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German Pages 378 Year 2006
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 194
Insiderrecht und Kapitalmarktkommunikation unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsrahmens für Finanzanalysten
Von Julian Fischer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JULIAN FISCHER
Insiderrecht und Kapitalmarktkommunikation unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsrahmens für Finanzanalysten
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 194
Insiderrecht und Kapitalmarktkommunikation unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsrahmens für Finanzanalysten
Von Julian Fischer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Wintersemester 2003 / 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-11619-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die Arbeit lag im Wintersemester 2003/2004 der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation vor. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Eberhard Schwark, der das Thema angeregt und die Arbeit begleitet und gefördert hat. Auch möchte ich Herrn Prof. Dr. Hans Peter Schwintowski für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danken. Berücksichtigt wurden die gesetzlichen Änderungen bis zum Frühjahr 2002. Die Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmißbrauch) sowie die im Jahre 2004 durch deren Umsetzung in das nationale Recht eingetretenen Gesetzesänderungen wurden nicht mehr eingearbeitet. Die Rechtsprechung zum Insiderrecht wurde ausgewertet und eingearbeitet, soweit sie bis November 2003 erschienen ist. München, im März 2006
Julian Fischer
Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Erster Teil
Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG
30
Erster Abschnitt Der Insider-Rechtsrahmen für Emittentenvertreter A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot . . . . . . . . . . . . B. Weitere potentielle Informationsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 31 43
Zweiter Abschnitt Der Insider-Rechtsrahmen für Informationsintermediäre A. Der insiderrechtliche Status der Informationsintermediäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56 57 84
Dritter Abschnitt Der Umfang des Insidertatsachenbegriffs
101
A. Das Merkmal „Insidertatsache“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 B. Die sogenannte „Mosaiktheorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Vierter Abschnitt Faktische Verbotswirkung
144
A. Der sogenannte „chilling effect“ des Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Zusammenfassung und abschließende Bewertung der Insiderrechtslage für Emittentenvertreter und Analysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
6
Inhaltsübersicht Zweiter Teil
Beurteilung der Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Argumentation gegen eine (insider-)rechtliche Privilegierung der Finanzanalysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Argumentation für eine (insider-)rechtliche Privilegierung der Finanzanalysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Exkurs: Gesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung der (Informations-)Effizienz des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Abwägung der für und wider eine insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten angeführten Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 174 176 185 208 221
Dritter Teil
Beurteilung der Rechtslage aus rechtsvergleichender Sicht
236
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Erster Abschnitt Insiderhandel als Wertpapier-Betrug i. S. von Rule 10b-5
240
A. Der Tatbestand von Rule 10b-5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 B. Die sogenannte „fiduciary duty“-theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 C. Die sogenannte „misappropriation“-theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Zweiter Abschnitt Die „Fair Disclosure“-Regelung
262
A. Das Verbot „selektiver“ Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Vierter Teil
A. B. C. D.
Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
295
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbesserungsvorschläge für das deutsch/europäische Insiderrecht . . . . . . . . . . Das Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Erörterung des deutsch/europäischen Haftungskonzepts . . . . . . . . . . .
295 296 316 342
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zunehmende Bedeutung der Finanzanalyse für den Börsenhandel . . . . II. Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Finanzanalysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wertpapieranalyse und Investmentbanking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertpapieranalyse und informationelle Chancengleichheit . . . . . . . . . . . III. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 22 23 24 26 28
Erster Teil
Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG
30
Erster Abschnitt Der Insider-Rechtsrahmen für Emittentenvertreter
31
A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot . . . . . . . . . . . . I. Die Tathandlung: „Mitteilen“ oder „Zugänglich machen“ . . . . . . . . . . . . . . . II. Befugnis zur Weitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung allgemeines Verbrechensmerkmal/Tatbestandsmerkmal . . . 2. Richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Restriktive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Extensive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelfallabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aspekte, die gegen eine befugte Weitergabe sprechen . . . . . . . . . . . . b) Aspekte, die für eine befugte Weitergabe sprechen . . . . . . . . . . . . . . III. Gespräche mit Finanzanalysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 32 33 33 35 36 37 37 38 39 41 43
B. Weitere potentielle Informationsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Geheimhaltungspflicht gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Gleichbehandlung bei Auskünften an Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflicht zur umfassenden Unterrichtung der Aktionäre? . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 131 Abs. 4 AktG als einzige Sanktion gegen informationelle Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 44 46 46 47 49
8
Inhaltsverzeichnis 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Publikationsverbot gem. § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Tatbestandsmerkmal der „Veröffentlichung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Abgrenzung der Verbotstatbestände im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 50 51 51 52 53 55 56
Zweiter Abschnitt Der Insider-Rechtsrahmen für Informationsintermediäre
56
A. Der insiderrechtliche Status der Informationsintermediäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kausalität zwischen Tätigkeit und Kenntniserlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbarer Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorhersehbarkeit der Kenntniserlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Näheverhältnis zum Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung der Vorschläge zur Einschränkung der Kausalität . . . . . . . . II. „Bestimmungsgemäße“ Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Richtlinienkonformität des Merkmals „bestimmungsgemäß“ . . . . . a) Der Regelungsgehalt des Art. 2 Abs. 1 der Insider-Richtlinie . . . . . b) Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Positive Bedeutung des Merkmals „bestimmungsgemäß“ . . . . . . . . . . . . a) „Bestimmtsein für jemanden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Wille des Absenders“ oder „Empfängerhorizont“ . . . . . . . . . . . bb) Kritische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Den Bestimmungen gemäß“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mitteilungs- und Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematischer Zusammenhang mit § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG (1) Auswirkungen für die Berufsgruppe der Finanzanalysten . . (2) Kritische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Ihrer Bestimmung nach“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auswirkungen auf die Berufsgruppe der Finanzanalysten . . . . bb) Bewertung des Auslegungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57 59 59 60 61 62 64 64 65 66 69 70 70 71 72 73 74 75 76 78 79 81 84
B. Der Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsfolgen im Falle der Einordnung als Primärinsider . . . . . . . . . . . . 1. Verwertungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitergabeverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlende Befugnis zur Weitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Möglichkeit zur Informationsveröffentlichung . . . . . . . . . .
84 84 85 85 86 87
Inhaltsverzeichnis
9
3. Empfehlungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Die Rechtsfolgen im Falle der Einordnung als Sekundärinsider . . . . . . . . . 89 1. Verwertungsverbot gem. § 14 Abs. 2 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Die Teilnahmeregeln des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Einzelheiten zur Haftung gemäß §§ 26, 27 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Vorschlag eines Haftungsausschlusses für Sekundärinsider . . . . . . . 92 c) Kritik des Ausschlusses der Teilnahmeregeln für Sekundärinsider . . 93 d) Restriktive Auslegungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 aa) Der Einwand des „sozialüblichen“ Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Der Einwand des fehlenden „voluntativen“ Vorsatzelements . . 98 cc) Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Dritter Abschnitt Der Umfang des Insidertatsachenbegriffs A. Das Merkmal „Insidertatsache“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Tatsachenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorhaben, Pläne und Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Meinungen, Werturteile und subjektive Einschätzungen . . . . . . . . . . . . . a) Werturteile als Tatsachen aufgrund eines Tatsachenkerns . . . . . . . . . b) Werturteile als Tatsachen aufgrund der Verkehrsauffassung . . . . . . . c) Werturteile als Gegenstand einer abgegebenen oder beabsichtigten Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Das sogenannte „Scalping“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gerüchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nicht öffentlich bekannt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bezug zu Emittenten bzw. Insiderpapieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Emittentenbezogene Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertpapierbezogene Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sogenannte Marktdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbleibende Bedeutung des Merkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erhebliches Kursbeeinflussungspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eignung zur Kursbeeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erheblichkeit der Kursbeeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fixe Prozentgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Variable Prozentsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Theorie des „Handlungsanreizes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kritik an der Theorie des „Handlungsanreizes“ . . . . . . . . . . . . .
101 101 102 103 103 105 105 106 107 109 111 113 114 115 115 116 116 117 118 119 120 121 123 126 127
10
Inhaltsverzeichnis bb) Festhalten an der Theorie des „Handlungsanreizes“ . . . . . . . . . (1) Mangelnde Praktikabilität alternativer Auslegungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Fehlendes, rechtspolitisches Bedürfnis für den Ausschluß von Bagatellfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
B. Die sogenannte „Mosaiktheorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Praktische Bedeutung der „Mosaiktheorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 13 Abs. 2 WpHG als Ansatzpunkt für die rechtliche Beurteilung der Mosaiktheorie im deutschen Insiderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Auswirkungen der Mosaiktheorie auf den Informationsübermittler . . . IV. Die Auswirkungen der Mosaiktheorie auf den Informationsempfänger . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133 135
129 130 131 132
137 140 142 143
Vierter Abschnitt Faktische Verbotswirkung A. Der sogenannte „chilling effect“ des Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ursachen für einen sogenannte „chilling effect“ des Insiderrechts . . . . . . . 1. Fehlen eines objektiven Unwerturteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dolus eventualis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Vorsatzmerkmal im Strafprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgelagertes Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Niedrigere Verdachtsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ermittlungsbefugnisse im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gegenstand der aufsichtsrechtlichen Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . d) Spannungsverhältnis zwischen dem nemo-tenetur-Grundsatz und den Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . e) Strafprozessuale Verwertbarkeit von Erkenntnissen der Aufsichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschließlich strafrechtliche Sanktionsandrohungen . . . . . . . . . . . . . . . a) Forderung nach einem differenzierteren Sanktionensystem . . . . . . . b) Stellungnahme zur Bedeutung des strafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelne Umfrageergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144 144 145 146 147 148 150 151 152 154 155 158 160 161 162 164
B. Zusammenfassung und abschließende Bewertung der Insiderrechtslage für Emittentenvertreter und Analysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Inhaltsverzeichnis
11
Zweiter Teil
Beurteilung der Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
174
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 I. Der Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Verlauf der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 B. Die Argumentation gegen eine (insider-)rechtliche Privilegierung der Finanzanalysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mißbrauch der Kommunikationsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Arbeitsweise der Analysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollusives Zusammenwirken von Emittenten und Analysten . . . . . . . . . 3. Gründe für kollusives Zusammenwirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Steigerung des „shareholder value“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erhöhte Beachtung im Anlegerpublikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Genauigkeit der Prognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erfahrungen des US-amerikanischen Wertpapiermarkts . . . . . . . . . . II. Die Auswirkungen auf den Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Asymmetrische“ Informationsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exkurs: Vergleichbarkeit mit den Auswirkungen von Insiderhandel . . . 3. „Moral hazard“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Argumentation für eine (insider-)rechtliche Privilegierung der Finanzanalysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Preisbildung des Marktes unter Berücksichtigung der „Efficient Capital Market Hypothesis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Börsenkurse als Ergebnis von Angebot und Nachfrage . . . . . . . . . . 2. Die drei Stufen der Informationseffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Starke Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Halbstarke Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schwache Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der „innere“ Wert bzw. der „rationale“ Preis eines Wertpapiers . . . . . . a) Die sogenannte „Barwert“- bzw. „Dividend-Discount“-Methode . . . b) Risiko angepaßter Diskontierungsfaktor nach dem „Capital Asset Pricing Model“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die tatsächlichen Marktgegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand und empirische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Zweifel an der Grundidee der ECMH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Uneinigkeit hinsichtlich des tatsächlichen Effizienzgrades . . . . . . . . 2. Gründe für die in der Praxis bestehenden Ineffizienzen . . . . . . . . . . . . . a) Dynamik der Wertentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Normativität der Wertentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176 176 176 178 179 179 179 180 180 181 181 182 183 184 185 186 186 187 187 187 188 189 189 190 191 192 192 192 193 194 195 195
12
Inhaltsverzeichnis c) Rationalität der Entscheidungspräferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Beitrag der Finanzanalysten zur Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . 1. Zwei Voraussetzungen zur Verwirklichung der ECMH . . . . . . . . . . . . . . a) Informationsbeschaffung und -auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der tatsächliche Einfluß der Analystenempfehlungen auf die Anlageentscheidungen der Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rationalität der von Analysten erstellten Gewinnprognosen . . . b) Der Signalgehalt der Anlageempfehlungen von Finanzanalysten . . . IV. Der Einfluß des Insiderrechts auf den Beitrag der Finanzanalysten . . . . . . 1. Die Bedeutung persönlicher Unternehmensgespräche . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensinformationen als Hauptinformationsquelle . . . . . . . . b) Unternehmensinformationen als Handlungsanreiz . . . . . . . . . . . . . . . 2. Faktischer Zwang zur Offenlegung der Analyseberichte und -empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Exkurs: Gesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung der (Informations-)Effizienz des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das zweistufige System von Publizitäts- und Aufklärungspflichten . . . . . . 1. Die kapitalmarktbezogene Pflichtpublizität der Emittenten . . . . . . . . . . 2. Die Informations- und Aufklärungspflichten der Finanzintermediäre . . II. Defizite des zweistufigen Systems von Publizitäts- und Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Defizite bei der kapitalmarktbezogenen Pflichtpublizität . . . . . . . . . . . . a) Strukturbedingte Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ungenügende Berücksichtigung des Adressatenhorizonts . . . . . bb) Keine Möglichkeit zur Rückkoppelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltliche Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mangelnde Zukunftsorientierung der Pflichtpublizität . . . . . . . . bb) Umgekehrte Maßgeblichkeit gem. § 5 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Defizite bei den Informations- und Aufklärungspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Investmentgesellschaften . . . . . . a) Wertpapierhandelsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aufklärung statt Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Möglichkeit zur Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Informationspflichten der Investmentgesellschaften . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195 196 196 197 197 199 200 200 201 202 202 203 204 206 207 208 208 209 210 211 212 212 213 214 215 215 217 218 218 218 219 220 221
E. Abwägung der für und wider eine insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten angeführten Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I. Kompromiß zwischen den sich widerstreitenden Interessen als optimale Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Inhaltsverzeichnis II. Folgerungen aus der rechtspolitischen Betrachtung für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Übereinstimmung von rechtspolitischem Befund und kapitalmarktrechtlichem Regulierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die marktbezogene Regelungsperspektive des Kapitalmarktrechts . . . . 2. Die Regelungsziele des Kapitalmarktrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktionenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Institutionelle Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Operationale Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Allokative Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Trade-off“-Beziehungen zwischen den einzelnen Regelungszielen und Leitprinzipien des Kapitalmarktrechts (Antinomien im kapitalmarktrechtlichen Zielsystem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die „trade-off“-Beziehung zwischen „ökonomischer Effizienz“ und „Fairneß“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Konflikt zwischen Effizienz und Fairneß im Insiderrecht . . . . . b) Der Konflikt zwischen Effizienz und Fairneß bei der insiderrechtlichen Behandlung von Finanzanalysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 222 223 225 226 226 227 227 228 229
230 231 232 233 234
Dritter Teil
Beurteilung der Rechtslage aus rechtsvergleichender Sicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktion und Ziel des Rechtsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zum Gegenstand des Rechtsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sec. 16 SEA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rule 14e-3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rule 10b-5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Regulation FD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zum Verlauf des Rechtsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236 236 236 236 237 237 238 239 239
Erster Abschnitt Insiderhandel als Wertpapier-Betrug i. S. von Rule 10b-5
240
A. Der Tatbestand von Rule 10b-5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Insiderhandel als „Betrug durch Unterlassen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 II. Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 B. Die sogenannte „fiduciary duty“-theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 I. Die Treuepflichten des „klassischen Unternehmensinsiders“ . . . . . . . . . . . . 245
14
Inhaltsverzeichnis II. Ausweitung der treuerechtlichen Pflichtenbindung auf sogenannte „temporary insiders“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Übertragung der treuerechtlichen Pflichtenbindung auf sogenannte „tippees“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung der „fiduciary duty“-theory für Finanzanalysten . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Informationsschranke zu Lasten des Emittentenvertreters . . . . . . 2. Kein Verwertungsverbot zu Lasten der Analysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246 248 248 249 249
C. Die sogenannte „misappropriation“-theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtspolitischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berufliche Loyalitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Andere, insbesondere familiäre Loyalitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übertragung der Loyalitätspflichten auf Tipempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bedeutung der „misappropriation“-theory für Finanzanalysten . . . . . . . . . . 1. Keine Informationsschranke zu Lasten der Emittentenvertreter . . . . . . . 2. Kein Verwertungsverbot zu Lasten der Analysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Treuebruch zu Lasten des Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Treuebruch zu Lasten seines eigenen Arbeitgebers . . . . . . . . . VI. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250 252 253 255 256 257 257 259 259 260 261
245
Zweiter Abschnitt Die „Fair Disclosure“-Regelung
262
A. Das Verbot „selektiver“ Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der regelungspolitische Hintergrund der „Fair Disclosure“-Regelung . . . . 1. Die Position des Supreme Court in den achtziger Jahren . . . . . . . . . . . . 2. Der Standpunkt der SEC Ende der neunziger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die „Fair Disclosure“-Regelung im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Grundtatbestand der „Fair Disclosure“-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandliche Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewußte oder unbewußte Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingeschränkter „Täterkreis“ auf seiten des Emittenten . . . . . . . . . . c) Eingeschränkter „Täterkreis“ auf seiten der Informationsempfänger d) Keine Anwendung der „Mosaiktheorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahlmöglichkeit beim Veröffentlichungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sanktionen bei Verstoß gegen Regulation FD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kein Einfluß auf den Umfang des Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
262 263 264 265 268 268 269 269 270 271 273 274 274 276
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erörterung und Vergleich einzelner Teilbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergleich des Insider-Rechtsrahmens für Emittentenvertreter . . . . . . . . . a) Ähnlicher Verbotsumfang trotz konzeptioneller Unterschiede . . . . . b) Regelungsbesonderheiten im US-amerikanischen Recht . . . . . . . . . .
276 277 277 277 278
Inhaltsverzeichnis
15
Die Möglichkeit zur Exculpation gem. Rule 100a Nr. 2 . . . . . . Keine strafrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrstufige Unternehmensentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtssicherheit hinsichtlich der sogenannten „Mosaik“-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleich des Insider-Rechtsrahmens für Finanzanalysten . . . . . . . . . . . 3. Vergleich der Pflichtenbindungen auf seiten der Analyseadressaten . . . II. Gesamtbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme zur abweichenden Meinung von Drygala . . . . . . . . . . . . . . . 1. Niedrige Kurserheblichkeitsschwelle als Hauptkritikpunkt . . . . . . . . . . . a) Rückgang freiwilliger Publizität auf seiten der Emittenten . . . . . . . . b) Anreizverluste auf seiten der Analysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätzliches zur Auffassung von Drygala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ausgangsprämisse von Drygala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterschiedliche Definitionen des Merkmals „kurserheblich“ . . . . . b) Ungeklärte Auslegungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Argumente, die für eine Vergleichbarkeit der Erheblichkeitsschwellen im US-amerikanischen und deutschen Insiderrecht sprechen . . . aa) Indizien, die für die Wesentlichkeit/Kurserheblichkeit einer Information sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beispielskataloge für wesentliche/kurserhebliche Informationen cc) Aktuelle Auslegungstendenzen im deutsch/europäischen Insiderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 280 280
aa) bb) cc) dd)
281 281 282 282 284 284 285 285 286 287 287 288 290 291 292 293 294
Vierter Teil
Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
295
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 B. Verbesserungsvorschläge für das deutsch/europäische Insiderrecht . . . . . . . . . . I. Die Primär-/Sekundärinsider-Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein effektiver Schutz vor drohenden Strafsanktionen . . . . . . . . . . . . . . 2. Mangelnde Eignung für einen gerechten Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine bessere Kommunikationsbereitschaft der Emittentenvertreter . . . II. Alternative Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geeignete Ansatzpunkte für eine Einschränkung des insiderrechtlichen Verbotsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme tatbestandlicher Modifizierungen im Insiderrecht . . . . . . . . . . 3. Konkretisierung und Eingrenzung des Insidertatsachenbegriffs . . . . . . . a) Bestimmung der sogenannten „Kurserheblichkeitsschwelle“ . . . . . . aa) Keine allgemeingültige Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kauf- bzw. Verkaufsanreiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Finanzmathematischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
296 296 297 298 298 299 300 301 302 303 304 304 304
16
Inhaltsverzeichnis bb) Fallgruppen für eine induktive Bestimmung der Kurserheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltliche Begrenzung des Insidertatsachenbegriffs . . . . . . . . . . . . . c) Rechtssicherheit bezüglich der Beurteilung der Mosaiktheorie . . . . 4. Die Normierung zusätzlicher Haftungsfilter im Verbotstatbestand . . . . a) Zusätzliche Haftungsfilter für Emittentenvertreter . . . . . . . . . . . . . . . aa) Streben nach persönlichem Sondervorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verstoß gegen unternehmensinterne Compliance-Bestimmungen cc) Rücktritt bzw. Gelegenheit zur tätigen Reue . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusätzliche Haftungsfilter für Analysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollusives Zusammenwirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Streben nach persönlichem Sondervorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Veröffentlichungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Das Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die theoretischen Grundlagen des deutsch/europäischen Haftungskonzepts 1. Der gedankliche Ausgangspunkt des Haftungskonzepts . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung des gedanklichen Ausgangspunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichstellung nur hinsichtlich des „Informationszugangs“ . . . . . . . b) Keine wirtschaftliche Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Abbau von Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung zur Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die gesetzlichen Grundlagen der Haftungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Sekundärinsiderbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einwand von K.-P. Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erwiderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Insiderinformation im deutsch/europäischen Insiderrecht . . . . . . . . a) Der Einwand von K.-P. Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erwiderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unsachgemäße, im (scheinbaren) Widerspruch zur Haftungstheorie stehende Regelungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Definition des Primärinsiderkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Bezug zum Emittenten bzw. zu einer sonstigen Informationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärinsider . . . . . . . . . . c) Entkräftung der (scheinbaren) Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Adressatenkreis des Weitergabe- und Empfehlungsverbots . . . . . . . . . . . a) Widerspruch zum europäischen Haftungskonzept? . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich mit anderen Haftungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erklärungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305 306 308 309 310 310 311 312 313 313 314 315 315 316 317 318 319 319 320 321 322 323 324 324 325 326 327 329 330 331 331 332 333 335 338 339 340 341 342
Inhaltsverzeichnis D. Kritische Erörterung des deutsch/europäischen Haftungskonzepts . . . . . . . . . . . I. Fehlen einer optimalen Insiderregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Stärke der deutsch/europäischen Haftungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Schwäche der deutsch/europäischen Haftungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vereinbarkeit von tatbestandlichen Modifizierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Weitergabeverbot als Vorfeldtatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die befugte Weitergabe als Ausnahmetatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Verhältnis von Weitergabe- und Empfehlungsverbot . . . . . . . . . . . . 4. Schlußfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Lösbarkeit von Folgeproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilnahmestrafbarkeit für Emittentenvertreter und Analysten . . . . . . . . . 2. Verwertungsprobleme für Auftraggeber und Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 342 343 343 345 346 347 348 349 350 351 351 351 352
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Abkürzungsverzeichnis a. A. Abl. Abs. AfP AG AktG Alt. Anm. Art. Aufl. BB Bd. Begr. BfuP BGBl. BörsG BR-Drucks. BT-Drucks. Cong. DAX DB ders. DStR DZWir EGV EuGHE EuR EuZW EWiR EWS F. 2d F. 3d FAZ ff. FMFG
andere Auffassung Amtsblatt Absatz Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktiengesetz Alternative Anmerkung Artikel Auflage Betriebsberater Band Begründung Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Bundesgesetzblatt Börsengesetz Bundesrats-Drucksache Bundestags-Drucksache Congress Deutscher Aktienindex Der Betrieb derselbe Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag über die Europäische Gemeinschaft Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Europarecht (Zeitschrift) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Federal Reporter, Second Series Federal Reporter, Third Series Frankfurter Allgemeiner Zeitung folgende Finanzmarktförderungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis Fn. FS F. Supp. ggf. GuV H.R.Rep. Hs. IHR i. S. v. i. V. m. JZ lit. m. w. N. NJW Nr. NStZ NZG o. g. RabelsZ RegE RIW Rn. Rz. S. s. S. Ct. S.D.N.Y. SEA S.E.C. Sec. s. o. sog. Sp. SZW U.S. USA v. vgl. Vol. Vorbem. WM WpHG
Fußnote Festschrift Federal Supplement gegebenenfalls Gewinn und Verlust House of Representatives Report Halbsatz Insiderhandels-Richtlinien im Sinne von in Verbindung mit Juristenzeitung littera mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht oben genannt(e) Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Regierungsentwurf Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Randziffer Seite siehe Supreme Court Reporter District Court for the Southern District of New York Securities Exchange Act Securities and Exchange Commission Section siehe oben sogenannte(-r, -s) Spalte Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht United States (Supreme Court) Reports United States of America vom bzw. versus vergleiche Volume Vorbemerkung Wertpapiermitteilungen Wertpapierhandelsgesetz
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20 ZBB ZeuP Zfbf ZfgK ZGR ZHR ZIP ZStW
Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einführung I. Die zunehmende Bedeutung der Finanzanalyse für den Börsenhandel Informationen sind das Lebenselixier der Wertpapierbörsen. Je mehr Informationen – desto effizienter funktioniert der Kapitalmarkt.1 In erster Linie sind es die Wertpapieremittenten selbst, die den Markt mit bewertungsrelevanten Informationen versorgen. Dabei garantiert der recht umfangreiche Katalog kapitalmarktrechtlicher Pflichtpublizität ein Mindestmaß an informationeller Transparenz.2 Doch die Erfahrungen der Praxis haben gezeigt, daß die gesetzliche Unternehmenspublizität den Informationsbedarf des Anlegerpublikums bei weitem nicht zu befriedigen vermag.3 Die freiwillige Berichterstattung gewinnt daher auch hierzulande, wo der Begriff „investor-relations“ lange Zeit ein Fremdwort war, immer mehr an Bedeutung.4 So wird zur besseren Versorgung des Aktienmarkts entsprechend den internationalen Gepflogenheiten zusätzlich zum gesetzlichen Zwischenbericht häufig auch ein Quartalsabschluß veröffentlicht. Zunehmender Verbreitung erfreut sich des weiteren das sog. Value Based Reporting, mit dem das Unternehmen offenlegt, ob und, wenn ja, wie eine bestimmte Geschäftsaktivität den Wert des Unternehmens beeinflußt.5 Neben diesen sog. „unpersönlichen“ „investor-relations“-Maßnahmen suchen die Unternehmen im Rahmen ihrer kapitalmarktbezogenen Kommunikationspolitik aber auch zunehmend den direkten Kontakt zum Anlegerpublikum. Dies geschieht in der Regel durch persönliche Gespräche mit sog. Informationsmultiplikatoren, die stellvertretend für das gesamte Anlegerpublikum die Unternehmen gezielt über ihre wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung befragen. Nicht zuletzt deswegen hat der Einfluß der Finanzanalysten auf das Kapitalmarktgeschehen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Während allerdings in den USA die Finanzanalysten schon seit Jahrzehnten als nützliche Informationsmultiplikatoren anerkannt sind, ist in Deutschland die Kommunika1 Zu den Folgen unzureichender Informationsversorgung grundlegend Akerlof, 84 (1970) Quarterly Journal of Economics, S. 488 ff. 2 Zum Umfang der Anlegerinformationen im Aktien-, Bilanz- und Kapitalmarktrecht vgl. u. a. Hommelhoff, ZGR 2000, S. 748 ff. 3 Die Gründe hierfür sind zahlreich. Vgl. dazu unten den 2. Teil der Arbeit. 4 Der Begriff „Investor-Relations“ bezeichnet nach einhelliger Auffassung einen Teilausschnitt der Öffentlichkeitsarbeit börsennotierter Unternehmen, die sich an die gegenwärtigen und potentiellen Anleger wendet, dazu Ekkenga, NZG 2000, S. 1, 1. 5 Zum „Value Based Reporting“ siehe Günter/Beyer, BB 2001, S. 1623 ff.
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tion mit Finanzanalysten erst allmählich in den Instrumenten-Mix unternehmerischer Informationspolitik aufgenommen worden.6 Anfangs wurden Analystenkonferenzen von deutschen Unternehmen noch als lästig empfunden.7 Detaillierte Fragen zur Geschäftsentwicklung machten selbst erfahrene Manager nervös.8 Erst nach einer Phase der Eingewöhnung konnten sich Analystenkonferenzen, wie sie u. a. von der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung (DVFA) durchgeführt werden, zu einem festen Bestandteil der „investor-relations“-Arbeit börsennotierter Unternehmen etablieren. Der Sinneswandel, der die Unternehmensvorstände im Umgang mit Analystenbefragungen erfaßt hat, ist in erster Linie auf das gestiegene Interesse der Bereichsöffentlichkeit an Wertpapieranalysen und -empfehlungen zurückzuführen. Dabei vertrauen nicht nur institutionelle Anleger auf die Expertise der Analysten; auch Kleinanleger wollen über die Einschätzungen der Wertpapierexperten regelmäßig informiert werden. Dies belegen eindrucksvoll die Veröffentlichungszahlen der FAZ für „Analystenmeldungen“, die – eigenen Angaben zufolge – in den letzten Jahren geradezu explosionsartig gestiegen sind. Während es 1993 nur 522 Belege waren, stieg die Zahl der Meldungen 1999 auf ein Rekordhoch von 6167.9 Im Ergebnis zeichnet sich damit in Deutschland eine ähnliche Tendenz ab, wie sie in den USA bereits vor Jahrzehnten eingesetzt hat. Die Berufsgruppe der Finanzanalysten übernimmt die Rolle eines wichtigen Informationsmultiplikators zwischen Emittenten- und Anlegerseite. II. Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Finanzanalysten Die zunehmende Bedeutung der Finanzanalysten für die Kapitalmarktkommunikation zwischen Emittenten- und Anlegerseite ist eine für den Finanzplatz Deutschland insgesamt erfreuliche, aber zugleich unerwartete Entwicklung, die eine Reihe von neuen, bislang noch ungeklärten Rechtsproblemen aufwirft. Zur Zeit ist der Rechtsrahmen für Finanzanalysten daher alles andere als eindeutig.10 Für seine Bestimmung und Eingrenzung finden sich nur wenig Ansatzpunkte im Gesetz. So ist die Finanzanalyse weder als eigenständige Wertpapierdienstleistung i. S. von § 2 Abs. 3 WpHG, noch als Wertpapiernebendienstleistung i. S. von § 2 Abs. 3a WpHG aufgeführt.11 Dementsprechend haben sich die besonderen Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleister gem. §§ 32 ff. 6
Link, Aktienmarketing, S. 339 f. v. Werder, ZGR 1998, S. 69, 80 f. 8 Vgl. den Artikel in der Zeitschrift „Finanzplatz“, Novemberausgabe 2000, „Analystenkonferenzen; Chance statt Last“. Ähnliche Eindrücke beschreibt auch v. Werder, ZGR 1998, S. 69, 80 f. 9 Vgl. Artikel in der FAZ v. 9. August 2001, S. 8 „Die Hausse des Analysten“. 10 Claussen/Schwark, in: Claussen/Schwark (Hrsg.), Vorwort, S. VII. 7
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WpHG zunächst nicht an die Berufsgruppe der Finanzanalysten als Regelungsadressaten gewandt. Erst im Zuge des 4. FMFG ist durch die Einführung des neuen § 34b WpHG eine Regelung getroffen worden, die zumindest diejenigen Finanzanalysten zur Einhaltung eines gewissen Sorgfaltsmaßstabs anhält, die in einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen beschäftigt sind.12 Gem. § 34b Abs. 2 WpHG sollen zudem die in § 33 WpHG enthaltenen Organisationspflichten auch für die Analyseabteilungen der Wertpapierdienstleitungsunternehmen gelten.13 Näheres zum Berufsrahmen der Analysten ist jedoch bislang nicht geregelt. Angesichts der nur unzureichenden Berücksichtigung der Finanzanalysten durch das deutsche Kapitalmarktrecht ist es für die Erörterung ihres beruflichen Rechtsrahmens umso wichtiger, zwischen den einzelnen, sich im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Finanzanalysten stellenden Rechtsfragen genau zu differenzieren. Vor allem zwei Problemkomplexe sind voneinander abzugrenzen: 1. Wertpapieranalyse und Investmentbanking Einen Problemkreis bildet der Umstand, daß die Rechercheergebnisse und Empfehlungen der Analysten wegen des latenten Interessenkonflikts zwischen Investmentbanking und Aktienanalyse tendenziell zu positiv ausfallen.14 In diesem Zusammenhang wird vor allem den sog. „sell-side“-Analysten vorgeworfen, für die Kursübertreibungen der vergangenen Jahre mitverantwortlich gewesen zu sein, weil sie ihre Empfehlungen zu stark von den Eigeninteressen ihrer Arbeitgeber, den Investmentbanken und Emissionshäusern, abhängig gemacht hätten.15 Mit Rücksicht auf das hauseigene Investmentgeschäft sollen viele Analysten in den Researchabteilungen der Banken grundsätzlich von Verkaufsempfehlungen abgesehen haben.16 Als Reaktion auf diese, auf dem Rücken der Kleinanleger ausgetragenen Geschäftspolitik der Investmentbanken werden zur 11 Laut Pressemitteilung vom 22.10.2001 hat sich die DVFA bereits bei Vorlage des Entwurfs für ein viertes Finanzmarktförderungsgesetz für die Einordnung der Analyseund Researchtätigkeit als Wertpapiernebendienstleistung ausgesprochen. 12 Zu § 34b WpHG siehe auch Mülbert, JZ 2002, S. 826, 836 f. 13 Vgl. auch die Begr. zum RegE des 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 257. 14 Für einen Überblick über das Konfliktpotential zwischen den Interessen von Kapitalmarktkommunikatoren und Anlegern vgl. auch das von Gerke/v. Rosen im Auftrag des DAI ausgearbeitete Gutachten für einen „Kodex für anlegergerechte Kapitalmarktkommunikation“ vom Mai 2001, S. 56 ff. 15 „Sell-side“-Analysten sind im Regelfall Angestellte bei Kreditinstituten und Investmentbanken. Sie vertreten anders als die „buy-side“-Analysten, die für Fonds und andere institutionelle Anleger arbeiten, nicht die Interessen der Investoren, sondern die der Emittenten. 16 Die Zahl der Kaufempfehlungen liegt in der Tat um ein Vielfaches über der Zahl der Verkaufsempfehlungen. Vgl. dazu Punkt 2.2. des Gutachtens von Gerke/v. Rosen (Fn. 14).
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Zeit im Auftrag der Bundesregierung von der Börsensachverständigenkommission gesetzliche Verhaltensregeln für Finanzanalysten ausgearbeitet.17 Damit soll dem bislang nur auf freiwilliger Basis bestehenden „Ehrenkodex für Finanzanalysten“ zusätzliches Gewicht verliehen werden.18 Desweiteren wird die Einhaltung der bankinternen Compliancestrukturen, insbesondere die Errichtung sog. „Chinese Walls“ zwischen der „Research“- und der „Sales“-Abteilung, künftig stärker überwacht werden, nachdem bekannt geworden ist, daß einige Unternehmen ihre Organisationspflichten auf diesem Gebiet stark vernachlässigt haben sollen.19 Der erste Schritt in diese Richtung wurde mit Einfügung des bereits erwähnten § 34b in das WpHG erst kürzlich verwirklicht. Diese Vorschrift verpflichtet Wertpapieranalysten, entsprechende Vorkehrungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten zu treffen. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird zudem von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht überwacht und überprüft. 2. Wertpapieranalyse und informationelle Chancengleichheit Ein weiteres erörterungsbedürftiges Problem ist das Spannungsverhältnis von Wertpapieranalyse und informationeller Chancengleichheit. Gegen die Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes im allgemeinen und des Insiderrechts im besonderen wird der Vorwurf erhoben, sie würden die Finanzanalysten in der Ausübung ihrer Tätigkeit zu stark behindern und damit die Kapitalmarktkommunikation zwischen Emittenten- und Anlegerseite unnötig belasten.20 Aus den Handlungsverboten des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizitätspflicht gehe hervor, daß die Anleger bei der Mitteilung bewertungsrelevanter Informationen grundsätzlich gleichbehandelt werden müssen.21 Mit der Herstellung gleicher 17 Die gesetzlichen Verhaltensregeln für Finanzanalysten werden im Zusammenhang mit der Verabschiedung des 4. FMFG erlassen. 18 Siehe dazu das von Gerke/v. Rosen ausgearbeitete Gutachten für einen „Kodex für anlegergerechte Kapitalmarktkommunikation“ vom Mai 2001. 19 Nach Einschätzung eines Fondsmanagers der Union Investment, veröffentlicht in einem Artikel der FAZ vom 11.08.2001, S. 25, würden „Chinese Walls“ in Deutschland nur selten funktionieren. Es fehlten in Deutschland anders als in den USA die Möglichkeiten, um die Trennung von Research- und Investmentabteilungen innerhalb der Banken stärker zu überwachen. 20 Claussen, DB 1994, S. 27, 28; ders., AG 1997, S. 306, 308 f.; ders., Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, Rn. 82 ff.; ders., in: Claussen/Schwark, S. 11, 24 f.; Drygala, WM 2001, S. 1313, 1319; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 24a; ders., in: Claussen/Schwark, S. 54, 57; Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 47; Waldeck, in: Claussen/Schwark, S. 48, 51 f.; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 161 f. und 171 f.; Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 68. 21 Ähnliche Grundsätze finden sich auch im Aktien- und Börsenrecht. Gemäß § 53a AktG sind Aktionäre von der Gesellschaft grundsätzlich gleich zu behandeln. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BörsG dehnt das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot auch auf Emittenten von Schuldverschreibungen aus. § 131 Abs. 4 AktG konkretisiert den
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Zugangsmöglichkeiten zu bewertungsrelevanten Informationen für alle Marktteilnehmer wolle das WpHG zum einen das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Marktes schützen und zum anderen aber auch die Effizienz des Marktes verbessern.22 Dahinter stehe die Überlegung, daß ein Markt auf Dauer nicht funktionsfähig sein könne, wenn naturgegebene Informationsvorsprünge im Wertpapierhandel uneingeschränkt ausgenutzt werden dürften.23 Dieses informationelle Gleichbehandlungsgebot stehe jedoch in einem latenten Spannungsverhältnis zum Tätigkeitsfeld der Wertpapieranalysten. Denn Analysten könnten ihre Arbeit nur dann sinnvoll ausüben, wenn es ihnen möglich sei, Vertreter der von ihnen analysierten Unternehmen gezielt über die Geschäftsentwicklung des Unternehmens zu befragen.24 Dies geschehe gewöhnlich entweder im Rahmen sog. Analystenkonferenzen oder in persönlichen Einzelgesprächen mit den Unternehmensvertretern.25 Diese zielgerichtete Form der Kommunikation lasse sich jedoch nur schwer unter Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit durchführen.26 Deshalb sei eine Gleichbehandlung der Anleger in bezug auf Informationen, die den Finanzanalysten anläßlich solcher Gespräche mitgeteilt werden, häufig nicht gewährleistet.27 Soweit sich aus den übermittelten Informationen eine gewisse Kursrelevanz ergebe, könne dies sowohl für die Emittentenvertreter als auch für die Finanzanalysten unangenehme Folgen haben. Insbesondere bestehe für beide Parteien ein erhöhtes Konfliktpotential mit den Handlungsverboten des Insiderrechts.28 Daraus wird von einem nicht unerheblichen Teil des Schrifttums gefolgert, die Bestimmungen des WpHG würden für die Wertpapieranalysten zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung ihrer beruflichen TäGleichbehandlungsgrundsatz zusätzlich dahingehend, daß die Gesellschaft eine Auskunft, die sie einem Aktionär außerhalb der Hauptversammlung erteilt hat, auf Verlangen allen anderen Aktionären ebenfalls mitteilen muß. 22 Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 33 und Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 95. 23 Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 165. 24 Eine Umfrage der Schering AG bei Mitgliedern der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung (DFVA) hat ergeben, daß insbesondere individuelle Gespräche mit Unternehmensrepräsentanten als wichtige Informationsquelle betrachtet werden. Zitiert nach Link, Aktienmarketing, S. 77, Fn. 255. 25 Vgl. dazu den Artikel „Wie gut informieren Finanzanalysten?“ im Manager-Magazin 5/2000, S. 131 ff. Danach sprechen Analysten fast täglich mit den Unternehmen, die sie „covern“. 26 Vgl. dazu den Artikel „Wenn der Vorstand mit dem Analysten über das Wetter redet, in der FAZ vom 12.08.2000, S. 24. Danach berichtet die Firma Bestcall.com, die sich in den USA auf die Durchführung telefonischer Analystenkonferenzen spezialisiert hat, daß man darum bemüht ist, die Telefonkonferenzen der Unternehmen für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. 27 Nach Angaben der DVFA sind die von ihr durchgeführten Analystenkonferenzen ausschließlich für das Fachpublikum bestimmt. Vgl. Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 76. 28 Für die Unternehmensvertreter kommt aber auch ein Verstoß gegen § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG in Betracht. Zur Rechtslage im einzelnen vgl. unten 1. Teil, 1. Abschnitt, A. u. B.
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tigkeit führen.29 Vereinzelt wird in diesem Zusammenhang sogar die Auffassung vertreten, die insiderrechtlichen Handlungsverbote kämen praktisch einem Berufsverbot für Finanzanalysten gleich.30 Nicht zuletzt deswegen ist das Schrifttum um eine klare Definition des insiderrechtlichen Anwendungsbereichs bemüht. Allerdings konnte in entscheidenden Auslegungsfragen bislang keine Einigung erzielt werden.31 III. Gegenstand der Untersuchung Gegenstand der Untersuchung ist allein der letztgenannte Problemkomplex. Im Vergleich zur erstgenannten Problematik ist die rechtliche Behandlung des Spannungsverhältnisses von Wertpapieranalyse und informationeller Chancengleichheit in der (Bereichs-)Öffentlichkeit noch nicht hinreichend erörtert worden.32 Das WpHG enthält hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit es den Analysten (insider-)rechtlich gestattet ist, neue Informationen aufzuspüren und zu verwerten, keine spezielle Regelung. Vielmehr unterliegen nach deutschem Recht sowohl die Analysten als auch die Unternehmensvertreter, die sich den Fragen der Analysten stellen, grundsätzlich denselben Insider-Regeln wie alle anderen Marktteilnehmer auch. Insbesondere haben sie das kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlungsgebot in der Form des insiderrechtlichen Weitergabeverbots zu beachten.33 Dabei ist – ohne an dieser Stelle bereits zuviel vorwegnehmen zu wollen – denjenigen Vertretern des Schrifttums, die die Bestimmungen des WpHG im Hinblick auf die Analystentätigkeit für zu streng erachten, zuzugeben, daß die §§ 12–14, 38 WpHG allgemein keine hohen Anforderungen an die insiderrechtliche Haftungsbegründung stellen. So setzt ein Verstoß gegen die 29 Rau, in: Baetge (Hrsg.), Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität, S. 123, 140; Merkt, Unternehmenspublizität, S. 431; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 24a u. b; ders., in: Claussen/Schwark, (Hrsg.), S. 65 ff.; Claussen, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, Rn. 82; ders., AG 1997, S. 306, 307; ders., in: Claussen/Schwark (Hrsg.), S. 17 ff.; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 161, 171; Benner, in: Wabnitz/Janovsky, S. 325, Rn. 68. 30 Vgl. Artikel in der FAZ vom 22.10.1996, S. 30 „Die Berufsausübung der Analysten ist ein strafbewehrtes Vabanqe-Spiel“. Siehe auch Benner, in: Wabnitz/Janovsky, S. 325, Rn. 68. 31 So konnte etwa die Frage, ob Analysten als Primär- oder Sekundärinsider anzusehen sind, bislang nicht abschließend geklärt werden. Zum aktuellen Stand der Diskussion vgl. noch unten ausführlich 1. Teil, 2. Abschnitt, A. 32 Dagegen wird die Frage, wie der latente Interessenkonflikt zwischen Wertpapieranalyse und Investmentbanking zu lösen ist, hier nicht weiter behandelt. Es ist jedoch zu erwarten, daß mit Umsetzung der geplanten Maßnahme eine spürbare Verbesserung der Problematik einhergehen wird. 33 Eine Einschränkung besteht jedoch für die sog. Sekundärinsider i. S. von § 14 Abs. 2 WpHG. Ihnen ist es im Gegensatz zu den sog. Primärinsidern gestattet, kursrelevante Informationen anderen Personen mitzuteilen. Dazu später noch ausführlich 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II.
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Handlungsverbote des § 14 WpHG keine besondere Pflichtverletzung gegenüber der betreffenden Gesellschaft oder deren Aktionären voraus. Zudem unterliegt der Empfänger einer Insider-Information selbst dann dem Verwertungsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 WpHG, wenn er die Information gar nicht mitgeteilt bekommen wollte und sich gegen den Erhalt der Information sogar ausdrücklich verwehrt hat.34 Für die Haftung nach deutschem Insiderrecht ist allein der Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit des Marktes entscheidend. Andere Haftungsfilter als das Erfordernis der vorsätzlichen Tatbegehung enthält die gesetzliche Regelung nicht.35 Angesichts dieser weitreichenden Verbotsregelung ist daher die Frage berechtigt, ob das WpHG den Grundsatz der informationellen Chancengleichheit zu Lasten einer freien und ungestörten Kapitalmarktkommunikation nicht zu stark betont. Zugleich liegt die Vermutung nahe, daß der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis von Wertpapieranalyse und informationeller Chancengleichheit bei der Ausformulierung der insiderrechtlichen Handlungsverbote nicht hinreichend bedacht hat.36 Selbst in der amtlichen Gesetzesbegründung hat man sich nicht mit dieser besonderen insiderrechtlichen Konfliktsituation auseinandergesetzt.37 Sollten sich jedoch die gegen die Bestimmungen des WpHG vorgebrachten Vorwürfe bewahrheiten, wären Gesetzgeber und Rechtsanwender dazu aufgerufen, das Spannungsverhältnis zwischen Insiderrecht und Wertpapieranalyse neu zu überdenken. Denn vor allem im Hinblick auf das übergeordnete, kapitalmarktrechtliche Schutzgut der „Funktionsfähigkeit des Marktes“ ist eine optimale Lösung dieser Problematik dringend geboten.38 Eine Überregulierung des 34 Dazu Schäfer, in: Schäfer, § 14 WpHG Rn. 37 und Eichele, WM 1997, S. 501, 505 f. 35 Vgl. zu den Haftungsfiltern im deutschen und US-amerikanischen Insiderrecht K.-P. Weber, S. 197 ff. und unten 4. Teil, C. 36 Auch § 13 Abs. 2 WpHG, der gelegentlich als Beleg für die gesetzgeberische Berücksichtung der Analystentätigkeit genannt wird, enthält in Wirklichkeit keine eigens für die Berufsgruppen der Analysten und Wirtschaftsjournalisten erlassene Spezialregelung. Vielmehr gibt die Norm lediglich eine Selbstverständlichkeit wieder, die nicht unbedingt in das Gesetz hätte aufgenommen werden müssen. Vgl. dazu Schäfer, in: Schäfer, § 13, Rn. 66. 37 So findet sich weder in den Erwägungen der EG-Richtlinie noch in der Begründung der Bundesregierung zum WpHG ein Hinweis darauf, wie der Finanzanalyst insiderrechtlich einzuordnen ist. Auch die Problematik der selektiven Information im Hinblick auf das Weitergabeverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG wird nicht erwähnt. So auch Krauel, S. 241–245. 38 Vordergründig betrifft die Problematik in erster Linie die individuelle Rechtsposition der Finanzanalysten. So beschränken die §§ 13, 14 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 WpHG in nicht unerheblichem Maße das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG). Darüber hinaus erscheint auch der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG betroffen. Doch bei einer funktionsbezogenen Betrachtung zeigt sich, daß das Spannungsverhältnis zwischen Wertpapieranalyse und informationellem Gleichbehandlungsgrundsatz weitreichende, über den Individualschutz einzelner Marktteilnehmer hinausgehende Kreise zieht.
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insiderrechtlichen Rechtsrahmens für Finanzanalysten könnte zu erheblichen Effizienzeinbußen des Marktes führen. Die Aufgabe der Analysten, die darin besteht, den Anlegern die im Markt vorhandenen Informationen zusammenzustellen und für ihre Investitionsentscheidungen dienlich zu machen, fördert die Allokationseffizienz des Marktes.39 Dieser positive Einfluß der Finanzanalyse auf die Funktionsfähigkeit des Marktes ginge jedoch verloren, sollte die insiderrechtliche Verbotsregelung eine ordnungsgemäße Ausübung dieser Tätigkeit unmöglich machen. IV. Gang der Untersuchung Die folgende Untersuchung des Spannungsverhältnisses von Wertpapieranalyse und informationeller Chancengleichheit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil der Arbeit wird der Vorwurf, die aktuelle Insiderrechtslage gem. den §§ 12–14, 38 WpHG lasse den Finanzanalysten nicht genügend Spielraum für ihre Berufsausübung, zum Anlaß genommen, den insiderrechtlichen Rechtsrahmen nach dem WpHG einer ausführlichen Untersuchung zu unterziehen. Dazu sind alle rechtlichen und faktischen Aspekte der Regelung zu überprüfen, die Einfluß auf die Berufsausübung der Finanzanalysten haben könnten. Abschließend kann beurteilt werden, zu wessen Gunsten der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis von Wertpapieranalyse und informationeller Chancengleichheit gelöst hat. Im zweiten Teil der Arbeit wird der abschließende Befund des ersten Teils aus rechtspolitischer Sicht bewertet. Es wird danach gefragt, ob die insiderrechtliche Rechtslage in bezug auf das hier erörterte Problem aus rechtspolitischer Sicht hinzunehmen ist. Als Maßstab für eine solche Bewertung werden die übergeordneten Zielsetzungen des Kapitalmarktrechts, zu deren Verwirklichung auch das Insiderrecht beitragen soll, herangezogen. Die Untersuchung soll ermitteln, ob die Art und Weise, in der der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse gelöst hat, der Verwirklichung eines funktionsfähigen Kapitalmarktes zuträglich ist. Dabei ist auch auf die konzeptionellen Grundlagen des Anlegerschutzes einzugehen. Im dritten Teil der Arbeit wird ein Blick auf die insiderrechtliche Rechtslage in den USA geworfen. Es wird aufgezeigt, wie in den USA das Spannungsverhältnis von Wertpapieranalyse und informationeller Chancengleichheit gelöst wird. Dabei wird sich zeigen, daß jenseits des Atlantiks die insiderrechtliche Analysten-Problematik nicht nur eine weitaus größere Aufmerksamkeit erfahren hat als hierzulande, sondern zudem einer besonderen Regulierung unterliegt,
39 Siehe dazu Claussen, AG 1997, S. 306, 310; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 161 u. 171 f.; Drygala, WM 2001, S. 1313, 1317; Löffler, S. 105 ff.
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deren Darstellung zu einem besseren Verständnis der hier aufgeworfenen Probleme beizutragen vermag. Im vierten Teil der Arbeit wird schließlich der Versuch unternommen, aus den rechtsvergleichenden Erkenntnissen Verbesserungsvorschläge sowohl de lege lata als auch de lege ferenda für das deutsch/europäische Insiderrecht zu entwickeln. Dabei wird Rücksicht auf die Dogmatik des WpHG sowie auf das Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts genommen. Es wird danach gefragt, ob und inwieweit kleinere oder größere Reformen der §§ 12– 14, 38 WpHG überhaupt durchführbar sind, ohne das Gesamtkonzept, das der Insider-Regelung zugrunde liegt, in Frage stellen zu müssen.
Erster Teil
Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG Der erste Teil der Arbeit, der die Frage einer unangemessenen Behinderung der Tätigkeit der Analysten durch das WpHG untersucht, gliedert sich in vier Abschnitte: Im ersten Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob das Insiderrecht die Emittentenvertreter tatsächlich daran hindert, den Finanzanalysten die für ihre Tätigkeit notwendigen Informationen zu übermitteln. Dies hängt insbesondere vom Umfang des insiderrechtlichen Weitergabeverbots gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ab. Daneben werden auch noch weitere potentielle Informationsschranken, wie etwa das Publikationsverbot gem. § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG und die aktienrechtliche Schweigepflicht gem. § 93 AktG, in die Prüfung miteinbezogen. Der zweite Abschnitt überprüft den Handlungsrahmen der Analysten, die sich anläßlich eines sog. Vor-Ort-Gesprächs mit einer Insiderinformation „infiziert“ haben. Ausgehend von der weit verbreiteten Annahme, Finanzanalysten seien grundsätzlich als Primärinsider zu qualifizieren, wird zunächst die Frage erörtert, ob die Berufsgruppe der Informationsintermediäre tatsächlich unter § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG zu subsumieren ist und welche Folgen die Anwendbarkeit des Weitergabe- und Empfehlungsverbots gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG für diese Berufsgruppe haben würde. Daran anschließend wird die Frage aufgeworfen, welche Haftungsrisiken für Finanzanalysten bestünden, falls sie entgegen der bislang h. M. als Sekundärinsider einzustufen wären. In diesem Zusammenhang werden Anwendbarkeit und Folgen der Teilnahmeregeln des allgemeinen Strafrechts für Sekundärinsider diskutiert. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich sodann mit dem sog. „sachlichen“ Anwendungsbereich des Insiderverbots. Es wird geklärt, welche Informationen tatsächlich unter das Insiderverbot fallen. Zu diesem Zweck wird der Insidertatsachenbegriff auf seine inhaltliche Weite hin überprüft. Im Vordergrund der Untersuchung steht dabei die Höhe der sog. Kurserheblichkeitsschwelle. Erörtert wird aber auch die Anwendbarkeit der sog. „Mosaiktheorie“. Der vierte Abschnitt widmet sich den „faktischen Wirkungen“ des Insiderrechts (sog. „chilling effect“ des Insiderrechts). Es wird die Frage erörtert, ob das deutsche Insiderrecht aufgrund seines weiten Regelungsansatzes und der
A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot
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drohenden strafrechtlichen Sanktionen „faktisch“ auch die Übermittlung und Verwertung solcher Informationen verbietet, die insiderrechtlich (noch) nicht relevant sind. Erster Abschnitt
Der Insider-Rechtsrahmen für Emittentenvertreter A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot Um die Frage beantworten zu können, ob das Insiderrecht die Berufsausübung der Analysten unangemessen einschränkt, darf sich die Erörterung der Insider-Rechtslage nicht auf die unmittelbare Rechtsposition der Analysten beschränken. Vielmehr muß die Untersuchung bereits eine Stufe vorher ansetzen und danach fragen, inwieweit das Insiderrecht die Emittentenvertreter daran hindert, Finanzanalysten mit bewertungsrelevanten Informationen zu versorgen.1 Denn wie im weiteren Verlauf der Prüfung dargelegt werden wird, stellen persönliche Gespräche mit Unternehmensvertretern eine der wichtigsten Informationsquellen für Finanzanalysten dar.2 Wird den Informationsintermediären jedoch diese Informationsquelle kraft Gesetzes genommen, so hätte dies empfindliche Auswirkungen auf die Qualität ihrer Tätigkeit und käme damit einer Beschränkung ihrer eigenen Rechtsposition gleich. Anlaß zu der Annahme, das Insiderrecht könnte die Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenvertretern und Finanzanalysten restriktiv regulieren, gibt die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG (das sog. „Weitergabeverbot“). Danach ist es Primärinsidern verboten, Insiderinformationen unbefugt an Dritte weiterzugeben. Mitglieder des Vorstands und leitende Mitarbeiter des Unternehmens sind grundsätzlich als Primärinsider einzustufen. Für Organmitglieder ergibt sich dies bereits aus § 13 Abs. 1 Nr. 1 WpHG3; weniger offensichtlich, aber im Ergebnis ebenso eindeutig läßt sich der Primärinsiderstatus für leitende Mitarbeiter aus § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ableiten.4 Gibt der Unternehmensvertreter mithin im persönlichen Gespräch gegenüber Finanzanalysten eine Insider-
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Im Ergebnis so auch Drygala, WM 2001, S. 1313, 1318. Zur Bedeutung persönlicher Unternehmensgespräche für die Berufstätigkeit der Analysten vgl. unten 2. Teil, B. 3 Voraussetzung ist jedoch stets, daß die Mitglieder des Vorstands Kenntnis von der Insidertatsache in ihrer Eigenschaft als Organmitglied der Gesellschaft genommen haben. Vgl. auch Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 8 Rn. 21. 4 Vgl. zum Umfang der sog. tätigkeitsbedingten Primärinsider gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ausführlich unten 1. Teil, 2. Abschnitt, A. I. u. II. 2
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
Information preis, so scheint zumindest der objektive Tatbestand des Weitergabeverbots erfüllt. Allerdings ist zu beachten, daß nicht jede Mitteilung einer kursrelevanten Information automatisch dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot unterfällt. Denn mit dem Merkmal „unbefugt“ in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG soll gerade sichergestellt werden, daß in bestimmten Situationen die Möglichkeit einer straffreien Informationsweitergabe gegeben ist.5 Aufgrund der relativen Unbestimmtheit des Merkmals „unbefugt“ läßt sich jedoch die Grenze zwischen legaler und illegaler Informationsweitergabe nach dem WpHG nicht eindeutig ziehen. In der Praxis bestehen erhebliche Unsicherheiten darüber, wann eine Insider-Information weitergegeben werden darf und wann nicht.6 Das ehemalige Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) hat die Wertpapieremittenten in einem Schreiben7 aus dem Jahre 1995 darauf hingewiesen, daß insbesondere bei Analystentreffen besondere Vorsicht geboten ist. Gerichtsentscheidungen zum Umfang des Weitergabeverbots existieren bislang nicht. Im folgenden wird daher zunächst der bisherige Meinungsstand im Schrifttum zur Reichweite des Weitergabeverbots im einzelnen aufgearbeitet. Ziel ist es, einen allgemeinen Lösungsansatz zu finden, der für eine Vielzahl unterschiedlicher Fallkonstellationen herangezogen werden kann (I. und II.). Im Anschluß daran wird dieser Ansatz auf die hier interessierende Fallkonstellation angewendet, in der ein Unternehmensvertreter im Rahmen persönlicher Gespräche Insider-Informationen an Finanzanalysten weitergibt (III.). I. Die Tathandlung: „Mitteilen“ oder „Zugänglich machen“ Hinsichtlich der eigentlichen Tathandlung besteht weitgehend Rechtssicherheit.8 Die Informationsweitergabe kann gemäß dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG auf zwei verschiedene Arten erfolgen. Zum einen liegt eine Weitergabe i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG vor, wenn der Insider die Information einem anderen mitteilt. Zum anderen liegt eine Weitergabe aber auch dann vor, wenn die Information einer anderen Person lediglich zugänglich gemacht wird.9 Dies ist der Fall, wenn der Insider die Voraussetzungen dafür schafft, 5
Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 35 Rn. 124. Süßmann, AG 1999, S. 162, 162; vgl. auch das Schreiben des ehemaligen Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel an die Vorstände der börsennotierten Aktiengesellschaften vom 7. August 1997. Darin nimmt das Amt die in der Praxis bestehenden Unsicherheiten zum Anlaß, seine eigene rechtliche Einschätzung der Regelungsweite des Weitergabeverbots darzulegen. 7 Vgl. das Schreiben „Analystengespräche und Verbot der Weitergabe von Insidertatsachen“ des BAWe vom 07.08.1997. 8 Asssmann, AG 1994, S. 237, 247. 9 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 35 Rn. 124. 6
A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot
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daß ein anderer von der Insidertatsache Kenntnis erlangen kann.10 Als Beispiel für diese Alternative werden Fälle genannt, in denen der Insider einem anderen ein Kennwort offenbart, welches den elektronischen Zugang zu gespeicherten Daten ermöglicht.11 In Analystengesprächen teilt der Unternehmensvertreter die Informationen dem Finanzanalysten unmittelbar mit. Es handelt sich unproblematisch um eine Weitergabe i. S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. II. Befugnis zur Weitergabe Seit Inkrafttreten der Insiderregeln im August 1994 zählt dagegen die Frage, wann die Weitergabe einer Insider-Information als befugt bzw. unbefugt anzusehen ist, zu den schwierigsten Auslegungsproblemen dieses Rechtsgebiets.12 Keine andere insiderrechtliche Auslegungsfrage hat die Praxis in den letzten Jahren mehr beschäftigt als die Reichweite dieses Handlungsverbots.13 Besondere Brisanz erhält die unsichere Rechtslage wegen ihrer großen praktischen Bedeutung. Denn mehr noch als das Verwertungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 WpHG engt das Weitergabeverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG den Handlungsspielraum vieler Marktteilnehmer ein. Für den von diesem Verbot üblicherweise betroffenen Personenkreis – Vorstandsmitglieder, leitende Mitarbeiter des Unternehmens auf der einen Seite und Investorenvertreter, Informationsintermediäre, Berater auf der anderen Seite – zählt Kommunikation zu den wichtigsten Aufgaben ihrer beruflichen Tätigkeit.14 Obwohl die Reichweite des Verbotstatbestandes entscheidend davon abhängt, unter welchen Voraussetzungen die Weitergabe einer Insidertatsache als „befugt“ bzw. „unbefugt“ anzusehen ist, konnte bislang kein allgemeiner Beurteilungsmaßstab entwickelt werden, anhand dessen dieses Merkmal zu bestimmen ist. 1. Abgrenzung allgemeines Verbrechensmerkmal/Tatbestandsmerkmal Einhelligkeit besteht im Schrifttum allein darüber, daß das Merkmal „unbefugt“ in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG nicht bloß als allgemeines Verbrechensmerkmal, sondern als ein vollwertiges, objektives Tatbestandsmerkmal anzusehen ist.15 Anders als in vielen anderen Straftatbeständen beschränkt sich sein Rege10
BAWe/Deutsche Börse, 2. Aufl., S. 21. Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 48. 12 Süßmann, AG 1999, S. 162, 162. 13 Assmann, AG 1997, S. 50, 55. 14 Süßmann, AG 1999, S. 162, 162. 15 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 47; Caspari, ZGR 1994, S. 530, 545; Götz, DB 1995, S. 1949, 1949; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 11
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
lungsgehalt nicht auf die rein deklaratorische Aussage, daß die tatbestandsmäßige Handlung im Einzelfall durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt sein kann. Vielmehr kommt dem Merkmal darüber hinaus eine tatbestandseingrenzende Funktion zu. In diesem Zusammenhang wird auch von einer Doppelfunktion des Merkmals „(un)befugt“ gesprochen.16 Im Ergebnis erfüllt daher nicht jede, sondern nur die „unbefugte“ Mitteilung einer Insidertatsache den objektiven Tatbestand des insiderrechtlichen Weitergabeverbots.17 Die Unterscheidung zwischen allgemeinem Verbrechensmerkmal und objektiven Tatbestandsmerkmal mag für strafrechtliche Sonderfragen, wie etwa für die rechtliche Behandlung von Irrtümern, von erheblicher Bedeutung sein. Fraglich ist aber, ob die strafrechtsdogmatische Einordnung des Merkmals auch für die Bestimmung seiner inhaltlichen Reichweite hilfreich ist. Daß dem Merkmal „unbefugt“ mehr als nur eine klarstellende Funktion zukommen kann, ist für die deutsche Strafrechtslehre nicht neu. Im Strafgesetzbuch findet sich eine Reihe von Tatbeständen, in denen dem Merkmal „unbefugt“ eine tatbestandseinschränkende Wirkung zukommt. Beispielhaft seien die §§ 107a Abs. 1, 132 und 132a StGB genannt.18 Allerdings besteht ein erheblicher Unterschied zwischen diesen Bestimmungen und der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. Während das Merkmal „unbefugt“ in allen drei genannten Vorschriften des StGB mit einer eindeutigen Definition belegt werden kann, bestehen bei § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG erhebliche Schwierigkeiten, eine allgemeingültige Aussage darüber zu treffen, in welchen Fällen die Weitergabe unbefugt ist. § 107a Abs. 1 StGB richtet sich gegen die Wahlfälschung. Bestraft wird, wer unbefugt wählt oder sonst ein unrichtiges Ergebnis einer Wahl herbeiführt. Eine Person wählt dann unbefugt, wenn sie ohne im Besitz eines Stimmrechts zu sein, eine Stimme abgibt.19 Die Befugnis in § 107a Abs. 1 StGB, die die tatbestandsmäßige Handlung entfallen läßt, leitet sich somit aus dem Stimmrecht des Wählenden ab. Auch im Falle der §§ 132 und 132a StGB läßt sich das Merkmal „unbefugt“ klar definieren. Zur Ausübung eines öffentliRz. 14.194; Schmidt-Diemitz, DB 1996, S. 1809, 1810; Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 589; Süßmann, AG 1999, S. 162, 163. 16 Vgl. allgemein zur „Doppelfunktion“ des Merkmals „unbefugt“ Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 13 ff. Rn 65. 17 Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß eine befugte Weitergabe nicht etwa als ein Unrechtsakt anzusehen ist, der lediglich durch das Kriterium der Befugnis wegen fehlender Rechtswidrigkeit straffrei gestellt wird. Vielmehr handelt es sich um eine Handlung, die nicht vom Tatbestand des Weitergabeverbots erfüllt wird. Siehe dazu auch Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 36 Rn. 125. Andererseits kann eine „unbefugte“ Mitteilung im Einzelfall durch einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund wie z. B. § 34 StGB gerechtfertigt sein, Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 47. 18 Diese Vorschriften wurden bereits von Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 588 und von Caspari, ZGR 1994, S. 530, 545 als Vergleichsmaßstab herangezogen. 19 Eser, in: Schönke/Schröder, § 107a Rn. 3.
