Interessengemeinschaft als Strukturelement funktionsfähiger betrieblicher Interessenvertretung [1 ed.] 9783428489862, 9783428089864


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Interessengemeinschaft als Strukturelement funktionsfähiger betrieblicher Interessenvertretung [1 ed.]
 9783428489862, 9783428089864

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CHRISTIANE BRORS

Interessengemeinschaft als Strukturelement funktionsfähiger betrieblicher Interessenvertretung

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der WestraIischen Wilhelnis-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 107

Interessengemeinschaft als Strukturelement funktionsfähiger betrieblicher Interessenvertretung

Von

Christiane Brors

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Brors, Christiane: Interessengemeinschaft als Strukturelement funktionsfähiger betrieblicher Interessenvertretung I von Christiane Brors. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 107) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08986-3 NE:GT

D6 Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-08986-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 S

"Wenn aber Diskurse .. den Ort bilden, an dem sich ein vernünftiger Wille bilden kann, stützt sich die Legitimität des Rechts letztlich auf ein kommunikatives Arrangement: als Teilnehmer an rationalen Diskursen müssen die Rechtsgenossen prüfen können, ob eine strittige Norm die Zustimmung aller Betroffenen findet oder finden könnte ... Das System der Rechte läßt sich weder auf eine moralische Lesart der Menschenrechte noch auf eine ethische Art der Volkssouveränität zurücliführen, weil die private Autonomie der Bürger ihrer politischen weder über- noch untergeordnet werden darf." Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Auflage, Frankfurt 1994, S. 134

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat im Sommersemester 1996 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zu Münster als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Literatur sind für das amerikanische Recht bis Mai 1995 und für das bundesdeutsche Recht bis Mai 1996 berücksichtigt. Zu der Entstehung der Dissertation haben mehrere Personen beigetragen. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Schüren. Er hat die Idee zu dieser Arbeit gehabt. Sein Engagement und Interesse haben das Dissertationsprojekt begleitet und auf vielfältige Weise gefördert. Prof. Dr. Großfeld danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Besonders sei Prof. Dr. Linder von der University of Iowa gedankt, dessen Kritik die Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Recht angeregt und geprägt hat. Dem Deutschen-Akademischen Austauschdienst danke ich für die finanzielle Förderung des Aufenthaltes an der University of Iowa, der schnell und unbürokratisch von Prof. Dr. Reitz von der University of Iowa vermittelt worden ist. Der Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen sei gedankt, da sie durch finanzielle Förderung die Arbeit ermöglichte. Für die Durchsicht des Manuskriptes danke ich Herrn Werner Laschinger. Schließlich gebührt mein Dank den Herausgebern der Schriftenreihe "Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft" für die Aufnahme meiner Arbeit. Münster, im Oktober 1996 Christiane Brors

Inhaltsverzeichnis Einleitung

17

I.

Thematik... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 17

11.

Gang der Darstellung ....................................... 22

Erstes Kapitel Historische Entwicklung der Bestimmung von Tarifeinbeiten anband des Kriteriums "Interessengemeinschaft" ("Community of Interest")

I.

24

Einführung. . . . . . . . . . . " . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Gesetzliche Regelungen im National Labor Relations Act (NLRA) zur Bestimmung der Tarifeinheit ............................... 26 2. Das Wahlverfahren nach dem NLRA ......................... 28

11.

Bestimmung der Tarifeinheit durch staatliche Arbeitsverwaltung bis zum Erlaß des Taft-Hartley Act (1947) ................................ 33 1. Überblick............................................. 33 2. Die einzelnen Etappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Arbitration Act (1888) ......................... , . , ..... 34 b) "War Labor Board" - arbeitsrechtliche Verwaltung in der Zeit des Ersten Weltkrieges (1918) .............................. 35 c) Transportation Act (1920) und Railway Labor Act (1926): Arbeitsrechtliche Verwaltung der Beschäftigten der Eisenbahnen ........ 37 d) Beginn des New Deal - kollektive Rechte unter dem National Industrial Recovery Act (1933) .............................. 38 e) Erlaß des NLRA (Wagner Act 1935) ....................... 42 aa) Spannungsfeld: Organisationsfreiheit der Arbeitnehmer - Fremdbestimmung durch die Arbeitsverwaltung ................ 44 bb) Mehrere Interessenvertreter innerhalb eines Betriebs - Bedeutung der "craft unions" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (1) Maßgeblichkeit der kleinen Gruppe - Globe Mach. & Stamping Company . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

10

Inhaltsverzeichnis (2) Trennung unter strengen Voraussetzungen - der steinige Weg von American Can zu General Electric ........... 55 (a) American Can - Trennung unter strengen Voraussetzungen ................................ 55 (b) Allis-Chalmers - Trennung bei Trennungswunsch .... 56 (c) Electric Corp. - Neudefinition der Trennungsvoraussetzungen ................................ 57 f)

Erlaß des Taft-Hartley Act (1947) ......................... 59

III. Zusammenfassung ......................................... 62

Zweites Kapitel

Bestimmung der Tarifeinbeit anband des Kriteriums "Interessengemeinschaft" ("Community of Interest") in den Entscheidungen des NLRB nach Erlaß des Taft-Hartley Act im Jahre 1947 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt I.

65

Einführung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Korrelation zwischen den Kriterien der "Interessengemeinschaft" und den einlassungspflichtigen Inhalten des Tarifvertrags ("Mandatory Subjects") 66 2. Überblick über die Kriterien zur Bestimmung der "Interessengemeinschaft" ............................................... 69

11.

Bestimmung der Interessengemeinschaft zwischen Beschäftigten einer örtlich einheitlichen Produktionsstätte ("Plant") .......................... 71 1. Interessengemeinschaft aufgrund gemeinsamer Lohngruppe, Arbeitszeit oder allgemeiner Arbeitsbedingungen ......................... 71 2. Produktionstechnische Verbindung der Arbeitsprozesse ("Functional Integration") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Bedeutung bestehender Tarifeinheiten ("History of Collective Bargaining") ........................................... 75 4. Gewerkschaftlicher Organisationsgrad der Arbeitnehmer ("Extent of Organization") ......................................... 77 5. Wahlentscheidung der Arbeitnehmer ("Desires of the Employees") ..... 78 6. Interessengemeinschaft aufgrund gemeinsamer beruflicher Qualifikation ("Skill") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

III. Bestimmung der Interessengemeinschaft zwischen Beschäftigten in mehrbetrieblichen Unternehmen - "Single-Location" versus "Multi-Location" ..... 81 1. Vermutung für den einzelnen Betrieb ......................... 81

Inhaltsverzeichnis

11

2. Widerlegbarkeit der Vermutung ............................. 83 a) Tagtägliche Personalaufsicht ("Supervision") ................. 83 b) Arbeitsplatzwechsel ("Interchange of Employees") ............. 84 c) Entfernung der Produktionsstätten ("Proximity") ............... 85 3. Bestimmung der Tarifeinheit innerhalb des einzelnen Betriebs ........ 87 4. Zusammenfassung und Abgrenzung zu bundesdeutschen Kriterien der Betriebsratsfahigkeit eines Nebenbetriebs oder Betriebsteils . . . . . . . . . . . . 88 IV. Interessengemeinschaft aufgrund Zugehörigkeit zu einer traditionell anerkannten Facharbeitergruppe ("Craft Units") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. "National Tube Doctrin" .................................. 91 2. Richtungsänderung in American Potash . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Mallinckrodt - Vorwärts in die Vergangenheit ................... 96 4. "Department Units" ..................................... 100 5. Zusammenfassung ...................................... 102 V.

Interessengemeinschaft aufgrund des Berufsbildes .................. 102 1. Angestellte ("White-Collar") .............................. 102 a) Eigenverantwortlich tätige Angestellte ("Professional Employees") . 103 b) Technische Angestellte ("Technical Employees") ............. 105 c) Verwaltungsangestellte ("Clerical Employees") . . . . . . . . . . . . . .. 105 2. Separate Tarifeinheiten für Teilzeitbeschäftigte ("Part-Time Employees")?106

VI. Bestimmung der Tarifeinheit im Bereich des privaten Gesundheitswesens ("Health-Care Unit Determination") ............................ 111 1. Einführung........................................... 111 2. Historische Entwicklung der kollektiven Interessenvertretung im privaten Gesundheitswesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 113 3. Entscheidungen des NLRB nach den Gesetzesänderungen im Jahre 1974 116 a) Phase 1: "Community of Interests" Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 116 b) Phase 2: "Disparity of Interests" Test ..................... 121 c) Phase 3: "Rulemaking" ............................... 123 aa) Kritikpunkt 1: Kostensteigerung nicht gestoppt ........... 129 bb) Kritikpunkt 2: Arbeitnehmerrechte verwirklicht? .......... 129 cc) Kritikpunkt 3: Eigeninteresse des NLRB als dritter bestimmender Faktor ............................... 131

12

Inhaltsverzeichnis

VII. Zusammenfassung und Bewertung der Bestimmung von Interessengemeinschaften durch das NLRB ................................... 132

Drittes Kapitel Verpflichtung der Mehrheitsvertreter zu umfassender Interessenwahrnehmung ("Duty of Fair Representation")

136

I.

Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136

11.

Überblick .............................................. 139

111. "Duty of Fair Representation" - "The Lion's Share" ................ 140 1. Steele v. Louisville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 140

2. Ford Motor Co. v. Huffman ............................... 145 3. Vaca v. Sipes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 147 4. Zusammenfassung ...................................... 150 IV. Kurzes Traktat über die Feinmechanik der Tarifeinheit - Die dogmatischen Grundlagen der "Duty of Fair Representation" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 151 1. Kontrolldichte und Ausrichtung gerichtlicher Überprüfung. . . . . . . . .. 151

2. Systematisierungen in der Rechtslehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 153 a) "Duty of Fair Representation" als Sorgfaltspflicht einer treuhänderischen Gewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 153 b) "Duty of Fair Representation" als Kontrollmechanismus des Mehrheitsprinzips ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 154 c) "Duty of Fair Representation" als verfahrensrechtliche Pflicht .... 157 d) Aufgabe des Grundsatzes der "Duty of Fair Representation" ..... 158 V.

Zusammenfassung ........................................ 158

Viertes Kapitel Reformvorschläge

160 160

I.

Einführung

11.

Überblick .............................................. 164

III. Einzelne Reformvorschläge .................................. 168

Inhaltsverzeichnis

13

1. Stellungnahme der Kommission zur Neugestaltung des Kollektivarbeitsrechts vom 10. Januar 1995 ............................... 168 2. Der "Runde Tisch" als betriebliches Entscheidungsorgan . . . . . . . . . .. 171 a) Heckscher: "Associational Unionism" ..................... 171 b) Hyde: Arbeitnehmerbeteiligung in gesetzlich geschützten Diskussionsforen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 175 3. Finkin: Abkehr vom Exklusivvertretungsrecht .................. 178 4. Iglesias und Guinier: Authentische Repräsentation von Minderheiten als Voraussetzung eines demokratischen Mehrheitsprinzips ............ 182 IV. Zusammenfassung

188

V.

192

Schlußbetrachtung

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 196

Abkürzungsverzeichnis a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

a.E.

am Ende

AFL

American Federation of Labor

Anm.

Anmerkung

AP

HuecklNipperdeylDietz, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis

AiB

Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift)

Aufl.

Auflage

ArbuR

Arbeit und Recht (Zeitschrift)

BAG

Bundesarbeitsgericht

BayVwBl

Bayrische Verwaltungs blätter (Zeitschrift)

BB

Der Betriebs-Berater (Zeitschrift)

Bd.

Band

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BGBI.

Bundesgesetzblatt

BlStSozArb

Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht

BT-Ds.

Bundestags-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

bzw.

beziehungsweise

C.F.R.

Code of Federal Regulations

ch.

chapter

Cir.

Circuit Court

CIO

Congress of Industrial Organizations

Co.

Company

Corp.

Corporation

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

Dep.

Department

Abkürzungsverzeichnis d.h.

das heißt

Div.

Division

15

Doc.

Document

EzA

Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht, herausgegeben und bearbeitet von Eugen Stahl hacke

Fed.

Federal Reporter

F.2d

Federal Reporter Second Series

F.3d

Federal Reporter Third Series

F. Supp.

Federal Reporter Supplement

gern.

gemäß

GK

Gemeinschaftskornmentar

GS

Großer Senat

Hrsg.

Herausgeber

Inc.

Incorporated

Ins.

Insurance

LRRM

Labor Relations Reference Manuel

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

MünchArbR-Bearbeiter

Münchener Handbuch, Individualarbeitsrecht II, Richardi/Wlotzke (Hrsg.) München 1993

N.I.R.A.

NationalIndustrial Recovery Act

NLB

National Labor Board

NLRA

National Labor Relations Act

NLRB

National Labor Relations Board, in Verbindung mit Zahlenangaben (192 NLRB 118) Decisions and Orders of the National Labor Relations Board

No.

Nummer

Nr.

Nummer

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

RdA

Recht der Arbeit (Zeitschrift)

Rnr.

Randnummer

Rz.

Randziffer

S.

Seite

SAE

Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift)

S.Ct.

Supreme Court Reporter

sec.

Section

16

Abkürzungsverzeichnis

St.

Saint

Stat.

United States Statutes at Large

sog.

so genannte

u.a.

unter anderem

U.S.

Uni ted States Reports, Supreme Court Cases

U.S.C.

United States Code, General and Permanent Laws of the United States

v.

versus

v.

vom

vgl.

vergleiche

Vol.

Volume

z.B.

zum Beispiel

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

"Worauf gründet sich nun die Legitimität von Regeln, die doch vom politischen Gesetzgeber jederzeit geändert werden können? Diese Frage verschärft sich zumal in pluralistischen Gesellschaften, in denen inklusive Weltbilder und kollektiv verbindliche Ethiken zerfallen sind und wo die übriggebliebene posttraditionale Gewissensmoral keine hinreichende Grundlage mehr für das einst religiöse oder metaphysisch begründete Naturrecht bietet. " Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Auflage Frankfurt 1994, S. 662 " When we ask the question "why", comparative labor law enables us to know ourselves better, to dispel myths and question our assumptions, and to recognize the relevance of particular rules in shaping our system. This greater self-understanding can have constructive value in helping us see where changes are necessary or possible - changes which were previously unthought of or considered unthinkable. lndeed, the study of another system stirs our imagination to see possibilities for change and the forms they may take. Although we may not be able to transplant, we may have cross-fertilisation of ideas and develop hybrids adapted to our own institutional soil. " Clyde Summers, Comparisons in Labor Law, 1ndustrial Relations Law Journal 1985, S. 1 [2}

Einleitung I. Thematik

Die Rolle der betrieblichen Interessenvertretung hat sich in der Bundesrepublik Deutschland kontinuierlich und seit dem Urteil des Bundesarbeitsgericht zur wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung auf 38,5 Stunden aus dem Jahre 1987 1 (zu dem sogenannten "Leber-Kompromiß") in Qualitätssprüngen verstärkt. Die Rechtsprechung ist zudem bereit, die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG zugunsten der betrieblichen Mitbestimmung zu öffnen. Die Entschei-

I

BAG Beschluß vom 18.8.1987 - 1 ABR 30/86, AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972.

2 Drors

18

Einleitung

dungen des Bundesarbeitsgerichts zur betrieblichen Mitbestimmung im Entgeltbereich 2 und zur Festsetzung der betrieblichen Arbeitszeiten3 sind Ausdruck dieser in der Literatur4 kritisch beobachteten Entwicklung. Der Betriebsrat ist Entscheidungsträger in wesentlichen, die Beschäftigten und das Unternehmen als Ganzes betreffenden Fragen geworden. Die Zugehörigkeit zum Betrieb ist der einzige Anknüpfungspunkt für die Frage, ob die Beschäftigten vom Betriebsrat repräsentiert werden. Im amerikanischen kollektiven Arbeitsrecht erfolgt die Abgrenzung der Tarifeinheit ("bargaining unit") nicht allein betriebsbezogen, sondern auf der Grundlage einer Interessengemeinschaft ("community of interest") der in ihr zusammengefaßten Arbeitnehmer. Dies bedeutet nicht, daß jede betriebliche oder überbetriebliche Interessengruppe gesondert ihre Interessen durch den gewählten Vertreter ("bargaining agent") wahrnehmen läßt. Vielmehr wird anhand der Kriterien zur Bestimmung der "community of interest" ermittelt, welche Arbeitnehmerinteressen (noch) konsensfähig zusammen gefaßt werden können. Die Bildung dieser Interessengemeinschaften hat sich zum einen an der Handhabbarkeit kollektiver Interessenvertretung zu orientieren. Das bedeutet, daß die Tarifeinheit hinreichend groß sein muß um den Besonderheiten des Wirtschaftszweiges zu entsprechen. Die Festlegung der Grenzen der Tarifeinheit ist zugleich eine Entscheidung über die Frage, wieviel wirtschaftliches Störpotential der Arbeitnehmervertretung zuerkannt werden soll. Zum anderen muß die Be-

2 Zur betrieblichen Mitbestimmung bei der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf über- und außerbetriebliche Zulagen BAG Beschluß vom 3.12.1991 - GS 2 / 90, AP Nr. 51 zu § 87 Lohngestaltung. Vgl. auch die die Folgeentscheidungen BAG Beschluß vom 27.10. 1992 - 1 ABR 17/92, AP Nr. 61 zu § 87 Lohngestaltung; BAG Urteil vom 23.3.1993 - 1 AZR 582 / 92, AP Nr. 64 zu § 87 Lohngestaltung; BAG Urteil vom 28.9.1994 - 1 AZR 870/93, AP Nr. 68 zu § 87 Lohngestaltung. J BAG Beschluß vom 31. 8. 1982 - I ABR 27 / 80, AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; BVerfG Beschluß vom 18.12. 1985 - 1 BvR 143/83, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit.

4 Schüren, Mitbestimmung des Betriebsrats bei Zulagen und betrieblichen Entgeltsystemen, RdA 1996, S. 14; Reicho/d, Entgeltmitbestimmung als Gleichbehandlungsproblem, RdA 1995, S. 147; ]oost, Betriebliche Mitbestimmung bei der Lohngestaltung im System von Tarifautonomie und Privatautonomie, ZfA 1993, S. 257; Weyand, Oie normativen Rahmenbedingungen der betrieblichen Lohngestaltung nach der Entscheidung des Großen Senats vom 3.12.1991, ArbuR 1993, S. 1; Richardi, Der Große Senat des BAG zur Mitbestimmung bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf über- und außertarifliche Zulagen, NZA 1992, S. 961; vgL schon vor der Entscheidung des Großen Senats die Kritik von Schüren, Mitbestimmung bei der automatischen Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen, RdA 1991, S. 139 und Hromadka, Mitbestimmung bei übertariflichen Zulagen, OB 1991, S. 2133.

I. Thematik

19

stimmung der Tarifeinheit dazu führen, daß die Arbeitnehmerinteressen hinreichend authentisch, das heißt entsprechend der tatsächlichen Gewichtung der Vertretenen, repräsentiert werden. Das amerikanische Arbeitsrecht unterstellt, daß erst wenn die Interessengruppe anhand dieser Ziel vorgabe bestimmt ist, eine ausgewogene und damit gerechte Interessenvertretung im Sinne der die Gewerkschaft treffenden "duty of fair representation" zu erwarten ist. Dem bundesdeutschen Betriebsverfassungsrecht ist der Gedanke der Interessengemeinschaft der durch den Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer nicht fremd. Seit den Anfängen betrieblicher Interessenvertretung ist der sogenannte Gruppenschutz bekannt. Darunter ist die Berücksichtigung der Gruppen der Arbeiter und Angestellten in allen Wahlverfahren zu verstehen. Man unterstellt, daß die unterschiedliche Interessenlage beider Gruppen eine Trennung zumindest des Wahlverfahrens erfordert. Schon das Betriebsrätegesetz von 19205 unterschied zwischen Arbeiter- und Angestelltenräten. Das heutige Betriebsverfassungsrecht sieht in § 10 BetrVG vor, daß Arbeiter und Angestellte entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein müssen. Durch das kontrovers diskutierte6 Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes aus dem Jahre 19897 haben betriebliche Minderheiten8 in Folge der Anerkennung von Betriebsratsfraktionen bei der Besetzung von Ausschüssen und der Herabsenkung des Unterschriftenquorums größere Chancen auf

5

RGBI. S. 147, § 6.

• Klaus, Politische Rechte gegen Arbeitnehmerrechte, AiB 1988, S. 327; Schumann, Ein Beitrag zur Spaltung der Arbeitnehmerschaft, AiB 1988, S. 205; Plander, Differenzierungen in der Betriebsverfassung - ein sinnvoller Weg, AiB 1988, S. 272; Schneider, Koalitionspläne zur Betriebsverfassung, Gewerkschaftliche Monatshefte 1988, S. 409; Wlotzke, Die geplanten Änderungen zum Betriebsverfassungsgesetz, Festschrift für Molitor, München 1988, S. 397; Buchner, Das Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montanmitbestimmung, NZA 1989 Beilage I, S. 2; Däubler, Das Spaltergesetz - der neue Angriff auf die Gewerkschaftsbewegung, AiB 1986, S. 99; Richardi, Der Gesetzesentwurf zur Verstärkung der Minderheitenrechte in den Betrieben und Verwaltungen, ArbuR 1986, S. 33; Hanau, Der Entwurf eines "Gesetzes zur Verstärkung der Minderheitenrechte in den Betrieben und Verwaltungen", RdA 1985, S. 291. 7

BGBI. 1988 I, S. 2312; Bekanntmachung der Neufassung in BGBI. 1989 I, S. 1.

• Vgl. zur Stellung von betrieblichen Minderheiten im Betriebsverfassungsrecht Kamphausen, Neues zum Gruppen- und Minderheitenschutz, NZA 1991, S. 880; Apel, Minderheiten im Betrieb, Arbeit und Sozialpolitik 1970, S. 377; Galperin, Minderheitenschutz in der Betriebsverfassung, RdA 1968, S. 445; Pleyer, Zur Mitwirkung und Mitbestimmung kleinerer Gruppen im Betrieb, RdA 1968, S. 447; Dietz, Betriebsräte und Minderheitenschutz, Bologna 1952, S. 319.

20

Einleitung

Einflußnahme erhalten, es ist aber auch der Gruppenschutz im Betriebsverfassungsgesetz weiter verstärkt worden. Mit gutem Grund wird die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten vom Schrifttum9 in Frage gestellt. Sie ist einer authentischen, alle Interessengruppen des Betriebs erfassenden, Repräsentation nicht dienlich. Die Berücksichtigung von einzelnen Interessengruppen ist in § 15 BetrVG - einer Sollvorschrift, die auf die Gültigkeit der Wahl keine Wirkung hat - nur empfohlen lO • Neben den in § 15 BetrVG genannten Gruppen lassen sich weitere Interessengemeinschaften denken, wie insbesondere betriebliche Randgruppen wie die der Teilzeitbeschäftigten ll oder die Gruppe der Angestellten, die keine leitenden Angestellten im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG sind und nicht nicht dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages unterfallen. Die Angemessenheit 12 der Repräsentation der AT-Angestellten im Betriebsrat hat die Literatur zu Recht angezweifelt. Das Betriebsverfassungsrecht bleibt "unehrlich", wenn es nur den Angestellten und Arbeitern gesonderten Gruppenschutz zuerkennt, nicht aber anderen, innerhalb der Belegschaft soziologisch besser unterscheidbaren, Interessengruppen. Eine authentische und zugleich effiziente Interessenvertretung kann nur durch Beteiligung von Interessengruppen unterhalb der Ebene der Gesamtbelegschaft • Windbichler, Ist das Gruppenprinzip in der Betriebsverfassung noch aktuell?, RdA 1994, S. 268; Hromadka, Arbeiter und Angestellte - eine überholte Entscheidung, ZfA 1994, S. 251; Blanke, Arbeiter und Angestellte - Auf dem Weg zum einheitlichen Beschäftigungsverhältnis, ArbuR 1991, S. I; Kamphausen, Neues zum Gruppen- und Minderheitenschutz, NZA 1991, S. 880; Mo!itor, Zur Problematik der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten, RdA 1989, S. 241; Göge, Die verbliebenen Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten, BB 1986, S. 1772; Lipke, Die Aufgliederung der Arbeitnebmerschaft in Arbeiter und Angestellte, DB 1983, S. 111; Farthmann, Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer - Gedanken zum Begriff des Arbeiters und des Angestellten im Arbeitsrecht, Festschrift für Hilger und Stumpf, München 1983, S. 177; Kraushaar, Ist der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten noch verfassungsgemäß?, ArbuR 1981, S. 65; Fitting / Auffarth / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG, 18. Auflage München 1996, § 6 Rz. 2; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, 4. Auflage München 1992, § 5 11. lO

v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, 3. Auflage, München 1993, S. 137.

11

Vgl. MünchArbR-Schüren § 162 Rz. 8.

Schüren, Mitbestimmung des Betriebsrats bei Zulagen und betrieblichen Entgeltsystemen, RdA 1996, S. 14; Hanau, Aktuelle Probleme der Mitbestimmung über das Arbeitsentgelt gern. § 87 Abs. I Nr. 10 BetrVG, BB 1977, S. 350; Buchholz / Lenßen / Linnemann, Blanke (Hrsg.) Außertarifliche Angestellte, Baden-Baden 1995, Rnr. 63. Eine Schutzbedürftigkeit der AT-Angestellten verneinen dagegen Lieb, Die Regelungszuständigkeit des Betriebsrats für die Vergütung von AT-Angestellten, ZfA 1978, S. 179 (191); Reuter, Vergütung von AT-Angestellten und betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung, Königstein 1979, S. 50 und vgl. derselbe, Die freie Wahl des Arbeitsplatzes - ein nicht realisierbares Grundrecht, RdA 1973, S. 345 und Anmerkung zu BAG Beschluß vom 14.11. 1974 1 ABR 65/73, SAE 1976, S. 15 (17). 12

I. Thematik

21

verwirklicht werden. Indesssen wäre eine effiziente Interessenvertretung ausgeschlossen, wenn jede Gruppe ihre eigene Interessenvertretung bilden könnte. Eine allein am Ziel der Authentizität orientierte Interessenvertretung ist nicht effizient. Es müssen Koordinationsmittel mit dem Ziel der Ermittlung konsensfähiger Problemlösungen existieren. Um einerseits die Homogenität der Interessenvertretung zu wahren und andererseits der Interessenpluralität gerecht zu werden, müssen im Komprorniß die noch zu vereinbarenden Interessen ermittelt werden. Es ist über Strukturen und Methoden nachzudenken, die es ermöglichen, unterschiedliche, ja widersprüchliche Interessen umfassend zu einer betrieblichen Interessenvertretung zu bündeln. Die im amerikanischen Recht entwickelten Kriterien zur Bestimmung der "community of interest" sind ein Modell, das dem bundesdeutschen Recht bisher unbekannt ist. Minderheitenschutz existiert im bundesdeutschen Betriebsverfassungsgesetz in erster Linie in Form des Gruppenschutzes als Teilhabeschutz. Ein Schutz der Minderheit vor der Mehrheit und damit vor den Entscheidungen der Mehrheitsvertreter - wie er im amerikanischen Recht durch die "duty of fair representation" gewährleistet wird - besteht nur soweit Beteiligungsrechte insgesamt beschränkt sind. In den Vereinigten Staaten werden von außen von einer Behörde, dem National Labor Relations Board ("NLRB"), Interessengemeinschaften im jeweiligen Einzelfall festgelegt. Die vorliegende Untersuchung befaßt sich mit der Bedeutung der Interessengemeinschaft für die Entscheidungsfindung des NLRB im System der kollektiven Vertretungsrechte in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie überprüft die vom NLRB zugrunde gelegte Methode und zeigt ihre funktionalen Grenzen. Die vom NLRB verwendeten Kriterien zur Bestimmung der Interessengemeinschaft sind nur dann ein tauglicher Maßstab, wenn sie im Ergebnis eine die Bandbreite der vorhandenen Interessen umfassende und damit gerechte Interessenvertretung ermöglichen. Angesichts der Einbindung des amerikanischen Rechtssystems In seinen eigenen historischen und gesellschaftlichen Kontext verbietet sich eine Übertragung rechtlicher Konstruktionen auf das bundesdeutsche Recht. Die vorliegende Untersuchung stellt nicht beide Rechtssysteme gegenüber, sondern entwickelt die Bedeutung des Begriffs der Interessengemeinschaft ("community of interest") und sein Zusammenspiel mit der Pflicht zur umfassenden Interessenwahrnehmung ("duty of fair representation") allein aus den Zusammenhängen des amerikanischen Kollektivarbeitsrechts. Eine Adaption von Lösungsansätzen aus dem amerikanischen Recht widerspricht schon der Regelungs-

22

Einleitung

methodik des bundesdeutschen Betriebsverfassungsrechts. Systemkonform kann hier nur eine Steuerung über das Gesetz, von "innen", und nicht durch eine Behörde, von "außen", erfolgen. Anknüpfungen zum bundesdeutschen Recht erfolgen daher nur zum besseren Verständnis und nicht mit der Intention einer Übertragung. Die intensive Diskussion in der amerikanischen Literatur und Rechtsprechung gibt Denkanstöße, wie verschiedene Interessengruppen in ein System kollektiver Interessenwahrnehmung eingebunden werden können. Die Untersuchung des fremden Rechtssystems objektiviert den Blick auf das eigene Rechtssytem und fördert die Bereitschaft, rechtliche "Selbstverständlichkeiten" des bundesdeutschen Betriebsverfassungsrechts zu hinterfragen.

