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German Pages 574 [576] Year 2020
Tanja Fohr Integrierte Sprachbildung im Fach Kunst
DaZ-Forschung
Deutsch als Zweitsprache, Mehrsprachigkeit und Migration Herausgegeben von Bernt Ahrenholz Christine Dimroth Beate Lütke Martina Rost-Roth
Band 22
Tanja Fohr
Integrierte Sprachbildung im Fach Kunst Eine Studie zur Sekundarstufe I, Klasse 5
Der vorliegende Band wurde mit dem Titel „Integrierte Sprachbildung im Fach Kunst am Beispiel der Sekundarstufe I, Klasse 5, in der Zielsprache Deutsch“ an der Universität Kassel im Fachbereich 02 im März 2019 als Dissertation eingereicht. Die Disputation fand am 22. August 2019 statt.
ISBN 978-3-11-068694-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068702-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-068711-8 Library of Congress Control Number: 2020941992 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Danksagung Die Idee zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht wurde erstmalig durch meine Tätigkeit als Kunstlehrerin am „Colegiul German Goethe“ in Rumänien im Schuljahr 2007/2008 angestoßen. Zurück in Deutschland stellten sich mir die Fragen, ob und inwieweit Deutsch als Zweitsprache-Lernende (DaZ) von einer sprachsensiblen Vermittlung im Kunstunterricht der Sekundarstufe I profitieren könnten. Prof. Dr. Karin Aguado, die das Fachgebiet Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Kassel leitet, bestärkte mich darin, diesen Fragen nachzugehen und unterstützte mich als meine Erstgutachterin mit ihren wertvollen Anregungen bei der Planung meines Praxisforschungsprojektes in der Sekundarstufe I, Klasse 5. Im Doktorandenkolloquium von Prof. Dr. Karin Aguado erhielt ich von den anderen Doktoranden/innen konstruktive Rückmeldungen. Dieser kontinuierliche Austausch half mir bei der Umsetzung meines Vorhabens in den Schuljahren 2009/2010 und 2010/2011 an der Joseph-von-EichendorffSchule (JvES) in Kassel. Dafür möchte ich insbesondere Prof. Dr. Karin Aguado danken. Mein Dank gilt ebenfalls Jürgen Fischer, dem damaligen stellvertretenden Schulleiter der JvES. Er ermöglichte es mir, meine Pilot- und Hauptstudie durchzuführen, begeisterte Schüler/innen und ihre Eltern für mein Projekt, stellte dafür Räumlichkeiten zur Verfügung, band die Kollegen/innen ein, stellte für die Schüler/innen Materialien bereit und vieles mehr. Seine Unterstützung und ebenso die der Kollegen/innen wie Anja Lange-Zindler waren nicht nur Voraussetzung, sondern auch Antrieb für mein Forschungsprojekt. Dankbar für sein lebhaftes Interesse an meinem Thema und seine zahlreichen wertvollen Diskussionsimpulse vor und während der Disputation bin ich ebenfalls meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Dr. Ruprecht Baur. Ebenso verbunden bin ich Prof. Bernhard Balkenhol für seine Mitarbeit in meiner Prüfungskommission. Darüber hinaus möchte ich ihm für die anregenden und kontroversen Diskussionen rund um die Vermittlung im Fach Kunst danken. Meiner früheren Kollegin Prof. Dr. Christine Czinglar möchte ich zum einen für ihre Bereitschaft danken, in meiner Prüfungskommission mitzuwirken, zum anderen für die ermutigenden Gespräche. Für die Hilfe bei den Vorbereitungen rund meine Disputation und die anschließenden Feierlichkeiten möchte ich Jana Sieber und Nora Dotzert danken. Nora Dotzert möchte ich zudem für ihre Unterstützung bei der Manuskriptvorbereitung für den Verlag danken.
https://doi.org/10.1515/9783110687026-202
VI | Danksagung
Bei der Beobachtung meiner Schüler/innen und bei den Interviews unterstützte mich meine frühere Kollegin und Freundin Natalie Charkow sowohl während der Pilot- als auch der Hauptstudie. Für ihre Hilfe bei der Datenerhebung, vor allen Dingen aber die stets bestärkenden und aufmunternden Worte in den schwierigen Phasen meiner Promotion, danke ich ihr besonders. Neben der Berufstätigkeit zu promovieren, erfordert Kraft, Willen und das Vermögen an der Vorstellung festzuhalten, dass man das Vorhaben zu einem guten Abschluss bringen kann. Neben den Betreuer/innen wie Prof. Dr. Aguado und Prof. Dr. Dr. Ruprecht Baur waren es gerade meine Freundinnen wie Natalie Charkow, Monika Asche, Ilka Maria Wick, Nigora Salahutdinova und andere, die mich darin bestärkt haben, mein Vorhaben zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Ein besonderer Dank gilt Monika Asche: Meine Freundin und frühere Kollegin hat meine Arbeit mehrfach gelesen, kritisch kommentiert und mir bei den zahlreichen Überarbeitungsschritten auf dem Weg zur Publikation sehr geholfen. Besonders möchte ich auch Ilka Maria Wick, die 2016 verstorben ist, dafür danken, dass sie mich bestärkt hat und mir Rückmeldung zu meinen kunstpädagogischen Ausführungen gegeben hat. Ebenso danke ich Eike Totter für seine Unterstützung in den anstrengenden und gleichzeitig produktiven Phasen meiner Dissertation. Wenn man über einen langen Zeitraum promoviert, helfen aufbauende und ermutigende Worte der Betreuer/innen sowie von Freunden und Bekannten, die ich hier nicht alle nennen kann, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und ein großes Vorhaben zu einem guten Ende zu bringen. Mein herzlicher Dank gilt daher allen, die meinen Weg begleitet haben und weiter begleiten.
Inhaltsverzeichnis I
Vorspann
Einleitung | 3
II
Planungsgrundlagen für den Kunstunterricht
1 1.1 1.2 1.3
Kunstunterricht: Didaktisch-methodische Grundlagen | 19 Gegenstände und Potentiale des Kunstunterrichts | 19 Kunstpädagogische Grundlagen: Vermittlungsansätze | 24 Kunstvermittlung und Sprache: Forschungsergebnisse und Konsequenzen | 32 Bildkompetenz(en): Die Bildungsstandards für das Fach Kunst | 42 Standards in Hessen: Kernlehrpläne für die Sekundarstufe I | 50 Inhaltliche Vorgaben für die 5. Klasse in Hessen | 55 Methodisches Handeln im Kunstunterricht | 61 Kunstunterricht, die Rolle der Sprache und Planungskriterien | 68
1.4 1.5 1.6 1.7 1.8
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5
3
Sprachkompetenzen im Fachunterricht: Bedarf und Vermittlung | 81 Chancen(un)gleichheit: Zweisprachig aufwachsende Lernende | 82 Sprache im Fachunterricht: Alltags-, Bildungs- und Fachsprache | 91 Materialanalyse: Bildungssprache im Kunstunterricht der 5. Klasse | 112 Didaktisch-methodische Konzepte zwischen Sprachbildung und förderung | 120 Das Prinzip der durchgängigen Sprachbildung | 123 Konzepte für einen sprachsensiblen Fachunterricht | 135 Der Ansatz des „Scaffolding“ im Fachunterricht | 156 Kriterien zur Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht | 168 Prinzipien und Merkmale „guten“ Unterrichts | 173
VIII | Inhaltsverzeichnis
4 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.5 4.6
Methodisches Vorgehen | 186 Praxisforschung im Kunstunterricht | 189 Der Verlauf und die Phasen des Praxisforschungsprojektes | 193 Die Beurteilung des Sprachstands der Lerner/innen | 197 Die Profilanalyse | 200 Der C-Test | 206 Die Dokumentation der Unterrichtsplanung | 211 Die Dokumentation der Unterrichtsreflexion und -analyse | 222 Künstlerisch-praktische und sprachliche Arbeiten der Lernenden | 231
III
Unterrichtsforschung zur integrierten Sprachbildung im Fach Kunst
5
Planung und Umsetzung der fachintegrierten Sprachbildung im Fach Kunst | 253 Schulische Rahmenbedingungen und die Lerngruppen | 253 Die Schüler/innen aus der Klasse 5.1 | 256 Die Schüler/innen aus der Klasse 5.2 | 264 Unterrichtseinheit zum Thema „Der gedeckte Tisch“ für die 5. Klasse | 271 Vermittlung von Bild- und Sprachkompetenzen: Schwerpunkt Bildrezeption | 294 Analyse des Unterrichtsgegenstands | 296 Didaktisch-methodische Überlegungen und Verlaufsplanung | 304 Beschreibung, Reflexion und Analyse des tatsächlichen Verlaufs | 339 Vermittlung von Bild- und Sprachkompetenzen: Schwerpunkt Bildproduktion | 388 Analyse des Unterrichtsgegenstands | 390 Didaktisch-methodische Überlegungen und Verlaufsplanung | 399 Beschreibung, Reflexion und Analyse des tatsächlichen Verlaufs | 461 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse | 511
5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.5
Inhaltsverzeichnis | IX
IV
Schlussbetrachtung
Fazit | 537 Literaturverzeichnis | 543 Abbildungsverzeichnis | 561 Tabellenverzeichnis | 565
Anhang Die Datendokumentation aus dem zwei Schuljahre umfassenden Praxisforschungsprojekt, wie z. B. die Resultate der Sprachstandsdiagnosen, die Unterrichtsmaterialien und die Daten zum mündlichen und schriftliche Beschreiben, finden sich im Anhang und können heruntergeladen werden: www.degruyter.com/supplemental/title/573273/Digitaler_Anhang.pdf.
| I
Vorspann
Einleitung Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich in der deutschen Bildungspolitik eine Kehrtwende vollzogen. Angestoßen durch die mittelmäßigen Ergebnisse deutscher Schüler/innen1 bei internationalen Schulleistungsvergleichen, wie dem Programm for International Student Assessment 2000 (PISA)2 von der OECD zur Erfassung von Basisqualifikationen 15-jähriger Jugendlicher oder der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU), an der sich 2001 Grundschüler/innen am Ende der vierten Klasse aus 35 Staaten beteiligten, wurden neue Bildungsstandards entwickelt. Die Umstrukturierung des Bildungssystems durch die Vorgabe von neuen bildungspolitischen Leitlinien ist ein Effekt der internationalen Schulleistungsstudien. Die Ergebnisse der Untersuchungen haben in Deutschland zudem eine Diskussion um die Ursachen von Bildungsbenachteiligung ausgelöst.3 Dabei werden sowohl die Auswirkungen von individuellen Merkmalen wie soziale Herkunft oder Sprache als auch die Selektionsmechanismen des Bildungssystems an sich diskutiert. Insbesondere im Hinblick auf Schüler/innen „mit Migrationshintergrund“ wird ein Herkunftseffekt, der unter anderem verantwortlich für schwächere Leistungen sein soll, hervorgehoben (vgl. Tenorth/Tippelt 2007: 97).4
|| 1 Um eine gendergerechte Sprache zu berücksichtigen, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit die weibliche und die männliche Form durch diese gendergerechte Schreibweise gekennzeichnet. 2 Erst durch die PISA-Studien, die die Ergebnisse der Niveaus und Verteilung der Basiskompetenzen am Ende der Vollschulzeitpflicht alle drei Jahre seit 2000 dokumentieren, wurden Diskussionen in Politik und Öffentlichkeit angestoßen. Das mittlere Kompetenzniveau der 15-Jährigen lag nicht nur in Deutschland im Jahr 2000 in allen untersuchten Domänen im (unteren) Mittelfeld, wobei die Leistungsstreuung groß ist und die Unterschiede zwischen den Leistungsgruppen ungewöhnlich groß sind. Die Ergebnisse legen zudem nah, dass die Förderung von Kindern aus Zuwandererfamilien vergleichsweise unbefriedigend gelingt (vgl. Tenorth/Tippelt 2007: 360). 3 Das Bemühen darum, gegen Bildungsbenachteiligung vorzugehen, wird im Grundgesetz Artikel 3 formuliert, der positiv die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz vorgibt. Das Benachteiligungs- und Bevorzugungsverbot bezieht sich auf die Merkmale des Individuums wie „Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft usw.“. Bildungsbenachteiligung wird auch als Element sozialer Ungleichheit verstanden und wird oft polarisierend charakterisiert durch Armut und Reichtum, Exklusion und Inklusion usw. (vgl. Tenorth/Tippelt 2007: 96). 4 Oft wird der Migrationsstatus der Schüler/innen mit der Bildungsbenachteiligung in Verbindung gebracht. Dazu kann aber vermerkt werden, dass Ausbildungsunterschiede und Chancenungleichheit nicht per se ein Resultat des Migrationsstatus sind, sondern eher eine Folge der mit dem Migrationsstatus verbundenen sozioökonomischen Ungleichheiten (vgl. Hopf 2010: 19). https://doi.org/10.1515/9783110687026-001
4 | Einleitung
Die Suche nach Lösungen und deren Umsetzung zeigt sich nun nach mehr als zehn Jahren in zweierlei Hinsicht: Zum einen gibt es neue bildungspolitische Vorgaben, die Bildungs- oder Regelstandards, zur Normierung und Steuerung von öffentlich organisierten Bildungsprozessen. Diese Standards stärken die schulische Selbstständigkeit, da sie als Mindeststandards für die Schulfächer in Bezug auf den mittleren Schulabschluss formuliert sind und ihre Adaption und inhaltliche Konkretisierung weitestgehend den Fachkonferenzen vor Ort überlassen wird. Zugleich ermöglicht der Ausgestaltungsspielraum das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse der Schüler/innen vor Ort. Die Bildungsstandards sind allerdings auf die Lernergebnisse bezogen, also outcome- oder output-orientiert5, schulartübergreifend und werden im Bildungsgang, z. B. am Ende der 4. Klasse und am Ende der 9. Jahrgangsstufe, über zentral vorgegebene Verfahren gemessen, was wiederum den Ausgestaltungsspielraum einschränkt. Neben den von der Bildungspolitik gesetzten Maßnahmen zur Umstrukturierung und Verbesserung des Bildungssystems gibt es gleichzeitig von Seiten der Forschung an den Universitäten und durch Stiftungen6 den Wunsch zu verstehen, welche individuellen Voraussetzungen das Lernen beeinflussen und wie durch eine angepasste und individuelle Unterstützung Benachteiligungseffekte, z. B. durch Herkunft und Sprache, möglichst gering gehalten werden können. Forschungs- und Förderprojekte7 in den Bereichen Wissenschaft und Bildung haben es sich zum Ziel gesetzt, die Benachteiligungseffekte zu hinterfragen und
|| 5 Mit den Begriffen output bzw. outcome wird im Kontext des Lernens das beobachtbare Können von Schüler/innen bezeichnet, welches diese in einer (Prüfungs-)Situation zeigen (= output). Dabei wird das beobachtbare Können an einem zuvor festgelegten Maßstab gemessen. 6 Z. B. die Stiftung Mercator. 7 Die Stiftung Mercator hat z. B. das Ziel, bis 2025 die Bildungsungleichheit in Deutschland hinsichtlich der Schul- und Hochschulabschlüsse – gemessen am Stand von 2005 – um 70 Prozent für Menschen mit Migrationshintergrund im Alter von 15–30 Jahren zu reduzieren. Sie kritisiert: „Bildungserfolg ist in Deutschland in erster Linie eine Frage sozialer Herkunft: Ob ein Kind eine erfolgreiche Bildungslaufbahn durchläuft, hängt wesentlich davon ab, in welche Familie es hineingeboren wurde. Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien nehmen (bei gleicher Leistung) beispielsweise deutlich seltener ein Hochschulstudium auf als Kinder aus Beamtenfamilien. Das betrifft grundsätzlich Kinder mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen. Doppelt benachteiligt sind junge Menschen mit Migrationshintergrund aus sozial benachteiligten Familien.“ (https://www.stiftung-mercator.de/de/unsere-themen/integration/ (Zugriff: 17.11.2017)) Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, die die Bildungslaufbahn von Schüler/innen aus Akademiker- und Nicht-Akademiker/innen-Familien gegenüberstellt und in Form eines „Bildungstrichters visualisiert. Die Wahrscheinlichkeit die Gymnasiale Oberstufe zu erreichen, ist für Schüler/innen aus Akademiker/innen-Familien zirka 1,8-mal so hoch (79 % vs. 43 %). (vgl. BMBF/DSW/HIS 2011: 111).
Einleitung | 5
Maßnahmen für Chancengleichheit und ‚barrierefreie‘ Zugänge zu allen Bildungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung heterogener Voraussetzungen unterschiedlichster Art zu entwickeln, zu erproben, zu evaluieren und im bestehenden Bildungssystem zu implementieren. Ausgehend von den Ergebnissen der Forschung und Bildungsberichterstattung wird insbesondere kritisiert, dass soziale Herkunft und sprachlich-kultureller Hintergrund in engem Zusammenhang mit Erfolg und Misserfolg der schulischen Ausbildung stehen (vgl. Baumann/Becker-Mrotzek 2014: 5). Die unterschiedlichen literalen Handlungskompetenzen8 der Schüler/innen werden nicht in ausreichendem Maße bei der Vermittlung von Kompetenzen und Inhalten berücksichtigt. Da Sprache ein zentraler Zugang zum Kompetenzerwerb ist, wird in der Sprachbildung9 auch das Fundament für den Bildungserfolg gelegt. Schmölzer-Eibinger und Dorner (2012a: 60) begründen die Notwendigkeit der Förderung literaler Handlungskompetenzen wie folgt: „Wissen wird in der Schule primär sprachlich vermittelt und anhand von Sprache erworben – [...]. Sprache ist daher ein wichtiges Werkzeug des Lernens in jedem Fach.“ Sie kritisieren, dass die für den fachlichen Wissenserwerb notwendigen sprachlichen Kompetenzen oftmals vorausgesetzt werden und die sprachlichen Kompetenzen der Schüler/innen nicht gefördert würden (vgl. ebd.). Verantwortlich für die monolinguale Orientierung der deutschsprachigen Schule, bei der bildungs- und fachsprachliche Grundkenntnisse vorausgesetzt werden, werden neben anderen Faktoren die curricularen Vorgaben sowie die mangelnde
|| 8 ‚Literalitiät‘ bezeichnet ursprünglich den Umgang mit der Schriftsprache im weitesten Sinne. ‚Literale Handlungen‘ wie das Begründen, Erklären oder Hypothesenbilden sind oft schriftsprachlich geprägt. Diese schriftsprachlich geprägte Sprachverwendung ist durch Komplexität, Abstraktheit, Explizitheit und Kohärenz gekennzeichnet. ‚Literale Handlungskompetenz‘ meint insofern, die Fähigkeit, die schriftsprachlich geprägte Sprache im Unterricht zu verstehen und zu verwenden, zunächst für die Schule selbst, aber auch außerhalb der Schule zur Teilhabe an verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (vgl. Schmölzer-Eibinger/Dorner 2012: 61). ‚Literacy‘ wird in neueren Debatten als eine funktionale Variante des Allgemeinbildungskonzepts mit der Herausbildung von schriftlichen und mündlichen Basiskompetenzen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und für die persönliche Lebensführung definiert. Am ehesten ist ‚Literalität‘ mit dem Begriff der grundlegenden Bildung vergleichbar (vgl. Tenorth/Tippelt 2007: 486). 9 Sprachliche Bildung ist Aufgabe aller Bildungsinstitutionen für alle Kinder und Jugendliche. Sie erfolgt alltagsintegriert, aber nicht beiläufig, sondern gezielt. Sprachliche Bildung bezeichnet alle durch das Bildungssystem systematisch angeregten Sprachentwicklungsprozesse und ist allgemeine Aufgabe im Elementarbereich und des Unterrichts in allen Fächern. Die Lehrperson greift geeignete Situationen auf, plant und gestaltet sprachlich bildende Kontexte und integriert sprachliche Förderstrategien in das Sprachangebot für alle Kinder und Jugendlichen (vgl. BMBF 2012: 23).
6 | Einleitung
Sensibilisierung der Lehrer/innen für die sprachlichen Lernvoraussetzungen der Schüler/innen gemacht (vgl. z. B. Chlosta/Schäfer 2010: 280). Die Befunde der internationalen Schulleistungsmessungen wirken sich also auf unterschiedlichen Ebenen aus: Der bildungspolitische Wandel zeigt sich zum einen durch die Beschlüsse zu Leistungstransparenz und gemeinsamen Bildungsstandards der Kulturministerkonferenz (KMK) sowie der Bundesländer. Die Ablösung der zuvor stoffbezogenen durch kompetenzorientierte Rahmenpläne und Curricula als verbindliche Vorgaben für den schulischen Unterricht ist nahezu abgeschlossen.10 Dabei bleibt zu klären, wie der bildungspolitische Wandel auf der Makroebene sich auf der Mikroebene des schulischen Lernens auswirkt und dazu führt, dass die heterogenen Voraussetzungen, auch die sprachlichen, der Schüler/innen durch eine differenzierte Kompetenzförderung berücksichtigt werden. Unklar ist außerdem, wie und inwieweit Lehrer/innen, die die Orientierung an verdichteten Stoffvorgaben gewöhnt sind, nun die Lehr-Lernprozesse zur Herausbildung der Fähigkeiten und Fertigkeiten, zur Lösung bestimmter fachlicher Probleme möglichst so anleiten, dass die Ergebnisse dieser Lernprozesse vergleichbar und an den in den Standards formulierten Erwartungen messbar sind. Angesichts des größeren Gestaltungspielraums bei der Unterrichtsplanung und dem Verweis darauf, dass die stoffbezogenen Curricula immer noch verwendet werden können, insbesondere dann, wenn es keine anderen Beschlüsse der Fachkonferenzen gibt, stellt sich insgesamt die Frage, inwieweit die bildungspolitisch gesetzten Änderungen konkretisiert werden und die Kompetenzen der Schüler/innen entsprechend ihrer heterogenen Voraussetzungen differenziert gefördert und ausgebildet werden.11
|| 10 Auf der Ebene der Kultusministerkonferenz (KMK) wurden zunächst nationale Bildungsstandards für die Sekundarstufe II für Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch entwickelt. Im Anschluss wurden hessische Standards für die Sekundarstufe II für alle Fächer in Form von Kerncurricula erarbeitet, sodass nach der Einführung der nationalen Standards die Implementierung der hessischen Standards für die Sekundarstufe II erfolgen konnte. Die Kerncurricula für die Primarstufe und Sekundarstufe I (KCH) sind mit ihren Bildungsstandards und Inhaltsfeldern zu Beginn des Schuljahres 2011/2012 (01.08.2011) in Kraft getreten, die Kerncurricula gymnasiale Oberstufe (KCGO) zu Beginn des Schuljahres 2016/2017 (01.08.2016). Alle Kerncurricula und Begleitmaterialien wurden durch die Hessische Lehrkräfteakademie entwickelt (vgl. HKM 2016, https://kultusministerium.hessen.de/schulsystem/bildungsstandards-kerncurricula-und-lehrplaene/kerncurricula (Zugriff: 23.01.2018)). 11 Die Bildungsstandards der KMK als länderübergreifender Bildungsplan sind in den hessischen Kerncurricula (HKM) berücksichtigt und konkretisiert. Der einzelnen Schule obliegt eine weitere Konkretisierung der Kerncurricula. Sie kann sich für die Entwicklung eines schulinternen Curriculums entscheiden. Solange kein Beschluss der Schule zu einem Schulcurriculum vorliegt, gelten der bisherige Rahmenplan für die Grundschule beziehungsweise die bisherigen
Einleitung | 7
Seit 2005 gibt es eine zunehmende Anzahl an Forschungsprojekten und Publikationen, die sich mit dem Themen Heterogenität, Exklusion und Inklusion12 im schulischen Kontext befassen. Dazu gehören auch die Diskussion rund um die heterogenen sprachlichen Voraussetzungen der Schüler/innen und die Förderung ihres Spracherwerbs, insbesondere des Zweitspracherwerbs, um ihre Teilhabechancen am schulischen (Fach-)Unterricht zu erhöhen. Wie Chlosta und Schäfer (vgl. 2010: 280) festhalten, haben mehrsprachige Schüler/innen nicht primär ein Problem mit den Inhalten und Methoden des Fachunterrichts, sondern damit, dass diese wegen mangelnder sprachlicher Durchdringung nicht oder nur teilweise verstanden werden. Die steigende Zahl der Publikationen zur Förderung der Sprache im Fachunterricht unter besonderer Berücksichtigung der Herkunftssprache, Herkunft13 und Zweitsprache der Schüler/innen zeigt, dass ausgehend von den Bedarfen und Problemen der Lerner/innen versucht wird, didaktisch-methodische Vorgaben für die Sprachbildung im schulischen Unterricht zu entwickeln. Der bildungspolitischen Bewegung auf der einen Seite, hier repräsentiert durch die Standardsetzung der KMK und der Bundesländer, können auf der anderen Seite Forschungsergebnisse und Vorschläge zur Umsetzung von Seiten der Fachdidaktik, im Rahmen dieser Arbeit repräsentiert durch die Fachdiskussion aus der Kunstpädagogik und der Sprachbildung, gegenübergestellt
|| Lehrpläne für die Bildungsgänge der Sekundarstufe I (https:// kultusministerium.hessen.de/schulsystem/bildungsstandards-kerncurricula-und-lehrplaene/lehrplaene (Zugriff: 23.01.2018). 12 ,Inklusion‘ ist ein über die Systemtheorie eingeführter Begriff, der die Einbeziehung von Personen in die funktional ausdifferenzierten Sozialsysteme bezeichnet (Tenorth/Tippelt 2007: 338). Ein Konzept für inklusives schulisches Lernen von Kindern und Jugendlichen versucht die Individuallagen zu berücksichtigen, die unterschiedlichen Kompetenzen und Interessen einzubeziehen und bewusster mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen umzugehen. Der Inklusionsbegriff, der im Rahmen dieser Arbeit verwendet wird, ist weit gefasst. Es geht um Teilhabe am Bildungssystem von allen Schüler/innen, die von Ausgrenzung betroffen sind, sei es aufgrund einer körperlichen Behinderung, ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer Erstsprache. 13 In vielen Publikationsreihen geht es um Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, die mehrsprachig aufwachsen. So gibt es seit 2010 beispielsweise eine Reihe mit Beiträgen aus den Workshops Kinder mit Migrationshintergrund: z. B. 1. Workshop Kinder mit Migrationshintergrund, Spracherwerb und Fördermöglichkeiten (2010) – 12. Workshop Kinder mit Migrationshintergrund Deutsch als Zweitsprache – Erwerb und Didaktik (2016). Seit 2017 ist die fortlaufende Reihe der Workshops umbenannt in Workshop für Deutsch als Zweitsprache, Migration und Mehrsprachigkeit (2017), um den sprachlichen Fokus zu betonen. Der Migrationshintergrund der Schüler/innen bezieht sich oftmals auf die Herkunft ihrer Eltern oder Großeltern und soll für die vorliegende Arbeit nicht in einen Begründungszusammenhang mit den sprachlichen Kompetenzen der Lerner/innen gebracht werden.
8 | Einleitung
werden. Der Bereich der schulischen Bildung definiert, orientiert und konkretisiert sich neu. Beide Seiten wirken sich auf das schulische Lernen und Lehren aus und bewirken Veränderungen, die aufgrund der vielen Faktoren, die auf der Mikroebene des Lernens und Lehrens eine Rolle spielen, schwer zu fassen, zu analysieren und hinsichtlich ihrer Qualität für den Bildungsprozess und das -system zu beurteilen sind. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens werden Fragen gestellt, die durch den bildungspolitischen Wandel hin zu Bildungsstandards und Kompetenzerwartungen verbunden mit einer gleichzeitigen Individualisierung von Unterricht angestoßen sind. Diese Fragen zu beantworten, wird durch die Analyse der Vorgaben auf der Makroebene und der Besonderheiten des Lehrens im Fachunterricht Kunst der Sekundarstufe I auf der Mikroebene versucht. Die aktuelle Umbruchsituation birgt die Chance und gleichzeitig die Herausforderung, die neu eingeführten Bildungsstandards hinsichtlich ihrer Leistungsmöglichkeiten zu hinterfragen und am Beispiel des Kunstunterrichts zu analysieren, inwieweit es unter Bezug auf diese fachdidaktischen Vorgaben möglich ist, die sprachlich heterogenen Lernvoraussetzungen zu berücksichtigen und bei der konkreten Planung und Umsetzung des Kunstunterrichts fachliche und sprachliche Kompetenzen gleichermaßen auszubauen. Wenn Sprachbildung eine Querschnittsaufgabe alle Fächer betreffend ist, dann können und müssen auch die musisch-ästhetischen Fächer wie das Fach Kunst einen Beitrag zum Erwerb der literalen Handlungskompetenzen leisten. Dieser Forderung einerseits auf der theoretisch-analytischen Ebene der Planungsgrundlagen für den Unterricht nachzugehen, andererseits zu konkretisieren, was sie auf der praktischen Unterrichtsebene für den Kunstunterricht am Beispiel der Sekundarstufe I, Klasse 5 bedeutet, ist Gegenstand dieser Arbeit. Zielsetzung der Forschungsarbeit ist, die fachintegrierte Sprachbildung im Kunstunterricht in der Sekundarstufe I, an der Schnittstelle von der Primar- zur Sekundarstufe, zu planen, zu erproben, zu analysieren und zu reflektieren, um Rückschlüsse auf die mögliche und/oder notwendige Sprachbildung im Kunstunterricht zu ziehen. Dazu werden im Theorieteil die fachlichen und damit verbundenen sprachlichen Anforderungen ausgehend von den neuen bildungspolitischen Vorgaben auf der Makroebene analysiert und in Bezug auf den konkreten Unterricht in der 5. Klasse ausgewertet. Zudem werden die Bildungsstandards und die didaktischmethodische Diskussion der Kunstpädagogik rund um die Leistungsmöglichkeiten und vorrangigen fachlichen Ziele des Kunstunterrichts dargestellt, analysiert und in Bezug auf die Vorgaben zur Sprachbildung und die Rolle der Sprache im
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Verhältnis zum Bild durchleuchtet (vgl. Kapitel 1). Ebenso werden dazu die aktuellen Vorgaben des Hessischen Kulturministeriums (HKM) für den Kunstunterricht im Hinblick auf die Rolle der Sprache bei der Vermittlung der Bildkompetenz untersucht, da der Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung an einer hessischen Gesamtschule mit Fünftklässlern geplant und erprobt wurde. Nach dieser Analyse der didaktisch-methodischen Vorgaben zur Kunstvermittlung werden aktuelle Ansätze zur Sprachbildung und -förderung im Fachunterricht vorgestellt (vgl. Kapitel 2). Hinterfragt werden die didaktisch-methodischen Konzepte zur Verzahnung des sprachlichen und fachlichen Lernens in Bezug auf ihre Leistungsmöglichkeiten und Praktikabilität für das Lehren und Lernen im Fach Kunst und insbesondere für die Vermittlung von Kernkompetenzen wie dem Wahrnehmen, Beschreiben und Gestalten aus den Bereichen der Bildrezeption, -produktion und -reflexion. Das Prinzip der durchgängigen Sprachbildung (vgl. Kapitel 2.4.1), Leisens (2010) Ansatz des sprachsensiblen Fachunterrichts (vgl. Kapitel 2.4.2), weitere Vorschläge für sprachintensiven oder sprachaufmerksamen Fachunterricht sowie das Konzept des Scaffolding14 (vgl. Kapitel 2.4.3) werden erläutert und in Bezug auf den Forschungsgegenstand präzisiert. Im Theorieteil werden folglich zwei Gegenstände zueinander in Beziehung gesetzt: Die Prinzipien, Vermittlungsansätze sowie Vorgaben zum Fachunterricht Kunst werden mit den Konzepten und methodischen Vorschlägen zur Sprachbildung im Fachunterricht und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) kombiniert. Um beide Bereiche, die Fachdidaktik Kunst und die (Zweit-) Sprachdidaktik, miteinander zu verzahnen, ist sowohl die grundlegende Analyse der jeweiligen Ansätze für sich genommen als auch in Bezug auf den jeweils anderen notwendig. Diese Form der Betrachtung soll auf der theoretischen Ebene neue Erkenntnisse zu den in Relation gesetzten Gegenständen Kunstpädagogik und Sprachbildung bringen und zur Beantwortung der folgenden Fragen beitragen: – Inwieweit berücksichtigen die auf der Makroebene gesetzten neuen Bildungsstandards für das Fach Kunst die fachintegrierte Sprachbildung? (vgl. Kapitel 1.4; 1.8)
|| 14 Der englische Begriff Scaffolding steht für das „Bauen von Gerüsten“, im Zusammenhang mit der fachintegrierten Sprachbildung und Sprachförderung versteht man darunter das Bauen von Lerngerüsten. Im Kontext von Zweitspracherwerb wird die Metapher des Scaffolding u. a. von Gibbons 2002 verwendet, um ein Unterstützungssystem im (sprachsensiblen) Fachunterricht zu bezeichnen (vgl. Kniffka 2010: 1). Im Teil 2.4.3 werden der Ansatz des Scaffolding nach Gibbons und seine Adaptionsmöglichkeiten für die Vermittlungspraxis im Kunstunterricht beschrieben.
10 | Einleitung
In welchem Zusammenhang und in Bezug auf welche konkreten (fach-) sprachlichen Kompetenzen werden Vorgaben gemacht? (vgl. Kapitel 1.5; 1.6) Was bedeuten diese Vorgaben für die konkrete Unterrichtsplanung – hier für die Sekundarstufe I, Klasse 5? (vgl. Kapitel 1.5; 5.2–5.5) Inwieweit lassen sich die Ansätze zur integrierten Sprachbildung mit der Vermittlung der Kernkompetenzen im Kunstunterricht für Lerner/innen der Klasse 5 vereinbaren? (vgl. Kapitel 5.2–5.4; 5.5) Welche konkreten Planungsgrundlagen, also Prinzipien und didaktisch-methodischen Vorgaben, aus den Bereichen Kunst- und Sprachbildung sowie der allgemeinen Pädagogik bilden die Basis für die Planung und Umsetzung einer Unterrichtseinheit – im Kunstunterricht der 5. Klasse? (vgl. Kapitel 1.8; 2.5; 5.3.2; 5.4.2; 5.5) Wie könnten sich diese Vorgaben unter Voranstellung der fachlichen Prinzipien umsetzen lassen? (vgl. Kapitel 5.2–5.4; 5.5) Wie kann Kunstunterricht nach dem Ansatz des Scaffolding geplant und umgesetzt werden? Welche konkreten Themen, Situationen und Aufgaben eignen sich zur Vermittlung der Bildkompetenz/en in der 5. Klasse? Welche sprachlichen Kompetenzen sind zur Vermittlung der fachlichen Kompetenzen erforderlich? Wie können diese notwendigen sprachlichen Kompetenzen vermittelt werden? Welche Materialien eignen sich zum Aufbau und zum selbstständigen Üben der fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten der Schüler/innen? Die detaillierte Analyse der curricularen und fachdidaktischen Grundlagen soll die bildungspolitischen Forderungen, die Diskussion der jeweiligen Fachwissenschaften und der aktuellen Forschung in den Bereichen Kunstvermittlung und Zweitsprachenvermittlung und integrierte Sprachbildung berücksichtigen. Dies ist eine Herausforderung, denn die Kunstpädagogik, die DaZ-Sprachdidaktik und -methodik sowie allgemeinpädagogische Grundlagen zur Planung von kompetenzorientiertem Unterricht müssen dazu in Relation gebracht werden. Bei der Verzahnung der theoretischen Ebenen ist es zwar das Ziel, von den Leistungsmöglichkeiten des Fachunterrichts Kunst in Bezug auf die Sprachbildung auszu-
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gehen, dabei aber den Kunstunterricht nicht im Hinblick auf Sprachförderzwecke15 auszuwerten. Es geht also nicht darum, zu analysieren und festzuhalten, für welche Möglichkeiten der (Zweit-)Sprachförderung sich bestimmte Handlungsfelder des Kunstunterrichts eignen und so Kunstunterricht zu Sprachförderzwecken16 umzugestalten. Vielmehr soll dargelegt werden, inwieweit sprachliche und fachliche Fähigkeiten integriert zu vermitteln sind, um den Bedarfen der Schüler/innen und den Vorgaben der Bildungsstandards gerecht zu werden. Besonders hervorzuheben ist bei der vorliegenden Forschungsarbeit, dass im Theorieteil zwei Fachrichtungen, nämlich die der Kunstvermittlung sowie die der Sprachbildung oder Zweitsprachenförderung, miteinander verbunden und in Bezug auf ihre Schnittstellen analysiert werden. Dabei wird den Fragen nachgegangen, welche Rolle die Sprache im Kunstunterricht spielen kann und muss und wie Bildkompetenz und Sprachkompetenz zusammenhängen und integriert vermittelt werden können. Diese Ausrichtung und Methodik meiner Forschungsarbeit in Bezug auf die theoretisch-kombinierende Analyse von der Makro- hin zur Mikroebene (Top-down-Prinzip) in Verbindung mit der praktischen Umsetzung von der Mikro- hin zur Makroebene (Bottom-up-Prinzip) ist komplex und kann durch den Abgleich der verschiedenen Perspektiven ein ganzheitlicheres Bild des Forschungsgegenstands, der integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht, ergeben. Die im Theorieteil dargestellten Forschungsergebnisse und daraus abgeleiteten didaktisch-methodischen Vorschläge und Kriterien flossen bei der konkreten
|| 15 Sprachförderung bezeichnet in Abgrenzung zur sprachlichen Bildung gezielte Fördermaßnahmen, die sich insbesondere an Kinder und Jugendliche mit geringeren sozialen Möglichkeiten aber auch Entwicklungsverzögerungen richten, die diagnostisch ermittelt wurden. Die Maßnahmen können in der Schule unterrichtsintegriert oder additiv erfolgen. Sprachförderung ist häufig ausgerichtet auf bestimmte Adressatengruppen und basiert auf spezifischen sprachdidaktischen Konzepten und Ansätzen, die den besonderen Förderbedarf berücksichtigen, wie z. B. Kinder mit Deutsch als Zweitsprache. Sprachförderung erfolgt oftmals in der Kleingruppe, aber nicht zwingend, und hat kompensatorische Ziele (vgl. BMBF 2012: 23). 16 Die Frage, welchen Beitrag der Kunstunterricht zur Förderung der sprachlichen Kompetenzen von leistungsschwächeren Schüler/innen leisten kann, bleibt bewusst unbeantwortet, denn Kunstunterricht ist kein Förderunterricht und es kann auch nicht darum gehen, die spezifischen Methoden der Kunstvermittlung zu Sprachförderzwecken einzusetzen, wie es z. B. Hotz in ihrem Beitrag zu „Deutsch als Zweitsprache im Kunstunterricht“ (vgl. 2011: 209) nahelegt. Dieser von österreichischen Bedingungen ausgehende Sammelbandbeitrag ist eine der wenigen Veröffentlichungen zum Thema Kunstunterricht und DaZ-Sprachförderung im deutschsprachigen Raum. Der Kunstunterricht wird von Hotz aus der Perspektive der Zweitsprachen- und Fremdsprachendidaktik und -methodik u. a. dahingehend untersucht, ob sich spezifische kreative Herangehensweisen der Kunstvermittlung zur Sprachförderung eignen.
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Planung und Umsetzung des Kunstunterrichts in den Schuljahren 2009 bis 2011 ein (vgl. Kapitel 4, 5, Anhang17). Sie bildeten folglich das Fundament für ein von mir durchgeführtes fast zweijähriges, longitudinal angelegtes Projekt nach den Prinzipien der Praxisforschung an der Joseph-von-Eichendorff-Schule (JvES) in Kassel in Hessen. Im Kapitel 5 meiner Arbeit wird auf die Ergebnisse aus dem Bereich der Unterrichtsplanung, -dokumentation und -reflexion aus diesem Projekt zurückgegriffen, um an ausgewählten Unterrichtsstunden aufzuzeigen, wie die Umsetzung der Sprachbildung im Kunstunterricht der fünften Klassen konkret erfolgen kann. Auch wenn nur ausgewählte Ergebnisse aus dem Projekt von 2009 bis 2011 zur Beantwortung der Forschungsfragen herangezogen werden, sollen die Hintergründe und die Vorgehensweise im Folgenden kurz skizziert werden (vgl. Kapitel 4): Die Ansätze zur Sprachbildung im Fachunterricht wurden im Kunstunterricht mit drei Lerngruppen mit mehrsprachig aufwachsenden Schülerinnen und Schülern aus der Förderstufe, Jahrgang 5, erprobt, analysiert sowie reflektiert. Als Kunst-, Deutsch- und DaFZ-Lehrerin für die Haupt- und Realschule sowie das Gymnasium konnte ich dabei auf meine Erfahrung aus dem deutschsprachigen Fachunterricht (DFU) Kunst, Deutsch und Geschichte sowie Landeskunde in der Sekundarstufe I und II an deutschen Auslandsgymnasien in Rumänien, Bukarest (2007–2008) und in Bulgarien, Sofia (2006–2007) sowie aus den Bereichen Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaFZ) an Institutionen für Erwachsenenbildung und dem Kunst- und Deutschunterricht an staatlichen Gesamtschulen und Gymnasien in Deutschland, Kassel (2001–2007 und 2008–2011) zurückgreifen. Angestoßen durch diese praktischen Erfahrungen stellte sich die Frage nach den Umsetzungsmöglichkeiten der integrierten Sprachbildung im Fach Kunst, denen zunächst im Rahmen einer Pilotuntersuchung im ersten Schulhalbjahr 2009/10 durch Unterrichtsbeobachtungen in den Fächern Kunst und Deutsch an der JvES nachgegangen wurde. Sprachstandserhebungen mittels C-Tests und Profilanalysen in der Jahrgangstufe 5 bildeten im Anschluss die Basis für die weitere Planung und Konkretisierung des Vorhabens (vgl. Anhang, Teil 1). Der Kunstunterricht mit einer ersten Probandengruppe mit acht Schülern und Schülerinnen mit nachgewiesenem Förderbedarf erstreckte sich über das komplette zweite Schulhalbjahr 2009/10 und diente der Konkretisierung der Fragestellung
|| 17 Die Datendokumentation aus dem zwei Schuljahre umfassenden Praxisforschungsprojekt, wie z. B. die Resultate der Sprachstandsdiagnosen, die Unterrichtsmaterialien und die Daten zum mündlichen und schriftliche Beschreiben, finden sich im Anhang und können heruntergeladen werden: www.degruyter.com/supplemental/title/573273/Digitaler_Anhang.pdf.
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und Zielsetzung durch die an den neu eingeführten Standards (BDK 2008) sowie an den Vorgaben zur Sprachbildung ausgerichtete Unterrichtsplanung. Die aus der Pilotstudie gewonnenen Erkenntnisse zur Unterrichtsplanung und -durchführung, zum fachlichen und sprachlichen Lernen im Kunstunterricht sowie zur Methodik der Handlungs- oder Aktionsforschung waren die Grundlage für die konkrete Umsetzung des Unterrichts im Schuljahr 2010/11 mit zwei Probandengruppen von jeweils acht Schüler/innen mit ermitteltem sprachlichen Förderbedarf. Die 16 zweisprachig aufwachsenden Schülerinnen und Schüler wurden aus zwei Klassen mit zusammen 50 Schüler/innen ausgehend von Gesprächen mit den Deutsch- und Kunstlehrkräften, von Beobachtungen aus den Hospitationen sowie von den Ergebnissen der Sprachstandsdiagnosen ausgewählt. Von den zirka 39 Wochen im Schuljahr 2010/11 dauerte das Projekt im Rahmen der Hauptstudie 30 Wochen mit jeweils zwei Unterrichtsstunden pro Woche (vgl. Kapitel 5.2). Im Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung ging es darum, die im Theorieteil ausgeführten Konzepte zum Kunstunterricht und zur integrierten Sprachbildung zu erproben, dabei den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gerecht zu werden und im Verlauf zu dokumentieren, welche Vorgehensweisen zur Unterstützung der Schüler/innen angemessen sind. Der Praxisteil meiner Arbeit (vgl. Kapitel 5) zur fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht, zur Vorstellung der Unterrichtsreihe aus dem Schuljahr 2010/11 und der Analyse von ausgewählten Unterrichtssequenzen wird eingeleitet durch eine Darstellung der organisatorischen Rahmenbedingungen der Arbeit an der Gesamtschule, darauf folgt eine Beschreibung der beiden Lerngruppen aus der Hauptstudie (vgl. Kapitel 5.1). Im Anschluss folgt eine Darstellung der Unterrichtseinheit „Der gedeckte Tisch“ als Überblick zu den 30 Unterrichtsstunden in Kurzform (vgl. Kapitel 5.2), sodass die in den Anschlusskapiteln 5.3 und 5.4 zur ausführlichen Dokumentation und Analyse ausgewählten Unterrichtsstunden in den Gesamtverlauf der Einheit eingeordnet werden können. Die Basis für die im Kapitel 5 dokumentierte Planung und Umsetzung der Praxisforschung im Fach Kunst bilden die Kriterien zur fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht, die aus den theoretischen Ausführungen zur Kunstpädagogik (vgl. Kapitel 1.8), zur fachintegrierten Sprachbildung (vgl. Kapitel 2.5) und zur Pädagogik (vgl. Kapitel 3) abgeleitet wurden. Die in Tabellen dargestellten Kriterien dienten nicht nur als didaktisch-methodische Planungsgrundlage für den Kunstunterricht mit den Fünftklässlern, sondern sie wurden auch zur Begründung der Auswahl der Unterrichtsstunden in den Kapiteln 5.3 und 5.4 herangezogen.
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Die Umsetzung des Kunstunterrichts mit integrierter Sprachbildung wird anhand von zwei Unterrichtssequenzen mit den Schwerpunkten Bildrezeption (vgl. Kapitel 5.3) und -produktion (vgl. Kapitel 5.4), den Kernbereichen des Kunstunterrichts, exemplarisch dargestellt und analysiert. Die konkrete Untersuchung soll durch die Verbindung zu den im Theorieteil dargelegten konzeptionellen Grundlagen vertieft werden und Aufschluss über die (fach)sprachlichen Bildungsprozesse auf der Mikroebene geben. Die Analyse, Reflexion und Diskussion dieser Unterrichtssequenzen erfolgt einerseits unter Berücksichtigung der vorangestellten Forschungsfragen, andererseits der genannten Kriterien (vgl. Kapitel 5.5). Um die Perspektive des Lehrens im Kunstunterricht um die des Lernens zu ergänzen, werden die fachlichen und sprachlichen Lernchancen im Rahmen der Reflexion der ausgewählten Unterrichtsstunden durch die exemplarische Analyse von Produkten der Fünftklässler dargestellt und begründet. Es handelt sich dabei um Ergebnisse aus den praktischen Phasen des Kunstunterrichts, z. B. zu den Ausdrucksmöglichkeiten der farblichen Gestaltung (vgl. Kapitel 4; 5.3.3; 5.4.3 & Anhang). Die Herausforderung der Dokumentation und Analyse des Kunstunterrichts im Praxisteil besteht zum einen darin, einen Überblick über die zweijährige Unterrichtspraxis und die Zusammenhänge der fachlichen und sprachlichen Bildung zu geben, und zum anderen durch eine exemplarische Detailanalyse der Konzepte und Verfahren des Lehrens und Lernens auf der Mikroebene Rückschlüsse auf die Notwendigkeit und Praktikabilität der Sprachbildung im Fachunterricht in Bezug zur Planungsebene, also zur Makroebene, zu ziehen. Dabei geht es darum aufzuzeigen, wie Unterrichtsstunden und -materialien zum fachlichen und sprachlichen Kompetenzaufbau im Sinne der Ansätze der Kompetenz- , Aufgaben- und Handlungs- sowie Produktionsorientierung gestaltet werden können, wie diese im konkreten Unterricht entsprechend den Ansätzen zur integrierten Sprachbildung eingesetzt werden können und wie die Lerner/innen mit diesen Materialien umgehen. Durch den Einbezug der verschiedenen Perspektiven, sowohl auf der Theorie- als auch auf der Praxisebene, gewinnen die Untersuchungsergebnisse (vgl. Kapitel 5.5 & Fazit) einerseits an Tiefe, andererseits sind die vielen Parameter, die bei der Ergebnisdarstellung nicht berücksichtigt werden können, auch dafür verantwortlich, dass sich zahlreiche neue Fragen zur fachintegrierten Sprachbildung ergeben, die im Rahmen dieses Vorhabens nicht beantwortet werden können. Zum einen ist die Dauer der Erprobung in der Praxis, zum anderen der Einbezug sowohl der Ebene des Lehrens als auch der Lernergebnisse und die Verbindung der verschiedenen Ebenen mit der Theorie für die Komplexität der Forschungsarbeit verantwortlich.
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Ungeachtet des Umfangs und der Dauer des Projekts werden nur ausgewählte Daten zu den Schüler/innen und ihren fachlichen Leistungen zur Analyse und Reflexion herangezogen. Der Schwerpunkt des Theorie- und Praxisteils liegt im Bereich des Lehrens, also der Planung und Umsetzung des Kunstunterrichts, insbesondere der Materialentwicklung für einen sprachsensiblen Kunstunterricht, und die Schlussfolgerungen zur Sprachbildung im Fachunterricht Kunst beziehen sich folglich auf diesen Bereich. Da bislang jedoch keine Untersuchungen zur Umsetzung der integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht vorliegen, können die Gegenüberstellung und Zusammenführung der Perspektiven der Fachdidaktik Kunst und der (DaZ-) Sprachdidaktik sowie die Ableitung von Prinzipien für eine integrierte Sprachbildung im Fach Kunst im Theorieteil und ihre Erprobung in der Praxis als Basis für weitere Forschungsvorhaben dienen. Die Bildungspotentiale des Kunstunterrichts auszuloten und im Hinblick auf den notwendigen und möglichen Ausbau der sprachlichen Kompetenzen zu konkretisieren, indem der Kunstunterricht in der Jahrgangstufe 5 geplant, durchgeführt, dokumentiert und reflektiert wird, leistet einen Beitrag zur Aufwertung der kulturell-ästhetischen Bildung im schulischen Kontext. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit lenken den Blick ebenfalls auf den spezifischen Bildungsbeitrag des Faches Kunst zur gesellschaftlichen Teilhabe und die Rolle, die die Sprachbildung dabei spielen kann und sollte.
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Planungsgrundlagen für den Kunstunterricht
1 Kunstunterricht: Didaktisch-methodische Grundlagen 1.1 Gegenstände und Potentiale des Kunstunterrichts Die Kunstpädagogik leistet einen wesentlichen Beitrag zur Kulturellen Bildung, einer Bildung zur kulturellen Teilhabe, also zur Partizipation am künstlerischen und kulturellen Geschehen einer Gesellschaft im Besonderen und an ihren Lebens- und Handlungsvollzügen im Allgemeinen (vgl. Ehmer 2009). Der Diskussion um die Rolle und Bedeutung der kulturell-ästhetischen Bildung für die jetzige und zukünftige Gesellschaft wird ausgehend von der Umstrukturierung der schulischen Bildung, der Formulierung von überprüfbaren Qualitätsstandards sowie der Diskussionen um die Neugestaltung von Lehrplänen mit Kompetenzformulierungen18 von Seiten der Bildungspolitik zunehmend mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei ist die Frage des Beitrags der kulturellen Bildung zur Förderung von Kompetenzen wie der technischen, aber auch der Kreativität, Denkfähigkeit, Verhaltens- und sozialen Kompetenzen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, wie der OECD-Bericht zum Thema Kulturelle Bildung „Kunst um der Kunst Willen? Ein Überblick“ zeigt (vgl. Winner/Goldstein/Vincent-Lancrin 2013: 3–5). Die Kultusministerkonferenz (vgl. KMK 2013: 2) hebt hervor, dass Kulturelle Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen unverzichtbar ist: „Sie verbessert die Bedingungen für eine gelingende Bildungsbiografie und ermöglicht den Erwerb kognitiver und kreativer Kompetenzen. Sie trägt zur emotionalen und sozialen Entwicklung aller Heranwachsenden und ihrer Integration in die Gemeinschaft bei und ist somit Grundbedingung kultureller Teilhabe.“ (KMK 2013: 2) Eines der übergreifenden Ziele der Kulturellen Bildung19 ist || 18 Kompetenz/en bezeichnet, was eine Person in bestimmter Weise kann. Sie werden als Fähigkeit und Bereitschaft zu einer Handlungsweise formuliert, deren Ausprägungsgrad am Ende einer Lernsequenz evaluiert werden kann. Kompetenzformulierungen dienen der ergebnisorientierten Ausrichtung des Lehrens und Lernens. Kompetenzorientierte Curricula werden deshalb als evidenzbasierte Weiterentwicklung von stoff- und inhaltsorientierten Bildungsplänen gesehen. In deutschen Schullehrplänen werden domänenspezifischen Kompetenzen zu Bildungsstandards zusammengefasst. Darüber hinaus weisen neuere Lehr- und Bildungspläne auch domänenüberschreitende bzw. fächerübergreifende Kompetenzen aus (vgl. Rekus/Mikhail 2013: 173). 19 Die Kulturpädagogik und somit auch der Begriff der Kulturellen Bildung sind vergleichsweise jung: Erst 1976, ausgehend von Initiativen und Suchbewegungen der Pädagogik der 70er Jahre, die sich von der damaligen „musischen Bildung“, der Musik- und Kunsterziehung der 50er und 60er Jahre abgrenzen wollten, wurde die Kulturpolitische Gesellschaft (KuPoGe) begründet. Das https://doi.org/10.1515/9783110687026-002
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das Bilden mit und durch Kunst, um kulturelle Angebote zu nutzen und so Kunst bewusst wahrzunehmen und zu erleben. Die bildenden Künste „sind in der Kulturellen Bildung ein Reflexions-, Kommunikations- und Gestaltungsmittel, um die Welt als Ausdruck menschlicher Kultur wahrzunehmen und sie mit kreativer und sozialer Phantasie neu zu deuten, sie sinnlich-konkret zu begreifen und zu verändern.“ (vgl. Bockhorst 2011: 231; zit. nach Bockhorst 2013: 317) Die OECD hat in ihrer Metaanalyse „Kunst um der Kunst Willen?“ (vgl. Winner et al.: 2013) die genannten Leistungsmöglichkeiten der Kulturellen Bildung kritisch hinterfragt und dazu die Ergebnisse verschiedenster Studien aus den Bereichen Kunst, Musik und Theater der letzten 30 Jahren herangezogen. Die Ausgangsfrage war, ob die Annahme, dass Kulturelle Bildung Kreativität und möglicherweise andere, Innovation begünstigende Kompetenzen fördere, zu belegen sei. Kulturelle Bildung, damit eingeschlossen auch der Bereich der Bildenden Kunst, wird in vielen Zusammenhängen als ein Mittel zur Förderung von nichtkünstlerischen Kompetenzen und Einstellungen genannt. Die Annahme, dass sie Leistungen in Fächern wie z. B. Mathematik oder Kompetenzen wie das Lesen fördere und das Selbstvertrauen, die akademische Motivation und die Fähigkeit der effektiven Kommunikation und Kooperation steigere, wird zur kulturpolitischen und -pädagogischen Begründung des Werts für die Gesellschaft herangezogen. Die OECD-Metaanalyse (vgl. Winner et al. 2013: 3), die den aktuellen Stand des empirisch belegbaren Wissens zur Wirkung der Kulturellen Bildung zusammenfasst, kommt in Bezug auf die Transferleistungen der Kulturellen Bildung für Kompetenzen außerhalb der Künste zu dem Schluss, dass die Auswirkung „auf andere nicht-kulturelle Kompetenzen und auf Innovation am Arbeitsmarkt nicht unbedingt die wichtigste Rechtfertigung für die Kulturelle Bildung in den heutigen Lehrplänen“ sei (ebd. 23). Denn Kulturelle Bildung spielt in den Grund- und Sekundarschulen eine zweifache und insofern wichtige Rolle: Kulturelle Erziehung verleiht den Schüler/innen eine bestimmte Form der Bildung und ein gewisses Maß an technischen Kompetenzen in den Künsten und bietet ihnen zudem ein gewisses Verständnis für diesen Bereich. Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen schlussfolgern Winner, Goldstein und Vincent-Lancrin (vgl. 2013: 23), dass die Künste allen Kindern eine andere Art des Verstehens als die Naturwissenschaften und andere akademische Fächer bieten, da sie ein Umfeld ohne
|| damalige Motto lautete „Kultur für alle und Kultur von allen“ und Ziel war es, die entsprechenden Bildungschancen und Zugänge zum Erleben von Kultur zu schaffen. Daraus entstand eine neue Diskursszene, die bis heute Akteure im Feld von Kunst und Kultur, Bildung und Erziehung verbindet (vgl. Zacharias 2001: 57).
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richtige und falsche Antworten darstellen. Sie geben den Schülern und Schülerinnen die Freiheit zu erforschen und zu experimentieren und sind ein Ort, an dem man sich selbst begegnen und seinen persönlichen Sinn finden kann. Auch aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung für alle Kulturen sind sie ein zentraler Bestandteil des menschlichen Erlebens. Selbst wenn empirische Einzelstudien (Transfer-)Effekte der Kulturellen Bildung nachweisen – z. B. ergab eine experimentelle Studie zur Bildenden Kunst, dass das Erlernen der genauen Bildbetrachtung von Kunstwerken die Fähigkeit, wissenschaftliche Abbildungen zu betrachten, zu verbessern scheint – handelt es sich um Einzelergebnisse, die sich zur Begründung des Potentials der kulturellen Pädagogik, z. B. für kreatives und kritisches Denken, schwerlich heranziehen lassen. Die Autoren der OECD-Metaanalyse (vgl. Winner/Goldstein/Vincent-Lancrin 2013: 15) bemängeln, dass es vielen empirischen Studien an Reflexion darüber mangelt, weshalb und wie gewünschte Effekte Kultureller Bildung erzielt werden könnten. Dazu ist ein starker theoretischer Rahmen notwendig, der die Kompetenzen, die in dem künstlerischen Bereich erworben werden können, darstellt und analysiert (vgl. ebd. 15). Der Bildungsbericht 2012 der KMK und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) befasst sich ebenso wie die OECD-Metaanalyse mit dem Schwerpunkthema der Kulturellen Bildung. Die Autoren weisen explizit auf die Notwendigkeit dieses Ausbildungsbereiches für den Lebenslauf hin: „In einer Welt, deren soziale, politische und ökonomische Prozesse von einer Fülle ästhetischer Medien geprägt werden, wird kulturelle/musisch-ästhetische Bildung zu einer wichtigen Voraussetzung für autonome und kritische Teilhabe an Gesellschaft und Politik.“ (KMK 2012: 157) Im oben genannten Bildungsbericht (vgl. KMK/BMBF 2012) werden die Möglichkeiten der formalen und non-formalen kulturell-ästhetischen Bildung je nach Schulstufe und Alter basierend auf empirischen Forschungsergebnissen erläutert. In Bezug auf musisch-ästhetischen Unterricht an weiterführenden Schulen sind die Umstrukturierung an Gymnasien mit einer umfänglichen und damit verbunden inhaltlichen Reduzierung des Angebotes sowie ein Fachkräftemangel, insbesondere an den Gesamt- oder Hauptschulen, Gründe dafür, dass die Möglichkeiten zu einer fundierten kulturell-ästhetischen Ausbildung zurückgegangen sind. Diese Ausstattungsunterschiede an den verschiedenen Schulformen tragen zu sozial unterschiedlichen Gelegenheitsstrukturen für die kulturelle Bildung bei: „Insofern scheint es in Zukunft wichtig, den strukturellen Selektionseffekten bei der kulturellen/musisch-ästhetischen Bildung der Schülerinnen und Schüler mehr Aufmerksamkeit zu widmen.“ (KMK/BMBF 2012: 197) So nehmen Kinder und Jugendliche mit geringer sozioökonomischer Unterstützung seltener an kulturellen, musisch-ästhetischen Aktivitäten teil: „Bei den
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eher rezeptiven Formen kultureller Betätigung zeigt sich, dass 13- bis unter 25jährige Jugendliche mit niedrigem sozioökonomischen Status und/oder mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil (1. und 2. Generation) deutlich seltener Theater, Konzerte oder Museen besuchen [...]“. (KMK/BMBF 2012: 165) Im Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ (vgl. Deutscher Bundestag/Enquete-Kommission 2007: 383) wird festgehalten, dass gerade die allgemeinbildende Schule, Primar- und Sekundarstufe I, aufgrund der Schulpflicht die einzige Einrichtung ist, die allen Kindern den Zugang zur Kulturellen Bildung eröffnen kann. Dieser Bildungsauftrag und die damit verbundenen Chancen sind im Rahmen der Curricula formuliert. In der Praxis, so die EnqueteKommission (vgl. Deutscher Bundestag/Enquete-Kommission 2007: 384), ist zu beklagen, „dass die künstlerisch-musischen Unterrichtsstunden überproportional häufig ausfallen, dass sie allzu oft fachfremd unterrichtet werden und dass sich die Schüler in mehreren Klassenstufen zwischen dem Kunst- und Musikunterricht zu entscheiden haben. [...] Kulturelle Bildung hat ein Umsetzungsproblem.“ Verkürzungen der Schulzeit oder der Mangel an Fachkräften geht zulasten der Kulturellen Bildung. Zwar belegten empirische Studien, dass das Elternhaus und soziale Umfeld der Jugendlichen einen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob die Kinder und Jugendlichen künstlerisch-musischen Aktivitäten in ihrer Freizeit nachgehen (vgl. ebd. 384), aber gerade in Bezug auf die Ermöglichung von Zugängen für alle Schüler/innen ist es wichtig, dass sie alle Facetten der kulturellen Bildung kennenlernen, was die aktive als auch die rezeptive Beschäftigung mit den Künsten betrifft.20 Die Enquete-Kommission hat sich mit einigen Aspekten der Kulturellen Bildung vertiefend befasst. Dazu gehört u. a. die Entwicklung der Sprachkultur in Deutschland. Sie bemängeln einen „Verlust an Sprachniveau, schrumpfenden
|| 20 Vorweggenommen sei an dieser Stelle passend eine kurze Erläuterung zu den Freizeitaktivitäten der Proband/innen, um die theoretischen Überlegungen zu konkretisieren (vgl. Kapitel 5.1): Schüler/innen der Klasse 5, mit denen im Rahmen der Hauptstudie gearbeitet wurde, hatten den Auftrag bekommen, schriftlich zu beschreiben, welchen Aktivitäten sie am Nachmittag und Abend nachgehen. Viele der Schüler/innen sind aufgrund der Berufstätigkeit der Eltern am Nachmittag allein zu Hause und warten bis zum frühen Abend auf ihre Eltern. Sie gaben an, dass sie am Nachmittag fernsehen würden und konnten eine Reihe von Serien aufzählen, die sie an den jeweiligen Wochentagen schauten. Nachfragen in Gesprächsrunden ergab, dass einige am Nachmittag das Freizeitangebot in gemeinnützigen Einrichtungen nutzten und dort die Gelegenheit hatten, an Spiel- und Kreativnachmittagen teilzunehmen. Doch diese Kinder waren in der Minderheit. Weitere Befragungen und Gespräche bestätigten die Annahme, dass wenige Kinder der Versuchsgruppen in ihrer Freizeit aktiv kulturell-musischen Aktivitäten nachgingen.
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Wortschatz und [...] generelle Unlust an der an der deutschen Sprache“ (Deutscher Bundestag/Enquete-Kommission 2007: 384), was u. a. durch die Entwicklung und verstärkte Nutzung der elektronischen Medien verursacht wird. Dies führt zu einem Verlust an geistiger Substanz und kultureller Identität (vgl. ebd.: 384). Darüber hinaus, so die Enquete-Kommission (vgl. ebd.: 384), kommt die poetisch-emotionale Qualität von Sprache in der Schule gegenüber ihrer informativen Funktion zu kurz. Sie fordert daher, dass Sprache im schulischen Kontext auch auf spielerisch-kreative Weise zu vermitteln ist, um die Freude an der Sprache zu erhalten und zu erweitern (vgl. ebd. 385). Diese Forderung in Bezug auf die Kulturelle Bildung legt nahe, dass gerade die kreativ-aktive Sprachbildung nicht nur eine Aufgabe, sondern auch ein besonderes Potential der musisch-ästhetischen Bildung ist. Die kulturell-ästhetischen Erfahrungen im Kunstunterricht leisten einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und bilden eine Grundlage für die weitere Teilhabe an verschiedenen kulturellen Aktivitäten im Erwachsenenalter. Gerade deshalb ist es notwendig, das Lernpotential des Kunstunterrichts fundiert zu erörtern und insbesondere in Bezug auf die dazu notwendige Sprachbildung zu hinterfragen. Dabei sollte dies nicht im Zusammenhang mit möglichen Transfereffekten des kreativ-aktiven Lernens im Kunstunterricht für die (Zweit-)Sprachenförderung geschehen, denn Kunstunterricht ist kein Förderunterricht, vielmehr soll die Sprachbildung als integraler Bestandteil des Kunstunterrichts gesehen und ausgehend von den fachlichen Möglichkeiten betrachtet, analysiert und bei der Unterrichtsplanung und -durchführung berücksichtigt werden.21 Aus den Ergebnissen des Bildungsberichtes (2012) und der Metaanalyse der OECD (2013) lässt sich ableiten, dass es zielführend ist, in den musischen Fächern wie Kunst das Verständnis für Kulturelle Bildung zu wecken. Angesichts der zunehmenden Dominanz bildgebundener Informationen, die die Wirklichkeitskonstruktion heutiger Menschen immer mehr bestimmen, ist es die Aufgabe der Schule, insbesondere des Kunstunterrichts, das Vermögen, mit Bildern sachgerecht umzugehen, zu vermitteln:
|| 21 In Kapitel 2 der konzeptionellen Grundlagen dieser Untersuchung wird auf die Begriffsdefinition von Sprachbildung und -förderung eingegangen. Vorweggenommen sei, dass sprachliche Bildung als Aufgabe aller Bildungsinstitutionen angesehen wird, die aber nicht beiläufig, sondern gezielt verläuft und einen Aufgabe des Unterrichts in allen Fächern ist. Sprachförderung bezeichnet in Abgrenzung dazu gezielte Fördermaßnahmen, die sich insbesondere an Schüler/innen mit besonderen Schwierigkeiten richten, die diagnostisch ermittelt wurden. Diese Maßnahmen können in den Unterricht integriert werden oder additiv erfolgen. Sprachförderung hat kompensatorische Ziele (vgl. Baumann/Becker-Mrotzek 2014: 10).
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Die Vermittlung von Kompetenzen, die ein qualifiziertes Umgehen mit Bildern, ihr angemessenes Wahrnehmen sowie ein Verstehen ihrer Eigenarten, Zusammenhänge und Wirkungen ermöglichen, gehört zu den wichtigen fachlichen Bildungsaufgaben des Kunstunterrichts. Subsumieren lassen sich die dafür notwendigen (fachlichen) Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen unter dem Begriff Bildkompetenz bzw. der Bildkompetenzen. (Niehoff 2010: 23)
Im Folgenden werden Gegenstände und die Vermittlungsansätze des Lehrens und Lernens rund um das Bild und die Lernpotentiale des Kunstunterrichts ausgehend von der Fachdiskussion in der Kunstpädagogik dargestellt. Die Erörterung der fachdidaktischen und -methodischen Aspekte des Faches Kunst bilden das Fundament für die Planung und Umsetzung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht.22
1.2 Kunstpädagogische Grundlagen: Vermittlungsansätze Vorstellungen von Schule und Unterricht werden durch das Erwartete sowie das Unerwartete bestimmt: Schule sollte effizient sein und ihre Effizienz stellt sich dadurch ein, dass ein geplantes Vorgehen Ergebnisse entsprechend der zuvor gesetzten Ziele hervorbringt. Anhand dieser Ergebnisse könne man die Effizienz des Unterrichts messen und das System schließlich beurteilen. Allerdings sind unterrichtliche Situationen dadurch gekennzeichnet, dass sie oft unvorhersehbar verlaufen (vgl. Busse 2008: 27). Gründe dafür, dass die an den Vorgaben orientierte Planung in der Praxis oft zu unerwarteten Ergebnissen führt, sind die zahlreichen, sich überschneidenden, gegenseitig beeinflussenden Faktoren, die das Lehren und Lernen bestimmen (vgl. Kapitel 3). Die KMK-Bildungsstandards und die damit verbundene Formulierung von zu erwartenden Kompetenzen, beispielsweise in den Kerncurricula (vgl. HKM 2010 & HKM 2011), haben zu einer Umstrukturierung der Bildungspläne auf Bundesund Landesebene geführt. Auch wenn die neu definierten Kompetenzerwartun-
|| 22 Die Autoren der OECD-Metaanalyse (vgl. Winner/Goldstein/Vincent-Lancrin 2013: 15) bemängeln, dass es vielen empirischen Studien an Reflexion dazu fehlt, weshalb und wie gewünschte Effekte Kultureller Bildung erzielt werden könnten. Die ausführliche Darstellung und Analyse der Planungsebene (A) sollen die Begründung für die kunstpädagogisch-sprachbildende Planung und Umsetzung sein und ihre möglichen Auswirkungen im Unterricht aufzeigen. Dabei werden die Vorgaben von der obersten Ebene (Diskussionen und Forschungsergebnisse der Kunstpädagogik sowie BDK-Standards) bis hin zu den konkreten schulischen Vorgaben für die Klasse 5 hinterfragt (Top-Down).
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gen nun die Planung und konkrete Umsetzung von (Kunst-)Unterricht maßgeblich bestimmen sollen, sind unerwartet verlaufende Prozesse und nicht konkret bestimmbare, kreativ umgesetzte Produkte ein zentrales Merkmal des Lehrens und Lernens. Lehrer/innen sind gefordert, Lernprozesse vorauszusehen, mit der Heterogenität und den vielen Befindlichkeiten im Klassenraum umzugehen und dies und vieles mehr bei ihrer Planung zu berücksichtigen. Gleichzeitig sollen sie die staatlichen Vorgaben der Bildungspläne in Bezug auf die Jahrgangsstufe/n und auf die Voraussetzungen ihrer spezifischen Lerngruppe/n deuten und daraus konkrete Ziele für die Gruppe und für die einzelnen Schüler/innen ableiten. Bei durchschnittlich 26 Unterrichtsstunden pro Woche in der Sekundarstufe I bedeutet dies den Unterricht für zehn bis 13 Lerngruppen mit 25 bis 33 Schüler/innen so zu planen, dass Voraussetzungen und Bedingungen des Lernens berücksichtigt werden, alle mit der jeweiligen Unterstützung die Ziele erreichen und ihre neu erworbenen Kompetenzen in den Prozessen und Produkten des Lernens zeigen. Die Lehrkraft gibt den zirka 300 Schüler/innen dazu Rückmeldung, indem sie ihre mündlichen, schriftlichen oder künstlerisch-praktischen Leistungen durch schriftliches und mündliches Feedback und Noten beurteilt. Das Lernen in erwartbare und geplante Bahnen und damit zu dem vorgegebenen Output zu lenken, ist dabei oft durch Erwartungsenttäuschungen auf beiden Seiten, denen der Lehrkraft und denen der Schüler/innen, gekennzeichnet.23 Die aktuellen Bildungsstandards und Kerncurricula haben den Blickwinkel vom Input zum Output, zu den zu erbringenden lernzeitbezogenen Kompetenzen, gelenkt. Diese sind in ihrer Auslegung und Umsetzung offener als die vorigen inhaltsorientierten Lehrpläne, sodass der Schule und der einzelnen Lehrkraft Spielraum bei der Auswahl der Inhalte bleibt. Allerdings führen Vergleichsarbeiten sowie die Vorgaben zu den Abschlussprüfungen für die Kernfächer diese Freiheiten in der Gestaltung und Auswahl faktisch ad absurdum.
|| 23 Oevermann (1996: 148) und Helsper und Böhme (2004: 65) betonen die Differenzen des Lehrer/innenhandelns, die sich aus der widersprüchlichen Einheit von spezifischen und diffusen Sozialbeziehungen im pädagogischen Handeln ergeben und zu einer hohen Belastung führen. Diese Spannungen ergeben sich beispielsweise durch die professionelle Begründungpflicht auf der einen Seite und den situativ begründeten, oft in Bezug auf ihre Wirkung ungewissen Entscheidungen auf der anderen Seite. Oder aber dem professionellen Vermittlungsversprechen einerseits und dem Erfolgsrisiko der pädagogischen Intervention andererseits oder einfach nur aus der Spannung, die sich aus dem Distanz-Nähe-Verhältnis von Lehrer/innen und Schüler/innen ergibt (vgl. Oevermann 1996; zit. nach Baumert/Kunter 2006: 479).