A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot
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chen Amtes bzw. zum Tragen von Titeln und Berufsbezeichnungen ist nur derjenige befugt, der zur Vornahme der Handlung legitimiert ist bzw. das Recht zur Führung der entsprechenden Bezeichnung besitzt.20 Die Rechte, die in den drei genannten Vorschriften die Befugnis begründen, ergeben sich mithin aus dem Gesetz und aus etwaigen, auf gesetzlicher Grundlage erteilten Verwaltungsbescheiden. Bei § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG läßt sich dagegen eine ähnlich griffige Umschreibung nicht ohne weiteres finden.21 Ein im Insiderrecht verankertes Recht, aus dem sich die Befugnis zur Übermittlung von Insidertatsachen ableiten könnte, existiert nicht. Allenfalls ließe sich überlegen, ob nicht gesetzliche Mitteilungspflichten aus anderen Rechtsgebieten herangezogen werden könnten, die die Übermittlung von Informationen vorsehen, welche zugleich die insiderrechtlichen Anforderungen an eine Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG erfüllen. Wie noch näher darzulegen sein wird, kann es für die Befugnis zur Weitergabe von Insiderinformationen nicht (allein) darauf ankommen, daß eine gesetzliche Pflicht zur Informationsübermittlung besteht.22 Mithin führt die Erkenntnis, daß es sich bei dem Merkmal „befugt“ um ein objektives Tatbestandsmerkmal handelt, bei der Abgrenzung zwischen befugter und unbefugter Informationsweitergabe nicht viel weiter.23 2. Richtlinienkonforme Auslegung Hilfreicher ist dagegen die Formulierung, die die Insider-Richtlinie zur Umschreibung dessen vorgibt, was als unbefugt anzusehen ist. Nach Art. 3 lit. a der Richtlinie geben Insider unbefugt Informationen weiter, wenn dies nicht „in einem normalen Rahmen“ in Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufes oder in Erfüllung ihrer Aufgaben geschieht.24 Aus dieser Umschreibung läßt sich im Umkehrschluß folgern, daß eine Weitergabe, die zu rein privaten Zwecken erfolgt, niemals befugt sein kann. Es muß also in jedem Falle ein beruflicher Zu20
Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke-Schröder, § 132 Rn. 11 u. § 132a Rn. 6. Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 588. 22 Vgl. unten 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 3. a), b). Siehe dazu auch Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 14 Rn 23; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.194 u. 16.198. Zum einen existiert für die Mehrzahl der Fälle kapitalmarktbezogener Kommunikation keine gesetzliche Regelung. Zum anderen bedarf es nach überwiegender Auffassung grundsätzlich selbst dann einer Einzelfallabwägung zwischen den Informationsinteressen der beteiligten Parteien und den Belangen des Insiderschutzes, wenn eine gesetzliche Regelung besteht. Eine vom Erklärenden vorzunehmende Abwägung soll nur dann ausnahmsweise entbehrlich sein, soweit die Informationsübermittlung aufgrund einer „vorbehaltlosen“ Mitteilungspflicht gesetzlich angeordnet wird. Unter „vorbehaltlos“ versteht Assmann, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 48b, eine Auskunftsverpflichtung, die keine Einschränkungsmöglichkeiten durch den Empfänger, wie z. B. zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, vorsieht. 23 Süßmann, AG 1999, S. 162, 163. 24 Abl. EG Nr. L 334/30 vom 18.11.1989. 21
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
sammenhang bestehen. Aus dieser Formulierung geht jedoch ebenfalls hervor, daß nicht bereits jede tätigkeitsbedingte Weitergabe als „befugt“ und damit als legitim angesehen werden kann. Vielmehr muß es sich um eine „normale“ berufsbedingte Weitergabe handeln.25 Es gilt daher zu klären, was unter einer „normalen“ tätigkeitsbedingten Informationsweitergabe zu verstehen ist. a) Restriktive Auslegung Zum Teil wird der Standpunkt vertreten, die Formulierung „normale“ berufsbedingte Weitergabe müsse besonders restriktiv ausgelegt werden, weil das Insiderrecht nur so einen optimalen Schutz vor illegalen Insidergeschäften gewährleisten könne.26 Bei der Auslegung des Merkmals „unbefugt“ müsse man sich immer vor Augen halten, daß sowohl das Weitergabe- als auch das Empfehlungsverbot in erster Linie dazu dienen, Insidergeschäfte bereits im Vorfeld zu verhindern. Daher dürfe eine Informationsweitergabe nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig sein. Auf eine „griffige Formel“ gebracht bedeute dies, daß die Informationsweitergabe zur Erfüllung der beruflichen Tätigkeit des Insiders zwingend erforderlich sein muß.27 So schlägt Assmann vor, daß die Weitergabe von Informationen nur in dem Umfang zulässig sein dürfe, wie dies gesetzlich vorgesehen ist.28 Diese Auffassung wird jedoch heute zu Recht überwiegend abgelehnt.29 Eine äußerst restriktive Auslegung des Merkmals „befugt“ wird den praktischen Bedürfnissen der Wirtschaft nicht gerecht. Götz fragt zu Recht, warum der Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft in Ausübung seines unternehmerischen Geschäftsführungsermessens nicht befugt sein dürfe, zur Prüfung eines wichtigen Vertragsvorhabens, das den Tatbestand einer Insidertatsache erfüllt, neben der eigenen Rechtsabteilung noch eine externe Anwaltskanzlei einzuschalten.30 Das Insiderrecht kann schwerlich die Geschäftsführung dazu verpflichten, sich in wichtigen Fragen ausschließlich des Sachverstands der eigenen Mitarbeiter zu bedienen. Es ließen sich noch weitere Beispiele anführen, um die mangelnde Sachgerechtigkeit dieses restriktiven Auslegungsvorschlags zu veranschaulichen. Entscheidend ist, daß Sachverhalte denkbar sind, bei denen die Informationsübermittlung nicht erforderlich ist, bei denen aber dennoch gewichtige, wirtschaftliche Gründe für eine insiderrechtliche Freigabe sprechen. 25
Ziemons, AG 1999, S. 492, 497. Assmann, AG 1994, S. 237, 247; ders., ZGR 1994, S. 494, 520. 27 Assmann, AG 1994, S. 237, 247. 28 Assmann, AG 1994, S. 237, 247. 29 Ziemons, AG 1999, S. 492, 497; Götz, DB 1995, S. 1949, 1950; SchmidtDiemitz, DB 1996, S. 1809, 1810; Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 48a. 30 Götz, DB 1995, S. 1949, 1950. 26
A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot
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b) Extensive Auslegung Die gegenteilige Auffassung will eine Weitergabe bereits dann als befugt ansehen, wenn sie im Hinblick auf die vom Insider zu erledigenden Aufgaben nicht völlig willkürlich erscheint.31 Nur so könne den praktischen Bedürfnissen der Wirtschaft entsprochen werden. Im übrigen sei auch dieser Auslegungsvorschlag noch richtlinienkonform, weil er auf einen funktionalen Bezug zur Tätigkeit des Insiders und damit auf einen berufsadäquaten Umgang mit der betreffenden Insiderinformation nicht verzichte. So dürfe etwa eine Person, die als Mitglied eines Aufsichtsrats eine Insider-Information erlangt hat, auch nach dieser Auffassung dem eigenen Unternehmen darüber keine Auskunft geben, wenn es dafür keinen vernünftigen Grund gebe. Allerdings wird im Schrifttum auch vor einer allzu großzügigen Auslegung des Befugniskriteriums zu Recht gewarnt.32 So besteht bei einer weiten Auslegung, die nicht auf die Notwendigkeit, sondern auf die Nützlichkeit der Informationsweitergabe abstellt, die Gefahr, daß eine Informationsweitergabe letztendlich mit den Usancen der Praxis gerechtfertigt wird. Eine solche Rechtspraxis muß jedoch unbedingt verhindert werden, weil ein Verhalten, das bis zum Erlaß des Insiderrechts durchaus üblich war, unter den Zielsetzungen des Gesetzes neu betrachtet werden muß.33 Erst wenn die Praxis ihre Usancen den Anforderungen des Insiderrechts angepaßt hat, kann im Rahmen der Auslegung auch auf die Verkehrsauffassung Bezug genommen werden. Bis dahin darf jedoch die Frage, ob eine Informationsweitergabe insiderrechtlich unbedenklich ist, nicht allein der Einschätzung der Geschäftspraxis überlassen bleiben. 3. Einzelfallabwägung Letztlich sind alle Versuche, eine allgemeingültige Formel für die inhaltliche Bestimmung des Merkmals „(un)befugt“ zu finden, gescheitert. Immerhin läßt sich aus den Vorschlägen zur Konturierung des Merkmals „befugt“ die Erkenntnis gewinnen, daß der Anwendungsbereich des Weitergabeverbots im Spannungsfeld zwischen den Schutzzielen des Insiderrechts und dem Bedürfnis anerkannter rechtlicher und wirtschaftlicher Institutionen nach möglichst ungehinderten Informationsflüssen steht.34 Man kommt daher nicht umhin, im Einzelfall eine Abwägung zwischen den Schutzzielen des Insiderrechts und den Interessen der Verbotsadressaten vorzunehmen.35 Während für die Zukunft nur 31 32 33 34 35
h. M.
Götz, DB 1995, S. 1949, 1950. Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 48a. Assmann, AG 1997, S. 50, 55. Ziemons, AG 1999, S. 492, 497. Ebenso Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 48d und die ganz
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
zu hoffen ist, daß mit den fortschreitenden Erfahrungen aus der richterrechtlichen Rechtspraxis einzelne Fallgruppen gebildet werden können, bleibt zur Zeit nichts anderes übrig, als dem Gesetzesadressaten abstrakt-generelle Maßstäbe an die Hand zu geben, mit denen er jeweils für den Einzelfall eine Gewichtung der sich widerstreitenden Interessen und Schutzziele vornehmen kann.36 Einige dieser abwägungsrelevanten Kriterien sind bereits angeklungen. Im folgenden werden sie konzentriert und um weitere Aspekte ergänzt. a) Aspekte, die gegen eine befugte Weitergabe sprechen Gegen eine „Befugnis“ zur Weitergabe von Insidertatsachen sprechen grundsätzlich die Schutzziele des Insiderrechts. Dies gilt sowohl für die insiderrechtlichen Schutzzwecke im allgemeinen als auch für die des Weitergabeverbots im besonderen. Das Insiderhandelsverbot dient zum einen dem Funktionenschutz des Kapitalmarkts und zum anderen dem Schutz der Kapitalanleger vor Übervorteilung.37 Dem Insiderrecht kommt in Ergänzung zu den Pflichtpublizitätsvorschriften die Aufgabe zu, die Chancengleichheit der Anleger zu gewährleisten, indem es die Erzielung von Sondervorteilen durch die Verwertung von Insider-Informationen unterbindet.38 Vor diesem Hintergrund wird der Zweck des Weitergabeverbots darin gesehen, das Risiko von Insidergeschäften dadurch zu minimieren, daß der Kreis derjenigen, die Kenntnis von einer Insider-Information haben, so klein wie möglich gehalten wird.39 Ähnlich wie dem Empfehlungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG kommt dem Weitergabeverbot mithin die Funktion eines Präventiv- bzw. Vorfeldtatbestandes zu, der einen nachfolgenden Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG verhindern soll.40
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Vgl. Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 41. Dies ist zumindest die gängige Formulierung, vgl. Assmann, AG 1994, S. 196, 203 f.; Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 4. 38 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 48. 39 Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 589. 40 Allerdings sind die Schutzrichtungen des Weitergabe- und des Empfehlungsverbots nicht völlig identisch. Während mit dem Weitergabeverbot ganz allgemein die Verbreitung von Insiderinformationen und damit die Möglichkeit zum Abschluß von Insidergeschäften verhindert werden soll, zielt das Empfehlungsverbot insbesondere darauf ab, dem Insider die bewußte Umgehung des Verwertungsverbots unmöglich zu machen. Zwar wird einer gezielten Umgehung des Verwertungsverbots schon dadurch entgegengewirkt, daß jeder Gesprächspartner des Insiders automatisch ebenfalls dem Verwertungsverbot unterliegt, sobald er von der Insiderinformation erfährt. Trotz dieser Regelung verbleibt eine Strafbarkeitslücke insoweit, als der Insider einen Dritten zum Kauf der Insiderpapiere bewegen könnte, ohne dabei die Insidertatsache offenzulegen. Diese Möglichkeit zur Umgehung des Verwertungsverbots wird dem (Primär-) Insider mit dem Empfehlungsverbot genommen. 37
A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot
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Um diesen Zielen des Insiderrechts entsprechen zu können, muß das Weitergabeverbot sicherstellen, daß im Zweifelsfall keine Insiderinformationen an „Außenstehende“ weitergegeben werden. Aus der Schutzrichtung des Insiderrechts folgt mithin eine eher restriktive Grundtendenz für die Auslegung des Merkmals „(un)befugt“. Im Rahmen einer Einzelfallabwägung läßt sich als weiteres Argument gegen eine Befugnis zur Informationsweitergabe anführen, daß das Kapitalmarktrecht, einschließlich des Insiderrechts, anderen Rechtsgebieten völlig gleichwertig gegenübersteht. Es besteht also vor allem in bezug auf das Gesellschaftsrecht keine Subsidiarität kapitalmarktrechtlicher Regelungen und Verbotsvorschriften.41 Die Gleichrangigkeit der Rechtsgebiete schlägt sich auf die Gewichtung der sich widerstreitenden Interessen nieder. Gesellschaftsrechtlich fundierte Argumente, die für eine Weitergabe im Einzelfall sprechen, dürfen nicht generell höher eingestuft werden als die insiderrechtlichen Schutzziele.42 Daraus folgt, daß eine Informationsweitergabe nicht schon dann als befugt i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG angesehen werden kann, wenn sie gesellschaftsrechtlich zulässig ist.43 b) Aspekte, die für eine befugte Weitergabe sprechen Dem Interesse an einem möglichst umfangreichen Schutz vor illegalen Insidergeschäften steht das nicht minder wohlfahrtstheoretische Interesse an der Funktionsfähigkeit anerkannter rechtlicher und wirtschaftlicher Institutionen gegenüber, die auf einen möglichst ungehinderten Informationsfluß angewiesen sind.44 Bezogen auf die innere Organisation der am Markt tätigen Gesellschaften darf der insiderrechtliche Schutz daher nicht soweit gehen, daß die notwendige Zusammenarbeit der Organe behindert wird. Auch im Außenverhältnis dürfen wirtschaftlich sinnvolle Kommunikationsbeziehungen nicht unnötig belastet werden. Erwähnt sei hier noch einmal der von Götz gebildete Fall, nach dem die Geschäftsführung eines Emittenten zur Prüfung eines wichtigen Vertragsvorhabens den Rat einer außenstehenden Anwaltskanzlei einholen möchte.45 41
Schwark, in: FS Lutter, S. 1529, 1532; Schwark/Geiser, ZHR 161 (1997), S. 739,
745. 42
Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 591. Allerdings folgt aus dem Nebeneinander von Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht auch, daß eine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Weitergabe nicht ihrerseits durch das insiderrechtliche Weitergabeverbot ausgehöhlt werden darf. Sollte dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot gegenüber einer gesellschaftsrechtlichen Pflicht zur Information im Einzelfall Vorrang eingeräumt werden, liegt eine echte Durchbrechung des in sich geschlossenen gesellschaftsrechtlichen Rahmens vor. 44 Ziemons, AG 1999, S. 492, 497. 45 Götz, DB 1995, S. 1949, 1950. 43
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
Daß der Gesetzgeber die Notwendigkeit der Erhaltung wichtiger wirtschaftlicher Informationskanäle erkannt hat, kommt in dem Tatbestandsmerkmal „(un-) befugt“ bzw. in der Formulierung „im normalen Rahmen der Tätigkeit“ unmittelbar zum Ausdruck. Das Gesetz nimmt damit selbst eine Einschränkung seiner Schutzrichtung vor. Des weiteren kann auch der insiderrechtliche Schutzzweck immer nur soweit reichen, wie andere rechtlich geschützte Interessen nicht unverhältnismäßig verletzt werden. Ebenso wenig wie das Gesellschaftsrecht uneingeschränkten Vorrang vor dem Kapitalmarktrecht genießt, sind die Bestimmungen des Insiderrechts lex specialis gegenüber anderen Rechtsvorschriften. Bestehen daher andere gesetzliche Pflichten oder Befugnisse, die eine Informationsweitergabe ansonsten rechtfertigen oder erlauben würden, so ist dies bei der Abwägung in jedem Falle zu berücksichtigen. Im Rahmen der umstrittenen Grenzziehung zwischen noch gebotener und bereits überflüssiger und damit unbefugter Informationsweitergabe wird schließlich noch ein weiterer Aspekt diskutiert: Es handelt sich um das vom Schrifttum entwickelte Kriterium des sog. „Mißbrauchsrisikos“. Im Rahmen der Einzelfallabwägung müsse danach gefragt werden, ob durch die Informationsweitergabe ein erhöhtes Mißbrauchsrisiko geschaffen wird. Lägen Anhaltspunkte dafür vor, daß der Adressat die Information nicht mißbräuchlich im Anteilshandel verwerten werde, so spreche dies für eine Befugnis zur Informationsweitergabe. Abgeleitet wird dieses Abwägungskriterium aus dem Schutzzweck des Weitergabeverbots. Präventiver Schutz vor Insiderhandel sei überall dort überflüssig, wo keine konkrete Gefahr einer Rechtsverletzung bestünde. Zwei Fallgruppen für das Fehlen eines konkreten Mißbrauchsrisikos werden genannt. Ein solches Risiko sei zum einen dann nicht gegeben, wenn der Adressat der Informationsmitteilung eine entsprechende „Verschwiegenheitserklärung“ unterzeichnet. Solche Erklärungen sind in der Praxis inzwischen durchaus üblich. Insbesondere bei Fusionsverhandlungen und anderen Anlässen gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen werden externe Berater darum gebeten, eine derartige Erklärung abzugeben, bevor ihnen geheime, bewertungsrelevante Daten offen gelegt werden. Zum anderen könne eine Informationsweitergabe im Zweifelsfall dann als befugt angesehen werden, wenn der Adressat der Mitteilung mit Kenntniserlangung seinerseits zum Primärinsider wird und damit dem Mitteilungs- und Empfehlungsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG unterliegt. Denn die erhöhte Pflichtenbindung, die das Gesetz für die Gruppe der Primärinsider normiert hat, biete bereits einen ausreichenden Schutz vor etwaigen Insiderverstößen. Dagegen sei eine Weitergabe der Information an einen Sekundärinsider grundsätzlich problematisch, weil dieser, anders als ein Primärinsider, nicht seinerseits dem Weitergabe- und Empfehlungsverbot unterliege.
A. Analystengespräche und das insiderrechtliche Weitergabeverbot
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III. Gespräche mit Finanzanalysten Die vorstehende Erörterung zeigt, daß die Frage, ob eine Insiderinformation weitergegeben werden darf, mangels einer allgemeingültigen Formel stets im Wege einer Einzelfallabwägung zu beantworten ist. Fraglich ist, wie diese sich im Falle von Analystengesprächen darstellt. Das Schrifttum ist sich im Ergebnis zu Recht darüber einig, daß es den Unternehmensvertretern nicht gestattet sein soll, Analysten im Rahmen persönlicher Gespräche Auskunft über Unternehmensereignisse zu geben, die bislang der Öffentlichkeit noch nicht allgemein zugänglich gemacht wurden und die im Falle ihres Bekanntwerdens den Kurs der betreffenden Wertpapiere erheblich beeinflussen würden.46Auf der einen Seite sind keine allgemeingültigen, betrieblichen oder sonstigen Gründe erkennbar, die es rechtfertigen könnten, Insidertatsachen im Rahmen eines Recherchegesprächs an Analysten weiterzugeben. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Analyst nicht für die „Investorenseite“ tätig werde, sondern im Rahmen eines Auftragsverhältnisses für das Unternehmen selbst arbeiten würde. Als Beispiel wird die auftragsgemäße Erarbeitung eines Ratings oder die Mithilfe bei der Berechnung des DVFA/SGErgebnisses genannt. Auf der anderen Seite handeln Unternehmensvertreter, insbesondere Vorstandsmitglieder, nicht im „normalen Rahmen“ ihres Berufstätigkeit, wenn sie Insiderinformationen an unabhängige, nicht vom Emittenten beauftragte Analysten weitergeben. Die Unternehmensleitung kann sich weder auf gesetzliche Regelungen noch auf Zweckmäßigkeitserwägungen zur organisationsbedingten Arbeitsteilung berufen, die ein solches Vorgehen rechtfertigen könnten.47 Gegen eine etwaige Befugnis der Unternehmensinsider zur Weitergabe von kursrelevanten Informationen an Finanzanalysten wird des weiteren mit dem Sinn und Zweck der dem Emittenten obliegenden Pflicht zur Ad-hoc-Publizität argumentiert.48 Die Weitergabe von Insiderinformationen an unabhängige Finanzanalysten bezweckt die Beeinflussung der Wertpapiermärkte. Dieser Effekt wird auch durch die Pflichtpublizität erreicht. Daher muß die freiwillige Weitergabe von Informationen mit den Regelungszielen der Pflichtpublizität, insbesondere der Ad-hoc-Publizität, in Einklang gebracht werden. Die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung kursrelevanter Tatsachen gemäß § 15 WpHG dient der raschen Angleichung des Informationsniveaus an den Märkten.49 Für die Veröffentlichung genügt die Herstellung der sog. Bereichsöffentlichkeit, die be-
46 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 59a; Assmann, AG 1997, S. 52, 57; Süßmann, AG 1999, S. 162; 166; Götz, DB 1949; 1951. 47 Eichele, WM 1997, S. 501, 507. 48 Götz, DB 1995, S. 1949, 1951. 49 Zur vorherigen Regelung in § 44a BörsG a. F. Schwark, BörsG, § 44a Rn. 1.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
reits dann gegeben ist, wenn die Marktteilnehmer von der jeweiligen Information Kenntnis nehmen können.50 Die Ad-hoc-Publizität soll daher als Teil der kapitalmarktrechtlichen Publizitätsregeln in erster Linie dem Markt die benötigten Informationen zur Verfügung stellen.51 Daneben wird die Ad-hoc-Publizitätspflicht als insiderrechtliche Präventivmaßnahme verstanden.52 Die Veröffentlichung einer Insidertatsache nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG nimmt ihr die Rechtsqualität einer Insiderinformation und entzieht damit dem Insiderhandel den Boden. In diesem zweiten Schutzzweck der Ad-hoc-Publizität kommt nach Ansicht des Schrifttums das „Recht“ der Marktteilnehmer auf informationelle Gleichbehandlung zum Ausdruck.53 Die Ad-hoc-Publizität soll als Teil der insiderrechtlichen Bestimmungen sicherstellen, daß allen Anlegern zur selben Zeit der Zugang zu den kursrelevanten Informationen eröffnet wird. Insofern verkörpert die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität das dem Emittenten obliegende, ungeschriebene Gebot zur informationellen Gleichbehandlung aller Anleger.54 Mit dem Begriff Anleger werden dabei nicht nur die aktuellen Aktionäre und Inhaber anderer Wertpapierinhaber des Emittenten erfaßt55, sondern alle Marktteilnehmer, die als potentielle Wertpapierinhaber des jeweiligen Emittenten in Frage kommen.56 Dieser aus der Ad-hoc-Publizität und dem Insiderrecht hergeleitete Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn die Unternehmensleitung vorab ad-hoc-publizitätspflichtige Insidertatsachen an Finanzanalysten weitergibt. Denn mit der Weitergabe der Informationen an Finanzanalysten ist nicht gewährleistet, daß alle Anleger Zugang zu den Unternehmensinterna erhalten. Deshalb muß der Weitergabe an Finanzanalysten zeitlich grundsätzlich immer die Veröffentlichung der Information nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG vorgehen. Dies gilt auch entsprechend für Informationen, die zwar als Insider-, nicht aber als ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsachen einzustufen sind. Mit der mangelnden Pflicht zur Veröffentlichung nach § 15 WpHG entfällt nicht zugleich die Pflicht zur Gleichbehandlung. Vielmehr hat dieser Grundsatz auch für Insidertatsachen, die nicht ad-hoc-publizitätspflichtig sind, Bestand. 50 Begründung zum Regierungsentwurf des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes, BT-Drucks. 12/6679, S. 46. 51 Wiedemann, BB 1975, S. 1591, 1593. 52 Begr. zum RegE des 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 48. 53 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 52 spricht von dem Recht des einzelnen Anlegers auf informationelle Gleichbehandlung. 54 Götz, DB 1995, S. 1949, 1951; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 52; vgl. auch die Regierungsbegründung zum 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 33, in der von einer Verbesserung der Chancen des gleichberechtigten, schnellen Zugangs zu öffentlichen Informationen die Rede ist. 55 Ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot des Emittenten gegenüber allen Inhabern seiner emittierten Wertpapiere ist in § 44 Abs. 1 Nr. 2 BörsG gesetzlich normiert. 56 Zum Begriff des „Anlegers“ vgl. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 1186 f., Rn. 8156.
B. Weitere potentielle Informationsschranken
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IV. Zusammenfassung Obwohl die Auslegung des Merkmals „Befugnis“ im Rahmen des insiderrechtlichen Weitergabeverbots mit großen Unsicherheiten verbunden ist, besteht Einigkeit darüber, daß Emittentenvertreter nicht befugt handeln, wenn sie Insiderinformationen an Informationsintermediäre unter Ausschluß der (Bereichs-) Öffentlichkeit weitergeben. Das Weitergabeverbot als Informationsschranke stellt somit einen empfindlichen Einschnitt in die Tätigkeit der Analysten dar.
B. Weitere potentielle Informationsschranken Begründet das Weitergabeverbot eine kapitalmarktrechtliche Grenze für den Informationsaustausch mittels direkt geknüpfter Kontakte zwischen Emittentenvertretern und einzelnen Analysten bzw. Anlegern, so fragt sich, ob es weitere, gesetzliche Bestimmungen außerhalb des Insiderrechts gibt, die in ähnlich starker Weise den informellen Informationsaustausch zwischen Emittentenvertretern und außenstehenden Dritten regulieren. Dann ließe sich der von Teilen des Schrifttums geäußerte Vorwurf, das Insiderrecht behindere die Kapitalmarktkommunikation, so nicht aufrechterhalten. Der Umfang bestehender Informationsschranken, die das Verhältnis von Gesellschaftsorganen zu außenstehenden Dritten betreffen, ist bislang im Schrifttum nur wenig diskutiert worden. Das Hauptaugenmerk der Autoren lag stets auf den Informationsrechten und -pflichten im Gefüge der Gesellschaftsorgane selbst. Der „Informationsfluß außerhalb der aktienrechtlichen Regelungen“ wurde juristisch erst mit dem verstärkten Aufkommen sog. „investor-relations“Maßnahmen und der Durchführung sog. „Due-Diligence“-Prüfungen relevant. Erste Stellungnahmen sind jedoch bereits erfolgt.57 Darin werden neben dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot drei weitere Bestimmungen des Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrechts diskutiert, die den Vorstand bzw. die „investorrelations“-Abteilung der Unternehmen daran hindern könnten, eine allzu offene Informationspolitik gegenüber Analysten und einzelnen institutionellen Anlegern zu betreiben. Es handelt sich zum einen um die Schweigepflicht des Vorstands hinsichtlich bestimmter Unternehmensinterna gem. §§ 93 Abs. 1 S. 2, 404 AktG (I.), zum anderen um das Recht der Aktionäre auf Gleichbehandlung bei Auskünften gem. §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG (II.).58 Und schließlich ist in diesem Zusammenhang die Verbotsvorschrift des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG zu nennen, die bislang nur wenig Beachtung im Schrifttum gefunden hat, obwohl 57 Wilde, ZGR 1998, S. 423, 459 f.; Röschmann/Frey, AG 1996, S. 449, 452; Schroeder, DB 1997, S. 2161, 2162; Schleifert/Kliemt, DB 1995, S. 2214 ff.; Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585 ff.; Lutter, ZIP 1997, S. 613 ff.; Grüner, NZG 2000, S. 770, 777 ff.; Linker/Zinger, NZG 2002, S. 497 ff. 58 Vgl. hierzu insbesondere Wilde, ZGR 1998, S. 423, 460 f.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
ihr Anwendungsbereich sich weitgehend mit dem des insiderrechtlichen Weitergabeverbots zu überschneiden scheint (III.). I. Die Geheimhaltungspflicht gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG §§ 93 Abs. 1 S. 2, 404 AktG verpflichten den Vorstand unter Androhung strafrechtlicher Sanktionen, über Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Stillschweigen zu bewahren.59 Geheimnisse der Gesellschaft sind Tatsachen, die nicht offenkundig sind und die nach dem Willen der Gesellschaft auch nicht offenkundig werden sollen.60 Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht insbesondere dann, wenn dem Unternehmen durch die Offenlegung ein materieller oder immaterieller Schaden drohen könnte.61 Angesichts dieser Definition ist fraglich, ob der von der Geheimhaltungspflicht erfaßte Kreis von Informationen in den hier zu untersuchenden Fallkonstellationen überhaupt eine Rolle spielt. Denn die Relevanzgrenze des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG scheint deutlich höher zu liegen als die des Insiderrechts.62 Dafür spricht schon allein der Umstand, daß die meisten Insidertatsachen, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten eintreten, früher oder später zu ad-hoc-publizitätspflichtigen Tatsachen werden, wohingegen Geschäftsgeheimnisse grundsätzlich nie veröffentlicht werden müssen.63 Weil aber nur wenige Informationen der aktienrechtlichen Geheimhaltungspflicht unterliegen, dürfte es höchst unwahrscheinlich sein, daß ein Vorstandsmitglied im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit jemals ein solches Geschäftsgeheimnis preisgibt.64 Daher scheint die aktienrechtliche Geheimhaltungspflicht bereits tatbestandlich einer offenen Informationspolitik nicht entgegenzustehen.65 Dem widerspricht lediglich Ziemons.66 Dieser Auffassung nach erfasse die aktienrechtliche Geheimhaltungspflicht im wesentlichen dieselben Informationen, die auch dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot unterliegen.67 Demzufolge würde die aktienrechtliche Geheimhaltungspflicht immer dann relevant, wenn auch das insiderrechtliche Weitergabeverbot einschlägig ist. Wie letztlich der 59 Zusätzlich kann sich der Vorstand gem. § 93 Abs. 2 AktG wegen der Verletzung seiner Geheimhaltungspflicht gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen. 60 Hüffer, AktG, § 93 Rn. 7 mit Verweis auf BGHZ 135, S. 325, 329; von Stebut; S. 39 ff. und 53 ff. 61 Otto, in: Großkommentar, § 404 Rn. 15; Ziemons, AG 1999, S. 492, 493. 62 Schleifer/Kliemt, DB 1995, S. 2214, 2215, sind ebenfalls der Auffassung, daß der Kreis der Insiderinformationen größer ist als der der Geschäftsgeheimnisse. 63 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1322. 64 So auch Drygala, WM 2001, S. 1313, 1322. 65 So auch Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 587 f., die auf die geringe praktische Bedeutung der Vorschrift hinweisen. 66 Ziemons, AG 1999, S. 492, 497.
B. Weitere potentielle Informationsschranken
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Umfang der aktienrechtlichen Geheimhaltungspflicht zu bestimmen ist, kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn der Emittentenvertreter im Gespräch mit Analysten oder institutionellen Anlegern ein Geschäftgeheimnis preisgeben sollte, liegt darin nicht zwingend ein Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. Im Gegenteil, nach h. M. steht die Schweigepflicht des Vorstands gem. §§ 93 Abs. 1 S. 2, 404 AktG anders als das Insiderrecht nicht grundsätzlich einer Weitergabe von Gesellschaftsinterna an außenstehende Dritte entgegen.68 Während das Insiderrecht die Chancengleichheit des Anteilshandels schützt und sich damit an überindividuellen Rechtsgütern orientiert, liegt die aktienrechtliche Geheimhaltungspflicht des Vorstands ausschließlich im Gesellschaftsinteresse.69 Soweit mit der Offenlegung gesellschaftsinterner Informationen Ziele verfolgt werden, die im Interesse der Gesellschaft liegen, kann daher eine Durchbrechung der aktienrechtlichen Schweigepflicht durchaus gerechtfertigt sein.70 Die mit der „investor-relations“Pflege verfolgten Ziele sind grundsätzlich geeignet, eine solche Durchbrechung der Schweigepflicht zu rechtfertigen.71 Wie bereits einleitend ausgeführt dienen „investor-relations“-Maßnahmen einerseits der positiven Darstellung der Gesellschaft am Finanzmarkt und andererseits der Korrektur eventueller Fehlbewertungen der Unternehmenssituation durch die Investor-Öffentlichkeit.72 Im übrigen steht dem Vorstand bei der Abwägung der für und wider die Offenbarung von Gesellschaftsinterna sprechenden Interessen ein gewisser Ermessenspielraum zu, der sich einer gerichtlichen Nachprüfung weitgehend entzieht.73 Im Ergebnis stellt damit § 93 Abs. 1 S. 2 AktG keine mit dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot vergleichbare Informationsgrenze dar.
67 Ziemons, AG 1999, S. 492, 497, ihre Ausführungen deuten sogar daraufhin, daß sie den Kreis insiderrechtlicher Tatsachen wegen des Merkmals der Kurserheblichkeit grundsätzlich enger ziehen will als den des Geheimhaltungsgebots. 68 Ziemons, AG 1999, S. 492, 493; Wilde, ZGR 1998, S. 423, 460 f.; Grüner, NZG 2000, S. 770, 777; Roschmann/Frey, AG 1996, S. 449, 452. 69 Wilde, ZGR 1998, S. 423, 460. 70 Röschmann/Frey, AG 1996, S. 449, 452; Schroeder, DB 1997, S. 2161, 2162; Wilde, ZGR 1998, S: 423, 460; Grüner, NZG 2000, S. 770, 777; deutlich restriktiver Ziemons, AG 1997, S. 492, 497 und Lutter, ZIP 1997, S. 613, 617, die den Umfang der Schweigepflicht jedoch nicht im Zusammenhang mit „investor-relations“-Maßnahmen, sondern anläßlich einer Due Diligence-Prüfung untersuchen. 71 Wilde, ZGR 1998, S. 423, 460 f. 72 Siehe oben die Einführung der Arbeit; vgl. aber auch Serfling/Großkopff/Röder, AG 1998, S. 272 ff. 73 Wilde, ZGR 1998, S. 423, 461 mit Verweis auf BGH DB 1997, S. 1068 und Schroeder, DB 1997, S. 2161, 2162.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
II. Die Gleichbehandlung bei Auskünften an Aktionäre Angesichts der Tatsache, daß jede zusätzliche Information, die einem institutionellen Anleger bzw. einem Analysten anläßlich einer „investor-relations“-Veranstaltung mitgeteilt wird, zugleich eine informationelle Benachteiligung der übrigen Aktionäre darstellt, liegt es nahe, den allgemeinen, aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz als weitere potentielle Informationsgrenze in Erwägung zu ziehen.74 Gem. § 53a AktG sind Aktionäre grundsätzlich gleich zu behandeln. Die Generalklausel enthält zugleich das Verbot, Aktionäre ohne genügende sachliche Rechtfertigung unterschiedlich zu behandeln.75 Zweck der Regelung ist es, die Mitgliedschaft der Aktionäre vor Eingriffen durch Gesellschaftsorgane zu schützen.76 So gewährt das Gleichbehandlungsgebot dem einzelnen Aktionär u. a. ein Anfechtungsrecht gegen Hauptversammlungsbeschlüsse, die zu einer nachteiligen Veränderung einzelner Aktionärsrechte führen, ohne daß dies durch ein schutzwürdiges Interesse der Aktiengesellschaft gedeckt wäre.77 Ein Beispiel für einen anfechtbaren Hauptversammlungsbeschluß ist etwa die nachträgliche Einführung von Höchststimmrechten.78 Die Frage, inwieweit das aktienrechtliche Verbot der Ungleichbehandlung auch für bloße Auskünfte gilt, die der Vorstand einzelnen Aktionären außerhalb der Hauptversammlung erteilt, ist dagegen wenig erörtert worden.79 Erst mit der zunehmenden Bedeutung der „investor-relations“-Pflege und der damit verbundenen Praxis freiwilliger Unternehmenspublizität ist diese Problematik in den Vordergrund der wissenschaftlichen Diskussion gerückt.80 1. Pflicht zur umfassenden Unterrichtung der Aktionäre? Schneider/Singhof vertreten die Auffassung, § 53a AktG sei auch auf Auskünfte anzuwenden, die der Vorstand einzelnen Aktionären außerhalb der Hauptversammlung gibt.81 Würden institutionelle Anleger vorab mit kursrelevanten Tatsachen versorgt, so läge darin eine sachlich nicht gerechtfertigte Un74 So vor allem Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 600; vgl. aber auch bereits Eckhardt, in: Geßler/Hefermehl, § 131 Rn. 162. 75 Hüffer, AktG, § 53a, Rn. 4. 76 Hüffer, AktG, § 53a, Rn. 4; Lutter/Zöllner, in: Kölner Kommentar, § 53a Rn. 19. 77 Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 53a Rn. 22. 78 Vgl. Lutter/Zöllner, Kölner Kommentar, § 53a, Rn. 53 sowie Lutter/Schneider, ZGR 1975, S. 182, 194 f. 79 Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, § 131 Rn. 162; Boesebeck, AG 1963, S. 89, 91 und Duden, in FS v. Caemmerer, S. 499, 503. 80 So vor allem Joussen, DB 1994, S. 2485, 2486; Grüner, NZG 2000, S. 770, 778; Ziemons, AG 1999, S. 492, 494; Wilde, ZGR 1998, S. 423, 461 f.; Roschmann/Frey, AG 1996, S. 449, 454; Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 599 f.; Drygala, WM 2001, S. 1313, 1322. 81 Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 599 f.
B. Weitere potentielle Informationsschranken
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gleichbehandlung der Aktionäre. Daher sei es dem Vorstand aktienrechtlich nicht gestattet, im Rahmen seiner „investor-relations“-Pflege eine selektive Informationspolitik zu betreiben. Selbst Informationen, die den Anforderungen einer Insidertatsache nicht entsprechen, dürften nicht an einzelne Aktionäre weitergegeben werden. Der aktienrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gehe insofern noch über das insiderrechtliche Weitergabeverbot hinaus.82 Im Gegensatz zum Insiderrecht mache das Aktienrecht die Gleichbehandlung der Aktionäre nicht von bestimmten Relevanzgrenzen (Kurserheblichkeit) abhängig. Vielmehr strebe das Aktienrecht eine Simultanveröffentlichung sämtlicher unternehmensinterner Informationen an. Aus diesem Grund müsse der Vorstand, wenn er noch nicht öffentlich bekannte Informationen einzelnen Aktionären der Gesellschaft mitteilt, dafür Sorge tragen, daß auch alle anderen Aktionäre Zugang zu diesen Informationen erhalten.83 In diesem Zusammenhang biete sich etwa eine Veröffentlichung über das Internet an. Schneider/Singhof leiten also aus dem aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgebot eine umfassende Unterrichtungspflicht ab, die es dem Vorstand nicht gestattet, kursrelevante Informationen an einzelne Aktionäre weiterzugeben, ohne zugleich auch die übrigen Aktionäre zu informieren.84 2. Bewertung und Kritik Es ist zu bezweifeln, ob sich die von Schneider/Singhof vertretene Auffassung durchsetzen wird.85 Obwohl diese Problematik bislang nur wenig erörtert wurde, ist die Diskussion über den Umfang des informationellen Gleichbehandlungsgebots nicht neu.86 So wurde die Frage, ob eine aktienrechtliche Pflicht zur gleichmäßigen Information aller Aktionäre besteht, bereits vor Auftreten der „investor-relations“-Problematik aufgeworfen87, jedoch im Hinblick auf die Spezialregelung des § 131 Abs. 4 AktG wieder verworfen.88 Nach überwiegender Auffassung stellt das auf die Hauptversammlung beschränkte Auskunftsrecht nach § 131 Abs. 4 AktG eine abschließende Regelung dar, neben der kein Raum für ein allgemeines Auskunftsrecht oder gar eine Informationspflicht sei82
Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 600. Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 600. 84 Ähnlich bereits Obermüller, DB 1962, S. 827, der den Vorstand dazu verpflichtet hält, die anderen Aktionäre über die erteilten Auskünfte außerhalb der Hauptversammlung von sich aus zu unterrichten, um den zeitlichen Informationsvorsprung zu begrenzen. 85 Auch Drygala äußert diesbezüglich Zweifel, WM 2001, S. 1313, 1322 f. 86 Vgl. etwa Obermüller, DB 1962, S. 827 und Duden, in: FS Caemmerer, S. 499 ff. 87 Obermüller, DB 1962, S. 827; Meyer-Landrut, in: Großkommentar, 2. Aufl., § 112 Anm. 5, ähnlich auch Henn, AG 1985, S. 240, 248. 88 Ausdrücklich Lutter/Zöllner, in: Kölner Kommentar, § 53a, Rn. 74 und Duden, in: FS v. Caemmerer, S. 499, 503. 83
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
tens des Vorstands besteht.89 Begründet wird diese Einschränkung des Gleichbehandlungsgebots vor allem mit historischen Argumenten.90 Aus der Entstehungsgeschichte des § 131 Abs. 4 AktG gehe eindeutig hervor, daß der Gesetzgeber ein Aktionärsrecht auf gleiche Information außerhalb der Hauptversammlung neben dem Recht aus § 131 Abs. 4 AktG nicht zulassen wollte.91 Wenn aber der Gesetzgeber schon kein allgemeines Auskunftsrecht statuieren wollte, so kann man aus § 53a AktG erst recht keine Informationspflicht des Vorstands ableiten. Im übrigen ist fraglich, welche Sanktionen ein Verstoß gegen eine solche Informationspflicht des Vorstands auslösen könnte. § 53a AktG selbst sieht keine besonderen Sanktionen vor. Zudem ist anerkannt, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz für die Aktionäre kein Recht i. S. von § 823 Abs. 1 BGB statuiert.92 Ein Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB scheidet mangels Schutzgesetzcharakters des § 53a AktG ebenfalls aus.93 § 93 Abs. 2 S. 1 AktG kommt bei Pflichtverstößen des Vorstands zwar als Haftungsgrundlage in Betracht; allerdings haftet der Vorstand danach lediglich der Gesellschaft auf Schadensersatz, nicht aber den Aktionären. Hinzu kommt, daß der Gesellschaft selbst ein Schaden entstanden sein muß.94 § 93 Abs. 2 S. 1 AktG scheidet damit ebenfalls aus. Allenfalls wäre zu überlegen, ob ein wiederholter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz den Aufsichtsrat dazu berechtigt, gem. § 84 Abs. 3 AktG den Vorstand abzuberufen.95 Dann müßte sich das Fehlverhalten des Vorstands jedoch derart verdichtet haben, daß die Summe der Verstöße gegen das informationelle Gleichbehandlungsgebot als eine grobe Pflichtverletzung i. S. von § 84 Abs. 3 AktG anzusehen wäre. Im Ergebnis ist damit festzustellen, daß eine allgemeine Informationspflicht des Vorstands, selbst wenn man sie entgegen der h. M. bejahen würde, in der Praxis mangels angemessener Sanktionsmittel gar nicht durchsetzbar wäre. Auch Schneider/Singhof erkennen dieses Problem, verzichten jedoch darauf, die Frage nach den Rechtsfolgen eines Informationsverstoßes weiter zu vertiefen.96 89 Zuletzt Linker/Zinger, NZG 2002, S. 497, 501 mit Verweis auf Ziegler, DStR 2000, S. 249, 252; Mertens, AG 1997, S. 541, 543; Lutter, ZIP 1997, S. 613, 616; ausführlich Körber, NZG 2002, S. 263, 265. 90 Duden, in: FS v. Caemmerer, S. 499, 503. 91 Duden, in: FS v. Caemmerer, S. 499, 503; Wilde, ZGR 1998, S. 423, 462; Lutter/ Zöllner, in: Kölner Kommentar, § 53a Rn. 74. 92 Hüffer, AktG, § 53a Rn. 12; Lutter/Zöllner, in: Kölner Kommentar, § 53a Rn. 42. 93 Lutter/Zöllner, in: Kölner Kommentar, § 53a Rn. 42, m. w. N. 94 Hüffer, AktG, § 93 Rn. 11. 95 Immerhin sieht Schroeder, DB 1997, S. 2161, 2161, die Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG als eine mögliche Sanktion für einen Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG an. 96 Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 600: „Welche weitergehenden Rechtsfolgen bei einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung eintreten, soll an dieser Stelle nicht weiter problematisiert werden.“
B. Weitere potentielle Informationsschranken
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3. § 131 Abs. 4 AktG als einzige Sanktion gegen informationelle Ungleichbehandlungen Weil nach h. M. aus § 53a AktG weder ein allgemeines Auskunftsrecht noch eine Informationspflicht des Vorstands abgeleitet werden kann, beschränkt sich die Gleichbehandlung der Aktionäre, soweit es um die Erteilung von Auskünften geht, auf das Fragerecht des § 131 Abs. 4 AktG. Diese Vorschrift begründet sozusagen die einzige aktienrechtliche „Sanktion“, die eine informationelle Ungleichbehandlung seitens des Vorstands nach sich zieht.97 § 131 Abs. 4 AktG verpflichtet dazu, eine Information, die einem Aktionär auf Grund seiner Eigenschaft als Aktionär außerhalb der Hauptversammlung erteilt wurde, jedem anderen Aktionär auf dessen Verlangen in der Hauptversammlung mitzuteilen, auch wenn sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung nicht erforderlich ist. Allerdings wird durch diese Vorschrift eine Gleichbehandlung der Aktionäre nur unvollkommen erreicht.98 Denn der Auskunftsanspruch gem. § 131 Abs. 4 AktG ist ein vergleichsweise stumpfes Schwert.99 So hängt seine Praktizierung davon ab, daß der betreffende Aktionär überhaupt in die Lage versetzt wird, das Verlangen auf Auskunftserteilung zu stellen.100 Dazu muß er Kenntnis davon haben, daß es zu einer informationellen Privilegierung einzelner Aktionäre außerhalb der Hauptversammlung gekommen ist. Da jedoch keine Pflicht des Vorstands besteht, die Aktionäre über etwaige Gleichbehandlungsverstöße von sich aus in Kenntnis zu setzen101, wird es in der Praxis kaum möglich sein, diesen Anspruch auf Auskunft durchzusetzen.102 Zudem müssen die Informationen, damit ein Auskunftsrecht der übrigen Aktionäre besteht, dem Dritten auf Grund seiner Eigenschaft als Aktionär erteilt worden sein. Diese Voraussetzung dürfte zwar bei Großinvestoren, nicht aber zwingend auch bei Finanzanalysten erfüllt sein. Denn Analysten sind nicht immer Aktionär der von ihnen zu befragenden Gesellschaften. Doch selbst wenn sie es wären, würden sie die Informationen nicht auf Grund ihrer Eigenschaft als Aktionär, sondern aufgrund ihrer Eigenschaft als Informationsintermediär erhalten. 97
Decher, in: Großkommentar AktG, § 131 Rn. 357. Henn, AG 1985, S. 240, 248. 99 Wilde, ZGR 1998, S. 423, 462. 100 Henn, AG 1985, S. 240, 244. 101 So Lutter/Zöllner, in: Kölner Kommentar, § 53a Rn. 74; a. A. Henn, AG 1985, S. 240, 248, der sich für eine Informationspflicht des Vorstands zu Beginn jeder Hauptversammlung ausspricht. 102 Darüber hinaus vertritt Schroeder, DB 1997, S. 2161, 2165, den Standpunkt, daß selbst das Fragerecht gem. § 131 Abs. 4 AktG nicht gegeben ist, wenn es sich bei den Informationen um Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG handelt. Denn das insiderrechtliche Weitergabeverbot verbiete es dem Vorstand, solche Informationen auf der Hauptversammlung den Aktionären mitzuteilen. 98
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
Im Ergebnis hindert das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot den Vorstand also nicht, im Rahmen der „investor-relations“-Pflege institutionelle Anleger und Analysten mit Informationen zu versorgen, die über das übliche Maß kapitalmarktrechtlicher Pflichtpublizität hinausgehen. Insbesondere ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Vorstand die betreffenden Informationen auch gegenüber den übrigen Aktionären gem. § 131 Abs. 4 AktG offenlegen muß, äußerst gering. 4. Zwischenergebnis Entgegen der Auffassung von Schneider/Singhof hindert der Gleichbehandlungsgrundsatz des § 53a AktG den Vorstand nicht, einzelne Aktionäre informationell zu bevorzugen. Vor allem läßt sich aus § 53a AktG keine allgemeine Unterrichtungspflicht ableiten, die immer dann eingreift, wenn der Vorstand einem einzelnen Aktionär eine nicht öffentlich bekannte Tatsache mitteilt.103 Anwendbar ist in diesen Fällen allein die Spezialvorschrift des § 131 Abs. 4 AktG. Danach löst die informationelle Privilegierung einzelner Aktionäre lediglich ein Fragerecht der übrigen Aktionäre in der Hauptversammlung aus.104 Das Gesellschaftsrecht enthält daher keine mit dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot vergleichbare Regelung, die die informationelle Bevorzugung einzelner Anleger zu verhindern sucht.
III. Das Publikationsverbot gem. § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG Während das AktG mithin keine nennenswerten Informationsgrenzen für persönliche „investor-relations“-Maßnahmen enthält, findet sich im Kapitalmarktrecht neben dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot eine weitere Verbotsvorschrift, die auf die Informationspolitik börsennotierter Unternehmen unmittelbar Einfluß nimmt. Gem. § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG ist es den Emittenten von Wertpapieren bzw. ihren Organvertretern unter Androhung eines empfindlich hohen Bußgeldes untersagt, ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsachen vorher in einer anderen Weise zu veröffentlichen als es das Verfahren nach § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG vorsieht.105 Entsprechend dieser Regelung müssen kurserhebliche Tatsachen, die im Tätigkeitsbereich der Emittenten eingetreten sind, entweder in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder durch ein weit verbreitetes elektronisches Informationssystem veröffentlicht werden. Jede andere Art der Ver103 Hüffer, AktG, § 131 Rn. 42; Wilde, ZGR 1998, S. 423, 462; Duden, in: FS von Caemmerer, S. 499, 503; a. A. wohl Eckardt, in: Geßler/Hefermehl, § 131 Rn. 161; Schneider/Singhof, in: FS Kraft, 585, 599 f. und Joussen, DB 1994, S. 2485, 2486. 104 Wilde, ZGR 1998, S: 423, 462. 105 Das Bußgeld kann bis zu drei Millionen DM betragen, vgl. § 39 Abs. 3 WpHG.
B. Weitere potentielle Informationsschranken
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öffentlichung, etwa durch ein regionales Börsenpflichtblatt, würde gegen das Publikationsverbot des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG verstoßen. Fraglich ist, ob auch eine vorausgehende Mitteilung kurserheblicher Tatsachen im Rahmen persönlicher „investor-relations“-Gespräche als eine unzulässige Veröffentlichung i. S. von § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG anzusehen ist.106 Zweifel an der Anwendbarkeit des Publikationsverbots auf persönliche Kommunikationsformen bestehen insoweit, als durch die Mitteilung der Information an nur eine oder einige wenige Personen grundsätzlich keine „Öffentlichkeit“ im herkömmlichen Sinne hergestellt wird.107 1. Das Tatbestandsmerkmal der „Veröffentlichung“ Das Gesetz selbst definiert nicht, welche Arten der Kommunikation als „Veröffentlichung“ i. S. von § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG zu qualifizieren sind. Weder aus den Materialien zur Entstehungsgeschichte der Verbotsvorschrift noch aus ihrem Wortlaut geht hervor, wie dieser Begriff zu verstehen ist. Mehrere Auslegungsmöglichkeiten kommen daher in Betracht.108 a) Teleologische Auslegung Sinn und Zweck des Publikationsverbots des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG sprechen für eine möglichst weite Auslegung des Veröffentlichungsbegriffs, wonach auch solche Fälle unter das Publikationsverbot zu subsumieren sind, in denen sich der Emittentenvertreter von vornherein nur an einen kleinen Teil des Anlegerpublikums richtet.109 Denn ähnlich wie das insiderrechtliche Weitergabeverbot dient auch das Publikationsverbot dem Zweck, die unkontrollierte Verbreitung von kurserheblichen Tatsachen zu verhindern.110 In Verbindung mit dem in § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG vorgesehenen Veröffentlichungsverfahren soll das Publikationsverbot sicherstellen, daß die in der Sphäre der börsennotierten Unternehmen entstandenen, kurserheblichen Tatsache in einer Weise offengelegt werden, die eine möglichst weite Verbreitung der Information gewährleistet.111 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll dabei zumindest die sog. Bereichs106 Diese Frage wurde bislang nur von wenigen Vertretern des Schrifttums aufgeworfen; zu nennen sind lediglich Hirte, in: Hadding/Hopt/Schimansky, Bankrechtstag 1995, S. 47 ff. und Ekkenga, NZG 2001, S. 1 ff. 107 Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 1. 108 Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 3. 109 So auch Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 3. 110 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918, S. 101. 111 Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 49 und BR-Drucks. 793/93, S. 150.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
öffentlichkeit hergestellt werden.112 Diese ist gegeben, wenn den professionellen Handelsteilnehmer der Zugang zu den betreffenden Informationen eröffnet wird.113 Das Publikationsverbot wird seinem Regelungszweck daher am besten dadurch gerecht, daß es möglichst jede Informationsweitergabe verbietet, die nicht die vom Gesetzgeber gewünschte Öffentlichkeitswirkung erreicht. Daher scheint es aus teleologischer Sicht vertretbar, auch die bloße Informationsweitergabe als eine „unzulässige Veröffentlichung“ i. S. von § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG anzusehen. b) Systematische Auslegung Gesetzessystematische Erwägungen sprechen hingegen für eine eher enge Auslegung des Veröffentlichungsbegriffs.114 Denn bei einer weiten Auslegung drohen überflüssige Gesetzesüberschneidungen mit dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. Jede unbefugte „Mitteilung“ i. S. des Insiderstrafrechts wäre zugleich als eine unzulässige „Veröffentlichungshandlung“ i. S. des Publikationsverbots anzusehen und umgekehrt. Ein solcher Gleichlauf der beiden Verbotsvorschriften kann nach Auffassung von Ekkenga vom Gesetzgeber nicht gewollt sein.115 Zum einen würde eine derartige Auslegung schon dem normalen Sprachverständnis zuwiderlaufen. Eine Handlung könne entweder nur eine Informationsweitergabe oder eine Veröffentlichung sein. Daß eine Handlung beides erfüllt, sei dagegen schon begrifflich ausgeschlossen. Zum anderen würde das Verbot des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG völlig leer laufen, wenn sich die Tatbestände des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG und des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG überschneiden würden.116 Treffen nämlich eine Straftat und eine Ordnungswidrigkeit zusammen, so tritt der Bußgeldtatbestand entsprechend der Subsidiaritätsklausel des § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG hinter die Strafvorschrift zurück. In solchen Konkurrenzfällen wird nur die Strafnorm angewendet. Weil ein Verstoß gegen das Publikationsverbot nur als Ordnungswidrigkeit geahndet wird, würde das Publikationsverbot stets hinter den Straftatbestand des Insiderrechts zurücktreten. Aus diesen beiden Gründen empfiehlt Ekkenga, die Tatbestände des Weitergabeverbots und des Publikationsverbots so auszulegen, daß sie einander ausschließen.117 112 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918, S. 101; dies entspricht auch der Definition der öffentlichen Bekanntheit in § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG, vgl. Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46. 113 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918, S. 101. 114 So auch Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 4. 115 Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 3. 116 Ekkenga, NZG, S. 1, 3. 117 Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 3; a. A. wohl Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 59, die offensichtlich Veröffentlichungshandlungen, wie z. B. die Weiter-
B. Weitere potentielle Informationsschranken
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c) Wertung Die Auslegung des Veröffentlichungsbegriffs des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG erweist sich als schwierig. Einerseits erscheint es tatsächlich sprachlich verfehlt, die „geheime“ Mitteilung von Insiderinformationen zugleich als eine unzulässige Veröffentlichungshandlung i. S. von § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG zu qualifizieren. Erteilt ein Insider einer anderen Person einen „Insider-Tip“, so beabsichtigt er ja gerade nicht, dies in aller Öffentlichkeit zu tun. Daher scheint es vertretbar zu sagen, die beiden Tatbestände würden sich bereits begrifflich gegenseitig ausschließen. Andererseits vermag das Argument nicht zu überzeugen, daß eine weite Auslegung des Veröffentlichungsbegriffs schon allein deshalb untunlich sei, weil das insiderrechtliche Weitergabeverbot aufgrund der Subsidiaritätsbestimmung des § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG für die Anwendbarkeit des Publikationsverbots ohnehin keinen Raum lasse. Zutreffend ist zwar, daß eine Bußgeldvorschrift grundsätzlich nicht zur Anwendung kommt, wenn die betreffende Handlung zugleich den objektiven Tatbestand einer Straftat erfüllt.118 Allerdings gilt diese Konkurrenzregelung nicht ausnahmslos für jede Fallkonstellation. So kann gem. § 21 Abs. 2 OWiG die betreffende Handlung dann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn eine Strafe im Einzelfall nicht verhängt wird. Die Nichtverhängung von Strafe ist aus unterschiedlichen Gründen denkbar.119 Für das Insiderrecht dürfte vor allem die Fallgruppe der „Einstellung des Ermittlungsverfahrens gem. §§ 153, 153a StPO“ eine besondere Rolle spielen.120 Denn bekanntlich beklagt sich das BAWe schon seit Aufnahme seiner Tätigkeit darüber, daß es in vielen Insider-Fällen erst gar nicht zu einer Anklage komme.121 Allerdings darf nicht übersehen werden, daß das strafrechtliche Weitergabeverbot stets eine vorsätzliche Tatbegehung voraussetzt122, während der subjektive Tatbestand des Publikationsverbots auch bei nur „leichtfertigem“ Handeln verwirklicht ist.123 Leichtfertigkeit ist ein erhöhter Grad von Fahrlässigkeit, der mit dem zivilrechtlichen Terminus der groben Fahrlässigkeit vergleichbar ist.124 Zwischen bedingtem Vorsatz und grober Fahrlässigkeit besteht zwar graduell gabe von Informationen an die Presse, zugleich als eine Mitteilungshandlung i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ansehen. 118 Vgl. § 21 Abs. 1 OWiG. 119 Lemke, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 21 Rn. 15 ff. 120 Vgl. Lemke, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 21 Rn. 17. 121 Siehe zuletzt den Jahresbericht 2000 des BAWe, S. 18 ff. 122 Gem. § 15 StGB ist nur vorsätzliches Handeln strafbar, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. Ein solcher Verweis fehlt jedoch in § 38 WpHG. 123 Vgl. § 39 Abs. 1 WpHG. 124 Cramer, in: Assmann/Schneider, § 39 Rn. 12.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (1. Abschn.)
gesehen nur ein geringer Unterschied. Doch dürfte sich dieser Unterschied gerade im Insiderrecht erheblich auswirken. Hier entscheidet sich nämlich aufgrund der Weite und des mangelnden Unrechtsgehalts des objektiven Tatbestandes die Strafbarkeit des Insiders letztlich immer erst am Vorsatzerfordernis.125 Die bislang von der Rechtsprechung behandelten Fälle haben gezeigt, daß der Vorsatznachweis überaus schwierig zu erbringen ist.126 Daher wäre es zur Bekämpfung von Insiderhandel von Vorteil, wenn auch leichtfertiges Handeln sanktioniert werden könnte. Dies ließe sich de lege lata durch eine weite Auslegung des Publikationsverbots gem. § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG erreichen. Gesetzessystematische Gründe allein vermögen daher die strikte Trennung der beiden Verbotstatbestände nicht zwingend zu rechtfertigen. Doch wäre eine übermäßige Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Publikationsverbots aus anderen Gründen verfehlt. Würde man dem Publikationsverbot tatsächlich dieselbe Funktion wie dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot zusprechen, wäre der eigentliche Regelungszweck des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG eindeutig überspannt. Anders als die Ad-hoc-Publizität dient das Weitergabeverbot nämlich nicht nur allgemein dem präventiven Schutz vor Insidergeschäften, sondern speziell der Verhinderung von Umgehungsversuchen des Verwertungsverbots gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 WpHG.127 In Kombination mit dem Empfehlungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG nimmt das Weitergabeverbot Primärinsidern die Möglichkeit, Insidergeschäfte über einen Gehilfen abzuwickeln.128 Nicht zuletzt deswegen wird das Weitergabeverbot auch als ein „Vorfeldtatbestand“ bezeichnet.129 Dagegen soll das Publikationsverbot lediglich sicherstellen, daß das formelle Veröffentlichungsverfahren gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 WpHG vom Emittenten eingehalten wird. Eine darüber hinausgehende Funktion hat es nicht. Insbesondere dient es nicht der Verhinderung von Gesetzesumgehungen. Allein seine systematische Stellung im Gesetz macht dies deutlich. Außerdem ist zu bedenken, daß § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG bei weiter Auslegung zu einem totalen Kommunikationsverbot führen würde. Denn anders als § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG sieht das Publikationsverbot nicht einmal für bestimmte Fälle einen Ausnahmetatbestand vor. Daher wäre selbst eine berufsbedingte Informationsweitergabe, die nicht gegen das insiderrechtliche Weitergabeverbot
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Zu dieser Problematik noch ausführlich unten 1. Teil, 4. Abschnitt, A. I. 1. a) u. b). So hat das OLG Frankfurt a. M., NJW 2001, S. 982, in dem Fall „Prior“ die Strafbarkeit des Börsenjournalisten am Vorsatzerfordernis scheitern lassen. Siehe dazu auch die Anmerkung von M. Weber, NJW 2000, S. 562, 563 zur Entscheidung der Vorinstanz. Darin betont er, daß der Insiderstraftatbestand in der Regel ohne Folgen bleiben werde, weil die Rechtsprechung die Beweisanforderungen an das Vorsatzerfordernis zu hoch geschraubt habe. 127 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.210. 128 Begr. des RegE des 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 48. 129 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 39. 126
B. Weitere potentielle Informationsschranken
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verstößt, wegen § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG als rechtswidrig anzusehen. Ein solcher Widerspruch zum insiderrechtlichen Weitergabeverbot kann jedoch nicht gewollt sein. Im Ergebnis ist daher bei der Auslegung der §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 15 Abs. 3 S. 2 WpHG darauf zu achten, daß sich die beiden Tatbestände nicht überschneiden. 2. Die Abgrenzung der Verbotstatbestände im einzelnen Sprechen die besseren Argumente für eine strikte tatbestandliche Trennung von insiderrechtlichem Weitergabe- und Publikationsverbot, ist zu klären, wie sich die beiden Verbotstatbestände am besten voneinander trennen lassen. Eine rein objektive Betrachtungsweise dürfte keinen Erfolg versprechen. Denn für die Frage, ob der Emittentenvertreter durch sein Verhalten gegen das Publikationsoder gegen das Weitergabeverbot verstoßen hat, kann es nicht allein auf den Informationserfolg ankommen.130 Ob letztlich die gesamte Bereichsöffentlichkeit oder nur ein Teil davon Kenntnis von der Information erlangt hat, hängt bei vielen Kommunikationswegen vom Zufall ab. Daher spricht viel dafür, der Auslegung des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG einen subjektiv geprägten Veröffentlichungsbegriff zugrunde zu legen.131 Danach kommt es für die Abgrenzung der beiden Tatbestände entscheidend auf das Handlungsziel des Täters an. Nur wenn der Emittentenvertreter mit seiner Handlung auch tatsächlich die Herstellung der sog. Bereichsöffentlichkeit beabsichtigt, handelt es sich um einen Fall des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG. Dagegen ist ausschließlich der Tatbestand des § 14 Abs.1 Nr. 2 WpHG zu prüfen, wenn der Emittentenvertreter nicht einmal den Versuch unternimmt, mit seiner Handlung einen gewissen Veröffentlichungserfolg zu erreichen.132 Dabei ist freilich von der Wahl des Kommunikationsmittels auf die Absicht des Täters zu schließen. Nur ein Kommunikationsmittel, das objektiv geeignet ist, den gewünschten Veröffentlichungserfolg herzustellen, läßt die Absicht des Täters glaubhaft werden. Für die hier zu untersuchenden Fälle persönlicher „investor-relations“-Maßnahmen hat dies zur Folge, daß die individuelle Ansprache einzelner oder mehrerer institutioneller Anleger und Analysten nicht als Fall des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG zu werten ist. Sog. „one-on-one-Meetings“ und andere persönliche Kommunikationsformen zwischen Emittentenvertretern und Anlegerseite sind vielmehr die typischen Anwendungsfälle des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG.133 Da-
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So auch Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 4. Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 4, vgl. auch Hirte, in: Hadding/Hopt/Schimansky, Bankrechtstag 1995, S. 47, 61, der von einer Mitteilung in Veröffentlichungsabsicht spricht. 132 Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 4. 133 Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 5. 131
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (2. Abschn.)
