AG alle erforderlichen Zollerklärungen im Namen und im Auftrag der jeweiligen Besteller abzugeben hat. Bei der Einfuhr der Waren an der deutschen Zollstelle erfolgte in 2018 die Zollabfertigung als vereinfachte Zollanmeldung im Sammelfreischreibungsverfahren. Jeder Anmeldung war eine Liste der Empfänger mit Namen, Ort und jeweiligem Rechnungsbetrag beigefügt. In den betreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen 2018 und in der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2018 behandelte die X-AG die Kleinsendungen als im Inland nicht steuerbar. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurden die entsprechenden Lieferungen als steuerbar und steuerpflichtig behandelt und dementsprechend die Umsatzsteuerbescheide geändert. Zugleich wurde gegen die Verantwortlichen der X-AG ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Die Lieferungen der Musik-CDs und der Film-DVDs erfolgten im Inland (§ 3 Abs. 8 UStG) und waren somit steuerbar und mangels Steuerbefreiung auch steuerpflichtig. Diese Rechtsfolge beruht im Wesentlichen darauf, dass die X-AG als Lieferantin Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer war. Die AGB enthalten zwar eine Regelung, wonach die X-AG für den jeweiligen Besteller die zollamtlichen Formalitäten zu erledigen hat, es handelt sich hierbei aber nicht um eine wirksame Vertretungsvollmacht, wie sie von Art. 19 Abs. 1 Satz 1 UZK verlangt wird. Der bloße Hinweis in den AGB reicht nicht aus. Denn Bestimmungen in AGB, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Bestandteil des jeweiligen Vertrages (§ 305c Abs. 1 BGB).4 Mangels wirksamer Vertretungsvollmacht wird die X-AG so behandelt, als hätte sie die Zollformalitäten im eigenen Namen und für eigene Rechnung erledigt (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 UZK).5 Hieraus folgt, dass sie Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer war, sodass für alle diesbezüglichen Kleinsendungen der Ort der Lieferung im Inland war (§ 3 Abs. 8 UStG).6 Dass tatsächlich die Einfuhrumsatzsteuer für die Kleinsendungen nicht erhoben wurde (§ 1a EUStBV), spielt keine Rolle.7 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist somit gegeben. Ob auch der subjektive Tatbestand erfüllt ist, erscheint zweifelhaft. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob den Verantwortlichen der X-AG bewusst war, dass die AGB keine wirksame Vollmachtserteilung enthielten.

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. Hierzu Proske/Zühlke, StBp 2014, 89 (94 f.). Hierzu Proske/Zühlke, StBp 2014, 89 (91 f.). Vgl. hierzu die Hinweise in BFH v. 21.3.2007 – V R 32/05, BStBl. II 2008, 153 (156 rechte Spalte). Vgl. auch BFH v. 21.11.2002 – VII B 163/02, BFH/NV 2003, 523. Vgl. Wäger in Wäger, § 3 UStG Rz. 360 f. BFH v. 21.3.2007 – 5 R 32/05, BStBl. II 2008, 153; Abschn. 3.13 Abs. 1 Satz 4 UStAE.

Schaumburg | 989

18.82

Kapitel 19 Grunderwerbsteuerrecht A. B. I. 1. 2. 3.

Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . Typische Problembereiche Änderung des Gesellschafterbestandes Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . .

19.1

19.3 19.7 19.9

II. 1. 2. 3.

Anteilsvereinigung in einer Hand Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.14 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.16 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . 19.17

Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum GrEStG; Bruschke, Grunderwerbsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, 7. Aufl., Achim 2016; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., Köln 2018, § 18 Rz. 1 ff.; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Verkehrsteuern, 18. Aufl., Berlin 2013, Rutemöller, Die Umsatz- und grunderwerbsteuerliche Behandlung von Grundstücksumsätzen, Hamburg 2011; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017, Rz. 11.6; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, 1017 ff.

A. Allgemeine Hinweise 19.1

Die von der Grunderwerbsteuer erfassten Erwerbsvorgänge beziehen sich zwar nur auf inländische Grundstücke (§ 1 Abs. 1 GrEStG), sodass insoweit das Territorialitätsprinzip verwirklicht wird (s. Rz. 14.137), sie können aber nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland vollzogen werden. Angesprochen ist damit zum einen der Abschluss eines Kaufvertrages, der den Anspruch auf Grundstücksübereignung begründet (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). Zum anderen geht es aber vor allem um die in § 1 Abs. 2a und § 1 Abs. 3 GrEStG verankerten Ersatztatbestände, die auch durch Rechtsträgerwechsel im Ausland erfüllt werden können. So wird von § 1 Abs. 2a GrEStG auch die Änderung im Gesellschafterbestand einer ausländischen Personengesellschaft erfasst. Ebenso betrifft § 1 Abs. 3 GrEStG die Anteilsvereinigung und Übertragung vereinigter Anteile auch an ausländischen Kapitalgesellschaften.

19.2

Im außensteuerlichen Kontext sind die Änderung des Gesellschafterbestandes einer ausländischen Personengesellschaft sowie die Anteilsvereinigung der ausländischen Kapitalgesellschaft von besonderer Bedeutung. Das gilt insbesondere unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten, weil in den vorgenannten Fällen die effektive Erhebung der Grunderwerbsteuer nicht sichergestellt ist.1

1 Zur Verfassungswidrigkeit von materiellen Steuernormen mit Defiziten im Erhebungsverfahren: BVerfG v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94.

990 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 19.4 Kap. 19

B. Typische Problembereiche I. Änderung des Gesellschafterbestandes Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 2a GrEStG; Behrens, Fiktion von Grundstückserwerben bei Anteilsgeschäften im Grunderwerbsteuerrecht, in FS Schaumburg, Köln 2009, 1107 ff.; Behrens, Anmerkungen zum koordinierten Ländererlass zu § 1 Abs. 2a GrEStG vom 25.2.2010 (DStR 2010, 697), DStR 2010, 777 ff.; Behrens/Schmitt, Grunderwerbsteuer bei mittelbarer Anteilsübertragung, BB 2009, 424 ff.; Fischer/Waßmer, Steuerstrafrechtliche Aspekte grunderwerbsteuerlicher Sachverhalte bei Unternehmensakquisitionen im Rahmen internationaler M&A-Transaktionen, BB 2002, 969 ff.; Grotherr, Grunderwerbsteuerliche Probleme bei der Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen, BB 1994, 1970 ff.; Micker, Typisierungsbefugnis versus Folgerichtigkeit bei § 1 Abs. 2a GrEStG, DStZ 2009, 285 ff.; Schenko, Die aktuelle Verwaltungsauffassung zum § 1 Abs. 2a GrEStG, UVR 2010, 148 ff.; Schmitt-Homann, Grunderwerbsteuer: Die 95 %-Grenze „Durchrechnung“ oder „Alles-oderNichts-Betrachtung“ zur Ermittlung der Beteiligungshöhe, BB 2010, 2276 ff.

1. Überblick Nach § 1 Abs. 2a GrEStG gilt als ein auf die Übereignung eines Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichteter Erwerbsvorgang, wenn zum Vermögen der in- oder ausländischen Personengesellschaft1 ein inländisches Grundstück gehört und wenn sich innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt ändert, dass mindestens 95 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen.2 Es handelt sich hierbei um eine Vorschrift, die Steuerumgehungen durch Zwischenschaltung von Personengesellschaften vermeiden will.3 Auf eine etwaige Umgehungsabsicht kommt es hierbei nicht an.4 Ebenso ist ohne Bedeutung, ob die grundbesitzführende Personengesellschaft originär gewerblich tätig oder eine reine Grundstücksgesellschaft ist.5

19.3

Vom Tatbestand werden alle inländischen Grundstücke erfasst, die während des Zeitraum, in welchem sich der Gesellschafterbestand um mindestens 95% der Anteile ändert, durchgängig zum Vermögen der Personengesellschaft gehören,6 wobei die hierfür maßgebliche FünfJahres-Frist (zukünftig 10 Jahre) für jedes im Vermögen der Personengesellschaft befindliches Grundstück gesondert zu berechnen ist.7 Der Übergang der Gesellschaftsanteile, der entweder derivativ durch Erwerb von Altgesellschaftern oder auch originär durch Eintritt von Neugesellschaftern erfolgen kann,8 erfasst gleichermaßen Rechtsträgerwechsel durch Einzel-, Son-

19.4

1 Ausländischen Personengesellschaften, soweit sie nach ihrer rechtlichen Struktur inländischen Personengesellschaften entsprechen; vgl. Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 752, Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 276; Behrens in Behrens/Wachter, § 1 GrEStG Rz. 313; gleich lautende Erlasse der Länder v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314, Rz. 2. 2 Es ist geplant, die Grenze auf 90 % herabzusetzen und den Zeitraum auf zehn Jahre zu erweitern. 3 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 691; Behrens in Behrens/Wachter, § 1 GrEStG Rz. 307. 4 Micker, DStZ 2009, 285 ff. (287). 5 BFH v. 11.9.2002 – II B 113/02, BStBl. II 2002, 777; Meßbacher-Hönsch in Boruttau18, § 1 GrEStG Rz. 831. 6 BFH v. 8.11.2000 – II R 64/98, BStBl. II 2001, 422; gleich lautende Erlasse der Länder v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314, Rz. 3. 7 Gleich lautende Erlasse der Länder v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314, Rz. 6. 8 Hierzu Behrens in Behrens/Wachter, § 1 GrEStG Rz. 389 ff.; gleich lautende Erlasse der Länder v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314, Rz. 5.2.2.

Schaumburg | 991

Kap. 19 Rz. 19.4 | Grunderwerbsteuerrecht

derrechts- und Gesamtrechtsnachfolge, wobei allerdings der Erwerb von Todes wegen außer Betracht bleibt (§ 1 Abs. 2a Satz 6 GrEStG).

19.5

Bezüglich der Frage, ob mindestens 95% der Gesellschaftsanteile auf neue Gesellschafter übergegangen sind, ist auf das Verhältnis der Beteiligung der Neugesellschafter zu der fortbestehenden Beteiligung von Altgesellschaftern abzustellen, wobei der Anteil am Gesellschaftsvermögen1 maßgebend ist.2 Bei mittelbaren Beteiligungen ist wie folgt zu unterscheiden: Bei doppel- oder mehrstöckigen Personengesellschaften ist auf die durchgerechnete Quote der Veränderungen abzustellen. Bei Beteiligungen von Kapitalgesellschaften kommt es dagegen darauf an, ob der Gesellschafterwechsel dort mindestens 95 % der Anteile beträgt. Ist das der Fall, so ist die Beteiligung der Kapitalgesellschaft in voller Höhe bei der Ermittlung der 95-%-Grenze der Personengesellschaft zu berücksichtigen. Ist dies nicht der Fall, bleibt die Anteilsänderung der Kapitalgesellschaft für die Berechnung der 95-%-Quote der Personengesellschaft außer Betracht,3 es sei denn, dass erst bei Durchrechnung der Beteiligungsquoten die 95-%-Quote erreicht wird (§ 1 Abs. 3a GrEStG).

19.6

Ist der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfüllt, gilt die Fiktion der Übertragung des Grundvermögens der Personengesellschaft auf eine neue Personengesellschaft. Bemessungsgrundlage ist der Grundbesitzwert gem. § 138 Abs. 2–4 BewG (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG). Steuerschuldnerin ist die Personengesellschaft, deren Gesellschafterbestand sich innerhalb von fünf Jahren vollständig oder wesentlich geändert hat (§ 13 Nr. 6 GrEStG).

2. Pflichtenkreis 19.7

Das GrEStG enthält zwecks Sicherung des Steueraufkommens Sondervorschriften (§§ 18–22 GrEStG), von denen §§ 18, 19 GrEStG besondere Bedeutung haben. In § 18 GrEStG ist die Anzeigepflicht für Gerichte, Behörde und Notare verankert. Soweit es Gerichte betrifft, geht es um die Anzeige von gerichtlichen Vergleichen, die Rechtsvorgänge über ein inländisches Grundstück betreffen. Darüber hinaus erstreckt sich die Anzeigepflicht auch auf den Wechsel im Grundstückseigentum aufgrund einer Eintragung im Handels-, Genossenschafts- oder Vereinsregister (§ 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 GrEStG).4 Anzeigepflichtig sind ferner Behörden, zu denen auch mit besonderer Beurkundungszuständigkeit ausgestattete ausländische Konsularbeamte (§§ 10 ff. Konsulargesetz) gehören.5 Anzeigepflichtig sind schließlich auch inländische Notare über die von ihnen beurkundeten Grundstücksangelegenheiten, wobei sie auch zur Vorlage von Urkunden und zur Erteilung weiterer Auskünfte verpflichtet sind (§ 102 Abs. 4 Satz 2 AO). Da ausländische Notare nicht anzeigeverpflichtet sind,6 sind die am Erwerbsvorgang Beteiligten selbst anzeigeverpflichtet (§ 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG). Die Anzeigepflicht erfasst zwar im Grundsatz nur Rechtsvorgänge, die ein inländisches Grundstück betreffen, sie wird aber erstreckt auf alle Vorgänge, die die Übertragung von Gesellschaftsanteilen zum Gegenstand haben, soweit zum Vermögen der Gesellschaft ein inländisches Grund1 2 3 4

Abzustellen ist im Zweifel auf die vereinbarten festen Kapitalanteile: Behrens/Hofmann, UVR 2004, 27. Vgl. gleich lautende Erlasse der Länder v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314, Rz. 4. Gleich lautende Erlasse der Länder v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 561, Tz. 5.3. Betroffen sind hierdurch die Registergerichte; vgl. Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) v. 1.6.1998 i.d.F. v. 25.8.2008, www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de. 5 Zur Anzeigepflicht der Konsulate: FinMin. Niedersachsen v. 30.5.1996 – S 4540-69-34 2, DB 1996, 1260. 6 Pahlke6, § 18 GrEStG Rz. 2; Wachter in Behrens/Wachter, § 18 GrEStG Rz. 59; Küperkoch, RNotZ 2002, 297 (299); a.A. Heine, UVR 2002, 246 (250).

992 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 19.10 Kap. 19

stück gehört (§ 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG). Damit ist auch ein Notar anzeigepflichtig, wenn er etwa den Übergang von Gesellschaftsanteilen beurkundet. Ihn trifft hierbei eine Erkundigungspflicht dahin gehend, ob zum Gesellschaftsvermögen inländische Grundstücke gehören.1 Die Anzeige hat nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung, der Unterschriftsbeglaubigung oder der Bekanntgabe der Entscheidung zu erfolgen.2 In § 19 GrEStG ist die Anzeigepflicht der Steuerschuldner verankert. Diese Anzeigepflicht besteht auch dann, wenn Gerichte, Behörden und Notare gem. § 18 GrEStG anzeigepflichtig sind.3 Die Anzeigepflicht trifft auch ausländische Steuerschuldner, was insbesondere bei der Umstrukturierung grenzüberschreitender Unternehmensverbindungen (Konzerne) besondere Bedeutung hat.4 In derartigen Fällen ist die Anzeigepflicht durch die Vorstände, Geschäftsführer usw. zu erfüllen.

19.8

3. Pflichtverletzungen Wird die Anzeigepflicht gem. § 18 GrEStG etwa durch den Notar verletzt, ergeben sich in steuerlicher Hinsicht nachteilige Rechtsfolgen nur insoweit, als die Rückgängigmachung eines nicht angezeigten Erwerbsvorgangs nicht dazu führt, dass die Grunderwerbsteuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben wird (§ 16 Abs. 5 GrEStG). Im Übrigen unterbleibt trotz Verletzung der Anzeigepflicht eine Anlaufhemmung gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, soweit der Steuerschuldner selbst nicht anzeigeverpflichtet war.5 Da die Notare behördliche Aufgaben wahrnehmen und damit hoheitliche Tätigkeiten ausüben, sind sie ebenso wie Gerichte und Behörden durch § 255 Abs. 1 AO geschützt mit der Folge, dass gegen sie wegen Nichtabgabe von Anzeigen trotz Aufforderung nicht mit Zwangsmitteln (§§ 328 ff. AO) vorgegangen werden darf.6 In strafrechtlicher Hinsicht begeht der Notar bei Verletzung der Anzeigepflichten ggf. eine Steuerhinterziehung zugunsten des Steuerschuldners oder eine leichtfertige Steuerverkürzung.7

19.9

Verletzt der Steuerschuldner seine Anzeigepflicht gem. § 19 GrEStG, ergeben sich in steuerlicher Hinsicht folgende Rechtsfolgen:

19.10

– Verspätungszuschlag (§ 153 AO), weil die abzugebende Anzeige als Steuererklärung gilt (§ 19 Abs. 5 Satz 1 GrEStG),8 – Zwangsmittel (§ 328 ff. AO), soweit der Steuerschuldner zuvor durch Verwaltungsakt zur Abgabe der Anzeige aufgefordert wurde (§ 328 Abs. 1 Satz 1 AO),

1 Pahlke6, § 18 GrEStG Rz. 7; Hofmann in Hofmann11, § 18 GrEStG Rz. 8. 2 § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG. 3 BFH v. 30.10.1996 – II R 69/94, BStBl. II 1997, 85; BFH v. 1.12.2004 – II R 10/02, BFH/NV 2005, 1365; BFH v. 25.1.2006 – II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059. 4 Vgl. Fischer/Waßmer, BB 2002, 969 ff.; Grotherr, BB 1994, 1970 ff. 5 BFH v. 16.2.1994 – II R 125/90, BStBl. II 1994, 866; BFH v. 6.7.2005 – II R 9/04, BStBl. II 2005, 780; BFH v. 26.2.2007 – II R 50/06, BFH/NV 2007, 1535; BFH v. 3.3.2015 – II R 30/13, BStBl. II 2015, 777; hierzu auch Loose in Boruttau19, § 18 GrEStG Rz. 41. 6 Pahlke6, § 18 GrEStG Rz. 18; Wachter in Behrens/Wachter, § 18 GrEStG Rz. 210; Küperkoch, RNotZ 2002, 297 ff. (299); a.A. Drüen in T/K, § 328 AO Rz. 21. 7 Vgl. FG Bremen v. 19.1.1993 – II 163/90 K, EFG 1993, 540; FG Baden-Württemberg v. 17.3.2004 – 5 K 59/01, EFG 2004, 867; Küperkoch, RNotZ 2002, 297 ff. (299). 8 § 19 GrEStG soll um einen Abs. 6 erweitert werden (JStG-E idF des RegE v. 29.9.2020, BT-Drs. 19/22850).

Schaumburg | 993

Kap. 19 Rz. 19.10 | Grunderwerbsteuerrecht

– keine Nichtfestsetzung der Steuer oder Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung, falls der Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wird (§ 16 Abs. 5 GrEStG), – Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).

19.11

In strafrechtlicher Hinsicht sind insbesondere mittelbare Änderungen des Gesellschafterbestandes im Ausland von Bedeutung. Beispiel: An der grundstücksbesitzenden A-OHG sind A zu 85 %, B zu 5 % und die belgische U-SA zu 10 % beteiligt. An der belgischen U-SA sind wiederum U zu 90 % sowie V und W zu jeweils 5 % beteiligt. Im Jahr 2016 überträgt A seine gesamte Beteiligung (85 %) an der A-OHG auf den C. Ein Jahr später übertragen U, V und W ihre Anteile an der belgischen U-SA jeweils auf X, Y und Z, die ebenfalls wie U, V und W in Belgien ansässig sind. Nach dem Ausscheiden von A aus der A-OHG sind C und B zur Geschäftsführung und Vertretung der A-OHG berechtigt. Im Zuge einer bei der AOHG durchgeführten Außenprüfung wird der Sachverhalt aufgedeckt. Wegen des Verdachts der Hinterziehung von Grunderwerbsteuer wird gegen A und B ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

19.12

Da innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums mittelbar mindestens95 % der Gesellschaftsanteile übergegangen sind, ist im Jahr 2017 der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfüllt. Dass hier die unmittelbare und mittelbare Anteilsänderung insgesamt mindestens 95 % beträgt, beruht zum einen auf dem unmittelbaren Gesellschafterwechsel von A auf C im Jahr 2016 in Höhe von 85 % und zum anderen auf dem mittelbaren Gesellschafterwechsel von U auf X und von V auf Y und von W auf Z in Höhe von 10 % im Jahr 2017. Eine mittelbare Änderung des Gesellschafterbestandes ist hier gegeben, weil sich der Gesellschafterbestand der U-SA vollständig verändert hat. Da B unverändert mit 5% an der A-OHG beteiligt ist, greift § 6 Abs. 3 Satz 1 GrEStG ein mit der Folge, dass die Steuer in Höhe von 5 % nicht zu erheben ist.

19.13

Im Hinblick darauf, dass die Änderungen des unmittelbaren und mittelbaren Gesellschafterbestandes der A-OHG den Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfüllen, hätten B und C im Jahr 2017 nach Vollzug des mittelbaren Gesellschafterwechsels innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung die Erwerbsvorgänge als gesetzliche Vertreter der A-OHG1 dem zuständigen Finanzamt anzeigen müssen. Diese Anzeigepflicht ist objektiver Natur, sodass es auf etwaige subjektive Kenntnisse und Fähigkeiten der Beteiligten nicht ankommt.2 Damit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Ob allerdings Vorsatz gegeben ist, bedarf noch weiterer Ermittlungen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die für an Personengesellschaften beteiligte Kapitalgesellschaften maßgebliche Ermittlung des Vom-Hundert-Satzes in der Vergangenheit mehrfachen Rechtsänderungen unterworfen war.3 Hinzu kommt, dass dem § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a GrEStG das Ausmaß der Anzeigepflicht nicht ausreichend zu entnehmen ist.4

II. Anteilsvereinigung in einer Hand Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 3 GrEStG; Behrens, Fiktion von Grundstückserwerben bei Anteilsgeschäften im Grunderwerbsteuerrecht, in FS Schaumburg, Köln 2009, 1108 ff.; Behrens, Zur Auslegung des Begriffs „Anteil der Gesellschaft“ i.S.v. § 1 Abs. 3 GrEStG, BB 2014, 2647; Heine, Grund-

1 2 3 4

Sie ist Steuerschuldnerin, § 13 Nr. 6 GrEStG. Pahlke6, § 19 GrEStG Rz. 3. Vgl. nur den Überblick bei Englisch in T/L23, § 18 Rz. 31. Hofmann in Hofmann11, § 19 GrEStG Rz. 3; nach BFH v. 17.5. 2017 – II R 35/15, BStBl. II 2017, 966 ist die Vorschrift hinreichend klar und eindeutig; a.A. Pahlke6, § 19 GrEStG Rz. 5.

994 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 19.16 Kap. 19 erwerbsteuerliche Auswirkungen der Übernahme oder Einziehung eigener Geschäftsanteile, GmbHR 2002, 678 ff.; Heine, Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG in Verbindung mit Abs. 4 auf Organschaftsfälle, UVR 2007, 245 ff.; Joisten, Abschaffung der Pro-Kopf-Betrachtung bei vermittelnden Personengesellschaften im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 GrEStG, Ubg 2016, 201; Rothenöder, Der Anteil i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG, Berlin 2009; Wischott, Grunderwerbsteuerplanung bei Konzernumstrukturierungen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne 2011, 1051 ff.; Wischott/Schönweiß/Fröhlich, Systemwechsel in der Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG bei mittelbaren Anteilsvereinigungen?, DStR 2009, 361 ff.

1. Überblick Gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG wird die unmittelbare oder mittelbare Vereinigung von mindestens 95% der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft als Grundstückserwerb fingiert. Der Tatbestand kann hierbei entweder durch erstmaligen Erwerb von mindestens 95% (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, 4 GrEStG) oder durch Anteilsaufstockung auf 95% (§ 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 GrEStG) erfüllt werden. § 1 Abs. 3 GrEStG ist ein Ergänzungstatbestand, der auf die Verhinderung von Steuerumgehungen gerichtet ist. Andernfalls könnte die Grunderwerbsteuer dadurch vermieden werden, dass nicht die Grundstücke selbst, sondern Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften veräußert werden.1 Im Hinblick darauf, dass Anteilsvereinigungen bei Personengesellschaften unter § 1 Abs. 2a GrEStG fallen,2 gilt § 1 Abs. 3 GrEStG im Wesentlichen für Kapitalgesellschaften.

19.14

Bei der Berechnung der für die Anteilsvereinigung maßgeblichen Beteiligungsquote von 95 %, bei der eigene Anteile der Gesellschaft herauszurechnen sind,3 ergeben sich Besonderheiten bei der mittelbaren Anteilsvereinigung: Bei der mittelbaren Beteiligung muss die Beteiligungsquote von 95 % auf jeder Beteiligungsstufe erfüllt sein, sodass ein Durchrechnen der auf den jeweiligen Beteiligungsstufen bestehenden Beteiligungsquoten nicht in Betracht kommt,4 es sei denn, dass erst im Falle der Durchrechnung die 95-%-Grenze erreicht würde (§ 1 Abs. 3a GrEStG).5 Der Tatbestand der Anteilsvereinigung erfährt dadurch eine Erweiterung, dass für die Berechnung der Mindestbeteiligungsquote herrschende und abhängige Unternehmen bei Vorliegen eines Organschaftsverhältnisses zusammengefasst werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2, Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG). Danach genügt es, dass sich die Anteile in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen, von herrschenden Unternehmen und abhängigen Personen oder in der Hand abhängiger Unternehmen allein oder in der Hand abhängiger Personen allein in Höhe von mindestens 95 % vereinigen.6

19.15

2. Pflichtenkreis Bei der Anteilsvereinigung in einer Hand gelten im Grundsatz die gleichen Anzeigepflichten wie bei der Änderung des Gesellschafterbestandes von Personengesellschaften. Für Gerichte, Behörden und insbesondere Notare ergibt sich aus § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG die Verpflich-

1 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 918 ff.; Rothenöder, Der Anteil i.S.d. § 1 Abs. 3 GrEStG, 2008, 41. 2 § 1 Abs. 2a GrEStG geht vor; vgl. gleich lautende Erlasse der Länder v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314, Rz. 7. 3 Hofmann in Hofmann11, § 1 GrEStG Rz. 144. 4 BFH v. 25.8.2010 – II R 65/08, BStBl. II 2011, 225. 5 Vgl. zur rechnerischen Ermittlung Tiede, StuB 2014, 765 ff. 6 Zu Einzelheiten Hofmann in Hofmann11, § 1 GrEStG Rz. 174 ff.