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Die Bedingungen des schulischen Lehrens und Lernens in Bezug auf das komplexe Faktorengefüge haben sich trotz der Ausrichtung an Bildungsstandards nicht wesentlich verändert.24 Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn man versucht, die Qualität von schulischer Bildung zu messen und Aussagen zur Qualität des einen oder anderen Vermittlungsansatzes mit Hilfe von empirischer Bildungsforschung zu treffen. Denn die Komplexität der Praxis des Lehrens und Lernens ist aufgrund der Wechselwirkung der verschiedensten, miteinander verflochtenen Faktoren und der Anzahl der daran beteiligten Akteure nur schwer erfassbar. Das Fach Kunst ist im Vergleich zu den Kernfächern zum einen aufgrund seiner Bezugsgröße – der Kunst –, als auch aufgrund seiner Randposition im Fächerkanon von der Standardisierung zwar betroffen, aber hinsichtlich der zu erbringenden Vermittlungsleistungen weniger durch Vergleichsarbeiten und Tests reglementiert und somit in der Planung und Umsetzung (noch) offener als die Kernfächer. Diese Offenheit heben Kunstpädagogen als Qualitätsmerkmal hervor: „Kunst sei per se offen und das Ereignis um sie herum unkalkulierbar. [...] Zwar wollen manche Mitglieder des Betriebssystems ‚Kunst‘ [...] dieses Unerwartete in erwartbare Bahnen lenken (wenn sie in Katalogen oder Artikeln Deutungsvorgaben für Kunstwerke machen), dennoch bleibt der Geruch des Offenen, Unklaren, Subjektiven und Unvorhersehbaren im Raum.“ (Busse 2008: 28) Wenn man den Vermittlungsanspruch der Kunstpädagogik jedoch ernst nimmt, dann gilt laut Busse (vgl. 2008: 29), einerseits „das Unvorhersehbare in pädagogischen Situationen vorhersehbar zu machen“, andererseits „das Unvorhersehbare in den Dienst bildungs- und kulturpolitischer Ideen zu stellen“ (vgl. Busse 2008: 29). Denn nur in der konkreten Umsetzung kann das in der kunstpädagogischen Diskussion behauptete Leistungsspektrum des Kunstunterrichts hinsichtlich seiner Wirkung hinterfragt und erforscht werden.25
|| 24 So sind beispielsweise die Richtzahlen für die Klassenbildung schon seit Jahren mehr oder weniger unverändert und rangieren zwischen einer minimalen Zahl von 15 bis hin zu einer Maximalzahl von 30 Schüler/innen pro Klasse. An den Gymnasien im Stadtraum Kassel sind die 5. und 6. Klassen der Förderstufe z. B. mit bis zu 30 Schüler/innen gefüllt, was den Umgang mit den heterogenen Lernvoraussetzungen zu einer kaum zu bewältigenden Herausforderung macht. Dazu kommen die durch die Umstrukturierungen im Zuge der Inklusion erhöhten Anforderungen im Bereich der individuellen Förderung und dem Umgang mit Beeinträchtigungen der Schüler/innen. 25 Kunstpädagogen wie Peez (vgl. 2008: 171) warnen jedoch davor, bei der empirischen Untersuchung kunstpädagogischer Wirksamkeit von der empirischen Forschung Wahrheiten zu erwarten und sie führen dazu an: Die empirische Unterrichtsforschung „kann streng genommen nichts nachweisen, belegen oder beweisen. Das wäre vermessen.“ Peez (vgl. 2008: 171–172)
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Im Folgenden geht es darum, dieses Leistungsspektrum im Zusammenhang mit den kunstpädagogischen Ansätzen und Forderungen zu erörtern und zu beleuchten, welche Rolle die Sprachbildung ausgehend von den kunstpädagogischen Diskursen spielen kann und sollte: In einer Kultur, die in hohem Maße durch Bilder geprägt ist und in der Bilder zunehmend wichtiger werden, bedeutet eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Bildung heute ein Lernen in und mit Bildern. Lieber (vgl. 2011) erklärt, dass das Aufwachsen von Kindern in unserer Gesellschaft heute nicht angemessen beschreibbar ist, ohne den Einfluss der Medien zu berücksichtigen. Die Begegnung mit Bildern aller Art bestimmt in der Mediengesellschaft die Sozialisation. Mit der weltweiten Expansion der digitalen Medien und deren bildgebenden Verfahren sind Bilder in unserem Alltag omnipräsent. Klinker und Niehoff (2015) fordern daher in der Stellungnahme des Bunds Deutscher Kunsterzieher (BDK): „Kinder und Jugendliche müssen dazu befähigt werden, Bilder und deren Zusammenhänge in alltäglichen und herausgehobenen kulturellen Zusammenhängen angemessen zu verstehen. Vor allem die Aufgabe des Kunstunterrichtes ist es, entsprechende Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln! Nur im Kunstunterricht steht das Bild als Bild im Zentrum aller Lernprozesse.“ Lieber (vgl. 2011) fordert, Bildliteralität, also das Dekodieren von Bildern, zu dem eine Vielzahl von Kompetenzen notwendig sind, als gleichberechtigte Schlüsselqualifikation neben der schriftsprachlichen Literalität zu betrachten. Angesichts der Bedeutung der Bilder in den Medien und ihrer Omnipräsenz und der daraus resultierenden Notwendigkeit, sich in der durch die Bilder repräsentierten kulturellen Vielfalt zurechtzufinden, ist die Reduzierung des kunstpädagogischen Angebots in der Sekundarstufe I26 sowie die Verlagerung des Angebots auf die Nachmittage nicht nachvollziehbar. Denn im Rahmen des Kunstunterrichts kann die Sensibilität für die Bilderwelt entfaltet und die Imaginationskraft der Schüler/innen und ihre Kreativität gefördert werden. Gerade das gestaltende Tun und die rezeptive Auseinandersetzung mit anderen Kulturwelten im Fach Kunst, können zur „Vermittlung von kultureller Identität in einer globalen Welt“ führen (vgl. Bering et al. 2006: 32).
|| schlägt stattdessen vor, Kunstunterricht mittels der qualitative Empirie en détail zu rekonstruieren und durch die Beschreibung und Deutung Aussagen zur Wirksamkeit zu gewinnen (vgl. Kapitel 5.3; 5.4). 26 An den weiterführenden Schulen in Hessen haben die Schüler/innen in den Jahrgangsstufen 5 und 6 Musik und Kunst, in Klassen 7, 8, 9 und 10 haben sie ästhetisch gesehen die Wahl zwischen „Taubheit“ und „Blindheit“ (vgl. Deutscher Bundestag/Enquete-Kommission 2007: 384).
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Der Begriff Bild wird in den meisten kunstpädagogischen Ansätzen und auch im Zusammenhang mit den Ausführungen dieser Arbeit als erweiterter Bildbegriff verwendet und bezeichnet in diesem Sinne alle gestalteten Objekte, Prozesse und Situationen: So sind Bilder aus der Alltagskultur inbegriffen sowie Kunstwerke aus den verschiedensten Bereichen wie Skulptur, Plastik, Malerei, Grafik, Fotografie, Film, Installation, Performance, innere Bilder wie sie z. B. durch die „Konzept Art“ hervorgerufen werden und auch weitere Gestaltungsformen aus den Bereichen Design, Architektur und Theater. Wird der erweiterte Kunstbegriff von Beuys zugrunde gelegt, dann können auch gesellschaftliche Prozesse und das Denken an sich als „Soziale Plastik“ definiert werden: „Eine Gesellschaftsordnung wie eine Plastik zu formen, das ist meine und die Aufgabe der Kunst“ (Beuys o.J.; zit. nach: Oman 1998: 7). Der erweiterte Bildbegriff, der vielen kunstpädagogischen Veröffentlichungen und curricularen Vorgaben zugrunde liegt, bezieht sich also auf die Prozesse und Produkte des künstlerisch-ästhetischen Handelns (vgl. Schaper 2012: 36). Die Vermittlung des selbstbestimmten und reflektierten Umgangs mit Bildern und deren Gestaltung im Sinne des erweiterten Bildbegriffs sind Aufgaben des Kunstunterrichts. Anders als andere Fächer ist das Fach Kunst stärker emotional geprägt und ermöglicht einen sinnlichen Zugriff auf die Wirklichkeit. Aufgrund dieses sinnlichen Zugangs und der starken subjektorientierten Tätigkeit erfahren Schüler/innen nicht nur, wie sie sich in der gestalteten Umwelt besser zurechtfinden, sondern auch, dass sie Wirklichkeit selbst gestalten können. Ästhetische Erfahrungen sind so „ein Feld der Erprobung“. In diesem Feld können Schüler/innen gestalterisch und spielerisch ihre eigenen Erfahrungen sammeln und ihren eigenen Ideen nachgehen (vgl. Kirchner/Ferrari/Spinner 2006: 11). Kirchner, Ferrari und Spinner (2006: 19) begründen die Leistung der ästhetischen Bildung durch eben diesen Beitrag zur Identitätsbildung der Schüler/innen: „Für die ästhetische Bildung ist in diesem Zusammenhang interessant, dass die Identitätsentwicklung von sinnlichen Erfahrungen und ästhetischen Wahrnehmungen sowie deren Reflexion begleitet wird.“ Ein weiterer zentraler Aspekt, der mit dem gestalterischen Tun der Schüler/innen sowie ihrem Umgang mit Bildern verbunden ist, ist das symbolische Verstehen der gestalteten Umwelt. Dabei sollen die Schüler/innen auch zu einer kritischen Haltung im Umgang mit Bildern geführt werden (vgl. Kirchner/Ferrari/Spinner 2006: 27). Neben den bereits beschriebenen Leistungsmöglichkeiten der Kunstpädagogik wechseln sich in der Diskussion um die Aufgaben der ästhetischen Bildung
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verschiedenste Inhalte und Methoden immer wieder ab, konkurrieren miteinander oder ergänzen einander. Brenne (2008: 34) stellt in seinem Artikel „Bildungskrise Kunstpädagogik“ dazu fest: So wird auch im Kontext der Kunstpädagogik seit jeher darüber gestritten, wie und ob und was man an der Kunst vermitteln kann. […] Weiterhin lässt sich eine Fülle unterschiedlicher kunstpädagogischer Kunstbegriffe nachweisen. KunstlehrerInnen unternehmen vielfältige Versuche, sich die Sache verfügbar zu machen und derart zuzurichten, dass sie im Fächerkanon der Schule bestehen kann, was im Zeichen der postulierten Bildungskrise immer schwieriger wird.
Gründe für die verschiedenen, konkurrierenden kunstpädagogischen Ansätze könnten die unterschiedlichen Bezugsfelder des Faches sein, aber vor allem ist wohl die zentrale Bezugsgröße des Faches, die Kunst, ein in hohem Maße unklarer und offener Begriff und insofern auch dafür verantwortlich, dass viel darüber diskutiert wird, was das Fach Kunst alles leisten kann. Zudem ist das Kompositum „Kunstunterricht“ schwer zu definieren, da es sich aus zwei Begriffen zusammensetzt, deren semantische Gehalte gegensätzlicher kaum sein könnten: Unterricht ist „weiterhin auf ein vorab definiertes Ziel hin orientierter und dementsprechend geplanter Prozess mit messbarem Verlauf in Richtung des anvisierten Lernerfolgs.“ (Bering et al. 2006: 94) Für die Kunst kann jedoch eine solche Definition nicht angeboten werden, denn Kunst verweigert sich Bestrebungen, sie auf eindeutige Funktionen festzulegen und ohne Widerstand in das bestehende Wissenssystem einordnen zu lassen, denn gerade Irritation und Nicht-Passung sind besondere Merkmale der Kunst. Diese Merkmale sind verantwortlich für das innovative Moment, das das Denken in neue Bahnen zu lenken und somit feste Wissensbestände infrage zu stellen vermag. Bering (vgl. Bering et al. 2006: 95) erläutert das Paradox KunstUnterricht auch in Bezug auf die Offenheit des experimentellen, praktisch-ästhetischen Handelns: „Im Gegensatz zu Unterricht, der mehr oder weniger planvoll verlaufen soll, ist der schöpferische Prozess letzten Endes (was nicht heißt: jederzeit) ein planloser Prozess.“ (Bering et al. 2006: 95) Aber vielleicht ist gerade diese Offenheit, die Schwierigkeit das Fach Kunst auf genaue Leistungsmerkmale hin festzulegen, seine Chance. Bloß (vgl. 2008: 27) hat verschiedene Gedanken zum Fach Kunst von Schüler/innen im Alter von 15 und 19 Jahren zusammengefasst. Einer der Schüler antwortete auf die Frage, was für ihn das Angebot des Faches Kunst sei, Folgendes:
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Ich finde das beste [sic!], was einem in Kunst geboten wird, ist der Freiraum. Jeder kann zunächst mal experimentieren und für sich einen geeigneten Weg finden, um an das gewünschte Ziel zu kommen. Es gibt auch nicht, wie in Mathe oder Physik nur einen Lösungsweg, sondern ganz, ganz viele, die alle zur richtigen Sache führen. Und genau das ist das Tollste an der Kunst. (Bloß 2008: 27)
Diese Aussage des Schülers macht deutlich, dass gerade die Offenheit im ästhetischen Arbeiten ein wesentliches Merkmal und somit die Leistung des Kunstunterrichts ist. Neben der Schwierigkeit den Kunstunterricht auf ein oder mehrere Ziele und Leistungsmerkmale festzulegen, ist man sich jedoch darüber einig, dass Kunst im Gesamt der schulischen Fächer das Bild vertritt. Bilder werden im Kunstunterricht gestaltet, rezipiert, d.h. betrachtet, erlebt, untersucht und gedeutet und letztendlich kritisch reflektiert und beurteilt. Dabei ist das Bildverstehen in einen Kommunikationsprozess eingebunden und das Entschlüsseln von Bildern ist durch vielfältige, sich gegenseitig beeinflussende Codierungssysteme geprägt. „Doch erst im kunstpädagogischen Aufdecken tieferer Strukturen treten Ähnlichkeiten in den Verdichtungen, tritt die Be-Deutung der Zeichen hervor.“ (Kirschenmann 2008: 27) Dies gelingt im Kunstunterricht einerseits durch die Praxis, andererseits mittels der Sprache als Medium des Sozialen. Für Kirschenmann ist die Sprache im Kunstunterricht notwendiges Mittel, um (Kunst-)Bilder zu entschlüsseln: Erst in der Sprache gewinnt die Reflexivität Form und Ausdruck, die Sprache nötigt die diffuse Vorstellung zum Begriff. Mit der Sprache gelangt die künstlerische Darstellung zur weiteren Erkenntnis und mit der Sprache gelingt es in der kommunizierten Imagination Subjektivität erst zu spiegeln und damit auch für den Rezipienten einzulösen. Wenn hier von Rezeption und Reflexion zum Bild gesprochen wird, wird Sprache als kollektives Medium von Bildung immer mitgedacht. (Kirschenmann 2008: 28)
Das Bildverstehen erfolgt über verschiedene Annäherungsstufen. Das erste Anschauen, also das Wahrnehmen des Bildes, ist der Ausgangspunkt für weitere Schritte wie die Beschreibung des Form-Inhaltsgefüges. Von den eigenen Erfahrungen, dem Bildwissen auszugehen ist dabei der Schlüssel, um das Unbekannte zu verstehen und zu interpretieren. In einer globalisierten und bildbasierten Welt ist das Verstehen des Anderen, Fremden im Verhältnis zum Vertrauten und Eigenen, so Kirschenmann (vgl. 2008: 28), ein wesentliches Bildungsziel, welches durch den reflexiven Diskurs zum Bildgegenstand gestärkt werden kann. Der Sprache als Lernmedium im Kunstunterricht kommt dabei die Funktion der Vermittlung des Wahrgenommen sowie die Mitteilung der möglichen Deutungen zu. Sie ist ein Werkzeug und dient dazu, die verschiedenen Blickwinkel
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auf das Bild, sein Bedeutungsspektrum in der Kommunikation zu verhandeln sowie die Prozesse zur Bildgestaltung zu planen und ihre Umsetzung zu diskutieren. Sie ist dabei gleichzeitig das Medium, in der die Erkenntnis Form gewinnt und in dem sich die Prozesse des Lernens zeigen. Balkenhol (2012: 37) merkt in Bezug auf die Rolle der Sprache bei der Rezeption von Kunst allerdings kritisch an: Und eine wesentliche Qualität dieser Einmaligkeit künstlerischer Wahrnehmungs-, Denkund Handlungsweisen schließlich ist, dass sie nicht ersetzbar, auch nicht 1:1 übersetzbar ist. Das heißt, in Sprache (oder Musik etc.) kann sie nur angemessen transformiert werden, wenn sie (um Paul Cézanne zu paraphrasieren) parallel zur Kunst mit ihren Mitteln eine – dann neue – Konstruktion entwickelt. Dann allerdings ist ein anderes Leben gefragt.
Balkenhol äußert sich skeptisch zu dem Versuch einer Übersetzung von Kunst in Sprache, macht aber indirekt deutlich, dass durch die sprachliche Äußerung, die Kommunikation, ein neuer, eigenständiger (Bild)Raum mit den sprachlichen Mitteln entsteht. Darüber hinaus spricht Balkenhol einen weiteren, neuen Aspekt zur Rolle der Sprache im Kunstunterricht an: Die Kunst kann sich als Material der Strukturen der Sprache und ihrer Texte bedienen, sodass Sprache damit Bildgegenstand und -thema sein kann. In der und durch die Sprache entstehen Bilder. Ist Sprache Material und Produkt im Kunstunterricht, dann ist sie nicht mehr nur Lernmedium, sondern ebenso Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung.27 Balkenhol (vgl. 2012: 13) lehnt im Gegensatz zu Kirschenmann die Auffassung (vgl. 2008: 28) der führenden Rolle der Sprache als bestimmendes Teilelement des Rezeptionsprozesses ab. Er betont, dass eine „künstlerische Praxis nur bildend als Illustration von in Sprache Vor- und Nachgedachtem“ (Balkenhol 2012: 13) zu kurz gedacht sei. Eine solche Praxis spreche der Kunst ohne Sprache nur eine selbstreferentielle Rolle zu. Beide Positionen kennzeichnen exemplarisch die beiden Pole in der kunstpädagogischen Diskussion um die Bedeutung der Sprache im Kunstunterricht
|| 27 So entstand beispielsweise Dada (Dadaismus) als alle Kunstgattungen umfassende Bewegung 1916 als Rebellion gegen die bestehenden kulturellen Formen der künstlerischen und gesellschaftspolitischen Konventionen. In Kunstaktionen äußerte sich die Anti-Kunst des Protests, des Skandals mit Hilfe ironisch-satirischer Sprachmittel (vgl. Thomas 2000: 93). Gebrüll, Lautpoesie, bruchstückhafte Äußerungen wurden zum Gegenstand und damit gleichzeitig Banalität als Protest zum Thema.
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und machen deutlich, dass eine eindeutige theoretische Verortung eines Konzeptes zur Sprachbildung aus der Perspektive der Kunstpädagogik auf der Metaebene schwierig ist. Inwieweit das Bild und die Bildkompetenz entweder von der Sprache her zu denken bzw. zu verstehen oder nicht sprachanalog zu fassen sind, ist des Weiteren Gegenstand vieler einschlägiger, insbesondere kunsttheoretischer Diskurse auf einer Metaebene (vgl. Reichenbach/Meulen 2010: 796). Reichenbach und Meulen (vgl. ebd.) urteilen in Bezug auf die Gegenüberstellungs- und Abgrenzungsversuche von Bild und Sprache, dass auch diese Versuche beispielsweise von diskursiver Symbolik (Sprache) versus präsentativer Symbolik (Bild, auch Musik und Tanz), von Linearität (Sprache) versus Gleichzeitigkeit (Bild), des Zieles der semantischen Eindeutigkeit (Sprache) versus Simultaneität der Informationsvermittlung (Bild) nur begrenzt zu überzeugen vermögen. Diese Unterscheidungsversuche zeigen jedoch, dass der Umgang mit Bildern und die Notwendigkeit, ihr Verstehen zu kommunizieren, durch verschiedene Schwierigkeiten gekennzeichnet sind. Schüler/innen in ihrer subjektiven Bildwahrnehmung zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, ihre Eindrücke zu beschreiben und durch den Austausch mit anderen abzugleichen, zu erweitern und neue Einsichten zu erlangen, ist aufgrund der dargestellten Diskrepanzen eine große Herausforderung, gleichzeitig aber auch eine wesentliche Aufgabe der Kunstpädagogik, wie die nachfolgende Darlegung ausgewählter kunstpädagogischer Positionen und aktueller Forschungsergebnisse zur Sprache in der Kunstvermittlung zeigen soll.
1.3 Kunstvermittlung und Sprache: Forschungsergebnisse und Konsequenzen Wenige qualitative Forschungsarbeiten fokussieren explizit auf das Sprechen über Kunst oder den Austausch zu Bildern im Kontext von Schule und Unterricht. Dass das Sprechen zum Verstehen von Bildern und die Kommunikation über das Wahrgenommene zum Verstehen beiträgt, scheint zwar vorausgesetzt zu werden, aber Forschungsarbeiten dazu stehen weitestgehend aus.28 Ausgewählte Forschungsarbeiten, die sich mit der Frage nach den sprachlichen Anteilen bei der Bildrezeption beschäftigen, werden im Folgenden vorgestellt und in Bezug
|| 28 Zur Rolle der Sprachbildung im Bereich der Bildproduktion (vgl. Kapitel 5.4) und der Vermittlung von Kompetenzen aus dem Bereich der Gestaltung gab es bis 2020 keine Publikationen.
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auf die daraus resultierenden Konsequenzen für die integrierte Sprachbildung diskutiert. Als eine wesentliche Funktion der Sprache bei der Auslegung von Kunstwerken erklären Gunter und Maria Otto schon 1983 in ihrem Beitrag zur „Bildanalyse – über Bilder sprechen lernen“ den Austausch über das subjektiv Wahrgenommene, über die Erinnerungen, die Vermutungen sowie die Fragen. „Sprechen lernen ist dabei der Weg, um hinter das Bild und die subjektive Bedingtheit der Rezeption zu kommen“ (Otto/Otto 1987: 27) Mit der Bildung sprachlicher Percepte29 verknüpfen die Rezipienten ihre Bildwahrnehmung mit ihren eigenen Vorstellungen und ihrem Wissen. Das Sprechen über das Bild, so Otto und Otto (vgl. 1987: 52), hilft dabei zu überwinden, dass das Wahrgenommene nur ein rein subjektives, diffuses oder auch vages Erleben bleibt. Durch den Austausch und eine möglichst eindeutige Sprache (vgl. Otto 1983: 12) kann es gelingen, sich von den rein subjektiven Percepten zu lösen und zu einer differenzierten Inhalts- und Formerfassung zu gelangen sowie die Kontexte auf Seiten des Bildes und auf Seiten der Rezipienten zu begreifen (vgl. ebd.). Das Potential der Sprache bei der Bilderschließung liegt gerade im subjektiven und kontroversen Sprechen über Bilder und nicht bei der begrifflich exakten Festlegung auf eine Deutung (vgl. Otto 1991: 151). Die Kunstpädagogin Sturm (1996) hebt außerdem die Funktion der Sprache bei der Erschließung des Bildes für die Vermittlungsarbeit im Museum hervor, denn durch das Sprechen wird Bedeutung generiert. Sie bezieht sich dabei auf Lacan, der das Sprechen und den Austausch, wodurch sich Menschen entwickeln, als eine Kategorie des Menschseins definiert (vgl. Sturm 1996: 14f). Das Sprechen dient dazu, Wahrgenommenes zu benennen und auf einer Symbolebene sprachlich zu strukturieren (vgl. ebd.: 64–65). Dieses Systematisieren oder Ordnen durch Sprache ist jedoch gerade bei der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer oder moderner Kunst erschwert, denn die Rezipienten versuchen sich mit der Sprache dem Bild anzunähern, eine Lücke zwischen Bekanntem und Unbekannten oder einem neuen, irritierenden Kontext zu schließen. Dabei versteht Sturm das Sprechen über Kunst als zirkulären Vorgang, in dem das „MiteinanderSprechen“ über das Bild als ein „Zueinander-Werden“ definiert werden kann (vgl. ebd.: 253). „Gespräche über Bilder sind bewegliche Gefüge, in denen das Sehen und das Sprechen sich gegenseitig auf die Welt bringen.“ (Sturm 2010: 4)
|| 29 Otto (1983) unterscheidet den subjektiven Zugang zum Bild (Percept), die Analyse des Bildes (Konzept) und das Wissen um den gesellschaftlichen und historischen Hintergrund des Bildes (Allokation).
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Ebenso wie Otto und Otto (vgl. 1983/ vgl. 1991:151) und Sturm (1996) hebt die Kunstpädagogin Kirchner (1999/2002) hervor, dass das Kommunizieren über Kunst einen Betrag zu einem tieferen Verständnis des Bildes leistet und Bedeutungskonstitution intersubjektiv erfolgt (vgl. ebd. 1999: 82). Jedoch betont sie, dass nichtsprachliche Zugänge ferner eine Möglichkeit sind, sich dem Kunstwerk zu nähern und in der praktischen Auseinandersetzung symbolisch-anschauliches, imaginatives und fantastisches Denken angeregt werden kann (vgl. ebd.: 289). Entsprechend den zuvor erläuterten kunstpädagogischen Positionen betont Kirchner, dass das spezifisch Ästhetische und der Sinn des Kunstwerks oder das Besondere nie gänzlich sprachlich erfasst werden können (vgl. ebd.: 82–83). Der Austausch über Bilder kann allerdings dazu beitragen, dass die Schüler/innen lernen, dass ihre Bedeutungssuche von formalen und inhaltlichen Aspekten abhängt, folglich nicht beliebig ist und am Kunstwerk belegt werden kann (vgl. ebd.: 280). Im Gespräch über Kunst können die Lerner/innen die Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit des Bildes durch den Einbezug verschiedener Sichtweisen erfahren und auch die Unabschließbarkeit ästhetischer Sinnbildungsprozesse erleben (vgl. Kirchner 2002: 42). Glas (2010/2011) erläutert ebenso, dass die Schüler/innen im Kunstunterricht lernen sollen, sich über sinnlich Wahrgenommenes auszutauschen: „Bilder wahrzunehmen und dabei das Erleben sprachlich mitzuteilen, gehört zweifellos zu den Hauptanliegen des Kunstunterrichts“ (Glas 2010: 11). Das sprachliche Handeln unterstützt dabei den Rezeptionsprozess (vgl. Glas 2011: 205). Jedoch warnt er in diesem Zusammenhang vor einer zu ausführlichen Perceptbildung, die zu einer fehlenden Distanz zwischen Subjekt und Bildobjekt führen kann. Glas (vgl. ebd.: 213) fordert, sich stattdessen von der sinnlichen Wahrnehmung und der subjektiven Betroffenheit am Anfang der Bildbegegnung zu lösen und zu einer hermeneutisch verankerten Distanzierung zu gelangen. Ausgehend von einer empirischen Untersuchung mit Schüler/innen in der siebten, achten und neunten Klasse bei der Auseinandersetzung mit dem Bild „Bau der Teufelsbrücke“ von Carl Blechen im Museum, stellt Glas (vgl. 2011) zum Rezeptionsverhalten der Lerner/innen fest, dass die Lerner/innen zunächst überwiegend Nomen verwenden, um die Bildinhalte und -motive zu benennen. Darüber hinaus wurden inhaltliche Zusammenhänge beschrieben und Vermutungen geäußert. Die detaillierte Beschreibung des Bildes durch die Verwendung von treffenden Adjektiven, fiel den Schülern und Schülerinnen schwer (vgl. ebd. 2011: 214–215; vgl. Glas 2015: 394–395). Glas (vgl. 2015: 383) empirische Pilotstudie zur Blickbildung, Imagination und Sprachbildung mit Hilfe von Eye-Tracking-Systemen zur Erfassung des Sehvorgangs bei der Betrachtung von Kunstwerken im Museum zeigt zudem, dass Blickbildung, Vorstellungskraft und Sprachbildung grundlegende
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und sich komplementär ergänzende Faktoren bei der Rezeption von Schüler/innen im Alter von 12 bis 13 und 14 bis 15 Jahren sind. Auf die Faktizität der Wahrnehmung folgt das sprachliche und nicht-sprachliche Erkennen, dann die Verknüpfung der Bildelemente, Vermutungen und Einschätzungen, die schließlich zu einem möglichen Sinngehalt zusammengeführt werden (vgl. ebd.). An konkreten Beispielen zeigt Glas (vgl. 2015: 392), dass der begriffliche Vorgriff und die Sinnerschließung des Bildes voneinander abhängen. Die Wahl der bevorzugten Begrifflichkeit steht in enger Verbindung mit den späteren begrifflichen Konkretisierungen des Verstehens. Glas schlussfolgert, „dass durch eine genaue Blickbildung nicht nur die Wahrnehmung als solche, sondern auch die Begriffsbildung differenziert und geschult werden kann.“ (Glas 2015: 393) Der Kunstpädagoge Grütjen (2013) untersucht wie Glas den Rezeptionsprozess der Lerner/innen bei der Betrachtung des Kunstwerks die „Bronzefrau Nr. 6“ von Thomas Schütte. Bei seiner qualitativ angelegten Unterrichtsforschung fokussiert er allerdings auf die Kunstkommunikation in der Gruppe in alltäglichen Rezeptionssituationen im Unterricht, während die Plastik medial vermittelt wird. Die Gespräche zum Kunstwerk fanden in der gymnasialen Oberstufe statt. Grütjen geht der Frage nach, was bei der Kunstbetrachtung in der Gruppe passiert, wobei vor allen Dingen der Austausch der Gesprächspartner/innen zum Kunstwerk betrachtet wird (vgl. Grütjen 2015: 11–14). Seine Ergebnisse fasst Grütjen (vgl. ebd.: 186–187) in einem heuristischen Ablaufmodell der Kunstrezeption zusammen. Neben einer charakteristischen Beschreibung des Ablaufs in der Anfangs-, Mittel- und Endphase der Kunstkommunikation werden auch die sprachlichen Merkmale der beginnenden und fortgeschrittenen Kommunikation dargestellt: Zu Beginn der Rezeption dominieren in den Äußerungen der Schüler Sprechmuster des Zeigens, Wertens und des Gefühlsausdrucks. [...] Die Wortwahl ist geläufig und hat den Charakter von Alltags- und Jugendsprache. Die Sätze sind kurz und können elliptisch verknappt sein. [...] So sind die Äußerungen sehr eng an die spezifische Betrachtungssituation gebunden; ohne Kontext-Wissen wären die Äußerungen kaum nachvollziehbar. Deiktische Ausdrücke und Demonstrativpronomen dominieren die Äußerungen. (ebd. 235)
Ebenso wie Glas (vgl. 2011/2015) stellt Grütjen (vgl. 2013: 235) fest, dass in der Anfangsphase viele Einwortäußerungen auffallen und die Lerner/innen ihre Äußerungen nicht in einen nachvollziehbaren Bezugsrahmen einbetten, sodass ein Nachfragen von Seiten der Lehrkraft erforderlich ist. Der Rezeptionsprozess am Anfang der Betrachtung lässt sich eher als orientierend beschreiben, wobei die Einzeleindrücke sehr heterogen sind (vgl. ebd.: 235). Gegen Ende des Rezeptionsprozesses wirken die Äußerungen dagegen strukturierter. Wertungen werden explizit als persönliche Urteile markiert und die Erläuterungen sind ausführlicher.
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Grütjen hält fest, dass die Schüler/innen sich neben dem Urteilen und Erläutern auch darum bemühen, die Plastik zu deuten. Die Äußerungen wirken eher abstrahierend und abwägend beurteilend (vgl. ebd.). Die Worte sind zwar noch weitgehend der Alltagssprache verhaftet, aber im Ansatz ist ein Bemühen um eine gewisse Fachsprachlichkeit zu bemerken (ebd.). Zudem werden die Aussagen deutlich in einen Diskurs eingebunden und so im Verlauf des Gesprächs vernetzt. Im Gegensatz zur anfänglichen Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk versuchen die Schüler/innen sich expliziter auszudrücken und verwenden dabei deutlich häufiger mehrere Sätze. Insgesamt wirken die Äußerungen zur Wahrnehmung des Betrachteten nun wesentlich orientierter; Einzelheiten werden gedanklich stärker miteinander in Verbindung gebracht (vgl. ebd.: 236). Grütjen charakterisiert in seiner Untersuchung typische Sprechhandlungen in der Kommunikation über Kunst, wie das Zeigen, Beschreiben, Erläutern, Deuten, Werten, Informieren und Formulieren von assoziativen Sprachbildnern mit Vergleichen und Metaphern (vgl. ebd.: 238–253). Dazu verwendet Grütjen Auszüge aus den Gesprächen und illustriert damit, welche möglichen Merkmale die Sprache in spezifischen Situationen haben kann. Wie die kurze Zusammenfassung der Untersuchung Grütjens deutlich gemacht hat, ist der Prozess des Wahrnehmungsaustauschs und der Bedeutungskonstitution gekennzeichnet von einer Bewegung von der subjektzentrierten Position hin zu einem hermeneutisch verankerten Begreifen, bei dem der Austausch über das Wahrgenommene eine erkenntnisstiftende Wirkung haben kann. Hofmann (2015) untersucht in seiner Forschungsarbeit Vermittlungssituationen im Museum: Die qualitative Fallanalyse30 von drei Gruppen, einer Kindergartengruppe, Schüler/innen einer sechsten und zwölften Klasse, geben Einblicke in die Rezeption der Kinder und Jugendlichen und der Wechselbeziehung zwischen Bild, Kunstvermittler und Rezipienten. Hofmann fasst bei seiner Auswertung der Kunstgespräche folgende Merkmale zusammen: Während die Kunstpädagogen Wissen rund um das Bild vermitteln, versuchen sie mit den Schülern und Schülerinnen ins Gespräch zu kommen und dieses Gespräch aufrecht zu erhalten. Dabei stellt Hofmann eine Differenz zwischen der Vermittlung auf Seiten der Museumspädagogen und der Aneignung von Seiten der Kinder und Jugendlichen fest (vgl. Hofmann 2015: 201). So erläutert Hofmann (vgl. ebd.: 201), dass sich die Wissensvermittlung durch die Kunstpädagogen auf die Werkentstehung
|| 30 Die Vermittlungssituationen im Museum werden anhand von Protokollen, dem ausgewerteten Material und der teilnehmenden Beobachtung, gesichert, durch Audio- und Videotranskriptionen belegt, analysiert und beschrieben. Pro Fall wurde ein Bildgespräch sequenzanalytisch ausgewertet (vgl. Hofmann 2015: 121–122).
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und den historischen Kontext, die Bildgegenstände sowie das Museums- und Ausstellungswesen erstreckt. Die Differenz, die dabei in der Vermittlungssituation entsteht, begründet sich laut Hofmann (vgl. ebd.) durch das Pendeln zwischen Vermittlung, Institution und Zwang auf der einen Seite, auf der anderen Seite der Aneignung, dem Original und dem körperlichen Bezug dazu. Zur Beschreibung der pädagogischen Kunstkommunikation entwirft Hofmann ein Modell, dass in einer Vermittlungssituation die Anteile der Rezipienten und die Notwendigkeit der Aneignung im Verlauf der Kunstkommunikation in Korrelation zueinander setzt, da, wie er aufgrund seiner Analysen belegen konnte, die Vermittlung von Seiten der Museumspädagogen/innen immer beschränkt ist (vgl. Hofmann 2015: 213–214). Zusammengefasst zeigt er dadurch auf, dass die Schülerinnen und Schüler eine ebenso große Rolle spielen wie die Pädagogen/innen, denn Vieles, so Hofmann (vgl. ebd.: 214), sei im Bereich der Kunst nicht vermittelbar und könne nur angeeignet werden. Im Rahmen einer erfolgreichen pädagogischen Kunstkommunikation spielt die Vermittlung von Wissen eine geringe Rolle, wichtiger ist dagegen die Aufrechterhaltung des Gespräches der Schülerinnen und Schüler, in dessen Rahmen sie Gelegenheit haben, sich das Gesehene anzueignen (vgl. ebd.: 215). Für die Organisation der Aufrechterhaltung der Kunstkommunikation ist zwar der/die Kunstpädagoge/in verantwortlich, doch muss sie gemeinsam mit allen an der Situation Beteiligten geleistet werden. Lange (vgl. 2011: 271) untersucht in ihrer qualitativ-empirischen Einzelfallstudie die Kommunikation von Schülerinnen und Schülern einer zehnten Klasse des Gymnasiums vor Kunstwerken während eines Museumsbesuchs. Die Ergebnisse von Langes linguistischer Gesprächsanalyse können als Ergänzung zu den Untersuchungsergebnissen von Grütjen (vgl. 2013: 25) ein differenzierteres Bild der Kunstkommunikation liefern. Folgende wesentliche Punkte hält Lange (vgl. ebd.: 277f) fest: Nicht jede/r Schüler/in äußert sich und meist spricht immer nur einer oder eine, während die übrige Gruppe zuhört. Der Sprechanteil der einzelnen Schüler/innen ist folglich sehr gering. Die Analyse der Sprechakte ergibt, dass die Lerner/innen Ausdrücke verwenden, um ihrer Verwunderung, ihrem Erstaunen und ihrer Irritation Ausdruck zu verleihen. Noch bevor die Lehrkraft sich äußert, beginnen die Schüler/innen mit Fragen und Beschreibungen. Nach der Frage der Lehrkraft (‚Was kann man hier im Raum sehen?‘) beginnen die Schüler/innen, Vermutungen zum Kunstwerk zu äußern und diese dadurch zu begründen, dass sie das Gesehene beschreiben (‚mir kommt das so vor‘). Um die räumliche Situation konkret zu beschreiben, verwenden sowohl die Schüler/innen als auch die Lehrkraft zahlreiche deiktische Ausdrücke (‚da, hier, dort, da hinten‘) (vgl. ebd.: 283). Zudem stellt Lange (vgl. ebd.: 284) fest, dass die Schü-
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ler/innen Vagheitspartikel (‚die sieht so schräg aus‘) verwenden, um ihre Aussagen und Vermutungen abzuschwächen. Nach einer zusammenfassenden Analyse des Gesprächsverlaufs schlussfolgert Lange (ebd.: 285): „Gemeinsames sprachliches Handeln vor einem Kunstwerk kann auch zu präzisierenden Formulierungen bezüglich der Beschreibung der Wahrnehmungsumgebung führen – und dies muss trainiert, geübt werden.“ Zudem hebt sie hervor (vgl. ebd.: 286), dass durch die Kommunikation ein Austausch unterschiedlicher Sichtweisen auf das Werk erfolgen kann. Diese Untersuchungsergebnisse unterstreichen die zuvor diskutierten Positionen, beispielsweise von Kirchner (vgl. 1999: 82), von Otto (vgl. 1987: 27) und von Glas (vgl. 2015: 33). Die Sprache ist demzufolge der Weg, um hinter das Bild und die subjektive Bedingtheit der Rezeption zu kommen und die Bedeutungskonstitution erfolgt intersubjektiv. Die Wahrnehmungs- und Sprachbildung sind dabei sich komplementär ergänzende Vorgänge. Die Aneignung des Werkes durch die Schülerinnen und Schüler verläuft dabei von weniger konkreten, als Vermutungen gekennzeichneten kurzen Äußerungen zu präziseren Beschreibungen von inhaltlichen und formalen Merkmalen. Wichtig ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass das Gespräch über das Kunstwerk und der Austausch verschiedener Perspektiven zu seiner Erschließung beitragen. Jedoch sind häufig an der Kunstkommunikation nur zwei Personen, die Lehrkraft und ein/e Schüler/in, beteiligt (vgl. Lange 2011: 277). Wenn der Austausch zur selbstständigen und kreativen Erschließung des Werkes von Seiten der Lerner/innen beiträgt, gilt es diesen in Vermittlungssituationen durch Impulse anzustoßen, den Lernern/innen helfend und beratend bei ihren Formulierungen zur Seite zu stehen, ohne ihnen dabei den Blick auf das Werk zu verstellen oder die Offenheit durch vorschnelle und vermeintlich eindeutige Zuschreibungen einzuschränken. Schmitt (vgl. 2016: 349) kommt im Rahmen ihrer empirischen Untersuchung und Analyse von drei Fallbeispielen aus Gesprächen über Kunst mit Fünft- und Sechstklässlern am Gymnasium zu einem Ergebnis, das die bisher vorgestellten Positionen zur Rolle der Sprache bei der Bildrezeption unterstützt. Sie schlussfolgert, dass Gespräche über Kunst eine Möglichkeit im Unterricht darstellen, Kunst intensiv zu begegnen und ästhetische Erfahrungen zu sammeln, die nicht alleine bei einer subjektiven Vermutung bleiben, sondern durch das kommunikative Miteinander zu Prozessen des Sinnverstehens führen. Ebenso wie Lange (2011: 271) stellt sie ausgehend von einer linguistischen Analyse der Gespräche fest, dass es Zusammenhänge zwischen Sprache und ästhetischer Erfahrung gibt. Besonders die Analyse und der Nachweis des annähernden Sprachgebrauchs, der sich in nicht-festlegendem und suchendem Sprechen konkretisiert, bestätigt den Gebrauch eines kunstnahen Sprechens in Kunstgesprächen (vgl. Schmitt 2016:
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349). Dieser annähernde Sprachgebrauch der Schülerinnen und Schüler ist dem ästhetischen Gegenstand strukturell ähnlich und rückt, so Schmitt (vgl. ebd.), die Sprache selbst in die Nähe der ästhetischen Erfahrung. Mit diesem suchenden, noch nicht festgelegten Sprechen, können sich die Schüler/innen dem Werk annähern. Wichtig in Bezug auf Vermittlungssituationen – insbesondere mit zwei- und mehrsprachig aufwachsenden Schülern und Schülerinnen – erscheint ausgehend von diesen Ergebnissen, dass das Betrachten, das Wahrnehmen, die Suche nach Worten, um das Wahrgenommene zu erfassen, sowie die Vagheit der Formulierungen den Rezeptionsprozess charakterisieren. Durch den Austausch der verschiedenen Perspektiven und Vermutungen werden Beschreibungen und Deutungen differenzierter, was aber nicht bedeutet, dass es die „eine korrekte“ Formulierung gibt, genauso wenig wie es die eine Perspektive auf das wahrgenommene Kunstwerk gibt. Schmitt (vgl. ebd.) erläutert, dass den Kunstgesprächen eine Spannung zugrunde liegt, insbesondere dann, wenn das Wahrgenommene sprachlich nicht erfasst und problemlos eingeordnet werden kann. In diesen Momenten, so Schmitt (vgl. ebd.), können die Schüler/innen eine Sensibilität für den eigenen Sprachgebrauch entwickeln, falls während der Gespräche dafür ausreichend Zeit und Raum gegeben werden. Schmitt schlussfolgert nach der Gesprächsanalyse von monolingual aufwachsenden Probanden: „Wenn Schülerinnen und Schülern Raum gegeben wird, im eigenen Sprechen zu verweilen und sich Zeit zu nehmen, das Wahrgenommene sprachlich zu fassen, erleben sie, wie es ist, während des Sprechens und während der Suche nach Worten in der Wahrnehmung selbst zu verweilen.“ (Schmitt 2016: 350) Da zwei- oder mehrsprachig aufwachsende Schüler/innen wahrscheinlich mehr Zeit benötigen, um das Wahrgenommene zu benennen und zu beschreiben, ist es wichtig, dies bei der Planung zu berücksichtigen und zu antizipieren, welchen möglichen Unterstützungsbedarf sie für ihre Kunstkommunikation benötigen. Schmitt (vgl. ebd.: 327) analysiert die Sprachhandlungen der Fünft- und Sechstklässler bei der Bildbetrachtung und unterscheidet das beschreibende, das wertende, das erklärende und das begründende, das deutende, das zeigende, das suchende und das sich nicht-festlegende Sprechen. Für die Sprachhandlung Beschreiben weist sie folgende Strukturmomente ästhetischer Erfahrung nach:
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Zahlreiche und vielfältige Beschreibungen prägen Gespräche über Kunst im Unterricht. Diese reichen von Benennungen erster Beobachtungen zu Beginn des Gespräches bis hin zu ausführlichen Beschreibungen beispielsweise des Bildinhalts oder der Wirkungsweisen, die mit dem Gebrauch von Adjektiven und Attribuierungen unterschiedlich stark differenziert werden. […] Statt listenartig Bildinhalte zu benennen, gestalten sich die Beschreibungen in Kunstgesprächen nie vollständig, aber im Wechsel der Beiträge vielfältig und dynamisch. (ebd. 351)
Schmitt (vgl. ebd.) schlussfolgert daher, dass die Lehrkraft, um diese Vielfalt von Beschreibungen zu unterstützen, nicht den Anspruch verfolgen sollte, dass Bildinhalte möglichst vollständig und eindeutig beschrieben werden. Damit die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit haben, im kommunikativen Miteinander Vielfalt hervorzubringen, sollten gerade am Anfang der Begegnung mit dem Kunstwerk offene Impulse gewählt werden. „Werden Schülerinnen und Schüler für dynamische und vielfältige Beschreibungen in Kunstgesprächen sensibilisiert und darin ermutigt, können sie ein Nebeneinander möglicher Wahrnehmungen und die Individualität in der Wahrnehmung erleben.“ (ebd.: 352) Dabei können die Lerner/innen an Eigenem anknüpfen, vergleichend und assoziativ schreiben und so das Kunstwerk ausgehend von ihrem eigenen Horizont begreifen (vgl. ebd.). In der sprachlichen Imagination können Deutungen und Erklärungen erprobt werden, es können Zusammenhänge im künstlerischen Werk entwickelt und Inhalte und Motive zueinander in Beziehung gesetzt werden. Sich deutend und vermutend Zusammenhänge zu erschließen, ist folglich ein kreativer Prozess. Informationen zu dem Bild und seinen Hintergründen können darüber hinaus im Gespräch angeboten werden und tragen dazu bei, das Sinnverstehen zu unterstützen, neue Perspektiven einzunehmen und bisherige Annahmen zu prüfen (vgl. ebd.: 353). Während der Gespräche über Kunst wechseln sich subjektive und objektive Anteile ab und die Schülerinnen und Schüler versuchen ihre Vermutungen am ästhetischen Gegenstand zu erklären, zu begründen und fortschreitend systematischer an das Werk anzubinden (vgl. ebd.: 354). Ausgehend von Schmitts (2016), Langes (2011), Glas (2015) und Grütjens (2013) Untersuchungsergebnissen kann festgehalten werden, dass die Kommunikation im Rahmen des Rezeptionsprozesses eine wesentliche Rolle spielt. Werden Kunstgespräche offen gestaltet, wird Zeit und Raum gegeben, den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, ihre eigenen Sichtweisen auf das Dargestellte einzubringen, können Perspektiven ausgetauscht und so die Wahrnehmung des Bildes ebenso wie das Sprechen über das Bild differenzierter werden. Besondere Merkmale des Sprechens über Kunst scheinen dabei die Annäherung, die Vermutung und die Suche nach passenden Begriffen und Formulierungen für das Wahrgenommene zu sein. Die Lehrkraft, so Schmitt (vgl. ebd.: 355), sollte dabei ihre
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Rolle als partizipierend und unterstützend verstehen, da sie gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern an der Sinnsuche teilnimmt. In Bezug auf die dargestellten und diskutierten Ergebnisse für den Kunstunterricht und die Kunstrezeption von Lerner/innen, die das Gymnasium besuchen, stellt sich die Frage, inwieweit diese auf die Kunstkommunikation von Schülerinnen und Schülern, die zwei- oder mehrsprachig aufwachsen und sprachlichen Förderbedarf haben, übertragbar sind. Wenn es in einem ersten Schritt des Sprechens über Kunst darum gehen soll, dass die Schülerinnen und Schüler ihre persönliche Perspektive, ihre Einschätzungen sowie Vermutungen zum Wahrgenommenen zum Ausdruck bringen, einander zuhören, auf das Gehörte bezugnehmend wiederum deuten, dann stellt sich je nach Bild für die Lehrkraft immer wieder neu die Frage, wie sie ihre Schüler/innen bei der sprachlichen Umsetzung unterstützen kann. Eine vorhergehende Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Werk und seinen möglichen didaktischen Potenzialen ist für die Gesprächsbegleitung also eine Grundvoraussetzung sowie die Fähigkeit je nach situativer Gegebenheit flexibel zu reagieren (vgl. Kapitel 5.3.1). Dabei können allerdings nicht alle Eventualitäten abgedeckt werden (vgl. Kapitel 5.3.2; 5.3.3). Zudem wird es voraussichtlich schwierig sein, für eine an die Lerngruppe angepasste Inszenierung einer Kunstkommunikation sprachsensible Unterrichtsmaterialien zu konzipieren, zu erproben, ggf. zu modifizieren, die auf die Arbeit mit anderen Lerngruppen übertragbar sind, da der Austausch ausgehend von den Gedanken der Schüler/innen voraussichtlich dynamisch verläuft (vgl. Kapitel 5.3.3). Diese Diskurse um die Leistungsmöglichkeiten des Faches Kunst und die Untersuchungen zur Bedeutung und Funktion von Sprache im Kunstunterricht beantworten nicht die Fragen danach, welche konkreten fachlichen und damit verbundenen sprachlichen Kompetenzen Lernende bis zum mittleren Schulabschluss im Alter von 15 bis 17 Jahren laut curricularen Vorgaben erwerben sollen und wie sich dies konkret auf die Vermittlungspraxis in der Klasse 5 mit zweioder mehrsprachig aufwachsenden Schüler/innen im Alter von 10 bis 12 Jahren auswirken kann. Die Diskussion rund um die Bildungschancen im Kunstunterricht und die Rolle der Sprache bei der Kunstvermittlung zeigt jedoch auf, wie eng verzahnt die fachlichen und sprachlichen Lernmöglichkeiten in Bezug auf die Bildrezeption sind. Empirische Untersuchungen zur Bildproduktion und der Rolle der Sprache bei gestaltenden Prozessen liegen bislang allerdings keine vor (vgl. Kapitel 5.4).
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Zusammenfassend kann in Bezug auf die Kunstrezeption festgehalten werden, dass im Kunstunterricht Sprache sowohl Lernmedium als auch Lerngegenstand ist und damit das ‚Material‘ und die Form sein kann, in der Kunst realisiert wird.
1.4 Bildkompetenz(en): Die Bildungsstandards für das Fach Kunst Bildkompetenz entfaltet sich im Kunstunterricht durch den Umgang mit Bildern und den wechselseitigen, sich durchdringenden gestalterischen, rezeptiven und reflexiven Prozessen (vgl. Bering 2006 et al.: 51). Die Bezugspunkte für den Kunstunterricht sind folglich: die Produktion, die Rezeption und die Reflexion. Das schöpferische Handeln in allen drei Bereichen kann zu einer Erweiterung der Bildkompetenz führen. Bildkompetenz umfasst dabei u. a. die folgenden Fähigkeiten: – Bilder als gestaltete Phänomene wahrnehmen, erleben, verstehen, analysieren und gestalten zu können – Bilder als komplexe spezifische Form- bzw. Form-Inhalts-Gefüge wahrnehmen, erleben, verstehen, analysieren, denken und herstellen zu können – Bilder als spezifische Zeichensysteme von anderen Zeichensystemen wie z. B. der Wortsprache, differenzieren zu können – Bilder durch ihre jeweiligen Urheber subjektiv-biographisch bedingt wahrnehmen […] – Bilder als durch ihre historisch-kulturellen Kontexte determiniert wahrnehmen […] – unterschiedliche Bildsorten differenzieren und rezeptiv sowie auch gestalterisch in Wechselbeziehung bringen können – interkulturelle Differenzen und transkulturelle Zusammenhänge von Bildern verstehen können (vgl. Bering et al. 2006: 54) Trotz der oft widersprüchlichen Diskussionen um die Leistungsmerkmale und möglichkeiten des Kunstunterrichts und dem gleichzeitigen Wunsch vieler Kunstpädagogen, die Offenheit des künstlerischen Prozesses zu bewahren und als besonderes Merkmal des Kunstunterrichts hervorzuheben, wurde 2008 in den Bildungsstandards des Faches Kunst für den mittleren Schulabschluss des BDK festgelegt, dass die Bildkompetenz im Zentrum der Vermittlungspraxis des Faches Kunst stehen soll: „[...] Orientierung in der heutigen, bildgeprägten Welt durch die Erlangung der Bildkompetenz, dem zentralen Anliegen des Faches
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Kunst.“ (BDK 2008: 2) Die aktuell geforderten didaktischen Strukturen, die output-orientiert und normierbar sein müssen, um Bildungsprozesse bestimmbar und damit messbar zu machen, unterscheiden sich jedoch von anarchischen Prozessen und Ereignissen, wie sie die Kunst verkörpern (vgl. Wetzel/Fritzsche/Kolb/Meyer 2010: WWW-Veröffentlichung). Vergleichbar den Bildungsstandards der KMK für die Kernfächer31 wird in den BDK-Standards (2008) beschrieben, welche länderübergreifenden Bildungsziele bis zum Abschluss eines Bildungsgangs erreicht werden können. Bildungsstandards sind als Regelstandards formuliert und in Kompetenzbereiche gegliedert. Für die Bundesländer beschreiben Kerncurricula (erläutert in diesem Zusammenhang am Beispiel des Bundeslandes Hessen im Folgekapitel), welche Kompetenzen in den jeweiligen Schulstufen erworben werden sollen. Ausgehend davon obliegt der einzelnen Schule eine weitere Konkretisierung der Kerncurricula; sie kann sich für die Entwicklung eines schulinternen Curriculums entscheiden. Solange kein Beschluss der Schule zu einem Schulcurriculum vorliegt, gelten die bisherigen Lehrpläne für die Bildungsgänge. In diesem Fall legt die Schule fest, wie die Inhalte des Rahmenplans oder der Lehrpläne mit den Kompetenzfestlegungen der Kerncurricula verknüpft werden (vgl. HKM 2015). Die in den Bildungsstandards formulierten lernzeitbezogenen Kompetenzerwartungen sind langfristig angelegt und beziehen sich für das Fach Kunst auf den mittleren Schulabschluss, also die Klassen 9 und 10. Die Kompetenzbereiche werden um die inhaltlichen Konzepte des Faches Kunst ergänzt, die sich dann konkret für die bestimmten Jahrgangstufen und unter Berücksichtigung schulinterner Besonderheiten in den Lehrplänen widerspiegeln. Für den Kunstunterricht in der Klasse 5 an der JvES in Kassel sollte nach Vorgabe der Schule für die Förderstufe
|| 31 Als Reaktion auf die enttäuschenden Ergebnisse deutscher Schüler/innen in Pisa 2000 wurde im Mai 2002 beschlossen, länderübergreifende Bildungsstandards in den Fächern Deutsch, Mathematik sowie die erste Fremdsprache für den mittleren Schulabschluss und den Hauptschulabschluss zu erarbeiten. Anfang 2003 lag dann mit der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ (Klieme et al. 2003) ein Dokument vor, von dem ausgehend sich Bildungsstandards entwickeln ließen (vgl. Köller 2008: 163). In der Sekundarstufe I wurden als weitere Fächer die Fremdsprachen und die Naturwissenschaften (Biologie, Chemie und Physik) bis 2007 berücksichtigt. Damit wurden die Standards von Seiten der KMK zunächst auf sieben Fächer beschränkt (vgl. https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards.html (Zugriff: 27.02.2017)). In Folge der Umstrukturierung haben Fachverbände wie der BDK, weitere Fachdidaktiken und die Fachwissenschaften selbst Vorschläge erarbeitet, die dann teils von den Kultusministerien der Länder übernommen wurden.
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(Klassen 5 und 6) der gymnasiale Lehrplan für die konkrete Gestaltung des Unterrichts zugrunde gelegt werden (vgl. Kapitel 5.1). Der kompetenzorientierte Unterricht entsprechend den BDK-Bildungsstandards und den HKM-Vorgaben ist in erster Linie gekennzeichnet durch die Formulierung dessen, was die Schüler/innen am Ende einer Unterrichtseinheit oder Sequenz können sollen und nur in geringem Umfang dadurch, was auf der thematisch-inhaltlichen Ebene behandelt werden sollte. Dabei wird der Unterricht ausgehend von den Vorgaben auf der obersten Ebene vom Ende her konzipiert und die Schritte und Inhalte zur Erarbeitung und Übung der jeweiligen Kompetenzen werden quasi rückwärts von der Maximalkompetenz geplant (vgl. Helmke 2014: 240). Das Problem liegt dabei darin, dass die Standards für den mittleren Schulabschluss formuliert wurden, somit auf die darunterliegenden Klassenstufen herunterzubrechen sind und die Ausgestaltung in Bezug auf die Auswahl der konkreten Themen und Inhalte, also Situationen des Kompetenzerwerbs, offen ist. Zur Planung und Durchführung von kompetenzorientiertem Kunstunterricht ist also die Kenntnis der BDK-Standards, der Kerncurricula mit den Kompetenzerwartungen und Inhaltsstandards sowie die schulischen Vorgaben zur Ausgestaltung notwendig, um in Bezug auf die Lerngruppe antizipieren und planen zu können, welche Aufgabenstellungen zum Auf- und Ausbau der anvisierten Fähigkeiten beitragen. Wenn an den jeweiligen Schulen durch die Kunst-Fachkonferenzen oder -Fachgruppen die Anforderungen in Kompetenzrastern mit Vorschlägen zur konkreten Ausgestaltung für die verschiedenen Jahrgangsstufen definiert wurden, kann dem Anspruch nach vergleichbaren und messbaren Unterrichtsergebnissen Rechnung getragen werden. Dazu sollte jede Lehrkraft ausgehend von der Diagnose der Kompetenzen ihrer Schüler/innen ein Kompetenzerwerbsschema zur praktischen Umsetzung der didaktisch-methodischen Entscheidungen entwerfen und mit dessen Hilfe, die konkrete Unterrichtsplanung von den anvisierten Kompetenzen aus vornehmen (vgl. HKM 2011/ HKM 2015).32
|| 32 An der JveS, der Projektschule (vgl. Kapitel 5.1), gibt es keine Fachgruppe der Kunstlehrer/innen, weil der Unterricht meist fachfremd unterrichtet wird. Es gibt dort deshalb keine Konkretisierungen der Standards und der Kompetenzerwartungen. Zur konkreten Ausgestaltung für die Jahrgangsstufen 5 und 6 sollen die inhaltsorientierten Lehrpläne von 2001 herangezogen werden. Da es keinen Austausch unter Fachkollegen/innen gibt, ist jedoch nicht klar, wie und inwieweit die Kompetenzen und Inhalte vermittelt werden sollen. Dies ist an den weiterführenden Schulen keine Ausnahmesituation und zeigt konkret, wie schwierig es ist, das folgende anvisierte Ziel, Unterricht an langfristig zu planenden und an messbaren, also vergleichbaren Zielen auszurichten, wenn es keine Fachkräfte gibt und/oder die Fachkräfte noch nicht mit der kompetenzorientierten Unterrichtsplanung vertraut sind, zu
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Entsprechend der Reihenfolge der bei der Unterrichtsplanung zu berücksichtigenden Vorgaben werden im Folgenden zuerst die Bildungsstandards für das Fach Kunst und ihre Anforderungen im Allgemeinen erläutert. Im Anschluss werden am Beispiel der zwei Teilkompetenzen Beschreiben und Gestalten aus den Bereichen der Rezeption und Produktion konkrete Anforderungsbereiche insbesondere im Hinblick auf die Sprachbildung vorgestellt (vgl. Kapitel 5.2; 5.4). Bildbezogene Lernprozesse werden im Kunstunterricht durch drei – sich gegenseitig durchdringende – fachspezifische Handlungsfelder getragen: Produktion, Rezeption und Reflexion. Auf der Grundlage des Gestaltens, Wahrnehmens, Analysierens und Deutens von Bildern sowie durch das Nachdenken über bildbezogene Prozesse und Zusammenhänge erwerben Schüler/innen in diesen Handlungsfeldern ihre Bildkompetenzen (vgl. Niehoff 2010: 23). Schaper (2012: 31) erläutert das Konzept der Bildkompetenz als eine Ansammlung von verborgenen Persönlichkeitsmerkmalen, welche nicht die komplexen Bildungsmöglichkeiten des Faches umfassen und nur teilweise in der Performanz in Erscheinung treten: „Das Konzept der Bildkompetenz beschreibt latente Persönlichkeitsmerkmale. Sie bezeichnet Wissen, Können, Fähigkeiten und Fertigkeiten in variablen Situationen und Prozessen der Bildproduktion, distribution und -rezeption.“ Kerngedanke dieser Standards und des Konzepts ist, dass keine Gegenstände und Inhalte vorgegeben werden, sondern Kompetenzen, die in Auseinandersetzung mit verschiedenen Inhalten erworben werden können. Inwieweit die Handlungsfelder der Rezeption und Produktion mit sprachlichen Kompetenzen verbunden sind, kann man ausgehend von den im Rahmen der Standards verwendeten Operatoren, wie wahrnehmen, differenzieren, benennen, beschreiben, dokumentieren, vergleichen, kommentieren, deuten, begründet vertreten, bewerten und präsentieren, schlussfolgern. So heißt es zu den Kompetenzbereichen im Fach Kunst:
|| erreichen (vgl. Helmke 2014: 241). Nach zahlreichen Gesprächen mit lange praktizierenden Kollegen/innen zur Umsetzung der Standards und der Kompetenzerwartungen zeichnete sich 2011 ab, dass viele den Ausgestaltungspielraum so nutzen, dass sie ihren Unterricht entsprechend den früheren Vorgaben planen, umsetzen und meist dieselben Schulbücher als Grundlage für den inhalts- und stoffbezogenen Unterricht wie zuvor verwenden. Es scheint, dass ohne eine systematische Einführung und Fortbildungen zum Umgang mit den neuen bildungspolitischen Vorgaben die Umsetzung des kompetenzorientierten, auf Langezeiterwartungen bezogenen Unterrichts nur in Ansätzen oder nicht erfolgt.
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Schülerinnen und Schüler nehmen Bilder wahr, beschreiben und analysieren diese, sie empfinden, deuten und werten sie, sie stellen Bilder her und verwenden sie. Dabei reflektieren sie sowohl in der rezeptiven wie in der gestalterischen Tätigkeit ihr Umgehen mit bildnerischen Prozessen und Ergebnissen. Mit den auf diesem Weg erworbenen Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen eignen sich die Schülerinnen und Schüler eine zunehmend komplexere Bildkompetenz an. (BDK 2008: 3)
Für den Bereich der Rezeption ist in den Bildungsstandards im Zusammenhang mit der sprachlichen Umsetzung zunächst global formuliert: „Schülerinnen und Schüler erkennen bildnerische Sachverhalte, Zusammenhänge, Wirkungen und stellen diese in angemessener Form sprachlich dar. Dabei beschreiben sie Bilder als komplexe Material-Form-Inhalts-Gefüge und nehmen sie als technisch gestaltete Phänomenen wahr.“ (BDK 2008: 3) Für die Bereiche Wahrnehmen, Beschreiben, Analysieren und Empfinden sowie Deuten und Werten sind im Anschluss konkrete Kann-Beschreibungen vorgegeben. So wird beispielsweise im Teilbereich Beschreiben spezifiziert: Schüler/innen können Bildelemente und -gegenstände sowie ihre Beziehungen zueinander in angemessener Form sprachlich benennen und schriftlich beschreiben sowie wesentliche, für die Wirkung relevante Darstellungsmittel bezeichnen (vgl. ebd.). Zudem können sie Material-Form-Inhalts-Beziehungen formulieren, unterschiedliche Bildsorten und Bildmedien differenzieren, Bilder ihren Gattungen zuordnen und für mündliche und schriftliche Beschreibungen sinnvolle Gliederungsaspekte finden (vgl. BDK 2008: 4). Die Erläuterungen zur Teilkompetenz Beschreiben legen nah, dass beispielsweise zur Formulierung von konkreten Material-Form-Inhaltsbeziehungen ein ganz eigenes Repertoire an sprachlichen Mitteln erforderlich ist. So ist für die Beschreibung der farblichen Gestaltung das Wissen und die Fähigkeit, die Art und die Wirkungsmöglichkeiten der Farbe und des Farbauftrags (z. B. deckend oder lasierend, tropfend, wischend, schabend, mit groben oder feinen Strichen, rein, leuchtend, ungemischt, aufgehellt, abgedunkelt) zu unterscheiden, erforderlich.33 Bei der Vermittlung der Teilkompetenz Beschreiben sind die Standards des
|| 33 Die Kenntnis um die maltechnischen Grundlagen, z. B. die farbliche Erscheinung der Pigmente oder der Lasur, die Eigenschaften der Farbe, wie sie sich beim deckenden oder lasierenden Farbauftrag zeigt, die Mischverfahren zur Generierung der Sekundärfarben und der Abstufung, dem Aufhellen oder Abdunkeln, der Farben sowie die verschiedenen Maltechniken und Variationen des Farbauftrags mit dem Borsten-, Haarpinsel oder mit den Händen, Schwämmen oder dem Spachtel werden im Unterricht durch das Handeln und erkundende Arbeiten in Werkstattsituationen erarbeitet. Dabei ist die Beschreibung des Prozesses und des malerischen Produktes eng verbunden mit der Handlung (vgl. Kapitel 5.4.2; 5.4.3).
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BDKs der Ausgangspunkt für die Formulierung von konkreten, problemorientierten Aufgabenstellungen, die die Ebenen der Produktion und Rezeption verbinden (vgl. Wagner 2010: 5) (vgl. Kapitel 5.3; 5.4). Für den Bereich der Bildproduktion, der die Herstellung, das Gestalten sowie das Verwenden von und Kommunizieren mit Bildern umfasst, zeigt insbesondere der Bereich Gestaltung, wie Bild- und Sprachkompetenz verbunden sind: Hier können die Schüler/innen ihre äußeren und inneren Wirklichkeiten formulieren sowie eigene und fremde Erfahrungen verarbeiten. Sie lernen, unterschiedliche Zugänge und bildnerische Strategien zu erproben und dadurch vielfältige Bildideen zu formulieren (vgl. BDK 2008: 4). Sie finden von der Idee zum Produkt, indem sie Gestaltungsvariationen im Zusammenspiel von Form, Material und Medium experimentell erkunden und eigene bildnerische Lösungen dokumentieren und reflektieren (vgl. ebd.). Die bewusste Erfahrung der Vielfalt menschlicher Vorstellungen, Ideen und Entwürfe sowie deren produktiver Umsetzung erfordert das Verstehen von und Sprechen über die eigenen und fremden Ideen zur materiellen und technischen Umsetzung (vgl. BDK 2008: 2). Gerade im Bereich der Produktion ist es wichtig, dass Kunstunterricht den Lerner/innen Raum lässt, selbst kreativ zu werden und eigene Formen des Ausdrucks zu finden. Die Erprobung einer Strategie, eines Verfahrens, eines Materials oder einer Technik zur Umsetzung der eigenen Vorstellungen bleibt oft in ihrem Ausgang unbestimmt. Diese Offenheit bedingt, dass der ästhetische Prozess immer eine andere Richtung einschlagen kann (vgl. Schaper 2012: 55). Die Prozesse und Produkte des praktisch-experimentellen Tuns beschreiben zu können, fördert das differenzierte Verständnis von Bildkulturen und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (vgl. Klinker/Niehoff 2015: WWW-Veröffentlichung) (vgl. Kapitel 5.4). Diese Darstellung der zwei Teilkompetenzen Beschreiben und Gestalten der Bildungsstandards des Faches Kunst macht deutlich, inwieweit die mündliche und schriftliche Kommunikation die Voraussetzung dafür ist, sich über eigene und fremde Vorstellungen, Ideen, Deutungen und Vorgehensweisen im Kunstunterricht auszutauschen. Bildkompetenz und Kommunikation sind in den Bereichen Produktion und Rezeption untrennbar miteinander verbunden, wie auch (Grünewald 2009: 14) festhält: Doch bedürfen bei aller qualitativen Differenz Bilder eines interpretativen Dialoges. Bilder sind im Gebrauch Kommunikations- und Erkenntnismittel, eine Art Sprache mit individueller wie gesellschaftlicher Bedeutung. Sie nutzen zu können in Rezeption wie Produktion, ist konstitutives Element von Allgemeinbildung – verlangt spezifische Lernprozesse, verlangt Vermittlung bzw. Erwerb von Bildkompetenz.
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Wie Grünewald beschäftigen sich viele Kunstpädagogen und Bildwissenschaftler auf einer Metaebene mit der Erklärung der Bildkompetenz, der Begründung ihrer Notwendigkeit und ihrer Berechtigung neben der und in Verbindung mit der Sprachkompetenz. Posner (2003), Vertreter der Bildwissenschaft, nähert sich z. B. dem Bereich der Bildkompetenz über die Semiotik an und erläutert: „Alle Bilder sind Zeichen, die in Zeichenprozessen auftreten und darin bestimmte Funktionen haben.“ (Posner 2003: 13) Dabei warnt er vor der Gefahr einer zu starken linguistischen Orientierung bei der Bildanalyse: „Vergleicht man Bilder mit anderen Zeichensorten, so ist zunächst der kommunikativistische Fehlschluss zu bekämpfen, alle Bilder seien Kommunikationsmittel in der Art von Sätzen. Wer ein Bild malt, muss es nicht zum Kommunizieren benutzen.“ (ebd.) Zur Annäherung an das Bild im Sinne des erweiterten Bildbegriffs im Gegensatz zur Kunstfixierung schlägt er eine umfassende Typologie der Zeichen- und Zeichenprozesstypen auf semiotischer Basis zur Beschreibung von Zeichen-(Prozessen) unterhalb der Komplexität von Kommunikation vor (vgl. ebd.: 18). Er postuliert Bildkompetenz als ein Zusammenspiel von zehn Kompetenzebenen, die beispielweise das Sehen und Wahrnehmen von Räumlichkeit oder von formalen Besonderheiten von Bildern betreffen können (vgl. ebd.: 20–21). Posners (vgl. ebd.) Übersicht der Kompetenzebenen macht als Ergänzung zu den Vorgaben der BDKStandards (2008) deutlich, wie differenziert die einzelnen Teilkompetenzen beschrieben werden können und auf wie vielen Ebenen die Bildkompetenzen u. a. im Bereich des alltäglichen Umgangs mit Bildern notwendig sind. Allerdings wird mit den Vorgaben der BDK-Standards sowie durch die Darstellung Posners suggeriert, man wüsste genau, worum es geht, wenn von wahrnehmen, beschreiben, analysieren, empfinden, werten, herstellen, gestalten und verwenden die Rede ist. Reichenbach und Meulen (2010: 801) kritisieren diesbezüglich: „Mit der Angabe solcher Standards oder Teilkompetenzen wissen wir allerdings nicht, ob und wie sie [...] angeeignet werden. Wir wissen nichts über die Entwicklung des ästhetischen Urteils.“ Auch Schaper gibt zu bedenken, dass die in den BDK-Standards beschriebenen Teilkompetenzen bisher nur vage formuliert sind (vgl. Schaper 2012: 22). Köller (vgl. 2008: 163) merkt dazu an, dass in den Entwürfen zu den Bildungsstandards alle Fächer betreffend größtenteils unklar bleibt, welche Funktionen sie erfüllen sollen und wie sie als Steuerungselemente im allgemeinbildenden Schulsystem wirksam werden können, sei es in Form von Lernstandserhebungen oder in Form von konkreten Vorschlägen für einen standard- und kompetenzorientierten Unterricht. Auch von Seiten der Kunstpädagogik mangelt es hier an konkreten und validierten Vorschlägen.
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Grund dafür könnten die Subjektorientierung im Kunstunterricht und der Gegenstand der Vermittlung – die Kunst – sein, die der Planbarkeit, aber auch der Festlegbarkeit auf konkrete Bildungsziele im Weg stehen. Schaper (2012: 132) führt in seinen Thesen zur Bildkompetenz aus: „Kunstvermittlung arbeitet ergebnisoffen. Heterogene Situationen und Ergebnisse sind ebenso möglich wie das Scheitern.“ Rymarczyk (2013: 267) hebt die Offenheit im Kunstunterricht als Vorteil u. a. für die Sprachbildung hervor, indem sie ausführt, dass die Vielschichtigkeit eines Kunstwerks eine hohe Zahl an Zugangs- und Interpretationswegen eröffnet (vgl. Kapitel 1.1; 1.2). Schüler/innen können sich unterschiedlicher expressiver Redemittel bedienen, um ihren Gefühlen, die durch die Rezeption ausgelöst werden, Ausdruck zu verleihen. Rymarczyk (vgl. ebd.) führt an, dass diese sprachliche Auseinandersetzung mit künstlerischen Gegenständen durch Autonomie und Schülerorientierung gekennzeichnet ist. Kirschenmann hebt außerdem die Freiheit des Kunstunterrichts trotz der Standardisierung als besonderes Leistungsmerkmal des Faches hervor: „Wir haben kein Fach, das so frei ist in der Interpretation des Lehrplans wie das Fach Kunst. Und diese Freiheit sollten wir uns bitteschön auch nehmen.“ (Kirschenmann 2010: 35) Wenngleich die Gestaltungsfreiheit ein Qualitätsmerkmal des Kunstunterrichts ist, erschweren die relativ offen gehaltenen Kompetenzerwartungen der BDK-Standards u. a. im Hinblick auf die Sprachbildung, die Leistungsmöglichkeiten und -ansprüche des Faches Kunst zu konkretisieren und damit gleichzeitig zu begründen. Billmayer (2008: 116) kritisiert in seinem teils polemisch, überspitzten Artikel „Kunst erschwert guten Unterricht“ mit Blick auf die Notwendigkeit der Kommunikation im Kunstunterricht und dem Mangel an konkreten Umsetzungsbeispielen: Darin [in Bezug auf die Notwendigkeit der Kommunikation für das Verstehen, T.F.] sind sich alle einig, trotzdem gibt es relativ wenige Unterrichtsbeispiele zur Kommunikation, weder praktische noch analytische. Der Grund liegt auch hier in der Kunstorientierung. Der Kunst geht es um eine besondere Form der Erkenntnis und der Weltdarstellung, nicht um Kommunikation. (Billmayer 2008: 116)
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1.5 Standards in Hessen: Kernlehrpläne für die Sekundarstufe I Die Einführung von Bildungsstandards in das allgemeinbildende Schulsystem der KMK in den Jahren 2003 und 2004, ihre Entwicklung und ihre Überprüfung zählen zu den folgenreichsten Reaktionen der Bildungspolitik auf die beunruhigenden Nachrichten der (inter)nationalen Schulleistungsstudien (vgl. Tenorth 2008: 159). Ursprünglich waren die Standards nur für die Kernfächer vorgesehen, aber ausgehend von den Initiativen der Fachwissenschaften und -pädagogik wurden sie für die meisten in der Sekundarstufe I angebotenen Fächer herausgegeben.34 So sind die lernzeitbezogenen Kompetenzerwartungen der BDK-Standards (2008) langfristig angelegt und beziehen sich auf die Klassen 9 und 10. Zur inhaltlichen Ausgestaltung werden auf der Länderebene die Kerncurricula, in denen Bildungsstandards und Inhaltsfelder für die Jahrgangsstufen dargestellt sind, sowie die Schulcurricula oder Lehrpläne zur inhaltlichen Konkretisierung der Planung herangezogen.35 Zudem hat das Institut für Qualitätssicherung (im
|| 34 Tenorth (vgl. 2008: 159–160) erläutert dazu, dass die Fachgesellschaften und -verbände, wie der BDK, die Initiative aus Angst ergriffen haben, als eigenständiges Fach von der öffentlichen Anerkennung und der innerschulischen Präsenz abgekoppelt zu werden. „Keine Fachdidaktik kann mehr der Frage ausweichen, welchem Kompetenzmodell ihre Arbeit folgt und welchen spezifischen Beitrag zur Allgemeinbildung sie erbringt.“ Tenorth (vgl. ebd. 160) merkt an, dass bislang nicht alle Fachdidaktiken der Aufgabe gewachsen sind, die theoretisch begründete und empirisch überprüfte Antworten zu geben, die mit der Standard-Arbeit formuliert werden. Auch die Kunstpädagogik steht in Bezug auf die theoretisch-empirische Überprüfung der Standards und Kernkompetenzen noch vor einer Herausforderung, denn es genügt nicht, die Tradition des schulischen, gesellschaftlichen und persönlichen Wertes der kulturell-ästhetischen Bildung als Begründung anzuführen. Problematisch erweist sich in Bezug auf die Forschung häufig nur, dass die empirische Bildungs-, Lehr-/Lernforschung in relativ großer Distanz zu den Fachdidaktiken und fachunterrichtlichen Themen und Problemen steht (vgl. Tenorth 2008: 160). 35 Die endgültigen Textfassungen der Kerncurricula liegen seit Beginn des Schuljahres 2010/2011 für die Sekundarstufe I vor; für den Abschluss nach dem 12./13. Schuljahr mit dem Abitur sind die Vorlagen seit dem Schuljahr 2015/2016 umgesetzt. Der einzelnen Schule obliegt bislang eine weitere Konkretisierung der Kerncurricula: Sie kann sich für die Entwicklung eines schulinternen Curriculums entscheiden. Solange kein Beschluss der Schule zu einem Schulcurriculum vorliegt, gelten die bisherigen Lehrpläne für die Bildungsgänge der Sekundarstufe I (HKM 2002). In diesem Fall legt die Schule fest, wie die Inhalte des Rahmenplans oder der Lehrpläne mit den Kompetenzfestlegungen der Kerncurricula verknüpft werden (vgl. HKM 2015, https://kultusministerium.hessen.de/schule/bildungsstandards-kerncurricula-und-lehrplaene (Zugriff: 9.11.2015). Zum Zeitpunkt der Untersuchung im Schuljahr 2010/2011 lag das Kerncurriculum Kunst für die Sekundarstufe I (HKM 2010) bereits vor.