her stellt § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG zumindest für die hier untersuchten „investorrelations“-Fälle keine weitere Informationsgrenze dar. IV. Zusammenfassung Die Untersuchung ergibt, daß die Schweigepflicht gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG keine bedeutsame Rolle für den Rechtsrahmen persönlicher „investor-relations“-Maßnahmen spielt. Der von der Geheimhaltungspflicht erfaßte Informationskreis ist so klein, daß der Emittentenvertreter schwerlich Gefahr läuft, ein Geschäftsgeheimnis preiszugeben. Im übrigen sind die mit der „investor-relations“-Pflege verfolgten Ziele geeignet, einen Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht zu rechtfertigen. Auch die Vorschrift des § 53a AktG hindert den Vorstand nicht, einzelne Anleger informationell zu bevorzugen. Denn der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz wird, soweit es um die Erteilung von Auskünften geht, durch die speziellere Vorschrift des § 131 Abs. 4 AktG verdrängt, die den benachteiligten Anlegern lediglich ein Fragerecht in der Hauptversammlung gewährt. Auch die kapitalmarktrechtliche Regelung des § 15 Abs. 3 S. 2 WpHG statuiert kein umfassendes Kommunikationsverbot. Denn das Publikationsverbot findet nicht auf Fallkonstellationen Anwendung, die in den Bereich des insiderrechtlichen Weitergabeverbots fallen. Dazu zählen insbesondere die Fälle, in denen der Emittentenvertreter kurserhebliche Tatsachen im Rahmen von persönlichen Gesprächen an Analysten oder institutionelle Anleger weitergibt. Es bleibt damit festzuhalten, daß weder das Gesellschafts- noch das Kapitalmarktrecht eine mit dem insiderrechtlichen Weitergabeverbot vergleichbare Regelung enthält. Insofern stellt § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG eine bislang der Rechtsordnung nicht bekannte Informationsgrenze für direkt geknüpfte Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittenten- und Anlegerseite dar. Zweiter Abschnitt
Der Insider-Rechtsrahmen für Informationsintermediäre Während sich die vorherigen Abschnitte nur mittelbar mit dem rechtlichen Handlungsrahmen für Finanzanalysten beschäftigt haben, indem sie den Einfluß des Insiderrechts auf die Informationspolitik der Emittenten untersucht haben, soll nunmehr der unmittelbare Rechtsrahmen der Analysten erörtert werden. Angesichts der aktuellen Rechtslage fällt dies nicht leicht.134 Im Gegensatz zu den Emittentenvertretern ist der insiderrechtliche Status der Finanzanalysten 134 Die Rechtslage wird sich jedoch voraussichtlich durch die neue Marktmißbrauchsrichtlinie ändern. Danach sollen Primär- und Sekundärinsider hinsichtlich des
A. Insiderrechtlicher Status der Informationsintermediäre
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nicht eindeutig geregelt. Seit Inkrafttreten des WpHG wird die insiderrechtliche Behandlung der Finanzanalysten kontrovers diskutiert. Sie hängt davon ab, ob man die Analysten als (tätigkeitsbedingte) Primärinsider gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG oder lediglich als „Dritte“ i. S. von § 14 Abs. 2 WpHG einstuft, die rein „zufällig“ Kenntnis von Insiderinformationen erlangen (sog. Sekundärinsider). Anders als Primärinsider unterliegen Sekundärinsider nur dem Erwerbs- und Veräußerungsverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 WpHG), nicht jedoch dem Weitergabe- und Empfehlungsverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). Eine Abgrenzung der beiden Insidergruppen ist daher notwendig. Aus dem Wortlaut der §§ 12–14, 38 WpHG geht der rechtliche Status der Analysten nicht deutlich hervor. Das Gesetz bezeichnet zwar in § 13 Abs. 1 Nr. 1–3 WpHG fallgruppenartig diejenigen Personen, die als Primärinsider anzusehen sind, wenn sie Kenntnis von einer Insidertatsache erlangen. Doch die Berufsgruppe der Finanzanalysten läßt sich nicht zwingend unter eine dieser Kategorien subsumieren.135 § 13 Abs. 1 Nr. 1 WpHG erfaßt lediglich die Organwalter der Emittenten; § 13 Abs. 1 Nr. 2 WpHG hingegen erklärt nur die Aktionäre der börsennotierten Gesellschaften zu Primärinsidern. Für die Einordnung der Finanzanalysten als Primärinsider kommt allein § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG in Betracht.136 Im Gegensatz zu den ersten beiden Kategorien definiert die dritte Gruppe den Primärinsider jedoch nicht statutsbezogen, sondern berufsbezogen.137 § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ist deswegen im Vergleich zu den ersten beiden Kategorien weniger konkret. Die allgemein gehaltene Formulierung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG läßt unterschiedlich weite Interpretationsmöglichkeiten zu. Je weiter der Kreis der von § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG erfaßten Personen ausgelegt wird, umso eher wird die Einbeziehung der Finanzanalysten und anderer Finanzintermediäre in diese Kategorie möglich.138
A. Der insiderrechtliche Status der Informationsintermediäre In den ersten Jahren nach Inkrafttreten des WpHG139 wurde im Schrifttum nahezu einhellig die Auffassung vertreten, daß Finanzanalysten, denen in perVerbotsumfangs gleichgestellt werden. Vgl. zur aktuellen Entwicklung der Marktmißbrauchsrichtlinie und ihres zukünftigen Einflusses auf die Regelungen des WpHG Leppert/Stürwald, ZBB 2002, S. 90 ff. 135 So auch Claussen, in: Claussen/Schwark, S. 11, 17: „Unter § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG fallen die Analysten eindeutig nicht.“ 136 Danach ist Primärinsider, wer bestimmungsgemäß aufgrund seiner Tätigkeit Kenntnis von einer Insidertatsache erlangt. 137 Daher werden die Insider dieser Gruppe auch als „tätigkeitsbedingte“ Primärinsider bezeichnet. 138 Zur Abgrenzung von Primär- und Sekundärinsidern, insbesondere im Hinblick auf die Berufsgruppe der Finanzanalysten, vgl. unten Kapitel E.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (2. Abschn.)
sönlichen Gesprächen von Emittentenseite Insidertatsachen mitgeteilt werden, als (tätigkeitsbedingte) Primärinsider anzusehen seien.140 Dagegen sprachen sich nur vereinzelte Stimmen für eine Einordnung der Analysten als Sekundärinsider aus. Im Zuge der fortschreitenden Diskussion hat sich jedoch die Stimmenverteilung im Schrifttum merklich verändert. Die Tendenz geht nunmehr dahin, die Berufsgruppe der Finanzanalysten dem Kreis der Sekundärinsider zuzuordnen.141 Zur Klärung des insiderrechtlichen Status der Finanzanalysten wird im folgenden nach dem sog. Ausschlußprinzip verfahren. Sollten die in § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG genannten Voraussetzungen auf die Berufsgruppe der Analysten nicht zutreffen, so sind die Informationsintermediäre automatisch als Sekundärinsider i. S. von § 14 Abs. 2 WpHG einzuordnen. Gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG muß der Analyst die im Rahmen sog. Vor-Ort-Gespräche übermittelten Insiderinformationen „aufgrund seines Berufes, seiner Tätigkeit oder seiner jeweiligen Aufgabe“ erlangt haben. Darüber hinaus setzt die Vorschrift voraus, daß der Analyst „bestimmungsgemäß“ von der Insidertatsache Kenntnis erhält. Die rechtliche Einordnung der Finanzanalysten als Primärinsider hängt demnach zum einen vom Kausalzusammenhang zwischen der ausgeübten Tätigkeit und der Kenntniserlangung (I.) und zum anderen vom Merkmal „bestimmungsgemäß“ ab (II.).142 139 Übereinstimmung im Schrifttum besteht insoweit, als der Kreis der Primärinsider zu weit gezogen wäre, wenn das Gesetz jeden, der im Zusammenhang mit seinem Beruf, seiner Tätigkeit oder seiner Aufgabe Kenntnis von einer Insidertatsache erlangte, als Primärinsider einstufen würde. Deshalb muß das Gesetz durch diese beiden genannten Merkmale die dritte Gruppe der Primärinsider einschränken. Vgl. Assmann, AG 1994, S. 237, 239. 140 Assmann, in: Assmann/Schneider, 1. Aufl., § 13 Rn. 24; ders., AG 1994, S. 237, 239; ders., ZGR 1994, S. 494, 508; ders., WM 1996, S. 1337, 1351; ders., in: Claussen/Schwark, S. 54, 69; BAWe, Jahresbericht 1996, S. 19; Caspari, ZGR 1994, S. 530, 538; Dierlamm, NStZ 1996, S. 519, 520; Dreyling, in: Claussen/Schwark, S. 1, 7 f.; Eichele, WM 1997, S. 501, 505; Götz, DB 1995, S. 1949, 1951; Hopt, in: Das zweite FMFG in der praktischen Umsetzung, S. 3, 12; ders., in: Bankrechts-Handbuch, § 107 Rz. 18; ders., in: FS-Heinsius, S. 289, 289; Immenga, ZBB 1995, S. 197, 203; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.145; zur Megede, in: Assmann/Schütze, § 14 Rn. 37; Schäfer, in: Schäfer, WpHG/BörsG/VerkProspG, § 13 WpHG Rn. 24; Siebold, S. 237; Steinhauer, S. 35; Süßmann, AG 1997, S. 63, 65; ders., AG 1999, S. 162, 165; Tippach, S. 164; Weber, BB 1995, S. 157, 162. 141 Das BAWe bzw. das neu geschaffene BAFin hält Analysten zwar weiterhin für Primärinsider (dies geht zumindest aus den Ausführungen von Dreyling, in: Dreyling/ Schäfer, S. 12, Rn. 38 hervor), allerdings hat sich im Schrifttum das Meinungsbild deutlich verändert. So hat insbesondere Assmann seine Rechtsauffassung revidiert. Während er noch in der ersten Auflage des WpHG-Kommentars, § 13 Rn. 24, Analysten als Primärinsider qualifizierte, spricht er sich in der zweiten Auflage für eine Einordnung der Analysten als Sekundärinsider aus, vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Abs. 1, Rn. 24a/ b. 142 Übereinstimmung im Schrifttum besteht insoweit, als der Kreis der Primärinsider zu weit gezogen wäre, wenn das Gesetz jeden, der im Zusammenhang mit seinem
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I. Kausalität zwischen Tätigkeit und Kenntniserlangung § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG setzt für die Qualifikation zum Primärinsider voraus, daß die betreffende Person „aufgrund“ ihrer Tätigkeit Kenntnis von der Insidertatsache hat. Unbestritten ist, daß dieses Kausalitätserfordernis all diejenigen Fälle ausschließt, in denen die betreffende Person auch dann Kenntnis von der Insidertatsache hätte, wenn sie ihre Tätigkeit nicht ausüben würde, d.h. wenn ihr Zugang zur Quelle der Insiderinformation rein privater Natur ist.143 Unklar ist jedoch der positive Umfang dieses vom Gesetz geforderten Kausalzusammenhangs.144 Die wohl überwiegende Auffassung will die Kausalität zwischen der Tätigkeit und der Kenntniserlangung anhand der conditio-sine-quanon-Formel bestimmen.145 Danach läßt sich die Berufsausübung des Analysten nicht hinwegdenken, ohne daß der Erfolg – die Kenntniserlangung – entfiele. Für eine Einengung des Kausalitätsbegriffs bietet nach dieser Auffassung das Gesetz keinen Anhaltspunkt.146 Vereinzelt wird dagegen vorgeschlagen, den Ursachenzusammenhang in § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG enger zu fassen.147 Drei verschiedene Auslegungsansätze sind zu unterscheiden. 1. Unmittelbarer Zugang Z. T. wird das Kausalitätserfordernis dahingehend eingeschränkt, daß der Insider aufgrund seiner Tätigkeit unmittelbar auf die Insiderinformation zugreifen können muß.148 Der vom Gesetz geforderte Ursachenzusammenhang sei dagegen nicht gegeben, wenn der Insider sich den Zugang zur Insiderinformation nicht aktiv verschaffen könne, sondern – gleichsam passiv – auf die MitteiBeruf, seiner Tätigkeit oder seiner Aufgabe Kenntnis von einer Insidertatsache erlangte, als Primärinsider einstufen würde. Deshalb muß das Gesetz durch diese beiden genannten Merkmale die dritte Gruppe der Primärinsider einschränken. Vgl. Assmann, AG 1994, S. 237, 239. 143 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19a; Eichele, WM 1997, S. 501, 502. 144 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19b. 145 Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 16; Eichele, WM 1997, S. 501, 502; Pananis, S. 129; nun auch Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19e; anders noch ders., AG 1997, S. 50, 54. 146 Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 38; Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 28. 147 Assmann, AG 1997, S. 50, 54; Claussen, DB 1994, S. 27, 28; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 169 f. 148 Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 17; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 169: „Analysten sind nicht in den unternehmerischen Planungs- und Entscheidungsprozeß involviert.“; vgl. auch Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel Rn. 65: „Die unmittelbaren Primärinsider können sich der Wahrnehmung der Insidertatsache nicht entziehen.“; auch K.-P. Weber, S. 135 f., scheint in diese Richtung zu tendieren. Er benutzt den Ausdruck „quellenfern“.
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lungsbereitschaft einer anderen Person angewiesen sei. Die Vertreter dieser Auffassung stützen sich zur Begründung ihres Auslegungsansatzes u. a. auf die englische Fassung der dem WpHG zugrundeliegenden Insiderrichtlinie. Danach ist eine Person als tätigkeitsbedingter Primärinsider anzusehen, wenn sie „access to the information by virtue of his employment, office or profession“ hat.149 Aus dieser Formulierung gehe hervor, daß die Person einen ungehinderten Zugang zur Informationsquelle haben muß. Der Insider müsse in der Lage sein, sich „kraft seiner Tätigkeit“ Zugang zur Insiderinformation zu verschaffen.150 Dies sei bei Finanzanalysten jedoch nicht der Fall.151 Ihre Tätigkeit eröffne keineswegs einen unmittelbaren bzw. ungehinderten Zugang zu Insiderinformationen. Denn der Analyst sei stets darauf angewiesen, daß der Unternehmensvertreter aus „freien Stücken“ – sei es absichtlich oder unabsichtlich – die Information offen legt.152 Die konkrete Tätigkeit des Analysten, die im Falle der Vor-Ort-Gespräche darin besteht, die wirtschaftliche Situation des Unternehmens genauer zu hinterfragen, ist insofern nur eine „Vorbedingung“ für den Erhalt der Information. Hinzutreten muß das Verhalten des befragten Unternehmensvertreters. Es sind somit mehrere Ursachen für die Kenntniserlangung notwendig. Die Analystentätigkeit ist nur eine davon. Sie eröffnet nicht automatisch der betreffenden Person den Zugang zu der betreffenden Insidertatsache. Nach dieser Interpretation des Ursachenzusammenhangs sind Analysten und andere Informationsintermediäre lediglich als Sekundärinsider einzuordnen. 2. Vorhersehbarkeit der Kenntniserlangung Assmann dagegen will den Ursachenzusammenhang nur für solche Berufe, Tätigkeiten und Aufgaben bejahen, die den Erhalt von Insidertatsachen in vorhersehbarer Weise mit sich bringen.153 Die Informationsmitteilung müsse in einem sachlichen Zusammenhang zur Tätigkeit des Primärinsiders stehen.154 Dies sei dann der Fall, wenn die Informationsmitteilung zur Ausübung des Berufs bzw. zur Erfüllung der Aufgabe erforderlich oder zweckdienlich ist. 149
Vgl. § 57 Abs. 2 des Criminal Justice Acts. Auch die deutsche Fassung der EG-Insiderrichtlinie verwendet für die Gruppe der tätigkeitsbedingten Primärinsider das Merkmal des „Informations-Zugangs“. Gem. Art. 2 der deutschen Richtlinienfassung muß der Primärinsider aufgrund seiner Arbeit „Zugang“ zu der betreffenden Information haben. 151 Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 171. 152 Ähnlich Claussen, ZBB 1992, S. 267, 272, der den Analysten den „Zugang“ zu kursrelevanten Informationen abspricht, weil sie letztere „gleichsam passiv in Empfang nehmen.“ 153 Assmann, AG 1997, S. 50, 54. 154 Assmann, AG 1997, S. 50, 54; ähnlich auch Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 39, der allerdings seine Ausführungen an das Merkmal „bestimmungsgemäß“ knüpft. Siehe dazu auch unten Punkt II 2 c. 150
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Demnach käme es für die insiderrechtliche Einordnung der Finanzanalysten entscheidend darauf an, ob nach dem Berufsverständnis der Analysten die Erlangung und Verwertung von nicht öffentlich bekannten Informationen zum Kern ihres Aufgabengebietes gehört. Die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung e. V. – im folgenden DVFA – betont in den von ihr ausgearbeiteten Standesrichtlinien, daß Analysten keine Insiderinformationen zur Ausübung ihrer Tätigkeit benötigten. Des weiteren habe sie den für ihre Mitglieder verbindlichen Berufsgrundsatz aufgestellt, keinen Gebrauch von Insidermaterial bei der Erstellung von Analysen zu machen.155 Allerdings begründen diese von einer privaten Organisation ausgearbeiteten Standesrichtlinien keine allgemein verbindliche Definition für das Berufsbild der Analysten. Vielmehr muß auch nach dem Zweck der Analysetätigkeit gefragt werden. Hauptaufgabe des Analysten ist es, die zum Teil hoch komplexen Informationen über die wirtschaftliche Situation der Unternehmen für das Anlegerpublikum derart aufzubereiten, daß sie für die Bewertung der aktuellen Wertpapierkurse verwendet werden können. Der Umfang der dem Analysten zur Verfügung stehenden Informationen spielt dabei eine erhebliche Rolle. Je mehr Informationen er für seine Analyse verwenden kann, umso realistischer kann er den „wahren“ Wert der emittierten Papiere einschätzen. Für diese Aufgabe wäre demnach die Kenntniserlangung zusätzlicher, nicht bekannter Informationen von Vorteil. Daher läßt sich trefflich darüber streiten, ob die Mitteilung von Insiderinformationen in einem sachlichen, d.h. zweckdienlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit des Analysten steht. 3. Näheverhältnis zum Emittenten Von einigen Autoren wird zusätzlich zum Kausalzusammenhang ein gewisses „Näheverhältnis“ zwischen dem Emittenten als Informationsquelle und dem tätigkeitsbedingten Primärinsider verlangt.156 Claussen, der nur solche Personen als Primärinsider der dritten Gruppe ansieht, die in einem vertraglichen Verhältnis zum Emittenten stehen, spricht sich für eine noch restriktivere Auslegung aus.157 Dem hält Assmann entgegen, Personen, deren Beruf, Tätigkeit oder Aufgabe in vorhersehbarer Weise die Kenntniserlangung von Insidertatsachen mit sich bringe, stünden ohnehin in einem irgendwie gearteten Näheverhältnis zu den Emittenten.158 Deswegen stelle das z. T. geforderte Näheverhältnis zwischen Primärinsider und Emittenten im Vergleich zu seinem Vorschlag keine 155 Die Standesrichtlinien der DVFA sind u. a. im Internet unter der Adresse http:// www.dvfa.de veröffentlicht. 156 Claussen, ZBB 1992, S. 267, 271; ders., DB 1994, S. 27, 28; ähnlich Diehl/ Loistl/Rehkugler, S. 171; vgl. auch Hopt, ZGR 1991, S. 17, 35 ff. 157 Claussen, ZBB 1992, S. 267, 271. 158 Assman, AG 1997, S. 50, 54.
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weitere, den Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG zusätzlich einengende Voraussetzung dar. Ungeachtet dieses Streits ist zweifelhaft, ob das Kriterium des „Näheverhältnisses“ überhaupt geeignet ist, Finanzanalysten und andere Informationsintermediäre aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG auszuschließen. So behaupten Diehl/Loistl/Rehkugler, Wertpapieranalysten stünden als Investorenvertreter in keinem irgendwie gearteten Näheverhältnis zum Emittenten.159 Doch ist zu bedenken, daß Analysten ein Unternehmen häufig über mehrere Jahre hinweg begleiten. Angesichts der vielen persönlichen Kontakte, die mit einer solch langjährigen Beobachtung einhergehen, dürfte jedenfalls ein faktisches Näheverhältnis“ bestehen. 4. Bewertung der Vorschläge zur Einschränkung der Kausalität Keiner der genannten Auslegungsvorschläge zur Einschränkung des Kausalitätserfordernisses in § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG vermag zu überzeugen. Die Überlegung, nur ein „unmittelbarer Zugang“ zur Informationsquelle könne kausal i. S. von § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG sein, ist eindeutig zu weitgehend. Einerseits trägt sie zwar dem Umstand Rechnung, daß Primärinsider der Informationsquelle grundsätzlich näher sind als Sekundärinsider. Andererseits wäre es jedoch verfehlt anzunehmen, Primärinsider könnten nur solche Personen sein, die sich „aus eigener Kraft“ Zugang zu Insiderinformationen verschaffen können. So sind vor allem Wirtschaftskanzleien und andere Dienstleister, die vom Emittenten beauftragt werden, darauf angewiesen, daß man ihnen die für ihre Arbeit erforderlichen Informationen mitteilt bzw. zugänglich macht. Dennoch werden sie nach einhelliger Auffassung als Primärinsider eingestuft. Das Kriterium der „Vorhersehbarkeit“ scheint zwar besser geeignet, den Kreis der tätigkeitsbedingten Primärinsider sachgerecht einzuschränken. Doch ist das Kausalitätserfordernis nicht der dafür geeignete gesetzliche Aufhänger.160 Überlegungen zur Vorhersehbarkeit der Kenntniserlangung sollten vielmehr an das Merkmal „bestimmungsgemäß“ geknüpft werden. Daher wird dieser Auslegungsvorschlag hier nicht weiter verfolgt.161 Das Erfordernis des „Näheverhältnisses zum Emittenten“ wirkt angesichts des Wortlauts des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG gekünstelt. Zwar findet sich in den Gesetzesmaterialien der Hinweis, daß es sich bei § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG um Personen handelt, die aufgrund eines Vertragsverhältnisses mit dem Unterneh159 160 161
Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 171. So auch Pananis, S. 130. Vgl. unten 1. Teil, 2. Abschnitt, A. II. 2. c).
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men Zugang zu Insidertatsachen haben.162 Jedoch ist diesem Hinweis in der Gesetzesbegründung keine verbindliche Aussagekraft beizumessen. Ausführungen zur Gesetzesinterpretation, die einer Regierungsvorlage beigefügt sind, können nicht unbesehen als Wille des Gesetzgebers angesehen werden.163 Pananis versteht die in der Gesetzesbegründung angegebene Erläuterung zu Recht als eine nicht abschließende Aufzählung von Beispielen, die rein zufällig – im Sinne eines redaktionellen Versehens – nur Personen nennt, die in einem vertraglichen Verhältnis zum Emittenten stehen.164 Des weiteren findet sich in der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses die Bemerkung, daß auch die Mitarbeiter eines Kreditinstituts, welche Kenntnis von einer größeren Kauforder erlangen, als Primärinsider i. S. des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG anzusehen seien.165 Diese Personen sind regelmäßig nicht durch ein Vertragsverhältnis mit dem Emittenten verbunden. Vielmehr erlangen sie die Kenntnis allein aufgrund ihrer Tätigkeit für das Kreditinstitut. Im übrigen handelt es sich bei der Kenntnis der Orderlage um eine Information, die nicht vom Emittenten selbst geschaffen worden ist, sondern aus dem Verhalten der Marktteilnehmer resultiert.166 Sie zählt zu den sog. „Marktdaten“, die bei entsprechender Kursrelevanz ebenfalls als Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG anzusehen sind.167 Daß auch Marktdaten Insidertatsachen sein können, wird von vielen Vertretern im Schrifttum als weiteres, gewichtiges Argument gegen das Auslegungskriterium des „Näheverhältnisses zum Emittenten“ angeführt.168 Wenn Insidertatsachen auch Informationen sein können, deren Quelle außerhalb der betrieblichen Sphäre des Emittenten liegt, könne die Beziehung des Insiders zum Emittenten keine Rolle für die Definition des Primärinsiderbegriffs spielen. Das Gesetz würde anderenfalls Insidertatsachen kennen, für die es keinen entsprechenden Primärinsider geben könnte. 162
Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46. Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 37; Immenga, ZBB 1995, S. 197, 200. 164 Pananis, S. 135, der die Meinung von Claussen, Insiderhandelsverbot und Adhoc-Publizität, Rn. 85, Fn. 124 ablehnt. 165 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918, S. 104. 166 Die Kauforder der Marktteilnehmer beziehen sich zwar auf die Wertpapiere des Emittenten – damit ist der in § 13 Abs. 1 WpHG für die Eigenschaft der Information als Insidertatsache geforderte Bezug zum Emittenten gewahrt –; allerdings produziert der Emittent diese Informationen nicht selbst, so daß der Primärinsider für diese Art der Insidertatsachen nicht auf die Informationsübermittlung des Emittenten angewiesen ist. 167 § 13 Abs. 1 WpHG setzt für die Qualifikation als Insidertatsache lediglich voraus, daß sich die Information „auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf Insiderpapiere bezieht.“ Im Gegensatz zur ad-hoc-publizitätspflichtigen Tatsache muß die Information nicht im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sein. Vgl. dazu noch ausführlicher unten Kapitel G. 168 Hopt, ZGR 1991, S. 17, 38; Wymeersch, in: Hopt/Wymeersch, S. 65, 82–85; Assmann, AG 1994, S. 237, 240; Pananis, S. 135. 163
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (2. Abschn.)
Im Ergebnis ist der von § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG geforderte Kausalzusammenhang daher allein mit Hilfe der sog. Äquivalenztheorie zu bestimmen. II. „Bestimmungsgemäße“ Kenntnis § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG setzt zusätzlich voraus, daß der Insider bestimmungsgemäß Kenntnis von der Insidertatsache hat. Dieses Merkmal scheint sich für eine teleologische Reduktion des tätigkeitsbedingten Primärinsiderkreises weitaus besser zu eignen als das soeben erörterte Kausalitätserfordernis. Denn entsprechend der Begründung zum Regierungsentwurf des zweiten FMFG soll das Wort „bestimmungsgemäß“ zum Ausdruck bringen, daß lediglich zufällig oder bei Gelegenheit erlangtes Wissen nicht die Primärinsidereigenschaft begründet.169 Dieser Hinweis in den Gesetzesmaterialien deutet daraufhin, daß der deutsche Gesetzgeber die Grenzziehung zwischen tätigkeitsbedingten Primärinsidern und Sekundärinsidern im Zweifelsfall zugunsten der letztgenannten Gruppe entschieden wissen wollte. Das Merkmal „bestimmungsgemäß“ wird daher zu Recht als primärer Ansatzpunkt für eine tatbestandliche Einschränkung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG angesehen. 1. Die Richtlinienkonformität des Merkmals „bestimmungsgemäß“ Bevor auf die verschiedenen Auslegungsvorschläge für das Merkmal „bestimmungsgemäß“ eingegangen werden kann, ist zunächst danach zu fragen, ob eine auf dieses Merkmal gestützte Einschränkung des Primärinsiderkreises mit dem Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung vereinbar wäre. Denn für das Merkmal „bestimmungsgemäß“ findet sich kein vergleichbares Erfordernis im Wortlaut der EG-Richtlinie. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG scheint insofern von den europäischen Vorgaben abzuweichen. Gem. Art. 6 der Insiderrichtlinie ist es jedem Mitgliedstaat im Rahmen der Richtlinienumsetzung gestattet, strengere Vorschriften bzw. zusätzliche Vorschriften zu erlassen. Im Umkehrschluß bedeutet dies jedoch, daß der nationale Gesetzgeber an die in der Richtlinie enthaltenen Mindestvorgaben gebunden ist.170 Der nationale Gesetzgeber ist stets zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie verpflichtet.171 Zwar erfordert die Umsetzung von Gemeinschaftsbe169 Vgl. Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46; so auch die Gesetzesbegründung 2. FMFG, BR-Drucks. 793/93, S. 141. 170 Siebold, S. 158, sieht ebenfalls in den Vorgaben der Richtlinie einen insiderrechtlichen Mindeststandard, den alle Mitgliedstaaten erfüllen müssen. Ob der einzelne, nationale Staat von Art. 6 der Richtlinie, insbesondere von Satz 2 der Vorschrift Gebrauch macht, bleibt ihm dagegen selbst überlassen. 171 Vgl. dazu EuGHE 1991, I-791, 814; EuGHE 1988, II-2243, 2263; EuGHE 1985, II-1661, 1671–1673 und Oppermann, S. 211, Rn. 552.
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stimmungen in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise eine förmliche und wörtliche Übernahme der Bestimmungen in eine besondere Rechtsvorschrift. Vielmehr kann ihr auch durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan werden, wenn dieser die vollständige Anwendung der Gemeinschaftsbestimmungen hinreichend klar und bestimmt gewährleistet.172 Bei detailliert ausgestalteten Richtlinien reduziert sich allerdings diese Pflicht mehr oder weniger auf ein „Abschreiben“ des Richtlinieninhalts.173 Obgleich den einzelnen Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien die Befugnis vorbehalten ist, die Form und die Mittel zur Umsetzung zu wählen, sind sie dennoch verpflichtet, sich innerhalb der von der Richtlinie gezogenen Grenzen zu bewegen.174 Für die Regelung der tätigkeitsbedingten Primärinsider folgt daraus, daß der nationale Umsetzungsakt (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) den Kreis der Personen, die den zusätzlichen Handlungsverboten des Art. 3 der Richtlinie bzw. § 14 Nr. 2 und 3 WpHG unterliegen, nicht enger ziehen darf, als es die europäischen Vorgaben (Art. 2 Abs. 1 dritter Spiegelstrich der Richtlinie) selbst tun.175 Sollte ein Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie festzustellen sein, wäre der deutsche Gesetzgeber angehalten, die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG den Vorgaben der Richtlinie anzupassen. Bis dahin wäre im Zweifelsfall auch entgegen dem Wortlaut und der Systematik des nationalen Rechts ein richtlinienkonformes Ergebnis mittels Auslegung durchzusetzen.176 a) Der Regelungsgehalt des Art. 2 Abs. 1 der Insider-Richtlinie Um beurteilen zu können, ob ein Konflikt zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem nationalen Recht tatsächlich besteht, muß zunächst der genaue Regelungsgehalt des „höherrangigen“ Gemeinschaftsrechts ermittelt werden.177 Hopt vertritt den Standpunkt, daß die Richtlinie eine „bestimmungsgemäße“ Kenntniserlangung nicht verlange. Vielmehr genüge jede Form der Kenntniserlangung, solange die ausgeübte Tätigkeit dafür kausal i. S. der sine-qua-non-Formel ist.178 Folglich werde auch derjenige, der nur „zufällig oder bei Gelegenheit“ während seiner Berufsausübung von einer Insiderinformation erfährt, von 172
EuGHE 1988, II-2243, 2263. Oppermann, S. 211, Rn. 552. 174 EuGHE 1980, IV-3583, 3607 – Cremonini und Vrankovich, 815/79. 175 Vgl. nur Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 30/31. 176 Grundmann, ZSR 1996, S. 103, 141. 177 Lutter, JZ 1992, S. 593, 598. 178 Hopt, ZGR 1991, S. 17, 37; ders., in: Das Zweite FMFG in der praktischen Umsetzung, S. 3, 11. Ähnlich auch Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 39. 173
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (2. Abschn.)
der Richtlinie als Primärinsider eingestuft. Das deutsche Recht schränke daher den potentiellen Täterkreis in unzulässiger Weise ein.179 Das Merkmal „bestimmungsgemäß“ hätte schon im Gesetzesentwurf gestrichen werden müssen.180 Diese Ansicht hat im Schrifttum verstärkt Zustimmung gefunden.181 Folge wäre, daß auch der Zufallsinsider zur Gruppe der tätigkeitsbedingten Insider zu zählen wäre. Dagegen sind andere Autoren der Meinung, die europäische Richtlinie verlange für die tätigkeitsbedingte Primärinsidergruppe ebenfalls eine „Art von funktionaler Beziehung“ zwischen dem Beruf des Insiders und dem Zugang zur Information, was dem Bedeutungsgehalt des Merkmals „bestimmungsgemäß“ in etwa entspreche.182 Zur Begründung ihrer Auffassung verweisen sie auf die Entstehungsgeschichte der englischen Fassung der EG-Insiderrichtlinie. Während nach dem ersten Entwurf des englischen Richtlinientextes der tätigkeitsbedingte Insider die Information lediglich „in the exercise of his employment, profession or duties“ erlangt haben mußte, verlangt die endgültige Fassung nunmehr, daß der Insider „access to such information by virtue of the exercise of his employment, profession or duties“ hat.183 Diese Änderung in der Formulierung bringe eine Qualifizierung der Informationserlangung zum Ausdruck.184 Im Ergebnis enthalte § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG daher kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal, das von den Vorgaben der Richtlinie in unzulässiger Weise abweicht.185 b) Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung Weil der persönliche Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 dritter Spiegelstrich der Richtlinie im Wege der Auslegung nicht eindeutig bestimmt werden kann, wird sich die Frage der Richtlinienkonformität des Merkmals „bestimmungsgemäß“ wohl nur durch eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshof lösen lassen.186 Bis der EuGH diese offene Auslegungsfrage entschie179 Claussen, DB 1994, S. 27, 28 Fn. 11 mit Verweis auf die Erläuterung der Gesetzesbegründung zum 2. FMFG, BR-Drucks. 793/93, S. 141. 180 Hopt, in: WM Festgabe Hellner, S. 29–34. 181 Für eine eigenständige Bedeutung des Merkmals „bestimmungsgemäß“ sprechen sich ebenfalls aus: Hopt, in: WM Festgabe Hellner, S. 29 f.; U. Weber, BB 1995, S. 157, 160; Assmann, AG 1994, S. 237, 239; Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 30. 182 Bergmans, S. 85; Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, S. 600; dies., RIW 1996, S. 101, 102; Krauel, Insiderhandel, S. 230; Tridimas, International and Comparative Law Quaterly 40 (1991), S. 919, 926 f. 183 EGABl. Nr. C 153 v. 11.06.1987, S. 8, 9. 184 Mennicke, Sanktionen gegen den Insiderhandel, S. 600/601. 185 Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, S. 601. 186 Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, S. 602.
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den hat, schwebt über dem Merkmal „bestimmungsgemäß“ das Damoklesschwert der Richtlinienwidrigkeit. Angesichts dieser unsicheren Rechtslage stellt sich die Frage, ob eine restriktive Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG, die sich im wesentlichen auf das Merkmal „bestimmungsgemäß“ stützt, nur unter dem Vorbehalt einer späteren Revision durch den EuGH vorgenommen werden kann. Etwas anderes könnte dann gelten, wenn im Falle des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ausnahmsweise kein absoluter Vorrang gegenüber den allgemeinen Interpretationsmethoden des nationalen Rechts einzuräumen wäre. Wären die nationalen Interpretationsmethoden entscheidend, wäre nämlich der nationale Rechtsanwender selbst dann an die Wortlautgrenze des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG gebunden, wenn der EuGH zu der Auffassung käme, daß die Insider-Richtlinie Zufallsinsider nicht aus der Gruppe der tätigkeitsbedingten Primärinsider ausschließen wollte. Allerdings hat der EuGH betont, daß das nationale Recht soweit wie möglich im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen ist.187 Daraus wird zutreffend gefolgert, daß die richtlinienkonforme Auslegung grundsätzlich als das vorrangige Auslegungskriterium nationalen Rechts anzusehen ist.188 Im Falle des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG muß jedoch der besondere Aspekt berücksichtigt werden, daß gemäß § 38 WpHG der Verstoß eines Insiders gegen die Handlungsverbote des § 14 WpHG strafbewehrt ist. Damit ist das Insiderrecht der §§ 12–14 WpHG als Nebenstrafrecht anzusehen, auf das die allgemeinen Regeln und Grundsätze des deutschen Strafrechts anzuwenden sind. Daher erhält im Falle des Insiderrechts und seiner richtlinienkonformen Auslegung die Wortlautgrenze einen im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten besonderen Stellenwert. Denn jenseits der Wortlautgrenze beginnt im Strafrecht das durch Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankerte Analogieverbot zu Lasten des Straftäters. Nur die Auslegung eines Straftatbestandes, die sich im Rahmen eines möglichen Wortsinns hält und den eindeutigen Willen des Gesetzgebers berücksichtigt, ist verfassungsrechtlich unbedenklich.189 Hat das strafrechtliche Analogieverbot gegenüber dem Europäischen Gemeinschaftsrecht Bestand, so ist dem Merkmal „bestimmungsgemäß“ eine eigenständige Bedeutung zuzumessen.
187 Vgl. nur EuGHE 1984, S. 1891, 1909, wonach jedes „nationale Gericht bei der Anwendung des nationalen Rechts, insbesondere auch der Vorschriften eines speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Gesetzes, dieses nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen hat.“ 188 Lutter, JZ 1992, S. 593, 604; Bach, JZ 1990, S. 1108, 1111; Everling, in: FS Carstens, S. 97, 101 u. 107; Kirchhoff, DB 1989, S. 2261, 2264, Zuleeg, ZGR 1980, S. 466, 471. 189 Heise, S. 116.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (2. Abschn.)
Es stellt sich demnach die Frage, ob die durch die nationale Methodenlehre entwickelten Grenzen der Auslegung auch in ihrer auf den Grundsätzen des Art. 103 Abs. 2 GG beruhenden besonderen Ausprägung auf dem Gebiet des Strafrechts durch das Gemeinschaftsrechts verdrängt werden können.190 Ein solcher Vorrang des Gemeinschaftsrechts könnte nur angenommen werden, wenn gemäß Art. 24 GG der nationale Gesetzgeber bei der teilweisen Übertragung seiner Hoheitsrechte auch über das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verfügen durfte. Denn mit dem Souveränitätsverzicht i. S. des Art. 24 GG geht der Vorrang des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts einher. Der Dispositionsbefugnis des nationalen Gesetzgebers über den Grundsatz des strafrechtlichen Analogieverbots könnte die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG entgegenstehen. Voraussetzung wäre, daß das strafrechtliche Analogieverbot in den Anwendungsbereich des Art. 79 Abs. 3 GG fällt. Heise bejaht dies unter Berufung auf den in Art. 20 Abs. 3 GG normierten rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt. Das strafrechtliche Analogieverbot ergebe sich in notwendiger Weise aus dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt und unterfalle damit über Art. 20 Abs. 3 GG dem Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG.191 Damit sei das strafrechtliche Analogieverbot der Verfügungsgewalt des nationalen Gesetzgebers im Rahmen des Art. 24 GG entzogen. Obwohl der Vorrang des Gemeinschaftsrechts anerkannt sei und damit grundsätzlich die gemeinschaftsrechts- bzw. richtlinienkonforme Auslegung gegenüber dem Kanon der nationalen Auslegungsgrundsätze vorgehe, könne der Grundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG der richtlinienkonformen Auslegung als nationale Grenze entgegengehalten werden.192 Der Auffassung von Heise ist zu folgen. Die von ihm vertretene These kann zusätzlich auf das Argument gestützt werden, daß dem europäischen Gesetzgeber auf dem Gebiet des Strafrechts keine Gesetzgebungskompetenz zukommt und schon deshalb nicht über das Analogieverbot verfügen darf. Das Merkmal „bestimmungsgemäß“ in § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG hat daher Bestand gegenüber eventuellen europarechtlichen Einwänden, solange der nationale Gesetzgeber nicht tätig wird und das Merkmal wieder streicht. Es ist mithin bei der Auslegung der dritten Primärinsidergruppe, insbesondere im Zusammenhang mit der hier behandelten Frage der insiderrechtlichen Einordnung von Finanzanalysten, als eigenständiges, zusätzliches Kriterium zu berücksichtigen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit dem Merkmal „bestimmungsgemäß“ eindeutig für den Ausschluß der „Zufalls“- bzw. „Gelegenheits“-Insider aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG entschieden.193 Die Rechtsanwender, insbesondere die Gerichte, sind an diese Entscheidung gebunden. Dies gilt selbst für 190
Heise, S. 123. Heise, S. 149; speziell für § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG auch U. Weber, BB 1995, S. 157, 160 und Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 33. 192 So auch Cramer, in: FS Trifterer, S. 323, 335 und Hugger, NStZ 1993, S. 421, 423 f. 191
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den Fall, daß der europäische Gesetzgeber die dritte Gruppe der Primärinsider weit gefaßt verstanden wissen wollte. Denn eine Auslegung des Merkmals „bestimmungsgemäß“, die ihm keinen eigenständigen Bedeutungsgehalt zum Zwecke der Richtlinienkonformität mehr zumißt, würde die eindeutige Wortlautgrenze des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG unterschreiten. Die Verpflichtung zur Einhaltung der nach deutschem Strafrecht zulässigen Auslegungsfreiräume wäre verletzt, welche gegenüber einer europarechtlichen Auslegung Vorrang genießt. 2. Positive Bedeutung des Merkmals „bestimmungsgemäß“ Nachdem feststeht, daß das Merkmal „bestimmungsgemäß“ auch entgegen etwaiger europarechtlicher Bedenken bei der Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG zu berücksichtigen ist, ist nunmehr der konkrete Regelungsinhalt des Merkmals zu bestimmen. In der Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG wird das Merkmal „bestimmungsgemäß“ nur in negativer Hinsicht umschrieben.194 Danach liegt keine „bestimmungsgemäße“ Kenntniserlangung vor, wenn die betreffende Person nur „zufällig“ bzw. „bei Gelegenheit“ von der Insidertatsache erfährt.195 Als problematisch erweist sich dagegen die positive Bestimmung des Merkmals.196 Im Schrifttum findet sich eine Reihe positiver Umschreibungsversuche des Merkmals; ein Konsens konnte aber bislang nicht gefunden werden. Allen Vorschlägen ist lediglich gemein, daß „bestimmungsgemäß“ mehr bedeutet als die durch den Beruf bedingte Kausalität.197 Die Darstellung der einzelnen Interpretationsmöglichkeiten folgt zweckmäßigerweise den verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten des Wortes nach dem üblichen Sprachgebrauch. Das Wort „bestimmungsgemäß“ kann zum einen die Zielgerichtetheit einer Verhaltensweise ausdrücken, wenn es im Sinne von „Bestimmtsein für jemanden“ verstanden wird [a)]. Zum anderen kann es aber auch im Sinne von „den Bestimmungen gemäß“ die Rechtmäßigkeit einer Verhaltensweise zum Ausdruck bringen [b)]. Schließlich kann es als Synonym für die Begriffe „typisch“, „regelmäßig“ oder „vorhersehbar“ verwendet werden, wenn es im Sinne von „seiner Bestimmung nach“ gelesen wird [c)]. Die im
193 Vgl. auch Immenga, ZBB 1995, S. 197, 200; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19c: „Außer Frage steht, daß Personen, die per Zufall eine Information erlangt haben, die für sie nicht gedacht war, aus dem Kreis der Primärinsider i. S. der Nr. 3 ausscheiden.“ 194 Darauf wies bereits Eichele, WM 1997, S. 501, 503 hin. 195 Vgl. oben 1. Teil, 2. Abschnitt, A. II.; siehe auch Begr. RegE 2. FMFG, BTDrucks. 12/6679, S. 46. 196 Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 33. 197 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19 f.
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Schrifttum vertretenen Auffassungen lassen sich in diese drei Bedeutungskategorien des üblichen Sprachgebrauchs einordnen. a) „Bestimmtsein für jemanden“ Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, das Merkmal „bestimmungsgemäß“ sei im Sinne von „Bestimmtsein für jemanden“ auszulegen.198 Es ist also danach zu fragen, ob die Information für die betreffende Person „bestimmt“ war. Dieser Interpretationsvorschlag stellt auf die Zielgerichtetheit der Informationsübermittlung ab und enthält damit einen subjektiven Auslegungsansatz. aa) „Wille des Absenders“ oder „Empfängerhorizont“ Unklar ist allerdings, ob es dabei auf den Willen des Übermittelnden oder auf das Verständnis des Informationsempfängers ankommen soll. Die Intention der Informationsübermittlung kann sowohl aus der Sicht des Absenders als auch aus der Sicht des Adressaten beurteilt werden. In der Literatur werden beide Standpunkte vertreten. Weber will auf die Intention des Absenders abstellen.199 Der Absender habe es in der Hand, den Adressaten der Information zu bestimmen.200 Deshalb komme es auf den wahren Wille des „Absenders“ an. Dagegen hält es Dierlamm aus Gründen der Rechtssicherheit für vorzugswürdig, auf die Sicht des Empfängers abzustellen.201 Der Empfänger soll anhand seines ihm zugeteilten Aufgabenkreises bestimmen, ob die Information einen spezifischen Bezug zu der von ihm ausgeübten Tätigkeit aufweist.202 Nur wenn er die Entgegennahme der Insiderinformation als ein „funktionales Element“ seines Aufgabengebietes verstehen müsse, könne der Empfänger sich sicher sein, daß die Information für ihn bestimmt war.203
198
U. Weber, BB 1995, S. 157, 161; Dierlamm, NStZ 1996, S. 519, 520. U. Weber, BB 1995, S. 157, 161; ähnlich Cramer, in: FS Trifterer, S. 323, 328, der in einem von ihm gebildeten Beispielsfall danach fragt, ob die Nachricht für den Empfänger „gedacht“ war. 200 U. Weber, BB 1995, S. 157, 161, nennt den Fall eines Psychiaters, dem eine frustrierte Patientin von den Abwanderungsplänen ihres Mannes zu einem anderen Unternehmen berichtet. Der Psychiater erlange diese Kenntnis „bestimmungsgemäß“, weil die Patientin wollte, daß er davon erfährt. 201 Dierlamm, NStZ 1996, S. 519, 520. 202 Dierlamm, NStZ 1996, S. 519, 520. 203 Ähnlich auch Claussen, DB 1994, S. 27, 28, der das Merkmal „bestimmungsgemäß“ erfüllt sieht, wenn die Information in den beruflichen Verantwortungsbereich der betreffenden Person fällt. 199
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Der Ansatz von Dierlamm ist dahingehend zu ergänzen, daß der Empfänger nur dann nach dem funktionalen Zusammenhang zwischen der Informationsübermittlung und seiner Tätigkeit fragen sollte, wenn er den wahren Willen des Absenders nicht eindeutig ermitteln kann.204 Denn im Rahmen einer subjektiven Auslegung sollten objektive Begleitumstände zur Ermittlung der Intention des Absenders nur nachrangig herangezogen werden, d.h. nur dann, wenn vom Empfängerhorizont der Wille des Absenders nicht anders zu ermitteln ist. bb) Kritische Bewertung Für die insiderrechtliche Einordnung der Finanzanalysten bietet der subjektive Lösungsansatz nur wenig Rechtssicherheit. Eine verallgemeinerungsfähige Aussage über die insiderrechtliche Qualifikation der Analysten kann nach diesem Lösungsansatz nur bedingt getroffen werden. Denn es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob der Emittentenvertreter die Information dem Analysten gezielt zukommen lassen wollte oder nicht. Allein die Tatsache, daß die Informationsübermittlung in einem persönlichen Gespräch zwischen Unternehmensvertreter und Analyst erfolgt, spricht nicht zwingend für eine zielgerichtete Informationsübermittlung. Vielmehr besteht gerade bei Analystentreffen die Gefahr, daß der Unternehmensvertreter versehentlich eine Information weitergibt, die er nicht weitergegeben hätte, wenn ihm deren Insider-Qualität bewußt gewesen wäre.205 Eine generelle Aussage über die Qualifikation der Analysten ließe sich allenfalls für die Fälle treffen, in denen der wahre Wille des Erklärenden für den Adressaten nicht erkennbar ist. Dann nämlich müßte – entsprechend dem Vorschlag von Dierlamm – nach dem funktionalen Zusammenhang zwischen der ausgeübten Tätigkeit der betreffenden Person (hier der des Analysten) und der Kenntniserlangung gefragt werden. Fraglich ist nur, ob die Übermittlung von Insiderinformationen in Vor-Ort-Gesprächen einen spezifischen, funktionalen Bezug zum Aufgabenkreis der Analysten aufweist. Die Beantwortung dieser Frage bleibt beim derzeitigen Meinungsstand ungewiß. Denn gerade im Zusammenhang mit sog. „Vor-Ort-Gesprächen“ zwischen Unternehmensinsidern und Analysten läßt sich über die Zweckmäßigkeit der Übermittlung von Insider-
204 Eine ähnliche Problematik findet sich in § 133 BGB. Nach Rspr. und Lehre wird die Vorschrift dahingehend verstanden, daß nicht der innere, sondern der nach Außen hin bekundete Wille Gegenstand der Auslegung sein soll. Nur wenn aus Sicht des Empfängerhorizontes der (bekundete) Wille des Erklärenden nicht ermittelt werden kann, soll gem. § 157 BGB auf objektive Maßstäbe zurückgegriffen werden. Vgl. dazu Mayer-Maly/Busche, in: MüKo, § 157 BGB Rn. 1. 205 Dies gilt vor allem deshalb, weil sich der Emittentenvertreter nach h. M. strafbar macht, wenn er Insidertatsachen an Analysten weitergibt. Siehe Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13, Rn 19i.
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informationen für die Erfüllung der vom Analysten ausgeübten Tätigkeit trefflich streiten. Entsprechend den Ausführungen der DVFA benötigt der Wertpapieranalyst grundsätzlich keine Kenntnis von insiderrelevanten unternehmensinternen Tatsachen zur Ausübung seiner Tätigkeit.206 Danach könne der Analyst die Übermittlung von Insiderinformationen nicht als „funktionales Element“ seines Aufgabenkreises verstehen und wäre deshalb nicht als Primärinsider i. S. von § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG anzusehen. Dagegen wird vor allem in der US-amerikanischen Literatur betont, daß der Analyst aus der Übermittlung von Insiderinformationen einen erheblichen Nutzen ziehen könne.207 Die Rolle des Analysten im Kapitalmarktgefüge sei die eines Informationsmultiplikators, dessen Tätigkeit sowohl der Emittentenseite als auch dem Anlegerpublikum zugute kommt.208 Dabei müsse auch in Kauf genommen werden, daß der Analyst im Einzelfall Insiderinformationen in seinen Analysen verarbeitet und an seine Auftraggeber weiterleitet. Dies würde wiederum für die Einordnung des Analysten als Primärinsider sprechen.209 b) „Den Bestimmungen gemäß“ Wird das Merkmal „bestimmungsgemäß“ im Sinne von „den Bestimmungen gemäß“ verstanden, führt dies nicht nur zu einer „Verobjektivierung“210 der Tatbestandsauslegung, sondern verleiht darüber hinaus dem Merkmal „bestimmungsgemäß“ einen anderen Bedeutungsgehalt. Es steht nicht die Zielgerichtetheit, sondern vielmehr die Rechtmäßigkeit der Informationsübermittlung im Vordergrund. Bei dieser Interpretation kommt es weder auf den Willen des Erklärenden noch auf das entsprechende Verständnis des Empfängers an. Stattdessen ist danach zu fragen, ob der Analyst die Information „rechtmäßig“ erhält, wenn er sie vom Unternehmensvertreter mitgeteilt bekommt. Bislang fehlt es jedoch an der Verständigung auf einen Maßstab zur Bestimmung der „Rechtmäßigkeit“ der Kenntniserlangung – es stehen diverse Vorschläge nebeneinander.
206
Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 171. Langevoort, Virginia Law Review 76 (1990), S. 1023, 1031; Fischel, Hofstra Law Review 13 (1984), S. 127, 145. 208 Vgl. die Ausführungen des Surpreme Courts in dem Fall Dirks v. SEC, 463 U.S. 646 (1983) zur Funktion der Wertpapieranalysten im Kapitalmarktgefüge. 209 Allerdings wäre angesichts eines solchen Berufsverständnisses das Ergebnis der insiderrechtlichen Einordnung äußerst bedenklich, ja geradezu widersinnig. Denn der Primärinsider unterliegt im Gegensatz zum Sekundärinsider den weiteren Handlungsverboten des § 14 Abs. 1 WpHG, was den Analysten gerade daran hindern würde, seine ihm zugewiesenen Aufgaben uneingeschränkt erfüllen zu können. 210 Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 33. 207
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aa) Mitteilungs- und Auskunftspflichten Z. T. wird die Auffassung vertreten, die Informationsübermittlung sei jedenfalls dann „rechtmäßig“, wenn sie in Erfüllung gesetzlicher Auskunftsverpflichtungen erfolgt.211 Beispielhaft werden Auskunftsverpflichtungen gegenüber Behörden und betriebsverfassungsrechtlichen Organen genannt.212 Der Vorteil dieses Auslegungsansatzes ist, daß er eine eindeutige Abgrenzung zwischen rechtmäßiger und unrechtmäßiger Kenntniserlangung ermöglicht. Allerdings würde der Kreis der tätigkeitsbedingten Primärinsider erheblich eingeschränkt werden. Denn in der Mehrzahl der Fälle werden Insiderinformationen nicht aufgrund von gesetzlichen Auskunftsverpflichtungen, sondern aus anderen Beweggründen übermittelt. So unterliegen die Emittenten als Haupterzeuger von Insidertatsachen zwar vielseitigen Mitteilungspflichten, jedoch erfordert ihr wirtschaftliches Handeln Informationsflüsse, die nicht der Erfüllung gesetzlicher Pflichten dienen. Dies gilt sowohl für die Informationsweitergabe innerhalb des Unternehmens als auch hinsichtlich der Kommunikation mit unternehmensexternen Personen. In all diesen Fällen wären die Gesprächspartner der Emittentenvertreter nicht als Primärinsider einzustufen. Ob dieses Auslegungsergebnis noch den Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht, ist zu bezweifeln. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG stellt in erster Linie auf die Tätigkeit der betreffenden Person ab. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob dem Empfänger der Information ein gesetzlicher Anspruch auf Übermittlung der betreffenden Information zusteht. Außerdem ist fraglich, ob gesetzliche Informationspflichten generell Vorrang vor den Bestimmungen des Insiderrechts genießen. Im Hinblick auf das Weitergabeverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG wird im Schrifttum z. T. die Auffassung vertreten, daß nicht jede gesetzlich gebotene Mitteilungspflicht die Tatbestandsmäßigkeit insiderrechtlich relevanten Verhaltens entfallen läßt.213 Vielmehr müsse vor allem bei Mitteilungspflichten, die keine vorbehaltlose Auskunftserteilung vorsehen, zusätzlich eine Einzelfallabwägung vorgenommen werden.214 Danach handele die auskunftserteilende Person nur dann insiderrechtlich befugt, wenn die der gesetzlichen Informationspflicht zugrundeliegen-
211 Vgl. die Überlegungen von Süßmann, AG 1999, S. 162, 163 zur Parallelproblematik bei der Auslegung des Merkmals „unbefugt“ in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. 212 Vgl. z. B. § 44 KWG, wonach das BAKred berechtigt ist, Auskünfte über alle Geschäftsangelegenheiten von den Kreditinstituten zu verlangen; gegenüber betriebsverfassungsrechtlichen Organen sind die §§ 74, 80 Abs. 2 BetrVG einschlägig. 213 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 49; a. A. Süßmann, AG 1999, S. 162, 164: „Das WpHG kann nicht als lex specialis den Umfang gesetzlicher Auskunftsverpflichtungen einschränken.“ 214 Keine vorbehaltlose Auskunftserteilung sehen u. a. die Mitteilungspflichten aus §§ 106 Abs. 2, 43 Abs. 2 S. 3 BetrVG und § 131 AktG vor.
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den Interessen als höherrangig gegenüber den Zielen des Insiderrechts einzustufen seien. Im übrigen hängt die Rechtmäßigkeit eines Handelns oder eines Erfolgs (hier: die Kenntniserlangung) nicht davon ab, ob eine Pflicht zur Vornahme dieser Handlung bzw. zur Herbeiführung dieses Erfolgs besteht. Vielmehr ist ein Verhalten bereits dann rechtmäßig, wenn es gegen keine gesetzlichen Bestimmungen verstößt. Bei der Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG wäre demnach zu fragen, ob sich die Informationsweitergabe im Rahmen des gesetzlich Zulässigen bewegt. Schäfer weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, daß in der Mehrzahl der Fälle eine gesetzliche Regelung für die Weitergabe von Informationen überhaupt nicht besteht. Daher ließe sich nach dieser Ansicht das Merkmal „bestimmungsgemäß“ nur mit Hilfe von hypothetischen Normen auslegen, die bestehen würden, wenn der Gesetzgeber die sich im Zusammenhang mit dem Insiderrecht stellenden Fragen bedacht hätte.215 Ein solches Vorgehen würde jedoch nicht nur die Kompetenz des Rechtsanwenders übersteigen, sondern auch zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen.216 bb) Systematischer Zusammenhang mit § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG Die vorstehenden Überlegungen haben einige Autoren dazu veranlaßt, nicht die gesamte Rechtsordnung, sondern allein die insiderrechtlichen Bestimmungen, insbesondere die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, als „Rechtmäßigkeitsmaßstab“ für die Kenntniserlangung heranzuziehen. Die Befugnis zur Informationsweitergabe gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG und die bestimmungsgemäße Kenntniserlangung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG stünden in einem wechselseitigen, systematischen Zusammenhang.217 Der Empfänger erhalte die Information nur dann „bestimmungsgemäß“, wenn der Erklärende zur Weitergabe der Information befugt i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ist. Im Umkehrschluß könne eine unbefugte Weitergabe keine bestimmungsgemäße Kenntniserlangung beim Empfänger begründen. Begründet wird dieser Auslegungsansatz mit dem Argument, daß nur durch eine Verknüpfung der §§ 13 Abs. 1 Nr. 3 und 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ein in sich geschlossenes System insiderrechtlicher Pflichtenbindungen geschaffen werden könne. Ist ein Primärinsider ausnahmsweise zur Weitergabe einer Insiderinformation gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG befugt, so müsse sichergestellt 215
Schäfer, in: Schäfer, WpHG/BörsG/VerkProspG, § 13 WpHG, Rn. 33. Schäfer, in: Schäfer, WpHG/BörsG/VerkProspG, § 13 WpHG, Rn. 33. 217 Pananis, S. 137–140; Krauel, S. 232; vgl. aber auch Eichele, WM 1993, S. 501, 505 und Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19j, die sich ebenfalls mit dem Zusammenhang zwischen § 13 Abs. 1 Nr. 3 und § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG auseinandersetzen; ihn aber letztlich verneinen. 216
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werden, daß auch der Informationsempfänger seinerseits dem Mitteilungs- und Empfehlungsverbot unterliegt. Ansonsten bestünde die Gefahr einer unkontrollierten Informationsverbreitung. Der Informationszugang und damit die Informationsverbreitung dürfe sich nicht im rechtsleeren Raum vollziehen.218 Dies lasse sich nur dadurch erreichen, daß jeder Informationsempfänger, dem eine Insidertatsache mitgeteilt werden darf, als tätigkeitsbedingter Primärinsider einzuordnen ist. Ziel der Auslegungsbemühungen müsse also sein, die erhöhte Pflichtenbindung innerhalb der Informationskette nicht abreißen zu lassen. Für den unternehmensinternen Informationsfluß werde dies bereits durch § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG sichergestellt. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG soll dagegen dafür sorgen, daß auch der unternehmensexterne Informationssaustausch nur in den engen Grenzen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG möglich ist. Der Normzweck des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG bestehe daher vorrangig darin, alldiejenigen unternehmensexternen Personen der erhöhten Pflichtenbindung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG zu unterwerfen, an die in befugter Weise Insiderinformationen weitergegeben werden dürfen.219 Nur so könne ein umfassender strafrechtlicher Schutz vor einer unkontrollierten Verbreitung von Insiderinformationen gewährleistet werden.220 (1) Auswirkungen für die Berufsgruppe der Finanzanalysten Der Unterschied zum subjektiven Auslegungsansatz wirkt sich vor allem in den Fällen aus, in denen der Insider zwar die subjektive Absicht besitzt, einem Dritten die Information gezielt zukommen zu lassen, jedoch dabei gegen geschriebene oder ungeschriebene objektive Bestimmungen, insbesondere gegen das insiderrechtliche Weitergabeverbot, verstößt. Als Beispiel nennt Schäfer den Fall, daß ein Aufsichtsratsmitglied unter Bruch unternehmensinterner Com218 Pananis, S. 137 ff., setzt demnach voraus, daß die Organe des Emittenten in der Regel von einer unbefugten Weitergabe der Insiderinformationen absehen, was angesichts der strafrechtlichen Sanktionen des § 38 WpHG einleuchtend erscheint. Allerdings hat das BAWe bislang keinen Insider-Fall untersucht bzw. verfolgt, in dem es allein um einen Verstoß gegen das Weitergabeverbot i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG geht. 219 Pananis, S. 139. 220 Im Umkehrschluß wäre nach dieser Ansicht anzunehmen, daß diejenigen Personen, denen die Insiderinformationen unbefugt bzw. widerrechtlich übermittelt werden, keiner erhöhten Pflichtenbindung unterliegen müßten. Schlüssig ist diese Argumentation nur, wenn in den Fällen der unbefugten Weitergabe von Insiderinformationen niedrigere Anforderungen an den insiderrechtlichen Strafrechtsschutz gegen die unkontrollierte Informationsverbreitung zu stellen sind. Ein Argument dafür wäre die Überlegung, daß bereits die Organinsider nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 i. V. mit § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG dem Weitergabeverbot unterliegen und deshalb von einer unbefugten Weitergabe grundsätzlich absehen werden. Weil dem so ist, ließe sich folgern, daß weitere Personen mit einem entsprechenden Verbot nicht belegt werden müßten.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (2. Abschn.)
pliance-Vorschriften einem Mitarbeiter seines eigenen Unternehmens Protokolle der Aufsichtsratssitzung des beaufsichtigten Unternehmens zugänglich macht.221 Die subjektive Absicht des Aufsichtsratsmitglieds spricht für die bestimmungsgemäße Kenntniserlangung des Unternehmensmitarbeiters, der Bruch mit den unternehmensinternen Compliance-Vorschriften jedoch dagegen. Auch für die insiderrechtliche Einordnung der Finanzanalysten ergibt sich dann ein anderes Ergebnis. Weil selbst der Vorstand des Unternehmens grundsätzlich unbefugt i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG handelt, wenn er Insiderinformationen an externe, unabhängige Analysten weitergibt222, sind Analysten stets als Sekundärinsider einzuordnen. Dies gilt auch für den Fall, daß der Emittentenvertreter die Information bewußt an den Finanzanalysten weitergeben will. (2) Kritische Bewertung Das Schrifttum lehnt zu Recht überwiegend einen systematischen Zusammenhang zwischen § 13 Abs. 1 Nr. 3 und § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ab.223 Aus einer unbefugten Informationsweitergabe kann nicht generell gefolgert werden, der Adressat erhält die Information nicht „bestimmungsgemäß“.224 Z. T. wird schon aus Rücksicht auf die europäische Insiderrichtlinie Abstand von diesem Auslegungsvorschlag genommen. Im Hinblick darauf, daß das Merkmal „bestimmungsgemäß“ eine Einschränkung der Richtlinienvorgaben bedeutet, müsse eine Auslegung gefunden werden, die sich nicht zu weit vom ursprünglichen Regelungsentwurf entfernt.225 Gem. Art. 2 Abs. 1, 3. Spiegelstrich der Insider-RL muß der Informationsempfänger aufgrund seiner Tätigkeit lediglich „Zugang“ zur Information haben. Die Rechtmäßigkeit des Informationszugangs wird dagegen nicht vorausgesetzt. Des weiteren führt dieser Auslegungsvorschlag nach Auffassung von Assmann zu Wertungswidersprüchen im Hinblick auf die beiden anderen Primär221
Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 33. Eichele, WM 1997, S. 501, 507; Götz, DB 1995, S. 1949, 1951; Süßmann, AG 1997, S. 63, 65; Assmann, AG 1997, S. 50, 57; Hopt, Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz in der praktischen Umsetzung, S. 3, 19. 223 Assmann, in Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19j; ders., AG 1994, S. 237, 239, Fn. 119; Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 33; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 1811, Rn. 16.146. 224 Eichele, WM 1997, S. 501, 506; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19j. 225 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19j. Vgl. auch oben 1. Teil, 2. Abschnitt, A. II. 1. a)–c). Dort wurde festgestellt, daß aufgrund des strafrechtlichen Charakters des deutschen Insiderrechts die Wortlautgrenze des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG nicht unterschritten werden dürfe. Eine Reduzierung des Bedeutungsgehalts des Merkmals „bestimmungsgemäß“ auf Null ist daher nicht zulässig. Umgekehrt läßt sich daraus aber nicht folgern, daß für die positive Bestimmung des Merkmals „bestimmungsgemäß“ die europarechtlichen Vorgaben völlig außer acht bleiben sollen. 222
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insidergruppen.226 Für die Qualifikation als Organ- bzw. Beteiligungsinsider gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG kommt es nach einhelliger Auffassung auf die Rechtmäßigkeit der Kenntniserlangung nicht an.227 Maßgeblich ist allein die Kausalität zwischen der Organstellung bzw. der Beteiligung und der Kenntnis von der Insiderinformation.228 Ein Verstoß gegen gesellschaftsinterne Informationsschranken hat keinerlei Auswirkungen auf den insiderrechtlichen Status des Informationsempfängers.229 Es sind daher durchaus Situationen denkbar, in denen zwar die Informationsweitergabe bzw. die Kenntniserlangung gegen das Verbot aus § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG verstößt, der Informationsempfänger aber dennoch aufgrund seiner Eigenschaft als Organmitglied bzw. Anteilseigner als Primärinsider einzustufen ist. Wenn es auf die Rechtmäßigkeit der Kenntniserlangung im Rahmen der ersten beiden Primärinsidergruppen nicht ankommt, könne auch für § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG nichts anderes gelten.230 Den Vertretern des systematischen Zusammenhangs ist aber vor allem vorzuhalten, daß sie primär rechtsfolgenorientiert argumentieren. Die Verknüpfung der §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG wird einzig mit dem Ziel vorgenommen, die Insiderregelung in ein System zu zwängen, das die vom Gesetzgeber bewußt offengelassenen Strafbarkeitslücken zu schließen versucht. Wie bereits dargelegt hat der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Insider-RL nicht von der Möglichkeit des Art. 6 S. 2 der Insider-RL Gebrauch gemacht. Der Sekundärinsider unterliegt anders als der Primärinsider nicht den Handlungsverboten des § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG. Ein Sekundärinsider darf daher grundsätzlich Insidertatsachen weitergeben oder auf ihrer Grundlage Empfehlungen erteilen. Diese gesetzliche Wertung läßt sich nicht dadurch umgehen, daß man im Wege der Auslegung jeden Informationsempfänger zum Primärinsider erklärt, an den in „legitimer“ Weise eine Insiderinformation übermittelt werden darf.231 Vielmehr muß hingenommen werden, daß es in der Praxis Fälle gibt, in denen eine Insiderinformation auch an eine Person weitergegeben werden darf, die ihrerseits nicht der erhöhten Pflichtenbindung eines Primär-
226
Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19j. Hopt, ZGR 1997, S. 1, 14; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 17a. 228 Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG, Rn. 16 u. 20. 229 So wird die Weitergabe von Insiderinformationen an Aktionäre sowohl auf Hauptversammlungen als auch bei anderen Gelegenheiten für unbefugt i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG angesehen. Dies müsse sogar für Aktionäre gelten, die sich durch Poolvereinbarungen zu einer einheitlichen Stimmabgabe verpflichtet haben und deren Hauptvertreter zugleich Vorstandsmitglied des Unternehmens ist. Vgl. Hopt, ZGR 1997, S. 1, 15. 230 Eichele, WM 1997, S. 501, 506. 231 Entgegen der Auffassung von Pananis, S. 139, besteht der Zweck des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG eben nicht darin, den Personenkreis, dem befugtermaßen Zugang zu Insiderinformationen verschafft werden darf, seinerseits einer erhöhten Pflichtenbindung zu unterwerfen. 227
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insiders unterliegt.232 Das Gesetz stellt nicht darauf ab, ob der Auskunfterteilende bestimmungsgemäß die Information weitergibt, sondern ob der Empfänger bestimmungsgemäß von der Tatsache Kenntnis hat.233 Schließlich wäre für die Praktikabilität des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG durch einen systematischen Verweis auf § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG nicht viel gewonnen. Durch eine Verknüpfung der Merkmale „bestimmungsgemäß“ und „unbefugt“ lassen sich bei weitem nicht alle offenen Auslegungsfragen lösen bzw. umgehen. Die Problematik des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG würde sich lediglich auf die mindestens ebenso schwierigen Fragen zum Umfang des Weitergabeverbots verlagern.234 Wie bereits dargelegt bietet das Merkmal „unbefugt“ in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ebenfalls nur wenige Ansatzpunkte für eine klare Bestimmung seines Regelungsinhaltes.235 Im Ergebnis sind die §§ 13 Abs. 1 Nr. 3 und 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG daher unabhängig voneinander zu deuten, d.h. bei einem einheitlichen Sachverhalt nimmt das für eines der beiden Vorschriften gewonnene Ergebnis nicht das der anderen vorweg. c) „Ihrer Bestimmung nach“ Nach einer dritten Auffassung ist das Merkmal „bestimmungsgemäß“ i. S. von „üblicherweise“ bzw. „vorhersehbar“ zu verstehen.236 Danach können nur solche Personen zu Primärinsidern werden, deren Tätigkeit oder Beruf üblicherweise die Kenntnis von Insidertatsachen mit sich bringt. Begründet wird dieser Auslegungsansatz mit dem grammatikalischen Bezugspunkt des Merkmals „bestimmungsgemäß“. Entgegen weit verbreiteter Auffassung237 beziehe sich das Wort „bestimmungsgemäß“ nicht auf die konkreten Umstände der Kenntniserlangung, sondern auf den Beruf des Informationsempfängers.238 Die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG müsse daher folgender232 A. A. Assmann, in: Assmann/Schneider, § 14, Rn. 48b: „Die Weitergabe an eine Person, die ihrerseits nicht dem Mitteilungs- und Empfehlungsverbot unterliegt, ist stets als unbefugt anzusehen.“ 233 Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 67. 234 Vgl. oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. zu den Auslegungsschwierigkeiten, die das Merkmal „unbefugt“ in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG bereitet. 235 Vgl. oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. Ausführlich zu den dogmatischen Problemen des Weitergabeverbots unten 4. Teil, C. u. D. 236 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19h; Schwark, in: Claussen/ Schwark, S. 32, 39; Bergmans, S. 85, Fn. 22. 237 Begr. zum RegE des 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 18 ff.; ders., AG 1994, S. 237, 239; Caspari, ZGR 1994, S. 530, 538; Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135, 145; Immenga, ZBB 1995, S. 197, 200; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.142; U. Weber, BB 1995, S. 157, 161.