Schaumburg | 995

19.16

Kap. 19 Rz. 19.16 | Grunderwerbsteuerrecht

tung, alle Vorgänge anzuzeigen, die die Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft betreffen, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört. Angesprochen sind damit alle Erwerbsvorgänge, die von § 1 Abs. 3 GrEStG erfasst sind. Anzeigepflichten ergeben sich aber auch für den jeweiligen Steuerschuldner (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 – 7a GrEStG). Steuerschuldner sind bei unmittelbarer und mittelbarer Anteilsvereinigung der Erwerber (§ 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG) und bei einer Anteilsvereinigung im Organkreis alle Organkreismitglieder (§ 13 Nr. 5 Buchst. b GrEStG), die insoweit Gesamtschuldner sind.1 Diese Anzeigepflichten gelten auch für ausländische Kapitalgesellschaften, für die die jeweiligen gesetzlichen Vertreter zur Erfüllung der Verpflichtung herangezogen werden.

3. Pflichtverletzungen 19.17

Die Ausführungen zu Rz. 19.9 ff. gelten hier entsprechend. In der steuerstrafrechtlichen Praxis sind vor allem Pflichtverletzungen der gesetzlichen Vertreter ausländischer Kapitalgesellschaften von Bedeutung. Beispiel: An der grundbesitzenden A-GmbH ist die in Frankreich ansässige X-SA zu 100 % beteiligt. An der X-SA sind die in Luxemburg ansässige Y-GmbH zu 81 % und die in der Schweiz ansässige ZAG zu 19 % beteiligt. Die Z-AG, die alleinige Gesellschafterin der Y-GmbH ist, bringt ihre Anteile an der X-SA im Zuge einer Kapitalerhöhung in die Y-GmbH im Jahr 2018 ein. Kurze Zeit später wird der Vorgang im Rahmen der bei der grundbesitzenden A-GmbH durchgeführten steuerlichen Außenprüfung aufgedeckt. Gegen den Geschäftsführer der in Luxemburg ansässigen Y-GmbH wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

19.18

Infolge der Einbringung der Anteile an der X-SA in die Y-GmbH im Zuge einer Kapitalerhöhung erfolgt eine mittelbare Anteilsvereinigung, die unter § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG fällt. Aufgrund dieser Einbringung sind die Anteile der Y-GmbH an der X-SA über die maßgebliche Mindestbeteiligungsquote von 95 % aufgestockt worden. Dass bereits zuvor die X-SA als Untergesellschaft alle Anteile der grundbesitzenden A-GmbH hielt, ist unerheblich und hindert nicht die mittelbare Anteilsvereinigung auf einer höheren Stufe.2 Im Hinblick darauf hätte der Geschäftsführer der luxemburgischen Y-GmbH die Anteilsvereinigung innerhalb von 14 Tagen nach Kenntnisnahme dem zuständigen deutschen Finanzamt mitteilen müssen (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG). Da dies nicht geschehen ist, liegt der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Ob Vorsatz gegeben ist, wird nur aufgrund weiterer Ermittlungen feststellbar sein. Aufgrund der insbesondere für Ausländer nicht offenkundigen Rechtslage wird ein Vorsatz nicht naheliegen. Entsprechendes wird für den subjektiven Tatbestand einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) zu gelten haben, wobei ggf. den Steuerpflichtigen aber Informations- und Erkundigungspflichten über seine Erklärungs- und Anzeigepflichten treffen.3

1 Viskorf in Boruttau19, § 13 GrEStG Rz. 42, 51; Bartone in Behrens/Wachter, § 13 GrEStG Rz. 31, 38. 2 BFH v. 5.11.2002 – II R 41/02, BFH/NV 2003, 507; BFH v. 19.12.2007 – II R 65/06, BStBl. II 2008, 489; dort auch zu einem verneinten Verstoß gegen die Richtlinie 69/335/EWG v. 17.7.1969 zur Harmonisierung von indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital, ABl. EG 1969 Nr. L 249, 25. 3 BFH v. 19.2.2009 – II R 49/07, BFH/NV 2009, 1291.

996 | Schaumburg

Kapitel 20 Versicherungsteuerrecht A. B. I. 1. 2. 3.

Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . Typische Problembereiche Drittstaatenversicherer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . .

20.1

20.5 20.6 20.7

II. 1. 2. 3.

Konzernumlagen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.10 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.11 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . 20.12

Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum VersStG und FeuerschStG; Crezelius, Versicherungsteuer – terra incognita des Steuerrechts?, in FS Haarmann, München 2015, 428; Englisch in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 67 ff.; Grünwald, Wer bezahlt die Versicherungsteuer?, DStR 2013, 738; Hicks, Problematiken bei der Feuerschutzsteuerpflicht, UVR 1992, 48; Hicks, Abgrenzung der versicherungssteuerlichen Tatbestände von den umsatzsteuerlichen Tatbeständen, UVR 1999, 184; Hicks, Steuerbare Versicherungsverhältnisse i.S. der §§ 1, 2 VersStG, UVR 2005, 387; Klink, Versicherungsteuer bei Konzernumlagen, DStR 2019, 1729; Kühnast, Inländische Versicherungsteuer auf Versicherungsverhältnisse mit ausländischen Versicherungen, UVR 1989, 78; Medert, Änderungen bei der Versicherungsteuer ab 2013 im Überblick, DStR 2013, 496; Schlange, Deutsche Steuerhoheit bei innergemeinschaftlicher grenzüberschreitender Versicherung nur bei Belegenheit des versicherten Risikos in Deutschland, DStR 2010, 2562; Schrinner, Versicherungsteuer als Standortproblem, IFSt-Schrift 352 (1997); Strunz, Zur Doppelbesteuerung mit Versicherungsteuer in der Bundesrepublik Deutschland, DStR 2001, 777; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1029 ff.

A. Allgemeine Hinweise Als Verkehrsteuer erfasst die Versicherungsteuer1 Vorgänge des Rechtsverkehrs im Rahmen von Versicherungsverhältnissen,2 wobei konkret an die Zahlung des Versicherungsentgelts angeknüpft wird.3 Steuerentrichtungsschuldner ist zwar der Versicherer (§ 7 Abs. 2 VersStG), Steuerschuldner ist aber der Versicherungsnehmer (§ 7 Abs. 1 VersStG), der die Versicherungsteuer letztlich auch wirtschaftlich zu tragen hat. Im Hinblick darauf handelt es sich von der Belastungswirkung her bei der Versicherungsteuer um eine die Einkommens- und Vermögensverwendung belastende direkte Steuer.4 Indessen belastet insbesondere die Versicherungsteuer auf die Unfall- und Haftpflichtversicherung auch Unternehmen, ohne dass hier ähnlich wie bei der Umsatzsteuer eine Entlastung durch einen Vorsteuerabzug möglich wäre.5 1 Vgl. zum folgenden Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 11.20 ff. 2 Gambke/Flick, § 1 VersStG Rz. 2; Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 30; Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 1. 3 BFH v. 8.12.2010 – II R 12/08, BStBl. II 2012, 383; Schmidt, § 1 VersStG Rz. 1; Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 30. 4 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1029; Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 67; Grünwald, DStR 2013, 738; Crezelius in FS Haarmann, 2015, 429; die kumulierende Wirkung wird im Verhältnis zur Umsatzsteuer durch § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG gemildert. 5 Im Ergebnis handelt es sich hierbei um eine nicht zu rechtfertigende Sonder-Unternehmensteuer; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1032; Seer, ZfZ 2013, 146 (153).

Schaumburg | 997

20.1

Kap. 20 Rz. 20.2 | Versicherungsteuerrecht

20.2

Wie auch die übrigen Verkehrsteuern ist die Versicherungsteuer im Wesentlichen binnenorientiert. Ihr sind vor allem versicherte Risiken unterworfen, die im Inland belegen sind. Über dieses versicherungsteuerrechtliche Belegenheitsprinzip hinaus werden aber auch ausländische Risiken steuerlich belastet. Dies beruht auf der in § 1 Abs. 2 und 3 VersStG vorgegebenen dualen Anknüpfung,1 wonach sowohl auf personale – Ansässigkeit des Versicherungsnehmers – als auch gegenständliche – Belegenheit des versicherten Risikos – Tatbestandsmerkmale abgestellt wird. Hierbei ist zwischen Versicherern in EU-/EWR-Staaten und solchen in Drittstaaten zu unterscheiden.

20.3

Soweit der Versicherer in einem EU-/EWR-Staat niedergelassen2 ist,3 gilt die gegenständliche (inländische) Anknüpfung für Risiken mit Bezug auf unbewegliche Sachen,4 für in ein amtliches Register einzutragende oder eingetragene und mit einem Unterscheidungskennzeichen versehene Fahrzeuge5 und für Reise- oder Ferienrisiken6 (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–3 VersStG). In den vorgenannten Fällen entsteht die Versicherungsteuer also nur dann, wenn sich die versicherten Gegenstände im Inland befinden, die Fahrzeuge in einem inländischen Register eingetragen oder einzutragen sind oder die für die Reise- oder Ferienrisiken erforderlichen Rechtshandlungen im Inland vorgenommen werden. Es handelt sich hierbei um Sondertatbestände, die darauf abzielen, im Bereich der EU-/EWR-Staaten einen freien Dienstleistungsmarkt für Versicherungen ohne steuerinduzierte Wettbewerbsbehinderungen zu schaffen.7 Hierdurch ist zugleich gewährleistet, dass in Orientierung an das versicherungsteuerrechtliche Belegenheitsprinzip, aufgrund dessen auf gegenständliche Merkmale abzustellen ist,8 die Gefahr einer Doppelbesteuerung vermieden wird.9

20.4

Für die übrigen von einem EU-/EWR-Versicherer versicherten Risiken, die nicht unter die vorgenannten drei Sondertatbestände fallen, knüpft die Versicherungsteuer an den Sitz des Versicherungsnehmers an (§ 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG). Abgestellt wird bei natürlichen Personen auf den Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO)10 im Inland (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VersStG). Bei nicht natürlichen Personen kommt es darauf an, ob sich der Sitz des Unternehmens (§ 11 AO), die Betriebsstätte (§ 12 AO) oder die entsprechende Einrichtung, auf die sich das Versicherungsverhältnis bezieht, im Inland befindet (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VersStG).11

1 Vgl. hierzu den Überblick bei Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 206. 2 Niederlassung i.S.v. Gesellschaftssitz (Satzungssitz) und Zulassung für das Versicherungsgeschäft; bloße (Zweig-)Niederlassung (Betriebsstätte) reicht nicht; EuGH v. 14.6.2001 – C-191/99, ECLI: EU:C:2001:332 – Kvaerner, Slg. 2002, I-4447, Rz. 31, 34. 3 Vgl. hierzu das Merkblatt für EU/EWR-Versicherer (BMF v. 15.5.2014 – IV D 5 - S 6356/07/ 10001:001 – DOK 2014/0315290, BStBl. I 2014, 871). 4 Z.B. Gebäude, Industrieanlagen; weitere Hinweise bei Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 217 ff.; Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 194 ff. 5 Hierunter fallen Kasko-, Fahrzeughaftpflicht- und Insassenunfallversicherungen. 6 Insbesondere Reiserücktrittsversicherungen. 7 Hierzu Schmidt, § 1 VersStG Rz. 42 ff.; Medert, DStR 2013, 496. 8 EuGH v. 14.6.2001 – C-191/99, ECLI:EU:C:2001:332 – Kvaerner, Slg. 2002, I-4447; BFH v. 11.12.2013 – II R 53/11, BStBl. II 2014, 352, Rz. 21. 9 BFH v. 11.12.2013 – II R 53/11, BStBl. II 2014, 352, Rz. 21. 10 Zum Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt vgl. Rz. 14.11 f. 11 Zu Einzelheiten Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 304 ff.; Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 273 ff.; § 1 Abs. 2 VersStG soll geändert werden (RegE v. 15.7.2020, BT-Drs. 19/21089).

998 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 20.7 Kap. 20

B. Typische Problembereiche I. Drittstaatenversicherer 1. Überblick Ein Versicherungsverhältnis mit einem Drittstaatenversicherer begründet die Steuerpflicht, wenn

20.5

– der Versicherungsnehmer im Inland ansässig ist;1 – der versicherte Gegenstand sich im Inland befindet oder – das Versicherungsverhältnis sich auf ein Unternehmen, eine Betriebsstätte oder eine sonstige Einrichtung im Inland bezieht (§ 1 Abs. 3 Nr. 1–3 VersStG). Hierdurch kommt es im Unterschied zu EU-/EWR-Fällen zu einer Doppelbesteuerung. Angesprochen sind insbesondere Fälle, in denen deutsche Unternehmen im Ausland belegene Risiken bei Drittstaatenversicherern versichern. Dieser Vorgang unterliegt zum einen gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG der deutschen Versicherungsteuer und zum anderen, weil sich der versicherte Gegenstand zur Zeit der Begründung des Versicherungsverhältnisses im Ausland befindet,2 der betreffenden ausländischen Versicherungsteuer.

2. Pflichtenkreis In dem vom VersStG gezogenen Pflichtenkreis sind einbezogen der Steuerschuldner, der Steuerentrichtungsschuldner und der für die Steuerentrichtung Haftende (§ 7 VersStG).3 Im vom Gesetzgeber unterstellten Grundfall ist der Versicherungsnehmer zwar der Steuerschuldner (§ 7 Abs. 1 VersStG), er ist aber nur ausnahmsweise verpflichtet, die Versicherungsteuer zu entrichten (§ 7 Abs. 6 VersStG). Diese Steuerentrichtungspflicht trifft im Regelfall den Versicherer (§ 7 Abs. 1 VersStG). Darüber hinaus ist auch eine Haftung für die Steuerentrichtungsschuld vorgesehen (§ 7 Abs. 7 VersStG). Zur Abgabe der für die VersSt maßgeblichen Steueranmeldung ist der Steuerentrichtungsschuldner (§ 8 Abs. 1 VersStG) verpflichtet, wobei die VersSt selbst zu berechnen (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 8 Abs. 1 VersStG) und innerhalb von 15 Tagen nach Ablauf eines jeden Anmeldezeitraums an das BZSt (§ 7a VersStG) abzuführen ist. Anmeldezeitraum ist grundsätzlich der Kalendermonat und ausnahmsweise das Kalendervierteljahr oder das Kalenderjahr (§ 8 Abs. 2 VersStG). Neben den vorbezeichneten Anmeldepflichten treffen Steuerschuldner, Steuerentrichtungsschuldner und Haftende (§ 7 Abs. 8 Satz 1 VersStG) vor allem die in § 10 Abs. 1 VersStG aufgeführten Aufzeichnungspflichten.

20.6

3. Pflichtverletzungen Unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten sind in der Praxis insbesondere diejenigen Fälle von Bedeutung, in denen Versicherer in Drittstaaten ansässig sind und demzufolge der inländische Versicherungsnehmer als Steuerentrichtungspflichtiger (ausnahmsweise) zur Abgabe der Steueranmeldung verpflichtet ist.

1 Abgestellt wird auf Wohnsitz (§ 8 AO), gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) und Sitz (§ 11 AO). 2 Entsprechend § 1 Abs. 3 Nr. 2 VersStG. 3 § 7 Abs. 3–6 VersStG sollen geändert werden (RegE v. 15.7.2020, BT-Drs. 19/21089).

Schaumburg | 999

20.7

Kap. 20 Rz. 20.8 | Versicherungsteuerrecht

20.8

Beispiel: Die in Deutschland ansässige A-AG schließt bei dem in den USA niedergelassenen Versicherungsunternehmen eine weltweit geltende Betriebshaftpflichtversicherung ab. Vom Versicherungsschutz umfasst ist der gesamte Konzern der A-AG u.a. mit Tochtergesellschaften im EU-/EWRBereich und in Drittstaaten. Der für den Vorstandsbereich Recht, Steuer und Versicherungen zuständige B hat für die zu entrichtenden Versicherungsprämien die Zahlung in den USA veranlasst.1

20.9

Im Hinblick darauf, dass zum Zeitpunkt der Zahlung der Versicherungsprämien an den in den USA ansässigen Versicherer die A-AG im Inland ihren Sitz (§ 11 AO) hatte, ist die Steuerbarkeit nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG gegeben. Mangels Steuerbefreiung (§ 4 VersStG) trifft die A-AG die Steuerschuld, da der Versicherer in den USA als Drittstaat ansässig ist (§ 7 Abs. 6 VersStG). Hiernach hätte B für die Abgabe einer Steueranmeldung innerhalb von 15 Tagen nach Ablauf des Monats, in dem das Versicherungsentgelt gezahlt wurde (§ 8 Abs. 3 VersStG)2 sowie für die Zahlung der entsprechenden Versicherungsteuer (19%) zu diesem Zeitpunkt seitens der A-AG als Versicherungsnehmerin an das BZSt Sorge tragen müssen. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG ist ebenfalls unerheblich, dass die Versicherungsteuer auch die Risiken der ausländischen Tochtergesellschaften von deutscher Versicherungsteuer erfasst mit der Folge einer Doppel- bzw. Mehrfachbesteuerung. Der vergleichbare Vorgang innerhalb des EU-/EWR-Bereichs würde demgegenüber keine Doppelbesteuerung auslösen. Diese steuerliche Benachteiligung von Drittlandsverhalten verstößt zwar gegen Art. 3 Abs. 1 GG,3 für Zwecke des Steuerstrafrechts ändert ein etwaiger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG aber nichts daran, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist.4 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die betreffende Norm für nichtig erklärt wird.5 B hätte also innerhalb der 15-Tage-Frist des § 8 Abs. 3 VersStG eine Steueranmeldung beim BZSt abgeben müssen. Dieser Verpflichtung ist er nicht nachgekommen, so dass der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) erfüllt ist. Ob B vorsätzlich gehandelt hat, ist Tatfrage. Sofern B nicht wusste, dass eine Steueranmeldung abzugeben war, stellt sich die Frage, ob insoweit ein vermeidbarer Verbotsirrtum vorlag (Rz. 11.302 ff.).

II. Konzernumlagen 1. Überblick 20.10

Insbesondere bei internationalen Konzernen ist es üblich, dass für innerkonzernliche Dienstleistungen ein Entgelt verrechnet wird. Aus steuerrechtlicher Sicht ist eine derartige Verrechnung schon zwecks Vermeidung einer Einkünftekorrektur6 erforderlich (Rz. 14.241 ff.). Eine derartige Verrechnung erfolgt in aller Regel mittels Einzelverrechnung seitens des leistenden Konzernunternehmens.7 Soweit von dritter Seite Leistungen für den gesamten Konzern von nur einem Konzernunternehmen in Anspruch genommen werden, ist die Verrechnung der 1 Zu diesem Beispiel vgl. Klink, DStR 2019, 1729 (1731). 2 Vgl. zur geplanten Änderung des § 8 Abs. 3 VersStG den RegE v. 15.7.2020, BT-Drs. 19/21089. 3 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 11.25; de Weerth, DB 2014, 2679; zur gebotenen Gleichbehandlung von EU-/EWR-Fällen nach Drittlandsfällen vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.24 ff. 4 Auch eine verfassungswidrige Steuer kann hinterzogen werden; vgl. BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BStBl. II 2002, 259; BFH v. 27.10.2000 – VIII B 77/20, BStBl. II 2001, 16; Joecks in J/J/R9, 369 AO Rz. 31; Krumm in T/K, § 370 AO Rz. 4; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 6c. 5 Dagegen schon ab Unvereinbarkeitserklärung z.B. Seer in T/L23, § 23 Rz. 3 m.w.N. 6 Verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG), Einkünfteberichtigung gem. § 1 AStG. 7 Vgl. hierzu nur Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 178 ff.

1000 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 20.14 Kap. 20

verauslagten Kosten auch über Umlagen üblich.1 Zu diesen verrechenbaren Kosten zählen auch solche, die für Versicherungen aufgewendet werden. Ist ein ausländisches Konzernunternehmen Versicherungsnehmer und umfasst der Versicherungsschutz auch deutsche Konzernunternehmen, ist der hierauf entfallende Anteil an der Versicherungsprämie gem. § 1 Abs. 3 Nr. 3 VersStG steuerbar.2 Soweit die anteilige Versicherungsprämie seitens des deutschen Konzernunternehmens im Wege der Konzernumlage entrichtet worden ist, kommt es als Haftende für die Versicherungssteuer in Betracht, die von dem ausländischen Konzernunternehmen als Versicherungsnehmer (§ 7 Abs. 6 VersStG) geschuldet wird (§ 7 Abs. 7 Nr. 3 VersStG).

2. Pflichtenkreis Sind weder der Versicherer noch ein zur Entgegennahme des Versicherungsentgelts Bevollmächtigter im EU-/EWR-Bereich ansässig, hat der Versicherungsnehmer die Versicherungsteuer zu entrichten (§ 7 Abs. 6 VersStG). Für diesen Fall hat der Versicherungsnehmer innerhalb von 15 Tagen nach Ablauf des Monats, in dem das Versicherungsentgelt gezahlt worden ist, eine Steueranmeldung beim BZSt (§ 7a VersStG) abzugeben und die selbst berechnete Steuer zu entrichten (§ 8 Abs. 3 VersStG). Geschieht dies nicht, kann die versicherte Person durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 7 Abs. 7 Nr. 3 VersStG).

20.11

3. Pflichtverletzungen Die gem. § 8 Abs. 3 VersStG gebotene Abgabe einer Steueranmeldung und Zahlung der Versicherungsteuer durch den ausländischen Versicherungsnehmer unterbleibt nicht selten, weil den Verantwortlichen die Anmeldepflicht zumeist nicht bekannt ist. Das gilt auch in den Fällen, in denen die anteiligen Versicherungsprämien durch Konzernumlage an den inländischen Versicherten weitergegeben werden.

20.12

Beispiel: Die in Deutschland ansässige A-GmbH ist Tochtergesellschaft der US-amerikanischen YInc, die weltweit zahlreiche Beteiligungen an weiteren Kapitalgesellschaften hält. Die Y-Inc hat bei dem ebenfalls in den USA ansässigen Versicherungsunternehmen X eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen. Diese Versicherung deckt die Risiken aller Konzerngesellschaften ab. Im Wege einer Konzernumlage wird der deutschen A-GmbH der auf sie entfallende Anteil an der von der YInc an X gezahlten Versicherungsprämie weiterberechnet. Im Zuge einer bei der A-GmbH durchgeführten Betriebsprüfung wird festgestellt, dass weder die Y-Inc noch die A-GmbH beim BZSt eine Steueranmeldung abgeben haben. Im Hinblick darauf wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.3

20.13

Der auf die A-GmbH entfallende Anteil an der von der Y-Inc an das Versicherungsunternehmen X gezahlten Versicherungsprämie ist in Deutschland steuerbar (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 VersStG). Dass Versicherungsnehmerin und Versicherer in den USA ansässig sind, spielt keine Rolle. Gem. § 1 Abs. 3 Nr. 3 VersStG kommt es allein darauf an, dass der Versicherungsschutz der in den USA abgeschlossenen Betriebshaftpflichtversicherung auch die deutsche AGmbH umfasst.4 Steuerschuldnerin ist als Versicherungsnehmerin die Y-Inc (§ 7 Abs. 1 VersStG), die die Versicherungsteuer auch zu entrichten hat (§ 7 Abs. 6 VersStG).

20.14

1 2 3 4

Vgl. hierzu nur Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2051 ff. Zu Einzelheiten Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 306 ff.; Klink, DStR 2019, 1729 (1731 f.). Zu diesem Beispiel vgl. Klink, DStR 2019, 1729 (1732). Anknüpfungspunkt ist die Betriebsbezogenheit.

Schaumburg | 1001

Kap. 20 Rz. 20.14 | Versicherungsteuerrecht

Im Hinblick darauf hätte die Y-Inc beim BZSt eine Steueranmeldung abgeben müssen (§ 8 Abs. 3 VersStG). Da die Abgabe unterblieben ist und zudem die Versicherungsteuer nicht abgeführt wurde, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) erfüllt. Ob der für die Tatbestandsverwirklichung erforderliche Vorsatz gegeben ist, wird erst aufgrund weiterer Ermittlungen feststellbar sein. Insbesondere bedarf es hier der Feststellung, welche Personen für die Abgabe der Steueranmeldung verantwortlich waren. Hierbei ist ohne Belang, wo die betreffenden Personen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 370 Abs. 7 AO).

1002 | Schaumburg

Kapitel 21 Energiesteuerrecht A. B. I. 1. 2. 3.

Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . 21.1 Typische Problembereiche Steueraussetzungsverfahren Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.8 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . 21.13

II. 1. 2. 3.

Steuerrechtlich freier Verkehr Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.18 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.21 Pflichtenverletzungen . . . . . . . . . . . . 21.22

Literatur (Gesamtdarstellungen): Bender/Möller/Retemeyer, Steuerstrafrecht, Regensburg (Loseblatt); Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018; Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2020, Rz. 19.1 ff.; Englisch in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 17 Rz. 105 ff.; Förster, Die Verbrauchsteuern, Geschichte, Systematik, finanzverfassungsrechtliche Vorgaben, Heidelberg 1989; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016; Kruse, Zölle, Verbrauchsteuern, europäisches Marktordnungsrecht, DStJG 11 (1988); Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 11.40 ff. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1037 ff., 1103 ff.