Standards in Hessen: Kernlehrpläne für die Sekundarstufe I | 51
Folgenden: IQ) Leitfäden zum Umgang mit den Kerncurricula36 für alle Fächer herausgegeben (HKM/IQ: 2011). Anders als im Kerncurriculum, wo die Kompetenzen und Inhalte getrennt aufgeführt werden, wird in den Leitfäden an Beispielen aufgezeigt, wie inhaltbezogene Kompetenzen zu formulieren sind und davon ausgehend Unterricht geplant werden sollte. Da jedes Bundesland in diesen Bereichen andere Vorgaben macht, werden aufgrund des Untersuchungsschwerpunktes die hessischen Pläne für die Jahrgangsstufen 5 und 6 und in Bezug auf den Themenkomplex ‚Gestaltung‘ für die konkrete Planung in Auszügen dargestellt und im Hinblick auf die Planung des Unterrichts unter Berücksichtigung der sprachlichen Lernmöglich- und -notwendigkeiten analysiert. Das Kerncurriculum für das Fach Kunst für die Haupt- und Realschulen sowie für das Gymnasium stellt überfachliche Kompetenzen voran, die in allen Fächern grundlegend sind. Diese Schlüsselkompetenzen, zu denen auch die Sprachkompetenz gehört, zu vermitteln, ist Aufgabe eines jeden Fachunterrichts. Das HKM (2010) formuliert den Aufbau und die kontinuierliche Sicherung der Lese-, Schreib- und Kommunikationskompetenz als Basisaufgabe des Kunstunterrichts der Sekundarstufe I: – Lesekompetenz: Die Lernenden lesen und rezipieren Texte bzw. Medien unterschiedlicher Formate und nutzen dabei Lesestrategien. Sie entnehmen aus mündlichen und schriftlichen Texten wesentliche Informationen und ziehen begründete Schlussfolgerungen. Sie interpretieren Texte auf der immanenten Ebene sowie im Zusammenhang ihres gesellschaftlichen, historischen und kulturellen Kontextes. – Schreibkompetenz: Die Lernenden verfassen Texte in unterschiedlichen Formaten und formulieren diese adressaten- und anlassbezogen. Sie gestalten ihre Texte unter Berücksichtigung von Sprach- und Textnormen. – Kommunikationskompetenz: Die Lernenden drücken sich in Kommunikationsprozessen verständlich aus und beteiligen sich konstruktiv an Gesprächen, sie reflektieren kommunikative Prozesse sowie die Eignung der eingesetzten Kommunikationsmittel. (HKM 2010: 8–10) Die Vermittlung der sprachlichen Kompetenzen soll in Verbindung mit dem künstlerischen Tun und der Entfaltung der eigenen Kreativität beim Durchlaufen von komplexen, ästhetisch-praktischen Prozessen von der Idee bis zur Realisation und Reflexion erfolgen (HKM 2010: 11). Ausgehend von diesen Vorgaben im || 36 Die allgemeinen Rechtsgrundlagen für das Kerncurriculum sind der §4 des Hessischen Schulgesetzes (HSchG) und die Verordnungen zum Kerncurriculum.
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hessischen Kerncurriculum ist der Fachunterricht Kunst gleichzeitig auch Sprachunterricht, der die Aufgabe hat, allen Lernenden fachbezogene Lese-, Schreib- und Kommunikationskompetenz zu vermitteln. Also geht es nicht um die Frage nach der Eignung des Kunstunterrichts für die sprachliche Förderung von Kindern und Jugendlichen, sondern vielmehr darum, in welchen Situationen im Kunstunterricht allen Lernenden, einsprachig, zwei- oder mehrsprachig, bildungsfern oder -nah, die Gelegenheit eröffnet werden kann, das Lesen, Schreiben und Kommunizieren rund um das Bild zu erlernen sowie zu vertiefen und inwieweit die Schüler/innen dabei ausgehend von ihren individuellen Voraussetzungen unterstützt werden können. Dazu gehört auch, dass z. B. die Fähigkeiten des Beschreibens, Begründens, Erklärens und Argumentierens nicht vorausgesetzt werden sollten, sondern zu Lerngegenständen des Fachunterrichts werden. Ähnlich wie in den BDK-Standards (BDK 2008) werden im Kerncurriculum (HKM 2010) für das Fach Kunst die Kompetenzbereiche Sehen, Wahrnehmen, Erfahren, Planen, Gestalten und Handeln, Verstehen, Begreifen, Erklären vorangestellt und des Weiteren um die folgenden Inhaltsfelder, Bilder gestalten, ihnen reflektierend und erlebend begegnen und diese auf die Lebenswirklichkeit beziehen, ergänzt. Am Ende der Förderstufe, der 6. Klasse, sollen die Schüler/innen z. B. demnach für sinnliche Erfahrungen Worte finden und in diesem Zusammenhang Eindrücke schildern, Gesehenes beschreiben und einzelne Fachbegriffe angemessen anwenden können (vgl. HKM 2010: 21–22). Die folgenden Schemata zeigen zum einen die Kompetenzbereiche37 (Abb. 1) zum anderen die Inhaltsfelder (Abb. 2) und verdeutlichen ihre Verzahnung. Für den Kompetenzbereich Sehen, Wahrnehmen und Erfahren entwickeln Lernende die Fähigkeit, Bilder aktiv und systematisch zu betrachten. „Lernende verleihen dem visuellen Erlebnis Ausdruck. Das geschieht sprachlich, darstellerisch und musikalisch. Schließlich führen ‚Sprechen und Schreiben‘ über visuelle Sachverhalte und sinnliche Erfahrung dazu, sich mit anderen zu verständigen, sich des Erlebten zu versichern und es kritisch zu reflektieren.“ (HKM 2010: 12)
|| 37 Gestützt auf eine Durchsicht der in den Bildungsstandards enthaltenen Kompetenzerwartungen schlussfolgert Helmke (vgl. 2014: 243), dass es im Grunde genommen trotz der Unterschiede im Detail vier Typen von Fähigkeiten gibt, nämlich zum einen Wahrnehmen, Wissen, Verstehen sowie Sprechen und Auskunft geben, zum anderen Erarbeiten und Gestalten sowie Planen und Zusammenarbeiten. Vergleicht man diese Bereiche mit den Kernkompetenzfeldern des Kunstunterrichts (Abb. 1), leistet das Fach Kunst einen mit anderen Fächern vergleichbaren, wenn nicht gar aufgrund der Handlungsfelder Planen, Gestalten, Erklären einen großen Beitrag zum Kompetenzaufbau.
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Abb. 1: Kompetenzbereiche des Faches Kunst, Kerncurriculum Hessen, Sekundarstufe I (HKM 2010: 12)
Abb. 2: Inhaltsfelder des Faches Kunst, Kerncurriculum Hessen, Sekundarstufe I (HKM 2010: 12)
Die Erarbeitung von Unterrichtsschwerpunkten erfolgt ausgehend von den Vorgaben zu den Kompetenzbereichen und Inhaltfeldern, die dazu ausgewählt und verknüpft werden. Die verbindliche Konkretisierung und Sequenzierung der Vorgaben erfolgt schulintern. Die daraus resultierenden Fachcurricula sollen als entwicklungsoffene Arbeitspläne angelegt sein, sodass sie auf den wechselseitigen Prozess des Lehrens und Lernens eingehen können (vgl. HKM/IQ 2011: 11). Die
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Lehrkräfte sollen ausgehend von den ausgewählten Zielen und Inhalten konkrete Aufgaben, entweder Lern- oder Leistungsaufgaben, mögliche kompetenzorientierte Lernwege gestalten und Instrumente zur Feststellung der Lernstände konzipieren. „Die Festlegungen im Kerncurriculum treffen bewusst keine Aussagen dazu, wie ein Unterricht gestaltet sein muss, der den Erwerb und den Aufbau von Kompetenzen fördert und dabei die Lernenden in den Mittelpunkt stellt.“ (HKM/IQ 2011: 9). In den Leitfäden (HKM/IQ 2011) werden lediglich Anregungen zur Gestaltung von Lernarrangements und zur Formulierung von kompetenzorientierten Lernaufgaben formuliert. Der Leitfaden zur Unterrichtplanung für das Fach Kunst mit Orientierungstexten zum Kerncurriculum schlägt zur Entwicklung und Planung des Kompetenzerwerbs folgende Schritte vor, um Lernarrangements zu definieren und zu gestalten: Zunächst das Auswählen der Bildungsstandards und Verknüpfen mit den Inhaltsfeldern, dann das Konkretisieren und Sequenzieren in Bezug auf die Jahrgangsstufen, wobei die inhaltbezogenen Kompetenzen konkretisiert werden, im Anschluss die Planung der Lern- und Leistungsaufgaben und das Gestalten möglicher Lernwege sowie das Festlegen der Instrumente zur Feststellung von Lernständen (vgl. HKM/IQ 2011: 8). Wichtig sind dabei die Fragen, welche Lernsituationen in Bezug auf die Lerngruppe geeignet sind, um ihre Kompetenzen langfristig aufzubauen, und welche Lern- und Leistungsaufgaben formuliert werden, von denen dann ausgehend die Teilkompetenzen und Lernschritte bestimmt werden.38 Wie die konkrete inhaltliche Planung und Gestaltung des Kunstunterrichts aussehen kann, wird nachfolgend dargestellt.
|| 38 Das HKM und auch das IQ (2011) verweisen zur Aufgabenformulierung auf die Erklärungen und Vorgaben von Leisen zur Aufgabenkultur: www.aufgabenkultur.de (Zugriff: 9.11.2015). Leisen führt hier zahlreiche Kriterien zur Aufgabenformulierung und Konstruktion an, so zum Beispiel: Lernaufgaben aktivieren die Schüler zum selbstständigen Lernen, knüpfen am Vorwissen und der Wissensstruktur an, sind gestuft aufgebaut und in einen Kontext eingebettet, vernetzen vielfältige Aufgabentypen (experimentelle), schaffen eine Atmosphäre des Lernens, orientieren sich am Kompetenzmodell der Standards, fördern das Könnens-Bewusstsein, zeigen den Lernzuwachs, verankern das neu Gelernte im Wissensnetz usw. Auf die konkrete Aufgabenformulierung und Umsetzung im Kunstunterricht unter Berücksichtigung der zuvor festgelegten Unterrichtsprinzipien wie der Aufgabenorientierung wird im Kapitel 3 dieser Arbeit eingegangen.
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1.6 Inhaltliche Vorgaben für die 5. Klasse in Hessen Zur konkreten Ausgestaltung der in den Kerncurricula beschriebenen Kompetenzerwartungen sind die Vorgaben der Schule und der ggf. die Beschlüsse der Fachkonferenzen maßgeblich.39 Für die JvES dient der „Gymnasiale Lehrplan für die Förderstufe“ (HKM 2002: 11–15) als Ausgangsbasis für die Unterrichtsplanung in den Klassen 5 und 6. Diese Richtlinien beschreiben die inhaltlichen Bereiche des farbigen, zeichnerischen und plastischen Gestaltens. Im Themenkomplex „Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung: Ausdrucksqualitäten farbigen Gestaltens“ erproben die Schüler/innen der 5. Klasse beispielsweise Farbveränderung und Farbdifferenzierung mittels Mischen, Aufhellen, Abdunkeln und Abstimmen (vgl. Kapitel 5.4). Sie erlernen dabei z. B. die elementaren Verfahren des Gestaltens mit Deckfarben wie das deckende oder lasierende Malen, die Kernelemente des malerischen Ausdrucks und die Konsistenz und Mischung der Farbmasse. Ziel ist, dass Schüler/innen eine Vielfalt an Differenzierungsmöglichkeiten der malerischen Spur erproben und sich so ein Spektrum an individuellen Ausdrucksmöglichkeiten erschließen. Die fachsprachliche Bezeichnung für die Farben und die Wirkung eigener und fremder Farbkompositionen werden im Zusammenhang mit der eigenen Praxis und im Bereich der Bildbetrachtung behandelt (vgl. HKM 2002: 11), um die lernzeitbezogenen Kompetenzerwartungen für die Förderstufe wie die Beschreibung formalästhetischer Tatbestände durch das Erkennen und Benennen von grundsätzlichen Strukturen der Bildordnung und Farbwirkung zu erarbeiten (vgl. HKM 2010: 23). Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung des Themenkomplexes „Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung: Ausdrucksqualitäten farbigen Gestaltens“ durch Aufgaben, die den Schüler/innen selbstgesteuert ermöglichen, die Kompetenzen zum Gestalten, Herstellen, Verstehen, Erfahren und Beurteilen von Bildern zu erwerben, obliegt der/dem Fachlehrer/in (vgl. Kapitel 5.4). Dazu kann sie/er in den meisten Bundesländern auf Unterrichtsmaterialien, die vom Kultusministerium zugelassen wurden, zurückgreifen. Für Hessen gibt es diesbezüglich allerdings keine Empfehlungen. An vielen Schulen fehlt es zudem an Schulbüchern für das Fach Kunst und Materialien und Vorgaben zu Materialien, so auch an der JvES in Kassel. Daher kann die Lehrkraft ausgehend von den Vorschlägen der Curricula (HKM 2002) und den BDK-Standards (2008) die konkreten Themen
|| 39 Mit Beginn des Schuljahres 2015/2016 liegen für alle Schulformen Kerncurricula vor und die inhaltsorientierten Lehrpläne bilden keine verbindlichen Vorgaben mehr. Die Schulen können aber weiterhin zur Konkretisierung der Kerncurricula auf die inhaltlichen Vorgaben und Themen der Lehrpläne zurückgreifen, sofern keine Fachkonferenz andere Beschlüsse fällt.
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sowie die Zielsetzung und methodische Umsetzung, natürlich auch unter Zuhilfenahme von in Hessen zugelassenen Materialien, frei ausgestalten. Neben den vielfältigen Umsetzungsmöglichkeiten der BDK-Vorgaben und Kerncurricula ist der Mangel an Fachpersonal an den Schulen vor Ort ein weiterer Grund für die Schwierigkeit, Planung und Durchführung von Kunstunterricht auf verallgemeinerbare Merkmale festzulegen und somit auch generelle Aussagen zur Sprachbildung im Kunstunterricht zu machen.40 Diese Situation ist kein Einzelfall und gilt nicht nur für das Bundesland Hessen, sondern wie der Bildungsbericht 2012 (vgl. BMBF/KMK: 191–192) aufzeigt, wird der Unterricht im Fach Kunst häufig von Lehrkräften ohne grundständige Ausbildung, im besten Fall von Lehrkräften mit einer Erweiterungsprüfung oder externen Künstler/innen erteilt. Zudem geben die BDK-Standards zwar Kompetenzen vor, die die Lernenden in den Prozessen und Produkten des Kunstunterrichts erwerben und zeigen können, es gibt aber keine Vorgaben zur Art und Weise der Leistungsmessung, vergleichbar den Kernfächern, wie diese Kompetenzen, unter anderem auch die sprachlichen, zu elizitieren und zu bewerten sind. Diese Situation ermöglicht Gestaltungsfreiheit, erlaubt aber auch Beliebigkeit in der Unterrichtsplanung und Durchführung. In Bezug auf die Fragestellung, wie Sprachbildung in den Kunstunterricht integriert werden sollte, stellt sich das schon zuvor erläuterte Problem, dass der Kunstunterricht in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung nicht festgelegt werden kann. Auch wenn beispielsweise Hotz (vgl. 2010: 209–219) versucht, die Leistungsmöglichkeiten des Kunstunterrichts und die Frage nach DaZ-Fördermöglichkeiten für Schüler/innen mit nichtdeutscher Muttersprache zu erörtern, verbleibt sie jedoch bei ihrer Darstellung bei Annahmen, die z. B. in Bezug auf die im Kunstunterricht verwendeten Textsorten nicht analytisch oder empirisch belegt sind (vgl. Hotz 2011: 215).41
|| 40 An der JvES, an der in der Förderstufe zwei Jahre Kunstunterricht mit zweisprachig aufwachsenden Schülern und Schülerinnen durchgeführt wurde (vgl. Kapitel 5), unterrichteten 2009– 2012 beispielsweise überwiegend fachfremde Lehrkräfte, die aufgrund der mangelnden wissenschaftlichen und praktischen Ausbildung häufig auf Kopiervorlagen zum Malen und Zeichnen zurückgriffen. Aufgrund der fehlenden fachpraktischen Ausbildung waren sie nicht in der Lage, Aufgaben aus der Lebenswelt der Schüler/innen zur Entwicklung des gestalterischen Niveaus und des reflexiven Repertoires zu stellen, zu begleiten und die dazu notwendigen Techniken zu vermitteln. 41 Die Darstellung und Analyse von Hotz (2011) geht von der Funktionalisierung des Faches Kunst und seiner Möglichkeiten zu Sprachförderzwecken aus. Es geht unter anderem auch darum, Methoden aus dem Bereich der Bilderschließung auf den DaFZ-Unterricht zu übertragen und zu diskutieren, inwieweit diese zur Sprachförderung oder zur methodischen Auflockerung des Fremdsprachunterrichts geeignet sind.
Inhaltliche Vorgaben für die 5. Klasse in Hessen | 57
Kompetenzen als Regelstandards (BDK 2008/HKM 2010) beschreiben, was die Schüler/innen bis zum mittleren Schulabschluss können, nicht welche Gegenstände und Themen behandelt werden sollten. Die konkrete Erarbeitung dieser lernzeitbezogenen Kompetenzerwartungen manifestiert sich auf der inhaltlich-thematischen Ebene, die durch die Inhaltsfelder im Kerncurriculum nur grob beschrieben werden. Gerade in den musisch-ästhetischen Fächern gibt es keine Vorgaben, die Schüler/innen auf Vergleichsarbeiten vorzubereiten. Die Konsequenz ist, dass der Druck, vergleichbare Kompetenzen zu vermitteln, geringer ist. Diese Freiheiten ermöglichen faktisch eine freie, teils auch beliebige Ausgestaltung bei der Planung und Umsetzung von Kunstunterricht in der Sekundarstufe I. Im Rahmen des vorliegenden Vorhabens für den Kunstunterricht in der 5. Klasse in Hessen und an der JvES wird von diesen formal verpflichtenden Vorgaben für die nachfolgende konkrete Planung ausgegangen (vgl. Kapitel 5.3; 5.4). Dadurch kann nachvollzogen werden, welche Rolle die Sprachbildung im Kunstunterricht spielen kann und wie die lernzeitbezogenen Kompetenzerwartungen der Standards auf der didaktischen Makroebene auf der Mikroebene anwendbar und konkretisierbar sind, denn jede Unterrichtsequenz und -stunde sollte laut Kerncurriculum (HKM 2010/2011) zur Weiterentwicklung der inhaltsbezogenen Kompetenzen und der Schlüsselkompetenzen wie der sprachlichen Bildung beitragen. An JvES wurde 2010 und 2011 nach dem Lehrplan Kunst für das Gymnasium (HKM 2002) gearbeitet. Die Schüler/innen können ab der Klasse 7 auch in die Gymnasialklassen wechseln, so dass während der Förderstufenzeit in den Klassen 5 und 6 auf diesen gymnasialen Übergang vorbereitet wird (vgl. Kapitel 5.1). Im weiteren Verlauf werden daher die gymnasialen Vorgaben (HKM 2002) für das Fach Kunst im Allgemeinen und in Bezug auf die Klasse 5 näher erläutert und die Auswahl der Themen, Inhalte und Ziele für das konkrete Projekt begründet. Im Vergleich mit den Lehrplänen für die Haupt- und Realschule sind die Vorgaben zu den Unterrichtsgegenständen aus den drei Bereichen des farblichen, plastischen und zeichnerischen Gestaltens vergleichbar und weichen nur hinsichtlich ihrer Komplexität und der zusätzlichen Differenzierung und Erweiterung für den gymnasialen Bildungsgang voneinander ab. Die Erarbeitung von Bildkompetenzen (vgl. Kapitel 1.4; 1.5) steht trotz der Orientierung an den thematisch-inhaltlichen HKM-Vorgaben (2002) im Vordergrund. Durch die Kombination mit den Vorschlägen im Kerncurriculum (HKM 2010) kann die Lehrkraft entscheiden, in welchen Situationen sie die aufeinander aufbauenden Kompetenzen erarbeitet.
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Abb. 3: Tabellarische Übersicht der Ausdrucksqualitäten, Lehrplan für das Gymnasium, G9 (HKM 2002: 9)
Inhaltliche Vorgaben für die 5. Klasse in Hessen | 59
Die Übersichtstabelle (vgl. Abb. 3) verdeutlicht zum einen, wie die Ausdrucksqualitäten in den jeweiligen Klassenstufen aufeinander aufbauend, in einer spiralcurricularen Form vermittelt werden, zum anderen im Unterschied zu den Kerncurricula, dass die Kernkompetenzen, Sehen, Wahrnehmen und Erfahren sowie Planen, Gestalten und Handeln usw. nicht konkret benannt sind. Die im gymnasialen Lehrplan Kunst (HKM 2002: 11–15) für die Klasse 5 formulierten Richtlinien umfassen drei Bereiche, die in beliebiger Reihenfolge im Verlauf des Schuljahres bearbeitet werden können. Dabei soll die Übergangsituation von der Primar- in die Sekundarstufe in der 5. Klasse auch dazu dienen, dass die Schüler/innen sich orientieren und durch freie Gestaltungsaufgaben Selbstvertrauen gewinnen. Zudem können in der Klassenstufe 5 unterschiedliche Voraussetzungen im Bereich Bildkompetenz durch ein differenziertes Erarbeiten der Verfahren der Bildenden Kunst ausgeglichen werden (vgl. HKM 2002: 11). Die drei folgenden Bereiche werden für die 5. Jahrgangstufe vorgegeben: – Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung: Ausdrucksqualitäten farbigen Gestaltens – Dingphantasien zwischen Chaos und Ordnung: Ausdrucksqualitäten zeichnerischen und grafischen Gestaltens – Spielobjekte: Ausdrucksqualitäten plastischen Gestaltens42 (vgl. HKM 2002: 11–15) Im Vordergrund des Themenkomplexes „Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung: Ausdrucksqualitäten farbigen Gestaltens“ steht das Thema Farbe. Die Schüler/innen erproben Farbveränderung und Farbdifferenzierung mittels Mischen, Aufhellen, Abdunkeln und Abstimmen. Aufgaben zur Vorstellungsbildung der eigenen Person oder fremder Personen sollen sich auf die Erlebnisse der Kinder beziehen. Dabei sollen sie elementare Verfahren des Gestaltens in Farbe (z. B. Deckfarbenmalerei) und ihre Ausdrucksqualitäten im Blick auf die Farbdifferenzierung und Komposition kennen lernen. Der Unterricht soll Gelegenheit bieten, Kenntnisunterschiede von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlicher Lerngeschichte auszugleichen. Unterschiede zwischen deckendem und lasierendem Malen beispielsweise treffen einen Kern malerischen Ausdrucks, besonders eine unterschiedliche Konsistenz und Mischung der Farbmasse ermöglicht die große Vielfalt an Differenzierungsmöglichkeiten der malerischen Spur. Bei entsprechenden Problemstellungen können die
|| 42 Im Arbeitsbereich „Spielobjekte: Ausdrucksqualitäten plastischen Gestaltens“ sollen die Schüler/innen Gelegenheit bekommen, plastische Spielobjekte herzustellen (vgl. HKM 2002: 16). Die plastische Gestaltung von Spielobjekten ist nicht Unterrichtsgegenstand im Rahmen des Projekts und wird daher im Folgenden nicht bei der Analyse und Diskussion um die Möglichkeiten der Sprachbildung im Kunstunterricht einbezogen.
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Lerngruppen ein reiches Spektrum an individuellen Ausdrucksmöglichkeiten erschließen. Anknüpfend an die eigenen gestalterischen Erfahrungen der Kinder sollen historische oder zeitgenössische Bilder betrachtet und erkundet werden. (HKM 2002: 11)
Mit der Planung der Unterrichtsreihe „Der gedeckte Tisch“ (vgl. Kapitel 5.2; 5.4) entsprechend den curricularen Vorgaben werden die Grundlagen der farblichen Gestaltung und Verwendung sowie der Beschreibung ihres Ausdrucks in einer Werkstattsituation im Rahmen eines Stationenlernens konkretisiert, sodass alle Schüler/innen entsprechend ihren Kompetenzen den Umgang mit dem Material Farbe individuell erproben und weiterentwickeln können. Im Arbeitsbereich „Dingphantasien zwischen Chaos und Ordnung: Ausdrucksqualitäten zeichnerischen und grafischen Gestaltens“ sollen die Schüler/innen beispielsweise Flächenordnungsprinzipien wie die Flächengliederung, das Wechselspiel zwischen Figur und Grund, die Staffelung, Reihung, Streuung und Ballung von Bildgegenständen erproben und anwenden. Zudem sollen sie ein Formrepertoire an Ausdrucksqualitäten der zeichnerischen Spur für Figuren, Dinge, Gebäude, Pflanzen und Tiere entwickeln (vgl. HKM 2002: 13). Die zeichnerische Oberflächengestaltung ist also neben den Prinzipien zur Flächenorganisation vorrangiges Ziel dieses Anforderungsbereiches. Diese Flächenordnungs- oder auch Kompositionsprinzipien werden mit den Schüler/innen der Klasse 5 ebenso in der Unterrichtsreihe (vgl. Kapitel 5.2) erarbeitet, geübt und angewendet. Anders als die Kerncurricula (2010) wird in den Ausführungen zu den unterrichtlichen Inhalten für die Klassen 5 bis 10 des HKM von 2002 die Sprachbildung nicht als eigenständiger und zentraler Bereich betont. Der Schwerpunkt der Ausführungen bezieht sich auf die unterschiedlichen Facetten der Bildproduktion und betont diesen Bereich: Kunstunterricht unterscheidet sich von anderen Unterrichtsfächern vor allem durch seine methodische Vielfalt und seine bewährten Praxisformen. Dabei ist alles, was sich optischvisuell darstellen lässt, an eigene Repräsentations- oder Vermittlungsformen gebunden, eingebunden in Formen des ästhetischen Lernens mit all seinen aktionsbetonten Handlungsweisen, die sich durch keine andere Aneignungsform ersetzen lassen. In der Sekundarstufe I geschieht dies primär durch subjektbezogenes konkretes Tun, um das visuelle und haptische Wahrnehmungs- und Ausdrucksvermögen der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Entsprechende Fragestellungen und reflexive Prozesse ergänzen die ästhetische Praxis, um die Erkenntnistätigkeit und Erlebnisfähigkeit anzuregen und kreative, intuitive – auch spontane – Prozesse anzustoßen. (HKM 2002: 3)
Informationen zum Anteil und der Rolle der Bildreflexion, also die Bereiche, die in den Kerncurricula (vgl. 2010: 12) mit den Operatoren Sehen, Wahrnehmen und Erfahren und Verstehen, Begreifen und Erklären gekennzeichnet sind, können aus
Methodisches Handeln im Kunstunterricht | 61
dem Lehrplan nur indirekt abgeleitet werden, wenn es z. B. heißt, dass das Kommunikations- und Empfindungsvermögen zu fördern ist (vgl. HKM 2002: 11) und z. B. unter der Kategorie „Umgang mit Kunst“ konkrete Vorschläge zur Betrachtung unterschiedlicher Kunstwerke gemacht werden (vgl. Abb. 3). Durch die Bildungsstandards und Kerncurricula hat also auch eine Schwerpunktverlagerung stattgefunden: Die Bildrezeption und -produktion, die Kernbereiche des Kunstunterrichts werden gleichermaßen berücksichtigt, wenn es um den Erwerb der Bildkompetenz geht. Aber auch wenn die bisherigen Kunst-Lehrpläne in Bezug auf die Sprachbildung keine verbindlichen und expliziten Vorgaben machen, so ist die Sprache das Medium, mit dem das Lernen im Kunstunterricht organisiert wird und in dem sich das Gelernte zeigen kann (vgl. Kapitel 1.2; 1.3; 1.8).
1.7 Methodisches Handeln im Kunstunterricht Die bisherigen Ausführungen zu den konzeptionellen Grundlagen im Kunstunterricht beziehen sich auf den Bereich der Didaktik, also der Standards, Kompetenzen, Ziele, Gegenstände sowie Inhalte des Unterrichts in Bezug zur Rolle der Sprache und der fachintegrierte Sprachbildung. Dabei wurde bislang noch nicht auf die Frage eingegangen, wie man Lernprozesse gestaltet und hervorruft, die qualitativ hochwertigen Output erzeugen. Abschließend soll daher ein Exkurs zur Methodik im Kunstunterricht aufzeigen, inwieweit auf den Ebenen der Mikro, Meso- und Makromethodik43 die Formen und Verfahren der Gestaltung von Lernarrangements im Fach Kunst sprachliche Kompetenzen fördern und fordern. Auf der Ebene der Mesomethodik konkretisiert sich Unterricht durch seine zeitliche Phasenstrukturierung in Verlaufsformen, dem Einstieg, der Erarbeitung und der Ergebnissicherung, sowie durch die Formen der Unterrichtsgestaltung und durch die Sozialformen und Handlungsmuster, die den Einsatz der Lehr- und Lernmittel steuern. Seydel (2006) veranschaulicht das methodische Handeln im
|| 43 Meyer (vgl. 2010: 44) definiert Unterrichtsmethoden als Formen und Verfahren, mit deren Hilfe sich Lehrer/innen und Schüler/innen die sie umgebende natürliche und gesellschaftliche Wirklichkeit aneignen. Meyer (vgl. 2010: 45) unterscheidet dabei auf der Makroebene die Grundformen des Unterrichts (z. B. Projektarbeit, gemeinsamer Unterricht) von den Dimensionen des methodischen Handelns auf der Mesoebene. Dazu gehören die Sozialformen (z. B. Gruppenarbeit, Plenum), die Handlungsmuster (z. B. Lehrer/innenvortrag, Diskussion), die Verlaufsformen (z. B. Einstieg, Erarbeitung) und die Raumstruktur. Die Mikromethodik umfasst dabei die Operatoren und Inszenierungstechniken des Unterrichts, z. B. zeigen, fragen, antworten, vergleichen oder dramatisieren.
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Kunstunterricht angelehnt an das Modell Meyers (vgl. 2010: 45) auf den verschiedenen Ebenen:
Abb. 4: Schaubild zum methodischen Handeln im Kunstunterricht (Seydel 2006: 7)
Methodisches Handeln im Kunstunterricht | 63
Methodische Entscheidungen, so auf der Makroebene, z. B. die Arbeit in Projekten oder an Stationen, sind kontextabhängig und insbesondere determiniert durch die didaktischen Vorgaben zum Kunstunterricht sowie die methodischen Prinzipien, auf die im dritten Kapitel eingegangen wird. Zudem wirken sich pädagogische Ansätze und methodische Prinzipien wie die Subjekt-, Prozess-, Problem- und Erfahrungsorientierung sowie das entdeckende, selbstgesteuerte oder offene Lernen auf die konkrete Gestaltung des Unterrichts aus. Diese werden in Bezug auf die konkrete Planung und Umsetzung des Projekts ebenso im dritten Kapitel dieser Arbeit erörtert. Ein wichtiges Merkmal von methodischen Settings44 im Kunstunterricht, die wie das Schaubild zeigt, sehr vielfältig sein können, ist das Arrangement von Lernprozessen in linearen und nicht-linearen Lernumgebungen: „Im Kunstunterricht reichen die methodischen Settings von Abfolgen aufeinander aufbauenden hierarchischen Lernprozessen bis zu polyfunktionalen Settings, die Lernplateaus und Suchbewegungen [Hervorhebung im Original] von Kindern und Jugendlichen ermöglichen.“ (Busse 2011: 296) An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit im Rahmen der methodischen Möglichkeiten zur Planung des Kunstunterrichts auf der Mesoebene, so die Sozialformen und die Phasenstrukturierung des Unterrichts betreffend, Vermittlungswege zur Sprachbildung oder zur Kommunikation zum Bild konkretisiert werden können. Wirth (vgl. 2009: 19) erläutert bezüglich der Sozialformen, dass es vielfältige Gelegenheiten im Kunstunterricht gibt, die Kommunikation durch die kooperative Arbeit der Schüler/innen anzustoßen. Situationen, in denen die Schüler/innen Konzepte erörtern, Entwürfe besprechen, technische Lösungen diskutieren, Präsentationen erstellen und vorführen sowie einander beraten, sind besonders durch die Kooperation in Gruppen zu inszenieren. Wirth (2009: 19) hält in Bezug auf das Ziel des selbstständigen Handelns und Kommunizierens fest: „Das Anliegen, Schüler in die Lage zu versetzen, selbstständig zu agieren, lässt sich gut vermitteln, wenn Schüler miteinander kooperieren.“ Eid, Langer und Ruprecht (vgl. 2000: 255) betonen die Form der arbeitsteiligen Gruppenarbeit als „quantitativ und qualitativ hochstehend“, da sie kooperations- und kommunikationsfördernd ist. Dabei arbeitet jede Gruppe an einem Teilaspekt der Aufgabe und die sich ergänzenden Arbeitsergebnisse können im Plenum diskutiert werden.
|| 44 Busse (vgl. 2011: 295) beschreibt methodische Settings als Entwurf von Lern- und Erfahrungsräumen, in denen junge Menschen Kultur gestalten und in denen sich für sie Blickfelder öffnen. Das methodische Setting denkt den didaktischen Methodenbegriff von den möglichen Lernhandlungen her. Die Beschreibung der Handlungen und Anwendungsformen in der Vermittlungssituation leistet laut Busse das methodische Skript.
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Kunstunterricht kann laut Busse (vgl. 2011: 296) in nonlinearen, linearen, eher offenen oder geschlossenen Lernarrangements gestaltet werden. Zur Strukturierung von Unterrichtsvorhaben werden verschiedene Methodikmodelle herangezogen, die durch wiederkehrende Strukturelemente gekennzeichnet sind. Je nach Unterrichtsituation kann es nach Wirth (vgl. 2009: 107) sinnvoll sein, die Phasen folgerichtig abzuarbeiten, sie zu verschränken oder wiederholend einzusetzen. Die folgende treppenartige Struktur nach Wirth (2009: 107)45, die vorranging für den Bereich der Bildproduktion gelten soll, wird in der anschließenden tabellarischen Darstellung im Hinblick auf die konkrete methodische Umsetzung der Spracharbeit interpretiert und konkretisiert. Das Lernen steht bei den folgenden Erläuterungen zur Methodik im Vordergrund (vgl. ebd.). Die Lehrkraft leitet den Lernprozess an, unterstützt und moderiert. Tab. 1: Möglichkeiten der Strukturierung des Kunstunterrichts nach Wirth (vgl. 2009: 108–109) (linke Spalte) und davon ausgehend Annahmen in Bezug auf die Sprachbildung (rechte Spalte)
Phase oder Strukturelement des Kunstunterrichts nach Wirth (vgl. 2009: 108–109)
Lernen und Lehren: Erklärungen zu möglichen Inhalten, Zielen dieser Phase
Annahmen zur integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht in Bezug auf die Strukturierung
0. Instruktion (wird nach Wirth nicht explizit als eigenständiges Strukturelement benannt, daher Position 0)
Lehrkraft stellt die Aufgabenstellung vor und regt die Vorstellungsbildung an.
Einstieg: Verstehen der Impulse und des Arbeitsauftrags, Formulierung von Ideen, Austausch der Ideen, Verstehen der Bezeichnung der Materialen und Arbeitsanweisungen zu den Arbeitsmaterialien, Nachvollziehen von Vorgangsbeschreibungen im Rahmen der Anweisungen.
Material und Gerätschaften werden zur Verfügung gestellt.
|| 45 Die Ausführungen in der linken Spalte der Tabelle zur Phasenstrukturierung stammen von Wirth (2009) und wurden von der Verfasserin dieser Arbeit mit Bezug auf Wirth erläutert (2. Spalte) und in Bezug auf die Sprachbildungsmöglichkeiten ausgelegt (3. Spalte). Die Operatoren (z. B. beschreiben), die u. a. die sprachlichen Handlungen beschreiben, sind kursiv gedruckt, um hervorzuheben, welchen Rolle die Sprache bei den ausgeführten Lernaktivitäten spielen kann.
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Phase oder Strukturelement des Kunstunterrichts nach Wirth (vgl. 2009: 108–109)
Lernen und Lehren: Erklärungen zu möglichen Inhalten, Zielen dieser Phase
Annahmen zur integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht in Bezug auf die Strukturierung
1. Exploration
Wirth (vgl. ebd.) erläutert diese Phase nicht konkret, aber es ist davon auszugehen, dass darunter das ‚entdeckende‘ oder auch ‚erkundende‘ Lernen zu verstehen ist.46 Beim entdeckenden Lernen stehen die Lernarrangements im Zentrum der Wissensaneignung, in deren Rahmen die Schüler/innen selbstständig an der Aufgabenlösung arbeiten. Schüler/innen können hier Material sichten, recherchieren, etwas anfertigen, auswählen, kombinieren.
Suche nach und Formulierung von Lösungen: Je nach Aufgabenstellung kann hier im Rahmen der selbstständigen Recherche das Verstehen von Texten erforderlich sein. Formulierung von Ideen, Austausch der Ideen mit Mitschüler/innen – z. B. im Plenum.
2. Kreation: Inspiration oder Ideenfindung
Ideen zur Auswahl und Aufgabenlösung werden festgehalten.
Ideen werden formuliert. Idealerweise könnten Ideen mit dem Partner oder in der Gruppe diskutiert werden. Die Beschreibung eines zukünftigen Produktes oder Prozesses: die Gegenstandsoder Vorgangsbeschreibung könnten erforderlich sein, um sich über die Ideen auszutauschen.
|| 46 Entdeckendes Lernen ist eine auf Neugierde und Eigenaktivität (Exploration) beruhende Form des Wissenserwerbs. Es spielt v. a. in der kindlichen Entwicklung eine zentrale Rolle. Entdeckendes Lernen wird zu forschendem Lernen, wenn es sich an den grundlegenden Prinzipen wissenschaftlicher Forschung orientiert (z. B. Aufstellung von Hypothesen auf der Grundlage verfügbaren Wissens; systematische Überprüfung der theoretischen Vermutungen) (vgl. Tenorth/Tippelt 2007: 186).
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Phase oder Strukturelement des Kunstunterrichts nach Wirth (vgl. 2009: 108–109)
Lernen und Lehren: Erklärungen zu möglichen Inhalten, Zielen dieser Phase
Annahmen zur integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht in Bezug auf die Strukturierung
3. Planung: Festhalten oder Konkretisierung der Ideen oder Differenzierung von Wahrnehmung und Beobachtung
Übersicht über die Arbeitsschritte gewinnen, planen und konkretisieren oder verändern.
Je nach Komplexität des Vorhabens kann dieser Schritt wie bei Großprojekten sehr ausführlich und schriftlich in Form einer Stichpunktesammlung bis hin zu einer detaillierten Vorgangsbeschreibung gestaltet werden.
4. Realisierung: Planung der Präsentation von Ergebnissen einer Exploration oder der Realisierung einer Idee als Inszenierung, Aktion, Bildwerk, Modell
Schüler/innen setzten Bildlösungen entsprechend ihrer Idee und Planung um.
Je nach Vorhaben kann es sich hier um die Präsentation eines Bildes oder auch um die Präsentation von Analyseergebnissen in Form eines Informationsplakates handeln: z. B. mündliche Beschreibungen und Erklärungen zum Bildgegenstand und/oder zu den Plakatinhalten und -zielen (vgl. Kapitel 5.3). Schüler/innen planen also ihre mündliche Kommunikation und/oder verschriftlichen ihre Ergebnisse für ein Informationsplakat.
5. Präsentation: Erörtern und Auswerten von Arbeitsergebnissen
Schüler/innen schauen sich die Ergebnisse ihrer Mitschüler/innen an. Die Arbeiten werden vorgestellt. Die Arbeiten werden in Gruppen oder im Plenum besprochen. Die Beurteilungskriterien werden erörtert und herangezogen. Die Lehrkraft moderiert.
Beschreiben und erklären der Arbeitsergebnisse. Fragen stellen und Fragen zu den Arbeiten beantworten. Die Schüler/innen diskutieren in Gruppen und beurteilen ihre eigenen und die Arbeiten ihrer Mitschüler/innen. Arbeiten werden kommentiert und die Stellungnahmen durch konkrete Beispiele begründet.
6. Perspektive: Anknüpfungspunkte für die Weiterarbeit oder Aufsuchen
Vorschläge zur Weiterarbeit werden diskutiert. Die Lehrkraft moderiert.
Schüler/innen machen Vorschläge zur Weiterarbeit, entwickeln Ideen und
Die Lehrkraft berät und unterstützt.
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Phase oder Strukturelement des Kunstunterrichts nach Wirth (vgl. 2009: 108–109) anderer Gegenstands-/Sachoder Aufgabenbereiche, Überarbeiten, Modifizieren oder Beginn eines neuen Projekts
Lernen und Lehren: Erklärungen zu möglichen Inhalten, Zielen dieser Phase
Annahmen zur integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht in Bezug auf die Strukturierung begründen Ideen und Vorschläge, wägen ihre Ideen ab und entscheiden sich.
Wirth (vgl. 2009: 112–119) und auch andere Kunstpädagogen schlagen vor, die Ausgestaltung des Lernarrangements offen zu gestalten und die Schüler/innen z. B. durch die Arbeit an Stationen oder in Projekten an das selbstständige Arbeiten heranzuführen (vgl. Kapitel 5.4). Viele Kunstpädagogen wie Eid, Langer und Ruprecht (vgl. 2000: 264) betonen, dass es keine bestimmte Methode, keine bestimmte Arbeitsform gibt, um Lernziele zu erreichen, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten. Schon 1978 hält der Kunstpädagoge Kowalski (vgl. 1978: 274) zur Unterrichtsplanung im Kunstunterricht fest, dass die Planung und Durchführung von Unterricht im Einzelnen schwer darzustellen ist und die Phasen wie die Einführung, Motivation, Realisation und Reflexion nur orientierenden Charakter haben. Busse (vgl. 2011: 333–338) stellt beispielsweise zur Beschreibung der Unterrichtssettings auf der Mesoebene lange Listen mit möglichen Inszenierungstechniken in den Handlungsfeldern wie Fantasieren und Imaginieren zusammen, um das Spektrum der Möglichkeiten zu verdeutlichen. Er schlussfolgert, dass Kunstunterricht offene Räume verlangt und diese Spielräume zu planen sind (vgl. ebd. 353).47 Im offenen Unterricht sind die zuvor erläuterten Unterrichtsphasen nach Wirth mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung ebenso vorhanden: Selbst
|| 47 Während in der kunstpädagogischen Diskussion Gestaltungspielräume betont und die Offenheit des Unterrichts als besonderes Merkmal hervorgehoben wird, so werden jedoch bei der konkreten Unterrichtsplanung pädagogische Modelle zur Rhythmisierung (z. B. nach Klafki) seit jeher herangezogen, wenn es darum geht, angehenden Lehrer/innen in der zweiten Phase der Lehrerausbildung ein Werkzeug zu Unterrichtplanung an die Hand zu geben. Der lineare Grundrhythmus des Unterrichts mit der Einteilung in die Phasen Einstieg, Erarbeitung und Ergebnissicherung wird zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen angewandt und auch bei der Bewertung von Unterrichtsentwürfen analysiert und beurteilt (vgl. Meyer 2010: 70–71). Hier gibt es ein Pendeln zwischen kunstpädagogischer Verweigerung der Festlegung und der Forderung nach Planungssicherheit und -überprüfbarkeit von Seiten der Schulpädagogik.
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wenn die Schüler/innen im Rahmen der „Do-it-yourself-Struktur“ (vgl. Wirth 2009: 113) oder der Projetarbeit (vgl. 2009: 117) die verschiedenen Aspekte der Erarbeitung eines Vorhabens in unterschiedlichem Tempo und unterschiedlicher Folge selbst bearbeiten, sind die Instruktion, Exploration, Ideenfindung, Realisierung, Präsentation und Aus- und Bewertung der Ergebnisse feste Elemente, die das freie Arbeiten strukturieren. Busse (2011: 297) hält dazu fest: Unterricht ist grundsätzlich eine Pendelbewegung zwischen Spielraum und Festlegung, zwischen notwendiger curricularer Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer, ihrer Fähigkeit zur Beratung und individueller Förderung und der Bereitstellung von methodischen Settings, in denen Kinder und Jugendliche eigenen Wege des (unterstützten) Lernens finden. Schule ist kein Ort für autodidaktische Prozesse.
Die methodische Modellierung dieser Settings oder Lernarrangements ist folglich zu planen und meist durch einen strukturierten Ablauf gekennzeichnet, auch wenn der offene Unterrichtsansatz für die Umsetzung von Praxisprojekten favorisiert wird. Im Bereich der Mesomethodik der Unterrichtsplanung (vgl. Tabelle 1), beispielsweise nach Wirth (vgl. 2009: 108–109), fällt auf, dass Spracharbeit bei jedem Schritt präsent und vor allen Dingen erforderlich, wenn es darum geht, die eigenen Ideen und Pläne zu formulieren und die Ergebnisse zu präsentieren. Sprachbildung wird jedoch nicht in den Methodikmodellen zur Strukturierung des Kunstunterrichts z. B. nach Wirth (2009) oder in den Settings nach Busse (2011) als selbstständiger Lernbereich benannt und diskutiert.
1.8 Kunstunterricht, die Rolle der Sprache und Planungskriterien Die vorige Darstellung und Analyse der didaktischen Planungsgrundlagen, der Bildungsstandards (BDK 2008) und Kompetenzerwartungen (HKM 2010) sowie Inhaltsvorgaben (HKM 2002) für den Kunstunterricht in der Sekundarstufe I verdeutlichen den Anspruch und das Leistungsspektrum der Kunstpädagogik. Die Analyseergebnisse zeigen auf, welche Vorgaben des Kultusministeriums auf der Makroebene zu berücksichtigen sind, wenn man eine Unterrichtseinheit in der 5. Klasse und eine einzelne Unterrichtsstunde auf der Mikroebene planen, durchführen will. Zudem haben die Ausführungen gezeigt, inwieweit Sprachbildung laut den Vorgaben zu integrieren ist oder untrennbar mit der Vermittlung verbunden ist. Offensichtlich gibt es im Kunstunterricht eine Reihe von Situationen, in denen Bild und Sprache aufeinander bezogen werden müssen, will man Lernprozesse entsprechend den normativen Vorgaben inszenieren. Kunstpädagogen wie
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Bering, Heimann, Littke, Niehoff und Rooch (vgl. 2013: 133) warnen davor, dass bei Bildererschließungen, Gesprächen über Gestaltungsprodukte und -prozesse unbedacht mit Sprache umgegangen wird: „Unbedachtes Umgehen mit der Wortsprache, das muss jede Kunstpädagogin und jeder Kunstpädagoge wissen, wirkt sich zu Lasten des Bildes aus und beeinträchtigt die spezifische Bildungsqualität des Kunstunterrichts.“ (Bering et al. 2013: 133) Das Zusammenspiel von Bild und Sprache ist im Kunstunterricht unverzichtbar, aber auch problematisch wie Niehoff und andere anmerken (vgl. Kapitel 1.1). Denn die zwei Repräsentationsweisen des menschlichen Wahrnehmens, Fühlens, Denkens und Handelns – Bild und Sprache – gehen miteinander eine komplementäre, oft spannungsvolle, unausgewogene und labile Beziehung mit mehr Widersprüchen als Gemeinsamkeiten ein (vgl. Bering et al. 2013: 133/ Niehoff 2010). Mitchell (2008: 72), der sich als Bildwissenschaftler mit der Dialektik von Bild und Wort auseinandersetzt, sieht die Kulturgeschichte der Menschheit in gewisser Hinsicht als „die Geschichte eines zähen Ringens um die Vorherrschaft zwischen bildlichen und sprachlichen Zeichen, die beide gewisse Eigentumsrechte an einer nur ihnen zugänglichen ‚Natur‘ geltend machen“. Auch wenn kulturgeschichtlich die Auseinandersetzung mit den Sachverhalten Bild und Sprache meist durch die Beschreibung der Unterschiede gekennzeichnet ist, kommt Mitchell zu dem Schluss, dass man beim Verstehen des Einen anscheinend stets genötigt ist, sich auf das jeweils Andere zu berufen und es somit einen hermeneutischen Zusammenhang gibt (vgl. Mitchell 2008: 75). Denn, wie Mitchell (vgl. 2008: 77) schlussfolgert, ist es eine Tatsache, dass wir einen großen Teil unserer Welt aus dem Dialog zwischen sprachlichen und bildlichen Darstellungen erschaffen. Zur Erklärung der wechselseitigen Abhängigkeit von Bild und Sprache tragen auch die wahrnehmungspsychologischen Untersuchungen von Ulmann (1975) bei. Für den Fachunterricht Kunst sind insbesondere ihre Ausführungen zum Einfluss der Sprache auf die visuelle Wahrnehmung und umgekehrt on Bedeutung. Ulmann erläutert, dass eine Verbalisierung nicht nur ein Resultat des Wahrnehmens sein kann, sondern den Wahrnehmungsakt auch auslösen kann und somit die Bildwahrnehmung beeinflusst: Die Wahrnehmung findet nicht nur ihren Ausdruck in der Aussage, sondern die Verbalisierungsmöglichkeiten können in gewisser Hinsicht [...] eine spezifische Wahrnehmung der Realität bedingen. Von der Sprache des Betrachters könnte seine Wahrnehmung ebenso abhängen, wie die bei der Aussage verwendete Sprache von der Wahrnehmung abhängt. (Ulmann 1975: 11–12)
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Ulmann (vgl. ebd. 38) kommt durch ihre empirischen Untersuchungen zu den folgenden Hypothesen, dass Wörter dabei die Organisation des Wahrnehmungsfeldes einerseits verfestigen oder stabilisieren können, andererseits können neu eingebrachte Wörter diese Organisation wieder aufheben und einen neuen, anderen Wahrnehmungsaspekt befördern. Sie stellt darüber hinaus fest, dass von der Differenziertheit des Sprachschatzes eines Betrachters die Differenziertheit seines Sehens abhängen kann: Wer nicht nur Unterschiede zwischen Objekten sah, sondern diese Unterschiedlichkeiten auch differenziert bezeichnen konnte, war gegenüber demjenigen, der keine oder nicht differenzierende Bezeichnungen kannte, im Vorteil, wenn es darum ging, sich differenziert in Bezug auf unterschiedliche (und unterscheidbare) Objekte zu verhalten. [...] Differenzierte Bezeichnungen für Objekte erleichtern differenziertes Verhalten mit diesen Objekten. (Ulmann 1975: 56–57)
Die wechselseitige Beeinflussung der Bild- und Sprachkompetenz, die Ulmann (1975) in ihren Ausführungen belegt, kann sowohl negativer als auch positiver Art sein: Sprache kann also zu einer differenzierten, reicheren Wahrnehmung beitragen (vgl. Kapitel 1.2) und Sprache kann die Aufmerksamkeit auf zentrale Bildaspekte lenken, gleichzeitig kann Sprache auch aufgrund genau dieser Lenkungsfunktion das Blickfeld einengen und das Blickfeld des Betrachters auf einen Aspekt reduzieren. Die Beeinflussung der Bildwahrnehmung durch die Sprache kann ganz leicht anhand der Entschlüsselung von optischen Täuschungen nachvollzogen werden. Durch den Bildtitel „Alte Frau“ oder „Junge Frau“ organisiert sich unser Wahrnehmungsfeld jeweils neu und wir erkennen plötzlich, dass ein Ohr auch ein Auge ist und das Dekolleté das Kinn einer älteren Frau ist.
Abb. 5: Optische Täuschung (http://meinstein.ch/wp/wp-content/uploads/2015/10/geliebtehexe.jpg (Zugriff: 11.11.2015)
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Die enge Beziehung von Bild und Sprache, ihre gegenseitige Beeinflussung bei der Bildbetrachtung und -auslegung sind bei der Unterrichtsplanung und -durchführung einzubeziehen. Bering, Heimann, Littke, Niehoff und Rooch (vgl. 2013: 135) fordern daher, dass im Bereich der Bildrezeption der Tatsache Rechnung getragen wird, „dass zwischen Bild und Sprache grundsätzlich Differenzen bestehen und Bildwahrnehmung deshalb nicht gänzlich und nur mit großer Behutsamkeit in Wortsprache transportiert werden können.“ Bering und andere (vgl. ebd. 135–136) sehen das Zusammenwirken von Bild und Sprache oft gerade deswegen problematisch, weil Sprache den Blick auf das Bild fokussieren oder auch einschränken kann. Sie kommen für den Bereich der mündlichen Kommunikation in Situationen der Bildwahrnehmung und -erkundung ausgehend von der Analyse unterrichtlicher Situationen zu dem Schluss, dass vermeintlich eindeutige Äußerungen von Schüler/innen gerade bei der Erschließung von abstrakter Malerei das Wahrnehmungsfeld der Mitschüler/innen so einschränken können, dass andere Bildaspekte quasi „übersehen“ werden und eine vorschnelle Einordnung des Bildes erfolgt. Die/der Kunstlehrer/in hat die Aufgabe dieser „problematischen“ Beeinflussung vorzubeugen, indem sie/er Impulse zur Neuorganisation des Wahrnehmungsprozesses gibt und durch weitere, differenzierte sprachliche Zuordnungen das Sehen, Erkunden und Begreifen der Schüler/innen unterstützt. Darüber hinaus lassen sich die Differenzen bei der Bildauffassung der Schüler/innen und ihrer Beschreibung und Auslegung in der Sprache nicht nur als ein Problem, sondern als eine Chance für den Ausbau der Bild- und Sprachkompetenz betrachten. Denn die Aufgabe des Kunstunterrichts ist es, die Schüler/innen zu einem bewussten Wahrnehmen hinzuführen und ihnen die sprachlichen Kompetenzen zum Umgang mit Bildern zu vermitteln. Wenn sprachliche Zuordnung das Wahrnehmen beeinflusst, dann sind diese Bildererschließungsprozesse durch einen bewussten Einsatz von sprachlichen Impulsen und ein reiches sprachliches Angebot zu unterstützen, damit Sprachbildung und Erwerb der Bildkompetenz Hand in Hand gehen und sich Synergieeffekte einstellen können. Dazu ist es notwendig, das Bild(-potential) bei der Unterrichtsvorbereitung zu analysieren, die Möglichkeiten der Bildwahrnehmung auszuloten und sich durch die eigene Bildbeschreibung und das Heranziehen von fachwissenschaftlichen Bildauslegungen des Sprach- und Bildbildungsspektrums, das der Situation der Bildrezeption zugrunde liegen kann, bewusst zu werden. Höpel (2008: 64) fordert, dass sich Lehrende bei der Vorbereitung intensiv mit den besonderen Eigenschaften der Bilder auseinandersetzen und Zeichenmodelle für das Bild entwickeln, die nicht in einfacher Analogie zum sprachlichen Zeichen stehen: „Nur wenn diese besonderen Eigenschaften von Bildern bekannt
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sind und verstanden sind, können Lehrende in die Lage versetzt werden, Bilder in didaktischen Prozessen zielorientiert einzusetzen.“ Die Unterrichtsvorbereitung erfordert demzufolge auf der einen Seite eine Analyse der Sache, der komplexen Bildzusammenhänge aus verschiedenen Blickwinkeln (vgl. Kapitel 5.3.1; 5.4.1); auf der anderen Seite eine Untersuchung der persönlichen Bildrezeption der Lehrenden und die Berücksichtigung der möglichen Wahrnehmung der Lernenden, um der Mehrdeutigkeit der Bilder gerecht zu werden und auch die Möglichkeiten der Sprachbildung auszuloten (vgl. Kapitel 5.3.3; 5.4.3). Schüler/innen haben aufgrund ihrer (Bild-)Sozialisation einen ganz eigenen, persönlichen Blick auf das Dargestellte. Die möglichen Sichtweisen der Schüler/innen sind zu antizipieren und in Verbindung mit dem maximalen Erwartungshorizont des Bilderkennens zu bringen, um festzulegen, wie viel sprachlichen Input und/oder Impulse sowie Steuerung die Lernenden benötigen, um sich durch die Kommunikation in der Gruppe über unterschiedliche Sichtweisen auf das Bild auszutauschen und so ihr Wahrnehmungsfeld zu erweitern (vgl. Kapitel 5.3.2; 5.4.2). Bering und andere (vgl. 2013: 136) warnen davor, dass „unzutreffende Verbalisierungen“ die weitere subjektive Bildkonstruktion einschränken könnte. Deshalb sollten sich die Schüler/innen darum bemühen, ihre sprachlichen Bezeichnungen vorsichtiger vorzunehmen und in den Dienst der Besonderheiten des Kunstwerks zu stellen. Behutsamkeit und Vorsicht bei der Bildbeschreibung und -deutung und zahlreiche Interventionen der Lehrkraft zur perzeptiven Neuorganisation können ebenso den Blick einschränken und dazu führen, dass subjektive Sichtweisen nicht eingebracht werden. Gerade die Offenheit im Kunstunterricht und die Möglichkeit, die persönliche Wahrnehmung und Deutung gleichberechtigt neben anderen einzubringen, ermöglichen die Erfahrung des eigenen Könnens (vgl. Kapitel 1.2; 1.3). Diese Situationen gilt es auszubauen, indem man Schüler/innen, die vielleicht auch aufgrund ihrer eingeschränkten sprachlichen Kompetenzen ihre Wahrnehmung noch nicht differenziert in Worte fassen können, in ihrer Sprachbildung unterstützt. Schüler/innen sollten lernen, sich über ihre Eindrücke und Wahrnehmungen auszutauschen und durch den Vergleich mit anderen Sichtweisen ihren Wahrnehmungshorizont selbstständig zu erweitern. Es gilt, der Mehrdeutigkeit Raum zu geben und die verschiedenen Sichtweisen auf das Bild schon bei der Unterrichtsplanung zu berücksichtigen. Wie Bering und andere (vgl. 2013: 139) ausgehend von der exemplarischen Analyse von einem Klausurergebnis von Oberstufenschüler/innen feststellen, sind mangelnde sprachliche Kompetenzen oft dafür verantwortlich, das die
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schriftliche Bildbeschreibung eingeschränkt ist. Sie vergleichen dabei die differenzierte Strukturskizze mit der Beschreibung des Bildes. Die Skizze zeigt die wesentlichen Aspekte des Bildaufbaus und ihre Deutung legt nah, dass die/der Schüler/in die Besonderheit der Bildkomposition erfasst hat (vgl. Kapitel 5.3.3). In der schriftlichen Beschreibung werden diese wesentlichen Erkenntnisschritte jedoch nicht nachvollziehbar dargestellt (vgl. 2013: 138). Die Kunstpädagogen (ebd. 139) schlussfolgern daher: Bildhermeneutische Prozesse in Klausursituationen machen die in der Beziehung von Bild und Sprache liegende Problematik häufig besonders auffällig, denn die Schüler müssen ihre Bildwahrnehmung oft unter Zeitdruck sprachlich transponieren und haben in diesen Prozessen selten die Chance, diesem diffizilen Verhältnis gerecht zu werden.
Bering, Heimann, Littke, Niehoff und Rooch (vgl. 2013: 138) gehen einerseits davon aus, dass die/der Schüler/in mit der schriftlichen Fixierung der formalanalytischen Bildbeschreibung ihre Bildwahrnehmung ausrichtet und zudem einengt und somit den Prozess der weiteren Bildwahrnehmung abschließt, andererseits merken sie an, dass auch der Zeitdruck für die kurz gefasste schriftliche Analyse des Bildes verantwortlich sein könnte. Vielleicht ist aber nicht nur der Zeitdruck, sondern zudem die Schwierigkeit, die formanalytischen Ergebnisse, die sich in der Strukturskizze zeigen, treffend und zusammenhängende Worte zu fassen, dafür verantwortlich, dass die Bildbeschreibung den Anforderungen nicht genügt.48 Es könnte folglich möglich sein, dass die mangelnde Sprachkompetenz Grund für die zu kurz gefasste formanalytischen Beschreibung ist. Je differenzierter, sicherer, flüssiger Schüler/innen ihre Sprache einsetzen können, desto mehr Möglichkeiten der Bilderschließung ergeben sich (vgl. Kapitel 1.3). Im Kunstunterricht ist es folglich notwendig, über Bilder sprechen und schreiben zu lernen, wie Bering, Heimann, Littke, Niehoff und Rooch (2013: 139) zusammenfassen:
|| 48 An den weiterführenden Schulen in Hessen werden im Wahlfach Kunst erst in der 10. Klasse (G8) oder in der 11. Klasse (G9) die ersten schriftlichen Klausuren, Bildanalysen, -beschreibungen und -interpretationen, geschrieben. In der Sekundarstufe I sind keine schriftlichen Klausuren vorgesehen. Die Schüler/innen haben also wenig Übung im Verfassen von schriftlichen formalanalytischen Bildbeschreibungen. Im Lehrplan der Klasse 6. (G8) bzw. für die Klasse 7 (G9) für das Fach Deutsch wird das Beschreiben von Bildern, auch Abbildungen von Personen, Tieren, Gegenständen oder von Versuchen oder Beobachtungen (Versuchsbeschreibung) vorgegeben und meist im Rahmen einer Klassenarbeit überprüft.
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Visuelle Kompetenz als Bildungsaufgabe von Kunstunterricht umfasst [...] auch die Kompetenz, über Bilder ‚angemessen’ sprechen und schreiben zu können. Voraussetzungen dafür sind differenzierte Kenntnisse über das genuine Spannungsverhältnis von Bild und Sprache, d.h. Kenntnisse über Differenzen, Grenzen, Abhängigkeiten, wechselseitige Beeinflussungen und auch Gefahren, die entstehen können, wenn diese beiden unterschiedlichen Repräsentations- und Kommunikationsweisen zueinander in Beziehung gesetzt werden.
Die Kunstpädagogen (vgl. ebd. 139) warnen davor, Bilder durch verbales Transponieren zu vereinnahmen oder zu ersetzen und raten dazu, darauf zu achten, dass der Sprache lediglich eine instrumentelle Aufgabe zukommt und die Schüler/innen dafür sensibilisiert werden, inwieweit die Unterschiede der Bild- und Sprachkommunikation ihre Wahrnehmung beeinflussen. Sie schlagen vor, die Bildrezeption u. a. mit sinnlichen, gestalterischen Erfahrungen zu verbinden und sich Bildern durch die gestalterische Rezeption ohne Worte anzunähern. Sie merken jedoch an, dass die praktische Annäherung wie bei der Parallelpräsentation von Standbildern oder Bildskizzen wieder verbale Phasen erfordert. Dennoch ist die kreative Annäherung an das Bild ein Weg, um die ästhetische Erfahrung im vorsprachlichen Bereich bewusst zu machen, den Erkenntnisprozess vorzubereiten oder zu entlasten und so die Begegnung mit der Wirklichkeit des Bildes als nichtlinearen Prozess zu gestalten. In den Erziehungswissenschaften zählt der Begriff der Erfahrung zu den grundlegenden Kategorien, an denen bedeutsames Lernen gemessen wird. Die Reflexion der Erfahrung wird dabei als ein primär sprachlich-begrifflicher Vorgang verstanden, in dem das Neue und Andersartige identifiziert, artikuliert und mit der Vorerfahrung verknüpft wird, sodass in der und durch die Sprache ein neuer Horizont erschlossen wird (vgl. Duncker 2008: 23). Duncker hebt hervor, dass der Prozess der Verarbeitung von Bilderfahrungen als sprachlich-begriffliche Bewältigung nach einem sinnlich-ästhetischen Wahrnehmungsprozess erst relativ spät beginnt und eigentlich schon den Abschluss der Aufarbeitung von Erfahrung bedeutet (vgl. ebd.). Das Sehen und Wahrnehmen der Bilder ist ein konstruktivistischer Vorgang und ist dadurch gekennzeichnet, dass die Sinneseindrücke zu einem sinnvollen Gesamtbild ausgearbeitet werden. „Im Sehen wird die Welt nicht abgebildet, wie sie [Hervorhebung im Original] ist, es wird vielmehr ein Bild von der Welt konstruiert, das immer Ausschnitte, Interpretationen und Sinnstiftungen enthält.“ (Duncker 2008: 24) Dabei ist das Sehen mit dem Wunsch oder der Bemühung verbunden, den dargestellten Gegenstand zu verstehen und damit Bekanntes mit Unbekanntem zu verbinden und die Bildwirklichkeit vielperspektivisch zu rekonstruieren. Höpel warnt in diesem Zusammenhang davor, dass bei der Bildrezeption das Bild nicht als Abbildung der Realität gesehen wird, sondern es für die Realität selbst genommen wird, was durch
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die Nähe zu seinem Objekt bedingt ist (vgl. Höpel 2008: 63). Dabei besteht die Gefahr, die persuasive Wirkung der Bilder nicht wahrzunehmen: Unterstützt wird die persuasive Wirkung von Bildern dadurch, dass sie offensichtlich weniger elaboriert verarbeitet werden als sprachliche Zeichen, das Verständnis eines Bildes scheint leichter, der Verstehensprozess wird deshalb schneller abgebrochen, das Bild für erkannt und verstanden [Hervorhebung im Original] erklärt, obwohl eine Analyse zu anderen Ergebnissen käme. (Höpel 2008: 63)
Kommunikative und pragmatische Absichten der Bilder werden in diesem verkürzten Verstehens- und Einordnungsprozess nicht hinterfragt. Daher, so fordert Höpel (vgl. ebd.), ist es die Aufgabe einer Bilddidaktik, den Unterschied von Bild und Realität zu vermitteln und so die persuasive Wirkung von Bildern aufzudecken, um einem verkürzten Verstehensprozess vorzubeugen und zu einer bildkritischen Haltung zu befähigen. Wenn die Reflexion der Erfahrung ein primär sprachlich-schriftlicher Vorgang ist (vgl. Duncker 2008: 23), der dazu beiträgt, den konstruktivistischen Vorgang des Bildwahrnehmens bewusst zu gestalten, dann ist die sprachliche Bildung der Schlüssel zur Verarbeitung der Bilderfahrung und zur Rekonstruktion der Wirklichkeit aus mehr als einer Perspektive. Schüler/innen an einen reflektierten und differenzierten Bild-Umgang mit den zahlreichen Bildversprechen in der heutigen Medienwelt heranzuführen, ist eine der zentralen Aufgaben des Kunstunterrichts. Der Ausbau der Bildkompetenz erfolgt dabei primär durch die Reflexion und Kommunikation der Bildwahrnehmung. Der Erkenntnisgewinn zeigt sich in der Sprache, die als ein Lernmedium im Kunstunterricht neben anderen gestalterisch-praktischen Medien den Erkenntnisprozess im Wesentlichen steuert. Der Sprache kommt dabei also nicht nur eine Nebenrolle zu, denn in den sprachlichen Produkten aus dem schriftlichen und mündlichen Bereich manifestiert sich die Erkenntnis der Schüler/innen und zeigt sich demzufolge ihre Bildkompetenz (vgl. Kapitel 5.3; 5.4; 6). Das Gewicht der sprachlichen Kompetenzen im Kunstunterricht zeigt sich auch im Bereich der Leistungsbeurteilung in der Sekundarstufe I, denn hier hat die Beurteilung der mündlichen Kommunikation der Bildwahrnehmung und -erfahrung einen wesentlichen Stellenwert und ist sowohl in Quantität als auch Qualität der Äußerungen Grundlage für die Notengebung. Der hessische Lehrplan (HKM 2002) für den Kunstunterricht legt nahe, dass der Schwerpunkt im Kunstunterricht im Bereich der Bildproduktion liegt. Leistungsbeurteilung und -bewertung im Kunstunterricht erfolgt dementsprechend meist anhand von praktischen Arbeiten, die in Bezug auf die anzuwendenden
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Kompetenzen, Ziele und Inhalte durch die Kunst-Fachkonferenz an der jeweiligen Schule und entsprechend der gesetzlichen und schulcurricularen Vorgaben konkretisiert werden.49 Im Kunstunterricht an der Projektschule JvES sowie im Kunstunterricht an verschiedensten weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I) im Raum Kassel werden pro Halbjahr meist drei, manchmal mehr praktische Arbeiten erhoben und beurteilt und ergänzend wird die mündliche Kommunikation der Schüler/innen benotet. Erst in der Oberstufe sind jeweils eine schriftliche Klausur pro Schulhalbjahr Gegenstand der Lern- und Leistungsbewertungen im Kunstunterricht. Die Zusammensetzung der Zeugnisnoten erfolgt in Absprache mit der Lerngruppe meist im Verhältnis von zwei Dritteln für die praktischen Arbeiten und einem Drittel für die mündliche Beteiligung. Dem Sprechen über Bilder, der Bildgestaltung und der Bildproduktion kommt folglich auch bei der Leistungsbewertung eine große Bedeutung zu, daher ist es selbstverständlich, dass Sprache im Kunstunterricht nicht nur Lernmedium, sondern auch Lerngegenstand sein sollte, denn an den Lernfortschritten und -ständen beim Sprechen über Bilder und deren Gestaltungsprozessen wird der Kompetenzzuwachs der Schüler/innen gemessen. Nach der Analyse der didaktischen und methodischen Vorgaben für den Kunstunterricht der Sekundarstufe I und der Darstellung des Verhältnisses von Bild und Sprache aus bildwissenschaftlicher und kunstpädagogischer Sicht bleibt festzuhalten, dass Bildkompetenz und Sprachbildung nicht nur eng miteinander verzahnt sind, sondern dass eine differenzierte Sprachkompetenz auch zu einer differenzierten Bildwahrnehmung und umgekehrt beitragen kann. Will man Schüler/innen in der Sekundarstufe I die Fähigkeiten zum erfahrungsorientierten, reflektiert-kritischen, gestalterisch-produktiven und aktiv-kommunikativen Umgang mit Bildern vermitteln, dann ist es die Aufgabe der Kunstlehrkraft die dazu notwendigen sprachlichen Kompetenzen zu vermitteln. Im Eingangskapitel wurden die Grundlagen für ein reflektiertes kunstdidaktisches und -methodisches Handel beschrieben und im Hinblick auf die Sprachbildungsmöglichkeiten analysiert. Die dargelegten Punkte zu den Vermittlungsansätzen beim Lehren und Lernen rund um das Bild (vgl. 1.2), den Bildungsstandards und weiteren Vorgaben zur Unterrichtsplanung (vgl. 1.4–1.6) sowie zu Forschungsergebnissen zur Rolle der Sprache bei der Bildrezeption (1.3) sind im Folgenden in Form in einer Checkliste mit Kriterien zur Planung des
|| 49 Hessisches Schulgesetz, vierter Teil, Kriterien und Verfahren der Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung, §21–27. Die Ausführungen im Schulgesetzt geben nicht konkret vor, welche Leistungsmessungen im Kunstunterricht je nach Jahrgangsstufe durchzuführen sind.
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Kunstunterrichts mit integrierter Sprachbildung zusammengefasst und dienen der theoretisch fundierten Unterrichtsplanung (vgl. Kapitel 5.3.2; 5.4.2). Aus den theoretischen Vorüberlegungen zur Kunstvermittlung50 resultieren dementsprechend drei Listen: erstens die Aufstellung zur Kunstpädagogik und ihren didaktischen Vorgaben im Allgemeinen, zweitens die Vorgaben zur Kunstpraxis und drittens zur Kunstrezeption und -reflexion. Die vorliegenden Kriterien bilden nicht nur im Rahmen der didaktisch-methodischen Überlegungen die theoretische Planungs- und Begründungsgrundlage, sondern sie dienen zudem der begründeten Auswahl der Unterrichtstunden für die Dokumentation und Analyse (vgl. Kapitel 5.2). Nachfolgend soll kurz erläutert werden, welche Rolle diese Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen in Form von Checklisten für die konkrete Planung des sprachsensiblen Kunstunterrichts spielte und wie die Kriterien eingesetzt wurden und werden können: Keine der Unterrichtsstunden muss und kann allen aufgelisteten Punkten entsprechen, denn die Planung und Durchführung des Kunstunterrichts in der Klasse 5 wird zum einen den aktuellen Bedarfen der Schüler/innen angepasst, zum anderen sind, je nach Schwerpunktsetzung der Stunde in den Bereichen der Rezeption oder Produktion, nicht alle in den Checklisten aufgeführten Punkte zutreffend. Es geht also nicht darum, mithilfe der Checklisten idealtypische Unterrichtsstunden zu konzipieren oder auszuwählen, sondern diese bewusst und theoretisch fundiert mit Bezug zur eigenen Lerngruppe zu planen. Dies bedeutet auch, dass es keine Mindestanzahl an Kriterien geben kann, die die ausgewählten Stunden erfüllen sollten, da die nachfolgend vorgestellten Punkte je nach fachlichen Stundenzielen sowie fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten der Lernenden jeweils anders gewichtet sein können. Die Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen in Form von Kriterien wird folglich in Bezug auf die Situation, den Unterrichtsgegenstand, die Vermittlungsziele und die Ausgangspunkte der Lernenden begründet bei der Planung angewendet. Die hier zusammengefassten Punkte sollen folglich eine Orientierungsfunktion bei der Planung und Reflexion des Unterrichts haben. Aufgrund der zahlreichen Fakto-
|| 50 Für die fachintegrierte Sprachbildung werden am Ende des zweiten Kapitels ebenfalls drei Checklisten aus dem Theorieteil abgeleitet: zunächst eine Zusammenstellung der Kriterien zur fachintegrierten Sprachbildung im Allgemeinen, eine weitere zu den bildungs-, schul- und fachsprachlichen Herausforderungen und eine dritte mit den Qualitätsmerkmalen und Prinzipien zur fachintegrierten Sprachbildung.
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ren, die bei der Vermittlung im Kunstunterricht eine Rolle spielen, und ihrer Interpendenz sollten Unterrichtsprozesse mit Hilfe der Kriterien modelliert, aber nicht normiert werden. Die Anwendung der Checklisten auf die ausgewählten Unterrichtsstunden kann in der Übersichtsdarstellung im Anhang (Teil 2.2; 2.4) sowie im Rahmen der ausführlichen Planung der ausgewählten Stunden (vgl. Kapitel 5) nachvollzogen werden. Kriterien zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden aus dem Bereich Kunstpädagogik Tab. 2: Checkliste zur Kunstpädagogik im Allgemeinen
Bereich
Kriterien zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
Kunstpädagogik Allgemein
Die Unterrichtsstunde trägt zum Ausbau der Bildkompetenzen der Schüler/innen bei.
Kunstpädagogik Standards
Die Unterrichtsstunde bezieht sich auf die Anforderungen der Bildungsstandards für das Fach Kunst.
Curriculum
Die Unterrichtsstunde bezieht sich auf die Anforderungen des Kerncurriculums für das Fach Kunst.
Schulische Vorgaben
Die Unterrichtsstunde bezieht sich auf die schulischen Vorgaben für die Kunstvermittlung in der Förderstufe.
Forschung
Die Unterrichtsstunde knüpft an Ergebnisse aus aktuellen empirischen Studien (z. B. zu Gesprächen über Kunst) an.
Kunstvermittlung und Sprache Die Unterrichtsstunde zeigt, dass der Aufbau von Bild- mit Sprachkompetenzen miteinander verbunden ist.
Tab. 3: Checkliste zur Kunstpädagogik für den Bereich Kunstpraxis
Bereich
Kriterien zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
Kunstpädagogik Praxis Bildproduktion Gestaltung
Die Unterrichtsstunde trägt dazu bei, dass die Schüler/innen ihre Kompetenzen im Bereich der Bildproduktion ausbauen.
Kunstunterricht, die Rolle der Sprache und Planungskriterien | 79
Bereich
Kriterien zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
Gestaltung: Kreativität
In der Unterrichtsstunde können die Schüler/innen selbstgesteuert arbeiten und ihre eigenen Ideen einbringen.
Prozessoffenheit
Die Unterrichtsstunde ist ergebnisoffen angelegt.
Offenheit: Zeit zum Experimentieren
Die Schüler/innen haben Gelegenheit, ihre eigenen Ideen einzubringen, zu experimentieren und mit dem Unvorhersehbaren umzugehen.
Austausch: Reflexion
Die Schüler/innen können sich in Partner- und Gruppenarbeiten über ihre Experimente, Ideen und Produkte austauschen.
Technik
Die Schüler/innen haben die Gelegenheit, nach kurzen Erarbeitungssequenzen zu neuen Techniken und Materialien in Werkstattsituationen selbstständig zu experimentieren und den Umgang mit den Materialien zu üben.
Tab. 4: Checkliste zur Kunstpädagogik für die Bereiche Rezeption und Reflexion
Bereich
Kriterien zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
Kunstpädagogik Rezeption und Reflexion
Die Unterrichtsstunde trägt dazu bei, dass die Schüler/innen ihre Kompetenzen in den Bereichen der Bildrezeption und Bildreflexion ausbauen.