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maßen gelesen werden: „Wer aufgrund eines Berufs, einer Tätigkeit oder einer Aufgabe, die ihrer Bestimmung nach, d.h. ihrem Charakter nach, die Kenntnis von Insidertatsachen mit sich bringt, von solchen Tatsachen Kenntnis erlangt, ist Primärinsider.“239 Die gegenteilige Auffassung, nach der sich das Merkmal „bestimmungsgemäß“ auf die konkreten Umstände der Kenntniserlangung beziehen soll, könne schon deshalb nicht richtig sein, weil sie im Ergebnis auf eine reine Kausalitätsprüfung hinauslaufe. Die Frage, ob jemand zufällig Kenntnis von einer Insiderinformation erlangt hat, habe nichts mit dem Beruf der betreffenden Person zu tun. Auch ein vom Emittenten beauftragter Wirtschaftsprüfer werde nicht dadurch zum Primärinsider, daß er das Insider-Wissen lediglich „zufällig“ erlangt. Will man hingegen eine über das Kausalitätserfordernis hinausgehende Einschränkung des Primärinsiderbegriffs vornehmen, müsse man eine Selektierung anhand der Berufe vornehmen. Zum anderen sei dieser Auslegungsansatz deshalb vorzugswürdig, weil mit ihm eine Umschreibung des Merkmals „bestimmungsgemäß“ gefunden worden sei, die im Vergleich zu den anderen Auslegungsvorschlägen zu klaren Ergebnissen führt.240 Zwar weise auch diese Auslegungsformel noch einige Unschärfen auf, die künftig durch Feineinstellungen beseitigt werden müßten.241 Dennoch biete dieser Auslegungsvorschlag selbst bei problematischen Fallgruppen eine für die Rechtspraxis durchaus griffige Formel. aa) Auswirkungen auf die Berufsgruppe der Finanzanalysten Daß aber auch dieser Auslegungsvorschlag nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen führt, zeigt sich insbesondere an der Berufsgruppe der Finanzanalysten. Bislang konnte man sich im Schrifttum nicht darauf einigen, ob Finanzanalysten bei Vor-Ort-Gesprächen „üblicherweise“ mit der Übermittlung von Insiderinformationen rechnen müssen.242 Einerseits spricht die Tatsache, daß der Analyst grundsätzlich in direkten Kontakt zum Unternehmen tritt, für die „Vorhersehbarkeit“ der Kenntniserlangung. Es liegt auf der Hand, daß ein Unternehmensvertreter, der sich auf die gezielten Fragen der Analysten einläßt, sich nicht völlig davor bewahren kann, 238
Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 40. Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 39. 240 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 11 Rn. 35. 241 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19i, schlägt vor, für die Bestimmung der „Vorhersehbarkeit“ bzw. „Üblichkeit“ der Kenntniserlangung auf die Verkehrsanschauung zurückzugreifen. 242 Bejahend Immenga, ZBB 1995, S. 197, 200; verneinend Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19i; Eichele, WM 1997, S. 501, 505. 239
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versehentlich eine Information preiszugeben, die noch nicht der gesamten (Bereichs-)Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde.243 Wegen ihres umfassenden Wissens über die Geschäftslage des Unternehmens müssen vor allem Vorstandsmitglieder ihre Antworten sorgfältig formulieren, um nicht die Grenze zur Kursrelevanz zu überschreiten. Die Gefahr einer (unabsichtlichen) Preisgabe von Insiderinformationen läßt sich jedoch dadurch vermindern, daß das Unternehmen einen sog. „investor-relations“-Officer mit der Kommunikation gegenüber Analysten beauftragt, der durch ein internes Compliance-System vor dem Erhalt von Insiderinformationen abgeschirmt wird.244 Andererseits verneint die DVFA die „Vorhersehbarkeit“ der Kenntniserlangung. Gemäß den von ihr ausgearbeiteten Standesrichtlinien darf jeder Analyst grundsätzlich darauf vertrauen, daß ihm in Unternehmensgesprächen keine insiderrechtlich relevanten Tatbestände mitgeteilt werden.245 Zur Begründung der gleichen Einschätzung stützt sich Assmann auf das vom Emittentenvertreter zu beachtende insiderrechtliche Weitergabeverbot.246 Daß Finanzanalysten anläßlich eines Informationsgesprächs mit Vorstandsmitgliedern oder Mitarbeitern der „investor-relations“-Abteilung „üblicherweise“ auch Insidertatsachen mitgeteilt bekommen, sei schon deshalb unwahrscheinlich, weil sich der betreffende Unternehmensvertreter dadurch gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG strafbar machen würde.247 Zwar mag es im Einzelfall passieren, daß der Unternehmensvertreter versehentlich eine Insidertatsache preisgibt. In der Regel sei jedoch davon auszugehen, daß der betreffende Unternehmensvertreter angesichts der drohenden Sanktionen sorgfältig darauf achtet, dem Analysten keine kursrelevanten Informationen mitzuteilen.248 243 Deshalb will Claussen, AG 1997, S. 308, 312, Finanzanalysten jedenfalls dann als Primärinsider einzustufen, wenn sie durch gezieltes Fragen die Preisgabe der Insiderinformation „provoziert“ haben. 244 Nach einer Umfrage des Deutschen Aktieninstituts (DAI), veröffentlicht in der Börsen-Zeitung vom 2. Oktober 1999, S. B3, gehen immer mehr deutsche Unternehmen dazu über, die Betreuung der Anleger im allgemeinen und die der Finanzanalysten im besonderen auf eine eigens dafür eingerichtete Investor-Relations Abteilung, die Teil des Vorstandssekretariats ist, zu übertragen. 245 Vgl. Nr. 3a der DVFA-Standesrichtlinien, abgedruckt im Anhang des Jahresberichts 2000 der DVFA. 246 Wie bereits oben dargelegt (1. Teil, 2. Abschnitt, A. I. 2.), hat Assmann, AG 1997, S. 50, 54 schon in bezug auf das Kausalitätserfordernis einen ähnlichen Auslegungsansatz vorgeschlagen. Die dort von ihm vorgetragenen Argumente lassen sich auf das Merkmal „bestimmungsgemäß“ übertragen. 247 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19i. 248 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19i, weist zugleich daraufhin, daß er mit diesem Argument die „Üblichkeits“-Formel keinesfalls mit dem Auslegungsvorschlag gleichsetzen will, wonach eine ge- oder verbotswidrige Informationsweitergabe niemals eine bestimmungsgemäße Kenntniserlangung ermöglichen könne. Seiner Auffassung nach würden hier keineswegs zwei verschiedene Auslegungsvorschläge miteinander vermengt werden. Vielmehr müsse genau differenziert werden. Ein verbots-
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Angesichts der Rechtsunsicherheit, die in dieser Frage besteht, schlägt Schwark daher vor, eine empirische Untersuchung zur „Insiderinformationsanfälligkeit“ dieser Berufsgruppe durchzuführen. Erst wenn im Wege rechtstatsächlicher Forschung geklärt werden konnte, wie wahrscheinlich die Übermittlung von Insidertatsachen an Finanzanalysten wirklich ist, könne ein abschließendes Urteil über den Insiderstatus dieser Berufsgruppe gefällt werden.249
bb) Bewertung des Auslegungsansatzes Trotz der Rechtsunsicherheit, die hinsichtlich der Einordnung der Finanzanalysten besteht, erscheint der letztgenannte Auslegungsvorschlag gegenüber den beiden anderen vorzugswürdig. Den entscheidenden Ausschlag gibt dabei der Umstand, daß die Vertreter dieser Auffassung das Wort „bestimmungsgemäß“ zu Recht auf die Tätigkeit des Insiders beziehen und nicht auf die konkrete Umstände der Kenntniserlangung. Zum einen lassen sich durch die Verlagerung des Bezugspunktes des Merkmals „bestimmungsgemäß“ weitaus sachgerechtere Ergebnisse erzielen. Dies soll an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden. Ein Wirtschaftsprüfer, der von einem börsennotierten Unternehmen zur Überprüfung des Jahresberichts beauftragt wurde, erlangt im Rahmen seiner Auftragsausführung Kenntnis von einer unternehmenseigenen Insidertatsache. Unabhängig von gesetzlichen Vorgaben scheint es allein schon aus Präventiv-Zwecken angebracht, ihn als Primärinsider i. S. von § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG einzustufen. Denn einem Wirtschaftsprüfer wird zur Erfüllung seines Prüfungsauftrages in aller Regel ein vertiefter Einblick in die Unternehmensinterna gewährt, so daß bei ihm von einer erhöhten Insider-Gefahr auszugehen ist. Legte man das Merkmal „bestimmungsgemäß“ aber so aus, daß es auf die konkreten Umstände der Kenntniserlangung ankommt, so wäre der Wirtschaftsprüfer nicht in jedem Fall als Primärinsider einzuordnen.250 Zweifel an der Einordnung als Primärinsider bestünden etwa dann, wenn dem Wirtschaftprüfer versehentlich Unterlagen zur Verfügung gestellt worden wären, die nicht für ihn bestimmt waren. Ein solches Ergebnis kann nicht überzeugen. Vielmehr grenzt es an Willkür, wenn ein Wirtschaftsprüfer, der während der Zeit seiner Auftragsleistung praktisch in demselben Nä-
widriges Verhalten des Informanten vermag nicht von vornherein die Qualifikation des Empfängers als Primärinsider auszuschließen. Ein systematischer Zusammenhang zwischen § 13 Abs. 1 Nr. 3 und § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG bestehe daher nicht. Dies spreche jedoch nicht dagegen, daß man bei der Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Beruf üblicherweise und vorhersehbar den Erhalt von Insiderinformationen mit sich bringe, das Weitergabeverbot zumindest mitberücksichtigen könne. 249 Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 41. 250 Dies kritisiert auch Schwark, in Claussen/Schwark, S. 32, 40.
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heverhältnis zum Unternehmen steht wie ein Mitglied der Geschäftsführung, je nach Umständen mal als Primär-, mal als Sekundärinsider anzusehen ist. Die insiderrechtliche Einordnung wäre im wahrsten Sinne des Wortes dem „Zufall“ überlassen, obwohl gewichtige Gründe dafür sprechen, den Wirtschaftsprüfer grundsätzlich der erhöhten Pflichtenbindung eines Primärinsiders zu unterwerfen. Diesem Vorwurf gesetzlicher Willkür kann man sich nur entziehen, indem man das Merkmal „bestimmungsgemäß“ ganz allgemein auf die spezifische Tätigkeit der Person bezieht und so ein generalisierte Aussage über den Insiderstatus einer ganzen Berufsgruppe trifft. Dieser Ansatz überzeugt aber nicht nur wegen seiner sachgerechteren Ergebnisse. Auch gesetzessystematische Gesichtspunkte sprechen für diese Auslegungsvariante. Zwar können die Vertreter der gegenteiligen Auffassungen sich auf die Gesetzesbegründung des 2. FMFG berufen, weil danach das Merkmal „bestimmungsgemäß“ so zu verstehen ist, daß die rein „zufällige“ oder „bei Gelegenheit“ erlangte Kenntnis nicht den Primärinsiderstatus zu begründen vermag. Dies legt die Vermutung nahe, daß es auf die Art und Weise der Kenntniserlangung im Einzelfall ankommen soll.251 Doch ergibt sich spätestens aus einem systematischen Vergleich mit den beiden anderen Primärinsiderkategorien (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG), daß es für die Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärinsidern nicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommen kann. Sowohl in § 13 Abs. 1 Nr. 1 als auch bei § 13 Abs. 1 Nr. 2 WpHG entscheidet allein die berufliche bzw. aktionärsrechtliche Stellung über den insiderrechtlichen Status der betreffenden Person. Dagegen kommt es auf die Art und Weise der Informationsperzeption nicht an. Anders als etwa bei dem verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken aus § 278 BGB, wonach zwischen der schuldhaften Handlung und der Aufgabenerfüllung des Erfüllungsgehilfen ein innerer, sachlicher Zusammenhang bestehen muß, genügt es für § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG auch, wenn die Kenntniserlangung nur „bei Gelegenheit“ der Tätigkeit erfolgt. Dies bedeutet zwar nicht, daß nach den ersten beiden Insider-Kategorien des § 13 Abs. 1 WpHG überhaupt keine Kausalbeziehung zwischen der beruflichen bzw. aktionärsrechtlichen Stellung und der Kenntnisnahme bestehen muß. Das Wort „zufällig“ darf also nicht im Sinne von fehlender oder jedenfalls nicht feststellbarer Kausalität verstanden werden.252 Eine Kausalität im Sinne der conditio-sine-qua-non Formel liegt vielmehr auch dann vor, wenn der Informationsempfänger nur „bei Gelegenheit seiner Tätigkeit“ von einer Insiderinformation Kenntnis erhält. So läßt sich etwa bei einem Taxifahrer, der „zufällig“ das Gespräch seiner Fahrgäste mithört, nicht bestreiten, daß seine Berufsausübung notwendige Voraussetzung für die Kenntniserlangung war. Die für § 13 Abs. 1 251 252
Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46. A. A. Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 40.
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Nr. 1 und 2 WpHG geforderte Kausalitätsbeziehung geht nur nicht über die Anforderungen der Äquivalenztheorie hinaus, d.h. es werden keine normativen Überlegungen angestellt, um die Qualifikation zum Primärinsider zu begründen. Daher kann es bei § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG schon gar nicht darauf ankommen, ob der Erklärende gegen etwaige Mitteilungsverbote verstoßen hat bzw. ob die Kenntniserlangung als „rechtmäßig“ anzusehen ist.253 Eine Qualifikation gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG scheidet immer nur dann aus, wenn die berufliche Tätigkeit (etwa die des Vorstandsmitglieds) überhaupt nicht kausal für die Kenntniserlangung gewesen ist. Wenn aber in § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG bereits die berufliche Stellung des Informationsempfängers für die Qualifikation zum Primärinsider ausreicht, ohne daß es auf die besonderen Umstände der Informationsperzeption ankäme, so läßt sich zumindest aus systematischer Sicht für die dritte Gruppe der Primärinsider schwerlich etwas anderes vertreten. Schließlich wird die dritte Auslegungsvariante auch den allgemeinen Zielvorstellungen, die mit dem Merkmal „bestimmungsgemäß“ verbunden werden, besser gerecht als diejenigen Auslegungsvorschläge, die auf die besonderen Umstände der Informationsperzeption abstellen. Ausgangspunkt aller Eingrenzungsbemühungen war die Feststellung, daß § 13 Abs.1 Nr. 3 WpHG ohne das Merkmal „bestimmungsgemäß“ praktisch jede Berufsgruppe zum Primärinsider erklärt. Ein solches Resultat kann aber nach der zu Recht überwiegenden Auffassung im Schrifttum vom Gesetzgeber nicht gewollt sein, weil dadurch das Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärinsidern in unverhältnismäßiger Weise zugunsten der ersten Insider-Kategorie verschoben werden würde. Daher sind sich im Ergebnis alle Autoren darüber einig, daß mit Hilfe des Merkmals „bestimmungsgemäß“ der Kreis der tätigkeitsbedingten Primärinsider enger gezogen werden muß. Dieses „Wunschergebnis“ wird jedoch nicht bzw. nicht im vollen Maße erreicht, indem man das Merkmal „bestimmungsgemäß“ auf die besonderen Umstände im Zeitpunkt der Kenntniserlangung bezieht. Denn dadurch würde sich nicht viel an der unerwünschten Ausgangsposition ändern. Der Primärinsiderstatus könnte weiterhin durch jede Art von beruflicher Tätigkeit begründet werden. Die einzige Einschränkung zur Ausgangssituation bestünde darin, daß es von den Umständen des Einzelfalls abhinge, ob die berufsbedingte Kenntnisnahme die Primärinsiderstellung begründet oder nicht. Erst eine Selektion der Berufe, wie sie von den Vertretern der dritten Auffassung gefordert wird, vermag den Kreis der tätigkeitsbedingten Primärinsider spürbar einzuschränken. Für die vorzunehmende Vorauswahl scheint dabei das Üblichkeits-Kriterium durchaus an253 Dies war auch ein Argument gegen die Annahme eines systematischen Zusammenhangs zwischen § 13 Abs. 1 Nr. 3 und § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. Vgl. oben 1. Teil, 2. Abschnitt, A. II. 2. b) bb).
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gemessen, weil es nur solche Berufe dem § 13 Abs. 1 WpHG zuordnet, die im Vergleich mit den ersten beiden Primärinsidergruppen ein ähnlich hohes „Informationsanfälligkeitspotential“ besitzen. Nach alledem ist der dritten Auslegungsvariante zu folgen. III. Zusammenfassung Die beiden maßgebenden Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG liefern keine eindeutigen Subsumtionsergebnisse für die insiderrechtliche Einordnung der Analysten. Immerhin konnte festgestellt werden, daß das Kausalitätsmerkmal nur bedingt geeignet ist, den Tatbestand des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG über das Erfordernis des beruflichen Zusammenhangs hinaus einzuschränken. Dagegen schließt das Merkmal „bestimmungsgemäß“ nach allen Auslegungsvarianten zumindest die Möglichkeit nicht aus, die Analysten aus dem Kreis der Primärinsider herauszunehmen. Allerdings bedarf es weiterer empirischer Studien, um mit letzter Gewissheit sagen zu können, ob Analysten „ihrer Bestimmung nach“, d.h. typischerweise Insiderinformationen mitgeteilt bekommen oder nicht. Sollte die rechtstatsächliche Forschung zu dem Ergebnis gelangen, daß Analysten bei sog. Vor-Ort-Gesprächen nur gelegentlich in Kontakt mit Insiderinformation kommen, so könnte dem Anliegen derjenigen, die auf die negativen Folgen für den deutschen Kapitalmarkt verweisen, falls die Analysten als Primärinsider eingestuft würden, durch eine enge Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG entsprochen werden.
B. Der Haftungsumfang An den insiderrechtlichen Status der Analysten knüpfen sich unterschiedliche Haftungsfolgen an, je nachdem, ob sie als Primär- oder Sekundärinsider einzuordnen sind. Im folgenden werden die Rechtsfolgen einer Einordnung des Analysten als Primärinsider denjenigen einer Einordnung als Sekundärinsider im einzelnen gegenübergestellt. Es soll aufgezeigt werden, daß die Bedeutung des insiderrechtlichen Status des Analysten für dessen berufliche Tätigkeit überbewertet ist, da ein Analyst, der sich anlässlich eines Unternehmensgesprächs mit einer Insidertatsache „infiziert“, in jedem Falle, d.h. unabhängig von seiner Einordnung als Primär- oder Sekundärinsider, mit erheblichen Haftungsrisiken rechnen muß. I. Die Rechtsfolgen im Falle der Einordnung als Primärinsider Zunächst soll die Rechtslage für den Fall erörtert werden, daß Analysten als Primärinsider zu qualifizieren sind. Die Situation, in der ein Emittentenvertreter
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unter Verstoß gegen das von ihm zu beachtende Weitergabeverbot eine Insiderinformation (versehentlich) preisgegeben hat, zeigt das Spannungsfeld, in dem Analysten stehen, besonders deutlich auf. 1. Verwertungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG Ohne Zweifel unterliegt ein Analyst, der sich anläßlich eines Emittentenbesuchs mit einer Insiderinformation „infiziert“ hat, wie jeder andere Insider auch, dem Verbot, sein Sonderwissen für sich oder einen anderen im Anteilshandel zu verwerten. Dieses Verbot wirkt sich jedoch nur bedingt auf die Berufsausübung der Analysten aus. Denn der Analyst verwertet seine Wissensvorsprünge in der Regel nicht durch den Abschluß eigener Wertpapiergeschäfte, sondern vielmehr dadurch, daß er sich seine Recherche- und Analysetätigkeit als kapitalmarktbezogene Dienstleistung von anderen Marktteilnehmern vergüten läßt. Insofern würde das Verwertungsverbot selbst bei einer Einordnung als Primärinsider keine Blockadewirkung zu Lasten der Analysten begründen. 2. Weitergabeverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG Primärinsider müssen jedoch neben dem Verwertungsverbot auch das sog. Weitergabeverbot beachten.254 Während für die meisten am Kapitalmarkt tätigen Personen das Verwertungsverbot eine weitaus größere Beeinträchtigung ihrer Handlungsfreiheit darstellt als das in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG geregelte Mitteilungsverbot255, verhält es sich für die Berufsgruppe der Finanzanalysten genau umgekehrt. Ihr Tätigkeitsprofil zeichnet sich gerade durch die Weitergabe von Informationen und durch die Abgabe von Empfehlungen aus.256 Gesetzt den Fall, Analysten wären als Primärinsider zu qualifizieren, würde das Weitergabeverbot daher eine erhebliche, potentielle Berufsbeschränkung für die Angehörigen dieser Berufsgruppe darstellen. Der Tatbestand des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG wäre immer dann erfüllt, wenn der Analyst seinen Auftraggebern bzw. Kunden die betreffenden Insider-Informationen in Kenntnis der Sachlage übermitteln würde. Diese Rechtsfolge griffe unabhängig davon ein, ob der Analyst seinerseits die Information „rechtmäßig“ oder „unrechtmäßig“ erlangt hätte. Auf die Rechtslage hätte zudem keinen Einfluß, ob der Analyst sich im Gespräch mit den Emittentenvertretern gegen den Erhalt von Insiderinformationen ausdrücklich verwahrt hat. 254 Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Weitergabeverbots vgl. ausführlich oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. I. u. II. 255 Zu denken wäre insbesondere an die Skontroführer, die tagtäglich in Kenntnis der Orderlage eine Vielzahl von Wertpapiergeschäften abschließen. 256 Assmann, in: Claussen/Schwark, S. 54, 56.
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a) Fehlende Befugnis zur Weitergabe § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG scheint dem als Primärinsider zu qualifizierenden Analysten stets im Wege zu stehen, sobald ihm eine Insidertatsache mitgeteilt wird. Es ließe sich allenfalls überlegen, ob der Analyst zur Weitergabe der betreffenden Insiderinformationen in bestimmten Situationen ausnahmsweise „befugt“ sein könnte. Zwar lehnt das Schrifttum eine etwaige Befugnis der Analysten zur Informationsweitergabe kategorisch ab. Ein Analyst handle stets „unbefugt“ i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, wenn er eine Insidertatsache an seine Kunden bzw. Auftraggeber weiterleitet. Wenn schon dem Emittentenvertreter die selektive Preisgabe von Insiderinformationen untersagt ist, so müsse dies „erst recht“ für den Analysten als nachrangiges Glied in der Informationskette gelten. Das ist zu hinterfragen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Meinung von Hopt, Finanzintermediäre, die den Wohlverhaltensregeln nach §§ 31 ff. WpHG unterliegen, seien in Fällen drohender Interessenkollisionen ausnahmsweise verpflichtet, ihre Kunden auch über etwaiges, insiderrechtliches Sonderwissen aufzuklären.257 Als Beispielsfall nennt Hopt einen Kleinanleger, der seiner Hausbank den Auftrag erteilt, für ihn ein bestimmtes Wertpapier zu erwerben. „Zufälligerweise“ verfügt die beauftragte Bank jedoch über die geheime Kenntnis, daß der Emittent des betreffenden Wertpapiers sich in erheblichen Zahlungsschwierigkeiten befindet. Hier stelle sich die Frage, ob die Bank nicht ausnahmsweise berechtigt oder gar verpflichtet sei, ihr Insiderwissen trotz des Verbots nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG dem Kunden mitzuteilen, um ihn vor möglichen finanziellen Verlusten zu bewahren. Hopt will diese Frage jedenfalls dann bejahen, wenn erhebliche finanzielle Interessen des Anlegers betroffen sind. Da Finanzanalysten ähnlich wie Finanzintermediäre eine anlageberatende Funktion ausüben und sich in vergleichbaren Interessenkonflikten befinden können wie Kreditinstitute und andere Wertpapierdienstleistungsunternehmen, ließe sich für die Berufsgruppe der Informationsintermediäre ebenfalls überlegen, ob sie im Einzelfall dazu berechtigt oder gar verpflichtet sein könnten, ihre Auftraggeber bzw. Kunden durch Offenlegung von Insiderinformationen vor nachteiligen Investitionen zu warnen. Arbeitet etwa der betreffende Analyst für die Researchabteilung einer Investmentbank, die von einem sog. Bieter-Unternehmen mit einem Übernahmemandat beauftragt wurde, so ließe sich fragen, ob es ihm bzw. seiner Bank gestattet ist, das Bieter-Unternehmen etwa vor der Zahlungsunfähigkeit des Zielunternehmens zu warnen. Allerdings wird die von Hopt vertretene Auffassung zu Recht überwiegend abgelehnt.258 Die beschriebenen Konfliktsituationen können nicht einmal ein 257
Hopt, in: FS Heinsius, S. 289, 303; ders., ZGR 1991, S. 17, 47.
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rechtfertigendes Nothilferecht der Bank begründen. Überhaupt kann kein noch so bedrohliches Anlagerisiko ein Kreditinstitut dazu berechtigen oder verpflichten, gegen den insiderrechtlichen Grundsatz der informationellen Chancengleichheit zu verstoßen. Begründet wird dies damit, daß das Insiderrecht nicht dem individuellen Schutz des einzelnen, sondern ausschließlich der Funktionsfähigkeit des Marktes dient. Das Insiderrecht hat die Aufgabe sicherzustellen, daß kein Marktteilnehmer von Wissensvorsprüngen profitiert, die den anderen Marktteilnehmern nicht zur Verfügung stehen. Dieser Grundsatz genießt auch Vorrang vor den Vermögensinteressen des einzelnen Anlegers. Im übrigen lassen sich eklatante Interessenkollisionen dadurch vermeiden, daß die Kreditinstitute auf andere Weise als durch Offenlegung der betreffenden Information den Anleger vor allzu großen Schäden bewahren. Weil diese Argumentation berufsübergreifend auf alle Kapitalmarktexperten Anwendung findet, ist im Ergebnis damit die von Hopt vertretene Auffassung auch im Falle der Finanzanalysten zu verwerfen. Die Weitergabe einer Insiderinformation durch einen Finanzanalysten kann damit niemals „befugt“ i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG sein. Dies gilt selbst dann, wenn der Analyst mit der Offenlegung der Insiderinformation seine Auftraggeber bzw. Kunden vor erheblichen finanziellen Verlusten bewahren könnte. b) Fehlende Möglichkeit zur Informationsveröffentlichung Nicht zuletzt wegen der „fehlenden Befugnis“ zur Informationsweitergabe stellt § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG eine erhebliche Arbeitsblockade zu Lasten der Finanzanalysten dar. Hat sich ein Analyst mit einer Insiderinformation „infiziert“, bliebe ihm danach nichts anderes übrig als von der Weitergabe seiner Analyseergebnisse solange abzusehen, bis der Emittent die betreffende Information im Wege der Ad-hoc-Publizität veröffentlicht hat.259 Drygala, der im Weitergabeverbot ebenfalls einen erheblichen Eingriff in die Berufsausübung der Analysten sieht, soweit diese als Primärinsider einzuordnen sind, schlägt zur Verbesserung der Rechtssituation vor, daß allen Marktteilnehmern das Recht gewährt werden sollte, die entgegen ihrem Willen erlangten Insider-Informationen veröffentlichen zu dürfen, um so die Verbotswirkung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG vorzeitig aufheben zu können.260 Seiner Meinung nach müsse es den Analysten sowie anderen Marktteilnehmern selbst dann ge258 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 63; Assmann, AG 1994, S. 237, 254; Tippach, S. 272 ff.; Dickersbach, S. 188 f. 259 Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 14 WpHG Rn. 36. 260 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1320; so auch Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 14 WpHG Rn. 37, der in einem solchen Fall für die Analysten nur die Möglichkeit sieht, auf den Emittenten einzuwirken, die betreffende Information möglichst rasch im Wege der Ad-hoc-Publizität zu veröffentlichen.
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stattet sein, diese Informationen zu veröffentlichen, wenn eine Pflicht der Emittenten zur Veröffentlichung gem. § 15 Abs. 1 WpHG („etwa mangels hinreichend sicherer Realisierung des Vorgangs“) noch gar nicht besteht. Konkurrenzprobleme zu anderen Vorschriften, insbesondere zu § 15 Abs. 1 WpHG, würden sich nicht stellen, weil das Gesetz lediglich die Emittenten zur Veröffentlichung von kursrelevanten Informationen verpflichte. Dagegen bestünden für andere Marktteilnehmer keinerlei Pflichten, die mit dem von ihm vorgeschlagenen Recht in Konflikt geraten könnten. Insgesamt stelle sein Vorschlag die „optimale“ Lösung dar, um das Spannungsverhältnis von Insiderrecht und Wertpapieranalyse zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Dem Analysten bliebe einerseits die Möglichkeit, seine Analyseergebnisse gewinnbringend zu veräußern, nachdem er deren insiderrechtlich relevante Teilstücke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe, andererseits sei der Schutz der informationellen Chancengleichheit umfassend gewahrt, weil der Analyst weiterhin dem (selektiven) Weitergabeverbot unterliege. Der Vorschlag von Drygala ist trotz dieser Vorzüge abzulehnen. Ein allgemeines Recht zur Veröffentlichung geheimer, emittentenbezogener Informationen wäre mit der Systematik des Gesetzes nicht zu vereinbaren. Weder das Insiderrecht im engeren Sinne (§§ 12–14 WpHG) noch die übrigen Vorschriften des WpHG sehen ein derartiges allgemeines Veröffentlichungsverfahren für Insider vor. § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG verpflichtet allein die Emittenten zur Veröffentlichung von kurserheblichen Tatsachen. Dabei sieht § 15 Abs. 1 S. 2 WpHG jedoch ausdrücklich eine Befreiungsmöglichkeit von der Verpflichtung nach Satz 1 für den Fall vor, daß sich das Unternehmen durch die Veröffentlichung der betreffenden Unternehmensinterna der Gefahr eines wettbewerblichen Nachteils gegenüber seinen Konkurrenten aussetzen würde. Zudem schreibt § 15 Abs. 2 S. 1 WpHG den Emittenten vor, die betreffende Informationen vor ihrer Veröffentlichung der Geschäftsführung der Börsen und der Aufsichtsbehörde vorzulegen, um diesen Institutionen die Möglichkeit zu geben, auf den Inhalt der Meldung ggf. mit einer Aussetzung der Börsenpreisfeststellung reagieren zu können. Würde man den Analysten sowie anderen Insidern erlauben, die Veröffentlichung von emittentenbezogenen Insidertatsachen vorweg zu nehmen, würde man die Wirkung der Schutzmechanismen des § 15 WpHG aufheben. Dies kann vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sein. Dem Analysten bleibt damit im Falle seiner Einordnung als Primärinsider nur die Möglichkeit, seine Analyse ohne Berücksichtigung der Insiderinformationen zu erstellen. Inwieweit dies jedoch überhaupt möglich ist, ohne sich zugleich dem Verdacht eines Insidervergehens auszusetzen, sei an dieser Stelle zunächst dahingestellt. Fest steht, daß der Analyst die Verbotswirkung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG nicht durch Veröffentlichung der Insiderinformation aufheben kann. Dies gilt selbst für Fälle, in denen der Emittentenvertreter fahrlässig den Analysten mit der betreffenden Information „infiziert“ hat.
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3. Empfehlungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG Mindestens ebenso einschneidend für die Berufsausübung der Analysten wie das Weitergabeverbot wäre im Falle ihrer Einordnung als Primärinsider auch das sog. Empfehlungsverbot. Gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ist es einem Primärinsider verboten, eine auf seine Insiderkenntnis gestützte Kauf- bzw. Verkaufsempfehlung gegenüber Dritten abzugeben. Dieses Verbot soll nach h. M. selbst für den Fall gelten, daß der Insider die Informationen, die ihn zur Abgabe der Empfehlung bewogen haben, nicht gegenüber dem Adressaten seiner Empfehlung offen legt.261 Ebenso wenig setzt § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG voraus, daß in der Empfehlung zum Ausdruck kommt, sie sei auf der Grundlage einer Insiderinformation erstellt worden.262 Damit wird dem Analysten im Vergleich zum Weitergabeverbot endgültig die Möglichkeit genommen, sein Sonderwissen in irgendeiner Form an seine Kunden bzw. Auftraggeber weiterzugeben. Während das Weitergabeverbot lediglich die Offenlegung der betreffenden Information untersagt, hindert das Empfehlungsverbot den Analysten auch daran, die Informationen in seine Analyseüberlegungen mit einzubeziehen. Es darf keine Kausalität zwischen der Insiderinformation und seiner Analyseempfehlung bestehen. Der Analyst wäre also wegen § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG dazu gezwungen, die erlangten Insidertatsachen bei der Erstellung seiner Analysen vollkommen „auszublenden“. Ob dies möglich ist, muß ernsthaft bezweifelt werden. Im Ergebnis bliebe dem Analysten daher nichts anderes übrig, als von einer Bewertung des betreffenden Emittenten, auf den sich die Insidertatsache bezieht, solange abzusehen, bis die Information veröffentlicht wurde. II. Die Rechtsfolgen im Falle der Einordnung als Sekundärinsider Anders sähe die rechtliche Situation für die Analysten dagegen aus, wenn sie nicht als Primär- sondern lediglich als Sekundärinsider zu qualifizieren wären. 1. Verwertungsverbot gem. § 14 Abs. 2 WpHG Gemäß § 14 Abs. 2 WpHG unterfallen zwar alle Personen, die Kenntnis von einer Insidertatsache haben und nicht als Primärinsider anzusehen sind, einem Verwertungsverbot, das mit dem für Primärinsider geltenden Handlungsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG identisch ist. Dabei kommt es für die Einordnung als Sekundärinsider auch nicht darauf an, in welcher Funktion die betreffende Person die Insidertatsache erlangt hat. § 14 Abs. 2 WpHG setzt lediglich vor261
Vgl. BAWe/Deutsche Börse, Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität, S. 23. Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 71; Hopt, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, § 107, 42. 262
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aus, daß die Person Kenntnis von einer Insidertatsache hat. Im Gegensatz zu den Primärinsidern unterliegen jedoch die in § 14 Abs. 2 WpHG genannten Personen weder dem Weitergabe- noch dem Empfehlungsverbot. Daher würden sich die damit verbundenen Probleme nicht stellen, wenn die Analysten als Sekundärinsider einzustufen wären. Vielmehr wäre es den Informationsintermediären dann gestattet, Insidertatsachen an andere weiterzugeben bzw. Empfehlungen auf der Grundlage von Insidertatsachen auszusprechen. Einen unmittelbaren Verstoß gegen das Insiderrecht hätten die Analysten im Falle ihrer Einordnung als Sekundärinsider somit nicht zu befürchten. 2. Die Teilnahmeregeln des Strafrechts Bei der Erörterung insiderrechtlicher Anwendungsfälle wird häufig übersehen, daß die Vorschriften des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches grundsätzlich auch auf die Insiderregeln des WpHG Anwendung finden.263 Im Rahmen des § 14 WpHG muß beachtet werden, daß gemäß den §§ 26, 27 StGB neben der täterschaftlichen Begehung auch eine Beteiligung an einer InsiderStraftat möglich ist. Mithin macht sich auch derjenige wegen eines Insidervergehens strafbar, der die Tat selbst gar nicht begeht, sondern „lediglich“ zu ihr anstiftet oder Beihilfe leistet.264 Diese Kombination aus Wirtschaftsverwaltungsrecht (§§ 12–14 WpHG) und allgemeinem Strafrecht (§§ 26, 27 StGB) bleibt auch für die Finanzanalysten nicht ohne Folgen. Durch die Einordnung als Sekundärinsider wird der Finanzanalyst nicht vollends davor geschützt, sich im Rahmen seiner Tätigkeit dem Verdacht eines insiderrechtlichen Vergehens auszusetzen. Hat nämlich der Analyst eine Insiderinformation, die ihm anläßlich eines Analystentreffens von Unternehmensseite mitgeteilt wurde, in seine Analyse verarbeitet265 und kommt es daraufhin zu einem Geschäftsabschluß durch den Auftraggeber bzw. dem Kunden des Analysten, so muß der Finanzanalyst damit rechnen, daß gegen ihn wegen des Verdachts des Verstoßes gegen § 14 Abs. 2 WpHG i. V. mit §§ 26, 27 StGB ermittelt werden kann. Denn allein dadurch, daß der Analyst als Sekundärinsider Insidertatsachen grundsätzlich straflos weitergeben darf, ändert sich nichts an dem Umstand, daß der Empfänger der Information mit Kenntniserlangung seinerseits dem Erwerbs- und Veräußerungsverbot (§ 14 Abs. 2 WpHG) unterliegt. Mithin begeht der Empfänger der Information eine strafbare Handlung, wenn er vorsätzlich den vom Ana263 § 38 Abs. 1 WpHG verweist als Blankettnorm auf die Verbotstatbestände des § 14 WpHG und läßt die Insiderverbote zu Straftatbeständen werden. 264 Darauf weist neuerdings auch das BAWe hin. Vgl. Jahresbericht des BAWe 2000, S. 18 und Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 42, Rn. 156. 265 Laut Nr. 3a der DVFA-Standesrichtlinien entspricht es dem Berufsverständnis der Analysten, die Ergebnisse der Unternehmensgespräche in die Analysen mit einzuarbeiten.
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lysten übermittelten Wissensvorsprung für ein entsprechendes Wertpapiergeschäft nutzt. Dies kann dem Finanzanalysten deswegen zum Verhängnis werden, weil aus der für ihn zunächst straflosen Informationsweitergabe im Nachhinein ein strafrechtlich relevanter Tatbeitrag i. S. der §§ 26, 27 StGB werden kann.266 Im Ergebnis schränken die strafrechtlichen Teilnahmeregeln daher den durch die Einordnung als Sekundärinsider gewonnenen straffreien Raum zumindest teilweise wieder ein, weil sie ähnlich wie das Weitergabeverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG die Übermittlung von Insiderinformationen unter Strafe stellen können.267 a) Einzelheiten zur Haftung gemäß §§ 26, 27 StGB Bei strikter Anwendung der strafrechtlichen Teilnahmeregeln und unter der Voraussetzung, daß es zu einem Insidergeschäft „in Kenntnis der Sache“ durch den Informationsempfänger kommt, bleibt für den Finanzanalysten praktisch nur noch der Fall straffrei, daß er seinen Auftraggebern bzw. Kunden lediglich den Tip gibt, bestimmte Papiere zu verkaufen oder zu kaufen, ohne dabei jedoch die betreffenden Insiderinformationen offenzulegen. In allen anderen Fällen kann es zu einer teilnahmefähigen, vorsätzlichen Haupttat durch den Informationsempfänger und damit zu einer Haftung des Analysten als Gehilfen oder Anstifter kommen. Deshalb geht der Analyst ein hohes Risiko ein, wenn er seinen Auftraggebern Insiderinformationen mitteilt. Gegen die Annahme, daß mit jeder (Insider-)Informationsweitergabe ein erhöhtes Risiko strafrechtlicher Verfolgung für den Analysten einhergeht, läßt sich auch kaum einwenden, der Empfänger der Information müsse den „InsideCharakter“ der Information erst einmal erkennen, bevor er eine vorsätzliche und damit teilnahmefähige Haupttat begehen kann. Denn in den meisten Fällen werden die Gesprächspartner bzw. die Leser der Analysen den „Inside-Charakter“ der übermittelten Informationen selbst dann erkennen können, wenn der Analyst nicht ausdrücklich darauf hingewiesen hat. Bei den Kunden eines „sellside“ Analysten handelt es sich nämlich fast ausschließlich um institutionelle Anleger, wie z. B. die Geschäftsführer eines Investmentfonds, die regelmäßig über eine eigene, interne Researchabteilung verfügen. Im übrigen ist zu beachten, daß nach herrschender Auffassung und nach einem bisher unveröffentlichten Urteil des AG Köln für die Verwirklichung des inneren Tatbestandes des § 14 WpHG dolus eventualis genügt.268 Im Zweifel handelt daher derjenige,
266
Dies sieht auch Kümpel, in Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.153. So auch K. Weber, S. 185. 268 Statt anderer Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 43 mit Verweis auf das unveröffentlichte Urteil des AG Köln v. 20.03.2000 – 583 DS 369/99. 267
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der von einem Analysten eine Insidertatsache mitgeteilt bekommt, immer vorsätzlich im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften. Ähnlich problemlos läßt sich die bloße Informationsweitergabe als objektiver Tatbeitrag i. S. der §§ 26, 27 StGB qualifizieren. Zum einen ergibt sich die strafrechtliche Relevanz der Informationsweitergabe aus den Grundsätzen über die Verursachung des Tatentschlusses.269 Danach ist zwar das bloße Schaffen einer zur Tat provozierenden Situation kein probates Mittel, um einen anderen zur Begehung der Tat anzustiften.270 Wer allerdings fahrlässig einen fremden Tatentschluß provoziert hat und sodann die „Anstiftung“ weiterwirken läßt, ist Garant aus Ingerenz für das „Zurückhalten“ des Täters.271 Er haftet daher strafrechtlich als Gehilfe, wenn es zur Tatbegehung kommt.272 Zum anderen kann die Informationsweitergabe aber auch direkt – ohne den Umweg über die Anstiftungsregeln gehen zu müssen – als eine Hilfeleistung i. S. des § 27 StGB eingeordnet werden. Wesentliche Voraussetzung für einen Tatbeitrag i. S. von § 27 StGB ist, daß das Verhalten des Gehilfen einen kausalen Bezug zur Tatbestandsverwirklichung aufweist. Diese Voraussetzung dürfte im Fall des Finanzanalysten erfüllt sein. Was den Vorsatz des Gehilfen bzw. des Anstifters betrifft, so genügt ebenfalls „dolus eventualis“.273 Eine strafbare Teilnahmehandlung liegt also schon dann vor, wenn der Analyst es nur für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, daß der Leser seiner Analyse den „Inside-Charakter“ der Information(en) erkennen wird und daraufhin die entsprechenden Wertpapiergeschäfte tätigt. In Verbindung mit den soeben genannten Grundsätzen zur Tatprovokation genügt es sogar, wenn der Analyst den „Inside-Charakter“ der von ihm erstellten Analyse erst bemerkt, nachdem er die Analyse an seinen Auftraggeber bzw. Kunden ausgehändigt hat und daraufhin billigend in Kauf nimmt, daß dieser nach der Lektüre der Analyse i. S. von § 14 Abs. 2 WpHG tätig wird. b) Vorschlag eines Haftungsausschlusses für Sekundärinsider Angesichts dieser weitreichenden Konsequenzen lehnen einige Autoren die strikte Anwendung der strafrechtlichen Teilnahmeregeln auf das Insiderrecht ab.274 Der Gesetzgeber habe die Folgen, die sich aus der Anwendbarkeit des 269 Vgl. zu den Anstiftungsvoraussetzungen Cramer/Heine, in: Schönke-Schröder, § 26 Rn. 4 ff. 270 Cramer/Heine, in: Schönke-Schröder, § 26 Rn. 4. 271 Cramer/Heine, in: Schönke-Schröder, § 26 Rn. 5. 272 Langrock, JuS 1971, S. 533, 534. 273 Cramer/Heine, in: Schönke-Schröder, § 26 Rn. 16 u. § 27 Rn. 19. 274 Cramer, AG 1997, S. 59, 60; ders., in: FS Trifterer, S. 323, 337; Assmann, WM 1996, S. 1337, 1353; Schäfer, in: Schäfer, WpHG/BörsG/VerkProspG, § 14 WpHG, Rn. 32.
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allgemeinen Teils des StGB ergeben, nicht richtig bedacht.275 Er habe lediglich die Mindestanforderungen der Insiderrichtlinie umsetzen wollen, wonach ein Sekundärinsider ausschließlich dem Erwerbs- und Veräußerungsverbot unterliegt. Dagegen habe der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie ausdrücklich auf die Möglichkeit des Art. 6 S. 2 der RL verzichtet, das Weitergabe- und Empfehlungsverbot auch auf Sekundärinsider auszudehnen. Deswegen sei es widersprüchlich, wenn über den „Umweg“ einer Anstiftung oder Beihilfe ein Verhalten wieder unter Strafe gestellt werde, das der Gesetzgeber ausdrücklich aus dem Bereich der Strafbarkeit herausnehmen wollte.276 Wenn auf dem Gebiet des Insiderrechts überhaupt eine Strafbarkeit gemäß den Teilnahmeregeln des StGB in Betracht zu ziehen sei, dann allenfalls für den Kreis der Primärinsider, weil bei ihnen die gesetzliche Wertung des Art. 6 S. 2 der Richtlinie einer zusätzlichen Haftung entsprechend den strafrechtlichen Teilnahmeregeln nicht entgegenstehe.277 Im Ergebnis dürfe also kein Sekundärinsider – auch nicht der Finanzanalyst, soweit er als ein solcher eingestuft wird – befürchten müssen, daß er wegen der Weitergabe einer Insidertatsache als Gehilfe oder Anstifter für die Tat eines anderen bestraft wird. Dies lasse sich aber nur dadurch erreichen, daß man die Teilnahmeregeln nicht auf die Vorschrift des § 14 WpHG anwendet. Zur Rechtfertigung eines solchen Regelausschlusses könne zusätzlich auf die Bestechungsdelikte gemäß §§ 331 ff. StGB verwiesen werden, bei denen die Teilnahmeregeln wegen drohender Wertungswidersprüche ebenfalls nicht zur Anwendung kommen dürften.278 c) Kritik des Ausschlusses der Teilnahmeregeln für Sekundärinsider Den Vertretern der Auffassung ist zuzugeben, daß die Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln tatsächlich zu einer Relativierung der rechtlichen Unterschiede zwischen Primär- und Sekundärinsidern führt. Es darf jedoch bezweifelt werden, ob allein aus den genannten Gründen tatsächlich die Konsequenz einer Einschränkung der §§ 26, 27 StGB bei § 14 Abs. 2 WpHG gezogen werden muß.279 Für einen solchen Schritt spricht zwar die Vermutung, daß der europäische Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Insider-Richtlinie höchstwahrscheinlich nicht bedacht haben wird, welche Konsequenzen sich aus den natio275
Cramer, in: FS Trifterer, S. 323, 337. Cramer, AG 1997, S. 59, 60. 277 Vgl. Cramer, AG 1997, S. 59, 60, der seine Ausführungen zu den Teilnahmeregeln des StGB ausdrücklich auf den Kreis der Primärinsider beschränkt. 278 Cramer, AG 1997, S. 59, 60. 279 Auch Cramer, in: FS Trifterer, S. 323, 339 ist sich zum Schluß seiner Sache nicht mehr sicher: „Ob die Konsequenz einer Einschränkung der §§ 26, 27 StGB bei § 14 Abs. 2 WpHG tatsächlich gezogen werden muß, bedarf noch weiterer Überlegungen.“ 276
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nalen Strafrechtsordnungen für den insiderrechtlichen Verbotsumfang ergeben werden. Deshalb mögen die Konsequenzen, die sich aus der Anwendbarkeit der §§ 26, 27 StGB ergeben, zumindest aus europäischer Sicht tatsächlich nicht gewollt sein. Allerdings gehen diejenigen, die eine Anwendung der Teilnahmeregeln ablehnen, zu weit, wenn sie behaupten, selbst der deutsche Gesetzgeber habe die sich aus der Anwendbarkeit des allgemeinen Strafrechts ergebenden Konsequenzen bei der Umsetzung der Richtlinie nicht bedacht. In den Materialien zur Entstehungsgeschichte des WpHG finden sich an verschiedenen Stellen Hinweise darauf, daß der Gesetzgeber sehr wohl die Auswirkungen der Teilnahmeregeln gesehen hat. So wird bereits in der Begründung des Regierungsentwurfs zum 2. FMFG ausgeführt, der Händler eines Kreditinstituts mache sich wegen Beihilfe an der Insiderstraftat seines Kunden strafbar, wenn er weisungsgemäß eine Kauforder ausführt, obwohl er weiß, daß sein Auftraggeber über entsprechende Insiderinformationen verfügt.280 Diese Bemerkungen zur Strafbarkeit wegen Beihilfe haben auch Eingang in die endgültige Gesetzesbegründung gefunden.281 Noch deutlicher geht das Problembewußtsein des Gesetzgebers aus der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses hervor.282 Dort teilt der Finanzausschuß die Auffassung der Bundesregierung, daß es nicht erforderlich sei, Sekundärinsidern über den Regelungsbereich von § 14 Abs. 2 WpHG hinaus auch die Weitergabe der Insidertatsachen und eine Veräußerungs- oder Erwerbsempfehlung zu verbieten. Zur Begründung gibt er an, gegen die zwingende Erforderlichkeit spreche zum einen, daß der Sekundärinsider in jedem Falle selbst auch dem Erwerbs- und Veräußerungsverbot unterliege. Zum anderen werde das Handeln der Sekundärinsider im Vorfeld eines Geschäftsabschlusses durch die Teilnahmeregeln (Beihilfe, Anstiftung) strafrechtlich erfaßt.283 Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der §§ 26, 27 StGB läßt sich daher entgegen der Auffassung von Cramer zumindest nicht mit dem Argument begründen, der Gesetzgeber habe das Problem nicht gesehen.284 Im übrigen steht die Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln nicht in einem denklogischen Widerspruch zu der eingeschränkten Pflichtenbindung der Sekundärinsider. Denn in strafrechtlicher Hinsicht ist es ein Unterschied, ob die unbefugte Informationsweitergabe als ein eigenständiger Deliktstatbestand normiert ist oder ob sie lediglich über die Teilnahmeregeln erfaßt werden kann. Im Ge-
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Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 47. Gesetzesbegründung 2. FMFG, BR-Drucks. 793/93. 282 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918, S. 95 f. 283 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7918, S. 95. 284 Wenig überzeugend auch Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 94, wonach der Gesetzgeber das Problem zwar gesehen, jedoch im weiteren Gesetzgebungsverfahren „nicht weiter aufgegriffen“ habe. 281
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gensatz zur ersten Variante bedarf es im letzteren Fall einiger zusätzlicher Voraussetzungen, bevor es zu einer strafrechtlichen Haftung des Informationsübermittlers kommt. So muß für die Strafbarkeit des Gehilfen bzw. des Anstifters immer auch eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat vorliegen.285 Im Fall des Finanzanalysten ist jedoch nicht gesagt, daß der Empfänger der Insiderinformation diese auch am Wertpapiermarkt ausnutzt, zumal er sich ja dadurch selbst einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde. Zudem ist das Vorsatzerfordernis für den Gehilfen bzw. für den Anstifter nicht schon dann erfüllt, wenn die Weitergabe der Insiderinformation bewußt erfolgt. Darüber hinaus muß der Anstifter den Empfänger der Information zum Abschluß eines Insidergeschäfts bestimmen wollen; Beihilfe erfordert einen auf den Erfolg der Haupttat gerichteten Willen.286 Schließlich lassen sich über die Teilnahmeregeln nicht alle Verhaltensweisen erfassen, die nach dem Weitergabe- und Empfehlungsverbot unter Strafe stehen. So bleibt dem Sekundärinsider auch bei Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln immer noch die Möglichkeit, einem anderen straflos einen Tip zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren zu geben, solange er die Insiderinformation nicht offen legt. Diese Umgehungsvariante des Weitergabeverbots wäre durch das Empfehlungsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ausgeschlossen. Im Ergebnis wird daher über den „Umweg“ der Teilnehmerregeln keineswegs all das erfaßt, was der Gesetzgeber durch den Verzicht auf die Möglichkeit des Art. 6 S. 2 der Insider-Richtlinie aus dem Bereich der Strafbarkeit herausnehmen wollte. Von einem Widerspruch zwischen der Anwendbarkeit der §§ 26, 27 StGB und der Entscheidung des Gesetzgebers, die Sekundärinsider von dem Weitergabe- und Empfehlungsverbot freizustellen, kann auch deshalb keine Rede sein, weil der Tatbeitrag des Gehilfen nicht immer eine Informationsweitergabe bzw. -empfehlung sein muß. Im Rahmen des § 14 Abs. 2 WpHG kommen als Tatbeiträge i. S. von § 27 StGB vielmehr auch Handlungsweisen in Betracht, die von dem Weitergabe- und Empfehlungsverbot nicht erfaßt werden würden. Das können insbesondere Hilfsleistungen in Fällen kollusiven Handelns sein, in denen die eine Person durch ihr Verhalten die Tat der anderen Person fördert bzw. überhaupt erst ermöglicht. Als Beispiel mag der Fall des Wertpapierhändlers dienen, der die Order eines Anlegers ausführt, obwohl er weiß, daß dieser mit dem Geschäft eine Insidertatsache ausnutzen will. Hier besteht der Gehilfenbeitrag nicht in der Weitergabe einer Insiderinformation, sondern in der nach außen hin als ordnungsgemäß erscheinenden Ausführung der Verkaufs- bzw. Kauforder des Anlegers. Obwohl der Beitrag des Wertpapierhändlers nicht vom Ver285
Vgl. dazu bereits oben 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 2. a). Der Gehilfe muß sich mit dem Täter „solidarisieren“, d.h. er muß den Willen haben, an fremden Unrecht mitzuwirken. Dies ist zumindest die Auffassung der herrschenden Förderungs (oder Verursachungs-)theorie. Einen Überblick zum Strafgrund und Wesen der Teilnahme gibt Renzikowski, S. 34 ff. 286
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botskatalog des § 14 WpHG erfaßt ist, läßt sich nicht bestreiten, daß sein Verhalten vor dem Hintergrund eines effektiven Schutzes vor illegalen Insidergeschäften strafwürdig erscheint. Würde man aber aus den o. g. Gründen die Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln auf die Vorschrift des § 14 Abs. 2 WpHG generell ablehnen, so entstünden erhebliche Strafbarkeitslücken, die mit der Zielsetzung des neuen Insiderrechts nicht zu vereinbaren wären. d) Restriktive Auslegungsversuche Neben dem Vorschlag, die Teilnahmeregeln des StGB überhaupt nicht auf Sekundärinsider i. S. von § 14 Abs. 2 WpHG anzuwenden, werden im Schrifttum weitere, weniger einschneidende Maßnahmen diskutiert, um die mit der Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln verbundenen Konsequenzen abzumildern. Im folgenden werden diese Vorschläge skizziert und auf ihre Überzeugungskraft hin überprüft. aa) Der Einwand des „sozialüblichen“ Verhaltens Einige Autoren argumentieren, es handle sich bei dem „Tatbeitrag“ des Gehilfen häufig um eine „neutrale“ bzw. „sozialübliche“ Handlung, die den objektiven Anforderungen des Beihilfetatbestandes nach § 27 StGB nicht gerecht werde.287 Dem Gehilfenbeitrag fehle es an der notwendigen, objektiven Unrechtstendenz.288 Als Beispiel wird der bereits erwähnte Fall einer weisungsgemäß ausgeführten Kundenorder genannt. Darin könne selbst dann kein strafrechtlich relevantes Verhalten gesehen werden, wenn der die Order ausführende Wertpapierhändler Kenntnis davon hat, daß sein Auftraggeber mit diesem Geschäft eine Insidertatsache ausnutzen will.289 Eine Gehilfenstellung scheide aus, weil das bloße Ausführen der Order kein Unrecht begründen könne. Es ist zu bezweifeln, ob eine solche Argumentation vor Gericht Bestand haben würde. Im Rahmen von § 27 StGB wird nicht erst seit Erlaß des Insiderrechts über das Problem „sozialüblicher“ Handlungen diskutiert. Vielmehr wurde es bereits im Zusammenhang mit anderen Strafdelikten gesehen.290 Das Schrifttum bietet zu der Frage, wo die Grenze zwischen noch erlaubter beruflicher Mitwirkung und strafbarer Beihilfe verläuft, ein uneinheitliches Bild.291 Die Rechtsprechung hat den Meinungsstreit letztlich aber dahingehend entschie287
Assmann, WM 1996, S. 1337, 1347; Hopt, in: FS Heinsius, S. 289, 299. Cramer, AG 1997, S. 59, 61. 289 Assmann, WM 1996, S. 1337, 1347; Hopt, in: FS Heinsius, S. 289, 299. 290 Das Problem „neutraler“ Beihilfehandlungen stellt sich insbesondere bei Bankmitarbeitern, die durch die Ausführung von „üblichen“ Geldtransfers die Steuerflucht inländischer Gelder ermöglichen. 288
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den, daß Beihilfe zu einer vorsätzlichen Straftat auch durch eine „äußerlich neutrale Handlung“ geleistet werden kann.292 Eine Handlung, die zwar objektiv keine Unrechtstendenz aufweist, die aber dennoch die Haupttat eines anderen unterstützt, ist nicht „per se“ strafrechtlich irrelevant. In einem vom BGH entschiedenen Fall ging es um die Frage der Strafbarkeit eines Bankmitarbeiters wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Der Bankangestellte hatte es seinen Kunden durch äußerlich berufstypische Handlungen ermöglicht, Kapital zum Zwecke der Steuerhinterziehung ins Ausland zu transferieren. In diesem Fall konnte es nach Auffassung des BGH bei einer rein äußerlichen Betrachtung des Gehilfenbeitrags nicht bleiben. Einzubeziehen sei auch die innere Tatseite; insbesondere komme es für § 27 StGB darauf an, ob der Gehilfe sich mit den Tätern „solidarisieren“ wollte.293 Neben dem Hinweis auf die eindeutige Rechtsprechung zu dieser verallgemeinerungsfähigen Rechtsfrage läßt sich speziell für das Insiderrecht noch ein weiteres Argument für die strafrechtliche Relevanz „sozialüblichen“ Verhaltens anführen. Es unterstützt die These, daß den Einwänden, die generell gegen die strafrechtliche Relevanz „sozialüblichen“ Verhaltens erhoben werden, im Insiderrecht weniger Gewicht beizumessen ist als in anderen Teilen des Strafrechts. Denn im Gegensatz zu allen anderen Strafdelikten verlangt das Insiderrecht selbst für die Haupttat keinen objektiven Unrechtsverstoß.294 Das insiderrechtliche Erwerbs- und Veräußerungsverbot setzt in objektiver Hinsicht lediglich voraus, daß der Täter, der sog. Insider, eine Transaktion vornimmt, die entweder in dem Verkauf oder in dem Kauf von Wertpapieren bestehen kann. Die Transaktion des Insiders unterscheidet sich daher objektiv in keiner Weise von der eines rechtmäßig handelnden Anlegers. Wenn aber bereits für die Haupttat auf objektiver Tatbestandsseite ein „sozialübliches“ Verhalten genügt, läßt sich schwerlich für die Gehilfenstellung etwas anderes vertreten.295 Im Ergebnis dürfte also auch im Insiderrecht eine Begrenzung des Kreises möglicher Beihilfehandlungen anhand objektiver Kriterien keinen Bestand haben. Vielmehr wird sich die Beteiligung an der Tat eines anderen auch in Fällen „sozialüblichen“ Verhaltens nur mit Blick auf die subjektive Tatbestandsseite verneinen lassen. Dies gilt selbstverständlich auch für Analysten, die wegen der Weitergabe von Insiderinformationen in dem Verdacht stehen, Beihilfe oder Anstiftung zu der Tat eines anderen begangen zu haben. 291 Eine Zusammenfassung der Meinungsvielfalt findet sich bei Hillenkamp, S. 224 ff., der die Problematik anhand einer Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts darstellt. 292 Zuletzt klarstellend BGH NJW 2000, S. 3010 f.; vgl. aber auch BGH NStZ 2000, S. 34 f. 293 BGH NJW 2000, S. 3010, 3011. 294 So auch Cramer, AG 1997, S. 59, 61. 295 So auch Cramer, AG 1997, S. 59, 61.