A. Allgemeine Hinweise Im internationalen Kontext haben die Energiesteuern als Verbrauchsteuern1 Bedeutung vor allem im Rahmen des Steueraussetzungsverfahrens bei Beförderungen aus anderen und in andere Mitgliedstaaten der EU sowie bei Ein- und Ausfuhr aus oder in Drittgebiete. In den vorgenannten Fällen besteht die Besonderheit, dass unter bestimmten Voraussetzungen Verbrauchsteuern nicht erhoben werden, solange sich die verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisse in einem Steueraussetzungsverfahren oder einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren befinden. Die Verbrauchsteuern entstehen erst dann, wenn die betreffenden Erzeugnisse in den steuerrechtlich (zollrechtlich) freien Verkehr überführt werden etwa durch Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung oder dem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren. Im Ergebnis wird hierdurch die Steuerentstehung zeitlich nah an die Abgabe der betreffenden Erzeugnisse oder Waren an den Verbraucher herangeführt,2 wodurch zugleich dem Hersteller oder Händler ermöglicht wird, die Steuer auf den Kunden abzuwälzen, bevor diese an den Fiskus abzuführen ist.3

1 Tabaksteuer, Biersteuer, Alkopopsteuer, Schaumweinsteuer, Kaffeesteuer, Energiesteuer und Stromsteuer. 2 Hierzu Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 144; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 11.5; Stobbe, ZfZ 1993, 194 (197). 3 Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 5 EnergieStG Rz. 3.

Schaumburg | 1003

21.1

Kap. 21 Rz. 21.2 | Energiesteuerrecht

21.2

Neben der klassischen Verbrauchsteuerhinterziehung – z.B. Heizölverdieselung und Schwarzbrennen – haben Hinterziehungshandlungen im grenzüberschreitenden Verkehr mit anderen EU-Mitgliedstaaten große praktische Bedeutung.1 Hinzu kommt, dass auch die Hinterziehung von (harmonisierten) Verbrauchsteuern anderer EU-Mitgliedstaaten in Deutschland unter Strafe gestellt ist (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO).

21.3

Zu den harmonisierten Verbrauchsteuern gehören u.a. die Energiesteuern und die Tabaksteuer (zu den Verbrauchsteuern allgemein im Überblick Rz. 14.157 ff.).

B. Typische Problembereiche I. Steueraussetzungsverfahren Literatur: Kommentare zum Energiesteuerrecht; Bender, Heizölverdieselung als Straftatbestand, ZfZ 1983, 232; Bender/Möller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, Regensburg, Loseblatt; Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Rz. H 1 ff.; Friedrich, Das neue Energiesteuerrecht, DB 2006, 1577; Hölscher, Die Entwicklung des Energiesteuerrechts, RdE 2010, 48; Khazoum/Kudla, Energie und Steuern: Energie- und Stromsteuerrecht in der Praxis, Wiesbaden 2011; Meißner, Das Energie und Stromsteuerrecht im Überblick, StEW 2010, Heft September, 1; Scheuer, Unregelmäßigkeiten beim innergemeinschaftlichen Versand verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung, ZfZ 2007, 2; Schmidtke/Jansen, Änderungen im Energie- Stromsteuerrecht, ZfZ 2010, 286; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017; Stein/ Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 3. Aufl. Köln 2016; Thoms, Aktuelle Entwicklungen im Energieund Stromsteuerrecht, ZfZ 2010, 5.

1. Überblick 21.4

Die Energiesteuer belastet die Verwendung von Energieerzeugnissen als Kraftstoffe und als Heizstoffe, und zwar insbesondere Mineralöl (Benzin), Kohle und Erdgas. Zugleich verfolgt die Energiesteuer ökologische Lenkungszwecke, die darauf abzielen, den Energieverbrauch und damit schädliche Emissionen abzusenken. Die Energiesteuer ist als indirekte Steuer auf Überwälzung angelegt.2 Hierfür genügt im Grundsatz die Gewährleistung der abstrakten Überwälzbarkeit.3 Das wird im Grundsatz insbesondere durch das Steueraussetzungsverfahren4 sichergestellt. Dieses Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG) bewirkt, dass eine Steuer nicht entsteht, so lange Energieerzeugnisse aus dem Steuerlager nicht zum steuerrechtlich freien Verkehr entnommen oder sonst wie in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werden (§ 8 Abs. 1 EnergieStG). Im Kern geht es darum, innerhalb der Unternehmerkette, also im Rahmen des sog. Lager- und Beförderungsverfahrens (§§ 5 ff. EnergieStG), das Entstehen einer Energiesteuer zu vermeiden. Erst mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr, also typischerweise zu dem Zeitpunkt, zu dem die Energieerzeugnisse dem 1 Hierzu Möller/Retemeyer in Bender/Möller/Retemeyer, Steuerstrafrecht, C VI Rz. 1489 ff. 2 Hierzu Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 37 (55); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerecht4, Rz. 11.41. 3 BVerfG v. 10.5.1962 – 1 BvL 31/58, BVerfGE 14, 76 ff. (97); BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 (289, 295); BVerfG v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/76, BVerfGE 27, 375 (384); BVerfG v. 1.4.1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 (20); BFH v. 10.11.2009 – VII R 39/08, BFHE 227, 546; vgl. auch § 60 EnergieStG. 4 Das zollrechtliche Nichterhebungsverfahren bei Einfuhr von Energieerzeugnissen aus Drittländern oder Drittgebieten (§§ 19 ff. EnergieStG) wird hier nicht dargestellt.

1004 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 21.6 Kap. 21

Endverbrauch zugeführt werden, entsteht somit die Energiesteuer. Das Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG) dient auch der Realisierung des Bestimmungslandprinzips, wonach sich der Steueranspruch nach den Regelungen des Staates richtet, in dem der Verbrauch erfolgt.1 Das gilt im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU ebenso wie im Verhältnis zu Drittstaaten (§§ 11, 13 EnergieStG). Das Steueraussetzungsverfahren für die in § 4 EnergieStG aufgeführten Energieerzeugnisse ist als Lager- oder als Beförderungsaussetzungsverfahren (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnergieStG) vorgesehen. Zu den als Steuerlager zu qualifizierenden Herstellungsbetrieben zählen insbesondere Raffinerien, in denen Rohöl weiterverarbeitet wird.2 Ein derartiger Herstellungsbetrieb wird allerdings nur dann als Steuerlager anerkannt, wenn hierfür eine entsprechende Erlaubnis des zuständigen Hauptzollamts vorliegt (§ 6 Abs. 3 EnergieStG i.V.m. § 12 EnergieStV). Mit der Erlaubnis werden vom Hauptzollamt auch die für die Teilnahme am IT-Verfahren EMCS3 notwendigen Verbrauchsteuernummern vergeben.4 Ohne Erlaubnis entsteht die Energiesteuer bereits mit der Herstellung. Als Steuerlager wird auch ein Lager für Energieerzeugnisse angesehen. Hierzu gehören insbesondere Großtankanlagen, also solche Lager, die insbesondere dem Großhandel dienen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG). Auch hier ist eine Erlaubnis durch das Hauptzollamt erforderlich (§ 7 Abs. 2 EnergieStG i.V.m. § 16 EnergieStV). Ohne Erlaubnis ist ein Steueraussetzungsverfahren nicht möglich.

21.5

Das Lageraussetzungsverfahren wird mit der Entnahme der Energieerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr beendet, womit zugleich die Energiesteuer entsteht (§ 8 Abs. 1 EnergieStG).5 Entsprechendes gilt, wenn die Erlaubnis zum Betrieb des Steuerlagers erlischt (§ 14 Abs. 5 EnergieStV). Im Anschluss an die Lagerung können Energieerzeugnisse allerdings in einem Beförderungsaussetzungsverfahren an andere Verfahrensbeteiligte im Steuergebiet oder in einem anderen Mitgliedstaat abgegeben oder in ein Drittland ausgeführt werden.6 Ein derartiges Beförderungsaussetzungsverfahren ist zulässig bei Beförderungen im Steuergebiet (§ 10 EnergieStG), bei Beförderungen aus anderen und in andere Mitgliedstaaten (§ 11 EnergieStG) oder bei der Ausfuhr (§ 13 EnergieStG). Voraussetzung ist, dass zusätzlich zu dem im Rahmen des EMCS zu erstellenden elektronischen Verwaltungsdokuments (E-VD)7 bei Lieferungen an bestimmte begünstigte Empfänger8 eine Freistellungsbescheinigung9 ausgefertigt und mitgeführt wird. Schließlich müssen sowohl Versender als auch Empfänger über die entsprechenden Erlaubnisse10 verfügen.11 Damit müssen für die Eröffnung eines Steuerausset-

21.6

1 Hierzu Schaumburg in FS Reiß, 2008, 25 (42). 2 Jatzke in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 5 EnergieStG Rz. 22. 3 Es handelt sich hierbei um ein EDV-gestütztes Beförderungs- und Kontrollsystem für verbrauchsteuerpflichtige Waren (Excise Movement and Control System) 4 Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 6 EnergieStG Rz. 31. 5 Ein entgegenstehender Wille des Lagerinhabers ist unbeachtlich; vgl. BFH v. 20.2.2012 – VII B 146/11, BFH/NV 2012, 1103. 6 Hierzu Jatzke in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 5 EnergieStG Rz. 26. 7 Hierzu Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 9d EnergieStG Rz. 22 ff.; zum Verfahren mittels EVD Soyk in Friedrich/Soyk, § 9d EnergieStG Rz. 9 ff. 8 Art. 12 Abs. 1 SystemRL. 9 § 9d Abs. 2 EnergieStG; hierzu Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 9d EnergieStG Rz. 13 ff.; Soyk in Friedrich/Soyk, § 9d EnergieStG Rz. 29 ff. 10 Vgl. § 6 Abs. 3, § 7 Abs. 2 EnergieStG. 11 Diese werden in der zentralen Stammdatenbank SEED (System for Exchange of Excise Data) hinterlegt (die nationale SEED-Datenbank wird beim Hauptzollamt Stuttgart geführt); Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 9d EnergieStG Rz. 20 f.

Schaumburg | 1005

Kap. 21 Rz. 21.6 | Energiesteuerrecht

zungsverfahrens z.B. für Beförderungen in andere Mitgliedstaaten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:1 – Energieerzeugnisse nach § 4 EnergieStG; – Versender als Inhaber eines Steuerlagers (§ 5 Abs. 2 i.V.m. §§ 6, 7 EnergieStG) oder als registrierter Versender (§ 9b EnergieStG), die stets eine Erlaubnis haben müssen (§ 6 Abs. 3, § 7 Abs. 2, § 9b Abs. 2 EnergieStG); – Empfänger mit Ansässigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als Inhaber eines Steuerlagers (Art. 4 Nr. 11 SystemRL)2 oder als registrierter Empfänger (Art. 4 Nr. 9 SystemRL), die stets eine Erlaubnis haben müssen (Art. 16 Abs. 1 SystemRL) und – Verwendung eines E-VD (§ 9d Abs. 1 EnergieStG).

21.7

Das Beförderungsaussetzungsverfahren wird regelmäßig durch Übernahme der Ware durch den Empfänger oder bei erfolgter Ausfuhr beendet (§ 11 Abs. 4 Satz 2, § 13 Abs. 4 Satz 2 EnergieStG).

2. Pflichtenkreis 21.8

Im Zusammenhang mit dem Steueraussetzungsverfahren für Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG), die sich in einem Steuerlager (§§ 6 ff. EnergieStG) befinden und daran anschließend in andere Mitgliedstaaten der EU befördert oder in Drittstaaten ausgeführt werden (§§ 11, 13 EnergieStG), ergeben sich zahlreiche den Beteiligten obliegende besondere Verpflichtungen. So haben Hersteller von Energieerzeugnissen sowie entsprechende Lagerhalter für Zwecke der Steueraussetzung (Lageraussetzungsverfahren) vor allem folgende Pflichten zu erfüllen: – Einrichtungsverpflichtung, wonach der Herstellungsbetrieb bzw. das Lager so eingerichtet sein müssen, dass der Gang der Herstellung und der Verbleib der Erzeugnisse im Betrieb von der Steueraufsicht (Hauptzollamt) verfolgt werden können und die Lagerung von Energieerzeugnissen verschiedener Art getrennt voneinander und übersichtlich erfolgt (§§ 13, 17 EnergieStV); – Führung eines Belegheftes, in dem der mit dem Hauptzollamt geführte relevante Schriftverkehr zu erfassen ist (§ 15 Abs. 1, § 19 Abs. 1 EnergieStV); – Aufzeichnungspflichten, wonach Zu- und Abgänge von Energieerzeugnissen zu vermerken sind (§ 15 Abs. 2, § 19 Abs. 2 EnergieStV); – Anmeldepflichten, wonach dem zuständigen Hauptzollamt auf Verlangen Zusammenstellungen über die Abgabe von steuerfreien Energieerzeugnissen vorzulegen sowie bis zum 15.2. jeden Jahres nichtsteuerbefreite Energieerzeugnisse3 anzumelden sind (§ 15 Abs. 3, § 19 Abs. 3 EnergieStV); – Anzeigepflichten, wonach dem Hauptzollamt zwischenzeitlich eingetretene Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse anzuzeigen sind (§ 15 Abs. 8, § 19 Abs. 8 EnergieStV); – Gestellung von Sicherheiten, soweit Anzeichen für eine Gefährdung der Steuer erkennbar sind (§ 6 Abs. 3 Satz 3, § 7 Abs. 2 Satz 3 EnergieStG). 1 Zu Einzelheiten Soyk in Friedrich/Soyk, § 11 EnergieStG Rz. 11 ff. 2 Richtlinie 2008/118/EG, ABl. EU 2009 Nr. 9,12. 3 Vgl. § 28 EnergieStG.

1006 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 21.12 Kap. 21

Soweit Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG) aus dem Steuerlager entfernt werden, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG),1 ist eine Steueranmeldung abzugeben (§ 8 Abs. 3, 4 EnergieStG i.V.m. § 23a EnergieStDV), wobei die Steueranmeldung die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung hat (§ 167 Satz 1 AO).

21.9

Für Zwecke des Beförderungsaussetzungsverfahrens (§ 9d EnergieStG) sind folgende Verpflichtungen von Bedeutung:

21.10

– Teilnahme am IT-Verfahren EMCS,2 wonach dem zuständigen Hauptzollamt der Entwurf eines E-VDs3 nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz zu übersenden ist (§ 28b Abs. 1 EnergieStV);4 – unverzüglicher Beginn der Beförderung in einen anderen Mitgliedstaat der EU oder im Falle der Ausfuhr in einen Drittstaat (§ 11 Abs. 3 Nr. 1, § 13 Abs. 3 EnergieStG); – Gestellung von Sicherheiten (§ 11 Abs. 2 EnergieStG); – Anzeigepflicht für den Fall, dass es während der Beförderung unter Steueraussetzung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist (§ 37a EnergieStV); – Steueranmeldung für den Fall, dass die Energiesteuer aufgrund einer Unregelmäßigkeit während der Beförderung entstanden ist (§ 14 Abs. 2, 7 EnergieStG), wobei die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 167 Satz 1 AO) gleichsteht. Im Hinblick darauf, dass die Hersteller von Energieerzeugnissen sowie die Lagerhalter der Steueraufsicht unterliegen (§ 61 EnergieStG i.V.m. § 209 AO), haben die Betroffenen auf Verlangen des Hauptzollamts die Herkunft der Energieerzeugnisse anzugeben, die erforderliche Hilfe bei Probeentnahmen zu leisten (§ 61 Abs. 2 Satz 3 EnergieStG) sowie über den Bezug, den Vertrieb, den Transport, die Lagerung und die Verwendung von Energieerzeugnissen besondere Aufzeichnungen zu führen (§ 106 EnergieStV).

21.11

Neben den insbesondere im Zusammenhang mit dem Steueraussetzungsverfahren bestehenden besonderen Mitwirkungspflichten ergeben sich weitere Pflichten der Beteiligten, die für Verbrauchsteuern allgemein von Bedeutung sind. Hierzu gehören Anzeige- und Meldepflichten (§ 139 Abs. 1 AO), Mitwirkungspflichten bei Steueraufsichtsmaßnahmen (§ 211 Abs. 1 AO) sowie die Führung von Büchern und Belegheften (z.B. § 15 Abs. 1, 2, § 19 Abs. 1, 2, § 26 Abs. 4, § 56 Abs. 2, 3 EnergieStV).5

21.12

1 Das Erlöschen der Erlaubnis steht der Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr gleich, § 14 Abs. 5 EnergieStV. 2 Excise Movement and Control System. 3 Elektronisches Verwaltungsdokument. 4 Sind alle Angaben im E-VD zutreffend, erhält der Versender das E-VD zusammen mit einem eindeutigen Referenzcode zurück, sodass erst zu diesem Zeitpunkt ein gültiges E-VD vorliegt; hierzu Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 9d EnergieStG Rz. 23. 5 Hierzu der Überblick bei Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, Rz. F 57 ff.

Schaumburg | 1007

Kap. 21 Rz. 21.13 | Energiesteuerrecht

3. Pflichtverletzungen 21.13

In den Fällen, in denen im Nachhinein, etwa wegen entsprechender Pflichtverletzungen, Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit entstehen oder gegen die Buchführungs- und Jahresabschlusspflichten verstoßen wird, muss die Erlaubnis, Energieerzeugnisse unter Steueraussetzung herzustellen oder zu lagern, widerrufen werden (§ 6 Abs. 3, 4, § 7 Abs. 2, 3 EnergieStG). Erlischt die Erlaubnis für den Herstellerbetrieb, gelten die Energieerzeugnisse zu diesem Zeitpunkt als in den steuerrechtlich freien Verkehr entnommen (§ 14 Abs. 5 EnergieStV). Dies gilt auch für den Fall, dass dem Lagerhalter die Erlaubnis widerrufen wird (§ 18 Abs. 2 EnergieStG i.V.m. § 14 Abs. 5 EnergieStV). Die Erlaubnis ist zudem zu widerrufen, wenn eine angeforderte Sicherheit nicht geleistet wird (§ 6 Abs. 4 Satz 1, § 7 Abs. 3 Satz 1 EnergieStG), und sie kann widerrufen werden, wenn eine geleistete Sicherheit nicht mehr ausreicht (§ 6 Abs. 4 Satz 2, § 7 Abs. 3 Satz 2 EnergieStG). Auch in diesen Fällen gelten die im Herstellerbetrieb oder im Lager befindlichen Energieerzeugnisse als in den steuerrechtlich freien Verkehr entnommen. Schließlich können Energieerzeugnisse, für die der Nachweis nicht erbracht werden kann, dass sie sich in einem Steueraussetzungsverfahren befinden, sichergestellt werden (§ 65 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG).

21.14

§ 64 EnergieStG enthält eigene Bußgeldvorschriften, wonach Verstöße gegen die formalen Erfordernisse und Mitwirkungspflichten im Steuererhebungsprozess geahndet werden. Sind sowohl die objektiven als auch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben. Hiernach kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden (§ 381 Abs. 2 AO). Darüber hinaus enthält § 111 EnergieStV, der auf der Grundlage des § 381 Abs. 1 AO ergangen ist,1 einen umfassenden Katalog von Tatbeständen, die zu einer Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO führen, wobei insbesondere bei Verletzung von Aufsichtspflichten in Betrieben und Unternehmen § 130 OWiG in Betracht kommt.2 Gegenüber der in § 381 AO verankerten Verbrauchsteuergefährdung ist die in § 378 AO geregelte leichtfertige Steuerverkürzung vorrangig (§ 381 Abs. 2 AO).

21.15

In der Praxis sind jene Fälle von besonderer Bedeutung, in denen durch die Verkürzung von Energiesteuern der mit Vorrang anzuwendende Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO)3 erfüllt ist.4

21.16

Beispiel: Die im Inland ansässige A-GmbH betreibt einen Mineralölgroßhandel und unterhält zu diesem Zweck mehrere große Lagertanks. Die A-GmbH hat von dem zuständigen Hauptzollamt die Erlaubnis erhalten, das Mineralöl5 unter Steueraussetzung6 zu lagern. Im August 2018 liefert die AGmbH Mineralöl an einen polnischen Mineralölhändler, der unter dem Namen X mit dem Geschäftsführer A der A-GmbH entsprechende Lieferverträge abgeschlossen hat. Der polnische Mineralölhändler legt bei Abschluss des Liefervertrages dem A eine auf den Namen X lautende Lagererlaubnis der

1 Nach h.M. ist § 381 Abs. 1 AO eine taugliche Ermächtigungsgrundlage, so Jäger/Ebner in J/J/R8, § 381 AO Rz. 7 f.; Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 66 EnergieStG Rz. 2; Friedrich in Friedrich/Soyk, § 66 EnergieStG Rz. 10; a.A. Voss, BB 1996, 1695 (1697). 2 Friedrich in Friedrich/Soyk, § 64 EnergieStG Rz. 16 f. 3 In Betracht kommen auch Bannbruch bei verbotswidriger Einfuhr von Energieerzeugnissen (§ 372 AO) und insbesondere Steuerhehlerei (§ 374 AO). 4 Zur Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem vorschriftswidrigen Umgang mit Energieerzeugnissen Möller/Retemeyer in Bender/Möller/Retemeyer, Steuerstrafrecht, C VI Rz. 1644 ff. 5 Energieerzeugnis i.S.d. § 4 EnergieStG. 6 Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 2 EnergieStG.

1008 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 21.17 Kap. 21 zuständigen polnischen Zollbehörde vor. Nachdem A die vom polnischen Mineralölhändler vorgelegte Lagererlaubnis und die von ihm angegebene Verbrauchsteuernummer über die SEED-Datei1 abgeprüft hat und ihm ein vom zuständigen Hauptzollamt übermitteltes mit einem Referenzcode versehenes E-VD vorliegt, gibt er die vertraglich vereinbarten Mineralölmengen an den polnischen Mineralölhändler frei, der das Mineralöl von einem von ihm beauftragten Spediteur gegen Vorkasse abholt und einen Ausdruck des E-VD mitführt. Das mit dem polnischen Mineralölhändler vereinbarte Entgelt liegt erheblich über den Marktpreisen. A hat zu keinem Zeitpunkt eine Identitätsprüfung vorgenommen. Ende 2018 wird aufgrund entsprechender Hinweise vom zuständigen Hauptzollamt festgestellt, dass das von der A-GmbH gelieferte Mineralöl von dem polnischen Mineralölhändler an ein polnisches Tankstellenunternehmen verkauft wurde. Zudem wird festgestellt, dass X, der tatsächlich polnischer Erlaubnisinhaber ist, von den vorgenannten Vorgängen keinerlei Kenntnisse hat. Gegen A wird als Geschäftsführer der A-GmbH ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet.

Für die Mineralöllieferungen an den polnischen Mineralölhändler ist die Energiesteuer bereits dadurch entstanden, dass das Mineralöl aus dem Steuerlager der A-GmbH entfernt wurde, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren angeschlossen hat (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). Ein sich an die Lagerung anschließendes Aussetzungsverfahren für die Beförderung in einen anderen Mitgliedstaat der EU ist hier nicht gegeben, weil die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EnergieStG nicht erfüllt sind. Dies deshalb nicht, weil der Empfänger objektiv zum Bezug der Energieerzeugnisse nicht berechtigt war. Empfänger war hier nicht, wie vorgetäuscht, der Erlaubnisinhaber X, sondern der polnische Mineralölhändler, der lediglich unter dem Namen X aufgetreten ist. Dass sich möglicherweise der Geschäftsführer A bei Abschluss des Vertrages vorgestellt hat, der polnische Mineralölhändler sei tatsächlich X als Empfänger mit einer entsprechenden Steuerlagererlaubnis, spielt keine Rolle. Denn maßgeblich ist allein eine objektive Betrachtungsweise mit der Folge, dass auch bei irriger Vorstellung über die Berechtigung des Empfängers ein Steueraussetzungsverfahren nicht wirksam eröffnet werden kann. Abzustellen ist damit stets auf die materielle Berechtigung des Empfängers.2 Somit ist mit dem Entfernen des Mineralöls aus dem Steuerlager der A-GmbH (Entnahme in den freien Verkehr) die Energiesteuer entstanden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). Im Hinblick darauf bestand die Verpflichtung für A als gesetzlichen Vertreter der AGmbH bis zum 15.9.2018 eine Steueranmeldung abzugeben (§ 8 Abs. 3 EnergieStG). Dementsprechend hätte die Energiesteuer bis zum 10.10. an das zuständige Hauptzollamt abgeführt werden müssen (§ 8 Abs. 5 EnergieStG). Da A dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt. Im Hinblick darauf, dass A für die Mineralöllieferungen ein über dem Marktpreis liegendes Entgelt vereinbart und dieses zudem in bar vereinnahmt hat, lässt den Schluss zu, dass er es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass der polnische Mineralölhändler tatsächlich kein Erlaubnisinhaber war und das Mineralöl unversteuert verkaufen würde. Angesichts dieser Umstände hätte A Anlass gehabt, sich über die Identität des polnischen Mineralölhändlers Gewissheit zu verschaffen. Im Rahmen weiterer Ermittlungsmaßnahmen wird daher festzustellen sein, ob seitens des A jedenfalls bedingter Vorsatz gegeben war. Anderenfalls werden die Voraussetzungen einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO; s. Rz. 11.296 ff.) gegeben sein.

1 System for Exchange of Excise Data. 2 BFH v. 10.11.2009 – VII R 39/08, ZfZ 2010 76, FG Düsseldorf v. 22.5.2000 – 4 K 8348/97 vBr, ZfZ 2000, 385; Alexander in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 8 EnergieStG Rz. 9.