RezeptionsProzess: Perceptbildung51 Offenheit Mehrdeutigkeit
Im Rahmen der Bildbetrachtung werden zunächst offene Rezeptionssituationen geschaffen: Die Schüler/innen können sich mit ihren Mitschülern und Mitschülerinnen über ihren ersten Eindruck, ihre Emotionen und ihre Annahmen zur Bilddeutung (in ihrer Erstsprache) austauschen.
RezeptionsProzess: Offenheit Mehrdeutigkeit
Während der Bildbetrachtung wird der Mehrdeutigkeit Raum gegeben: Die Schüler/innen sollen die Gelegenheit haben, Bekanntes infrage zu stellen und dem Gefühl der Irritation nachzugehen.
|| 51 Nach Otto (1983; vgl. Kapitel 1.2; 1.3) gibt es den subjektiven Zugang zum Bild (Percept), die Analyse des Bildes (Konzept) und den gesellschaftlichen und historischen Hintergrund des Bildes (Allokation).
80 | Kunstunterricht: Didaktisch-methodische Grundlagen
Bereich
Kriterien zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
RezeptionsProzess: Konzeptbildung
Zur Annäherung an das Bild setzt die Lehrkraft Impulse, die dazu motivieren und dienen, formale und inhaltliche Besonderheiten des Bildes und seine Mehrdeutigkeit wahrzunehmen und zu formulieren.
RezeptionsProzess: Kommunikation Konzeptbildung
Die Unterrichtsstunde trägt dazu bei, dass sich die Schüler/innen über ihre verschiedenen Perspektiven auf das Bild, seine Form und sein Inhalt austauschen.
RezeptionsProzess: Kommunikation Scaffolding
Die Lehrkraft unterstützt die Schüler/innen bei ihrem Austausch und stellt dazu sprachliche Hilfen und Impulse bereit.
RezeptionsProzess: Unterstützung
Die sprachlichen Unterstützungsangebote in der vorliegenden Unterrichtsstunde verengen den Blick auf das Bild nicht, sondern erweitern ihn.
RezeptionsProzess: Reflexion und Deutung
Die Unterrichtsstunde trägt dazu bei, dass die Schüler/innen erste Bildeindrücke und Vermutungen durch die Analyse des Bildinhaltes und der Bildform belegen können.
2 Sprachkompetenzen im Fachunterricht: Bedarf und Vermittlung Theoretisch fundiertes Wissen und die Fähigkeit, dieses Wissen situations- und inhaltsbezogen in fachspezifischen Handlungszusammenhängen verwenden zu können, sind übergeordnete Bildungsziele, die europaweit verfolgt werden.52 Inklusives bildungssprachliches Lehren bedeutet in diesem Zusammenhang, bei der Vermittlung der fachlichen Kompetenzen zu berücksichtigen, dass Sprache zugleich Lernmedium und Träger der sozialen Handlungen ist und diese somit eng mit dem Aufbau der sprachlichen Kompetenzen verbunden sind. Um allen Lernenden gleichermaßen Zugänge zur Bildung zu ermöglichen, sind daher nicht nur ein sensibler Umgang mit der Sprache im Unterricht notwendig, sondern auch eine bewusste Planung von integrierter Sprachbildung ausgehend von den fachlichen Vermittlungszielen und den Bedürfnissen der Lerngruppe. Für das Fach Kunst stellen sich diesbezüglich folgende Fragen, die sowohl die Prozesse des Lernens als auch die des Lehrens betreffen: Lernen im Fachunterricht Kunst – Welche Lernbedürfnisse sprachlicher Art sollten zum Erreichen der fachlichen Ziele berücksichtigt und unterstützt werden? – Über welche allgemein-, fach- und bildungssprachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen die Lernenden und wo sollte die integrierte Sprachbildung ansetzen? – In welchen Situationen des Kunstunterrichts benötigen die Lernenden diese allgemein-, fach- und bildungssprachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten? Lehren im Fachunterricht Kunst Analyse der Lerngegenstände (Sachanalyse) und ihre Vermittlung – Welche fachspezifischen Genre-, Text- und Diskurstypen werden verwendet? – Welche Register werden für welche fachlichen Diskurse benötigt? – Welche didaktisch-methodischen Ansätze und Prinzipien der fachintegrierten Sprachbildung passen zu den kunstpädagogischen Vermittlungszielen
|| 52 Vgl. beispielsweise das Europäische Kerncurriculum „EUCIM-TE“ (European Core Curriculum for Mainstreamed Second Language Teacher Education) von 2010 zur Aus- und Weiterbildung von Sprachlehrkräften. https://doi.org/10.1515/9783110687026-003
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– –
und können bei der Planung des Kunstunterrichts in der Klasse 5 erprobt werden? Wie sind die fachlichen und sprachlichen Ziele konkret auf der Umsetzungsebene miteinander verzahnt? Welche Diagnose-, Planungs-, Reflexions-, Durchführungs- sowie Beurteilungs- und Beratungskompetenzen benötigt eine Lehrkraft für ein inklusives bildungs- und fachsprachliches sowie fachkompetentes Lehren?
Über die genannten Fragen hinaus gibt es weitere, die sich im Zuge der Diskussion um die integrierte Sprachbildung im Fachunterricht stellen. Seit Beginn des 21. Jahrhundert rückt die Frage einer sprachsensiblen Gestaltung des Fachunterrichts zunehmend mehr in Forschung und Praxis in den Fokus. Einige Antworten auf die zuvor gestellten Fragen können mit Ergebnissen aus der Forschung und den daraus resultierenden didaktisch-methodischen Vorschlägen für die Unterrichtspraxis gegeben werden, einige der Fragen bleiben jedoch gerade in Bezug auf den Kunstunterricht unbeantwortet. Denn die Forschungsergebnisse zur fachintegrierten Sprachbildung beziehen sich auf ausgewählte Bereiche, wie die Lehrmaterialien und die curricularen Vorgaben in einigen Fächern oder beispielsweise die Kenntnisse und Fähigkeiten der Lehrkräfte zu Sprachbildungskonzepten im Fach Biologie (Drumm 2016), aber für das Fach Kunst liegen bislang keine Untersuchungen vor (vgl. z. B. Michalak et al.: 2015; Haataja/Wicke: 2015). In den folgenden Kapiteln sollen daher die bisherigen Positionen und Hypothesen zur Sprachbildung im Fachunterricht und zur Unterstützung von DaZ-Lernenden anhand von ausgewählten Ansätzen dargestellt, diskutiert und im Hinblick auf die Anforderungen und Bildungsziele der Kunstpädagogik diskutiert werden.
2.1 Chancen(un)gleichheit: Zweisprachig aufwachsende Lernende Zwei- oder mehrsprachig aufwachsende Kinder und Jugendliche müssen sich im Unterricht einer zweifachen Herausforderung stellen: Sie setzen sich mit neuen fachlichen Gegenständen, Inhalten und Methoden auseinander, gleichzeitig sind diese fachlichen Zusammenhänge oft für die Schüler/innen mit neuen sprachlichen Herausforderungen verbunden, die nicht explizit thematisiert werden. Darüber hinaus werden von den Lernenden sprachliche Äußerungen erwartet, in denen der fachliche Kompetenzzuwachs zum Ausdruck kommen soll. Gibbons beschreibt diese Schwierigkeit folgendermaßen: „Second language learners are
Chancen(un)gleichheit: Zweisprachig aufwachsende Lernende | 83
both learning a new language and learning other things through the medium of language.“ (Gibbons 2002: 8) Daraus ergeben sich erhöhte Anforderungen beim Lernen der fachlichen und sprachlichen Kompetenzen, weil insbesondere der Kontext und die Situationen, in denen die Sprache im Fachunterricht verwendet wird, oft keine Sachverhalte sind, denen sich die Lernenden durch eigene Erfahrungen annähern konnten und die ihnen folglich häufig unbekannt sind. Gibbons53 bezieht sich bei ihren Erläuterungen zu den Herausforderungen für zwei- oder mehrsprachig aufwachsende Jugendliche auf die funktionale Sprachtheorie von Halliday und Hasan (1985: o. A.; zit. nach Gibbons 2002: 2): Sprachgebrauch und -erwerb finden demzufolge im Kontext einer Kultur statt. Kommunikativer Sprachgebrauch materialisiert sich in Texten als Produkt eines diskursiv und soziokulturell eingebetteten Prozesses, in dem Bedeutung konstruiert wird. Sprecher/innen, die im Rahmen dieser Kultur sozialisiert sind, haben bestimmte Kenntnisse, Erwartungen und Annahmen, die sie in den verschiedenen Kommunikationssituationen die Sprache dem Kontext angemessen verwenden lassen. Kontextuelle Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, bezeichnen Halliday und Hasan (vgl. 1985: 29; 38) mit field, tenor und mode und diese drei Faktoren bestimmen die komplexe Konfiguration, die Halliday als das Register bezeichnet54: field bezieht sich auf das Thema des Textes oder Gegenstandes, tenor definiert die Beziehung zwischen Sprecher und Zuhörer oder die Konstellation der sozialen Rollen und mode bezeichnet den Kanal der Kommunikation, also ob es sich um eine schriftliche oder mündliche Kommunikation handelt. Je spezifischer das Thema des Textes oder der Gegenstand der Kommunikation und je abstrakter und unpersönlicher die Beziehung ist, desto größer ist die Schwierigkeit, sich die Mitteilung durch den Kontext zu erschließen. Gibbons (2002: 2) erläutert dieses Problem mit Bezug auf den Erwerb der Erstsprache: „As children learn their first language, they gradually learn to vary
|| 53 Gibbons (2002) gibt nicht die konkreten Seitenzahlen aus Hallidays und Hasans Publikation ‚Language, context, and text: aspects of language in a social-semiotic perspective’ von 1985 an, so dass das Auffinden der Originaltextstelle und deren Widergabe erschwert sind. Daher wurde auf zwei treffende Textstellen verwiesen. Eine gute Zusammenfassung verschiedenster Publikationen von Halliday und Erläuterungen zu den Themen funktionaler Sprachgebrauch und Register haben jedoch Lukin, Moore, Herke, Wegener und Wu (2011) in ihrem Aufsatz ‚Halliday’s model of register revisited and explored‘ geleistet (http://ro.uow.edu.au/cgi/viewcontent.cgi?article=1634&context=artspapers) (Zugriff: 28.08.2017). 54 Die linguistische Konkretisierung des Registers, die man auch als Netzwerk bestimmter Bedeutungsressourcen definieren kann, ist eine spezifische Textvarietät, die in einem gewissen Ausmaß situationsabhängig konventionalisiert ist (vgl. Zydatiß 2005: 159–160).
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the language they use according to the context they are in. In other words, they learn to vary the register [Hervorhebung im Original] so that it is appropriate for the context.“ Erstspracherwerb und die Fähigkeit, verschiedene Register und Sprache zunächst in alltäglichen, später in eher abstrakten und unpersönlichen Zusammenhängen zu verwenden, ist somit ein Prozess, der durch den Kontext, also die Situationen und Erfahrungen in diesen Situationen, bestimmt ist (vgl. ebd.: 3). Überträgt man diese Hypothese auf den Zweitsprachenerwerb, so ist das Lernen von spezifischen, eher unpersönlichen und fachlichen Zusammenhängen im Unterricht für Kinder, die möglicherweise in der Zweitsprache noch keine Gelegenheit hatten, sich bestimmte Bedeutungen zum Register ausgehend von Erfahrungen zu erschließen, erschwert. Gibbons fordert daher: Ultimately, if second language learners are not to be disadvantaged in their long-term learning, and are to have the time and opportunity to learn the subject-specific registers of school, they need access to an ongoing language-focussed program across the whole curriculum. (Gibbons 2002: 5)
Wie bereits in den Ausführungen zum Kunstunterricht und seinen curricularen Vorgaben erläutert (vgl. Kapitel 1), so argumentiert auch Gibbons (2002), dass es Aufgabe des Fachunterrichts der weiterführenden Schulen ist, den Schülern und Schülerinnen die notwendigen sprachlichen Kompetenzen zur Teilhabe zu vermitteln und zwar nicht beiläufig, sondern bewusst geplant unter Berücksichtigung der Ausgangslage der einzelnen Lerner/innen. Im Rahmen des Europäischen Kerncurriculums für die inklusive Förderung der Bildungssprache (EUCIMTE55) wird ferner gefordert (vgl. Roth/Brandenburger 2010: 11), dass ein inklusives Bildungskonzept unter Berücksichtigung des Erlernens einer Zweitsprache ein Teil der allgemeinen curricularen Vorgaben und somit der Unterrichtsplanung für alle Fächer sein sollte: „In einer einbeziehenden Lernumgebung teilen sich die Lehrerinnen und Lehrer aller Fächer die Verantwortung für den Zweitspracherwerb; sie unterstützen die sprachliche Bildung in allen sprachlichen schulischen Bildungskontexten [...].“ (ebd. 11) Das Programm zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FÖRMIG (Laufzeit: 2004–2009) setzt in diesem Zusammenhang auf
|| 55 EUCIM-TE ist das European Core Curriculum for Mainstreamed Second Language Teacher Education. Es handelt sich bei EUCIM-TE um ein multilaterales Comenius-Projekt, das von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Bildung und Kultur, im Rahmen des Programms Lebenslanges Lernen co-finanziert wurde. Es hatte am 01. Dezember 2008 begonnen und endete am 30. November 2010. (vgl. http://www.eucim-te.eu/33737)
Chancen(un)gleichheit: Zweisprachig aufwachsende Lernende | 85
das Prinzip der durchgängigen Sprachbildung, die nicht nur im sprachlichen Unterricht im engeren Sinn erfolgen sollte, sondern auch Aufgabe des Fachunterrichts ist (vgl. Gogolin 2009: 42). Im Kapitel 2.4.1 werden die Prinzipien der durchgängigen Sprachbildung ausführlich erläutert. Der Zweitspracherwerb in der Schule wird durch viele Faktoren, die gleichermaßen das fachliche Lernen bestimmen, beeinflusst (vgl. Kapitel 3): Spracherwerbsprozesse sind determiniert von dem Umfang und der Art des Inputs, der Verwendung der Sprache in der Interaktion mit L1-Sprechern, den Verfahren der Bedeutungssicherung im Diskurs, den reparativen Maßnahmen, den sprachlichen Wissensbeständen und Kompetenzen der Lernenden in der L1 und/oder L2 sowie dem Grad der typologischen Unterschiede der beteiligten Sprachen (vgl. Ahrenholz 2010a: 64). Man unterscheidet darüber hinaus beim Erwerb die internen und externen Faktoren. Die internen Faktoren sind die Motivation, die Einstellung der Lernenden und ihre kognitive Entwicklung, die Ausgeprägtheit der Sprachlernfähigkeit sowie ihr Alter. Zu den externen Faktoren zählen die Handlungsabsichten und -optionen in der Gesellschaft der Zielsprache, die Bildungserfahrung in der Familie, die Wohnsituation, die Kontaktmöglichkeiten mit L1Sprechern der Zielsprache und die Art und der Umfang der Fördermaßnahmen (vgl. ebd.). Dieses komplexe Bedingungsgefüge, hier dargestellt durch die ausgewählten genannten Faktoren, macht es schwer, bezüglich der einzelnen Lerner/innen festzustellen, was die Gründe für mehr oder weniger gut ausgebildete Kompetenzen in der Zweitsprache sind. In Zusammenhang mit der integrierten Sprachbildung im Fachunterricht sollen im Folgenden die Situation und die möglichen Probleme der mehrsprachig aufwachsenden Schüler/innen in der Schule ausgehend von Ergebnissen der Schulleistungsstudien beschrieben werden. Gerade mit dem Wechsel an die weiterführenden Schulen und der fachlichen Differenzierung des Unterrichtsprogramms und den zunehmend häufiger dekontextualisierten Kommunikationssituationen im Fachunterricht haben insbesondere zweisprachig aufwachsende Schüler/innen beim Verstehen und Sprechen über fachliche Gegenstände Schwierigkeiten, wie u. a. Ergebnisse der Bildungsberichterstattung aufzeigen. Amtliche Untersuchungen wie die PISA-Studie56 und der Bildungsbericht, die unter anderem auf diese Probleme hinweisen, unterscheiden zwischen Schülern
|| 56 Die PISA-Studie (Program for International Student Assessment) wird seit 2000 von der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) in Auftrag gegeben. Untersucht werden die Leistungen von 15-jährigen Schüler/innen sowie deren Lernmotivation, ihre Selbsteinschätzung und ihre Lernstrategien. Gegenstand der Tests ist nicht das Beherrschen von Lehr-
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und Schülerinnen ohne und mit Migrationshintergrund.57 Im Vergleich zu den Deutschen ohne Migrationshintergrund weisen die Erwachsenen im Alter von 25 bis unter 35 Jahren ein niedrigeres Bildungsniveau auf, sowohl bei den allgemeinen Schul- als auch bei den beruflichen Bildungsabschlüssen (vgl. Kons. BBE 2006: 146). Verzögerte Bildungswege – von bis zu drei Jahren – und Schulformwechsel sind für Schüler/innen mit Migrationshintergrund Normalität (vgl. Kons. BBE 2006: 152). Zudem durchlaufen sie das Schulsystem aufgrund von Zurückstellungen und/oder Klassenwiederholungen mit deutlich größerer Verzögerung als deutsche Schüler/innen. In den Jahrgangsstufen 1 bis 3 ist das Wiederholungsrisiko von Kindern mit Migrationshintergrund viermal höher als das von Nicht-Migranten. Diese herkunftsspezifischen Unterschiede schwächen sich nach der 6. Jahrgangsstufe ab. Allerdings ist zu beachten, dass diejenigen Lernenden, die inzwischen Sonderschulen besuchen, bei der Analyse der Wiederholungen nicht erfasst worden sind. Gerade in Sonderschulen ist der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund aber größer als im Durchschnitt der anderen Schularten im Sekundarbereich I (vgl. Kons. BBE 2006: 152). Gogolin (vgl. 2009: 41) erläutert, dass die durch PISA dokumentierten Schwierigkeiten der Schüler/innen mit Migrationshintergrund im Bereich der Sprachbildung nicht durch ein Versagen der einzelnen Lehrkraft oder der Schulen zu begründen sind, sondern sich vielmehr aus einer historischen Tradition heraus erklären lassen. So werde im deutschen Schulsystem davon ausgegangen, „dass die Beherrschung der jeweiligen Nationalsprache in ihrer Standardvariante quasi Mitgift ist, die alle Kinder selbstverständlich in den Bildungsgang einbringen.“ (Gogolin 2009: 41) Daher werden sprachliche Mittel, die benötigt werden, um die Unterrichtsgegenstände zu durchdringen, im Prinzip als weitgehend vorhanden vorausgesetzt und selten systematisch vermittelt. Diese sprachliche Grundauffassung bezeichnet Gogolin als „monolingualen Habitus“ (Gogolin
|| planinhalten. Vielmehr geht es um die Fähigkeit oder Kompetenz, Wissen in der Praxis anzuwenden. Außerdem wird der Einfluss von sozialer Herkunft, Geschlecht oder Migrationshintergrund auf das Leistungsniveau erfasst. Neben der bildungstheoretischen Verortung steht also auch ein gesellschaftstheoretisches Konzept im Hintergrund des Instruments. Es wird der Versuch unternommen, Erkenntnisse der Sozialforschung für die Untersuchung zu operationalisieren (z. B. das Modell des Verhältnisses von Bildung und Kapitalsorten im Sinne Pierre Bourdieus) (vgl. Gogolin 2009: 35; Pisa 2003; BMBF 2014). PISA bietet damit Orientierungspunkte zur Verwirklichung von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. 57 Die Bildungsberichterstattung verwendet die Bezeichnung „Migrationshintergrund“ und ermittelt diese über das Kriterium der Staatsangehörigkeit. Zudem wurde beispielsweise bei der PISA-Untersuchung nach dem Geburtsort der Getesteten und ihrer Eltern sowie nach dem Sprachgebrauch der Familie gefragt (vgl. Gogolin 2009: 37).
Chancen(un)gleichheit: Zweisprachig aufwachsende Lernende | 87
1994; zit. nach Gogolin 2009: 41). Sie (vgl. ebd.) kritisiert, dass dieser auch das PISA-Konsortium durchdringt: „Eine der Folgen solcher monolingualer Grundüberzeugung ist jedenfalls, wie es scheint, dass die komplexen Formen des speziellen Deutsch der Schule, in die die Inhalte des Unterrichts eingewoben sind, nicht systematisch und kontinuierlich vermittelt werden.“ (Gogolin 2009: 42) Dazu kommt, dass die Versäumnisse des Unterrichts im Bereich der spezifischen schulsprachlichen Kompetenzen häufig zu spät bemerkt werden (vgl. ebd.). Neben dem monolingualen Habitus und der häufig mangelnden Sensibilisierung der Lehrkräfte für die Diagnose und Förderung der sprachlichen Kompetenzen haben die einzelnen Bundesländer mit ihrer kultusministeriellen Weichenstellung zur sprachlichen Förderung der Schüler/innen einen Anteil am Bildungs(miss)erfolg der zweisprachig aufwachsenden Schülerschaft. Das Land Hessen sei hier als Beispiel angeführt. Die Frage nach den Ursachen dafür, dass fünfzehnjährige Schüler/innen mit Migrationshintergrund eine mangelnde Lesekompetenz im Deutschen aufweisen, wurde in Hessen in Bezug auf die PISA-Ergebnisse von 2003 ebenso wenig wie in anderen Bundesländern gestellt (vgl. ebd.: 43). Gogolin bemängelt in Bezug auf die Integrationsmaßnahmen in Hessen58 bereits im Jahr 2002, dass hier alle einschlägigen Forschungsergebnisse außer Acht gelassen werden (vgl. ebd. 44). Denn die Frage nach einer durchgängigen und inklusiven Sprachbildung und Förderung von Deutsch im Verlauf der Bildungsbiografie wird durch die bis heute in Hessen gültige Verordnung zum Schulbesuch von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache (vgl. HKM 2009) nicht beantwortet. Fürstenau und Niedrig (2011: 85) stellen im Zusammenhang mit Fördermaßnahmen, wie sie das Bundesland Hessen vorsieht, fest: Die Schule ist gleichzeitig sehr erfolgreich darin, die allgemeine Anerkenntnis der sozial dominanten Sprache bzw. Sprachform zu fördern. Oft haben gerade Fördermaßnahmen für sozial benachteiligte Kinder den Effekt, die sozialen und sprachlichen Hierarchien zu stabilisieren.
Institutionellen Maßnahmen wie in Hessen sind zwar zur Unterstützung der Kinder und Jugendlichen gedacht, zeigen aber häufig nicht die gewünschten Effekte, weil sie nur kurzfristig angelegt sind oder überwiegend für Schüler/innen in der
|| 58 In Hessen galt bereits 2002 die Verordnung zum Schulbesuch von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache, die in leicht modifizierter Form seit 2009 weiterhin als Grundlage für Förderentscheidungen herangezogen wird (HKM 2009). (https://ziehen-eltern.de/schulrecht/Verordnung_zum_Schulbesuch _von_Schuelerinnen_und_Schuelern_nichtdeutscher_Herkunftssprache_2009.pdf (Zugriff: 20.02.2019)).
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Phase der Erstintegration bis zum Niveau A2/B1 konzipiert sind und als zusätzliche Förderung lediglich durch eine Aufstockung des regulären Unterrichtsangebots umgesetzt werden.59 Ein weiterer Grund für die Leistungsspreizung zwischen Schüler/innen mit und ohne Migrationshintergrund kann die Zuweisung in anregungsärmere oder anregungsreichere Schulformen mit jeweils sozial homogenen Schülerschaften sein (vgl. Gogolin 2009: 47). Gogolin (vgl. ebd.) bemängelt die in Deutschland praktizierte zu frühe Sortierung von Kindern in quasi-leistungshomogene, voneinander separierte Schulformen, weil sie unter anderem die Segregation60 manifestieren: „Die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund entwickeln sich in diesem Zuge zu den größten Verlierern, da sie überzufällig häufig direkt in die anregungsärmeren Schulformen überwiesen [...] werden.“ (ebd. 47–48) Ein Grund für die Zuweisung zu dieser oder jener Schulform könnten laut Radtke (2007) außerdem ein Wettbewerb der Schulen um erfolgsversprechende Schüler/innen sein, der zur Folge hat, dass privilegierte Eltern ihre Kinder auf privilegierte Schulen schicken (vgl. Radtke 2007: 212). Die sozialräumliche Verteilung der Schüler/innen und eine einseitige ethnische Konzentration kann auch eine Lenkungsmaßnahme der Behörden vor Ort sein, die dazu führt, dass drei Schulen entlastet werden und einer Schule die Integrationsaufgabe zukommt (vgl. ebd. 206). So kann sich diese eine Schule auf Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf spezialisieren. Die Folgen dieser ‚Arbeitsteilung‘ zeigen sich dann in den Bildungskarrieren der Schüler/innen und in den vergleichsweise
|| 59 An der Projektschule JvES wurde der Förderunterricht (2009–2011) entsprechend der Verordnung beispielsweise durch eine weitere Stunde Deutsch-, Englisch- oder Mathematikunterricht in der Jahrgangsstufe 5 umgesetzt. Die Lehrkräfte in der Jahrgangsstufe 5, die diese zusätzlichen Stunden gaben, hatten keine einschlägige DaZ-Ausbildung und gingen in diesen Unterrichtsstunden nach den inhaltsorientierten Lehrplänen vor. Integrierte Sprachbildung oder zusätzliche Förderung im Sinne des Scaffolding (Gibbons) konnte nicht beobachtet werden. Während des Projektzeitraums gab es an der Projektschule keine Intensivklassen oder Intensivkurse, in denen explizit DaZ unterrichtet wurde, was daran liegen mag, dass die Schulen in Hessen je nach Personal und Mitteln die Vorgaben der Verordnungen umsetzen. Ausgebildete DaZ-Lehrer/innen waren im Projektzeitraum an weiterführenden Schulen in Kassel eine Rarität: 2009 gab es laut einer telefonischen Abfrage in den Schulsekretariaten lediglich drei Gesamtschulen in Kassel, an denen Lehrer/innen mit einer DaZ-Zusatzausbildung unterrichtet haben. 60 Segregation bedeutet im pädagogisch-soziologischen Zusammenhang die räumliche Trennung von Personen mit gleichen Merkmalen zur Kontaktvermeidung der jeweiligen Gruppierungen, die sich in der Beschränkung von Zugangsmöglichkeiten zu Wohnbezirken, Ausbildungseinrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln etc. äußert. Sie kann freiwillig angestrebt oder durch diskriminierende Maßnahmen erzwungen werden. (vgl. Tenorth/Tippelt 2007: 647)
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stabilen Verteilungsquoten auf das Gymnasium, die Haupt- und Realschulen (vgl. 205). Schon Bourdieu61 hat auf der Grundlage von Untersuchungen im französischen Bildungssystem die Reproduktion sozialer Ungleichheit durch die Schule festgestellt. Demnach führen nicht Lernerfolge und Leistungen der einzelnen Kinder, sondern das von Haus aus mitgebrachte kulturelle Kapital der Schüler/innen aus sozial privilegierten Familien zum Schulerfolg (vgl. Fürstenau/Niedrig 2011: 79). Bourdieu versucht die Frage danach zu beantworten, ob die Schule die Strukturen des sprachlichen Markts grundsätzlich transformieren kann und kommt zu dem Schluss, dass schulischer Wandel eigentlich nur im Einklang mit den gesellschaftlichen Hierarchien denkbar und zugunsten sozialer Minderheiten höchst unwahrscheinlich ist. Seine Analysen lassen die Schlussfolgerung zu, dass selbst schulische Konzepte, die Kinder aus sprachlichen und soziokulturellen Minderheiten zu fördern versprechen, zur Stabilisierung und Legitimierung der sprachlich-sozialen Strukturen beitragen (vgl. Bourdieu o. A.; zit. nach Fürstenau/Niedrig 2011: 80). Chlosta und Schäfer (vgl. 2010: 280) weisen darauf hin, dass die monolinguale Orientierung der deutschsprachigen Schule ein Grund für die Probleme der Schüler/innen – gerade auch im Fachunterricht – sei. Um dem entgegenzuwirken, hat Bourdieu den Ansatz der rationalen Pädagogik definiert. Er versucht, damit einen Weg zu finden, um die von Kindergarten bis zur Hochschule wirkenden sozialen Faktoren zu dämpfen. Es gilt daher nach Bourdieu (2001b; zit. nach Fürstenau/Niedrig 2011: 81) Schüler/innen unabhängig von ihrer mitgebrachten Ausstattung an kulturellem Kapital, das Wissen und die Fähigkeiten zu vermitteln, die für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn innerhalb der gesellschaftlichen Institutionen notwendig sind: Eine rationale und wirklich universale Pädagogik würde, da sie nicht für erworben hält, was einige ererbt haben, sich von Beginn an nichts schenken und sich zu einem methodischen Vorgehen im Hinblick auf das explizite Ziel verpflichten, allen die Mittel an die Hand
|| 61 Bourdieus sprachsoziologischer Ansatz grenzt sich vom Ansatz der reinen Sprachwissenschaft ab: Bourdieu zufolge ist jegliche Kommunikation in Hierarchie und Machtverhältnisse eingebunden und in jedem sprachlichen Austausch sind diese Machtverhältnisse zwischen den jeweiligen sozialen Gruppen präsent (vgl. Fürstenau/Niedrig 2011: 68). Für die Ausbildung des sprachlichen Habitus spielen Bildungsinstitutionen eine bedeutsame Rolle, denn sie unterstützen mit ihrer Praxis der Sanktionierung von Abweichungen von der legitimen Sprachform die Stabilisierung der legitimen Sprache (vgl. ebd. 78).
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zu geben, all das zu erwerben, was unter dem Anschein der ‚natürlichen Begabung’ nur den Kindern der gebildeten Klassen gegeben ist. ( ebd.)
Bourdieus rationale Pädagogik könnte dem entgegenwirken, dass in der Schule die von den Schülern und Schülerinnen bereits als kulturelles Kapital mitgebrachten sprachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in der sozial dominanten Sprache erwartet und bewertet werden. Lehrkräfte, die von den tatsächlich vorhandenen Kompetenzen und Bedürfnissen ihrer Schüler/innen ausgehen, würden die bildungs- und schulsprachlichen Fähigkeiten nicht als vorhanden voraussetzen und demnach stärker entsprechend dem Bedarf differenzieren. Sie würden den Lernenden nicht nur die sprachlichen Kompetenzen, sondern auch Lernstrategien vermitteln, mit deren Hilfe sie sich die Sprache im fachlichen Kontext selbstständig erschließen könnten. Dies setzt jedoch voraus, dass weitreichende Änderungen bei den curricularen Vorgaben von Seiten der Ministerien erfolgen, die sich insbesondere auf die Vorgaben für die Leistungskontrollen und -beurteilung auswirken. Zudem sollten amtierende und angehende Lehrkräfte durch Weiterbildungs- und Ausbildungsmaßnahmen auf die Heterogenität und Mehrsprachigkeit ihrer Schüler/innen vorbereitet werden. Übereinstimmungen mit den zuvor diskutierten Vorschlägen Bourdieus weisen ebenfalls Gogolins (vgl. 2009: 38) Schlussfolgerungen auf, die auf einer vergleichenden Zusammenfassung der Pisa-Studie (2003), der „Third International Mathematics and Science-Study (TIMSS)“ und älteren Lesestudien beruhen. So hält Gogolin fest, „dass die Schülerinnen und Schüler aus zugewanderten Familien immer dann schlechter abschneiden als die Nichtzugewanderten, wenn die gemessene Leistung im Kern eine Leistung in der vorherrschenden Unterrichtssprache ist.“ (Gogolin 2009: 38) Ausgehend von den PISA-Befunden schlussfolgert Gogolin, dass Deutschland in Sachen sozialer Selektion eine Spitzenposition einnimmt (vgl. Gogolin 2009: 48). Sie schlägt zur Lösung dieses Problems vor, dass später selegiert und ein insgesamt integratives, an der Förderung aller statt Selektion interessiertes Bildungskonzept realisiert werden sollte, um den engen Zusammenhang von Bildungserfolg und kulturellem und sozialen Kapital in höherem Maße zu entkoppeln (vgl. ebd. 48). Zur Umsetzung integrativer Maßnahmen im bestehenden Bildungssystem ist es insbesondere in der Sekundarstufe I wichtig, die sprachlichen Kompetenzen ganzheitlich – also in allen Fächern – zu fördern. Der Erwerb angemessener schrift- und zweitsprachlicher Fähigkeiten bedarf qualitativ anspruchsvoller Interaktionen und systematischer schulischer Unterweisung (vgl. Ott 2010: 196), denn in der Sekundarstufe entscheidet sich, ob die Schüler/innen zu kompetenten Lesern und Schreibern in der Zweitsprache werden.
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Im Fachunterricht der Sekundarstufe bilden diese sprachlichen Kompetenzen eine wesentliche Basis, denn hier haben die Schüler/innen aufgrund der sprachlichen Defizite ebenfalls ein Problem mit den Inhalten und Methoden der jeweiligen Fächer: „Inhalte und Methoden können aber zu Problemen werden, wenn sie nicht oder unzureichend verstanden werden, insbesondere dann, wenn die Schüler/innen wegen ihrer sprachlichen Kompetenzen nicht in der Lage sind, ihr fachliches Können unter Beweis zu stellen.“ (Chlosta/Schäfer 2010: 280)
2.2 Sprache im Fachunterricht: Alltags-, Bildungs- und Fachsprache In der Diskussion um die Sprachbildung in schulischen, aber auch anderen Bildungskontexten wird zwischen der alltagssprachlich dialogischen und der kognitiv akademischen Kompetenz unterschieden, um genauer zu beschreiben, welches Wissen und welche Fähigkeiten notwendig sind, um die Chancen auf den Schulerfolg zu erhöhen. Die Verwendung der Sprache im Alltag ist dadurch gekennzeichnet, dass es um den Austausch von persönlichen und sachlichen Informationen in einem direkten, mündlichen, dialogischen Kommunikationszusammenhang geht. Der starke Situationsbezug und auch die Wahrnehmung des Gegenübers spielen bei der Alltagskommunikation eine Rolle und erleichtern die Rezeption und Produktion von Mitteilungen (vgl. Michalak et al. 2015: 49). Im Zuge der Schulleistungsstudien wie PISA sind Probleme im Bereich der sprachlichen Kompetenzen, die für den Bildungserfolg grundlegend sind, ins Zentrum des Interesses gerückt. Denn gradlinige oder erfolgreiche Bildungsbiografien werden selten mit Defiziten im Bereich der Bildungssprache in Verbindung gebracht (vgl. Gantefort 2013: 71). Der Begriff Bildungssprache verweist zum einen auf bestimmte, mit linguistischen Mitteln identifizierbare Merkmale eines sprachlichen Registers, zum anderen auf bildungssprachliche Fähigkeiten, welche Sprachbenutzer/innen bei der Verwendung des Registers zeigen. Ortner (vgl. 2009: 2227) erläutert, dass besonderes Wissen bzw. Spezialwissen, welches über das Alltagswissen hinausgeht, bildungssprachlich formuliert ist. Der Modus, in dem das besondere Wissen verarbeitet wird, ist den Normen der Schriftlichkeit verpflichtet (vgl. ebd.: 2228). Die merkmalsbezogene Beschreibung des Phänomens Bildungssprache kann einerseits als eine linguistische Aufgabe verstanden werden, während die Verbindung von Merkmalen und Performanz dieser Merkmale andererseits im Bereich der Erziehungswissenschaften wegen der davon abhängigen praxispä-
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dagogischen Handlungsfelder von Bedeutung ist (vgl. ebd.). Die jeweiligen Perspektiven auf das Konzept Bildungssprache, auf die in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand der Sprachbildung im Fachunterricht konkret eingegangen wird, können folgendermaßen differenziert werden: zunächst die Beschreibung der Herkunft des Begriffs und seiner Entwicklung, des Weiteren die Analyse des Begriffs als Sprachgebrauchsform, Varietät oder Register aus linguistischer Perspektive, dann die erziehungswissenschaftliche und soziologische Betrachtung der Bildungssprache als Selektionskriterium, welches z. B. bei der Begründung gesellschaftlicher Konstellationen mit dem Bezug auf konkrete sprachliche Phänomene zum Tragen kommt, und schließlich die Vermittlung bildungssprachlicher Kompetenzen zum Erreichen der in den Bildungsplänen vorgegebenen Ziele. Im Bereich der Sprachlehr- und -lernforschung werden diese Perspektiven zusammengebracht, um ausgehend von der Bestimmung der Spezifika der Bildungssprache praxisrelevante Handlungsfelder wie die Sprachdiagnostik und förderung oder -bildung begründet zu planen. In der Sprachgeschichte und Sprachsoziologie wird der Begriff Bildungssprache überwiegend für die Sprache, die in den Bildungsinstitutionen gebraucht wird, verwendet (vgl. Ortner 2009: 2229). Als Terminus ist Bildungssprache im Jahr 1971 durch den Duden in die Lexikographie und damit in den Wahrnehmungsbereich der Linguistik eingeführt worden (vgl. ebd.). Wenn man den begriffsgeschichtlichen Wurzeln der Bildungssprache bis ins 20. Jahrhundert nachgeht, dann verwendet beispielsweise Drach (1928) den Begriff Bildungssprache Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals als Terminus im Abgrenzung zur Mundart (vgl. 1928: 665; zit. nach Drumm 2016: 9). Mitte des 20. Jahrhunderts behandelt Scheler das Phänomen Bildungssprache als Problem der Wissenssoziologie in zwei Aufsätzen und erklärt, dass sie aus einer engen Bindung an Institutionen entsteht und spezifische, vom Alltagswissen abgehobene Wissensformen erzeugt (vgl. Scheler 1960: 31f; zit. nach Ortner 2009: 2229). An diese Ausführungen knüpft Habermas in den 1980er Jahren mit einer problemgeschichtlich wichtigen und umfassenden Bestimmung des Phänomens Bildungssprache an. Habermas (1977) hat im Rahmen von sozialwissenschaftlichen und -politischen Vorträgen Umgangs-, Bildungs- und Wissenschaftssprache voneinander abgegrenzt. Ein kurzer Exkurs soll im Folgenden Habermas Erläuterungen gewidmet sein, denn bis heute berufen sich z. B. Gogolin et al. (2013/2017), Vollmer und Thürmann (2013) auf diese Definition von Habermas.
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Habermas (vgl. 1981: 341) führt aus, dass die Umgangs-, Fach-, Wissenschafts- und Bildungssprache miteinander verbunden sind: Unter Umgangssprache versteht Habermas „die Sprache, die der Angehörige einer Sprachgemeinschaft im Alltag [Hervorhebung im Original], eben im täglichen Umgang mit seinen Sprachgenossen benutzt. Mindestens eine natürliche Sprache bildet die Umgebung, in der das Kind sprechen lernt. Die Umgangssprache wird naturwüchsig [Hervorhebung im Original] gelernt.“ (ebd. 342) Er unterscheidet die Umgangssprache von den Fachsprachen, die man lernt oder erwirbt, indem man sich spezielle Kenntnisse aneignet, z. B. Berufskenntnisse: „Fachsprachen erlauben für spezielle Lebensbereiche eine größere Präzision der Rede; die beruht aber nicht immer darauf, daß die Verwendung fachsprachlicher Ausdrücke explizit geregelt wird.“ (ebd.) Habermas (vgl. 343) erklärt, dass sich in dieser Hinsicht die Wissenschaftssprache als Fachsprache von den übrigen Fachsprachen unterscheidet, denn sie muss sich für die Funktion der tatsachenfeststellenden Rede und speziell für die Prüfung von Aussagen eignen. Daraus resultiert laut Habermas (vgl. 343) ein hoher Grad der Normierung und ein entsprechend kontextfreier Gebrauch der sprachlichen Ausdrücke sowie deren Einbettung in einen theoretischen Zusammenhang. Das Verhältnis von Wissenschafts- zu Umgangssprache ist einerseits durch Abhängigkeit, andererseits durch Abgrenzung geprägt. So erörtert Habermas (vgl. 343), dass die Wissenschaftssprache von der Umgangssprache abhängig ist, denn man muss mindestens eine Umgangssprache beherrschen, bevor man sich eine Wissenschaftssprache aneignen kann. Zudem erfordert der Aufbau einer mehr oder weniger streng normierten Sprache wie der Fach- oder Wissenschaftssprache eine andere Sprache, in der diese expliziten Regelungen vorgenommen werden können. Umgekehrt hängt auch die Umgangssprache ihrerseits von der Fach- und Wissenschaftssprache ab, denn „Wissensfortschritte setzen sich im alltäglichen Bewusstsein dadurch fest, daß Termini (und in selteneren Fällen auch syntaktische Formen) aus einer Wissenschaftssprache in den natürlichen Sprachgebrauch übernommen werden“ (ebd. 344). Indem theoretische Begriffe in die Umgangssprache einwandern, so Habermas (vgl. ebd.: 344), tritt zwar ein Gewöhnungseffekt ein, die exakten Verwendungsregeln und der präzise begriffliche Kontext gehen zum Teil jedoch wieder verloren. Habermas (vgl. ebd.: 344) ist interessiert daran, wie die Umgangssprache Elemente der Wissenschaftssprache absorbiert. Er erläutert, dass die Berufspraxis und die Öffentlichkeit die beiden Zugangsmöglichkeiten für das wissenschaftliche Vokabular sind. Hier kommt die Bildungssprache zum Tragen, denn in der Öffentlichkeit verständigt
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sich ein Publikum über Angelegenheiten des allgemeinen Interesses, dazu bedient es sich weitestgehend der Bildungssprache (vgl. ebd.: 345), die Habermas wie folgt definiert: Die Bildungssprache ist die Sprache, die überwiegend in den Massenmedien, in Fernsehen, Rundfunk, Tages- und Wochenzeitungen benutzt wird. Sie unterscheidet sich von der Umgangssprache durch die Disziplin des schriftlichen Ausdrucks und durch einen differenzierteren, Fachliches einbeziehenden Wortschatz; andererseits unterscheidet sie sich von Fachsprachen dadurch, daß sie grundsätzlich für alle offensteht, die sich mit den Mitteln der allgemeinen Schulbildung ein Orientierungswissen verschaffen können. Dieses Orientierungswissen kann in sehr verschiedenen Tiefenschärfen ausgebildet werden. (ebd.: 345)
Die von Habermas als Orientierungswissen bezeichneten und in der Schule erworbenen Kenntnisse sind notwendig, um die bildungssprachlichen mündlichen oder schriftlichen Äußerungen in den Medien verstehen zu können. Des Weiteren wird der Bildungssprache nach Habermas eine Brückenfunktion von dem Alltäglichen, das in der Umgangssprache formuliert wird, zu den fachlich-wissenschaftlichen Gegenständen, die bildungssprachlich formuliert sind, zugesprochen. „Sie wird durch die Funktion, Fachwissen in die einheitsstiftenden Alltagsdeutungen einzubringen, definiert. Die Bildungssprache ist ein Medium, durch das Bestandteile der Wissenschaftssprache von der Umgangssprache assimiliert werden.“ (ebd. 346) Auch aktuelle Definitionen der Bildungssprache, wie die von Ortner (2009: 2229), erläutern diese Brückenfunktion der Bildungssprache wie folgt: So wie die Umgangssprache zwischen Dialekt und Hoch-Standardsprache vermittelt, so fungiert die Bildungssprache als innersprachliche Verkehrssprache zwischen den Fachsprachen und vor allem für die Schriftlichkeit außerhalb der Fachsphären. Funktionalistisch gesehen handelt es sich bei der Bildungssprache um einen bereichsübergreifenden Stil.
Da die Übergänge zwischen Wissenschafts- und Bildungssprache fließend sind, treten auch häufig Unsicherheiten beim Umgang mit der Bildungssprache auf, weil insbesondere das theoretische Wissen, der Bezugspunkt der Sprache und der Ausgangspunkt für Hypothesen auch veralten können (vgl. Habermas 1981: 356). Die Ausführungen von Habermas haben heute noch ihre Gültigkeit und sind wichtig, um die Zusammenhänge der Konstrukte Bildungssprache und Alltagssprache oder Umgangssprache zu verstehen und in Bezug auf die Sprachbildung zu diskutieren. Im außerschulischen Handlungsraum dient die Bildungssprache als Sprache der Öffentlichkeit und hat eine Mittlerfunktion zwischen den Fachsprachen und dem alltäglichen Sprachgebrauch. Mit der Neuentstehung und der
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Veränderung von Fachdisziplinen (z. B. Informatik und Neue Medien), die gesamtgesellschaftliche Prozesse anstoßen, ändert sich demzufolge auch die Bildungssprache. Die Schule ist der Ort, an dem die Grundlagen der Bildungssprache für eine Teilhabe an der Gesellschaft und einem Verstehen dieser Prozesse in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermittelt werden. Die Vermittlung der Sprache im Kontext der Bildung kann dabei, wenn man sich auf Habermas beruft, ausgehend von der Alltagssprache erfolgen, da auch die Sprache der Wissenschaften wie die Bildungssprache ausgehend von der alltagssprachlichen Basis ausgebaut wurde und wird. Da die Bildungssprache schriftsprachlich geprägt ist, kann im Rahmen der Sprachbildung mit der Rezeption von bildungssprachlichen Texten deren Produktion eingeübt werden. Vollmer und Thürmann (2013) merken an, dass die Bildungssprache als innersprachliche Verkehrssprache zwischen den Wissenschaften und ihren Fachsprachen eine sozial dominante Varietät ist, die oft von denen verwendet wird, die in der Gesellschaft Einfluss und Macht haben, und sie oft auch als Erkennungszeichen einsetzen, um Menschen in eine Gruppe aufzunehmen oder sie auszuschließen (vgl. ebd. 2013: 43). Entsprechend können bildungssprachliche Fähigkeiten darüber entscheiden, zu welchen Bildungsbereichen man einen Zugang hat. Cummins (vgl. 2008: 71) hat Ende der 70er Jahre erstmalig die Aufmerksamkeit der Pädagogik auf den Zusammenhang des Zweitsprachenerwerbs und der kognitiv-akademischen Leistungen gelenkt: Aus- und Aufbau der alltäglichen und akademischen Sprachkompetenzen sollten Cummins zufolge in der Erst- und in der Zweitsprache erfolgen. Cummins (vgl. 2008:71)) geht davon aus, dass die Performanz akademischer Sprachverwendung sowohl in der Erst- als auch in der Zweitsprache mehrsprachig Aufwachsender auf einem gemeinsamen Faktor sprachlich-kognitiver Kompetenz beruht.62 Die kognitiven Anforderungen in der akademisch geprägten Kommunikation werden von Cummins als ein Kontinuum von der situationsgebundenen
|| 62 Cummins (vgl. 1982; zit. nach Rösch 2011: 25) Ausführungen zur Schwellen- oder Interdependenzhypothese (drei Schwellen der bilingualen Entwicklung: 1. Schwelle Semilingualismus; 2. Schwelle dominante Zweisprachigkeit; 3. Schwelle hohe Kompetenz in beiden Sprachen) suggerieren, dass für den Erwerb der zweiten Sprache die Ausbildung einer Erstsprache Voraussetzung sei. Unterstützt wird seine Annahme durch die Unterscheidung zwischen einer situationsgebundenen (BICS = Basic Interpersonal Communicative Skills) und einer kognitivakademischen Sprachfähigkeit (CALP = Cognitive Academic Language Proficiency). In den 1980er Jahren wurde die Interdependenzhypothese so eng ausgelegt, dass behauptet wurde, das CALP-Niveau müsse in der Erstsprache ausgebildet werden, damit es als Grundlage für den Zweitspracherwerb genutzt werden kann (vgl. Steinmüller 1981; zit. nach Rösch 2011: 25). Heute
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Sprachfähigkeit im alltagssprachlichen zur akademischen Sprachfähigkeit beschrieben. Zum einen ist dieser Grad der erforderlichen Sprachkompetenzen abhängig von dem Automatisierungsgrad der sprachbezogenen kognitiven Verarbeitung, zum anderen spielt die Ebene der Kontexteinbettung, die sich erleichternd auf die Bewältigung einer Kommunikationssituation auswirken kann, eine Rolle (vgl. Cummins 1984: 13; zit. nach Gantefort 2013: 74). Gantefort (vgl. 2013: 75) hält fest, dass die institutionsspezifische schulische Sprachverwendung im Gegensatz zur alltäglichen interpersonalen Kommunikation die Merkmale ‚kontextreduziert‘ und ‚kognitiv anspruchsvoll‘ aufweist. Cummins unterscheidet erstmals im Jahr 1979 in diesem Zusammenhang Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS), die sich auf die Alltags- oder Umgebungssprache und damit auf situationsgebundene Sprachfähigkeit beziehen, von Cognitive Academic Language Proficiency (CALP), also der kognitiv akademischen Sprachfähigkeit, die eine Bedeutungserschließung aus rein sprachlichen Informationen verlangt und insofern eine höhere Sprachkompetenz voraussetzt. Cummins begründet diese Differenzierung wie folgt mit der längeren Zeitspanne, die zur Entwicklung der bildungssprachlichen Fähigkeiten notwendig ist: The distinction was intended to draw attention to the very different time periods typically required by immigrant children to acquire conversational fluency in their second language as compared to grade-appropriate academic proficiency in that language. Conversational fluency is often acquired to a functional level within about two years of initial exposure to the second language whereas at least five years is usually required to catch up to native speakers in academic aspects of the second language. (Cummins 2016: WWW-Veröffentlichung)
Zudem begründet Cummins (vgl. 2008: 71) die Unterscheidung zwischen BICS und CALP für die Vermittlung damit, dass Pädagogen für die Situation der Lernenden, die mehrsprachig aufwachsen, sensibilisiert werden sollten.63 Denn bilinguale Lernende stehen vor einer großen Herausforderung, wenn sie ihre einsprachig aufwachsenden Mitschüler/innen einholen wollen.
|| geht man davon aus, dass es entscheidend ist, inwieweit die akademische Sprachfähigkeit überhaupt ausgebildet ist. 63 In den 80er Jahren analysierte Cummins (vgl. 2008: 72) 400 Empfehlungsschreiben von Lehrenden und psychologische Testungen von mehrsprachigen Lernenden, um deutlich zu machen, welche Fehlentscheidungen oder -einschätzungen vorgenommen werden, wenn die Lehrkräfte von den BICS ausgehen und daraus schlussfolgern, dass ihre Schüler/innen auch über ausreichende Kompetenzen im Bereich der Bildungssprache, also CALP, verfügen: What is interesting in this example is that the child’s English communicative skills are presumably sufficiently well developed that the psychologist (and possibly the teacher) is not alerted to the
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Die konzeptuelle Unterscheidung von BICS und CALP von Cummins kann dabei helfen, die zweitsprachlichen Kompetenzen von Schüler/innen differenziert zu beschreiben und Unterrichtsziele und Leistungen in Bezug auf damit verbundene bildungssprachliche Kompetenzen bewusst differenziert zu planen und zu evaluieren. Obwohl die Unterscheidung von BICS und CALP wegen der anfänglichen Vernachlässigung der sozialen und ökonomischen Faktoren, die für den Spracherwerb eine Rolle spielen, kritisiert wurde, dient sie bis heute im Bereich von Bildungsprogrammen dazu, die erstsprachlichen Kompetenzen wertzuschätzen, auszubauen und zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung der bildungssprachlichen Kompetenzen zu entwickeln (vgl. Cummins 2013: 39 & 2016). Die Unterscheidung von BICS und CALP nach Cummins kann u.a. dabei helfen, Unterrichtsdaten aus dem Bereich des Lehrens und Lernens zu analysieren, hinsichtlich ihrer Komplexität zu beschreiben und ausgehend davon Lernumgebungen entsprechend den Bedürfnissen der Schüler/innen zu gestalten (vgl. Kapitel 5). Cummins Überlegungen führen zu der Frage, wie die Bildungssprache als Werkzeug, welches erfolgreiche Lernende je nach Situation einsetzen und zum Lernen nutzen können, beschrieben werden und davon ausgehend vermittelt werden kann. Die Möglichkeiten bildungssprachlicher Kompetenzbeschreibungen und ihre Funktion als Orientierung bei der Planung und Durchführung von der integrierten Sprachbildung im Fachunterricht sollen daher im Folgenden dargestellt werden. Vollmer und Thürmann (vgl. 2013: 49) merken dazu an, dass eine Entwicklung und Erprobung eines konsensfähigen fächerübergreifenden Beschreibungssystems zwar wünschenswert sei, aber dass dies keinesfalls zur Normierung und Standardisierung von bildungssprachlichen Gebrauchsmustern dienen sollte. Die beiden argumentieren gegen eine solche Normierung, weil es zum einen „wegen des Konstruktcharakters von Bildungssprache ohnehin keine exhaustive und autoritative Bestandsliste bildungssprachlicher Kompetenzen geben“ kann, zum anderen sich eine nicht weiter reflektierte Übernahme von bildungssprachlichen Gebrauchsmustern als schulische Norm für die Formulierung mündlicher und schriftlicher Texte kontraproduktiv auf den Bildungsanspruch der Schule auswirkt (vgl. ebd. 50). In der Didaktik der Wissensgesellschaft liegt die Priorität im
|| child’s EAL background. This leads the psychologist to infer from her low verbal IQ score that her development has not progressed at a normal rate [Hervorhebung im Original] and to advise the teacher to set low academic expectations for the child since she will continue to experience much difficulty in school [Hervorhebung im Original]. (Cummins 2008: 74)
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wissenschaftlichen Diskurs, also in der vertiefenden Erkundung eines bestimmten Themas durch Dialog und interaktives Fragen und somit in der gemeinsamen Entwicklung von Gedanken und Ideen (vgl. ebd.). Dazu stehen Merkmalbeschreibungen und Referenztexte im Widerspruch, in denen erweiterte Nominalphrasen, Passivkonstruktionen, mehrgliedrige Komposita, Funktionsverbgefüge und Latinismen dominieren. Auch Ahrenholz (2017a: 10–21) beschreibt und diskutiert fächerübergreifende, bildungssprachliche Indikatoren wie das gehäufte Vorkommen des Passivs, von Komposita oder komplexen Attributen u. a. ausgehend von Ergebnissen aktueller Studien kritisch und hält fest: Wie im letzten Abschnitt gezeigt wurde, kann man verschiedene der vielfach aufgeführten Indikatoren für Bildungssprache [Hervorhebungen im Original] nicht gut als Indikatoren auffassen. Nahezu alle Merkmale finden sich – zum Teil mit geringer Frequenz – auch in anderen Kontexten des Sprachgebrauchs. Wir haben auch guten Grund zu der Annahme, dass sie – soweit es sich um sprachstrukturelle und nicht um lexikalische Mittel handelt – vielfach auch zu den alltagssprachlichen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern gehören. (Ahrenholz 2017a: 22)
Mit Hilfe dieser häufig korpusbasierten und -analytisch gewonnenen Merkmalsbeschreibungen ist also das Konstrukt Bildungssprache nur bedingt beschreibbar, da diese ebenso im alltäglichen Sprachgebrauch vorkommen. Zudem ist nicht bewiesen, ob mehrsprachig aufwachsende Schüler/innen mit diesen bildungssprachlichen Indikatoren wie dem häufigen Vorkommen des Passivs64, der Konnektoren oder einer lexikalischen und informationellen Dichte mehr Schwierigkeiten als ihre monolingual aufwachsenden Mitschüler/innen haben (vgl. 2017a: 19; 21; 22). Jedoch definieren diese bildungssprachlichen Indikatoren besondere sprachliche Anforderungen im Schulunterricht, daher ist es wichtig als Lehrkraft in der Lage zu sein, zu ermitteln, in welcher Situation im Unterricht z. B. Verständnisprobleme auftauchen könnten, um begründet sprachsensiblen Fachunterricht planen zu können (vgl. Kapitel 5). Daher sollten Referenzsysteme wie Texte mit diesen bildungssprachlichen Merkmalen laut Vollmer und Thürmann (vgl. 2013: 50) eine Orientierungsfunk-
|| 64 Michalak und andere (2015: 31) illustrieren am Beispiel des grammatischen Phänomens Passiv bildungssprachliche Probleme: Das Passiv wird in zahlreichen schulischen Fachtexten verwendet und ist für die Sprache im Fachunterricht charakteristisch: „Es stellt eines der größten Probleme für DaZ-Lernende dar, zumal passivische Konstruktionen in anderen Sprachen nicht so häufig gebraucht werden wie im Deutschen.“ (ebd.) Empirische Untersuchungen zum Beleg dieser Annahme stehen jedoch aus.
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tion haben und die Funktionalität von kognitionsunterstützenden bildungssprachlichen Mitteln für das erfolgreiche Lehren und Lernen bewusstmachen. Diese bildungssprachlichen Referenzsysteme sollten dazu herangezogen werden können, Förderbedarfe zu diagnostizieren und den Unterricht auf die Bedarfe der Schüler/innen einzustellen, aber nicht als sprachliche Registersammlungen eingesetzt werden, die es zu erreichen gilt. Dies würde der Dynamik des Konstrukts Bildungssprache und seiner Position zwischen der Wissenschafts- und Alltagssprache widersprechen, denn neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden häufig erst mit den Mitteln der Alltags- und der Bildungssprache ausgehandelt und an die Öffentlichkeit vermittelt (vgl. Habermas 1981: 345). Für die Didaktik und Methodik des Unterrichts zur Förderung von bildungssprachlichen Kompetenzen gilt demzufolge, dass von den Gegenständen, Inhalten und Zielen des Faches auszugehen ist und die dortigen Diskurse hinsichtlich der bildungssprachlichen Anforderungen zu analysieren sind. Ausgehend von den Bildungsvoraussetzungen der Schüler/innen kann darüber entschieden werden, welche und wie viel explizite Förderung zum Verständnis der fachlichen Diskurse notwendig und möglich ist (vgl. Kapitel 5.3; 5.4). Entsprechend der zuvor erläuterten Zusammenhänge zwischen der Fach-, Bildungs- und Alltagssprache ist es bei der Vermittlung sinnvoll, von der Alltagssprache und den bereits vorhandenen bildungsund fachsprachlichen Kompetenzen auszugehen, um die notwendigen bildungssprachlichen Fähigkeiten zu erarbeiten und einzuüben. Im Bereich des Einübens der Bildungssprache kommt dabei im schulischen Kontext das Konstrukt Schulsprache zum Tragen, auf das im Folgenden eingegangen wird. Die Sprache im (Fach-)Unterricht zeichnet sich sowohl durch eine eigene fachsprachliche Begrifflichkeit als auch durch fächerübergreifende bildungsrelevante Sprachfunktionen und Formen wie das Beschreiben, Erörtern, Definieren und Zusammenfassen usw. aus. Soweit die im (Fach-)Unterricht gebrauchte Sprache und die erwarteten sprachlichen Äußerungen selbst primär schulischdidaktischer Art sind, handelt es sich dabei um Schulsprache (vgl. Feilke 2013: 113). Schule arbeitet in zahlreichen Zusammenhängen mit didaktischen Fiktionen und an solchen Fiktionen orientierten Erwartungen (vgl. ebd. 117). Diese didaktischen Fiktionen wie das Schreiben zu Bildergeschichten sind Übungsformen und passen nicht genuin zum pragmatischen Kontext einer Bildergeschichte, die man auch ohne allzu viele Worte und Erklärungen versteht. Im schulischen Kontext gehört es jedoch dazu, beim Schreiben einer Bildergeschichte das Erzählen zu üben, insofern auch die Zusammenhänge in ganzen Sätzen auszuformulieren und die Geschichte möglichst anschaulich durch Verwendung treffender Adjektive und durch den Einsatz passender Adverbien spannend erzählen zu können.
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Ähnlich verhält es sich mit den schulsprachlichen Übungsformen der Bildoder Gegenstandsbeschreibung. Die globale Beschreibung von Bildgegenständen eines Kunstwerkes, z. B. im Museum oder im öffentlichen Raum, ist nicht relevant, wenn alle das Bild sehen und die Beschreibung keine eindeutige Funktion hat: „Das Problem ist, dass die implizite schulsprachliche Erwartung didaktisch durchaus rational, kommunikativ, aber rundheraus irrational ist – es sei denn, Lehrer und Schüler wissen gleichermaßen um die Regeln des schulischen Sprachspiels [...].“ (Feilke 2013: 117) Zur Schulsprache gehören auch speziell geschaffene sprachliche Lerngegenstände (vgl. ebd.), so z. B. die didaktischen Gattungen wie die Erörterung im Deutschunterricht, die Quelleninterpretation im Geschichtsunterricht oder das Versuchsprotokoll im naturwissenschaftlichen Unterricht und schließlich auch die Bildbeschreibung nach verschiedenen Ansätzen im Kunstunterricht. Die genannten Formen sind didaktisch konzipiert und begründet: „Sie sollen bestimmte Fähigkeiten stützen und ihre Entwicklung fördern. Oft sind sie auch nur didaktisches Brauchtum und ein Lernhemmnis.“ (ebd.) Schulsprache kann demzufolge als ein Instrument der Erziehung zur Bildungssprache, also zu einem kompetenten Sprachgebrauch nach den Vorstellungen der Schule, ihrer Organisatoren und der jeweiligen Fachdidaktiker verstanden werden: Sie umfasst Praktiken (z. B. des Umgangs mit Texten im Unterricht), Maximen (etwa: Sei möglichst explizit und vollständig!), Normen (etwa: Berichte im Präteritum!) und Lerngegenstände & Formen [Hervorhebungen im Original] (z. B. didaktische Gattungen, Schulschriften, Schulgrammatiken). Sicher ist die Schulsprache – formativ betrachtet – keine linguistische Varietät i.e.S.65; sie ist das Gefüge der institutional geschaffenen und auf die institutionalen Zwecke gerichteten Sprachgebrauchsformen. (Feilke 2013: 117)
Feilke (ebd.: 118) macht durch ein Schaubild den Zusammenhang von Bildungssprache und Schulsprache im Zusammenhang mit dem Lernen und Lehrens deutlich.
|| 65 i.e.S. = im eigentlichen oder engeren Sinn; i.w.S. (vgl. Schaubild; Abb. 6) = im weiteren Sinn
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Abb. 6: Schriftsprache–Bildungssprache–Schulsprache (Feilke 2012a; zit. nach Feike 2013: 118)
Die Bildungssprache wird im Schaubild (Abb. 6) als wichtiges Register in schriftkulturellen Gesellschaften gekennzeichnet. Zu ihr gehören ein differenzierter Bildungswortschatz, bestimmte syntaktische Formen sowie Gesprächs- und Textgattungen. Sie ermöglicht die Darstellung komplexer Sachverhalte und unterstützt somit das Lernen. Sie kann daher didaktisch genutzt werden (vgl. Abb. 6), aber ihr Funktionsspektrum weist weit über schulische Bildungsprozesse hinaus (vgl. Feilke 2013: 118). Nach Feilke (vgl. 2013: 119) gehört die Bildungssprache zum schriftsprachlichen Bereich, so wie die Literatur, Rechts- und Wissenschafts- und Fachsprachen und andere Varietäten. Deutlicher als Habermas weist Feilke (ebd.) die Bildungssprache diesem Bereich zu und schlussfolgert des Weiteren: Die Schriftsprache – und das gilt auch für die Bildungssprache – ist jeweils einzelsprachlich [Hervorhebung im Original] ausgeprägt und ist das Produkt eines nicht geplanten historischen Sprachwandels. Als einzelsprachliche Ressource ist sie Gegenstand des natürlichen Spracherwerbs, das heißt der Bildungsspracherwerb kommt bei entsprechender Spracherfahrung ohne direkte Instruktion aus. Bildungssprache begegnet den Schülern keineswegs nur in der Schule. Das Register wird zwar schulisch einerseits als Ressource vorausgesetzt, muss aber andererseits von vielen Schülern auch schulisch unterstützt erworben werden. (Feilke 2013: 119)
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Michalak, Lemke und Goeke (vgl. 2015: 51) weisen wie Feilke darauf hin, dass bildungssprachliche Fähigkeiten im schulischen Kontext häufig als gelernt vorausgesetzt werden. Obgleich sie meist nur wie eine Art Kapital in „begüterten Familien – über den primären Spracherwerb sozial vererbt“ werden (Feilke 2013: 19), geht man oft davon aus, dass alle Schüler/innen über diese Kompetenzen verfügen. Grund dafür könnte die vermeintlich gute Kompetenz im Bereich der BICS sein (vgl. Cummins 2008). Durch diesen Sachverhalt entsteht eine Bildungsungleichheit oder auch Bildungsbenachteiligung, denn der Gebrauch der Bildungssprache wird nicht explizit thematisiert, sodass mehrsprachig aufwachsende Schüler/innen oft nicht wissen, dass sie ein anderes sprachliches Register verwenden sollen als jenes, das ihnen im Alltag zur Verfügung steht (vgl. Michalak et al. 2015: 51): „Bildungssprachliche Fähigkeiten werden nicht explizit vermittelt. Die SchülerInnen erhalten prinzipiell weder im Deutsch- noch im anderen Fachunterricht Lerngelegenheiten, bildungssprachliche Fähigkeiten zu erwerben.“ (ebd.) Feilke hält in diesem Zusammenhang fest, dass die „Bildungssprache [...] hier alle Merkmale eines sozial differenzierenden Habitus“ trage (2013:119). Betrachtet man den Erwerbskontext von Bildungssprache im schulischen Rahmen, so hängen, wie Feilke (2013) darstellt, bildungs- und schulsprachliche Kompetenzen zusammen. Schulsprache kann den Erwerb der bildungssprachlichen Kompetenzen fördern. Ähnlich wie Vollmer und Thürmann (2013) wendet sich aber auch Feilke (vgl. ebd.) gegen das normative Festhalten an Mustern und Referenztexten und plädiert für eine Didaktik zur Förderung der Textroutinen, die die Kompetenzen kontinuierlich auf- und ausbaut und ausgehend von den lokal textbildenden Prozeduren und Routinen66 verläuft. Für die Vermittlung der bildungssprachlichen Kompetenzen über den Weg der Schulsprache und ihrer Übungsformen bedeutet dies, dass man wiederum von der Funktion der Sprache in kommunikativen Zusammenhängen ausgeht und die schulsprachlichen Übungsformen dazu in Beziehung setzt. Die Frage wäre dann z. B. in Bezug auf die Bildbeschreibung, wozu beschreibt man ein Bild, eine Person oder einen Gegenstand – also in welchem Verwendungszusammenhang benötigt man die Darstellung (vgl. Kapitel 5.3). Die Funktion des Textes be-
|| 66 Feilke (vgl. 2013: 128) unterscheidet eine globale versus eine lokale Orientierung: Im Unterschied zur Logik des lokal orientierten, situativ und kommunikativ bedingten Aufbaus bildungssprachlicher Kompetenzen werden im Kontext des globalen Aufbaus Muster didaktischer Gattungen (Inhaltsangabe, Nacherzählung usw.) zugrunde gelegt. Von Schüler/innen wird erwartet, dass sie die globalen und normativen Muster nachahmen.
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stimmt den Inhalt, den Aufbau und auch das bildungssprachliche Register, welches zu vermitteln ist. Wenn beispielsweise eine Uhr oder ein Schrank im Internet verkauft werden, beschreibt man diesen Gegenstand selten detailliert, sondern eher werbend und versucht, die positiven Merkmale hervorzuheben, während man Beschädigungen oder Fehler ggf. verschweigt. Diese Art der funktionalen Beschreibung weicht von den Kriterien einer klassisch schulsprachlichen Beschreibung ab, die entsprechend der traditionellen Aufsatzdidaktik sachlich und genau zu formulieren ist, denn sie enthält neben darstellenden auch persuasive Textsegmente. Wie Ankermann (2003: 1) festhält sind „Aufgaben zum Beschreiben [...] oftmals abgekoppelt von einem tatsächlichen Verwendungszusammenhang. Die Schülerinnen und Schüler sollen nach Maximen verfahren wie Genauigkeit, Vollständigkeit, Richtigkeit usw. und häufig scheitern sie daran.“ Textsorten wie die Bildbeschreibung sollten folglich in Verbindung mit einer quasi authentischen Verwendungssituation im Unterricht behandelt werden. Bildungssprachliche Kompetenzen lassen sich jedoch nur bedingt durch logische und funktionale Aufgaben erarbeiten und üben. So wird sich eine Bildbeschreibung außerhalb des Klassenraums selten durch die folgenden Merkmale und den Aufbau, die sowohl im Deutsch- als auch im Kunstunterricht in der Sekundarstufe I geübt werden, auszeichnen: Die Trennung der Darstellung von Inhalt und Form, die detaillierte Beschreibung der Bildgegenstände und ihre Beziehung zueinander, sowie die begründete Bilddeutung ausgehend von der inhaltlich-formellen Analyse.67 Vielmehr wird bei einer gemeinsamen Betrachtung des Bildes im Museum meist von dem Besonderen, von dem Auffälligen und der individuellen Wahrnehmung ausgegangen (vgl. Kapitel 1.3). Durch den Austausch zum individuell Wahrgenommenen kommt man je nach Vorwissen und Kontext der Rezipienten zu den Informationen zur Malerin oder zum Maler, zur Epoche oder auch zu einer kreativ-experimentellen Annäherung.
|| 67 Die Methoden der Bildbetrachtung reichen vom formal-analytischen, über den hermeneutischen, den semiotischen, den ikonologischen, den biografisch-psychologischen, den sozial-historischen bis hin zum experimentellen Ansatz. In den Klassenstufen 9 und 10 in der Sekundarstufe I sollen Schülerinnen und Schülern das formal-analytische und hermeneutische Beschreiben lernen. (Kirschenmann/Schulz 1999: 30–44) Die schriftlichen Klausuren im Bereich des Kunstunterrichts in der Oberstufe sind dann häufig Bildbeschreibungen nach verschiedensten Ansätzen, oft auch in Verbindung mit unterschiedlichen Kommunikationsmodellen, mit dem Ziel, die Wirkungsebenen des Bildes zu entschlüsseln.
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Auch wenn das didaktische Potential der schulsprachlichen Bildbeschreibung im Kunst- oder Deutschunterricht68 ausgehend von den vorigen Überlegungen in Bezug auf die Alltagspraxis fragwürdig erscheint, können durch diese Art der Beschreibung bildungssprachliche Fähigkeiten geübt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Schüler/innen die Textsorte als schulsprachliche Lernform begreifen, den eigenen Lerngewinn reflektieren und formulieren lernen. So kann beispielsweise mit der genannten Textsorte geübt werden, zunächst ein Bild und seinen Gesamteindruck zu entschlüsseln, das Sehen und die Wahrnehmung durch die Verbindung mit der Sprache zu vertiefen, die Wortwahl wiederum durch die bei der längeren Betrachtung bemerkten Details zu differenzieren. Im zweiten Schritt können die so gewonnenen Erkenntnisse zum Bild in eine lineare, logische Abfolge gebracht werden. Das schulsprachlich initiierte Lernen ist hier also nicht nur eine Möglichkeit, bildungssprachliche Teilfähigund Fertigkeiten zu üben, sondern es hilft außerdem, die zum schriftsprachlichen Kommunizieren notwendigen kognitiven Fähigkeiten des differenzierten Wahrnehmens und des strukturierten Ausformulierens zu trainieren. Der Ausbau der schulsprachlichen Kompetenzen sollte allerdings immer auch im Verlauf einer Vermittlungssequenz an relevante bildungs- oder alltagssprachlich Bereiche gebunden werden, um aufzuzeigen, inwieweit die geübten Teilkompetenzen außerhalb der Schule von Nutzen sein können. So weist Feilke (vgl. 2003: 11) darauf hin, dass Beschreibungen Zweckbestimmungen brauchen, von denen her die Maßstäbe für die Genauigkeit, Vollständigkeit oder Richtigkeit abgeleitet werden können. Im Unterschied zu den Konstrukten der Bildungs-, Schul-, Wissenschaftsund Fachsprache geht das Konstrukt Genre69 nach Hallet (vgl. 2013: 59) über eine || 68 Im Deutschunterricht wird die Bildbeschreibung z. B. in der 6. oder 7. Klasse als schulsprachliche Gattung geübt und im Rahmen von Klassenarbeiten überprüft. Kriterien sind hier beispielsweise Sachlichkeit, Entsprechung der Wirklichkeit, also eine möglichst genaue Nachzeichnung von dem, was auf dem Bild (Bildinhalt) dargestellt ist, und dem, wie es dargestellt wird (Bildform). Je nach Erwartungshorizont ordnen die Schüler/innen das Bild auch einer Epoche oder einem geschichtlichen Hintergrund zu oder können ausgehend von der Biografie des Künstlers erläutern, warum er diese oder jene Darstellungsform gewählt hat. Die größte Herausforderung besteht für viele Schüler/innen darin, das Bild als kompakte Erzählung auf mehreren Ebenen in die lineare Form der Sprache zu übertragen und ihren Aufsatz entsprechend nachvollziehbar zu strukturieren. 69 Hallet (vgl. ebd.) bringt in den Diskurs um die Sprache/n im Fachunterricht den Begriff des Genres ein, um die besonderen Eigenschaften der Sprache/n im schulischen Kontext zu erläutern: „Genres sind diejenigen Einheiten mit sprachlich-symbolischen und textuellen Eigenschaften, in denen Wissen im fachlichen Diskurs erzeugt und manifestiert wird; in der fachlich-disziplinären Diskursgemeinschaft wird es in diesen Genres verhandelt und weiterentwickelt.