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bb) Der Einwand des fehlenden „voluntativen“ Vorsatzelements Die Bestrebungen des Schrifttums, die Teilnahmeregeln möglichst restriktiv auszulegen, beschränken sich nicht auf die objektive Tatbestandsseite. Vor allem Cramer will die Strafbarkeit des Gehilfen in vielen Fällen an dem Vorsatzerfordernis scheitern lassen. Fördere der Gehilfe die Haupttat lediglich durch „sozialübliches“ Verhalten, müßten hohe Anforderungen an den Nachweis des (bedingten) Vorsatzes gestellt werden.296 Dabei sei streng zwischen dem Wissens- und dem Willenselement des Vorsatzerfordernisses zu unterscheiden. Zwar könne dem Gehilfen in vielen Fällen anhand der objektiven Begleitumstände der Tat nachgewiesen werden, daß er die kriminellen Absichten des Haupttäters zumindest für möglich hielt. Allerdings könne daraus nicht gefolgert werden, daß der Gehilfe diese Absicht auch gebilligt habe.297 Der Strafrichter müsse vielmehr zugunsten des Gehilfen davon ausgehen, daß dieser im Zweifel darauf vertraut habe, der Haupttäter werde andere als insiderrechtlich relevante Zwecke mit seinen Wertpapiergeschäften verfolgen. Cramer führt zur Begründung seiner von ihm aufgestellten Vermutungsregel eine Entscheidung des BGH an, wonach ein Strafverteidiger ohne (bedingten) Gehilfenvorsatz handelt, wenn er im Prozeß eine Urkunde vorlegt, die er als möglicherweise gefälscht erkennt.298 Vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des BGH überzeugen die Ausführungen von Cramer zur richterlichen Beurteilung des bedingten Vorsatzes allerdings nicht. Zum einen läßt sich das Ergebnis, zu dem der BGH in dem von Cramer zitierten Verteidiger-Urteil gelangt ist, nicht ohne weiteres auch auf andere Sachverhalte übertragen. Wie Beulke zutreffend zu diesem Urteil ausführt, hat der BGH für den Anwalt eine Art „Strafverteidigerprivileg“ angenommen, das ihn wegen der besonderen Konfliktsituation seines Berufstandes vor einer zu weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit schützt.299 Zum anderen hat der BGH in dem erst kürzlich ergangenen Bankmitarbeiter-Urteil300 ausgeführt, daß es in Fällen „sozialüblichen“ Verhaltens grundsätzlich auf das „voluntative“ Element des Gehilfenvorsatzes nicht ankommt. Vielmehr reicht es nach der Auffassung des Gerichts in solchen Fällen aus, daß der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewußtsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern.301 Auch könne der Vorsatz des Gehilfen nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß 296 Cramer, AG 1997, S. 59, 61: „Der Nachweis des erforderlichen Gehilfenvorsatzes wird in der Praxis kaum zu erbringen sein.“ 297 Cramer, AG 1997, S. 59, 61. 298 BGHSt 38, 345, 350 f. 299 Beulke, JR 1994, S. 116, 118. 300 BGH NJW 2000, S. 3010 f. 301 BGH NJW 2000, S. 3010 f.
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dieser ausdrücklich seine Mißbilligung der Tat erklärt hat. Es kommt also nicht darauf an, ob der Gehilfe den Erfolg der Haupttat wünscht oder ihn lieber vermeiden würde.302 Entgegen der von Cramer vertretenen Auffassung lassen sich daher die genannten Fälle nicht mit Hilfe einer restriktiven Auslegung des „voluntativen Elements“ lösen. Die Abgrenzung zwischen (bewußter) Fahrlässigkeit und (bedingtem) Vorsatz ist entsprechend den Ausführungen des BGH bereits im Rahmen des „kognitiven“ Vorsatzelements vorzunehmen. Entscheidendes Kriterium ist dabei der Grad der Wahrscheinlichkeit, daß der Haupttäter den Beitrag des Gehilfen zur Begehung einer Straftat nutzen will. Hält der Beteiligte anhand der objektiven Begleitumstände die Haupttat zwar für möglich, kommen jedoch auch andere, rechtmäßige Motive für das Verhalten des Haupttäters in Betracht, so handelt er seinerseits nicht vorsätzlich. Erscheint dagegen eine Straftat des Haupttäters für überaus wahrscheinlich, so muß sich der Gehilfe für seinen Tatbeitrag (bedingten) Vorsatz unterstellen lassen. Wenn also die äußeren Umstände der Tat dafür sprechen, daß der Täter kriminelle Absichten verfolgt, liegt, der Rechtsprechung des BGH folgend, eine strafbare Beihilfehandlung vor.303 In einem solchen Fall kann der Beteiligte sich auch nicht mehr auf den Einwand berufen, er habe die Tat nicht gebilligt. Vielmehr hat er mit der Erbringung seines Tatbeitrages den Willen, die Tat des Insiders zu fördern, bereits nach außen hin kundgetan. Daher äußert sich im Fall des Wertpapierhändlers, der es für überaus wahrscheinlich hält, daß sein Auftraggeber ein Insidergeschäft abschließen will, das „voluntative“ Element des Gehilfenvorsatzes in der Ausführung der Order. Für den Finanzanalysten hat diese neuere Entwicklung in der Rechtsprechung zur Konsequenz, daß seine Strafbarkeit wegen §§ 14 Abs. 2 WpHG i. V. mit §§ 26, 27 StGB oftmals auf des Messers Schneide liegen wird, weil er immer damit rechnen muß, daß der Empfänger seiner „insiderinformationsinfizierten“ Analyse einen vorsätzlichen Verstoß gegen das insiderrechtliche Erwerbs- und Veräußerungsverbot begehen wird. Seine Strafbarkeit als Gehilfe bzw. Anstifter hängt allein davon ab, wie hoch im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen ist, daß der Analyseempfänger einen insiderrechtlichen Verstoß begehen wird. cc) Wertung Im Ergebnis scheitern mithin alle argumentativen Bemühungen des Schrifttums, die durch die Anwendbarkeit der strafrechtlichen Teilnahmeregeln verursachten Haftungsrisiken in ihrem Gesamtausmaß abzumildern. Für den Finanz302 303
BGH NJW 2000, S. 3010 f. BGH NJW 2000, S. 3010 f.
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analysten hat die uneingeschränkte Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln zur Folge, daß er selbst durch die Einordnung als Sekundärinsider keineswegs vor strafrechtlichen Verdachtsmomenten geschützt wird. Gibt der Analyst Insiderinformationen im Rahmen seiner Berufsausübung weiter, besteht immer die Gefahr, daß er sich als Gehilfe oder Anstifter strafbar macht. Will er sich umfassend vor Strafverfolgungsmaßnahmen schützen, so muß er darauf achten, daß er nach Möglichkeit seinen Kunden bzw. Auftraggebern überhaupt keine Insidertatsachen mitteilt. Nur so kann er sich sicher sein, daß er mit seiner Tätigkeit keinen strafrechtlich relevanten Tatbeitrag zu einer teilnahmefähigen Haupttat durch den Analyseempfänger leistet. Ob dem Berufsstand der Analysten mit dieser Rechtslage gedient ist, muß bezweifelt werden. Der insiderrechtliche Rechtsrahmen ist für die Finanzanalysten eng gesteckt. Es ist zu befürchten, daß bei konsequenter Verfolgung von insiderrechtlichen Verdachtsmomenten durch die Ermittlungsbehörden im Ergebnis kaum noch Raum für die Erstellung von detaillierten Analysen bleibt. Zwar läßt sich nur schwer abschätzen, wie hoch das Risiko, daß der Analyst (versehentlich) eine Insidertatsache in seine Analyse mit einarbeitet, in der Praxis tatsächlich ist. Einige Vertreter des Schrifttums behaupten, ein Analyst könne ohne weiteres erkennen, ob es sich bei einer Information, die er von Unternehmensseite erlangt, um eine Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG handelt. Daher bestehe kein Handlungsbedarf für eine Lockerung des insiderrechtlichen Rechtsrahmens für Finanzanalysten. Dagegen kritisieren andere in diesem Zusammenhang vor allem die Unbestimmtheit des Insidertatsachenbegriffs. Vor allem das Merkmal „erhebliches Kursbeeinflussungspotential“ in § 13 Abs. 1 WpHG bereite selbst Experten erhebliche Schwierigkeiten. Es ließe sich im Einzelfall nur schwer beurteilen, ob eine Information bei ihrem Bekanntwerden einen erheblichen Kurssausschlag verursachen wird. Daher sei das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung wegen der Weitergabe von Insiderinformationen als hoch einzuschätzen. Allerdings ist bereits jetzt, ohne daß die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer (versehentlichen) Weitergabe von Insiderinformationen abschließend geklärt wurde, davon auszugehen, daß der insiderrechtliche Rechtsrahmen den Finanzanalysten erhebliche Schwierigkeiten bereitet. So kann es im Einzelfall dadurch, daß die Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln de facto auf ein Informationsweitergabeverbot hinausläuft, zu schwerwiegenden Interessenkonflikten kommen. Weiß etwa der Analyst von einer Insidertatsache, die den Kurs des analysierten Wertpapiers erheblich belasten wird, befindet er sich in einem berufsbedingten Dilemma. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen er von seinen Kunden bzw. Auftraggebern ausdrücklich nach der Kursentwicklung des betreffenden Papiers befragt wird. Auf der einen Seite ist der Analyst daran interessiert bzw. dazu verpflichtet, daß seine Analysen möglichst genau den Wert der Papiere wiederspiegeln. Auf der anderen Seite muß er sich vor strafrechtlichen
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Verdachtsmomenten schützen. Teilt er die Insidertatsache mit, muß er damit rechnen, daß der Leser der Analyse mit entsprechenden Wertpapiergeschäften reagieren wird. Der Verdacht der Beihilfe bzw. Anstiftung ist gegeben. Die Lösung kann in diesen Fällen daher nur darin bestehen, daß der Analyst eine nicht weiter spezifizierte Empfehlung an seine Kunden weitergibt, die betreffenden Papiere zu kaufen bzw. zu verkaufen.304 III. Zusammenfassung Die vorstehende Prüfung hat gezeigt, daß sich die Diskussion über den insiderrechtlichen Status der Finanzanalysten relativiert, sobald die Rechtsfolgen einer Einordnung als Primärinsider denjenigen einer Einordnung als Sekundärinsider im einzelnen gegenübergestellt werden. Insbesondere unter Berücksichtigung der Teilnahmeregeln des allgemeinen Strafrechts verliert der Unterschied im Verbotsumfang für Primär- und Sekundärinsidern entscheidend an Bedeutung. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß Finanzanalysten, die sich anläßlich eines persönlichen Unternehmensgesprächs mit einer Insidertatsache „infizieren“, in jedem Falle, d.h. unabhängig von ihrer Einordnung als Primär- oder Sekundärinsidern, mit erheblichem Haftungsrisiken rechnen müssen, wenn sie die erlangten Informationen in ihre Analysen und Empfehlungen mit einfließen lassen und ihren Kunden bzw. Auftraggebern zugänglich machen.
Dritter Abschnitt
Der Umfang des Insidertatsachenbegriffs A. Das Merkmal „Insidertatsache“ Die Kommunikationsbeziehungen zwischen Wertpapieremittenten und Finanzanalysten unterliegen offensichtlich einer starken Regulierung durch das WpHG. Sowohl die Übermittlung von Insiderinformationen an Finanzanalysten als auch die sich daran anschließende Verarbeitung dieser Informationen zu Analysen und Empfehlungen unterfallen grundsätzlich den Straftatbeständen des § 14 Abs. 1 Nr. 1–3 i. V. m. § 38 Abs. 1 WpHG. Das Insiderrecht beschränkt damit in erheblicher Weise die freie Meinungsäußerung sowie die freie Berufsausübung professioneller Marktteilnehmer.305
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Ähnlich Assmann, AG 1994, S. 237, 248. So auch Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 512: „§§ 13, 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG beschränken nicht unerheblich das Recht der freien Meinungsäußerung.“ 305
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
Trotz dieser umfassenden Verbotsregelung weisen einige Autoren den sich aufdrängenden Vorwurf einer Überregulierung durch das deutsche Insiderrecht mit dem Hinweis zurück, die Handlungsverbote des § 14 Abs. 1 Nr. 1–3 WpHG bezögen sich nur auf Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG.306 Das Insiderrecht stelle daher keineswegs eine zu weitgehende Einschränkung kapitalmarktbezogener Kommunikationsbeziehungen dar. Der Informationsaustausch werde nicht behindert, soweit es um Informationen gehe, die nicht als Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG zu qualifizieren seien. Angesichts der Tatsache, daß die Erheblichkeitsschwelle im deutschen Insiderrecht vergleichsweise hoch angesetzt sei, falle nur ein Bruchteil der zwischen Emittentenvertretern und Finanzanalysten übermittelten Informationen in den Anwendungsbereich der insiderrechtlichen Handlungsverbote.307 Deshalb könne trotz der relativ streng gefaßten Verbotstatbestände nicht von einer übermäßigen Belastung der Informationsintermediäre durch das Insiderrecht gesprochen werden. Der Verweis auf den Kreis tauglicher Insiderinformationen darf in der Tat bei der Beurteilung des Rechtsrahmens für Analysten und andere Informationsintermediäre nicht unberücksichtigt bleiben. Allerdings läßt sich ohne nähere Untersuchung der einschlägigen Bestimmungen kein Urteil darüber bilden, inwieweit der Begriff der Insidertatsache tatsächlich geeignet ist, das Insiderrecht insgesamt vom Vorwurf der Überregulierung zu befreien. Dem entspricht es, daß in der Praxis erhebliche Unsicherheit darüber besteht, welche Informationen dem Tatbestand des § 13 Abs. 1 WpHG unterfallen. Sowohl die inhaltliche Weite des Tatsachenbegriffs als auch die Höhe des Kursbeeinflussungspotentials gelten im Schrifttum als weitgehend ungeklärt. Im folgenden wird zunächst der Umfang des Tatsachenbegriffs untersucht. I. Der Tatsachenbegriff Nach deutschem Recht können nur „Tatsachen“ taugliche Insider-Informationen sein. Mit diesem Merkmal weicht der deutsche Gesetzgeber bewußt von der europäischen Vorgabe ab. Der EG-Insiderrichtlinie ist der Begriff der Insider„Tatsache“ nicht bekannt. Sie verwendet stattdessen in Art. 2 Abs. 1 den Begriff der „präzisen Information“. Ungeachtet der Frage nach der Richtlinienkonformität dieser Abweichung ist zu bezweifeln, ob der deutsche Gesetzgeber eine sinnvolle Entscheidung getroffen hat, indem er den europäischen Informationsbegriff auf den einer „Tatsache“ reduziert hat. Denn wie Marxen zutreffend 306 So vor allem Drygala, WM 2001, S. 1313, 1324; aber auch Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 512: „Daß (Unternehmens-)Manager nicht etwa einen kapitalmarktrechtlich indizierten Maulkorb tragen müssen, liegt dabei vor allem an dem Merkmal der Kursrelevanz.“ 307 Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 513 f.
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feststellt, hat sich auch Jahre nach Inkrafttreten der Strafbestimmungen des WpHG noch keine einheitliche Meinung zum Umfang des Begriffs „Tatsache“ in § 13 Abs. 1 WpHG herausbilden können.308 Hauptgrund dafür dürfte sein, daß der Begriff der Tatsache sich nur bedingt in die Gesetzessystematik des Insiderrechts einfügt.309 Immerhin kann für die Auslegung dieses Merkmals mittlerweile auf drei Entscheidungen der Rechtsprechung verwiesen werden.310 1. Ausgangspunkt Als Ausgangspunkt für die Auslegung des Tatsachenbegriffs in § 13 Abs. 1 WpHG sind nach überwiegender Auffassung die auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zurückgehenden Auslegungsgrundsätze des Strafrechts heranzuziehen.311 Diese Grundsätze wurden im Zusammenhang mit anderen Straftatbeständen, die sich ebenfalls des Begriffs der Tatsache bedienen, entwickelt und haben die Aufgabe, bloße Werturteile von beweisbaren Sachverhalten abzugrenzen. Danach sind Tatsachen nicht nur äußere Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart (äußere Tatsachen), sondern auch psychische Gegebenheiten und Abläufe, wie z. B. Wissen, Vorstellungen und Absichten (innere Tatsachen), soweit diese der äußeren Wahrnehmung und damit dem Beweis zugänglich sind.312 2. Vorhaben, Pläne und Absichten Anfangs hatte man sich im insiderrechtlichen Schrifttum die Frage gestellt, ob diese allgemeine, strafrechtliche Definition uneingeschränkt für das Insiderrecht gelten könne. Vor allem im Bereich von „inneren Tatsachen“, wie Vorhaben, Pläne und Absichten, wurde für das Insiderrecht eine Einschränkung der herkömmlichen Tatsachendefinition diskutiert. Danach können (Insider-)Tatsachen sich nur auf Ereignisse beziehen, die auch tatsächlich eingetreten sind. Dies sei aber bloßen Absichten und Plänen nicht der Fall. Ihre Realisierung sei vielmehr ungewiß und könne durch vielerlei Umstände noch verhindert werden.313 Erst wenn der Wahrscheinlichkeitsgrad ihres Eintritts sich derart ver308
Marxen, EWiR 2000, S. 885. Dies betont vor allem Cramer, in: FS Trifterer, S. 323, 331 ff. 310 VGH Kassel, NJW-RR 1999, S. 120 f.; LG Frankfurt a. M., NJW 2000, S. 301 f.; AG Köln, Urteil vom 20.03.2000, Az: 583 Drs 369/99, bislang unveröffentlicht, wird aber zitiert von Marxen, EWiR 2000, S. 885. 311 Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 60; Mennicke, BB 1999, S. 76, 77. 312 Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, S. 111 u. 124. 313 Assmann, in: Assmann/Schneider, 1. Aufl. (Vorauflage), § 13 Rn. 36; ders., AG 1997, S. 50, 51; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 1. Aufl. (Vorauflage), Rz. 14.99. 309
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dichtet hätte, daß ihrer Realisierung praktisch nichts mehr entgegenstünde, könne von einer Tatsache i. S. des WpHG gesprochen werden.314 Gestützt wurde diese Ansicht hauptsächlich auf eine Passage in der Gesetzesbegründung zum 2. FMFG, wonach „Ereignisse, deren Konsequenzen noch nicht feststehen, weil deren Wirksamkeit noch durch andere Umstände aufgehoben werden kann oder noch wirksame Gegenmaßnahmen möglich sind, keine Tatsachen darstellen, die Auswirkungen auf die Vermögens- und Finanzlage oder den Geschäftsverlauf haben.“ 315 Cahn316 und andere317 haben jedoch bereits frühzeitig darauf hingewiesen, daß sich diese Passage primär nur auf solche Tatsachen bezieht, die im Wege der Ad-hoc-Publizität gemäß § 15 WpHG zu veröffentlichen sind. Im Gegensatz zur Insidertatsache wird für eine Information, die im Wege der Ad-hocPublizität zu veröffentlichen ist, zusätzlich verlangt, daß diese sich auf die Vermögens- und Finanzlage oder auf den Geschäftsverlauf des Emittenten auswirkt.318 Die bloße Absicht, in Zukunft etwas zu tun, hat grundsätzlich noch keine Auswirkungen auf die gegenwärtige Situation des Unternehmens, und fällt daher auch nicht unter den Begriff der „ad-hoc-publizitätspflichtigen Tatsache“. Dies ändert jedoch nichts daran, daß eine Absicht, sobald sie der äußeren Wahrnehmung zugänglich ist, eine Tatsache im herkömmlichen Sinne darstellt und als solche auch zum Gegenstand eines Insiderdelikts werden kann, soweit sie die übrigen Voraussetzungen des § 13 Abs 1 WpHG erfüllt.319 Daher – so die zutreffende Folgerung – könnten die Ausführungen der Gesetzesbegründung zu § 15 WpHG nicht ohne weiteres auf den Tatsachenbegriff des § 13 Abs. 1 WpHG übertragen werden.320 Im übrigen spricht auch die richtlinienkonforme Auslegung für die Einbeziehung von Absichten und Vorhaben in den Tatsachenbegriff des § 13 Abs. 1 WpHG. In den Erwägungsgründen der EG-Insiderrichtlinie wird klargestellt, daß die Umsetzung eigener, unternehmerischer Entschlüsse kein widerrechtliches Ausnutzen von Insider-Informationen darstellt.321 Daraus geht eindeutig hervor, daß der europäische Gesetzgeber Absichten und Pläne grundsätzlich als Insider-Informationen i. S. von Art. 2 Abs. 1 der RL ansieht. Ansonsten hätte es einer Klarstellung in bezug auf die Umsetzung eigener Entschlüsse in den Erwägungsgründen nicht bedurft. 314
Assmann, AG 1997, S. 50, 51. BT-Drucks. 12/6679, S. 48. 316 Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 13. 317 Burgard, ZHR 162 (1998), S. 51, 60 f. u. 71 f. 318 Vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG. 319 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.86 u. Rz. 16.93 f. 320 Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 13; Pananis, WM 1997, S. 460, 462; Burgard, ZHR 162 (1998), S. 51, 63. 321 Vgl. den 11. u. 12. Erwägungsgrund der EG-Insiderrichtlinie. 315
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Eine andere Frage ist freilich, ob ein Vorhaben, dessen Realisierung noch als äußerst ungewiß gilt, im Falle seiner Veröffentlichung den Kurs der betreffenden Wertpapiere beeinflussen würde. So wird das Anlegerpublikum sicherlich deutlicher auf ein Übernahmevorhaben reagieren, das bereits kurz vor seiner Umsetzung steht, als auf die Nachricht, das betreffende Unternehmen schließe zukünftig Zukäufe über den Kapitalmarkt nicht aus. Die verschiedenen Aspekte des Begriffs „Insidertatsache“ dürfen daher nicht vermengt werden. Insbesondere darf das Merkmal des Kursbeeinflussungspotentials nicht in den Tatsachenbegriff „hineinprojiziert“ werden.322 Ob und wann ein Plan realisiert wird, ist weniger eine Frage seiner Tatsachenqualität als seiner Kurserheblichkeit.323 Im Ergebnis unterfallen daher auch Absichten, Pläne und Vorhaben dem Begriff der Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG und zwar unabhängig vom Grad ihrer „Eintrittswahrscheinlichkeit“. 3. Meinungen, Werturteile und subjektive Einschätzungen Ein weiterer umstrittener Punkt ist die Frage, ob auch Meinungen und Werturteile Tatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG sein können. Dagegen spricht das von der Rechtsprechung zu § 263 StGB geprägte Verständnis des Tatsachenbegriffs. Danach dient der Begriff „Tatsache“ gerade als Abgrenzungskriterium gegenüber Werturteilen und Meinungsäußerungen.324 Letztere bilden im Rahmen des allgemeinen Betrugstatbestands den Gegensatz zu Tatsachenbehauptungen, weil sie allein auf subjektiven Einschätzungen beruhen und damit dem Beweis nicht zugänglich sind.325 a) Werturteile als Tatsachen aufgrund eines Tatsachenkerns Die Abgrenzung zwischen Tatsachen und Werturteilen fällt bekanntlich nicht immer leicht. Häufig ist der Übergang zwischen einer Tatsachenbehauptung und einem reinen Werturteil fließend. Rechtsprechung und Schrifttum zu § 263 StGB haben diesem Umstand Rechnung getragen, indem sie in Zweifelsfällen darauf abstellen, ob sich aus dem Erklärungswert der betreffenden Äußerung ein objektivierbarer Tatsachenkern ergibt. Ist dies der Fall, so können nach herkömmlichem Verständnis auch Meinungsäußerungen als Tatsachen qualifiziert werden. Das insiderrechtliche Schrifttum hat diesen für § 263 StGB entwickelten Auslegungsgrundsatz im wesentlichen übernommen.326 Dies entspricht auch der Gesetzesbegründung zum 2. FMFG, wonach „Werturteile (Meinungsäuße322 323 324 325
Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 13. Cahn, ZHR 162 (1998), S, 1, 15. Lackner, § 263, Rn. 4 ff. Cramer, in: Schönke/Schröder, § 263 Rn. 9.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
rungen, Rechtsauffassungen, Auffassungen persönlicher Art) und andere subjektive Wertungen, die bloße Meinungen ausdrücken“, keine Tatsachen sein sollen.327 b) Werturteile als Tatsachen aufgrund der Verkehrsauffassung Die h. M. im Insiderrecht geht noch einen Schritt über diese allgemeinen Auslegungsgrundsätze hinaus. So sollen auch reine Werturteile, die keinerlei Fakten zum Ausdruck bringen, ausnahmsweise „Tatsachen“ i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG sein, wenn sie von Personen geäußert werden, die großen Einfluß auf das Marktgeschehen haben.328 Als Beispiel wird häufig der Vorstandsvorsitzende angeführt, der erklärt, „seinem Unternehmen gehe es schlecht“.329 Der Grund für diese nicht unerhebliche Ausdehnung des Tatsachenbegriffs wird darin gesehen, daß das Börsenpublikum Meinungen, die Personen mit überlegener Sachkunde äußern, ohnehin wie „Tatsachen“ behandelt.330 Das Anlegerpublikum gehe davon aus, daß der Vorstandsvorsitzende schon seine Gründe dafür haben werde, eine solche Äußerung abzugeben. Die h. M. will mit dieser Ausdehnung des Tatsachenbegriffs der Mutmaßung Rechnung tragen, daß ein leitender Unternehmensvertreter stets Kenntnis von (noch) nicht veröffentlichten Informationen hat, die den Kurs erheblich beeinflussen könnten. Fraglich ist, ob diese Argumentation zu überzeugen vermag. Auch hier besteht, ähnlich wie bei der rechtlichen Beurteilung noch nicht realisierter Unternehmensvorhaben, die Gefahr, daß Tatsachencharakter und Kurserheblichkeit einer Information miteinander vermengt werden. Unbestritten ist, daß Prognosen und Meinungen, die Emittentenvertreter äußern, kursrelevant sein können. Dagegen ist nicht einsichtig, warum allein wegen ihrer Kursrelevanz solche Äußerungen als Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG einzuordnen sind. Eine solche Betrachtungsweise reduziert den Begriff der Insider-Tatsache auf das Merkmal der Kursrelevanz. Diese dogmatischen Bedenken übergeht die h. M. mit rechtspolitischen Argumenten. Der Sinn und Zweck der §§ 12–14, 38 WpHG verlange, daß grundsätzlich alle kursrelevanten Informationen insiderrechtlich erfaßt werden. Nur so 326 Vgl. Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 13 Rn. 39: „Subjektive Wertungen, Meinungen und Ansichten sind grundsätzlich keine Tatsachen. Zu beachten ist jedoch, daß diese auf Tatsachen begründet sein können.“ 327 BT-Drucks. 12/6679, S. 46. 328 Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Band III, S. 3410, § 107 Rn. 21; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 33 f.; Caspari, in: Baetge (Hrsg.), S. 65, 68. 329 Vgl. etwa Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 33 f. 330 Caspari, in: Baetge (Hrsg.), S. 65, 68; Cramer, in: FS Trifterer, S. 323, 333; Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 75; Kümpel, Wertpapierhandelsgesetz, S. 53.
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könne die vom Gesetz geforderte Chancengleichheit unter den Anlegern erreicht werden. Würden dagegen Prognosen und andere Werturteile, die im Falle ihrer Veröffentlichung den Kurs der betreffenden Wertpapiere erheblich beeinflussen, nicht vom Anwendungsbereich des Insiderrechts erfaßt, entstünden allzu große Strafbarkeitslücken, die es informationell privilegierten Marktteilnehmern erlaubten, ungestraft ungerechtfertigte Sondervorteile zu erzielen.331 Um dies zu verhindern, sei ein „weiter“ Tatsachenbegriff im Insiderrecht gerechtfertigt, der im Zweifelsfall auch reine Meinungsäußerungen miterfasse. c) Werturteile als Gegenstand einer abgegebenen oder beabsichtigten Erklärung Schließlich ist bei der Abgrenzung von Tatsachen und reinen Werturteilen eine weitere Besonderheit im Insiderrecht zu beachten. Nach Auffassung der h. M. muß bei der Beurteilung der Frage, ob eine Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG vorliegt, zwischen dem Inhalt einer Information und ihrer Entäußerung differenziert werden. Selbst wenn eine Information inhaltlich keine Tatsache enthalten sollte, könne dennoch der Umstand, daß die betreffende Information überhaupt existiert bzw. weitergegeben wurde, als Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG qualifiziert werden. Unabhängig vom eigentlichen Inhalt einer Äußerung, soll also allein der Vorgang der Informationsentäußerung für das Vorliegen einer Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG genügen.332 Begründet wird dies damit, daß jedes „der äußeren Wahrnehmung zugängliche Geschehnis“ bereits eine Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG darstellt.333 Dazu zähle auch das sichere Wissen darüber, daß eine Information bestimmten Inhalts, und sei es nur ein Werturteil, existiert bzw. preisgegeben wurde. Dasselbe soll sogar für beabsichtigte Meinungsäußerungen gelten. Erfährt ein Dritter, daß der Unternehmensvertreter X beabsichtigt, in der nächsten Hauptversammlung seine persönliche Einschätzung der Unternehmenslage darzulegen, so soll auch dieser Umstand eine Tatsache sein, deren Verwertung gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 WpHG strengstens untersagt ist, vorausgesetzt, sie erfüllt auch die weiteren Merkmale einer Insidertatsache.334 Pananis bezeichnet die von der h. M. vorgenommene Differenzierung zwischen Inhalt und Mitteilung einer Information als einen „Taschenspieler331
Schneider/Burgard, in: Festschrift Buxbaum, S. 501, 507. Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 37; ders., AG 1997, S. 50, 51; Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski. § 107, Rn. 21; zur Megede, in: Assmann/Schütze, § 14 Rn. 27. 333 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 37. 334 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 37; ders., ZGR 1994, S. 510, 514; zur Megede, in: Assmann/Schütze, § 14 Rn. 27; Claussen, ZBB 1992, S. 267, 276; Hopt, ZGR 1991, S. 17, 34; ders., in: FS Beusch, S. 393, 410. 332
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
trick“.335 Schneider/Burgard lehnen eine solche Betrachtungsweise aus gesetzessystematischen Gründen ab.336 Gem. § 13 Abs. 2 WpHG ist eine Bewertung, die ausschließlich aufgrund öffentlich bekannter Tatsachen erstellt wird, keine Insidertatsache, selbst wenn sie den Kurs von Insiderpapieren erheblich beeinflussen kann. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, Inhalt und Auslegung des Tatsachenbegriffs zu begrenzen. Diesem Zweck würde es jedoch zuwiderlaufen, wenn man mit der h. M. auch Meinungsäußerungen als Insidertatsachen ansehen würde. Im Ergebnis hätte man dann die Begrenzungsfunktion des § 13 Abs. 2 WpHG ausgehebelt. Dieser Auffassung schließt sich auch Schäfer an. Seiner Meinung nach grenze es an „Sophismus“, wenn man zwischen dem Werturteil selbst und der Kenntnis, daß dieses Werturteil demnächst bekannt gegeben wird, unterscheidet. Ein Werturteil könne nur dann eine Insidertatsache sein, wenn es auch auf der Grundlage von Insidertatsachen gebildet wurde. In allen anderen Fällen sei eine bloße Bewertung insiderrechtlich völlig irrelevant, selbst wenn sie dem Anlegerpublikum noch nicht bekannt ist. Dies bedeute aber zugleich, daß auch das Wissen, es werde demnächst eine Bewertung publiziert, die geeignet ist, gewisse Anlegerreaktionen auszulösen, keine Insidertatsache sein könne. Wolle man aus rechtspolitischen Gründen die Verwertung solchen Wissens dennoch verbieten, so müsse zunächst die Vorschrift des § 13 Abs. 2 WpHG geändert werden. Wie der folgende, in Anlehnung an die Ausführungen von Cahn337 gebildete Beispielsfall zeigt, führt die Sichtweise der h. M. tatsächlich zu ungewöhnlichen, ja zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen: Angenommen, der Unternehmensvertreter X teilt einem Dritten mit, seiner Meinung nach gehe es dem Unternehmen schlecht, so erhält der Dritte lediglich Kenntnis von einer subjektiven Einschätzung, die grundsätzlich nicht als eine Insider-Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG zu qualifizieren ist. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der die Einschätzung vornehmende Unternehmensvertreter beim Anlegerpublikum besonders großes Ansehen genießt, etwa weil er der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens ist. Dann ist seine Meinungsäußerung allein schon aufgrund der Verkehrsauffassung als „Tatsache“ anzusehen.338 Teilt der Dritte jedoch darauf hin einer weiteren Person mit, der Unternehmensvertreter X habe ihm gesagt, dem Unternehmen gehe es schlecht, so hat diese Person nach überwiegender Auffassung im Schrifttum Kenntnis von einer 335 Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 75, ablehnend auch Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 13 und Schneider/Burgard, ZIP 1999, S. 381, 385. 336 Schneider/Burgard, ZIP 1999, S. 381, 385; siehe auch Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 509/510 Fn. 28. 337 Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 15. 338 Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. I. 3. b).
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Tatsache erlangt, unabhängig davon, ob der Verkehr die Sachkunde des betreffenden Unternehmensvertreters als besonders hoch einschätzt oder nicht. Für den Tatsachencharakter einer Äußerung kommt es also nach Auffassung der h. M. ganz erheblich darauf an, unter welchen Umständen der Informationsempfänger die „Tatsache“ erlangt hat. Insbesondere hat die Informations-Vermittlung über eine Zwischenperson in der Informationskette zur Folge, daß eine reine Meinungsäußerung plötzlich zu einer Tatsache wird.339 4. Exkurs: Das sogenannte „Scalping“ Welch seltsame Blüten die zuletzt genannte Auffassung in Kombination mit den anderen, für den Tatsachenbegriff des § 13 Abs. 1 WpHG entwickelten Auslegungsgrundsätzen treiben kann, hat ein Verfahren vor dem LG Frankfurt a. M. gezeigt.340 In diesem Verfahren wurde der Herausgeber eines Börseninformationsdienstes beschuldigt, sich wegen sog. „Scalpings“ gem. § 14 Abs. 1 Nr.1 WpHG strafbar gemacht zu haben, indem er Aktien kaufte, die er anschließend den Zuschauern seiner Fernsehsendung zum Kauf empfahl. Unter Bezugnahme auf die nun vorherrschende Rechtsauffassung im Schrifttum, nach der auch Absichten und Meinungsäußerungen (innere) Tatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG sein können, stufte das Gericht das Wissen des Börsenanalysten um die eigene, bevorstehende Empfehlung der Wertpapiere als Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG ein. Wäre dem Gericht der Nachweis gelungen, daß der betreffende Börsenanalyst dieses Wissen vorsätzlich für den Kauf der eigenen Papiere ausgenutzt hat, hätte es ihn gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG verurteilt. Gegen die insiderrechtliche Relevanz des „Scalpings“ hat sich insbesondere M. Weber gewandt.341 Seiner Meinung nach gehe es zu weit, die eigene Empfehlungsabsicht des „Scalpers“ als taugliche Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG zu bewerten. Es sei abwegig anzunehmen, man könne allein dadurch zum Insider werden, daß man den Gedanken an eine Empfehlung faßt.342 Dies widerspreche zum einen der in den Erwägungsgründen der EG-Insiderrichtlinie zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung, in der „Umsetzung eigener unternehmerischer Entscheidungen könne kein Ausnutzen von Insiderwissen gesehen werden, sofern nicht die Entscheidung durch anderweitig erlangtes Insiderwissen beeinflußt ist“.343 Der Grundsatz, daß die Umsetzung eigener 339
So bereits Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 13. Beschluß v. 9.11.1999, Az. 5/2 Kls 92. Js 23140.2/98, NJW 2000, S. 301 f.; vgl. auch LG Stuttgart, Urteil v. 30.08.2002, BKR 2003, S. 167 f., welches zu Recht von BGH, Urteil v. 6. November 2003 – 1 StR 24/03 Karlsruhe, aufgehoben wurde. 341 M. Weber, NJW 2000, S. 562 ff.; ders., NZG 2000, S. 113 ff.; Volk, BB 1999, S. 66 ff.; ders., ZIP 1999, S. 787 ff. 342 Volk, BB 1999, S. 66, 67. 340
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
Entschlüsse straffrei ist, dürfe nicht nur für Unternehmensentscheidungen gelten, sondern müsse generell Anwendung im Insiderrecht finden.344 Zum anderen argumentiert M. Weber, geistige Vorgänge, wie ein Plan oder eine Auffassung, müßten erst vor Zeugen geäußert werden oder schriftlich niedergelegt werden, damit sie zu wahrnehmbaren Sachverhalten und somit zu Tatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG werden könnten.345 Daraus zieht er die Schlußfolgerung, daß selbstgeschaffene, innere Tatsachen (Absichten, Pläne) im Bereich der Eigennutzung, anders als bei der Ermöglichung der Fremdnutzung, grundsätzlich keine Insidertatsachen darstellen können.346 Bezogen auf den Fall des „Scalping“ hätte dies zur Konsequenz, daß der „Scalper“ selbst keine Insidertatsache ausnutzt, wenn er Wertpapiergeschäfte in der Absicht erwirbt, diese demnächst öffentlich zum Kauf zu empfehlen. Dagegen würde ein Dritter, der von der Empfehlungsabsicht des „Scalpers“ erfährt, bevor dieser sie realisiert hat, ein Insiderdelikt begehen, wenn er die geplante Empfehlung zum Anlaß nimmt, Wertpapiere zu erwerben. Volk lehnt die Rechtsauffassung des Gerichts ebenfalls ab. Dabei stützt er sich allerdings auf eine andere Argumentation als Weber. Während Weber die insiderrechtliche Relevanz des „Scalpings“ in erster Linie an der mangelnden Beweisbarkeit „innerer Tatsachen“ scheitern lassen will, wendet Volk sich gegen die Überlegung, daß die (beabsichtigte) Kundgabe eines Werturteils eine Tatsache sein soll. Die bloße Absicht, in Zukunft etwas zu sagen, könne vielmehr nur dann eine Tatsache sein, wenn auch der Inhalt der beabsichtigten Äußerung eine Tatsache enthält. Weil es sich aber bei den meisten Kaufempfehlungen der sog. „Scalper“ um persönliche Einschätzungen handeln dürfte, die jeglicher Tatsachenqualität entbehrten, könne das Wissen um die Absicht, diese Empfehlung gegenüber der Öffentlichkeit auszusprechen, ebenfalls keine Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG sein. Dies gelte nicht nur für einen Dritten, der von der beabsichtigten Empfehlung des Börsenanalysten weiß, sondern auch für den Empfehlenden selbst. Der Gesetzgeber habe sich nun einmal für die Unterscheidung von Tatsachen und Nicht-Tatsachen entschieden. Diese Entscheidung dürfe nicht dadurch umgangen werden, daß man den Vorgang der Meinungsäußerung als eine Tatsache qualifiziere. Zwar kommt es seiner Meinung nach nicht so sehr darauf an, wo genau die Grenze zwischen Tatsachen und NichtTatsachen verlaufe. Tatsächlich sei sogar eine Auflockerung des Tatsachenbegriffs bis zu einem gewissen Grad angesichts des insiderrechtlichen Schutzzwecks gerechtfertigt. Allerdings dürfe nicht jede bewertungsrelevante Informa-
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BT-Drucks. 12/6679, S. 47. M. Weber, NJW 2000, S. 562, 563. Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 17 Rn. 57. M. Weber, NJW 2000, S. 562, 563; ders., NZG 2000, S. 113, 124 f.
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tion als Tatsache gewertet werden, da ansonsten der Straftatbestand gegen Insiderhandel auf das Merkmal der Kursrelevanz reduziert werde. Schließlich sei auf die von Schäfer allgemein zur Problematik „selbstgeschaffener Insidertatsachen“ entwickelte Argumentation verwiesen. Danach steht § 13 Abs. 2 WpHG grundsätzlich der Annahme entgegen, daß eine Bewertung, die allein auf der Grundlage öffentlich bekannter bzw. frei zugänglicher Tatsachen vorgenommen wurde, als Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG qualifiziert werden kann. Stützt sich der vermeintliche „Scalper“ bei seiner Empfehlung ausschließlich auf der Öffentlichkeit bekannte Tatsachen, so kann auch die Absicht, eine solche Empfehlung abzugeben, nicht als Insidertatsache eingestuft werden, ohne daß der Regelungszweck des § 13 Abs. 2 WpHG unterlaufen werden würde. Im Ergebnis ist dem zuzustimmen. Das sog. „Scalping“ sollte – ungeachtet moralischer Bedenken gegen diese Handlungsweise – nicht als Insiderdelikt i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 WpHG eingeordnet werden. Dies würde in der Tat zu einer unkontrollierten Ausweitung des insiderrechtlichen Tatsachenbegriffs führen. Zudem verliert man bei dieser Betrachtungsweise den eigentlichen Zweck des Insiderrechts aus dem Auge. Die §§ 12–14, 38 WpHG sollen verhindern, daß informationell privilegierte Marktteilnehmer ihre Wissensvorsprünge für unverhältnismäßig hohe Gewinne im Anteilshandel ausnutzen. Dagegen ist es nicht Sinn und Zweck des Insiderrechts, das Anlegerpublikum vor egoistisch motivierten Kaufempfehlungen vermeintlicher Wertpapierexperten zu schützen. Das sog. „Scalping“ sollte daher nicht als ein Anwendungsfall des Insiderrechts, sondern des Kursmanipulationsverbotes angesehen werden.347 5. Gerüchte Schließlich ist im Rahmen des § 13 Abs. 1 WpHG umstritten, ob auch „Gerüchte“ die Qualität einer Tatsache haben können. Dies hängt entscheidend davon ab, ob man die individuelle Möglichkeit zur Verifikation zu den wesentlichen Eigenschaften einer Tatsache zählt.348 Denn ein Gerücht zeichnet sich typischerweise dadurch aus, daß es die Quelle seiner Herkunft nicht erkennen läßt und daher nur schwer auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüft werden kann.349 Zum Teil wird die Auffassung vertreten, Insidertatsachen könnten nur Informationen sein, die aus zuverlässiger Quelle stammen und damit vom jeweiligen 347
Im Ergebnis wohl auch Petersen, wistra 1999, S. 328 ff. Mit der „Möglichkeit zur Verifikation“ ist nicht die generelle Überprüfbarkeit des Informationsinhalts gemeint, sondern die individuelle Möglichkeit des Informationsempfängers, die Information zu verifizieren. 349 Assmann, AG 1998, S. 438. 348
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Informationsempfänger verifiziert werden können.350 Bloße „Gerüchte“ seien dagegen keine Tatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG. Begründet wird dies zum einen mit einem Verweis auf die normative Ähnlichkeit von Gerüchten und Werturteilen. In beiden Fällen enthalte die betreffende Information nur vage Aussagen, was dem Charakter einer Tatsache widerspreche. Zum anderen berufen sich die Vertreter dieser Auffassung auf die amtliche Begründung zum ursprünglichen Entwurf der EG-Insiderrichtlinie, wonach „einfache Gerüchte“ nicht als „präzise Informationen“ i. S. der Richtlinie anzusehen seien.351 Dagegen hat der Hess. VGH die Frage, ob ein Gerücht eine Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG sein kann, im Grundsatz bejaht.352 Nach Auffassung des Gerichts dient der Begriff der Tatsache in § 13 Abs. 1 WpHG lediglich der Abgrenzung gegenüber „Meinungen“ bzw. „Werturteilen“, nicht aber gegenüber „Gerüchten“. Den Begriff des „Gerüchts“ kenne das Wertpapierhandelsgesetz gar nicht. In der betreffenden Passage der Regierungsbegründung zu § 13 WpHG, in der aufgezählt wird, was nicht zum Tatsachenbegriff gehört, werde das „Gerücht“ nicht erwähnt. Auch das herkömmliche Verständnis des Tatsachenbegriffs spreche nicht gegen die Einbeziehung von Gerüchten. So würden Tatsachen im allgemeinen definiert als der äußeren Wahrnehmung zugängliche Geschehnisse oder Zustände. Die Frage der Beweisbarkeit hingegen spiele bei der Definition des Begriffs keine Rolle.353 Dies müsse auch schon deshalb so sein, weil § 13 Abs. 1 WpHG sich ausschließlich auf nicht-öffentlich bekannte Tatsachen beziehe. Sei eine Information nicht-öffentlich bekannt, so falle es dem Empfänger grundsätzlich schwer, den Wahrheitsgehalt der Information zu überprüfen.354 Schließlich führt das Gericht an, daß Zweifel am Wahrheitsgehalt nichts an der Tatsachenqualität einer Information ändern könnten. Entscheidend sei daher allein, ob der Inhalt des Gerüchts als eine Tatsachenmitteilung anzusehen sei. 350 Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 15; Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Band III, 1. Aufl. (Vorauflage), § 107 Rn. 21; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 1. Aufl. (Vorauflage), Rz. 14.98; zur Megede, in: Assmann/Schütze, § 14 Rn. 23; Claussen, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, Rn. 94; Assmann, in: Assmann/ Schneider, 1. Aufl. (Vorauflage), § 13 Rn. 34. 351 So Mennicke, BB 1999, S. 76, 77, siehe auch die Begründung zum ursprünglichen Entwurf der EG-Insiderrichtlinie, KOM [87] 111 v. 21.05.1987, abgedruckt in BT-Drucks. 11/2358. 352 VGH Kassel, Beschluß vom 16.03.1998, NJW-RR 1999, S. 120 f. Vgl. auch die Anmerkung von Mennicke, BB 1999, S. 75 ff. 353 Wie Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 33a zutreffend ausführt, wird das Gericht damit wohl die individuelle Möglichkeit des Informationsempfängers zur Verifikation gemeint haben. Dagegen ließe sich wohl nicht ernsthaft vertreten, die Verifizierbarkeit/Beweisbarkeit spiele für den Begriff der Tatsache generell keine Rolle. 354 Die Ausführungen des Gerichts ließen sich noch dahingehend ergänzen, daß wenn überhaupt nur Primärinsider aufgrund ihres direkten Zugriffs auf die Informationsquelle dazu in der Lage sein dürften.
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Dieser Auffassung hat sich nunmehr auch der überwiegende Teil des insiderrechtlichen Schrifttums angeschlossen.355 Dabei wird als weiteres Argument für die Einbeziehung von Gerüchten in den insiderrechtlichen Tatsachenbegriff angeführt, daß die bestehenden Zweifel an dem Wahrheitsgehalt kursierender Gerüchte die Verkehrsauffassung regelmäßig nicht davon abhalte, sie wie Tatsachen zu behandeln und zur Grundlage von Investitionsentscheidungen zu machen.356 Tatsächlich scheint es überzeugend, Gerüchte nicht dem Bereich von Meinungen, sondern dem von Tatsachen zuzuordnen, wenn ihr Inhalt einen Tatsachenkern enthält. Denn ein solches Gerücht unterscheidet sich von einer „echten“ Tatsachenmitteilung nur dadurch, daß sich sein Wahrheitsgehalt nicht mit abschließender Sicherheit überprüfen läßt, obwohl sein Inhalt an und für sich verifizierbar wäre. Würde man jede Information, über deren Wahrheitsgehalt Zweifel bestünden, aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts herausnehmen, so böten sich für Insider mannigfaltige Möglichkeiten der Verbotsumgehung. Dies zeigt bereits der Sachverhalt, den der Hess. VGH zu entscheiden hatte. Die vom Verfahren betroffene Person hatte behauptet, sie verfüge über keinerlei Insiderinformationen, weil „ernsthafte Zweifel“ an der Richtigkeit der an sie weitergeleiteten Information bestanden hätten. 6. Zusammenfassung und Bewertung Der Begriff der „Tatsache“ hat im WpHG eine erhebliche Aufweichung im Verhältnis zum herkömmlichen Verständnis erfahren. So können nach überwiegender Auffassungen nunmehr auch Meinungen, Werturteile und sogar Gerüchte dem Begriff der „Tatsache“ unterfallen. Im Gegensatz zum allgemeinen Strafrecht wird somit für das WpHG ein sog. „weiter“ Tatsachenbegriff vertreten. Angesichts dieser gesetzessystematischen Aufweichung stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber mit dem Begriff „Tatsache“ in § 13 Abs. 1 WpHG eine glückliche Wahl getroffen hat. Selbst Dreyling, Vizepräsident des ehemaligen BAWe, räumt ein, „es wäre möglicherweise von Vorteil gewesen, den Begriff der „präzisen Insiderinformation“ zu übernehmen, weil er besser den Umstand der Kenntnis eines Sachverhalts ausdrückt“.357 Im Ergebnis ist damit festzuhalten, daß praktisch jede übermittelte Nachricht als eine Tatsache i. S. des § 13 Abs. 1 WpHG zu qualifizieren ist, die eine inhaltlich nicht völlig bedeutungslose Aussage enthält.
355 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.87; Assmann, in: Assmann/ Schneider, § 13 Rn. 34a; Gehrt, S. 122; a. A. Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, Rn. 64. 356 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 34a. 357 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 16, Rn. 53.
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II. Nicht öffentlich bekannt Des weiteren handelt es sich bei Insidertatsachen nur um solche Informationen, die der Öffentlichkeit (noch) nicht bekannt sind. Allerdings definiert das Gesetz nicht ausdrücklich, wann eine Tatsache als öffentlich bekannt anzusehen ist. Nach der Regierungsbegründung zum 2. FMFG ist dies der Fall, wenn es einer unbestimmten Anzahl von Personen möglich ist, von ihr Kenntnis zu nehmen.358 Danach dürfte von der öffentlichen Bekanntheit einer Tatsache jedenfalls dann auszugehen sein, wenn sie nach dem für die Ad-hoc-Publizität vorgesehenen Verfahren veröffentlicht wurde. Gem. § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG sind ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsachen entweder durch Verbreitung in einer überregionalen Tageszeitung oder durch Herstellung der sog. „Bereichsöffentlichkeit“ dem Anlegerpublikum mitzuteilen. Unter Letzterem ist nach § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 WpHG die Unterrichtung der professionellen Handelsteilnehmer durch Einspeisung der Information in ein elektronisch betriebenes Informationssystem zu verstehen. Zur Herstellung der sog. Bereichsöffentlichkeit ist dagegen die Mitteilung der Information im Rahmen einer frei zugänglichen Pressekonferenz, in einer Hauptversammlung oder in einer Analystenkonferenz nicht ausreichend. Selbst die Verbreitung der Information über das Internet verhilft nach bisheriger Auffassung im deutschen Schrifttum nicht zur Herstellung der gewünschten (Bereichs-)Öffentlichkeit. Daher empfiehlt das BAWe, bei der Veröffentlichung von Insidertatsachen, die nicht zugleich den Tatbestand einer ad-hoc-publizitätspflichtigen Tatsache erfüllen, das von § 15 Abs. 3 WpHG vorgesehene Veröffentlichungsverfahren analog zu nutzen, um eine gleichmäßige und rechtmäßige Verbreitung sicherstellen zu können.359 Ekkenga weist in diesem Zusammenhang jedoch zutreffend daraufhin, daß die Frage nach dem Veröffentlichungserfolg von der nach der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung strengstens zu unterscheiden ist.360 Eine Tatsache gilt auch dann als öffentlich bekannt i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG, wenn bei ihrer Veröffentlichung zunächst gegen das insiderrechtliche Weitergabeverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) bzw. gegen das Publikationsverbot nach § 15 Abs. 3 S. 2 WPHG verstoßen wurde. Voraussetzung ist allein, daß sich de facto ein Veröffentlichungserfolg eingestellt hat.361
358
Vgl. BT-Drucks. 12/6679, S. 46. Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 24, Rn. 86. 360 Ekkenga, NZG 2001, S. 1, 3; siehe dazu auch Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 25 Rn. 84. 361 Zur Frage, ob ein Verhalten, das auf die Veröffentlichung einer Insiderinformation gerichtet ist, gegen das Weitergabeverbot i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG verstoßen kann, siehe oben 1. Teil, 1. Abschnitt, B. III. 359
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III. Bezug zu Emittenten bzw. Insiderpapieren § 13 Abs. 1 WpHG verlangt darüber hinaus, daß die betreffende Information sich „auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf Insiderpapiere bezieht“. Dies entspricht weitgehend dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 der EG-Insiderrichtlinie, wonach eine Insider-Information „einen oder mehrere Emittenten von Wertpapieren oder ein oder mehrere Wertpapiere“ betreffen muß. Während die beiden ersten Elemente der Insidertatsachendefinition, der Tatsachenbegriff und das Merkmal der fehlenden öffentlichen Bekanntheit, eher formale Abgrenzungskriterien sind, scheint dieses Merkmal auch materiell den Kreis tauglicher Insiderinformationen von anderen Informationen abgrenzen zu wollen. Zumindest ist bei der Prüfung des Merkmals „Emittenten- bzw. Wertpapierbezug“ in erster Linie auf den Inhalt der betreffenden Information abzustellen. Dieses Merkmal könnte deshalb geeignet sein, Insiderinformationen gegenüber anderen Informationen abzugrenzen. 1. Emittentenbezogene Tatsachen Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG sind zunächst diejenigen kurssensiblen, nicht-öffentlich bekannten Tatsachen, die sich auf einen oder mehrere Emittenten beziehen. Das sind in erster Linie Informationen, die unmittelbar im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sind und die daher grundsätzlich auch im Wege der Ad-hoc-Publizität zu veröffentlichen sind. Doch ist klarzustellen, daß das Merkmal des „Emittentenbezugs“ keinesfalls mit den in § 15 Abs. 1 WpHG geforderten „Auswirkungen“ gleichzusetzen ist, die eine ad-hocpublizitätspflichtige Tatsache „auf die Vermögens-, Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten“ haben muß. Das Merkmal ist nach der Regierungsbegründung zum 2. FMFG vielmehr bereits dann erfüllt, wenn die Tatsache für die Vermögens- oder Ertragslage des Emittenten erheblich ist bzw. in Zukunft noch sein wird.362 Insofern besteht ein entscheidender Unterschied zur ad-hoc-publizitätspflichtigen Tatsache, was sich vor allem im Rahmen mehrstufiger Unternehmensentscheidungen auswirkt. Während eine Insidertatsache bereits dann vorliegen kann, wenn der unternehmensinterne Entscheidungsprozeß noch nicht abgeschlossen ist, liegt eine nach § 15 Abs. 1 WpHG veröffentlichungspflichtige Tatsache grundsätzlich erst an dessen Ende vor.363
362
Vgl. die Regierungsbegründung zum 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46. A. A. lediglich Burgard, ZHR 162 (1998), S. 51, 67, der dem Merkmal „Auswirkungen auf die Vermögens- und Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten“ keinerlei Bedeutung für die Frage beimißt, wann die Ad-hoc-Publizität entsteht. 363
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Deshalb ist nach überwiegender Auffassung der von § 13 Abs. 1 WpHG geforderte Emittentenbezug nicht nur bei solchen Tatsachen gegeben, die unmittelbar im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sind (interne Informationen). Vielmehr läßt sich der Emittentenbezug auch für solche Informationen bejahen, die sich noch im weiteren Sinne der Unternehmenssphäre des betreffenden Emittenten zuordnen lassen (externe Informationen). Eine solche Information liegt beispielsweise vor, wenn ein anderes Unternehmen beabsichtigt, das in Frage stehende Unternehmen zu übernehmen.364 Diese Information ist zwar nicht im Tätigkeitsbereich des (Ziel-)Unternehmens eingetreten, dennoch ist sie auch seiner Sphäre zuzuordnen. 2. Wertpapierbezogene Tatsachen Alternativ zum Emittentenbezug läßt die Gesetzesformulierung in § 13 Abs. 1 WpHG es genügen, wenn sich die Tatsache allein auf die vom Emittenten ausgegebenen Wertpapiere bezieht. Ein Beispiel für eine rein wertpapierbezogene Tatsache, die zudem von erheblicher Kursrelevanz sein kann, ist die jeweils aktuelle Orderlage für ein bestimmtes Wertpapier.365 Vor allem Kursmakler sind in der Vergangenheit häufig der Versuchung erlegen, im Wege des sog. „Frontrunning“ die Kenntnis von einer größeren Order eines Dritten, die geeignet ist, den Kurs der betroffenen Papiere im Falle ihres Bekanntwerdens erheblich zu beeinflussen, für den Kauf eigener Papiere auszunutzen.366 Als weitere Beispiele für Sachverhalte, deren Kursrelevanz sich unmittelbar aus ihren Auswirkungen auf die Wertpapiere selbst ergibt, werden die vorzeitige Kündigung von Anleiheemissionen und die Umwandlung vinkulierter Namensaktien in Inhaberaktien genannt.367 3. Sogenannte Marktdaten Nach allgemeiner Auffassung erfaßt das Merkmal des „Emittenten- bzw. Wertpapierbezugs“ aber nicht nur Tatsachen, die sich mehr oder weniger zielgerichtet auf einen oder mehrere Emittenten bzw. deren Wertpapiere beziehen, sondern auch solche Tatsachen, die sich bloß mittelbar auf die Verhältnisse der Emittenten und/oder deren Wertpapiere auswirken können.368 Dabei handelt es 364 Dieses Beispiel wird auch in der Begründung zum ursprünglichen Entwurf der EG-Insiderrichtlinie, KOM [87], 111 v. 21.05.1987, abgedruckt in BT-Drucks. 11/ 2358, genannt. 365 Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 86/87; Kümpel, in: Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.90; Claussen, DB 1994, S. 27, 30. 366 Vgl. den Jahresbericht 1999 des BAWe, S. 21. 367 Kümpel, in: Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16, 88, vgl. aber auch BT-Drucks. 12/6679, S. 46.
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sich in erster Linie um Informationen über die allgemeinen Rahmenbedingungen des Marktes, sog. „Marktdaten“, die eine Vielzahl von Emittenten und Wertpapieren betreffen. Dazu zählen u. a. Entscheidungen der EZB zur Änderung der Leitzinsen, besondere politische Vorkommnisse, die sich auch auf das Marktgeschehen auswirken, oder aber auch naturwissenschaftliche Entdeckungen, die für die entsprechenden Unternehmensbranchen von besonderer Relevanz sein können.369 Diese außerordentlich weite Interpretation des Merkmals „Emittenten- bzw. Wertpapierbezug“ wird zum einen mit dem Sinn und Zweck des Insiderrechts gerechtfertigt. Zum anderen wird aber auch darauf verwiesen, daß jede andere Sichtweise gegen das Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung verstoßen würde. Dieses zweite Argument ist auf den ersten Blick nicht sofort einsichtig, denn der Wortlaut der EG-Insiderrichtlinie entspricht bezüglich dieses Merkmals weitgehend dem der deutschen Regelung.370 Allerdings geht aus den Materialien zur EG-Insiderrichtlinie hervor, daß auch Marktdaten vom europäischen Insiderrecht erfaßt werden sollten. Hausmaninger weist zutreffend darauf hin, daß nach der Begründung zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag, der bezüglich des hier in Frage stehenden Merkmals im wesentlichen der endgültigen Richtlinienfassung entspricht, auch „Informationen, die geeignet sind, den Markt als solchen zu beeinflussen“, vom Tatbestandsmerkmal „Insiderinformation“ mit umfaßt werden sollten.371 4. Verbleibende Bedeutung des Merkmals Die zuletzt getroffene Feststellung gibt Anlaß zu der Frage, ob dieses Merkmal überhaupt geeignet ist, bestimmte Informationen aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts auszuschließen. Assmann verneint dies und schlägt vor, die „Bemühungen zur Konkretisierung des Merkmals des Emittenten- oder Insiderpapier-Bezugs im Hinblick auf die Trennung der Insidertatsachen von anderen Tatsachen aufzugeben“.372 Dies scheint auch die Auffassung des Amtsge368 Kümpel, in: Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.88; Hopt, ZGR 1991, S. 17, 31; Assmann, AG 1994, S. 237, 243; ders., in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 51/52; Caspari, ZGR 1994, S. 530, 540; Claussen, DB 1994, S. 27, 30; Immenga, ZBB 1995, S. 197, 202. 369 Zum Versuch einer Kategorisierung der verschiedenen Marktdaten vgl. Tippach, WM 1993, S. 1269, 1271. 370 Weder aus dem Wortlaut „betreffen“ (Art. 2 Abs. 1 der EG-Insiderrichtlinie) noch aus der Formulierung „beziehen“ (§ 13 Abs. 1 WpHG) läßt sich ein Auslegungsergebnis herleiten, daß zwingend für oder gegen eine Einbeziehung von Marktdaten spricht. 371 Hausmaninger, Insider Trading, S. 204 mit Verweis auf die Begründung zum ursprünglichen Richtlinienentwurf, KOM [87] 111, S. 5, abgedruckt in BT-Drucks. 11/ 2358.
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richts Köln zu sein, das bei seinen Bemühungen, den Begriff der Insidertatsache näher zu definieren, nur noch zwischen den Elementen der „Tatsache“, dem „Fehlen öffentlicher Bekanntheit“ und der „Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung“ unterscheidet.373 Dagegen will Tippach dem Merkmal des „Emittenten- bzw. Wertpapierbezugs“ trotz seiner inhaltlichen Weite weiterhin eine eigenständige Bedeutung beimessen.374 Dazu schlägt er vor, nur solche kurssensiblen Marktdaten als Insidertatsachen zu qualifizieren, deren Kursrelevanz sich auf einen „fest umrissenen Kreis von Wertpapieren“ bezieht.375 Dieser Auslegungsvorschlag vermag jedoch nicht zu überzeugen. Er ist weder sachlich gerechtfertigt noch dazu geeignet, eine sinnvolle Abgrenzung insiderrechtlich relevanter Sachverhalte vorzunehmen.376 Im Ergebnis ist damit kein einziger Fall denkbar, in dem sich eine kursrelevante Tatsache nicht auf einen bzw. mehrere Emittenten oder auf die von ihnen emittierten Wertpapiere bezieht, mit der Folge, daß diesem Merkmal auch in Zukunft keine entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen dürfte. IV. Erhebliches Kursbeeinflussungspotential Das vierte und zugleich wichtigste Merkmal, das eine Insider-Information von einer gewöhnlichen, frei verwertbaren Information unterscheidet, ist das der Kurserheblichkeit. Gem. § 13 Abs. 1 WpHG muß eine Insider-Tatsache geeignet sein, im Falle ihrer Veröffentlichung den Kurs der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Im Vergleich zu den Tatbestandselementen des Insidertatsachenbegriffs verdient dieses Merkmal zum einen deshalb erhöhte Aufmerksamkeit, weil seine Auslegung ungleich schwieriger ist als die der anderen Merkmale. Zum anderen ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Rechtsbegriff der Kurserheblichkeit deshalb geboten, weil sich in vielen Fällen die insiderrechtliche Relevanz des Sachverhalts letztlich an diesem Merkmal entscheidet. Das Merkmal der „Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung“ wird z. T. als ein einheitlicher Rechtsbegriff verstanden und auch so ausgelegt.377 Näher liegt 372 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 55; ders., AG 1994, S. 243; zustimmend Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.109 und Hopt, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, Band III, § 107, Rn. 23. 373 So die Ausführungen von Marxen in seiner Anmerkung zum Urteil des AG Köln v. 20.03.2000, EWiR 2000, S. 885, 886. 374 Tippach, WM 1993, S. 1269, 1271; wohl auch Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 88. 375 Tippach, WM 1993, S. 1269, 1271. 376 Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Band III, § 107, Rn. 23; Kümpel, in: Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.92. 377 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 60.
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es, zwischen der „Eignung zur Kursbeeinflussung“ und der „Erheblichkeit“ dieses Potentials zu differenzieren. Denn es gibt keinen Grund, eine solche Differenzierung nicht vorzunehmen. Zudem erleichtert sie die Auseinandersetzung mit den verschiedenen, im Schrifttum vertretenen Auslegungsvorschlägen deutlich.378 Deshalb soll zunächst die Eignung zur Kursbeeinflussung (1.) und alsdann die Erheblichkeit dieses Kursbeeinflussungspotentials (2.) untersucht werden. 1. Eignung zur Kursbeeinflussung Mit der Formulierung „Eignung zur Kursbeeinflussung“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, daß es für das Vorliegen dieses Merkmals nicht darauf ankommt, ob die Veröffentlichung der Insider-Tatsache tatsächlich zu einem Kursausschlag führt. Es genügt vielmehr, wenn im Zeitpunkt der Insiderhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, daß es im Falle der Veröffentlichung der Information zu einer Kursbewegung kommen wird. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmals ist also eine ex-antePerspektive. Der Insider muß eine prognostische Beurteilung vornehmen, ob unter der Annahme einer Publizierung der Insidertatsache wahrscheinlich eine (erhebliche) Kursveränderung eintreten würde. Umstritten ist, welcher Maßstab an den Erfahrungshorizont des Prognostizierenden anzulegen ist. Während eine Meinung mit Rücksicht auf die ungleiche Verteilung von Analysefähigkeiten im Anteilshandel auf das Wissen eines durchschnittlichen Kleinanlegers abstellen will379, ist nach anderer Auffassung bei der Einschätzung der Kursbeeinflussungspotentials vom Erfahrungshorizont eines börsenkundigen Anlegers auszugehen.380 Zur Rechtfertigung ihres Standpunktes können sich die Vertreter der „strengen“ Auffassung auf eine Passage aus der Regierungsbegründung zum 2. FMFG berufen.381 Darin weist der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität darauf hin, daß die Emittentenvertreter sich notfalls den Rat einer emissionsbegleitenden Bank oder einer anderen kapitalmarkterfahrenen Person einholen müssen, um die Kurserheblichkeit einer Tatsache, die im Tätigkeitsbereich ihres Unternehmens eingetreten ist, beurteilen zu können. Weil das Merkmal der 378 Auch Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 63, weicht insofern von seiner einheitlichen Betrachtungsweise ab, als er zwischen der Frage der Kurserheblichkeit und der Prognose über die Eignung differenziert. Ebenso Loesche, S. 63 ff. 379 Assmann, in: Assmann/Schneider, (Vorauflage), § 13 Rn 65, 66; Dickersbach, S. 170; Pananis, S. 112 ff.; Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 13 Rn. 58; Schlüter, S. 165 Rn. 84. 380 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 65c; Gehrt, S. 162; Loesche, S. 130 ff. 381 Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 48.