11. Gang der Darstellung

Die Anknüpfungspunkte der Bestimmung der Interessengemeinschaft ("community of interest") zwischen Arbeitnehmern sind die gesetzlichen Regelungen des National Labor Relations Act (NLRA). Die Untersuchung beginnt daher in ihrem ersten Kapitel mit der Darstellung des gesetzlichen Normsystems, in das die Entscheidungsfindung des NLRB eingebettet ist. Die Bedeutung der "community of interest" für die Bestimmung der Tarifeinheit bleibt ohne die historische Entwicklung des Begriffs unverständlich. Die Verwendung des Kriteriums "community of interest" in den gesetzlichen Vorschriften und Entscheidungen der Arbeitsverwaltung bis zum Erlaß der gegenwärtigen Regelungen gibt Aufschluß über die rechtspolitischen Hintergründe der Bestimmung von Tarifeinheiten. Diese Entwicklung verlief nicht kontinuierlich. Brüche und politische Richtungsänderungen sind kennzeichnend insbesondere für die Änderungen, die der NLRA in seiner ursprünglichen Form des Wagner Act durch den Taft-Hartley Act erfahren hat. Einen besonderen Einfluß auf die Anerkennung einzelner berufsbezogener Interessengemeinschaften haben die Fachkräftevertretungen, die sogenannten "craft unions", gehabt. Nicht zuletzt ihrer Bedeutung wegen erkennt das kollektive Arbeitsrecht in den Vereinigten Staaten einzelne berufsbezogene Interessengruppen als selbständige Tarifeinheiten an. Im zweiten Kapitel werden Leitlinien der gegenwärtigen Entscheidungsfindung des NLRB aufgezeigt. Die vom NLRB entwickelten Abgrenzungskriterien zur Bestimmung der Tarifeinheit und ihre Anerkennung in der amerikanischen Rechtsprechung stehen im Spannungsfeld zwischen Anerkennung bestehender Interessenpluralität und Funktionalität der Interessenvertretung in ihrer Ein-

11. Gang der Darstellung

23

bindung in das Wirtschaftssystem der Vereinigten Staaten. Bei der von der amerikanischen Rechtsliteratur kritisch beobachteten Festlegung der Tarifeinheiten im Bereich des privaten Gesundheitswesens scheinen die Grenzen dieser Funktionalität erreicht zu sein. Die Reaktion der Arbeitsverwaltung auf die problematische Situation in diesem Tarifbereich zeigt, daß das gegenwärtige Rechts- und Wirtschaftssytem der Vereinigten Staaten eine unbegrenzte Tarifpluralität ohne zusätzliche Schlichtungsmechanismen nicht verkraftet. Die Frage, ob die Zusammenfassung der Arbeitnehmer nach dem Kriterium der "community of interest" zu einer umfassenden und somit gerechten Interessenvertretung führt, wird im dritten Kapitel in der Untersuchung der "duty of fair representation" beantwortet. Ausgehend von den dogmatischen Grundlagen der Pflicht zur umfassenden Interessenvertretung steht ihr Zusammenspiel mit dem Kriterium der "community of interest" im Vordergrund. Die Untersuchung schließt im vierten Kapitel mit einer Zusammenfassung der gegenwärtig vertretenen Reformvorschläge zur Verbesserung des kollektiven Arbeitsrechts in den Vereinigten Staaten ab. Weit über das von der Regierungskommission empfohlene Reformkonzept hinaus entwickelt die amerikanische Literatur Methoden zur Einbindung verschiedener Interessengruppen in ein System kollektiver Interessenwahrnehmung. Diese Vorschläge sehen in der rechtlichen Anerkennung der Interessenpluralität die Grundlage für eine stabile und demokratische Interessenvertretung der Arbeitnehmer.

Erstes Kapitel

Historische Entwicklung der Bestimmung von Tarifeinheiten anhand des Kriteriums "Interessengemeinschaft" ("Community of Interest") I. Einführung

Das Recht der kollektiven Interessenvertretung ist für den Bereich der Privatwirtschaft mit wenigen Ausnahmen l im National Labor Relations Act (NLRA)

I 29 U.S.C. chapter 7. Vgl. zum Anwendungsbereich des Gesetzes 29 U.S.C. chapter 7 § 152 section 2. Nach section 2 (3) NLRA sind folgende Arbeitnehmergruppen vom Anwendungsbereich ausgeschlossen: - "employed by an employer subject to the Railway Labor Act" - "agricultural laborers" - "domestic service" - "individual employed by his parent" - "independent contractors" - "supervisors" (vgl. die Definition in section 2 (11) NLRA. Danach ist die Tätigkeit des "supervisors" durch Einflußnahmemöglichkeit auf Personalentscheidungen geprägt (Gorman, Labor Law, SI. Paul 1976, S. 36; Hardin, The Deve10ping Labor Law Vol. 11, 3. Auflage Washington 1992, S. 1610; Kaminski, Overview of the Law and the Basic Manufacturing Unit, in: Nash I Blake, Appropriate Units for Collective Bargaining, New York 1979, S. 14. Obwohl nicht ausdrücklich vom Gesetz ausgeschlossen, wird auch sogenannten "managerial employees" kein Repräsentationsschutz gewährt (vgl. Hardin, a.a.O.,Vol. 11, S. 1616; Kaminski, a.a.O., S. 17). Der Supreme Court bestätigte in Bell Aerospace (NLRB v. Bell Aerospace Company, Division of Textron Inc. 416 U.S. 267 = 85 LRRM 2945 (1974» die Praxis des NLRB, "managerial employees" vom Geltungsbereich des Gesetzes auszuschließen. Nach den Entscheidungen des NLRB liegt eine solche Tätigkeit vor, wenn der Arbeitnehmer Einfluß auf die Untemehmenspolitik nimmt oder solche Entscheidungen durchführt ("... formulate and effectuate management policies by expressing and making operative the decisions oftheir employer, and those who have discretion in the performance of their jobs independent of their employer's established policy." Vgl. NLRB v. Yeshiva University 444 U.S. 672 = 103 LRRM 2526 (1980); Flintkote Co. 217 NLRB 497 = 89 LRRM 1295 (1975); Convair Aerospace Division 213 NLRB 851 (857) = 87 LRRM 1705 (1974). Vgl. zur Diskussion, ob Fakultätsmitglieder an Privatuniversitäten vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind: University of Dubuque 289 NLRB 349 = 128 LRRM 1259 (1988); Duquesne University of the Holy Ghost, 261 NLRB 587 = 110 LRRM 1046 (1982); NLRB v. Yeshiva Univ. 444 U.S. 672 = 103 LRRM 2526 (1980). Ebenso wie "managerial employees" sind ohne ausdrückliche gesetzliche Erwähnung "confidential employees"("who assist and act in a confidential capacity to persons, who formulate, determine and effectuate management policies in the field of labor relations.", vgl.

I. Einführung

25

geregelt. Im amerikanischen Arbeitsrecht gibt es keine dem bundesdeutschen Betriebsrat vergleichbare 2 außergewerkschaftliche Interessenvertretung, die nur aus den Arbeitnehmern des Betriebs3 besteht. Die Interessenwahrnehmung erfolgt in den Vereinigten Staaten allein durch die Gewerkschaften. Ein dreistufiges System mit den Ebenen der Betriebsvereinbarung, des Tarifvertrages und der Mitbestimmung innerhalb der Unternehmensordnung wie im bundesdeutschen Recht existiert nicht. Nach section 9 (a) NLRA wählen die Arbeitnehmer einer nach bestimmten Grundsätzen festzulegenden Tarifeinheit4 ("bargaining unit") eine Arbeitnehmerorganisation als Vertreterin ("bargaining agent"), die diese Gruppe von Arbeitnehmern ausschließlich repräsentiert. Die Gewerkschaft vertritt nicht wie im bundesdeutschen Recht nur ihre Mitglieder, sondern alle Arbeitnehmer der Tarifeinheit. Ihr Alleinvertretungsrecht besteht auch Arbeitnehmern der Tarifeinheit gegenüber, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind oder die in der Wahl gegen die gewerkschaftliche Vertretung gestimmt haben. 5 Nach Wahl einer kollektiven Vertretung können mit den einzelnen Arbeitnehmern keine individuellen Absprachen mehr über Tarifinhalte getroffen werden. 6 Ein dem

Hardin. a.a.O .• S. 1618; Gorman. a.a.O., S. 38; Kaminski, a.a.O., S. 16) vom Schutzzweck des Gesetzes ausgenommen. Unter den Begriff fällt z.B. die Schreibkraft der Personalabteilung. Der Begriff wird sehr eng ausgelegt, um nicht unnötigerweise Arbeitnehmer vom Schutz des Gesetzes auszuschließen (Hardin, a.a.O., S. 1619; Gorman, a.a.O., S. 38). Durch die Ausnahme soll der Konflikt dieser Arbeitnehmergruppe vermieden werden, sich zwischen dem Interesse der Gewerkschaft und dem des Arbeitgebers zu entscheiden, vgl. Hardin, a.a.O., S. 1569. Weiterhin werden vom Gesetz Arbeitnehmer vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, die bei Personen beschäftigt sind, die nicht unter den in section 2 (2) NLRA definierten Arbeitgeberbegriff fallen. Die Vereinigten Staaten selbst, Gewerkschaften oder Arbeitgeber nach dem Railway Labor Act sind ausgenommen. 2 Vgl. Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, München 1990, S. 7; Biedenkopf, Unternehmer und Gewerkschaft im Recht der Vereinigten Staaten, Heidelberg 1961, S. 124; Gamillscheg. "Betrieb" und "Bargaining unit" Versuch des Vergleichs zweier Grundbegriffe, ZfA 1975, S. 357. 3 Vgl. § 8 BetrVG danach sind die kollektivrechtlichen Entscheidungsträger der betrieblichen Mitbestimmung zugleich selbst Normunterworfene. 4 Vgl. zum Begriff der "bargaining unit" als Wahleinheit insbesondere Gorman. Labor Law, SI. Paul, 1976, S. 66.

5

Gorman, a.a.O., S. 374.

• Gorman, a.a.O., S. 375; Finkin. The Limits of the Majority Rule in Collective Bargaining, 64 Minnesota Law Review 183 (186) (1980); J.I. Case v. NLRB 321 U.S. 332 (1944) S. 338: "The practice and philosophy of collective bargaining looks with suspicion on such individual advantages. Of course, when there is great variation in circumstances of employment or capacity of employees, it is possible for the possible bargain to prescribe only minimum rates or maximum hours or expressly to leave certain areas open to individual bargaining. But except so provided,

26

I. Kapitel: Historische Entwicklung

"Günstigkeitsprinzip" vergleichbares Rechtsinstitut fehlt im amerikanischen Arbeitsrecht. Der Anknüpfungspunkt für die kollektive Interessenvertretung ist im bundesdeutschen Recht anders. Nach § 1 BetrVG wird der Betriebsrat in "den Betrieben" gewählt. Alle vom Betriebsverfassungsrecht umfaßten Arbeitnehmer eines Betriebs bilden automatisch eine Wahleinheit. Im amerikanischen Arbeitsrecht muß die Gruppe der repräsentierten Arbeitnehmer nicht unbedingt aus den Beschäftigten eines einzelnen Betriebs bestehen. Die Tarifeinheit kann nur einen Teil der Arbeitnehmer eines Betriebs umfassen; sie kann aber auch aus den Beschäftigten mehrerer Betriebe bestehen. Es ist auch denkbar, daß in einem Betrieb mehrere Tarifeinheiten gebildet werden. Entscheidendes Kriterium bei der Bestimmung ist, ob unter den Arbeitnehmern eine Interessengemeinschaft ("community of interest") besteht. 7

1. Gesetzliche Regelungen im National Labor Relations Act (NLRA) zur Bestimmung der Tarifeinheit

Das Recht zum kollektiven Zusammenschluß der Arbeitnehmer ist in section 7 NLRA gewährleistet. 8 Die Wahl der Arbeitnehmervertreter und die Bestimmung der Tarifeinheit ist in section 9 NLRA (a) geregeltY advantages to individuals may prove as disruptive of industrial peace as disadvantages." 7 Der Begriff der "community of interest" ist seit Erlaß des NLRA im Jahre 1935 Maßstab bei der Festlegung der Wableinheit, vgl. National Labor Relations Board Annual Reports 1936-1942 Vol. I, S. 113: "The considerations generally entering into the designation of a unit are: ... (2) the community of interest or lack of such interest among employees"; vgl. Maramount Corp. 310 NLRB 508 (510) (1993): "The cornerstone ofthe Board's policies on appropriateness ofbargaining units is the community-of-interest doctrine, which operates to group together only those employees who have substantial mutual interests in wages, hours, and other conditions of employment"; vgl. für die Bestätigung dieser Grundsätze in der Rechtsprechung, NLRB v. Pumell's Pride Inc. 609 F.2d S. 1153 (1156) (1980) : "The Board and the courts have developed a "community of interest" analysis to guide the Board in selecting viable bargaining units that will effectuate the section 7 policy of employee self-determination."

R 29 U.S.C. Chapter 7 § 157 section 7: ,,Employees shall have the right to self-organization, to form, join or assist labor organizations, to bargain collectively through their representatives of their own choosing, and to engage in other concerted activities for the purpose of collective bargaining or other mutual aid or protection, and shall have the right to refrain from any or all of such activities except to the extent that such right may be affected by an agreement requiring membership in a labor organization as a condition of employment as authorized in section 159 (a) (3)." 9 29 U.S.C. § 159 section 9 (a): ,,Representatives designated or selected for the purposes of collective bargaining by the majority of the employees in a unit appropriate for such purposes, shall be the exclusive representatives of all employees in such a unit for the purposes of collective bargaining in respect to rates of pay, wages, hours of employment, or other conditions of employment."

I. Einführung

27

In dieser Vorschrift sind die grundlegenden Prinzipien kollektiver Interessenvertretung in den Vereinigten Staaten statuiert. Die Wahl der Gewerkschaft als Alleinvertreterin der Arbeitnehmer der Tarifeinheit richtet sich nach dem Mehrheitsprinzip. Der Umfang der Tarifeinheit muß nach dem Gesetzeswortlaut effektive Tarifverhandlungen über Lohn, Gehalt und allgemeine Arbeitsbedingungen für die betroffene Arbeitnehmergruppe ermöglichen. Im Streitfall lO legt das National Labor Relations Board (NLRB)ll die Tarifeinheit fest. Die gesetzlichen Kriterien für diese Bestimmung sind in section 9 (b) NLRA benannt. 12 Das Gesetz schlägt die grundsätzlichen Einteilungen nach dem Unternehmer ("employer unit"), nach der Berufsgruppe der Facharbeiter ("craft unit") und nach der Betriebseinheit ("plant unit") vor. Die Gruppen der eigenverantwortlich tätigen Angestellten ("professional employees") und das Kontrollund Wachpersonal ("guards") sollen nicht mit anderen Arbeitnehmern in einer Tarifeinheit zusammengefaßt werden. 13 Nach section 9 (b) (2) NLRA ist es

10 Grundsätzlich steht es den Tarifpartnern frei, sich auf eine bestimmte Tarifeinheit zu einigen (Hardin, The Developing Labor Law Vol. 1,3. Auflage Washington 1992, S. 415; Cihon / Castagnera, Labor and Employment Law, Boston 1988, S. 57). Die Unternehmer stehen gewerkschaftlicher Vertretung aber zumeist ablehnend gegenüber, so daß diese Möglichkeit eher theoretischer Natur ist (Weiler, The Decline of Collective Bargaining, Governing the Workplace, Cambridge 1990, S. 108). Die Einigung ohne Beteiligung des NLRB hat für die Gewerkschaft zudem einen Nachteil. Der Arbeitgeber ist nicht gezwungen, die gewählte Gewerkschaft für eine bestimmte Zeit, z.B. während der Laufzeit des kollektiven Vertrages, als ausschließliche Vertretung der Arbeitnehmer anzuerkennen (Cihon / Castagnera, a.a.O., S. 57). Daher können auch Verhandlungen mit einer rivalisierenden Gewerkschaft von dem Arbeitgeber aufgenommen werden. 11 Das NLRB besteht nach section 3 NLRA aus fünf Mitgliedern, die von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten in Übereinkunft mit dem Senat ernannt werden (vgl. zum Aufbau des NLRB Freerick, NLRB Representation Elections 3. Auflage, Englewood Cliffs 1992). Bei Vorliegen einer Streitigkeit um den Umfang der Tarifeinheit wird die ausschließliche Zuständigkeit des NLRB ausgelöst (Hardin, a.a.O. Vol. 11, S. 1576; NLRB v. Longshoresmen's Association 56 LRRM 2244 (1964). Die Zuständigkeit des NLRB ist gemäß section 1 (b) NLRA eingeschränkt, wonach Beeinträchtigungen des innerstaatlichen Handels verhindert werden sollen. Daher ist das NLRB nur dann ausschließlich zuständig, wenn mit der Repräsentationsfrage eine mögliche Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Vereinigten Staaten verbunden ist (Hardin, a.a.O., Vol. 11, S. 1619; Gorman, Labor Law St. Paul 1976, S. 38). Die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals wurde von Gesetzeserlaß an sehr weit gefaßt ( NLRB v. Fainblatt 306 U.S. 601 = 4 LRRM 535 (1939).

12 29 U.S.c. § 159 section 9 (b): ..The Board shall decide in each case whether, in order to assure the employees the fullest freedom of the rights guaranteed by this Act, the unit appropriate for the purposes of collective bargaining shall be the employer unit, craft unit, plant unit, or subdivision thereof."

13 Für die Gruppe der eigenverantwortlich tätigen Angestellten 29 U.S.C. § 159 section 9 (b) (1): ..... the Board shall not (1) decide that any unit is appropriate for such purposes if such unit includes both professional employees and employees who are not professional employees unless a

28

1. Kapitel: Historische Entwicklung

unzulässig für das NLRB, den Wunsch einer Facharbeitergruppe auf eme getrennte Vertretung ("craft unit") allein mit dem Hinweis auf eine bereits anerkannte industrieweite Tarifeinheit abzulehnen. 14

.. Organizing is war... " Joe Crump, Finanzverwalter der .. United Food and Commercial Workers Local 951", Fact Finding Report Issued by the Commission on the Future of WorkerManagement Relations vom 2. Juni 1994 S. 92, Quelle: Daily Labor Report, June 3, 1194, Lexis-Nexis 1994 DLR 105 d34

2. Das Wahlverfahren nach dem NLRA

Im Wahlkampf konkurrieren die Gewerkschaften nicht nur untereinander um die Mehrheit innerhalb der Tarifeinheit. Sie müssen sich darüber hinaus gegen die Arbeitgeberseite behaupten, die in vielen Wirtschaftsbereichen 15 eine gewerkschaftliche Interessenvertretung verhindern wil1. 16 Im Jahr 1981 hatte nur ein Viertel aller Arbeitnehmer einen kollektiven Interessenvertreter. 17 In den neunziger Jahren hat die Bedeutung der kollektiven Interessenvertretung weiter abgenommen. Nur 11,2%, ungefahr ein neuntel, der privatwirtschaftlich tätigen

majority of such professional employees vote for incIusion in such unit." Für die Gruppe des Wachpersonals 29 U.S.C. § 159 section 9 (b) (3): " ... the Board shall not... (3) decide that any unit is appropriate for such purposes if it incIudes together with other employees, any individual employed as a guard to enforce against employees and other persons rules to protect property of the employer or to protect the safety of person's on the employer's premises ... ". 14 29 U.S.C. § 159 section 9 (b) (2): " ... the Board shall not... (2) decide that any craft unit is inappropriate for such purposes on the ground that a different unit has been established by prior Board determination, unless a majority of the employees in the craft unit vote against separate representation. " 15 Vgl. Fact Finding Report Issued by the Commission on the Future of Worker-Management Relations vom 2. Juni 1994 S. 82 ff., Quelle Daily Labor Report, June 3, 1194, Lexis-Nexis 1994 DLR 105 d34. 16 Vgl. die gewerkschaftsnahe Darstellung bei Schlossberg / Seott, Organizing and the Law, 4. Auflage Washington 1991, S. 67; Weiler, The DecIining Fortunes of Collective Bargaining, Governing the Workplace, Cambridge, London 1990, S. 108.

17 Summers, An American Perspective of the German Model of Worker Participation, 8 Comparative Labor Law Journal 333 (336) (1987).

I. Einführung

29

Arbeitnehmer waren 1993 gewerkschaftlich organisiert. 18 Im Jahre 1994 fiel diese Zahl weiter auf 10,9%. Nur weitere 0,8% nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer 19 waren 1994 vom Geltungsbereich eines Tarifvertrages umfaßt. 20 Insbesondere in der Organisationsphase wenden viele Unternehmer ungesetzliche Praktiken an, um einen Wahl erfolg der Gewerkschaft zu verhindern. 21 In 76% der Wahlen im Jahre 1989 waren sogenannte "union-busters" mit dem Entwurf von Taktiken zur Verhinderung gewerkschaftlicher Interessenvertretung beschäftigt. 22 Der Wahlkampf wird emotional23 und oft an der Grenze des gesetzlich Erlaubten geführt24 • Das Verfahren der Wahl ist in section 9 (c) NLRA und besonderen Verwaltungsvorschriften ("rules and regulations" sections 102.6 bis 102.8225 ) gere-

'8 Fact Finding Report Issued by the Commission on the Future of Worker-Management Rs:lations vom 2. Juni 1994, S. 29, Quelle Daily Labor Report, June 3, 1194, Lexis-Nexis 1994 DLR 105 d34.

'9 Gewerkschaftlicher Organisationsgrad und Wirkungskreis der Tarifverträge entsprechen sich demnach in den Vereinigten Staaten annähernd. 20 Mitteilungen des United States Department of Labor, Bureau of Labor Statistics, vom 8. Februar 1995, S. I.

2' Morr;s, A Blueprint for Reform of the National Labor Relations Act, 8 Administrative Law Journal of the American University 517 (528) (1994). Zahlen über Wahlen in den achtziger Jahren belegen, daß jeder siebte Arbeitnehmer, der für eine gewerkschaftliche Vertretung gestimmt hat, wegen dieses Stimmverhaltens entlassen worden ist, vgl. die Untersuchungen von Summers, a.a.O., S. 336; Weiler, Governing the Workplace, Massachusetts 1990, S. 112. 22

Vgl. Schlossberg / Scott, Organizing and the Law, 4. Auflage, Washington 1991, S. 117.

Vgl. die Aussage des ..Secretary-Treasurers" Joe Crump von der ..United Food And Commercial Workers Local 951 ": ..Organizing is war. The objective is to convince the employers to do something that they don't want to do. That means a fight. If you don't have a war mentality, your chances of success are limited", zitiert in Fact Finding Report Issued by the Commission on the Future of Worker-Management Relations vom 2. Juni 1994 S. 92, Quelle: Daily Labor Report, June 3, 1194, Lexis-Nexis 1994 DLR 105 d34. 23

24 Vgl. den Auszug aus einem arbeitgeberischen Flugblatt, das als ..unfair labor practice" angesehen worden ist: ..... This is a most important election for you. If a majority of you vote for the union, the existing easy relationship between you and your company can no longer exist. With a union we can no longer treat you as an individual; you become a small part of a mass of people called ..the union". Your individual interests become lost, because the union officials must consider the union's interests over and above your own interests ... " Graber Manufactoring Co. 158 NLRB 244 (1967).

2.~

29 C.F.R. chapter I Part 102.

30

1. Kapitel: Historische Entwicklung

gelt. Das NLRB wird auf Antrag 26 des Unternehmers oder der Gewerkschaft an die örtlich zuständige Stelle ("regional director"27) tätig. Die Gewerkschaft hat innerhalb von 48 Stunden nach AntragsteIlung nachzuweisen 28 ("showing of interest"), daß zumindest 30% der Arbeitnehmer der vorgeschlagenen Tarifeinheit eine kollektive Vertretung wünschen. Daran schließt sich der eigentliche Wahlkampf9 an. Die örtlich zuständige Stelle des NLRB überprüft vor der Wahl, ob die Voraussetzungen der section 9 NLRA erfüllt sind. Dazu zählt auch die Bestimmung der Größe der Tarifeinheit. Die Größe der Tarifeinheit hat für die Gewerkschaft eine besondere Bedeutung, weil sie diese Gruppe von Arbeitnehmern von sich überzeugen muß. 30 Es hängt allein von diesem Wahlerfolg der Gewerkschaft ab, ob überhaupt kollektive Interessenvertretung stattfindet. Gegen die Entscheidung der örtlichen Behörde über den Umfang der Tarifeinheit kann nur bei gravierenden Rechtsverletzungen eine Überprüfung durch das NLRB in Washington verlangt werden. 31 Nach dem Wortlaut der Regelungen des NLRA ist eine gerichtliche Überprüfung der Festlegung der Tarifeinheit zum Schutz der

26 Der Antrag wird in einem dafür eigens konzipierten Formular gestellt. in dem die Gräße der ..bargaining unit" und die Art des Unternehmens beschrieben werden müssen. vgl. 29 C.F.R. sec. 101.61. part 102.

2?

29 U.S.C. chapter 7 § 153 section 3(b).

Der Nachweis erfolgt anhand sogenannter ..authorization cards". die von der Gewerkschaft an die einzelnen Arbeitnehmer ausgegeben werden. 2"

29 Vgl. die Aussage des ..Organizers" Judy Ray vor der ..Commission on the Future of WorkerManagement Relations" vom 1. Januar 1994: .. I cannot impress upon you what an organizer. what an employee who is just fighting for their rights in a campain. goes through this day and age. 1 wouldn 't have believed it. myself. 1 have been followed. on my day off. to restaurants. by security guards with walkie-talkies ...... vgl. weiter die Aussage der Ehefrau des lokalen Gewerkschaftsvorsitzenden Mrs. Florence Hili vom 11. Januar 1994 über den Versuch des Arbeitgebers die bestehende gewerkschaftliche Vertretung zu beenden: ..... and then the stress got so bad that 1 did have a heart attack ... And it was a11 because that we stood up for what we believed in. for what we thought was right. and for what we thought the other people wanted. The people wanted the union there; we've had it there all those years. And yet they did this campaign against uso and it was terrible .... Fact Finding Report Issued by the Commission on the Future of Worker-Management Relations vom 2. Juni 1994 S. 93. Quelle: Daily Labor Report. June 3. 1194. Lexis-Nexis 1994 DLR 105 d34.

3" Vgl. dazu Schlossberg / Scou. Organizing and the Law. 4. Auflage. Washington 1991. S. 216 ff. 31 Vgl. hierzu Freerik. NLRB Representation Elections. 3. Auflage. Englewood Cliffs 1993. § 7.9. S.256.

I. Einführung

Rechtssicherheit des Tarifsystems 32 nicht vorgesehen. 33 Jedoch gibt es zwei Fällen Rechtsschutz gegen die Entscheidung des NLRB.

31 In

Eine indirekte Überprüfung des Umfangs der Tarifeinheit ist im Verfahren wegen unzulässigen Verhaltens ("unfair labor practice"34) gemäß section 8 (a) (2) oder (a) (5) NLRA35 möglich. 36 Der Unternehmer kann Anlaß für eine gerichtliche Überprüfung geben, wenn er sich entgegen section 8 (5) NLRA zur Aufnahme von Tarifverhandlungen weigert. 37 Die Gewerkschaft kann ohne Fehlverhalten des Unternehmers von sich aus keine Überprüfung der Tarifeinheit erreichen. Sie kann nur durch eigenes ungesetzliches Verhalten 38 den Unternehmer veranlassen, ein Verfahren einzuleiten. Neben dem Verfahren wegen unzulässigen Verhaltens ist eine direkte gerichtliche Prüfung des Umfangs der Tarifeinheit nur in Ausnahmefällen 39 möglich: Der Verletzung von Rechten des Antragstellers contra legem411, von Verfassungsgrundsätzen 41 oder von außenpolitischen Grundsätzen42 . Die indirekte Überprüfung unter Behauptung einer unzulässigen Verhaltensweise ist der Regelfall. Der gerichtliche Prüfungsmaßstab ist eingeschränkt. Die Entscheidung des NLRB über die Grenzen der Tarifeinheit wird von den Gerichten nur daraufhin

J2

Freerik. a.a.O., S. 289.