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sprachliche Charakterisierung hinaus und verbindet textuelle Struktur mit einer Diskursfunktion, wie der epistemologischen sowie einer kognitiven Operation, z. B. zur Veranschaulichung eines Problemlösungsprozesses. Es kann daher zur Beschreibung von fachlichem Inhalt und Kompetenz in Verbindung mit Sprache und symbolischer Form herangezogen werden. Hallet (vgl. 2013: 66) unterscheidet drei Ebenen der Sprachlichkeit des generischen Lernens: Die Mikroebene der wissenschaftlichen Begriffe, die Mesoebene der Diskursfunktion sowie die Makroebene des Genres. Die Makroebene der Genres stellen konventionalisierte, komplexe, sprachliche und/oder symbolische Einheiten mit textuellen Eigenschaften dar, durch die Erfahrungen und Erkenntnisse strukturiert und diskursfähig gemacht werden. Sie können einer dominanten Diskursfunktion zugeordnet werden, wie z. B. einer Beschreibung oder einer Argumentation, können darüber hinaus auch mehrere Diskursfunktionen der Mesoebene in sich vereinen (vgl. ebd. 67). Die Mesoebene stellt die kleinsten sprachlich-diskursiven Einheiten fachlicher Systematisierung, Relationierung und Strukturierung dar, so z. B. Hypothesenbildung, Definition, Erzählung, Erklärung, Beschreibung usw. Es handelt sich bei den Diskursfunktionen um Mini-Genres, die zu Makro-Genres ausgebaut werden können oder ein dominantes Element eines Genres sein können (vgl. ebd. 66). Bezieht man diese Unterscheidung der drei Ebenen des sprachlichen-generischen Lernens auf das Makro-Genre der Bildbeschreibung, welches im Kunstunterricht eine besondere Rolle spielt, so kann man die sprachlich-generischen Lernfelder wie folgt skizzieren: Auf der Makroebene kann die Bildbeschreibung abhängig von dem Ansatz, dem sie folgt, z. B. formalanalytisch, die Diskursfunktionen oder Minigenres des Benennens, Beschreibens der inhaltlichen und formellen Ebenen des Kunstwerks beinhalten (vgl. Kapitel 5.3). Des Weiteren können die Minigenres des Analysierens und des Deutens sowie des Beschreibens des kulturhistorischen und biografischen Hintergrundes eine Rolle spielen. Liegt der Schwerpunkt auf der formellen Analyse, dann ist auch ein symbolisches Mikrogenre, eine Strukturskizze, die den Aufbau oder die Komposition des Bildes veranschaulicht, Bestandteil der Bildbeschreibung und des Analyse- und Erkenntnisprozesses. Auf einer komplexeren Ebene der Bildbeschreibung werden vorausgehende Deutungen aufgegriffen, abgewogen und diskutiert, sodass die Diskursfunktion des Argumentierens (belegen, begründen und abwägen) auch Bestandteil des Makro-Genres ist. Auf der Mikroebene werden im Bereich der for-
|| Genres stellen daher diejenigen diskursiven Einheiten dar, die für das Verstehen und das Verhandeln fachlichen Wissens auch in der Schule unverzichtbar sind.“ (Hallet 2013: 59)
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malanalytischen Beschreibung die Kategorien für die differenzierte Beschreibung des Bildaufbaus, der Farben, ihrer Wirkung sowie ihrer Zusammenstellung und der Grundelemente der Zeichnung (Punkt, Linie und Raum) und ihres Zusammenspiels benötigt. Diese Elemente auf der Mikroebene wahrzunehmen, zu verstehen und zu beschreiben, ist Gegenstand des sprachlich-begrifflichen Lernens verbunden mit der Rezeption und Produktion von Bildern (vgl. Kapitel 5.1). Hallet (vgl. 2013: 68) betont ebenso wie Feilke (vgl. 2013: 128), dass bei der Vermittlung der Genre-Kompetenz zwischen der didaktisch reduzierten Modellierung für den Schulunterricht und dem fachlichen Genre zu unterscheiden ist und die didaktischen und pädagogischen Genres auch in ihrer reduzierten Form prinzipiell an fachliche und wissenschaftsbasierte Diskurse anschließbar sein sollten. Das Konstrukt kann also dazu genutzt werden, die Gegenstände und Ziele des Faches in Bezug auf die damit verbundenen komplexen sprachlich-kognitiven Anforderungen zu analysieren und systematisieren. Da es sich beim Genre (vgl. Hallet 2013: 61) aufgrund seines diskursiven Charakters um keine Form handelt, die durch feststehende Merkmale und Register gekennzeichnet ist, sollte das jeweilige Makro-Genre und auch die Mesobene der Diskursfunktion entsprechend dem jeweiligen Verwendungskontext neu hinterfragt werden. Durch diese Analyse werden die verschiedenen Wissens- und Kompetenzebenen, die im alltags-, schul-, bildungs- oder fachsprachlichen Bereich vermittelt werden oder zur Bearbeitung einer Aufgabe erforderlich sind, entschlüsselt. Auch wenn die bisherigen Ausführungen zur Bildungssprache, zur Schulsprache und zum Genre nahelegen, dass die Sprache im Fachunterricht in Bezug auf den jeweiligen Interaktionszusammenhang jeweils erneut zu hinterfragen und bezüglich ihrer kontextuellen konzeptionell-schriftlichen und konzeptionell-mündlichen70 Charakteristika zu analysieren ist, wird versucht, der Bildungssprache typische Merkmale und Spezifika zuzuschreiben. Denn aus dieser fächerübergreifenden Charakterisierung ergebe sich die Möglichkeit, angehende und praktizierende Pädagogen/innen für eine explizite und bewusste Vermitt-
|| 70 Mit konzeptionelle Schriftlichkeit wird eine Sprache der Distanz mit vergleichsweise großer Informationsdichte, Elaboriertheit und Planung bezeichnet; sie kann in medial mündlich realisierter Sprache wie einem Vortrag verwendet werden. Als konzeptionelle Mündlichkeit, die sich in medial schriftlich präsentierter Sprache – wie z. B. im Chat – findet, bezeichnet man dagegen eine Sprache der Nähe mit entsprechend geringer Informationsdichte, Elaboriertheit und Planung. Diese Unterscheidung, die mittlerweile aufgrund ihrer Hierarchisierung zwischen beiden Präsentationsformen umstritten ist, wurde erstmals von Koch und Oesterreicher (1985) getroffen (vgl. Rösch 2011: 84).
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lung der literalen Handlungskompetenz zu sensibilisieren. Die literale Handlungskompetenz ist eine auf routinierten, sozial etablierten Sprachgebrauch ausgerichtete Fähigkeit, wie sie im Fachunterricht vor allem in sprachlichen Handlungen wie dem Beschreiben, Erklären oder Argumentieren gefordert ist (vgl. Schmölzer-Eibinger/Dorner/Langer/Helten-Pacher 2013: 20). „Sprachliche Handlungen dieser Art erfordern die Kenntnis von sprachlichen Mitteln, Mustern und Strukturen, die spezifisch schriftsprachlich geprägt sind.“ (Schmölzer-Eibinger/Dorner 2012: 61) Diese schriftsprachlich geprägte Sprachverwendung ist gekennzeichnet durch Komplexität, eine hohe lexikalische Dichte, Abstraktheit, Explizitheit und Kohärenz (vgl. ebd.). Die Fähigkeit, diese literale Handlungskompetenz anzuwenden, zeigt sich in literalen Prozeduren. Beispielsweise kann die literale Handlung des Argumentierens durch die Prozeduren der Hinführung zur Fragestellung und Gliederung des Themas, der Integration möglicher Einwände in eine Argumentation, der Beschreibungen von Beispielen zur Begründung und einem zusammenfassenden Abwägen der Argumente gegliedert werden. Literale Prozeduren verbinden Handlungsschemata mit typischen sprachlichen Mitteln und Konstruktionen (vgl. ebd. 64): Mit dem Konstrukt der literalen Prozeduren werden vergleichbar dem Genre auf der Makro- und Mesoebene Zusammenhänge beschrieben, die den konkreten bildungssprachlichen Diskurs bestimmen. Auch wenn sich die literalen Prozeduren erst in den jeweiligen Handlungskontexten konkretisieren, gebe es wiederkehrende sprachliche Elemente. Diese können als Routineausdrücke bezeichnet werden (vgl. ebd. 67). Sprachliche Routinen sind linguistisch betrachtet unterschiedlich; sie reichen von Diskursmarkern über Kollokationen bis hin zu phraseologischen Ausdrücken (vgl. Aguado 2015: 6). Routineausdrücke sind aus rekurrenten Handlungssequenzen erwachsen, durch Musterhaftigkeit geprägt und verweisen auf semiotischer Ebene auf Handlungsschemata (vgl. Feilke 2010: 6). Sie sind gebunden an die jeweiligen Funktionen, Kontexte und Gebrauchsschemata einer literalen Prozedur bzw. Handlung: „Routineausdrücke fungieren produktiv als Handlungskonstituenten, rezeptiv als Handlungsindikatoren. [...] Für Lernende sind Routineausdrücke daher Indizien möglicher (Teil-)Handlungen – sie können schon am Routineausdruck eine literale Prozedur bzw. eine literale Handlung identifizieren.“ (Schmölzer-Eibinger/Dorner 2012: 67) Soll literale Handlungskompetenz im Unterricht auf- und ausgebaut werden, müssen Schüler/innen literale Prozeduren und Routineausdrücke verstehen und einzusetzen lernen (vgl. ebd. 68). Schmölzer Eibinger (2012: 67) erläutert beispielsweise zum Routineausdruck „zwar – aber“, dass dieser auf das Schema ei-
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ner Konzession hinweist und damit verbunden auf die literale Prozedur des Einräumens von Argumenten und die literale Handlung des Argumentierens ausdrücken kann. Aguado (2015: 6) erläutert anhand des Beispiels von idiomatisch geprägten Ausdrucksmitteln, dass es sich bei dieser Art von Routineausdrücken um Wahrnehmungs- und Gedächtniseinheiten handelt: Sie können entweder ganzheitlich erworben und memoriert oder aufgrund von Regeln gebildet und anschließend automatisiert worden sein. [...] Durch die Verwendung von langzeitgespeicherten Formulierungen kommt es zu einer Entlastung des Arbeitsgedächtnisses und zur Freisetzung von kognitiven Ressourcen für parallel stattfindende – sowohl sprachliche als auch nicht-sprachliche Prozesse. (Aguado 2015: 6)
Aguado argumentiert, dass gerade L2-Lernende, die aus bildungs- und schriftfernen Elternhäusern kommen, davon profitieren könnten, wenn man ihren Erwerb bildungssprachlicher Routinen gezielt unterstützt (vgl. ebd. 9). Da die im schulischen Kontext gebrauchten literalen Routineausdrücke nur bedingt selbsterklärend sind, müssen sie in ihrer idiomatisch geprägten Musterhaftigkeit zum Lerngegenstand gemacht werden (vgl. ebd. 11), sodass Schüler/innen die Gelegenheit haben, die Ausdrücke bewusst wahrzunehmen, sich ihre Bedeutung selbstständig zu erschließen und die literalen Routineausdrücke in vielfältigen Kontexten zu üben und in neuen Situationen anzuwenden. Auf die didaktischen Modelle zur Förderung der literalen Handlungskompetenz unter Berücksichtigung der literalen Prozeduren und Routineausdrücke soll im folgenden Kapitel eingegangen werden. Zu den bildungssprachlichen Formaten, Prozeduren und Routineausdrücken, wie sie bei den literalen Handlungen des Beschreibens, Erklärens oder Argumentierens verwendet werden, kann im Hinblick auf ihre domänenspezifische Ausprägung im Kunstunterricht ausgehend von der Analyse der kunstpädagogischen und curricularen Vorgaben für den Kunstunterricht angenommen werden, dass sie integraler Bestandteil des Kunstunterrichts sind (vgl. Kapitel 1). Wie sie auf der Ebene des Makro-, Meso- oder Mikro-Genre in den Situationen des Kunstunterrichts Verwendung finden, soll bei der konkreten Vorstellung der Unterrichtsplanung und Durchführung Gegenstand der Diskussion sein (vgl. Kapitel 5). Situationen im Kunstunterricht lassen sich jedoch aus bereits dargelegten Gründen nicht auf spezifische und übergreifend gültige bildungssprachliche Varietäten und Register71 festlegen.
|| 71 In der linguistischen Forschung wird versucht Varietäten als Ausprägungen von Einzelsprachen, wie z. B. den Dialekt versus die gehobene Sprache, zu beschreiben, indem diejenigen
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Auch wenn in zahlreichen Forschungsarbeiten versucht wird, Bildungssprache mit übergreifenden linguistischen Merkmalen zu beschreiben und deren formale Strukturen und sprachliche Mittel zu beschreiben (vgl. Drumm 2016: 14), sind diese Merkmalsbeschreibungen nicht ohne Weiteres auf andere Unterrichtssituationen übertragbar. Gründe dafür sind neben den bereits genannten, dass die Erforschung des Gegenstandes Bildungssprache methodologisch durch folgenden Probleme erschwert wird: „[...] erstens das Problem der Themen-, Aufgaben- und Textsortenvielfalt und zweitens das Problem, dass die Bildungssprache nicht an Sphären, Bereiche, Fächer usw. gebunden ist. Die Bildungssprache überschreitet Domänen und bezieht sie aufeinander.“ (Ortner 2009: 2230) Ortner (vgl. ebd.) erläutert zudem, dass die Geschichtlichkeit und Kulturabhängigkeit von Bildung die linguistische Beschreibung erschwert. Eine Beschreibung eines bildungssprachlichen Themenbereichs im Fach Kunst kann demzufolge nicht inhaltlich übergreifend gültige Aussagen generieren, sondern inhaltliche und formale Besonderheiten exemplarisch festhalten und auf die Stellen fokussieren, die den Übergang von alltags- zu bildungssprachlichen Fähigkeiten markieren, um die begründete Entscheidungen zum Aufbau der sprachlichen Kompetenzen treffen zu können. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die bisherigen Versuche zur Systematisierung von Bildungssprache, wie sie beispielsweise von Reich (2008; zit. nach Gogolin et al. 2011: 113) im Rahmen von Fortbildungen angeboten werden, auch für das Fach Kunst ihre Gültigkeit haben. Dies wären beispielsweise die folgenden Merkmale (vgl. ebd. 114–115):
|| sprachlichen Merkmale identifiziert werden, die eine Varietät von der anderen unterscheiden. Varietäten sind durch phonologisch-phonetische, syntaktische und morphologische Besonderheiten gekennzeichnet und besitzen speziellen Wortschatz. Sie sind durch die jeweilige Gruppe der Sprechenden charakterisiert, wie z. B. die Jugendsprache. Ähnlich wie der Begriff Varietät ist auch das Register an eine bestimmte Kommunikationssituation gebunden und die Verwendung eines bestimmten Registers situationsabhängig. So definieren Morek und Heller (vgl. 2012: 71), dass Register funktionale Varietäten des Sprachgebrauchs sind, die mit situativen Kontexten assoziiert werden. Die lexikalischen und morphosyntaktischen Phänomene sind also funktional bezogen auf spezifische Aufgaben von Diskursen. Bezogen auf die Bildungssprache sind dies laut Morek und Heller (vgl. ebd.) die Unabhängigkeit des Textverständnisses von der unmittelbaren Kommunikationssituation, referentielle Eindeutigkeit, textstrukturelle Transparenz, inhaltliche Kondensiertheit und argumentative Klarheit. Die Problematik bei der Verwendung der Begriffe Varietät und Register liegt darin, dass die Unterscheidung nicht immer eindeutig zu treffen ist, da Personen i.d.R. über ein persönliches Repertoire an Sprachgebrauchsformen („innere Mehrsprachigkeit“) verfügen, welches sie situationsabhängig einsetzen. Die Termini sind daher nicht trennscharf.
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Diskursive Merkmale – festgelegte Anteile von Sprecherrollen und Sprecherwechsel – ein hoher Anteil monologischer Formen – fachgruppenspezifische Textsorten (z. B. das Protokoll) – stilistische Konventionen (z. B. Sachlichkeit, logische Gliederung) Lexikalisch-semantische Merkmale – differenzierende und abstrahierende Ausdrücke – Präfixverben, darunter viele mit untrennbarem Präfix und mit Reflexivpronomen – nominale Zusammensetzungen – normierte Fachbegriffe Syntaktische Merkmale – explizite Markierungen der Kohäsion – Satzgefüge – unpersönliche Konstruktionen – Funktionsverbgefüge – umfängliche Attribute72 Die möglichen Anforderungen des Registers Bildungssprache werden mit den genannten Merkmalen zwar beschrieben, unklar bleibt aber, inwieweit sie im Unterricht bei fächerübergreifend relevanten Sprachhandlungen wie dem Beschreiben, Begründen oder Argumentieren in einer bestimmten Jahrgangsstufe zum fachlichen Kompetenzerwerb erforderlich sind (vgl. Ahrenholz 2017b). Im nächsten Kapitel soll daher durch die exemplarische Analyse eines im Kunstunterricht in der Klasse 5 eingesetzten Arbeitsbuches aufgezeigt werden, welche bildungsund fachsprachlichen Herausforderungen sich im Themenbereich Kunst stellen können. Die vorliegenden Ausführungen zusammengefasst, kann Bildungssprache als Sprachgebrauchsform für die Kommunikation im Bereich der Bildung definiert werden. Dabei kommt der Bildungssprache Habermas zufolge die Aufgabe
|| 72 Empirische Befunde zu den hier genannten übergreifenden Merkmalen liegen für den deutschsprachigen Raum für fächerübergreifende sprachliche Domänen wie Beschreiben und Begründen nur in Ansätzen vor. Gogolin und andere (vgl. 2011a: 114) merken auch an, dass bislang unklar ist, ob Schüler/innen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland gleichermaßen von den Anforderungen betroffen sind.
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zu, zwischen der wissenschaftlichen und alltäglichen Kommunikation zu vermitteln und fachliche und wissenschaftliche Informationen zu veröffentlichen. Nach Habermas (1977) steht diese Kompetenz, an bildungssprachlichen Diskursen teilzunehmen, allen Menschen zur Verfügung, die eine Schulbildung genossen haben. Gogolin (1994) greift die Definition von Habermas auf und erweitert diese um den Aspekt der selegierenden Funktion der Sprache. Wie bei Habermas hat auch für Gogolin die Bildungssprache die Funktion, den (fach-)wissenschaftlichen Diskurs in die Öffentlichkeit zu bringen. Gogolin (1994) wendet aber ein, dass nicht alle Menschen nach Beendigung ihrer Schulzeit diese Sprachgebrauchsform beherrschen. Sie spricht von einem monolingualen Habitus der Schule, der zu einer institutionell bedingten Benachteiligung von Migrantinnen und Migranten führt, da die Schule die zum Erreichen der fachlichen Ziele erforderlichen bildungssprachlichen Sprachgebrauchsformen nicht vermittelt, sondern davon ausgeht, dass die Schüler/innen diese schon beherrschen. In der neueren Diskussion wird nicht nur auf die bildungssprachlichen Probleme der mehrsprachig aufwachsenden Lerner/innen fokussiert, sondern festgestellt, dass alle Schüler/innen, unabhängig von ihrer Erstsprache, Probleme mit dem schulischen Register Bildungssprache haben (vgl. Feilke 2012: 8). Ausschlaggebend ist nicht allein der Migrationskontext, sondern auch die soziale Herkunft und der familiäre Kontext der Schüler/innen (vgl. ebd.). Für die weitere Betrachtung in Bezug auf die Vermittlung der bildungssprachlichen Kompetenzen ist hervorzuheben, dass sich deren sprachlichen Mittel nur bedingt allgemein durch lexikalische, morphologische und syntaktische Phänomene und textuelle Merkmale charakterisieren lassen, da die Bildungssprache je nach Fach domänenspezifisch ausdifferenziert wird und die sprachlichen Mittel spezifischer werden (vgl. Lengyel 2010: 596). Eine systematische Erfassung und Analyse der bildungssprachlichen Phänomene im Fach Kunst steht noch aus. Für eine Betrachtung der Bildungssprache im Rahmen des Faches Kunst müsste anhand von Gegenständen und Unterrichtsverläufen analysiert werden, welche konkreten bildungssprachlichen Phänomene die Schüler/innen je nach Verwendungskontext für einen fachlichen Kompetenzerwerb benötigen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann dies nur exemplarisch für ausgewählte Lerngegenstände für die Klasse 5 erfolgen (vgl. Kapitel 5). Welche bildungssprachlichen Kompetenzen im Verlauf der Sekundarstufe I und II im Fach Kunst zur erfolgreichen Teilhabe am Unterricht notwendig sind, kann nicht belegt werden. Da der Gebrauch der Bildungssprache von den Handlungsfeldern, Gegenständen, Zielsetzung des Unterrichts und der Materialwahl der Lehrkraft abhängig ist, können begründete Aussagen zu den bildungs-
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sprachlichen Kompetenzen der Fünftklässler nur in Bezug auf den konkreten Unterrichtsgegenstand, das jeweilige Thema und die individuelle Herangehensweise der Lerner/innen und Lehrkraft getroffen werden. Die Bildungssprache des Faches Kunst systematisch zu erfassen und dabei die (fach-)sprachlichen Hürden für die Lernenden aufzuzeigen, wäre dann sinnvoll, wenn unter den Fachdidaktikern an den Universitäten und Kunstpädagogen an den Schulen Einigkeit über die Gegenstände, fachlichen Ziele und Umsetzungswege bestehen und es vergleichbare Unterrichtsmaterialien für die verschiedenen Schulformen und Klassenstufen geben würde. Das ist jedoch, wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit begründet dargestellt wurde, aus verschiedensten Gründen nicht der Fall. Dazu kommt, dass das Fach Kunst sehr oft fachfremd unterrichtet wird, sodass angenommen werden kann, dass die vorgestellten Bildungsstandards nur bedingt bei der Planung und Umsetzung berücksichtigt werden. Die nachfolgende Analyse eines Teilkapitels aus einem Schulbuch für die 5. Klasse kann daher auch nur der Sensibilisierung für die fach- und bildungssprachlichen Phänomene, die im Unterricht vorkommen können, dienen. Verallgemeinerbare Aussagen zu häufig vorkommenden lexikalischen, morphologischen und syntaktischen Phänomenen sowie textsortenspezifischen Merkmalen im Kunstunterricht werden nicht getroffen.73
2.3 Materialanalyse: Bildungssprache im Kunstunterricht der 5. Klasse Im Kunstunterricht der Sekundarstufe I werden in den Klassen 5 bis 7 nur selten Schulbücher mit Unterrichtskonzepten zur strukturierten Erarbeitung der Anforderungen eingesetzt. Die Gründe dafür sind zum einen der starke Praxisbezug des Unterrichts, zum anderen die Materiallage. Es gibt beispielsweise wenige weiterführende Schulen, insbesondere Haupt-, Real- und Gesamtschulen in Kas-
|| 73 Drumm (2016) versucht beispielsweise, den Fachunterricht Biologie in Bezug auf die Besonderheiten der Sprachgebrauchsform Bildungssprache ausgehend von Schulbuchanalysen zu definieren und darzulegen. Da im Biologieunterricht sehr häufig Sachtexte eingesetzt werden und meist auch mit einem Schulbuch gearbeitet wird, sind die Ausführungen zu den sprachlichen Mitteln und ihrer Funktion sinnvoll, wenn es darum geht, die zentralen Schwierigkeiten für sprachschwache Lerner/innen aufzuzeigen und davon ausgehend die Sprachbildung im Fachunterricht zu planen.
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sel/Hessen, die über komplette Klassensätze für eine Jahrgangsstufe zum Ausleihen verfügen.74 Für den Unterricht in der Oberstufe kann es sich je nach Ausrichtung des Schulprogramms und Bestimmungen der Fachkonferenz Kunst wiederum anders verhalten: Die Fachkonferenz der Kunstlehrkräfte kann z. B. in Mehrheit über die Anschaffung von Kunst-Arbeitsheften zu verschiedenen Themenschwerpunkten oder über andere kunstpädagogische Arbeitsmaterialien wie Bild-Atlanten für eine oder mehrere Jahrgangsstufen entscheiden. Das hessische Kultusministerium75 macht für das Fach Kunst derzeit keine verbindlichen Vorgaben, sodass die Materialauswahl nach den Interessen der Lehrkräfte und Vermittlungsschwerpunkten der Schulen vor Ort erfolgen kann. Daher bedienen sich die Kunstlehrkräfte unterschiedlicher, häufig selbst erstellter Materialien, um die Aufgaben und Übungen zum Erwerb der Kompetenzen in den zuvor beschriebenen Arbeitsbereichen zu stellen. Anregungen dazu liefern zahlreiche Materialien mit Unterrichtsvorschlägen für die verschiedenen Jahrgangsstufen sowie Arbeitsbücher, Arbeitsblattsammlungen für die Praxis. Gemeinsam haben diese Materialien, dass sie in ihrer Reihenfolge nicht aufeinander aufbauen und sich so die Aufgaben- und Themenwahl an den Voraussetzungen und Interessen der Schüler/innen orientieren kann. Das nachfolgende Beispiel zur Analyse ist dem Kunst Arbeitsbuch 1 (Glas/Seydel/Sowa /Uhlig 2008a: 26–27) für die Klassen 5 und 6 entnommen und bezieht sich auf den Vermittlungsbereich der Bildproduktion (vgl. Kapitel 1.2; 1.4; 1.5; 1.6): Der Ausbau der Gestaltungskompetenz, also u. a. der bildnerischen und handwerklichen Fähigkeiten, in Bezug auf die Ausdrucksqualitäten des farbigen Gestaltens ist das Ziel der ausgewählten praktischen Übung im Rahmen einer Unterrichtsreihe zum Themenschwerpunkt „Wir feiern Feste“ (vgl. Kapitel 5.2; 5.4). Das Kunst Arbeitsbuch 1 orientiert sich im Unterschied zu zahlreichen Unterrichtsmaterialien an den Bildungsstandards, den aktuellen Vorgaben der Länder für einen kompetenzorientierten Unterricht, und formuliert im Gegensatz zu anderen Schulbüchern Aufgaben im Sinne des Ansatzes der Aufgabenorientierung. Diese Lernaufgaben beziehen sich auf die Lebenswelt der Schüler/innen und die
|| 74 Diese Informationen beziehen sich auf eine informelle, nicht repräsentative Befragung von Kunstlehrer/innen (weiterführende Schulen Kassel) zu ihrer Arbeitsweise und dem Materialeinsatz im Jahr 2010. Meine eigene Tätigkeit als Kunstlehrerin an weiterführenden Schulen in Kassel und im Landkreis (2003–2007/2009–2011) hat die Beobachtung, dass gerade in der Sekundarstufe I bis zur 10. Klasse im Fach Kunst selten mit Schulbüchern gearbeitet wird, bestätigt. 75 vgl. https://kultusministerium.hessen.de/sites/default/files/media/hkm/ schulbuecherkatalog_fuer_allgemein_bildende_schulen_und_schulen_fuer_erwachsene_stand_01.08.2017_2.pdf (Zugriff: 2.03.2018) sowie vgl. https://www.kunstlinks.de/schulbuecher.htm (Zugriff: 2.03.2018)
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Inhalte des Faches Kunst (vgl. Glas/Seydel/Sowa/Uhlig 2008b: 3–8). So ist die Unterrichtseinheit zum Thema „Wir feiern Feste“ in Form eines umfangreichen Projektes organisiert, in dessen Rahmen die Schüler/innen die abschließende Aufgabe bekommen, ein Fest zu gestalten und auszurichten. Eines der Arbeitsfelder im Rahmen des Projektes ist die malerische Gestaltung einer Festtafel einschließlich der zugehörigen Dekorelemente als Gemeinschaftsarbeit (vgl. Glas/Seydel/Sowa/Uhlig 2008b: 20–24). Die folgende Doppelseite zum Thema gliedert sich in zwei Teile: Zum einen ein kurzer Informationstext zur Abbildung eines Salzfasses von Cellini von 1543 zum Thema Tischdekoration (vgl. Abb. 7), zum anderen die Abbildung einer Gemeinschaftsarbeit einer Schülergruppe und ein vierteiliger Arbeitsauftrag zum Malen einer Festtafel (vgl. Abb. 8). Der Informationstext zum Gefäß zeichnet sich durch ein bildungs- und fachsprachliches Register aus, welches das Verstehen des Textes für ein- wie zweisprachig aufwachsende Lerner/innen erschweren könnte. Der kurze Text zu Cellinis Salzfass enthält lexikalische Elemente mit differenzierter oder abstrakter Bedeutung, die in der Regel nicht zum Alltagswortschatz von Kindern im Alter von zehn bis elf Jahren gehören. Die Beschreibung des Salzfasses ist aufgrund seiner lexikalischen, grammatischen und syntaktischen Komplexität trotz der Abbildung des beschriebenen Gegenstandes nicht so leicht nachvollziehbar, was vor allen Dingen mit der Modalität, mit der die Annahmen zum Bildgegenstand formuliert werden, zu tun hat. Die Modalität wird hier durch die grammatikalisch-morphologische Kategorie, z. B. Modalverben im subjektiven Gebrauch, Futur II und Konjunktiv II, zum Ausdruck gebracht, die die Einschätzung der Realität oder die Realisierungsmöglichkeiten des versprachlichten Sachverhaltes ausdrückt. Durch eine exemplarische Analyse der im Text vorkommenden Verben (vgl. Abb. 7 und nachfolgende Tabelle) wird deutlich, dass die Sichtweise der Sprecherin oder des Sprechers und ihre/seine Perspektive auf die Wirklichkeit, also sein Verhältnis zum versprachlichten Sachverhalt, hier dem Bildgegenstand, nur nachvollziehbar ist, wenn die Schüler/innen in der Lage sind, den Grad der Wahrscheinlichkeit der Aussage, beispielsweise bedingt durch die Modalverben im subjektiven Gebrauch, verstehen zu können.
Materialanalyse: Bildungssprache im Kunstunterricht der 5. Klasse | 115
Abb. 7: Kunst Arbeitsbuch 1, Eine Festtafel gestalten, Einführungsseite (vgl. Glas/Seydel/Sowa/Uhlig 2008a: 26)
Tab. 5: Analyse der Bildungssprache auf der Hinführungsseite zum Themenschwerpunkt ,Eine Festtafel gestalten‘ Analyse der Bildungssprache mit dem Schwerpunkt Wort- und Satzebene, ausgewählte Verben – Prädikate
etw. anfertigen für (trennbares Verb); sind zu sehen (Passiversatzform); etw. parat halten (parat–Bedeutung: zur Verfügung haben/ (sich) ... halten); bilden – es wird gebildet haben (Futur II zur Kennzeichnung einer Vermu-
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tung); beeindrucken – dürfte beeindruckt haben (Konjunktiv II, Modalverben im subjektiven Gebrauch hier zum Ausdrücken von Vermutungen, Vergangenheit); Anlass zu etw. geben – dürfte Anlass zu etw. gegeben haben (Funktionsverbgefüge, Konjunktiv II, Modalverben im subjektiven Gebrauch hier zum Ausdrücken von Vermutungen, Vergangenheit) Analyse der Fachsprache mit dem Schwerpunkt Wort- und Satzebene ausgewählte Verben – Prädikate
versinnbildlichen (Präfix 'ver', untrennbar, Adjektivsuffix 'lich') – Bedeutung: symbolisieren, durch ein Sinnbild oder Zeichen darstellen; etw. überstrahlen (Vorsilbe nicht trennbar) – Bedeutung: durch seine Helligkeit/Strahlen etwas anderes weniger hell, unsichtbar machen oder so stark wirken, dass etwas anderes daneben verblasst
Die Kurzdarstellung der Analyseergebnisse zu den Verben macht deutlich, dass sowohl die Bedeutung der Wörter als auch komplexe Strukturen wie der Konjunktiv II, Passiversatzformen oder Modalverben im subjektiven Gebrauch das Nachvollziehen der Beschreibung zu Cellinis Salzfass sprachlich anspruchsvoll machen.76 Ahrenholz (vgl. 2010b: 16), der sich auf Untersuchungsergebnisse von Steinmüller und Scharnhorst beruft (1987, zit. nach Ahrenholz 2010b: 16) merkt zu den Schwierigkeiten beim Umgang mit Fachtexten an, dass es häufig gerade nicht die Fachtermini sind, die den Lernerfolg bremsen, sondern die komplexen sprachlichen Formen, vor allem der schriftlichen Texte in Schulbüchern, die den Schüler/innen Schwierigkeiten bereiten. Auch in diesem kurzen Informationstext gibt es in jedem Satz komplexe Strukturen, die das Verstehen des Gesamtzusammenhangs erschweren. In Bezug auf die praktische Aufgabe, eine Festtafel malerisch zu gestalten, könnte das Ziel des Text- und Bildeinsatzes im Kunst Arbeitsbuch 1 sein, die Schüler/innen für die Bedeutung und Funktion von Tischdekoration zu sensibilisieren und durch die Beschreibung des Salzfasses unterschiedliche inhaltliche und formale Gestaltungsmöglichkeiten, u. a. die Verwendung von Allegorien und Symbolen, zu erarbeiten. Da es jedoch keinen Arbeitsauftrag zum Informationstext gibt, muss die Lehrkraft den Text zuvor genau analysieren, um ggf. Hilfen zur
|| 76 Im Deutsch als Fremdsprache-Unterricht wird der Konjunktiv II in Kombination mit den Modalverben im subjektiven Gebrauch zum Ausdrücken von Vermutungen ebenso wie die Passiversatzformen meist erst auf der Niveaustufe C1 vermittelt.
Materialanalyse: Bildungssprache im Kunstunterricht der 5. Klasse | 117
Erarbeitung des neuen Wortschatzes bereitzustellen und zu entscheiden, welche Informationen global oder selektiv im Hinblick auf weiterführende Lernziele entnommen werden sollten. Im Lehrerhandbuch gibt es keine Hinweise zum Umgang mit der Abbildung des Salzfasses und dem Text (vgl. Glas/Seydel/Sowa/Uhlig 2008b: 26). Im Zusammenhang mit dem weiterführenden Arbeitsauftrag (vgl. Abb. 8), der Darstellung einer Lieblingsspeise, ist es fraglich, ob Bild und Text sich tatsächlich zur Einführung ins Thema und zum Erarbeiten von zahlreichen Dekorationsmöglichkeiten eignen. Auf der Folgeseite schließen sich die Abbildung einer Schülerarbeit und die Arbeitsaufträge zur Bildproduktion an.
Abb. 8: Kunst Arbeitsbuch 1, Eine Festtafel gestalten, Einführungsseite (vgl. Glas/Seydel/Sowa/Uhlig 2008a: 27)
Abb. 9: Kunst Arbeitsbuch 1, Eine Festtafel gestalten, Einführungsseite (vgl. Glas/Seydel/Sowa/Uhlig 2008a: 27)
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Ziel der Arbeitsaufträge zur Festtafel ist die malerische Gestaltung der Lieblingsspeise auf einem Teller. Der Hinführungstext entfaltet das Thema; verwirrend ist in diesem Zusammenhang, dass hier das Thema Menü aufgegriffen wird („Zu einem Fest wird häufig ein Menü gereicht, eine feste Speisenfolge, bei der die einzelnen Speisen nacheinander serviert werden“). Im Zusammenhang mit der Aufgabe, einen Teller mit der eigenen Lieblingsspeise zu malen und eine Tafel mit allen Lieblingsspeisen zu decken, ist die Erläuterung zu einer Speisenfolge irreführend. Im Arbeitsauftrag a) (vgl. Abb. 8) wird beschrieben, wie die Schüler/innen vorgehen sollen: „Wähle deine Lieblingsspeise aus und stelle diese auf einem Teller farbig auf einem Zeichenblatt dar“. Die für die Herstellung der Bilder notwendigen Materialien werden am rechten Rand unter der Überschrift „Du brauchst“ aufgezählt. Hinweise zum praktischen Vorgehen, zum Malen mit Deckfarben, zum Umgang mit dem Borsten- oder Haarpinsel, zum Mischen oder zum Aufhellen und Abdunkeln der Farben werden nicht gegeben. Dabei nimmt die Umsetzung der praktischen Aufgabe, also das Herstellen und die Anwendung der Techniken, laut den Autor/innen zwischen zwei und drei Doppelstunden in Anspruch (vgl. Glas/Seydel/Sowa/Uhlig 2008b: 24). Im zweiten Teil der Arbeitsanweisung a) (vgl. Abb. 8) werden die Schüler aufgefordert, sich zu vergegenwärtigen („Denke daran, dass“), wie wichtig Form und Dekor der Speisen sind und dass zudem Gläser benötigt werden. In Bezug auf die Kernaufgabe, die Lieblingsspeise zu gestalten, stellt sich hier die Frage, ob die Schüler/innen ihre Speisen (z. B. Hamburger mit Pommes) auch dekorieren, „um das sinnliche Erlebnis zu steigern“. In diesem Zusammenhang müsste als ein gesonderter Arbeitsschritt zunächst gesammelt werden, was die Lerner/innen gern essen und welche Speisen bei besonderen Gelegenheiten angerichtet werden. Zudem wäre es zielführend, die Anordnung des Essens auf dem Teller, also die Komposition, zu erproben und zu diskutieren. Die Hinführung und die Arbeitsanweisung a) sind folglich in Bezug auf das angestrebte Unterrichtsziel nicht logisch und zusammenhängend, was die Rezeption des Textes und den praktischen Nachvollzug erschwert. Betrachtet man beide Textteile, so fallen wiederum bildungssprachliche und fachsprachliche Elemente auf. Im Folgenden wird ein Blick auf die Syntax geworfen.
Materialanalyse: Bildungssprache im Kunstunterricht der 5. Klasse | 119
Tab. 6: Analyse der Bildungssprache des Arbeitsauftrages der Übung ,Eine Festtafel gestalten‘ Bildungssprache Analyse der Syntax in Reihenfolge der Arbeitsaufträge
„Zu einem Fest wird häufig ein Menü gereicht, (1.) eine feste Speisenfolge, (2.) bei der die einzelnen Speisen nacheinander serviert werden.“ (1.) Parenthese – ein Einschub, der mit dem Satz keine grammatische Verbindung hat (2.) Rechtsattribut, Relativsatz mit präpositionalem Anschluss, Relativpronomen an zweiter Stelle. “Wähle [...].“ (3.) Aufforderungssatz mit der finiten Verbform an erster Stelle und im Imperativ. „Denke daran, dass [...], um [...] und [...].“ (4.) Komplexe Syntax: Hauptsatz mit Präpositionalpronomen „daran“, Nebensatz, Objektsatz „dass“, Finalsatz–Infinitivkonstruktion mit „um...zu“.
Kennzeichnend für das bildungssprachliche Register sind im Deutschen komplexe Satzverbindungen wie Konjunktionalsätze, aber auch uneingeleitete Nebensätze und Infinitivkonstruktionen (vgl. Gogolin/Dirim/Klinger/Lange/ Lengyel/Michel/Neumann/Reich/Roth/Schwippert 2011a: 179). Die syntaktische Verdichtung kann eine zunehmende Dekontextualisierung des Inhalts bewirken (vgl. ebd. 200). So werden wie im Beispiel durch die Verdichtung Ergänzungsund Anbindungsstellen im Satz frei, die dann wiederum mit neuen Informationen besetzt werden können. Im analysierten Text werden Sätze durch Präpositionalgruppen und Attribut- und Partizipialkonstruktionen erweitert. Die exemplarische Analyse zeigt, dass der komplexe Satzbau sowie logische Fehler im Text den praktisch-handelnden Nachvollzug erschweren können. Darüber hinaus sind viele Zwischenschritte notwendig, um die nachfolgenden Teilkompetenzen zum Herstellen und Gestalten der Lieblingsspeise und des gedeckten Tischs (vgl. Abb. 8; Arbeitsauftrag b) zu erarbeiten: Beispielsweise die Farbveränderung und Farbdifferenzierung mittels Mischen, Aufhellen, Abdunkeln oder das deckende oder lasierende Malen (vgl. HKM 2002: 11) (vgl. Kapitel 1.5 u. 1.6). In Bezug auf die Gestaltung oder die Anordnung der Speisen auf den Tellern ist die Erarbeitung von unterschiedlichen Kompositionsmöglichkeiten und ihrer Wirkung notwendig (vgl. Kapitel 5.4). Die Materialanalyse des Kunst Arbeitsbuchs 1 für die 5. und 6. Jahrgangsstufe zeigt zweierlei: Zum einen kann das eingesetzte Material, z. B. Infotexte zur Bildklärung und -beschreibung, nicht ohne vorige Analyse hinsichtlich der sprachlichen Hürden eingesetzt werden. Ausgehend davon sollten Arbeitsschritte zum globalen und selektiven Textverstehen im Hinblick auf die Funktion des Textes für den unterrichtlichen Kontext eingeplant werden. In Bezug auf den Text zu Cellinis Salzfass stellt sich allerdings die Frage, ob dieser generell geeignet ist,
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um in der Förderstufe Wissen sowie Bildungs- und Fachsprache rund um das Thema „Tischdekoration“ zu erarbeiten und inwieweit diese Erarbeitung in Bezug auf die Zielaufgabe sinnvoll ist. Wenn Sachtexte im Fachunterricht mit dem Ziel eingesetzt werden, bildungs- und fachsprachliche Fähigkeiten aufzubauen, dann sollte das Anspruchsniveau des Textes die altersgemäßen sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten der Lernenden nicht allzu weit überschreiten und die kommunikative Funktion der Textsorte mit den übergreifenden Unterrichtszielen korrelieren. Beides ist hier nicht gegeben. Die Analyse des Arbeitsauftrags für den Bereich Gestaltung hat gezeigt, dass die Komplexität der Syntax zu Verständnisproblemen führen könnte. Arbeitsanweisungen im Kunstunterricht sollten eindeutig und nachvollziehbar formuliert sein, um das selbstständige Arbeiten der Schüler/innen zu ermöglichen. Sprache hat in diesen Texten eine Vermittlungsfunktion und sollte daher weniger komplex sein oder muss über die vorliegende Aufgabenstellung hinaus zugänglich gemacht werden: Das bildungs- und fachsprachliche Register, welches hier verwendet wird, muss bei der genannten Zielgruppe zuvor anhand von konkreten Beispielen erarbeitet werden (z. B. „Dekor“ oder „optisch effektvoll präsentieren“). Auch Gogolin und andere (vgl. 2011a: 197) weisen darauf hin, dass das syntaktischen Niveau im Rahmen von Arbeitsaufträgen bewusst zu wählen ist. Verschiedene aktuell diskutierte Ansätze zur Vermittlung des bildungs- und fachsprachlichen Registers im Unterricht werden im Folgenden dargestellt und diskutiert.
2.4 Didaktisch-methodische Konzepte zwischen Sprachbildung und -förderung Wie bereits in Kapitel 2.1 erläutert wurde, trägt das deutsche Bildungssystem laut Ergebnissen von Schulleistungsstudien wie PISA zu Selektionseffekten und Bildungsbenachteiligung bei (vgl. Gogolin 2009: 47). Wiederkehrend wurde ermittelt, dass Schüler/innen aus zugewanderten Familien immer dann schlechter abschneiden, wenn die gemessene Leistung im Kern eine Leistung der vorherrschenden Unterrichtsprache ist. Der Lesekompetenz kommt in diesem Zusammenhang ein hoher Erklärungswert für die erreichten Leistungen, auch in den Sachfächern, zu. Die Chance, eine höhere Lesekompetenz zu erreichen, wird
Didaktisch-methodische Konzepte zwischen Sprachbildung und -förderung | 121
ihrerseits beeinflusst von den Faktorenbündeln ‚soziale Lage‘77und ‚kulturelle Distanz‘78(vgl. ebd. 38). Die deutsche Schule versäumt es stärker als andere Schulsysteme, wie z. B. PISA 2003 ergab, auch jene spezifischen sprachlichen Kompetenzen zu vermitteln, die grundlegend für den Bildungserfolg sind (vgl. ebd. 39). Gogolin (2009: 40) hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass es um die Vermittlung des Deutschen, nicht als Sprache des Lebens oder der alltäglichen Unterhaltung, sondern als Sprache der Schule geht. Wie im vorausgehenden Kapitel dargestellt, liegen die Hauptschwierigkeiten begründet in den Besonderheiten der Schul-, Bildungs- und Fachsprache und der Differenz zwischen den von den Schüler/innen erwarteten sprachlichen Kompetenzen und den tatsächlich vorhandenen sprachlichen Fähigkeiten. Die sprachlich-fachlichen Anforderungen werden im Verlauf der schulischen Progression komplexer, abstrakter und somit anspruchsvoller, weil sie sich immer weiter von den Gesetzmäßigkeiten der Alltagssprache entfernen. Die Sprache der Schule folgt auf den höheren Jahrgangsstufen zunehmend mehr den Regeln der schriftsprachlichen Kommunikation. Eine zentrale Aufgabe der Schule ist es, die zum Kompetenzerwerb notwendigen (schrift-)sprachlichen Fähigkeiten zu vermitteln. Die dazu notwendige sprachliche Bildung der Lernenden sollte nicht nur Aufgabe des Sprachunterrichts sein: Sie ist Aufgabe aller Fächer, also auch des Faches Kunst. Konzepte zur Sprachbildung liegen allerdings bislang nur für ausgewählte Fächer, nicht aber für das Fach Kunst, vor und sind nur in seltenen Fällen mit Lerngruppen erprobt und evaluiert worden. Dies mag daran liegen, dass die Rolle der Sprachbildung oder Sprachförderung im Fachunterricht bis Anfang des 21. Jahrhunderts in Deutschland ein kaum diskutiertes Thema war (vgl. Gogolin 2009: 42).79 || 77 Das Konzept ‚soziale Lagen‘ hat das Ziel, alternativ zu Klassen und Schichten ein Modell zu entwickeln, das mehr Dimensionen der sozialen Ungleichheit erfasst und das damit für alle (erwachsenen) Gesellschaftsmitglieder alle relevanten Merkmale berücksichtigen kann.(vgl. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90742-0_7 (Zugriff: 2.03.2018)) Das Konzept bezieht sich auf die Lebenschancen und -qualität von Bevölkerungsgruppen. 78 Das Konzept ‚kulturelle Distanz’ beschreibt länder- bzw. regionalspezifische Unterschiede in Rassenzugehörigkeit, Konfession, Sprache und sozialen Normen, welche Entscheidungen und Interaktionen von Akteuren beeinflussen. (http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/kulturelle-distanz.html (Zugriff: 2.03.2018)) 79 Ein kaum diskutiertes Thema, abgesehen von den Ansätzen im englischsprachigen Raum, z. B. Content and Language Integrated Learning (CLIL), Language across the curriculum (LAC), Language Awareness, die auch in Deutschland diskutiert wurden und werden (vgl. Haataja/Wicke 2015). Auch der Ansatz des Dialogischen Lernens der Schweizer Gallin (vgl. 2006) und Ruf (vgl. 2008) hat seine Wurzeln in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Lehren und Lernen im Mathematikunterricht wird von beiden im Sinne eines Dialogs organisiert, welcher in
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Dies änderte sich mit den Analysen der PISA-Ergebnisse und Projekten wie dem Modellprogramm „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (FÖRMIG)“ (2004–2009). Die Zahl der Forschungsprojekte und Publikationen zum sprachsensiblen, sprachaufmerksamen, sprachbewussten Fachunterricht, zur integrierten Sprachbildung oder zur Sprache im Fach hat sich seit dem Jahr 2008 sprunghaft erhöht.80 Darin zeigt sich, dass die Resultate der Bildungsberichterstattung nicht nur zahlreiche Forderungen nach Maßnahmen zur Erhöhung der Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem hervorgebracht haben, sondern auch, dass aktiv nach Lösungswegen gesucht wird. Im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht sollen ausgewählte Projekte, Ansätze und Prinzipen beschrieben und in Beziehung zum Untersuchungsgegenstand Kunstunterricht gesetzt und diskutiert werden. Da bislang noch keine Untersuchungen zur integrierten Sprachbildung im Fach Kunst vorliegen, geht es im folgenden theoretischen Teil auch darum, eine Brücke von der Fachdidaktik Kunst hin zur Vermittlung von (Deutsch als Zweit-)Sprache im Fachunterricht zu schlagen.
|| Lerntagebüchern festgehalten wird. Dabei spielt das Sprechen über das Lernen und die schriftliche Dokumentation des eigenen Lernprozesses eine große Rolle (vgl. http://www.gallin.ch/ (Zugriff: 08.03.2016)). 80 Wie dem Literaturverzeichnis zu entnehmen ist, sind die meisten Publikationen erst ab 2010 erschienen: Im Bereich der Didaktik und Methodik war beispielsweise Leisens (2010) „Handbuch zum sprachsensiblen Fachunterricht“ eines der ersten Bücher mit konkreten Umsetzungsvorschlägen. Aktuell (2019) gibt es neben Sammelbänden zur Forschungsprojekten und Unterrichtsprojekten in den verschiedenen Fächern auch Handbücher und Studienbücher, die für Lehrer/innenausbildung eine gute Materialbasis zur Sensibilisierung für den Themenkomplex liefern. Genannt seien hier z. B.: „Sprache im Fachunterricht“ von Kurtz, Hofmann, Biermas, Back und Haseldiek (2014) und Michalak, Lemke und Goeke (2015), „Handbuch Sprachförderung im Fachunterricht in sprachlich heterogenen Klassen“ von Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (2013), das Handbuch „Sprachintensiver Unterricht“ von Kurtz, Hofmann, Biermas, Back und Haseldiek (2014) sowie der Sammelband „Fachintegrierte Sprachbildung“ herausgegeben von Lütke, Petersen, Tajmel (2017).
Didaktisch-methodische Konzepte zwischen Sprachbildung und -förderung | 123
2.4.1 Das Prinzip der durchgängigen Sprachbildung Das Modellprogramms „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (FÖRMIG)“81 hat maßgeblich den Diskurs rund um die Bildungssprache und das Konstrukt durchgängige Sprachbildung Anfang des 21. Jahrhunderts angestoßen und geprägt. Die Arbeitsgruppe (AG) Durchgängige Sprachbildung, die im Rahmen des Programms FÖRMIG gegründet wurde und darüber hinaus weitergeführt wird, legt die Qualitätsmerkmale für die didaktische Ausrichtung und die pädagogischen Ziele der am Programm beteiligten Schulen und Projektpartner fest. Aus der Arbeit der AG hat sich der Leitbegriff durchgängige Sprachbildung für ein neues Verständnis des sprachlichen Lehrens und Lernens entwickelt. Dieser zielt darauf ab, „über Grenzen zwischen Bildungsstufen, Unterrichtsfächern und Zielgruppen hinwegzusehen, um zu einer souveränen Nutzung der vielen und vielfältigen Ressourcen zu gelangen“ (Reich 2013: 55). Der aus dem Modellprogramm FÖRMIG hervorgegangene Begriff hat insofern einen normativen Charakter, als er nicht als Ausdruck zur Analyse der bestehenden schulischen Bildung herangezogen wird, sondern für eine pädagogische und bildungspolitische Orientierung zur Entwicklung des Lehrens und Lernens dient (vgl. ebd.). Die Bedeutung dieses Leitbegriffs ist durch keine Definition festgelegt, vielmehr bestimmt die Dynamik pädagogischer, didaktischer und in der Praxis erprobter Neuerungen seine Dimensionen (vgl. ebd.). Nachfolgend soll zum einen dargestellt werden, wie sich der Begriff von anderen Sprachbildungskonzepten für das „Einwanderungsland Deutschland“ abgrenzt, zum anderen welche Dimensionen die durchgängige Sprachbildung bestimmen. Abschließend sollen die von der AG Durchgängige Sprachbildung
|| 81 Das Modellprogramm „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (FÖRMIG)“ wurde von 2004 bis 2009 in zehn Bundesländern erfolgreich durchgeführt. Wissenschaftlich begleitet wurde es vom Institut für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Im Januar 2010 wurde dieses Institut für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft, das FÖRMIGKompetenzzentrum, an der Universität Hamburg eingerichtet. Es handelt sich um ein Forschungstransferzentrum, das auf die Expertise aus dem vorausgehenden Modellprogramm zurückgreift. (http://www.blk-foermig.uni-hamburg.de/www.blk-foermig.uni-hamburg.de/web/ de/all/home/index.html) (Zugriff: 22.02.2016) Aus den Arbeiten des FÖRMIG-Kompetenzzentrums gehen fortlaufend Schriften, Handreichungen und Materialien und Hinweise zur Unterrichtsvorbereitung und -durchführung im mehrsprachigen Klassenzimmer hervor (https://www.foermig.uni-hamburg.de/publikationen/foermig-edition.html) (Zugriff: 15.08.2017).
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festgelegten Qualitätsmerkmale erläutert und in Bezug auf das Thema der integrierten Sprachbildung im Fachunterricht erörtert werden. Gegen Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die Einwanderung in Deutschland erstmals als ein Problem aufgefasst, dem sich die Bildungsinstitutionen zu stellen haben: Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse, Lehrer und Lehrerinnen ohne Kenntnisse der Sprachen der Schüler, Kommunikationslosigkeit, unklare curriculare Vorgaben, kulturelle Missverständnisse auf beiden Seiten, katastrophale Schulabschlussquoten. (Reich 2013: 56)
Für die Schülerinnen und Schüler wurde zunächst Unterricht in Deutsch als Fremdsprache entwickelt und ein herkunftsbezogenes Curriculum durch Lehrkräfte der Herkunftsstaaten angeboten. Man sah die Bildung von Migrantenkindern als Doppelaufgabe: einerseits eine Rückkehrhilfe, andererseits eine Vorbereitung auf das deutsche Bildungssystem. Die Diskussion des Deutschunterrichts für die Zuwanderer/innen wurde dabei unabhängig von der Diskussion rund um den Deutschunterricht für nicht zugewanderte Kinder- und Jugendliche geführt (vgl. Reich 2013: 56). Anfang der achtziger Jahre wurden neue Wege eingeschlagen und man setzte auf die Assimilation der in Deutschland Geborenen.82 Die Erlasse der Bundesländer sahen von da an die Förderung von Lerner/innen vor, die Mühe hatten, dem Regelunterricht aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse zu folgen (vgl. ebd.: 56). Entweder wurden und werden die Schüler/innen wie in Hessen in separaten Klassen oder Kursen gefördert (vgl. HKM 2008: §7,8,983) oder sie erhalten nach oder neben dem Besuch des Regelunterrichts zusätzlichen Förderunterricht. Die sprachliche Integration von Migrantenkindern, die von dieser Zeit an auch als Schüler/innen mit Migrationshintergrund bezeichnet wurden, wurde jetzt als Aufgabe gesehen, die für eine gewisse Zeit zusätzlich zum regulären Unterricht erfolgen sollte. Dabei waren und sind diese zusätzlichen Maßnahmen von der jeweiligen Unterrichtsorganisation der Schule (vgl. Kapitel 5.1) abhängig (vgl. Reich 2013: 57). Konkrete Vorgaben zu einer systematischen und an aktuellen Forschungsergebnissen ausgerichteten DaZ-Förderdidaktik, zu DaZ Förderzielen
|| 82 In dieser Zeit erschienen auch erstmals Publikationen zur Lehrkräftefortbildung, wie z. B. die Fernstudieneinheit von Neuner (1984) zur „Förderung ausländischer Schüler in Sprach- und Fachunterricht“, entstanden im Projekt „Ausländerkinder in der Schule“. 83 Diese Verordnung geht mit wenigen Veränderungen auf eine Verordnung aus dem Jahr 2003 zurück, die wiederum ihre Wurzeln in den 90er Jahren hat (vgl. http://www.juramagazin.de/25028.html (Zugriff: 8.03.2019))
Didaktisch-methodische Konzepte zwischen Sprachbildung und -förderung | 125
und zur Überprüfung von Fördererfolgen liegen oft nicht vor und werden auch in Hessen nicht gemacht. Wie die Schulleistungsstudien deutlich gemacht haben, sind diese additiven Förderkonzepte nicht zufriedenstellend, wenn es das Ziel sein soll, allen Schüler/innen den unterrichtsspezifischen und bildungssprachlichen Gebrauch der deutschen Sprache zu vermitteln. Die Sprachförderung in separaten Sprachlernklassen wird häufig als segregativ bezeichnet, da die Schüler/innen von ihren Altersgenossen getrennt unterrichtet werden (vgl. Kurtz /Hofmann/Biermas/Back/Haseldiek 2014: 5). Das Konzept der durchgängigen Sprachbildung will genau dort ansetzen, wo additive Förderung an ihre Grenzen kommt, weil die Schüler/innen nicht dauerhaft in einer separaten Fördergruppe ohne fachliche Differenzierung und Hinführung auf Abschlüsse lernen können. Bei dem Projekt FÖRMIG84 geht es darum zu erproben und festzuhalten, welches pädagogische Handeln erforderlich ist, wenn alle Kinder und Jugendlichen dazu befähigt werden sollen, Bildungssprache zu verwenden: Durchgängige Sprachbildung ist ein Konzept, das Kindern dazu verhelfen will, die Unterschiede zwischen Alltagssprache, dem alltäglichen Kommunizieren und dem, was bildungssprachlich verlangt ist, beherrschen zu lernen. (Gogolin 2008; zit. nach Lange/Gogolin 2010: 14)
Das Ziel der durchgängigen Sprachbildung ist der kumulative Aufbau von bildungssprachlichen Fähigkeiten von Schüler/innen, die Deutsch als Zweitsprache sprechen. Die Einführung des Begriffs Sprachbildung statt Sprachförderung im Programm FÖRMIG geht dabei auf die Rückmeldung aus den Länderprojekten zurück, denn die sprachliche Bildungsaufgabe, die jeden Unterricht und die gesamte Schullaufbahn betrifft, stand und steht hier im Vordergrund (vgl. Lange/Gogolin 2010: 14). Der Begriff Förderung wird im Rahmen des FÖRMIG-Programms also für zusätzliche Fördermaßnahmen für schwache Kinder und Jugendliche verwendet, während Sprachbildung als Aufgabe des Regelunterrichts insgesamt verstanden wird. Sprachförderung ist folglich auch Teil der Sprachbildung und hat ihre Berechtigung als eine Form neben dem Unterricht im Klassenverband, wenn es das Ziel ist, Schüler/innen unterschiedlichen Sprachstands durch eine intensive Förderung die Teilhabe am regulären Unterricht zu ermöglichen. Die Sprachbildung || 84 Das abgeschlossene Projekt wurde in das heutige Kompetenzzentrum FÖRMIG überführt (vgl. https://www.foermig.uni-hamburg.de/kompetenzzentrum.html (Zugriff: 02.03.2020))
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hat gegenüber der zusätzlichen vorbereitenden oder nachholenden Förderung eine weitreichendere Funktion für den gesamten Bildungsprozess und umfasst ein Bündel von sprachbezogenen Fähigkeiten wie den Ausbau und die Verkettung schultypischer oder fachtypischer Sprachhandlungen sowie Strategien zur Erschließung und Produktion von anspruchsvollen Texten (vgl. Reich 2011: 5). Allerdings werden Fördern und Förderung auch als Schlagworte in der bildungspolitischen Diskussion, insbesondere rund um die Sprachbildung, sehr häufig verwendet, wenn es darum geht, dass Kinder und Jugendliche individuell, ihren Bedarfen entsprechend unterrichtet werden sollen (vgl. Wischer 2014: 6). Zudem streben viele Programme für DaZ-Lerner/innen das Ziel der Förderung an (vgl. Ahrenholz 2007: 6–10). Der Begriff wird dabei in unterschiedlichen Kontexten, wie z. B. im Rahmen der Förderpädagogik, der Inklusionsdiskussion oder des FÖRMIG-Projektes jeweils anders definiert. In den Erziehungswissenschaften, aber auch der Entwicklungspsychologie z.B. lässt sich eine oft eine wenig differenzierte bis alltagssprachliche Verwendung85 beobachten (vgl. Arnold/Graumann/Rakhkochkine 2008: o. S.; zit. nach Wischer 2014: 6). Dies könnte daran liegen, dass Erziehung im Grunde genommen immer auch Förderung ist. Daher könnte man nahezu alle Maßnahmen in der Schule als Fördermaßnahmen bezeichnen oder besser jedes pädagogische Handeln, welches das Ziel zu erziehen und zu bilden verfolgt (vgl. Wischer 2014: 7). Im aktuellen schulpädagogischen Diskurs geht es allerdings häufig um die individuelle Förderung. So heißt es bei Meyer (vgl. 2010: 228), dass „individuelle Förderung“ zu den zehn Merkmalen guten Unterrichts gehört, was ein engeres Verständnis des Begriffs nahelegt (vgl. Kapitel 3). Fördern wird folglich erst dann relevant, wenn bei einzelnen Lerner/innen ein spezifischer Bedarf vorliegt, der im Rahmen des Regelunterrichts nicht aufgefangen werden kann (vgl. Wischer 2014: 7). Dann wird diese Unterstützung als temporäre Maßnahme verstanden, weil bei erfolgreicher Wirkung die Notwendigkeit für weitere Maßnahmen entfällt. 86
|| 85 Im Lexikon der Pädagogik (vgl. Tenorth/Tippelt 2007: 252) lässt sich beispielsweise die folgende, sehr allgemein gehaltene Definition von Förderung finden: „Sammelbegriff für alle erzieherischen, beratenden oder therapeutischen Maßnahmen zur Ausbildung und Verbesserung ausgewählter Fähigkeiten.“ 86 Förderung als (additive) Maßnahme muss meist durch einen konkret diagnostizierten Bedarf, also besondere Lernschwierigkeiten, gravierende Kompetenzdefizite, durch eine Fachkraft begründet werden, sodass zusätzliche finanzielle Mittel zum Fördern beantragt werden können. In Hessen koordinieren Fachkräfte der Beratungs- und Förderzentren (BFZ) die sonderpädagogischen Angebote und die inklusive Beschulung der Schülerinnen und Schüler an allgemeinen Schulen in Kooperation mit Förderschulen und außerschulischen Institutionen.
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Zwar gilt individuelles Fördern als Qualitätsmerkmal für guten Unterricht (vgl. Meyer 2010: 228), jedoch kommt eine diagnosegestützte individuelle Förderung im Gruppenverband an ihre Grenzen, wenn eine Lehrkraft für über 20 Schüler/innen individuell angepassten Unterricht planen, durchführen und evaluieren will. Als Orientierung verstanden, bezeichnet die Forderung nach individueller Förderung im Klassenverband eigentlich das, was von gutem Unterricht seit jeher erwartet wird: „eine bestmögliche Berücksichtigung von heterogenen Ausgangslagen“ (Wischer 2014: 7). Für das vorliegende Projekt soll es darum gehen, durch die Arbeit in Kleingruppen mit maximal acht Schülern und Schülerinnen individuelle, fachliche und sprachliche Förderbedarfe der Fünftklässler im Kunstunterricht zu ermitteln und für diese Lernenden angepasste Konzepte zur fachintegrierten Sprachbildung zu erproben (vgl. Kapitel 5). Dadurch können Rückschlüsse darauf gezogen werden, wie eine gezielte Unterstützung für heterogene Lerngruppen der Klasse 5 geplant und umgesetzt werden könnte, wenn alle Lernenden, insbesondere die zwei- oder mehrsprachig aufwachsenden Schüler/innen davon profitieren sollen. Wenn Lerner/innen für ihren Lernerfolg selbst die Verantwortung übernehmen und Angebote für sich selbst möglichst gewinnbringend nutzen können, führt Förderung nicht zu Selektion, sondern aktiver gesellschaftlicher Teilhabe. In Bezug auf die mehrsprachig aufwachsenden Schüler/innen bedeutet dies, dass der Sachverhalt, dass die Schüler/innen gleichzeitig zwei oder mehr Sprachen lernen, gewürdigt wird und dass die eingeschränkten Kompetenzen in der Bildungs- und Schulsprache Deutsch keine Lernschwierigkeit oder Entwicklungsstörung darstellen, sondern auf mangelnde Lerngelegenheiten zurückzuführen sind (vgl. Kapitel 2.1). Daher soll nachfolgend, wie im Programm FÖRMIG, Sprachbildung als integraler Bestandteil des Unterrichts für alle Schüler/innen verstanden werden (vgl. Reich 2011: 5). Die zentrale Aufgabe der durchgängigen Sprachbildung im Programm FÖRMIG ist sprachliche und fachliche Bildung für alle, denn die Prozesse der Aneignung der unterrichtsbezogenen Sprachfähigkeiten sind bei zweisprachigen und einsprachigen Lernenden ähnlich, sieht man davon ab, dass sie sich dem Ziel von unterschiedlichen Ausgangslagen nähern (vgl. ebd.). Durchgängige Sprachbildung wird als ein Kontinuum mit verschiedenen Dimensionen verstanden und bezieht sich auf drei Dimensionen: Die erste ist die bildungsbiographische Dimension und sie besagt, dass Sprachbildung entlang der gesamten Bildungsbiografie angeboten werden soll. Die zweite ist die Dimension der Durchgängigkeit im Hinblick auf die Kooperation aller beteiligten In-
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stanzen, Lehrkräfte verschiedener Schulformen und Eltern, bei der Sprachbildung. Die dritte Dimension ist das Prinzip der Durchgängigkeit bezogen auf den Weg vom alltagssprachlichen zum bildungssprachlichen Können (vgl. Gogolin 2017: 44–45). Das nachfolgende Schaubild des FÖRMIG Schnittstellenmodells veranschaulicht durch die Vertikale die Zusammenarbeit der Institutionen über die Schnittstellen der Bildungsbiografie hinweg. Demgegenüber visualisiert die Horizontale einerseits die Kooperation zwischen den Beteiligten in den jeweiligen Bildungsinstitutionen, andererseits die Vernetzung und Partnerschaft zwischen Bildungseinrichtungen und anderen Personen und Institutionen, die Beiträge zur Sprachbildung leisten (vgl. Gogolin et al. 2011a: 26)
Abb. 10: FÖRMIG-Schnittstellenmodell (vgl. Gogolin et al. 2011a: 27)
Wie bereits im vorausgehenden Kapitel zur Rolle der Sprache im Fachunterricht erläutert, benötigen alle Lernenden, gerade an den weiterführenden Schulen aufgrund der fachlichen Spezialisierung, Unterstützung bei der Aneignung bildungssprachlicher Kompetenzen. Daher reicht es nicht aus, Sprachbildung oder Fördermaßnahmen beispielsweise nur im Kindergarten oder der Grundschule zu etablieren, denn Bildungssprache wird über einen längeren Zeitraum auf den verschiedenen Stufen der Bildungsbiografie ausgebaut (vgl. Lange/Gogolin 2010: 17). Von einer langfristigen und planvollen Unterstützung, wie FÖRMIG sie an-
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strebt, profitieren dabei nicht nur die zweisprachig aufwachsenden Schüler/innen, sondern auch diejenigen, deren familiärer Hintergrund sprachlich nicht so reich ist (vgl. ebd.). Durch das Konzept der durchgängigen Sprachbildung wird das Ziel verfolgt, „Kinder in ihren Bildungschancen vom Zufall ihrer Herkunft unabhängiger zu machen“ (ebd.). Die folgenden drei Bereiche der durchgängigen Sprachbildung nach Gogolin (vgl. Gogolin et al. 2011a: 56) sollen im Folgenden erläutert werden: 1. Bildungsbiografie 2. Themenbereiche 3. Mehrsprachigkeit Die Sprachbildung im Rahmen der Bildungsbiografie (1) wird als Kontinuum vom einfachen mündlichen Austausch beispielsweise über das Verstehen von Sachund Erzähltexten und das Hervorbringen zusammenhängender mündlicher und schriftlicher Darstellung bis hin zur ausgebildeten bildungssprachlichen Kompetenz verstanden. Dieses bildungsbiographische Kontinuum wird durch die institutionellen Grenzen der Bildungsstufen, wie sie im Schnittstellenschaubild dargestellt sind, in einzelne Abschnitte geteilt. Dabei sind die sprachlichen Anforderungen auf jeder Bildungsstufe und je nach Schulform, Ausrichtung der Schule von Stufe zu Stufe jeweils anders, sodass auf jeder Lernstufe die Vermittlung der sprachlichen Kompetenzen auf die jeweiligen (fachlichen) Anforderungen abzustimmen ist. Der zweite Bereich bezieht sich auf die Themen (2), in denen Bildungssprache im öffentlichen sowie in schulischen Diskursen verwendet und zwischen Fach- und Alltagssprache vermittelt wird. Diese thematisch-inhaltlichen Bereiche sind im Bereich der institutionellen schulischen Bildung in unterschiedlicher Weise gebündelt, so z. B. als Themen in den Unterrichtsfächern an den weiterführenden Schulen. Die schulische Bildungssprache ist, wie bereits im vorigen Kapitel (2.2) erläutert, an die Auseinandersetzung mit den fachlichen Inhalten und den fachlichen Kompetenzerwerb gebunden (Gogolin et al. 2011a: 57). Daher erfordert eine durchgängige Sprachbildung die bewusste Arbeit an der sprachlichen Dimension in jedem Unterricht. In diesem Zusammenhang verweist Gogolin (vgl. ebd.) darauf, dass es wichtig ist, den Schüler/innen bewusst zu machen, dass Bildungssprache öffentlich verwendet wird. Daher sind auch öffentlich gesellschaftliche Diskurse bei der Unterrichtsplanung zu berücksichtigen. Sprachgebrauchsweisen und thematisch spezialisierte Kontexte stehen in einem Wechselverhältnis: „Der Kontext verlangt einen speziellen Sprachgebrauch; der spezielle Sprachgebrauch formt den Kontext mit.“ (ebd.) (vgl. Kapitel 5.2)
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Die dritte Dimension Mehrsprachigkeit (3) bezieht sich darauf, dass Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen unterschiedliche Familiensprachen und Dialekte sprechen und die Notwendigkeit für Lehrkräfte besteht, mit der Vielsprachigkeit umgehen und diese wertschätzen zu lernen: „Vielsprachigkeit stellt einen Fundus dar, der im Interesse der Gesellschaft ökonomisch und politisch genutzt werden kann.“ (ebd.: 58) Die Herkunftssprachen der Schüler/innen, oft Minderheitensprachen, werden jedoch selten wertgeschätzt und gefördert. Daher wird im Rahmen der durchgängigen Sprachbildung gefordert, dass die herkömmliche Einsprachigkeit des Unterrichts durchbrochen und die Sprachen der Lernenden systematisch beim Kompetenzerwerb genutzt werden sollten (vgl. ebd.: 59). In Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit soll der Fokus auf die horizontalen Schnittstellen gelegt werden, da die vertikalen Schnittstellen (vgl. Abb. 10), wie die Zusammenarbeit der Bildungsinstitutionen – beispielsweise vom Übergang der Grundschule an die weiterführende Schule und eine abgestimmte sprachpädagogische Arbeit –, hier nicht Gegenstand sind. Die durchgängige Sprachbildung auf der horizontalen Ebene versucht, möglichst alle Lernbereiche und Personen, die an der Sprachbildung beteiligt sind, zu vernetzen. Dabei spielt u. a. die Beteiligung aller Lehrkräfte verschiedenster Unterrichtsfächer und nicht nur der Deutschlehrkräfte eine große Rolle: „Überwunden werden sollte eine verbreitete Sicht, in der Sprachförderung vor allem und fast ausschließlich als Vermittlung grundlegender Deutschkenntnisse und Korrektur formaler Unsicherheiten begriffen worden war.“ (vgl. Gogolin et al. 2011a: 54) Folglich sollte in jedem Fach Bildungssprache gefördert werden: Übergreifende Sprachhandlungen wie Erzählen, Berichten, Beschreiben und Argumentieren sowie Strategien zum Umgang mit Texten, ebenso das Lesen, Auswerten, Bearbeiten und Verfassen von Texten sind Bestandteil aller Fächer, gleichzeitig auch fachspezifisch geprägt (vgl. Lange/Gogolin 2010: 30). Ziel der durchgängigen Sprachbildung ist es, Schüler/innen darin einzuführen, ein von der Alltagssprache unterschiedliches Register bewusst wahrzunehmen, zu verstehen und anzuwenden. Beispielsweise wurde an einer Gesamtschule im Rahmen des Modellprogramms FÖRMIG im Basismodul 6 zur Vernetzung und Kooperation an biographischen Schnittstellen ein umfassendes Konzept zur Sprachbildung der 5. Klassen, alle Unterrichtsfächer betreffend, erprobt und evaluiert. DaZ-Prinzipien waren verbindlich für alle Fachlehrer/innen und es fand eine Förderung statt, die sowohl in den Regelunterricht integrierte Lernformen als auch additive Maßnahmen berücksichtigt (vgl. Gogolin et al. 2011a: 158). Die FÖRMIG-Evaluation ergab,
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dass sich der Erfolg einer systematischen und koordinierten und alle Fächer einbeziehenden Vorgehens größtenteils bestätigte (vgl. ebd.: 158–159). Das folgende Ergebnisse der FÖRMIG-Programmevaluation in Bezug auf die Sprachbildung „Quer durch die Fächer und Lernbereiche“ ist im Hinblick auf die Begründung und Durchführung der Sprachbildung im Fachunterricht relevant: Die vorgestellten erfolgreichen Fördergruppen verankern ihre Maßnahmen zumeist im normalen Unterricht. Dieser wurde teilweise ergänzt um vertiefende zusätzliche Angebote, deren Inhalte sich sehr konkret auf den Unterricht beziehen. Dies ist keine Erfolgsgarantie, denn es gibt auch Beispiele dafür, dass integriert geförderte Gruppen geringere Erfolge als additiv geförderte erzielt haben. [...] (Gogolin et al. 2011a: 164–165)
Die Ergebnisse des Modellprogramms zeigen ebenfalls, dass die großen Erwartungen an die Arbeit in den Basiseinheiten, bei übereinstimmenden Konzepten und dem Wunsch, gleichmäßige Ergebnisse zu erzielen, selbst innerhalb der erfolgreichen Einheiten nur in Teilbereichen erfüllt wurden. Das könnte daran liegen, dass die Umsetzung der durchgängigen Sprachbildung und abgestimmten Prinzipien für viele Akteure neu war (vgl. ebd.: 165). Als eine große und bislang unbewältigte Herausforderung diskutiert Gogolin (vgl. 2017: 48) Versuche, die Wirksamkeit von Maßnahmen oder Förderkonzepten empirisch nachzuweisen. Sie erläutert dazu: Die Versuche, empirische Nachweise über die Wirksamkeit [Hervorhebung im Original] der jeweils bevorzugten Konzepte zu erbringen, sind noch nicht weit gediehen. Eine bislang unbewältigte Herausforderung dabei ist, den kausalen Zusammenhang zwischen Förderoder Interventionsmaßnahme und ihren – vor allem langfristigen – Effekten nachzuweisen. Zum einen ist es kaum möglich, die Fülle der Einflussfaktoren auf die sprachliche Entwicklung zu kontrollieren, die außer dem Unterrichtsangebot wirksam sind; zum anderen sind Langzeitbeobachtungen erforderlich, um Kausalzusammenhänge nachzuweisen. (Gogolin 2017: 48)
In Bezug auf die vorliegende Arbeit mit dem Ziel, die Möglichkeiten der integrierten Sprachbildung im Fachunterricht Kunst auszuloten und Aufschluss über erfolgreiche Handlungsstrategien, didaktisch-methodischen Prinzipien zu gewinnen, kann mit Blick auf die genannten Ergebnisse des FÖRMIG-Projektes das Folgende festgehalten werden: Integrierte Sprachbildung im Fachunterricht kann zu Erfolgen der DaZ-Schüler/innen beitragen und ist daher ein notwendiger Weg, den es für alle Fächer zu erproben und zu evaluieren gilt. Jedoch muss diese integrierte Sprachbildung, die sich beispielsweise bei vielen der FÖRMIG-Teilprojekte über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren erstreckte und an der kooperierende Lehrkräfte aus verschiedenen Einrichtungen beteiligt waren, nicht immer zu nachgewiesenen und vor allen Dingen nachweisbaren Erfolgen führen.