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„Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung“ in beiden Teilgebieten des WpHG identisch ist, wird gefordert, daß auch im Insiderrecht bei der Bestimmung dieses Merkmals von den Analysefähigkeiten eines Börsenexperten auszugehen sei. Dies hat zur Konsequenz, daß die objektive Bestimmung dieses Merkmals in Zweifelsfällen nicht von einem Laien vorgenommen werden kann. Dem durchschnittlichen Handelsteilnehmer ist die Möglichkeit genommen, sich selbst über seine rechtlichen Befugnisse zu informieren. De facto wird daher ein unerfahrener Börsenanleger, soweit er eines Insidervergehens verdächtigt wird, sich regelmäßig auf einen Tatbestandsirrtum berufen können. 2. Erheblichkeit der Kursbeeinflussung Nach der gesetzlichen Formulierung genügt es nicht, daß die Veröffentlichung der Information „irgendeine“ Kursbewegung auslösen wird. Vielmehr wird wegen des Wortes „erheblich“ überwiegend ein besonders starker Kursausschlag verlangt.382 Mit dem Erfordernis der „Erheblichkeit“ des Kursbeeinflussungspotentials sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers „Bagatellfälle“ aus dem Anwendungsbereich der insiderrechtlichen Handlungsverbote ausgeschlossen werden.383 Es soll vermieden werden, daß praktisch jede nicht-öffentlich bekannte Information zur Insidertatsache wird, selbst wenn sie allenfalls zu geringfügigen Kursbewegungen führen könnte.384 Ansonsten – so wird in der Begründung zum ursprünglichen Richtlinienentwurf befürchtet – könnten „die Leiter und sogar die meisten Beschäftigten der börsennotierten Gesellschaften niemals Transaktionen mit Wertpapieren ihrer Gesellschaft tätigen“, ohne sich dem Verdacht des Insiderhandels auszusetzen.385 Obwohl also weitgehend Einigkeit darüber besteht, daß nicht jede kurssensible Information vom Anwendungsbereich des Insiderrechts erfaßt werden soll, konnten bislang weder die genaue Höhe der insiderrechtlichen Erheblichkeitsschwelle noch der Maßstab, woran die Erheblichkeit des Kursbeeinflussungspotentials zu messen ist, bestimmt werden. Insofern hat sich die von Caspari 386 geäußerte Prognose nicht bewahrheitet, daß schon kurze Zeit nach Erlaß des WpHG mit einem klar umrissenen Bild dessen zu rechnen sei, was als kurs382 A. A. sind lediglich die Vertreter der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, dazu näher unten 1. Teil, 3. Abschnitt, A. IV. 2. c). 383 BT-Drucks. 12/6679, S. 46/47. 384 BT-Drucks. 12/6679, S. 46/47. 385 So die Begründung zum ursprünglichen Entwurf der EG-Insiderrichtlinie, KOM (87), 111 v. 21.05.1987, abgedruckt in BT-Drucks. 11/2358. 386 Caspari, in: Baetge (Hrsg.), S. 65, 73: „Ich bin zuversichtlich, nach einer gewissen Eingewöhnungsphase wird Anschauungsmaterial in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.“
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erheblich anzusehen sei und was nicht. Das Gesetz selbst läßt völlig offen, welche Kursveränderungen als erheblich anzusehen sind. Im Schrifttum bestehen zur Zeit unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die insiderrechtliche Erheblichkeitsschwelle zu bestimmen ist. Im wesentlichen haben sich drei Auslegungsvorschläge herauskristallisieren können, von denen einer für eine fixe Prozentgrenze [a)] und zwei für flexiblere Erheblichkeitskriterien plädieren [b) und c)]. a) Fixe Prozentgrenze Zu Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Erheblichkeitsmerkmal wurde überwiegend ein Auslegungsansatz vertreten, der die insiderrechtliche Relevanzschwelle pauschal bei einem Kursausschlag von mindestens 5% als überschritten ansah.387 Bei der Wahl dieses Wertes orienterte man sich an § 8 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse, wonach ein Kursmakler die Börsenteilnehmer über erhebliche Kursveränderungen informieren muß (sog. Plus- und Minusankündigungen).388 Nach dieser Vorschrift ist eine erhebliche Kursveränderung für festverzinsliche Wertpapiere bei einer Abweichung von 1,5%, für Aktien bei einer Abweichung von 5% und bei Optionsscheinen bei einer Abweichung von 10% vom Kurswert gegeben. Als entscheidendes Argument für eine derartige, pauschalierte Betrachtungsweise wurde die für die Praxis relativ einfache Handhabung angeführt, die zudem für mehr Rechtssicherheit sorgen sollte. Heute wird dieser Ansatz, zumindest in seiner Stringenz, kaum noch vertreten. Nach nunmehr überwiegender Auffassung trägt ein einheitlicher, „starrer“ Prozentsatz den Realitäten des Kapitalmarktes nicht angemessen Rechnung.389 Es seien so viele andere Kriterien zu berücksichtigen, die neben der in Frage stehenden Information zeitgleich Einfluß auf den Kurs des Wertpapiers nehmen könnten, daß es nicht vertretbar sei, pauschal auf einen festen Prozentsatz für alle an der Börse gehandelten Wertpapiere abzustellen. Selbst die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist im Rahmen ihrer Überwachungstätigkeit mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, daß es nicht möglich ist, einen bestimmten Prozentsatz als Indikator für eine erhebliche Kursrelevanz zu nutzen.390 Abweichend von seiner ursprünglichen Auffassung beurteilt das Amt 387 Assmann, AG 1994, S. 237, 244; ders., ZGR 1994, S. 494, 514 f.; Claussen, ZBB 1992, S. 267, 277; Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135, 154 f.; Immenga, ZBB 1995, S. 197, 203; U. Weber, BB 1995, S. 157, 164. 388 Die Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse sind u. a. abgedruckt bei Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Band 2, Kennzahl 450. 389 Vgl. Kümpel, WM 1996, S. 653, 656, der in bezug auf die Bestimmbarkeit des Kursbeeinflussungspotentials anhand von festen Prozentsätzen eine Umfrage unter Praktikern durchgeführt hat. 390 Vgl. Jahresbericht 2000 des BAWe, S. 19.
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die Eignung einer Tatsache zur erheblichen Kursbeeinflussung nicht mehr isoliert, sondern unter Berücksichtigung weiterer Einflußfaktoren, wie z. B. der Volatilität des betreffenden Papiers und der branchenspezifischen Entwicklung insgesamt. Allein Loistl spricht sich trotz der genannten Bedenken weiterhin für eine starre Prozentgrenze in Höhe von 5% aus. Als Berechnungsmaßstab stellt er jedoch nicht auf die Plus/Minusankündigungen der Kursmakler ab, sondern auf die durch die neue Information zu erwartende Veränderung des nach der sog. DVFA/SG-Methode391 berechneten Jahresergebnisses pro Aktie.392 Danach ist von der Kurserheblichkeit einer Tatsache i. S. von § 13 WpHG auszugehen, wenn die Tatsache geeignet ist, eine Veränderung des Ergebnisses je Aktie im jeweils laufenden Jahr oder im Folgejahr um über 5% gegenüber dem Vorjahr herbeizuführen.393 Als Argument für den von ihm vorgeschlagenen Berechnungsmaßstab führt er an, das zu erwartende Jahresergebnis pro Aktie sei für Aktionäre die wichtigste Kennziffer zur Beurteilung einer Aktie.394 Die meisten Anleger würden ihr Investitionsverhalten an diesem Wert ausrichten. Daher bestehe praktisch ein Gleichlauf zwischen Gewinn- und Kursveränderungen. Falle etwa die Gewinnprognose je Aktie um 5%, so sei mit einem vergleichbar hohen Kursverlust an der Börse zu rechnen. Die Börsenpraxis zeigt, daß Loistl mit seiner Einschätzung, was den Zusammenhang von Gewinnerwartung und Kursverlauf betrifft, recht hat. So haben gerade in der jüngsten Vergangenheit Prognosekorrekturen zu erheblichen Kursveränderungen an der Börse geführt. Korrigiert ein Unternehmen seine anfänglich aufgestellte Gewinnprognose für das kommende Geschäftsjahr innerhalb des maßgebenden Zeitraums nach unten, so kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß der Markt mit drastischen Verkäufen reagieren wird. Trotz des engen Bezugs von Gewinn- und Kursveränderungen scheint der Auslegungsvorschlag von Loistl für die Praxis dennoch nicht geeignet.395 Neben den bereits genannten allgemeinen Bedenken, die gegenüber einer fixen Prozentgrenze geäußert werden, bestehen auch erhebliche Zweifel an der Praktikabilität des Berechnungsmaßstabes.396 So sind für die Berechnung des DVFA/SG-Ergebnisses detaillierte Informationen über die Situation des Unter391 Die DFVA/SG-Berechnungsmethode beruht auf dem sog. „Dividend Discount Model“. Siehe dazu noch ausführlich den zweiten Teil der Arbeit. 392 Loistl, Die Bank 1995, S. 232, 235; ders., in: Claussen/Schwark, S. 80, 94; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 180 f. u. S. 217 f. 393 Loistl, in: Claussen/Schwark, S. 80, 94. 394 Loistl, in: Claussen/Schwark, S. 80, 93. 395 So auch Loesche, WM 1998, S. 1849, 1851; Pellens/Fülbier, in: Baetge (Hrsg.), S. 23, 44 f. 396 Kritisch gegenüber dem Auslegungsvorschlag von Loistl insbesondere Pellens/ Fülbier, in: Baetge (Hrsg.), S. 23, 44 f. und Loesche, WM 1998, S. 1849, 1851.
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nehmens erforderlich, die weit über das gewöhnliche Maß der gesetzlichen Kapitalmarktpublizität hinausgehen.397 Die Berechnung des DVFA/SG-Ergebnisses hängt also davon ab, ob ein Unternehmen bereit ist, die dafür notwendigen Informationen freiwillig dem Börsenpublikum mitzuteilen. Die Daten, die zur Berechnung des DVFA/SG-Ergebnisses benötigt werden, sind daher für Externe nicht immer verfügbar.398 Würde man das DVFA/SG-Ergebnis zur Bestimmung des Kurserheblichkeitsmerkmals heranziehen, wären Fälle denkbar, in denen unternehmensexterne Personen die Kursrelevanz einer Information nicht genau einschätzen könnten. Dies wäre deshalb problematisch, weil das deutsche Insiderrecht den Kreis potentieller Insider nicht auf Unternehmensangehörige beschränkt, sondern auf alle Kapitalmarktteilnehmer ausgeweitet hat. Darüber hinaus erscheint das DVFA/SG-Ergebnis als Bemessungsgröße auch deswegen ungeeignet, weil sich seine Berechnung ausschließlich auf unternehmensinterne Daten stützt, die zudem Auswirkungen auf die Ertragslage des Unternehmens haben müssen. Der besondere Charakter des DVFA/SG-Ergebnisses ist dadurch gekennzeichnet, daß sämtliche außerordentlichen und branchenfremden Ergebnisbestandteile aus dieser Kennzahl herausgerechnet werden.399 Dies steht jedoch im Widerspruch zum Anwendungsbereich des Insidertatsachenbegriffs. Wie bereits dargelegt erfaßt § 13 Abs. 1 WpHG zum einen auch Informationen, die nicht aus der Sphäre des einzelnen Unternehmens stammen (sog. Marktinformationen). Zum anderen müssen sich unternehmensinterne Insidertatsachen nicht zwingend auf die Ertragslage des jeweiligen Unternehmens auswirken. Anders als der Tatsachenbegriff der Ad-hoc-Publizität kann sich die Kurserheblichkeit einer Insiderinformation auch aus nicht unmittelbar vermögensrelevanten Ereignissen ergeben. Zu denken wäre etwa an wichtige Personalveränderungen im Vorstand bzw. Aufsichtsrat des Unternehmens. Die Anwendung des DVFA/SG-Ergebnisses würde daher zu einer deutlichen Tatbestandsverkürzung des § 13 Abs. 1 WpHG führen.400 Auch Loistl selbst scheint dies nunmehr erkannt zu haben und beschränkt daher den Anwendungsbereich seines Auslegungsvorschlags auf die Bestimmung der Kurserheblichkeit „unternehmensbezogener Ereignisse“.401 b) Variable Prozentsätze Wegen der Defizite, die eine feste Prozentsatzgrenze bei der Beurteilung der Kurserheblichkeit von potentiellen Insider-Informationen mit sich bringt, wird 397 Loesche, WM 1998, S. 1849, 1851; zu Inhalt und Umfang der gesetzlichen Kapitalmarktpublizität vgl. noch ausführlich den zweiten Teil der Arbeit. 398 Schmidt/Schramm, in: Gerke/Steiner (Hrsg.), S. 567, 571. 399 Pellens/Fülbier, in: Baetge (Hrsg.), S. 23, 45. 400 Pellens/Fülbier, in: Baetge (Hrsg.), S. 23, 45. 401 Loistl, in: Claussen/Schwark, S. 80, 94.
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vorgeschlagen, die Höhe der Erheblichkeitsschwelle für jedes Papier individuell zu bestimmen.402 Der ursprünglich genannte Wert von 5% dient dann nur noch als Ausgangspunkt der Berechnungen. Zudem könne der für ein einzelnes Wertpapier ermittelte Prozentsatz mit der Zeit variieren. Bevor also eine noch unveröffentlichte Information auf ihre Kurserheblichkeit hin untersucht werden könne, müsse zunächst immer erst die Prozentsatzgrenze festgesetzt werden, an der die Erheblichkeit der Information zu messen ist. Die Frage, ob eine Tatsache in erheblichem Maße kursbeeinflussend ist, muß nach dieser Ansicht also für jeden Einzelfall neu und unter Zugrundelegung der allgemeinen Lebenserfahrung ermittelt werden. Dabei müssen sowohl die charakteristischen Besonderheiten des Wertpapiers selbst als auch äußere Einflußfaktoren ausreichend Berücksichtigung finden. Erst wenn alle kursbeeinflussenden Faktoren analysiert wurden, könne eine Prozentgrenze für das jeweilige Insiderpapier festgelegt werden. Im Rahmen einer solchen Einzelfallbetrachtung spielt nach weit verbreiteter Auffassung vor allem die Volatilität des Wertpapiers eine große Rolle.403 Denn statistische Erhebungen darüber, wie sensibel der Kurswert eines Wertpapiers auf in der Vergangenheit liegende Ereignisse reagiert hat, können häufig über das Ausmaß der künftig zu erwartenden Kursbewegungen Aufschluß gegeben. So ist anzunehmen, daß ein Papier, das bislang äußerst sensibel auf neue Informationen reagiert hat, auch in Zukunft so reagieren wird. Das Kursbeeinflussungspotential einer Information müsse daher immer in Relation zur üblichen Kursschwankungsbreite des Papiers bewertet werden. Loesche greift diesen Gedanken auf und erklärt die Erheblichkeitsschwelle immer dann für überschritten, wenn der zu erwartende Kursausschlag voraussichtlich über den sonst üblichen Volatilitätsgrenzen des betreffenden Wertpapiers liegen wird.404 Unter Rückgriff auf Erkenntnisse der Finanzmathematik berechnet er dafür zunächst die Oberund Untergrenze des üblichen Renditeschwankungsbereichs. Sollte der prognostizierte Kursausschlag einen der so errechneten Grenzwerte über- bzw. unterschreiten, sei das Kurspotential der Information als erheblich anzusehen.405 Nach anderer Auffassung ist die übliche Volatilität des Papiers nicht der einzige und entscheidende Faktor, den es bei der Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle zu berücksichtigen gilt. Auch äußere Einflüsse, wie vor allem die Li402 Gehrt, S. 153 f.; Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135, 154; Kümpel, WM 1994, S. 2137, 2141; ders., Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.122; Claussen, ZBB 1992, S. 267, 278; Schwark, ZBB 1996, S. 261, 263; Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 13 Rn. 62; Schlüter, S. 165 Rn. 86. 403 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz.16.122; BAWe/Deutsche Börse AG, Leitfaden zu den Insiderhandelsverboten und der Ad-hoc-Publizität, S. 38. 404 Loesche, S. 149 ff.; ders., WM 1998, S. 1849, 1852; wohl auch Süßmann, AG 1997, S. 63, 64 und Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 13 Rn. 64. 405 Loesche, WM 1998, S. 1849, 1852.
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quidität des Marktsegmentes, in dem das betreffende Papier gehandelt wird, müßten in die Einzelfallbewertung miteinbezogen werden.406 So nimmt die Liquidität des Marktes, auch „Markttiefe“ genannt, großen Einfluß auf die Volatilität der gehandelten Wertpapiere. Je mehr Anleger sich am Handel des betreffenden Papiers beteiligen, umso kleiner sind die zu erwartenden Kursschwankungen. Nach Ansicht von Dreyling dürfte in Marktsegmenten mit hoher Liquidität der Erheblichkeitsgrad schon bei einem Kursausschlag von ein bis zwei Prozent des Kurswertes erreicht sein. Dagegen sei bei Marktsegmenten mit niedriger Liquidität erst bei einer Abweichung von mehr als fünf Prozent von einer erheblichen Kursbewegung i. S. des § 13 Abs. 1 WpHG auszugehen.407 Schließlich wird als ein weiterer zu beachtender Faktor die Kursentwicklung vergleichbarer Papiere genannt. Im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung verbiete es sich, die Kursänderung des Insiderpapiers isoliert zu analysieren. Vielmehr müsse die zu erwartende Kursbewegung des Insiderpapiers in Relation zu vergleichbaren Wertpapieren, etwa derselben Branche oder desselben Marktindex, untersucht werden. Die Beobachtung der branchenspezifischen Entwicklung gibt Aufschluß darüber, welchem Markttrend das betreffende Insiderpapier im Zeitpunkt der vorzunehmenden Prognose unterliegt. Diese Kenntnis ermöglicht ein bessere Einschätzung des Kurseffekts, den die Information im Falle ihrer Veröffentlichung haben könnte. Es ließe sich noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren nennen, die es den Handelsteilnehmern erleichtern, den Kurseffekt einer Insiderinformation einzuschätzen. Doch selbst wenn sämtliche kursbeeinflussende Faktoren erkannt und zutreffend berücksichtigt werden, verfügt die betreffende Person immer noch nicht über ein geeignetes Richtmaß, an dem sie die Frage der insiderrechtlichen Erheblichkeit messen kann. Zwar kann der Insider nun ungefähr abschätzen, wie stark der Kursausschlag sein wird und ob es sich dabei im Verhältnis zu vorhergehenden Kursschwankungen um herausragende Auswirkungen handeln wird, jedoch vermag auch die Einzelfallbetrachtung in Grenzfällen kein geeignetes Abgrenzungskriterium bereitzustellen. Wie Benner zutreffend ausführt408, ist zwar die Abkehr von einer „starren“ Prozentgrenze begrüßenswert, jedoch führt die Einzelfallbetrachtung in noch größere (Rechts-)Unsicherheit. Vor allem unter strafrechtlichen Gesichtspunkten ist es dem betroffenen Insider nicht zuzumuten, daß er in dem Zeitpunkt, in dem er über ein Engagement im Anteilshandel nachdenkt, im Wege einer Einzelfallbetrachtung den Prozentsatz selbst bestimmt, bei dem die Erheblichkeitsschwelle für das von ihm avisierte 406 Schlüter, S. 166 Rn. 88; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.123; Fürhoff/Wölk, WM 1997, S. 449, 455. 407 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 20/21, Rn. 69. 408 Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 91.
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Insiderpapier überschritten sein soll. Im Ergebnis entfernt sich daher die Einzelfallbetrachtung noch weiter von dem Bedürfnis nach klaren Auslegungsvorgaben als es der Vorschlag für eine fixe Prozentgrenze in Höhe von 5% tut. c) Theorie des „Handlungsanreizes“ Nicht zuletzt wegen der Unsicherheiten, die mit der Verwendung von Prozentgrenzen verbunden sind, befürworten bei weitem nicht alle Vertreter aus Schrifttum und Praxis die Bestimmung der Kurserheblichkeit mit Hilfe von variablen Prozentgrenzen. Ein weiterer Grund für die offenkundige Zurückhaltung gegenüber variablen Prozentgrenzen dürfte sein, daß man in der Rechtswissenschaft finanzmathematischen Konkretisierungsversuchen, wie sie etwa Loesche und auch Loistl zur Berechnung der Prozentgrenzen vortragen, (noch) eher skeptisch gegenübersteht.409 Anstatt sich mit den recht aufwendigen Berechnungsmethoden für die variablen Prozentgrenzen auseinanderzusetzen, verwendet vor allem die Praxis immer häufiger eine vergleichsweise einfache, wirtschaftliche Betrachtungsweise, die sich weniger an Prozentgrenzen und mathematischen Formeln als an normativen Erwägungen orientiert. Danach ist der potentiell zu erwartende Kursausschlag immer dann als erheblich einzustufen, wenn die in Frage stehende Information für den Insider einen „lohnenden Anreiz“ dafür darstellt, ein entsprechendes Wertpapiergeschäft abzuschließen.410 Oder anders formuliert, eine Tatsache ist erst dann insiderrechtlich relevant, wenn sie bei einem kapitalmarkterfahrenen Anleger die Erwartung zu wecken vermag, daß sich mit dem Kauf der Insiderpapiere ein Sondervorteil erzielen lasse.411 Im Ergebnis führt diese Sichtweise dazu, daß sich die „Erheblichkeit“ des Kursbeeinflussungspotentials danach bemißt, inwieweit sich mit der Verwertung der Information ein Gewinn erzielen läßt.412 Während das Kriterium des „Handlungsanreizes“ ursprünglich als bloße Testfrage gedacht war, mit der das Ergebnis anderer, vor allem mathematischer Prognosemethoden noch einmal überprüft werden sollte, hat sich diese Interpretation mittlerweile zu einem eigenständigen Auslegungsgrundsatz entwickelt, der 409 Nach Auffassung von Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 20 Rn. 67, „sind mathematische Kalkulationen bei der ex-ante-Abwägung schlicht unbrauchbar, denn bei dem Tatbestandsmerkmal der Kursrelevanz handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der sich einer rein wirtschaftswissenschaftlichen Erfassung versagt.“; ähnlich auch Kümpel, Wertpapierhandelsgesetz, S. 61. 410 Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 17; Fürhof/Wölk, WM 1997, S. 449, 455; Süßmann, AG 1997, S. 63, 64; Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 95; Kümpel, Wertpapierhandelsgesetz, S. 65. 411 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 71. 412 Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 95.
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zunehmend akzeptiert wird. Die Bedeutung dieses Ansatzes darf schon deshalb nicht unterschätzt werden, weil ihn das ehemalige BAWe bzw. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als dessen Nachfolgebehörde der Ermittlungstätigkeit zugrundelegt. Auch die Staatsanwaltschaft scheint, soweit dies aus den bislang nur spärlichen Informationen zum Verlauf und Ausgang der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hervorgeht, sich dieses Ansatzes zu bedienen. Für Assmann stellt die „Theorie des Handlungsanreizes“ die einzige, sinnvolle Alternative zu den Auslegungsvorschlägen dar, die auf entweder fixe oder variable Prozentsatzgrenzen abstellen.413 aa) Kritik an der Theorie des „Handlungsanreizes“ Nicht anders als die vorangehenden Auslegungsvorschläge gibt aber auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise Anlaß zu Kritik. Bei der Theorie des „Handlungsanreizes“ geht es weniger um Probleme der Bestimmbarkeit und Rechtssicherheit als um rechtspolitische Einwände. Der Hauptkritikpunkt an dieser Theorie besteht darin, daß sie die insiderrechtliche Erheblichkeitsschwelle tendenziell zu niedrig ansetzt und damit nur bedingt zur Verwirklichung der gesetzgeberischen Zielvorstellung beiträgt, „Bagatellfälle“ aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts auszuschließen. Z. T. wird der Theorie eine völlige „Negation“ des Erheblichkeitsmerkmals vorgeworfen.414 Diese Kritik ist berechtigt. Die Theorie des „Handlungsanreizes“ setzt die Erheblichkeitsschwelle sehr niedrig an. Ursächlich dafür ist in erster Linie ein Umstand, der im Schrifttum häufig voreilig übergangen oder nicht erkannt wird. Die Handlungsmotivation des Insiders wird weniger von der Höhe des zu erwartenden Kursausschlags als von der Wahrscheinlichkeit, daß es überhaupt zu einer Kursbewegung kommt, abhängen.415 Denn dem Insider genügt schon ein geringer Kursausschlag, um einen Sondervorteil gegenüber anderen Anlegern erzielen zu können. Die Gewinnchancen des Insiders bemessen sich nämlich nicht allein nach der Höhe des Kursausschlags, sondern auch nach der Höhe seines finanziellen Einsatzes. Soweit die Liquidität des Papiers es zuläßt, kann der Insider durch eine größere Stückzahl zu erwerbender Insiderpapiere auch eine nur geringe Kursveränderung lohnend ausnutzen.416 Daher trifft auch 413
Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 72. Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 13 Rn. 65. 415 Auch Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 16.112 weist daraufhin, daß „das Ausnutzen von Insiderwissen wesentlich davon abhängt, wie der Insider das Risiko einschätzt, das mit dem Abschluß des Insidergeschäfts verknüpft ist.“ 416 Die These, daß neben der Höhe vor allem die Eintrittswahrscheinlichkeit der erwarteten Kursveränderung eine große Rolle für die Handlungsmotivation des Insiders spielt, bedarf jedoch noch einer weiteren Differenzierung. Denn der Grad der Wahrscheinlichkeit und die voraussichtliche Höhe des zu erwartenden Kursausschlags sind 414
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die häufig geäußerte Behauptung nicht zu, daß „die Verwertung einer noch unveröffentlichten Information von vornherein keine nennenswerten wirtschaftlichen Vorteile und damit auch nur einen geringen Handlungsanreiz verspricht, wenn der Kursausschlag voraussichtlich gering ausfällt“. Vielmehr kann auch die Verwertung einer Information, die nur eine geringe, aber dafür „sichere“ Kursbewegung erwarten läßt, für den Insider durchaus lohnend sein und damit einen relevanten Anreiz i. S. der wirtschaftlichen Betrachtungsweise darstellen. Im Ergebnis ist also festzuhalten, daß das Kriterium des wirtschaftlichen Vorteils nicht zwingend darüber Aufschluß gibt, ob der zu erwartende Kursausschlag besonders hoch sein wird oder nicht. Darauf weist insbesondere Assmann hin, wenn er schlußfolgert, daß „die Eignung der Tatsache zu einem sicheren Gewinn und die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung zwei verschiedene Dinge sind“.417 bb) Festhalten an der Theorie des „Handlungsanreizes“ Trotz dieser Vorwürfe und auch auf die Gefahr hin, daß es über kurz oder lang zu einer „Negation“ des Erheblichkeitsmerkmals kommt, will vor allem die Praxis weiterhin an der wirtschaftlichen Betrachtungsweise festhalten.418 Dafür werden verschiedene Gründe genannt. Sie zielen zum einen auf die mangelnde Praktikabilität anderer Auslegungsvorschläge (1); zum anderen wird das
zwei Aspekte, die der Täter im Rahmen seiner Prognose nicht völlig unabhängig voneinander beurteilen kann. So wird in der Regel die Wahrscheinlichkeit, daß es tatsächlich auch zu einer Kursbewegung kommt, umso höher sein, je größer der Kursausschlag ist, der für den Fall der Informationsveröffentlichung erwartet wird. Ist etwa eine Information angesichts ihrer besonderen Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens geeignet, eine heftige Reaktion der Anleger und damit einen sehr hohen Kursausschlag hervorzurufen, so ist davon auzugehen, daß es im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung auch tatsächlich zu einer spürbaren Kursbewegung kommt. Es ist also bei einer besonders gewichtigen Information, die, wie Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 512, es formulieren, einer „kleinen Sensation“ gleichkommt, eher unwahrscheinlich, daß die vom Insider erwartete Marktreaktion durch andere, zeitgleiche Marktentwicklungen relativiert werden könnte. Trotz des funktionellen Zusammenhangs dieser beiden Aspekte ist die Unterscheidung zwischen Wahrscheinlichkeit und Höhe der Kursbewegung bei der Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle weiterhin aufrechtzuerhalten. Denn gerade soweit es um Informationen geht, deren voraussichtliches Kursbeeinflussungspotential im insiderrechtlich relevanten Grenzbereich liegt, kommt es für die Handlungsmotivation des Insiders in erster Linie darauf an, daß überhaupt mit einer Kursbewegung in die gewünschte Richtung gerechnet werden kann. Wie hoch dieser Ausschlag dann letzlich sein wird, dürfte aus Sicht des Insiders dabei zweitrangig sein. Denn selbst bei einer Kursbewegung von nur einem oder zwei Prozent läßt sich durch den Einsatz entsprechender finanzieller Mittel durchaus ein Gewinn erzielen, der als Sondervorteil i. S. des Insiderrechts einzustufen ist. 417 Assmann, WM 1996, S. 1337, 1342. 418 Vgl. zuletzt Landgericht Stuttgart im Fall des Börsenhändlers Opel, Az. 6 KLs 150 Js 77452/00, BKR 2003, S. 167.
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rechtspolitische Bedürfnis für den Ausschluß von „Bagatellfällen“ aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts angezweifelt (2). (1) Mangelnde Praktikabilität alternativer Auslegungsvorschläge Die Praxis kann sich darauf berufen, daß der Vorschlag einer „starren“ Prozentgrenze in Höhe von 5% angesichts der damit verbundenen Defizite von niemandem mehr ernsthaft vertreten wird.419 Die Vertreter der variablen Prozentsatzgrenzen haben bislang noch kein geeignetes Kriterium gefunden, um die Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall genau bestimmen zu können. Ihre Ausführungen zur Volatilität der Wertpapiere und zur Liquidität des Marktes haben zwar dazu beigetragen, die Kurseffekte, die von börsenrelevanten Informationen ausgehen, besser zu verstehen. Damit allein ist der Praxis jedoch nicht geholfen. Die Staatsanwaltschaft hat nicht ohne Grund den Ansatz der variablen Prozentsatzgrenzen frühzeitig verworfen.420 Im übrigen wird auch bei der wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen, die nicht allein auf die Kurswirkung der Information abstellt, sondern auch alle inneren und äußeren Einflußfaktoren mitberücksichtigt. Des weiteren wird von den Vertretern der wirtschaftlichen Betrachtungsweise angezweifelt, ob der Gesetzgeber das Merkmal der „Erheblichkeit“ überhaupt anhand von Prozentsatzgrenzen bestimmen wollte. Allein die vage Andeutung in der Gesetzesbegründung zum 2. FMFG, bei der Auslegung des Erheblichkeitsmerkmals könne § 8 der Geschäftsbedingungen an den deutschen Wertpapierbörsen als Orientierungspunkt herangezogen werden, sei noch kein ausreichender Grund für eine solche Schlußfolgerung. Es dürfe nicht übersehen werden, daß der Kursmakler, der die Börsenteilnehmer im Wege einer Plus-/ Minusankündigung über erhebliche Kursveränderungen in Kenntnis setzt, auf tatsächliche Begebenheiten reagiert. Die Kursveränderung von 5% ist dort tatsächlich eingetreten. Dagegen wird im Insiderrecht die Kursveränderung immer nur antizipiert. Dazu bedarf es einer Prognose, die sich auf Erfahrungssätze und die konkreten Umstände des Einzelfalls stützt. In deren Rahmen läßt sich aber immer nur ein ungefährer Wert ermitteln. Das Kursbeeinflussungspotential der Information läßt sich dabei keinesfalls in Prozentpunkten berechnen. Ob der zu erwartende Kursausschlag eine Abweichung von 4,7% oder 5,3% gegenüber dem alten Kurs darstellen wird, vermag der beste Analyst nicht zu sagen. Daher verbiete sich ein Auslegungsansatz, der zur Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle auf Prozentsatzgrenzen abstellen will. 419
Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 69a. Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 100 mit Verweis auf ein von der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main erstelltes verfahrensbezogenes Grundsatzpapier. 420
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(2) Fehlendes, rechtspolitisches Bedürfnis für den Ausschluß von Bagatellfällen Zur Rechtfertigung verweisen die Vertreter der wirtschaftlichen Betrachtungsweise jedoch nicht nur auf die Defizite der anderen Auslegungsansätze. Sie wenden sich zudem gegen die – aus ihrer Sicht – unberechtigte Kritik. Sie wehren sich in erster Linie gegen die Behauptung, ihre Auslegung werde den rechtspolitischen Vorstellungen nicht gerecht, die der Gesetzgeber mit dem Merkmal der „Erheblichkeit“ umsetzen wollte. Das Erheblichkeitskriterium dient nach verbreiteter Auffassung dem Zweck, „Bagatellfälle“ aus dem insiderrechtlichen Anwendungsbereich herauszufiltern.421 Dahinter steht die rechtspolitische Überlegung, daß ein zu weitgehendes Insiderverbot den Börsenhandel unverhältnismäßig stark beeinträchtigen könnte.422 Die Vertreter der wirtschaftlichen Betrachtungsweise sprechen sich z. T. jedoch gegen eine solche Bedeutung des Erheblichkeitsmerkmals aus.423 Hätte der Gesetzgeber tatsächlich „Bagatellfälle“ ausscheiden wollen, so hätte er dies auch entsprechend formuliert. Die Gesetzgebungstechnik im Strafrecht bediene sich üblicherweise dem Instrument der „Rückausnahmen“, um Bagatellfälle aus dem Anwendungsbereich des Straftatbestandes auszuscheiden. Eine solche „Rückausnahme“ sei im Insiderrecht aber nicht vorgesehen. Zudem werde im Nebenstrafrecht häufig das betreffende Verbot auf der Rechtsfolgenseite in einen Strafrechtstatbestand und in einen Ordnungswidrigkeitentatbestand aufgespalten, um weniger schwerwiegende Verstöße bewußt aus dem Bereich der Strafbarkeit herauszunehmen. Auch ein solches Verfahren habe der Gesetzgeber im Insiderrecht nicht gewählt. Dagegen sei es ganz ungewöhnlich, eine solch wichtige Entscheidung, wie es der Ausschluß bestimmter Sachverhalte aus dem Anwendungsbereich des Strafrechtstatbestands nun einmal darstellt, mit einem bloßen adjektivischen Zusatz vornehmen zu wollen. In Anbetracht der dem Gesetzgeber zur Verfügung stehenden Gesetzgebungstechniken sei daher nicht davon auszugehen, daß das Erheblichkeitsmerkmal die Funktion habe, „Bagatellfälle“ aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts auszuschließen. Im übrigen gebe auch der Schutzzweck des Insiderverbots keinen Anlaß dazu, Erheblichkeitsgrenzen unabhängig vom wirtschaftlichen Gewinnstreben des Insiders zu bestimmen. Sinn und Zweck des Insiderverbots ist es, zu verhindern, daß informationell-privilegierte Handelsteilnehmer ihre Wissensvorsprünge hinsichtlich der Bewertung der gehandelten Wertpapiere zum eigenen 421 Die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 12/6679, S. 46; spricht von „unnennenswerten Sondervorteilen“. 422 Begr. des (Insider-)Richtlinienvorschlags der EG-Kommission, BT-Drucks. 11/ 2358, S. 3; Caspari, ZGR 1994, S. 530, 540. 423 Vgl. die Staatsanwaltschaft beim LG Frankfurt a. M. in einer (unveröffentlichten) Mitteilung vom 14.11.1995 zur Insiderverantwortlichkeit von Kursmaklern; Benner, in Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 100.
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Vorteil ausnutzen. Dieser Verbotszweck beruht auf den Prinzipien der Fundamentalanalyse. Danach bemißt sich der (wahre) Wert der Wertpapiere allein nach den bewertungsrelevanten Informationen, die im Markt vorhanden sind. Es wird davon ausgegangen, daß die Marktteilnehmer durch ihr Transaktionsverhalten sämtliche bewertungsrelevanten Informationen in den Kurs des betreffenden Wertpapiers einbringen. Kennen die meisten Anleger eine Information jedoch (noch) nicht, so können sie diese Information auch nicht in ihre Investitionsentscheidungen miteinbeziehen. Der aktuelle Kurs spiegelt folglich nicht den wahren Wert des Papiers wider. Es besteht eine Preisspanne zwischen dem aktuellen Kurswert und dem wahren Wert des Papiers. Der Insider, der dies erkennt, täuscht die übrigen Handelsteilnehmer mit seinem Verhalten über die relative Unrichtigkeit des Kurses. Dabei könne es nach Auffassung der Vertreter der wirtschaftlichen Betrachtungsweise keinen Unterschied machen, ob der Kurs nur zu einem geringfügigen Grad vom wahren Wert des Papiers abweicht oder ob eine „erhebliche“ Diskrepanz zwischen Kurs und wahren Wert besteht. In jedem Fall „täusche“ der Insider die übrigen Anleger über die Unrichtigkeit des Papiers, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. Nach alledem kommen die Vertreter dieser Auffassung zu der Schlußfolgerung, daß eine Abgrenzung zwischen erheblichen und unerheblichen Kursänderungen im Rahmen der aktuellen Gesetzesfassung untunlich sei. Die Diskussion um die Auslegung des Erheblichkeitsmerkmals mute wie eine Suche nach „Schlupfwinkeln, Aufweichungen und Rückausnahmen“ an, die nach dem Schutzzweck des Insiderrechts gar nicht vorgesehen sein könnten.
d) Stellungnahme Keiner der drei genannten Vorschläge für die Auslegung des Merkmals „Kurserheblichkeit“ vermag zu überzeugen. Doch wird die wirtschaftliche Betrachtungsweise am ehesten den Bedürfnissen der Praxis gerecht. Denn sie bietet, anders als die anderen Auslegungsansätze, dem Rechtsanwender ein mehr oder weniger verläßliches Abgrenzungskriterium. Sowohl Insider als auch Verfolgungsbehörden können eine entsprechende Einschätzung vornehmen, ohne dabei umfängliche Berechnungen anstellen zu müssen. Hinzu kommt, daß dem Täter die Möglichkeit genommen wird, sich allzu leicht auf einen Tatbestandsirrtum zu berufen. Allerdings übertreten die Vertreter der wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Grenze des Gesetzeswortlauts, wenn sie behaupten, der Gesetzgeber habe dem Merkmal der Erheblichkeit keine besondere Bedeutung beimessen wollen. Dieses Merkmal dient nicht nur nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers der Eingrenzung tauglicher Insiderinformationen, sondern auch nach Auffassung vieler anderer EG-Mitgliedstaaten, die ebenfalls die EG-Insiderrichtlinie in ihr
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
nationales Recht transformiert haben. Dabei finden sich in allen Gesetzesbegründungen ähnliche Erklärungsansätze. Übergeordnete Zielvorstellung, die mit diesem Merkmal verbunden wird, ist das Bestreben, den besonders engagierten Handelsteilnehmern noch einen gewissen rechtlichen Freiraum zu lassen, innerhalb dessen sie ihre Analysebemühungen und -fähigkeiten zur Erarbeitung von frei verwertbaren Informationsvorsprüngen einsetzen können. Daher ist es nicht vertretbar, jede noch so geringfügig kursbeeinflussende Information dem § 13 Abs. 1 WpHG zu unterstellen. Allerdings haben die Vertreter der wirtschaftlichen Betrachtungsweise mit ihren Ausführungen zur (mangelnden) Bedeutung des Erheblichkeitsmerkmals einen entscheidenden Punkt angesprochen, der in der bisherigen Debatte um die Auslegung dieses Merkmals nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden hat. Es geht um die Frage der Vorsehbarkeit des Kursänderungseintritts. Nicht nur die Höhe, sondern auch die Wahrscheinlichkeit der Kursbewegung spielen für den Handlungsanreiz des Insiders eine große Rolle.424 Daher ließe sich ein Teil der Argumente dazu verwenden, um das Merkmal „erheblich“ nicht allein auf die Höhe des Kursausschlags, sondern auch auf den Wahrscheinlichkeitsgrad zu beziehen. Ähnlich der materiality/ probalitity Formel im US-amerikanischen Recht wäre also eine wirtschaftliche Betrachtungsweise vorzunehmen, die auf beide Faktoren abstellt. Die Theorie des Handlungsanreizes würde dadurch nichts von ihrer Abgrenzungsschärfe einbüßen. Zugleich könnte man der Forderung der Praxis Rechnung tragen, daß auch bei weniger hohen Kursausschlägen, die jedoch als überaus sicher zu erwarten sind, die Erheblichkeit des Kursbeeinflussungspotentials zu bejahen ist. V. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Der Großteil der Tatbestandsmerkmale, die das Gesetz für die Definition des Insider-Informationsbegriffs verwendet, ist nur bedingt geeignet, den (sachlichen) Anwendungsbereich des Insiderrechts sinnvoll zu begrenzen. Zum einen hat das Merkmal der „Tatsache“ im Gegensatz zum herkömmlichen Verständnis im Strafrecht eine überaus weite Auslegung erfahren. Das jetzige Verständnis des insiderrechtlichen Tatsachenbegriffs führt im Ergebnis dazu, daß jede kursrelevante Äußerung, die ein Unternehmensvertreter im Rahmen seiner Kapitalmarktkommunikation trifft, als Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG zu qualifizieren ist.425 Dies gilt selbst in den Fällen, in denen sich der Gehalt der Äußerung auf ein Werturteil beschränkt. Die bisherigen Erfahrungen und Beobachtungen der Aufsichtsbehörden haben gezeigt, daß der Verkehr jede Äußerung eines leitenden Unternehmensvertreters zur Geschäftsentwicklung des
424 So auch das Landgericht Stuttgart im Fall des Börsenhändlers Opel, Az. 6 KLs 150 Js 77452/00, BKR 2003, S. 795. 425 Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 511.
B. Die sogenannte „Mosaiktheorie‘‘
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Unternehmens wie eine „Tatsache“ behandelt.426 Auch der vom Gesetz geforderte „Emittenten- bzw. Wertpapierbezug“ ist kein effektives Abgrenzungskriterium, weil jede bewertungsrelevante Information sich in irgendeiner Weise auf einen oder mehrere Emittenten oder deren Wertpapiere „bezieht“ und daher dieses Merkmals im Zweifel immer zu bejahen ist. Schließlich schränkt auch das Merkmal der „erheblichen Kursbeeinflussung“ den Kreis tauglicher Insiderinformationen nicht in dem Maße ein, wie es auf den ersten Blick erscheint. Tatsächlich wird die Grenze zur „erheblichen Kursbeeinflussung“ im Zuge der wachsenden Bedeutung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise immer weiter vorverlegt. Im Gegensatz zu einer Auffassung im Schrifttum, die die Grenze zur Kurserheblichkeit erst bei einer „kleinen Sensation“ als erreicht ansieht, ist davon auszugehen, daß in Zukunft auch weniger gewichtige Informationen grundsätzlich dem Bereich insiderrechtlich relevanter Tatsachen zugeordnet werden. Für die hier schwerpunktmäßig zu untersuchenden Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenvertretern und Analysten, aber auch für die Tätigkeit des Analysten insgesamt, hat dies schwerwiegende Folgen. Die Hoffnung, daß zumindest auf sachlicher Ebene das Insiderverbot den Informationsintermediären eine gewisse Entlastung verschafft, hat sich nicht bestätigen können. Insbesondere decken sich die Ergebnisse der Untersuchung nicht mit der von Drygala aufgestellten These, die Eingriffsschwelle des deutschen Insiderrechts sei im Verhältnis zu anderen Insiderregelungen verhältnismäßig hoch angesetzt.427 Im Gegenteil, die neuesten Konkretisierungsversuche des Merkmals der Kurserheblichkeit scheinen eine ähnlich strenge Linie zu verfolgen, wie sie bereits bei der Auslegung des persönlichen Anwendungsbereichs eingeschlagen wurde. Bei der Auslegung des Insidertatsachenbegriffs scheint sich ebenfalls die Überlegung durchzusetzen, daß das insiderrechtliche Schutzgut nach einer möglichst strengen Verbotsregelung verlangt.
B. Die sogenannte „Mosaiktheorie“ Unterliegt der Kreis geeigneter Insidertatsachen inhaltlich praktisch keinen Einschränkungen, reduziert sich der Begriff der Insidertatsache auf das Merkmal der Kurserheblichkeit. Dies hat für die „investor relations“-Arbeit börsennotierter Unternehmen weitreichende Konsequenzen. So muß der Emittentenvertreter, der sich im Rahmen persönlicher Gespräche den Fragen der Finanz-
426 Zwar mag das Urteil vieler Börsenteilnehmer durch die Mutmaßung beeinflußt sein, daß Unternehmensvertreter allzeit Kenntnis von nicht öffentlich bekannten Tatsachen haben und daher ihre Werturteile auf der Grundlage besonderer Kenntnisse treffen. 427 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1316.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
analysten stellt, darauf achten, daß keine seiner Auskünfte die Grenze zur Kurserheblichkeit überschreitet. Dabei dürfte es sich in der Praxis um keine leichte Aufgabe handeln, zumal im persönlichen Gespräch in der Regel nicht viel Zeit bleibt, um das Kursbeeinflussungspotential jeder Aussage im einzelnen beurteilen zu können. Auf der anderen Seite ist auch der Finanzanalyst verpflichtet, mit besonderer Sorgfalt die ihm übermittelten Informationen auf ihre Kurserheblichkeit hin zu analysieren. Er muß darauf achten, daß er in seinen Empfehlungen und Analysen keine Insiderinformationen verarbeitet. Ansonsten würde er sich dem Verdacht eines Insiderverstoßes aussetzen.428 Im Ergebnis erfordert die tatbestandliche Weite des Insidertatsachenbegriffs sowohl auf seiten der Emittentenvertreter als auch auf seiten der Finanzanalysten ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit. Diese Erwägungen hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen des Insiderhandelsverbots erfolgten bislang unter der Prämisse, daß es sich bei einer Insidertatsache stets um eine einzelne Information handelt, die für sich gesehen kursrelevant ist und die deshalb von anderen, frei verwertbaren Informationen ohne weiteres unterschieden werden kann. Davon ausgehend erschien es zwar schwierig, aber nicht unmöglich, daß Emittentenvertreter und Informationsintermediäre sich bei ihrem Informationsaustausch auf Informationen unterhalb der Kurserheblichkeitsschwelle beschränken. Vernachlässigt wurde bisher die Frage, wie es sich mit der insiderrechtlichen Relevanz solcher Informationen verhält, die einen Sachverhalt nur bruchstückhaft wiedergeben und die erst in Verbindung mit anderen Informationen Kursbeeinflussungspotential entfalten.429 Werden solche Informationen ebenfalls vom Insiderverbot erfaßt? Wäre dies der Fall, würde sich das Risiko für Emittentenvertreter und Finanzanalysten, sich im Rahmen persönlicher „investor-relations“-Gespräche dem Verdacht eines Insiderverstoßes auszusetzen, um ein Vielfaches erhöhen. Daher ist zu untersuchen, inwieweit Informationen, die für sich gesehen noch kein erhebliches Kursbeeinflussungspotential besitzen, deren Inhalt aber in Verbindung mit anderen, möglicherweise schon veröffentlichten Informationen zu einer völlig neuen Beurteilung der Sachlage führen, als Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG qualifiziert werden können. Dieses Problem wird in anderen Rechtsordnungen unter dem Schlagwort der sog. „Mosaiktheorie“ diskutiert.430 Diese Terminologie wird im folgenden auch für das deutsche Recht verwendet.431 428 Ordnet man den Finanzanalysten mit der h. M. als Primärinsider i. S. von § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ein, so besteht die Gefahr eines Verstoßes gegen das Weitergabeund Empfehlungsverbot. Qualifiziert man den Finanzanalysten hingegen als Sekundärinsider, so kann er sich zumindest des Verdachts der Beihilfe zu der Insidertat eines anderen aussetzen. 429 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1320 f.; Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 513. 430 Vgl. zur sog. „mosaic theory“ im US-amerikanischen Recht unten 3. Teil, 2. Abschnitt, A. II. 2. d).
B. Die sogenannte „Mosaiktheorie‘‘
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Die rechtliche Beurteilung der sog. Mosaiktheorie ist für Analysten und andere Wertpapierspezialisten von besonderer Bedeutung. Denn sie sind aufgrund ihrer Fähigkeiten in der Lage, aus den zur Verfügung stehenden Informationsbruchstücken neue Erkenntnisse für die Entwicklung des betreffenden Unternehmens zu gewinnen. Manchmal genügt ihnen nur ein winziger Hinweis von seiten der Emittentenvertreter, um aus dem Gesamtbild der zugänglichen Informationen Schlußfolgerungen für die künftige wirtschaftliche Situation des betreffenden Unternehmens zu ziehen. Daher kann selbst eine Information, die aus der Sicht eines unerfahrenen Anlegers unbedeutend erscheinen mag, sich bei genauerer Betrachtung als wichtiges Teilstück eines noch unvollständigen „Mosaiks“ entpuppen. Das deutsche Insiderrecht regelt die Frage der insiderrechtlichen Relevanz einzelner Informationsbruchstücke nicht ausdrücklich. Gemäß § 13 Abs. 1 WpHG sind Insidertatsachen nur solche Informationen, die nicht öffentlich bekannt und zugleich kurserheblich sind. Daraus ließe sich folgern, daß nur „vollständige“ Informationen, die für sich gesehen bereits kurserheblich sind, ohne daß weitere Tatsachen hinzutreten müssen, den Tatbestand der Insidertatsache erfüllen. Allerdings ist fraglich, ob eine solche Betrachtungsweise zum einen den tatsächlichen Verhältnissen des Börsenhandels (I.) und zum anderen der Gesetzessystematik des § 13 Abs. 2 WpHG (II.) gerecht werden würde. I. Praktische Bedeutung der „Mosaiktheorie“ Auf den ersten Blick scheinen die Fälle eher selten zu sein, in denen eine für sich gesehen unbedeutende Information andere bereits bekannte Informationen derart zu ergänzen vermag, daß daraus eine völlig neue (Insider-)Information entsteht. Doch darf deren praktische Bedeutung nicht unterschätzt werden. Vor allem Finanzanalysten gelingt es häufig, aus den wenigen Zusatzinformationen, die sie im persönlichen Gespräch mit den Emittentenvertretern erfahren, Gesamtzusammenhänge, die der Öffentlichkeit bislang verborgen geblieben sind, aufzudecken und dadurch zu neuen, kurserheblichen Erkenntnissen zu gelangen. Nicht ohne Grund wird der Zweck solcher persönlichen „investor-relations“-Gespräche in der Vertiefung und Verbreiterung des Wissens um die Verhältnisse des Unternehmens gesehen.432 Wie praxisrelevant die „Mosaikfälle“ tatsächlich sind, soll an zwei Beispielsfällen verdeutlicht werden: Der erste Fall ist der US-amerikanischen Rechtsprechung entnommen. In dem Rechtsstreit Elkind v. Ligget & Myers, Inc. hatte ein sich benachteiligt fühlender Anleger dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft vorgewor431
Auch Drygala, WM 2001, S. 1313, 1321 verwendet diesen Begriff. Drygala, WM 2001, S. 1313; 1323 mit Verweis auf Claussen, in: Schwark/ Claussen, S. 11, 27 f. und Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 24b. 432
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
fen, wenige Tage vor der Veröffentlichung einer Gewinnwarnung einem Finanzanalysten darüber einen Insider-Tip gegeben zu haben.433 Die Nachforschungen des Gerichts ergaben, daß eines der Vorstandsmitglieder des Unternehmens kurz vor Veröffentlichung der Gewinnwarnung mit einem Finanzanalysten telefoniert hatte. Anlaß dieses Gesprächs waren die allgemein bekannten Absatzschwierigkeiten, die das Unternehmen bezüglich eines seiner Produkte seit einiger Zeit hatte. Der Analyst hatte den Unternehmensvertreter gefragt, ob die Einschätzung realistisch sei, daß für die ersten beiden Quartale mit einem Umsatzrückgang von etwa 10% gegenüber dem Vorjahr zu rechnen ist. Der Emittentenvertreter hatte sich mit seiner Antwort zurückgehalten, jedoch zugleich darauf hingewiesen, daß das Unternehmen in den nächsten Tagen ein „öffentliches Statement“ abgeben werde, in dem man zur aktuellen Geschäftssituation Stellung nehmen werde. Weitere Hinweise gab der Emittentenvertreter dem Analysten nicht. Insbesondere machte er keine Angaben zum Inhalt der geplanten Veröffentlichung. Doch dem Analyst genügte bereits die Mitteilung, daß ein öffentliches Statement geplant sei, um daraus zu schließen, daß wohl mit einem erheblichen Umsatzrückgang zu rechnen sei, der alle im Vorfeld geäußerten Warnungen noch übertraf. Er gründete seine Vermutung auf seine Hintergrundkenntnis, daß das betreffende Unternehmen noch nie zuvor eine derartige Erklärung abgegeben hatte. Zutreffend folgerte er daraus, daß nur ungewöhnliche Umstände das ungewöhnliche Verhalten des Vorstandsmitglieds rechtfertigen könnten. Ein weiterer, typischer Anwendungsfall der Mosaiktheorie wird von der Association for Investment Management and Research (AIMR) genannt.434 Danach hatte ein Analyst im Jahre 1995 eine Fabrikstätte eines börsennotierten Unternehmens besucht. Dieser Werksbesuch diente dem Analysten als zusätzliche Informationsquelle zu den vom Unternehmen veröffentlichten Wachstumsprognosen. Bei diesem Besuch ging es in erster Linie darum festzustellen, ob das Unternehmen über ausreichende Produktionskapazitäten für seine Expansionspläne verfügt. Im Zeitpunkt des Besuchs war dies der Fall. Als der Analyst dasselbe Unternehmen im Jahre 2000 wiederum nach seinen Wachstumsprognosen befragte, wurde ihm mitgeteilt, daß auch weiterhin mit einem starken Wachstum des Unternehmens zu rechnen sei. Dies war im wesentlichen bekannt und stellte für sich allein keine kurserhebliche Information dar. Der Analyst hakte nach und befragte das Unternehmen, ob es in der Zeit seit 1995 neue Werkstätten gebaut habe. Diese Frage wurde verneint. Für sich genommen stellte auch diese Auskunft keine Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG dar. Allerdings erinnerte sich der Analyst an seine Beobachtungen, die er wäh433
Elkind v. Ligget & Myers, Inc., 635 F. 2d, S. 156 ff. Vgl. die Stellungnahme der AIMR zum Entwurf der SEC für eine „Fair Disclosure“-Regelung. Die Stellungnahme kann im Internet unter der Adresse http://www. sec.gov.rules/proposed/s73199/zeikel1.htm abgerufen werden. 434
B. Die sogenannte „Mosaiktheorie‘‘
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rend seines Werkbesuchs im Jahre 1995 gemacht hatte. Damals waren die Produktionskapazitäten des Unternehmens ausreichend gewesen, um den Anforderungen eines stetigen Umsatzwachstums zu genügen. Allerdings hatte sich der Umsatz in den letzten fünf Jahren derart gesteigert, daß seiner Einschätzung nach diese Kapazitäten nunmehr völlig ausgelastet sein mußten. Daher hatte der Analyst im Jahre 2000 aufgrund seines Hintergrundwissens Grund zur Annahme, daß das Unternehmen seine Vorgaben für die nächsten Jahre nicht erreichen werde, ohne zuvor neue Produktionskapazitäten geschaffen zu haben. Es liegt nahe, diese Information als eine (neue) Insiderinformation anzusehen, die der Analyst aus z. T. öffentlich bekannten und z. T. öffentlich nicht bekannten Informationsbruchstücken zusammengefügt hatte. Es ließen sich weitere Beispielsfälle nennen, in denen eine scheinbar belanglose Auskunft eines Emittentenvertreters sich in den Händen des Finanzanalysten zu einem wichtigen Informationsteilstück entpuppt. An dieser Stelle soll jedoch ein Verweis auf die vielen Beiträge in der US-amerikanischen Literatur genügen, die die praktische Bedeutung der Mosaiktheorie immer wieder hervorheben.435 II. § 13 Abs. 2 WpHG als Ansatzpunkt für die rechtliche Beurteilung der Mosaiktheorie im deutschen Insiderrecht Nicht zuletzt wegen der Bedeutung dieser Theorie in den USA drängt sich auch für das deutsche Recht die Frage auf, inwieweit die §§ 12–14 WpHG dem Umstand Rechnung tragen, daß sich die Kurserheblichkeit eines Sachverhalts auch aus der Kombination mehrerer Informationen ergeben kann. Wie bereits erwähnt, regelt § 13 Abs. 1 WpHG diese Fallkonstellation nicht ausdrücklich. Allerdings läßt sich dem Gesetz an anderer Stelle ein entscheidender Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß sich auch aus der Summe verschiedener Informationen eine Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG bilden kann. Dieser Anknüpfungspunkt findet sich in § 13 Abs. 2 WpHG.436 Danach ist eine Bewertung, die ausschließlich aufgrund öffentlich bekannter Tatsachen erstellt wird, keine Insidertatsache, selbst wenn sie im Falle ihres Bekanntwerdens den Kurs des betreffenden Papiers erheblich beeinflussen könnte. Die Vorschrift geht auf den 13. Erwägungsgrund der EG-Insiderrichtlinie zurück und soll zum 435 Brudney, 93 (1979) Harvard Law Review, S. 322, 366; Caccese, in: Claussen/ Schwark, S. 125, 130; Hazen, The Law of Securities Regulation, S. 739; Langevoort, Insider Trading, Vol. 18, § 11.02 (2); Wang/Steinberg, Insider Trading, 2000 supplement, § 4.2.3.3, S. 150 ff. 436 So auch Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 73 und auch Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 13 Rn. 66, der diese Vorschrift sogar als Reaktion des Gesetzgebers auf den US-amerikanischen Fall Elkind v. Ligget & Myers Inc. ansieht.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
Ausdruck bringen, daß nur solche Informationen dem Insiderverbot unterliegen, die dem Anlegerpublikum vor ihrer Veröffentlichung unter gar keinen Umständen zugänglich sind.437 Bewertungen, die ausschließlich aufgrund von öffentlich bekannten Informationen erstellt wurden, fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des Insiderrechts. Dies gilt selbst für den Fall, daß die Bewertung sogar dem überwiegenden Teil des Anlegerpublikums nicht bekannt sein sollte. Denn Bewertungen, die auf der Grundlage von öffentlich bekannten Informationen erstellt wurden, sind zumindest theoretisch jedem Marktteilnehmer zugänglich. Sicherlich dürfte der „Zugang“ zu solchen Erkenntnissen in der Regel mit den jeweiligen, individuellen Analysefähigkeiten der einzelnen Anlegern variieren. Doch dürfte es selbst einem wenig erfahrenen Anleger möglich sein, notfalls unter Heranziehung professioneller Unterstützung die richtigen Schlüsse aus den vorhandenen Informationen zu ziehen. An der Regelungsaussage des § 13 Abs. 2 WpHG wird damit deutlich, daß das Merkmal der mangelnden öffentlichen Bekanntheit in § 13 Abs. 1 WpHG ungenau ist. Es kommt für das Vorliegen einer Insidertatsache nicht nur darauf an, daß die betreffende Information nicht öffentlich bekannt ist. Vielmehr darf die Information dem Anlegerpublikum auch auf legalem Wege nicht zugänglich sein.438 Die in § 13 Abs. 2 WpHG enthaltene Einschränkung des insiderrechtlichen Chancengleichheitsgrundsatzes soll insbesondere den professionellen Marktteilnehmern zugute kommen. Sie verwenden im Vergleich zum durchschnittlichen Anleger einen weitaus größeren Teil ihrer Zeit auf die Recherche von neuen Informationen. Ihnen sollen die selbst erarbeiteten Wissensvorsprünge durch das Insiderrecht nicht wieder genommen werden.439 Daher dürfen sie ihre selbst erarbeiteten Erkenntnisse für den Anteilshandel verwerten. Das deutsche Insiderrecht toleriert insofern eine gewisse Benachteiligung der weniger erfahrenen Anleger.440 Allerdings reicht diese Privilegierung nur soweit, wie es der Wortlaut des § 13 Abs. 2 WpHG zuläßt. Voraussetzung für die Freistellung vom Insiderverbot ist, daß die Bewertung ausschließlich aufgrund öffentlich bekannter Informationen erstellt wurde. Daraus ergibt sich im Umkehrschluß, daß die Bewertung dann nicht mehr frei verwertbar sein soll, wenn sie auf mindestens einer
437 Vgl. K.-P. Weber, S. 200: „Die im WpHG zum Ausdruck kommende Equal Access Theory bewirkt, daß solche Informationsunterschiede, die ein beliebiger Marktteilnehmer nicht mit legalen Mitteln überwinden kann, nicht zur Grundlage vorteilhafter Wertpapiergeschäfte gemacht werden dürfen.“ 438 Siehe dazu insbesondere Krauel, S. 220 f. und ausführlich unten 4. Teil, C. 439 Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 26. 440 Diese Einschränkung des Insiderschutzes wird zugunsten der Wertpapieranalyse hingenommen, weil letztere ebenso wie der Schutz vor Insidergeschäften wichtige Marktfunktionen erfüllt. Vgl. dazu auch Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 26.
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nicht öffentlich bekannten Information basiert.441 Dann nämlich wird die Bewertung selbst zur Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG und unterliegt damit den Verboten des § 14 WpHG.442 Diese Regelung entspricht im wesentlichen dem, was sich auch aus dem Empfehlungsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ergibt. Danach steht es dem Primärinsider frei, anderen Personen bestimmte Wertpapiere zu empfehlen, solange seine Empfehlung nicht auf einer Insiderinformation basiert. Sobald aber auch nur eine Insidertatsache Eingang in die Beweggründe des Empfehlenden gefunden hat, liegt ein Verstoß gegen das Verbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG vor.443 Der Umkehrschluß aus § 13 Abs. 2 WpHG zeigt aber nicht nur auf, wann eine Bewertung zur Insidertatsache wird, sondern er macht auch deutlich, daß sich eine Insiderinformation durchaus aus mehreren Informationen zusammensetzen kann.444 Daraus folgt, daß die unter dem Begriff der Mosaiktheorie zusammengefaßten Fallkonstellationen insiderrechlich nicht völlig irrelevant sein können. Mit dieser Feststellung allein sind jedoch noch nicht alle Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Mosaiktheorie stellen, geklärt. Geklärt ist nicht, ob ein nicht öffentlich bekanntes Informationsbruchstück als Insidertatsache qualifiziert werden kann, das für sich gesehen noch nicht kurserheblich ist und nur in (sachkundiger) Verbindung mit weiteren, bereits veröffentlichten Informationsbruchstücken Kursbeeinflussungspotential entfalten kann. Daran knüpft sich die Frage an, ob eine von einem Analysten erstellte Bewertung i. S. von § 13 Abs. 2 WpHG eine Insidertatsache enthält, wenn es dem Analysten gelingt, das nicht öffentlich bekannte Informationsbruchstück derart mit bereits bekannten Informationen zu verbinden, daß daraus eine kurserhebliche Information entsteht. Die Qualität einer für sich gesehen nicht kursrelevanten Information als Insidertatsache ist insbesondere für den Emittentenvertreter entscheidend, der bereitwillig auf die Fragen der Analysten eingeht. Daher wird diese Frage im Zusammenhang mit den Auswirkungen der Mosaiktheorie für den Informationsübermittler zu erörtern sein (III.). Dagegen ist die Frage, ob eine zusammengesetzte, kurserhebliche Information auch dann als Insidertatsache anzusehen ist, 441 Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 73; so wohl auch Krauel, S. 221, der zumindest bei enger Auslegung des § 13 Abs. 2 WpHG Bewertungen, die auf z. T. nicht öffentlich bekannten Informationen beruhen, unter das Insiderhandelsverbot subsumieren will. 442 Assmann, AG 1997, S. 50, 51. 443 Vgl. dazu Assmann, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 71: „Eine Empfehlung, die auch ohne das Insiderwissen abgegeben worden wäre, unterliegt nicht dem insiderrechtlichen Empfehlungsverbot.“ 444 So auch Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 73; Schäfer, in: Schäfer, § 13 WpHG Rn. 73; Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 513 und Drygala, WM 2001, S. 1313, 1321.