Zwar ist nach section 10 (e) NLRA eine instanzgerichtliche ÜberpIÜfung möglich. Diese betrifft aber nur sogenannte "final orders" des NLRB nach section 10 (0 NLRA (29 U.S.C. § 160 section 10). Wegen ihres rein administrativen Charakters im Vorfeld der Durchführung der Wahl ist die Bestimmung der Tarifeinheit keine "final order" (Hardin, a.a.O., Vol. 11, S. 1878; Gorman, a.a.O., S.58). 33

34 Die Weigerung des Arbeitgebers, mit der gewählten Gewerkschaft zu verhandeln (section 8 (a) (5) NLRA) oder die Einflußnahme auf das Abstimmungsverhalten der Arbeitnehmer (section 8 (a) (2) NLRA) sind z.B. "unfair labor practices".

35

29 U.S.C. § 158 section 8.

36

Hardin, a.a.O., Vol. 11, S. 1978; Gorman, a.a.O., S. 59.

37

Drukker Communications v. NLRB 135 LRRM 1164.

Z.B. die eigene Weigerung entgegen section 8 (b) (3) NLRA kollektiv zu verhandeln, vgl. zum Verstoß der Gewerkschaft gegen sec. 8 (b) (7) durch "organizationaI recognitional piceting" Freerik. a.a.O., S. 291. 3H

J9

Freerik. a.a.O., S. 291; Schlossberg / Scott, a.a.O., S. 217.

NLRB v. Kyne 358 U.S. 184 (1958); Inland Empire District Council, Lumber and Sawmill Workers Union v. NLRB 325 U.S. 697 (699-700) (1944). 4()

41

Fay v. Douds 172 F.2d 720 (723) (1949).

42

NLRB v. Sociedad National de Marineros de Honduras 372 U.S. 10 (16-17) (1962).

32

1. Kapitel: Historische Entwicklung

überprüft, ob sie die gesetzlichen Vorgaben überschreitet und insoweit willkürlich oder nicht nachvollziehbar ist. 43 Der Sachverhalt wird vom Gericht nicht erneut überprüft. Es handelt sich um eine reine Rechtsentscheidung. 44 Damit bestimmt im wesentlichen das NLRB die Festsetzung der Tarifeinheit. Anders als im bundesdeutschen Recht wird der Anknüpfungspunkt kollektiver Vertretung nicht von innen durch das Gesetz, sondern von außen durch eine Behörde bestimmt.

Gang der Darstellung

Die gegenwärtigen Entscheidungen des NLRB bleiben ohne die geschichtliche Entwicklung der Gesetzgebung und die damit einhergehenden Entscheidungen der Arbeitsverwaltung zur Bestimmung der Tarifeinheit unverständlich. Bevor auf gegenwärtige Entscheidungen eingegangen werden kann, sollen die Gesetze und Entscheidungen der Arbeitsverwaltung bis zum Erlaß der heute maßgeblichen Vorschriften erörtert werden. Die geschichtliche Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung in den Vereinigten Staaten ist bereits Gegenstand ausführlicher deutschsprachiger Untersuchungen45 gewesen. Arbeiten über die historische Entwicklung des Begriffs "community of interest" zur Bestimmung der Tarifeinheit in Gesetzgebung und verwaltungsrechtlichen Entscheidungen fehlen jedoch. Die folgende Untersuchung soll diese Lücke schließen.

43

Packard Co. v. Labor Board 330 U.S. 485 (491) (1947).

Packard Co. v. Labor Board 330 U.S. 485, S. 491: " ... Hence the order insofar as it depends on facts is beyond our power of review. The issue as to what unit is appropriate for bargaining is one for which no absolute role of law is laid down by statute, and none should be by decision. It involves of necessity a large measure of informed discretion, and the decision of the Board, if not final, is rarely to be disturbed. While we do not say that adetermination of a unit of representation cannot be so unreasonable and arbitrary as to exceed the Board's power, we are c1ear that the decision in question does not so." 44

4~ Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, München 1990, S. 10 ff, Biedenkopf, Unternehmer und Gewerkschaft im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, Heidelberg 1961, S. 15 ff.

11. Zeitraum bis 1947

33

., ... yet aside !rom the need for practical enlightment ... there exists the altogether human urge to see a plan where perhaps no plan exists ... This desire for orderliness may be nothing more than the expression of our indolence - the wish to find a ready explanation so that we may retire with the comforting thought that there is no unknown to disturb uso " Joseph Rosenfarb, The National Labor Policy and how it Works, New York 1940, S. 323

11. Bestimmung der Tarifeinheit durch staatliche Arbeitsverwaltung bis zum Erlaß des Taft-Hartley Act (1947) 1. Überblick

Als das NLRB mit Erlaß des Wagner Act im Jahre 1935 geschaffen wurde, konnte an eine über fünfzigjährige Tradition von Arbeitsverwaltung durch staatliche Stellen angeknüpft werden. Die gesetzliche Anerkennung der Gewerkschaften in den dreißiger Jahren war kein Experiment, sondern Folge einer historischen Entwicklung. 46 Oft ist die Gesetzgebung nur Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen und nicht deren Ausgangspunkt gewesen. Jedoch ist das Tarifrecht der Vereinigten Staaten nicht nur Ausdruck von Pragmatismus 47 • Es ging um die Einbindung der Gewerkschaften in ein kapitalistisches System. Die Regelungen zur Bestimmung der Tarifeinheit werfen die Frage nach der Vereinbarkeit selbstgewählter autonomer Organisationsformen der Arbeitnehmer mit diesem System auf. Die Etappen der Entwicklung lassen sich an den verschiedenen arbeitsrechtlichen Gesetzen nachvollziehen. Am Anfang steht der Versuch von staatlicher Seite im Jahre 1888 Arbeitskämpfe der Eisenbahnarbeiter mit gesetzlichen Schlichtungsmechanismen beizulegen. Der Regelung der Arbeitsverwaltung nach Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg liegt ein Kompro-

... Vgl. First Annual Report of the National Labor Relations Board 1936, S. 1: "The National Labor Board was created not as a completely new experiment in the field of labor relations, but as a result of the cumulative experience of many years during which various ways to deal with labor relations had been tried by the Federal Govemment." 47 Anders: Feldman, Unions, Solidarity, and Class: The Limits of Liberal Labor Law, 15 Berkeley Journal of Employment and Labor Law 187 (209) (1994): "However it may trouble leftist critics of labor law, the inconsistencies that they claim (and I agree) are inherent in the Wagner Act regime are likely to be seen by liberals as the vindication of the nonideological, pragmatic, and flexible nature of the American system, much as the whole of the New Deal can be seen as particularly American search for "what works"."

3 Brors

34

1. Kapitel: Historische Entwicklung

miß von Staat und Gewerkschaften zugrunde, der Elemente des heutigen Arbeitsrechts vorgibt. Die Erfahrungen aus der staatlichen Schlichtungstätigkeit konnten in den Regelungen über das Tarifrecht der Beschäftigten der Eisenbahnen in den zwanziger Jahren verwertet werden. Erst in den dreißiger Jahren wurden die Grundlagen des heutigen Tarifrechts in den Vereinigten Staaten gelegt. In diesen Regelungen taucht das Problem der Festlegung der Tarifeinheit von außen durch die Behörde des NLRB auf. Das Spannungsverhältnis zwischen dem neu garantierten Recht der Arbeitnehmer, sich frei zu organisieren, und der staatlichen Fremdbestimmung erfährt seine Auflösung vor dem Hintergrund des im Gesetz verwendeten Demokratiebegriffs. Die Regelungen über die Bestimmung der Tarifeinheit geben Aufschluß darüber, welche gesellschaftliche Rolle den Gewerkschaften vom Staat zuerkannt wird.

2. Die einzelnen Etappen

a) Arbitration Act (1888)

Die Beilegung arbeitsrechtlicher Konflikte durch staatliche Stellen findet ihren Anfang im Arbitration Act48 aus dem Jahre 1888. Nach heftigen Streiks der Eisenbahnarbeiter im Jahre 187749 sollte eine staatliche Schlichtungsstelle errichtet werden, die auf Antrag der Parteien kollektivrechtliche Meinungsverschiedenheiten beilegen sollte. In erster Linie sollten die flächendeckende Arbeitskämpfe der Eisenbahnarbeiter vermieden werden. Ursache der Gesetzgebung war die besondere wirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahngesellschaften. Sie waren Ende des 19. Jahrhunderts der größte Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten. 50 Darüber hinaus hingen von ihnen als Abnehmer von dreiviertel des produzierten Stahls in den Vereinigten Staaten 51 weitere Industrien ab. Ein Produktivitätsrückgang durch Arbeitskämpfe der Eisenbahnarbeiter konnte sich negativ auf die gesamte wirtschaftliche Lage der Vereinigten Staaten auswirken. Das Konzept der Einbindung der Arbeitnehmervertretungen ging zunächst nicht

4K

25 Stat. 50 I (1888).

Kaufmann, Collective Bargaining in the Railroad Industry, New York 1973, S. 57; Wilne" The Railway Labor Act & the Dilemma of Labor Relations, Omaha 1991, S. 25. 4.

50

Wilne" a.a.O., S. 25.

51

Wilne" a.a.O., S. 25 Angaben für das Jahr 1870.

11. Zeitraum bis 1947

35

auf. Der Widerstand der Eisenbahnuntemehmer sowie die schwache Position der Gewerkschaften führten dazu, daß in den ersten zehn Jahren nach Gesetzeserlaß kein einziges Verfahren vor der Schlichtungsstelle beantragt wurde. 52 b) " War Labor Board" - arbeitsrechtliche Verwaltung in der Zeit des Ersten Weltkrieges (1918)

Das im Jahre 1918 geschaffene "War Labor Board"53 verwaltete nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im Jahre 1917 Teile54 der Industrie. Diese Kommission war die erste industrieübergreifende staatliche Arbeitsverwaltung in den Vereinigten Staaten. 55 In ihren Richtlinien erkannte sie das Recht der Arbeitnehmer zur selbstbestimmten kollektiven Interessenvertretung an. 56 Bei der Bestimmung der Tarifeinheit war das "War Labor Board" bemüht, einzelne Interessengruppen auf Arbeitnehmerseite zusammenzufassen. Erst die Ausrichtung der Tarifeinheit an einer Interessengruppe sollte effektive Verhandlungen mit dem Arbeitgeber ermöglichen. 57 Die staatliche Anerkennung kollektiver Arbeitnehmerrechte berücksichtigte demnach unterschiedliche Interessengruppen innerhalb der Arbeitnehmerschaft. Das staatliche Zugeständnis an die Gewerkschaften folgte aus der Einsicht, daß ohne ihre Unterstützung kein Krieg zu gewinnen war. 58 Mit der Kontrol-

S2

Kaufmann, a.a.O., S. 57.

Vgl. zur Errichtung des National War Labor Board (NWLB), Department of Labor, Annual Report for 1918, S. 99; vgl. auch Bernheim / Doren, Labor and the Govemment, New York 1975, S. 153. SJ

S4 Die Verwaltung erfaßte Z.B. das Nachrichtenwesen, die Eisenbahngesellschaften, die Werftindustrien und die Herstellung und Verteilung von Nahrungsmitteln, so daß es verkürzt wäre, von .. Kriegmittelindustrie" im engeren Sinne zu sprechen, vgl. Foner, History of the American Labor Movement in the United States, Vol. VII, New York 1987, S. 149.

ss Secretary of Labor, Annual Report for 1918, S. 99. Secretary of Labor, Annual Report for 1918, S. 102 .. Principles and Politics to Govem Relations Between Workers and Employers in War Industries": ..... the right of workers to organize and to bargain collectively through chosen representatives is recognized and affirmed". S.

S7 Vgl. Department of Labor, Annual Reports for 1918, S. 109: ..... the greatest barrier ... lies in the fact, that, while the employing interest is frequently represented by a single person, the interests of the employees are not organized, and that consequentely they can not so effectively bargain."

SR Foner, History of the American Labor Movement in the United States, Vol. VII, New York 1987, S. 156.

36

1. Kapitel: Historische Entwicklung

le über die verwalteten Industrien hatte die Regierung unter Präsident Wilson nach außen die Verantwortung für die betroffenen Arbeitnehmer übernommen. Ihre Unzufriedenheit mit den schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen und die oft gewalttätigen Streikaktionen richteten sich nunmehr auch gegen den Staat. 59 Klassengegensätze traten deutlich hervor. Während Arbeitnehmer unter der annähernden Verdoppelung der Nahrungsmittelpreise litten60, profitierten Unternehmer von der erhöhten Nachfrage. 61 Die Einbindung der Gewerkschaftsbewegung in das Wirtschaftssystem sollte das Auseinanderfallen der Gesellschaft verhindern. Die Haltung des Gewerkschaftsverbandes der ,,American Federation of Labor" (A.F.L.) zur Kriegsmittelproduktion war ambivalent. In einer im November 1916 noch vor Kriegseintritt der Vereinigten Staaten getroffenen Resolution wird Militarismus als Mittel zur Unterdrückung freier und demokratischer Arbeitnehmerrechte verurteilt. 62 Zugleich war sich der Gewerkschaftsverband der Günstigkeit des Momentes bewußt. 63 Der Staat konnte die dringend erforderliche gewerkschaftliche Unterstützung nur durch Zugeständnisse erkaufen. Der Handel gelang. Als im Jahr 1917 Arbeitskämpfe die Versorgung von Frontsoldaten gefährdeten, handelte die Regierung. Eine eilig einberufene Untersuchungkommission ("The President's Mediation Commission") konnte nicht feststellen, daß es den Arbeitnehmern an Patriotismus fehlte. Notwendig waren nach dem Bericht der Kommission gesetzliche Schlichtungsmechanismen, um Arbeitskämpfe zu vermeiden. 64

j9

Foner, a.a.G., S. 172.

6" Vgl. Foner, a.a.G., S. ISS. 61

Foner, a.a.G., S. 153.

Resolution Adopted at the BaltimOl"e Convention of the American Federation of Labor, The American Labor Year Book 1917-1918, Edited by Alexander Trachtenberg, Published by The Rand School of Social Science, New York 1918, S. 42. 62

63 American Federation of Labor DecIaration Adopted at the Session Held in Washington March 12th 1917, The American Labor Year Book 1917-1918, a.a.G., S. 43 (45): "We hold that ifworkers may be asked in time of national peril or emergency to give more exhausting service than the principles of human weIfare warrant, that service should be asked only when accompanied by increased guarantees and safeguards ... ".

". Unter Punkt 2. des Abschlußreports wird folgende Änderung vorgeschlagen: "The establishment of continuous administrative machinery for the orderly disposition of industrial problems and the avoidance of an atmosphere of conflict and the waste coming from work stoppages", vgl. Foner, a.a.G., S. 173.

11. Zeitraum bis 1947

37

Nachdem der A.F.L. Vorsitzende Gomper offiziell zugesagt hatte, während des Krieges auf Arbeitskämpfe zu verzichten 65 , richtete die Regierung am 9. April 1918 das National War Labor Board ein. Die Gewerkschaften unterstellten sich den staatlichen Schlichtungsstellen. 66 Die Akzeptanz staatlicher Arbeitsverwaltung und die Unterstützung der nationalen Kriegsziele verhalf der Gewerkschaftsbewegung zum ersten Mal zu einer legalen Stellung.

c) Transportation Act (1920) und Railway Labor Act (1926): Arbeitsrechtliche Verwaltung der Beschäftigten der Eisenbahnen

Nach Ende des Ersten Weltkrieges führte das United States Railroad Labor Board die Tradition arbeitsrechtlicher Verwaltung nach den Vorschriften des Transportation Act aus dem Jahre 192067 fort. Die Überführung der Eisenbahnverwaltung nach Kriegsende von staatlicher in private Hand sollte keinen Nachteil für die organisierten Arbeitnehmer bedeuten. Im Gegenteil, die ersten Jahre nach Kriegsende waren von einer gewerkschaftsfreundlichen Haltung der Regierung geprägt. 68 Dem Railroad Labor Board oblag die Schlichterrolle des ehemaligen War Labor Boards. Im Transportation Act wurde das Schlichtungsverfahren weiterentwickelt. Wie in der Vergangenheit konnte die Schlichtungsstelle ihre Entscheidungen jedoch nicht erzwingen. 69 In den Entscheidungen des Railroad Labor Board zeigen sich die Ursprünge der heutigen Bestimmung der Tarifeinheit. Zum ersten Mal präzisierte die Kommission die Wahleinheit, innerhalb der die Mehrheit der Arbeitnehmer entscheiden sollte?' Drei wesentliche Elemente des Kollektivarbeitsrechts deuten

65

Vgl. zum politischen "Schaukelkurs" Gompers Foner, a.a.O., S. 163.

M Foner, a.a.O., S. 176. Vgl. zum "Burgfrieden", d.h. der Zusage der deutschen Gewerkschaften im Ersten Weltkrieg, keine Arbeitskämpfe während des Krieges zu führen: Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, München 1990, S. 132.

67

41 Stat. 456 (1920), 49 U.S.C. §§ 71-74, 76-78, 141 (1934).

6R

Wilner, a.a.O., S. 40.

69

Kaufmann, a.a.O., S. 64.

Decisions of the United Staates Railroad Labor Board Nr. 119 (1921): " ... that the majority of any craft or dass of employees shall have the right to make an agreement which shall apply to all employees in such craft or dass.", und vgl. Eischen, Representation Disputes and their Resolution in the Railroad and Airline Industries, The Railway Labor Act at Fifty, Washington 1977, S. 23 (27). 70

38

1. Kapitel: Historische Entwicklung

sich an: Die Bedeutung der einzelnen Berufsgruppen, das Mehrheitsprinzip und das Recht zur ausschließlichen Vertretung der gesamten Tarifeinheit. Der Railway Labor Ace l vom Jahr 1926 schützte die Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertretung vom Unternehmer. Schlichtung und Vermittlung durch staatliche Stellen erwiesen sich als funktionsfahiges Konzept. 72 Eine wichtige Rolle spielte dabei, daß die wirtschaftliche Depression Ende der zwanziger Jahre die Eisenbahngesellschaften zu verschonen schien. Die Löhne der Eisenbahnarbeiter waren konstanter als in anderen Industriezweigen; das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Unternehmen war entspannter. 73

d) Beginn des New Deal - kollektive Rechte unter dem National Industrial Recovery Act (1933) Das Recht zum Abschluß von Tarifverträgen war bisher den Beschäftigten der Eisenbahnen vorbehalten geblieben. Für die Arbeitnehmer anderer Industrien gab es kein gesetzliches Recht auf kollektive Interessenvertretung. Nachdem die Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten lange Zeit verboten und verfolgt gewesen waren74, veränderte sich das Verhältnis von Staat und Gewerkschaften während der Zeit der wirtschaftlichen Depression in gegenseitige Akzeptanz ("New Deal"75). Mit Erlaß des NationalIndustrial Recovery Act und schließlich des Wagner Act gewährte der Staat industrieunabhängig das Recht auf kollektive Interessenvertretung. Der Zusammenbruch der Börse im Jahre 1929 und die folgende schwere wirtschaftliche Depression hatten das Vertrauen in die alte Wirtschaftsordnung erschüttert. 76 Im Jahre 1932 war die Hälfte aller Arbeitnehmer arbeitslos77 ,

71

44 Stat. 577 (1926).

72

Kaufmann. a.a.O., S. 67.

73

Kaufmann. a.a.O., S. 69.

Vgl. dazu die deutschsprachigen Untersuchungen von Biedenlwpf, Unternehmer und Gewerkschaft im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, Wiesbaden 1961, S 15 ff.; Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, München 1990, S. 10 ff. 74

75 Vgl. die Definition für "New Deal" bei Biedenkopf, Unternehmer und Gewerkschaft im Recht der Vereinigten Staaten, Heidelberg 1961, S. 25 Fußnote 18: "Am besten übersetzt mit neuer Anfang oder Neuer Kurs. Der Ausdruck stammt aus dem Kartenspiel und bezeichnet das erneute Austeilen der Karten."

70

Fraser, From the "New Unionism" to the New Deal, Labor History 1984, S. 403 (412).

77

Fraser, a.a.O., S. 412.

11. Zeitraum bis 1947

39

im Zeitraum von 1922 bis 1932 waren die Löhne um 60 % gefallen. 78 Politisches Konzept der neuen Regierung unter Präsident Roosevele 9 war es, wirtschaftlichen Aufschwung mit Unterstützung der Gewerkschaften zu erreichen. so Voraussetzung dafür war ihre gesetzliche Anerkennung und die Ausarbeitung des Tarifrechts. Im NationalIndustrial Recovery Act (N.I.R.A.) vom Jahre 1933 ist in section 7 (a)81 zum erstenmal das Recht der Arbeitnehmer garantiert, sich frei zusammenzuschließen und Tarifverträge durch Vertreter ihrer Wahl aushandeln zu lassen. Bei der Anwendung des Gesetzes sollte es sich als problematisch erweisen, daß keine Vorschriften über die Bestimmung des Umfangs der Tarifeinheit existierten. Das National Labor Board (NLB)82 bestimmte im Streitfall den Umfang der Tarifeinheit. Dabei stellte es darauf ab, ob die Interessen der vertretenen Arbeitnehmer eine einheitliche Vertretung zuließen. In Houde 83 hatte das NLB das Mehrheitsprinzip84 bei der Wahl der Arbeitnehmers5 anerkannt. Bei unverein-

78

Teller, Labor Disputes and Collective Bargaining, New York 1940, S. 672.

Vgl. zum Hintergrund der Präsidentschaftswahlen im Jahre 1932 Ferguson, Industrial Conflict and the Coming ofthe New Deal, The Rise and Fall ofthe New Deal Order, Princeton 1989, S. 3 ff. (7 ff.). 7.

80 Vgl. Congressional Record, Vol. 75 Part 5, 72 Congress, Ist Session, Rede von Senator Wagner, in der sich die Aufbruchsstimmung zu Beginn des "New Deal" niederschlägt, S. 4916: "By permitting labor to organize freely and effectively we can convert the relation of master and servant into an equal and cooperativ partnership, shouldering alike the responsibilities of management and sharing alike in the rewards of increasing production ... ". 81 Der Gesetzestext der section 7 (a) lautete: ,,Every code of fair competition, agreement, and license approved, prescribed, or issued under this title shall contain the following conditions: (1) That employees shall have the right to organize and bargain collectively through representatives of their own choosing, and shall be free from the interference, restraint, or coercion of employers of labor, or their agents, in the designation of such representatives, or in other concerted activities for the purpose of collective bargaining or other mutual aid protection; (2) that no employee and no one seeking employment shall be required as a condition of employment to join any company union, or to refrain from joining, organizing, or assisting a labor organization of his own choosing...", 48 Stat. 195 (1933). 82 Die National Labor Boards wurden am 16.12.1933 geschaffen, im Juli 1934 wurden sie zum National Labor Relations Board umorganisiert vgl. Clemens, Collective Bargaining under the New Deal, Michigan 1941, S. 20.

8J Houde Engineering Corp. v. United Automobile Workers Federal Labor Union No. 18839, Decision of the NLRB July 9.-Dec. 1934, S. 35. R4 Houde Engeneering, a.a.O., S. 39, vgl. auch aus demselben Jahr Guide Lamp Corp. v. Metal Polishers International Union, Decisions ofthe NLRB July 9.-Dec. 1934, S. 47. Das NLB führte in diesen Entscheidungen aus, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer am besten die Wünsche der zu repräsentierenden Gruppe ausdrücken könne. Die in dieser Entscheidung verwendete Formulierung sollte später wörtlich in den Text der section 9 NLRA aufgenommen werden (vgl. Gorman, Labor

40

1. Kapitel: Historische Entwicklung

baren Interessen86 verschiedener Arbeitnehmergruppen bildete das NLB getrennte Tarifeinheiten. Nicht jeder Interessenkonflikt führte jedoch zu der Annahme von separaten Vertretungen. Die Interessen mußten so gelagert sein, daß eine einheitliche Vertretung hinsichtlich der Tarifgegenstände nicht möglich war. So stellte das NLB bei einer Gruppe von Arbeitnehmern aufgrund einer gesondert geregelten Altersversorgung zwar ein spezifisches Gruppeninteresse fest. Es erkannte aber eine übergreifende Tarifeinheit an, da eine gemeinsame kollektive Vertretung hinsichtlich aller übrigen Tarifgegenstände möglich war. 87 In United Dry Docks Incorporate~8 lehnte es separate Tarifeinheiten unter Hinweis auf eine zu starke Fragmentierung der Arbeitnehmervertretung ab. Nach Ansicht des NLB konnte eine übergreifende Tarifeinheit für die Gesamtheit der Arbeitnehmer gesehen bessere Tarifergebnisse erzielen als viele kleine Interessenvertretungen: Die Aufspaltung in viele Interessengruppen widerspräche der Praktikabilität und führe zu chaotischen Bedingungen. 89 Damit hatte das NLB ein Grundproblem der Bestimmung der Tarifeinheit angesprochen. Die Interessengruppe sollte zwar als Voraussetzung "authentischer Interessenvertretung"90 möglichst eng gefaßt werden. Die tarifrechtliche Anerkennung einzelner Interessengruppen sollte aber nicht zu einer Zersplitterung der Arbeitnehmervertretung führen und so ihre Verhandlungsposition gegenüber

Law, St. Paul 1976, S. 374). '5 In dieser Entscheidung ließ das NLB noch offen, nach welchen Kriterien die Tarifeinheit zu bestimmen sei, vgl. Houde Engeneering a.a.O., S. 44: " ... where there may be two or more separate crafts or other distinct groupings each such grouping might properly constitute a unit for collective bargaining. "

•• In seinen Entscheidungen verwendet das NLB den Begriff von "sharp conflicts of interests" , vgl. Railway Commissioners of the City of Detroit v. Amalgamated Association of Street and Motor Coach Employees of America Local 26, Decisions NLRB July 9.-December 1934, S. 123 (125) . •7

Railway Commissioners, a.a.O., S. 125 .

•• NLB Decisions (1934) Case Nr. 190 S. 150 . • 0 United Dry Docks Incorporated NLB Decisions (1934) Case Nr. 190 S. 150: "Separate bargaining by each occupational group for the wages of its own members would inevitably cause confusion and injustice to particular groups, astate of affairs from which all groups would ultimately suffer."

on ,,Authentisch" ist eine kollektive Vertretung, wenn sie die Wünsche und Erwartungen der Arbeitnehmer einer Tarifeinheit unverfälscht in die Tarifverhandlungen einbringt und somit das tarifliche Verhandlungsziel exakt dem Gruppeninteresse entspricht. Vgl. zur Bedeutung der "Authentizität" im Spannungsfeld zur ,,Effektivität" bei tarifvertraglicher Normsetzung, Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, München 1990, S. 208.

11. Zeitraum bis 1947

41

dem Unternehmer schwächen. In United Dry Docks Incorporatetf 1 deutet sich an, daß die Bestimmung der Tarifeinheit allein nach dem Maßstab "Authentizität" nicht zu sachgerechten Ergebnissen führt. Zu viele Vertretungen entsprechen nicht mehr der Praktikabilität bilateraler Tarifverhandlungen. Eine zu große Vielfalt von Interessenvertretern überfordert das System. Welches Kriterium dem der "Authentizität" entgegengesetzt werden sollte, ließ das Gesetz zunächst offen. Section 7 (a) N.I.R.A. garantierte das Recht zur selbstbestimmten Wahl des Vertreters. Das NLB hatte dieses Organisationsrecht zu achten. Das NLB wählte die Interessengemeinschaft als Maßstab, weil der selbstbestimmte Wunsch nach einheitlicher Vertretung gerade auf gemeinsamem Interesse basierte. Das Kriterium Interessengemeinschaft schützte im Streitfall das Recht der Arbeitnehmer. Es ließ den Rückschluß darauf zu, daß sich diese Gruppe von Arbeitnehmern unter dem Schutz von section 7(a) N.I.R.A. in dieser Form selbst organisiert hätte. 92 Zeitgenössische Kommentatoren93 kritisierten bereits kurz nach Gesetzeserlaß den ungenauen Wortlaut der section 7 (a) N.I.R.A. und das Fehlen von Regelungen über den Umfang der Tarifeinheit. Die Literatur empfand Wahlen im Falle konkurrierender Gewerkschaften als eine unbefriedigende Lösung. 94 Sie verlangte, allgemeine Grundsätze für die Bestimmung der Tarifeinheit zu entwickeln. Die Kommentatoren erkannten zudem, daß die Anerkennung von einzelnen Facharbeitergruppen als Tarifeinheiten auch das Schicksal der Gewerkschaftsbewegung als solcher mitbestimmen sollteYs

" NLB Decisions (1934) Case Nr. 190, S. 150. Vgl. dazu auch die Erläuterungen des NLRB aus seinem ersten Jahresbericht National Labor Relations Board, Annual Reports Vol. 1,1936-1942, Reprint Washington 1985, First Annual Report (1936), S. 112. 02

0] Seiler, The Effect of Section 7(a) of the N.I.R.A. upon the Rights of Employer and Employees, 2 New York Quarterly Review 237 (1933-1934); Witte, The Background of the Labor Provisions of the N.I.R.A., 1 Legislation and Administration 572 (1933); Jones, Labor's Right to Organize under the N.I.R.A., 19 SI. Louis Law Review 32 (1933-1934).