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Daher wird im Rahmen des vorliegenden Praxisprojektes zur integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht (vgl. Projektphasen und -ziele im Kapitel 4 u. 5) angestrebt, Wege zu finden, Schüler/innen erfolgreich beim Sprachlernen im Fachunterricht zu unterstützen. Trotz der Dauer von einem Schuljahr wird angesichts von nur zwei Kunstunterrichtsstunden pro Woche aber keine übergreifende und messbare Auswirkung auf die allgemeine Lese-, Hör-, Schreib- oder Kommunikationskompetenz der Schüler/innen erwartet. Aufgrund der zahlreichen am Sprachbildungsprozess beteiligten Faktoren, hier genannt sei beispielsweise die Arbeit an und mit der Sprache in allen anderen Fächern während des kompletten Projektzeitraumes des Schuljahres 2010/11 sowie zusätzliche Unterstützungsangebote, z. B. Hausaufgabenhilfe oder möglicherweise privat organisierte Nachhilfe, können mögliche Lernfortschritte und ein Zuwachs an sprachlichen Kompetenzen der am Kunstunterricht teilnehmenden Fünftklässler (vgl. Kapitel 5.1) nicht eindeutig auf die Umsetzung des neuen Konzeptes zurückgeführt werden (vgl. Kapitel 6). Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt deshalb auf den fachlich sinnvollen Möglichkeiten der Gestaltung einer förderlichen und sprachbildenden pädagogischen Praxis im Kunstunterricht und nicht auf der empirischen Erforschung der Wirksamkeit der umgesetzten Prinzipien (vgl. Kapitel 4 u. 5), da der kausale Zusammenhang aufgrund der zahlreichen Einflussfaktoren nur schwerlich eindeutig nachzuweisen wäre (vgl. Gogolin 2017: 48) Die Ergebnisse der FÖRMIG-Evaluation und die daraus resultierenden, im Weiteren erläuterten Qualitätsmerkmale zur durchgängigen Sprachbildung sollen als Grundlage für die Planung und Durchführung der integrierten Sprachbildung im Fachunterricht Kunst herangezogen werden. Es handelt sich dabei um eine Zusammenstellung von Merkmalen, die beschreiben, wie Sprachbildung in allen Fächern umgesetzt werden kann. Das erste Qualitätsmerkmal bezieht sich auf den bewussten Aufbau der Bildungssprache: „Die Lehrkräfte planen und gestalten den Unterricht mit Blick auf das Register Bildungssprache und stellen die Verbindung von Allgemein- und Bildungssprache explizit her.“ (Gogolin/Lange/Hawighorst/Bainski/Heintze/ Rutten/Saalmann 2011b: 8) Dies setzt voraus, dass Lehrkräfte sich mit der Unterscheidung von Bildungsund Alltagssprache vertraut gemacht haben und im Unterricht in der Lage sind, eine Verbindung zwischen den Registern herzustellen. Lehrer/innen können also ausgehend von der Analyse des Unterrichtsgegenstandes den Unterricht so planen, dass die Schüler/innen ihre sprachlichen Kompetenzen in Richtung Bildungssprache erweitern. Dies bedeutet auch, dass das Unterrichtsmaterial in Bezug auf seine sprachlichen Anforderungen untersucht wird und wenn nötig Hilfen zur Bewältigung der Anforderungen bereitgestellt werden (vgl. Gogolin et
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al. 2011b: 14). Lehrkräfte stellen also die sprachlichen Mittel zur Lösung der problemorientierten Aufgaben bereit, aktivieren das Vorwissen ihrer Schüler/innen in Bezug auf die sachlichen und sprachlichen Anforderungen und informieren sie über die Zielsetzung. Bei der Aktivierung des Vorwissens wird an die Erfahrungswelt der Schüler/innen angeknüpft, und auch die herkunftssprachlichen Fähigkeiten werden berücksichtigt (vgl. ebd.) (vgl. Kapitel 5.3 u. 5.4). Das zweite Qualitätsmerkmal bezieht sich auf die Notwendigkeit, die sprachlichen Ressourcen der Lerner/innen zu berücksichtigen: „Die Lehrkräfte diagnostizieren die individuellen sprachlichen Voraussetzungen und Entwicklungsprozesse.“ (Gogolin et al. 2011b: 9) Zu Schuljahresbeginn soll prozessbegleitend und kriteriengestützt der individuelle Entwicklungsbedarf ausgewählter Schüler/innen diagnostiziert werden (vgl. Kapitel 4.3 und 5.1). Dabei gehen die Lehrer/innen vom Können der Schüler/innen aus und nutzen die Resultate der Diagnose für die Unterrichts- und Förderplanung. Die ausgewählten Diagnoseverfahren unterscheiden sich nach ihrer Zielsetzung, nach dem Alter der Schüler/innen, nach ihrer Güte und nach dem Kontext, in dem sie eingesetzt werden (vgl. ebd.: 16). Das dritte Qualitätsmerkmal bezieht sich auf die Planung und Durchführung der integrierten Sprachbildung: „Die Lehrkräfte stellen allgemein- und bildungssprachliche Mittel bereit und modellieren diese.“ (ebd.) Dieses Kriterium ist als Ergänzung und Konkretisierung des ersten Merkmals zu verstehen. Die FÖRMIGAG schlägt dazu Methoden vor, um die Schüler/innen beim Erwerb differenzierter sprachlicher Mittel zu unterstützen. Die Vorschläge beziehen sich auf die folgenden Bereiche: die Formulierung der Aufgabenstellung und die Auslegung der Operatoren, die systematische Wortschatzarbeit, die Sprache der Lehrkraft und die systematische Unterstützung der Lesefertigkeit, die schriftliche und mündliche Sprachproduktion, die Unterstützung durch Modellierungen im Rahmen von Unterrichtsgesprächen und die systematische Vermittlung von Schreibkompetenzen. Dabei referieren die Autoren der AG Durchgängige Sprachbildung auf verschiedene didaktisch-methodische Handreichungen (vgl. ebd.: 18–21). Die mögliche Umsetzung dieses Kriteriums wird im praktischen Teil zur Unterrichtsvorbereitung und beispielsweise bei der Analyse der Aufgabenstellung aufgezeigt (vgl. Kapitel 5.3 u. 5.4). Das vierte Merkmal bezieht sich auf die Aktivitäten der Lerngruppe: „Die Schülerinnen und Schüler erhalten viele Gelegenheiten, ihre allgemein- und bildungssprachlichen Fähigkeiten zu erwerben, aktiv einzusetzen und zu entwickeln.“ (ebd.: 10) Es geht hier darum, dass ein lernförderliches oder besser sprachförderliches Unterrichtsklima aufgebaut wird, in dem die Schüler/innen ausreichend Gelegenheiten haben, das Sprechen, Hören, Schreiben und Lesen zu
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erproben und bei sprachvergleichenden Übungen und Reflexionen ihre Herkunftssprachen als Ressource nutzen zu können (vgl. Gogolin et al. 2011b: 10–11). Die Lehrkräfte sollen beispielsweise in Bezug auf die Fähigkeit Sprechen Aufgaben formulieren, die komplexe mündliche Äußerungen ermöglichen, so dass der Sprechanteil der Lerner/innen hoch ist und sie auch Zeit bekommen, ihre Beiträge bewusst zu formulieren. Sie können zum Aushandeln der Bedeutung von Lerninhalten in Partnerarbeit, z. B. in Murmelgruppen87, auch auf ihre Herkunftssprachen zurückgreifen (vgl. Gogolin et al. 2011b: 22). Das fünfte Qualitätsmerkmal bezieht sich auf die Form von binnendifferenzierten Aufgabenstellungen. „Die Lehrkräfte unterstützen die Schülerinnen und Schüler in ihren individuellen Sprachbildungsprozessen.“ (ebd. 10) Sie sind dazu aufgefordert, differenzierte Aufgabenstellungen für Schüler/innen mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen zu formulieren oder aber bei gleicher Aufgabenstellung unterschiedliche, abgestufte Hilfen zur Verfügung zu stellen. Dazu können die Lehrkräfte ein reichliches Angebot an sprachlichen Mitteln, z. B. Formulierungshilfen wie Satzanfänge oder Textbausteine, bereitstellen und differenzierte Arbeitsaufträge formulieren. Aus verschiedenen Vorschlägen zur Aufgabenbewältigung können die Lerner/innen auswählen (vgl. ebd. 24). Das sechste und letzte Qualitätsmerkmal für eine durchgängige Sprachbildung bezieht sich auf die Notwendigkeit, Lernstände und -fortschritte zu erfassen: „Die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler überprüfen und bewerten die Ergebnisse der sprachlichen Bildung.“ (Gogolin et al. 2011b: 10) Die Verantwortung für die sprachliche Bildung obliegt also Lehrkräften und Lernenden gleichermaßen. Dies bedeutet auch, dass sich beide in einem konstruktiven Umgang mit Fehlern üben und Fehler als Meilenstein auf dem Lernweg interpretiert werden. Die Lernenden sollen durch die Bewusstmachung ihrer Lernerfolge ein positives Selbstbild entwickeln und dazu ermutigt werden, anstehende sprachliche Herausforderungen selbständig zu bewältigen (vgl. ebd.: 10). Für die Pädagogen/innen bedeutet dies, dass ihr Korrekturverhalten kriterienorientiert, aufbauend und konstruktiv ist. Die Lehrkräfte machen die Lernfortschritte bewusst und geben den Schüler/innen gleichzeitig Werkzeuge wie Portfolios an die Hand, durch die Lernende ihre sprachlichen Fähigkeiten und Fortschritte selbstständig einschätzen lernen (vgl. ebd.: 25).
|| 87 Bei der Murmelgruppe handelt es sich um eine Aktivierungsmethode, die sich z. B. nach Vorträgen anbietet. Mit dem Nachbarn tauscht man sich leise über das Gehörte aus. Die Ergebnisse werden nicht präsentiert und dienen z. B. als Hilfe bei der Vorbereitung des Klassengesprächs (vgl. Gogolin et al. 2011b: 28).
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Diese sechs Qualitätsmerkmale aus dem FÖRMIG-Projekt dienen dazu, die Möglichkeiten vor Ort auszuloten und versprechen für sich genommen noch keinen Erfolg. Sie verhalten sich eher zueinander und in Bezug auf den Gegenstand Unterricht und sein Faktorengefüge wie einzelne Puzzleteile zum Ganzen. Je nach Lerngruppe, den jeweiligen Schüler/innen, ihren Voraussetzungen, ihrer Motivation, dem Fach, den fachlichen Herausforderungen, Rahmenbedingungen und Themen, den konkret angestrebten Zielen und damit verbundenen sprachlichen Voraussetzungen kommt das ein oder andere Kriterium mehr oder weniger zum Tragen. So spielen beispielsweise im Kunstunterricht in Hessen schriftliche Test oder Klausuren erst ab den Klassen zehn oder elf eine Rolle, sodass die Diagnose ausgehend von im Unterricht erhobenen schriftlichen Leistungen in der Sekundarstufe I zwar stattfinden kann, aber kein notwendiger und per Verordnung geregelter Bereich ist. Stattdessen gibt es, wie bereits im ersten Kapitel dargestellt, rund um die Bildkompetenz(en) verschiedene andere Lernziele, die ohne den Aufbau und die Anwendung von sprachlichen Kompetenzen nicht zu erreichen sind und für die bislang keine Verfahren zur differenzierten Diagnose und Rückmeldung vorliegen. Die genannten Qualitätsmerkmale sollen folglich bei der Unterrichtsplanung und -durchführung sowie deren Reflexion als Orientierung dienen (vgl. Kapitel 2.5 u. 5).
2.4.2 Konzepte für einen sprachsensiblen Fachunterricht Nach Ursachen für die häufigen schulischen Probleme von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte wird nicht erst seit den Schulleistungsstudien zu Beginn des 21. Jahrhunderts gesucht. Über mögliche Unterstützungsmaßnahmen wurde bereits zuvor diskutiert: Schon in den 80er Jahren weisen Steinmüller und Scharnhorst (1987: 9) unabhängig von der Herkunft oder Erstsprache der Schüler/innen darauf hin, dass jede/r Sprachlehrer/in zugleich Fachlehrer/in ist und somit für die Sprachvermittlung Verantwortung zu tragen habe. So wurde beispielsweise auf der Basis kleinerer Fallstudien, von Steinmüller & Scharnhorst (1987) für eine Physikstunde, Baur, Bäcker und Wölz (1993) für eine Biologiestunde oder Deppner (1989) für das Fach Chemie, auf die sprachlichen Hindernisse hingewiesen, die für Lernende mit Deutsch als Zweitsprache im Fachunterricht bestehen können (vgl. Ahrenholz 2017). Neuner widmet dem Thema „Förderung ausländischer Schüler im Sprach- und Fachunterricht“ im Jahr 1984 eine Fernstudieneinheit im Rahmen des Projektes „Ausländerkinder in der Schule“. Zur Diskussion um die Vermittlung von Fachsprachen in der Schule, der Besonderheiten der Diagnostik sowie der Förderung von Kindern im Vor-,
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Grundschulalter und in der Berufsschule trägt beispielsweise Luchtenberg seit den 80er Jahren bei (vgl. 1982). Die Liste der Publikationen in diesem Bereich ist lang und zeugt von einer intensiven Auseinandersetzung, die aber, so Ahrenholz, nicht bei den Fachdidaktikern angekommen zu sein scheint (vgl. 2010b: 1–2). Die verschiedenen Wege der Sprachbildung im Fachunterricht werden als sprachsensibel (Leisen 2010), sprachbewusst (z. B. Michalak/Lemke/Goeke 2015) oder auch sprachaufmerksam (Schmölzer-Eibinger 2013) bezeichnet und beziehen sich auf das miteinander verbundene fachliche und sprachliche Lernen, bei dem ein bewusster Umgang mit der Sprache betont wird. Für die Entwicklung von sprachlichen Kompetenzen im Fach Mathematik gibt es beispielsweise den Ansatz des Dialogischen Lernens, der von Gallin (2006) und Ruf (2008) in den 90er Jahren entwickelt wurde (vgl. WWW-Veröffentlichungen 2016: http://gallin.ch/). Zudem gibt es zahlreiche Arbeiten den naturwissenschaftlichen Unterricht betreffend, so z. B. das EU-Projekt Promotion of Migrants in Science Education, das PROMISE-Projekt, mit Vorschlägen für die Sprachförderung im Physikunterricht der Sekundarstufe I von Tajmel (2010/2016). Einige der Arbeiten zur Sprachlichkeit im Fachunterricht und zu deren Fördermöglichkeiten gehen auf den Ansatz Content and Language Integrated Learning (CLIL) zurück, der sich im europäischen Raum88 als Oberbegriff für Lernund Unterrichtskontexte etabliert hat, in denen bei der Vermittlung von Fachinhalten zumindest parallel eine andere Sprache als die Erstsprache (L1) der Lerner/innen eingesetzt wird (vgl. Barkowski/Krumm 2010: 38). So gehen Vollmer und Thürmann (2010) von ihren Arbeiten zu CLIL aus und nehmen Bezug auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (vgl. Europarat
|| 88 Je nach geschichtlicher Entwicklung sowie Merkmalen der jeweiligen Umsetzungsform sind in Europa unterschiedliche Bezeichnungen für die kombinierte Vermittlung von (fremd-)sprachlichen Fähigkeiten und nicht-linguistischen Fachinhalten anzutreffen: So spricht man im skandinavischen Raum in Anlehnung an die kanadische Sprachimmersion von Sprachbad sowie bei weniger zielsprachintensiven Varianten von Sprachdusche. Im deutschsprachigen Raum werden die Begriffe bilingualer Unterricht oder Sachfachunterricht oder Deutschsprachiger Fachunterricht (DFU) an Auslandsschulen oder auch Sprachimmersion (Schweiz) oder Fremdsprache als Arbeitssprache (Österreich) verwendet (vgl. Barkowski/Krumm 2010: 38). Immersion bezeichnet in diesem Zusammenhang ein Konzept zweisprachiger schulischer Erziehung, in welchem die Fachinhalte in einer Fremd- oder Zweitsprache vermittelt werden (vgl. ebd.: 125). Allen Programmen gemein ist, dass durch die gekoppelte Vermittlung von Fachgenständen und Sprache unter bestimmten Voraussetzungen ein schneller und effektiver Sprachlernzuwachs erwartet wird.
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2001), wenn sie versuchen einen Referenzrahmen für Deutsch als Zweitsprache im Fachunterricht zu modellieren. Nachfolgend werden ausgewählte Konzepte und Prinzipien für einen sprachsensiblen, sprachaufmerksamen und sprachfördernden Unterricht anhand von Beispielen konkretisiert und auf die Vermittlung im Kunstunterricht bezogen. Die diskutierten Punkte, die für die spätere Unterrichtskonzeption und -umsetzung (vgl. Kapitel 5) relevant sind, werden in Form von Kriterien zur Planung der integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht zusammengefasst (vgl. Kapitel 2.5). Der sprachsensible Fachunterricht nach Leisen (2010) Im deutschsprachigen Fachunterricht (DFU) an Schulen im Ausland geht es ebenfalls um die Herausforderung, die Sprache im Fachunterricht gebunden an die fachlichen Kompetenzen zu vermitteln und dafür geeignete Methoden zu finden (vgl. Leisen 1991/2003). So veröffentlichte Leisen 2003 sein Methoden-Handbuch für den deutschsprachigen Fachunterricht, in dem der Autor für den bilingualen Fachunterricht zahlreiche Materialien zur Verfügung stellt, die schularten- und fächerübergreifend einsetzbar sein sollen. Ausgehend von diesem Handbuch hat Leisen dann 2010 die Methoden-Werkzeuge für einen sprachsensiblen Fachunterricht entwickelt und im Handbuch zur Sprachförderung im Fachunterricht (Leisen 2010) veröffentlicht. Mit einer Lose-Blatt-Sammlung von über 250 Seiten mit Kopiervorlagen für den Einsatz von 40 Methoden-Werkzeugen für unterschiedliche sprachliche Standardsituationen im Fachunterricht und einem Handbuch zur Einführung in die Didaktik und Methodik ausgehend von der Unterscheidung von Bildungssprache und Alltagssprache und einer Darstellung der möglichen sprachlichen Herausforderungen des Fachunterrichts, ist das rund 500 Seiten umfassende Buch „aus der Praxis und für die Praxis“ konzipiert (vgl. Leisen 2010: 4). Es handelt sich damit um eine der umfassendsten Handreichungen mit konkreten Beispielen und Unterrichtsmaterialien. Die verschiedensten Materialien sind praxisnah und als methodische Hilfen zu verstehen, um die sprachlichen Kompetenzen des Lesens, Schreibens und Sprechens zu fördern. Vorweggenommen sei, dass diese Werkzeuge, mit denen im Handbuch zum deutschsprachigen Fachunterricht aus dem Jahr 2003 verwandt sind, und dass der Autor überwiegend Beispiele aus dem naturwissenschaftlichen Bereich, meist dem Fach Physik, gewählt hat, was in seiner Tätigkeit als Physiklehrer im Auslandsschuldienst und seine Arbeit im Bereich der Physik-Didaktik begründet liegen mag (vgl. WWW-Veröffentlichung Leisen 2016). Es gibt keine Hinweise im Handbuch zur empirischen Evaluation der vorgeschlagenen Vorgehensweisen. Zudem fehlt es an Erläuterungen dazu, inwieweit die vorgeschlagenen Methoden auf andere Fächer wie das Fach Kunst übertragbar sind. Viele der Strategien, die
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Leisen hier im Zusammenhang mit seinem Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts erläutert, sind schon aus anderen Zusammenhängen, insbesondere der Deutschdidaktik und -methodik und aus dem Bereich der Fremdsprachenvermittlung bekannt, wie beispielsweise die zehn wichtigsten Lesestrategien89 (vgl. Leisen 2010: 1). Außerdem sind die konkreten Aufgabenvorschläge in der Loseblattsammlung zur Integration von Sprachübungen sowie die Aufzählung von Übungsformen zur Wortschatzarbeit wie das Wortgeländer oder die Blockdiagramme aus anderen Kontexten bekannt (vgl. z. B. Leisen 2010: 180–184) und seit jeher Bestandteil der Fachkompetenzen wie beispielsweise die Verbalisierung der Darstellungsform Grafik. Leisens Methodenwerkzeuge für einen sprachsensiblen Fachunterricht sind folglich nicht ganz neu, aber die Systematisierung und Zuordnung zu sprachlichen Fähigkeiten wie dem Lesen und Schreiben von Fachtexten können der Bewusstmachung von zahlreichen Gelegenheiten zur Sprachförderung und -bildung im Fach dienen. Versuche, Materialien von Leisen (2010) für den Kunstunterricht der Klasse 5 zu adaptieren und diese im Rahmen dieser Arbeit zu nutzen (vgl. Kapitel 5), haben gezeigt, dass eine Übertragung auf die Gegenstände im Fach Kunst nicht ohne Weiteres möglich ist. Dies könnte daran liegen, dass die Methodenwerkzeuge zum einen mit komplexen Arbeitsaufträgen verbunden sind, die sich eher für die Arbeit mit Schüler/innen ab der 8. oder 9. Jahrgangsstufe eignen, zum anderen die Beispielthemen und -vorlagen überwiegend aus dem Bereich Physik stammen. Wie jedoch Ahrenholz (2010: 3) in einer Synopse für die (empirischen) Arbeiten zu Deutsch als Zweitsprache in den einzelnen Fächern zeigt, gibt es für die Fächer Geschichte, Biologie, Physik, Sachkunde, Mathematik, Fremdsprachen, Deutsch sowie Geografie zwar einzelne Untersuchungen mit Schwerpunkten,
|| 89 Leisen macht leider die Strategien und Methoden, die er aus anderen Zusammenhängen aufgreift (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 88) nicht als Zitate kenntlich, sodass es unmöglich ist, die eigentlichen Begründer der Ansätze oder Methodenwerkzeuge zu benennen und zu würdigen. Daher wird im Rahmen dieser Arbeit auf die ausführliche Erläuterung der Werkzeuge verzichtet, denn es ist offensichtlich, dass Leisen Methoden aus anderen Kontexten und von anderen Autoren anwendet (vgl. z. B. Leisen 2010: 130–135 u. a.), ohne diese konkret kenntlich zu machen. Trotz dieser Schwierigkeit werden das Konzept und seine Prinzipien zusammengefasst, da Leisen mit seiner Materialsammlung Fachlehrer/innen viele Möglichkeiten der konkreten Umsetzung aufzeigt und 2010 als einer der ersten Fachdidaktiker versucht hat, praxisnahe Antworten zur Sprachförderung auf die zahlreichen Fragen der Lehrkräfte zu geben.
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aber kein übergreifendes didaktisch-methodisches, sprachsensibles Lehrkonzept wie das von Leisen.90 Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass Leisen versucht, die Fragestellungen zur Sprachförderung im Fachunterricht stets fachbezogen zu beantworten und das Fachlernen in den Vordergrund stellt, was u. a. in empirischen Untersuchungen mit linguistischer Ausrichtung und der Frage nach den konkreten sprachlichen Anteilen und ihrer Beschaffenheit im jeweiligen Fachunterricht oft nicht der Fall ist. Leisen (vgl. ebd. 2010: 14) verwahrt sich dagegen, dass sprachliche Aufgaben und Übungen wie z. B. zur Grammatikvermittlung in den Fachunterricht integriert werden, wenn sie keinen Fachbezug haben und sie nicht unbedingt notwendig zum Erreichen der fachlichen Ziele sind. Leisens (2010: 6) Leitidee für den sprachsensiblen Fachunterricht basiert auf dem Gedanken, dass die Lehrkräfte rücksichtsvoll mit ihren Schüler/innen und der Sprache im Unterricht umgehen: „Gehen wir Lehrenden sensibel mit der Sprache, der Sprache der Lerner und der Sprache beim Lehren und Lernen um, dann gehen wir auch sensibel mit den Menschen um. Diese Leitidee prägt den sprachsensiblen Fachunterricht.“ Ziel ist es also, dass die Lehrer/innen bewusster als bisher die Sprache im Fachunterricht verwenden und Maßnahmen zur Kompetenzförderung in den Bereichen Lesen, Schreiben und Sprechen sprachschwacher Lerner mit und ohne Migrationshintergrund ergreifen (vgl. Leisen 2010: 6). Leisen (ebd.) formuliert als Grundregel für einen solchen Unterricht: „Sprachsensibler Fachunterricht betreibt sachbezogenes Sprachlernen: Hier wird die Sprache an und mit [Hervorhebungen im Original] der Sache (den Fachinhalten) gelernt. Sprachsensibler Fachunterricht nimmt die Sprachsituation wie sie ist und macht das Beste draus. Dabei fördert er Sprache an und mit den Fragestellungen des Fachs.“
|| 90 Leisens Handbuch zum sprachsensiblen Fachunterricht wird in vielen Bereichen der Lehrkräfteausbildung eingesetzt und Leisens Aufforderung, Sprachbildung als Aufgabe aller Fächer zu sehen und Fachlehrkräfte entsprechend darauf vorzubereiten, hat auch maßgeblich die Lehrkräfteausbildung in Hessen beeinflusst. Z. B. widmete das Zentrum für Lehrerbildung in Kassel 2017 dem Thema eine Fachtagung (vgl. https://www.uni-kassel.de/einrichtungen/zlb/ueberuns/tagungen-des-zlb/zlb-jahrestagung-2017.html (Zugriff: 20.03.2018) und die Hessische Lehrkräfteakademie bietet in den letzten Jahren zunehmend mehr Fortbildungen zu dem Thema an (vgl. https://akkreditierung.hessen.de/catalog (Zugriff: 21.03.2019). Aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach Aus- und Fortbildungsangeboten in diesem Bereich hat Leisen (2017) ein Praxishandbuch zur Fortbildung für Sprachförderung im Fachunterricht geschrieben. In diesem Werk gibt er Beispiele und konkrete Anleitungen zur Umsetzung seiner Vorschläge aus dem Handbuch und stellt konkrete Workshopaufgaben zur Fortbildung vor.
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Die Grundthesen des sprachsensiblen Fachunterrichts zur individuellen Förderung sind mit denen von Gibbons (2002) zum Scaffolding und von SchmölzerEibinger (2013: 52–65) zur Literalen Didaktik verwandt: – Die Lerner werden in fachlich authentische, aber bewältigbare Sprachsituationen gebracht. – Die Sprachanforderungen liegen knapp über dem individuellen Sprachvermögen. – Die Lerner erhalten so wenige Sprachhilfen wie möglich, aber so viele, wie individuell zum erfolgreichen Bewältigen der Sprachsituation nötig. (Leisen 2010: 6) Die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Vorgaben sind einer an den Bildungsstandards orientierten Didaktik verpflichtet. So bezieht sich Leisen zum einen auf die Vorgaben der KMK zur Kommunikation im Fachunterricht und zeigt auf, in welchen Fächern welche sprachlichen Kompetenzen zum Tragen kommen (vgl. Leisen 2010: 15). Die musisch-ästhetischen Fächer sowie Sport sind hier allerdings nicht Gegenstand der Darstellung. Darüber hinaus verweist er bei seinen Ausführungen zum erfolgreichen kommunikativen Handeln auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Fremdsprachen, wenn er fordert, die Sprache, die beim Lernen in der Schule und Ausbildung verwendet wird, mindestens auf einem Niveau von B2+ zu garantieren (vgl. Leisen 2010: 18). Der sprachsensible Fachunterricht nach Leisen (vgl. 2010: 42–43) beruht auf neun grundlegenden Prinzipien, die er ausgehend von seinen Ausführungen zur Sprachförderung, zu Lerner/innen mit Migrationshintergrund, zur Bildungssprache und zu Ansätzen wie dem Scaffolding ableitet. Diese Leitpunkte werden im Folgenden zunächst aufgezählt, um dann auf ausgewählte Prinzipien in Bezug auf die Sprachbildung im Fachunterricht Kunst einzugehen: 1. Prinzip der Gleichzeitigkeit von Fachlernen und Sprachlernen 2. Prinzip des Vorrangs der Sachfachdidaktik vor der Sprachdidaktik 3. Prinzip der Problemdiagnostik 4. Prinzip des sprachlichen Aushandelns 5. Prinzip der bewussten Sprachenvielfalt 6. Prinzip der sprachlichen Eigentätigkeit durch Handlungsorientierung 7. Prinzip der verschiedenen Darstellungsformen 8. Prinzip der sprachlichen Unterstützung 9. Prinzip der Aufgabenorientierung (vgl. Leisen 2010: 43)
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(1) Das erste Prinzip ist bereits zuvor erläutert worden und liegt der vorliegenden Arbeit als Annahme zugrunde: Die Sprache ist an die fachlichen Inhalte gebunden, sodass sprachliche Phänomene nicht ohne ihren fachlichen Bezugsrahmen betrachtet und vermittelt werden können. Sprachliches Lernen hat daher einen funktionalen Bezugsrahmen, den es je nach künstlerischem Thema und der zu vermittelnden Bildkompetenz(en) zu hinterfragen gilt, um auf der Ebene der Sachanalyse die (fach-)sprachlichen Besonderheiten aufzudecken und bei der Unterrichtplanung zu berücksichtigen (vgl. Kapitel 5). (2) Das zweite Prinzip zur Vorrangstellung der Sachfach- vor der Sprachdidaktik besagt, dass es im sprachsensiblen Fachunterricht darum geht, den Erwerb von Wissen im Fach durch die Arbeit an der Sprache zu unterstützen und nicht umgekehrt wie im inhaltsorientierten Fremdsprachunterricht eine Sprache durch Inhalte zu lernen (vgl. ebd.). Damit wendet sich Leisen gegen eine Funktionalisierung des Fachunterrichts zu Sprachförderzwecken, was im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist, denn das Fach Kunst wird häufig in Bezug auf sein „Geberpotential“ für andere Fächer hinterfragt. So gibt es zahlreiche Methodensammlungen beispielsweise zum Kreativen Schreiben91, die ihre Wurzeln im Bereich der kreativen Bildererschließung haben. Auch im Fremdsprachenunterricht werden beispielsweise Bilder und Methoden zur Wahrnehmung und Beschreibung von Bildern genutzt, um den Wortschatz der Schüler/innen auf eine motivierende Art und Weise zu erweitern (vgl. Scherling/Schuckall 1992: 87–112). So erläutert Hotz (2011), welche Herangehensweisen aus dem Kunstunterricht sich zur DaZ-Sprachförderung eignen und inwieweit sie sich auf die Arbeit in anderen Fächern übertragen lassen. Michalak, Lemke und Goeke (2015: 118–121) erläutern ferner in ihrer Einführung zum sprachbewussten Unterricht, wie man mit ästhetischen Bildern im (Fremd-)Sprachenunterricht umgeht und bedienen sich dabei unter anderem Herangehensweisen aus der Kunstpädagogik, wenn sie erläutern, wie die Auseinandersetzung und Annäherung an das Bild erfolgen kann. Diese Übertragung von Bilderschließungsmethoden auf andere Fächer ist zu befürworten und erforderlich, wenn Bildrezeption mehr als oberflächliches Wahrnehmen sein soll, und gewinnbringend, wenn es darum
|| 91 Beispielsweise sei hier die Handreichung von Klose und van den Beld genannt „Kreatives Schreiben zu Bildimpulsen“ (2014). 30 Bildvorlagen in Verbindung mit Schreibaufgaben dienen hier dem Aufbau der Erzählkompetenz im Grundschulalter. Das Bild wird als motivierender und inspirierender Schreibanlass verwendet. Es geht nicht darum, die Wahrnehmungs- und Rezeptionskompetenz, also die Bildkompetenz, auszubauen, wobei diese natürlich indirekt erforderlich ist.
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geht, Schüler/innen zu motivieren. Allerdings geht es bei der vorliegenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung darum, inwieweit Sprachbildung einen Beitrag zum Kompetenzausbau im Kunstunterricht leisten kann und nicht inwieweit sich spezifische Methoden der Kunstpädagogik zur Sprachförderung eignen. Leisens zweites Prinzip gilt folglich ebenfalls für diese Arbeit und wird nur ergänzt durch die Annahme, dass der Erwerb der fachlichen Kompetenzen im Fachunterricht Kunst ohne den Gebrauch und das Erlernen der dazu notwendigen sprachlichen Kompetenzen erschwert ist. (3) Das dritte Prinzip von Leisen bezieht sich auf die Problemdiagnostik: Es soll differenziert analysiert werden, ob Verstehensprobleme im Fachunterricht fachlicher oder sprachlicher Art sind und dementsprechend soll die Lehrkraft problemangemessen reagieren (Leisen 2010: 43). Im vierten Kapitel dieser Arbeit zum Forschungsdesign werden die Werkzeuge zur Diagnose des Sprachstands und andere Instrumente erläutert. Die Produkte, praktische Arbeiten wie mit Deckfarben gemalte Bilder, Skizzen oder Präsentationsplakate, der Schüler/innen aus dem Kunstunterricht sollen beispielsweise dazu dienen, differenzierte Aussagen zu den Bildkompetenzen der Fünftklässler machen zu können und ausgehend davon den Kunstunterricht zu planen (vgl. Kapitel 5). Allerding sei schon an dieser Stelle vorweggenommen, dass bislang keine erprobten Werkzeuge vorliegen, die es ermöglichen, sprachlichen und fachlichen Kompetenzerwerb in Fach Kunst differenziert und entsprechend der Gütekriterien Validität und Reliabilität zu ermitteln. Folglich wird eine konkrete qualitative Analyse der Lernergebnisse aus dem Kunstunterricht auf der einen Seite (vgl. Kapitel 5), verbunden mit einer Untersuchung der Lerner/innensprache auf der anderen Seite erstmalig erprobt und notwendig, wenn es darum geht, im Rahmen des Vorhabens Sprachbildung im Kunstunterricht konkret umzusetzen. (4) Leisen (vgl. 2010: 43) erläutert sein viertes Prinzip, das sprachliche Aushandeln, als ein Ringen mit und um die Sprache im Fachunterricht. Es geht hier um das Aushandeln von Bedeutungen und Bedeutungszuweisungen. Dieses Prinzip soll im Rahmen der Ausführungen zum Scaffolding erläutert werden. Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher erläutern (vgl. 2013: 23) ebenfalls in ihren Ausführungen zur Sprachförderung in heterogenen Klassen, dass Sprachaufmerksamkeit im Fachunterricht durch ein präzises und bewusst gestaltetes Handeln der Lehrkräfte sowie ein Bewusstmachen und Reflektieren von sprachlichen Phänomenen angeregt werden kann: „Sprachaufmerksamkeit kann im Unterricht auch angeregt werden, indem die Sprachverwendung der SchülerInnen zum Gegenstand von Sprachreflexion gemacht wird.“ (SchmölzerEibinger et al. 2013: 28) Dabei ist es wichtig, dass die Schüler/innen ausreichend Zeit erhalten, um sich zu äußern, und die Lehrkraft auf sprachlich unzulässige
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Aussagen der Schüler/innen durch Reformulierungen oder Fragen reagiert. Die Lerner/innen sollten ferner dazu angeregt werden, ihre Gesprächsbeiträge gegenseitig zu kommentieren und einander zu korrigieren (vgl. ebd. 29). Michalak (vgl. 2015: 139) betont in diesem Zusammenhang, dass der Übergang von der Alltagssprache zum Fachdiskurs, von der konzeptionellen Mündlichkeit zur konzeptionellen Schriftlichkeit konsequent ausgebaut werden soll und ausgehend von den sprachlichen Vorkenntnissen der Lernenden das Wissen vom Konkreten zum Abstrakten ausgebaut werden soll. (5) Das fünfte Prinzip der bewussten Sprachenvielfalt bezieht sich bei Leisen (vgl. 2010: 43) anders als bei Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. 2013: 26) nicht auf die Nutzung der mehrsprachigen Ressourcen im Klassenraum, sondern auf die Sprachenvielfalt der verschiedenen Abstraktionsebenen im Fachunterricht: die nonverbale Sprache, die Bildsprache, die Alltagssprache, die Unterrichtssprache und die symbolische Sprache. (7) Gekoppelt mit dem nachfolgend erläuterten siebten Prinzip der verschiedenen Darstellungsformen und dem bewussten Wechsel der Darstellungsebenen von gegenständlich, über bildlich, sprachlich bis zu symbolisch, können die Lerner/innen zum Verstehen und Verwenden der jeweiligen spezifischen Darstellungsformen des Faches befähigt werden (vgl. Leisen 2010: 34–35).92 Der bewusste Einsatz dieser Sprachenvielfalt nach Leisen kann dabei helfen, den Verstehens- und Formulierungsprozess der Schüler/innen zu stützen. So erläutert Leisen (2010: 40): „Der Wechsel der Darstellungsformen muss einen didaktischen Mehrwert haben, das Verstehen und die Sprache fördern und zur didaktisch sinnvollen Beschäftigung mit dem Sachverhalt herausfordern.“ So können Zeichnungen und Skizzen auf der Ebene der bildlichen Darstellung eine Brücke bilden zwischen der gegenständlichen und sprachlichen Darstellung (vgl. ebd.). Der Wechsel der Darstellungsebenen93 ist nicht neu, denn insbesondere im Fremdsprachenunterricht wird das Bild als Semantisierungshilfe zur Differenzierung eingesetzt, wenn es darum geht, die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Wissen und der eingeschränkten Sprachkompetenz der Lernenden zu überbrücken (vgl. Scherling/Schuckall 1992: 12). Allerdings muss im Hinblick auf den unterstützenden Wechsel zur bildlichen Darstellungsebene darauf hingewiesen werden, dass Bilder häufig zur Semanti-
|| 92 Das sechste Prinzip der sprachlichen Eigentätigkeit durch Handlungsorientierung wird im Zusammenhang mit dem neunten Prinzip der Aufgabenorientierung erläutert. 93 Schon im Orbis pictus nutzt Comenius (Erstausgabe 1652) die bildlich-räumliche Darstellung, um beispielsweise den Wasserkreislauf für Schüler/innen zu erläutern (vgl. Comenius 1781).
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sierung eingesetzt werden, ohne dass mit Hilfe einer eingehenden Analyse mögliche Verstehensfallen ausgelotet worden sind. Denn wie im ersten Teil bereits erläutert, sind Bilder aufgrund ihrer vielfältigen formellen Mittel, aber auch aufgrund der Verweise auf unterschiedliche kulturelle Zusammenhänge mehrdeutig. Insbesondere dann, wenn sie wie in vielen Schulbüchern als vermeintliche Hilfen eingesetzt werden, die Bildbotschaften aber nicht mit den Inhalten und Zielen der Sachtexte korrelieren, können dadurch Missverständnisse entstehen. Zudem sei darauf hingewiesen, dass es neben dem strukturierten Ausbau der sprachlichen Kompetenzen eine visuelle Progression gibt. So haben Analysen zum Einsatz von Leisens Material (vgl. 2010: 197–203) zum Wechsel der Darstellungsformen ergeben, dass eine Auseinandersetzung ohne vorige Einführung der jeweiligen Abstraktionsebene, z. B. symbolisch oder mathematisch, eher zur Verwirrung führen kann, wenn u. a. keine Hinweise zur Einbettung in den Unterrichtskontext vorliegen. Die Rezeption von bildlich-schematischen Darstellungen verlangt zahlreiche kognitive Prozesse und zudem Strategien zur Entschlüsselung der Bildbotschaft. Die Erarbeitung dieser Kompetenzen erfordert Zeit und Übung und kann nicht vorausgesetzt werden (vgl. Kapitel 5 u. 6). Gegen den steigenden und vermeintlich unterstützenden Bildeinsatz und die Reduktion von Texten, insbesondere in Lehrwerken für den Fachunterricht, wenden sich u.a. Beese, Benholz, Chlosta, Gürsoy, Hinrichs, Niederhaus und Oleschenko (vgl. 2014: 123): „Denn eine unsystematische Einbindung von Bildern steht einer gezielten sprachlichen und fachlichen Förderung entgegen. Weniger Texte und mehr Bilder führen weder zu einer besseren Sprachkompetenz noch zu einem vereinfachten Wissenserwerb.“ (ebd.) Der Wechsel der Darstellungsebenen im Kunstunterricht ist integraler Bestandteil und hier geht es darum, die Bildwahrnehmung und die daraus resultierende Deutung bewusst zu machen und durch ein Sprechen darüber zu präzisieren und zu erweitern. Dieser Wechsel ist folglich im Kunstunterricht nicht nur ein sprachdidaktisches Werkzeug, sondern der Wechsel sowie die Rezeption Darstellungsformen unterschiedlicher Abstraktionsgrade sind Gegenstände des Kunstunterrichts (vgl. Kapitel 1.2). Gerade aufgrund des vielseitigen Einsatzes unterschiedlichster Bildformen in Verbindung mit der sprachlichen Realisation ist der Kunstunterricht genuin ein Ort, an dem sprachsensibel im Sinne einer bewussten Vielfalt der Darstellungsformen gearbeitet wird und der Grundstein für das Decodieren der Bilder in anderen Fächern gelegt wird. (8) Das achte Prinzip der sprachlichen Unterstützung bezieht sich auf die von Leisen zusammengestellte Sammlung von Methoden-Werkzeugen für die sprachsensible Arbeit im Fachunterricht. Da sich Leisen bei der wissenschaftlichen Begründung seiner Handreichungen und didaktisch-methodischen Vorgaben auf
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den Ansatz den Scaffolding nach Gibbons (2002) bezieht, der im Folgekapitel erläutert wird, sei an dieser Stelle lediglich darauf verwiesen, dass Leisens Werkzeuge erst nach einer vorigen Analyse und eingebettet in einen Unterrichtszusammenhang mit einem Einstieg und einer entsprechenden Erarbeitungsphase eingesetzt werden sollten. Denn die Aufgaben sind teils sehr komplex und erfordern, dass die Lerner/innen verschiedene Lernstrategien schon beherrschen (vgl. z. B. Leisen 2010: 210–211). Leisen möchte davon überzeugen, dass die Vermittlung fachlicher Inhalte nicht unter einem zeitlichen Mehraufwand leiden muss, wenn die Sachfachdidaktik Vorrang vor der Sprachdidaktik hat (vgl. ebd.: 43). Jedoch ist es faktisch nur schwer möglich, sprachliche Kompetenzen quasi „nebenbei“ zu erarbeiten. Wenn man das sechste Prinzip der sprachlichen Eigentätigkeit durch Handlungsorientierung und das neunte Prinzip der Aufgabenorientierung berücksichtigt, dann sind Abstriche in Bezug auf den Umfang des Lernstoffes wahrscheinlich unumgänglich (vgl. Kapitel 5 u. 6). Leisen geht bei seinen Erläuterungen zu den beiden Ansätzen nicht darauf ein94, ob er sich dabei auf die Konzepte in der Erziehungswissenschaft oder in der Fremd- und Zweitsprachdidaktik bezieht, sodass im Folgenden erörtert wird, was die Orientierung an diesen Prinzipien für die Unterrichtsplanung bedeuten kann. (6) Der Ansatz der Handlungsorientierung fördert die sprachliche Eigentätigkeit der Schüler/innen, so Leisen (vgl. ebd.). Der Fokus wird im Zweitsprachenunterricht auf kommunikative Intentionen, Situationen und authentische Sprechanlässe gelegt (vgl. Barkowski/Krumm 2010: 112–113). In den Erziehungswissenschaften ist die Definition der Handlungsorientierung etwas weiter gefasst, korreliert jedoch mit der Ausrichtung in der Sprachdidaktik. Der Ansatz der Handlungsorientierung ist hier mit der Erwartung verbunden, dass die jeweilige pädagogische Praxis die Selbsttätigkeit der Adressaten/innen in den Mittelpunkt rückt. Handlungsorientiertes Lernen ist folglich durch einen hohen Anteil der Eigenaktivität der Lernenden gekennzeichnet und mit der Erwartung verbunden, dass so erworbenes Wissen nicht als träges Wissen im Gedächtnis gespeichert wird, sondern in konkreten Handlungssituationen nutzbar gemacht werden kann (vgl. Tenorth/Tippelt 2007: 306).
|| 94 Wie auch schon vorab angemerkt, bedient sich Leisen in diesen Zusammenhang wahrscheinlich unterschiedlichen Quellen, die aufgrund mangelnder Verweise nicht auf ihre Ideengeber/innen zurückgeführt werden können. Die Vermutung liegt allerdings nah, dass sich Leisen wahrscheinlich auf Ausführungen zum Fremdsprachenunterricht bezieht (vgl. Leisen 2010: 83– 90). Als Beleg für den erfolgreichen Einsatz einer „Aufgabenkultur“ im Fachunterricht für sprachschwache Lerner/innen verweist er auf Erfahrungen, wobei nicht konkretisiert wird, ob er sich auf seine eigenen Erfahrungen als Lehrkraft bezieht (vgl. ebd. 83).
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(9) Handlungsorientierung ist mit dem Ansatz der Aufgabenorientierung verbunden, da beide ihre Wurzeln in der kommunikativen Didaktik haben (vgl. Barkowski/Krumm 2010:17). Bei der Aufgabenorientierung ist Leisen zudem eine kompetenzorientierte Ausrichtung wichtig (vgl. Leisen 2010: 9; 84). Leisen (2010: 43) definiert das Prinzip der Aufgabenorientierung im Rahmen seiner Handreichungen wie folgt: Der sprachsensible Fachunterricht erfolgt nicht zur Förderung des Erwerbs isolierter Fertigkeiten, sondern basiert auf (unterschiedlich komplexen) Lernaufgaben, die die Lernenden inhaltlich, fachmethodisch und sprachlich herausfordern und zu deren Bearbeitung sie fachliche und sprachliche Kompetenzen anwenden und erweitern müssen. (Leisen 2010: 43)
Ausgehend von dieser Definition lässt sich noch nicht auf eine konkrete Vorgehensweise schließen, was auch bei einem Blick in die Literatur zum Ansatz der Aufgabenorientierung dadurch erschwert wird, dass keine einheitliche Bestimmung vorliegt. Probleme dieser Begriffsneuschöpfung „Aufgabenkultur“ sind, wie Helmke (2006: 43) bemängelt, Verschwommenheit und Beliebigkeit der „Aufgaben“: „Sie lassen sich mit sehr unterschiedlichen Inhalten füllen und suggerieren eine konzeptuelle Klarheit, von der wir in Wirklichkeit weit entfernt sind.“ In Bezug auf den Sprachunterricht werden z. B. Aufgaben als komplexe Handlungsangebote definiert, die die Lerner/innen dazu veranlassen, die Zielsprache zu verstehen und zu verwenden. Dabei gilt die Aufmerksamkeit der Bewältigung der Aufgabe, den zu lösenden Problemen, dem auszuhandelnden Sinn und nicht den sprachlichen Formen. Aufgaben sind oft aufgrund ihrer Komplexität und ihres Niveaus erst am Ende einer Lernsequenz verortet, sodass die zur Bewältigung notwendigen Teilkompetenzen zuvor erarbeitet und geübt werden können. Übungen dienen der Vorbereitung der Schüler/innen auf die Bewältigung der Aufgabe (vgl. Krumm/Barkowski 2010:17). Handlungsorientierung und Aufgabenorientierung hängen dabei insofern zusammen, als dass die Aufgaben die reale Sprachverwendung widerspiegeln und auf den sprachlichen Output ausgerichtet sind. Aufgaben sollen dabei einen Bezug zur Lebenswelt der Lerner/innen haben. In einem handlungs- und kompetenzorientierten Unterricht besteht die Herausforderung darin, Aufgaben zu formulieren, bei deren Bearbeitung die Lerner/innen gefordert sind, vorhandenes Wissen und verfügbare Fähigkeiten auf neue Weise zu verbinden (vgl. Feindt 2010: 87–88). Es geht folglich ebenfalls darum, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln, zu erproben, sie auf ihre Eignung
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zu überprüfen und sich zur Aufgabenbewältigung fehlendes Wissen und Fähigkeiten anzueignen (vgl. ebd.: 88): „Die Qualität eines kompetenzorientierten Unterrichts besteht entsprechend nicht länger darin, was durchgenommen wurde, sondern darin, welche Kompetenzen erworben wurden.“ (ebd.) Im Unterricht ist es daher notwendig, neben der Erarbeitung und Festigung der Kompetenzen durch Übungen Anforderungssituationen als Anwendungssituationen zu konzipieren, in denen die Schüler/innen ihre Kompetenzen als Performanz zeigen können (vgl. Kapitel 5). Für den Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung sollen dazu Lernaufgaben im Zentrum stehen, die integrativ die Anwendung (fach-)sprachlicher Kompetenzen gestatten und gleichzeitig individuelle Lernprozesse und Lösungswege ermöglichen. Dabei sollen wie bei Leisen die sprachlichen Aktivitäten eine zentrale Rolle spielen und die Schüler/innen sollen dazu ermutigt werden, sich sprachlich zu äußern. Leisens weitere unterrichtspraktische Vorschläge können im Rahmen des Forschungsvorhabens teils nur in stark modifizierter Form berücksichtigt werden, weil sie größtenteils ungeeignet für den Erwerb der Bildkompetenzen für den vorliegenden Unterricht in der Jahrgansstufe 5 sind.95 Seine zuvor erläuterten Leitgedanken zum sachbezogenen Sprachlernen und die von ihm vorangestellten neun Prinzipien für einen sprachsensiblen Fachunterricht stellen jedoch grundsätzlich eine gute Ausgangsbasis für die Unterrichtsplanung dar. Daher werden sie bei der Zusammenfassung in Form von Kriterien für die konkrete Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht einbezogen (vgl. Kapitel 2.5). Der sprachaufmerksame Fachunterricht nach Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher haben im Rahmen des Forschungsprojektes „Didaktisches Coaching für den Unterricht in mehrsprachigen Klassen“ (2010–2012) im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Bildung und Frauen die Grundlagen für einen sprachaufmerksamen Fachunterricht in sprachlich heterogenen Klassen sowie ein Ausbildungscurriculum für Sprachcoaches entwickelt. || 95 Anzumerken ist hier ebenfalls, dass Leisens Ausführungen, beispielsweise zu den zehn fachsprachlichen Übungen im weiteren Sinne, zu seinen zuvor vorangestellten Prinzipien im Widerspruch stehen. So schlägt er hier (vgl. ebd.: 182) Umformungsübungen von Adjektiven oder die Übung von Passiversatzformen und andere komplexe Strukturübungen vor, während er sich auf der anderen Seite gegen das explizite Üben von Grammatik wendet.
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Dadurch soll „eine Sensibilisierung und Professionalisierung von Lehrkräften aller Fächer im Hinblick auf ihr sprachliches und sprachdidaktisches Handeln im Unterricht erfolgen, um Sprache als ein Instrument des Fachlernens für alle SchülerInnen zugänglich zu machen.“ (Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 5) Ein besonderes Augenmerk galt dabei den zweisprachig aufwachsenden Schülern/innen. Um Aussagen zum sprachaufmerksamen Fachunterricht zu generieren, wurden 80 Unterrichtseinheiten der Fächer Mathematik, Chemie, Biologie und Umweltkunde, Geschichte und politische Bildung, Rechnungswesen und Betriebswirtschaftslehre in allgemein- und berufsbildenden Schulen in Österreich videografiert (vgl. ebd.). Die Analysen der Unterrichtsvideos dienten u. a. als Grundlage für die Entwicklung von Instrumenten für Fachlehrer/innen und Sprachcoaches zur Reflexion ihres sprachlichen sowie sprachdidaktischen Handelns. Im Projekt wurden darüber hinaus Interviews mit Direktoren/innen, Lehrkräften und Lernenden geführt und eine Fragebogenerhebung mit 3500 Schülerinnen und Schülern sowie 300 Lehrkräften durchgeführt, um Aussagen im Hinblick auf die Qualifizierung und Professionalisierung von pädagogischem Personal im Umgang mit Sprache im Fachunterricht zu gewinnen (vgl. ebd.). Die daraus resultierenden didaktischen Leitlinien und Konzepte für einen sprachaufmerksamen Fachunterricht sind theoretisch und empirisch fundiert. Das didaktische Konzept verfolgt die übergreifenden Ziele, dass Sprache im Fachunterricht „bewusst“ verwendet und die Schriftsprache gefördert wird (vgl. ebd. 22). Bevor die einzelnen Punkte des Konzeptes in Bezug auf die integrierte Sprachbildung im Fachunterricht Kunst erörtert werden, werden die sieben Leitlinien für einen sprachaufmerksamen Fachunterricht zunächst aufgelistet: 1. Im sprachaufmerksamen Fachunterricht findet integriertes Sprach- und Fachlernen statt. 2. Im sprachaufmerksamen Fachunterricht ist die Sprachverwendung durch Sprachaufmerksamkeit und Sprachreflexion geprägt. 3. Im sprachaufmerksamen Fachunterricht findet aktives und authentisches Sprachhandeln statt. 4. Im sprachaufmerksamen Fachunterricht sind sprachliche Anforderungen explizit und transparent. 5. Im sprachaufmerksamen Fachunterricht erfolgt eine systematische sprachliche Unterstützung. 6. Im sprachaufmerksamen Fachunterricht spielt Schriftsprachlichkeit eine zentrale Rolle. 7. Im sprachaufmerksamen Fachunterricht spielt Schreib- und Textarbeit eine zentrale Rolle. (Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 22–23)
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Im Vergleich zu den von Leisen (vgl. 2010: 43) vorgegebenen Prinzipien sind die aus dem österreichischen Projekt resultierenden Leitlinien zwar auf den ersten Blick ähnlich, aber hier wird im Unterscheid zu Leisens didaktischem Grundgerüst der Versuch unternommen, diese Leitlinien96 durch konkret beobachtbare Merkmale, sogenannte Indikatoren und Beispiele aus der Unterrichtsdokumentation zu konkretisieren (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 23). (1) In Bezug auf die erste Leitlinie beziehen sich Schmölzer-Eibinger und andere (vgl. 2012b: 21; 2013: 24) explizit auf das Konzept der durchgängigen Sprachbildung (Gogolin 2011b) sowie auf Leisens (2010) erstes Prinzip zur Gleichzeitigkeit von Sprach- und Fachlernen. (1 u. 2) In Verbindung mit der zweiten Leitlinie wird ausgeführt, dass Lehrkräfte auf ihren Sprachgebrauch achten sollen, der durch eine präzise Sprachverwendung gekennzeichnet sein sollte (vgl. Schmölzer-Eibinger 2013: 24). Wie auch Leisen und Gogolin weist Schmölzer-Eibinger (vgl. ebd.) darauf hin, dass Verstehens- und Lernprozesse durch didaktische Verfahren und Aufgabenstellungen unterstützt werden sollen. Eine solche systematische Spracharbeit kann wie in Schmölzer-Eibingers Konzept der literalen Didaktik beispielsweise durch eine Wissensaktivierung am Anfang zur selbstgesteuerten Arbeit an Texten, ihrer Konstruktion, Rekonstruktion, Fokussierung und Expansion zur Transformation führen (vgl. Schmölzer-Eibinger 2011: 191–213; Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 53–65). Das Schreiben spielt bei der Arbeit an und mit Texten eine zentrale Rolle. Schmölzer-Eibinger (vgl. ebd.: 200) entwickelt im Rahmen ihrer literalen Didaktik eine Aufgabentypologie, die über die Stufen der Wissensaktivierung, der Arbeit an Texten auf unterschiedlichen Stufen bis hin zur Texttransformation, der Herauslösung der Bedeutung aus dem Kontext des jeweiligen Textes und der Rekonstruktion in einem neuen Kontext reicht. Ihre Aufgabentypologie97 kann für die Planung und Durchführung der Arbeit mit Texten im Unterricht genutzt werden. Generell fällt bei den didaktisch-methodischen Konzepten sowohl von Leisen (2010) als auch von Schmölzer-Eibinger (2011) auf, dass die verschiedenen
|| 96 Diese Leitlinien korrelieren zudem mit dem Analysebogen für Sprachcoaches, der dazu eingesetzt werden kann, durch strukturierte Beobachtung und Analyse von Unterricht zu erkennen, inwieweit dieser den Anforderungen des sprachaufmerksamen Unterrichts Rechnung trägt (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 23). 97 So schlägt Schmölzer-Eibinger beispielsweise vor, in der Phase der Wissensaktivierung ein oder mehrere Bilder zu nutzen und die Schüler/innen alles dazu notieren zu lassen, was ihnen einfällt (vgl. ebd. 2011: 205). Diese Methode des assoziativen Schreibens oder Sprechens zu Bildern zur Aktivierung des Vorwissens ist nicht neu und dient beispielsweise in verschiedenen Unterrichtsfächern dazu, den Einstieg in das Thema motivierend zu gestalten.
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Aufgabenvorschläge, wie z. B. einen Texteinstieg in der Runde weiterschreiben (vgl. Schmölzer-Eibinger 2011: 206), einen vorgelesenen Text möglichst genau schriftlich zu rekonstruieren (vgl. ebd. 208) oder schwierige Textpassagen umformulieren und ergänzen (vgl. ebd. 212) sehr variationsreich sind und zum größten Teil in der Deutschdidaktik (vgl. Beste 2007) zum festen Methodeninventar gehören. In Bezug auf die Unterrichtsplanung und -umsetzung im Fachunterricht erfordert der Aufbau der Textkompetenzen allerdings zwischen zwei bis vier Unterrichtsstunden an Mehrarbeit, je nach Aufgabe und Wahl der Sozialform.98 (2) Die zweite Leitlinie bezieht sich auf das Bewusstmachen und Reflektieren von sprachlichen Phänomenen und hängt damit mit den Vorgaben Leisens (vgl. 2010: 43) zum Prinzip des sprachlichen Aushandelns zusammen.99 Die Sprachaufmerksamkeit kann durch Sprachvergleiche oder die Diskussion um die Herkunft der Begriffe erzeugt werden (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 27), wie bereits zuvor erläutert wurde. Auch hier verweisen Schmölzer-Eibinger und andere (vgl. ebd.: 30) wiederum auf das Schreiben zum Zweck der Sprachreflexion, da das Schreiben mehr Explizitheit und Genauigkeit als das Sprechen erfordert, was gerade für DaZ-Lernende und leistungsschwache Schüler/innen besonders gewinnbringend sein kann (vgl. ebd.: 31). Die österreichischen Autorinnen betonen außerdem, dass die Arbeit mit den Operatoren wichtig ist (vgl. 2013: 65–72), denn die Operatoren beschreiben die
|| 98 Diese Annahme basiert auf Erfahrungswerten als Deutschdidaktikerin und -lehrerin am Gymnasium. So benötigt man je nach Textlänge und Komplexität für Textrekonstruktion, -fokussierung, -expansion und -transformation zwischen zwei und vier Unterrichtsstunden, insbesondere, wenn die Schüler/innen in Gruppen arbeiten, über ihre Ergebnisse diskutieren und diese abgleichen sollen. Denn Schreiben zu und nach Texten im Unterricht erfordert sehr viel Zeit, Konzentration und Beratung. Daher, so meine Beobachtungen aus der Versuchsschule, wird das Schreiben in den Fächern in den beobachteten fünften Klassen häufig auf die Hausaufgabenzeit verschoben oder wird in kleinen Sequenzen anhand von Textteilen geübt (vgl. Kapitel 4 und 5.1). 99 Wie Eibinger (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013) und Leisen (vgl. 2010) beschreiben auch andere wie Thürmann und Vollmer (2011: 1–3; WWW-Veröffentlichung) ebenfalls in einer Checkliste zu den sprachlichen Aspekten des Fachunterrichts wesentliche Merkmale für einen sprachsensiblen Fachunterricht: Zum einen nennen sie auch die Transparenz, also Bewusstmachung der sprachlichen Anteile an den fachunterrichtlichen Zielsetzungen und Kompetenzerwartungen, zum anderen fordern sie die gezielte Unterstützung beim Erwerb von fachunterrichtlich spezifischen Mitteln, Strategien und Textsorten. Die beiden Autoren konkretisieren diese Kriterien durch konkrete Merkmalsbeschreibungen. Mit Hilfe dieser Indikatoren können sich Lehrer/innen selbst einschätzen, um ihren Unterricht zu reflektieren, zu entwickeln und zu verbessern. Es kann im Rahmen dieser Arbeit nicht auf alle Checklisten und Leitlinien für einen sprachsensiblen Fachunterricht eingegangen werden, daher sei an dieser Stelle lediglich darauf verwiesen.
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übergreifenden sprachlichen Handlungskompetenzen im Unterricht. In Aufgaben oder Handlungsaufforderungen, so bemängeln Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. 2013: 65), werden die literalen Handlungen häufig nicht konkretisiert oder nur implizit benannt (z. B. „Was verstehst du unter ...?“ statt „Definiere den Begriff ... .“). Dabei sind die Handlungsaufforderungen die Kernelemente zur Strukturierung der Unterrichtsabläufe und sollten nicht vorausgesetzt, sondern als Gegenstände des Unterrichts erarbeitet werden. Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. 2013: 65–72) entwickeln zum Ausbau der hier genannten literalen Handlungen und Handlungsaufforderungen durch Operatoren wie denen des Beschreibens, Erklärens und Begründens die prozedurenorientierte Didaktik.100 Diese Didaktik basiert auf einem Modell, welches ausgehend von Prinzipien aus dem Bereich des Scaffolding, der Sprachreflexion und der Schreibdidaktik entwickelt wurde (vgl. ebd.: 65–67).101 (3) Die dritte Leitlinie von Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und HeltenPacher (vgl. 2013: 32) bezieht sich auf die Lerner/innenaktivitäten. Im sprachaufmerksamen Fachunterricht sollte der Redeanteil der Lehrkräfte zugunsten der Schüler/innen reduziert werden. Äußerungen der Lerner/innen, die sich sonst häufig auf ein knappes Beantworten oder kurze Beiträge beschränken (vgl. ebd. 32), tragen nicht dazu bei, Sprache auszubauen und anzuwenden. „Um aktives sprachliches Handeln im Unterricht zu fördern, bedarf es Unterrichtsdialogen, die die SchülerInnen dazu anregen, auch längere, komplexe Aussagen zu produzieren.“ (ebd. 33). Dabei verweisen Schmölzer-Eibinger und andere (vgl. 2013: 33) auf Gibbons (2002: 34–39), die ausführlich in ihren Ausführungen zum Scaffolding die Dialogführung mit Kindern beschreibt (vgl. Kapitel 2.4.3). Aktives Sprachlernen im Fachunterricht kann laut Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. 2012b: 34) vorzugsweise durch kooperatives Schreiben gefördert werden und authentisches Sprachhandeln sollte durch den situativen, thematischen Bezug der Aufgaben im Fachunterricht stattfinden. Auch hier gibt es Verbindungen zu Leisens (vgl. 2010: 43) Ausführungen zum
|| 100 Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. 2013: 93–147; 2012b: 71–111) entwickeln in diesem Zusammenhang außerdem Analyseinstrumente für das didaktische Coaching in sprachlich heterogenen Klassen und einen Selbstreflexionsbogen für den sprachaufmerksamen Fachunterricht. So heißt es beispielsweise bei Schmölzer-Eibinger (et al. 2012b) zu den Kriterien Sprachverhalten und Sprachgebrauch (1) im Selbstreflexionsbogen für Lehrkräfte zu den Operatoren: „In Handlungsaufforderungen an die SchülerInnen verwende ich Operatoren (erklären, beschreiben, definieren etc.) explizit und präzise. [...].“ (ebd. 101) 101 Da im Folgekapitel (2.4.3) ausführlich auf das Scaffolding eingegangen wird, sei an dieser Stelle lediglich auf die prozedurenorientierte Didaktik verwiesen.
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sprachsensiblen Fachunterricht, der entsprechend den Prinzipien der sprachlichen Eigentätigkeit, Handlungs- und Aufgabenorientierung erfolgen soll. (4) Die vierte Leitlinie zum sprachaufmerksamen Fachunterricht von Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. ebd. 2013: 38) korreliert mit Thürmann und Vollmers (vgl. 2011: 1) Forderung nach Transparenz in Bezug auf die sprachlichen Kompetenzen. Oft, so bemängeln die Autorinnen (vgl. ebd. 38), wird nicht explizit gesagt, was von den Schüler/innen sprachlich erwartet wird, obwohl mit den geforderten Verstehens- und Erkenntnisleistungen hohe sprachliche Anforderungen verbunden sind. Daher sollten die Lehrkräfte schon zu Beginn der Unterrichtsstunde oder -sequenz sowohl die fachlichen als auch die sprachlichen Lernziele benennen (vgl. Kapitel 5) und den Schüler/innen auch Rückmeldung dazu geben, ob die sprachlichen Lernziele erreicht wurden (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 41). Thürmann und Vollmer (vgl. 2011: 2) betonen in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit, im Fachunterricht die sprachlichen Aspekte der Leistungen zu erfassen und dazu Rückmeldung zu geben. Wie die Analyse des Arbeitsbuchs Kunst I (vgl. Kapitel 2.3) in Bezug auf das Kriterium der Explizitheit und Transparenz der Arbeitsaufträge ergeben hat, sind diese Handlungsaufforderungen auch in Materialien für das Fach Kunst hinsichtlich der sprachlichen Anforderungen oft nicht explizit, mehrdeutig und somit schwer nachvollziehbar (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 41). Dies kann dazu führen, dass Unklarheit im Hinblick auf die erwarteten fachlichen sowie sprachlichen Handlungen besteht. Thürmann und Vollmer weisen ebenfalls darauf hin, dass die Angemessenheit der Unterrichtsmaterialien zu überprüfen ist und eine Abstimmung des Schwierigkeitsgrades von Texten und Aufgabenstellungen auf den Spracherwerbsstand und den Verstehenshorizont der Schüler/innen erfolgen sollte (vgl. 2011: 2). Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher zeigen zudem anhand der Analyse von Unterrichtsmitschnitten auf, dass es nicht reicht, wenn die literalen Handlungskompetenzen wie Erklären explizit benannt werden, „denn selbst wenn die SchülerInnen wissen, dass sie etwas erklären sollen, wissen sie deswegen möglicherweise noch nicht, wie [Hervorhebungen im Original] sie dies tun sollen.“ (Schmölzer-Eibinger 2013 et al.: 41) Dazu ist es notwendig, die literalen Handlungskompetenzen explizit zu behandeln. (5) Die fünfte Leitlinie bezieht sich auf die systematische Sprachunterstützung: Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. ebd.: 41) beziehen sich wie Leisen (2011) und Thürmann und Volmer (2011) bei ihren Ausführungen auf das Konzept des Scaffolding nach Gibbons (2002), welches im Folgekapitel daher ausführlich erläutert wird.
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(6) Die sechste Leitlinie hebt die Rolle der Schriftsprachlichkeit und Sprachkomplexität im sprachaufmerksamen Fachunterricht hervor. „Die SchülerInnen sollen sowohl mündlich als auch schriftlich zur Produktion längerer, kohärenter Äußerungen bzw. Texte angeregt werden, die an ihren aktuellen Sprachstand anknüpft.“ (Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 45) Dabei erfordert die Förderung schriftsprachlicher Fähigkeiten im Fachunterricht eine systematische Textarbeit (vgl. ebd. 46). Anhand von Unterrichtsmitschnitten wird aufgezeigt, wie die Lehrkräfte langsam und systematisch, ausgehend von den sprachlichen Kompetenzen der Schüler/innen, an das Verständnis von Fachbegriffen heranführen, indem Äußerungen aufgegriffen, Bedeutungen nach und nach spezifiziert und durch Erklärungen, Synonyme und Beispiele erarbeitet werden (vgl. ebd. 49). (7) Die siebte Leitlinie hebt wiederum die Bedeutung der Schreib- und Textarbeit hervor, denn insbesondere Schülerinnen und Schülern mit DaZ mangelt es an entsprechenden literalen Erfahrungen, um die anspruchsvollen Sachtexte im Fachunterricht zu verstehen und sich ausgehend von diesen Texten neue Sachverhalte zu erschließen (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 49). Sprachlich anspruchsvolle Texte sind im Fachunterricht nicht zu vermeiden, sondern vielmehr im Rahmen kleinschrittiger Textverstehens- und -verarbeitungsaufgaben zu erschließen (vgl. ebd. 50). Da das Schreiben im Fachunterricht vielfach zu kurz kommt, so Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. ebd. 50), sollte insbesondere das epistemische Schreiben bei der Erarbeitung und Verarbeitung von neuem Wissen eingesetzt werden. Beispielsweise kann das Dialogische Lernen, das von Gallin (vgl. 2006) und Ruf (vgl. 2008) zuerst für den Mathematikunterricht entwickelt wurde, angewendet werden (vgl. ebd. 50).102 Beim dialogischen Lernen halten alle Schüler/innen die Pfade ihrer individuellen oder gemeinsam gemachten Erkundungen schriftlich im sogenannten „Lernjournal“ fest (vgl. Gallin 2006: WWW-Veröffentlichung): „Beim Schreiben im Lernjournal nehmen die Lernenden eine reflexive Haltung gegenüber sich selbst ein und geben sich Rechenschaft über ihren Umgang mit fachlichen Herausforderungen.“ (Ruf/Keller/Winter 2008: 22)
|| 102 Das dialogische Lernen versucht, durch eine etwas ungewöhnlichen Hinführung in ein neues Thema einzusteigen. In einer so genannten „Kernidee“ soll die ganze Komplexität und Attraktivität des neuen Stoffgebiets gebündelt präsentiert werden. Anschließend erhalten die Schüler/innen Zeit, sich individuell mit einem zugehörigen „Auftrag“ zu befassen, um so die Probleme selbst zu erfahren, die sich im neuen Stoffgebiet stellen (vgl. Gallin 2006: WWW-Veröffentlichung). Sie notieren dazu, wie sie beim Problemlösen oder Verarbeiten von Informationen vorgehen und welche emotionalen und volitionalen Prozesse sich dabei abspielen (vgl. Ruf/Keller/Winter 2008: 21).
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Im Kunstunterricht der Sekundarstufe gibt es ebenfalls häufig „Lernjournale“, die in Form von Kunstmappen oder Portfolios dazu dienen, die eigenen Ideen zu einem Thema meist in Skizzenform oder Stichpunkten zu sichern (vgl. Kapitel 4.6). Allerdings gibt es keine Informationen dazu, ob diese Journale ferner dazu verwendet werden, das eigenen Lernen schriftlich zu dokumentieren und zu reflektieren. Da, wie bereits im ersten Kapitel dieser Arbeit dargelegt, sich sehr wenig Verallgemeinerbares zur Planung und Umsetzung des Kunstunterrichts an den weiterführenden Schulen festhalten lässt103, kann im Zusammenhang mit der Sicherung der Lernergebnisse der Schüler/innen davon ausgegangen werden, dass häufig lediglich die Produkte aus dem Kunstunterricht, die für die Leistungsbeurteilung herangezogen werden, gesammelt und beurteilt werden. Die für die Notengebung relevanten Schüler/innenleistungen sind bis zur 10. oder 11. Klassenstufe in Hessen entweder aus dem Bereich der Kunstpraxis oder mündlicher Art. Daher wird von den Lernenden erfahrungsgemäß selten gefordert, ihre Lernergebnisse oder -wege schriftlich zu sichern. In Anbindung an sechste und siebte Leitlinie von Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. ebd. 2013) sollen für den Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung die Schüler/innen dazu angehalten werden, ihre Kunstmappen nicht nur zum Sammeln der praktischen Ideen, Skizzen, Arbeitsblätter oder Tafelabschrieben zu nutzen, sondern auch ihre praktischen Experimente und Arbeiten schriftlich zu planen und zu beschreiben (vgl. Kapitel 5 u. 6).104
|| 103 An der Projektschule JvES wurde während der Pilotstudie (2009–2010) immer wieder der Kunstunterricht der 5. Klassen von Kollegen/innen besucht. Von drei Kollegen/innen, die eingesetzt waren, war lediglich eine Lehrkraft eine ausgebildete Kunstlehrkraft, die anderen beiden Lehrkräfte unterrichteten fachfremd. In allen drei Lerngruppen gab es keine Lernjournale, aber Kunstmappen in DIN-A3-Format, in denen die Bilder der Kinder gesammelt wurden. Die praktischen Themen, die vor der konkreten Umsetzung im Plenum von der Kunst-Fachlehrerin erarbeitet wurden, wurden meist mündlich oder mit einem kurzen Tafelanschrieb, selten mehr als zwei Sätze umfassend, präsentiert. Die während der Erarbeitungsphase gesammelten Ideen wurden anschließend an der Tafel gesichert und die Anleitungen zur Umsetzung häufig durch das Vormachen der Technik vermittelt. Die Schüler/innen wurden nicht aufgefordert, den Tafelanschrieb zu sichern. In den beiden Lerngruppen, in denen fachfremd unterrichtet wurde, wurden häufig Kopiervorlagen zum Basteln oder Ausmalen (Mandalas) eingesetzt. Die Vermittlung des Arbeitsauftrages fand hier ausschließlich mündlich statt. Ausgehend von diesen Beobachtungen kann festgehalten werden, dass die Text- und Schreibarbeit im Kunstunterricht an der Projektschule JvES in der Förderstufe einen geringen Stellenwert einnimmt. 104 Die Einführung der schriftlichen Dokumentation ihrer Lernwege und Lösungen im Fach Kunst ist für die Schüler/innen voraussichtlich neu. Daher ist anzunehmen, dass es Zeit, interessante und motivierende Aufgabenstellungen sowie eine für die Lerner/innen nachvollziehbare
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Anders als in anderen Fächern (vgl. Leitlinie 7; Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher 2013) ist das Lesen von längeren Sachtexten im Kunstunterricht erst ab der 10. oder 11. Klasse oder in Kunst-Leistungskursen üblich, in der Förderstufe jedoch eher ungewöhnlich. Grund dafür sind in der Sekundarstufe I die Curricula, die den Schwerpunkt auf den Erwerb der Bildkompetenz durch die Kunstpraxis legen. Das Fach Kunst ist neben Musik und Darstellendem Spiel eines der wenigen Fächer, in denen die Schüler/innen praktisch kreativ tätig werden können. Durch die Umsetzung in verschiedenen Medien und mit Hilfe von verschiedenen neu zu erlernenden Techniken können sie experimentell Erfahrungen sammeln und Ideen entwickeln. Wie im ersten Teilkapitel beschrieben, wird Kunst in Hessen nicht durchgängig in der Sekundarstufe I unterrichtet, häufig fällt der Unterricht sogar aus oder wird fachfremd vertreten, daher bleibt sehr wenig Zeit für die Erprobung und Erkundung der verschiedensten Gestaltungsmöglichkeiten. Unter diesen Bedingungen kann intensive Schreib- und Textarbeit, wie die Autorinnen Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und HeltenPacher (vgl. 2013: 50) sie im Rahmen ihrer siebten Leitlinie vorschlagen, nur erprobt werden, wenn diese zum Aufbau der Bildkompetenzen der Lernenden notwendig sein sollte (vgl. Kapitel 5). Für die Planung des Kunstunterrichts in der 5. Klasse soll daher nur auf die zuvor erläuterten Leitlinien für einen sprachaufmerksamen Fachunterricht nach Schmölzer-Eibinger, Dorner, Langer und Helten-Pacher (vgl. 2013: 22–85) zurückgegriffen werden, sofern sie dazu dienen, den Ausbau der fachlichen Kompetenzen durch die integrierte Sprachbildung zu unterstützen. Die beschriebenen didaktischen Leitlinien und Konzepte zum integrierten Sprach- und Fachlernen werden bei der Formulierung der Kriterien für die Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht berücksichtigt (vgl. Kapitel 2.5). Im Folgenden wird der Ansatz des Scaffolding, auf den sich Schmölzer-Eibinger (et al. 2013: 41–44), Leisen (2010) und andere bei ihren Ausführungen zur systematischen Sprachunterstützung im Unterricht beziehen, ausführlich erläutert, da dieser bei der Unterrichtsplanung und -umsetzung des sprachsensiblen Kunstunterrichts eine maßgebliche Rolle spielt (vgl. Kapitel 2.5; 5.3; 5.4; 6).
|| Begründung der Sinnhaftigkeit des Schreibens im Fach Kunst erfordert, damit sie sich selbstständig schriftlich mit den Lerngegenständen beschäftigen (vgl. Kapitel 5).