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wenn die in sie eingeflossene, nicht öffentlich bekannte Information selbst keine Insidertatsache ist, in erster Linie für den Analysten entscheidend. Deswegen ist diese Frage Gegenstand der Auswirkungen der Mosaiktheorie für den Informationsempfänger.445 III. Die Auswirkungen der Mosaiktheorie auf den Informationsübermittler Wie bereits festgestellt verstößt der Emittentenvertreter grundsätzlich gegen das insiderrechtliche Weitergabeverbot, wenn er dem Finanzanalysten im Rahmen eines persönlichen Gesprächs eine Insidertatsache mitteilt.446 Daran ändert sich auch durch die sog. „Mosaiktheorie“ nichts. Für die insiderrechtliche Relevanz eines Sachverhalts kommt es stets darauf an, ob eine Insidertatsache vorliegt. Allerdings ist zu überlegen, ob eine Information, die zwar für sich gesehen noch nicht kursrelevant ist, die aber in (sachkundiger) Verbindung mit anderen, bereits veröffentlichten Informationen eine neue Beurteilung der Sachlage erfordert, einer Insidertatsache gleichzusetzen ist. Dadurch würde sich für den Emittentenvertreter der Umfang des von ihm zu beachtenden Weitergabeverbots spürbar erhöhen. Eine Ausdehnung des Insidertatsachenbegriffs auf sog. „Mosaikstücke“ könnte dadurch gerechtfertigt sein, daß es praktisch keinen Unterschied macht, ob die Tatsache nur für sich oder erst in Kombination mit anderen, bereits öffentlich bekannten Tatsachen Kursbeeinflussungspotential entfaltet. In beiden Fällen ist die Information zumindest von ihrer Anlage her geeignet, zum Objekt insiderrechtlich relevanten Handelns zu werden. Drygala vertritt in dieser Frage einen differenzierenden Standpunkt.447 Vor allem in den Fällen, in denen der Emittentenvertreter auf die Fragen des Finanzanalysten eingeht, müßten seiner Meinung nach zwei Fallkonstellationen streng voneinander getrennt und rechtlich unterschiedlich beurteilt werden. Zum einen gehe es um Fälle, in denen der Emittentenvertreter dem Analysten im Verlaufe eines Gesprächs nach und nach alle erforderlichen Einzelheiten eines einheitlichen Sachverhalts mitteilt, die der Analyst am Ende des Gesprächs zu einer kurserheblichen Information zusammenfügen kann, ohne dafür weitere Nachforschungen anstellen zu müssen. Das Übermitteln sog. Informations-„Häppchen“ müsse der Übermittlung einer einheitlichen Nachricht gleichgesetzt werden mit der Folge, daß der Emittentenvertreter gegen das Weitergabeverbot i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG verstößt.448
445 446 447 448
Vgl. dazu 1. Teil, 3. Abschnitt, B. IV. Vgl. oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. III. Drygala, WM 2001, S. 1313, 1320 ff. Drygala, WM 2001, S. 1313, 1321.
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Eine andere Beurteilung sei angezeigt, wenn der Emittentenvertreter im Gespräch nur einen Teil eines kursrelevanten Sachverhalts offenlegt, der für sich genommen noch nicht kursrelevant ist. Dieses Informationsbruchstück könne nicht als Insidertatsache angesehen werden. Dies gelte selbst dann, wenn nicht auszuschließen ist, daß der Analyst aufgrund seiner Fähigkeiten in der Lage sein könnte, aus diesem Informationsbruchstück in Kombination mit anderen, möglicherweise schon veröffentlichten Informationen den gesamten Sachverhalt abzuleiten. Für eine solche Ausdehnung des Insidertatsachenbegriffs finde sich kein Anhaltspunkt in § 13 Abs. 2 WpHG. Dort gehe es nur um die Insidertatsachenqualität des „Analyseprodukts“. Dagegen werden dort keine Aussagen zur Insidertatsachenqualität derjenigen Informationen getroffen, die in die Bewertung miteingeflossen sind. Folglich lasse sich aus dem Gesetz auch kein Argument für die Bejahung der Insidertatsachenqualität der einzelnen Informationsbruchstücke ableiten. Zudem würde eine solche rechtliche Betrachtungsweise den Emittentenvertreter unverhältnismäßig hoch belasten. Es sei dem Unternehmensvertreter schlechterdings nicht zumutbar, jede seiner Antworten daraufhin zu überprüfen, ob sie möglicherweise dem Analysten dazu verhelfen könnte, neue, kurserhebliche Erkenntnisse über die Situation des Unternehmens gewinnen zu können. Im übrigen wüßte der Emittentenvertreter auch nicht, welche anderen Informationen dem Analysten zur Verfügung stehen. Daher könne er in manchen Situationen gar nicht abschätzen, über welches Hintergrundwissen der Analyst verfügt. Im Sinne einer angemessenen Risikoverteilung plädiert Drygala daher für eine Gesamtbetrachtung, bei der nur der Inhalt des konkreten Gesprächs auf seine Kurserheblichkeit zu überprüfen ist. Eine mögliche Ergänzung der im Gespräch übermittelten Informationen durch Informationen von dritter Seite soll dagegen von dieser Betrachtung ausgeschlossen bleiben. Die von Drygala vorgetragene Argumentation vermag im Ergebnis zu überzeugen. Unabhängig von dogmatischen Erwägungen erscheint es schon aus tatsächlichen Gründen unverhältnismäßig, Informationsbruchstücke Insidertatsachen gleichzusetzen. Eine gegenteilige Auslegung würde sowohl den Schutzzweck des Insiderrechts überdehnen als auch die Praxis übermäßig belasten. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß es auch nach der von Drygala vorgeschlagenen Sichtweise aller Voraussicht nach zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten kommen wird. So wird es im Einzelfall für den Richter nicht gerade leicht sein, zu beurteilen, ob die übermittelte Information bereits für sich gesehen geeignet war, den Kurs des Papiers zu beeinflussen, oder ob sich die Kursrelevanz der Information tatsächlich erst in Kombination mit weiteren, vom Emittentenvertreter nicht übermittelten Informationen ergab. Aber nicht nur die Beurteilung sog. Grenzfälle bereitet bei der von Drygala vorgeschlagenen Sichtweise Probleme. Hinzu kommt, daß dieser Auslegungsvorschlag Umgehungsmöglichkeiten für das Weitergabe- und Empfehlungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG eröffnet. Will der Emittentenvertreter
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (3. Abschn.)
dem Finanzanalysten einen „Tip“ geben, so könnte er einen Teil des kursrelevanten Sachverhalts offenlegen, in der Hoffnung, der Analyst werde den Rest des Sachverhalts schon allein herausbekommen. Nach der von Drygala vorgeschlagenen Sichtweise hätte der Emittentenvertreter dabei selbst dann nicht gegen das insiderrechtliche Weitergabe- und Empfehlungsverbot verstoßen, wenn es dem Analyst tatsächlich gelingen sollte, das „Mosaik zu entschlüsseln“. Diese Umgehung des Weitergabeverbots würde jedoch eine Strafbarkeit des Emittentenvertreter nicht vollends ausschließen. Denn nach den Beteiligungsregeln der §§ 26, 27 StGB ist eine vorsätzliche Beihilfeleistung von der Strafdrohung des § 38 WpHG mitumfaßt. Die Gehilfenstrafbarkeit setzt jedoch stets eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat voraus. IV. Die Auswirkungen der Mosaiktheorie auf den Informationsempfänger Wie dargelegt stellt nach Auffassung von Drygala ein nicht öffentlich bekanntes Informationsbruchstück, das für sich gesehen noch keine Kursrelevanz besitzt, das aber in Verbindung mit anderen, möglicherweise schon veröffentlichten Informationen eine neue Beurteilung der Sachlage erfordert, noch keine Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG dar.449 Folglich wird der Informationsempfänger nicht schon allein dadurch zum Insider, daß ihm das betreffende Informationsbruchstück mitgeteilt wird. Er befindet sich also zunächst noch außerhalb des insiderrechtlichen Anwendungsbereichs. Dies könnte sich jedoch schlagartig dadurch ändern, daß er auf Grund seiner besonderen Sachkunde die erlangte Information derart mit anderen, bereits öffentlich bekannten Informationen kombiniert, daß daraus eine neue Information entsteht, die zudem kurserheblich ist. Hier spricht der Umkehrschluß aus § 13 Abs. 2 WpHG für das Vorliegen einer Insidertatsache. Für den Analysten würde dies bedeuten, daß er, soweit er als Primärinsider i. S. von § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG eingestuft wird, mit Abschluß seiner Analysearbeiten den Handlungsverboten des § 14 Abs. 1 Nr. 1–3 WpHG unterliegt. Allerdings ist die Vorschrift des § 13 Abs. 2 WpHG nicht ganz eindeutig. Zwar geht aus ihr hervor, daß eine Insidertatsache auch aus mehreren Informationen bestehen kann, solange die Gesamtheit der Informationen kurserheblich ist und mindestens eine der verarbeiteten Informationen bislang nicht öffentlich bekannt ist. Dagegen bleibt offen, ob die betreffende Information, die der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, für sich gesehen bereits kurserheblich sein muß, damit die auf ihrer Grundlage getroffene Bewertung ebenfalls als Insidertatsache angesehen werden kann. Drygala verneint dies.450 Seiner Meinung nach ist 449 450
Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, B. III. Drygala, WM 2001, S. 1313, 1321.
B. Die sogenannte „Mosaiktheorie‘‘
143
eine Bewertung i. S. von § 13 Abs. 2 WpHG auch dann als Insidertatsache anzusehen, wenn sie aufgrund von ausschließlich nicht kursrelevanten Tatsachen erstellt wurde. Seiner Meinung nach soll es also allein auf die Kurserheblichkeit der „neuen“ Information ankommen. Ob die „Zutaten“, die der Analyst für die Herleitung seiner Bewertung verwendet, bereits für sich gesehen kursrelevant sind, könne dagegen dahingestellt bleiben. Drygala begründet seine Auffassung damit, daß § 13 Abs. 2 WpHG auf die „öffentliche Bekanntheit“ und nicht auf die „Kurserheblichkeit“ der Informationen abstellt, mit denen die Bewertung erstellt wird. § 13 Abs. 2 WpHG setze lediglich voraus, daß die Bewertung aufgrund öffentlich nicht bekannter Informationen erstellt wurde. Dagegen verlange die Vorschrift nicht, daß die für die Bewertung verwendeten Informationen selbst kursrelevant sein müssen. Dies überzeugt nicht. Denn es ist widersprüchlich, einerseits das für sich gesehen nicht kursrelevante Informationsbruchstück nicht als Insidertatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG anzusehen, aber andererseits das darauf basierende Analyseergebnis für insiderrechtlich relevant zu erklären. Denn das für sich gesehen nicht kursrelevante Informationsbruchstück ermöglicht doch erst den „Zugang“ zur neuen, kursrelevanten Bewertung. Im Informationsbruchstück liegt die (spätere) Insidertatsache förmlich begründet. Hat man sich aber aus rechtspolitischen Gründen für eine Freigabe und gegen eine Qualifizierung des Informationsbruchstücks als Insidertatsache entschieden, so dürfen nicht nachträglich die insiderrechtlichen Handlungsbeschränkungen dem Analysten auferlegt werden, der das Informationsbruchstück verarbeitet. Im Ergebnis ist es daher nicht zulässig, einerseits das Informationsbruchstück für insiderrechtlich irrelevant zu erklären, andererseits aber die auf dieser Information beruhende Beurteilung als Insidertatsache zu qualifizieren. Entweder man erklärt beides für insiderrechtlich relevant oder aber man gibt das „informationelle Mosaikstück“ zur Verwertung endgültig frei. Da ersteres in der Praxis zu einer unverhältnismäßig hohen Belastung der Emittentenvertreter führen würde, bleibt im Ergebnis nur die Möglichkeit, die Mosaiktheorie insgesamt für insiderrechtlich irrrelevant zu erklären. V. Zusammenfassung Die Mosaiktheorie trägt dem Umstand Rechnung, daß Marktteilnehmer mit besonderen Analysefähigkeiten in der Lage sind, aus Informationen, die für sich gesehen nicht kurserheblich sind, neue kursrelevante Informationen abzuleiten. Das deutsche Insiderrecht regelt die von der Mosaiktheorie bezeichneten Fälle nicht ausdrücklich. Allerdings bestehen Ansatzpunkte im Gesetz, aus denen sich wichtige Hinweise für die rechtliche Beurteilung dieser Theorie ableiten lassen. So geht aus § 13 Abs. 2 WpHG hervor, daß eine Insidertatsache auch aus mehreren zusammengesetzten Informationsbruchstücken bestehen kann.
144
1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
Allerdings läßt das Gesetz alle weiteren Fragen, die sich an diese Feststellung anknüpfen, offen. Nach Auffassung der wenigen Stimmen im Schrifttum, die sich mit den Rechtsfragen der sog. Mosaiktheorie auseinandergesetzt haben, soll eine nicht kursrelevante Information, die geeignet ist, in Kombination mit anderen Informationen eine neue Beurteilung der Sachlage herbeizuführen, noch keine Insidertatsache sein. Daraus folgt, daß der Emittentenvertreter keinen Verstoß gegen das insiderrechtliche Weitergabe- und Empfehlungsverbot begeht, wenn er solche Informationsbruchstücke im Rahmen persönlicher Gespräche an Finanzanalysten weitergibt. Entgegen der Auffassung von Drygala ist eine Analyse, die unter Berücksichtigung eines solchen Informationsbruchstücks erstellt wird, ebenfalls nicht als eine Insidertatsache anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn aufgrund der besonderen Sachkunde des Analysten die zusammengefügten Informationsbruchstücke eine neue kurserhebliche Information ergeben; das „Analyseprodukt“ bleibt also frei verwertbar. Vierter Abschnitt
Faktische Verbotswirkung A. Der sogenannte „chilling effect“ des Insiderrechts Im Zuge der Erörterung des insiderrechtlichen Rechtsrahmens soll schließlich nach den sog. „faktischen“ Verbotswirkungen der §§ 12–14, 38 WpHG gefragt werden. Unter dem Schlagwort „chilling effect“ (einfrierende Wirkung) werden insbesondere in den USA, mittlerweile aber auch in Deutschland, die Folgen diskutiert, die eine allzu großzügige tatbestandliche Ausgestaltung der insiderrechtlichen Handlungsverbote für das Kapitalmarkgeschehen haben kann. Es wird argumentiert, das Insiderrecht entwickle bei übermäßigem Schutz der informationellen Chancengleichheit über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus ungewollte zusätzliche (faktische) Verbotswirkungen, die den Handlungsrahmen der Kapitalmarktexperten unnötig einschränken würden.451 Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht der Einfluß des Insiderrechts auf die freiwillige Kommunikation zwischen Emittenten- und Investorenseite. Für das deutsch/europäische Insiderrecht wird die These vertreten, es unterbinde aufgrund seiner ungünstigen Ausgestaltung selbst solche Kommunikationsbeziehungen auf dem Kapitalmarkt, deren Inhalt bei sorgfältiger Subsumption nicht unter die insiderrechtlichen Verbotstatbestände fallen würde. 451 Der Begriff „chilling effect“ wurde von der US-amerikanischen Literatur zum Insiderrecht geprägt. Auch der ehemalige Chairman der SEC, Arthur Levitt, hat diesen Begriff in seiner Stellungnahme zur „selective-disclosure“-Regelung verwendet; vgl. den Artikel „Chairman Arthur Levitt Hails Leveling of Information Playing Field“, erhältlich im Internet unter der Adresse www.sec.gov/newsendseldi.htm.
A. Der sogenannte „chilling effect‘‘ des Insiderrechts
145
So wagt etwa Merkt die Prognose, daß in Zukunft die persönlichen Kommunikationsformen völlig gegenüber den unpersönlichen „Investor Relations“-Maßnahmen zurücktreten werden.452 Denn bei den echten persönlichen Maßnahmen bestünde die Gefahr des Verstoßes gegen Insiderhandelsverbote.453 Schon heute sei ein merklicher Zuwachs an freiwilliger Zwischenberichterstattung zu verzeichnen.454 Auch Link, der in seiner Abhandlung über das sog. „Aktienmarketing“ die unterschiedlichen Kommunikationsformen freiwilliger Unternehmenspublizität auf ihre Effizienz hin untersucht, rät den Unternehmen, im Zweifel ein Informationsmedium zu wählen, das den ganzen Markt zu erreichen vermag.455 Dies empfehle sich nicht zuletzt deswegen, weil ansonsten schnell Insider-Gerüchte aufkommen könnten.456 Selbst das ehemalige Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel hat in einem Schreiben an die Vorstände der börsennotierten Aktiengesellschaften gewarnt, daß in der Praxis „gewisse Unsicherheiten“ darüber bestehen, welche Informationen im Rahmen von Analystenveranstaltungen den Informationsintermediären mitgeteilt werden dürfen.457 Daher sei es ratsam, den Kapitalmarkt und seine Teilnehmer durch Monats- und Quartalsberichte laufend über neue Entwicklungen und Tatsachen aus dem Unternehmen zu informieren. I. Ursachen für einen sogenannten „chilling effect“ des Insiderrechts Es stellt sich die Frage nach den Ursachen, die Anlaß zu derartigen Prognosen in Schrifttum und Praxis geben. Wie bereits dargelegt458 ist der sachliche Anwendungsbereich der Insiderhandlungsverbote grundsätzlich auf sog. Insidertatsachen beschränkt. Alle anderen Informationen, seien sie der Öffentlichkeit auch (noch) nicht bekannt, dürfen dagegen legal an Finanzanalysten weitergegeben werden und von diesen auch verwertet werden. Weil aber der Anwendungsbereich des Insiderverbots mehr oder weniger klar umrissen ist, könnte man annehmen, daß die freiwillige Kapitalmarktkommunikation zumindest insoweit von der Verbotswirkung des Insiderrechts verschont bliebe, als sie den Bereich 452
Merkt, Unternehmenspublizität, S. 431. Merkt, Unternehmenspublizität, S. 431. 454 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 431. 455 Link, Aktienmarketing in deutschen Publikumsgesellschaften, S. 339 u. 349. 456 Vgl. auch Pellens, in: Gerke/Steiner, S. 1742, 1750: „Weil die persönlichen Maßnahmen der Investor Relations mit dem gesetzlichen Insiderhandelsverbot kollidieren können, weil Tipping bzw. die Verwendung von Insiderinformationen durch Sekundärinsider strafrechtliche Konsequenzen besitzen, haben vor allem die unpersönlichen Maßnahmen zum Investor Relations Bedeutung.“ 457 Schreiben des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel an die Vorstände der börsennotierten Aktiengesellschaften vom 07. August 1997. 458 Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. u. B. 453
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
der sog. Kurserheblichkeit nicht berührt. Doch lassen sich Aspekte des im WpHG normierten Insiderverbots nennen, die geeignet sind, die These vom sog. „chilling effect“ des deutschen Insiderrechts zu bestätigen. Dabei handelt sich nicht nur um materiell-rechtliche Auslegungsprobleme des Verbotstatbestands, sondern auch um prozessuale Besonderheiten des Insiderrechts sowie um allgemeine Folgen strafrechtlicher Sanktionsandrohungen. 1. Fehlen eines objektiven Unwerturteils Für eine faktische Ausweitung der insiderrechtlichen Verbotswirkung spricht zum einen, daß die einzelnen Handlungsverbote des § 14 WpHG auf objektiver Tatbestandsseite kein greifbares und damit justiziables Unwerturteil enthalten. Aus den Merkmalen des objektiven Tatbestands läßt sich der vom Täter begangene, sozialschädliche Pflichtverstoß nicht bzw. nur sehr bedingt ermitteln. So setzt etwa das Erwerbsverbot nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 WpHG objektiv lediglich voraus, daß der Insider ein Wertpapiergeschäft abschließt. Eine Schädigung bzw. Gefährdung eines Rechtsguts muß dadurch nicht eingetreten sein. Auch das Weitergabe- und das Empfehlungsverbot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2, 3 WpHG) lassen auf objektiver Tatbestandsseite ein besonders verwerfliches Verhalten nicht erkennen.459 Erst durch die zusätzlichen Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands erfährt das vom Insiderrecht für strafbedürftig erklärte Verhalten seine Konkretisierung. Beim Erwerbsverbot handelt es sich dabei neben dem Vorsatzerfordernis um die Absicht des Täters, sich durch Ausnutzung seines für die übrigen Marktteilnehmer nicht erkennbaren Sonderwissens einen geldwerten Vorteil zu verschaffen.460 Ähnliches gilt für das Weitergabe- und Empfehlungsverbot.461 Gerade weil aber der objektive Tatbestand kaum mehr als eine neutrale Handlung umschreibt, haben sich im Insiderrecht die Haftungsvoraussetzungen fast vollständig auf die subjektive Tatbestandsseite verlagert. Für eine Strafbarkeit nach dem Insidergesetz wird daher erst der – oftmals schwierig zu ermittelnde – Vorsatz des Täters den Ausschlag geben.462 Dies führt dazu, daß den Ermittlungen im Frühstadium des Verfahrens nicht selten eine klare Linie feh459 Immerhin enthält das Weitergabeverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG im Vergleich zum Erwerbsverbot mit dem Merkmal „unbefugt“ eine zusätzliche Voraussetzung auf objektiver Tatbestandsseite. Allerdings gilt die Auslegung dieses Merkmals als wenig geklärt, vgl. oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1.–3. 460 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 23. 461 Auch hier verlangt der subjektive Tatbestand Vorsatz. Erforderlich ist insbesondere, daß der Insider weiß, das es sich bei der von ihm weitergebenen Tatsache um eine Insidertatsache handelt. Dazu Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 67. 462 K.-P. Weber, S. 190 ff., spricht von dem einzigen „Haftungsfilter“ im insiderrechtlichen Tatbestand. Zu seinen Ausführungen siehe ausführlich unten 4. Teil, C. u. D.
A. Der sogenannte „chilling effect‘‘ des Insiderrechts
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len wird.463 Es drohen ungezielte Strafverfolgungsmaßnahmen in bloßer Ausforschungsabsicht gegen tatsächlich neutrale Vorgänge mit erheblichen Belastungen für die Betroffenen.464 Zu berücksichtigen ist weiter, daß das Vorsatzerfordernis auch die Kurserheblichkeit der verwendeten bzw. weitergegebenen Informationen umfaßt. Wie bereits dargelegt ist das Tatbestandsmerkmal der Kurserheblichkeit jedoch bislang keiner eindeutigen, materiell-rechtlichen Definition zugänglich.465 Hinzu kommt, daß einerseits die tatsächlich festgestellten Kursbewegungen in dem betreffenden Insiderpapier lediglich als Indiz in die Beweiswürdigung einfließen dürfen, andererseits aber das Vorsatzmerkmal im Tatsächlichen grundsätzlich nur anhand objektiver Begleitumstände nachgewiesen werden kann. Insgesamt besteht daher für einen typischerweise mit Insiderinformationen konfrontierten Kapitalmarktteilnehmer ein erhebliches Strafverfolgungsrisiko, wenn er unbewußt eine Information verwertet bzw. weitergibt, die objektiv geeignet ist, im Falle ihrer Veröffentlichung in erheblicher Weise auf den Kurs des Insiderpapiers einzuwirken. Kumulativ wirken hier die Unbestimmtheit des Tatbestandsmerkmals „Kurserheblichkeit“ und das Vorsatzerfordernis zu Lasten des vermeintlichen Insiders. a) Dolus eventualis Das durch die besondere Ausgestaltung des Insidertatbestands bedingte Strafverfolgungsrisiko erhöht sich zudem dadurch, daß nach überwiegender Auffassung in Literatur466 und Rechtsprechung467 Eventualvorsatz (dolus eventualis) für eine Strafbarkeit nach § 38 WpHG genügt.468 § 14 Abs. 1 u. 2 WpHG i. V. mit § 38 WpHG verlangen zwar für alle Handlungsverbote Vorsatz. Fahrlässiges Handeln erfüllt dagegen den insiderrechtlichen Straftatbestand nicht.469 Im Gegensatz zum direkten Vorsatz sieht der mit bedingtem Vorsatz handelnde Täter jedoch die Erfüllung des Tatbestands nicht als sicher voraus, sondern hält dies nur für möglich.470 Übertragen auf das Insiderrecht bedeutet dies, daß es 463
So die Vermutung von Marxen/Karitzky, EWiR 2000, S. 353, 354. So bereits Marxen/Karitzky, EWiR 2000, S. 353, 354 mit Verweis auf Leisner, BB 1994, S. 1941 ff. u. ders., BB 1995, S. 525 ff. 465 Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. u. B. 466 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 18; Kohlmann, in: FS Vieregge, S. 443, 451; Dickersbach, S. 192, Loesche, S. 227 u. 232; Park, BB 2001, S. 2069, 2075 f.; a. A. nur Schröder, NJW 1994, S. 2879, 2880. 467 AG Köln, Urteil v. 20.03.2000 – Az. 583 DS 369/99, unveröffentlicht. 468 Zu den verschiedenen Vorsatzformen im Strafrecht vgl. Otto, Jura 1996, S. 468, 471 ff. 469 Gem. § 15 StGB ist die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bekanntlich eine gesetzliche Ausnahme. Strafbar ist danach nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. 464
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
für eine Strafbarkeit nach §§ 38, 14 WpHG genügt, wenn der Insider es nur für möglich hält, daß die Information, von der er Kenntnis erlangt hat, geeignet ist, die Kurse der betroffenen Papiere erheblich zu beeinflussen. Damit besteht die Gefahr, daß die Grenze zum fahrlässigen Handeln verwischt. Wird die Annahme eines bedingten Vorsatzes erwogen, so muß immer auch geprüft werden, ob nicht nur bewußte Fahrlässigkeit vorliegt. Beide Schuldformen grenzen eng aneinander; sie unterscheiden sich lediglich darin, daß der bewußt fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolges in dem Sinne einverstanden ist, daß er ihn billigend in Kauf nimmt.471 Das Bewußtsein von der möglichen Tatbestandsverwirklichung ist also in gleicher Weise Voraussetzung sowohl des bedingten Vorsatzes als auch der bewußten Fahrlässigkeit. Nach überwiegender Ansicht ist daher das voluntative Element das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Es ist also darauf abzustellen, ob der Täter den Handlungserfolg wollte oder ihn zumindest gebilligt hat.472 Die wenigen Bemerkungen zur Unterscheidung von bewußter Fahrlässigkeit und dolus eventualis zeigen bereits, daß es sich dabei um eine der schwierigsten und umstrittensten Fragen der Strafrechtsdogmatik handelt.473 Im Insiderrecht dürfte sich die Abgrenzungsproblematik noch stärker auswirken als bei anderen Straftatbeständen. Denn die Abgrenzungsformel zwischen bewußter Fahrlässigkeit und Eventualvorsatz läßt sich nur bedingt auf den Tatbestand des Insiderverbots anwenden. Anders als etwa bei den Tötungs- und Körperverletzungsdelikten des allgemeinen Strafrechts handelt es sich bei den Insidertaten nicht um Erfolgsdelikte, sondern um sog. abstrakte Gefährdungsdelikte. Bei diesen Delikten tritt ein konkreter Verletzungserfolg gar nicht ein, hinsichtlich dessen der Täter sich eine Vorstellung machen könnte. Zugleich kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Insider den Erfolgseintritt „will“. Damit fällt das entscheidende Abgrenzungskriterium weg. Wie der Tatrichter in solchen Fällen entscheiden wird, bleibt unklar.474 b) Das Vorsatzmerkmal im Strafprozeß Neben den begrifflichen Voraussetzungen des dolus eventualis muß seine beweisrechtliche Feststellung im Strafverfahren berücksichtigt werden. Das eigent470
Otto, Jura 1996, S. 468, 472. Meyer-Großner, NStZ 1986, S. 49, 49. 472 Die Rechtsprechung folgt zwar der sog. „Einwilligungstheorie“. Sie läßt jedoch ein „Billigen im Rechtssinne“ ausreichen, das auch dann vorliegen könne, wenn dem der Täter der Erfolg an sich unerwünscht ist. 473 Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 72. 474 Vgl. dazu auch Haft, ZStW 88 (1976), S. 365, 392. 471
A. Der sogenannte „chilling effect‘‘ des Insiderrechts
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liche Problem des dolus eventualis liegt nämlich nicht in den materiell-rechtlich divergierenden Auslegungsformen, sondern in der immer noch nicht gelösten Schwierigkeit, die als solche nicht feststellbaren inneren Tatsachen, im Strafverfahren aus Indizien heraus beweiskräftig festzustellen.475 Von äußeren Umständen auf innere Tatsachen zu schließen und letztere dadurch nachzuweisen, ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden.476 Es besteht somit stets die Gefahr einer Fehlverurteilung. Dennoch verlangt der BGH keine „überspannten Anforderungen“ an die tatrichterliche Überzeugung.477 Dementsprechend weist Park im Rahmen seiner Erörterung kapitalmarktbezogener Wirtschaftsstraftatbestände daraufhin, daß Staatsanwaltschaften und Gerichte in der Praxis nur geringe Anforderungen an die Bejahung subjektiver Tatbestandsmerkmale stellen.478 Diese Einschätzung geht konform mit der Aussage von Meyer-Großner, die Formel „der Angeklagte hat mit – zumindest bedingtem – Vorsatz gehandelt.“ sich bei Tatrichtern größter Beliebtheit erfreue.479 Auch Peters vermutet, daß „die immer mehr um sich greifende Anwendung des bedingten Vorsatzes nicht selten auf einer objektiv nicht hinreichend gestützten Meinung beruhe“.480 Die sich abzeichnende Tendenz der Rechtsprechung, an die Vorsatzform des dolus eventualis beweisrechtlich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, wird zudem von rechtspolitischen Überlegungen getragen. Durch das erste und zweite Reformgesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wurde eine Reihe von sog. „abstrakten Gefährdungsdelikten“ in das Strafgesetzbuch eingefügt, die einen weitgehenden Schutz sog. „überindividueller Rechtsgüter“ gewährleisten.481 Hauptgrund für die Schaffung dieser neuen Straftatbestände waren Nachweisprobleme bei den klassischen Eigentums- und Vermögensdelikten.482 Mit der Vorverlagerung des strafrechtlichen Schutzes in den Bereich abstrakter Gefährdungshandlungen, die keinen Verletzungserfolg voraussetzen, sollten für die Justiz Beweiserleichterungen geschaffen werden, um die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität effizienter zu gestalten.483 Diesen rechtspolitischen Überlegungen des Gesetzgebers würde es widersprechen, wenn die Rechtsprechung nunmehr dazu überginge, durch hohe Beweisanforderungen auf der subjektiven Tatbestandsseite einer Verurteilung von Wirtschaftsdelinquenten aufgrund dieser neu geschaffenen Delikte entgegenzuwirken. In diesem Zusam475
Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke-Schröder, § 15 Rn. 87b. Freund, S. 6. 477 BGH NJW 1951, S. 83, 84; siehe auch dazu Freund, S. 7, Fn 33. 478 Park, BB 2001, S. 2069, 2071. 479 Meyer-Goßner, NStZ 1986, S. 49. 480 K. Peters, Strafprozeß, S. 293. 481 Vgl. zur neueren Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts Dannecker, in Wabnitz/ Janovsky, 1. Kapitel, S. 27 ff. 482 Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kapitel, S. 39 Rn. 86. 483 Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, 1. Kapitel, S. 39 Rn. 86. 476
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
menhang ist noch zu bemerken, daß zum Teil sogar leichtfertige Verhaltensweisen im Wirtschaftsstrafrecht unter Strafe gestellt wurden.484 Dadurch wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, daß die Einführung abstrakter Gefährdungsdelikten nicht durch die Schwierigkeiten, die mit dem Nachweis vorsätzlichen Verhaltensweisen insbesondere bei arbeitsteiligen Vorgehen verbunden sind, in ihrer Wirkung relativiert wird. 2. Vorgelagertes Ermittlungsverfahren Bei der Frage nach den faktischen Auswirkungen des Insiderrechts sind neben materiell-rechtlichen Auslegungsproblemen auch Aspekte der prozessualen Durchsetzung des Insiderstraftatbestands zu berücksichtigen.485 Ein wesentlicher Aspekt ist die Ausweitung der Ermittlungsbefugnisse im Vorfeld eigentlicher strafprozessualer Maßnahmen durch die Kontrollmöglichkeiten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gem. §§ 9, 16 WpHG. Da Insiderdelikte nur schwer nachzuweisen sind, weil sie sich für einen objektiven Beobachter von „normalen“ Wertpapiertransaktionen praktisch nicht unterscheiden, hat der Gesetzgeber im Insiderrecht der eigentlichen Strafverfolgung durch die Justizbehörden ein verwaltungsrechtliches Ermittlungsverfahren vorgeschaltet, dessen rechtliche Grundlagen im WpHG geregelt sind.486 Die Ausweitung der Ermittlungsbefugnisse im Insiderrecht dient – neben präventiven Zwecken – der Effizienz der Strafverfolgung.487 Zugleich birgt dieses Vorgehen die Gefahr in sich, daß Kapitalmarktexperten, die aus Sicht des Insiderrechts eine „gefahrgeneigte“ Tätigkeit ausüben, allzu leicht zum Opfer einer sog. „Ausforschungsermittlung“488 werden können.489 Diese Gefahr ist bei der Beurteilung der faktischen Verbotswirkungen des Insiderrechts nicht zu unterschätzen. Bereits ein Ermittlungsverfahren kann für den jeweils Betroffenen 484 Leichtfertigkeit ist insbesondere im Steuer-, Zoll- und Subventionsstrafrecht sowie im Lebensmittelstrafrecht unter Sanktionsandrohung gestellt. 485 Vgl. allgemein zum Wechselspiel von Beweisrecht und Strafrecht auch Ling, JZ 1999, S. 335 ff. 486 Vg. Begr. RegE 2. FMFG zu § 16, BT-Drucks. 12/6679, S. 49 f. 487 Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, S. 14, Rn. 19 weist daraufhin, daß im Wirtschaftsstrafrecht aufgrund der Anonymität und der dadurch bedingten Distanz zwischen Täter und Opfer die private Strafanzeige eine vergleichsweise geringe Bedeutung für die Entdeckung und Verfolgung zukommt. Weniger als 10% der bearbeiteten Fälle gingen danach auf die Anzeige eines Opfers zurück. Der überwiegende Teil der Fälle würde dagegen durch spezialisierte Behörden wie u. a. die BAFin aufgedeckt. 488 Zum Begriff der sog. „Ausforschungsermittlung“ vgl. u. a. Leisner, BB 1994, S. 1941 ff. und ders., BB 1995, S. 525 ff. 489 Auch Dreyling, in: Assmann/Schneider, § 16 Rn. 10 sieht dieses Problem. Zur Rechtfertigung der Regelung verweist er jedoch auf die Schwierigkeit, in der Anonymität des Börsenhandels mit den herkömmlichen Ermittlungsbefugnisses der Staatsanwaltschaft ein Insidergeschäft aufdecken zu können.
A. Der sogenannte „chilling effect‘‘ des Insiderrechts
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schwerwiegende berufliche Folgen haben. Habetha hat in diesem Zusammenhang die Befürchtung geäußert, im WpHG würden auf verwaltungsrechtlichem Wege strafprozessuale Garantien umgangen werden.490 Im einzelnen gründet sich die Gefahr einer vorschnellen Ausforschungsermittlung auf folgende Besonderheiten des verwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahrens: a) Niedrigere Verdachtsstufe Strafprozessuale Eingriffe setzen grundsätzlich das Vorliegen eines Anfangsverdachts (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) in bezug auf konkrete Tatsachen gegen einzelne Personen voraus. Bloße Vermutungen rechtfertigen es dagegen nicht, jemandem eine Tat strafprozessual zur Last zu legen.491 Es müssen zumindest entfernte Verdachtsgründe vorliegen, die es nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheinen lassen, daß eine verfolgbare Straftat vorliegt.492 Für ein Delikt wie den Insiderhandel, das in der Anonymität des Börsenhandels begangen wird, dürfte dies eine fast unüberwindliche Verdachtsschwelle sein. Jedenfalls hält Ransiek es für äußerst unwahrscheinlich, daß es im Insiderrecht ohne die zusätzlichen Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten nach den §§ 9, 16 WpHG jemals zur Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens kommen würde.493 Ein Anfangsverdacht i. S. des § 152 StPO ist seiner Auffassung nach nicht allein dadurch begründet, daß auffällige Kursschwankungen am Kapitalmarkt festgestellt werden.494 Dieses Problem hat der (europäische)495 Gesetzgeber erkannt und im verwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahren eine niedrigere Verdachtsstufe eingeführt.496 Für ein Einschreiten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht genügen gem. § 16 Abs. 2 S. 1 WpHG bereits „Anhaltspunkte“ für einen Verstoß gegen ein Insiderhandelsverbot im Sinne von § 14 WpHG.497 Solche „Anhaltspunkte“ sollen nach der Gesetzesbegründung u. a. bereits dann vorliegen, wenn abrupte Kurs- und Umsatzveränderungen vor der Veröffentlichung 490
Habetha, WM 1996, S. 2133, 2133. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 152 StPO, Rn. 4. 492 BVerfG NJW 1994, S. 783, 784. 493 Ransiek, DZWir 1995, S. 53, 54. 494 Ransiek, DZWir 1995, S. 53, 54. 495 § 16 Abs. 2 WpHG dient der Umsetzung des Art 8 Abs. 2 der Insiderrichtlinie, wonach die zuständigen Stellen über die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Kompetenzen verfügen müssen. 496 Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, S. 320 Rn. 57, verwendet den Begriff „Vorverdachtsstufe“. 497 Eine Definition dessen, was sich der Gesetzgeber unter „Anhaltspunkten“ vorstellte, existiert nicht. Aus der Gesetzesbegründung geht jedoch hervor, daß es dabei um eine im Verhältnis zum strafprozessualen Anfangsverdacht niedrigere Verdachtsstufe handeln soll. 491
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
einer Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG festgestellt werden können.498 Die Möglichkeit, wegen Insidervergehen zu ermitteln, wurde daher von einem konkreten Tatverdacht gegen einzelne Personen gelöst und in das Vorfeld allgemein auffälliger, verdächtiger Transaktionen verlagert.499 Erste Anhaltspunkte für einen Insiderverstoß erhält die Aufsichtsbehörde zum einen durch ihre Beobachtung des Marktes und zum anderen durch die systematische Auswertung der laufenden Mitteilungen über abgeschlossene Wertpapiergeschäfte, die das BAFin täglich gem. § 9 WpHG von den Finanzdienstleistungsunternehmen erhält.500 Dementsprechend wird eine förmliche Insideruntersuchung durch das BAFin grundsätzlich immer dann eingeleitet, wenn sich bei der Marktanalyse aufgrund der Informationslage, der Kursverläufe und Umsätze in dem betroffenen Wertpapier die Hinweise auf mögliche Verstöße verdichtet haben. Im Rahmen der Insideruntersuchung erfolgen zunächst Anfragen beim börsennotierten Unternehmen und sonstigen Beteiligten, um den die Insidertatsache betreffenden Sachverhalt aufzuklären. Sodann läßt sich die Aufsichtsbehörde von den Meldepflichtigen die Auftraggeber der verdächtigen Geschäfte offenlegen. Konkretisiert sich der Verdacht auf Insidergeschäfte, erstattet die Aufsichtsbehörde Anzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft.501 b) Die Ermittlungsbefugnisse im einzelnen Das frühzeitige Einschreiten der Aufsichtsbehörde geht mit einem umfangreichen Instrumentarium an Ermittlungsbefugnissen einher, das erst kürzlich durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz noch einmal erheblich erweitert wurde.502 Wenn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht „Anhaltspunkte“ für einen Verstoß gegen ein Insiderhandelsverbot nach § 14 WpHG hat, kann es gem. § 16 Abs. 2 S. 1 WpHG von Kreditinstituten und Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit Sitz im Inland Auskünfte über Geschäfte in Insiderpapieren verlangen, die sie für eigene oder fremde Rechnung abgeschlossen oder vermittelt haben. Dieses Auskunftsrecht erstreckt sich gem. § 16 Abs. 2 S. 3 WpHG auf die Identität der Auftraggeber, der berechtigten bzw. verpflichteten Personen sowie der Bestandsveränderungen in Insiderpapieren. Ergeben die durch dieses Auskunftsrecht erlangten Angaben Anhaltspunkte für 498
Reg. Begr. 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 49. Ransiek, DZWir 1995, S. 53, 54. 500 Vgl. zu den Informationsquellen, aus denen die Aufsichtsbehörde ihre „Anhaltspunkte“ für Insiderverstöße bezieht, die Jahresberichte 2000 und 2001 des BAWe, S. 18 ff. bzw. S. 20 ff. 501 Siehe dazu auch den Leitfaden des BAWe und der Deutschen Börse, Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität, 2. Aufl., S. 23/24. 502 Mit Inkrafttreten des vierten Finanzmarktgesetzes wurde § 16 WpHG geändert und der § 16b WpHG neu in das Gesetz eingefügt. 499
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weitere Insiderverstöße, so kann das Aufsichtsamt weitere Auskünfte vom Verpflichteten verlangen (§ 16 Abs. 2 S. 4 WpHG). Außerdem schließt das Auskunftsrecht die Befugnis ein, die Vorlage von Unterlagen zu verlangen und die Geschäftsräume der Auskunftsverpflichteten ohne Ankündigung während der üblichen Arbeitszeiten, außerhalb dieser nur zur Verhütung von dringenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu betreten (§ 16 Abs. 3 S. 1, 2 WpHG). Gem. Absatz 4 der Regelung stehen der Bundesanstalt die genannten Ermittlungsbefugnisse auch gegenüber den Emittenten von Insiderpapieren und Personen, die Kenntnis von einer Insidertatsache haben, zu. Die Auskunfts- und Vorlagerechte des Aufsichtsamts gem. § 16 Abs. 2 und 3 WpHG sind zudem mit Inkrafttreten des 4. FMFG dahingehend erweitert worden, daß nunmehr auch das zu dem Depot gehörende Geldkonto untersucht werden darf. Grund für diese Erweiterung war die Überlegung, daß hohe Zahlungsein- und -ausgänge auf dem Geldkonto Aufschluß über geplante Insidertransaktionen geben können.503 Des weiteren ist durch das vierte Finanzmarktförderungsgesetz die sechsmonatige Frist aufgehoben worden, die das Bundesaufsichtsamt bislang daran hinderte, Kontenbewegungen im Vorfeld einer Insidertransaktion entsprechend zurückzuverfolgen (vgl. § 16 Abs. 2 S. 4 WpHG a. F.). Schließlich ist als ein völlig neuer Punkt in den Ermittlungskatalog des § 16 WpHG die Möglichkeit eingefügt worden, Auskunft über den Eröffnungstermin des Depots, dessen Anfangs- und Endbestand sowie die weiteren Verfügungsberechtigten zu verlangen. Vor allem diese neue Regelung ist geeignet, sich negativ im Sinne einer schädlichen Nebenwirkung auf das Kapitalmarktgeschehen auszuwirken. Denn laut Gesetzesbegründung dient die Auskunft über weitere Verfügungsberechtigte eines Depotkontos der Ermittlung von Verbindungen zu weiteren Personen, die eventuell Kenntnis von Insidertatsachen haben.504 In die Ausforschungsermittlung werden also potentiell Personen miteinbezogen, die zunächst nicht Subjekt der Ermittlungen waren. Dieses zusätzliche Ermittlungsrisiko wird in nicht unerheblichen Maße dazu beitragen, den Informationsaustausch zwischen den einzelnen Kapitalmarktteilnehmern noch stärker einzuschränken. Mit Inkrafttreten des 4. FMFG ist schließlich der § 16b neu in das WpHG eingefügt worden. Danach können sowohl Wertpapierdienstleistungsunternehmen als auch die Emittenten von Wertpapieren verpflichtet werden, bereits existierende Verbindungsdaten über den Fernmeldeverkehr bis zu sechs Monate aufzubewahren, sofern bezüglich der Personen, deren Gespräche oder andere Daten aufgezeichnet worden sind, Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen § 14 WpHG bestehen. Auch von dieser Regelung erhofft sich der Gesetzgeber, daß sie den Ermittlungsbehörden im Falle einer Insideruntersuchung wichtige An503 504
Begr. RegE 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 246. Reg. Begr. 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 247.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
haltspunkte liefern wird.505 Insbesondere sollen auf diesem Wege mögliche Verstrickungen von Primär- und Sekundärinsidern aufgedeckt werden. Auch diese Regelung wird Unternehmensvertreter künftig davon abhalten, mehr Informationen als nötig unternehmensexternen Personen mitzuteilen. c) Gegenstand der aufsichtsrechtlichen Ermittlungen Sowohl die niedrige Verdachtsstufe als auch die umfassenden Ermittlungsbefugnisse des Aufsichtsamts greifen bereits erheblich in die Persönlichkeitssphäre der betroffenen Kapitalmarktteilnehmer ein. Erschwerend kommt hinzu, daß sich die Untersuchungstätigkeiten der Aufsichtsbehörde allein auf die Gegebenheiten des objektiven Tatbestands der §§ 12–14, 38 WpHG erstrecken.506 Erst wenn die Sache gem. § 18 WpHG der Staatsanwaltschaft angezeigt wird, ermitteln die Justizbehörden darüber hinaus auch den subjektiven Tatbestand.507 Für Straftatbestände, deren Unwerturteil bereits auf objektiver Tatbestandsseite hinreichend definiert ist, mag ein solches Vorgehen der Ermittlungsbehörden deutlich weniger problematisch sein. Denn hier besteht, wie Tiedemann508 ausführt, für den „rechtschaffenen Wirtschafter“ stets die Möglichkeit, durch „normkonformes Verhalten den strafrechtlich-repressiven Tatbeständen bereits im Vorfeld aus dem Weg zu gehen“. Im Insiderrecht ist jedoch ein vorgelagertes Ermittlungsverfahren, das allein den objektiven Tatbestand zum Gegenstand hat, äußerst bedenklich. Wie bereits verschiedentlich ausgeführt509 unterscheidet sich eine Insidertat objektiv nicht von einer normalen Wertpapiertransaktion. Daher stellt sich die Frage, wie die Bundesanstalt bei ihren Ermittlungen eigentlich die sog. „schwarzen Schafe“ herausfiltern will, wenn es sich allein auf objektive Tatelemente konzentriert. Die einzige denkbare Möglichkeit, dies unter den vorgenannten Bedingungen zu tun, besteht doch wohl darin, im Sinne eines prima-facie-Beweises diejenigen Personen eines Insidervergehens zu verdächtigen, die kurz vor Veröffentlichung eines besonders kursbeeinflussenden Ereignisses größere Transaktionen in den betroffenen Papieren getätigt haben.510 Daß diese Personen jedoch nicht zwingend aufgrund einer besonderen Insiderkenntnis gehandelt haben müssen, sondern möglicherweise rein zufällig sich zu diesem Zeitpunkt von ihren Aktienbeständen getrennt bzw. Aktien dazu gekauft haben, steht außer Frage. Damit besteht jedoch eindeutig die Gefahr einer
505 506 507 508 509 510
Reg. Begr. 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 247/248. Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 42, Rn. 154. Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 42, Rn. 154. Tiedemann, ZStW 87 (1975), S. 253, 266. Vgl. zuletzt oben 1. Teil, 4. Abschnitt, A. I. 1. So auch Ransiek, DZWir 1995, S. 53, 55.
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Falschverdächtigung, die viele Kapitalmarktexperten vor einer allzu offenen Informationspolitik zurückschrecken lassen dürften. d) Spannungsverhältnis zwischen dem nemo-tenetur-Grundsatz und den Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren Bei der Erörterung möglicher faktischer Verbotswirkungen des deutschen Insiderrechts darf das Spannungsverhältnis zwischen dem strafrechtlichen nemotenetur-Grundsatz und den Mitwirkungspflichten des verwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht unberücksichtigt bleiben. Wie bereits erwähnt511 dient das Verfahren nach § 16 WpHG nicht nur der präventiven Überwachung der börslichen Geschäfte, sondern auch der Vorbereitung einer Strafverfolgung durch die Justizbehörden.512 Die betroffenen Personen werden von der Aufsichtsbehörde verpflichtet, an der Aufklärung eines Insidersachverhalts mitzuwirken, indem sie Auskünfte erteilen, Dokumente vorlegen und Durchsuchungen erdulden müssen. Am Ende der Ermittlungen beurteilt die Behörde, ob ein zur Eröffnung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens notwendiger Anfangsverdacht besteht, den sie gem. § 18 WpHG an die Staatsanwaltschaft weiterleiten muß. Das Verfahren spielt sich demnach im unmittelbaren Vorfeld strafrechtlicher Ermittlungen ab. Damit stellt sich die Frage nach den Schutzrechten, die die Beschuldigten in diesem Verfahren der Bundesaufsichtsbehörde entgegenhalten können. Grundsätzlich besteht im Straf- und Bußgeldverfahren eine umfassende Selbstbelastungsfreiheit.513 Niemand ist verpflichtet, durch aktive Mitwirkung zu seiner eigenen Verurteilung beizutragen – nemo tenetur se ipsum accusare. Dieses Recht hat in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO für den Beschuldigten und in § 55 Abs. 1 StPO für den Zeugen seinen einfachgesetzlichen Niederschlag gefunden.514 Es ist zudem als ungeschriebener Grundsatz von Verfassungsrang allgemein anerkannt.515 Es erschöpft sich nicht allein darin, sich nicht durch eine Aussage einer Straftat bezichtigen zu müssen (Selbstbelastungsfreiheit im engeren Sinne), sondern umfaßt auch die Freiheit des Beschuldigten, selbst darüber befinden zu dürfen, ob er an der Aufklärung des Sachverhalts in anderer Weise als durch Äußerungen zum Untersuchungsgegenstand aktiv mitwirken will oder nicht (Selbstbelastungsfreiheit im weiteren Sinne).516 511
Vgl. oben 1. Teil, 4. Abschnitt, A. I. 1. a). Vgl. Benner, in Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, S. 320 Rn. 58: „Sie [gemeint sind die Ermittlungsbefugnisse nach § 16 WpHG] dienen der Vorermittlung von Tatsachen, die den Verdacht einer Insiderstraftat begründen können.“ 513 BVerfGE 38, S. 105, 113; 56, S. 37, 49; BGHSt 36, S. 328, 332. 514 Als weitere Normen sind §§ 136a Abs. 1 u. 3, 163a Abs. 3 bis 6, sowie 243 Abs. 4 S. 1 StPO zu nennen. 515 Kleinknecht/Meyer-Goßner, Einl. Rn. 29a. 512
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Das Verwaltungsverfahren nach § 16 WpHG gehört jedoch nicht zum Strafverfahren im Sinne der StPO. Die Aufsichtsbefugnisse der BAFin sind vielmehr ausnahmslos als präventive Überwachungsmaßnahmen517 ausgestaltet mit der Folge, daß die strafprozessualen Beschuldigtenrechte dort (noch) nicht bestehen.518 Der Gesetzgeber hat dieses Problem gesehen und eine besondere Schutzvorschrift in § 16 Abs. 6 S. 1 WpHG normiert. Danach kann der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über die Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Insofern enthält das WpHG eine spezialgesetzliche Normierung des eigentlich nur im Strafrecht geltenden nemo-tenetur-Grundsatzes. Allerdings gewährt § 16 Abs. 6 S. 1 WpHG dem Betroffenen keinen umfassenden Schutz vor einer möglichen Selbstbelastung durch die Mitwirkungshandlungen, zu denen er aufgrund der vorstehenden Absätze des § 16 WpHG verpflichtet werden kann.519 So wird in § 16 Abs. 6 S. 1 WpHG ausdrücklich nur die Auskunftsverpflichtung erwähnt, die der Betroffene unter den genannten Voraussetzungen verweigern darf (Selbstbelastungsfreiheit im engeren Sinne). Dagegen werden andere Verpflichtungen, die der Aufdeckung eines Sachverhalts dienen – wie etwa Vorlagepflichten und die Verpflichtung zur Duldung von Durchsuchungen – nicht aufgezählt. Sie sind dementsprechend vom Schutzbereich des § 16 Abs. 6 S. 1 WpHG nicht unmittelbar umfaßt. Eine Selbstbelastungsfreiheit im weiteren Sinne besteht daher im verwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht. Es ließe sich allenfalls überlegen, ob § 16 Abs. 6 S. 1 WpHG analoge Anwendung auch auf andere verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflichten finden kann. Aufgrund der Rechtsprechung zu ähnlich gelagerten Fällen in anderen Verwaltungsverfahren ist eine analoge Anwendung des in § 16 Abs. 6 S. 1 WpHG spezialgesetzlich normierten nemo-tenetur-Grundsatzes auf andere Formen verwaltungsrechtlicher Mitwirkungspflichten wohl abzulehnen.520 Das BVerfG hat bereits mehrfach entschieden, daß ein spezialgesetzlich normiertes Auskunftsverweigerungsrecht nicht auf andere Formen verwaltungsrechtlicher Mitwirkungspflichten übertragen werden darf.521 Dem nemo-tenetur-Grundsatz 516
BGHSt 42, S. 139, 155. Der Gesetzgeber selbst bezeichnet die Ermittlungsbefugnisse gem. § 16 WpHG als Instrumentarium zur „Überwachung des Insiderverbots“, vgl. Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 35. 518 Darauf weist erstmals Wirth, BB 1996, S. 1725, 1726 hin. 519 Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, S. 1825, 1826. 520 Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, S. 1825, 1827. 521 BVerfG NJW 1981, S. 1087 f.; BVerfG NJW 1982, S. 568; siehe auch OLG Celle, NZA 1989, S. 119 f. 517
A. Der sogenannte „chilling effect‘‘ des Insiderrechts
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sei vom Gesetzgeber in aller Regel bereits durch das Auskunftsverweigerungsrecht hinreichend Rechnung getragen worden.522 Dementsprechend sei der Betroffene nicht davon befreit, die ihm vom Gesetz auferlegten Aufzeichnungs-, Dokumentations- und Vorlagepflichten zu erfüllen. Insgesamt stellt dies eine für die betroffenen Kapitalmarktteilnehmer äußerst unbefriedigende Rechtslage dar.523 Hinzu kommt, daß nicht nur die Rechte der unmittelbar eines Insidervergehens beschuldigten Personen im verwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahren eine herbe Einschränkung erfahren. Auch Zeugen können sich nicht auf alle ihnen im Strafprozeß zustehenden Rechte berufen.524 Davon sind insbesondere Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater betroffen. Gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO steht den Angehörigen dieser Berufsgruppen im Strafprozeß ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, wonach sie solche Informationen nicht zu offenbaren brauchen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer usw. anvertraut wurden. Bezogen auf ein Insiderverfahren bedeutet dies, daß sie nicht in die Zwangslage gebracht werden können, als Zeuge Organmitglieder der von ihnen beratenden Aktiengesellschaften wegen begangener Insiderverstöße belasten zu müssen. Ein solcher Schutz besteht im verwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahren dagegen nicht.525 § 16 Abs. 6 S. 1 WpHG enthält keine mit § 53 StPO vergleichbare Regelung. Daher besteht die Gefahr, daß der Schutzzweck des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts dadurch unterlaufen wird, daß die Auskünfte, die ein Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer gegenüber der BAFin erteilt, im Strafverfahren durch Verlesung verwertet werden können.
522 Vgl. BVerfG NJW 1981, S. 1087, 1088: „Der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen seiner Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz aussetzen würde. Daraus folgt indes nicht, daß auch andere Erkenntnismöglichkeiten, die den Bereich der Aussagefreiheit nicht berühren, von den Betroffenen unter Hinweis auf diese Freiheit eingeschränkt und behindert werden dürfen.“ 523 Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, S. 1825, 1828 f. schlagen zur Lösung dieses Problems vor, darauf abzustellen, ob die von der Aufsichtsbehörde eingeleiteten Maßnahmen noch der präventiven Bekämpfung von Straftaten dienen, oder ob sie bereits dem repressiven Bereich zuzurechnen sind, der mit Einleitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens beginnt. Sobald nämlich letzteres bereits der Fall sei, stünde dem Betroffenen zur Wahrung seiner Interessen nicht nur das spezialgesetzlich normierte Auskunftsverweigerungsrecht des § 16 Abs. 6 S. 1 WpHG zu, sondern darüber hinaus auch der gesamte Schutz des Strafprozeßrechts. 524 Siehe dazu Wirth, BB 1996, S. 1725 f. 525 Dreyling, in: Assmann/Schneider, § 16 Rn. 31; a. A. Wirth, BB 1996, S. 1725, 1726.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
e) Strafprozessuale Verwertbarkeit von Erkenntnissen der Aufsichtsbehörde Mit der niedrigen Verdachtsschwelle und dem Mangel an Schutzrechten im verwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahren geht das Problem der strafprozessualen Verwertbarkeit von Informationen einher, welche aufgrund der in § 16 WpHG normierten Ermittlungsbefugnisse von der Aufsichtsbehörde erlangt werden. Gem. § 18 S. 1 WpHG ist die Bundesanstalt verpflichtet, Tatsachen, die den Verdacht einer Straftat nach § 38 WpHG begründen, der zuständigen Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Gem. § 18 S. 2 WpHG ist die Behörde zugleich berechtigt, die personenbezogenen Daten der Betroffenen, gegen die sich der Verdacht richtet oder die als Zeugen in Betracht kommen, an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, die Aufsichtsbehörde solle den „Vorgang“ an die zuständige Staatsanwaltschaft abgeben.526 Aus dieser Formulierung ist zu schließen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers der gesamte Akteninhalt gegenüber der Staatsanwaltschaft offengelegt werden soll.527 Aus strafprozessualer Sicht ist die uneingeschränkte Weitergabe von Erkenntnissen der BAFin an die Staatsanwaltschaft jedenfalls dann als problematisch anzusehen, wenn die BAFin aufgrund ihrer weitgehenden Ermittlungsbefugnisse Informationen erlangt hat, die sie mit dem Instrumentarium der StPO nicht oder nicht in dem Umfang hätte erlangen können.528 Hier besteht die Gefahr, daß auf verwaltungsrechtlichem Wege strafprozessuale Beschränkungen der Beweiserhebung, die dem Schutz der betroffenen Personen dienen, umgangen werden. In solchen Fällen stellt sich die Frage nach der strafprozessualen Verwertbarkeit der Informationen.529 Obwohl im Schrifttum auf dieses Problem bereits mehrfach hingewiesen wurde530, ist bislang weder von seiten des Gesetzgebers noch der Rechtsprechung eine stärkere Regulierung des Datenabgleichs zwischen Aufsichtsbehörde und Staatsanwaltschaft gefordert worden. Nach Auffassung von Wirth sei die vorbehaltlose strafrechtliche Verwertung der von der Aufsichtsbehörde erlangten Informationen vom Gesetzgeber offensichtlich gewollt.531 Die in der Literatur zu findenden Vorschläge, wie die straf- und verwaltungsrechtlichen Ermittlungsbefugnisse im Insiderrecht besser aufeinander abgestimmt werden können, blieben in der Praxis bisher unberücksichtigt.532 Dies bedeutet, daß im Insiderrecht 526
Begr. RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 51. Wirth, BB 1996, S. 1725, 1725. 528 Habetha, WM 1996, S. 2133, 2134. 529 Habetha, WM 1996, S. 2133, 2134. 530 Ransiek, DZWir 1995, S. 53, 54; Habetha, WM 1996, S. 2133, 2134; Wirth, BB 1996, S. 1725, 1725; siehe auch Dreyling, in: Assmann/Schneider, § 16 Rn. 9, 10. 531 Wirth, BB 1996, S. 1725, 1725. 527
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der strafprozessuale Schutz vor einer strafrechtlichen Verfolgung, die durch „unrechtmäßige“ Ermittlungsmethoden eingeleitet wurde, nur eingeschränkt besteht. Besonders relevant wird die Verwertbarkeitsproblematik bei „Zufallsfunden“, die die Aufsichtsbehörde im Rahmen sog. Massenfahndungen erlangt.533 Denn hier sind die Unterschiede hinsichtlich der Reichweite der Ermittlungsbefugnisse von Aufsichtsbehörde und Staatsanwaltschaft besonders offensichtlich. Mit dem Begriff „Massenfahndung“ ist jede Form der Ermittlung gemeint, die sich (noch) nicht gegen einen konkreten Straftäter richtet, sondern eine Vielzahl von Personen erfaßt, aus der die verdächtige Person erst noch herausgefiltert werden muß.534 Bei solchen Ermittlungsmaßnahmen kommt es auf Grund der verhältnismäßig großen Zahl von Personen, die Subjekt der Untersuchung sind, zwangsläufig zu Erkenntnissen, die zu Beginn der Ermittlungen noch gar nicht als das eigentliche Ermittlungsziel definiert wurden (sog. Zufallsfunde). Aus strafprozessualer Sicht sind Massenfahndungen jedoch nur sehr eingeschränkt zulässig. Grundsätzlich steht im Strafprozeß das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einer Ausforschungsermittlung entgegen.535 Allein die §§ 98a, b und 163d StPO ermächtigen die Ermittlungsbehörden zur Durchführung von Massenfahndungen in Form von sog. Raster- bzw. Schleppnetzfahndungen. Doch selbst diese beiden gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen vom Verbot der Massenfahndung unterliegen strengen Auflagen. Zum einen dürfen gemäß dem Subsidiaritätsgrundsatz solche Fahndungen nur durchgeführt werden, wenn die Ermittlungen auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wären.536 Darüber hinaus dürfen diese Ermittlungsmethoden nur auf bestimmte Katalogdelikte angewandt werden, zu denen lediglich Verbrechen von erheblicher Bedeutung gehören. Ein Vergehen wie das Insiderdelikt wäre dagegen keine geeignete Katalogtat. Hinzu kommt, daß „Zufallsfunde“ selbst bei rechtmäßig durchgeführten Massenfahndungen nur unter sehr engen Voraussetzungen verwertet werden dürfen. Zur Verfolgung einer 532 Habetha, WM 1996, S. 2133, 2140, schlägt vor, § 16 WpHG anhand strafprozessualer Maßstäbe auszulegen. Danach dürfe die Aufsichtbehörde nur dann „Anhaltspunkte“ im Sinne des § 16 Abs. 2 S. 1 WpHG für einen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot annehmen, wenn die Staatsanwaltschaft gem. §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO einen Anfangsverdacht hätte. 533 So Habetha, WM 1996, S. 2133, 2134. 534 Vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 163d Rn. 3. 535 BVerfGE 65, S. 1, 41 ff.; vgl. aber BVerfG WM 1994, S. 691, wonach eine Durchsuchung der Geschäftsräume von privatrechtlich organisierten Kreditinstituten wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung zulässig ist, wenn der Anfangsverdacht darauf gerichtet ist, daß eine Vielzahl noch unbekannter Bankkunden Steuerhinterziehung begangen hat. Kritisch zu diesem Beschluß des Dreierausschusses des BVerfG vom 23.4.1994 siehe wiederum Leisner, BB 1994, S. 1941 ff. 536 Vgl. § 98a Abs. 1 S. 2 u. § 163d Abs. 1 S. 1 a. E. StPO.
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anderen Tat als derjenigen, zu deren Aufklärung die Anordnung nach § 98a StPO getroffen wurde, dürfen Erkenntnisse nur verwendet werden, wenn sie ebenfalls eine Katalogtat betreffen, also insoweit auch die Anordnung einer Rasterfahndung zulässig gewesen wäre. Auch die auf Grund einer sog. Schleppnetzfahndung gewonnenen Daten dürfen gem. § 163d Abs. 4 S. 4, 5 StPO grundsätzlich nur für das Strafverfahren verwertet werden, das wegen der Tat eingeleitet worden ist, deren Aufklärung die Netzfahndung diente. Die Verarbeitung der Daten mit dem Ziel der Feststellung, ob andere Taten begangen worden sind oder auf diese Weise aufgeklärt werden können, ist hingegen nicht zulässig.537 Tatsächlich dürften Massenfahndungen und demzufolge Zufallsfunde im Insiderrecht nicht unüblich sein. Wie bereits dargelegt schreitet das Aufsichtsamt ein, sobald erste Anhaltspunkte in Form von ungewöhnlichen Kursverläufen für einen Insiderverstoß gegeben sind. In diesem Anfangsstadium der Ermittlungen, in dem von einer verdächtigen Kursbewegung vor öffentlicher Bekanntgabe relevanter Unternehmensinformationen auf mögliche Insidergeschäfte geschlossen wird, gibt es zunächst eine Fülle von Tatverdächtigen.538 Sämtliche Personen, die von der betreffenden Information gewußt haben könnten, müssen zunächst einmal als potentielle Insidertäter angesehen werden. Zwangsläufig werden dabei auch Personen in den Kreis der Ermittlungen einbezogen, die die betreffenden Informationen nicht als bzw. durch einen (Primär-)Insider erlangt haben, sondern durch eigene, erlaubte Recherche-Tätigkeiten erschlossen oder erahnt haben, und diejenigen, die rein zufällig in dem betreffenden Zeitraum entsprechende Wertpapiergeschäfte abgeschlossen haben.539 Eine Konkretisierung des Verdachts gegen einzelne Personen ist zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht möglich. Vielmehr wird die Aufsichtsbehörde gem. § 16 Abs. 4 WpHG sowohl von dem Emittenten der Insiderpapiere als auch von sämtlichen Personen, die Kenntnis von der Insidertatsache haben, Auskünfte verlangen. In dieser Situation liegt es nahe, daß es auch zu Zufallsfunden kommt. 3. Ausschließlich strafrechtliche Sanktionsandrohungen Schließlich spricht für die Annahme eines sog. „chilling effect“ des deutschen Insiderrechts, daß gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1–3 WpHG jeder Verstoß gegen das Insiderverbot zwingend eine strafrechtliche Sanktion nach sich zieht. Wer gegen eines der in § 14 WpHG enthaltenen Handlungsverbote verstößt, wird entweder mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Diese umfassende, strafrechtliche Sanktionsdrohung ist zwar wegen des 537 538 539
Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 163d, Rn. 23. Ransiek, DZWir 1995, S. 53, 55. Ransiek, DZWir 1995, S. 53, 55.