04

Jones, a.a.O., S. 42, der diese Fragestellung als ,,nice problem of administration" ansah.

os

Jones, a.a.O., S. 43.

42

1. Kapitel: Historische Entwicklung

Nach dem N.I.R.A. war nicht geklärt, ob auch die vom Unternehmer unterstützten "company unions..96 geschützt sein sollten. Da im N.I.R.A. keine Einlassungspflicht der Arbeitgeberseite in kollektive Verhandlungen geregelt war, wurden Tarifverträge - wenn überhaupt - mit den eigenen "company unions" abgeschlossen. Das NLB hatte keine Möglichkeit, seine Entscheidungen gegen den Willen der Parteien durchzusetzen. 97 Im Jahre 1934 führte die Forderung nach Anerkennung unabhängiger Arbeitnehmervertretungen zu einer Streikwelle. 9R

"Caught in the labyrinth 0/ modem industrialism and dwarfed by the size 0/ corporate enterprise, (the employee) can attain/reedom and dignity only by cooperation with others 0/ his group . .. Senator Wagner, Congressional Record Vol. 79 Part 7 (1935), 74th Congress 1st Session, S. 7565

e) Erlaß des NLRA (Wagner Ac! 1935)

Das erste Refonnkonzept der Regierung Roosevelt hatte nur beschränkten Erfolg. 99 Mit Anstieg des gewerkschaftlichen Organisationsgrads der Arbeitnehmer verbesserte sich nicht ihre soziale Situation; die Löhne fielen weiter. 11Xl Ein Grund dafür lag in der großen Akzeptanz der "company unions". In der Zeit von 1933 bis 1934 stieg die tarifliche Beteiligung der "company unions" um 69%.101 Diese Gewerkschaften standen zu sehr unter dem Einfluß des Un-

•• Vgl. zur Bedeutung der "company unions" in der Zeit des New Deal, Barenberg, The Political Economy of the Wagner Act: Power, Symbol, and Workplace Co operation, 106 Harvard Law Review 1381 (1456) (1993); kritisch zur Entwicklung der Einflußnahme von Unternehmen auf Arbeitnehmerorganisationen: Fantasia, Cultures of Solidarity, Berkeley 1988, S. 30 ff. • 7 Rede Senator Wagners vom 15. Mai 1935, Congressional Record, Vol. 79 Part 7, 74th Congress, 1st Session, S. 7568 .

•• Fergueson, Industrial Conflict and the Coming of the New Deal, in: Fraser I Gerstle (Hrsg.), The Rise and Fall of the New Deal Order 1933-1980, Princeton 1989, S. 18 . .. Fergueson, a.a.O., S. 17. 100 Vgl. Rede Senator Wagners vom 15. May 1935, Congressiona1 Record Vol. 79 Part 7, 74th Congress, 1st Session, S. 7568, in der er feststellt, daß die gesetzlichen Ziele des N.I.R.A. nicht erreicht worden seien. 101 Rede Senator Wagners vom 12. März 1934, Congressional Record Vol. 78 Part 4, 73rd Congress 2nd Session, S. 4230.

11. Zeitraum bis 1947

43

ternehmers, als daß sie sich genügend für die Forderungen der Beschäftigten hätten einsetzen können. 102 Mit dem zweiten arbeitsrechtlichen Gesetz des New Deal, dem Wagner Act von 1935 103 , sollten diese Probleme gelöst werden. Die Pflicht des Unternehmers, mit der gewählten unabhängigen 104 Gewerkschaft zu verhandeln, wurde in section 8 (5) NLRA I05 geregelt. Kriterien zur Bestimmung der Tarifeinheit wurden in section 9 (b) NLRA I06 festgelegt. 107 Die gesetzliche Verankerung des Mehrheitsprinzips in section 9 NLRA setzte die nähere Festlegung des Umfangs der Tarifeinheit voraus. Schon in den Beratungen vor Gesetzeserlaß wurde erkannt, daß nicht das Mehrheitsprinzip selbst, sondern die Bestimmung seines konkreten Anwendungsbereichs die zentrale Rolle spielen sollte. !Os Es mußte festgelegt werden, innerhalb welcher Gruppe das Mehrheitsprinzip entscheiden sollte. Trotz des garantierten Rechts, sich frei zusammenzuschließen, behielt sich der Staat die Entscheidungsbefugnis über den Umfang der Tarifeinheit vor.

1Il2 Senator Wagner vom 12. März 1934 Congressional Record, Vol. 78 Part 4 , 73rd Congress 2nd Session, S. 4230. 1Il3

49 Stal. 453 (1935).

In section 8 NLRA wurde die Unabhängigkeit der Gewerkschaften dadurch garantiert, daß jegliche Einflußnahme des Arbeitgebers eine unzuläsige Verhaltensweise darstellte. Vgl. zu den Reformbestrebungen dieses Jahrhunderts, alternative Beteiligungsformen durch Aufweichung dieses Verbots zu fördern unten 4. Kapitel III 1. 1Il4

IIlS 49 Stal. 453 section 8 (5): "It shall be an unfair practice for an employer. .. to refuse to bargain collectively with the representatives of his employees, subject to the provisions of section 9 (a)." IIlO 49 Stal. 453 section 9 (b): "The Board shall decide in each case whether in order to insure to employees the full benefit of their right to self-organization and to collective bargaining, and otherwise to effectuate the policies of this Act, the unit appropriate for the purposes of collective bargaining shall be the employer unit, craft unit, plant unit, or subdivision thereof." Die Regelung knüpfte damit an die einzelne Facharbeitergruppe an. Dieses Kriterium hatte schon das Railway Labor Board nach dem Railway Labor Act von 1920 in seinen Entscheidungen herangezogen. 1Il1 Vgl. zum Hintergrund Senator Wagner vom 12. Mai 1935, Congressional Record Vol. 79 Part 7, 74th Congress Ist Session, S. 7571.

IIlK Hearing before the Committee on Education and Labor, United States Senate 74th Congress Ist Session on Section 1958, Part I March 11-14 (1935), Legislative History ofthe National Labor Relations Act, Washington 1959, Vol. I S. 1458: "The important question is to what unit the majority rule will apply."

44

I. Kapitel: Historische Entwicklung aa) Spannungsfeld: Organisationsfreiheit der Arbeitnehmer Fremdbestimmung durch die Arbeitsverwaltung

Die Möglichkeit, den Arbeitnehmern selbst die Festlegung der Tarifeinheit zu überlassen, wurde bei Gesetzeserlaß unter Hinweis auf die Interessen des Unternehmers ausdrücklich verworfen. I09 Die Fremdbestimmung der Arbeitnehmer durch das NLRB als staatlicher Behörde schien dem in section 7 NLRA gewährleisteten Recht der Arbeitnehmer auf freie Selbstbestimmung zu widersprechen und sollte ständigen Konfliktstoff bieten. lw Das in section 7 NLRA garantierte Recht, sich in selbstbestimmten Organisationen zusammenzufinden, kollidiert mit der behördlichen Festlegung des Umfangs der Tarifeinheit. Erkannte das NLRB eine von der Gewerkschaft vorgeschlagene Tarifeinheit nicht an, so verbot es dieser Arbeitnehmergruppe sich in dieser Form zu organisieren. Neben dem erklärten Gesetzeszweck lll , wirtschaftliche Produktivität durch Frieden zwischen den Tarifpartnern zu sichern 112, sollte der Wagner Act den "" Hearings before the Committee on Education and Labor United States Senate 74th Congress 1st Session on Section 1958, Part 1, 11.-14. März 1935, a.a.O., S. 1458: "Ifthe employees themselves could make the decision without proper consideration of the element which should constitute the appropriate units, they could in any given instance defeat the practical significance of the majority rule; and, by breaking off into small groups, could make it impossible for the employer to run his plant." Vgl. auch die Äußerung Senator Wagners vom 25. März 1935, Hearing before the Committee on Education and Labor, United States Senate, 74th Congress Ist Session on Section 1958, Part 3, March 21-ApriI2, Legislative History ofthe National Labor Relations Act, Washington 1959, Vol. II S. 1819: "Then we have an election to decide who represents the workers. How is the election to be held? Somebody must decide whether the workers in all three plants vote as one, or whether each plant votes separately, or whether there are different crafts which do not relate to one another, where the workers in one craft do not know the problems of the workers in the other craft." 110 Vgl. Rosenfarb, The National Labor Policy, New York 1940, S. 362; Cohen, The "Appropriate Unit" under the National Labor Relations Act, 39 Columbia Law Review 1110 (1122) (1939). 111 Den Gesetzen des New Deal liegt kein einheitliches Konzept zugrunde. Einzelne Gesetzeszwecke aufzudecken ist schwierig. Selbst den Verfassern des Wagner Act wollte es zehn Jahre nach Gesetzeserlaß nicht mehr gelingen, eine Basisidee zu benennen, vgl. Brinkley, The New Deal and the Idea ofthe State, The Rise and Fall ofthe New Deal Order, Princeton 1989, S. 85. Einordnungversuche und Zielbestimmungen der damaligen Arbeitsgesetzgebung geben oft mehr Aufschluß über die Ansicht des Beurteilenden. Vgl. dazu die Stellungnahmen, die das Gesetz in erster Linie als Antwort auf soziale Unruhen verstanden wissen wollen, Feldman, Unions, Solidarity, and Class: The Limits of Liberal Labor Law, 15 Berkeley Journal of Employment and Labor Law 187 (194) (1994) (Danach sollte das Gesetz "vertikal" durch Begrenzung des Störpotentials gegenüber dem Unternehmer und "horizontal" durch Festlegung der "erlaubten" Tarifinhalte die gewerkschaftliche Macht eindämmen.); Epstein, A Common Law for Labor Relations: A Critique of the New Deal Labor Legislation, 92 Yale Law Journal 1357 (1363) (1983); Lynd, Government Without Rights: The Labor Law Vision of Archibald Cox, 4 Industrial Relations Law Journal 483 (487) (1981) (Wonach das Gesetz gezielt aufkommende Klassenkämpfe verhindern sollte). Nach Klare, Labor

11. Zeitraum bis 1947

45

Arbeitnehmern demokratische Rechte 1l3 gewähren. Die Regelung der Verhältnisse am Arbeitsplatz wurde der Staatsdemokratie nachempfunden. 114 Die "Wirtschaftsdemokratie" des Wagner Act spiegelte ungeachtet der Schwierigkeit einer solchen Übertragung ll5 die Grundsätze des Staates im kleinen. Die demokratisch bestimmte Beilegung von Konflikten zwischen den Tarifparteien sollte nach Ansicht der Verfasser des Gesetzes Basis für stabile wirtschaftliche

Law as Ideology: Towards a New Historiography of Collective Bargaining Law, 4 Industrial Relations Law Journal 450 (457) (1981) hatte der Wagner Act den ideologischen Zweck das kapitalistische Wirtschaftssystem gegen die aufkommende Solidarbewegung der Arbeitnehmer zu schützen. Klare, Judicial Deradicalisation of the Wagner Act and the Origins of Modem Legal Consciousness, 1937-1941, 62 Minnesota Law Review 265 (281) (1978) benennt sechs Ziele der Gesetzgebung: I. Streikeindämmung, 2. Beseitigung von sozialen Unruhen, 3. Garantie der Tarifautonomie unbeschadet der ungleichen Stellung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, 4. Selbstorganisationsrecht der Arbeitnehmer, 5. Stärkung der Kaufkraft durch soziale Einbindung ärmerer Schichten, 6. Schaffung einer "Wirtschaftsdemokratie" . Den letzten Punkt bezeichnet Klare, a.a.O, S. 281 als Lippenbekenntnis. Nach TomIins, The New Deal, Collective Bargaining, and the Triumph of Industrial Pluralism, 39 Industrial and Labor Relations Review 19 (23) (1985) hatte der Wagner Act zwar liberale Elemente, sollte aber in erster Linie staatliche Kontrolle über wirtschaftliche Vorgänge gewährleisten. 1I2

Vgl. section I NLRA, 49 Stat. 453.

113 Wie schon dem N.I.R.A. lag die Idee zugrunde, daß sich Arbeitnehmer in der industriellen Gesellschaft nur behaupten könnten, wenn ihnen die Möglichkeit frei gewählter kollektiver Interessenvertretung gegeben werde. In den Worten von Senator Wagner, Congressional Record Vol. 79 Part 7 (1935), 74th Congress Ist Session S. 7565: "Caught in the labyrinth of modem industrialism and dwarfed by the size of corporate enterprise, (the employee) can attain freedom and dignity only by cooperation with others of his group."

114 Vgl. Rede Senator Wagners vom 15. Mai 1935 Congressional Record Vol. 79 Part 7, 74th Congress Ist Session S. 7571: " ... democracy in industry must be based upon the same principles as democracy in govemment." 115 Vgl. zur Schwierigkeit Tarifparteien mit Interessengruppen im demokratischen Willensbildungsprozeß gleichzusetzen, Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, München 1990, S. 208. Klare, Judicial Deradicalisation of the Wagner Act, and the Origins of Modem Legal Consciousness, 1937-1941, 62 Minnesota Law Review 265 (293) (1978), sieht die Gleichstellung von "Staats-" und "Wirtschaftsdemokratie" als ideologische Begründungshilfe an. Die Anerkennung einer "Regierung" des Arbeitsplatzes stehe Umverteilungsbestrebungen entgegen. Der Arbeitgeber könne legitim bestimmen. Zum zweiten übernehme die Gewerkschaft als Mitentscheidungsträger quasi öffentlich-rechtliche Funktion. Ihre Ziele seien im Hinblick auf die Verantwortlichkeit für die FunktionsHihigkeit des Systems ,,klassenlos" geworden. Das Allgemeinwohl und das öffentliche Interesse und nicht das der Arbeitnehmer solle durch den Vergleich in den Vordergrund gerückt werden.

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1. Kapitel: Historische Entwicklung

Verhältnisse sein: '6 Umso mehr stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit freier, demokratischer Rechte mit behördlicher Fremdbestimmung. Marion Crain" 7 hat sich in ihrer feministischen Kritik des Wagner Act mit dem Problem der Fremdbestimmung der tariffähigen Organisationseinheit der Arbeitnehmer auseinandergesetzt. Nach ihrer Theorie ll8 widersprechen sich die Garantie selbstbestimmter Organisation und die Kontrolle durch das NLRB nicht, sondern sind Ausdruck der von ihr angegriffenen republikanischen Demokratietheorie ll9• Crain '2u führt sowohl die Grundlagen des Verfassungsrechts als auch die des Kollektivarbeitsrechts auf diese Theorie zurück. Bestimmendes Moment ist das vom Staat bestimmte "Allgemeinwohl" ("common good"'21). Entscheidungen der Regierung sollen nicht Ausdruck bestimmter Gruppeninteressen sein, sondern Ergebnis eines von Einzelinteressen unabhängigen von der

116 Vgl. die Untersuchung von Barenberg, The Political Economy of the Wagner Act: Power, Symbol, and Workplace Cooperation, 106 Harvard Law Review 1423 (1993); vgl. die Rede von Senator Wagner vom 15. Mai 1935, Congressional Record Vol. 79 Part 7, 74th Congress Ist Session, S. 7573, und Rede vom 31. März 1937 Congressional Record Vol. 81 Part 3, 75th Congress Ist Session S. 2910: "We believe in political democracy as the form of government best deviced attain these ends; and we hold that political democracy will become a shame and a delusion until there is economic democracy in industry itself." 117 erain, Images of Power in Labor Law: A Feminist Deconstruction, 33 Boston College Law Review 481 (1992).

11. erain, a.a.O., S. 498. erain kritisiert die patriarchalen Strukturen des Wagner Act, die die Fremdbestimmung durch das NLRB vorsahen. 110 Diese Philosophie erlebte Ende der achtziger Jahre eine "Renaissance" in den Diskussionsforen der "Law Journals", vgl. Pope, Republican Moments: The Role of Direct Popular Power in the American Constitutional Order, 139 University of Pensylvania Law Review 287 (1990); Fallon, What is Republicanism, and is it Worth Reviving?, 102 Harvard Law Review 1695 (1989); Sunstein, Beyond the Republican Revival, 97 Yale Law Journal 1539 (1988); Epstein, Modern Republicanism - or the Flight from Substance, 97 Yale Law Journal 1633 (1988); Kerber, Making Republicanism Useful, 97 Yale Law Journal 1663 (1988). 1211 erain, a.a.O., S. 498, vgl. auch Barenberg, a.a.O., S. 1426; Pope, Republican Moments: The Role of Direct Popular Power in the American Constitutional Order, 139 University of Pennsylvania Law Review 287 (308) (1990). 121 Sunstein, a.a.O., S. 1555. Vgl. allgemein zu den vier Grundprinzipien der republikanischen Staatstheorie, Sunstein, a.a.O., S. 1548. "Freiheit" der Bürger wird nicht als individualistische Freiheit verstanden. Vielmehr ist Freiheit Partizipation an politischen Entscheidungen. Nur in der Einbindung in das Staatsgefüge "verwirklichen" sich die Bürger selbst in Ausübung ihrer "civic virtue". Voraussetzung dieser Freiheit ist als zweites Postulat die Gleichheit aller Bürger des Staates. Drittes Element ist eine gewollte Distanz zwischen Bürger und Entscheidungsträger, die eine unabhängige Entscheidung gewährleisten soll. Viertes Moment ist das "Allgemeinwohl", an dem sich alle Entscheidungen auszurichten haben.

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Regierung vorgenommenen Abwägungsprozesses ("deliberation"122). Zwischen politisch denkbaren Alternativen kann die Regierung nur dann frei und interessenunabhängig entscheiden, wenn zwischen ihr und den Bürgern eine kritische Distanz besteht. Das "Allgemeinwohl" wird den einzelnen Interessengruppen als universelle Idee übergeordnet. 123 Zur Verwirklichung des "Allgemein wohls" handelt die Regierung als übergeordnete Elite. 124 Die republikanische Staatstheorie geht auf die Verfassungsmitbegründer James Madison, Alexander Hamilton und John Jay zurück. 125 Der drohenden Fraktionierung der Gesellschaft konnte ihrer Ansicht nach durch eine am "Allgemeinwohl" ausgerichtete Politik am besten begegnet werden. 126 Mangels eines gemeinsamen historischen Bewußtseins der Einwanderer war das "Allgemeinwohl" das einzige alle Bürger verbindende Element. l21 Die Verfassung war

122

Sunstein, a.a.O., S. 1548.

Vgl. insbesondere Epstein, der den republikanischen Ansatz gerade im Gegensatz zu einer durch Interessenpluralismus bestimmten Gesellschaft sieht, a.a.O., S. 1636. Zu dieser Bewertung gelangt - wenn auch aus entgegengesetzter feministischer Position - ebenso Crain, a.a.O., S. 491. 123

124 Sunstein, a.a.O., S. 1555; vgl. weiterführend zur Bedeutung von Eliten als Entscheidungsträger in demokratischen Systemen am Beispiel der Gewerkschaften: Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, München 1990, S. 193 ff.

m Vor Erlaß der Verfassung der Vereinigten Staaten legten Madison, Hamilton und Jay ihre Thesen in den sogenannten ,,Federalist Papers" nieder (The Federalist Papers, Edited with Introduction and Notes by Jacob E. Cohe; Middletown 1961). Zweck dieser Veröffentlichungen war es, einen Konsens zwischen den Delegierten vor Verabschiedung der Verfassung herzustellen (vgl. Rahe, Republies Ancient and Modem - Classical Republicanism and the American Revolution, Chapei Hill and London 1992 S. 580). 126 Von den Verfassern der ,,Federalist Papers" wurde gerade in dem Fehlen der verfestigten europäischen Klassenstrukturen die Chance zum Aufbau einer einheitlichen Gesellschaft ohne Klassenbewußtsein gesehen (Rahe, a.a.O., S. 596). Zwar bestanden Klassengegensätze zwischen Reich und Arm. Jedoch hofften die Begründer der Verfassung, daß die Vielfalt der Interessengruppen - etwa ethnisch, national - in Zusammenhang mit dem starken Allgemeinwohlbezug der Politik die Ausprägung eines bestimmten Klassenbewußtseins verhindern würde (Rahe, a.a.O., S. 597). Mit anderen Worten: Die Entpolitisierung der Klassen durch eine verbindende und universelle Idee sollte einen Klassenkampf und die damit verbundenen Aufspaltung der Gesellschaft verhindern.

127 Rahe, a.a.O., S. 614; vgl. Madison, The Federalist Papers Nr. 10 S. 64: ,,Extent the sphere, and you take in a greater variety of parties and interests; you make it less probable that a majority of the whole will have a common motive to invade the rights of other citizens; ... Hence it clearly appears, that the same advantage, which a Republic has over a Democracy ... is enjoyed by a large over a small Republic - is enjoyed by the Union over the States composing it. Does this advantage consist in the substitution of Representatives, whose enlightened views and virtuous sentiments render them superior to local prejudices, and to shemes of injustice? It will not be denied, that the Representation of the Union will be most Iikely to posess these required endowments."

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1. Kapitel: Historische Entwicklung

gerade nicht an der Anerkennung des Einzelinteresses ausgerichtet. 128 Nicht ein durch Interessenvertreter ausgehandelter gesamtgesellschaftlicher Konsens sollte Basis politischen Handeln sein. Die Regierung formulierte das "All gemeinwohl" und stellte es vornherein über die Interessen der Einzelnen. 129 Diese Idee findet sich - wie die Ausführungen von Marion Crain 130 zeigen - in den Regelungen des Wagner Act wieder. Die staatliche Bestimmung des Umfangs der Tarifeinheit soll die Interessenvertretung auf das übergeordnete Ziel einer funktionsfähigen Wirtschaft im Interesse der Allgemeinheit ausrichten. Individuelle Interessen oder Erwartungen einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern haben zurückzustehen. 13I Zweierlei ist damit erreicht. Das Recht auf Organisationsfreiheit besteht nur in dem behördlich kontrollierten wirtschafts-politisch zulässigen Spielraum. Organisationsformen, die funktionsgefährdend für das Wirtschaftssystem sind und dem "Allgemeinwohl" widersprechen, sind nicht geschützt. Zum Zweiten muß die Gewerkschaft ihre Entscheidungen am "Allgemeinwohl" messen lassen. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist sie nicht nur Vertreterin der tariflichen Interessen der Arbeitnehmer, sondern wird selbst "Regierende", die Verantwortung für die Funktionsfahigkeit des Wirtschaftssystems übernommen hat und insoweit "allgemeinwohlbezogene"132 Handlungen schuldet.

120 Madison, The Federalist Papers Nr. 10, S. 62: "The two great points of difference between a Democracy and a Republic are, first, the delegation of the govemment ... The effect of the first difference is, on the one hand to refine and enlarge the public views, by passing them through the medium of a choosen body of citizens, whose wisdom may best discem the true interest of their country, and whose patriotism and love of justice, will beleast likely to sacrifice it to temporary or partial considerations." 129 Vgl. Rahe, a.a.O., S. 604: " ... the American republic conferred on a constitution, ultimately derivative from the people but placed for the most part beyond their reach, a sacred authority limiting their prerogatives, directing their common activities, and forming their characters as citizens."

130

Crain, a.a.O., S. 498.

131

Vgl. Crain, a.a.O., S. 492.

132 Vgl. zur Diskussion im bundesdeutschen Arbeitsrecht, ob der Betriebsrat eine "Allgemeinwohlverpflichtung" hat, Kreutz, Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, BlStSozArbR 1972, S. 47. Zur Diskussion, ob den Tarifparteien eine ,,Allgemeinwohlverpflichtung" obliegt, Schüren, Die Legitimation der Tariflichen Normsetzung, S. 209 Fußnote 175 m.w.N.

11. Zeitraum bis 1947

49

bb) Mehrere Interessenvertreter innerhalb eines Betriebs Bedeutung der "craft unions" In ihrem ersten Bericht für das Jahr 1936 beschreibt das NLRB die Grundsätze für die Bestimmung der Tarifeinheit nach section 9 (a) NLRB. 133 Ein freiwilliger Zusammenschluß von Arbeitnehmern war nach Ansicht des NLRB gerade in einer Interessengemeinschaft ("community of interest") der Arbeitnehmer hinsichtlich Lohn, Arbeitszeit und allgemeinen Arbeitsbedingungen 134 begründet. Bei der Bestimmung der Tarifeinheit habe das NLRB diese Motivation aufzuspüren und in seiner Entscheidung zu berücksichtigen. 135 Das Kriterium der "community of interest" sollte zudem die Funktionsfähigkeit der Vertretung gewährleisten. Nur bei gemeinsamer Interessenlage sei eine einheitliche gewerkschaftliche Vertretung der Arbeitnehmergruppe möglich. 136 Die Interessengemeinschaft konnte nach der Ansicht des NLRB auch in der Ausübung einer gemeinsamen besonders qualifizierten Tätigkeit liegen. Eine gemeinsame Qualifikation und der daraus resultierende Anspruch auf höheren

m National Labor Relations Board, Annual Reports, 1936-1942 Vol. I, Reprint Washington 1985; First Annual Report (1936) S. 112. 134 Das NLRB knüpfte die Ausrichtung der Interessengemeinschaft an die gesetzlich zulässigen Tarifvertragsinhalte an. Vgl. die frühen Entscheidungen: United States Stamping Comp. 1 NLRB 123 (1936); Mosinee Paper Mills Co. 1 NLRB 393 (1936); Pittsburgh Steel Co. I NLRB 256 (1936); John Blood & Co. Inc. 1 NLRB 371 (1936); Chrysler Corp. 1 NLRB 164 (1936); Canton Enameling Stamping Co. 1 NLRB 402 (1936). Die "community of interest" konnte sich aber auch aus der Struktur des Unternehmens, der Vorgeschichte der kollektiven Vertretung der Arbeitnehmer oder dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Arbeitnehmer ergeben (vgl. Little, Labor Law - Appropriate Unit for Collective Bargaining, 12 Wisconsin Law Review 1936 Vol. 12, S. 367 ( 370».

m NLRB, First Annual Report, a.a.O., S. 113: "In order to permit employees that freedom of self-organization which is their due under the act, the Board has studied closely the factors motivating such organization, and the forms most conductive to effective collective bargaining, to the end that its decisions as to the unit may further collective bargaining and self-organization among employees ... The considerations generally entering into the designation of a unit are ... the community of interest... ". 136 Vgl. NLRB, First Annual Report, a.a.O., S. 116: "Is there that community of interest among the employees, which is likely to further harmonious organization and faciliate collective bargaining?"