Schaumburg | 1009

21.17

Kap. 21 Rz. 21.18 | Energiesteuerrecht

II. Steuerrechtlich freier Verkehr 1. Überblick 21.18

Energieerzeugnisse, die sich nicht im Steueraussetzungsverfahren befinden, sind im steuerrechtlich freien Verkehr (§ 1a Nr. 10 EnergieStG).1 Zu den Energieerzeugnissen, die dem Steueraussetzungsverfahren nicht unterworfen sind, gehören jene, die zwar in §§ 1 Abs. 2, 3 EnergieStG, nicht aber in § 4 EnergieStG aufgeführt sind.2 Diese Energieerzeugnisse befinden sich daher stets im steuerrechtlich freien Verkehr3 und lösen erst dann eine Energiesteuer aus, wenn sie in den Kraft- oder Heizstoffbereich gelangen (§ 23 Abs. 1 EnergieStG). Das gilt freilich nicht für Kohle und Erdgas (§ 23 Abs. 1 EnergieStG), für die eigenständige Regelungen (§§ 31 – 44 EnergieStG) bestehen. Dem steuerrechtlich freien Verkehr unterliegen aber auch Energieerzeugnisse i.S.d. § 4 EnergieStG, wenn diese aus einem Verfahren der Steueraussetzung entnommen (§ 8 Abs. 1 EnergieStG) oder außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung hergestellt worden sind (§ 9 Abs. 1 EnergieStG). Damit entsteht zugleich die Energiesteuer, so dass insoweit grundsätzlich dem Bestimmungslandprinzip entsprochen wird. Das gilt allerdings nicht ohne weiteres in grenzüberschreitenden Fällen und zwar insbesondere nicht für Betriebsstoffe in Fahrzeugen (§ 15 Abs. 4 EnergieStG). Insoweit wird aus Vereinfachungsgründen das Bestimmungslandprinzip suspendiert.

21.19

§ 15 Abs. 4 EnergieStG regelt die Steuerbefreiung für Mineralöl, das zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet gelangt. Voraussetzung ist u.a., dass Mineralöl in Hauptbehältern4 von Fahrzeugen, Spezialcontainern, Arbeitsmaschinen und -geräten sowie in Kühl- und Klimaanlagen und in Reservebehältern eines Fahrzeugs bis zu einer Gesamtmenge von 20 Litern mitgeführt wird (§ 15 Abs. 4 Nr. 1 und 2 EnergieStG). Voraussetzung ist zudem, dass das Mineralöl zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht bzw. in Besitz gehalten oder verwendet wird.5

21.20

Wird das Mineralöl im Steuergebiet aus dem Hauptbehälter entnommen, ohne dass hierfür eine technische Notwendigkeit besteht, wird der Steuertatbestand des § 17 Abs. 1 EnergieStG erfüllt. Damit entfällt im Ergebnis die Steuerbefreiung des § 15 Abs. 4 EnergieStG.

2. Pflichtenkreis 21.21

Während für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung gem. § 15 Abs. 4 EnergieStG keine spezifischen Pflichten zu erfüllen sind, hat diejenige Person, die Mineralöl aus dem Hauptbehälter entnimmt, unverzüglich eine Steueranmeldung (§ 150 Abs. 1 Satz 3, § 167 AO) abzugeben. Die Energiesteuer wird hierbei sofort fällig (§ 17 Abs. 2 EnergieStG). 1 Soweit zusätzlich verlangt wird, dass auch ein zollrechtliches Nichterhebungsverfahren nicht gegeben ist, hat diese Regelung lediglich deklaratorische Bedeutung, weil Energieerzeugnisse ihren verbrauchsteuerrechtlichen Status ohnehin erst durch Entnahme aus dem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren erlangen; hierzu Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, Vor § 15 EnergieStG Rz. 12 f.; Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht³. Rz. E2. 2 Vgl. hierzu die Übersicht bei Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 4 EnergieStG Rz. 4; Bongartz/ Schröer-Schallenberg, Das neue Energiesteuergesetz, 18. 3 Allgemein hierzu Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 95 ff. 4 Vgl. Soyk in Friedrich/Soyk, § 15 EnergieStG Rz. 57. 5 Hierzu gehören auch Behälter, die in Nutzfahrzeugen fest eingebaut und zu deren unmittelbarer Kraftstoffversorgung bestimmt sind, und zwar auch dann, wenn sie von einer anderen Person als dem Hersteller eingebaut werden (EuGH v. 10.9.2014 – C-152/13, ECLI:EU:C:2014:2184 – Holger Forstmann Transporte, ZfZ 2014, 301); vgl. § 41 EnergieStV.

1010 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 21.24 Kap. 21

3. Pflichtenverletzungen Vgl. Rz. 20.12 ff.

21.22

Beispiel: Die im Inland ansässige A-GmbH betreibt in der Nähe der Grenze zu Belgien ein Fuhrunternehmen. Mehrmals täglich erledigen A oder seine bei ihm angestellten Fahrer Fuhren im nahen Grenzverkehr. Die von ihm eingesetzten Lastkraftwagen haben von einem Karosseriebauer speziell gefertigte und eingebaute Tanks, die das dreifache Volumen der jeweils vom Hersteller der Lastkraftwagen vorgesehenen Tanks aufzuweisen. Aufgrund entsprechender Hinweise stellen Beamte des Zollfahndungsdienstes fest, dass die von A eingesetzten Lastkraftwagen mehrmals täglich mit vollen Tanks aus Belgien nach Deutschland fahren, um sodann, nachdem der Dieselkraftstoff aus den Tanks abgepumpt wurde, nach Belgien zurückzukehren. Der entsprechende Dieselkraftstoff wurde auf dem Inlandsmarkt bei nicht bekannten Abnehmern abgesetzt. Die Bezugsquelle in Belgien konnte nicht festgestellt werden. Gegen A wird ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet.

21.23

Die Energiesteuer ist hier dadurch entstanden, dass der Dieselkraftstoff durch Abpumpen aus den Tanks (Hauptbehälter) entfernt wurde, ohne dass hierfür eine technische Notwendigkeit bestand (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG). Steuerschuldner ist A als Fuhrunternehmer.1 Ob auch die für die grenzüberschreitenden Fahrten von A eingesetzten Fahrer als Steuerschuldner in Betracht kommen, kann hier offenbleiben.2 Im Hinblick darauf hätte A die entsprechende Energiesteuer anmelden und sofort an das Hauptzollamt abführen müssen (§ 17 Abs. 2 EnergieStG). Da dies nicht geschehen ist, wurde von A der objektive und nach Lage der Dinge auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Sollte A die Umsätze aus dem Verkauf des Dieselkraftstoffs und die entsprechenden hieraus erzielten Gewinne steuerlich nicht erklärt haben, ist auch eine Steuerhinterziehung wegen USt, GewSt und ESt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) gegeben. Insoweit besteht Tatmehrheit (§ 53 StGB).

21.24

1 Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 15 EnergieStG Rz. 67. 2 Vgl. hierzu die Übersicht über die divergierende Rspr. bei Bongartz in Bongartz/Jatzke/SchröerSchallenberg, § 15 EnergieStG Rz. 67.

Schaumburg | 1011

Kapitel 22 Tabaksteuerrecht A. B. I. 1. 2. 3.

Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . 22.1 Typische Problembereiche Steueraussetzungsverfahren Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.5 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.8 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . 22.10

II. Steuerrechtlich freier Verkehr 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.15 2. Pflichtenkreis und Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.16

Literatur (Gesamtdarstellungen): Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. K; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. Köln 2018, § 18 Rz. 111; Jarsombeck, Irrungen und Wirrungen im Tabaksteuerrecht, ZfZ 1998, 69; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, E 1 ff.; Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, Frankfurt 2005; F. Kirchhof, Die steuerrechtliche Doppelbelastung der Zigaretten, Berlin 1990; Köthe/ Knoll, Die Besteuerung von Tabakwaren in Deutschland, BB 2015, 1174; Middendorp, Verbringen von Tabakwaren des steuerrechtlich freien Verkehrs anderer Mitgliedstaaten, ZfZ 2011, 197; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017, Rz. 11.67; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, 1076 ff.

A. Allgemeine Hinweise 22.1

Die im Tabaksteuergesetz geregelte Tabaksteuer ist eine auf der Grundlage der Verbrauchsteuersystemrichtlinie1 und der Tabaksteuerrichtlinie2 harmonisierte Verbrauchsteuer. Sie belastet den Tabakkonsum, womit zugleich die gesundheitspolitische Ausrichtung3 der Tabaksteuer erkennbar wird. Sie ist insoweit als Lenkungsteuer zu qualifizieren.4

22.2

Als (indirekte) Verbrauchsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 2 TabStG) ist die Tabaksteuer darauf gerichtet, die konsumtive Verwendung von Einkommen bzw. Vermögen zu erfassen. Im Hinblick darauf ist die Tabaksteuer wie auch die übrigen Verbrauchsteuern auf Überwälzung angelegt.5 Die Überwälzbarkeit ist zwar in Orientierung an den steuerlichen Belastungsgrund ein Typus bestimmendes Wesensmerkmal,6 es ist aber nicht erforderlich, dass die Überwälzbarkeit nor-

1 Richtlinie 2008/118/EG, ABl. EU 2009 Nr. 9, 12 mit Wirkung ab 16.1.2009. 2 Richtlinie 2011/64/EU über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren v. 21.6.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 176, 24. 3 Vgl. BT-Drucks. 9/844, 8. 4 Zu Einzelheiten Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, 140 ff.; zur mangelnden Folgerichtigkeit Englisch in Tipke/Lang23, § 18 Rz. 129. 5 Vgl. hierzu Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, 137 ff.; Jatzke, ZfZ 2011, 109 (110 f.). 6 Kirchhof, HStR V3, § 118 Rz. 247; Schaumburg in FS Reiß, 2008, 25 (37 f.), Englisch in FS Kirchhof, 2013, § 190 Rz. 7.

1012 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 22.5 Kap. 22

mativ gewährleistet ist.1 Gelingt die Überwälzung nicht,2 mutiert die Tabaksteuer planwidrig zu einer Unternehmensteuer.3 Der Tabaksteuer unterliegen vor allem Zigaretten, Zigarren, Zigarillos und Rauchtabak (§ 1 Abs. 2 TabStG) im Steuergebiet.4 Die Steuer entsteht, wenn die Tabakwaren5 in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werden, es sei denn, es schließt sich eine Steuerbefreiung an (§ 15 Abs. 1 TabStG). Damit wird die Steuerentstehung nah an den Verbrauch herangeführt, so dass z.B. die Herstellung und der Handel von Tabakwaren innerhalb der Unternehmerkette keine Tabaksteuer auslöst. Diesem Zweck dient das Steueraussetzungsverfahren, in dessen Rahmen Tabakwaren (unversteuert) hergestellt, bearbeitet oder verarbeitet, gelagert, empfangen oder versandt und befördert werden dürfen.

22.3

Die Tabaksteuer wird grundsätzlich nicht unmittelbar durch Geldzahlung an das Hauptzollamt, sondern durch Verwendung von Steuerzeichen entrichtet (§ 17 Abs. 1 Satz 1 TabStG).6 Durch Entwertung und Anbringung der Steuerzeichen auf den Verpackungen (§ 35 TabStV) wird für den Verbraucher nach außen hin erkennbar, dass es sich um versteuerte Ware handelt.7

22.4

B. Typische Problembereiche I. Steueraussetzungsverfahren 1. Überblick Das Steueraussetzungsverfahren gilt auch grenzüberschreitend. Im Vordergrund steht hierbei das Beförderungsverfahren, wonach Tabakwaren unter Steueraussetzung, auch über Drittländer oder Drittgebiete, befördert werden dürfen aus anderen, in andere oder über andere EUMitgliedstaaten (§ 12 Abs. 1 TabStG). Im Hinblick darauf dürfen Steuerlagerinhaber (§ 6 TabStG), registrierte Empfänger (§ 7 TabStG) sowie Begünstigte (§ 9 TabStG) Tabakwaren ohne steuerliche Belastung aus anderen EU-Mitgliedstaaten beziehen (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 TabStG). Da registrierte Empfänger nicht berechtigt sind, unter Steueraussetzung zu lagern oder unter Steueraussetzung die Tabakwaren an Dritte abzugeben, entsteht die Tabaksteuer mit der Aufnahme in den Betrieb des registrierten Empfängers (§ 15 Abs. 2 Nr. 3 TabStG). In diesem Zeitpunkt müssen die Steuerzeichen bereits verwendet sein (§ 17 Abs. 1 Satz 3 TabStG).8 1 BVerfG v. 10.5.1962 – 1 BvL 31/58, BVerfGE 14, 76 (97); BVerfG v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375 (384); BVerfG v. 1.4.1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 (20); BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 (289, 295); Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 72 f., 266. 2 Eine in § 60 EnergieStG vergleichbare Regelung fehlt. 3 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1054 f.; Schaumburg in FS Reiß, 2008, 25 (41). 4 Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland (§ 1 Abs. 1 Satz 2 TabStG). 5 Zu den Begrifflichkeiten Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, E 3 ff.; Bongartz in Bongartz/ Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, K 4 ff. 6 Zu Einzelheiten Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, Rz. K 50 ff. 7 Zu dieser Publizitätswirkung Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, Rz. K 52. 8 Vgl. hierzu Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, Rz. K 90 ff.

Schaumburg | 1013

22.5

Kap. 22 Rz. 22.6 | Tabaksteuerrecht

22.6

Neben der Beförderung unter Steueraussetzung in andere EU-Mitgliedsländer (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 TabStG) ist eine Beförderung unter Steueraussetzung auch im Falle der Ausfuhr zulässig (§ 13 Abs. 1 TabStG). Voraussetzung hierfür ist die Beförderung aus einem Steuerlager im Steuergebiet oder von registrierten Versendern vom Ort der Einfuhr im Steuergebiet (§ 13 Abs. 1 TabStG). Soweit die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen bereits entrichtet worden ist, kommt ein Erlass und die Erstattung in Betracht (§ 32 Abs. 1 TabStG).1 Hierdurch wird im Ergebnis das Bestimmungslandprinzip umgesetzt.

22.7

Im Falle der Einfuhr (§ 19 Tabaksteuergesetz) entsteht die Tabaksteuer ohne weiteres, es sei denn, die Tabakwaren werden unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt oder es schließt sich eine Steuerbefreiung an (§ 21 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Befinden sich die Tabakwaren allerdings in einem zollrechtlichen Nicht-Erhebungsverfahren, ist eine Einfuhr nicht gegeben (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 TabStG), so dass die Entstehung der Tabaksteuer bis zur Entnahme aus diesem Verfahren hinausgeschoben wird (Suspensiveffekt).2

2. Pflichtenkreis 22.8

Im Zusammenhang mit dem Lageraussetzungsverfahren und dem Beförderungsaussetzungsverfahren sind von den Beteiligten zahlreiche Verpflichtungen zu erfüllen, und zwar für das Lageraussetzungsverfahren: – Einrichtungsverpflichtung, wonach das Steuerlager so einzurichten ist, dass im Rahmen der Steueraufsicht vor allem der Ablauf der Herstellung, der Be- und Verarbeitung sowie der Verbleib der Tabakwaren verfolgt werden können (§ 4 Abs. 4 TabStV); – Erstellung eines Sortenverzeichnisses, das Tabakwaren, die im Steuerlager hergestellt, beoder verarbeitet, gelagert, empfangen oder aus dem Steuerlager versendet werden, im Einzelnen aufzählt (§ 5 Abs. 3 TabStV); – Führung eines Belegheftes, in dem der mit dem Hauptzollamt geführte relevante Schriftverkehr zu erfassen ist (§ 10 Abs. 1 TabStV); – Aufzeichnungspflichten, wonach in einem Lagerbuch Zu- und Abgänge von Tabakwaren unverzüglich aufzuzeichnen sind (§ 10 Abs. 2 TabStV); – Anmeldepflichten, wonach der Steuerlagerinhaber einmal jährlich im Steuerlager eine Bestandsaufnahme durchzuführen und beim zuständigen Hauptzollamt innerhalb eines Monats nach ihrem Abschluss den Soll- und Ist-Stand sowie das Ergebnis anzumelden und dabei zu Mengenabweichungen Stellung zu nehmen hat (§ 12 Abs. 1 TabStV); – Anzeigepflichten, wonach dem Hauptzollamt zwischenzeitlich eingetretene Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse sowie Änderungen des Sortenverzeichnisses anzuzeigen sind (§ 8 TabStV); eine Anzeigepflicht besteht ferner bei Zerstörung oder Verlust von Tabakwaren im Steuerlager (§ 11 TabStV) sowie bei der gewerblichen Einfuhr von Tabakwaren aus Drittländern oder Drittgebieten (§ 37 TabStV); – Stellung von Sicherheiten als Voraussetzung für die Erlaubnis, ein Steuerlager zu betreiben oder Beförderungen im Steuergebiet vorzunehmen (§ 6 Abs. 1 Satz 5, § 11 Abs. 2 Satz 1 TabStG, § 7 TabStV); 1 Zu Einzelheiten Bongartz in Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, K 111 f. 2 Vgl. Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, E 93 ff.

1014 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 22.11 Kap. 22

– Abgabe einer Steueranmeldung über Steuerzeichen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 TabStG); – Abgabe einer Steuererklärung in den Fällen, in denen Tabakwaren unrechtmäßig aus dem Steuerlager entnommen werden, die Herstellung von Tabakwaren ohne Erlaubnis erfolgte und es während der Beförderung unter Steueraussetzung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist (§ 17 Abs. 3 TabStG). Im Beförderungsaussetzungsverfahren sind vor allem folgende Verpflichtungen von Bedeutung:

22.9

– Erstellen eines elektronischen Verwaltungsdokuments und Mitführung des Ausdrucks während der Beförderung unter Steueraussetzung (§ 17 TabStV) sowie Teilnahme am EDV-gestützten Beförderungs- und Kontrollsystem (§ 16 TabStV); – Stellung von Sicherheiten, falls Steuerbelange gefährdet erscheinen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 TabStG, § 19 TabStV); – Eingangs- und Ausfuhrmeldung bei Verwendung elektronischer Verwaltungsdokumente (§§ 22, 28 TabStV); – Anzeigepflichten bei Unregelmäßigkeiten während der Beförderung (§ 30, § 40 Abs. 3 TabStV).

3. Pflichtverletzungen Ergeben sich aufgrund entsprechender Pflichtverletzungen Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit, ist die Erlaubnis, Tabakwaren unter Steueraussetzung herzustellen oder zu lagern, zu widerrufen (§ 6 Abs. 2 TabStG). Wird die Erlaubnis widerrufen, erlischt die Erlaubnis mit der Folge, dass die zu diesem Zeitpunkt im Steuerlager befindlichen Tabakwaren als in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt gelten (§ 9 Abs. 5 TabStV). Zu diesem Zeitpunkt entsteht sodann auch die Tabaksteuer (§ 15 Abs. 1 TabStG).

22.10

§ 36 TabStG enthält eigene Bußgeldvorschriften, wonach Verstöße gegen die formalen Erfordernisse und Mitwirkungspflichten im Steuererhebungsprozess geahndet werden. Sind insoweit die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben. Hiernach kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden (§ 381 Abs. 2 AO). Darüber hinaus enthält § 60 TabStV, der auf der Grundlage des § 381 Abs. 1 AO ergangen ist,1 einen umfassenden Katalog von Tatbeständen, die zu einer Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO führen. Gegenüber der in § 381 AO verankerten Verbrauchsteuergefährdung ist die in § 378 AO geregelte leichtfertige Steuerverkürzung vorrangig (§ 381 Abs. 2 AO). Eine weitere Ordnungswidrigkeit ist in § 37 TabStG geregelt, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig Zigaretten in Verpackungen erwirbt, an denen ein gültiges Steuerzeichen nicht angebracht ist, soweit der einzelnen Tat nicht mehr als 1.000 Zigaretten zugrunde liegen. Es handelt sich hierbei um Fälle der Kleinhehlerei, in deren Rahmen nicht versteuerte Zigaretten zum eigenen Bedarf auf eine Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden.2

22.11

1 Nach herrschender Meinung ist § 381 Abs. 1 AO eine taugliche Ermächtigungsgrundlage, so Jäger/Ebner in J/J/R8, § 381 AO Rz. 8. 2 Hierzu Schuster/Schultehinrichs in Flore/Tsambikakis2, § 374 AO Rz. 45.

Schaumburg | 1015

Kap. 22 Rz. 22.12 | Tabaksteuerrecht

22.12

In der Praxis1 relevant sind die Fälle des massenhaft auftretenden Zigarettenschmuggels aus Drittstaaten. Beispiel:2 A ist Steuerlagerinhaber im Inland, wofür er eine vom zuständigen Hauptzollamt erteilte Erlaubnis in den Händen hat. A veräußert an nicht näher bekannte Erwerber nicht versteuerte Zigaretten, die er zuvor von einem Dritten in Polen erworben hat. Die Zigaretten sind von dem Dritten aus der Ukraine unter Verstoß gegen die Gestellungspflicht nach Polen verbracht worden und dort zur Vorbereitung des Verkaufs und des damit verbundenen Weitertransports gelagert worden. In Polen wurden die eingeschmuggelten Zigaretten von A zu einem späteren Zeitpunkt übernommen und in sein im Inland befindliches Steuerlager verbracht. Der Sachverhalt wurde aufgrund anonymer Hinweise durch die Zollfahndung (§ 404 AO) aufgedeckt mit der Folge, dass gegen A ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei eingeleitet wurde.

22.13

Im Hinblick darauf, dass die Zigaretten aus der Ukraine nach Polen eingeschmuggelt (zum Schmuggel s. Rz. 11.419 ff.) worden sind und sich mithin dort in keinem Steueraussetzungsverfahren befanden, hat A den Tatbestand des § 23 Abs. 1 TabStG verwirklicht. Hiernach entsteht die Tabaksteuer, wenn die Tabakwaren aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates in das Steuergebiet verbracht und erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Insoweit ist A Steuerschuldner (§ 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG) mit der Maßgabe, dass unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben und die Steuer sofort zu zahlen war (§ 23 Abs. 1 Sätze 3 und 4 TabStG). Gegen diese Verpflichtungen hat A verstoßen, sodass er sich wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar gemacht hat (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).3 Darüber hinaus hat er sich wegen Steuerhehlerei (§ 374 AO) strafbar gemacht. Vortat ist hier die Hinterziehung der bei der Einfuhr der Zigaretten nach Polen angefallenen Einfuhrabgaben, nämlich Zoll, polnische Einfuhrumsatzsteuer und polnische Tabaksteuer.4 Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die vorgenannten Taten bereits beendet waren, bevor die Zigaretten nach Deutschland verbracht wurden.5 Zwischen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei besteht Tatmehrheit (§ 53 StGB).6

22.14

Hinweis: Wäre der Besitz an den unversteuerten Tabakwaren erst nach dem Verbringungsvorgang in das Inland erlangt worden, hätte das nicht zur Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung geführt, sondern wäre allein über den Straftatbestand der Steuerhehlerei gem. § 374 Abs. 1 AO strafrechtlich sanktioniert worden.7

1 Zu einzelnen Fallgruppen von Tabaksteuerhinterziehung Möller/Retemeyer in Bender/Möller/Retemeyer, Steuerstrafrecht, C VI Rz. 1712 ff. 2 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644; BGH v. 24.4.2019 – 1 StR 81/18, wistra 2019, 459. 3 Vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall BGH v. 1.2.2007 – V StR 372/06, ZfZ 2007, 187; zur Steuerschuldnerschaft bei Hehlerei EuGH v. 3.7.2014 – C-165/13, ECLI:EU:C:2014:2042 – Gross, ZfZ 2014, 253. 4 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644, Rz. 20. 5 BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644, Rz. 7: Nur derjenige Besitz an Tabakwaren begründet die Steuerschuldnerschaft, der erlangt wurde, bevor der Verbringungs- bzw. Versendungsvorgang beendet ist, bevor also die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und „zur Ruhe gekommen“ sind; ebenso BGH v. 24.4.2019 – 1 StR 81/18, wistra 2019, 459, Rz. 18. 6 BGH v. 28.8.2008 – 1 StR 443/08, NStZ 2009, 159. 7 BGH v. 24.4.2019 – 1 StR 8/18, wistra 2019, 459, Rz. 18; unter dem Gesichtspunkt der Selbstbelastungsfreiheit ebenso BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 127/19, wistra 2019, 509.

1016 | Schaumburg

B. Typische Problembereiche | Rz. 22.17 Kap. 22

II. Steuerrechtlich freier Verkehr 1. Überblick Werden Tabakwaren aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen EU-Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht, ist wie folgt zu differenzieren: Wurden die Tabakwaren von Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erworben, wird keine Tabaksteuer ausgelöst (Steuerfreiheit), wenn die Privatperson die Tabakwaren persönlich in das Steuergebiet verbringt (§ 22 Abs. 1 TabStG). Mit dieser Regelung verbleibt es aus Vereinfachungsgründen beim Ursprungslandprinzip. Das gilt aber nur dann, wenn bestimmte Mengen nicht überschritten werden.1 Werden Tabakwaren zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder dorthin versandt (Versandhandel), entsteht die Tabaksteuer, wenn die Tabakwaren erstmals2 zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden (§ 23 Abs. 1 Tabaksteuergesetz).3

22.15

2. Pflichtenkreis und Pflichtverletzungen In den vorgenannten Fällen des § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG ist Steuerschuldner, wer die Lieferung vornimmt oder die Tabakwaren in Besitz hält und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG). Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Verbringer Kenntnis darüber hat, dass von ihm überhaupt steuerpflichtige Waren befördert werden.4 Soweit nach der vorstehenden gesetzlichen Regelung mehrere Steuerschuldner in Betracht kommen, ist im Rahmen der Ermessensausübung seitens des HZA zu entscheiden, wer tatsächlich in Anspruch genommen wird.5 Die nach § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG sofort fällige Tabaksteuer hat der Schuldner beim zuständigen HZA6 abzugeben.