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2.4.3 Der Ansatz des „Scaffolding“ im Fachunterricht Inklusives bildungssprachliches Lehren und Lernen erfordert es, die Ebenen der fachlichen und sprachlichen Kompetenzförderung miteinander zu verbinden. Auf der Ebene der Unterrichtplanung ist es ausgehend von den Lernständen der Schüler/innen dementsprechend notwendig, fachliche und sprachliche Ziele explizit zu benennen und passende Vermittlungsmethoden auszuwählen, um die Lernenden auf ihre nächste Entwicklungsstufe zu begleiten. In den vorausgehenden Kapiteln wurden die fachlichen und sprachlichen Ziele diskutiert und ausgehend davon didaktisch-methodische Konzepte, Prinzipien und Leitlinien unterschiedlicher Autoren/innen erläutert. Im abschließenden Kapitel zu den Grundlagen für eine inklusive und integrative Sprachbildung soll auf den Ansatz des Scaffolding nach Gibbons (2002) eingegangen werden. Viele Autoren (Michalak 2015: 161; Kniffka 2010; Roth/Brandenburger 2010: 25; usw.), die sich mit der Sprachbildung im Fachunterricht auseinandersetzen, verweisen auf diesen Ansatz, wenn es darum geht zu erläutern, wie fachliche und sprachliche Ziele miteinander verschränkt werden können. Der Ansatz des Scaffolding wird häufig als Beispiel für eine konkrete Umsetzung der integrierten Sprachbildung herangezogen, vielleicht auch gerade deshalb, weil er für Fachlehrer/innen ohne ein linguistisches Grundlagenstudium nachvollziehbar und fächerübergreifend einsetzbar ist. Bislang gibt es zahlreiche Erprobungen des Ansatzes für unterschiedliche Fächer, allerdings wurde bislang nicht überprüft, inwieweit sich der Ansatz Scaffolding für das Fach Kunst umsetzen lässt. Daher wurden ausgewählte didaktisch-methodische Vorschläge des Scaffolding nach Gibbons (2002) im Rahmen des Praxisprojektes in den Schuljahren 2009/10 bis 2010/11 erprobt (vgl. Kapitel 5). Der Begriff des Scaffolding, engl. Baugerüst, wird in der sprach- und erziehungswissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich verwendet. In der Erstsprachenerwerbsforschung (Wood/Bruner/Ross 1976: 96) wird der Begriff zur Beschreibung der Entwicklung der Eltern-Kind-Kommunikation in den ersten Jahren gebraucht. Hier sind es sprachliche Brücken oder Hilfen, mit denen Eltern, meist die Mutter, die kindliche Interaktion unterstützen und die den Kindern vorübergehend angeboten werden, bis sie eine sprachliche Handlung selbst ausführen können. Sobald das Kind dazu in der Lage ist, wird das stützende Gerüst nach und nach entfernt. Bruner, Watson und Herrmann (vgl. 1987: 51) sprechen in diesem Zusammenhang von einem Übergabeprinzip, das in der Mutter-KindInteraktion vorherrscht. So wird von Seiten der Mutter eine Situation initiiert, in die das Kind leicht und erfolgreich einsteigen kann, in der sich die Erwachsenen allmählich zurückziehen und dann die jeweiligen Rollen dem Kind übergeben,
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wenn es fähig ist, diese auszuüben (vgl. Bruner et al. 1987: 106). Die zentrale Hypothese Bruners, Watsons und Herrmanns ist, dass es ein Hilfssystem für den Spracherwerb gibt, welches die Interaktion der Menschen so formt, dass es dem Kind möglich wird, die Sprache zu lernen (vgl. ebd.: 102). Dieses Unterstützungssystem ist nicht nur sprachlicher Natur, sondern es ist Teil eines Systems, durch welches Erwachsene ihre Kultur insgesamt weitergeben (vgl. ebd.). Das Kind wird also nicht nur im Bereich der Sprachkenntnisse trainiert, sondern auch darauf hin, die Sprache als Mitglied einer kulturellen Gesellschaft zu gebrauchen (vgl. ebd.: 107). Eine Grundlage für Bruners Konzept des Scaffolding ist Wygotskis Ansatz der Zone der proximalen oder nächsten Entwicklung. Gibbons (2002:10) verweist im Kontext des Zweitsprachenerwerbs desgleichen auf Wygotskis (1987) Ansatz der Zone der proximalen Entwicklung. Wygotski (vgl. 1987: 83–84) schreibt zu dem Problem der Altersstufen und der Dynamik der Entwicklung, dass es wichtig ist, bei einem Kind nicht nur die ausgereiften, sondern auch die reifenden Prozesse der Entwicklung zu ermitteln. Er erläutert, dass beispielsweise zwei achtjährige Kinder, die gleichermaßen die Aufgaben mit dem Standard-Schwierigkeitsgrad für Achtjährige problemlos lösen können, dazu in die Lage versetzt werden, durch Hilfen Aufgabenstellungen zu lösen, die die Grenzen ihres Intelligenzalters überschreiten (vgl. ebd.: 84). So kann ein Kind beispielsweise Aufgaben lösen, die sein Intelligenzalter um vier Jahre überschreiten, das andere um ein Jahr. Die Zone der nächsten Entwicklung umfasst folglich bei einem Kind durch die Unterstützung vier Jahre, bei dem anderen ein Jahr. Wygotski hält fest: „Was das Kind heute in Zusammenarbeit und unter Anleitung vollbringt, wird es morgen selbstständig ausführen können.“ (ebd.: 83) Dabei betont Wygotski, dass die allererste Quelle der Entwicklung der inneren individuellen Eigenschaften der Persönlichkeit des Kindes seine Zusammenarbeit mit anderen Menschen ist (vgl. ebd.: 85). Er bringt folglich in die Diskussion um das Lernen und die Entwicklung die Determinante der soziokulturellen Prägung ein. Der Lernerfolg ist abhängig von der gesellschaftlichen Beeinflussung und die Entwicklung des Individuums ist das Ergebnis seiner sozialen, historischen und kulturellen Erfahrungen. So erörtert Gibbons (2002) mit Bezug auf Wygotskis Ausführungen: Thus, as suggested earlier in this chapter, while we are all biologically able to acquire language, what language we learn, how adept we are at using it, and the purpose for which we are able to use are a matter of the social context in situations we have been in: in a very real sense, what and how we learn depends very much on the company we keep. (Gibbons 2002:8)
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Die Zone der proximalen Entwicklung ist in diesem Zusammenhang also die nächste Entwicklungsstufe, die ein/e Lerner/in durch den gesellschaftlichen Kontakt, genauer die Unterstützung der Eltern oder des/der Pädagogen/innen erreichen kann. Ausgehend von diesen Überlegungen schlussfolgert Gibbons, dass eine koordinierte und erfolgreiche Förderung Kinder und Schüler/innen dazu bringt, sich Fähigkeiten anzueignen und anzuwenden, die sie alleine nicht erreichen könnten. “Successful coordination with a partner – or assisted performance – leads learners to reach beyond what they are able to achieve alone, to participate in new situations and to tackle new tasks, or, in case of second language learners, to learn new ways of using language.” (Gibbons 2002: 8) Gibbons beschreibt dieses Unterstützungssystem, mit dessen Hilfe die Zweitsprachenlerner/innen eine nächste Entwicklungsstufe, die sie ohne Hilfe nicht erreichen würden, erreichen können, mit der Metapher Scaffolding: Scaffolding is thus the temporary assistance by which a teacher helps a learner know how to do something, so that the learner will later be able to complete a similar task alone. It is future-oriented; as Vygotsky has said, what a child can do with support, she or he can do alone tomorrow. (Gibbons 2002:10)
Lernen wird also als kollaborative Anstrengung verstanden, bei der die Interaktion mit dem Gegenüber ins Zentrum rückt und sowohl Lehrer/innen als auch Schüler/innen als gleichermaßen aktive Teilnehmer am Lernprozess beteiligt sind (vgl. ebd.: 9–10). Die Gerüste zur Unterstützung der Lerner/innen sind dabei auf das Entwicklungsziel hin ausgerichtet und nur temporär angelegt und werden, sobald dieses erreicht ist, quasi „abgebaut“. Gerade Schüler/innen, deren Erstsprache eine von der Unterrichtsprache verschiedene ist, sollen durch diese Methode unterstützt werden. Gibbons (2002) begründet ihren Ansatz des Scaffolding außer mit Wygotskis und Bruners Hypothesen mit Annahmen aus der Text- bzw. Diskursanalyse und der Zweitsprachenerwerbsforschung. So geht sie u. a. auf Hallidays und Hassans (1985: o. A.; zit. nach Gibbons 2002: 2) Arbeiten aus dem Bereich der funktionalen Linguistik ein, wenn sie die Probleme der Zweitsprachenlerner/innen in der Schule erörtert (vgl. Kapitel 2.2): Wenn Kinder ihre Erstsprache erwerben, bewegen sie sich vorwiegend in Situationen, in denen ihnen das field, das Thema, der tenor, die Beziehung zwischen dem Sprecher und Zuhörer, und der mode, die Kommunikationswege, vertraut sind (vgl. ebd.). Sie lernen entsprechend dem Kontext zu agieren, in dem sie sich gerade befinden. Wenn jedoch das Thema, die Beziehung zwischen Sprecher und Zuhörer sowie die Art und Weise der Kommunikation abstrakter, unpersönlicher, spezifischer wird und damit eher der konzeptionell-schriftlichen oder auch bildungssprachlichen Kommunikation
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(vgl. Kapitel 2.2; Koch /Oesterreicher (1985)) entsprechen, dann können die Kinder nicht auf direkte Erfahrungen, Hilfestellungen oder Rückmeldungen zurückgreifen. Dies stellt gerade für Zweitsprachenlernende nach Gibbons (2002: 5) ein Problem dar. Sie fordert daher ein Programm, in dem Scaffolding zum Einsatz kommt, um allen Kindern die Kompetenz zu vermitteln, Sprache in verschiedensten Kontexten anzuwenden: Ultimately, if second language learners are not to be disadvantaged in their long-term learning, and are to have time and opportunity to learn the subject-specific registers of school, they need access to an ongoing language focussed program across the hole curriculum. (Gibbons 2002: 5)
Durch das Scaffolding in allen Fächern werden keine konkreten Lösungen präsentiert; es geht vielmehr darum, Strategien und Techniken zur selbstständigen Erschließung zu vermitteln, von denen die Lerner/innen langfristig profitieren können (vgl. Gibbons 2002: 8). Nach Kniffka (2010; 2012), die sich auf Gibbons (2002) bezieht und ihren Ansatz in Bezug auf die integrierte Sprachbildung in Deutschland erweitert hat, wird das Scaffolding durch nachfolgende Merkmale bestimmt: 1. bedeutet eine temporäre Hilfe, die Lernende darin unterstützt, sich neue Konzepte, eine größere Verarbeitungstiefe und neue sprachliche Varietäten anzueignen. 2. befähigt Lernende dazu, das WIE (knowing how) einer (sprachlichen) Handlung zu erwerben, nicht nur WAS (knowing that) zu tun ist. Damit werden Lernende in die Lage versetzt, ähnliche (sprachliche) Handlungen selbstständig durchzuführen. 3. ist zukunftsorientiert: Was ein/e Lernende/r heute mit Unterstützung macht, kann er/sie morgen allein durchführen. (Kniffka 2012b: 214) Gibbons (2002: 10) schlägt zur Umsetzung ein aufgabenorientiertes Lernen vor, bei dem die Schüler/innen mit kognitiv herausfordernden Lernaufgaben konfrontiert werden: „Rather than simplifying the task [...], we should instead reflect on the nature of Scaffolding [Hervorhebung im Original] that is being provided for learners to carry out that task. [...] learners need to be engaged with authentic and cognitive challenging learning tasks.” Anders als zum Beispiel beim didaktisch-methodischen Ansatz SPRAAK, Sprachregister angemessen anwenden können, von Michalak (2015: 166; 178) zur Erarbeitung von fachspezifischen Formulierungen und sprachlichen Handlungsmustern, geht es bei Gibbons nicht um eine Vereinfachung des Materials und Anpassung an die Sprachstände der Schüler/innen. Vielmehr sollen durch die zeitlich begrenzten sprachlichen Hilfen in
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Verbindung mit herausfordernden Aufgaben, Strategien und Techniken zum selbstständigen Lösen der Aufgaben erarbeitet werden. Zur Umsetzung schlägt (vgl. Gibbons 2002; 2006) die folgenden vier Bausteine vor: 1. Bedarfsanalyse 2. Lernstandsanalyse 3. Unterrichtsplanung 4. Unterrichtsinteraktion (vgl. Kniffka 2012b: 215) Die ersten drei Schritte bezeichnet Gibbons (2002) als Makro-Scaffolding, den vierten Baustein als Mikro-Scaffolding. Das Mikro-Scaffolding, also die Interaktion im Klassenraum, ist durch klärende Gespräche und Zeit zum Klären von Verständnisfragen und Hypothesenbildung gekennzeichnet: „[...] kind of talk that allows learners to explore and clarify concepts or to try out a line of thought, through questioning, hypothesizing, making logical deductions, and responding to other ideas.“ (Gibbons 2002: 14) Während des herkömmlichen Dreischritts, Frage oder Impuls, Antwort und Feedback, im Rahmen der Unterrichtsgespräche im Plenum gibt es wenige Möglichkeiten, Sprachkompetenzen zu üben und auszubauen. Daher schlägt Gibbons vor, mehr Gelegenheiten zu initiieren, um sich mit dem Partner oder der Partnerin oder Gruppenmitgliedern auszutauschen und so den Sprechanteil der Schüler/innen zu erhöhen (vgl. ebd.: 17). Die Arbeitsaufträge für diese Erarbeitung und Lösung der Aufgaben und Übungen in Teams sollten so formuliert sein, dass der schriftliche und mündliche Austausch zum einen notwendig zur Lösung der Aufgabe ist, zum anderen sich auch der Sinnhaftigkeit realer Kommunikation annähert, bei der es darum geht, vom Gegenüber Informationen zu erhalten. Die Arbeit mit und an der Sprache soll nicht vereinfacht, sondern durch die bewusste Wahl der Arbeitsschritte bei der Planung verstärkt werden (vgl. ebd.: 22). Gibbons (vgl. ebd. 34) schlägt folgende Checkliste für die Planung der Teamarbeit vor: – Is talking really necessary for the task or activity to be completed? – Are content areas of the curriculum being reinforced? – Are children using stretches of language? – Is thinking involved? – Are all children involved in some way? Für die Unterrichtsgespräche zwischen Lehrer/in und Lerngruppe schlägt Gibbons vor, die Dialoge mit offenen Fragen zu beginnen, damit die Schüler/innen nicht gezwungen sind, genau das zu antworten, was die Lehrkraft hören möchte
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(vgl. ebd.: 36). Gibbons gibt zahlreiche Beispiele, wie Lehrer/innen ihre Lerner/innen ermutigen und dabei unterstützen können, ihre Fragen und Antworten ausgehend von ihren BICS zu konkretisieren und so gemeinsam an der Sprachbildung zu arbeiten. Offene Fragen sind beispielsweise: Sag uns, was du gelernt hast. Was hast du herausgefunden? Worüber möchtest du uns erzählen oder berichten? Was war für dich interessant? (vgl. ebd.: 37). Das zweite Prinzip des Mikro-Scaffolding ist, die Unterrichtsgespräche zu verlangsamen und den Lernenden ausreichend Zeit zu geben, ihre Antworten zu formulieren. So sind Formulierungen wie – Könntest du das nochmals erklären? Könntest du etwas mehr dazu berichten? Was meinst du damit genau? – dazu geeignet (vgl. ebd. 37). Die Beispieldialoge von Gibbons zeigen, dass es notwendig ist, die Hypothesenbildung der Schüler/innen in Bezug auf die sprachliche Präzisierung durch die Antworten zu modellieren und so wiederum aufzugreifen und zurückzugeben (vgl. ebd.: 38). Wenn ein neuer Unterrichtsgegenstand eingeführt wird, ist es von Bedeutung, dass die Lerngruppe im Rahmen der Einführung die neuen bildungs- und fachsprachlichen Bezeichnungen und Konzepte zum Thema erfasst hat: „Note that in this classroom the new language introduced by the teacher occurred after students had already developed some understanding of key concepts through the small-group work, and so new language was more really interpretable by the students.“ (Gibbons 2002: 49) Im Rahmen einer vorentlastenden Gruppenarbeit können Schüler/innen sich beispielsweise über neue Sachverhalte, Experimente und ihre Vermutungen austauschen, sodass sie ihre eigenen sprachlichen und fachlichen Fähigkeiten aktivieren können (vgl. ebd.: 50) (vgl. Kapitel 5). Gibbons beschreibt ausführlich, wie man die Arbeit an Texten und das erfolgreiche und kooperative Schreiben mit Zweitsprachenlernenden so gestalten kann, dass die Schüler/innen durch Vorentlastung, verschiedene Erarbeitungsschritte und Übungen sukzessive in die Lage versetzt werden, Kompetenzen zu erwerben und anzuwenden (vgl. ebd. 40–101). Außerdem beschreibt sie, wie man das Hörverstehen und Sprechen der Schüler/innen unterstützen und ausbauen kann (vgl. ebd.: 102–117). Zahlreiche Methoden sind aus dem Bereich der Fremdsprachdidaktik und -methodik bekannt. Diese Methoden und Übungen aus den Bereichen der verschiedenen Fertigkeitstrainings auf den Fachunterricht zu übertragen ist
162 | Sprachkompetenzen im Fachunterricht: Bedarf und Vermittlung
sinnvoll, denn auch hier geht es um das Erlernen einer den Schüler/innen bislang nicht vertrauten Sprache (vgl. Kapitel 2.4.2).105 Im Bereich des Makro-Scaffolding geht es um die Planung der integrierten Sprachbildung im Fachunterricht (Gibbons 2002: 121). Zwei Leitfragen, die bei der Planung des Praxisforschungsprojektes herangezogen wurden (vgl. Kapitel 5.3 und 5.4), sind zu Beginn der Unterrichtsplanung zu stellen: What are the language demands of the curriculum? (Bedarfsanalyse) What do children currently know about language, and what are their language learning needs? (Lernstandsanalyse) Mit der Beantwortung der ersten Frage sollen zwei Dinge erreicht werden: Zunächst sollen die sprachlichen Anforderungen rund um die Sache oder das Thema durch eine Analyse benannt werden (vgl. Kapitel 5.3.1 und 5.4.1). In Verbindung damit geht es darum, was konkret die Lerner/innen benötigen, um sich fachlich und sprachlich mit dem Themengebiet zu beschäftigen. Als Nächstes sollen Gegenstandsbereiche definiert werden, in deren Rahmen es möglich ist, die sprachlichen Kompetenzen der Lerner/innen zu fördern (vgl. ebd.: 121) (vgl. Kapitel 5.3.2 und 5.4.2). Es geht also darum, die Sachstruktur des Themas, der Fragestellung oder inhaltlichen Anforderungen zu beschreiben und zu analysieren, inwieweit fachintegrierte Sprachbildung zum Erreichen der fachlichen Zielsetzung notwendig ist. Um die sprachlichen Herausforderungen und Chancen eines Themas aufzudecken, empfiehlt Gibbons (vgl. 2002: 122) folgende Leitfragen: What spoken language demands will be there? If there are currently not many opportunities for spoken language, where can oral tasks be included? What listening tasks will be there? What kind of listening do they involve: one-way? two-way? interpersonal? transactional?106
|| 105 In diesem Kapitel werden die Übungsvorschläge allerdings nicht im Detail erläutert. Sollte im Rahmen der Unterrichtsplanung auf die von Gibbons vorgestellten Methoden des Mikro-Scaffolding zurückgegriffen werden, werden diese im Kapitel 5 anhand von Beispielen aus dem Kunstunterricht erläutert. 106 Im Rahmen des interaktionalen Diskurses ist der/die Schüler/in gleichzeitig Zuhörer/in und Gesprächsteilnehmer/in. Er oder sie muss sich gleichzeitig auf die Entschlüsselung des Beitrags der anderen Teilnehmer/innen konzentrieren, während er/sie mit der Sprachproduktion beschäftigt ist. Diese Situation stellt eine höhere Anforderung als der transaktionale Diskurs dar, in dem der oder die Schüler/in sich alleine in der Rolle der oder des Zuhörers/in befindet. Bei medial vermittelten Texten besteht zudem die Möglichkeit, den Text mehrfach zu hören.
Didaktisch-methodische Konzepte zwischen Sprachbildung und -förderung | 163
If there are currently not many tasks, what specific listening activities could be included? What texts will students be reading? What are the possible linguistic and cultural barriers students may encounter? How can texts be made accessible to students? Do reading tasks aim to increase readers’ reading strategies, and students’ knowledge about language? If there are few reading texts, are there others that could be included? What are the writing text types that will occur or what text types could be included? What is the schematic structure of these text types? What kind of connectives occur in these text types? If there are few written tasks, what text types would be relevant and could be included? What aspects of grammar [...] does the topic require students to use? What specific vocabulary does the topic require students to know? Da Gibbons (2002) bei den Unterrichtsbeispielen nicht auf die Anforderungen und Gegenstände im Fach Kunst eingeht, werden die Analysefragen im Kapitel 2.5 nur teilweise für die zusammenfassende Darstellung der Planungskriterien für den Kunstunterricht mit fachintegrierter Sprachbildung berücksichtigt und adaptiert (vgl. Kriterien zur Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht; Kapitel 2.5). Wie diese Kriterien bei der konkreten Planung und Umsetzung für den Kunstunterricht der 5. Klasse im Rahmen der Sachanalyse und didaktischen Überlegungen angewendet werden, wird anhand von konkreten Beispielen aus dem Kunstunterricht im Kapitel 5 aufgezeigt. Vorweggenommen sei jedoch in Bezug auf oben genannte Leitfragen zur Textanalyse nach Gibbons (vgl. 2002: 122), dass im Kunstunterricht der Klasse 5 nach den curricularen Vorgaben selten Lesetexte zur Grundlegung einer gemeinsamen Wissensbasis eingesetzt werden. So ist auch das Schreiben zu oder nach Bildern eher Gegenstand des Deutschunterrichts, aber kein explizit vorgegebenes Thema im Kunstlehrplan für die Klasse 5. Hier stellt sich die Frage, inwieweit man den Kunstunterricht durch den Einsatz von Lesetexten und Schreibaufgaben so anreichern könnte, dass der Ausbau der Bildkompetenzen unterstützt wird. Gibbons fordert, dass durch Lernstandsanalysen Informationen zu den sprachlichen Fähigkeiten der Schüler/innen gewonnen werden sollen. Gibbons betont hier, dass es nicht um das Überprüfen im Sinne des Testens, sondern darum geht, Informationen zu den vorhandenen Kompetenzen zu gewinnen, um
164 | Sprachkompetenzen im Fachunterricht: Bedarf und Vermittlung
die Schüler/innen beim Lernen zu unterstützen (vgl. Gibbons 2002: 123). Dabei handelt es sich folglich um eine formative, also fortlaufende oder den Lernprozess begleitende Evaluation, die mit der Absicht durchgeführt wird, Informationen über die sprachliche Entwicklung der Schüler/innen zu gewinnen. Gibbons (vgl. ebd.: 125) schlägt beispielsweise vor, dass man die Schüler/innen dabei beobachten soll, wie sie miteinander arbeiten und dabei interagieren. Die informelle Beobachtung der Unterrichtsgespräche und die Analyse der Ergebnisse beim Hören, Lesen oder der Bearbeitung von schriftlichen Aufgaben gehören ebenso dazu wie Arbeitsportfolios oder Lernportfolios und die Selbsteinschätzung der Lernenden (vgl. Kapitel 5.3.3; 5.4.3). Zudem schlägt Gibbons vor, auch detaillierte und systematische Analysen der Sprachkompetenzen vorzunehmen und dazu spezielle Aufgaben zu stellen (vgl. Kapitel 4.3; 4.6). So könnte man etwa das Leseverstehen mit einem Cloze Test (im Folgenden: C-Test) (vgl. Kapitel 4.3.2) überprüfen. Wie Informationen zu den konkreten fachlichen und sprachlichen Kompetenzen für die Planung des Kunstunterrichts gewonnen werden, wird im Kapitel 4 erläutert. Im Kapitel 5 werden die Qualifikationen, die zum Erreichen der konkreten fachlichen Ziele notwendig sind, im Rahmen der Analysen der Unterrichtsgegenstände und der didaktisch-methodischen Überlegungen erläutert und in Bezug zu den Fähigkeiten der Lernenden gesetzt. Denn erst, wenn durch eine Analyse festgestellt wurde, welche sprachlichen Anforderungen sich für die jeweilige fachliche Kompetenz in Zusammenhang mit dem Unterrichtsgegenstand ergeben, können die möglichen, zu vermittelnden sprachlichen Qualifikationen antizipiert werden. Wichtig ist im Zusammenhang mit der Diagnose der sprachlichen Leistungen, dass es nicht darum geht, diese nur eingangs und am Ende der Untersuchung oder der Unterrichtseinheit oder -sequenz zu erheben, sondern, dass versucht werden sollte, während des Unterrichts begleitend darauf zu achten, welche Fähigkeiten die Lerner/innen mitbringen und welche Bedarfe sie darüber hinaus haben. Ausgehend von ihren Ausführungen zur Bedarfs- und Lernstandsanalyse geht Gibbons auf die Frage nach der konkreten Planung einer Unterrichtseinheit ein, die das sprachliche mit dem fachlichen Lernen zu verbinden sucht (vgl. ebd. 128). Bevor sie beschreibt, was genau bei der Planung zu beachten ist, verweist sie auf folgende allgemeine pädagogische Prinzipien nach Cummins (2000: o. A.; zit. nach Gibbons 2002: 128): 1. A focus on meaning 2. A focus on language 3. A focus on use
Didaktisch-methodische Konzepte zwischen Sprachbildung und -förderung | 165
Das erste Prinzip verlangt, dass der Input für die Schüler/innen bedeutungsvoll und verständlich ist und zudem eine Entwicklung von Literalität ermöglichen sollte. Das zweite Prinzip umfasst die Reflexion und Bewusstmachung von sprachlichen Strukturen und ihrem Gebrauch. Die Schüler/innen sollen in die Lage versetzt werden, Sprache zu analysieren und sich so ihre Zusammenhänge zu erschließen (vgl. ebd.: 128; vgl. Kapitel 2.4.2; Sprachreflexion). Das dritte Prinzip beschreibt den Anwendungsbereich: Sprache sollte dazu verwendet werden, Erlerntes zu transformieren und neues Wissen zu generieren (vgl. ebd.: 129). Zur Planung des sprachaufmerksamen Unterrichts empfiehlt Gibbons (2002: 129–130), dass die Informationen zu den sprachlichen Kompetenzen der Lerner/innen und das sprachliche Inventar, welches zur Bearbeitung des Themas erforderlich ist, zueinander in Beziehung gesetzt werden. Daraus ergeben sich die Aktivitäten zur integrierten Sprachbildung (vgl. Kapitel 5.3.2; 5.4.2). Diese Scaffolding-Aufgaben und -Übungen sollten so formuliert sein, dass sie den Schüler/innen ermöglichen, sich selbstständig einen Zugang zur Sprache in Verbindung mit den fachlichen Zielen zu erarbeiten. So schlägt Gibbons zahlreiche Partner- und Gruppenaktivitäten, wie z. B. „Hot seat“, „Jigsaw reading“ oder „Find the difference“ vor, um die Schüler/innen gemeinsam neue sprachliche Kompetenzen rund um ein Fachthema erarbeiten und üben zu lassen (vgl. Gibbons 2002: 141–151)107. Am Ende der Unterrichteinheit oder -sequenz sollte der Unterricht mit Hilfe der folgenden Fragen evaluiert werden: – Did the program build on and link to what children already know? – Did teaching and learning tasks sufficiently extend learners beyond what they could already do? – Was adequate and appropriate Scaffolding provided so that tasks could be successfully completed? – Is there evidence that children have developed new concepts or reached new levels of understanding, such that they will be able to use these in new contexts and for their own purposes? (Gibbons 2002: 132)
|| 107 Im Glossar beschreibt Gibbons (2002) ausführlich, welche Methoden, wie z. B. das „Jigsaw reading“ oder „Dictogloss“, sich dazu eigenen, im Fachunterricht auf kreative und motivierende Art und Weise an dem Ausbau der Sprache zu arbeiten. Erläuterungen zu den einzelnen Vermittlungsmethoden aus dem Bereich des Fremdsprachenunterrichts finden sich auch auf den folgenden Seiten des British Councils (https://www.teachingenglish.org.uk/article/jigsaw-reading (Zugriff: 22.08.2019)).
166 | Sprachkompetenzen im Fachunterricht: Bedarf und Vermittlung
Durch diese Fragen wird deutlich, worum es Gibbons geht: Der Unterricht mit integrierter Sprachbildung sollte erfahrungs- und erfolgsorientiert angelegt sein und sollte Schülern ermöglichen, das Wissen auf neue Zusammenhänge anzuwenden. Neben diesen allgemeinen Ausführungen geht Gibbon auf die Frage ein, welche Rolle die Phonetik, die Orthografie und die Grammatik bei der Vermittlung im Fachunterricht spielen sollten. Sie weist auf die Notwendigkeit hin, sich im Fachunterricht ferner mit der Sprachreflexion und in diesem Zusammenhang mit den sprachlichen Teilfertigkeiten auseinanderzusetzen. Dabei sollten drei Prinzipien beachtet werden: 1. Move from the whole to the part. 2. Move from the meaning to the form. 3. Move from the familiar to unfamiliar. (Gibbons 2002: 133) Wie bereits bei den Ausführungen zu Leisens (2010) Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts deutlich geworden ist, bestimmen der ausgewählte Unterrichtsgegenstand und die fachlichen Lernziele die integrierte Sprachbildung und auch die Fokussierung auf die jeweiligen sprachlichen Formen (vgl. Kapitel 2.4.2). Gibbons beschreibt den Prozess einer solchen sprachaufmerksamen Unterrichtsplanung und Durchführung im übertragenen Sinne mit der Metapher des Fernglases (vgl. Gibbons 2002: 133): Bevor der Betrachter nicht das ganze Bild oder die ganze Landschaft erfasst hat, wählt er keinen Ausschnitt zur detaillierten Betrachtung aus. Durch den Blick des Fernglases kann der Betrachter sich einem Ausschnitt des Ganzen zuwenden und diesen genauer untersuchen. Die Wahrnehmung, hier gleichgesetzt mit dem Lernen im Klassenraum, wird also auf ein Detail des Ganzen gerichtet, welches im Gesamtzusammenhang wichtig ist und dessen konkrete Betrachtung und Analyse sich auf den Kompetenzerwerb insgesamt positiv auswirkt (vgl. ebd.: 134). Gibbons (vgl. ebd.: 138) betont, dass es im Rahmen des Scaffolding im Fachunterricht wichtig ist, dass die Lerner/innen die Sprache lernen, während sie sie schon nutzen, und sich Wissen über die Sprache aneignen, wenn der Fokus auf der Sprachreflexion oder Bewusstmachung der Funktion und Bildung der sprachlichen Strukturen und ihrer Bedeutung liegt. Sie fasst am Ende ihrer Ausführungen zur Unterrichtsplanung und -durchführung der integrierten Sprachbildung dies folgendermaßen zusammen:
Didaktisch-methodische Konzepte zwischen Sprachbildung und -förderung | 167
In an integrated curriculum, children learn language, learn through language, and learn about language. They learn language in the process of using it. They learn through language when they use it to construct knowledge across all areas of the curriculum. And they learn about language when there is a focus on ,language as object‘. In a well-planned integrated program, all three of these aspects of language development have the potential to be brought together. (Gibbons 2002: 138)
Kniffka (vgl. 2012b: 221), die Gibbons Ansatz des Scaffolding auf das Deutschlernen im Fachunterricht übertragen hat, fasst die Vorteile der integrierten Vermittlung für Zweitsprachenlernende zusammen und geht auch auf die Konsequenzen oder Nachteile, die sich daraus im Fachunterricht ergeben könnten, ein: Mehrsprachig aufwachsende Kinder und Jugendliche, die nach den Prinzipien des Scaffolding unterrichtet werden, können dem Fachunterricht besser folgen und im Rahmen des Fachunterrichts ihre Sprachkompetenz ausbauen, so Kniffka (vgl. ebd.). Allerdings erfordert ein solcher Fachunterricht mehr Zeit als ein traditionell geplanter und durchgeführter Fachunterricht (vgl. ebd.). Fachlehrer/innen könnten dadurch in einen Interessenkonflikt geraten, denn die Unterrichtsinhalte und Ziele müssten zugunsten der Spracharbeit reduziert werden (vgl. Kapitel 6; 7). Dazu kommt, dass ein Fachlehrer oder eine Fachlehrerin über die Kompetenz verfügen muss, Unterricht sprachaufmerksam zu gestalten: „Erforderlich sind neben dem fachspezifischen Wissen, Kenntnisse in der Sprachwissenschaft, vor allem mit Bezug auf die Fachsprache und Deutsch als Zweitsprache.“ (Kniffka 2012b: 221) Wichtig ist ebenfalls die Kompetenz, zwischen Fach-, Alltags- und Bildungssprache unterscheiden zu können und zu wissen, wie Zweitsprachenerwerb verlaufen kann. Für den Bereich der Bedarfsanalyse merkt Kniffka (vgl. ebd.) an, dass die Lehrkraft über die Kompetenz verfügen muss, die (fach-)sprachlichen Besonderheiten in Bezug auf den konkreten Unterrichtgegenstand und die Bedarfe der Lerngruppe zu ermitteln. Dazu ist zum einen Diagnosefähigkeit erforderlich, zum anderen die Kompetenz, Unterrichtsgegenstände nach sprachlichen Gesichtspunkten zu analysieren (vgl. Kapitel 5). Inwieweit diese Vor- und Nachteile des Scaffolding nach Kniffka (2012) für den Fachunterricht Kunst zutreffen und der Ansatz von Gibbons (vgl. 2002) im Kunstunterricht praktikabel ist, soll im Folgenden durch die Planung, Erprobung und Reflexion einer Unterrichtseinheit für den Fachunterricht Kunst in der 5. Klasse unter Berücksichtigung der Bausteine des Makro- und Mikro-Scaffolding herausgefunden werden (vgl. Kapitel 5).
168 | Sprachkompetenzen im Fachunterricht: Bedarf und Vermittlung
2.5 Kriterien zur Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht Die Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen zur Konzeption der integrierten Sprachbildung im Fachunterricht erfolgt wie Kapitel 1.8 zu den kunstpädagogischen Planungsgrundlagen ebenso in Form von Kriterien zur Unterrichtsplanung und -reflexion. Für die fachintegrierte Sprachbildung werden drei Checklisten aus dem Theorieteil abgeleitet: zunächst eine Zusammenstellung der Kriterien zur fachintegrierten Sprachbildung im Allgemeinen, eine weitere zu den bildungs-, schulund fachsprachlichen Herausforderungen und eine dritte mit den Qualitätsmerkmalen und Prinzipien zur fachintegrierten Sprachbildung. Diese Checklisten bilden einerseits die Grundlage für die Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht, andererseits dienen sie der Auswahl von Unterrichtsstunden zur ausführlichen Dokumentation aus der Unterrichtseinheit „Der gedeckte Tisch“, die insgesamt mehr als 30 Unterrichtsstunden umfasst (vgl. Kapitel 5.2). Durch die Begründung und Diskussion der fachintegrierten Sprachbildung (vgl. Kapitel 5.3; 5.4; Anhang, Teil 2) auf der Basis der aus dem vorliegenden Theorieteil abgeleiteten Kriterien kann an ausgewählten Stundenbeispielen aufgezeigt werden, wie der Kunstunterricht für die Fünftklässler nach den Prinzipien des Scaffolding geplant werden kann. Wie in Kapitel 1.8 erläutert, so gilt auch für die Checklisten zur integrierten Sprachbildung, dass es nicht darum geht, einen idealtypischen Unterricht zu planen, sondern ausgehend von den Bedarfen der Lerngruppen die Planung bewusst in Bezug auf die aktuellen Diskurse zum Scaffolding und zum sprachsensiblen Fachunterricht zu reflektieren, um die Chancen und möglichen Grenzen der Sprachbildung im Kunstunterricht aufzuzeigen (vgl. Kapitel 1.8). Kriterien zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden aus dem Bereich der fachintegrierten Sprachbildung Tab. 7: Checkliste zur fachintegrierten Sprachbildung im Allgemeinen
Bereich
Kriterium Zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
Fachintegrierte Sprachbildung
Die Unterrichtsstunde bezieht sich auf didaktisch-methodische Empfehlungen und Prinzipien zur fachintegrierten
Kriterien zur Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht | 169
Bereich
Kriterium Zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
allgemein
Sprachbildung, zum sprachsensiblen oder sprachaufmerksamen Fachunterricht.
Fachliche Anforderungen: maßgeblich für die Sprachbildung
Die sprachlichen Vermittlungsziele für die vorliegende Unterrichtsstunde werden ausgehend von der Analyse der fachlichen Anforderungen formuliert.
Verzahnung
Die fachliche und die sprachliche Vermittlung wird miteinander verzahnt.
Lerner/innenorientierung
Die fachlichen und sprachlichen Vermittlungsziele werden ausgehend von den Kompetenzen und Bedarfen der Schüler/innen ausgewählt.
Diagnose
Die individuellen sprachlichen Voraussetzungen der Lerner/innen wurden diagnostiziert und werden bei der Planung berücksichtigt.
BinnenDifferenzierung
Bei der Unterrichtsplanung werden die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lernenden durch die nach Qualität und Quantität differenzierten Übungen und Aufgaben berücksichtigt.
BinnenDifferenzierung
Die Lernenden werden bei ihren individuellen Sprachbildungsprozessen unterstützt.
Lernstrategien: Selbststeuerung
Bei der Planung der Unterrichtsstunde ist berücksichtigt, dass die Lernenden, wenn möglich, Strategien zur selbstständigen Erschließung der Sprache üben.
Bedarfe der Lernenden: Zeit
In der Unterrichtsstunde ist ausreichend Zeit für die Erarbeitung von fachlichen und sprachlichen Zusammenhängen eingeplant: Lernende haben Zeit, sich Neues anzueignen, sich fachlich und sprachlich auszuprobieren und nachzufragen.
Bedarfe der Lernenden
Die fachlichen und sprachlichen Anforderungen sind an die fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten der Lernenden angepasst.
Transparenz
Die Lernenden werden über den Gegenstand, die Inhalte und die Zielsetzung der Unterrichtsstunde/n informiert.
Lernen: Reflexion
Die Lernenden werden dazu aufgefordert, ihren Lernzuwachs zu reflektieren und ihre Bedarfe zu äußern.
170 | Sprachkompetenzen im Fachunterricht: Bedarf und Vermittlung
Tab. 8: Checkliste zu den sprachlichen Herausforderungen in den Bereichen Bildungs-, Schul- und Fachsprache
Bereich
Kriterium Zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
Bildungssprache (CALP)
Die Unterrichtsstunde ist mit Blick auf das Register „Bildungssprache“ geplant worden.
Alltagssprache (BICS)
Bei der Unterrichtsplanung wird die Verbindung von Alltags-, Bildungs- und Schulsprache berücksichtigt.
Genre-, Text- und Diskurstypen
Bei der Planung der vorliegenden Unterrichtsstunde wird analysiert, welche fachspezifischen Genre-, Text- und Diskurstypen vorliegen.
Register
Bei der Planung der Unterrichtsstunde wird analysiert, welches Register für den fachlichen Diskurs benötigt wird.
Schwerpunktsetzung: Auswahl
Bei der Planung der Unterrichtsstunde wird zur Vermittlung der bildungs-, schul- und fachsprachlichen Kompetenzen eine Auswahl entsprechend der fachlichen Schwerpunktsetzung getroffen.
BICS und CALP Hilfen
Es werden allgemein-, bildungs- und fachsprachliche Mittel bereit gestellt und entsprechend den Bedarfen der Lerngruppe modelliert.
Tab. 9: Checkliste für einen sprachsensiblen Fachunterricht nach den Leitlinien des Scaffolding
Bereich
Kriterium Zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
Fachintegrierte Vermittlung: Curriculum und Lernende
In der Unterrichtsstunde werden die fachlichen Vorgaben in Bezug auf die Lernenden und ihre fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten analysiert und begründet ausgewählt.
Fachintegrierte Vermittlung: Aufgaben
In der Unterrichtsstunde werden Lernaufgaben formuliert, die die integrative Anwendung der fachlichen und sprachlichen Kompetenzen zum Ziel haben.
Sachbezogenes Sprachlernen
Mit dem Erwerb des fachlichen Wissens und der fachlichen Fähigkeiten lernen die Schüler/innen ausgewählte sprachliche Gegenstände integriert und sachbezogen.
Kriterien zur Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht | 171
Bereich
Kriterium Zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
Unterrichtsgespräche
In der Unterrichtsstunde sind die Unterrichtsgespräche sprachsensibel und bewusst geplant und den Bedürfnissen der Lerner/innen angepasst.
Fachliche Darstellungsformen
Durch den Wechsel der Abstraktionsebenen von der Bild-, Symbol-, Alltags-, Fach- und Bildungssprache werden die Lernenden vom Verstehen an das Verwenden der fachspezifischen Darstellungsformen herangeführt.
Makro Scaffolding: Mesomethodik Einstieg
Im Einstieg wird das Vorwissen der Lernenden aktiviert. Dabei wird an die Erfahrungswelt der Schüler/innen und ihre angenommenen sprachlichen Kompetenzen angeknüpft.
Makro Scaffolding: Mesomethodik Erarbeitung Hilfen
In der Unterrichtsstunde werden nur so viele sprachliche Hilfen wie nötig zur Lösung der Übungen und Aufgaben bereitgestellt.
Makro Scaffolding: Mesomethodik Erarbeitung Semantisierung
In der Unterrichtsstunde ist eine Phase zur Erarbeitung des neuen fachlichen und bildungssprachlichen Wortschatzes eingeplant.
Makro Scaffolding: Mehrsprachigkeit als Ressource
Die Lernenden erhalten die Gelegenheit, sich in ihrer Erstsprache zunächst mit ihren Lernpartnern und -partnerinnen über die fachlichen und sprachlichen Zusammenhänge auszutauschen.
Makro Scaffolding: Semantisierung Darstellungsformen
Durch einen bewussten Wechsel von der gegenständlichen über die symbolische, bildliche bis zur sprachlichen Darstellungsform werden die Lernenden bei ihren Rezeptionsprozessen unterstützt.
Makro Scaffolding: Mesomethodik Üben und Anwenden
Die Lernenden erhalten Gelegenheit, ihre fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten aktiv zu üben, in neuen Kontexten einzusetzen und zu entwickeln.
Mikro Scaffolding: Sprachliche Mittel
Sprachliche Mittel, wie z. B. Formulierungshilfen, Wortlisten usw., werden für die Lerner/innen je nach Gegenstand und Ziel der Unterrichtsstunde bereitgestellt.
Arbeitsanweisungen: eindeutig
In der Unterrichtsstunde sind die Arbeitsanweisungen eindeutig, einfach und nachvollziehbar.
Arbeitsanweisungen: Anregung
In der Unterrichtsstunde sind die Arbeitsaufträge für die
172 | Sprachkompetenzen im Fachunterricht: Bedarf und Vermittlung
Bereich
Kriterium Zur Planung und Auswahl der Unterrichtsstunden
zum Austausch, Sinnstiftende Kommunikation
Erarbeitung der Lösungen der Aufgaben und Übungen (in Teams) so formuliert, dass der mündliche und/oder schriftliche Austausch notwendig und zur Erledigung sinnvoll ist.
Arbeitsanweisungen: differenziert
Arbeitsaufträge sind differenziert formuliert: Die Lernenden können entsprechend ihren Fähigkeiten und Kenntnissen die Aufträge und Hilfen auswählen.
Arbeitsanweisungen: Beispiele
In der Unterrichtsstunde werden die Arbeitsanweisungen anhand von konkreten Beispielen erläutert.
Mikro Scaffolding: Lerner/innenaktivierung
Der Redeanteil der Lehrkräfte wird zugunsten der Lernenden reduziert: Die Schüler/innen werden dazu angeregt, zu sprechen und komplexere Aussagen zu formulieren.
Mikro Scaffolding: UnterrichtsInteraktion Verständnisfragen
In der Unterrichtsstunde besteht die Gelegenheit, während der Unterrichtsgespräche Verständnisfragen zu klären und Hypothesen hinsichtlich der Bedeutung der fachsprachlichen Zusammenhänge zu diskutieren.
Mikro Scaffolding: UnterrichtsInteraktion Redeanteil
In der Unterrichtsstunde werden die Lernenden in Partneroder Gruppenarbeit dazu aufgefordert, sich mit ihren Teammitgliedern auszutauschen, um den Sprechanteil der Lernenden zu erhöhen.
Mikro Scaffolding: UnterrichtsInteraktion Fragen
Die Unterrichtsinteraktion im Plenum zeichnet sich durch offene Fragen aus, die es den Schülern und Schülerinnen ermöglichen, eigene Ideen und Vorstellungen zu äußern.
Mikro Scaffolding: UnterrichtsInteraktion Verlangsamung Antworten
Bei Unterrichtsgesprächen im Plenum haben die Schüler/innen ausreichend Zeit, ihre Antworten zu formulieren und zu geben. Durch Nachfragen in Form von „Könntest du das nochmals erklären?“, „Was meinst du genau damit?“ werden die Lernenden dazu anregt, ihre Gedanken zu erklären und ihre Formulierungen zu präzisieren.
Da bei der Planung und Umsetzung des Praxisforschungsprojektes nicht nur die fachlichen und sprachlichen Konzepte und Prinzipien zu berücksichtigen sind, sondern pädagogische Prinzipien zu „gutem“ Unterricht auch die Basis des Lehrens und Lernen im Kunstunterricht bilden, werden im folgenden Kapitel 3 des Theorieteils dieser Arbeit die allgemeinpädagogischen Grundlagen erläutert.
3 Prinzipien und Merkmale „guten“ Unterrichts Grundlegend für die Planung und Umsetzung des Praxisforschungsprojekts sind nicht nur die fachspezifischen Ansätze, Prinzipien und Merkmale108 der Kunstund Sprachvermittlung (vgl. Kapitel 1 u. 2), sondern auch pädagogische Richtlinien für guten Unterricht und professionelles Lehrer/innenhandeln. Die Annahmen, was guten Unterricht und erfolgreiche Lehrkräfte ausmacht, werden oft in differenzierten Modellen dargestellt (vgl. Lipowski 2007: 27). Diese haben den Zweck, einen Überblick über die zum Lernerfolg beitragenden Variablen zu geben und eine Hilfe bei der Erklärung der Wirkmechanismen von Unterricht zu sein. Unterricht wird in diesen Modellen als ein Angebot von Lerngelegenheiten betrachtet, die dann wirken, wenn die Lernenden diese Angebote in einer bestimmten Art und Weise wahrnehmen, nutzen und verarbeiten. Die Differenz zwischen Lerngelegenheit und Lernen kommt ebenso wie die Vorstellung von Lerngelegenheit als Möglichkeitsraum im so genannten Angebots- und Nutzungsmodell der Unterrichtsforschung zum Ausdruck, das Fend (1981), Helmke und Weinert (1997) und Helmke (2003) entwickelt haben (vgl. Baumert/Kunter 2006: 476). Helmke erklärt, dass das Modell die Stellschrauben benennt, „an denen Lehrer und Schüler drehen können, um den Lernerfolg zu erhöhen“ (Helmke 2007: 62). Die Sichtweise auf den Unterricht als ein Angebot betont das konstruktivistische Element des Lehr-Lernprozesses, da der Unterricht nicht notwendigerweise zu Wirkungen führt (vgl. Abb. 11; rechter Kasten des Modells). Die Wirksamkeit für das Lernen hängt davon ab, ob und wie die Erwartungen der Lehrkraft sowie die unterrichtlichen Maßnahmen von den Schülern und Schülerinnen wahrgenommen und wie sie von ihnen interpretiert werden und des Weiteren, ob und zu welchen motivationalen, emotionalen und volitionalen Prozessen sie bei den Schüler/innen führen (vgl. Helmke 2014: 71). Helmke spricht hier auch von Mediationsprozessen (vgl. Helmke 2014: 71).
|| 108 Die Begriffe Prinzipen, Ansätze, Konzepte und Merkmale werden meist gleichbedeutend in der Diskussion um Unterrichtsqualität verwendet. Zwar suggerieren Begriffe wie Konzept, Prinzip oder Ansatz eine einheitliche theoretische Basis, diese gibt es jedoch im Bereich der pädagogischen Diskussion bislang nicht (vgl. Helmke 2014: 168). Auch im Bereich der Fachdidaktik Kunst werden diese Begriffe nicht trennscharf verwendet. Gemeinsam ist diesen Begriffen, dass es immer darum geht, Aspekte der erfolgreichen Vermittlung und des Lernens zu beschreiben, diese unter Leitpunkten zusammenzufassen, sodass sie einen Orientierungsrahmen für die Planung und Durchführung von Unterricht bieten. Diese thematische Bündelung von Aspekten wird auch unter dem Begriff Orientierung gefasst (z. B. Erfolgsorientierung). https://doi.org/10.1515/9783110687026-004
174 | Prinzipien und Merkmale „guten“ Unterrichts
Der Nutzen des Unterrichtsangebots hängt von einer Vielzahl dazwischenliegender Faktoren ab, wie beispielsweise von den individuellen Eingangsbedingungen, den Vorkenntnissen, den Lernstrategien und der Motivation der Schüler/innen und vom Klassenkontext.
Abb. 11: Angebots-Nutzungs-Modell der Wirkungsweise des Unterrichts (Helmke 2014: 71)
Die kognitiven, motivationalen und emotionalen Voraussetzungen der Lernenden, die den Schulerfolg beeinflussen und die Verarbeitung der unterrichtlichen Lehrangebote bestimmen, sind entsprechend auf einer Seite im Modell angeordnet; die andere Seite des Lernerfolgs wird bestimmt durch die Lehrenden, die Qualität und die Quantität ihrer Angebote, ihren fachlichen, fachdidaktischen und pädagogischen Kompetenzen sowie ihren Überzeugungen. Im AngebotsNutzungs-Modell werden noch weitere Ebenen des Unterrichts einbezogen (vgl. Lipowski 2007: 27): So bestimmen die Zusammensetzung der Klasse, ihre sozialen und kognitiven Merkmale, die familiären und peer-bezogenen Voraussetzungen der Lernenden und auch die kulturellen, ökonomischen und schulischen Bedingungen den Schulerfolg. Baumert und Kunter (vgl. 2006: 477) ergänzen in Bezug auf das AngebotsNutzungs-Modell, dass das professionelle Handeln von Lehrkräften sich unter doppelter Unsicherheit vollzieht, da unterrichtliche Lerngelegenheiten immer
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das Ergebnis sozialer Ko-Konstruktion sind, an denen Schüler/innen und Lehrkräfte beteiligt sind. Das angemessene Modell der Unterrichtsforschung, so Baumert und Kunter (vgl. ebd.), ist demnach ein Opportunitäts-Nutzungsmodell mit doppelter Kontingenz. Lehrerhandeln ist strukturbedingt nicht technisch-instrumenteller Natur betonen Baumert und Kunter und machen zudem deutlich, dass das Lehrer/innenhandeln nicht standardisierbar und einer gewissen Erfolgsunsicherheit ausgesetzt ist (vgl. ebd. 478). Untersuchungen zur Lehrkompetenz und zur Umsetzung von Merkmalen und Prinzipien für guten Unterricht sind zwar im Bereich des konzeptuellen Wissens der Lehrkräfte vorhanden, aber die praktische Umsetzung im Unterricht, also die Kombination von Wissen und Können ist schwer zu erfassen (vgl. ebd. 486). Bevor genauer auf die übergreifenden Merkmale von gutem Unterricht, also dem Angebot, eingegangen wird, wird das Modell noch auf das vorliegende Forschungsvorhaben bezogen. Das Modell nach Helmke (2014; vgl. Abb. 11) eignet sich dazu, die Faktoren, die die integrierte Sprachbildung im Fachunterricht Kunst bestimmen, zu beschreiben, zu verstehen und bei der Planung zu berücksichtigen: In Bezug auf die Parameter rund um das Lehren wird der Fokus bei der vorliegenden Arbeit auf die unterrichtlichen Maßnahmen zur integrierten Sprachbildung gelegt. Entsprechend den fachdidaktischen Vorgaben und der Diagnose der Vorkenntnisse der Lernenden wird das Angebot geplant und das Lehr-Lernmaterial wird mit Bezug auf die fachlichen und fachübergreifenden Kriterien analysiert (vgl. Kapitel 1.8; 2.5; 5). Die Unterrichtszeit wird im Rahmen von Unterrichtseinheiten nach der vorgegebenen Stundenzahl von zweimal 45 Minuten pro Gruppe und den curricularen Vorgaben eingeteilt und Gegenstände, Inhalte und Ziele werden definiert (Input), strukturiert und bezüglich ihres Sprachlernpotentials hinterfragt (vgl. Kapitel 5.1; 5.3.2; 5.4.2; Anhang Teil 2). Die Prozesse und Produkte aus dem Unterricht werden unter Berücksichtigung der curricularen Vorgaben, der Standards, der Lernbereitschaft und der Ressourcen der Schüler/innen definiert (Output). Im Fokus der Betrachtung steht folglich das Unterrichtsangebot und die Planung der integrierten Sprachbildung nach den kunstdidaktischen Vorgaben und unter Einbezug von Ansätzen zur fachintegrierten Sprachbildung wie dem Ansatz des Scaffolding, um so konkrete Aussagen über die Möglichkeiten der Integration von Sprachbildung im Fachunterricht Kunst der fünften Klasse machen zu können. Welche konkreten Effekte bestimmte Maßnahmen im Bereich der integrierten Sprachbildung haben und wie diese Maßnahmen zur Entwicklung des Kunstunterrichts beitragen, ist durch Unterrichtsforschung nur bedingt vorhersagbar, da zwar einige Korrelationsnachweise zwischen Input-, Prozess- und Produktvariablen vorliegen, aber aufgrund
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der zahlreichen, am Prozess beteiligten Faktoren keine klaren Kausalbeziehungen formuliert werden können. Denn nach Meyer, Feindt und Fichten (vgl. 2007: 112) kann es nur um Wahrscheinlichkeitsaussagen gehen, die in jedem Klassenzimmer anders als erhofft oder befürchtet ausfallen können. Einzelne Variablen können sich gegenseitig neutralisieren, sie können sich aber ebenfalls verstärken; zudem gibt es immer auch gewollte und ungewollte Nebenwirkungen (vgl. ebd.). Da im Rahmen der vorliegenden Arbeit der Lehrprozess, konkreter die didaktisch-methodische Planungsebene analysiert, in Bezug auf die Integrationsmöglichkeiten der Sprachbildung untersucht wird, sind die Nutzungsaspekte des Lehrangebotes, also die Lernaktivitäten und die Wirkung der Maßnahmen nur insofern Gegenstand dieser Untersuchung, als dass sie bei der Unterrichtsplanung zur Begründung herangezogen werden. Ausgehend von den Produkten und Prozessen des Unterrichts wird also reflektiert, wie die Lernenden das neue Unterrichtsangebot nutzen und welche Unterstützung sie beim Erwerb von Bildkompetenzen benötigen (vgl. Kapitel 4.4; 4.5; 5.3.3; 5.4.3). Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung sind folglich in Bezug auf das Modell nach Helmke (vgl. 2014: 71; Abb. 11) das Unterrichtsangebot sowie das unter Berücksichtigung der Kriterien aus dem Theorieteil entwickelte Lernmaterial und die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten der fachintegrierten Sprachbildung. Eine Orientierung für die Unterrichtsentwicklung, somit auch die Planung des sprachsensiblen Kunstunterrichts, bieten die nachfolgenden Dimensionen von Qualitätsbereichen oder Gütekriterien wie der Zehnerkatalog (A) von Helmke (vgl. 2014) sowie die zehn Merkmale guten Unterrichts (B) nach Meyer (vgl. 2010: 228; Abb. 12), die er um ein didaktisches Sechseck mit einer Ziel-, Inhalts-, Zeit-, Handlungs-, Sozial- und Raum-Struktur anordnet. Beide Kriterienkataloge sind ausgehend von Hypothesen der empirischen Wirkungsforschung formuliert, sodass die Berücksichtigung der zehn Merkmale laut Meyer (vgl. 2007: 114) einen positiven Einfluss auf die kognitiven, sozial-kommunikativen und methodischen Kompetenzen der Schüler/innen haben kann. Allerdings fehlen in den Merkmalsauflistungen die fachspezifischen Aspekte, die einen wesentlichen Anteil an der Unterrichtsqualität haben. Helmke (vgl. 2014: 169) betont ferner, dass diese Merkmale kein Ausdruck einer einheitlichen Theorie sind, sondern dass sie in pragmatischer Weise Aspekte der Lernwirksamkeit in Form von Bezeichnungen für inhaltlich verwandte Bereiche zusammenstellen. Innerhalb der einzelnen Bereiche gibt es wiederum eine Vielfalt an lern-, motivations-, sozial- und kognitionspsychologischen Hypothesen und Modellen. Die aufgelisteten Merkmale sind bei optimaler Ausprägung nicht unbedingt identisch mit gutem Unterricht, da es ganz unterschiedliche Muster von erfolg-
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reichem Unterricht geben kann und Defizite in einem Bereich bis zu einem gewissen Grad mit Stärken in einem anderen Bereich ausgeglichen werden können. Zudem können Merkmale der Unterrichtsqualität je nach Unterrichtsituation auch miteinander konkurrieren (vgl. ebd.: 170). Die nachfolgende Darstellung dient daher eher der Orientierung für die Unterrichtsplanung und als Grundlage für eine unterrichtsbezogene Selbst- und Fremdreflexion der Vermittlungspraxis, da die Separierung in die einzelnen Bereiche einen analytischen Zugang zu den Besonderheiten des Unterrichts, seinen Stärken und Schwächen ermöglicht. A: Merkmale guten Unterrichts: Eine Zusammenfassung nach Helmke (vgl. 2014: 168–271) 1. Effiziente Klassenführung und Zeitnutzung 2. Klarheit und Strukturiertheit: Intelligentes Üben 3. Konsolidierung und Sicherung 4. Aktivierung: kognitiv, sozial, körperlich 5. Motivierung 6. Lernförderliches Klima 7. Schülerorientierung 8. Kompetenzorientierung 9. Umgang mit Heterogenität 10. Angebotsvariation
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B: Merkmale guten Unterrichts: Ein Schaubild von Hilbert Meyer (2010: 228)
Abb. 12: Merkmale guten Unterrichts, Meyer (2010: 228)
Lipowski (vgl. 2007: 26–27) betont ebenfalls, dass es einen übergreifenden und ansatzweise empirisch evaluierten Konsens über Merkmale gibt, die mehr oder weniger als Fundament für einen guten Unterricht in den verschiedenen Fächern und auf unterschiedlichen Schulstufen gewertet werden können. Auf diese beziehen sich die gezeigten Übersichten von Helmke und Meyer und weitere Darstellungen wie die von Haenisch (2007) u. a. (vgl. Friedrich Jahresheft 2007: 64), die im Folgenden erläutert werden: So ist mehrfach nachgewiesen, dass eine effektive Klassenführung, die sich durch eine intensive Nutzung der Lernzeit, durch ein geringes Ausmaß an Unterbrechungen und durch Etablierung von Regeln auszeichnet, von zentraler Bedeutung für guten Unterricht ist (Helmke 2014: 172–177). Voraussetzung für die effektive Klassenführung sind die sorgfältige Unterrichtsplanung, die Einführung und Einhaltung eines transparenten Regelsystems und die klare Strukturierung des Unterrichts (vgl. Lipowski 2007: 27). Diese klare Strukturierung des Unterrichts zeichnet sich durch eine deutliche Sequenzierung des Unterrichts in einzelne Phasen und Schritte, klare Aufgabenstellungen und Anforderungen und durch eine verständliche Lehrer/innensprache aus. Erfolgreiche Lehrpersonen, so lässt sich laut Lipowski (vgl. 2007: 27) in
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mehreren Studien nachweisen, geben inhaltlich relevante Rückmeldungen. Diese Eigenschaft steht in Verbindung mit der fachdidaktischen Expertise der Lehrkraft. Klarheit und Verständlichkeit sprachlicher Äußerungen im Unterricht sind, so Helmke, der sich auf Hatties Ergebnisse beruft, von herausragender Bedeutung für das Lernen (vgl. Hatties 2009: 126; zit. nach Helmke 2014: 190). Klarheit, die eher senderbezogen definiert wird, hat nach Helmke (vgl. 2014: 191) die folgenden Komponenten: – akustisch (Verstehbarkeit) – sprachlich (Prägnanz) – inhaltlich (Kohärenz)109 – fachlich (Korrektheit) Verständlichkeit wiederum ist eher empfängerbezogen und steht in einem engen Zusammenhang mit den Merkmalen der Sprache und des Sprechens. Hier spielen die Lautstärke, Tonhöhe, Sprechgeschwindigkeit, die Pausen, die Artikulation und Modulation, das Timbre, die Unterstützung durch Gestik und Mimik und die Verwendung einer sprachlichen Varietät, wie Standardsprache oder Dialekt, eine Rolle (vgl. ebd.). Insbesondere mit einem Fokus auf die Sprachbildung im Fachunterricht sind die Merkmale Klarheit und Verständlichkeit von Bedeutung. Helmke betont, dass nicht nur im Fremdsprachenunterricht Aspekte wie Aussprache, pragmatische und grammatikalische Kompetenz von besonderer Bedeutung sind (vgl. Helmke 2014: 194). Meyer (vgl. 2010: 227; 2004: 25) stellt das Merkmal klare Strukturierung des Unterrichts an den Anfang der zehn Punkte und definiert, dass es sich hierbei um eine Prozess-, Ziel-, Inhalts- und eine Rollenklarheit handelt und dass der methodische Gang folgerichtig sein sollte, dass Regeln mit Schüler/innen abgesprochen werden, dass es Rituale gibt und bewusst gesetzte Freiräume. Dementsprechend soll die Stimmigkeit von Zielen, Inhalten und Methoden in Bezug auf die Verbindung der fachlichen und sprachlichen Bildung im Kunstunterricht bei der Planung und Analyse besondere Berücksichtigung finden.
|| 109 Unter Kohärenz versteht man laut Helmke (vgl. 2014: 198) zum einen den inhaltlichen Zusammenhang eines Textes und einer Rede, zum anderen sind weitere Kriterien für die Kohärenz im Unterricht beispielsweise stimmige verbale und schriftliche Äußerungen (z. B. Buch, Tafelanschrieb), die Ansprache verschiedener Sinne und die Abstimmung verschiedener Lehr-Lernmedien aufeinander. Es ist auch relevant, ob es einen roten Faden gibt und ob die Teilsegmente der Stunde folgerichtig geplant sind.
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Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist auch zu klären, ob sich die Strukturierung und Sequenzierung des Unterrichts auf der Ebene der Mesomethodik durch die integrierte Sprachbildung im Fachunterricht verändern. Forschungsergebnisse zeigen, dass unstrukturierter Unterricht vor allem für Schüler/innen mit ungünstigen Lernvoraussetzungen eine Lernbarriere darstellt (vgl. Campbell/Kyriakides/Muijs & Robinson 2004; zit. nach Helmke 2014: 200). Daher schlussfolgert Helmke (vgl. ebd.: 201), wenn man vermeiden will, dass sich die Schere zwischen der Kompetenzentwicklung privilegierter und benachteiligter Lernenden weiter öffnet, dann ist ein klarer und strukturierter Unterricht eine unabdingbare Voraussetzung. Ein weiteres Merkmal von gutem Unterricht ist der Einsatz von kooperativen Lernformen, deren Überlegenheit gegenüber individualisierten Lernformen in zahlreichen Studien nachgewiesen wurde. Lernen in Partner- oder Gruppenarbeit ist besonders dann erfolgreich, wenn die individuelle Verantwortlichkeit für jedes Gruppenmitglied gegeben ist, wenn die Schüler/innen über ausreichende Argumentations- und Kommunikationsfähigkeit verfügen und wenn sie angeleitet werden, ihre Arbeitsprozesse inhaltlich zu strukturieren, zu steuern und auszuwerten (Johnson/Johnson 2002; zit. nach Lipowski 2007: 27) (vgl. Kapitel 2.5). Übungen und Wiederholungen sind vor allen Dingen für den langfristigen Lernerfolg von Bedeutung. Wie häufig oder regelmäßig, wann im Unterrichtsverlauf und mit welchen Übungsformen geübt werden sollte, ist noch nicht ausreichend untersucht (vgl. ebd.). Da das Verstehen und Einordnen von neuen Kenntnissen noch nicht gleichzusetzen mit dem Lernen derselben ist, sollte durch eine wiederholte Bewusstmachung, eine Herstellung von Verbindungen zu anderen Informationen und ein Anwenden des Wissens erfolgen, damit die neu erarbeiteten Informationen nicht wieder vergessen werden. Helmke (vgl. 2014: 202) unterscheidet mechanisches oder repetitives Üben und Wiederholen von einem elaborierten Üben: Bei der ersten Form handelt es sich um ein Auswendiglernen, welches häufig mit den Charakteristika mechanisch, passiv, altmodisch und sturem Drill in Verbindung gebracht wird. Elaboriertes Üben hingegen ist dadurch gekennzeichnet, dass bewusst Strategien eingesetzt werden und dass die Übungsaufgaben mit Transferleistungen verbunden sind und als herausfordernd, interessant und die Motivation steigernd charakterisiert werden (vgl. ebd.). Beides hat seine Berechtigung im schulischen Alltag, denn ohne quantitativ ausreichendes Üben ist keine flüssige Beherrschung grundlegender Fähigkeiten erreichbar (vgl. ebd.). Die Gegenstände des Übens variieren je nach Fach. Grundsätzlich wird aber zwischen dem Üben zum Erwerb von Faktenwissen, zum Problemlösen und zur Anwendung oder Handlung unterschieden.
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Im Kunstunterricht der Förderstufe ist das Üben von Techniken und dem angemessenen Umgang mit Materialien sowie das Üben der Konkretisierung und praktischen Entfaltung der eigenen Bildideen und Vorstellung von Bedeutung (vgl. Kapitel 1). Da im Kunstunterricht der Sekundarstufe I in Hessen keine schriftlichen Leistungskontrollen vorgeschrieben sind, bei denen die Schüler/innen beispielsweise ihr kunstgeschichtliches Faktenwissen nachweisen sollen, hat das mechanische Üben zur Wiedergabe von Faktenwissen einen geringeren Stellenwert. Wohingegen die Form des elaborierten Übens, z. B. im Rahmen von Werkstattsituationen, bei denen es darum geht, neue Materialien und Techniken zu erkunden, sich dadurch Gestaltungsmöglichkeiten anzueignen und bei der Umsetzung der eigenen Ideen anzuwenden, von größerer Bedeutung als das repetitive Üben ist (vgl. Kapitel 1.7; 5.4). Als eine weitere Dimension von Unterrichtsqualität betrachtet man die kognitive Aktivierung der Lernenden, also die Anregung der Lernenden zu einem vertiefenden fachlichen Nachdenken über den Unterrichtsinhalt: Schüler/innen können auf einem anspruchsvollen Niveau fachlich miteinander interagieren und miteinander herausfordernde Aufgaben bearbeiten, Meinungen und Konzepte austauschen, Lösungswege und Ergebnisse begründen und sich aktiv bei inhaltlichen Fragen am Unterricht beteiligen (vgl. Lipowski 2007: 28). Die Lehrkraft aktiviert die Lernenden in einem kognitiv aktivierenden und fachlich anspruchsvollen Unterricht mit herausfordernden Aufgabenstellungen, der Konfrontation von unterschiedlichen, auch provokanten Ideen und Konflikten sowie Gelegenheiten, über den eigenen Lernprozess nachzudenken. Dies erfordert von der Lehrkraft ein hohes Maß an fachdidaktischem Wissen und Können (vgl. ebd.). Erfolgreicher Unterricht zeichnet sich darüber hinaus durch eine Fokussierung auf die inhaltlich relevanten Aspekte und eine hohe inhaltliche Kohärenz aus. Dazu sollten Lehrer/innen in der Lage sein, wichtige von unwichtigen Informationen zu unterscheiden und relevante Elemente zum Unterrichtsgegenstand zu einem kohärenten Ganzen zu verbinden (vgl. ebd.).110 Einen besonderen Schwerpunkt im Rahmen der kognitiven Aktivierung bilden kognitiv aktivierende Arrangements und Programme zum Erwerb von Lernstrategien und zur Förderung der Selbststeuerung (Helmke vgl. 2014: 210–214). || 110 Checklisten, mit deren Hilfe Lehrer/innen ihre Unterrichtsstunde daraufhin hinterfragen können, ob kognitiv aktivierende Prozesse angestoßen wurden, finden sich beispielsweise auf der Website der Universität Koblenz Landau: http://unterrichtsdiagnostik.info/downloads/fragebogen/#3 (Zugriff: 9.01.2017). Insbesondere der Bereich des Elaborierens und Reflektierens mit Items wie „[der/ die Schüler/in] hat Fragen zur Bedeutung des Lernstoffs für den Alltag gestellt“ und „kommentiert, welche Rolle der Lernstoff für sie persönlich spielt“ u. a. sind für den Kunstunterricht relevant.
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Gemeinsam ist diesen Programmen, dass sie die Lernenden dazu motivieren möchten, sich selbstständig mit authentischen und relevanten Problemsituationen und teils multiplen Lösungswegen zu beschäftigen. Den Schülerinnen und Schülern wird im Sinne des Coachings und Scaffolding ein Lerngerüst bereitgestellt: Sie erhalten so lange Unterstützung zur Strukturierung und Umsetzung der jeweiligen Vorhaben, bis sie selbstständig oder in Teamarbeit in der Lage sind, Problemlösungsstrategien zu formulieren, anzuwenden und zu reflektieren (vgl. ebd.: 211; vgl. Kapitel 2.4.3; 2.5). Helmke (vgl. 2014: 220–221) betont, dass ein gewisser Grad Motivierung111 der Schüler/innen unabdingbar ist, um Lernprozesse zu initiieren. Dieses Motivationsniveau gilt es fortlaufend zu beachten. „Ziel der Motivierung durch die Lehrperson muss es sein, die motivationale Fremdsteuerung so weit wie möglich durch motivationale Selbststeuerung zu ergänzen bzw. zu ersetzen“ (ebd. 221). Die Lernenden sollen also zunehmend lernen, sich selbst zu motivieren und für ihr eigenes Lernen die Verantwortung zu übernehmen. Lernmotivation, so Helmke (vgl. ebd.), ist ein heterogenes Konstrukt, welches sich aus unterschiedlichen Quellen speist. Die verschiedenen Arten der Lernmotivation, wie die intrinsische, extrinsische oder soziale Motivation, werden in diesem Zusammenhang nicht behandelt, da sie nicht Gegenstand der Untersuchung sind. In Bezug auf die Motive der Schüler/innen und ihre Motivation für kunstpraktische Gegenstände sei aber auf die Wichtigkeit der Authentizität, des Verknüpfens der Themen mit dem Alltag und der Lebenswelt der Schüler/innen hingewiesen. Es geht hier nicht primär darum, den künftigen Nutzen für die berufliche Laufbahn der Schüler/innen bewusst zu machen, sondern an den aktuellen Motiven und Bereitschaften der Lernenden anzuknüpfen. Hartmut von Hentig (2007: 160) beantwortet in einem Interview im Spiegel auf die Frage, ob Disziplin durch Leidenschaft entstehe, indirekt wie man Schüler/innen durch den Lebensweltbezug motivieren kann: Schüler sind überall da diszipliniert, wo sie beteiligt sind. Man muss ihnen doch nur mal beim Skateboarden zugucken, da machen sie hundertmal dieselbe Übung, bis sie diese verdammte Drehung hinkriegen. Die Wahrheit ist: Wir verlieren die jungen Leute, weil wir uns nicht auf ihre Sache einlassen, ihnen Dinge aufdrängen, die in ihrem Leben jetzt keine Rolle spielen: Später werdet ihr's brauchen!, sagen wir und: Es steht so im Lehrplan. Gerade in
|| 111 Helmke (vgl. 2014: 221) unterscheidet begrifflich Motivierung und Motiv: Motive sind gewachsenen Verhaltenstendenzen, während sich Motivation auf den Zustand in einer konkreten Situation bezieht. Motive beziehen sich beispielsweise auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche, wie das Leistungsmotiv, das Machtmotiv oder das Anschlussmotiv.
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der Altersstufe der 12- bis 15-Jährigen müssten wir ganz und gar anders verfahren, da funktioniert Paper-and-Pencil-Work nicht. Mein Rat: Versucht nicht immer die Schüler in den Lehrplan, die Leistung, die Bildung zu pressen, macht vielmehr das ihrem Alter Entsprechende und Verständliche richtig, und es wird ein besseres Ergebnis herauskommen als aus allem, was uns Pisa eingegeben hat.
Gerade im Fach Kunst ist das individuelle Einbringen der eigenen Interessen, Ideen, Vorstellung und ihre Konkretisierung und Umsetzung von großer Bedeutung und anders als in anderen Fächern gibt es bei der Wahl der Themen oder Formulierung der Problemstellungen und deren Ausgestaltung oder Lösung für die Schüler/innen häufiger die Möglichkeit auszuwählen, zu bestimmen und in einem kontextuellen Rahmen ihren eigenen Weg zu gehen. Lernförderliches Klima ist ein weiteres Merkmal für guten Unterricht und ist auch eine Voraussetzung für die Motivation der Lernenden. Nach Meyer (vgl. 2004: 47; 2010: 227) wird das lernförderliche Klima durch gegenseitigen Respekt füreinander, verlässlich eingehaltene Regeln, Verantwortungsübernahme, Gerechtigkeit und Fürsorge bestimmt. Nach der Auswertung verschiedener Untersuchungen zu diesem Aspekt kommt Helmke (vgl. 2014: 227–235) zu dem Schluss, dass der konstruktive Umgang mit Fehlern als natürlicher Bestandteil des Lernens, ein Unterrichtstempo mit angemessenen Wartezeiten, eine entspannte Lernatmosphäre und der Abbau von leistungsbeeinträchtigender Angst sich positiv auf das Klima auswirken. Auf den Aspekt Unterrichtstempo und Wartezeiten sei an dieser Stelle kurz in Bezug auf die Sprachbildung eingegangen: Helmke (vgl. 2014: 234–235) hält fest, dass in der Unterrichtsrealität die Gefahr von zu großer Langsamkeit eindeutig geringer sei als die der zu großen Geschwindigkeit des Vorgehens. Beispielsweise beim Warten auf Schüleräußerungen nach Impulsen oder Fragen sind Wartezeiten von unter drei Sekunden durchweg zu gering, weil sie den Schülerinnen und Schülern nicht ermöglichen, in Ruhe ihre Gedanken zu ordnen. In der Schulpraxis liegt die durchschnittliche Wartezeit jedoch bei unter einer Sekunde. Gage und Berliner (vgl. 1998; zit. nach Helmke 2014: 235) empfehlen Lehrkräften, ihre Wartezeit bei Fragen auf einem niedrigen Niveau auf drei bis vier Sekunden auszudehnen, bei Fragen auf höherem Niveau sogar bis zu 15 Sekunden zu warten. Von der Umsetzung dieser Empfehlung profitieren insbesondere langsame und sprachschwache Lerner/innen, die mehr Zeit zur Formulierung ihrer Antworten benötigen (vgl. Kapitel 2.5). Mit der Motivierung und dem lernförderlichen Klima geht auch das Merkmal der Schülerorientierung einher: Es geht hier primär darum, dass die Lerner/innen, unabhängig von ihren Lernerfolgen, als Personen ernst genommen und wertgeschätzt werden (vgl. Helmke 2014: 236–238).
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Oft wird die Dichotomie der Aspekte Lehrerzentrierung und Schülerorientierung und anderer wie offene versus geschlossene Unterrichtsformen oder konstruktivistisch orientierter Unterricht im Gegensatz zu rezeptiv orientiertem Unterricht usw. diskutiert. Diesbezüglich kann festgehalten werden, dass sich diese Unterschiede in der schulischen Praxis selten in Reinform finden lassen. Weinert und Helmke (1996; zit. nach Lipowski 2007: 28) konnten in ihrer Münchener Scholastikstudie unterschiedliche Profile von Klassen identifizieren, die trotz der dichotomen Vorgehensweisen ähnlich erfolgreich waren. Den einen Königsweg zu einem erfolgreichen oder guten Unterricht gibt es offenbar nicht. Hinsichtlich der Kontroverse um den lehrergelenkten oder -zentrierten Unterricht kann mit Bezug auf effektiven oder guten Unterricht festgehalten werden, dass die Lehrperson eine sehr wichtige Rolle einnimmt. Dies meint aber nicht, dass der Unterricht kleinschrittig oder fragend-entwickelnd aufgebaut ist, sondern dass die Strukturierung und eine interessante, klare und verständliche Präsentation des Unterrichtsgegenstandes und der Arbeitsaufträge die Lerngruppe dazu befähigt, bestimmte Fragestellungen selbstständig zu bearbeiten (vgl. ebd.). Die hier zusammenfassend erläuterten Merkmale können als Orientierungsrahmen für die Unterrichtsgestaltung und -entwicklung dienen und sind darüber hinaus um die fachlich relevanten Aspekte zu ergänzen. Somit sind sie ein Instrument, welches zur Festlegung von individuell auf die Bedürfnisse einer Lehrkraft und ihrer Lerngruppe/n angepassten Erfolgskriterien dienen kann. In Bezug auf die Planung von Unterricht sind sie anders als Unterrichtsstandards oder Bildungsstandards der KMK offener in ihrer Auslegung und Adaption an eine bestimmte Unterrichtskonstellation. Meyer, Feindt und Fichten (2007: 114) kritisieren die Standards: Die Bildungsstandards [...] schaffen aber trotz gegenteiliger Beteuerungen keine Impulse zur Unterrichtsentwicklung, weil die Unterrichtsqualität durch Bildungsstandards nicht erfasst wird und auch gar nicht erfasst werden kann. Indirekte Einflüsse, etwa das durch die flächendeckend eigeführten Vergleichsarbeiten ausgelöste Teaching-to-the-test, dürften demgegenüber in Zukunft viel größer werden. Deshalb halten wir es für sinnvoller, von vorneherein eine integrierte Strategie der Qualitätssicherung zu entwickeln und die Input-, die Prozess-, die Produkt- und Implementationssteuerung miteinander zu verknüpfen.