4 Bmrs

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1. Kapitel: Historische Entwicklung

Lohn wurden vom NLRB unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten 137 als ein die Arbeitnehmer besonders verbindendes Element angesehen. 138 Das Kriterium der Interessengemeinschaft konnte daher zur Festlegung einer separaten Tarifeinheit von höher qualifizierten Arbeitnehmern 139 innerhalb eines Betriebs führen. l40 Zwar konnte auch eine Interessengemeinschaft zwischen allen Arbeitnehmern einer bestimmten Industrie bestehen. 141 Die vertikale Einteilung in kleine und separate Arbeitnehmervertretungen innerhalb eines Betriebs war aber schon vom Gesetzeswortlaut der section 9 (b) NLRB anerkannt, nach dem Fachkräftevertretungen ("craft units .. 142) ausdrücklich zulässig waren. Warum der Wagner Act Facharbeitervertretungen berücksichtigen mußte, läßt sich aus ihrer historischen Bedeutung erklären. Die Geschichte der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung beginnt mit dem Zusammenschluß von Handwerkern in "craft unions" auf lokaler Basis Ende des achtzehnten lahrhunderts. 143 Die Hoffnung auf einen eigenen Betrieb und die Aussicht auf höhere Löhne waren Anstoß für viele qualifizierte Handwerker gewesen, dem alten Kontinent den Rücken zu kehren. l44 Die ausgewanderten

m NLRB, First Annual Report, a.a.O., S. 116: " ... from the viewpoint of economic interest...". Vgl. Canton Enameling Stamping Co. I NLRB 402 (1936) (406) für den Fall der besser qualifizierten Maschinisten als eigener Facharbeitergruppe: " ... it is obvious that various problems which confront the employees ... from day to day in respect to rates of pay, wages ... and other conditions of employment may be totally different in the case of the machinists than in the case of the production employees." BK

139 NLRB, First Annual Report, a.a.O., S. 114: "Organization of skilled employees along craft Iines is an outgrowth of the identity of problems confronting those engaged in a common pursuit." Nach dem NLRB waren "craft unions" als traditionelle Vertretungen grundsätzlich anzuerkennen (vgl. NLRB, First Annual Report, a.a.O., S. 114). 140 Schick Dry Shaver Comp. 4 NLRB 246 (1937); Fairbanks Morse Comp. 7 NLRB 229 (1938); Electric Auto-Lite Co. 9 NLRB 147 (1938). In Worthington Pump and Machinery Corp. 4 NLRB 448 (1937) erkannte das Board eine Tarifeinheit an, die 72 von 1800 Beschäftigte umfaßte. In Vulte Aircraft Div. 9 NLRB 32 (1938) umfaßte die Tarifeiheit 6 von 579 Beschäftigten, in Standard Cap and Seal Comp., 10 NLRB 33 (1938) 6 von 64 Beschäftigten. 141

NLRB, First Annual Report, a.a.O., S. 112.

49 Stat. 453 section 9 (b): "The Board shall decide in each case whether in order to insure to employees the full benefit of their right to self-organization and to collective bargaining, and otherwise to effectuate the policies of this Act, the unit appropriate for the purposes of collective bargaining shall be the employer unit, craft unit, plant unit, or subdivision thereof." 142

143

Hoxie, Trade Unionism in the United States, New York 1966, S. 78.

Morris, Govemment and Labor, New York 1946, S. 26; vgl. ebenso Commons, Documentary History of American Industrial Society, Vol. 11, S. 175, Beschreibung von South Carolina (1731): "There is not one Potter in the province, and no Earthen-ware but what comes from England, nor Glass of any kind. So that a Pot-house and a good G1ass-house would succeed perfectIy weil, not 144

11. Zeitraum bis 1947

51

Handwerker hatten eine angesehene gesellschaftliche Stellung. 145 Ähnlich dem Gildensystem waren sie zunächst in Verbänden ("Benevolent Societies") zusammengeschlossen, deren Hauptzweck in der finanziellen Absicherung bei Krankheit oder Unfällen bestand. 146 Gewerkschaftliche Zusammenschlüsse wurden erst notwendig, als ungelernte Kräfte in den Handwerksbetrieben zu arbeiten begannen. Zuvor hatte es keine Aufspaltung in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberrollen gegeben, da die Handwerker ihre Produkte in ihrem eigenen Geschäft verkauften ("artisan shopkeepers"). 147 Diese kleinen Geschäfte mit nur limitierten Angebot konnten jedoch die steigende Nachfrage nicht befriedigen. 148 Die zusätzliche Beschäftigung von ungelernten Arbeitern und zum Teil auch Sklaven senkte das Lohnniveau der übrigen, gelernten Kräfte. 149 Die erste gewerkschaftliche Forderung der neu gebildeten Handwerker- und Facharbeitervertretungen ("craft unions") bezog sich daher auf die Erhaltung der alten Löhne. 150 Die Organisationen waren nicht Ausdruck einer bestimmten Ideologie, sondern Reaktion auf die Verhältnisse des örtlichen Marktes. l5l Die Struktur der neuen Zusammenschlüsse war zweitrangig. Die Anfänge der Gewerkschaftsbewegung in den Vereinigten Staaten waren Bündelung eines bestimmten Interesses einer kleinen, örtlich tätigen Gruppe von Arbeitnehmern. 152

only for Carolina, but for all the other Colonies in America." '45 Im Gegensatz zu den Verhältnissen in Europa, die von einem verfestigten Klassensystem geprägt waren, waren diese Handwerker freie Bürger. Ihre Aufbauarbeit wurde gebraucht und war deshalb gesellschaftlich hoch geschätzt, vgl. Morris, a.a.O., S. 52.

'46 Foner, History of the American Labor Movement Vol. I, New York 1947, S. 26. '47

Hoxie, a.a.O., S. 78.

'4K

Foner, Vol. I, a.a.O., S. 23.

'49

Hoxie, a.a.O., S. 79.

'50 Vgl. z.B. Commons, Documentary History of the American Industrial Society Vol. III, S. 364 die Satzung der Joumeymen Cordwainers vom 13. July 1810: "We, the Joumeymen Cordwainers of the City of New York, impressed with a sense of our rights, and to guard against intrigues or artifices that may at any time be used by our employers to reduce our wages lower than what we deern an adequate reward for our labor, have unaimously agreed to the following articles of our society."

'5'

Hoxie, a.a.O., S. 79.

Hoxie, a.a.O., S. 62. Vgl. die Anknüpfung von heutigen Refonnvorschlägen an diese ersten Gewerkschaftsorganisationen, insbesondere die Konzeption von Clulrles Heckscher, New Unionism, New York 1987. '52

52

1. Kapitel: Historische Entwicklung

Das Überleben der separaten, lokal begrenzten Facharbeitervertretungen in einer Zeit zunehmender Industrialisierung ist ein Phänomen des amerikanischen Arbeitsrechts. 153 Trotz der ständig anwachsenden Zahl der Fabrikarbeiter l54 gelang es bis in die fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts nicht, einen einheitlichen, Industrie- und Facharbeiter umfassenden Gewerkschaftsverband aufzubauen. Von einem zeitgenössischen Kommentator des New Deal wird das Überleben der "craft unions" in der Zeit der Industriegesellschaft als überkommenes Verhaltensmuster ("behaviour pattem"155) verstanden. Der Gegensatz zwischen Facharbeitervertretungen und nach dem Industrieverbandsprinzip organisierten Gewerkschaften tritt bereits in den Anfängen des 1886 gebildeten Gewerkschaftsbunds der American Federation of Labor (A.F.L.) zu Tage. 1S6 Im Gegensatz zu den Industriegewerkschaften, die eine generelle Veränderung der politischen Verhältnisse erstrebten 1S7, setzten sich die "craft unions" ausschließlich für Vorteile der Fach- oder Handwerker ein. 158 Die Mitglieder der "craft unions" fühlten sich durch ihre qualifizierte Tätigkeit verbunden, die

153 In Deutschland konnten sich die Berufsverbände Ende des Neunzehnten Jahrhunderts nicht erfolgreich gegen zentral-organisierte Gewerkschaftsverbände durchsetzen, Ritter, Die Arbeiterbewegung im wilhelminischen Reich, Berlin 1956, S. 113; Schiinhoven, Die Gewerkschaft als Massenbewegung im wilhelminischen Kaiserreich 1890-1918, Borsdorf (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaften, Köln 1987, S. 182; Schüren, Die Legitimation der tariflichen Norrnsetzung, München 1990, S. 109. Die Gruppe der Angestellten, denen das deutsche Arbeitsrecht durchgehend bis auf die national-sozialistischen Gleichschaltungsregelungen eine eigene betriebliche Vertretung zuerkannte (vgl. dazu Blanke, Arbeiter und Angestellte - auf dem Weg zum einheitlichen Beschäftigungsverhältnis, ArbuR 1991, S. I (2» stellt keine einheitliche Berufsgruppe dar. Vielmehr boten die Angestellten zum Zeitpunkt ihrer sozial-rechtlichen Verselbständigung im Angestelltenversicherungsgesetz von 1911 ein zusammengewürfeltes Bild verschiedener Berufe, vgl. Schiinhoven, a.a.O., S. 209; Aufhäuser, Weltkrieg und Angestelltenbewegung, Berlin 1918, S. 12. Die gesetzliche Privilegierung dieser Gruppe war nicht an ihrer beruflichen Identität, sondern in der Intention des Staats begründet, die Solidarisierung von Angestellten und Arbeitern zu blockieren, vgl. Schänhoyen, a.a.O., S. 209.

154 Galenson, The CIO Challenge to the AFL - A History of the American Labor Movement, Cambridge 1960, S. 5; ders., Rival Unionism in the United States, New York 1940, S. 8; Millis, From the Wagner Act to Taft-Hartley, Chicago 1950, S. 141; ders., Organized Labor, New York 1950, S. 274. 155

Roserifarb, The National Labor Policy and How it Works, New York and London 1940, S.

362. 15_

Foner, History ofthe Labor Movement in the United States, New York 1964, Vol. 3, S. 195.

157

Galenson, The CIO Challenge to the AFL, Cambridge 1960, S. 5.

15.

Millis, Organized Labor, New York London 1945, S. 272.

11. Zeitraum bis 1947

53

sie von Industriearbeitern unterschied. Die Idee einer übergreifenden Vertretung wurde von während des New Deal strikt abgelehnt. 159 Die AF.L. war zur Zeit des New Deals kein ausschließlicher Zusammenschluß von "craft unions"16o. Der Anteil der Mitglieder, die in reinen craft unions vertreten waren, betrug 1938 nur 16%.161 Trotzdem übten die Interessenvertreter der "craft unions" den entscheidenden Einfluß auf die Gewerkschaftspolitik aus. Der Versuch einen industrieweiten Gewerkschaftbund im Jahre 1935 auf der "Convention der AF.L." einzuführen 162 scheiterte am Widerspruch der Facharbeitervertretungen. 163 Erst im Jahre 1936 sollte mit der Trennung des "Committee for Industrial Organization" (C.I.O.) von der AF.L. ein eigener industrieweiter Zusammenschluß gelingen. l64 Die gesetzgeberische Entscheidung, "craft units" als mögliche Tarifeinheiten zu akzeptieren, war eine Bestätigung dieses status quo. Anders als im bundesdeutschen Recht 165 mußte sich die Gesetzgebung mit der Existenz starker örtlicher Facharbeitervertretungen auseinandersetzen. Gleichzeitig entschieden sich die Verfasser des Gesetzes damit gegen die Neugliederung der Gewerkschaften allein nach einem überörtlichen 166 Verbandsprinzip.167

'59 Galenson, The CIO Challenge, S. 29; Fraser, From the New Unionism to the New Deal, Labor History 1984, S. 405 (417).

,." Millis, From the Wagner Act to Taft-Hartley, a.a.O., S. 141. ,'" Bowman, Public Control of Labor Relations, New York 1942, S. 204.

'.2 Galen.wm,

Rival Unionism, a.a.O., S. 20.

,., Galenson, The CIO Challenge, a.a.O., S. 3; Young, The Split of Labor, Labor and the New Deal, Madison 1957, S. 53 ff.; Rosenfarb, The National Labor Policy, New York 1940, S. 365; Bernheim, Labor and the Government, New York 1935, S. 40 ff.

'M Galenson, Rival Unionism, a.a.O., S. 20. 'M In Deutschland verlief die Entwicklung gewerkschaftlicher Organisation auf das Industrieverbandsprinzip hin. Von der schon 1892 von den Gewerkschaften angestrebten zentralorganisierten Form eines übergreifenden Gewerkschaftsverbands entwickelte sich die Rolle der lokalen Berufsgruppenvertretungen immer stärker zurück. Der Gesetzgeber des Betriebsrätegesetzes von 1920 war nicht mit der Existenz starker Facharbeitervertretungen konfrontiert und mußte sie in den Regelungen nicht berücksichtigen. Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung der Gewerkschaften in Deutschland, Schüren, Die Legitimation der tariflichen Norrnsetzung, München 1990, insbesondere zur Ausrichtung auf eine Zentralstruktur des Gewerkschaftsaufbaus, S. 108 ff.

,.. Die deutschen Gewerkschaften hatten sich auf dem "Halberstadter Kongress" von 1892 bereits gegen eine rein örtliche Organisationsform ausgesprochen, Schüren, Die Legitimation der tariflichen Norrnsetzung, München 1990, S. 110.

54

1. Kapitel: Historische Entwicklung

Die Tragweite der Entscheidung gegen eine industrieweite Vertretung der Arbeitnehmer war den Mitgliedern des Kongresses bewußt. Insbesondere blieben die Interessen des Kapitals nicht unberücksichtigt, das eine industrieweit geeinte Gewerkschaft fürchtete. 16R Die "craft unions" galten als ungefährlicher l69 • Wollten sie doch Vorteile nur für ihren spezifischen Interessenkreis und keine Veränderung der Gesellschaft erreichen. Nach der Trennung der c.I.O. von der A.F.L. im November 1936 170 galt jede Anerkennung einer separaten Tarifeinheit für Facharbeiter als Sieg der A.F.L. über das Prinzip industrieweiter Vertretung. Das NLRB konnte insbesondere dann nicht neutral bleiben, wenn in einem Betrieb beide Gewerkschaften rivalisierten. Abrupte Richtungswechsel sollten die Entscheidungspolitik des NLRB bestimmen.

(1) Maßgeblichkeit der kleinen Gruppe Globe Mach. & Stamping Company In seiner Grundsatzentscheidung Globe 171 hielt das NLRB sowohl die Facharbeitervertretung wie die übergreifende Einheit für geeignet. Nach dem "Globe-Prinzip"l72 waren zwei verschiedene Wahlgänge vorgesehen. Zunächst konnten die Facharbeiter wählen, ob sie in der großen Tarifeinheit bleiben oder eine eigene Vertretung haben wollten. Die übrigen Arbeitnehmer der größeren

167 Die Gewerkschaften, die industrieweite Zusammenschlüsse befürworteten, kritisierten den Wagner Act scharf. Vgl. das Memorandum der ,,Employees' Mutual Benefit Association" Hearings before the Committee on Labor and Education United States Senate 74th Congress Ist Session on Section 1958, Part 3, March 21-April 3 1935, Legislative History of the National Labor Relations Act 1935 Vol. 11, Washington 1959, S. 1688: "One particular unit having the right to bargain separately might be a basic one, interfering with the entire operation of the plant with the result that 300 employees might interfere with the welfare and continued employment of 3.000."

16. Cohen, The "Appropriate Unit" under the National Relations Act, 39 Columbia Law Review 1110 (1118) (1939). Vgl. auch die Rede von Senator Hastings, Congressional Record Vol. 79 Part 7 (1935), 74th Congress 1st Session, S. 7672: "If I understand the bill a unit does not necessarily mean the employees of a certain corperation, but the unit may be a unit of employees scattered all over this country, and if a majority in that unit decides over a certain thing, then the majority of that unit can make a bargain for the employees of a certain corporation where non of them want the particular thing." 16.

Rosenjarb, The National Labor Policy, New York 1940, S. 362.

17C1

Galenson, The CIO Challenge to the AFL, Cambridge 1960, S. 4.

171

3 NLRB 294 (1937).

172

Vgl. zum Wahlverfahren in diesen Fällen Gorman, a.a.O., S. 72; Hardin, a.a.O. Vol. I, S. 453.

11. Zeitraum bis 1947

55

Tarifeinheit konnten darüber abstimmen, ob sie in der großen Tarifeinheit vertreten werden wollten oder keine gewerkschaftliche Vertretung haben wollten. Falls sich die Facharbeiter für eine separate Vertretung entschieden, kam es auf den Willen der größeren Arbeitnehmergruppe nicht mehr an: Das NLRB erkannte die kleinere Gruppe als Tarifeinheit an. Damit war allein der Wille der Facharbeiter entscheidend.

(2) Trennung unter strengen Voraussetzungen der steinige Weg von American Can zu General Electric

Es gab aber auch Entscheidungen, in denen das NLRB eine separate Fachkräftevertretung ablehnte. In diesen Fällen bestand zwischen allen Arbeitnehmern innerhalb der größeren Tarifeinheit eine Interessengemeinschaft. Die Gemeinsamkeit konnte insbesondere darin liegen, daß die Arbeitnehmer schon in der Vergangenheit ausschließlich insgesamt kollektiv vertreten gewesen waren ("bargaining history"). Die übergreifende Tarifeinheit hatte sich dann nach Ansicht des NLRB bereits als funktionsfähig erwiesen. 173 Die Interessengemeinsamkeit aller Arbeitnehmer konnte sich auch aus der Organisationsstruktur des Unternehmens ergeben: Eine zentrale Personalpolitik konnte für eine umfassende Tarifeinheit sprechen. 174

(a) American Can - Trennung unter strengen Voraussetzungen Die Würdigung einer bereits bestehenden Tarifeinheit spielte bei der Entscheidung über die Abtrennung einer separaten Facharbeitervertretung eine entscheidende Rolle. In American Can l75 verneinte das NLRB eine getrennte Tarifeinheit für Facharbeiter unter Hinweis auf die bestehende übergreifende Vertretung. Bei funktionsfähiger Vertretung in der übergreifenden Tarifeinheit sollte keine Abspaltung weiterer Tarifeinheiten erfolgen. Vielmehr werde die Stabilität des Tarifsystems durch zu viele Tarifeinheiten gefährdet. 176 Die Entschei-

173 Daily Mirror Ine. 5 NLRB 362 (1938); Wheeling Steel Corp. 8 NLRB 102 (1938); Fried Ostermann Co. 7 NLRB 1075; Postal Telegraph Cable Corp. 9 NLRB 1060 (1938).

174

Shipowners Ass. of the Pacific 7 NLRB 1002 (1938); Sorg Paper Comp. 8 NLRB 657 (1938).

m Ameriean Can 13 NLRB 1252 (1939). 176 American Can l3 NLRB 1252: "To permit such small groups to break up an appropriate unit ... would make stability and responsibility in eolleetive bargaining impossible".

56

1. Kapitel: Historische Entwicklung

dung werteten Vertreter der A.F.L. als politischen Angriff auf die grundsätzliche Berechtigung von Facharbeitervertretungen. Es wurde vennutet, zwischen der C.I.O. und Kommissionsmitgliedern des NLRB bestünden Kontakte. Das C.I.O. habe einen Undercover-Mann, der die Politik des NLRB direkt beeinflusse. 177

(b) Allis-Chalmers - Trennung bei Trennungswunsch Auch zwischen den Kommissionsmitgliedern des NLRB war es umstritten, ob Facharbeitervertretungen grundsätzlich anzuerkennen waren. 178 In Allis-Chalmers l79 kamen die widersprüchlichen Auffassungen deutlich zum Ausdruck. In dieser Entscheidung wollten zwei Facharbeitervertretungen in separaten Tarifeinheiten wählen lassen, obwohl bereits eine übergreifende Tarifeinheit bestand. Nach dem in Globe l80 entwickelten Wahl verfahren ließ das NLRB entgegen seiner Entscheidung in American Can l81 abstimmen. Die Facharbeiter sprachen sich für eigene Vertretungen aus; das NLRB erkannte separate Tarifeinheiten an. In seinem Gegenvotum ("dissenting opinion,,182) wies das Kommissionsmitglied E.S. Smith darauf hin, daß die Facharbeiter bei Arbeitskämpfen ihrer Tarifeinheit Schlüsselpositionen besäßen und so die gesamte Produktion unterbrechen könnten. Weiterhin rügte er, daß das "Globe-Prinzip" nur den Wunsch der Facharbeiter nach selbstbestimmter Organisation verwirkliche. Die Erwartungen der übrigen Arbeitnehmer ignoriere das NLRB. 183

177

Cohen, a.a.O., S. 1122; Galenson, The CIO Challenge, a.a.O., S. 612.

I7R

Allis-Chalrners 4 NLRB 159 (1937); Schick Dry Shaver Corno 4 NLRB 246 (1938).

179

4 NLRB 159 (1937).

'RO

Glohe Mach. & Stamping Cornpany 3 NLRB 294 (1937).

'R'

Arnerican Can 13 NLRB 1252 (1939).

'R2

Mr. Edwin S. Smith, "Dissenting Opinion" 4 NLRB 159 (175).

'RJ Mr. Edwin S. Srnith, "Dissenting Opinion" 4 NLRB 159 (175): "I cannot concur in this decision, because, ... , I feel the Board is here abandoning its necessary judicial function under the Act of rnaking a reasonable determination of the appropriate bargaining unit in accordance with the facts of the particular case.... Permitting minorities to set thernselves off, ... , succeeds in providing full self-determination for the rninority but only at the expense of entirely disregarding the interests of the rnajority." Seiner Ansicht nach war das Verfahren "pseudo-dernokratisch". Vertretern der A.F.L. gelang es eine Wiederbenennung Mr. Srniths zu verhindern, der nach seinem Ausscheiden aus dem NLRB Wahlorganisator ("organizer bei der C.I.O. wurde vgl. Galenson, The CIO Challenge, a.a.O., S. 614. U

)

11. Zeitraum bis 1947

57

(c) Electric Corp. - Neudefinition der Trennungsvoraussetzungen Die in Allis-Chalmers l84 zum Ausdruck gebrachte Lockerung der AmericanCan 185 Doktrin sollte keinen Bestand haben. In General Electric Corp.186 ließ das NLRB eine Abtrennung von Facharbeitervertretungen nur unter erschwerten Bedingungen zu. Voraussetzungen der Bildung einer separaten Tarifeinheit sollte sein, daß es sich um traditionell eigenständige Facharbeiter handelte, die ihre Identität während der Vertretung in der umfassenden Tarifeinheit bewahren konnten. Die Gruppe müsse gegen ihre Aufnahme in die große Tarifeinheit protestiert haben oder die Bildung der Tarifeinheit müsse ohne Beteiligungsmöglichkeit der Facharbeiter erfolgt sein. Der Hintergrund der unterschiedlichen Bewertungen in Allis-Chalmers l87 und in General Electric 188 läßt sich vennuten. Möglicherweise schreckte das NLRB in Allis-Chalmers l89 wegen der politischen Besonderheiten des Einzelfalls vor der Anerkennung einer übergreifenden Tarifeinheit zurück: Während des Kriegs hatten bei AIIis-Chalmers kommunistische Gewerkschafter die Führung der unternehmens weiten Interessenvertretung übernommen. 190 Die damalige arbeitsrechtliche Literatur 191 bewertete die Entscheidungen des NLRB je nach eigener politischer Richtung unterschiedlich. Zum Teil wurden sie als wertneutrale Reaktion auf die arbeitsrechtliche Realität gesehen, deren

'K4

Allis-Chalmers 4 NLRB 159 (1937).

'KS

Ameriean Can 13 NLRB 1252 (1939).

,•• General Eleetrie 58 NLRB 57 (1944) die Voraussetzungen in einzelnen: - "eonstituted a true eraft" - "had maintained its identity while bargaining in the more eomprehensive unit" - "had protested its inc1usions in the broader unit, or the broader unit had been established without its knowledge and there had been no previous eonsideration of the merits of aseparate unit" . ..7

Allis-Chalmers 4 NLRB 159 (1937).

'K. General Eleetrie 58 NLRB 57 (1944). '.9 Allis-Chalmers 4 NLRB 159 (1937).

,.., Vgl. ReiIly, The Legislative History of the Taft-Hartley Aet, George Washington Law Review Vol. 29, 1969, S. 285 (293).

'" Rice, The Determinations of Employee Representatives, Law and Contemporary Problems 1939, S. 188; Gelhorn / Linfield, Politics and Labor Relations: An Appraisal of Criticism of the NLRB Procedure; Rosenfarb, The National Labor Poliey. New York 1940, S. 317 ff.; Cohen, The "Appropriate" Unit under the National Labor Relations Act, 39 Columbia Law Review 1110 (1939).

58

1. Kapitel: Historische Entwicklung

Teil die "craft unions" waren. Es sei nicht die Aufgabe des NLRB, die bestehende Gesellschaft zu verändern. 192 Aus anderer Sicht reagierte das NLRB nicht unparteiisch, sondern wollte durch die Bestätigung des status quo die industrieweit ausgerichtete Gewerkschaftbewegung zersplittern. 193 Das Kriterium der "community of interest" werde mißbraucht, um Belange kleiner Gruppen im Wege staatlicher Aufsicht vor der Gruppe der gesamten Arbeitnehmerschaft zu schützen und so die Belegschaften zu spalten. 194 Das "Globe-Prinzip" wurde einhellig kritisiert. 195 Sobald das NLRB auf den Wunsch der Facharbeiter eingehe, habe es ihre separate Tarifeinheit anerkannt. 196 Das Kriterium der Interessengemeinschaft diene als Mittel, um nur das Recht der Facharbeiter nach einer eigenen Vertretung zu erfüllen. 197 Das Recht der gesamten übrigen Arbeitnehmerschaft werde vom NLRB nicht berücksichtigt. Damit liege schon in dieser Methodik die grundsätzliche Entscheidung des NLRB für separate Facharbeitervertretungen. 198 Das Problem, zwischen separaten und umfassenden Tarifeinheiten zu entscheiden, bestimmte auch die Änderungen des Wagner Act im Jahre 1947 bestimmen. In den "TaftRartley-Amendements" nahm die Regierung zum Industrieverbandsprinzip Stellung.

'92

Rosenfarb, a.a.O., S. 366.

103

Cohen, a.a.O., S. 1131.

'94

Cohen, a.a.O., S. 1131.

'9S

Roserifarb, a.a.O., S. 364; Cohen, a.a.O., S. 1131.

'96

Vgl. Rosenfarb, a.a.O., S. 364.

'97

Rosenfarb, a.a.O., S. 326.

'9S

Rosenfarb, a.a.O., S. 364.

11. Zeitraum bis 1947

59

" The power to determine substantive terms resides in society, not in the law. That social relationship will simply be reproduced, because power, in the end, will secure itself." David Abraham, Individual Autonomy and Collective Empowerment in Labor Law, New York University Law Review 1988 Vol. 63, S. 1268 [1287J

f) Erlaß des Taft-Hartley Act (1947)

War es Intention des Wagner Act gewesen, die Gewerkschaften zu schützen, sollte diese Haltung in den Taft-Hartley Änderungen aufgegeben werden. 199 Ziel der Reform war es, den Einfluß der Gewerkschaften einzudämmen. 2(KJ In den Jahren 1935 bis 1947 hatte sich die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder verfünffacht. 201 Die Gewerkschaften übten entscheidende gesellschaftliche Macht aus. 202 Die Gewerkschaftsbewegung war nicht einheitlich strukturiert. Vielmehr rivalisierten verschiedene Gewerkschaften um die einzelne Arbeitnehmergruppe der jeweiligen Tarifeinheit. Die einzelnen Gewerkschaften setzten sich ausschließlich für die Interessen ihrer eigenen Mitglieder ein; eine gemeinsame verbindende Ideologie fehlte. 203

'99

Cox, Cases on Labor Law, 6. Auflage, Brooklyn 1965, S. 135.

House Report Nr. 245 vom 11.4.1947, 80th Congress, Ist Session S. 295, nach dem das Verhältnis der Arbeitnehmer zu den Gewerkschaften wie folgt beschreiben wird: "For the last 14 years, as a result of labor laws ill-concieved and disastrously executed, the American workingman has been deprived his dignity of an individual. He has been cajoled, coerced, intimidated, and on many occasions beaten up, in the name of his splendid aims set forth in section I of the National Labor Relation Act... He has been forced into labor organizations against his will ... He has frequently against his will been caled out on strikes which have resulted in wage los ses representing years of his savings. In many cases his economic life has been ruled by Communists and other subversive influences. In short his mind, his soul, and his very li fe have been subject to a tyranny more despotie than one could think in a free country." 21M'

2111 COX, 202

Cases on Labor Law, 6. Auflage, Brooklyn 1965, S. 130.