22.16

Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates müssen allerdings mit deutschem Steuerzeichen versehen sein (§ 17 Abs. 1 Satz 1 TabStG, § 32 Abs. 1 Satz 2 TabStV).7 Im Hinblick darauf besteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen der Steuerzeichenschuld (§ 17 Abs. 1 TabStG) einerseits und der Tabaksteuerschuld (§ 23 Abs. 1 TabStG) andererseits.8

22.17

1 § 22 Abs. 3 TabStG: Mengenbegrenzung für Zigaretten aus bestimmten EU-Mitgliedstaaten von 300 Stück bis zum 31.12.2017; im Übrigen Mengenbegrenzung auf 800 Zigaretten, 200 Zigarren, 400 Zigarillos oder ein Kilogramm Rauchtabak gem. § 22 Abs. 4 i.V.m. § 39 TabStV; die mengenmäßigen Kriterien sind allerdings unionsrechtlich problematisch; vgl. EuGH v. 14.3.2013 – C216/11, ECLI:EU:C:2013:162 – Kommission/Frankreich, ZfZ 2013, 136. 2 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644; dagegen BFH v. 12.12.2012 – VII R 44/11, BFH/NV 2013, 860, wonach jeder Steuerschuldner ist, der (später) mit der unversteuerten Ware angetroffen wird. 3 Hierdurch kann es im Ergebnis zu einer Doppelbesteuerung kommen, falls die Tabakwaren in dem anderen EU-Mitgliedstaat beim Verbringen aus dem dortigen Steuergebiet nicht entsteuert worden sind. 4 BFH v. 10.10.2007 – VII R 49/06, ZfZ 2008, 85; BFH v. 25.3.2013 – VII B 232/12, BFH/NV 2013, 1131. 5 Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, K 97. 6 § 16 AO i.V.m. § 12 Abs. 2 FVG. 7 Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, K 96; Bongartz, ZfZ 1997, 141. 8 Zu diesem Konkurrenzverhältnis Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, K 74 ff.

Schaumburg | 1017

Kap. 22 Rz. 22.18 | Tabaksteuerrecht

22.18

Beispiel:1 A betreibt im Inland ein Transportunternehmen. Er veranlasst seinen Fahrer B, bestimmte Waren von Lettland auf dem Seeweg (Fähre) in das Inland und von dort in die Niederlande zu verbringen. Anders als in den Frachtpapieren angegeben, handelte es sich bei dem Transportgut, wie A von Anfang an wusste, um 10 Mio. unversteuerte Zigaretten. Der Fahrer B hatte hiervon keine Kenntnis. Nachdem der LKW von Beamten der Zollamtsinspektion im Inland kontrolliert wurde, wurden die Zigaretten sichergestellt und eingezogen.

22.19

A hat sich nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO strafbar gemacht, weil er die Zigaretten ohne Steuerzeichen ins Steuergebiet verbracht hat und hierdurch die mit dem Verbringen der Zigaretten nach § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG entstandene Tabaksteuer verkürzt wurde. Der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO ist hier verwirklicht, weil A es pflichtwidrig unterlassen hat, Steuerzeichen zu verwenden. Daneben hat A aber auch als Steuerschuldner (§ 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG) gegen § 23 Abs. 1 Sätze 3 und 4 TabStG verstoßen, wonach unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben und die Tabaksteuer sofort zu zahlen war. Diese Pflichtverletzung fällt aber nicht zusätzlich ins Gewicht, weil die Tat nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen Nichtabgabe der Steuererklärung als mitbestrafte Nachtat hinter § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO zurücktritt.2

22.20

Die Einziehung der nicht versteuerten Zigaretten war rechtswidrig. Nach § 73 Abs. 1 StGB ist zwingend einzuziehen, was der Täter durch oder für die Tat erlangt hat. Zu dem erlangten Etwas i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB gehören zwar auch die aufgrund der Steuerhinterziehung ersparten Steuern, das gilt aber nicht für die Tabaksteuer als Verbrauchsteuer, da diese auf Überwälzung auf den Endverbraucher angelegt ist.3 Insoweit schlägt sich die hinterzogene Tabaksteuer nicht in einem entsprechenden Vermögensvorteil beim Täter nieder.

1 Vgl. BGH v. 27.8.2019 – 1 StR 586/18, NZWiSt 2020, 26. 2 BGH v. 27.8.2019 – 1 StR 586/18, NZWiSt 2020, 23 (24); für Tateinheit Möller/Retemeyer in Bender/Möller/Retemeyer, Steuerstrafrecht, C VI Rz. 1709. 3 BGH v. 18.12.2018 – 1 StR 36/17, wistra 2019, 333.

1018 | Schaumburg

Sachregister Die fette Zahlen bezeichnen die Kapitel des Buches, die mageren die Randziffern. Abgabe an die StA 16.2 Abfindung 16.196 f. Abgeltungsteuer 14.205, 14.250, 15.11, 15.25 Abgeltungswirkung 14.21, 14.23, 14.55, 16.175 Abkommen, Amts- und Rechtshilfe 2.18, 2.53, 8.1 ff., 9.43 ff., 9.102 f. s. auch Amtsund Rechtshilfe Abkommen Europarat – – – –

Auslieferung 2.18 Geldwäsche 2.18 Informationsaustausch 8.9, 8.2 Rechtshilfe 2.18

AEUV 2.30, 2.38 f., 2.46, 3.20, 4.24, 5.3 ff., 6.247, 10.5 ff., 10.43 ff., 11.72, 14.49, 14.195, 14.264, 16.79, 16.140, 16.260, 17.28 Akkusationsprinzip, Unionsrecht 5.2, 5.8 Akteneinsicht(srecht) – Abschöpfung 6.532 ff. – EMRK 2.65 – Haftsachen 6.336 – Rechtsbehelf 6.129 – Steuerstrafverfahren, Verteidigung 7.58 ff. Aktivitätsklausel 14.294 Alkoholsteuer 14.180 ff. Alkopopsteuer 14.188 f.

Ablauf des Ermittlungsverfahrens 6.1 ff.

Allgemeine Gesetze, Strafverfahren 6.1

Abschluss des Verfahrens 6.509

Allgemeine Rechtsgrundsätze 2.25

Abweichende Rechtsauffassung, Steuerhinterziehung 11.153 ff.

Amnestie s. Steueramnestie

Abwesenheitspflegschaft 6.355 Abzugsteuer – Haftung 16.283, 16.294 – Steuerhinterziehung 16.296 – (§ 50a EStG) 16.285 f., 16.294 Abzugsverbot (§ 160 AO) 16.221, 16.225 Abzugsverbot, Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG) 6.4, 10.32, 13.37 ff., 16.218 ff. – Kompensationsverbot 13.46 Abzugsverbot, Schmiergelder 13.1, 13.37 ff., 16.218 ff. – Mitteilungspflicht Betriebsprüfer 13.44, 13.49, 16.220 ff., 16.224 – Mitwirkungspflichten 16.223 ff. – Steuerhinterziehung 16.225 Acte clair 11.75

Amtsträger 3.25, 3.30, 5.20, 13.8 ff., 16.219 – Begriff 13.16, 13.18 – Bestechung 10.22, 13.8 ff., 16.219 – Erscheinen, Sperrgrund Selbstanzeige 12.59, 12.70 – Steuergeheimnis 6.119 ff. – Steuerhinterziehung durch - 11.348 – Tatentdeckung durch ausländische 12.83 Amts- und Rechtshilfe, zwischenstaatliche 8.1 ff., 9.1 ff. – bilaterale Verträge 8.8 – mulitlaterale Verträge 8.4 f. – Überblick 8.1 ff. Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen 8.2, 9.1 ff. – Abkommen 8.49, 8.51 – Auskunftsklauseln 8.10, 9.31 ff., 9.100, 14.286, 16.9 – Auskunftsverweigerungsrechte 9.10 – automatische Auskünfte 9.69 ff. 1019

Sachregister – besondere Amts- und Rechtshilfeabkommen 9.43 f. – DBA 9.31 ff., 9.100 – EU-Amtshilferichtlinie/EU-Amtshilfegesetz 9.24 f. – EU-Beitreibungsrichtlinie/EU-Beitreibungsgesetz 9.26 f. – EU-Zusammenarbeitsverordnungen 9.28 ff. – FATCA-Abkommen 9.101 – Gegenseitigkeit 9.40, 9.53 – Geheimhaltung 9.24 – Grenzen 9.4 – Inanspruchnahme 9.9 ff. – Informationsaustauschabkommen 9.45 ff. – Kulanzauskunft 9.51 ff. – MwSt-ZVO 9.96 f. – OECD-MA, Art. 26 9.9 f., 9.31 ff. – rechtliches Gehör 9.7 – Spontanauskünfte 9.60 ff. – Steuergeheimnis 9.13 f., 9.29, 9.34, 9.55 – Steuergeheimnis, internationales 9.41 – für steuerstrafrechtliche Zwecke 9.14 – VerbrauchSt-ZVO 9.98 f. – Verrechnungspreise 9.37 f. – Voraussetzungen 9.10 ff. – Zinsrichtlinie, s. dort Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen 1.2, 2.17 f., 5.2, 6.1, 6.3, 8.1 ff. – Abkommen 2.18, 2.53, 9.31 ff. – Ersuchen 6.535 ff. – EuAlÜbK 8.4 f., 8.8, 10.21, 10.84 f., 10.87, 10.89 – EuRhÜb 10.13, 10.18 – Gegenseitigkeit 10.35 – große 10.33 – Grundprinzipien 10.34 ff. – kleine 10.33 – Inanspruchnahme 9.9 ff. – IRG 10.15 – justizielle Zusammenarbeit 10.5 ff. – Kanada 10.186 – Kompetenzen 10.39 – Liechtenstein 10.165 ff. – ordre public 10.38 – Rechtsgrundlagen 9.20 ff., 10.4 ff., 10.22 – Schweiz 10.142 ff. – SDÜ 10.10 f., 10.19 1020

– Spezialitätsgrundsatz 10.37 – Steuergeheimnis 10.188 – Steuerstrafsachen 10.1 ff., s. auch Rechtshilfe in Steuerstrafsachen – TKÜ, ausländische 6.273 ff. – unaufgeforderte Übermittlung von Informationen 10.189 ff. – USA 10.183 ff. – Verhältnis zur steuerlichen Amtshilfe 10.23 ff. – Verwertungsverbote 10.30, 10.141, 10.158 Analogieverbot 2.7, 11.100 Anfangsverdacht 6.8 ff. – Bankkonto 6.11 Angemessenheit, Beurteilung s. Fremdvergleich, Verrechnungspreise – Dokumentation 15.18 Anmeldepflicht (§ 139 AO) 11.147, 15.20, 15.40 Anonymer Kapitaltransfer ins Ausland 6.42 Anrechnung, ausländische Strafe 3.39 Anrechnungsmethode 14.278, 14.281, 14.294, 16.164 Ansässigkeit – abkommensrechtlicher Begriff 14.30, 14.64, 14.69, 14.71, 14.298, 16.13, 16.45 – im Inland 16.251 – im Inland, Aufgabe 16.40 – Verlegung ins Ausland 14.36, 16.59 Antidumping-Zölle 11.3 Anzeigepflichten – AO 15.35 ff., 16.93, 16.198, 16.230 – AO § 153 11.194 ff., 12.26 f. – AO § 153/Selbstanzeige 12.95 f. – allgemeine steuerliche 15.21 – Anteilsvereinigung 19.16 ff. – Garantenpflicht 11.300 – Ordnungswidrigkeit (§ 379 AO) 16.21, 16.51, 16.78 – Pflichtenkreis, Energiesteuerrecht 21.8 ff. – Pflichtenkreis, Tabaksteuerrecht 22.8 ff. – Pflichtverletzung, Berufsangehörige 17.10 f., 19.7, 19.9 ff.

Sachregister – Pflichtverletzung, Energiesteuerrecht 21.13 ff. – Pflichtverletzung, ErbStG 17.12 ff., 17.27 ff. – Pflichtverletzung, GrEStG 19.8 ff. – Pflichtverletzung, Tabaksteuerrecht 22.10 ff. – Straftat 6.22 – Wegzug 15.21, 16.51 Anwaltskanzlei, Durchsuchung 6.105 ff. Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren s. AStBV Anwendbares Strafrecht 3.1 ff. Anwendungsvorrang, EU-Recht 2.47., 2.49 AOA s. Authorized OECD-Approach Apokryphe Haftgründe 6.329 ff. Arbeitnehmerfreizügigkeit 2.30 Arrest, strafprozessualer 6.481 ff. Arrest, steuerlicher 6.481 ff. Art. 54 SDÜ s. Schengen Art. 50 GrCh s. Charta der Grundrechte der EU Aufbewahrungspflichten 15.6, 15.21, 15.42, 16.184 f., 16.214, 18.3 Aufenthalt, gewöhnlicher, s. gewöhnlicher Aufenthalt AStBV 5.18, 5.20, 6.2 f., 6.18, 12.63 Auflagen 4.37, 5.7 – Bewährung 4.71 – Verfahrenseinstellung (§ 153a StPO) 11.539 Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) 3.10, 4.45, 10.14, 12.94 – Tatort 3.10 Aufzeichnungspflichten 15.21, 15.41 f., 16.75, 16.184 ff., 18.2, 18.30, 21.8, 22.8, s. auch Verrechnungspreise Ausforschungsdurchsuchung 6.30 ff. Ausfuhrabgaben, Hinterziehung 2.61, 11.104, 11.328, 11.329 ff., 11.423

Ausfuhrlieferung, Steuerbefreiung 18.6, 18.8 ff., 11.156, 14.131 – unentgeltliche 18.16 – Nachweispflicht 18.3, 18.10 ff. – Pflichtverletzungen 18.12 – Umsatzsteuerhinterziehung 18.8 Auskunftsersuchen – Amtshilfe 9.9 ff., s. auch Amts- und Rechtshilfe – Beispiele 16.168, 18.32 – Kreditinstitute 6.29 ff. – unzulässiges 9.35 – s. auch Sammelauskunftsersuchen Auskunftserteilung, Recht auf 8.1 Auskunftsklausel 8.10, 9.2, 9.20 ff., 9.31 ff., 9.269, 14.286, 16.9 – große 9.32 f., 9.38, 10.24, 16.9 – kleine 9.32 ff. Auskunftsverbot 9.52, 9.57 f. Auskunftsverweigerungsrecht 9.26, 9.28, 9.49, 9.59 Ausländer – Auslieferung 3.22 – Strafbarkeit 3.22 Ausländische Basisgesellschaft 16.202 ff., 16.269 Ausländisches Betriebsstättenvermögen 14.64, 14.68 – Betriebsvermögenstransfer in - 16.79 ff. – Betriebsvermögenstransfer ins Inland 16.85 – Nutzungsüberlassung 16.83, 16.291 Ausländische(s) Aburteilung/Strafverfahren – Anrechnung (§ 51 III StGB) 3.39 – Einstellung (§ 153c II StPO) 3.37 – Einstellung (§ 154 StPO) 3.41 ff. Ausländische Betriebsstätteneinkünfte 16.164 ff. – Pflichtverletzungen 16.168 – steuerliche Pflichten 16.165 Ausländische Familienstiftung s. Familienstiftung – Pflichtverletzungen 16.191 ff. 1021

Sachregister Ausländische Kapitalerträge 16.172 ff. – Dividenden 16.174, 16.188 – Pflichtverletzungen 16.185 – strafrechtliche Konsequenzen 16.186 – steuerliche Pflichten 16.182 – Zinsen 16.181 Ausländische Tochtergesellschaft 14.294, 14.303, 16.61, 16.98, 16.103 f., 16.133, 16.162, 16.213, 16.279 f., 18.17

Auslieferungsübereinkommen, EU 2.18, 8.4 f., 8.8, 10.21, 10.84 f., 10.87, 10.89 Ausschlussgründe, Selbstanzeige s. Sperrgründe Außensteuerrecht 1.3, 14.2 ff., 14.10 ff. – Einkommensteuer 14.11 – Ertragsteuern 14.10 Außereuropäische Urteile 3.46 f.

Ausländische und internationale Bedienstete 13.34

Außervollzugsetzung, Haftbefehl 6.344 ff.

Ausland – Ansässigkeit 16.59 – Beweismittel, Verwertbarkeit 6.250 – Ermittlungsverbot 8.1 – Online-Zugriff auf Daten 6.116, 6.153, 8.1 – Unternehmenssitz 3.21 – Wohnsitz und Fluchtgefahr 6.314 ff.

Authorized OECD-Approach 14.225, 16.84, 16.164

Auslandstat – anwendbares Recht 3.4 ff. – Nichtverfolgung (§ 153c StPO) 3.28 ff. – Steuerhinterziehung 3.14 f. Auslandszeuge, Vernehmung – Beweisantrag 6.214 ff. – Rechtshilfeersuchen 6.211 ff. – Videokonferenz 9.219 ff. Auslieferung – Beratungsfehler 6.324 – Ersuchen 3.22 – EU-Abkommen 10.83 ff. – EUAlÜbk(-G) 8.4 f., 8.8, 10.21, 10.83 f., 10.87, 10.89 – EU-Haftbefehl 6.362 – EU-VereinfAuslÜbk 10.86 – Gegenseitigkeit 10.36 – IRG 10.15, 10.33, 10.80 – Nicht- 3.22, 3.26 – Liechtenstein 10.165 ff. – Österreich 10.179 ff. – Rechtsquellen 10.21 f. – Schweiz 10.142 ff. – SDÜ 10.88 – Spezialität 6.364 ff., 10.37 – in Steuerstrafsachen 10.83 ff. – USA 10.183 ff. 1022

Aussetzung des Verfahrens 6.28, 16.3

Automatischer Auskunftsverkehr 9.3, 9.6, 9.69 ff., 15.9 Bandbreite, Fremdvergleichswerte 14.262 f. Bande, Schmuggel 11.441 ff. Bandenmäßige Schädigung des USt-Aufkommens 18.75 Bank – ausländische Zweigniederlassung 6.39 ff. – Gruppenanfrage 6.29 ff. – Kapitalanlagen in der Schweiz 6.40 ff. – Kontrollmitteilungen 6.42 – Sammelauskunftsersuchen 6.29 ff., 6.35 ff. – Schließfach 6.104 Bankgeheimnis 6.35, 6.41, 9.24, 9.26, 9.29, 9.48 f., 10.13, 16.7 – Österreich 10.182 – Schweiz 6.41, 10.146 Bankkonto, grenzüberschreitende Abfragen 6.203 ff., 10.19 – Anfangsverdacht 6.11 Bankmitarbeiter, Strafbarkeit 11.494, 11.497, 11.506 Bankunterlagen – Durchsuchung 6.104 ff. Bargeldkontrollen 6.5 – Selbstanzeigemöglichkeit 12.32, 12.82

Sachregister Basisgesellschaft 11.46, 11.197, 11.209, 11.405, 16.202 ff., 16.269 – Gestaltungsmissbrauch 16.203, 16.214 – Hinzurechnungsbesteuerung 16.205 – Ort der Geschäftsleitung 16.203 – Pflichtverletzungen 16.202, 16.209 – steuerliche Pflichten 16.208 Bauabzugsteuer 15.43, 16.284, 16.294, 16.296, 16.299 Bedienstete, ausländische und internationale 13.34 Beförderungsaussetzungsverfahren – Energiesteuerrecht 21.5 ff. – Tabaksteuerrecht 22.8 f. Beihilfe, Steuerhinterziehung 11.484 ff. Bekanntgabe Außenprüfung, Sperrgrund 12.60 Bekanntgabe Verfahrenseinleitung, Sperrgrund 12.63 Belgien 3.9, 4.11, 4.33 ff., 10.10, 10.40, 16.137, 19.11 – Begriff derselben Tat, Steuerhinterziehung 4.67 f. – DBA, Auskunftsverkehr 16.170 f. – Transactie, Strafklageverbrauch 4.33 ff. – Verständigungsverfahren 16.297 f. Beneficiary-Klausel 14.294 Berichtigung von Einkünften (§ 1 AStG) 14.255 ff., 16.139 ff., 16.192 Berichtigungspflicht (§ 153 AO) 11.194 – Abgrenzung Selbstanzeige 12.25 Berufsgeheimnisträger – Auskunftsverweigerungsrechte 9.49 – Beschlagnahmeprivileg 6.66 ff. – Zeugnisverweigerungsrechte 6.67 f. Berufstypisches Verhalten 11.483, 11.490, 11.493 Beschlagnahme 6.51 ff. – abgestuftes System 6.52 – Aufhebung 6.74 – Berater, beim 6.65 ff. – Beschlagnahmebeschluss 6.56 – Beschlagnahmeobjekte 6.57

– – – – – – – –

Bestätigung 6.75 f. Buchführungsunterlagen 6.65, 6.111 Rechtshilfe 10.111 Rechtsschutz 6.126 ff. Schweigepflichtentbindung 6.70 ff. Vermögen (§ 290 StPO) 6.355 Verteidiger, beim 6.69 Zuständigkeit 6.58

Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO) 6.59 ff. Beschleunigungsgrundsatz – Haftsachen 6.346 ff. Beschränkte Steuerpflicht 14.15 ff. – Wechsel zwischen – und unbeschränkter 14.28 Beschuldigtenvernehmung, Rechtshilfe 10.30, 10.125 Bestechung/Bestechlichkeit 13.8 ff., 16.219, s. auch Korruption Bestechungstatbestände 13.8 ff., 16.218 ff. – Amtsträger 10.22, 13.8 ff., 16.219 – ausländische und internationale Bedienstete 13.34 ff. – Empfängerbenennung (§ 160 AO) 16.221 – Genehmigung 13.29 ff. – Pflichten und Pflichtverletzungen 16.223 – Rechtsgut 13.15 – Sozialadäquanz 13.21 – Täterkreis 13.16 ff. – Unrechtsvereinbarung 13.25 ff. – verdeckte Gewinnausschüttung 13.22 – Vorteilsannahme (§ 331 StGB) 3.25, 13.14 ff. – Vorteilsbegriff 13.19 f. – Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) 13.14 ff., 16.218 ff. Besteuerungsverfahren, Verhältnis Strafverfahren 5.22 ff. – Aussetzung des Steuerstrafverfahrens 7.16 ff. – Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren 7.7 ff. – Konfliktsituation 7.8 Bestimmtheitsgebot 2.6 f., 2.65, 11.98 1023

Sachregister Betriebsprüfung, Verdachtsmeldung 6.10, 16.4, 18.4

– steuerliche 16.6, 16.165 – Strafverfahren 2.65, 15.22, 16.6, 16.117

Betriebsstätte – abkommensrechtlicher Begriff 16.164 – ausländische, Einkünfte, Pflichtverletzungen 16.164 ff. – ausländische, Betriebsvermögenstransfer in- 16.79 ff. – inländische, Betriebsvermögenstransfer in- 16.85 ff. – in- und ausländische, Einkünfteabgrenzung 14.216 ff. – Leistungstransfer, Pflichtverletzungen 16.65 ff. – Selbständigkeitsfiktion 14.225

Beweislastumkehr 6.391, 6.406, 6.462, 6.471

Betriebsvermögen 14.32 – Abzugsverbot 15.32 – Anteile an ausländischem - 14.36, 14.204, 16.15, 16.26 – Einlage 14.71 f. – Entstrickung 14.31 f., 16.13, 16.17, 16.22, 16.42 – ErbSt 14.94 f. – inländisches -, Zuordnung 14.33, 14.100, 16.71, 17.21 – Privatvermögen 14.20, 14.254 – Schmälerung 6.383, 6.519 – Sonder- 16.172 – stille Reserve 16.47, 16.228 – -transfer in ausländische Betriebsstätte 16.79 ff. – -transfer in inländische Betriebsstätte 16.85 ff. – Veräußerungsgewinne 14.303, 16.35 – Verstrickung 14.44, 16.263 – Zuordnung inländisches-/ausländisches 14.64, 14.72 Beugehaft 6.326 Beweisführungskette 6.300 ff.

Beweismaßreduzierung 15.22 ff., 16.76 Beweisvermutung, Widerlegung 15.28 Beweisverwertungsverbote s. Verwertungsverbote Biersteuer 14.185 ff. Bilaterale Völkerrechtsverträge 2.17, 2.19 Bilateralen II 4.20 Blankettvorschriften 1.1, 2.4 ff., 2.50 ff., 2.60, 11.20 ff. BMF-Schreiben – Korruption 13.43, 13.47 – zwischenstaatliche Rechtshilfe in Steuerstrafsachen 10.22 ff., 10.128 Briefkastengesellschaft 6.106, 14.195, 16.269 Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten 11.543, 15.41, 16.166, 16.186 Buchführungsunterlagen, Beschlagnahme 6.65, 6.111 Buchnachweis – Ausfuhrlieferung 18.10, 18.12 ff. – innergemeinschaftliche Lieferung 18.28 ff. Buffer – Umsatzsteuerkarussell 18.41 ff. Bundeszentralamt für Steuern 5.18, 9.7 Buß- und Strafsachenstelle 5.18 f. Cash-Kreditkartenkonten 6.36

Beweisantrag, Auslandszeuge 6.214 ff.

CD, s. Steuer-CD

Beweislast – Auslandssachverhalte 15.7 – innergemeinschaftliche Lieferung 18.31, s. auch Nachweispflichten – Schätzung 15.22

Charta der Grundrechte der EU 2.30, 2.58, 2.66, 4.21, 5.10 – Art. 50 GRCh 2.66, 2.69, 4.21 ff., 5.10, 11.16

1024

Chain of evidence 6.300 ff.