Die Autoren schlagen also vor, nicht nur den im Rahmen der Standards formulierten Output oder das Produkt zur Beurteilung der Unterrichtsqualität heranzuziehen, sondern die Prozesse und die Steuerung ebenso zu untersuchen. Gerade im Kunstunterricht ist es wichtig, Beurteilungen des Lehrens und Lernens nicht nur am Output festzumachen, sondern auch an den Prozessen, beispielsweise in Werkstattsituationen das Lernen in der Gruppen-, Partnerarbeit oder von Einzelschüler/innen zu beobachten, Fortschritte zu diagnostizieren und
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individuell zugeschnittene Unterstützung zu geben. Im Fach Kunst hat die Formulierung und Orientierung an den Bildungsstandards bislang nicht dazu geführt (vgl. Kapitel 1.4), dass Vergleichsarbeiten und mehr Überprüfung von faktischem Wissen in Form von Tests vorgeschrieben sind. Dies ist ein großer Vorteil, da die zuvor erläuterten Aspekte guten Unterrichts deutlich zeigen, dass individuelles Fördern und die Ermöglichung des eigenverantwortlichen, kognitiv aktivierenden, sinnhaften und vor allen Dingen kreativen Lernens sich sehr gut mit den Freiräumen im Fach Kunst verbinden lassen, auch wenn sich das Fach am Rande der Stundentafel zwischen Standards und Vergleichsarbeiten und wegen mangelnder Anerkennung nur schwer behaupten kann. Die erläuterten Merkmale von gutem Unterricht sind bei der Formulierung der Kriterien für die Planung der fachintegrierten Sprachbildung im Kunstunterricht ebenfalls berücksichtigt worden und finden sich sowohl in den Checklisten zur Kunstpädagogik als auch zur fachintegrierten Sprachbildung wieder (vgl. Kapitel 1.8; 2.5). Mit dem folgenden Kapitel zum methodischen Vorgehen, zum Aufbau und zur Durchführung des Praxisforschungsprojektes beginnt der praktische Teil der vorliegenden Arbeit.
4 Methodisches Vorgehen Im folgenden Kapitel wird das methodischen Vorgehen im Rahmen dieser Forschungsarbeit vorgestellt und diskutiert: Wie neue Erkenntnisse gewonnen werden, wird in Bezug auf den theoretischen Teil (vgl. Kapitel 1–3) und den praktischen Teil der Forschungsarbeit (vgl. Kapitel 5) erläutert. Insgesamt kann das Vorgehen als theoriegeleitet bezeichnet werden. Durch die praktische Konkretisierung für den Kunstunterricht der 5. Klasse (vgl. Kapitel 5) wird aufgezeigt, inwieweit die analysierten Vorgaben, z. B. zur fachintegrierten Sprachbildung, auf das Fach Kunst übertragbar sind (vgl. Kapitel 1–3). Im theoretischen Teil zum Kunstunterricht und zur integrierten Sprachbildung im Fachunterricht sowie den pädagogischen Prinzipien und Merkmalen guten Unterrichts ist es das Ziel, ausgehend von der Darstellung, Erläuterung und Analyse die jeweiligen fachdidaktischen Konstrukte112 abzuleiten und in Form von Kriterien für die Unterrichtsplanung zusammenzuführen (vgl. Kapitel 1.8; 2.5). Mit Tenorth (vgl. 2013: 96) kann das Vorgehen wie folgt umschrieben werden: Durch die Arbeit an den Konstrukten, hier der Fachdidaktik Kunst und der Sprachdidaktik, kommt es zu neuen Erkenntnissen. Dabei ist der Import aus anderen Fachrichtungen, hier der Didaktik zur integrierten Sprachbildung, der Weg des Erkenntnisgewinns. Der Import von Konstrukten und seine Anwendung auf ein neues Gebiet, hier dem Kunstunterricht, erweitert den empirischen Bewährungsraum der Theorie (vgl. ebd.: 97). Um beide Bereiche, die Fachdidaktik Kunst und die (Zweit-)Sprachdidaktik, miteinander zu verzahnen und fachdidaktische Konzepte zur Sprachbildung in den Kunstunterricht zu integrieren, ist sowohl die grundlegende Analyse der jeweiligen Ansätze für sich genommen als auch in Bezug auf den jeweils anderen notwendig.
|| 112 Im Allgemeinen wird die Didaktik als Wissenschaft vom Lehren, Lernen und Unterrichten bezeichnet. Es gibt eine große Bandbreite, was die Didaktik als Theorie leisten kann und soll (vgl. Hallet 2006: 24). Da in dieser Arbeit ausgehend von den Bildungsstandards und Curricula für das Fach Kunst argumentiert wird, ist zum einen Didaktik als Bildungstheorie mit ihren Fragen nach der Zielsetzung und Funktion des Lehrens und Lernens relevant. Zum anderen ist die Didaktik als Wissenschaft vom Lehren und Lernen und ihre Erforschung von Lehr- und Lernprozessen unter institutionalisierten Bedingungen und die Spielarten von Unterricht, in dem Lernen als planvoller, angeleiteter und zielorientierter Prozess angelegt ist, ein für diese Arbeit wesentliches Konzept. Hallet (vgl. ebd.: 26) schlägt vor, die verschiedenen Spielarten der Didaktik nach Kiper und Mischke (2004; zit. nach Hallet 2006: 22) unter dem Begriff integrative Didaktik zusammenzufassen.
https://doi.org/10.1515/9783110687026-005
Praxisforschung im Kunstunterricht | 187
Diese Form der Betrachtung soll zur Beantwortung der folgenden Frage beitragen: Inwieweit berücksichtigen die auf der Makroebene gesetzten neuen Bildungsstandards für das Fach Kunst die Sprachbildung? Die bildungstheoretischen Vorgaben der Fachdidaktik Kunst werden in Bezug auf die Arbeit in der Sekundarstufe I, Klasse 5, zur Beantwortung dieser Frage beschrieben, analysiert und im Hinblick auf ihre Aussagen zur Sprachbildung untersucht (vgl. Kapitel 1). Die ermittelten Aussagen zur Sprachbildung aus der Fachdidaktik Kunst, den BDK-Bildungsstandards, dem Kerncurriculum und dem Lehrplan für das Fach Kunst werden ausgehend von den folgenden Fragen analysiert: In welchem Zusammenhang und in Bezug auf welche (fach-)sprachlichen Kompetenzen werden Vorgaben gemacht? Was bedeuten diese Vorgaben für die Unterrichtsplanung für die Sekundarstufe I, Klasse 5? Mit Hilfe der folgenden Frage sollen die Integrationsmöglichkeiten der Sprachbildung im Folgenden kritisch diskutiert und beurteilt werden: Inwieweit lassen sich die Ansätze zur integrierten Sprachbildung mit der Vermittlung der Kernkompetenzen im Kunstunterrichts vereinbaren? Nach der Diskussion der verschiedenen Konstrukte zur integrierten Sprachbildung in Zusammenhang mit den Vorgaben der Kunstdidaktik (vgl. Kapitel 2) sollen durch die Unterrichtsplanung für die Klasse 5 die Umsetzungsmöglichkeiten aufgezeigt werden (vgl. Kapitel 5). Die folgenden Fragen dienen als Ausgangspunkt zur Entwicklung und Umsetzung des Konzepts für die fachintegrierte Sprachbildung im Kunstunterricht und die Beantwortung der letztgenannten Fragen fokussiert auf die konkrete Unterrichtsplanung: Welche konkreten Planungsgrundlagen aus den Bereichen Kunst- und Sprachbildung sowie der allgemeinen Pädagogik bilden die Basis für die Planung und Umsetzung des Kunstunterrichts in der 5. Klasse? (vgl. Kapitel 1.8; 2.5; 3; 5) Wie könnten sich diese Vorgaben unter Voranstellung der fachlichen Prinzipien umsetzen lassen? (vgl. Kapitel 5) Wie kann Kunstunterricht nach dem Ansatz des Scaffolding geplant und umgesetzt werden? Welche konkreten Themen, Situationen und Arbeitsaufträge eignen sich zur Vermittlung der Bildkompetenz/en in der 5. Klasse?
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Welche sprachlichen Kompetenzen sind zur Arbeit an den Themen und zur Bewältigung der Arbeitsaufträge erforderlich? Wie können diese notwendigen sprachlichen Kompetenzen fachintegriert vermittelt werden? Welche Materialien eigenen sich zum Aufbau und zum selbstständigen Üben der fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten der Schüler/innen? Bei der detaillierten Analyse der fachdidaktischen Grundlagen sollen die bildungspolitischen Forderungen sowie die aktuelle Forschung in den Bereichen Kunstvermittlung, Zweitsprachenvermittlung und integrierte Sprachbildung berücksichtigt werden. Für die theoriegeleitete Arbeit an den fachdidaktischen Konstrukten werden entsprechend Tenorth (vgl. 2013: 98) die Gütekriterien der präzisen Explikation des Themas sowie der theorieeigenen Probleme und Hypothesen, der Ein- oder Abgrenzung des Materials, der Verwendung klarer und eindeutiger Begriffe, der Nachvollziehbarkeit und Logik der Durchführung und der Konsistenz und Kohärenz gelten. Bei der Anwendung der Konstrukte aus dem Bereich der integrierten Sprachbildung auf den Kunstunterricht wird auf der fachdidaktischen Ebene exemplarisch dargelegt, wie der sprachsensible Fachunterricht Kunst in der Klasse 5 umgesetzt werden kann (vgl. Kapitel 5.3; 5.4). Die Fragen dieses Forschungsvorhabens werden somit ausgehend von der theoretischen Zusammenführung und der Konkretisierung auf der theoretischen Planungsebene beantwortet. Daraus resultiert eine deskriptiv-analytische Konstitution des Gegenstandsbereiches Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung am Beispiel der 5. Klasse. Die Praktikabilität dieses theoretisch hergeleiteten und in der Praxis erprobten Konzepts mittels empirischer Forschung, beispielsweise einem experimentellen Forschungsdesign, zu überprüfen, wird in der vorliegenden Arbeit nicht angestrebt. Auch wenn die Qualitätsmessung des theoriegeleiteten Konzepts in der Praxis nicht erfolgte, so wurden die dargestellten Unterrichtsstunden in der Praxis erprobt, dokumentiert und reflektiert (vgl. Kapitel 5.2). Die Unterrichtsstunden, die zur Konkretisierung, Analyse und Beweisführung ausgewählt wurden, sind Teil eines fast zweijährigen Praxisprojekts an der Joseph von Eichendorff-Schule (JvES) in Kassel (vgl. Kapitel 4.2; 5.3; 5.4). Die nun folgende rückblickende Beschreibung der Praxisforschung an der Projektschule in Kassel verdeutlicht, unter welchen Rahmenbedingungen und mit welchen Zielen und Methoden der Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung von 2009 bis 2011 an der JvES unter Berücksichtigung ausgewählter theoretischer Konstrukte stattgefunden hat. Die Kurzdarstellung des Gesamtprojekts in nächsten Kapitel dient zum einen der Einordnung der Unterrichtsplanung in ei-
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nen größeren Zusammenhang und zum anderen dazu, die nachfolgenden Unterrichtsbeispiele (vgl. Kapitel 5) durch die Informationen aus der praktischen Erprobung zu ergänzen und die Möglichkeiten und Grenzen der Integration an konkreten Beispielen aufzuzeigen.
4.1 Praxisforschung im Kunstunterricht Bei der Untersuchung an der JvES in den Jahren 2009 bis 2011 handelte es sich um eine explorativ-interpretative angelegte Untersuchung mit dem Ziel, die Praktikabilität des sprachsensiblen Kunstunterrichts zu erproben und Erkenntnisse zu den Umsetzungsmöglichkeiten zu gewinnen. Der Forschungsgegenstand Fachunterricht Kunst mit integrierter Sprachbildung ist mehrdimensional, denn sowohl dynamische und individuelle Lernprozesse als auch die Lehrprozesse unter Bezug auf die Fachdidaktik Kunst, die Prinzipien zur DaZ-Förderung und allgemeine curriculare wie institutionelle Vorgaben charakterisieren die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes (vgl. Kapitel 3; u. a. Modell Helmke). Wie vorab dargelegt, gibt es in diesem Bereich bislang keine Untersuchungen. Ziel des Projektes an der JvES war es daher aufzudecken, ob und inwieweit die Sprachbildung im Kunstunterricht möglich oder auch notwendig ist und wie die neuen Lerngelegenheiten angenommen werden: Unterricht (und Schule ganz allgemein) bilden [...] kein deterministisches Bedingungsgefüge, sondern eine Gelegenheitsstruktur, deren Angebote von Schülerinnen und Schülern unterschiedlich wahrgenommen, verarbeitet und im eigenen Handeln genutzt werden müssen, um wirksam zu werden. (Klieme/Rakoczy 2008: 226)
Daher wurden in den zwei Schuljahren unterschiedliche Angebote zum Erwerb von Bildkompetenz/en und integrierter Sprachbildung für drei verschiedene Lerngruppen der Jahrgangsstufe 5 geplant, umgesetzt und reflektiert. Das Hauptinteresse war dabei, den Kunstunterricht in Bezug auf die Frage nach einem alternativen Unterrichtsarrangement und seinen Auswirkungen durch die Dokumentation der Lehr- und Lernprozesse sowie Lernprodukte zu erfassen. Die Schüler/innen wurden im Rahmen des Forschungsvorhabens als reflexiv und intentionale soziale Aktanten gesehen, deren Reaktions- oder Handlungsspektrum in den verschiedenen Bereichen des Kunstunterrichts ausgehend von einem bestimmten Input nicht als Output prognostizierbar ist. Dementsprechend wird von einer analytischen-nomologischen Vorgehensweise, die die Lerner/innen eher als informationsverarbeitendes System definiert, Abstand genommen (vgl. Grotjahn 2007: 496).
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Die Besonderheit des Projektes an der JvES war, dass die Lehrerin gleichzeitig die Forscherin war, sodass sie auf die Ansätze der Praxis- und Aktionsforschung zurückgegriffen hat, um den Fragen rund um die Umsetzung der integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht nachzugehen. Praxisforschung wird in diesem Zusammenhang als eine in professionelles pädagogisches Handeln eingelassene forschende Erkundung bestimmt (vgl. Prengel 2013: 785). So verstanden, beruht professionelles pädagogisches Handeln auf Situationsanalysen und fallbezogenen Explorationen zum begründeten Entwurf von adressatenbezogenen Handlungskonzepten (vgl. ebd.). Prengel argumentiert für die Praxisforschung, wenn sie Folgendes darlegt: Allgemeine [Hervorhebung im Original] Lehrpläne und Richtlinien sowie wissenschaftlich untersuchte Ergebnisse über die allgemeinen [Hervorhebung im Original] Voraussetzungen des Lernens können nur dann für Bildungsprozesse Bedeutung erlangen, wenn sie auf das je konkrete [Hervorhebung im Original] Feld mit je einzigartigen [Hervorhebung im Original] Personen und in je unvorhersehbaren [Hervorhebung im Original] Situationen bezogen werden. (Prengel 2013: 786)
Im Unterschied zu wissenschaftlicher Forschung, die sich vor allem um empirisch fundierte Theoriebildung bemüht, war der Gegenstand der Praxisforschung im Kunstunterricht konkret fallbezogen und das pädagogische Angebot wurde im Kunstunterricht den aktuellen Bedarfen der Lerner/innen angepasst (vgl. ebd.: 787). Praxisforscher/innen sind selbst Teil des Feldes, während in der wissenschaftlichen Forschung externe Wissenschaftler von einer Außenposition versuchen, das Feld entsprechend ihrer Fragestellungen zu erfassen. Dies wirft die Frage nach den Gütekriterien für die Durchführung solcher Projekte und der aus dieser Forschung gewonnen Erkenntnisse auf. Prengel (vgl. ebd.: 787) erläutert dazu, dass im pädagogischen Prozess von der Güte der fallbezogenen Situationsanalysen die Angemessenheit der situationsspezifischen professionellen Handlungsweisen abhängig ist. Die Leistungsfähigkeit der Praxisforschung korreliert dementsprechend mit dem Erfolg oder dem Scheitern von Bildungsprozessen und der Nützlichkeit der Befunde für die jeweilige Zielgruppe (vgl. ebd.). Moser (vgl. 2012: 16) weist darauf hin, dass das forschungsgestützte Handeln in der Praxis theoretisch fundiert, reflektiert und begründet sein sollte. Die vier wesentlichen Gütekriterien für Praxisforschungsprojekte sind die Transparenz hinsichtlich der Ziele, Methoden und Ergebnisse der Arbeit, die Stimmigkeit bei der Auswahl der Methoden in Bezug auf das Forschungsfeld, die Adäquatheit der Forschungsresultate in Bezug auf den Forschungsgegenstand, die Fragestellung und die Anschlussfähigkeit der neuen Erkenntnisse an vorliegende wissenschaftliche Theorien und Konzepte (vgl. ebd.: 18–19).
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Unter die Methoden der Praxisforschung113 fällt das Konzept der Aktionsforschung nach Altrichter und Posch (2007): Zum einen werden Methoden zur systematischen Untersuchung der pädagogischen Praxis durch Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen in Kooperation vorgeschlagen, zum anderen zeigen Altrichter und Posch (2008) vielfältige methodische Wege auf, wie Lehrpersonen eigenständig ihre Lehrkompetenz optimieren können (vgl. ebd.: 793). Entsprechend dem Aktionsforschungsansatz definieren Wissenschaftler als gleichzeitig Betroffene die Problemstellung114, suchen nach Ursachen und entwickeln Hypothesen, entwerfen Lösungsvorschläge, evaluieren den Erfolg dieser Interventionen und modifizieren diese ggf. (vgl. Bortz/Döring 2006: 50). Die Forschungsarbeit kann z. B. das Ziel der Entwicklung einer neuen Unterrichtstechnik haben. Dazu wird die Praktikabilität der Methode und der Lernerfolg der Schüler/innen unterrichtsbegleitend geprüft (vgl. ebd. S. 109–110). Im Rahmen des Praxisforschungsvorhabens an der JvES war die Praxisforschung ein Lern- und Veränderungsprozess, denn verschiedene Maßnahmen zum sprachlichen Lernen wurden innerhalb des Kunstunterrichts eingeführt, an die Bedürfnisse der Schüler/innen angepasst und ggf. verändert (vgl. Kapitel 1.8; 2.5; 5). Die Evaluation des Unterrichts erfolgte gemäß dem Ansatz der Aktionsforschung begleitend. Es handelt sich folglich um eine formative Evaluation (vgl. ebd. 110), die parallel zur Entwicklung und Implementierung neuer Maßnahmen eingesetzt wurde. Diese Art der Evaluation ist im Gegensatz zur summativen Form eher erkundend angelegt und hat das Ziel, Wirkungsabläufe des Unterrichts begleitend zu dokumentieren, zu reflektieren und die Unterrichtspraxis dadurch zu verbessern. Ausgehend von dem Ansatz der Aktionsforschung spielen dabei das persönliche Urteil der Lehrkraft über die Durchführbarkeit einer Maßnahme sowie deren eigene Vorstellungen zur Umsetzung bzw. Optimierung eine große Rolle, was auch der Nachteil dieses Ansatzes in Bezug auf die Gütekriterien Objektivität und
|| 113 Die Praxisforschung ist im Vergleich zur Aktionsforschung aufgrund ihrer Bezugnahme auf Ansätze der qualitativen Sozialforschung umfassender. Beiden gemeinsam ist ihre Verwurzelung in der Praxis. 114 Auch für das Projekt an der JvES sind das Erkenntnisinteresse sowie die Fragestellung für einen Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung in der Praxis entstanden. Grundlage für die praktische Theorie und die ersten Erkenntnisse bildeten die mehrjährigen Erfahrungen der unterrichtenden Lehrkraft und Verfasserin dieser Arbeit aus dem deutschsprachigen Kunstunterricht an Auslandsschulen (Bulgarien und Rumänien). Ausgehend von diesen Erfahrungen entstand die Fragestellung, ob und inwieweit sich die Integration der Sprachbildung im Kunstunterricht an einer weiterführenden Schule in Deutschland in der fünften Klasse realisieren ließe.
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Validität ist. Hervorzuheben ist jedoch, dass die Ergebnisse der Aktionsforschung für die konkrete Unterrichtspraxis und die daraus resultierenden Fragestellungen durch die unmittelbare Rückführbarkeit der Forschungsergebnisse in die Praxis ein wesentlicher Vorteil ist. Altrichter und Posch (vgl. 2007: 15–18) stellen weitere Merkmale der Aktionsforschung dar, von denen einige, für das Praxisprojekt zutreffende, im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden: Aktion und Reflexion werden in Beziehung gesetzt. Der/die Praxisforscher/in zieht folglich Schlüsse aus der eigenen Handlungserfahrung, hier aus dem Kunstunterricht, dokumentiert und erklärt die jeweilige Situation und plant ausgehend davon die nächsten Schritte. Meist handelt es sich um Forschungs- und Entwicklungszyklen, die sich entsprechend in die Aktion und die Beobachtung (1), in die Formulierung der Erkenntnisse als praktischen Theorie (2), die Entwicklung neuer Aktionsideen (3) und wiederum in die neue Aktion und ihre Beobachtung (4), die Weiterentwicklung der Maßnahmen oder praktischen Theorien (5) sowie die Modifizierung dieser Aktionsideen (6) gliedern lässt. Die Aktionsforschung verfolgt dabei eine doppelte Zielsetzung, denn es geht um einen Erkenntnisgewinn durch die Reflexion der Praxis und eine Entwicklung von praktischen Maßnahmen, auch praktische Theorien genannt, als ein Ergebnis der Aktion (vgl. 2007: 15–17). Die Handlungs- oder Aktionsforschung will demzufolge sowohl die untersuchte Unterrichtspraxis als auch das praktische Wissen über die Praxis weiterentwickeln und so die Praxis mit Hilfe von praktischen Theorien verbessern. Anders als Forschungsvorhaben, deren Zielsetzung die Erhebung eines bestimmten Zustands zu einem bestimmten Zeitpunkt sind, greift der Forscher oder die Forscherin als gleichzeitig Betroffene/r, in diesem Fall als Lehrkraft, in einen Prozess ein und versucht, mittels seiner oder ihrer Forschungsinstrumente die Veränderungen zu dokumentieren. Aktionsforschungszyklen sind meist längerfristig angelegt, da die praktischen Theorien je nach Erfolg der Maßnahmen noch während des Forschungsprozesses modifiziert werden können. Feldmeier (vgl. 2014: 257) hebt hervor, dass die unmittelbare Einbeziehung der Lehrkräfte in den Forschungsprozess oder die Durchführung desselben durch die Lehrkräfte Vorteile wie Praxisrelevanz, Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse und Ressourcenoptimierung hat. Besonders für Aktionsforschung, die ausschließlich durch die Lehrkraft durchgeführt werde, gelte, dass diese unterrichtsrelevant ist. Zur Ermittlung der Möglichkeiten der integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht der 5. Klasse wurde das praktische Handeln sowohl ausgehend von den fachwissenschaftlichen und -didaktischen Grundlagen und ihrer systematischen Analyse (vgl. Kapitel 1; 2; 3) als auch von den praktischen Theorien, entwi-
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ckelt aus dem konkreten Unterricht, begründet (vgl. Kapitel 5): Die neuen Erkenntnisse werden demzufolge zum einen durch die Übertragung der Prinzipien und Konzepte der integrierten Sprachbildung auf den Kunstunterricht der Klasse 5 deduktiv gewonnen; zum anderen werden praktische Theorien durch die Durchführung des sprachsensiblen Kunstunterrichts, seiner Dokumentation, seiner Analyse und Reflexion induktiv generiert. Nachfolgend werden zur weiteren Erläuterung des forschungspraktischen Handelns im Sinne der Praxisforschung der Projektverlauf, der Aufbau der Projektphasen und ihre Ziele beschrieben.
4.2 Der Verlauf und die Phasen des Praxisforschungsprojektes Die Darstellung des Praxisforschungsprojektes an der Joseph von EichendorffSchule (JvES), seines zeitlichen Rahmens und des Untersuchungsaufbaus sind das Ziel der folgenden Ausführungen. Zwar werden zur Beantwortung der Forschungsfragen nur eine Auswahl von einzelnen Unterrichtsstunden aus dem Gesamtprojekt herangezogen (vgl. Kapitel 5.2; 5.3; 5.4), damit diese Ausführungen jedoch eingeordnet werden können und nachvollziehbar wird, wie das Gesamtvorhaben angelegt war, wird der Aufbau des zweijährigen Vorhabens zusammenfassend dargestellt. Die Gesamtuntersuchung gliederte sich in folgende Phasen, die teils chronologisch aufeinander folgten, teils parallel verliefen: – 2008–2009 theoretische und praktische Voruntersuchung (Erkundung) – 2009 Planung des Forschungsprojektes – 02/2009–07/2010 Pilotstudie: Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung mit einer Lerngruppe der Jahrgangsstufe 5 – 2010 Aufbereitung und Auswertung der Daten der Pilotstudie – 09/2010–07/2011 Hauptstudie: Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung mit zwei Lerngruppen der Jahrgangsstufe 5 Ziele der ersten Erkundungen im Forschungsfeld und zum Forschungsgegenstand waren herauszufinden, inwieweit ein didaktisch-methodisches Konzept zur integrierten Sprachbildung im Kunstunterricht für Zweitsprachenlerner/innen an Schulen in Deutschland, insbesondere an weiterführenden Schulen in Kassel und Umgebung, relevant ist. Auf der theoretischen Seite bedeutete dies, mit Hilfe der Literatur zu ermitteln, ob Untersuchungen oder Unterrichtsmodelle zu einem sprachsensiblen Kunstunterricht vorliegen und wie der Stand der Forschung in Bezug auf die Sprachbildung und Sprachförderung von zweisprachig
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aufwachsenden Lernern/innen ist. Zu diesem Zweitpunkt wurden verstärkt die zwei- oder mehrsprachig aufwachsenden Lerner/innen mit Migrationshintergrund und ihre Probleme im Fachunterricht ausgehend von den Ergebnissen der internationalen Vergleichsstudien in den Blick genommen (vgl. z. B. Chlosta/ Schäfer: 280). Kritisiert wurde die monolinguale Orientierung der deutschen Schule (vgl. Kapitel 2). Ausgehend davon wurde gefordert, die Besonderheiten des Zweitspracherwerbs bei der Vermittlung zu berücksichtigen (vgl. ebd. 281). Um zu klären, inwieweit ein tatsächlicher Bedarf an Schulen in Kassel und Umgebung vorliegt, wurden das staatliche Schulamt, die Beauftragten für Deutsch als Zweitsprache vor Ort und die Direktoren/innen der Gesamtschulen im Stadtgebiet am Telefon oder persönlich befragt. Die Recherchen im Jahr 2009 ergaben, dass es kein anderes Forschungsvorhaben im Bereich des sprachsensiblen Fachunterrichts Kunst, der integrierten Sprachbildung oder Förderung von zweisprachig aufwachsenden Lernern und Lerner/innen gab. Ebenso zeigte sich, dass die DaZ-Förderung im Fachunterricht Kunst, aber auch in anderen Fächern, noch kein Thema von Fortbildungsangeboten für Lehrer/innen war und dass es ebenfalls keine Projekte vor Ort in diesem Bereich gab.115 In Zuge der Recherchen stellte sich heraus, dass eine Untersuchung zum sprachsensiblen Kunstunterricht zwar aus Sicht der Forschung relevant ist und gefordert wird, es aber in der Praxis, an den Gesamtschulen im Landkreis, ein geringes oder kein Interesse an einem zusätzlichen, kostenlosen Angebot für sprachsensiblen Kunstunterricht für zwei- und mehrsprachig aufwachsende Schüler/innen bestand.116 Der Direktor der JvES in Kassel-Bettenhausen ermöglichte die Durchführung des Projektes in der Förderstufe (vgl. Kapitel 5.1). In der nachfolgenden Phase wurde das Praxisforschungsprojekt geplant: Dabei umfasste die Planung einerseits die theoretische Fundierung des Kunstunterrichts, andererseits das Forschungsdesign. Ebenso wie in der vorausgehenden
|| 115 Dies änderte sich ab 2010: Mit dem Erscheinen von Leisens (2010) „Handbuch Sprachförderung im Fach“. In dieser und weiteren anderen Publikationen (vgl. Kapitel 2) sowie den Kernlehrplänen in Hessen (vgl. Kapitel 1.5) wurde die Sprachförderung und -bildung auch als Aufgabe des Fachunterrichts, bzw. der Fachlehrkräfte postuliert. Das Aus- und Fortbildungsangebot für Lehrkräfte hat daher seither stetig zugenommen. 116 Im Jahr 2008 und 2009 wurden zahlreiche Gespräche mit Direktoren der Gesamtschulen im Landkreis mit einer großen Zahl von zwei oder mehrsprachig aufwachsenden Schüler/innen geführt, um eine Projektschule zu finden. Abgelehnt wurde ein zusätzliches Projekt mit integrierter DaZ-Sprachförderung einige Male mit der Begründung, dass die jeweiligen Schulen keine Projekte zur Unterstützung von Kindern mit Migrationshintergrund wünschten, da sie versuchen wollten, ihre Schule für „deutschsprachige Kinder“ attraktiver zu gestalten.
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Phase ist dabei die Verzahnung der theoretischen und praktischen Rechercheergebnisse von Bedeutung. So konnte beispielsweise in dieser Phase ermittelt werden, dass die fachwissenschaftlich begründete Forderung, Maßnahmen zur sprachlichen Unterstützung im Fachunterricht zu entwickeln und zu erproben, auch nach Meinung der Fachlehrer/innen an der Projektschule notwendig ist. Ihre Aussagen bezüglich ihrer Vorgehensweise bei der Unterstützung ihrer Schüler/innen mit Förderbedarf dienten unter anderem neben den Beobachtungsergebnissen aus dem Kunst- und Deutschunterricht als Ausgangsbasis für die Planung des Unterrichts. In Absprache mit dem Direktor der Projektschule JvES und in Kooperation mit einer Fachkollegin, die eine fünfte Klasse in Kunst und Deutsch unterrichtete und gleichzeitig auch die Klassenlehrerin der Kinder war, wurde die Pilotstudie (2. Schulhalbjahr 2010) geplant. In dieser Phase zeigte sich, inwieweit der in der Voruntersuchung mittels Sprachstanddiagnosen festgestellte allgemeine Förderbedarf (vgl. Kapitel 4.3) in einer kleinen Probandengruppe von acht Lerner/innen gleichfalls im Kunstunterricht vorhanden ist. Mittels Unterrichtsbeobachtung, der Forschungsinstrumente C-Test und Profilanalyse wurde ermittelt, inwieweit die Schüler/innen von einer sprachlichen Förderung profitieren können. Die Erhebung des Sprachstandes diente der begründeten Zusammenstellung der ersten Probandengruppe mit acht Lernenden aus einer fünften Klasse, die dann parallel zum regulären Kunstunterricht von der Verfasserin dieser Arbeit jeweils zwei Unterrichtsstunden pro Woche unterrichtet wurde.117 Dabei handelte es sich um Schüler/innen, die zwei- oder mehrsprachig aufwachsen und zu Hause z. B. Türkisch, Russisch oder Arabisch sprechen. Der Kunstunterricht wurde, wie auch später im Rahmen der Hauptstudie, nach den curricularen Vorgaben und mit dem Hauptziel, die Bildkompetenz der Lerner/innen auszubauen, geplant. Ziel war es zu ermitteln, inwieweit die mehrsprachig aufwachsenden Schüler/innen mit Förderbedarf Unterstützung beim Ausbau ihrer fachlichen und sprachlichen Kompetenzen benötigten. Da im Rahmen dieser Darstellung und Analyse nicht auf die Unterrichtsdokumentation aus der Pilotstudie zurückgegriffen wird, wird hier nicht auf die Voraussetzungen der acht DaZ-Lerner/innen eingegangen. Eine wichtige Erkenntnis aus der Pilotstudie im Hinblick auf die Planung der Hauptstudie war z. B., dass die Lerner/innen sowohl in Bezug auf ihre Bildkompetenzen
|| 117 Da Praxisforscherin und Verfasserin dieser Arbeit das 1. und 2. Staatsexamen für Kunst und Deutsch an Haupt- und Realschulen sowie am Gymnasium absolviert hatte, konnte sie im gesamten Projektzeitraum den Unterricht an einem Vormittag der Woche zwar ehrenamtlich, aber eigenverantwortlich und eigenständig durchführen und entsprechend den Vorgaben des HKM und der Schule den Schüler/innen Noten geben.
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als auch sprachlichen Kompetenzen, heterogen waren, wodurch im Kunstunterricht stark differenziert werden musste und die Arbeit im Plenum reduziert wurde. Im Unterricht mit dem Schwerpunktthema „Die zeichnerische Spur“ (vgl. Kapitel 1.6) wurde erprobt, inwieweit die Sprachbildung mit dem Kunstunterricht vereinbar ist und welche Rückschlüsse die erhobenen Lerner/innendaten auf den (fach-)sprachlichen Lernbedarf im Kunstunterricht zulassen. Die Aufbereitung, Selektion und Auswertung der Daten verlief parallel zum Unterrichtsverlauf, da die Resultate und Prozesse des Unterrichts im Sinne der Aktionsforschung zur Überprüfung der praktischen Theorie herangezogen wurden (vgl. Kapitel 4.1). Im Rahmen der Pilotstudie wurde entsprechend der Methode Aktionsforschung ein vollständiger Aktionsforschungszyklus durchlaufen (vgl. Feldmeier 2014: 263– 264). Im Anschluss an die Pilotuntersuchung im zweiten Schulhalbjahr 2010 wurde ausgehend von einer ersten Datenauswertung die Hauptstudie geplant. Im Wesentlichen unterschied sich die Hauptstudie von der Pilotstudie in den folgenden Punkten: Nach einer ersten, wesentlich kürzeren Beobachtungsphase wurden bereits im Oktober zwei Lerngruppen aus zwei fünften Klassen ausgehend von den Profilanalysen und C-Test-Ergebnissen zusammengestellt (vgl. Kapitel 4.3; 5.1). Beide Lerngruppen von jeweils acht zwei- oder mehrsprachig aufwachsenden Schülerinnen und Schülern hatten Förderbedarf (vgl. Kapitel 5.1; Anhang, Teil 1). Der Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung mit zwei Gruppen zu jeweils acht Kindern ermöglichte es, Vergleiche zu ziehen und so Gemeinsamkeiten und Unterschiede beispielsweise in Bezug auf den Umgang mit dem Unterrichtsmaterial festzustellen. Der Unterricht mit beiden Gruppen fand parallel zum regulären Kunstunterricht mit einem Umfang von jeweils einer Doppelstunde pro Woche statt.118 In den Kleingruppen mit den mehrsprachig aufwachsenden Lernern/innen konnte gezielt auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder eingegangen werden und
|| 118 Im Kunstunterricht der regulären Lerngruppen mit den Schüler/innen, die nicht an dem Praxisforschungsprojekt teilnahmen, wurde hospitiert. Das Fach Kunst wurde in beiden Gruppen fachfremd unterrichtet. In den beobachteten Unterrichtsstunden wurden meist Kopiervorlagen für den Kunstunterricht oder Kopien aus Malbüchern eingesetzt. Meine Beobachtungen in den ersten zwei Monaten (09/10–10/10) ergaben, dass sich die unterrichtenden Lehrkräfte bei der Planung und Umsetzung des Unterrichts nicht an den Bildungsstandards, den Kernlehrplänen oder den curricularen Vorgaben der Schule orientierten. Dies stimmt mit den Ergebnissen der Bildungsberichterstattung (BMBF 2012: 9) überein, wo festgestellt wurde, dass das Angebot für die musisch-ästhetische Bildung an Haupt- und Realschulen deutlich schlechter als an Gymnasien ist, da Fächer wie Kunst oft fachfremd unterrichtet werden.
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die Unterstützung bei fachlichen oder sprachlichen Problemen im Sinne der Differenzierung angepasst werden. Dadurch konnten auch verschiedene Vorgehensweisen im sprachsensiblen Fachunterricht Kunst erprobt und die Prozesse sowie die Resultate verglichen werden. Die Hauptstudie umfasste das erste Schulhalbjahr beginnend im Oktober 2010 nach den Herbstferien bis Februar 2011 und das zweite Schulhalbjahr von Februar bis Juli 2011 (vgl. Kapitel 5.2). In diesem Zeitraum konnten zahlreiche der in den Bildungsstandards und im Kerncurriculum verankerten Kompetenzvorgaben für die Klasse 5 auf ihre Vereinbarkeit mit der integrierten Sprachbildung untersucht werden (vgl. Kapitel 1.4; 5.3; 5.4). Während der Hauptstudie wechselten sich im Sinne der Aktionsforschung die Erprobung der Integration von Sprachbildung im Kunstunterricht, also die Aktion und Reflexion des Unterrichts sowie die Modifikation der Maßnahmen entsprechend den Bedürfnissen der Lerner/innen ab. Die Zwischenauswertung des Unterrichts fand auf der Basis der Beobachtungen durch die unterrichtende Lehrkraft für jede Lerngruppe nach jeder Doppelstunde statt (vgl. Kapitel 4.5; 5.3.3; 5.4.3). Die Reflexion des Unterrichtsverlaufs und die Evaluation des Materials dienten der Planung der nächsten Schritte. Die Hauptstudie schloss ebenso wie zu Beginn der Untersuchung für alle DaZ-Teilnehmer/innen der Studie und ebenfalls 50 Schüler/innen aus den zwei Bezugsklassen mit C-Tests und für die 16 DaZ-Teilnehmer/innen der Studie sowie die weiteren acht DaZ-Schüler/innen aus beiden Bezugsgruppen mit Profilanalysen ab (vgl. Anhang, Teil 1). Nach dem Abschluss der Hauptstudie wurden im Folgeschuljahr weiterhin kürzere, temporäre Kunstprojekte mit integrierter Sprachbildung an der JvES angeboten.
4.3 Die Beurteilung des Sprachstands der Lerner/innen Leitende Fragestellungen eingangs des Praxisforschungsprojektes 2009 waren die nach der Diagnose des Sprachstandes der Lernenden: Wie lässt sich feststellen, welche Fünftklässler den für sie altersangemessenen Sprachstand bereits erreicht haben? Welche Kinder, die in ihren Familien überwiegend ihre Herkunftssprachen sprechen, könnten von einer zusätzlichen Förderung im Fachunterricht profitieren? Der Kunstunterricht mit integrierter Sprachbildung sollte mit Lernern/innen erprobt werden, die zwei- oder mehrsprachig auswachsen und die ggf. Unterstützung beim Sprechen und Schreiben über Bilder benötigten. Die Auswahl der Lerner/innen für den sprachsensiblen Kunstunterricht wurde durch Sprachstandsdiagnosen getroffen, die mit insgesamt drei fünften Klassen durchgeführt wurden. Diese Untersuchungen bildeten die Basis für die
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Zusammenstellung der Lerngruppen mit jeweils acht Schülerinnen und Schülern mit nachgewiesenem Förderbedarf. Bevor die Diagnoseverfahren zur Beurteilung der sprachlichen Fähigkeiten der Lerner/innen erläutert werden, wird die Arbeitsdefinition des Messgegenstands Sprachstand vorangestellt: Der Sprachstand eines Sprechers ist eine eigenaktiv aufgebaute Varietät zum Erhebungszeitpunkt [...]. Diese Varietät besteht einerseits aus zum Erhebungszeitpunkt sicheren, festen (korrekten oder nicht korrekten) Strukturen, andererseits aus spezifischen (korrekten/nicht korrekten) Strategien zur Gewinnung neuen Wissens. Strukturen und Strategien (interaktive/kognitive und native) beziehen sich auf verschiedene sprachliche Teilqualifikationen. Diese sind nicht unabhängig voneinander; sie werden aneinander entwickelt und können zu den unterschiedlichen Zeitpunkten Gegenstand von Umbauprozessen werden (U-Kurven-Effekt). (Ehlich 2007a: 25)
Der Sprachstand ist folglich zu einem bestimmten Erhebungszeitpunkt messbar. Sprachstandserhebungsverfahren beziehen sich meist auf die Ermittlung einer oder mehrerer Teilqualifikationen. Nach McNamara (vgl. 2007: 173) ist ein solches Beurteilungsverfahren ein Verfahren, um aus einer Handvoll Schüleräußerungen, -handlungen bzw. -produktionen dasjenige zu erschließen, was Schüler wissen, tun können oder erreicht haben. Solche Beurteilungsverfahren beruhen häufig auf Konstrukten, z. B. den Bildungsstandards oder Curricula. Diese geben wiederum an, was die Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt in Bezug auf Struktur- oder Strategiebereiche beherrschen sollten. Diese Konstrukte, die teils empirisch belegt sind, teils aber auch gesellschaftlich tradiert sind, repräsentieren verschiedene Ansichten bezüglich des Spracherwerbs. Lehrpläne repräsentieren z. B. gesellschaftliche, politische und pädagogische Wertvorstellungen (vgl. ebd.: 172). Verfahren zur Erfassung des Sprachstandes der Lerner/innen basieren also auf solchen Konstrukten, die laut Konrad Ehlich (2007a) meist „nur geringe Bezüge zu linguistisch fundierten Kenntnissen in Bezug auf die kindliche Sprachaneignung“ haben: Nachdem in den 70er und 80er Jahren ein enger Bezug zu bestimmten linguistischen Herangehensweisen zu beobachten war, hat sich die Verbindung zum linguistischen Wissen in all seiner Diversität zunehmend gelockert. Testtheoretisch sind die meisten untersuchten Sprachtests unzureichend. […] Trotz vielfältiger Bemühungen von Erziehenden und Lehrenden ebenso wie von wissenschaftlicher Seite sind die Erkenntnisse über mehrsprachige Sprachaneignung noch immer punktuell. In Testverfahren finden sie kaum Einlass. (Ehlich 2007a: 15)
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Die Erkenntnisse zum Erwerb des Deutschen als Zweitsprache werden beispielsweise in wenigen Konstrukten, wie z. B. den curricularen Vorgaben, zur Begründung der zu erreichenden Kompetenzen und der Ziele herangezogen. So gibt es beispielsweise in Hessen zwar eine Verordnung119 zu den Maßnahmen der Zweitsprachenförderung, aber ein spezifisches Curriculum entsprechend den Erwerbsstufen existiert nicht. Der Lernerfolg der Schüler/innen, deren Erstsprache eine andere als Deutsch ist, wird daher ausgehend von denselben Konstrukten gemessen wie der von monolingual aufwachsenden Kindern. Zur Erhebung des Sprachstandes ist es deshalb von zentraler Bedeutung, gezielt Verfahren zu entwickeln, die sich an Konstrukten orientieren, die mit den Spracherwerbsstufen von nicht monolingual aufwachsenden Kinder korrelieren. In diesem Bereich gibt es bislang wenige angemessene Modelle und die existierenden beziehen sich überwiegend auf die Spracherwerbsphase ab drei Jahren bis zur Phase des Schuleintritts mit sechs. „Sieht man von den spezifischen Leseund Rechtschreibtests ab, ist der gesamte schulische Bereich bis in die Sekundarstufe I vergleichsweise wenig abgedeckt.“ (Ehlich 2007a: 45) Zudem sei laut Ehlich (ebd.: 45) zu berücksichtigen, „dass viele der Tests, die sich auf die Altersstufen ab sieben Jahre beziehen, über 20 Jahre alt oder aber Neuauflagen über 20 Jahre alter Verfahren sind“. So stammt z. B. der Allgemeine Deutsche Sprachtest (ADST) aus dem Jahre 1978. Neuere Verfahren, die die aktuellen Entwicklungen in Linguistik, Sprachdidaktik, Spracheignungsforschung und nicht zuletzt Testtheorie einbeziehen, widmen sich also nur wenig den sprachbezogenen Aneignungsprozessen in den Altersstufen über sechs (vgl. ebd.: 45). Für die Lerner/innen der Sekundarstufe in der fünften Klasse gibt es zur Messung des Sprachstandes somit wenige Verfahren. Verfahren zur Messung der (fach-)sprachlichen Kompetenzen in Bezug auf die Qualifikationsziele des Fachunterrichts, insbesondere des Kunstunterrichts, gibt es bislang nicht. Diagnoseverfahren, die sich zur Feststellung des Sprachstandes und allgemeinen sprachlichen Förderbedarfes von mehrsprachig aufwachsenden Kindern eignen, sind spezifische C-Tests für die Fünftklässler und die Profilanalyse nach Grießhaber. Diese Verfahren werden in den folgenden Kapiteln erläutert. Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Ermittlung des Sprachstandes immer nur eine Momentaufnahme mit relativ großer Zufallsab-
|| 119 Verordnung zum Schulbesuch von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache vom 5. August 2008. Diese Verordnung trat am 15. September 2008 in Kraft (vgl. HKM 2009, Gült. Verz. Nr. 7200).
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weichung sein kann: „Beurteilungen sind mithin Interpretationen, sie liefern Einschätzungen [Hervorhebung im Original], aber niemals Sicherheit.“ (McNamara 2007: 174). Konrad Ehlich merkt dazu an: Die Zufallsabweichungen bei Testaufgaben zur Einschätzung sprachlicher Fähigkeiten sind sehr groß. So müssten von einem Schüler 20 oder mehr Aufgaben zum Bereich Schreiben [Hervorhebung im Original] bearbeitet werden, um zuverlässige Aussagen über dessen Schreibqualifikation zu liefern. […] Ein Test mit nur einer Aufgabenstellung erlaubt keine Generalisierungen. Schüler müssten also für jede zu beurteilende Generalisierung eine ganze Reihe verschiedener Tests bearbeiten. (Ehlich 2007a: 56)
Das Praxisforschungsprojekt an der JvES konnte diesem Anspruch nur bedingt Folge leisten, denn die Erhebung des Sprachstandes diente primär der Zusammenstellung der Lerngruppen und es war nicht zu leisten, den Sprachstand der Schüler/innen fortlaufend zu testen. Zudem lassen die genannten Verfahren keine Rückschlüsse auf die fach-, bildungs- und schulsprachlichen Kompetenzen im Fachunterricht zu, da sie teilsprachliche Fähigkeiten in den Bereichen Syntax, Lexik und Semantik untersuchen (vgl. Kapitel 4.3.1; 4.3.2). Infolgedessen eigenen sie sich nur bedingt, um Rückschlüsse auf die fachlichen und damit verbundenen sprachlichen Lernfortschritte der Fünftklässler im Kunstunterricht zu ziehen. Für die lernerorientierte Unterrichtsvorbereitung unter Berücksichtigung des Scaffolding waren die prozessbegleitende Beobachtung der unterrichtenden Lehrkraft sowie die Begutachtung der Produkte, die die Schüler/innen im Kunstunterricht anfertigten, grundlegend (vgl. Kapitel 4.4; 4.5) Weitere Gründe für den Einsatz der Sprachstandsdiagnoseverfahren lediglich am Anfang und Ende des Projektzeitraumes (vgl. Anhang Teil 1) waren darüber hinaus nicht nur der lange Zeitraum und die begrenzten Ressourcen, sondern auch der Untersuchungsschwerpunkt: Die Umsetzung des Scaffolding, also die Unterrichtsplanung und die Erprobung des Konzeptes standen im Vordergrund. In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand liefert leider keines der im Folgenden vorgestellten Instrumente Informationen zum Stand der Bildkompetenzen und der damit verbundenen sprachlichen Fähigkeiten.
4.3.1 Die Profilanalyse Viele Verfahren zur Ermittlung der sprachlichen Fähigkeiten von Kindern fokussieren die Defizite oder auch Probleme der Kinder (vgl. Dlaska/Krekeler 2009: 10). Anders verhält es sich mit der Profilanalyse, die von den bereits vorhandenen Fähigkeiten der Schüler/innen ausgeht.
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Der Erwerb des Deutschen als Zweitsprache ist abgesehen von den mehr oder weniger stark schwankenden Besonderheiten der einzelnen Lerner/innen durch stabile Regelmäßigkeiten gekennzeichnet. So werden die grundlegenden Stellungsregeln der finiten und infiniten Verbteile in einer festen Reihenfolge erworben (vgl. Grießhaber 2007a: 32). Die Untersuchung der Stellung finiter Verben bzw. infiniter Verbteile ist also der Ausgangspunkt des Verfahrens. Der Erwerb der Verbstellungsregeln erfolgt schrittweise in unveränderlichen Stufen. Die jeweils höheren Stufen implizieren den Erwerb der jeweils niedrigeren Stufen. Mit Blick auf die Sprachförderung ist es wichtig zu beachten, dass mit der Information über die von einem Lerner oder einer Lernerin erreichten Stufe gleichzeitig weitere Informationen zum Stand ihres/seines Lernprozesses und Eigenschaften ihrer/seiner Sprache verbunden sind, ohne dass diese Aspekte direkt weiter erhoben werden. So entwickelt sich z. B. die Korrektheit der Nominalflexion in Verbindung mit den erreichten Erwerbsstufen (vgl. Grießhaber 2007b: 185). Folglich machen Lerner/innen auf einer hohen Erwerbsstufe deutlich weniger Flexionsfehler als Lernende auf den untersten Stufen. Die linguistischen Grundlagen der von Grießhaber entwickelten Profilanalyse gehen auf die Arbeiten der ZISA-Forschungsgruppe (Clahsen/Meisel/Pienemann 1983) zurück, in deren Rahmen Pienemann den Erwerbsprozess dreier italienischer Schüler/innen beschreibt und analysiert (vgl. Grießhaber 2007b: 186). Danach ist der Erwerbsprozess einerseits durch individuell variierende Prozesse gekennzeichnet, andererseits durch Stufen, die Lernende in einer bestimmten Reihenfolge durchlaufen. Als derart invariante Erwerbsaufgabe hat sich für das Deutsche die Stellung finiter Verbteile erwiesen. Nachfolgend sind die Stufen mit ihren entscheidenden Merkmalen dargestellt: Tab. 10: Profilstufen nach Grießhaber (2007b.: 186) Stufen Stellungsfelder
Muster
4.
Nebensätze mit finitem Verb in Endstellung
…, dass er so schwarz ist.
3.
Subjekt nach finitem Verb nach vorangestellten Adverbialen
Dann brennt die …
2.
Separierung finiter/ infiniter Verbteile
Und ich habe dann geweint.
1.
Finites Verb in einfachen Äußerungen
Ich versteh.
0.
Bruchstückhafte Äußerungen, ohne finites Verb
anziehn Ge/
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Pienemann (1986) wies für den Erwerb des Deutschen als Zweit- wie auch als Fremdsprache nach, dass die oben dargestellte grundlegende Reihenfolge durch den Unterricht nicht verändert werden kann. Den entscheidenden Schritt zum didaktisch einsetzbaren Diagnoseinstrument stellt jedoch Clahsens (1985) Vorschlag dar, die empirisch ermittelten Erwerbsstufen als Maßstab für die Diagnose einzusetzen (vgl. Grießhaber: WWW-Veröffentlichung). Grießhaber (2007b) vereinfacht das Verfahren zur Ermittlung des besonderen Förderbedarfs nichtdeutschsprachiger Schüler/innen bei der Einschulung. In der Folgezeit wird das Verfahren ebenfalls zur analytischen Beschreibung schriftlicher Texte in höheren Altersstufen eingesetzt (vgl. Grießhaber 2007b: 187). Zudem entwickelt Grießhaber (2007a) die Zuordnung von den grammatischen Eigenschaften der Lerner/innensprache in Verbindung mit den Stufen weiter und schlägt folgende Merkmalsbeschreibung vor: Tab. 11: Merkmalsbeschreibungen zu den Profilstufen nach Grießhaber (vgl. WWW-Veröffentlichung: http://spzwww.uni-muenster.de/~griesha/pub/tprofilanalyse-azm-05.pdf (Zugriff: 02.01.2010))
Stufen
Merkmale
4 Nebensätze
– komplexe Strukturierung mit Nebensatzstrukturen – differenzierter Wortschatz – dichte Verkettung mit operativen und deiktischen Prozeduren120 – Partikel zur Hörersteuerung und Modalisierung
3 Inversion
– ausreichender Wortschatz, Genus unsicher – Deiktika in thematischer Prä-V2 Position – Fortführung – Verkettung mit operativen und deiktischen Prozeduren – Nebensatzstrukturen unsicher; im Entstehen
2 Klammer
– ausreichender Wortschatz, Genus unsicher – Symbolfeldausdrücke121 mit Determinativ; syntaktisch integriert
|| 120 Deiktisch sind jene Ausdrücke, die auf die personellen, temporalen oder lokalen Charakteristika der Sprechsituation verweisen, z. B. ich – du, jetzt – dann, hier – da. (vgl. Dürr/Schlobinski 2006: 294) 121 Von K. Bühler, Sprachtheorie, eingeführte Kategorie zur Bestimmung der Leistung nennender Ausdrücke. Das Symbolfeld (S) ist situationsentbunden und konstituiert einen für den einzelnen Nenn-Ausdruck jeweils eigenen Bezugsrahmen. Diese Herausbildung vollzieht sich in der Entfaltung des semantischen Umfelds. (vgl. Ehlich 2007b: 416) Die Mittel des Symbolfelds, hauptsächlich Adjektive, Adverbien, Nomina und Verben, werden in der nennenden Prozedur verwendet. Bühler entwickelt das Konzept des S im Gegensatz zum Zeigfeld (vgl. ebd.: 416).
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Stufen
Merkmale – sichere Perfektformen, Modalverbkonstruktionen – beginnende Verkettung durch operative Prozeduren – Unterstützung durch Hörer
1 Finitum
– eingeschränkter Wortschatz, Lücken, Genus unsicher – Symbolfeldausdrücke oft ohne Determinativ; syntaktisch isoliert – meist Verankerung mit Finitum – Neufokussierung statt Verkettung von operativen Prozeduren – Hilfe durch Hörer
0 Bruchstück
– stark eingeschränkter Wortschatz, Lücken – unklare Strukturen bei mehreren Symbolfeldausdrücken – meist ohne Verankerung mit Finitum, viele verblose Äußerungen – Verben in der Regel irgendwie flektiert – keine Verkettung durch operative Prozeduren – Wiederholung von Symbolfeldausdrücken zur Verkettung – Mimik/ Gestik, Hilfe durch Hörer
Irritierend an der Profilanalyse ist zunächst, dass die Zuordnung zu den Stufen unabhängig von den formalen Fehlern erfolgt. So spielt eine falsche Kasusendung beispielsweise keine Rolle. Des Weiteren spielt die Textlänge und die Zahl der Sätze bei der Zuordnung zu den Stufen nur eine untergeordnete Rolle. Hierzu merkt Grießhaber an: „Verständnis benötigt weiterhin, dass bei der Profilanalyse im Grunde die Anzahl der Konstituenten, also der Umfang der Äußerung keine Rolle spielt.“ (Grießhaber 2007b: 193) Als Vorteil der Profilanalyse hebt Grießhaber allerdings hervor, dass die „Ausblendung formaler Fehler, die für deutsche Muttersprachler sehr auffällig sind, sowie die Konzentration auf strukturelle Aspekte der Lernersprache […] den Lehrkräften bei der Erkennung des schon Erreichten“ hilft (Grießhaber 2007b: 192). Für die Zuschreibung zu einer bestimmten Stufe merkt Grießhaber an, dass es nicht genügt, „wenn eine Stufe nur einmal realisiert wurde, um festzustellen, dass der gesamte Text dieser Stufe entspricht. Auf der Basis des umfangreichen Textkorpus wird als Kriterium vorgeschlagen, dass eine Stufe mindestens dreimal realisiert worden sein muss, um ihn dieser Stufe zuzuweisen“ (ebd.: 195). Ausgehend von der Analyse dieses Textkorpus wird beurteilt, welche Stufe erreicht wurde. Grießhaber weist im Zusammenhang mit der Auswertung und Zuschreibung zu den Stufen auf die Abhängigkeit von Textsorte und sprachlicher Umsetzung hin: „Schwankungen liegen nicht so sehr an der wechselnden Tagesform des
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Lerners als vielmehr an unterschiedlichen Diskursarten“ (Grießhaber 2007b: 194). Grießhaber schlägt daher längere Erzählphasen oder schriftliche Erzählungen nach Impulsen für die Durchführung der Profilanalyse vor. Zudem empfiehlt er, den Sprachstand darüber hinaus mit Hilfe eines C-Tests zu beurteilen: „Das tatsächlich erreichte Niveau lässt sich durch einen C-Test ermitteln. Allerdings erhält man durch den C-Test keinerlei weitere Informationen über sprachliche Eigenschaften der Lernersprache." (Grießhaber 2007b: 191) Dieses Testinstrument setzt jedoch rezeptive Kenntnisse voraus und berücksichtigt im Unterschied zur Profilanalyse die formale Richtigkeit der Flexionsendungen. So kombiniert eingesetzt, dienen beide Instrumente dazu, ein differenziertes und genaues Bild der Sprachkenntnisse zu liefern. In dem Projekt „Deutsch und PC“ hat Grießhaber über vier Jahre hinweg mit Hilfe der Profilanalyse, C-Tests und Unterrichtsbeobachtungen die sprachliche Entwicklung von Grundschülern mit und ohne Migrationshintergrund untersucht. Er stellte anhand von den Untersuchungsergebnissen fest, dass am Ende der Klasse 4 aus einer Gesamtmenge von 30 Probanden und Probandinnen 10 Schüler/innen die Profilstufe 4 erreicht hatten. Mit Hilfe eines C-Tests hat er die Zuteilung in eine Spitzen-, Mittel- und Schlussgruppe vorgenommen. Die Mittelgruppe (10 Schüler) erlangte Profilstufe 3. Die Schlussgruppe mit 10 Kindern erreichte Profilstufe 2. Fast alle Texte der Spitzengruppe erreichten das höchste Niveau mit Nebensätzen und Verbendstellung. In jedem Text der Spitzengruppe ist mindestens ein Nebensatz mit Verbendstellung enthalten. Dagegen erreichten die Texte der Schlussgruppe lediglich die zweite Stufe mit der Separation von finiten und infiniten Verbteilen. Dieser Struktur entspricht eine stärkere Orientierung an der mündlichen Sprache mit den typischen Perfektformen. Die Mittelgruppe hat mit Inversionen wie z. B. ‚Und dann‘ … oder ‚Auf dem Weg‘ ein wichtiges Mittel zur Verbindung einzelner Sätze im Text erworben. (Grießhaber 2008a: 35)
Lerner/innen im Alter von neun bis zehn Jahren, also zu Beginn der Klassenstufe 5, sollten laut Grießhaber Profilstufe 4 erreicht haben. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, so liegt nach Grießhaber Förderbedarf vor.122 Nachfolgend soll kurz auf die Gesamtergebnisse der Studie „Deutsch und PC“ eingegangen werden, da diese relevant für das vorliegende Vorhaben sind. || 122 Auf eine schriftliche Anfrage meinerseits gab Herr Prof. Dr. Grießhaber folgende Informationen: „Zu Ihren Fragen: die unterschiedlichen Profilbögen berücksichtigen die unterschiedlichen Spracherwerbsstände. Zu Anfang der Sekundarstufe sollten eigentlich alle Stufe 4 erreicht haben. Wenn das nicht der Fall ist, liegt sehr wahrscheinlich ein Förderbedarf vor.“ (E-Mail vom 11.11.2009).
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Insgesamt sind die Ergebnisse dieser Längsschnittstudie ernüchternd. Trotz einer zusätzlichen Förderung erwies sich, dass sich schon am Ende des ersten Schuljahres eine Schichtung nach Zweitsprachkenntnissen herausgebildet hat, die am Ende der vierten Klasse ebenso ermittelt wird. Dies bedeutet folglich, dass sich gute Lerner/innen schon am Anfang ihrer Schullaufbahn in der Gruppe der Guten befinden, während schwache Lerner/innen bei Schulbeginn wie am Ende der Grundschule unter den Schwachen sind. Als Kriterium für diese Unterschiede ist entsprechend Grießhaber die Menge der umgesetzten Sprachmittel zu sehen: „Wer früh viel umsetzt – hier ermittelt über die Produktion – erwirbt auch viele und differenzierte Regeln; wer wenig umsetzt, erwirbt offensichtlich nur grobe, schlecht angepasste Regeln, d. h. macht viele Fehler“. (Grießhaber 2007a: 45) Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Untersuchung ist, dass explizite grammatische Regelvermittlung gegen die in der alltäglichen Kommunikation erworbenen und verfestigten sprachlichen Regularitäten kaum Chancen hat (vgl. ebd.: 45). Laut Grießhaber sollte daraus jedoch nicht vorschnell der Schluss gezogen werden, dass schulischer Unterricht folgenlos bliebe. Der Unterricht müsse sich seiner Bedingungen und Grenzen bewusst sein, damit auch die Chancen erkannt und genutzt werden können (vgl. ebd.: 45). Grießhaber konnte einen größeren Erfolg beim sprachlichen Kompetenzerwerb in Verbindung mit der Verwendung von schriftsprachlichem Material im Gegensatz zu mündlichem Input verzeichnen. Er empfiehlt daher für den Unterricht, mehr Texte aus Kinder- und Jugendbüchern lesen zu lassen. Dieser Input mache die Funktionalität der differenzierten grammatischen Mittel erfahrbar, die in der alltäglichen Peer-Interaktion mit der vereinfachten Sprache fehlt. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse stellt sich die Frage, inwieweit im Fachunterricht Kunst mit integrierter Sprachbildung in durchschnittlich 54 Unterrichtsstunden pro Schuljahr messbare Erfolge möglich sind. Es ist durchaus zu befürchten, dass der Lernerfolg im Rahmen des Projektes an der JvES mittels der Profilanalyse nicht messbar ist, da die Schüler/innen in allen Fächern neuen sprachlichen Input verarbeiten und ihre sprachlichen Kompetenzen allgemein erweitern. Da mittels der Profilanalyse keine Rückschlüsse auf den spezifischen Kompetenzerwerb im Fach Kunst gezogen werden können, können die Auswertungsergebnisse nicht zur Beurteilung des sprachsensiblen Kunstunterrichts herangezogen werden. Darüber hinaus ist zur Ermittlung des Lernfortschritts in Bezug auf Lernziele auf der Basis der Konstrukts Kunstlehrplan und der Bildungsstandards für das Fach Kunst (vgl. Kapitel 1) die Profilanalyse nicht geeignet, da sie lediglich auf die Erhebung von Sprachstandsdaten aus den Bereichen Syntax, Morphologie, Orthografie und Semantik fokussiert.
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Dennoch wurde dieses Verfahren sowohl am Anfang und Ende der Pilot- als auch der Hauptstudie in den beiden 5. Klassen eingesetzt, um Lerngruppen mit nachgewiesenem sprachlichen Förderbedarf zusammenzustellen und die sprachliche Entwicklung aller Zweitsprachenlernenden, auch denjenigen, die nicht an der Untersuchung teilgenommen haben, zu diagnostizieren (vgl. Anhang, Teil 1; Kapitel 5.1). Zur Ermittlung der Lernfortschritte im Fach Kunst gemäß den curricularen Vorgaben wurden die im schulischen Bereich üblichen Instrumente herangezogen: Unterrichtsbeobachtungen der unterrichtenden Lehrkraft, teils auch einer externen Beobachterin sowie Schülerprodukte sowohl in den Bereichen Schreiben als auch der künstlerischen Produktion. Ein standardisiertes Verfahren zur Überprüfung des Leistungsfortschritts im Kunstunterricht existiert bislang nicht. Hier greift die Hypothese von Dlaska und Krekeler (2009), dass standardisierte Tests und Leistungsbeurteilungen in der Schule wenig gemein haben und sich diese unterschiedlichen Welten in Wissenschaft und Praxis kaum begegnen, da die Umstände, Methoden und Funktionen sehr unterschiedlich sind (vgl. 2009: 5).
4.3.2 Der C-Test Der C-Test lieferte neben der bereits vorgestellten Profilanalyse von Grießhaber zusätzlich Informationen zum Sprachstand aller Lerner/innen der beiden fünften Klassen während des Projektzeitraums und diente ebenso dazu, die Probandengruppen begründet zusammenzustellen und den sprachlichen Lernzuwachs aller Schüler/innen im Vergleich mit den Bezugsgruppen, zwei fünften Klassen mit insgesamt 50 Kindern, am Anfang und Ende der Untersuchung zu beurteilen. Im Folgenden sollen kurz die Funktion, der Aufbau, die Auswertung und die Leistungen von C-Tests im Allgemeinen und in Bezug auf die C-Test-Ergebnisse der Fünftklässler erläutert werden (vgl. Anhang 1; Teil 1). Die vorliegenden C-Tests wurden sowohl mit den monolingual als auch mit den mehrsprachig aufwachsenden Kindern durchgeführt. Grund dafür ist, dass somit eine Fixierung auf die zwei- oder mehrsprachigen Lerner/innen als ‚Problemgruppe‘ vermieden wurde. Zudem haben Baurs und Spettmanns Ergebnisse von vielfältigen C-Test-Erprobungen im Sekundarstufenbereich gezeigt, dass auch monolingual aufwachsende deutschsprachige Kinder Förderbedarf haben, während sich mehrsprachige aufwachsende Schüler/innen ohne sprachliche Auffälligkeiten im Bereich Deutsch entwickeln (vgl. Baur/Spettmann 2007: 97). Bei den verwendeten C-Tests handelt es sich um mehrfach erprobte Tests. Der eine stammt aus dem Projekt „Deutsch und PC“, welches von 2002 bis 2006 an
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verschiedenen Grundschulen in Hessen durchgeführt und 2007 in der Sekundarstufe weitergeführt wurde. Es handelt sich dabei um ein gemeinsames Projekt des Hessischen Kultusministeriums und der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Grießhaber und seine Mitarbeiter/innen, die das Projekt wissenschaftlich betreuten, erstellten die C-Tests zur Ermittlung der Sprachkenntnisse der Lernenden in der Phase des Übergangs von der 4. Klasse auf die weiterführenden Schulen. Sie stellten die Test auf Anfrage zur Verfügung.123 Der zweite Test wurde von Baur und Spettmann in Zusammenarbeit mit dem Schulministerium NRW entwickelt. Die auf der Homepage des Schulministeriums bereitgestellten C-Tests für die Klasse 5 soll Lehrkräften bei der ersten Einschätzung der sprachlichen Leistungen der Lernenden und bei der Feststellung des Förderbedarfs helfen.124 Beide C-Tests bestehen jeweils aus vier in etwa gleich langen Texten. Die Texte sind aus Schulbüchern der Klassen 4 und 5 entnommen. Es handelt sich um Sachtexte und kurze Erzählungen. Innerhalb dieser Texte sind zwanzig Lücken nach dem nachfolgend beschriebenen „C-principle“ erstellt worden: Starting at the second sentence, remove the second half of every second word. Replace it with a blank. After 20 or 25 blanks let the text run on to its natural conclusion. If a word has an odd number of letters, remove the larger half. Words with only one letter are ignored in the counting.125
Im Unterschied zum beschriebenen klassischen ‚C-principle‘ wurde lediglich der Abstand der Lücken vergrößert: In dem C-Test der Fünftklässler wurde beginnend mit dem zweiten Satz die zweite Hälfte jedes dritten Wortes gelöscht. Dies erleichtert es den Lerner/innen, sich den Kontext zu erschließen (vgl. ebd.). Die Themen werden durch die vorhandenen Textteile, insbesondere durch die Überschrift und den vollständigen Anfang und das Ende, vorgegeben. Die Probanden und Probandinnen rekonstruieren nach dem Lesen der Texte die fehlenden Teile und ergänzen die Lücken. Dafür haben die Lerner/innen pro Testteil
|| 123 Weitere Erläuterungen zum Projekt „Deutsch und PC“ finden sich auf folgenden Seiten: http://spzwww.uni-muenster.de/~griesha/dpc/index.html; http://grundschule.bildung.hessen.de/projekte/projektdupc/ (Zugriff: am 09.05.2014). 124 Die C-Tests für die Sekundarstufe können kostenlos unter der folgenden Internet-Adresse heruntergeladen werden: http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/cms/kud/standardisierte-verfahren/c-test/ (Zugriff: am 08.05.2014) (Letzter Zugriff: 03.03.2019; Internetseite nicht mehr vorhanden). 125 Vgl. Grießhaber 2003–2014: http://spzwww.uni-muenster.de/griesha/sla/tst/ctestbas.html (Zugriff: 08.05.2014).
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mit 20 Lücken etwa fünf Minuten Zeit. Daraus ergibt sich eine gesamte Bearbeitungsdauer von 20 Minuten (vgl. ebd.). Um solche ‚manipulierten‘ Texte zu rekonstruieren, müssen die Schüler/innen beim Lesen ihre allgemeine Sprachkompetenz aktivieren, aber auch spezifische Lesestrategien anwenden. „Je größer die Lese- und Schreibkompetenz eines Probanden ist, desto besser wird der C-Test gelöst. Die Testergebnisse liefern valide Aussagen über den Grad der allgemeinen mit Lesen und Schreiben verbundenen Sprachfähigkeit der getesteten Schülerinnen und Schüler“. (Baur/Spettmann 2007: 96–97) Im Fremdsprachenunterricht wird der C-Test häufig als Instrument zur globalen Bestimmung der Sprachfähigkeit eingesetzt. Im Bereich DaZ dient er der Überprüfung der Lesekompetenz und des Textverständnisses. Die Fertigkeit Schreiben spielt eher eine untergeordnete Rolle, da das Schreiben beim C-Test durch den vorgegebenen Lesetext gesteuert wird. Das schriftliche Ausfüllen der Lücken kann nur rudimentäre Hinweise auf Schwächen in der Orthographie und in der Morphosyntax liefern (vgl. Baur/Spettmann 2007: 95). Der Test erfasst somit nur sprachliche Teilqualifikationen der Lerner/innen auf eine standardisierte Weise in einer kontrollierten Handlungssituation. Damit die Testergebnisse hinsichtlich der rezeptiven Leseleistung und der orthografischen und morphosyntaktischen Fähigkeiten ausgewertet werden können, werden diese beiden Bereiche unabhängig voneinander erfasst und anschließend in Relation zueinander interpretiert. Die Testauswertung erfolgt entsprechend des Analyseverfahrens von Baur und Spettmann (2007) und wird nachfolgend kurz erläutert: Bei der Auswertung der C-Tests werden zwei Ergebniswerte ermittelt (vgl. Anhang, Teil 1). Der erste ist der sogenannte Richtig/Falsch-Wert (im folgenden RF-Wert). Für jeden Probanden wird zudem der Worterkennungswert (im Folgenden WE-Wert) erhoben. Der RF-Wert gibt in Prozent an, wie viele semantisch, orthografisch und grammatikalisch korrekt ergänzte Lücken vorhanden sind (vgl. Baur/Spettmann 2007: 98). Nach der Addition der maximal achtzig Richtig/Falsch-Punkte (im Folgenden RF-Punkte) erhält man umgerechnet in Prozent den RF-Wert. Dieser RFWert gibt Auskunft über den Grad der allgemeinen sprachlichen Kompetenz eines Probanden oder einer Probandin im Lesen und Textverstehen sowie über seine oder ihre grammatikalischen und orthografischen Fähigkeiten. Eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Kompetenzen, z. B. der semantischen und der grammatischen Kompetenz, kann ausgehend vom RF-Wertes zunächst nicht getroffen werden. Hier kommt der WE-Wert zum Tragen. Denn er ermöglicht eine differenzierte Aussage zu den semantischen im Vergleich zu den morphosyntaktischen, orthografischen und grammatikalischen Fähigkeiten. „Der WE-Wert ergibt sich aus der Menge der semantisch korrekt ergänzten Wörter
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und erfasst somit die rezeptive sprachliche Kompetenz der Testpersonen.“ (Baur/Spettmann 2007: 99) Die Kategorie WE wird folgendermaßen bewertet: „Auch wenn die formalsprachliche Umsetzung nicht korrekt ist, das Wort aber erkannt wurde, gibt es einen Worterkennungspunkt (WE-Punkt).“ (ebd.: 100). Die RF- und WE-Punkte werden in einer Tabelle getrennt ausgewiesen und dürfen nicht addiert werden (vgl. Anhang, Teil 1). Denn es ist die Differenz zwischen den beiden Werten, die jeweils für jeden Schüler oder jede Schülerin interpretiert werden muss. In einer zusätzlichen Spalte wird deshalb aus den beiden Werten der Differenzwert (Dif-Wert) berechnet. Dieser spiegelt das Verhältnis zwischen den produktiven und rezeptiven sprachlichen Fähigkeiten einer Schülerin oder eines Schülers wider (vgl. ebd.: 100). Zur konkreten Bewertung der ausgefüllten Lücken werden im Folgenden konkrete Hinweise von Baur und Spettmann (2007: 100–102) erläutert: Zur Ermittlung des RF-Wertes erhalten nur richtig ausgefüllten Lücken einen Punkt. Alle Falschschreibungen, auch wenn es sich um die Wiederholung eines Buchstaben handelt, werden in der Kategorie RF strikt als Fehler gewertet. Für die Kategorie WE lautet die Grundregel, dass alle Schreibweisen als WE gewertet werden, aufgrund derer vermutet werden kann, dass das semantisch passende Wort gemeint war, aber nicht fehlerfrei realisiert wurde. Eine eigene Wertung wurde für Fehler im Bereich des Artikels festgelegt. „So wird immer ein WE-Punkt vergeben, wenn an einer Stelle ein notwendiger Artikel ergänzt wird – auch wenn es die falsche Form des Artikels ist.“ (ebd.: 102) Diese Wertung wurde von Baur und Spettmann (vgl. 2007: 102) damit begründet, dass es für Lerner/innen in artikellosen Herkunftssprachen bereits eine Leistung darstellt, zu erkennen, dass an einer Stelle im Satz ein Artikel gefordert wird. Anders wird der Gebrauch von falschen Präpositionen gewertet. Hier gibt es keinen WE-Punkt, wenn eine falsche Präposition verwendet wurde, da jede Präposition für sich jeweils eine andere Bedeutung hat (vgl. Baur/Spettmann 2007: 102). Zur Auswertung der C-Tests für die Sekundarstufe geben Baur und Spettmann folgende Hinweise: Sie ermittelten auf der Grundlage von jeweils 500 durchgeführten Tests pro Klassenstufe relativ stabile Referenznormwerte. Die Normwerte werden ausschließlich aus den RF-Werten der muttersprachlichen Schüler/innen ermittelt, um die Norm für die allgemeine Sprachfähigkeit an die altersgemäß ausgebildete Sprachkompetenz der Muttersprachler/innen zu koppeln (vgl. ebd.: 105). Aus der Berechnung von Baur und Spettmann (vgl. ebd.) ergeben sich folgende Referenzwerte für den RF-Wert126: || 126 vgl. Schulministerium NRW: Screening mit dem C-Test.
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Tab. 12: Referenzwerte für den RF-Wert und Empfehlungen nach Baur und Spettmann (vgl. 2007: 105)
Fehler
RF-Wert (in %)
Bereich
0–24
100–70
1 klassenstufengemäße Leistung
25–32
69,9–60
2 weitere Analyse ratsam
33–40
59,9–50
3 weitere Analyse notwendig
>41