SUchter, The Challenge of Industrial Relations, New York 1947, S. 15; vgl. auch Reilly, The

Legislative History of the Taft-Hartley Act, George Washington Law Review Vol. 29 (1969), S. 285 (288). "" Vgl. zum mangelnden Klassenbewußtsein der Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten Feldman, Unions, Solidarity, and Class: The Limits of Liberal Labor Law, 15 Berkeley Journal of Employment and Labor Law 187 (212) (1994) wonach arbeitsrechtliche Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten von je her klassenbezogene Aktivitäten als Angriff auf eine von Individualismus und Wettbewerb geprägte Gesellschaft unterbinden wollte; vgl. auch Klare, Labor Law as Ideology: Towards a New Historiography of Collective Bargaining, 4 Industrial Relations Law Journal 450 (465) (1981); Bok, Reflections on the Distinctive Character of American Labor Law, 84 Harvard Law Review 1394 (1403) (197\), danach paßte sich der Gedanke einer Solidarbewegung nicht in

60

1. Kapitel: Historische Entwicklung

Korruption innerhalb der Gewerkschaften und nicht nur nachgesagte Verbindungen zum organisierten Verbrechen 204 hatten das Ansehen der Gewerkschaftsbewegung sinken lassen. 205 Industrieweit angelegte Streikaktionen206 im Jahre 1946 stießen auf harte politische Kritik. 207 Die republikanische Partei thematisierte diese Krititik in ihrer Kampagne zu den Präsidentschafts wahlen im Jahr 1946 und gewann. Mit dem Versprechen, die Tarifverhältnisse neu zu ordnen, zog Präsident Truman als erster Republikaner seit 1930 in das Weiße Haus ein. 20R Bereits im selben Jahr unternahm die neue konservative Regierung den Versuch, den Wagner Act zu ändern. 209 Ziel der Gesetzesänderungen sollte es unter anderem sein, die Bildung von industrieweiten Tarifeinheiten wegen der damit verbundenen Gefahr breiter Streikwellen zu erschweren. 2lO Bei dieser Reform stand nicht das Interesse der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite im Vordergrund. Entscheidend war letztlich das öffentliche Interesse an stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen. 211

das Bild des Tellerwäschers ein, der durch rein individuelle Anstrengungen zum Millionär wird und das System gerade nicht in Frage stellt. Hintergrund ist nach Bok, daß die Verwirklichung von Bürgerrechten in den Vereinigten Staaten anders als in Europa nicht von Klassenzugehörigkeit abhing. Mangels einer gemeinsamen "Unterdrückungshistorie" kam es zu keinem übergreifenden Gemeinschaftsgefühl. 204 Vgl. zu den Beziehungen z.B. der "Building Service Employee's International Union" zu den Gangstern der "AI Capone Gang" Ende der dreißiger Jahre Galenson, The CIO Challenge to the AFL, Cambridge 1960, S. 621: ,.Labor Unionism seemed to be a lucrative and relatively safe field of operation". 20S

Cox, Cases on Labor Law, I. Auflage, Brooklyn 1948, S. 120.

Cox, a.a.O., S. 120; Hardin, The Developing Labor Law, 3. Auflage, Washington 1992 Vol. I, S.37. 206

207 House Report Nr. 245 v. 11.4.1947, 80th Congress, 1st Session S. 295. Danach führten die Aktionen zu einem Ausfall von 38.000.000 Arbeitstagen der Gesamtarbeitszeit aller Beschäftigten in den Vereinigten Staaten. Die Stabilität der Wirtschaft war nach Ansicht der Vertreter der republikanischen Partei gefährdet. 20. Vgl. Reilly, The Legislative History of the Taft-Hartley Act, 29 George Washington Law Review 285 (289) (1969). 209

Hardin, Developing Labor Law, a.a.O., Vol. I, S. 33; Reilly, a.a.O., S. 289.

210 House Report Nr. 245 vom 11.4.1947, S. 299: "The bill is the first serious attempt to deal with one of our country's greatest and more pressing problems, industry-wide bargaining and industrywide strikes that paralyze our economy and that imperil the health and safety for our people." 211 House Report Nr. 245 vom 11.4.1947, 80th Congress 1st Session, Stellungnahme des "Committees of Labor and Education" überreicht von Senator Hartley, S. 295: "In approaching the problem of general labor legislation, the committee was impressed by the absolute necessity of steering a course which would recognize the rights of all interested parties in labor relations and

11. Zeitraum bis 1947

61

Im Gegensatz zur Tendenz des NLRB 212 wie in American Can 213 und General Electric214 umfassende, große Tarifeinheiten zu bilden, sollten lokal organisierte Gewerkschaften, die kleine Arbeitnehmergruppen vertraten, gefördert werden. 215 Dieser Politik entsprach gerade die Anerkennung von separaten Facharbeitervertretungen. 216 Nach Auffassung der Regierung hatte das NLRB die Interessen der Facharbeiter vernachlässigt. 217 Die Gewerkschaften lehnten die geplanten Gesetzesänderungen kategorisch ab. Sie wollten am ursprünglichen Text des Wagner Act festhalten und waren zu keiner Kompromißlösung bereit. 2lR Nach ihrer Ansicht waren große industrieweite Tarifeinheiten die erforderliche Reaktion auf die aufkommenden industrieweiten Zusammenschlüsse auf der Arbeitgeberseite. 219 Die Anerkennung von Facharbeitervertretungen gefahrdete dagegen nach Ansicht der Opposition die Stabilität des bestehenden Tarifsystems. 220

which would be scrupulously fair to each - the employer, the employees and the public. While the right of the public must, in this analysis, be treated as paramount, it was the belief of the committee, that, except in extraordinary circumstances, the right of the public will be adequately protected, if in turn adequate protection is afforded to employers and employees in the exercise of their legiti mate rights." 212 Senate Report Nr. lOS vom 17.4.1947, 80th Congress Ist Session, S. 51: " ... check the trend towards Nation-wide bargaining which threatens the public welfare by making possible the stoppage of an entire industry"; vgl. die ergänzende Stellungnahme ("supplemental view") einiger Senatsmitglieder Senate Report Nr. \05, 80 Congress Ist Session (1947), S. 51. W

American Can Comp. 13 NLRB 1252 ( 1939).

214

General Electric Comp. 58 NLRB 57 (1944).

215 V gl. die ergänzende Stellungnahme ("supplemental view") einiger Kommissionsmitglieder, Senate Report Nr. 105 vom 17.4.1947, 80th Congress 1st Session (1947), S. 51. 216 Vgl. zum Hintergrund Senate Report Nr. \05 vom 17.4.1947, 80th Congress, Ist Session, S. 11; House Report Nr. 245 vom 11.4.1947, 80th Congress 1st Session, S. 327. 217 House Report Nr. 245 vom 11.4.1947, 80th Congress Ist Session, S. 328: "'" it (the NLRB) has shown little regard for distinguishable minorities that did not wish a union to represent them, and has forced many such minorities into bargaining units against their will. The Board seems to have wished to make bargaining units as large as it could, notwithstanding that its policy deprived large minorities of that freedom to decline to bargain collectively ... ". 21R

Hardin, Vol. I, a.a.O., S. 46.

219

Minority View in Senate Report lOS, 80th Congress 1st Session S. 6.

Minority View in Senate Report 105, 80th Congress 1st Session S. 11: " ... the provision can only have an unsettling effect on many industries, ... , which include in a single enterprise numerous crafts. In such industries, raiding by rival unions would be encouraged and employers would be forced to deal with many craft unions rather than a single large industrial union. The provision, if enacted into law, would seriously disturb existing labor relations in large segments of our economy and would allow no room for the play of administrative discretion on this issue, one of the most troubled with which the National Labor Relations Board has had to deal." 2211

62

1. Kapitel: Historische Entwicklung

Der Taft-Hartley Ace21 änderte die gesetzlichen Kriterien zur Bestimmung der Tarifeinheit. 222 Die Anerkennung separater Facharbeitervertretungen durch das NLRB wurde gewährleistet. Deshalb untersagte section 9 (b) (2) NLRA dem NLRB, die Bildung von Facharbeitervertretungen allein unter Hinweis auf eine vorherige Entscheidung für eine umfassende Tarifeinheit abzulehnen. Diese Regelung war Reaktion auf die restriktive American Can-Doktrin des NLRB und sollte auch bei bestehender umfassender Vertretung Abspaltungen von separaten Tarifeinheiten ennöglichen. 223 Seetion 9 (b) NLRA regelte, daß eigenverantwortlich tätige Angestellte ("professional employees") nicht mit den übrigen Beschäftigten in einer Tarifeinheit zusammengefaßt werden sollten. 224 Dies galt nach seetion 9 (c) NLRA auch für das Kontroll- und Wachpersonal ("guards"). Bei der Festlegung der Tarifeinheit sollte die Mitgliedschaft der Arbeitnehmer in der sich zur Wahl stellenden Gewerkschaft nach seetion 9 (b) (5) NLRA keine entscheidende Rolle mehr darüber haben, ob eine separate oder eine übergreifende Tarifeinheit anzuerkennen sei. Alle diese Neuregelungen sollten die Abtrennung bestimmter Berufsgruppen in separaten Tarifeinheiten fördern. Eine breite industrieweite gewerkschaftliche Vertretung war 1947 in den Vereinigten Staaten politisch unerwünscht.

IH. Zusammenfassung

Die Grundlage des heutigen Tarifrechts in den Vereinigten Staaten sind die 1947 durch den Taft-Hartley Act geänderten Regelungen des Wagner Act. Die gegenläufige Intention des Wagner Act und des Taft-Hartley Act verdeutlicht: Das Tarifrecht in den Vereinigten Staaten ist kein geplantes, sondern ein gewachsenes Rechtssystem. Aus den Regelungen des Taft-Hartley Act ergibt sich, wieviel Macht und somit gesellschaftliches und wirtschaftliches Störpotential

221

61 Stal. 136 (1947); 29 U.S.c. §§ 141-97 (1958).

Die gewerkschafts feindliche Politik der Regierung Truman bestimmte die Änderungen. Section 7 gewährleistete den Arbeitnehmern die negative Koalitionsfreiheit gegenüber den Gewerkschaften. Neues Gesetzesziel war nach section I NLRA, wettbewerbschädigende Gewerkschaftspraktiken zu unterbinden. Dagegen hatte der Wagner Act ausschließlich die Förderung der Gewerkschaften zum Ziel gehabt. 222

m Senate Report Nr. 105 vom 17.4.1947, 80th Congress 1st Session, S. 25. Vgl. zum Hintergrund Gorman, a.a.O., S. 75 und Senate Report Nr. 105 vom 17.4.1947, 80th Congress I st Session, S. 11. 224

III. Zusammenfassung

63

den Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten von seiten des Staats zuerkannt wird. Anders als im bundesdeutschen Recht225 sind in den Vereinigten Staaten Berufsverbände entscheidend für die gewerkschaftliche Organisationsstruktur gewesen. Der Einfluß der Berufsvertretungen spiegelt sich in den Entscheidungen der Arbeitsverwaltung wider. Schon die Entscheidungen des United States Railroad Board aus dem Jahre 1921 knüpfen für die Bestimmung der Tarifeinheit an die Zugehörigkeit zu einer Facharbeitergruppe an. Im Wortlaut von section 9 (b) NLRA wird dieses Merkmal ausdrücklich als Bestimmungskriterium der Tarifeinheit anerkannt. Dieser Gesetzestext ist Ausdruck der erfolgreichen Interessenpolitik der Facharbeitervertretungen. Durch die rechtliche Anerkennung der Facharbeitergruppen entwickelten sich keine nach dem Industrieverbandsprinzip organisierten großen Gewerkschaftsverbände. Anders als im bundesdeutschen Recht kann in den Vereinigten Staaten die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe für den Anwendungsbereich eines Tarifvertrages entscheidend sein. Die Bestimmung der Tarifeinheit durch die Behörde des NLRB von außen scheint dem in section 7 NLRA garantierten Recht der Arbeitnehmer zu widersprechen. Die staatliche Kontrolle über die Organisation der Arbeitnehmer in

m In Deutschland waren zwar bis zum Ende des wilhelminischen Kaiserreichs Berufsverbände in der Gewerkschaftsbewegung dominierend gewesen. Jedoch deutete sich schon 1892 auf dem Gewerkschaftskongreß in Halberstadt die Richtung auf eine Zentralorganisation in übergreifenden Verbänden an, vgl. Schüren, Die Legitimation der tariflichen Norrnsetzung, München 1990, S. 110; vgl. auch Ritter, Die Arbeiterbewegung im Wilhelminischen Reich, Berlin 1959; Schiinhoven, Die Gewerkschaft als Massenbewegung, Borsdorf (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaften, Köln 1987, S. 185. Kennzeichnend für den überberuflichen Zusammenschluß mag folgende zeitgenössische Stelle von 1896 sein, Hirsch, Arbeiterberufsvereine, Berlin 1896, S. 8: "In der Berufsgemeinschaft liegt in der That der Kernpunkt der auf Verbesserung der Arbeitsverhältnisse gerichteten Arbeiterorganisation, wirtschaftlich, sozial und ethisch bildet der Beruf das feste Fundament, das stärkste Bindemittel für seine Angehörigen und damit die natürlichste und zweckmässigste Gliederung der wirthschaftlich-sozialen Arbeiterorganisation. Der richtige Gedanke, dass neben und über der Berufsgemeinschaft die Arbeitergemeinschaft, begründet auf der Solidarität der Arbeiterinteressen und zum Zweck der Emporhebung der gesammten Arbeiterklasse stehen muß, lässt sich ohne Zerstörung, vielmehr mit Kräftigung der Berufsvereine verwirklichen. Das Mittel hierzu haben wiederum die Begründer gerade der Deutschen Gewerkschaftsvereine klar erkannt und entschlossen angewendet: es ist die Föderation und Unterstützung, zu gemeinsamem Vorgehen für die gemeinsamen Ziele und Interessen." Bereits 1914 waren in Deutschland 60% der organisierten Arbeitnehmer Mitglieder in den Verbänden Metall, Holz, Bau, Transport, Fabrik und Textil, vgl. Ritter, a.a.O., S. 113. Die Berufsverbände verloren durch die zunehmende Industrialisierung an Bedeutung. Die auch bereits in allen Richtungsgewerkschaften vorhandene verbindende Solidargemeinschaft überwandt den "Kastendünkel" des eigenen Berufsstandes, vgl. Ritter, a.a.O., S. 151.

64

1. Kapitel: Historische Entwicklung

einzelnen Tarifeinheiten entspricht jedoch dem republikanischen Demokratieverständnis, das eine über Einzelinteressen hinausgehende am Allgemeinwohl 226 orientierte Vertretung verlangt. Danach sollen nicht einzelne Gruppeninteressen durchgesetzt werden, sondern es soll eine am Allgemeinwohl orientierte interessenunabhängige Abwägung stattfinden. Im Tarifrecht bestimmt demnach das NLRB als unabhängige Behörde den Umfang der Tarifeinheit und legt das aus Sicht des Allgemeinwohls - zumutbare Störpotential der Gewerkschaft fest.

zu; Damit ist auch die Interessenvertretung im Betrieb in den Vereinigten Staaten am Allgemeinwohl ausgerichtet. Vgl. zum Unterschied das bundesdeutsche Betriebsverfassungsrecht, in dessen 1972 neugefaßten Text die ehemals in § 49 Abs. 1 BetrVG 1952 existierende AllgemeinwoWbindung herausgenommen worden ist. Vgl. dazu: Dietz, Betriebsverfassungsgesetz, 3. Auflage, Berlin 1960, § 49 Rz. 4: "Ausdrücklich wird darüber hinaus betont, daß auch die Betriebsförderung nur unter Berücksichtigung des Gemeinwohls erfolgen darf. Damit kommt ein Grundsatz zum Ausdruck, der immer mehr alle berufliche Tätigkeit und vor allem jede wirtschaftliche Betätigung und ihre ethische Grundlage bestimmt."

"Chaos there may be, but this is nothing new. Unit determinations have been ad hoc since 1935." Laidlaw Waste Systems 934 F.2d 898 [7th Cir. 1991] Zweites Kapitel

Bestimmung der Tarifeinheit anhand des Kriteriums "Interessengemeinschaft" ("Community of Interest") in den Entscheidungen des NLRB nach Erlaß des Taft-Hartley Act im Jahre 1947 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt I. Einführung

Das NLRB prüft bei der Bestimmung der Tarifeinheit anhand bestimmter Kriterien, ob zwischen den Arbeitnehmern eine Interessengemeinschaft besteht. Gleichgelagerte Interessen sind Voraussetzung dafür, daß sich die Gewerkschaft für ein einheitliches Ziel einsetzen kann und nicht gleichzeitig über z.B. verschiedene Tariflöhne unterschiedlicher Arbeitnehmergruppen verhandeln muß. I Das NLRB ermittelt die Interessengemeinschaft anhand einer auf den Einzelfall bezogenen Untersuchung, wobei ihm ein sehr weites Ermessen zusteht? Verschiedene Interessen werden von der Entscheidung des NLRB berührt. Die Größe der Tarifeinheit ist entscheidend für den Wahlerfolg der Gewerkschaft. Die Organisation einer kleinen, überschaubaren Gruppe von Arbeitnehmern ist für die Gewerkschaft einfacher. Der Arbeitgeber, der im Regelfall keine kollektive Interessenwahrnehmung wünscht, wird dagegen eine große Einheit befürworten. Nachteil einer großen Tarifeinheit ist, daß viele verschiedene Arbeitnehmer mit unterschiedlichen Interessen zusammengefaßt werden. Folglich sind die

I

Abodeely, The NLRB and the Appropriate Bargaining Unit, Philadelphia 1981, S. 12.

NLRB v. V. Hearst Publications 322 U.S. 111 (1944) S. 134: ..... wide variations in the fonns of employee self-organization and the complexities of modem industrial organization make difficult the use of inflexible mies as the test of an appropriate unit. Congress was infonned of the need for flexibility in shaping the unit to the particular case and accordingly gave the Board wide discretion in the matter." 2

S Brors

66

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

Ziele der Vertretung schwerer zu bestimmen. Kleinere Einheiten ermöglichen eine "authentische"3 Vertretung, bedeuten aber für den Arbeitgeber mehr Aufwand, da er mit verschiedenen Interessengruppen verhandeln muß. Zudem können unkoordinierte Arbeitskampfhandlungen verschiedener Tarifeinheiten innerhalb eines Unternehmens die Stabilität des Tarifsystems gefährden. 4 Das NLRB beschrieb in Kalamazoo Paper die Ausbalancierung der Gesichtspunkte. Danach muß das NLRB zwei Zielen gerecht werden. Das eine ist die Verwirklichung des in section 7 NLRA garantierten Rechts der Arbeitnehmer. Das andere Ziel ist die Beilegung von Arbeitskämpfen zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität. Der Begriff "Interessengemeinschaft" als entscheidendes Kriterium der Bestimmung der Tarifeinheit muß ebenso diesen zwei Zielvorgaben entsprechen. Die Tarifeinheit soll Ausdruck eines freien und selbstbestimmten Zusammenschlusses der Arbeitnehmer sein und zugleich als Mittel dienen, industrielle Stabilität zu sichern. Sind die Zwecke der Tarifeinheit zweifach, so muß auch das Bestimmungskriterium zwei Anforderungen genügen. Die Hauptproblematik der Entscheidungen des NLRB liegt darin, diese zwei Zielvorgaben miteinander zu vereinbaren.

1. Korrelation zwischen den Kriterien der "Interessengemeinschaft"

und den einlassungspflichtigen Inhalten des Tarifvertrags ("Mandatory Subjects")

Die Aufgabe des NLRB liegt nach section 9 (b) NLRA darin, den Arbeitnehmern ihr Recht auf Selbstorganisation zu den Zwecken kollektiver Interessenver-

J .. Authentisch" ist eine Vertretung, die die Vertretenen ihrer tatsächlichen Gewichtung entsprechend repräsentiert.

• Vgl. dazu insgesamt Gorman, Labor Law, SI. Paul 1976, S. 67. 5 136 NLRB 134 (1962) S. 137: .. ln perfonning this function, the Board must maintain the twofold objective of insuring to employees their self-organization and freedom of choice in collective bargaining and of fostering industrial peace and stability through collective bargaining. In determining the appropriate unit the Board delineates the grouping of employees within which freedom of choice may be given collective expression. At the same time it creates the context within which the process of collective bargaining must function. Because of the scope of the unit is basic to and permeates the whole of the collective-bargaining relationship, each unit determination, in order to further effective expression of the statutory purposes, must have a direct relevancy to the circumstances in which collective bargaining has to take place."

I. Einführung

67

tretung zu gewährleisten. 6 Das gemeinsame Interesse der Arbeitnehmer muß sich danach auf die Verwirklichung von Zielen richten, die Gegenstände des Tarifvertrags sein können. Der mögliche Inhalt des Tarifvertrags ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Jedoch besteht für bestimmte Inhalte eine Verhandlungs pflicht des Unternehmers. Nach section 8 (a) (5) NLRA ist die Weigerung des Unternehmers, über die in section 9 (a) NLRA erwähnten Inhalte zu verhandeln, eine unzulässige Verhaltensweise ("unfair labor practice"). Für die Gegenstände Lohn, Arbeitszeit und allgemeine Arbeitsbedingungen ("rates of pay, wages, hours of employment, or other conditions of employment"1) besteht somit eine Einlassungspflicht des Arbeitgebers. Zudem schreibt section 8 (d) NLRA kollektive Verhandlungen über diese Inhalte vor. 8 Welche genauen Gegenstände von der Einlassungspflicht umfaßt werden, hatte der Supreme Court erstmals im Jahre 1958 zu entscheiden.9 Ausgehend von dieser Grundsatzentscheidung wird der mögliche Inhalt eines Tarifvertrags in drei verschiedene Kategorien aufgeteilt: Einlassungspflichtige Inhalte ("mandatory subjects"), freiwillig aufnehmbare Inhalte ("non-mandatory subjects") und unzulässige Inhalte ("illegal subjects").10 Die einlassungspflichtigen Inhalte betreffen die in section 9 (a) NLRA genannten Regelungen über Entlohnung, Arbeitszeit und allgemeine Arbeitsbedingungen. Die Bestimmung, welche konkreten Sachverhalte unter die Begriffe fallen, nimmt das NLRB vor. lI "Lohn" bezeichnet nicht nur das eigentliche Arbeitsentgelt 12 , sondern auch andere in Verbindung mit der erbrachten Ar-

• 29 U.S.C. chapter 7 § 159 section 9 (b): ..... the unit appropriate for the purposes of collective bargaining shall be the ernployer unit, craft unit, plant unit, or subdivision thereof." 7

29 U.S.C. chapter 7 § 159 section 9 (a).

• 29 U.S.C. chapter 7 § 158 seetion 8 (d): ..... with respect to wages, hours, and other terms and conditions of ernployrnent." 9

NLRB v. Wooster Div. of Borg Warner 356 U.S. 342 (349) (1958).

Gorman. a.a.O., S. 498; Hardin, The Developing Labor Law 3. Auflage Washington 1992 Vol. I, S. 863. HI

11

441 U.S. 488 (496) .

•2

Steward Granit Enterprises 255 NLRB 569 (1981).

68

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

beitsleistung erhaltene Kompensationen. 13 Jedoch muß zwischen der Arbeitsleistung und der Zahlung des Unternehmers ein Zusammenhang bestehen. 14 Die Einführung von Kurzarbeit als Veränderung der Normalarbeitszeit ist einlassungspflichtiger Verhandlungs gegenstand. Eine einseitige Anordnung von Kurzarbeit ist daher eine unzulässige Verhaltensweise nach section 8 (a) 5 NLRA. 15 Allgemeine Arbeitsbedingungen im Sinne von section 9 (a) NLRA betreffen Fragen, die sich aus der Art der Tätigkeit und den Umständen des Arbeitsverhältnisses ergeben. So sind pflichtige Inhalte Regelungen für den Krankheitsfall l6 oder Fragen der allgemeinen Betriebsordnung 17 • Die freiwillig verhandelbaren Gegenstände beziehen sich nicht auf das Arbeitsverhältnis, sondern betreffen Regelungen zwischen den Tarifvertragsparteien oder dritten Personen. IR Für die Festlegung der Tarifeinheit kommt ihnen - wie den unzulässigen Inhalten - keine Bedeutung zu. Das NLRB hat betont, daß bei der Bildung der Tarifeinheit Zweck und Gegenstand des späteren Tarifvertrags eine entscheidende Rolle spielen. 19 Des-

1J

Hardin, a.a.O., S. 865; Gorman, a.a.O., S. 498.

So fallt ein vom Arbeitgeber bewilligtes Weihnachtsgeld nur dann unter diesen Begriff, wenn es regelmäßig gezahlt wird und kein einmaliges "Geschenk" ist, da es sonst mit der Arbeitsleistung nicht direkt in Zusammenhang steht (NLRB v. Wonder State Manufactoring Comp. 344 F.2d 210 (216) (1965); Radiocar Corp. 214 NLRB 362 (363) (1974); Atlantik International Corp. 246 NLRB 291 (1979); explizit zum Problem der Verte:lung des Weihnachtsschinkens: Lima Register Comp. 260 NLRB 1295 (1982). Auch Fragen der Altersversorgung (B.N. Beard Comp. 248 NLRB 198 (199) (1980); The Wood Schools 270 NLRB 171 (177) (1984) und andere vom Arbeitgeber erbrachte Sozialversicherungsleistungen (Pepsi Cola Botteling Comp. 200 NLRB 922 (927) (1972) wie z.B. Krankenversicherung: Wellman Industry 248 NLRB 325 (334) (1980); Schuck Component Systems 230 NLRB 838 (846) (1977)) oder Bonuszahlungen (Swedish Hospital 238 NLRB 1087 (1978) Bonus für Nichtstreiken; Western Foundries 233 NLRB 1033 (1037) (1977) .. Profitsharing" fallen unter den Begriff (vgl. Überblick bei Gorman, a.a.O., S. 498 und bei Hardin, Vol. I a.a.O., S. 871). 14

15

Florida Steel Comp. 325 NLRB 941 (1978); Good Hope Industries 230 NLRB 1132 (1977).

10

Southern Californian Edison Comp. 284 NLRB 1205 (1987).

17 NLRB v. Southern Transport Inc. 343 F.2d 558 (1965); RockweIl Int. Group 260 NLRB 1346 (1347) (1982); The Wood Schools 270 NLRB 171 (176) (1984). IM

Gorman, a.a.O .• S. 523.

'" New York University 205 NLRB 4 (1973) S. 6: ..... we must always be mindful that a unit determination should be appropriate for bargaining purposes."

I. Einführung

69

halb greift es in seinen Entscheidungen zur Bestimmung der "Interessengemeinschaft" die einlassungspflichtigen Inhalte aur,2°

2. Überblick über die Kriterien zur Bestimmung der "Interessengemeinschaft"

Die im Gesetz21 vorgegebenen möglichen Einteilungen der Tarifeinheit nach dem einzelnen Unternehmer ("employer"), dem Betrieb ("plant") oder der Facharbeitergruppe ("craft") sind ein zu grobes Raster, um Interessengemeinschaften im Einzelfall festzustellen. Ob ein gemeinsames Interesse neben Entgelt, Arbeitszeit und allgemeinen Arbeitsbedingungen besteht, prüft das NLRB anhand weiterer Kriterien. 22 Entscheidend kann sein: - gemeinsame Aufsicht über die verrichtete Arbeit ("supervision"), - gemeinsame fachliche Qualifikation, Aus- oder Weiterbildung ("skill", "training"), - Ähnlichkeit in der Funktion der verrichteten Tätigkeit (,job functions"), - der Kontakt zwischen den Arbeitnehmern ("contact of employees"), - die Verzahnung der verschiedenen Produktionsprozesse, mit denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind ("functional integration"), - der Austausch von Arbeitnehmern zwischen den einzelnen Produktionsstätten ("interchange"), - die örtliche Nähebeziehung zwischen verschiedenen Produktionsstätten ("proximity"), - der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Arbeitnehmer ("extent of organization"), - der Wunsch der Arbeitnehmer innerhalb einer bestimmten Gruppe vertreten zu werden ("desires of employees"),

20 Washington Palm Ine. 314 NLRB 1122 (1994), S. 1127: "Foremost is the principle that mutuality of interest in wages, hours, and working eonditions is the prime determinant of whether a given group of employees eonstitutes an appropriate unit." 2\

29 U.S.C. ehapter 7 § 159 seetion 9 (b).

Washington Palm Ine. 314 NLRB 1122 (1994), S. 1127: " ... in deeiding whether the requisite mutuality exists, the Board looks at sueh faetors as the duties, skills, and working eonditions of the employees involved, and espeeially to any existing bargaining history." 22

70

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

- die organisatorische Struktur der unternehmerischen Einheit ("single or multi-plant or store", "department")?3 Die Faktoren stehen in keinem Rangverhältnis. Das NLRB prüft nur den Einzelfall, in dem nicht alle aufgelisteten Faktoren zur Anwendung gebracht werden müssen. Bei der Bestimmung der Tarifeinheit versucht das NLRB nicht die ideale Wahleinheit zu ermitteln. Es beschränkt seine Prüfung darauf, ob die von der Gewerkschaft vorgeschlagene Tarifeinheit im speziellen Einzelfall unter Berücksichtigung seiner Zielvorgaben möglich ist. 24 Die Anerkennung einer von der Gewerkschaft bevorzugten Tarifeinheit bedeutet demnach nicht, daß z.B. die vom Unternehmer befürwortete Tarifeinheit ungeeignet wäre. 25 Es ist nicht die Aufgabe des NLRB, durch die Bestimmung der Tarifeinheit Entwürfe für die "ideale" kollektive Interessenwahrnehmung zu fertigen. 26 Dieser Ansatzpunkt bedeutet aber zugleich, daß die Politik des NLRB aufgrund ihrer generellen Akzeptanz bereits "funktionsfähiger" Vertretungen nicht innovativ, sondern konservativ ist.