Sachregister – Art. 50 GRCh, Kombination steuerliche/ strafrechtliche Sanktion 4.47 – Art. 50 GRCh, Verhältnis zu Art. 54 SDÜ 4.23 Chi-Quadrat-Test 6.6 Cloud-Computing 16.291, 16.300 Cost plus method 14.262, 14.271 Datenankauf s. Steuer-CD DBA s. Doppelbesteuerungsabkommen Dealing-at-arms-length-Klausel 14.223, 14.256, 14.260, 14.268, 16.141, 16.164 Deutsche Steuerhoheit 11.5, 14.28 f. Deutsches Strafrecht, Anwendbarkeit 3.1 ff. Deutsch-Schweizerisches Abkommen 3.7 Dienstleistungsfreiheit 2.30, 11.62 Dinglicher Arrest, s. Arrest Diplomat 3.10, 5.20, 14.13, 14.126, 14.131, 17.11, 17.25 Diskriminierungsverbot 2.49, 2.61, 6.112, 11.62 Distributor 18.41 f. Dividende 14.207, 14.303, 16.173 Dividendenfreistellung 14.205, 16.176 ff., 16.188, 16.286 f. Dokumentationspflichten 15.13 ff.

Doppelbesteuerung, Vermeidung 1.3, 14.3, 14.45, 14.64, 14.81, 14.216, 14.220, 14.230, 14.256 f., 14.276, 14.279 ff. – bilaterale Maßnahmen 14.285 – durch DBA 14.285 – Methoden 14.278 – Klauseln gegen Steuerumgehung 14.293 – unilaterale Maßnahmen 14.279 – Verständigungsverfahren 14.288 Doppelbesteuerungsabkommen 14.285 ff. – Abkommensberechtigung 14.296 – Auslegungskonflikte 14.287 – Einkunftsarten 14.303 – internationaler Informationsaustausch 9.31 ff. – sachliche Reichweite 14.300 – Schrankenwirkung 16.46, 16.227 – Schweiz 12.85, 16.24, 16.43 f., 16.257 f., 16.270 f. – USA 2.19 – Verteilungs- und Vermeidungsnormen 14.302 Doppelbesteuerungsrecht 14.8, 14.276 ff. Doppelbesteuerungsverbot 14.277 Doppelbestrafungsverbot 2.10, 4.1 ff. – Art. 54 SDÜ 4.19 ff., 4.24 ff.; s. auch dort – EMRK 2.65, 4.3 – europäisches 4.11 ff. – GrCh 2.66, 4.21 ff. – Verhältnis Art. 54 SDÜ/Art. 50 GrCh 4.23 Doppelmandat

– Auslandssachverhalte (§ 90 Abs. 3 AO) 15.30, 16.74, 16.76, 16.82, 16.105, 16.120 ff., 16.148 – Schätzung 15.46 – straf- und bußgeldrechtliche Folgen 15.34, 16.129 ff. – Verrechnungspreise 15.13 ff.

Steuerstrafverfahren, Verteidigung 7.50

Dolmetscher, Recht auf - 6.224 f., 10.74, 10.128

Dublin Docks, EuGH 13.72

Domizilgesellschaft 6.4, 10.177, 13.71 f., 16.221

Dreiecksauskünfte 9.38 Dringender Tatverdacht 6.306 ff. Drittstaatenversicherer – Pflichtenkreis 20.11 – Pflichtverletzungen 20.12 ff. Durchsicht, Papiere/Speichermedien 5.19, 6.102 – Rechtsschutz 6.102 1025

Sachregister Durchsuchung 6.77 ff. – Antrag 6.87 f. – Ausforschungs-, unzulässige 6.32, 6.113 – Bank 6.12 f. – Bargeld 6.5 – Berater, beim 6.105 ff. – Beschluss 6.89 ff. – CD 6.138, s. auch Steuer – CD – Durchsicht von Papieren 6.102 – EDV-Anlagen 6.114 ff. – E-Mails 6.114 ff. – Europäische Beweisanordnung 6.172 f. – Durchsicht, Papiere 5.19 – IRG 10.110 ff. – Liechtenstein 17.37 – Nachtzeit 6.82 – Online- 8.1 – Rechtshilfe 10.14, 10.23, 10.30, 10.48 – Rechtsschutz 6.126 ff. – Schweiz 10.142 ff. – Sperrwirkung, Selbstanzeige 12.64 ff. – Steuerberater, beim 6.110 ff. – Unternehmen, beim 6.112 f. – Unverdächtigen, beim 6.81 f. – Verwertungsverbot 6.91 – Verteidiger, beim 6.109 – Verdächtigen, beim 6.80 – Verhaltenshinweise 6.140 – Verhältnismäßigkeit 6.100 – Zufallsfunde 6.103 – Zuständigkeit 6.85 f. – Zweck 6.83 f. Durchsuchungsbeschluss 6.89 ff. – Vollstreckung 6.101 Durchsuchungsobjekte 6.104 ff. EDV-Anlage, Beschlagnahme 6.114 ff. EEA s. Europäische Ermittlungsanordnung EG-ne-bis-in-idem-Übereinkommen 4.11 Einfuhrabgaben, Begriff 3.9, 11.329 ff. Einfuhrabgabenhinterziehung 11.329 ff. Einfuhrumsatzsteuer 14.116 ff., 18.76 ff. – Pflichtverletzungen 18.81 – Schmuggel 18.81 1026

– Steuerhinterziehung 18.81 – steuerliche Pflichten 18.79 Einkommensteuer 14.11 ff. – internationale Einkünfteabgrenzung 14.216 ff. – Steuerfreistellung 14.280 – Veranlagung 14.21 f. – -vorauszahlung 16.231 – Wegzug 16.11 ff. – Zinsen 16.181 Einkommensteuerpflicht – unbeschränkt 13.61, 14.3, 14.10 ff., 16.226 – beschränkt 14.15 ff., 16.226 – fiktiv unbeschränkt 14.14, 16.226 – Wechsel unbeschränkt/beschränkt 14.28 ff., 14.43 Einkünfte – – – – – – – – – – – –

Aufsichtsrat/Verwaltungsrat 14.303 Berichtigung (§ 1 AStG) 14.255 ff. Betriebsstätte, Zuordnung 14.219 ff. Land- und Forstwirtschaft s. dort Gewerbebetrieb 14.19, 14.27, 14.250, 14.303, 16.28, 16.87, 16.169 f., 16.194, 16.217, 16.240 f., 16.249 Künstler/Sportler 14.303 Ruhegehälter 14.303 selbständige Arbeit 14.19, 14.52, 14.303 Studenten 14.303 unselbständige Arbeit 14.303 Vermietung und Verpachtung s. dort Zinsen 14.303, 16.181

Einkünfteabgrenzung, internationale 14.216 ff. Einkünfteberichtigung (§ 1 AStG) 14.255 ff., 16.139 ff. Einkünftekatalog 14.17, 14.199 f. Einkünftekorrektur 14.216, 14.260, 14.264 ff., 16.73, 16.81, 16.84, 16.230, 16.289, 17.21 – Maßstäbe 16.146 ff. – -normen 16.118

Sachregister Einkünfteverlagerung – Außensteuerrecht 14.5, 14.216 ff. – Niedrigsteuerländer s. dort – Vermeidung 14.4 ff. – s. auch Verrechnungspreise Einstellung des Verfahrens – gegen Auflagen (§ 153a StPO) 11.539 – ausländische Aburteilung (§ 153c Abs. 2 StPO) 3.37 – ausländische Strafverfahren und Aburteilung (§ 154 StPO) 3.41 – außereuropäische Urteile und Strafverfahren 3.46 – Auslandstat (§ 153c StPO) 3.28 ff. – europäische Urteile und Strafverfahren 3.43 – rechtskräftiger Freispruch (§ 153c Abs. 2 StPO) 3.38 Einziehung 6.392 ff. – Anrechnung gezahlter Steuern 6.448 ff. – Aufwendungen, Abziehbarkeit 6.437 – Dritten, beim 6.451 ff. – EU 10.104 ff. – gegenseitige Anerkennung 10.104 – Höhe 6.412 ff. – mehrere Tatbeteiligte 6.426 ff. – nachträgliche 6.477 – Nebenfolge Steuerhinterziehung 11.565 – praktische Überlegungen 6.479 f. – Strafe 6.402 ff. – Tatertrag 6.407 ff. – Tatmittel 6.478 – Tatobjekt 6.478 – Tatprodukt 6.478 – Unternehmen, beim 6.433 ff. – Vermögen unklarer Herkunft 6.460 ff. – Vertreterfälle 6.419 ff. – Wertersatz 6.407 ff. – Wertersatzeinziehung 6.502 ff. – zeitliche Anwendbarkeit 6.399 ff. E-Mails, Beschlagnahme 6.114 ff. Electronic Commerce 16.291 EMCS-Eingangsmeldung 18.29 Empfängerbenennung (§ 160 AO) 13.52 ff., 16.221 f. – Rechtsfolge bei Verstoß 15.32

EMRK 2.58, 2.63 ff., 5.8 f. Energiesteuern 21.1 ff. – Pflichtenkreis 21.8 ff., 21.21 – Pflichtverletzungen 21.8 ff., 21.22 – Steueraussetzungsverfahren 21.4 ff. – steuerrechtlich freier Verkehr 21.18 ff. Entstrickung 14.5, 14.28 ff., 14.61 ff., 16.13 ff., 16.67 ff. – nutzungsbedingte 16.83 – private Anteile an Kapitalgesellschaft 16.226 ff. – Vermeidung 16.26 Entstrickungsregelungen 14.43 ff. – § 6 AStG 14.35 – § 4 Abs. 2 S. 3, 4 EStG 14.5, 14.28 ff., 14.227, 14.230, 16.13 ff., 16.26 – DBA Österreich 16.42 f., 16.80 f. – KStG 14.61 ff., 16.47, 16.105 Erbschaftsteuer 14.82 ff., 17.1 ff. – ausländisches Vermögen 17.4 – Anzeigepflicht 17.5 ff. – beschränkte Steuerpflicht 14.86, 14.97 ff., 17.23 – Ersatzerbschaft 14.96, 17.31, 17.40 – erweitertes Inlandsvermögen 17.24 – erweiterte beschränkte Steuerpflicht 14.101, 17.23 – Inländer 14.95 – Inlandsvermögen 14.100, 17.21 ff. – Nettovermögen 14.94 – Pflichtverletzungen 17.12, 17.26 – Steueranrechnung 14.284 – Steuererklärungspflicht 17.5, 17.9 – Steuerhinterziehung 17.17 – Steuerobjekt 14.84, 14.92 – unbeschränkte Steuerpflicht 14.87 Erbschaftsteuerrecht, internationales 17.1 ff. – Auslandsvermögen 17.4 – ausländische Familienstiftungen/Trusts 17.31 – Inlandsvermögen 17.21 - Pflichtverletzungen 17.5, 17.12 ff., 17.25 ff., 17.35 ff. Ertragsteuerrecht, Pflichtverletzungen 16.1 ff. 1027

Sachregister Ermittlungen ins Blaue 6.21, 6.29, 6.32 ff., 9.46 Ermittlungsanlässe 16.4 Ermittlungsverfahren – Steuerstrafverfahren, Verteidigung 7.54 ff. Ersatzerbschaftsteuer 14.84, 14.86, 14.96, 17.31, 16.38 ff. Erstgespräch Steuerstrafverfahren, Verteidigung 7.54 ff. Ersuchen 10.107 ff., s. auch Amts- und Rechtshilfe – -Beschlagnahme 10.111 f. – Datenübermittlung 10.107 ff. – Durchsuchung 10.111 f. – Sicherstellung 10.111 f. – Vollstreckung 10.117 ff.

– Verhältnis zu nationalen Gerichten 2.43 – Vorabentscheidungsverfahren 2.44, 4.24, 11.72 ff. EU-Rahmenbeschluss 6.147 ff. – Berücksichtigung EU-Verurteilungen 3.43 f. – Beweisanordnung 10.22 – Einziehung Gegenseitigkeit 10.104 – Geldwäsche 8.4, 10.22, 10.104 – Informationsaustausch 6.147 ff., 8.6, 10.22 – Kompetenzkonflikte 3.23 – standardisiertes Austauschverfahren 10.22 – Strafregisterinformationssystem 10.22 EURATOM-Vertrag 2.30 EU-Recht s. Unionsrecht

Erweiterte beschränkte Steuerpflicht 14.7, 14.23 f., 14.101, 16.249, 16.294

EU-Richtlinie 2.4, 2.26 f. – Rang 2.38 ff. – Umsetzung 2.40 – Vorrang 2.40

Erweiterte Inlandseinkünfte 14.23, 14.27

EU-Schiedsverfahrenskonvention 14.288

Estland, DBA 16.280 f.

EU-Verordnung 2.4, 2.26 f. – Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit 2.27 – Rang 2.38 ff.

EU – dritte Säule 5.5 – Kompetenz-Kompetenz 2.50 f., 2.62 – Sanktionen 2.57 ff. – Schutz finanzieller Interessen 2.61, 3.20, 10.51 EU-Amtshilferichtlinie 8.9, 9.24 ff. EU-Beitreibungsrichtlinie/EU-Beitreibungsgesetz 9.26 f. EU-Finanzinteressen, Schutz 2.61, 3.20, 10.51 EuGH – alleinige Auslegungsbefugnis EU-Recht 2.43 – Collée 11.82 – Dublin Docks 13.72 – europäischer Tatbegriff 4.60 – Fransson 11.57, 12.109 – Maria-Pupino 11.56 – Überseering 13.72 1028

Eurojust 3.23, 3.39, 8.7, 10.7, 10.46 ff. Europäische Beweisanordnung 6.172 f. Europäische Ermittlungsanordnung 6.170 ff. – Ablehnungsgründe 6.192 f. – Beweismittelübermittlung 6.194 – Rechtsmittel 6.195 – Verfahren 6.174 ff. – Verhältnismäßigkeit 6.186 ff. – Versagung 6.1925 Europäische Menschenrechtskonvention 2.58, 2.63 ff., 5.8 ff. – Grundrechte 2.65 Europäische Staatsanwaltschaft 2.61, 5.8 ff., 10.5, 10.59 ff. – Befugnisse 10.70 – Beschuldigtenrechte 10.74 – Funktion 10.61 ff.

Sachregister – grenzüberschreitende Ermittlungen 10.71 ff. – Rechtsmittel 10.75 – Zuständigkeit 10.64 ff. Europäische Überwachungsanordnung 10.98 ff. Europäischer Haftbefehl 5.7, 6.356 ff. – Ablehnungsmöglichkeiten 6.366 – Auslieferung 10.90 ff. – Spezialitätsgrundsatz 6.364 f. Europäisches Auslieferungsübereinkommen 8.4 f., 8.8, 10.21, 10.84 f., 10.87, 10.89 Europäisches Justizielles Netz 8.7, 10.52 Europäisches Steuerrecht 1.3 Europäisches (Kriminal-)Strafrecht 2.57 ff., 2.59 Europäisches Übereinkommen – internationale Geltung von Strafurteilen 4.11 Europäisierung des Strafrechts 5.4 ff. Europarecht s. EU-Recht Europol 8.7, 10.43 f. EUV 2.38

– – – – – – – – – – – –

Ermittlung der Einkünfte 14.213 Errichtung 17.32 Gewerbesteuer 17.44 Körperschaftsteuer(hinterziehung) 17.43 Mitwirkungspflichten 16.197 Pflichtverletzungen 16.199 Steuererklärungen 16.196 strafrechtliche Aspekte 16.200 Strafzumessung 11.562 Treuhandverhältnis 17.31 Vermögen und Einkünfte 16.194 Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG) 14.208 ff., 16.192 ff. – Zustiftung 17.31 – Zwischenberechtigte 17.33 Familienstiftung, inländische, ErbSt 14.84, 17.31 – Ersatzerbschaftsteuer 17.31 – freigebige Zuwendung 17.31 Familienverein, ErbSt 14.84 FATCA-Abkommen 9.101 Fernwirkung, Verwertungsverbot 6.43 Fiktive Einlage 14.72, 16.72 Fiktive Entnahme 14.31, 16.67, 16.70, 16.72, 16.80

EU-Zinsrichtlinie s. Zinsrichtlinie

Finanzbehörde, Begriff und Zuständigkeit 5.18

EU-Zusammenarbeitsverordnungen 9.28 ff.

Finanzielle Interessen der EU, Schutz s. EU-Finanzinteressen

Evokationsrecht 5.18, 5.20 f., 16.2 Exit-Besteuerung s. Wegzugbesteuerung

Fingierter Veräußerungsgewinn 14.39, 16.105

Exportumsätze, USt-Hinterziehung 18.8 ff.

Fishing expeditions 6.204, 9.11, 9.39, 9.46, 10.175

Exterritorialität 3.9

Flaggenprinzip 3.18

Faktischer Geschäftsführer 11.123

Flucht(gefahr) 6.314 ff. – Beraterfehler 6.324 – Straferwartung 6.321 ff. – Wohnsitz im Ausland 6.318 ff.

Familienstiftung, ausländische 14.208 ff., 17.31 ff. – Abschirmwirkung 16.191 – Auflösung 17.34 – Besteuerung 14.7, 14.208 ff. – Destinatär 17.33 – Erbschaft-/Schenkungsteuer 17.31

Frachtbrief 18.29, 18.32 Frankreich – DBA 16.28 – Einbringung Betrieb 16.34 f., 19.17 – innergemeinschaftliche Lieferung 18.39 1029

Sachregister – – – – –

SDÜ 10.10 Sicherstellung 10.104 Stammhaus 16.104 Tochtergesellschaft 16.162 Wohnsitzverlegung 16.26 ff.

Freistellungsmethode 14.64, 14.68, 14.278, 14.280, 14.294, 14.303, 16.48, 16.164, 16.166 Fremdanzeige zugunsten Dritter 12.95 ff. Fremdvergleich 14.255 ff. – Bandbreite 14.263 – Dienstleistungen 14.271 – Finanzierungsleistungen 14.271 – Funktionsverlagerung 14.271, 16.156 – hypothetischer 14.261, 14.265, 16.147, 16.152 f. – Interquartil-Methode 16.149 – Median 16.150 – Methoden 14.262 f., 16.148 – strafrechtliche Verantwortlichkeit 14.255 ff. – verdeckte Gewinnausschüttung 14.5, 14.245 ff., 16.130 ff. – Verrechnungspreise 14.261 ff. – Warenlieferungen 14.271 Funktionsanalyse 14.262 Funktionsverlagerung 14.271, 16.156 ff. – steuerliche Pflichtverletzungen 16.160 – Transferpaket 16.156 Gefahr im Verzug 6.85 f. Gegenseitige Anerkennung, Grundsatz 10.5, 10.7 f. – Einziehung 6.534 ff., 10.104 – Geldstrafen/-bußen 10.115 – Strafentscheidungen 6.147 ff. Gegenseitiger Steuerverzicht 14.285 Gegenseitigkeit, Prinzip 8.42, 10.34 ff. Gelangensbestätigung 18.29 Geldauflagen, Verfahrenseinstellung (§ 153a StPO) 11.539 Geldstrafe 11.553 ff. 1030

Geldwäsche – DBA, Auskunftserteilung 10.189 – Einziehung von Taterträgen bei Dritten 6.451 – Fernmeldeverkehr, Überwachung 6.234 – Mitteilung (§ 31b AO) 6.6 – Rechtshilfe 10.189 – Verdachtsanzeigen 6.4, 6.20, 12.82 Gemeinsame Ermittlungsgruppen 10.53 ff. Genussrechtskapital 16.187 Geschäftsführer, Verantwortlichkeit 11.123 ff. Geschäftsleitung – Begriff (§ 10 AO) 14.10, 14.47, 14.66, 14.88, 16.45, 16.53 ff., 16.203, 16.209, 16.259, 16.268 ff., 17.43 – Organgesellschaften 16.269 – Ort der -, Inland 16.267, 16.277 – Zuzug 16.259 Gesellschaftsstatut 16.260 f. Gesetzlichkeitsprinzip 1.2, 2.2 ff., 2.23, 2.30, 2.55, 2.66 Geständnisbereitschaft 6.330 Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) 11.197 ff. – Basisgesellschaft, ausländische 16.202 ff. – Konkurrenz zu Hinzurechnungsbesteuerung 14.194 ff. Gestufte Selbstanzeige 12.32 f. Gewerbebetrieb 14.75 ff. – Einkünfte aus - s. Einkünfte Gewerbeerlaubnis, Entzug 11.570 Gewerbesteuer 14.73 ff. – Dividenden 16.180 – -messbetrag 14.81 – örtliche Anknüpfung 14.73 ff. – Schachtelprivileg 14.283 – Steuersubjekt 14.80 Gewerbsmäßige Begehung 11.440 – Schädigung des Umsatzsteueraufkommens 18.75 Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung 16.74, 16.120

Sachregister Gewinnverlagerung, Niedrigsteuerländer 16.10, 16.213

Grundrechtecharta s. Charta der Grundrechte der Europäischen Union

– s. auch Einkünfteverlagerung, Verrechnungspreise

Grundrechtsschranke, EU-Recht 2.49, 2.51, 9.5

Gewöhnlicher Aufenthalt 14.12, 16.226, 16.242

Habeus-corpus-Rechte 5.10

Gewohnheitsrecht 2.10 Grantor´s trust 14.213, 16.192, 17.31 GrCh s. Charta der Grundrechte der Europäischen Union Grenzkontrollen – Bargeld s. dort – Schweiz 3.7 – Selbstanzeigemöglichkeit 12.82 Grenzpendler 14.14 Große Auskunftsklausel s. Auskunftsklausel Große Rechtshilfe 10.33

Haftbefehl 6.310 ff. – Außervollzugsetzung 6.344 ff. – Auslieferung 10.90 ff. – europäischer 5.7, 6.356 ff. – Vollstreckung 6.334 ff. Haftgründe 6.313 ff. – apokryphe 6.329 ff. – Flucht(gefahr) 6.314 ff. – Straferwartung 6.321 ff. – Verdunkelungsgefahr 6.325 ff. Harmonisierte Umsatz-/Verbrauchsteuern 14.105 ff., 14.157 ff. – Hinterziehung 2.57, 11.335 f., 21.1 ff., 22.1 ff.

Großes Ausmaß, Steuerhinterziehung 11.359

Heizölverdieselung 21.2

Großes Ausmaß, Steuerverkürzung 11.348

Herausgabeverlangen 6.55, 6.81, 6.100, 6.113

Grundsteuer 14.301 Grunderwerbsteuer 14.137 ff., 19.1 ff. – – – – – – – – –

Änderung Gesellschafterbestand 19.3 Anteilsvereinigung in einer Hand 19.14 Anzeigepflichten 19.7 Erwerbsvorgänge 14.137, 19.1 gesetzliche Vertreter Auslandsgesellschaft 19.17 mittelbare Gesellschafterwechsel im Ausland 19.11 Notar, Anzeigepflicht 19.7, 19.9 Steuerbefreiungen 14.142 Steuerschuldner 14.143

Grunderwerbsteuer, Pflichtverletzungen 19.1 ff.

Herausgabe, Rechtshilfe 10.110

Hinreichender Anlass 6.30, 6.33 Hinterziehung s. auch Steuerhinterziehung Hinzurechnungsbesteuerung 11.214, 14.7, 14.9, 14.193 ff., 14.213, 16.90, 16.110, 16.115, 16.194, 16.203 ff. – Beispiele 16.112, 16.116, 16.213 – ausländische Familienstiftung 14.208 ff., 16.192 – Ausschüttungsfiktion 14.193 – Pflichtverletzungen 16.211 f. – Konkurrenz zu § 42 AO 14.194 f. Holdinggesellschaft 14.8, 16.269, 16.213 IGH s. Internationaler Gerichtshof

Grundfreiheiten, EU 2.9, 2.30, 2.46, 2.60, 2.63, 11.217, 13.72, 16.81

IStGH-Statut 2.15, 2.18, 2.54 ff.

Grundrechte, Grundgesetz 2.1

Import stiller Reserven 14.45

Immutabilitätsprinzip 3.34

1031

Sachregister Inbound-Fälle 16.66, 16.71 In-dubio-pro-reo-Grundsatz 2.65, 12.16, 12.87 – Verrechnungspreise 16.153

– – – –

Betriebsstätten und Stammhaus 14.219 Kapitalgesellschaften 14.241 verdeckte Einlage 14.251, 16.134 verdeckte Gewinnausschüttung 14.245, 16.130

Informationelle Selbstbestimmung, Recht 8.1, 9.5, 9.12

Internationale Minderbesteuerung 16.187

Informationsaustausch, internationaler s. Amts- und Rechtshilfe

Internationale Strafverfolgungsbehörden 10.42

Informationsaustauschabkommen (TIEA) 9.45 ff., 14.286

Internationale Umwandlungen 16.88 ff.

Informationszentrale Ausland 9.8

Internationaler Gerichtshof, Statut 2.15, 2.18, 2.54 ff.

Inländische Einkünfte 14.15 ff., 16.282 ff. – erweiterte 14.27

Internationaler Informationsaustausch s. Amts- und Rechtshilfe

Inländisches Betriebsstättenvermögen 14.63, 14.67

Internationales Privatrecht 16.260

Inland – Ansässigkeit 16.252 – Begriff 3.5 – Unternehmenssitz 3.21 – Wohnsitz s. dort Inlandstat 3.4 ff. Innergemeinschaftliche Lieferung, Kollusion 11.77 ff., 18.22 ff. – Buchnachweis 18.30 – Nachweispflichten 18.28 – Pflichtverletzungen 18.31 – Steuerbefreiung 18.23 – Steuerhinterziehung 18.34, 18.36 – Vertrauensschutz 18.24 – s. auch Reihengeschäft und Umsatzsteuerkarussell

Internationales Strafanwendungsrecht 3.1 ff. Internationales Steuergeheimnis 9.41 Internationales Steuerrecht 14.1 ff. – Begriffe 14.1 – materielles Recht 14.1 ff. – Ertragsteuern 14.11 ff. Internationales Steuerstrafrecht – anwendbares Recht 3.3 ff. – Begriffe 1.1 ff. – Rechtsquellen 2.1 ff. Internationales Steuerstrafverfahren – Ablauf 6.1 ff. – Legalitätsprinzip und Unionsrecht 5.1 ff. Interpol 8.7, 10.42

Innergemeinschaftlicher Erwerb 14.119 ff.

Interquartil-Methode 14.263

Innergemeinschaftliches Reihengeschäft 18.34, 18.36 ff.

IRG, Rechtshilfe 6.1, 6.3, 6.170 ff., 8.8, 10.4, 10.12 f., 10.15 f., 10.22, 10.33, 10.38, 10.104 ff. – Arrestierung 6.533 ff. – Auslieferung 10.91 f. – Beschlagnahme/Durchsuchung/Herausgabe 10.110 ff. – Einziehung/Sicherstellung 10.104 ff., 6.533 ff. – Gemeinsame Ermittlungsgruppen 10.53 f.

Innerstaatliches Recht, Rang 2.52 Internationale Bedienstete 13.34 Internationale Bestechung 3.10, 13.1 ff., 16.219 Internationale Einkünfteabgrenzung 14.216 ff. – Berichtigung von Einkünften (§ 1 AStG) 14.255 1032

Sachregister – Rechtshilfeersuchen 10.37, 10.39, 10.78 ff., 10.130 – Spontanauskunft 10.107 ff.

Karussellgeschäfte, betrügerische s. Umsatzsteuerkarussell

Irland – DBA 9.103 f. – Dublin-Docks, EuGH 13.72 – EU-ne-bis-in-idem-Abkommen 4.11 – innergemeinschaftliche Lieferung 18.32 – IT-Dienstleistungen 16.291 – SDÜ 4.18 ff., 10.10, 10.13

Kirchensteuer 14.300

IRSG, Rechtshilfe Schweiz 10.142 IStGH-Statut 2.18, 2.54 f. IStGH-StatutsG 2.55 IT-Ressourcen, Ausland 16.291 f. Jagdschein, Entzug 11.570 Juristische Person – Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung 16.277 – Satzungssitz 16.273 ff. Kaffeesteuer 14.190 ff. Kapitalerträge, ausländische s. ausländische Kapitalerträge Kapitalertragsteuer 10.160, 14.54, 14.207, 14.250, 16.175, 16.284 – Steuerhinterziehung 16.294 ff. Kapitalgesellschaft – Anteile an ausländischer 14.35, 16.15, 16.279 – ausländische 4.67, 11.560, 13.72, 14.49, 14.54, 16.208, 16.256, 16.274 – Einbringungsvorgänge 16.106 – Einkünfteabgrenzung/-korrektur 14.241 ff. – Outsourcing 13.72 – Verlegung Geschäftsleitung 16.53, 16.268 – Zuzug 14.70, 16.259 ff. – s. auch vGA, verdeckte Einlage, Hinzurechnungsbesteuerung, Wegzug, Zwischengesellschaft Kapitalverkehrsfreiheit 2.30, 11.62, 11.494, 12.74

Kaution 6.312, 6.317, 6.331, 6.345 Kleine Auskunftsklausel 9.31 ff. Kleine Rechtshilfe 10.33, 10.165 Know-how-Gebühren 14.22, 14.271, 16.10, 16.162 f., 16.21 Konzernumlage – Pflichtenkreis 20.11 – Pflichtverletzungen 20.12 ff. Körperschaftsteuer 14.47 ff., 16.45 ff. – beschränkte Steuerpflicht 14.50, 16.45 – Entstrickung 14.61 ff., 16.47 f., 16.105 – Erstattung 14.57 – Familienstiftung 17.43 – Freistellung 14.57, 16.274 – Gesellschaften nach ausländischem Recht 14.49 – grenzüberschreitende Sitzverlegung 14.59 – Ort der Geschäftsleitung 14.47, 16.53 – stille Reserven 16.50 – Steuerfreistellung 14.282 – Steuersatz 14.56 – unbeschränkte Steuerpflicht 14.47 – verdeckte Gewinnausschüttung 14.5, 16.130 ff., 18.17 – Wechsel (un)beschränkte Steuerpflicht 14.58 – Wegzugsbesteuerung 16.45 ff. – Zuzug 16.262 Kollisionsauflösung 14.3 Kollisionsbegründung 14.3 Kommissarische Vernehmung 6.220 f. Kompensationsverbot 13.46 Kompetenzschranke, EU 2.51 Kompetenzkonflikte 2.51, 3.23, 4.23, 10.6 – Rahmenbeschluss EU 3.23 Kontenabfragen, grenzüberschreitende 6.203 ff. Kontoverdichtungen 6.204, 10.2 1033

Sachregister Kontrollmitteilung 6.4, 6.10, 6.42 – bei Banken 12.74 – und Selbstanzeige 12.74 Konzern – aktive Einkünfte 14.199 – Anteilsvereinigung/-übertragung 14.140 f. – Funktionsverlagerung 16.156 – Gewinnverlagerung 16.213, s. auch Verrechnungspreise – internationales Strafrecht 3.21 – mehrstufiger 16.177 – Gewinnabgrenzung 14.216 ff., 14.241 ff., 14.303 – Trennungsprinzip 16.118 – Umstrukturierung 19.8 – US- 16.10 Koordinierte Außenprüfung 9.37 Korrespondenzprinzip 16.137 Korruption 13.1 ff., 13.77 – Abzugsverbot 13.37 ff. – Amtsträger, Ausland 23.6 f. – Auslandstaten 13.47 – Benennungsverlangen (§ 160 AO) 13.52 ff. – Bestechungstatbestände 13.8 – Empfänger 13.54 ff. – EU-Bestechungsgesetz 13.6 – IntBestG 13.6 – Mitteilungspflicht Prüfer, Korruption 13.41 – Pflichtverletzungen, steuerliche 16.218 – Strafrechtsverschärfung 13.3 – Täterkreis 13.16 ff. – Vorteilsannahme 13.14 ff. – Vorteilgewährung 13.3, 16.218 ff. – s. auch Bestechungstatbestände, Schmiergelder Kostenaufschlagsmethode 14.262, 14.271 Lageraussetzungsverfahren 21.8, 22.8 Land- und Forstwirtschaft, Einkünfte 14.19, 14.52, 14.55, 14.94, 14.101, 14.199, 14.204, 14.214, 14.303, 16.172, 16.184, 16.194, 16.230, 16.289, 17.21 1034

Lebensversicherung, Ausland 11.497, 12.80, 16.189 f. Legalitätsprinzip und EU-Recht 3.28, 5.1 ff., 5.11 ff., 6.10, 10.2 f., 10.59, 10.138 Leichtfertige Steuerverkürzung 11.296 ff., 12.62, 15.39, 15.44, 16.7, 16.186, 16.296, 18.7, 19.9, 21.14, 22.11 – Selbstanzeige 12.98 Leichtfertigkeit 4.69, 11.296 ff., 12.98 Leistungstransfer, Betriebsstätten 16.65 ff. Liechtenstein – Ankauf Daten-CD, Verwertungsverbot 12.86 – Rechtshilfe 10.165 ff. – Stiftung/Trust, Erbschaftsteuer 17.31 ff. Limited 13.72, 16.54, 16.58 Liquidationsbesteuerung 14.60, 14.67, 16.50, 16.55, 16.63 Lizenzgebühren 14.22, 14.199, 14.271, 14.294, 14.303, 16.10, 16.54 f., 16.227, 16.285, 16.300, 17.21 – Beispiele 16.41, 16.54, 16.83, 16.162, 16.269 – Richtlinie 14.277, 14.282 Lohnsteuer – Abzugsteuer 14.21, 16.284, 16.294 f., 16.297, 16.299 – Anrufungsauskunft 16.297 – Haftung 16.294 – Hinterziehung 11.254, 15.43, 16.296 Luft-/Schifffahrtunternehmen, Einkünfte 14.19, 14.131, 14.286, 14.303 Luxemburg – Beispiele, Gewinnverlagerung 16.106, 16.116, 16.291, 16.299, 19.17 – Cloud-Computing 16.291 – Rechtshilfe 10.177 f. – steuerlicher Informationsaustausch 16.9 Median 14.264, 16.150 f. Mehrwertsteuersystem, gemeinsames, RL 11.59, 18.1 ff.

Sachregister Mehrwertsteuer-Zusammenarbeits-VO 9.2, 9.96 f., 18.5 Menschenrechtskonvention 5.8 ff. Meistbegünstigungsklausel 2.8 f. Minderbesteuerung, internationale 16.187 Mindesttrias, EU-Sanktion 2.61 Mineralöl, straf- und bußbare Pflichtverletzungen 21.13 ff. Missbrauch steuerlicher Gestaltung (§ 42 AO) 11.197 ff. Missbrauchsklauseln, DBA 14.294 f. Missing Trader 18.41 f. Mitteilungspflicht Prüfer, Korruption 13.41 ff. Mitwirkungspflichten 15.1 ff. – allgemeine 15.1 – Auslandssachverhalte (§ 90 Abs. 2 AO) 5.24, 15.4 ff. – Dokumentation 15.13, 16.74 – Einzelsteuergesetze 15.20 – erweiterte 15.4 – Zwischengesellschaften (§ 17 Abs. 1 AStG) 15.8 – steuerliche Rechtsfolgen bei Verstoß 15.22 – strafrechtliche Folgen bei Verstoß 15.34 Musik-Streaming 16.299 ff. Nachtzeit, Durchsuchung 6.82 Nachweispflichten – Ausfuhrlieferung 11.342, 18.3, 18.14, 18.24, 18.29 – Beweislast 16.6 – nach Einbringung 16.93, 15.21 – innergemeinschaftliche Lieferung 11.63 ff. Nachzahlung, Selbstanzeige 12.47 ff. Nationales Recht – Rang, innerstaatlich 2.52 – Verhältnis EU-Recht 2.37 ff. – Verhältnis Völkerrecht 2.31 ff. Nato-Truppenstatut 2.19

Nemo-tenetur-Grundsatz 2.65 – Strafverfahren/Besteuerungsverfahren 5.18, 5.22 ff., 12.82, 13.52 – strafrechtliches Verwendungsverbot 5.27 Ne bis in idem s. Doppelbestrafungsverbot Neutralisierungswirkung 2.9, 2.57 Nichtverfolgung, Auslandsdelikt 3.28 f. Niederlande 4.31, 4.63, 5.15, 10.10, 10.40, 10.43 – Amtshilfe 9.103 f. – DBA 16.171, 16.275 – Gesellschaft 16.131, 16.274 – Zollabfertigung 3.9 Niederlassungsfreiheit 2.30, 11.62, 14.49, 14.60, 14.195, 14.244, 14.303, 16.79, 16.84, 16.140, 16.140, 16.260, 17.28 Niedrigsteuerländer, Einkünfteverlagerung 11.197, 13.60, 14.5, 14.7, 14.193 f., 16.10, 16.202, 16.205 Nullum crimen sine lege 2.2 Nutzungen und Leistungen 14.248, 16.133 Nutzungsrechte 14.32, 14.62, 16.14, 16.27, 16.48, 14.100 ff., 14.252, 16.133, 16.156 f., 16.211, 17.21 Nutzungsüberlassung – an ausländische Betriebsstätte 16.83 ff. – Berechtigter 14.294 – Electronic Commerce 16.291 – grenzüberschreitende 14.112, 14.226, 14.252, 14.271, 16.65 ff., 16.300 – Nutzungsort 14.113 Observation 10.11, 10.14 OECD-Aktionsplan Bekämpfung Steuerverkürzung 16.10 OECD-Musterabkommen – große Auskunftsklausel 9.31 ff. – kleine Auskunftsklausel 9.31 ff. – internationaler Informationsaustausch 9.31 ff. Örtlicher Anwendungsbereich, deutsches Strafrecht 3.4 ff. 1035

Sachregister Österreich – ARHG 10.15 – Auslieferung 9.274 – EuRhÜbK 10.179 ff. – Finanzstrafgesetz 4.32 – Rechtshilfe 10.179 – SDÜ 10.10 – Straferkenntnis 4.29 – unaufgeforderte Übermittlung 10.179 ff. – Verwaltungsstrafgesetz 4.30 – Wegzug 16.41 – Zollabfertigung 3.9 Offshore-Leaks 12.83 Offshore-Steuergesetz 2.19 Offenbarungsbefugnis, Amtsträger 6.133 f. Offenbarungspflichten, steuerliche 11.5, 11.162 – Zumutbarkeit 5.25 OLAF 2.27, 5.2, 8.7, 10.51 f. Online-Durchsuchung 8.1 Opportunitätsprinzip – Verfahrenseinstellung 3.36 Ordre public, Grundsatz (Vorbehalt) 9.24, 9.26, 9.29, 9.49, 9.57, 10.34, 10.38 Organgesellschaft 16.269 Outbound-Fälle 16.67 f., 16.70 Outsourcing 13.72 PaaS-Vertrag 16.291, 16.293 Parallele Ermittlungsverfahren 5.14 Passentziehung 6.324, 11.566 Patente 14.100, 14.271, 16.10, 16.103 ff., 16.21 Patentverwertungsgesellschaft 16.269 Personalitätsprinzip 3.21, 3.25 ff. Pflichtverletzungen im Steuerrecht 16.1 ff. – Energiesteuerrecht 21.13 ff. – Ertragsteuerrecht 16.1 ff. – Erbschaftsteuerrecht 17.1 ff. – Grunderwerbsteuer 19.1 ff. 1036

– Tabaksteuerrecht 22.10 ff. – Umsatzsteuerrecht 18.1 ff. PIF-Übereinkommen 2.61 Polen – deutsche Zollabfertigung 3.9 – Rechtshilfe 9.103, 10.10 – Zigarettenschmuggel 3.9, 11.420, 22.13 Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit (PJZS) 2.27, 8.7 Preisvergleichsmethode 14.262 f., 14.271, 14.215, 16.148 Primäres Unionsrecht s. Unionsrecht, primäres Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege 3.22 Private Ermittlungen, Verwertungsverbot 6.262 Privatvermögen – Einkünfte aus - 14.250 – Entstrickung 14.31, 14.35, 16.13 – Verstrickung 14.44, 14.46, 16.228 – Wegzugsbesteuerung 16.13, 16.15, 16.23, 16.29 – Zuzug, Anteilsveräußerung 16.264 Provisionszahlungen – Benennungspflicht (§ 160 AO) 13.57 ff. – Bestechungsdelikte 10.32, 13.1, 16.217, 16.223 f. – Steuerhinterziehung 16.223 f. Prozessualer Tatbegriff 4.66, 6.12 ff., 11.105 – Einstellung 3.35 – Verjährungsunterbrechung 6.544 f. Quellensteuer – Kapitalerträge 12.102, 14.54, 14.8, 14.290, 14.303, 16.39, 16.282 – Lizenzeinnahmen 16.55 ff., 16.269 ff. Quellensteuerreduktion 14.8, 14.294 Rahmenbeschluss 2.45 – s. auch EU-Rahmenbeschluss

Sachregister Rasterfahndung, unzulässige 6.33 Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts 5.3 Recht auf faires Verfahren, EMRK 2.65 Rechtshilfe, ausgehende 10.123 ff. – Durchsuchung/Beschlagnahme 10.131 ff. – Ermittlungsmaßnahmen, Arten 10.131 ff. – Geschäftswege 10.129 – TKÜ 6.273 ff. – s. auch IRG Rechtshilfe, eingehende 10.2, 10.76 ff. – Auslieferung in Steuerstrafsachen 10.83 – Bewilligung 10.80 – Datenübermittlung ohne Ersuchen 10.107 – Grenzen 10.78 – Herausgabe Beweismittel 10.110 – Rechtsschutz 10.77 – SDÜ 10.10, 10.19 – TKÜ 6.273 ff. – Überstellung ins Ausland 10.81 – Vollstreckungshilfe 10.115 – Vollstreckungsverfahren 10.120 – Zulässigkeit 10.76 – zuständiges Gericht 10.77 – Zuständigkeit Bund 10.79 Rechtshilfeabkommen, EU 2.18, 9.43 ff. Rechtshilfeabkommen EU-USA 2.18 Rechtshilfe in Steuersachen 8.2, 9.1 ff., s. auch Amtshilfe in Steuersachen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen 10.1 ff. – AEUV 10.5 – Anfangsverdacht 10.32 – ausgehende Rechtshilfe 10.132 – Begriffe 10.33 – BMF-Schreiben 10.27, 10.28 – eingehende 10.2, 10.59 – EUAlÜbk 10.21 – EU-Ebene 10.5 – EURhÜbk 10.18 – Grundprinzipien 10.34 – Kanada 10.186 – Kompetenzen 10.39 – Liechtenstein 10.165 ff. – Luxemburg 10.177 f.

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Österreich 10.179 ff. Rechtsgrundlagen 10.4 ff., 10.22 Rechtsschutz 10.77, 10.141 Steuergeheimnis 10.188 Schwedische Initiative 6.147 Schweiz 10.142 TKÜ 6.273 ff. USA 10.183 s. auch Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtshilfe, eingehende und Rechtshilfe, ausgehende

Reihengeschäft, innergemeinschaftliches 18.26, 18.34, 18.36 ff. Revocable trust 14.167, 16.192 f., 17.31 Reziprozität 10.34, 10.36 RiVASt 6.3, 10.12 Rückwirkungsverbot 2.8 f. Rule shopping 14.293 Sammelauskunftsersuchen – Anforderungen 6.38 – an Banken 6.35 – Cash-Kreditkartenkonten 6.36 – inländisches 6.29 ff. Satzungssitz, JP, Verlegung 14.47 f., 14.58 ff., 16.62, 16.145 ff., 16.259 – im Inland 16.273 ff. Schachtelprivileg 14.225, 16.180 Schachtelstrafe 16.177 Schätzung – Einziehung 6.418, 6.477 – Finanzbehörde 6.311 – steuerliche (§ 162 AO) 5.27, 15.26 f., 15.46, 16.185, 16.199, 16.209, 16.211, 16.290 – „Strafschätzung“ 5.24 – Strafurteil 11.543, 15.46 – bei Verletzung von Mitwirkungspflichten 15.22 – Verrechnungspreise 16.124 – Verständigungsverfahren 6.442 – Zuschlag (§ 162 Abs. 4 AO) 15.29, 16.76, 16.126 Schaumweinsteuer 14.183 f. 1037

Sachregister Schengener Durchführungsübereinkommen 4.19 ff. – Auslieferung bei Steuerdelikten 9.71 – bei EU-Haftbefehl 10.90 ff. – Rechtshilfe 10.10 ff. Schengener Durchführungsübereinkommen, Art. 54 SDÜ 2.65 f., 3.2, 3.38, 4.19 ff., 5.7, 5.14, 11.16, 11.18, 16.28 – Begriff derselben Tat 4.60 – belgische Transactie 4.33 – niederländische Transactie 4.37 – österreichisches Straferkenntnis 4.29 – Ordnungswidrigkeitenverfahren 4.45 – Selbstanzeige 4.41 – Verbrechen 4.40 – Verhältnis zu Art. 50 GRCh 4.23 – rechtskräftige Aburteilung 4.25 – Steueramnestie 4.72 – Vollstreckung 4.71 Schenkungsteuer 14.82, 14.284, 17.27 ff. – s. Erbschaftsteuer Schiedsverfahrenskonvention 2.20 Schiff, anwendbares Strafrecht 3.18 Schiffahrtunternehmen, Einkünfte 14.19, 14.131, 14.286, 14.303 Schmiergelder 13.1 ff., 16.218 ff. – Abzugsverbot 13.1, 16.218 – Benennungsverlangen 13.52, 16.221 – Pflichtverletzungen 16.218 ff. – s. auch Bestechung Schmuggel, schwerer 11.419 ff. – bandenmäßiger 11.441 – gewerbsmäßiger 11.440 – Hintermann 11.429 – Schadensberechnung 11.434 – TKÜ 6.273 ff. – Verbringung 11.163, 11.432 – Waffen 11.444 Schusswaffe 11.444 Schwedische Initiative 6.147 ff. Schweigerecht, EMRK 2.65 Schweiz – Amtshilfe in Steuersachen 10.142 ff. – anwendbares Strafrecht 3.7 1038

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Auslieferung 10.147 Bankgeheimnis 10.146 indirekte Steuern 10.150 Rechtshilfe 10.142 ff. SDÜ 4.20 Spezialitätsvorbehalt 10.158 Steuerbetrug 10.147 ff. vorgeschobene Grenzabfertigung 3.7 Wegzug in 16.41, 16.57

Schweizer Bankgeheimnis 6.41 Schutz der EU-Finanzinteressen s. EU-Finanzinteressen Schutzprinzip 3.21 Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 12.28 Schwarzmarktpreis 11.435 Schwestergesellschaften, ausländische 14.248, 14.303, 16.133, 16.162 SDÜ s. Schengen SCE 10.3, 10.48, 14.33, 14.59 ff., 16.45, 16.70, 16.89 SE 14.33, 14.59 ff., 16.45, 16.102, 16.260 Sekundäres Unionsrecht s. Unionsrecht, sekundäres Selbstanzeige 6.4, 11.297, 11.538, 12.1 ff. – Abgabe durch Vertreter 12.16 – Abgrenzung zu § 153 AO 12.25 – Adressat 12.24 – Altfälle 12.30 – Bekanntgabe Außenprüfung 12.60 – Bekanntgabe Verfahrenseinleitung 12.63 – CD-Fälle 16.183, 16.186 – disziplinarrechtliche Folgen 12.104 – Einstellung 11.539 – Erscheinen der Finanzbehörde 12.64 – Fertigung, praktische Vorschläge 12.101 – Form 12.23 – Fremdanzeige zugunsten Dritter 12.95 – gestufte 12.32 – Grenzkontrollen 12.82 – Kontrollmitteilungen 12.74 – leichtfertige Steuerverkürzung 12.98 – nach Selbstanzeige 12.44 – Nachzahlung 12.47 – persönlicher Strafaufhebungsgrund 12.2 – Rechnenmüssen mit Entdeckung 12.87

Sachregister – – – – – – – – – – – – – – – –

rechtzeitige 11.87 Sperrgründe 12.68 Steuerart 12.36 Steuerdaten-CD 12.80, 16.183, 16.186 Stiftungsvermögen 12.46 Tatentdeckung 12.65 Tatentdeckung durch ausländische Amtsträger 12.83 Teil- 12.28, 12.36, 12.44, 12.98 f. Transfer Unterlagen, Ausland 12.17 Umfang der Sperrwirkung 12.99 Unternehmen 12.89 unverjährte Taten 12.30, 12.101 Verbandsgeldbuße 12.91 Verwertungsverbot 12.86 Vollständigkeitsgebot 12.31, 12.39 Voraussetzungen 12.3

Selbstbelastungsfreiheit 2.65, 5.22 ff. – s. auch Nemo-tenetur-Grundsatz Server, Zugriff 6.116 Sicherstellung, EU 10.104 ff., 10.110 ff. – s. auch Beschlagnahme/Einziehung, Arrest Spanien – Ansässigkeit 16.97 f., 18.32 ff. – DBA 9.103 f., 16.98 – SDÜ 10.10 – Strafverfolgung 3.2, 3.39 – TKÜ 5.13 – USt-Hinterziehung 18.34, 18.39 Spediteurbescheinigung 18.29 Sperrgründe, Selbstanzeige 12.59 – Bekanntgabe Außenprüfung 12.60 – Bekanntgabe Verfahrenseinleitung 12.63 – Erscheinen der Finanzbehörde 12.64 – Kenntnis von Tatentdeckung 12.87 – Reichweite 12.70 – Tatentdeckung 12.65 Spezialitätsgrundsatz 6.364 f., 10.34, 10.37, Spezialitätsvorbehalt – Schweiz 10.158 Spontanauskunft 9.3, 9.6, 10.107, 16.28, 16.171

Staatsanwaltschaft – Abgabe des Verfahrens an - 5.20 – als Ermittlungsbehörde 5.18 – Ermittlungspersonen der - 5.19 – Europäische, s. dort – Evokationsrecht 5.18 – Zuständigkeit Steuerstrafverfahren 5.18 ff. Statut IStGH 2.15, 2.18, 2.54 ff. Stellvertretende Strafrechtspflege 3.22 Steuerabzug 14.22 – auf Anordnung 16.288 – auf Bruttobasis 16.285 – auf Nettobasis 16.287 Steueramnestie 4.72 ff., 10.36 – Strafbefreiende Erklärung 4.73 – als Vollstreckung 4.72 Steueraussetzungsverfahren 14.161 f. – Energiesteuern 21.4 ff. – Tabaksteuern 22.4 ff. Steuerberater, Durchsuchung 6.110 f. Steuerbetrug, Schweiz 10.142 ff. Steuer-CD, Ankauf 6.281 ff., 12.88, 16.189, 16.200 – Beweiserhebung/-verwertung 6.292 ff. – Beweisführungskette 6.300 ff. – kombinierter Ansatz 6.288 ff. – keine Rechtshilfe 10.153 – Selbstanzeigemöglichkeit 12.80 f., 16.183, 16.186 – Tatentdeckung 12.80 f. – Verwertungsverbot 6.281 ff. Steuerentstrickung s. Entstrickung, Wegzug Steuererklärungspflichten – Suspendierung 5.25 – steuerliche Folgen bei Verstoß 15.22 – strafrechtliche Folgen bei Verstoß 15.34 Steuerfahndung 5.18 ff. Steuergeheimnis 6.119 ff. – Durchbrechung 6.122 ff. – internationales 9.41 – und Rechtshilfe 10.188 1039