Gang der Darstellung

Ausgehend von den in section 9 (b) NLRA27 angesprochenen "Grundeinteilungen" "Unternehmer", "Betrieb" und "Facharbeitergruppe", werden die Kriterien zur Bestimmung der Interessengemeinschaft erläutert. Zunächst wird untersucht, wie vom NLRB Arbeitnehmer eines einzelnen Betriebs in Tarifeinheiten zusammengefaßt werden. Dabei wird die Bedeutung des jeweils einzelnen Kriteri-

23 Kaminski, Overview of the Law, and the Basic Manufacturing Unit, in: Nash I Blake, Appropriate Units for Collective Bargaining, New York 1979, S. 3; Abodeely, a.a.O., S. 13; Gorman, a.a.O., S. 69; Hardin, a.a.O., S. 449. 24 Morand Brothers Beverage Co, 91 NLRB 409 (1950), S. 418: "There is nothing in the act which requires that the unit for bargaining be the only appropriate unit, or the ultimate unit, or the most appropriate unit. It must be appropriate to ensure the employees in each case the fullest freedom in exercising the rights guaranteed by this Act." 2S Washington Palm Inc. 314 NLRB 1122 (1994), S. 1129: "Of course, this finding does not mean that other, larger, units of... employees, including the unit advocated by the employer, might also constitute an approproiate uni!. ... That is, however, adetermination that I am not required to reach in this proceeding." 26 Rosenfarb, The National Labor Policy and How it Works, New York 1940, S. 366: " ... it can hardly be said that the Board 's function of detennining unit is equivalent to drawing a blueprint of the ideal form of labor organization." 27

29 U.S.C. chapter 7 § 159 section 9 (b).

11. Beschäftigte einer örtlich einheitlichen Produktions stätte

71

ums im Wechselspiel zu den übrigen erläutert. Danach wird auf die Besonderheiten der Festlegung von Tarifeinheiten in Unternehmen mit mehrbetrieblichen Strukturen eingegangen. In einem eigenen Abschnitt wird die Bedeutung der Facharbeitervertretungen in den Entscheidungen des NLRB erörtert. Neben diesen traditionell separaten Vertretungen hat das NLRB auch anderen Berufsgruppen eigene Tarifeinheiten zuerkannt. Diesen Entscheidungen werden solche gegenübergestellt, in denen sich das NLRB mit der Frage einer gesonderten Interessenvertretung von Teilzeitbeschäftigten auseinandergesetzt hat. Das Kapitel schließt ab mit einer Untersuchung der Bestimmung von Tarifeinheiten im privaten Gesundheitswesen ("health industry"), da das NLRB in diesem Bereich vom Kriterium der "Interessengemeinschaft" abgerückt ist.

11. Bestimmung der Interessengemeinschaft zwischen Beschäftigten einer örtlich einheitlichen Produktionsstätte ("Plant") 1. Interessengemeinschaft aufgrund gemeinsamer Lohngruppe, Arbeitszeit oder allgemeiner Arbeitsbedingungen

Gemeinsamkeiten bezüglich Lohn, Arbeitszeit oder allgemeinen Arbeitsbedingungen als den traditionellen Inhalten des Tarifvertrags sind geeignete Kriterien, um Arbeitnehmerinteressen zum Zwecke von Tarifverhandlungen zu bündeln. Das Verhältnis dieser zu den übrigen Kriterien haben das NLRB und die Gerichte unterschiedlich bewertet. Dabei stellte sich die grundsätzliche Frage, ob das NLRB bei seinen Entscheidungen an eine bestimmte Wertigkeitsfolge der Kriterien gebunden ist. Von Beginn an waren für das NLRB Gemeinsamkeiten in Lohn, Arbeitszeit oder allgemeinen Arbeitsbedingungen entscheidend für die Annahme einer Interessengemeinschaft. 28 In Continental Baking bezeichnete das NLRB im Jahre 1952 diese Gemeinsamkeiten als vorrangig bei der Bestimmung der Tarifein-

211 NLRB, Third Annual Report (1938). S. 174: "The chief object of the board •...• is to join in a single unit only employees, and all such employees, as have a mutual interest in the objects of collective bargaining." Vgl. auch dort S. 178: "The manner in which wages are paid may serve to identify a c\ass of employees uniformely affected by wages, hours and working conditions, and hence interested in bargaining as a unit."

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

72

heit. 29 Die Festlegung auf eine bestimmte Rangfolge schien im Widerspruch zu der üblichen Entscheidungsfindung zu stehen, die Kriterien nur bezüglich des jeweiligen Einzelfalls zu gewichten. Die Rechtsprechung kritisierte die Methode des NLRB. In NLRB v. Smythe30 wurden Gemeinsamkeiten bezüglich Lohn, Arbeitszeit oder allgemeinen Arbeitsbedingungen als ein Faktor unter vielen bezeichnet. In den folgenden Entscheidungen bewertete das NLRB das Verhältnis der Faktoren zueinander nicht ausdrücklich. 31 Der Supreme Court entschied im Jahre 1971, daß Gemeinsamkeiten bezüglich Lohn, Arbeitszeit oder allgemeinen Arbeitsbedingungen entscheidendes Gewicht haben könnten. 32 Diese Entscheidung führte zu keiner Einheitlichkeit in der Rechtsprechung. Zum einen befürworteten die Gerichte eine vom Einzelfall unabhängige Rangfolge der Kriterien. 33 In Purnell's Pride 34 lehnte das Gericht dagegen eine statische Rangfolge ausdrücklich ab. Allein die spezifischen Umstände des Einzelfalls sollten über die Gewichtung der Faktoren entscheiden. 35

29 ContinentaJ Baking Co. 99 NLRB 777 (1952): ,,First and foremost the principle that mutuality of interests in wages, hours and working conditions is the prime determinant of whether a given group of employees constitutes an appropriate unit."

311

212 F.2d 664 (667).

Vgl. Century Electric, 146 NLRB 232 (1964) eine Interessengemeinschaft zwischen Arbeitnehmern verschiedener Lohngruppen wurde zwar abgelehnt, diese Arbeitnehmer standen aber auch unter einer getrennten Beaufsichtigung (..supervision"), so daß nicht die Lohnhöhe allein ausschlaggebend war; Vgl. auch Woolworth Co. 144 NLRB 307 (1963), dort bejahte das NLRB eine übergreifende Vertretung, weil alle Arbeitnehmer gleiche Arbeitsverträge und gleichen Lohn hatten - welches Kriterium ausschlaggebend war, erläuterte das NLRB nicht. 31

32 Allied Chem. & Alcali Workers Locall v. Pittsburgh Glass Co. 404 V.S. 157 (1971),172: ..... the Board regards as its primary concern to group together only employees who have substantual mutual interests in wages, hours and other conditions of employment." 33

Pacific S.W. Airlines v. NLRB 587 F.2d 1032 (1042) (1978) (9th Circuit).

34

NLRB v. Purnell's Pride 609 F.2d 1153 (1980) (5th Circuit).

NLRB v. Purnell's Pride 609 F.2d 1153 (1980) (5th Circuit), S. 1156: ..These factors have no independent significance. They serve merely to provide a factual basis from which the Board may infer the necessary community of interest. ... To put it another way, a finding of community of interest, such that the proposed unit is appropriate, is equivalent to a finding that the aggregate of the evidence under all relevant factors preponderates in favor of the proponent. This determination demands that the Board do more than simply tally the factors on either side of the proposition. The crucial consideration is the weight or significance, not the number, of factors relevant to a particular case." 35

II. Beschäftigte einer örtlich einheitlichen Produktions stätte

73

In neueren Gerichtsentscheidungen werden Lohn36 , Arbeitszeit und allgemeine Arbeitsbedingungen besonders gewürdigt ("primary concern", "touchstone of bargaining unit determination", "cornerstone").37 Auch in diesen Entscheidungen sind diese Kriterien aber nicht allein ausschlaggebend. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß das NLRB keine feste Rangfolge der verschiedenen Kriterien aufstellt. Die Lohngleichheit innnerhalb einer kleinen Arbeitnehmergruppe kann von anderen Faktoren überlagert werden, die für die Bildung einer größeren Tarifeinheit sprechen.

2. Produktionstechnische Verbindung der Arbeitsprozesse ("Functional Integration")

Die unumgängliche produktionstechnische Abstimmung verschiedener Tätigkeiten aufeinander kann 38 für die Zusammenfassung aller an einem Produktionsprozeß beteiligten Arbeitnehmer in einer Tarifeinheit sprechen und somit Gemeinsamkeiten einer kleineren Gruppe überlagern. 39 Eine solche Verzahnung ist anzunehmen, wenn alle Betroffenen an einem ineinandergreifenden Herstellungs- oder Verteilungsprozeß beteiligt sind.4() Bei einem in dieser Weise einheitlichen Arbeitsprozeß stehen die Beschäftigten zumeist unter

36 Wie im Fall der "mandatory subjects" fallen unter Entgelt auch einheitlich vergebene Sozialleistungen, die für die Zusammenfassung dieser Arbeitnehmergruppe sprechen können. Vgl. Howard M. Howes 290 NLRB 967 (1988); Charrette Drafting Supplies 275 NLRB 1290 (1985); Cheney Bigelow Wire Works 197 NLRB 1279 (1972); ACL Corp. 273 NLRB 87 (1984). 37 Washington Palm 314 NLRB 1122 (1127) (1994); Mercy Health Center 311 NLRB 367 (1993); Maramont Corp. 310 NLRB 508 (510 I 511) (1993); Vincent M. Ippolito 313 NLRB 715 (717) (1993); Long Island College 310 NLRB 693 (697) (1992); UFP Corporation 309 NLRB 832 (836) (1992); NLRB v. Catherine Mc Auley Health Center, 885 F. 2d 341 (344) (1989).

3. In den Entscheidungen des NLRB kommt dem Faktor "functional integration" aber keineswegs immer eine auschlaggebende Bedeutung zu. Oftmals hat das NLRB trotz einheitlichen Produktionsprozesses eine separate Vertretung von Facharbeitern zugelassen. Vgl. Meyer Label Co. 232 NLRB 933 (1978). Dort waren verschiedene Abteilungen des Druckbetriebs zwar durch den Produktionsprozeß verknüpft. Das NLRB erkannte jedoch der Facharbeitergruppe der Lithographen aufgrund einer eigenen Interessengemeinschaft eine gesonderte Vertretung zu. Vgl. ebenso Bums & Roe Services Corporation 313 NLRB 239 (1994). 30 Borden Co. Hutchinson Ice Cream Div. 89 NLRB 227 (1950); Potter Aeronautical Corp. 155 NLRB 1077 (1965) .

• 0 Vgl. z.B. NLRB v. PurneIl's Pride F.2d 1153 (1980), S. 1157: "Where the processes of production or of production and distribution, are integrated in a continuous flow system, it is Iikely that employees from different departements will have to work together c10sley together to coordinate th.:ir tasks."

74

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

gemeinsamer Beaufsichtigung ("supervision"), was nach dem NLRB ebenfalls für eine Interessengemeinsamkeit spricht. 41 Der Sinn des Kriteriums liegt in der Angleichung der Grenzen der Tarifeinheit mit denen des Wirkungskreises des späteren Tarifvertrags. Zum einen kann die Struktur des Arbeitsprozesses so gelagert sein, daß keine abweichenden Regelungen für einzelne Arbeitnehmergruppen getroffen werden können. 42 Die Arbeitsprozesse können so miteinander verzahnt sein, daß eine Tarifregelung einer einzelnen Arbeitnehmergruppe notwendigerweise die der übrigen präjudiziert. 43 So überträgt sich z.B. die Änderung der Arbeitszeit über die Verbindung des Produktionsprozesses zwangsläufig auf andere Gruppen. Umfang der Tarifeinheit und Wirkungskreis des Tarifvertrags fallen ausemander. 44 Zum anderen soll verhindert werden, daß infolge von Störungen des Produktionsablaufs durch Arbeitskampfmaßnahmen einer einzelnen Tarifeinheit die übrigen Arbeitnehmer nicht beschäftigt werden können. 45 Hat eine kleine

" Vgl. Borden Co. Hutchington Ice Cream Div., a.a.O., S. 229: ..... this centralization of control together with the mutual interests of all employees developed as a result of their participation in the production, distribution and sales of identical products." In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Arbeitnehmer Eiscremeprodukte nach einheitlicher MarketingStrategie zu verteilen und herzustellen. 42 Vgl. zur Problematik im bundesdeutschen Recht das Kompetenzverhältnis des Einzel- zum Gesamtbetriebsrats. Natürlich steht den Betriebsräten kein Arbeitskampfrecht zu. Eine Gemeinsamkeit ergibt sich aber unter einem anderen Gesichtspunkt. Betrifft die mitbestimmungspflichtige Maßnahme mehrere produktionstechnisch verbundene Betriebe des Unternehmen, ist keine Regelung nur für die Einzelbetriebe möglich. Das Mitbestimmungsrecht steht nur dem Gesamtbetriebsrats gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG zu, GK-Kreutz, BetrVG, 5. Auflage Neuwied 1994, § 50 Rz. 33; Liiwisch Anmerkung zu BAG v. 29.3.1977, EzA § 87 Leistungslohn Nr. 2.

•, Abodeely, a.a.O., S. 18. 44

Vgl. Abodeely, a.a.O., S. 18.

Potter Aeronautical Corp. 155 NLRB 1077 (1078) (1965). In dieser Entscheidung mußte das NLRB untersuchen, ob der Wechsel des späteren Endprodukts zwischen verschiedenen Arbeitsbereichen und Arbeitnehmergruppen zu einer arbeitstechnischen Verzahnung führte. Das NLRB stellte in der Entscheidung darauf ab, daß sich ein möglicher Streik einer kleinen Arbeitnehmergruppe notwendigerweise auf die Arbeit der übrigen Arbeitnehmergruppen ausgewirkt hätte. Damit habe es die jeweils einzelne Arbeitnehmergruppe in der Hand gehabt, den gesamten Produktionsprozeß zu blockieren. In dieser Situation hielt das NLRB nur eine übergreifende Tarifeinheit für angemessen. Vgl. auch Angelus Block Inc. 250 NLRB 686 (1980). Dort war ein Betrieb nur errichtet worden, um das Hauptwerk mit Stoffen zu beliefern. In Pickering & Co. 248 NLRB 772 (1980) wechselte das Produkt durch verschiedene Herstellungsgruppen bis eine Endabnahme erfolgen konnte. Lag keine Schlüsselstellung bei Arbeitskampfmaßnahmen vor, ließ das NLRB auch separate Tarifeinheiten zu vgl. Black & Decker 147 NLRB 825 (1964) S. 828: ..... production 45

11. Beschäftigte einer örtlich einheitlichen Produktionsstätte

75

Gruppe aufgrund einer Schlüsselposition die Möglichkeit, in Arbeitskampfsituationen gezielt Druck auf den Unternehmer auszuüben, so kann dies zwar für eine besonders effektive Interessenwahrnehmung sprechen. Muß sich dagegen die - zumeist kleinere - Gruppe erst innerhalb der Gesamtbelegschaft durchsetzen, nimmt die Gefahr von Arbeitskämpfen ab. Dies entspricht der zweiten Zielvorgabe des NLRB: Der Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität durch Vermeidung von Arbeitskämpfen.

3. Bedeutung bestehender Tarifeinheiten ("History of Collective Bargaining")

Die Entscheidung des NLRB soll kein bestehendes System funktionierender Interessenvertretung zerstören. 46 Es ist nicht die Aufgabe des NLRB, die "ideale" Form der Interessenvertretung zu ermitteln. Wenn sich eine bestimmte Vertretung in der Vergangenheit als funktionsfahig unter Berücksichtigung der Ziele des NLRB erwiesen hat, wird diese Tarifeinheit anerkannt. Die Untersuchung, ob und in welcher Weise Interessenvertretung stattgefunden hat, ist deshalb in den Entscheidungen des NLRB von großer Bedeutung. 47 Eine solche Prüfung entspricht dem Zweck, funktionsfähige Verhältnisse in der betreffenden Industrie zu stabilisieren. 48 Die bereits existierende Tarifeinheit wird nur dann vom NLRB anerkannt, wenn sie den grundsätzlichen Anforderungen des NLRB entspricht. 49 Eine se-

integration is becoming a less significant factor in determining an appropriate unit because modem manufactoring techniques combined with the increased speed and ease of transport make it possible for plants located in different states to have a high degree of product integration and still maintain aseparate identity for bargaining purposes."; vgl. auch S. D. Warren 144 NLRB 204 (1963). Diese Entscheidungslinien sind von der Rechtsprechung bestätigt worden vgl. NLRB v. Harry T. Campbell Sons'Corp., 407 F.2d 969 (4th Circuit), S. 979: "Because of the integrated and independent nature of ... a labor dispute at calcid would undoubtely severely disrupt the operations of the remaining facilities, causing economic hardship to the employees not involved in the dispute but dependent upon the uninterrupted functiony of the .. , options." 46 Copley Cement and Independent Workers 288 NLRB 66 (1988) S. 67: " ... it is clear that our unit finding will not disrupt any established bargaining relationship. " 47

Hardin, a.a.O., S. 455.

40

Abodeely, a.a.O., S. 56.

49 Manufactoring Woodworkers 194 NLRB 1122 (1972); Land Title Guarantee and Trust Co. 194 NLRB 148 (1971); Macy's San Francisco 120 NLRB 69 (1958); Mid-West Abrasive Comp. 145 NLRB 1665 (1964) In dieser Entscheidung hatte der Arbeitgeber unter Beteiligung der Gewerkschaft ein Gremium geschaffen, in dem die Arbeitnehmerseite unverbindliche Anregungen geben

76

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

parate Vertretung aller Frauen oder Männer der Belegschaft erkannte das NLRB nicht als eigene Tarifeinheit an, da das Geschlecht kein Kriterium zur Festsetzung von Tarifeinheiten ist. 50 Das NLRB untersucht, ob der Umfang der bestehenden Tarifeinheit es zuläßt, daß die Belange aller Arbeitnehmer interessengerecht wahrgenommen werden können. Wenn Beschäftigte aus zu unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen zusammengefaßt worden sind, spricht sich das NLRB gegen diese Form der Vertretung aus. 51 Die Vertretung muß eine gewisse Dauer bestanden haben, damit das NLRB ihre Funktionsrahigkeit beurteilen kann. 52 Unerheblich ist eine kollektive Interessenwahrnehmung, die auf einer freiwilligen Übereinkunft der Tarifvertragsparteien beruht. 53 Eine solche Vereinbarung kann nach Ansicht des NLRB gegenüber denjenigen Arbeitnehmern keine Wirksamkeit haben, die an ihr nicht durch eine Gewerkschaft beteiligt gewesen sind. 54 Das NLRB legt seiner Prüfung die konkrete Tarifbeziehung zugrunde. 55 Auf die in der jeweiligen Industrie übliche Festlegung der Tarifeinheit kann es nur ankommen, wenn in dem zu betrachtenden Einzelfall keine kollektive Interessenvertretung stattgefunden hat. 56 Auch der Abschluß des Tarifvertrags selbst

konnte. Vgl. auch Northland Hub. Inc. 304 NLRB 665 (667) (1991). In der Entscheidung bestand zwar zunächst eine separate Vertretung der Arbeitnehmer in verschiedenen Geschäften. Durch Umstrukturierung des Unternehmens wechselten die Arbeitnehmer von Geschäft zu Geschäft und standen unter einer einheitlichen Kontrolle des Arbeitgebers, so daß die "bargaining history", die für eine separate Vertretung hätte angeführt werden können, tatsächlich überholt war. 50

Land Tide Garantee and Trust Co. 194 NLRB 148 (149) (1971).

Maramount Corp. 310 NLRB 508 (1993), 509: " ... absence of such industry-specific contractual terms strongly suggests to us that, if bargaining on the basis of the existing ... unit has advanced the statutory interest in stable labor relations, it has done so at the expense of the employee interests. " 51

52 Coplay Cement Co. and Independent Workers 288 NLRB 66 (1988) S. 68 "sketchy bargaining history"; Duke Power Comp. 191 NLRB 308 (1971); Western Electric 98 NLRB 1018 (1952) Gewerkschaft hatte die betroffene Arbeitnehmergruppe nicht durchgehend vertreten. 53 AL. Meckling Bargelines 192 NLRB ll18 (1971); Mid-West Abrasive Comp. 145 NLRB 1665 (1964).

5'

Abodeely, a.a.O., S. 58.

55

Abodeely, a.a.O., S. 58.

Dundee's Seafood 221 NLRB 1183 (1975) In dieser Entscheidung stellte das NLRB mangels Anhaltspunkten im konkreten Fall auf die übliche kollektive Vertretung der Beschäftigten in Restaurants in New York City ab. 56

11. Beschäftigte einer örtlich einheitlichen Produktions stätte

77

kann eine vorher nicht vorhandene Interesssengemeinschaft zwischen den Arbeitnehmern begründen. 57

4. Gewerkschaftlicher Organisationsgrad der Arbeitnehmer ("Extent of Organization'')

Vor den Änderungen des Taft-Hartley Act im Jahre 1947 hatte das NLRB den Organisationsgrad der Arbeitnehmer der vorgeschlagenen Tarifeinheit regelmäßig untersucht. 58 In der Tarifeinheit sollten sich Arbeitnehmer befinden, die von der Gewerkschaft erreicht worden waren. Damit sollte zumindest die Möglichkeit eines Wahlsiegs der Gewerkschaft geschaffen werden. 59 In Garden Statefi.l wies das NLRB darauf hin, daß Arbeitnehmer einer bereits organisierten Gruppe ein berechtigtes Interesse an einer schnellen Wahl hätten. Wenn die Gewerkschaft versuche, weitere Gruppen neu zu organisieren, gehe die Zeitverzögerung auf Kosten der bereits organisierten Gruppe. 61 Section 9 (c) (5) NLRB regelte nach Erlaß des Taft-Hartley Act, daß das NLRB bei der Bestimmung der Tarifeinheit dem Organisationsgrad keine ent-

57 Abodeely, a.a.O., S. 56; Gorman, a.a.O., S. 71; United States Can Comp. 305 NLRB 1127 (1992), bei der Frage, ob vier in einen bereits bestehenden Unternehmenverbund eingegliederte Betriebe eine eigene Vertretung behalten sollten, stellte das NLRB darauf ab, daß durch die in der Vergangenheit abgeschlossenen Kollektivverträge für die Arbeitnehmer dieser vier Betriebe ein eigenes Versorgungssystem bestand, das auch nach dem Zusammenschluß beibehalten wurde. Nach der Ansicht des NLRB war eine eigene "community of interest" zwischen den Arbeitnehmern der vier Werke aufgrund dieser Verträge gegeben, so daß auch eine separate Vertretung angemesssen erschien.

5K Vgl. Garden State Hosiery 74 NLRB 318 (1947); Hudson Hosiery Comp. 74 NLRB 250 (1947). 5·74 NLRB 250 (1947). tlO Garden State Hosiery 74 NLRB 318 (1947). Die Gewerkschaft hatte in dieser Entscheidung versucht, Arbeitnehmer zweier verschiedener Fabriken zu organisieren. Eine Gruppe hatte kein Interesse an einer gewerkschaftlichen Vertretung gezeigt. Das NLRB wies darauf hin, daß Kriterien wie räumliche Entfernung der Fabriken oder unterschiedliche Beaufsichtigung der Arbeitnehmer bereits für eine separate Vertretung sprachen. Den Faktor "extent of organization" wertete es (a.a.O., S. 252) wie folgt: ,.Extension of organization can be most important, but it can never be controlling in the full sense of its term."

.. Garden State Hosiery Comp. 74 NLRB 318 (321) (1947).

78

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

scheidende Bedeutung62 mehr beimessen dürfe. 63 Gemäß dieser Regelung ist der Faktor "Organisationsgrad" nicht mehr ausschlaggebend. 64

5. Wahlentscheidung der Arbeitnehmer ("Desires of the Employees")

Der Wunsch der Arbeitnehmer nach einer bestimmten Organisationsforrn ist bei der Bestimmung der Tarifeinheit nur dann maßgeblich, wenn das NLRB diese objektiv für geeignet hält. Das NLRB läßt nur dann eine Wahl der Arbeitnehmer entscheiden, wenn zwei - nach seiner Ansicht - gleich geeignete mögliche Tarifeinheiten gegeben sind. Für eine entsprechende Wahl der Facharbeitergruppe hatte das NLRB das schon erörterte Verfahren der "Globe-Wahl" entwickelt. Eine Wahlentscheidung der Arbeitnehmer zur Festlegung der Tarifeinheit läßt das NLRB aber nicht nur dann zu, wenn es sich um traditionelle Facharbeitergruppen handelt. Auch in anderen Fällen, in denen dem NLRB die kleinere als auch die umfassendere Tarifeinheit gleich geeignet erscheinen, können die Arbeitnehmer wählen, in welcher Gruppe sie vertreten werden wollen. 65 In diesen Entscheidungen hat das NLRB verschiedene Wahlmodi zugrunde gelegt. 66 Zum einen ließ es in zwei Wahlen in den jeweiligen Gruppen (große und kleine Arbeitnehmergruppe) getrennt abstimmen. 67 Die übergreifende

62 Die Vorschrift soHte sich als schwer überprüfbar erweisen, da das NLRB in den seltensten FäHen die Kriterien ausdrücklich gewichtete, vgl. Metropolitan Life Insurance 330 F.2d 62 (6. Circuit 1964).

6J 29 V.S.c. § 159 section 9 (c) (5): " ... determining whether a unit is appropriate ... the extent to which the employees have organized shall not be controlling." M NLRB v. Mego Corp. 633 F.2d 1026 (1032) (1989); NLRB v. Southern Metal Service 606 F.2d 512 (514) (1979); Thalheimer Brothers 83 NLRB 664 (666) (1949); NLRB v. The Western and Southern Life Insurance Comp. 391 F.2d 119 (122) (1968). Der Supreme Court hatte diese Entscheidungsfindung 1964 bestätigt in NLRB v. Metropolitan Life Insurance Comp. 380 V.S. 438 (442) (1964): " ... the provision was not intended to prohibit the Board from considering the extent of organization as one, though not the controlling factor, in its unit determination."

.s Hilton Burn Hotel Co. 167 NLRB 221 (1967); Waikiki Bittmore 127 NLRB 82 (1960); Felix Half and Brothers Inc. 132 NLRB 1523 (1961); Pacific Northwest Bell Telephone 253 NLRB 795 (1980); Ronald A. Popp Inc. 237 NLRB 1293 (1978); Morgan Transfer 131 NLRB 1434 (1961); Armstrong Corg Comp. 106 NLRB 1147 (1961) . .. Abodeely, a.a.O., S. 67. 61

Waikiki Bittmore 127 NLRB 82 (1960).

11. Beschäftigte einer örtlich einheitlichen Produktions stätte

79

Wahleinheit erkannte das NLRB nur dann an, wenn beide Gruppen für eine gemeinsame Vertretung gestimmt hatten. In einer anderen Entscheidung68 erkannte das NLRB die separate Vertretung der kleinen Gruppe bereits dann an, wenn sich nur diese in einem Wahlgang für die getrennte Vertretung ausgesprochen hatte. Auf den Willen der größeren Gruppe kam es dann - wie nach dem Globe-Verfahren - nicht mehr an. Damit ist das Wahlverfahren dafür entscheidend, welche Gruppe die größeren Erfolgschancen hat, in der von ihr gewünschten Tarifeinheit vertreten zu werden. In der Wahl des Verfahren drückt sich aus, welche Form der Vertretung das NLRB selbst begünstigt.

6. Interessengemeinschaft aufgrund gemeinsamer beruflicher Qualifikation ("Skill")

Auf die besondere Bedeutung von Gemeinsamkeiten in Lohn und allgemeinen Arbeitsbedingungen für die Feststellung der Interessengemeinschaft ist bereits hingewiesen worden. Arbeitsbedingungen und Lohn sind im Regelfall mit der Berufsqualifikation verbunden. Daher besteht ein Zusammenhang zwischen dem Kriterium "Qualifikation" und den möglichen Inhalten des späteren Tarifvertrags. Das NLRB erkennt unter diesem Gesichtspunkt auch gesonderte Vertretungen solcher Arbeitnehmer an, die keine traditionellen Facharbeiter sind. 69 Das Kriterium "Qualifikation" spricht für die separate Vertretung einer bestimmten Arbeitnehmergruppe. Es kann daher mit dem Kriterium "functional integration" in Konflikt stehen. Ergeben sich aber aus der Verschiedenartigkeit der Tätigkeiten unvereinbare Interessengegensätze zwischen Arbeitnehmergrup-

•• Felix Half and Brothers Inc. 132 NLRB 1523 (1961) . •• Comet Corp. 261 NLRB 1414 (1982). In dieser Entscheidung hatte das NLRB zu prüfen, ob eine übergreifende Tarifeinheit von Werksarbeitem und LKW-Fahrern oder eine getrennte Wahleinheit der LKW-Fahrer angemessen im Sinne des Gesetzes war. Das NLRB sah zunächst die Gemeinsamkeiten, a.a.O., S. 1438: "The case situation presents the often-repeated one of presence of a dual community of interest of truckdrivers with some factors supporting inclusion and some exclusion." Letztlich stellte es auf die Verschiedenartigkeit der Tätigkeiten ab und beurteilte die Fahrer als "a functionally distinct group possessing different skills and qualifications from product and maintenance employees" (a.a.O., S. 1438). Aufgrund ihrer Tätigkeit hatten die Fahrer des Werkes eine andere Arbeitszeit, sie benutzen nicht wie die anderen Arbeitnehmer die Stechuhr und hatten zu den Werksangestellten keinen Kontakt.

80

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

pen, erkennt das NLRB separate Tarifeinheiten an. 10 Besondere Qualifikation ist otfmals Grund für spezielle Pflichten und Ansprüche gegenüber dem Unternehmer. Insoweit unterscheiden sich auch die tariflichen Zielsetzungen der Arbeitnehmergruppen. Solche besonderen Interessenlagen berücksichtigt das NLRB bei der Festsetzung der Tarifeinheit. ll Die vertikale Ordnung der Belegschaft in kleine Gruppen, deren Arbeitnehmer eine gemeinsame Qualifikation besitzen, ist für das amerikanische Recht nicht ungewöhnlich, gründet sich doch die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung auf separate Facharbeitervertretungen. Das bundesdeutsche Betriebsverfassungsrecht kennt eine Einteilung nach Gruppen nur für Arbeiter und Angestellte. 12 Im Gegensatz zum bundesdeutschen Gruppenprinzip sind die vertikalen Ein-

10 Annco Inc. 279 NLRB 1184 (1986). Das NLRB hatte über die separate Tarifeinheit von Arbeitern eines Kokswerk zu entscheiden, das Koks nur für ein bestimmtes Stahlwerk herstellte. Das Stahlwerk wiederum bezog die Kokslieferungen, die es tenninlich mit der Stahl produktion abgestimmt hatte, nur von diesem Werk. Das NLRB stellte zwar eine funktionale Verknüpfung der Werke fest. Es betonte aber, daß die Arbeitnehmer im Kokswerk wegen ihrer spezifischen Tätigkeit hinsichtlich Arbeitsumgebung, Werkssicherheit und Gesundheitsfragen andere kollektive Interessen als die Arbeiter des Stahlwerks hätten. Obwohl die Abhängigkeit der Werke voneinander als "functional integration" hätte gewertet werden können, bejahte das NLRB die separate Vertretung der Arbeitnehmer des Kokswerks.

11 Century Moving and Storage 251 NLRB 671 (679) (1980): ..Whether local and long haul drivers are shown to fonn separate, c1early defined, and functionally distinct units and possess separate interests which can be effectively represented for collective bargaining, the Board has held that the community of interests between the two groups is not sufficient to require the inclusion in any appropriate unit". In dieser Entscheidung hatte das NLRB zu prüfen, ob Kurz- und Langstreckentransporteure in einer Tarifeinheit zusammengefaßt werden konnten. Es stellte darauf ab, daß die Langstreckenfahrer ihre Helfer selbst anstellen mußten und einen speziellen Anspruch auf Aufwendungsersatz hatten. Diese unterschiedlichen Ansprüche gingen nach Ansicht des NLRB den vielen Gemeinsamkeiten zwischen den Arbeitnehmergruppen vor.

n Keinesfalls geht das Gruppenprinzip des bundesdeutschen Rechts auf eine Interessengemeinschaft der Angestellten als unterscheidbarer, einheitlicher Berufsgruppe zurück. Bei der ersten gesetzlichen Sonderregelung für Angestellte, dem Angestelltenversicherungsgesetz von 1911, boten diese vielmehr ein beruflich uneinheitliches - vom Techniker bis zum Verkäufer reichendes Bild. Vgl. dazu Aujhäuser, Weltkrieg und Angestelltenbewegung, Berlin 1918, S. 12; Schiinhoven, Die Gewerkschaft als Massenbewegung, Borsdorf (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaften, Köln 1987, S. 209. Vielmehr sollte durch gesetzliche Sonderregelungen eine Solidarisierung von Arbeitern und Angestellten verhindert werden. Dazu kam die Unwilligkeit der Angestellten, sich den übrigen Gewerkschaften anzuschließen. Die frühen Organisationen der Angestellten, wie der Deutschnationale Handlungsgehiifenverband, waren national, antisemitisch und antisozialistisch, vgl. Aujhäuser, a.a.O., S. 10: .... .in antisemitischer Bewegung verankert"; vgl. ebenso Schiinhoven, a.a.O., S. 209 und zu Befürchtungen der damaligen Organisationen, die ..Schicht" der Angestellten werde "proletarisiert" Kocka, Unternehmensverwaltung und Angestelltenschaft, Stuttgart 1969, S. 521.

III. Beschäftigte in mehrbetrieblichen Unternehmen

81

teilungen der Belegschaften im amerikanischen Recht flexibel. Die Tarifeinheit bestimmter Fachkräfte wird nur für den jeweiligen Einzelfall festgelegt.

111. Bestimmung der Interessengemeinschaft zwischen Beschäftigten in mehrbetrieblichen Unternehmen "Single-Location" versus "MuIti-Location" Inwieweit die Organisations struktur des Unternehmens die Entscheidung des NLRB bei der Bestimmung der Tarifeinheit beeinflussen kann, hat sich bei dem Kriterium "functional integration" gezeigt. Im bundesdeutschen Recht kann in jedem einzelnen Betrieb eines Unternehmens ein Betriebsrat gewählt werden. Nach dem amerikanischen Recht ist es zwar möglich, daß in jeder einzelnen Produktionsstätte eine kollektive Vertretung gewählt wird, ein dahingehender Grundsatz besteht jedoch nicht. Die Tarifeinheit kann nach dem amerikanischen Recht auch alle Arbeitnehmer eines mehrbetrieblichen Unternehmens zusammenfassen. 73 In erster Linie entspricht es dem Interesse des Unternehmers, wenn die Tarifeinheit mit der Organisationsstruktur seines Unternehmens übereinstimmt. Der Umfang der Tarifeinheit kann sich aber nicht allein nach der Unternehmervorgabe richten. Ansonsten könnten unliebsame Wahleinheiten "zerorganisiert" werden. 74

1. Vermutung für den einzelnen Betrieb

Das NLRB entschied im Jahre 1959 zunächst, daß sich die Tarifeinheit grundsätzlich nach der Organisationsstruktur des Unternehmens richten solle. So befürwortete es in Einzelhandelsunternehmen mit verschiedenen örtlichen Filialen die Bildung einer unternehmensweiten Tarifeinheit, die der zentralen und übergreifenden Leitung des Unternehmens entsprach. 75 Im Jahre 1962 änderte

n Vgl. zu der Wechselbeziehung zwischen inner-gewerkschaftlichem Aufbau und hierarchischer Organisation kapitalistischer Unternehmen Crain, Images of Power, 33 Boston College Law Review 481 (509) (1992): "In effect the law establishes an organizational norm - that of a bureaucratic, militaristic organization where power is centralized - to which unions must adhere if they desire to compete with capital on the legal playing field." 74

Ab(}deely, a.a.O., S. 28.

75

Paxton Wholesale 123 NLRB 316 (1959).

6 Soors

82

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

das NLRB seine Ansicht in Save-On Drugs. 76 Es räumte ein, die Schwierigkeit für die Gewerkschaft unterschätzt zu haben, Arbeitnehmer in verschiedenen örtlichen Filialen in einer umfassenden Tarifeinheit zu organisieren. 77 Die Entscheidung entwickelte das NLRB in Haag Drug Co. 78 zu einer Vermutung weiter, die für die Angemessenheit der einzelnen örtlichen Filiale als separate Tarifeinheit spricht. Das Interesse des Unternehmers sei nicht entscheidend. 79 Für einzelne Betriebe innerhalb eines Unternehmens hatte das NLRB eine entsprechende Vermutung schon 1962 in Dixie Bells80 entwickelt. Im Versicherungswesen hatte das NLRB zuerst unternehmens weite Tarifeinheiten bevorzugt. 81 Auch für diesen Bereich stellte es später die entsprechende Vermutung für die einzelne Filiale des Versicherungsunternehmens auf 82, so daß in allen drei Bereichen eine Vermutung für den einzelnen Betrieb oder die örtlichen Filiale spricht. 83

7. 138 NLRB 1032. In dieser Entscheidung führte das NLRB aus, daß nicht die Untemehmensstruktur bestimmend sein sollte, sondern die gesamten Umstände des Einzelfalls zu würdigen seien. 77 Save-On Drugs 138 NLRB (1032) (1962) S. 1033: ,.In our opinion this policy has overemphasized the administrative grouping of merchandising outlets at the expense of factors such as geographic separation of the several outlets and the local managerial autonomy of the separate outlets; and it has ignored completely as a factor the extent to which the claiming labor organization had sought to organize the employees of the retai! chain." 7R

Haag Drug Comp. 169 NLRB 877 (1969).

Haag Drug Comp., a.a.O., S 878: "In any event though chainwide uniformity may be advantageous for the employer administratively is not a sufficient reason in itself for denying the right of the separate homogeneous group of employees posessing a clear community of interest to express their wishes concerning collective representation." 7'

Rn

139 NLRB 629 (1962).

O. Metropolitan Life Ins. Co. 56 NLRB 1635 (1944). In dieser Entscheidung wollte das NLRB wegen der Organisation des Versicherungswesens keine kleineren als staaten weite Tarifeinheiten zulassen (vgl. a.a.O., S. 1640). H2 Metropolitan Life Ins. 156 NLRB 1408 (1966); Empire Mut. Ins. 195 NLRB 284 (1972); Equitable Life Ins. Co. 163 NLRB 154 (1967); The Western and Southern Life Insurance 163 NLRB 138 (1967). R3 Für Einzelhandelsketten: Albertson's Inc. 270 NLRB 132 (1984); Albertson's Inc. 273 NLRB 286 (1984) ; Big Y Foods Inc. 238 NLRB 860 (1978); Bud's Food 236 NLRB 1203 (1978); Für die Versicherungswirtschaft: Impire Mutual Insurance Comp. 195 NLRB 284 (1972); Farrner's Ins. 187 NLRB 844 (1971); Equitable Life Ins. Comp. 163 NLRB 154 (1954). Bei mehrgliedrigen Unternehmen: Airco Inc.273 NLRB 348 (1984); Penn Color Inc. 249 NLRB II 17 (1980); J. Ray Mc Dermont 240 NLRB 864 (1979); Hamburg Knitting Mill 239 NLRB 1231(1979); Temco Aircraft Corp. 121 NLRB 1085 (1958).

III. Beschäftigte in mehrbetrieblichen Unternehmen

83

2. Widerlegbarkeit der Vermutung

Schon in Dixie Bells84 führte das NLRB aus, daß die Vennutung für den einzelnen Betrieb widerlegt werden könne. Verschiedene Faktoren sind abzuwägen.

a) Tagtägliche Personalaufsicht ("Supervision ")

Eine bedeutende Rolle spielt die Eigenständigkeit der Leitung der Filiale oder des Betriebs. 85 Nur wenn der Filial- oder Betriebsleiter nach der Organisation des Unternehmens befugt ist, Fragen der tagtäglichen Personalpolitik zu entscheiden, erkennt das NLRB eine separate Tarifeinheit an. 86 Entscheidend ist, wer die tägliche Kontrolle über die Arbeitnehmer ausübtY Ob sich die Entscheidung an unternehmensweit erlassenen Richtlinien orientiert, ist unerheblich. 88 Wann eine eigenständige Leitung angenommen werden kann, haben das NLRB und die Gerichte unterschiedlich beurteilt. Das NLRB hat bei seiner Prüfung darauf Wert gelegt, ob der Entscheidungsträger vor Ort selbständig Einstellungen und Entlassungen vornehmen kann. 89 Entgegen der gerichtlichen Ansicht ließ das NLRB aber auch die Befugnis zum Abhalten von Einstellungsgesprächen genügen. 90

•• 139 NLRB (629) (1962) S. 631: " ... such plant unit has been so effectively merged into a more comprehensive unit... or is so integrated with another as to negote its identity" . •5

Haag Drugs Co., Inc. 169 NLRB 877 (878) .

•• Eastman Interiors 273 NLRB 610 (1984); Ohio Valley Supermarkets Inc. 269 NLRB .353 (1984); ITI Continental Baking Comp. 231 NLRB 326 (1977); Kirlin's Inc. of Central Illinois 227 NLRB 1220 (1977); Petrie Store 212 NLRB 130 (1974) . • 7 Das Kriterium "supervision" erinnert insoweit an die Mitbestimmungsrechte auslösende Entscheidung des Arbeitgebers gern. § 87 BetrVG .

•• Gerbes Super Market, Inc., 213 NLRB 803 (1974) S. 805: "The fact that basic policies are determined in central office and that the store manager is not complete!y autonomous and has limitations on his authority does not alter his exercise of power to direct the operation of the store and of its employees on a day-to-day basis." ., Gerbes Super Market Inc. 213 NLRB 803 (1974) (805); Petrie Stores Corp. 212 NLRB 130 (1974); Gray Drug Stores 197 NLRB 924 (1972) Ablehnung der "single unit", da für das Gebiet der "regional director" einheitliche Personalentscheidungen traf; Purity Supreme 197 NLRB 915 (1972) Ablehnung der "single unit", da "zone manager" für zentrale Lenkung zuständig war; Mott's Shop-Rite 174 NLRB 1116 (1969) keine "single-unit" wegen zentraler Bestimmung der Personalfragen. '10

NLRB v. Davis Cafeteria 358 F.2d 98 (99) (1966).

84

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

b) Arbeitsplatzwechsel ("Interchange

0/ Employees")

Ein weiterer Faktor, der gegen die Vermutung für eine örtlich separate Tarifeinheit sprechen kann, ist der Austausch der Arbeitnehmer zwischen den einzelnen Filialen. 91 Ist die Gruppe der Arbeitnehmer gerade durch ihre Ortsungebundenheit gekennzeichnet, ist der "Tatbestand" der Vermutung für die "örtliche Einheit" nicht erfüllt. Die Arbeitnehmer arbeiten nicht ausschließlich an einem bestimmten Ort, daher soll die Vermutungsfolge - Angemessenheit der örtlich begrenzten Wahleinheit - nicht eintreten. 92 Das NLRB hat keinen Grundsatz93 aufgestellt, wann ein Austausch von Arbeitnehmern zu einer umfassenden Tarifeinheit führt. Es hielt einen Wechsel von 15% der Arbeitnehmer innerhalb eines Unternehmens für ausreichend, um eine übergreifende Tarifeinheit anzuerkennen. 94 Ebenso sah es die Vermutung bei einem Wechsel von 5% der Beschäftigten als widerlegt anYs In diesem Fall erhielten die Beschäftigten darüber hinaus in beiden Betrieben dasselbe Gehalt und hatten dieselben ArbeitsbedingungenY6 Dagegen wurde eine übergreifende Tarifeinheit für zwei Betriebe abgelehnt, in denen jeder Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz wechselte. 97 Inwieweit die Dauer der einzelnen Versetzungen eine Rolle spielt, beurteilt das NLRB ebenfalls nicht einheitlich. Versetzungen für eine Zeit von weniger als 30 Tagen innerhalb eines Jahres erkannte das NLRB nicht anYs Zum Teil ließ das NLRB zeitlich befristete Versetzungen überhaupt nicht gelten99 , sprach sich aber in derselben Entscheidung für eine übergreifende Tarifeinheit

" Charette Drafting Supplies 275 NLRB 1294 (1985) Wechsel der Arbeitnehmer zwischen den auf der 33. Straße und der 54. Straße befindlichen Geschäfte in New York City; Petrie Stores 212 NLRB 131 (1974) Austausch der Arbeitnehmer zwischen den 6-10 Meilen entfernten Arbeitstätten; EI Paso Electric Comp. 168 NLRB 983 (1967) Wechsel der lobfunktionen durch Übernahme anderer Tätigkeiten. 02

Abodeely, a.a.O., S. 45.

9J

Abodeely, a.a.O., S. 48 .

•• Petrie Stores Corp. 212 NLRB 130, 131 (1974) . •s Hot Shoppes Inc. 130 NLRB 144 (1961) . .. Hot Shoppes Inc., a.a.O., S. 146. •7

KVP Sutherland Paper Co. 146 NLRB 1553 (1964) .

•• Black & Decker 147 NLRB 825 (827) (1964) . •• NLRB v. Pinkerton's 416 F.2d 627 (7th Circuit 1969).

III. Beschäftigte in mehrbetrieblichen Unternehmen

85

zweier Betriebe aus, obwohl dort nur vorübergehende Versetzungen festgestellt werden konnten. 100 Wie ein Kommentator feststellte, diente das Kriterium oft als Begründungshilfe für ein unabhängig davon feststehendes Ergebnis. 101 Im Zweifel befürwortet das NLRB die örtlich einheitliche Tarifeinheit, wenn keine gewichtigen Umstände dagegen sprechen. 102

c) Entfernung der Produktionsstätten ("Proximity")

Die Entfernung der Betriebe oder Filialen voneinander kann für aber auch gegen eine örtliche Tarifeinheit sprechen. Vor Save-On Drugs lO3 spielte der örtliche Zusammenhang als Ausdruck der Organisation des Unternehmens eine entscheidende Rolle. 104 Aber auch in späteren Entscheidungen bewertete das NLRB den engen räumlichen Zusammenhang als Indiz für eine übergreifende Tarifeinheit. In Drug Fair lO5 stützte das NLRB die Interessengemeinschaft zwischen Arbeitnehmern eines Einzelhandelsunternehmens im Großraum Washington auf gemeinsame Lebensbedingungen, wie z.B. Lebenshaltungskosten.106 Hintergrund der Entscheidung war zudem, daß die Gewerkschaft nur eine bestimmte Arbeitnehmergruppe der Filialen vertreten wollte, die sie bereits im Großraum Washington organisiert hatte. 107 Die Rechtsprechung kritisierte die Berücksichtigung von allgemeinen Lebensumständen bei der Bestimmung der Tarifeinheit in Purnell's Pride. lOH Allein der örtliche Zusammenhang der Filialen könne kein ausschlaggebender Faktor sein. Örtlicher Bezug könne nur dafür Relevanz haben, daß Arbeitnehmer dem-

100

NLRB v. Pinkerton's 416 F.2d 627 (7th Circuit 1969).

1111

Abodeely, a.a.O., S. 48.

11>2

Hardin, Vol. I, a.a.O., S. 472.

103

138 NLRB 1032 (1962).

104

Abodeely, a.a.O., S. 52.

lOS

Drug Fair 180 NLRB 525 (1969).

Drug Fair, a.a.O., S. 527. Die Interessengemeinschaft der Arbeitnehmer leitete das NLRB von einer "cornrnunity of interest" "obtaining from the socia! and economic integration of the large metropolitan area" ab, in der die Arbeitnehmer lebten. 11>6

107

Drug Fair, a.a.O., S. 526.

10&

Purnell 's Pride 609 F.2d 1153 (5th Cir. 1980).

86

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

selben Arbeitsmarkt angehörten und für sie, als potentielle Konkurrenten, eine gemeinsame Vertretung vorteilhafter sei. 109 Die Ortsgebundenheit des Arbeitsmarkts sei im Einzelfall zu prüfen, da je nach Art der Industrie auch gebietsunabhängige Arbeitsmärkte existierten. 110 Daher komme dem Faktor "Entfernung" nur indizielle Bedeutung zu. 1I1 Direkte Bedeutung hat der Faktor "Entfernung" dagegen für die Gewerkschaft. Für sie ist es ungleich schwieriger, Arbeitnehmer in einem großen Einzugsgebiet zu organisieren. 112 In den gegenwärtigen Entscheidungen ist die Entfernung kein entscheidender Faktor mehr bei der Bestimmung der Interessengemeinschaft. 113 Das NLRB führt dieses "sichtbare" Merkmal nur zur Stützung seines Ergebnisses und zur Plastizität seiner Entscheidungen colorandi causa an. 114 In einer neueren Entscheidung hat die Rechtsprechung auf eine weitere Bedeutung des Faktors "Entfernung" hingewiesen. 115 Im gerichtlich überprüften Sachverhalt hatte das NLRB bei zwei nah beieinander liegenden Einrichtungen gemäß der Vermutung örtlich separate Tarifeinheiten angenommen. Das Gericht lehnte schon die Anwendbarkeit der Vermutung ab. 1I6 Nach dieser Entscheidung ist räumliche Trennung gerade Voraussetzung für das Eingreifen der Ver-

"'9 Purnell's Pride 609 F.2d 1153 (5th Cir. 1980) S. 1157: " ... although geographie proxirnity may be an important indicia in unit determination, it cannot bear much weight apart frorn a determination of whether the two locations in question are in the same labor market and an analysis of any other relevant facts." I'" Purnell's Pride, a.a.O., S. 1157: "More importantly, perhaps, proximity suggests that similarlyskilled employees at the two locations are in the same labor market - and are thus potential competitors who would benefit from common representation." 111

Purnell's Pride, a.a.O, S. 1157.

Note: The Board and the Section 9 (c) (5): Multilocation and Single-Location Bargaining Units in the Insurance and in the Retail Industry, 79 Harvard Law Review 8Il, 831 (1966). 112

11] Cell AgriculturaI MFG. Co 3Il NLRB 1228 (1237) (1993): "While geographie proximity of plants is a factor in making determinations as to the appropriateness of single plant units, it is not the determinative factor."

114 Southfork 313 NLRB 274 (277) (1993), in der das NLRB ausführt, daß ein Dienstleistungsbetrieb, der sich von den anderen entfernt auf einem Hügel befand, aufgrund seiner Lage "significant to itself' sei. In dieser Entscheidung wurde die separate Vertretung aber auch noch mit der eigenständigen Leitung durch den "Iocal manager" begründet.

115

NLRB v. Catharine Health Center, 885 F.2d 341 (6th Cir. 1991).

NLRB v. Catharine Health Center, a.a.O., S. 347: " ... the underlying presumption is that a faciIity can be considered a distinct entity because it is "geographically separated" from other faciIities. It logically follows then, ... , that geographically proxirnity may be utilized to rebut the presumption." 116

III. Beschäftigte in mehrbetrieblichen Unternehmen

87

mutung. In dieser Hinsicht kommt dem Merkmal "Entfernung" als Tatbestandsmerkmal der Vermutung eine entscheidende Bedeutung zu.

3. Bestimmung der Tarifeinheit innerhalb des einzelnen Betriebs

Die Entscheidung des NLRB gegen eine übergreifende mehrbetriebliche Tarifeinheit bedeutet nicht, daß zwischen den Beschäftigten der örtlichen Filiale oder des einzelnen Betriebs zwangsläufig eine Interessengemeinschaft bestehen muß. 1I7 Nicht in allen Fällen entspricht die Gruppe der an einem Ort Beschäftigten zugleich der Tarifeinheit. Bei der Überlegung, ob die Arbeitnehmer zusammengefaßt werden sollen, spielen die schon erörterten allgemeinen Kriterien zur Bestimmung der Interessengemeinschaft eine Rolle. So verneinte das NLRB eine Interessengemeinschaft zwischen den Beschäftigten eines einzelnen Hotelbetriebs. ll8 Das NLRB entschied, daß zwischen dem fest entlohnten Küchenpersonal und dem Servicepersonal, das seine Vergütung durch Trinkgelder erhielt, keine Interessengemeinsamkeit bestehe. Da keine weiteren Faktoren für eine gemeinsame Interessenlage sprachen, entschied sich das NLRB für eine getrennte Tarifeinheit nur des Küchenpersonals. Eine separate Tarifeinheit innerhalb der örtlichen Einheit nimmt das NLRB auch dann an, wenn sich Arbeitnehmer durch besondere Fähigkeiten, Aus- und Weiterbildung von den anderen Arbeitnehmergruppen unterscheiden. 1l9 Die Fähigkeiten müssen nicht in einer besonderen Qualifikation bestehen, sondern können allein mit der Art der Tätigkeit zusammenhängen. So bejahte das NLRB schon in einer frühen Entscheidung die separate Vertretung von Verkäufern in WarenhäusernYo Das NLRB sah die Interessengemeinsamkeit der Verkäufer in ihren besonderen Fähigkeiten begründeL 121 Hintergrund der Entscheidung war, daß sich die beteiligte Gewerkschaft quasi "außer Konkurrenz" als Ver-

117 Schnitzler / Giovanetti, Retail Stores in Appropriate Units for Collective Bargaining, in: Nash / Blake, Appropriate Units for Collective Bargaining, New York 1979, S. 119 (127). 110

Washington Palm 314 NLRB 1122 (1994).

Foodland Inc. 261 NLRB 995 (1982) Verkäufer erhielten gesonderte Weiterbildung; Weber's Food Service 244 NLRB 594 (1979) Fleischfachverkäufer wurden wegen unterschiedlicher Ausbildung und Fähigkeiten von übergreifender "unit" ausgenommen; Allied Stores ofNew York 150 NLRB 799, 804 (1965). 119

120

Allied Stores of New York 150 NLRB 799 (1965).

Allied Stores of New York, a.a.O., S. 804: " ... pleasant personality, poise, selfconfidence, ease in dealing with strangers, imagination, ability to speak weil ..." 121

88

2. Kapitel: Bestimmung der Tarifeinheit

treterin für diese Arbeitnehmergruppe anbot. 122 Die oft teilzeitbeschäftigten Verkäufer waren kaum gewerkschaftlich organisiert. 123

4. Zusammenfassung und Abgrenzung zu bundesdeutschen Kriterien der Betriebsratsfähigkeit eines Nebenbetriebs oder Betriebsteils

Die Kriterien zur Bestimmung der Tarifeinheit im amerikanischen. Recht bei mehrgliedrigen Unternehmen erinnern an die Abgrenzung der Begriffe "Betrieb", "Betriebsteil" und "Nebenbetrieb" im bundesdeutschen Recht. Leitmotiv bei der Definition des Betriebsbegriffs als Anknüpfungspunkt für die Bildung kollektiver Vertretungen ist die sinnvolle Ordnung betriebsverfassungsrechtlicher Beziehungen zur sachgerechten Wahrnehmung der Beteiligungsrechte. 124 Die Tarifeinheit des amerikanischen Rechts muß geeignet ("appropriate") für tarifrechtliche Zwecke sein. Beide Begriffe - "bargaining unit" und "Betrieb" - sollen die tatsächlichen Verhältnisse am Arbeitsplatz rechtlich zum Zweck kollektiver Interessenwahrnehmung ordnen. 125 Die Regelungsmaterien unterscheiden sich allerdings erheblich. Im bundesdeutschen Recht hat das Merkmal der produktionstechnischen Verbindung verschiedener Arbeitsprozesse nicht die Bedeutung, die ihm im amerikanischen Recht zukommt. Im amerikanischen Recht geht es in erster Linie darum, Arbeitskämpfe einzelner über den Produktionsprozeß verzahnter Tarifeinheiten zu verhindern. Die Frage nach Auswirkungen von Arbeitskämpfen stellt sich im Betriebsverfassungsrecht nicht. Arbeitskämpfe der Betriebsparteien sind in § 74 Abs. 2 BetrVG untersagt. Parallelen scheinen sich zwischen der Bedeutung der räumlichen Entfernung von Produktionsstätten in beiden Rechtssystemen zu ergeben. Nach § 4 Nr. 1 BetrVG ist räumlich weite Entfernung eine Voraussetzung für die Wahl eines

122

Allied Stores, a.a.O., S. 800.

Allied Stores, a.a.O., S. 804, die in der Entscheidung zitierte Erklärung eines Vertreters des Arbeitgebers wirft zugleich ein Licht auf den gesellschaftspolitischen Kontext. Danach war diese Gruppe, die für eine gewerkschaftliche Organisation unaufgeschlossen schien, wie folgt gekennzeichnet: " ... the sales people, the office people and the very large proportion of relatively young unmarried women, who, I regret to say, also represent the relatively short term employment because they are all interested in getting married." 123

12