Sachregister Steuergesetz 2.9 Steuerhehlerei – TKÜ 6.273 ff. – Zigarettenschmuggel 22.13 Steuerhinterziehung 11.1 ff. – abweichende Rechtsauffassung 11.153 – Angaben, unrichtige/unvollständige 11.127 – Anstiftung 11.479 – Bankmitarbeiter 11.497 – Beihilfe 11.484 – Berichtigungspflicht (§ 153 AO) 11.194 – besonders schwerer Fall 11.347 – Blanketttatbestand 11.1, 11.20 ff. – EuGH, Vorlage 11.72 – europäischer Tatbegriff 4.67 – faktischer Geschäftsführer 11.123, 11.478 – Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) 11.196 – Garantenpflicht 11.147 – Geldstrafe 11.553 – gesetzliche Vertreter 11.119 ff. – Gestellungspflicht 11.144 – harmonisierte USt/Verbrauchsteuern 11.328, 18.1 ff. – konkludente Angaben 11.141 – Inlandstat 3.3, 3.4 ff. – Irrtum 11.300 – Kausalität 11.135 – Kompensationsverbot 11.256 – Lohnsteuer 11.254, 15.43, 16.296 – Mineralöl 21.13 ff. – Nebenfolgen 11.570 – pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen 11.145 – Regelbeispiele 11.347 – Rechtsgut 11.2 – Schätzung 11.543, 15.46 – Strafzumessung 11.545 – Tabaksteuer 22.10 ff. – Täterkreis 11.115 – Täter-Opfer-Ausgleich 11.563 – Täterschaft/Teilnahme 11.456 – Täuschung/Unkenntnis 11.134 – Taterfolg 11.249 – Tathandlungen 11.7, 16.5 – Umsatzsteuerhinterziehung s. dort – Unterlassen 11.162 – Urteilsfeststellungen 11.540 1040

– – – – – – – –

Verfügungsberechtigter 11.119 Verjährung 11.572 Verrechnungspreise 16.129 Versuch 11.295 Vorbereitungshandlung 11.295 Vorsatz 11.263 Vorteilserlangung 11.254 Zigarettenschmuggel 22.13

Steuernachzahlung, Selbstanzeige 12.47 ff. Steueroasen 6.4, 9.45, 9.88, 13.61, 14.286, 16.9, 16.202 Steuerstrafrecht, Begriff 1.1 – s. auch Steuerhinterziehung Steuerstrafverfahren – Ablauf 6.1 ff. – Dualität von Besteuerungs- und Strafverfahren 7.7 ff. – Verhältnis Besteuerungsverfahren 5.22 ff., 7.7 ff. – Verteidigung 7.1 ff. s. auch Steuerstrafverfahren, Verteidigung Steuerstrafverfahren, Verteidigung – Akteneinsicht 7.58 ff. – Aufgabe des Verteidigers 7.35 ff. – Doppelmandate 7.50 – Ermittlungsverfahren 7.54 ff. – Erstgespräch 7.54 ff. – internationale Steuerstrafverfahren 7.1 ff. – Rechtsstellung des Verteidigers 7.22 ff. – Strategie 7.70 ff. – Unternehmensanwalt 7.44 ff. – Verteidigungsziel 7.70 ff. – Zeitpunkt der Verteidigungstätigkeit 7.51 ff. Steuerumgehung 9.86, 11.202, 14.7, 14.244, 14.293 ff., 16.204, 19.3 – s. auch Gestaltungsmissbrauch Steuerveranlagung 14.21 Steuerverkürzung auf Zeit – subjektive Anforderungen 11.292 ff. Steuerverkürzung, leichtfertige s. leichtfertige Steuerverstrickung s. Verstrickung Steuerverzicht, gegenseitiger 14.295

Sachregister Steuerzeichen 11.194, 12.25

Subventionsbetrug 3.20, 3.24

Steuerzuschlag, Schätzung 15.29, 16.76, 16.126

Supranationale Normen 2.26 ff. – Rang 2.37 ff. – s. auch Unionsrecht

Stille Reserven 14.28, 16.13 – Ent- und Verstrickung 16.226, 16.228 – Wegzugsbesteuerung 14.66, 16.47, 16.50, 16.228 Stiftung 6.4, 14.208 ff., s. auch Familienstiftung – und Selbstanzeige 12.46 Strafklageverbrauch – ausländische Sanktionen 4.24 ff. – beschränkter transnationaler 3.32, 3.40, 4.31 f., 4.46 – s. auch Art. 54 SDÜ, Doppelbestrafungsverbot und prozessualer Tatbegriff Strafverfahren, Verteidigung – Akteneinsicht 7.58 ff. – Aufgabe des Verteidigers 7.35 ff. – Doppelmandate 7.50 – Ermittlungsverfahren 7.54 ff. – Erstgespräch 7.54 ff. – internationale Steuerstrafverfahren 7.1 ff. – Rechtsstellung des Verteidigers 7.22 ff. – Strategie 7.70 ff. – Unternehmensanwalt 7.44 ff. – Verteidigungsziel 7.70 ff. – Zeitpunkt der Verteidigungstätigkeit 7.51 ff. Strafverfolgungsübernahmeersuchen 10.189 Strafzumessung – Steuerhinterziehung 11.545 ff. Streaming 16.299 Strohmann – USt-Karussell 18.42 Stromsteuer 14.170 ff. Stundung 14.39 ff. – Wegzugsteuer 16.17 f. – Widerruf 16.20 Subject-to-tax-Klauseln 14.285, 14.291, 14.294, 16.171 Subsidiaritätsprinzip 9.10, 9.24

Suspendierung, Steuererklärungspflicht bei Selbstbelastungsgefahr 5.25 f., 12.27 Switch-over-Klausel 14.287, 14.291, 14.294 f. Tabaksteuer 22.1 ff. – Pflichtenkreis 22.8 f. – Pflichtverletzung 22.10 ff. – Steueraussetzungsverfahren 22.5 ff. – steuerrechtlich freier Verkehr 22.15 ff. Täter-Opfer-Ausgleich 11.563 f. Tafelpapiere 6.37 Tatbegriff – europäischer 4.60 ff. – materiell-rechtlicher 12.70, 12.42 – prozessualer 4.66, 6.12 ff., 11.105 Tatbestandsirrtum 11.300 f., 16.152 Tatentdeckung, Selbstanzeige 12.65 ff. – durch ausländische Amtsträger 12.83 – Daten-CD, Ankauf 12.80, 12.88 – Geldwäscheverdachtsanzeige – Grenzkontrollen 12.82 - Kontrollmitteilungen 12.74 – mediale 12.80 – Offshore Leaks 12.83 – Schweiz, Rechtshilfe 12.85 – Umfang der Sperrwirkung 12.70, 12.99 – Ausschluss wegen Verwertungsverbots 12.86 Tatort – anwendbares Recht 3.5 ff. – Steuerhinterziehung 3.6 ff. – Teilnahme 3.5, 3.13 – Unterlassen 3.17 Tatverdacht – Anfangsverdacht s. dort – dringender 6.306 ff. – hinreichender 6.9, 12.71 – hinreichender Anlass 6.21 1041

Sachregister Tax Information Exchange Agreements s. TIAE Teileinkünfteverfahren 14.205, 16.174 Teilselbstanzeige 12.36, 12.44 Telefonüberwachung, s. Telekommunikationsüberwachung Telekommunikationsüberwachung 6.273 ff. Territorialitätsprinzip 3.4 ff., 8.1 – Steuerordnungswidrigkeiten 3.10 f. Tertiärrecht 2.29 TIEA (Informationsaustauschabkommen) 9.45 ff., 14.286 Tochtergesellschaft, s. ausländische Transactie, Strafklageverbrauch – belgische 4.33 f. – niederländische 4.37 f. Transaktionswert 11.434 Transborder Search 6.116 Transparenzklausel 14.257, 16.143 Trust, ausländischer 6.29, 9.48, 14.49, 14.49, 16.191 ff., 17.31 ff. – grantor´s 17.31 – revocable 14.212, 16.192 f., 17.31 – s. auch Familienstiftung, ausländische Tschechien 9.104, 10.10 – deutsche Zollabfertigung 3.9 Treaty overriding 2.35 Treaty-shopping(-Klausel) 14.8, 14.293, 14.295 Treuhandverhältnis 16.274 f. Trust 6.4, 6.29, 9.48, 14.49, 14.212 ff., 16.9, 16.191 ff., 17.31 ff. – ausländische 16.191 ff. – Erbschaft-/Schenkungsteuer 17.31 ff. – revocable 14.212, 16.192 f., 17.31 Überwachungsanordnung, europäische 10.98 ff. Ubiquitätsprinzip 3.12 f. 1042

Umsatzsteuer 14.106 ff., 18.1 ff. – Aufzeichungspflicht 18.3 – Berichtigungspflicht 18.3 – Buchnachweis 18.10 – Einfuhr- 14.116, 18.76 ff. – Erklärungspflicht 18.3 – innergemeinschaftlicher Erwerb 14.119 – innergemeinschaftliche Lieferung 18.6, 18.22 – Leistungsempfänger 14.134 – Lieferungen 14.107 – Nachweispflichten 18.10 – Nutzungsentnahmen 14.115 – Ordnungswidrigkeiten (§§ 26b, c UStG) 15.44 – Ort der Lieferung 14.108 – Rechnungsaufbewahrungspflicht 18.3 – Rechnungsausstellung 18.3 – Reihengeschäft 18.26, 18.36 ff. – sonstige Leistungen 14.112 – Steuerbefreiung, Ausfuhrlieferungen 14.129, 18.8 ff., 18.16 ff. – Steuerbefreiung, innergemeinschaftliche Lieferung 18.22 – steuerliche Pflichten 18.3 – Steuerschuldner 14.133 – Unternehmensort 14.113 – Vorsteuer-Vergütungsverfahren 14.135 Umsatzsteueraufkommen, Schädigung (§§ 26b, c UStG) 4.73, 5.17, 11.78, 11.251, 15.44, 18.7, 18.47, 18.74 Umsatzsteuerhinterziehung – Ausfuhrlieferung 18.8 ff. – bandenmäßige 18.5 – Ermittlungsanlässe 18.4 ff. – harmonisierte Umsatzsteuer 11.335 – innergemeinschaftliche Lieferung, Kollusion 11.77 ff., 18.5 ff., 18.27 – Nutzungsüberlassung von Software 16.291 – TKÜ 6.273 ff. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer 18.38 Umsatzsteuerkarussell 3.2, 9.97, 10.53, 10.116, 11.471, 11.545, 18.1, 18.36 ff., 18.41 ff. – Buffer 18.41 ff.

Sachregister – anwendbares Strafrecht 3.2 – banden-/gewerbsmäßige Schädigung (§§ 26b, 26c UStG) 4.73, 5.17, 15.44, 18.7, 18.47, 18.74 – Buffer 18.41 ff. – Haftung 18.73 – Missing Trader 18.41 ff. – Nachweis innergemeinschaftlicher Lieferung 11.77 ff., 18.29 ff. – Steuerhinterziehung 18.7, 18.34, 18.36 ff., 18.41 ff., 18.74 – Vertrauensschutz 18.24 Umsatzsteuernachschau 6.6, 18.39 Umsatzsteuerrecht, Pflichtverletzungen 18.1 ff. Umwandlungen, internationale 16.88 ff. – ausländische – mit Inlandsbezug 16.110 – grenzüberschreitende 16.102 – Einbringungsvorgänge 16.106 – inländische – mit Auslandsbezug 16.95 – Pflichtverletzungen 16.93 – Steuerneutralität 16.34, 16.91 – Wohnsitzwechsel 16.34 Umsetzung, EU-RiLi 2.40 f. Unangemessene rechtliche Gestaltung 11.202 ff. Unaufgeforderte Übermittlung, Amtshilfe 10.189 Unbeschränkte Steuerpflicht 14.11 ff. Unentgeltliche Ausfuhrlieferung 18.16 ff. Unionsrecht – Auslegung durch nationale Gerichte 2.39 – BVerfG-Rspr. 2.47 – Normenhierarchie 2.31 ff. – Rechtsquellen 2.26 ff. – Rang 2.37 ff. – und Steuerhinterziehung 11.52 ff. Unionsrecht, primäres 2.26, 2.30 – Vorgaben für nationales Strafrecht 2.57 f. – Strafprozessrecht 5.5 ff. Unionsrecht, sekundäres 2.26, 2.59, 5.7 – Beschlüsse 2.28 – Empfehlungen 2.28 – Stellungnahmen 2.28

– Strafprozessrecht 5.7 – Vorgaben für nationales Strafrecht 2.62 – s. auch EU-Verordnung/-Richtlinie Unionsschutzprinzip 3.24 Unionszollkodex 11.315 ff., 11.329 f., 18.76 ff. Universalitätsprinzip 3.19, 14.10, 14.43 Unschuldsvermutung 2.12, 2.56, 2.65 f., 11.539 Unterbrechung – kurzfristige, gewöhnlicher Aufenthalt 16.37 ff., 16.237 – strafrechtliche Verjährung 6.44 ff. Unterlassen, Steuerhinterziehung durch – Beihilfe durch - 11.499 – Erbschaftsteuer 17.12, 17.20, 17.34 – unterlassene Angaben 11.43 ff., 11.132 ff., 11.162, 11.194 ff., 11.295, 12.25 ff., 16.29, 16.32, 16.58, 16.167 – Tabaksteuer 22.13 – Tatort 3.5, 3.10, 3.12, 3.15, 3.17 – Umsatzsteuer 18.6, 18.35 Unternehmensanwalt – Steuerstrafverfahren, Verteidigung 7.44 ff. Unternehmensgewinne, Besteuerung – DBA 14.303 – Gewerbesteuer 14.81 – OECD-MA 14.303, 16.87 Unternehmensstiftung 14.211 Untersuchungshaft 6.303 ff. – Außervollzugsetzung 6.344 ff. – Beschleunigungsgrundsatz 6.346 ff. – dringender Tatverdacht 6.306 ff. – Fortdauer 6.352 ff. – Haftbefehl 6.310 ff. – Haftgründe 6.313 ff. – Kaution 6.312, 6.317 – Verhältnismäßigkeit 6.332 f. Untreue 13.77 Urteilsfeststellungen 11.540 ff. 1043

Sachregister USA – Ansässigkeit 17.27 – Auslieferung 10.185 – DBA 16.63, 16.87 – Holding 16.213 – Rechtshilfe 2.18, 8.10, 10.183 Veräußerungsgewinne 14.303, 16.24, 16.27, 16.86 f., 16.98 – Beteiligungs- 14.199, 14.204 Verbot der Doppelbestrafung s. Doppelbestrafungsverbot Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung 5.27, s. auch nemo-tenetur-Grundsatz

Verdeckte Einlage 14.251 ff., 16.134 ff. Verdeckte Ermittler 6.243 Verdeckte Gewinnausschüttung 14.5, 16.130 ff. – Dreiecksverhältnis 16.133 – Fremdvergleich 16.130 – im internationalen Konzern 14.254 ff., 16.130 ff., 18.17 ff. Verjährung, Steuerhinterziehung 11.572 ff. – und Selbstanzeige 12.30 Verbandsgeldbuße und Selbstanzeige 12.91

Verbotsirrtum 11.302 f.

Verdunkelungsgefahr 6.325 ff.

Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-VO 8.9, 9.98 f.

Verfahrensdauer, überlange 6.347

Verbrauchsteuern 14.157 ff., 21.1 ff., 22.1 ff. – Alkoholsteuen 14.180 ff. – Alkopopsteuer 14.188 f. – Beförderungsaussetzungsverfahren 21.5 ff., 22.8 f. – Biersteuer 14.185 – Energiesteuern 14.158 ff., 21.1 ff. – Entstehung 14.157 ff. – harmonisierte, Hinterziehung 2.57, 11.335 f., 21.2 f. – Hinterziehung 21.2 – Kaffeesteuer 14.190 ff. – Lageraussetzungsverfahren 21.8, 22.8 – Pflichtverletzungen 21.13 ff., 21.22 ff., 22.10 ff., 22.16 – Schaumweinsteuer 14.183 f. – Steueraussetzungsverfahren 14.161 f., 21.4 ff., 22.5 ff. – Steuerhinterziehung, Mineralöl/Tabak 21.13, 22.13 – Steuerlager 14.163 f., 21.4 f., 22.8 – Steuerzeichen 11.194, 12.25 – Stromsteuer 14.170 ff. – Tabaksteuer 14.174 ff., 22.1 ff. – Zigarettenschmuggel 22.13

Verfolgungsverjährung 11.572

Verbringer 11.432 f. Verdacht, s. Tatverdacht 1044

Verfahrenseinstellung s. Einstellung Verfall 6.406 Verhältnismäßigkeit, U-Haft 6.332 ff. Verjährungsunterbrechung 6.44 f. Verkehrsteuern 14.105 ff. Verlust öffentlicher Ämter 11.570 Vermietung und Verpachtung, Einkünfte aus- 14.27, 14.199, 14.214, 16.173, 16.184, 16.194, 16.290 Vermögensabschöpfung 6.374 ff. – Anrechnung gezahlter Steuern 6.448 – dinglicher Arrest 6.376 f. s. auch Arrest – Einziehung 6.392 ff. – nachträgliche Einziehung 6.477 – Rückgewinnungshilfe 6.406 – Taterträge 6.407 ff. – Taterträge bei Dritten 6.451 ff. – Tatmittel 6.478 – Tatobjekt 6.478 – Tatprodukt 6.478 – Verfall 6.406 – Vermögen unklarer Herkunft 6.460 ff. – Verständigungsverfahren 6.438 ff. – Wertersatz 6.407 ff.

Sachregister Vermögensarrest Vermögensbeschlagnahme – grenzüberschreitende 6.374 ff. – § 290 StPO 6.355 – s. auch Einziehung, Arrest Vermögensverlagerung, grenzüberschreitende 6.384, 14.89, 14.248 Vernehmung 10.14, 10.23, 10.30, 10.81 – Europäische Ermittlungsanordnung 6.536 Verrechnungspreisanalyse 15.19, 16.123 Verrechnungspreise 14.241 ff., 16.118 ff. – Angemessenheitsdokumentation 16.123 – Auskunftsaustausch 9.37 f. – Dokumentationspflichten 15.13, 15.27, 16.74, 16.120 ff. – Einkünfteberichtigung 14.255, 16.139 – Einkünftekorrekturnormen 16.118 – Fremdvergleich 14.255 – Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung 16.74, 16.120 – Pflichtverletzungen, steuerliche 16.118 – Sachverhaltsdokumentation 16.122 – Schätzung 16.124 – steuerstrafrechtliche Verantwortlichkeit 16.129 – Wertschöpfungskette 16.122 Verständigungsverfahren – Erlöschen des Steueranspruchs 6.438 ff. Verstrickung 14.43 ff., 14.72, 14.216, 14.227, 16.240 Verstrickungsregelungen 14.44, 14.46, 16.263 Verteidiger – Durchsuchung beim - 6.109 Verschmelzung 16.88 f., 16.93, 16.96 ff. – Abwärts- 16.98 – ausländische – mit Inlandsbezug 16.115 – Hinaus- 16.103 – Kapital- auf Personengesellschaft 16.99 – s. auch Umwandlung Versendungsprotokoll 18.29

Versicherungsteuer – Drittstaatenversicherer 20.5 ff. – Konzernumlage 20.10 ff. – Pflichtenkreis 20.6, 20.11 – Pflichtverletzungen 20.7 ff., 20.12 ff. Versicherungsvertrag, vermögensverwaltender 16.193 f. Verteidigung – Akteneinsicht 7.58 ff. – Aufgabe des Verteidigers 7.35 ff. – Doppelmandate 7.50 – Ermittlungsverfahren 7.54 ff. – Erstgespräch 7.54 ff. – internationale Steuerstrafverfahren 7.1 ff. – Rechtsstellung des Verteidigers 7.22 ff. – Strategie 7.70 ff. – Unternehmensanwalt 7.44 ff. – Verteidigungsziel 7.70 ff. – Zeitpunkt der Verteidigungstätigkeit 7.51 ff. Vertragsverletzungsverfahren 2.38 Verwendungsverbot, strafrechtliches 5.25, 5.27 – Verstoß gegen Nemo-tenetur-Grundsatz 5.22 ff. Verwertung von Darbietungen 16.299 Verwertungsverbote 6.43 ff. – ausländische Erkenntnisse 6.250 ff. – Fernwirkung 6.43 – Liechtenstein, Daten-CD 12.86 – private Ermittlungen 6.262 – Rechtshilfe(erkenntnisse) 5.13, 10.30 – Steuerdaten-CD 6.262, 6.281 ff., 12.86 – steuerliche 6.43 ff., 10.30 – TKÜ 6.273 ff. – unzulässige Beweiserhebung 6.284 Verzögerungsgeld 15.31, 16.185 Videovernehmung – Auslandszeuge 6.261 – Europäische Ermittlungsanordnung 6.219 ff. Völkergewohnheitsrecht 2.21 ff. Völkerprozessrecht 2.56 1045

Sachregister Völkerrecht, allgemeine Regeln, Vorrang 2.33

Wegzugsbesteuerung 14.5, 14.35 f., 14.38 f., 14.301, 16.13 ff., 16.24

Völkerrechtliche Normen 2.14 ff.

Welteinkommen-/-vermögensprinzip 8.1, 14.10, 14.28, 14.67, 14.85, 16.164

Völkerrechtliche Verträge 2.14, 2.16 ff. – bilaterale 2.17, 2.19 – multilaterale 2.18, 2.20 – Rang 2.34 Völkerstrafrecht 1.2, 2.53 ff. Vollstreckungshilfe 2.17, 8.2, 10.33, 10.36, 10.104, 10.115 ff. – EU-Rahmenbeschluss/IRG 10.115 ff. Vorabentscheidungsverfahren EuGH 2.44, 4.24 f., 11.72 ff. Vorermittlungen 6.17 ff., 6.22, 10.51, 10.65 Vorfeldermittlungen, Steuerfahndung 6.18, 6.22, 6.29, 10.124, 16.1 Vorgeschobene Grenzabfertigungsstelle 3.7 Vorrang – EMRK 2.63 – Grundrechtecharta der EU 2.66 – Rechtshilfe 10.30 – Unionsrecht 2.9, 2.34, 2.40, 2.47 ff., 2.54, 11.62 – Verfassungsrecht 2.52 – Völkerrecht 2.33 f., 10.4 Vorsteuerabzug, unberechtigter 18.6 f., 18.41 ff. Vorteilsannahme 3.25, 13.14 ff. Vorteilsausgleich 14.246 Vorteilsgewährung 13.3, 16.218 ff. Vorzugsbesteuerung 14.24, 16.39, 16.54, 16.57

Weltrechtsprinzip 3.19 f. Wiener Übereinkommen (WÜD/WÜK) 2.20 Wohnsitz – Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts 16.37 – Aufgabe im Inland 16.23, s. auch Wegzugsbesteuerung – Aufgabe in EU-/EWR-Staat 16.29 – Begriff (§ 8 AO) 16.234 – DBA 14.298 f. – ESt-Pflicht 14.11, 16.226 Wortlautschranke 2.7 Wraps 11.497, 12.80 Zeitgesetz 2.8, 11.40 f., 11.340 Zeugenvernehmung, Rechtshilfe 6.6, 10.23 Zeugnisverweigerungsrecht 6.59 ff. – Beschlagnahmeverbot 6.59 ff. Zigarettenschmuggel 3.9, 11.420, 11.445, 22.13 Zinsen 16.181 Zinseinkünfte, DBA 14.303, 16.181 – Nichterklärung 16.8 Zinsinformationsverordnung 15.45 Zinsrichtlinie 15.45, 16.9 Zins- und Lizenz-Richtlinie 14.277, 14.282 Zollabfertigungsstelle 3.9, 18.79

Waffenscheinentzug 11.570

Zollfahndungsamt 5.19

Wegzug, Kapitalgesellschaft 14.60 ff., 16.45 ff. – Pflichtverletzungen 16.51 ff.

Zollkodex 11.315 ff., 18.76 ff. s. auch Unionszollkodex

Wegzug, natürliche Personen 16.11 ff. – Pflichtverletzungen 16.19, 16.21 ff. 1046

Zollrechtliche Steueraufsicht, Verbrauchsteuern 21.1 ff., 22.1 ff. Zollstraßenzwang 18.79

Sachregister Zufallsfunde 6.103, 16.186 – Durchsuchung beim Steuerberater 6.110 – Durchsuchung von Unternehmen/Banken 6.113 – EDV-Anlagen/E-Mail Postfächer 6.118

– steuerliche Pflichten 16.265 Zwangsmittel – Auskunft 9.24, 9.44

Zugangsbewertung 14.71

– steuerliche 10.32, 15.22, 16.76, 16.223, 17.16, 19.9 f.

Zulassungsnachweis, KfZ 18.29

– § 70 StPO 6.54

Zuschlag, Schätzung 15.29, 16.76, 16.126

Zwangsmittelverbot, steuerliches

Zustellungen, Rechtshilfe 3.15, 6.146, 6.208 ff., 8.52 Zuzug ausländischer Kapitalgesellschaft 14.70 ff. – Pflichtverletzungen 16.259 ff. Zuzug, natürliche Personen 16.226 ff. – Pflichtverletzungen 16.233 – steuerliche Pflichten 16.229 – Wohnsitz im Inland 16.234 Zuzug, Kapitalgesellschaften 14.44, 14.49, 14.58, 14.70 ff., 16.11, 16.18, 16.45 ff. – Pflichtverletzungen 16.267

– Belehrung 13.49, 16.283 – bei Gefahr der Selbstbelastung 5.18, 5.22, 5.36, 13.49 Zwei-Drittel-Belastung 14.25 Zwingendes öffentliches Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO) 2.66, 5.22, 6.120 ff. Zwischengesellschaft, ausländische 14.194, 14.196 ff., 16.206 f. Zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe s. Amts- und Rechtshilfe

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