A. Der sogenannte „chilling effect‘‘ des Insiderrechts
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Haftungskonzepts des deutsch/europäischen Insiderrechts, wonach jeder Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit einheitlich zu beurteilen ist, nur konsequent.540 Andererseits darf im Hinblick auf potentielle schädliche Nebenwirkungen des Insiderrechts nicht unberücksichtigt bleiben, daß eine strafrechtliche Sanktionsandrohung nur als „ultima ratio“ zum Schutz von individuellen und gemeinschaftlichen Rechtsgütern herangezogen werden darf.541 Die Kriminalstrafe ist die „schärfste Sanktion, über die die staatliche Gemeinschaft verfügt.“542 Keine andere Sanktion greift schwerwiegender in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen ein. Die Kriminalstrafe ist darüber hinaus mit einem Unwerturteil verbunden, das die soziale Position des Beschuldigten in der Öffentlichkeit nachhaltig schädigen kann.543 Es ist daher davon auszugehen, daß die strafrechtliche Sanktionsandrohung des § 38 WpHG in nicht unerheblicher Weise zum sog. „chilling effect“ beiträgt. a) Forderung nach einem differenzierteren Sanktionensystem In der Literatur zum deutschen Insiderrecht wurde bereits wiederholt die Frage aufgeworfen, ob die bewußte Verwertung einer kurserheblichen Information, die anderen Marktteilnehmern nicht bzw. noch nicht zugänglich ist, tatsächlich in jeder Situation als eine strafwürdige und zugleich strafbedürftige Verhaltensweise anzusehen ist.544 Gerade bei weniger schwerwiegenden Verstößen sei stattdessen die Möglichkeit einer Ordnungswidrigkeit zu erwägen, die dem persönlichen Schuldvorwurf im Zweifelsfall besser gerecht werden würde als eine strafrechtliche Sanktion.545 Immerhin fehle einer Geldbuße das mit der Kriminalstrafe verbundene Unwerturteil.546 Dabei müsse auf das Strafrecht nicht vollständig verzichtet werden. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wäre 540 Zu den dogmatischen Grundlagen des Insiderverbots siehe unten ausführlich 4. Teil. 541 Herzog, S. 120; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 2 III A; Naucke, Strafrecht, S. 52 ff.; a. A. Tiedemann, in: FS Stree und Wessels, S. 527, 530. 542 BVerfGE 6, S. 389, 433; Mennicke, S. 517. 543 Roxin, JA 1980, S. 545, 547; Mennicke, S. 517. 544 Houache, S. 57 ff. und 155 ff.; Hausmaninger, S. 299 ff.; Otto, in: Schünemann/ Gonzales, S. 477, 457; vgl. auch bereits Volk, ZHR 142 [1978], S. 1, 16 f. und Kirchner, in: FS Kitagawa, S. 665, 677 f. 545 Vgl. Otto, in: Schünemann/Gonzales, S. 447, 457: „Ihre Anerkennung [gemeint ist die informationelle Chancengleichheit als insiderrechtliches Schutzgut] befreit nicht vom Nachweis der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit des im Einzelfall unter Strafe gestellten Verhaltens.“; ähnlich auch Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, S. 337, Rn. 97, der die Auffassung vertritt, daß speziell im Nebenstrafrecht zwischen Strafrecht einerseits und Ordnungswidrigkeitenrecht andererseits aufs genaueste unterschieden werden müsse. Weniger schwerwiegende Verstöße könnten als bloße Ordnungswidrigkeit ausgewiesen werden. 546 Mennicke, S. 593 mit Verweis auf BVerfGE 22, S. 78, 81.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
vielmehr schon dann genüge getan, wenn das Gesetz stärker zwischen den einzelnen Begehungsformen des Insiderhandels differenziere, indem es einen abgestuften Sanktionskatalog verwende. Als Differenzierungskriterien könnten u. a. die Schwere des Tatvorwurfs, der Täterkreis und die Tathandlung herangezogen werden.547 Im Insiderrecht falle es ohnehin schwer, eine Verwerflichkeit der von den Handlungsverboten erfaßten Verhaltensweisen festzustellen. Die Bedenken gegen den Einsatz des Strafrechts zur Bekämpfung von Insiderhandel seien daher umso größer, je geringer der einzelne Insiderverstoß sich darstelle. Die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes sei als überindividuelles Rechtsgut zwar grundsätzlich anzuerkennen. Ihre Anerkennung befreie jedoch nicht vom Nachweis der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit des im Einzelfall unter Strafe gestellten Verhaltens. Der Gesetzgeber müsse daher noch im einzelnen konkretisieren, „wieweit das Vertrauen eines Marktteilnehmers in das Funktionieren eines bestimmten Marktes schutzwürdig“ sei. Ein allgemeines schutzwürdiges Vertrauen des Anlegers, daß ihn nicht irgendein anderer Marktteilnehmer auf Grund besseren Wissens übervorteile, gäbe es nämlich nicht.548 Die Forderung nach einem differenzierteren Sanktionensystem ist im Hinblick auf den als schädlich einzustufenden sog. „chilling effect“ der insiderrechtlichen Handlungsverbote zu begrüßen. Die Frage nach der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit geringfügiger Insiderverstöße steht in einem engen Zusammenhang zu den faktischen Auswirkungen des Insiderverbots. Je weniger strafbedürftig ein unter Strafe gestelltes Verhalten am Markt erscheint, umso höher ist auch die Gefahr, daß sich der Sinn und Zweck der Regelung in sein Gegenteil verkehrt. Anstatt die Funktionsfähigkeit des Marktes zu fördern, beeinträchtigt die Regelung das Gesamtgeschehen am Markt, weil sie wie ein gewillkürter Eingriff in die Marktabläufe erscheint. Durch eine Abschwächung der insiderrechtlichen Sanktionen ließe sich daher nicht nur die verfassungsrechtliche Problematik der strafrechtlichen Sanktionierung lösen, sondern zugleich die Gefahr reduzieren, daß von den §§ 12–14 WpHG ein sog. „chilling effect“ für die freiwillige Kapitalmarktkommunikation ausgeht. b) Stellungnahme zur Bedeutung des strafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips Im Widerspruch zu dieser Argumentation steht die von Teilen des Schrifttums vertretene Auffassung, das Strafrecht sei nicht immer zwingend als die schärfste Sanktion anzusehen.549 Zivil- und öffentlichrechtliche Sanktionen könnten oftmals den Betroffenen viel stärker belasten. Daher sei es nicht ge547 548 549
Mennicke, S. 593 ff. Otto, in: Schünemann/Gonzales, S. 447, 456. Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 145, Fn. 22; Dingeldey, S. 122 f.
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rechtfertigt, allgemeine Kritik an der strafrechtlichen Sanktionsdrohung wegen ihrer abschreckenden Wirkung auf die Adressaten der Verbotsnorm zu üben. Gerade im Wirtschaftsstrafrecht habe das für das Strafrecht im allgemeinen geltende Subsidiaritätsprinzip eine besondere Gestalt, die es erlaube, zum Schutz von überindividuellen Rechtsgütern strafrechtliche Sanktionen anderen, für den Einzelnen weniger belastenden Sanktionen vorzuziehen. Zur Begründung wird angeführt, strafrechtliche Sanktionen würden grundsätzlich weniger stark als zivil- oder öffentlich-rechtliche Sanktionen in den Marktprozess eingreifen, weil sie nur den Einzelnen, der einen Normverstoß begeht, nicht aber den Markt insgesamt treffen würden. Das Strafrecht könne im Wirtschaftsleben gerade deswegen das mildere Mittel sein, weil der einzelne strafrechtlich repressiven Tatbeständen durch normkonformes Verhalten ausweichen könne. Dieser Auffassung ist entschieden zu widersprechen.550 Sicherlich mögen zivil- und öffentlich-rechtliche Sanktionen ab und an ähnlich eingriffsintensiv sein wie eine strafrechtliche Sanktion. Allerdings ist – wie übrigens von den Vertretern dieser Auffassung selbst vorgetragen wird – bei der Beurteilung der Eingriffsschwere der verschiedenen Sanktionsmöglichkeiten stets auf die faktischen Auswirkungen der einzelnen Regelungen abzustellen. Danach kann das Strafrecht nur dann als das „mildere Mittel“ angesehen werden, wenn der einzelne tatsächlich die Möglichkeit hat, durch normkonformes Handeln den Straftatbeständen „auszuweichen“. Dies ist im Insiderrecht jedoch nur bedingt der Fall. Hier bewegt sich der einzelne in der Regel auf einem schmalen Grat zwischen legalem und insiderrechtlich relevantem Handeln. Denn das Insiderverbot ist kein Straftatbestand, der „von vornherein nur Verhaltensweisen erfaßt, die im ordentlichen Wirtschaftsleben als unseriös angesehen werden und deren Verwirklichung der ordentliche Wirtschafter vermeiden kann.“551 Es kann daher gerade im Bereich des Insiderrechts zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wirtschaftlebens aufgrund der strafrechtlichen Sanktionsandrohung kommen. Für das Wirtschaftsstrafrecht im allgemeinen hat bereits Otto angemahnt, die vorgegebene Rangordnung der staatlichen Abwehrmaßnahmen nicht voreilig umzukehren, da ansonsten der Marktprozeß nachhaltig gestört werden könnte.552 Auch er spricht sich dafür aus, das Strafrecht grundsätzlich nur als ultima ratio anzuwenden: „Wo die notwendige Sicherung und Steuerung der wechselseitigen Erwartungen mit zivil- und öffentlichrechtlichen Regelungen erreicht werden können, verbietet bereits der Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts die Zuflucht zu strafrechtlichen Normen.“ Eine Ausnahme von diesem Grundsatz will er nur für die Fälle zulassen, in denen zivil- oder öffentlichrechtliche Sanktionen den Marktprozeß gravierender stören könnten als eine 550 551 552
So auch Herzog, S. 116 ff. und bereits Volk, JZ 1982, S. 85, 88. Tiedemann, ZRP 1976, S. 49, 54. Otto, ZStW 96 (1984), S. 339, 362.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
strafrechtliche Sanktion. Dann müßte das individuelle Schutzinteresse vor strafrechtlichen Sanktionen hinter das allgemeine Interesse an der Funktionsfähigkeit des Marktprozesses zurücktreten. Für die Bejahung einer solchen Ausnahme müsse jedoch zunächst eine Abwägung vorgenommen werden. Seiner Auffassung nach komme es bei der Wahl der Sanktion stets darauf an, „nicht nur das angestrebte Ziel sowie die Ziel- und Systemkonformität des Mittels, sondern auch die möglichen schädlichen Nebenwirkungen einer normativen Regelung jeweils abzuwägen.“ II. Einzelne Umfrageergebnisse Die Untersuchung negativer Auswirkungen des WpHG auf die freiwillige Kapitalmarktkommunikation wird mit einem Blick auf einige Umfrageergebnisse abgeschlossen. Im Gegensatz zu den USA, wo empirische Kapitalmarktforschung seit Jahrzehnten intensiv betrieben wird, hat man sich in Deutschland bisher nur wenig mit den tatsächlichen Auswirkungen kapitalmarktrechtlicher Rahmenbedingungen beschäftigt.553 Immerhin existieren einige wenige empirische Studien, die sich mit der Frage des Einflusses des WpHG auf die Informationspolitik der Unternehmen beschäftigt haben. Ihre wesentlichen Aussagen werden im folgenden wiedergegeben, bevor auch auf die aussagekräftigeren Ergebnisse US-amerikanischer Studien eingegangen wird. 1996 hat Gerke zusammen mit anderen zu den „Wirkungen des WpHG auf die Informationspolitik der Unternehmen“ eine Umfrage unter 100 deutschen Aktiengesellschaften durchgeführt.554 Neben eher allgemein gehaltenen Fragestellungen wurden die Unternehmen auch speziell nach ihrem Verhalten bei Hintergrundgesprächen mit Analysten befragt. Die Initiatoren der Umfrage hatten angesichts der rechtlichen Komplikationen, die bei persönlichen Kommunikationsmitteln durch das Weitergabeverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG hervorgerufen werden, erwartet, daß gerade in diesem Bereich mit erheblichen Änderungen in der Informationspolitik der Unternehmen zu rechnen sei.555 So ist man entsprechend der oben erwähnten Befürchtungen des Schrifttums wohl auch davon ausgegangen, daß das schwer kalkulierbare Risiko eines Verstoßes gegen das Weitergabeverbot zu einer erheblichen Abkühlung der Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenvertretern und Analysten führen würde. Umso überraschender fiel dafür die Auswertung der Umfrageergebnisse aus. Gerade 13 der befragten Unternehmen gaben an, ihre Informationspolitik bei 553 Rau, in: Baetge, S. 134, 135; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 172 ff.; Gerke/Bank/ Lucht, Die Bank 1996, S. 612 ff.; ansatzweise Merkt, Unternehmenspublizität, S. 426 und Link, Aktienmarketing in deutschen Publikumsgesellschaften, S. 333 f. 554 Vgl. Gerke/Bank/Lucht, Die Bank 1996, S. 612, 615. 555 Gerke/Bank/Lucht, Die Bank 1996, S. 612, 614/615.
A. Der sogenannte „chilling effect‘‘ des Insiderrechts
165
Analystenveranstaltungen seit Inkrafttreten des WpHG geändert zu haben.556 21 Unternehmen nahmen dagegen überhaupt keine Änderungen vor. Für Gerke gibt es nur zwei Erklärungsalternativen für diese doch erhebliche Divergenz zwischen Umfrageerwartung und ihrem Ergebnis. Entweder die befragten Unternehmen hätten sich bereits vor Erlaß der neuen Insiderregeln dem Grundsatz gleichmäßiger Informationsverteilung verpflichtet gefühlt und hätten deswegen schon vorher freiwillig auf die Weitergabe von Insiderinformationen an Analysten verzichtet oder aber die Unternehmen seien im Zeitpunkt der Umfrage – die Befragung erfolgte zehn Monate nach Inkrafttreten des WpHG – noch nicht hinreichend für diese Konfliktsituation sensibilisiert gewesen.557 Gegen die erste Erklärungsalternative spricht, daß die bis zur endgültigen Verabschiedung des zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes geltenden Insiderhandels-Richtlinien558 keine Pflicht bzw. kein Gebot zur informationellen Gleichbehandlung des Anlegerpublikums vorsahen. Das kapitalmarktrechtliche Prinzip der Chancengleichheit ist erst durch die Kombination aus Ad-hoc-Publizitätspflicht und gesetzlichem Insiderverbot in das öffentliche Bewußtsein gerückt. Zwar ist mit Rau nicht davon auszugehen, daß vor Erlaß des WpHG „moralisches Chaos“ an deutschen Börsen herrschte.559 Allerdings wird, obwohl keine spektakulären Insiderfälle zu Tage getreten sind, der Finanzplatz Deutschland wohl auch keine „Insel der Heiligen“560 gewesen sein.561 Gegen die erste und für die zweite Erklärungsalternative spricht zudem die zutreffende Feststellung von Rau, daß es wenige Monate nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung noch zu früh gewesen sei, eine abschließende Bewertung über die tatsächlichen Auswirkungen des WpHG vorzunehmen. Dies treffe insbesondere auf das Informationsverhalten der Unternehmen gegenüber Finanzanalysten zu, weil zu diesem Zeitpunkt „das Verhalten der Unternehmen im wichtigsten Teil des Informationszyklus (gemeint ist die Vorlage der Jahresabschlüsse) die Feuertaufe noch nicht bestanden hatte.“562 Die zweite deutsche Studie, die in diesem Zusammenhang zu nennen ist, wurde von Rau erstellt.563 Obwohl er für seine Umfrage zum „Einfluß des WpHG auf Unternehmenspublizität und Finanzanalyse“ einen ähnlich frühen Zeitpunkt gewählt hatte wie Gerke, sind die von ihm erzielten Ergebnisse deut556
Vgl. Tabelle 5 der Umfrage. Gerke/Bank/Lucht, Die Bank 1996, S. 612, 615. 558 Zuletzt 1988 noch einmal modifiziert; abgedruckt in: Bundesanzeiger 1988, S. 2883 ff. 559 Rau, in: Baetge, S. 121, 128. 560 Vgl. den Artikel von Ott/Schäfer in der Wirtschaftswoche vom 23.08.1991, S. 74 mit dem Titel „Insel der Heiligen“. 561 So zumindest die Einschätzung von Assmann, AG 1994, S. 196, 198. 562 Rau, in: Baetge, S. 121, 123. 563 Rau, in: Baetge, S. 121 ff. 557
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
lich aufschlußreicher ausgefallen. Zwar hat auch diese Studie ergeben, daß die Mehrzahl der Unternehmen ihre kapitalmarktbezogene Informationspolitik im Großen und Ganzen nicht geändert hat. Allerdings konnten einige Veränderungen im Informationsverhalten gegenüber Finanzanalysten festgestellt werden, die insgesamt in die Richtung der eingangs erwähnten Befürchtungen des Schrifttums tendieren.564 Die Tatsache, daß die zweite Umfrage einen tieferen Einblick in das tägliche Geschäft der Finanzanalysten gewährt als die erste, ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß Rau im Gegensatz zu Gerke nicht die Unternehmen selbst befragt hat, sondern sich an die Analystenabteilung einer Großbank gewandt hat, um aus deren Sicht mehr über den Umgang der Unternehmen mit den Regelungen des WpHG zu erfahren. Laut dieser Umfrage besteht eine wesentliche Reaktion auf die neue Regelung darin, daß diejenigen Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit eine schlechte Informationspolitik gegenüber Finanzanalysten betrieben haben, das WpHG im allgemeinen und das insiderrechtliche Weitergabeverbot im besonderen zum Vorwand nehmen, um persönlichen Gesprächen mit Analysten nun endgültig aus dem Weg gehen zu können.565 Weiterhin ergab die Umfrage, daß immerhin ein Drittel der Analysten der Auffassung sind, daß Unternehmen nicht einschätzen könnten, was eine kursrelevante Tatsache i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG ist. Das mag auch der Grund dafür sein, daß laut Auskunft der befragten Analysten insbesondere kleine Unternehmen mit erheblichen Restriktionen auf die neuen Regelungen reagiert haben. So würden einige Unternehmen vor Veröffentlichung von Zwischenberichten grundsätzlich keinerlei Auskünfte an Finanzanalysten erteilen und nach einer offiziellen Berichterstattung nur schriftlich auf die Fragen der Analysten eingehen. Tendenziell sei zudem festzustellen, daß die Unternehmen ihre Aussagen zum laufenden Geschäft immer öfter in Form von schriftlichen Zwischenberichten veröffentlichen, anstatt sie im Rahmen von telefonischen Gesprächen oder Unternehmensbesuchen den Analysten als Informationsintermediären mitzuteilen.566 Insgesamt kommt die Umfrage zu dem Ergebnis, daß das WpHG in der Praxis tatsächlich zu einer Abkühlung der Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenvertreter und Finanzanalysten führt, die weit über das gesetzlich geforderte Maß an Zurückhaltung hinausgeht. 76% der befragten Analysten fühlen sich zumindest teilweise durch das WpHG in ihrer Arbeit behindert.
564 Rau, in: Baetge, S. 121, 131 spricht von „marginalen Trendveränderungen, deren Bestätigung beobachtet werden muß.“ 565 So wurde den Analysten von einigen Unternehmen u. a. mitgeteilt, daß „weitere Informationen oder Klarstellungen nicht erforderlich“ seien und zudem „gegen das neue Gesetz verstoßen“ würden. 566 Dies bestätigt die Prognose von Merkt, Unternehmenspublizität, S. 431, daß die persönlichen hinter die unpersönlichen Kommunkationsmaßnahmen zurücktreten werden.
A. Der sogenannte „chilling effect‘‘ des Insiderrechts
167
Das Ergebnis der von Rau durchgeführten Analystenbefragung wird durch eine vor kurzem veröffentlichten Studie der US-amerikanischen Analystenvereinigung AIMR bestätigt.567 Diese Umfrage hatte ebenfalls den Einfluß des Insiderrechts auf die Informationspolitik der Unternehmen zum Gegenstand. Den Anlaß zu dieser Studie gab eine einschneidende Änderung der kapitalmarktrechtlichen Rechtslage in den USA, die auf Initiative der Securities and Exchange Commisssion (SEC) vorgenommen wurde, um die Chancengleichheit der Anleger zu stärken. Gemäß § 243.100 des Code of Federal Regulation ist es den US-amerikanischen Emittenten nunmehr verboten, Informationen mit erheblichem Kursbeeinflussungspotential an Finanzanalysten und institutionelle Anleger weiterzugeben, ohne diese zuvor dem gesamten Anlegerpublikum zugänglich gemacht zu machen.568 Bis zum Erlaß der neuen „Fair Disclosure“-Regelung im Herbst 2000 wurden die Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenseite und Finanzanalysten noch bewußt aus dem insiderrechtlichem Anwendungsbereich herausgenommen, um den für den Kapitalmarkt so wichtigen Informationsfluß zwischen Emittenten und Anlegervertretern nicht unnötig zu belasten. Sowohl der Surpreme Court als auch die SEC hatten den Analysten im Verlauf der insiderrechtlichen Entwicklung einen „sicheren Hafen“ im gefährlichen Fahrwasser der Insiderhandlungsverbote geschaffen. Vor Erlaß der neuen Regelung bestand eine Rechtslage, die es den Emittentenvertretern erlaubte, weitgehend ungestraft Insiderinformationen an Finanzanalysten weiterzugeben und die es auf der anderen Seite den Finanzanalysten gestattete, diese Information frei zu verwenden. Diese Rechtslage wurde im Herbst 2000 mit Inkrafttreten der neuen Publizitätsregelung zumindest teilweise revidiert. Die „Fair Disclosure“-Regelung stellt im Vergleich zum deutschen Recht eine Kombination aus den beiden im WpHG enthaltenen Instrumenten der Ad-hocPublizität und des insiderrechtlichen Weitergabeverbots dar. Auf der einen Seite entspricht ihr Regelungsgehalt dem des Weitergabeverbots gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, weil sie – ähnlich wie die deutsche Regelung – die selektive Verbreitung von (Insider-)Informationen zu unterbinden sucht. Auf der anderen Seite sorgt die Regelung – ähnlich wie die Ad-hoc-Publizitätpflicht nach § 15 WpHG – dafür, daß die Emittenten für die Veröffentlichung von Unternehmensdaten ein Publizitätsverfahren wählen müssen, welches die Herstellung der gesamten (Bereichs-)Öffentlichkeit gewährleistet. Dagegen besteht zumindest theoretisch insoweit ein Unterschied zum WpHG, als das amerikanische Recht die Emittenten nicht generell zur Ad-hoc-Veröffentlichung kurserheblicher Informationen verpflichtet, sondern nur dann, wenn sie diese Informationen an 567 Regulation FD Survey, unter anderem unter der Internetadresse http://www. aimr.org abrufbar. 568 Vgl. §§ 243.100–243.103 des Code of Federal Regulation.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
einen ausgewählten Kreis von Marktteilnehmern weitergeben wollen. Praktisch läuft die „Fair Disclosure“-Regelung jedoch auf eine Ad-hoc-Publizitätspflicht hinaus, die zusätzlich durch ein Weitergabeverbot i. S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG abgesichert wird. Wegen der Ähnlichkeit mit der deutschen Regelung lassen sich daher die nachstehenden Erkenntnisse weitgehend auch auf die Situation am Finanzplatz Deutschland übertragen. Die von der Association for Investment Management and Research (AIMR) durchgeführte Studie hat ergeben, daß die börsennotierten Unternehmen nach Inkrafttreten der „Fair Disclosure“-Regelung ihre Informationspolitik drastisch zum Nachteil der Finanzanalysten geändert haben. 57% der befragten Analysten und Fondsmanager gaben an, die Bereitschaft der Unternehmen, sie in persönlichen Gesprächen mit Hintergrundinformationen zu versorgen, sei spürbar gesunken.569 Zur Verdeutlichung ist darauf hinzuweisen, daß lediglich 14% der befragten Analysten eine Verbesserung durch die neue Regelung verspüren. Laut Aussage der Vizepräsidentin der AIMR würden viele der betroffenen Unternehmen die Regelung entgegen der eigentlichen Zielsetzung des Gesetzgebers zu extensiv auslegen und diese dahingehend (miß)verstehen, daß das Verbot der selektiven Informationsverbreitung überhaupt keine persönlichen Hintergrundgespräche mit Analysten und institutionellen Anlegern mehr zulasse. Weiterhin geben 81% der Befragten an, nicht gesprächswillige Unternehmen würden die neue Regelung als Vorwand benutzen, um sich ihrer Verantwortung gegenüber den Analysten zu entziehen. Viele Unternehmen würden sich dann, wenn sich ihre Fundamentaldaten verschlechtern, hinter der neuen Regelung verstecken. Insgesamt ziehen die Verantwortlichen der AIMR die Schlußfolgerung aus ihrer Studie, daß sich die Regelung, wie sie jetzt besteht, negativ auf die Arbeit der Finanzanalysten auswirkt. Die eigentliche Zielsetzung des Gesetzgebers, für mehr Transparenz am Kapitalmarkt zu sorgen, wird überschattet von einer unbeabsichtigten Nebenwirkung: Die Unternehmen schränken insgesamt ihren Informationsfluß ein. Darauf hatte die Analystenvereinigung schon im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen. Die aus dieser Studie gewonnenen Ergebnisse lassen sich wegen der Vergleichbarkeit der Regelungen auch auf die Situation am Finanzplatz Deutschland übertragen. Genau genommen müßte das Ergebnis für das deutsche Recht noch drastischer ausfallen. Denn während ein Verstoß gegen die US-amerikanische „Fair Disclosure“-Regelung lediglich verwaltungsrechtliche Sanktionen nach sich zieht, ist das Weitergabeverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG strafbewehrt. Der Verurteilte muß gemäß § 38 WpHG mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren rechnen. Wenn es also bereits bei weniger einschneidenden Sanktionsmaßnahmen bei vergleichbarer tatbestandlicher Regelungsreichweite zu dem 569
Regulation FD Survey, siehe Fn. 567.
B. Zusammenfassung und abschließende Bewertung
169
besagten „chilling effect“ kommt, ist davon auszugehen, daß dieser Effekt durch eine Strafandrohung noch weiter verschärft wird.
B. Zusammenfassung und abschließende Bewertung der Insiderrechtslage für Emittentenvertreter und Analysten Ausgangspunkt der Untersuchung war der von Teilen des Schrifttums geäußerte Vorwurf, das Insiderrecht lasse den Finanzanalysten nicht genügend Spielraum für die Ausübung ihrer Tätigkeit. Deshalb waren die insiderrechtlichen Rechtsfragen, die sich anläßlich der Durchführung persönlicher „investor-relations“-Maßnahmen gegenüber Finanzanalysten und anderen Informationsintermediären stellen, umfassend zu überprüfen. Zum einen wurden die Informationsgrenzen aufgezeigt, die die Emittentenvertreter bei ihren Auskünften gegenüber Analysten und institutionellen Anlegern nicht überschreiten dürfen;570 zum anderen Konsequenzen, die sich für Analysten und andere Informationsintermediäre ergeben, wenn sie sich auf einer „investor-relations“-Veranstaltung mit einer Insidertatsache „infizieren“.571 Diese beiden Problemkomplexe wurden ergänzt durch einen Blick auf den Umfang des vom Insiderrecht erfaßten Informationskreises. Im wesentlichen ging es dabei um die Höhe der sog. „Kurserheblichkeitsschwelle“ sowie um die insiderrechtliche Relevanz sog. Informationsbruchstücke, die sich in Kombination mit anderen Informationen – gleich einem Mosaik – zu einer Insidertatsache zusammenfügen lassen.572 Abschließend wurden die „faktischen“ Auswirkungen untersucht, die die Verbotsbestimmungen des § 14 WpHG auf die Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenvertreter und Analysten sowie die Informationsverwertungsbefugnisse der Analysten haben können. Daraus ergaben sich Anhaltspunkte für die Befürchtung, daß das Insiderrecht aufgrund seines weiten Anwendungsbereichs und seiner verwaltungsrechtlichen und strafprozessualen Überwachung über seinen eigentlichen Verbotsrahmen hinaus sich auch auf solche Kommunikationsbeziehungen „lähmend“ auswirken kann, die insiderrechtlich (noch) nicht relevant sind. Das Ergebnis der Prüfung ist für alle Beteiligten und für die von ihnen verfolgten Interessen unbefriedigend. Das deutsche Insiderrecht hat sich als eine geradezu kommunikationsfeindliche Regelung entpuppt. So handelt ein Emittentenvertreter nach einhelliger Auffassung im Schrifttum stets unbefugt i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, wenn er Insidertatsachen auf „investor-relations“Veranstaltungen preisgibt, ohne zugleich die sog. „Bereichsöffentlichkeit“ für die betreffenden Informationen herzustellen. Für den Unrechtsgehalt der Tat 570 571 572
Vgl. oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. u. B. Vgl. oben 1. Teil, 2. Abschnitt, A. u. B. Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. u. B.
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1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
kommt es dabei weder darauf an, ob der Emittentenvertreter durch die Offenlegung der Insidertatsache die Interessen der Gesellschaft verletzt, noch ist es erheblich, wie der Informationsempfänger anschließend mit der Information verfährt. So verlangt der Tatbestand des Weitergabeverbots gerade nicht, daß sich unmittelbar an die unbefugte Mitteilung ein verbotenes Insidergeschäft anschließt. Einziger Haftungsfilter für den Emittentenvertreter ist das Vorsatzerfordernis. Dies dürfte jedoch nicht geeignet sein, die Verwaltungs- bzw. Strafverfolgungsbehörden davon abzuhalten, erste Ermittlungen einzuleiten.573 Die Gefahr einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ausforschungsermittlung ist daher auch bei nur fahrlässigem Verhalten gegeben.574 Sofern man die Analysten entsprechend der h. M. im Schrifttum als (tätigkeitsbedingte) Primärinsider einordnet, ergeben sich für sie ähnlich schwerwiegende rechtliche Konsequenzen wie für die Emittentenvertreter. Denn nach dem umfassenden Verbotskatalog des § 14 Abs. 1 Nr. 1–3 WpHG begehen Analysten nicht nur dann einen Insiderverstoß, wenn sie die im Unternehmensgespräch erlangten Insidertatsachen an ihre Auftraggeber bzw. Kunden offenkundig weitergeben, sondern auch dann, wenn sie die Insidertatsachen lediglich zusammen mit anderen Informationen, die sie im Rahmen ihrer Recherchetätigkeit zusammengetragen haben, auswerten und auf dieser Grundlage anderen eine Kaufbzw. Verkaufsempfehlung erteilen. Zwar hat sich auch gezeigt, daß es bei besonders strenger Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG durchaus möglich wäre, die Finanzanalysten statt als Primär- auch als Sekundärinsider einzuordnen. Denn vorbehaltlich anderslautender rechtstatsächlicher Forschungsergebnisse ist zur Zeit nicht davon auszugehen, daß Analysten „in vorhersehbarer Weise“ und damit „bestimmungsgemäß“ i. S. von § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG Insiderinformationen mitgeteilt bekommen. Damit wären die Analysten von den Verbotspflichten des § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG befreit und müßten bei der Verwertung ihrer Informationen keinen unmittelbaren Verstoß gegen das Insiderrecht befürchten. Allerdings würde sich der Rechtsrahmen, in dem sich Analysten bei der Ausübung ihrer Berufstätigkeit bewegen, nur bedingt verbessern, falls sie entgegen der h. M. künftig als Sekundärinsider eingestuft werden sollten. Ursächlich dafür sind die Teilnahmeregeln des allgemeinen Strafrechts, die auch auf die insiderrechtlichen Handlungsverbote Anwendung finden. Sowohl die Weitergabe von als auch die Empfehlung aufgrund von Insidertatsachen könnten als Beihilfe oder gar Anstiftung zur Insidertat eines anderen qualifiziert werden. Gem. 573 Dieser Einschätzung folgt auch Drygala, WM 2001, S. 1313, 1318, Fn. 182: „Das Vorsatzerfordernis taugt nicht zur Entschärfung des Problems.“; a. A. K.-P. Weber, S. 198; zu dem Meinungsstreit oben 1. Teil, 4. Abschnitt, A. I. 1. a), b). 574 Zur Ausforschungsermittlung siehe Leisner, BB 1994, S. 1941 ff. und ders., BB 1995, S. 525 ff.
B. Zusammenfassung und abschließende Bewertung
171
§§ 26, 27 StGB werden Sekundärinsider daher u. U. wegen einer Handlung bestraft, die nach dem Verbotskatalog des § 14 Abs. 1 WpHG eigentlich nur Primärinsidern ausdrücklich verboten ist. Freilich setzt die Strafbarkeit des Gehilfen bzw. des Anstifters stets eine rechtswidrige Haupttat sowie einen entsprechenden Gehilfenvorsatz voraus. Das Vorliegen einer rechtswidrigen Haupttat ist jedoch in den hier behandelten Fallkonstellationen nicht von vornherein auszuschließen. Denn es ist gerade die Aufgabe des Analysten, seine Auftraggeber bzw. Kunden durch Vermittlung von Anlageempfehlungen zum Kauf bzw. Verkauf von Wertpapieren zu bewegen. Steht das Wertpapiergeschäft des Dritten im zeitlichen Zusammenhang mit den Empfehlungen des Analysten, ist objektiv, d.h. aus der Sicht der Ermittlungsbehörden zunächst eine Insiderlage gegeben, die näherer Untersuchungen bedarf. Für die Frage, inwieweit das Erfordernis des Gehilfenvorsatzes eine Strafbarkeit des Analysten zu verhindern vermag, wurde auf die Rechtsprechung des BGH verwiesen, wonach es für den Vorsatz des Gehilfen auf das „voluntative“ Element gar nicht ankommt. Vielmehr genügt das Wissen des Gehilfen um die kriminellen Absichten des Täters. Im Ergebnis ist die Analystentätigkeit daher stets als eine gefahrgeneigte Tätigkeit einzustufen.575 Problematisch ist dabei vor allem, daß der Wertpapieranalyst nur wenig Einfluß darauf hat, welche Arten von Informationen ihm auf „investor-relations“-Veranstaltungen mitgeteilt werden.576 Während die Unternehmensleitung immerhin noch die Möglichkeit besitzt, Insiderverdachtsfälle dadurch zu vermeiden, daß sie sich einem möglichst umfassenden ComplianceSystem unterwirft, kann sich der Analyst kaum vor einer „Insider-Infektion“ schützen. Erschwerend kommt hinzu, daß der Begriff der „Insidertatsache“ keinen nennenswerten inhaltlichen Einschränkungen unterliegt, so daß praktisch jede Art von Information insiderrechtlich relevant sein kann. Nach überwiegender Auffassung können sogar Meinungen, Werturteile und Prognosen unter § 13 Abs. 1 WpHG subsumiert werden. Der Tatsachenbegriff hat im Insiderrecht folglich eine Aufweichung erfahren, durch die sich sein Bedeutungsgehalt weit vom ursprünglichen Sprachgebrauch entfernt hat. Auch das zweite wesentliche Merkmal der Insidertatsachendefinition – die sog. Kurserheblichkeit – vermag den sachlichen Anwendungsbereich des Insiderrechts weniger einzuschränken als bisher vermutet. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Frankfurt a. M. läßt sich die Kurserheblichkeitsschwelle nicht anhand von graduellen Abstufungen bestimmen.577 Aus Gründen der Rechtssicherheit müsse eine Information vielmehr schon dann für kurserheblich erachtet werden, wenn sie geeignet ist, dem 575
Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 171. Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 171. 577 Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 100 mit Verweis auf ein von der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main erstelltes (unveröffentlichtes) Grundsatzpapier. 576
172
1. Teil: Die Insider-Rechtslage nach dem WpHG (4. Abschn.)
Insider einen „sicheren“ Gewinn zu verschaffen. Dies hat zur Konsequenz, daß auch Informationen, die nur einen vergleichsweise geringen Kursausschlag erwarten lassen, Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG sein können. Schließlich ist auch die Schutzklausel des § 13 Abs. 2 WpHG nicht geeignet, eine drohende Ausuferung des insiderrechtlichen Anwendungsbereichs effektiv zu verhindern. Zwar macht diese Regelung deutlich, daß eine Bewertung, die ausschließlich aufgrund von öffentlich bekannten Tatsachen erstellt wurde, selbst dann keine Insidertatsache ist, wenn sie selbst ein erhebliches Kursbeeinflussungspotential besitzt. Diese Regelung soll vor allem Finanzanalysten und anderen Wertpapierexperten zugute kommen, die aufgrund ihrer besonderen Sachkenntnisse und Analysefähigkeiten in der Lage sind, sich Wissensvorsprünge gegenüber anderen Marktteilnehmern zu erarbeiten. Allerdings hat der Schutzbereich dieser Norm eine erhebliche Einschränkung im Schrifttum erfahren, die zu einer weitgehenden Entwertung der Vorschrift geführt hat. So ist nach weit verbreiteter Auffassung zwischen der Bewertung einerseits und dem Wissen über ihre Verwendung durch Dritte andererseits zu differenzieren. Während die Bewertung selbst keine Insidertatsache ist, soll das Wissen über ihre Verwendung den Tatbestand des § 13 Abs. 1 WpHG erfüllen. Angesichts dieser doppelgesichtigen Betrachtungsweise dürfte es für den Betroffenen kaum mehr möglich sein, sich auf die Schutzklausel des § 13 Abs. 2 WpHG zu berufen. Ihm wird es in der Regel nicht gelingen, den Verdacht zu entkräften, er habe nicht allein aufgrund des Inhalts, sondern auch aufgrund seines Wissens um die Verwendung der Bewertung gehandelt. Hinzu kommt, daß unabhängig von der Verwendungsproblematik die Schutzklausel des § 13 Abs. 2 WpHG nach h. M. bereits dann nicht mehr eingreift, wenn auch nur eines der vom Analysten zusammengefügten Informationsbruchstücke der Öffentlichkeit noch nicht bekannt ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses Informationsbruchstück für sich gesehen bereits kurserheblich ist oder nicht. Abschließend ist festzustellen, daß das deutsche Insiderrecht die zielgruppenorientierte Kapitalmarktkommunikation der Unternehmen stark reguliert. Sobald der Informationsaustausch zwischen Emittenten- und Anlegerseite über das übliche Maß der Pflichtpublizität hinausgeht und dabei nicht alle Marktteilnehmer miteinbezogen werden, setzen sich alle Beteiligten unweigerlich dem Verdacht eines Insider-Verstoßes aus. Die aktuelle insiderrechtliche Rechtslage läuft daher dem zunehmenden Bedürfnis nach freiwilliger Unternehmenspublizität und zielgruppenorientierter Information diametral entgegen. Insbesondere das Weitergabe- und Empfehlungsverbot behindert eine offene Informationspolitik börsennotierter Gesellschaften. Auf den ersten Blick mag die praktische Bedeutung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 WpHG zwar eher gering erscheinen. So kann das BAWe bzw. die neugegründete Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bislang nur von einem Fall berichten, in dem es einem Verstoß gegen das Weitergabeverbot gesondert nachgegangen ist.578 Der Mangel an Prä-
B. Zusammenfassung und abschließende Bewertung
173
zedenzfällen kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, daß der Informationsaustausch zwischen Emittenten und Finanzanalysten bei konsequenter Durchsetzung der Insider-Strafbestimmungen de facto zum Erliegen käme.
578
Vgl. BAWe, Jahresbericht 2000, S. 21.
Zweiter Teil
Beurteilung der Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht A. Einführung Defizite und Streitfragen des geltenden Rechts, unbefriedigende Lösungen des Spannungsverhältnisses Insiderrecht – Kapitalmarktkommunikation geben Veranlassung zu hinterfragen, ob die §§ 12–14, 38 WpHG die Kommunikationsbeziehungen zwischen Unternehmensvertretern und Informationsintermediären sowie die Informationsverwertungsbefugnisse der Analysten vor dem Hintergrund ökonomischer Erwägungen optimal regeln. I. Der Stand der Diskussion Das Meinungsbild ist hinsichtlich der Frage, wie aus rechtspolitischer Sicht, d.h. unabhängig von der aktuellen Gesetzeslage, das Spannungsverhältnis zwischen Insiderverbot und Finanzanalyse optimal zu lösen ist, uneinheitlich. Das Spektrum der Vorschläge reicht von einer insiderrechtlichen Privilegierung der Finanzanalysten i. S. einer „safe-harbour-rule“ bis hin zu einem Totalverbot selektiver Informationspolitik, was praktisch einem Berufsverbot für Finanzanalysten gleichkommt.1 Grund für diese erheblichen Meinungsdifferenzen sind die als ambivalent einzustufenden ökonomischen Auswirkungen, die die Finanzanalysten auf das Kapitalmarktgeschehen haben können. Hauptargument gegen eine (insider-)rechtliche Privilegierung der Finanzanalysten ist die drohende Gefahr einer ungleichmäßigen Chancenverteilung unter den Anlegern. Kapitalmarktexperten warnen davor, daß eine Lockerung der Insiderhandelsverbote die Unternehmen zu einer selektiven Informationspolitik verführen könnte, deren Begünstigte in erster Linie Analysten und Großinvestoren wären. Die dadurch bedingte „asymmetrische“ Informationsverteilung gefährde die „institutionelle“ Effizienz des Marktes. Andererseits wird gegen eine zu weitgehende Insider1 Für eine Privilegierung der Finanzanalysten siehe Fischel, 13 (1984) Hofstra Law Review, S. 127, 142 f. und erst kürzlich den Artikel von Hassett, „Outlaw Selective Disclosure? No, the More Information the Better“, im Wall Street Journal, August 10, 2000. Gegen eine Privilegierung der Analysten und für mehr informationelle Chancengleichheit siehe Langevoort, 76 (1990) Virginia Law Review, S. 1023, 1044 f.
A. Einführung
175
regelung von wirtschaftswissenschaftlicher Seite wiederum eingewandt, die Finanzanalysten würden mit ihrer Tätigkeit einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der Informationsverarbeitung und damit der sog. „Informationseffizienz“ des Marktes leisten. Daher müsse bei der Ausgestaltung des Insiderrechts auf die Berufsbelange der Analysten stärker Rücksicht genommen werden. Die Gegensätzlichkeit der vertretenen Positionen macht die insiderrechtliche Beurteilung der Analysetätigkeit äußerst schwierig. Bereits die knappe Skizzierung der für und wider eine insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten angeführten Argumente zeigt zudem, daß das Spannungsverhältnis zwischen informationeller Chancengleichheit und Finanzanalyse keineswegs als ein rein berufsspezifisches Problem der Informationsintermediäre betrachtet werden darf. Die Lösung der insiderrechtlichen Problematik der Finanzanalysten erfordert es vielmehr, ordnungspolitische Erwägungen, die den Kapitalmarkt als ganzen betreffen, einzubeziehen.2 II. Verlauf der Prüfung Eine rechtspolitische Bewertung des insiderrechtlichen Rechtsrahmens für Finanzanalysten setzt voraus, daß Klarheit über die relevanten Bewertungsfaktoren besteht. Daher werden im folgenden die gesamtökonomischen Vor- und Nachteile der Analystentätigkeit im einzelnen dargelegt. Zunächst werden die potentiellen Nachteile erörtert, die die Tätigkeit der Finanzanalysten für das Kapitalmarktgeschehen haben kann (B.). Anschließend werden die gesamtökonomischen Vorteile der Finanzanalyse aufgezeigt. Unter Verweis auf informationsökonomische Erkenntnisse wird dargelegt, daß die Analysten mit ihrer Tätigkeit einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der sog. Informationseffizienz des Marktes leisten (C.). In einem Exkurs soll sodann nachgewiesen werden, daß die Maßnahmen, die der Gesetzgeber speziell zur Verbesserung der sog. Informationseffizienz des Marktes erlassen hat, bei weitem nicht ausreichen, um den Beitrag der Analysten vollends zu ersetzen (D.). Abschließend wird eine Abwägung der für und wider eine insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten angeführten Argumente vorgenommen. Vor dem Hintergrund kapitalmarktrechtlicher Regelungsziele und Leitprinzipien wird die Frage erörtert, ob rechtspolitisch die Pflicht besteht, die bestehende Insiderrechtslage an die Bedürfnisse der Finanzanalysten besser anzupassen (E.).
2 Das Insiderrecht ist Teil des kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutzes und damit Teil des Kapitalmarktrechts insgesamt. Siehe dazu Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, § 14, S. 548.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
B. Die Argumentation gegen eine (insider-)rechtliche Privilegierung der Finanzanalysten Die Argumentation gegen eine insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß es im Falle einer Lockerung der insiderrechtlichen Handlungsverbote zu einer Art kollusivem Zusammenwirken von Unternehmensvertretern und Finanzanalysten kommen würde, was wiederum erhebliche negative Auswirkungen auf das Kapitalmarktgeschehen insgesamt haben könnte. I. Mißbrauch der Kommunikationsbeziehungen Die Gegner einer insiderrechtlichen Privilegierung der Finanzanalysten argumentieren, Unternehmensvertreter und Finanzanalysten würden bei Fehlen einer umfassenden Insiderverbotsregelung ihre Kommunikationsbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen und zum Schaden der übrigen Marktteilnehmer mißbrauchen. 1. Die Arbeitsweise der Analysten Um die behaupteten negativen Folgen, die eine Lockerung der Insiderhandelsverbote nach sich ziehen könnte, zu verdeutlichen, sei zunächst ein Blick auf die Arbeitsweise der Informationsintermediäre geworfen. Finanzanalysten sammeln und analysieren Informationen, die die Anleger benötigen, um rationale Investitionsentscheidungen im Anteilshandel treffen zu können. Viele Anleger verfügen weder über die Zeit noch über die Fähigkeiten, sich eigenständig, d.h. ohne die Hilfe von Kapitalmarktexperten, über die Wertentwicklung der am Markt gehandelten Anlagetitel zu informieren. Um aber dennoch Anlageentscheidungen auf der Grundlage rationaler Überlegungen treffen zu können, sind Anleger auf die Dienstleistungen der Finanzanalysten angewiesen. So informieren Analysten ihre Auftraggeber und Kunden darüber, welche Aktienunternehmen die besten Renditeaussichten und damit das höchste Kurspotential bzw. Kursziel besitzen. Zugleich warnen sie aber auch vor solchen Unternehmen, deren Aktien sich künftig weniger gut entwickeln werden als der Gesamtmarkt.3 Will der Analyst den Erwartungen des Anlegerpublikums gerecht werden, muß er die künftige Preisentwicklung der Wertpapiere genau bestimmen kön3 In der Praxis sind jedoch Verkaufsempfehlungen äußerst selten. Der ehemalige Präsident der amerikanischen Börsenaufsicht, Arthur Levitt, unkte unlängst, Verkaufsempfehlungen seien so selten wie Konzerte von Barbara Streisand, vgl. Artikel in der FAZ v. 14.04.2000, S. 25.
B. Argumentation gegen eine rechtliche Privilegierung
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nen. Nach einer allgemeinen Prognoseformel ist der Preis der Wertpapiere abhängig von der Einschätzung der Gewinnerwartungen des betreffenden Unternehmens sowie von dem der Anlage innewohnenden Risiko.4 Die Bewertung eines Finanzprodukts richtet sich daher nach der Summe aller künftig zu erwartenden Dividenden, abgezinst auf den jeweiligen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung. Diese Bewertungsformel entspricht im wesentlichen der sog. Ertragswertmethode, die Wirtschaftsprüfer zur Ermittlung des Unternehmenswerts einer Gesellschaft heranziehen, allerdings mit dem Unterschied, daß der Analyst von der künftig zu erwartenden Dividende auf den Wert der Aktie schließt, während der Wirtschaftsprüfer von den zukünftigen Erträgen des Unternehmens auf den Wert des Unternehmens schließt.5 Analysten gehen für die Bestimmung der Preisentwicklung grundsätzlich nach einer zweistufigen Bewertungsmethode vor. Zunächst sammeln sie alle öffentlich bekannten und dem Markt zugänglichen Informationen über die finanzielle Situation des jeweiligen Unternehmens sowie über unternehmensexterne, bewertungsrelevante Einflußfaktoren. Diese Informationen bilden die Grundlage für die vom Analysten zu erstellende Prognose. In einem zweiten Schritt versuchen sie, die künftige Wertentwicklung des Unternehmens einzuschätzen. Weil grundsätzlich jede Art der Vorhersage mit dem Makel der Unsicherheit behaftetet ist, formulieren Analysten die von ihnen erstellten Gewinnerwartungen üblicherweise als Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Aus diesem Grund werden Gewinnprognosen u. a. auch als sog. „weiche Informationen“ (soft information) bezeichnet, die im Gegensatz zu „harten Fakten“ ein Restrisiko für den Anleger einschließen. Um diese sog. „weichen Informationen“ erstellen zu können, stehen dem Analysten grundsätzlich zwei verschiedene Wege offen, die jedoch nicht nur alternativ, sondern auch kumulativ beschritten werden können. Zum einen kann der Analyst auf etwaige, vom Unternehmen selbst erstellte Gewinnprognosen zurückgreifen und diese mit seinen eigenen Prognoseergebnissen abgleichen. In diesem Zusammenhang kommt es den Analysten sehr gelegen, daß viele börsennotierte Unternehmen im Rahmen ihres sog. „external value based reporting“ mittlerweile dazu übergegangen sind, auch prospektive Informationen dem Anlegerpublikum zur Verfügung zu stellen. Dadurch übernimmt das Unternehmen einen Teil der Arbeit der Analysten, wobei jedoch die Objektivität unternehmenseigener Prognosen grundsätzlich in Frage zu stellen sein dürfte.6 Andererseits ist der Analyst nicht zwingend auf unternehmenseigene Prognosen angewiesen. Vielmehr ist er in der Lage, auch aufgrund eigener 4
Steinhauer, S. 61. Steinhauer, AG 1999, S. 299, 304, vgl. zum Barwertmodell der Finanzierungstheorie als wesentlicher Bestandteil der Fundamentalanalyse ausführlich unten 2. Teil, C. I. 3. a)–c). 6 Dies gilt zumindest solange, wie der Gesetzgeber keine Haftungsgrundlagen für bewußt unrichtig erstellte Prognosen normiert hat. Vgl. jedoch neuerdings §§ 37b, 5
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
Analysefähigkeiten die für eine wertorientierte Einschätzung der Unternehmensentwicklung erforderlichen Informationen zusammenzustellen und auszuwerten. Der Analyst ist insbesondere dann auf sich gestellt, wenn das Unternehmen bewußt prospektive Informationen zurückhält bzw. mangels Erfahrung oder entsprechender Kapazitäten noch keine externe Berichterstattung aufbauen konnte. Er ist auf die Interpretation der Unternehmenszahlen angewiesen, die in der Bilanz und in der GuV-Rechnung erfaßt sind (Bilanzanalyse). Unter Bilanzanalyse versteht man die Untersuchung von Jahresabschluß und Lagebericht mit dem Ziel, allgemeine und entscheidungsrelevante Informationen über die gegenwärtige wirtschaftliche Lage und die künftige wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens zu gewinnen.7 Um ein objektives Gesamturteil über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung finden zu können, müssen die aussagefähigsten Kennzahlen ausgewählt und gewichtet werden. Dabei sagen einzelne Zahlen für sich gesehen noch nicht viel aus. Vielmehr sind die einzelnen Zahlen zueinander und zu externen Faktoren in Beziehung zu setzen. Auch hierbei erweist sich der direkte Kontakt zum Unternehmen als äußerst hilfreich. 2. Kollusives Zusammenwirken von Emittenten und Analysten Aus der Beschreibung ihrer Arbeitsweise geht hervor, daß Analysten zu Recherchezwecken bevorzugt den unmittelbaren Kontakt zum jeweiligen Unternehmen suchen, sei es um über unternehmenseigene Wertprognosen informiert zu werden, sei es um sich selbst vor Ort einen Überblick über die Unternehmenssituation zu verschaffen. Nach weit verbreiteter Auffassung stellen diese Bestrebungen der Analysten eine potentielle Gefahr für den Kapitalmarkt dar. Denn gäbe es keine strafbewehrten Handlungsverbote, die das Handeln aufgrund und die Weitergabe von Insiderinformationen untersagen, würden Analysten – so die Vermutung einiger Kapitalmarktexperten – höchstwahrscheinlich einen Großteil ihrer Arbeitszeit darauf verwenden, Unternehmensinsider nach geheimen Insidertips zu befragen.8 Es wird der Berufsgruppe der Analysten unterstellt, sie würde sich bei einer insiderrechtlichen Haftungsbefreiung nur noch auf exklusive Unternehmensauskünfte konzentrieren, mit deren Hilfe sich kurzweilige Spekulationsgewinne erzielen lassen, anstatt sich auf ihre eigenen Analysefähigkeiten zu verlassen, um die Wertentwicklung des betreffenden Unternehmens langfristig zu bestimmen.9 Des weiteren wird befürchtet, daß die Un37c WpHG, mit denen eigenständige Anspruchsgrundlagen für Schadensersatzklagen wegen falscher Ad-hoc-Mitteilungen geschaffen wurden. 7 Vgl. den Artikel von Baetge/Matena in der FAZ v. 19.11.01, S. 25, „Die moderne Bilanzanalyse, Kompendium der neuen BWL“. 8 Langevoort, Insider Trading, § 11.02, S. 2. 9 Coffee, New York Law Journal, 31.07.1997, S. 5. Siehe auch den Artikel „Analysten müssen sich wieder auf das Analysieren besinnen“ in der FAZ v. 30.03.01, S. 25.
B. Argumentation gegen eine rechtliche Privilegierung
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ternehmensinsider bei Fehlen einer entsprechenden Verbotsregelung durchaus gewillt wären, Analysten bevorzugt mit nicht öffentlich bekannten Informationen zu versorgen. Es könne sogar nicht ausgeschlossen werden, daß Unternehmensvertreter die von den Analysten erstellten Prognosen vor ihrer Veröffentlichung noch einmal überarbeiten würden. Letztlich würde eine Lockerung der Insiderhandelsverbote zu einer Art kollusivem Zusammenwirken von Unternehmensinsidern und Analysten führen, das sich zum gegenseitigen Nutzen der Beteiligten, aber zum Nachteil des Marktes auswirken würde. 3. Gründe für kollusives Zusammenwirken Für die Richtigkeit der Annahme, daß bei Fehlen einer entsprechenden Verbotsregelung Unternehmensvertreter und Analysten kollusiv zusammenwirken würden, lassen sich nach Ansicht des Schrifttums einige plausible Gründe anführen. a) Steigerung des „shareholder value“ So sei jede börsennotierte Gesellschaft daran interessiert, daß ihre Wertpapiere eine möglichst positive Bewertung durch das Anlegerpublikum erlangen. Denn ein hoher bzw. stabiler Börsenkurs der bereits emittierten Wertpapiere ist u. a. für zukünftige kapitalmarktbezogene Finanzierungsvorhaben von besonderer Bedeutung.10 Es wird daher vermutet, daß den Unternehmen jedes (legale) Mittel recht sein wird, um den eigenen „shareholder value“ zu erhöhen bzw. vor allzu großen Schwankungen zu bewahren. Zur Erreichung dieses Ziels würde der Vorstand des jeweiligen Unternehmens sich bemühen, die Analysten als anerkannte Meinungsmacher im Anlegerpublikums wohl gesonnen zu stimmen, indem er ihnen Insiderinformationen als eine Art „Entlohnung“ für ihre Dienste bevorzugt übermittelt. Langfristig gesehen könnte es dem Vorstand durch eine geschickte Informationspolitik gelingen, Analysten, die sein Unternehmen beobachten, derart an sich zu binden, daß diese aus Angst vor dem Verlust ihres privilegierten Informationszugangs auch schlechte Unternehmensprognosen noch „diplomatisch“ dem Anlegerpublikum präsentieren. b) Erhöhte Beachtung im Anlegerpublikum Als ein weiterer Grund dafür, daß Unternehmensvertreter mangels einer entsprechenden Verbotsregelung Insiderinformationen bereitwillig an Finanzanalysten und andere Informationsintermediäre weitergeben würden, wird die oftmals 10 Vgl. zur Bedeutung des Sekundärmarkts für die Auslesefunktion des Kapitalmarkts noch unten 2. Teil, C. I.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
nur unzureichende Beachtung genannt, die den börsennotierten Gesellschaften in den weniger populären Börsensegmenten zuteil wird. Am deutschen Kapitalmarkt werden bislang nur ca. 100 börsennotierte Unternehmen regelmäßig von Analysten beobachtet.11 Folglich gibt es am deutschen Aktienmarkt eine ganze Reihe von Unternehmen, deren Aktien mangels öffentlicher Bekanntheit nur mit geringem Umsatz gehandelt werden.12 Um die eigenen Aktien für das Anlegerpublikum interessanter zu machen, fehlt es den Unternehmen in der Regel an positiver „publicity“. Die Aufmerksamkeit des Anlegerpublikums ließe sich jedoch durch entsprechende Analystenmeldungen herstellen. Um Analysten „anzulocken“, könnte auch hier das In-Aussicht-Stellen einer informationellen Privilegierung hilfreich sein. c) Genauigkeit der Prognosen Wie bereits eingangs angeklungen ist, würden auch die Analysten von einer selektiven Informationspolitik der Unternehmen erheblich profitieren. Nichts ist für einen Analysten wichtiger, als daß seine Prognosen zutreffend sind. Die Genauigkeit seiner Vorhersagen hängt dabei in erster Linie vom Umfang der ihm zur Verfügung stehenden Informationen ab. Je besser sein Kontakt zu den von ihm beobachteten Gesellschaften ist, umso umfassender dürfte er über die für die Erstellung seiner Prognosen notwendigen Daten informiert sein. Aus der Zielgenauigkeit seiner Prognosen erwachsen dem Analysten wiederum erhebliche, persönliche Vorteile. So vermag er sich aufgrund eines privilegierten Informationszugangs gegenüber seinen Konkurrenten besser durchzusetzen und kann dadurch seinen Marktwert steigern. d) Erfahrungen des US-amerikanischen Wertpapiermarkts Im übrigen finden die vom Schrifttum angeführten Gründe ihre Bestätigung in den Erfahrungen, die der US-amerikanische Kapitalmarkt mit einer Insiderregelung gemacht hat, die die Unternehmensvertreter und Analysten bei ihren Gesprächen weitgehend von einer Haftung freigestellt hat.13 Während der Zeit, in der Unternehmensvertreter und Finanzanalysten von einer insiderrechtlichen 11 Vgl. Artikel in der „Zeit“, Nr. 39 v. 19.10.2000, S. 39: „Analysten beschäftigen sich lieber mit den wenigen Werten, die in den prominenten Indizes wie DAX und Nemax-50 vertreten sind. Nur etwa jedes zehnte börsennotierte Unternehmen wird hierzulande von Analysten beobachtet – der große Rest steht im Abseits.“ 12 Nach Meinung der Banken besteht innerhalb des Xetra-Systems gerade mal bei den DAX-30 Werten ausreichend Liquidität für eine wertgerechte Preisbildung. Vgl. dazu die Pressemitteilung von Hans-Wolfgang Loyda, Direktor der Weberbank Berliner Industriebank vom 11. Mai 2000. 13 Vgl. zur Entwicklung des US-amerikanischen Insiderrechts ausführlich unten 3. Teil, 1. u. 2. Abschnitt.
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Haftung freigestellt waren, hatte es sich in den USA offenbar zur gängigen Praxis entwickelt, daß Unternehmen Wertpapieranalysten und Großinvestoren einluden, um sie exklusiv über die zu erwartenden Umsatzentwicklungen zu informieren.14 So profitierte ein kleiner Kreis von privilegierten Markteilnehmern von börsenrelevanten Informationen, ehe die breite Öffentlichkeit davon erfuhr.15 II. Die Auswirkungen auf den Kapitalmarkt Eine selektive Informationspolitik börsennotierter Unternehmen sowie das anschließende Verhalten der Begünstigten dieser Politik würde nach überwiegender Ansicht im Schrifttum die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes gleich in zweifacher Hinsicht gefährden. Zum einen wäre die „institutionelle Effizienz“ des Marktes bedroht und zum anderen bestünde die Gefahr einer Preisverzerrung wegen der sog. „moral-hazard“-Problematik. 1. „Asymmetrische“ Informationsverteilung Die selektive Informationspolitik der Unternehmen würde unweigerlich zu einer informationellen Benachteiligung aller Marktteilnehmer führen, die nicht zum Kreis der Begünstigten gehören. Die Auswirkungen einer „asymmetrischen Informationsverteilung“ auf den Kapitalmarkt seien hinlänglich bekannt. Während eine kleine Gruppe von Analysten und institutionellen Anlegern aufgrund ihres Wissensvorsprungs Unter- bzw. Überbewertungen des Marktes hinsichtlich einzelner Wertpapiere frühzeitig erkennen und daraus Gewinn schlagen könnte, bliebe den übrigen Marktteilnehmern nichts anderes übrig, als dem regen Handel der informationell privilegierten Anleger – gleichsam passiv – zuzuschauen. Eine solche Entwicklung würde über kurz oder lang zu einem erheblichen Vertrauensverlust beim Anlegerpublikum führen. Informationell benachteiligte Anleger müßten resignierend feststellen, daß andere Marktteilnehmer ihnen bei der Chancenverwertung im Anteilshandel stets einen Schritt voraus sind. Die Erhaltung des Anlegervertrauens ist jedoch sowohl nach Auffassung von Kapitalmarktexperten als auch nach Auffassung des Gesetzgebers eine unerläßliche Voraussetzung für die Lebens- und Wettbewerbsfähigkeit des Kapitalmarktes.16 Investitionswillige Sparer sind nur bereit, ihr Geld in Wertpapiere anzule14 So zumindest die Einschätzung der SEC in ihrer Begründung zur „Fair Disclosure“-Regelung, Federal Register Vol. 65, No. 165 v. 24.8.2000, S. 51716 f.: „We have become increasingly concerned about the selective diclosure of material information by issuers.“ 15 Vgl. dazu den Artikel „US-Kleinanleger werden Profis gleichgestellt“ in der Süddeutschen Zeitung vom 12.08.2000, S. 27 und den Artikel „Analysten müssen sich wieder auf das Analysieren besinnen“ in der FAZ vom 30.03.01, S. 25.
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gen, wenn sie davon überzeugt sind, daß sich das Börsengeschehen in korrekten Formen abspielt und elementare Marktregeln eingehalten werden.17 Ist ein angemessener Schutz vor Übervorteilung jedoch nicht gewährleistet, kommt es zu einer Verunsicherung des Anlegerpublikums, die letztlich zu einer spürbaren Marktabwanderung führen würde. Viele benachteiligte Anleger würden sich vom Kapitalmarkt abwenden und sich anderen Anlagemöglichkeiten zuwenden. Dem Wertpapierhandel wäre die notwendige Liquidität entzogen, wodurch ein Marktzusammenbruch wahrscheinlicher werden würde. 2. Exkurs: Vergleichbarkeit mit den Auswirkungen von Insiderhandel Zu recht wird darauf hingewiesen, daß dieses Verhalten von Unternehmensvertretern und Analysten sich hinsichtlich seiner Folgen durch nichts von dem Handeln eines typischen Insiders unterscheiden würde.18 Denn die selektive Information von Analysten und institutionellen Anlegern ist letztlich nichts anderes als ein „Tip“, den ein Insider einem anderen Marktteilnehmer gibt. Ähnlich wie die Weitergabe von Insiderinformationen ermöglicht auch die Praxis selektiver Information, daß einzelne Anleger aufgrund ihres Wissensvorsprungs Vorteile bei der Chancenverwertung im Anteilshandel erlangen, die die anderen Marktteilnehmern durch eigene Recherchearbeiten nicht zu kompensieren vermögen. Die insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten stößt daher nahezu auf dieselben Bedenken, die bereits im Rahmen der ökonomischen Diskussion über die Regulierungsbedürftigkeit von Insiderhandel gegen einer Deregulierung von Insiderhandel geäußert wurden.19 Lange Zeit war die innere Rechtfertigung des Insiderverbots umstritten. Die Vorzüge sowie Nachteile von Insiderhandel wurden gegeneinander abgewogen, ohne daß man zu einem eindeutigen Ergebnis für die Regulierungsbedürftigkeit dieses Phänomens gelangte. Mittlerweile hat sich aber die Überzeugung durchgesetzt, daß Insiderhandel verboten werden müsse, weil es durch die Marktaktivitäten der Insider langfristig zu einem Vertrauensverlust bei den Anlegern und damit zu einer spürbaren Marktabwanderung kommen würde. Anerkanntermaßen hat das Insiderverbot den Zweck, sicherzustellen, daß Kleinanleger grundsätzlich dieselben Gewinnchancen im Anteilshandel haben wie professionelle Marktteilnehmer. Dies soll erreicht werden, indem per Gesetz informationell 16
Fleischer, Gutachten F für den 64. Deutschen Juristentag, S. 24 f. Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 192. 18 Krauel, S. 240; vgl. auch die Begründung der SEC zu ihrer „Fair Disclosure“-Regelung, Federal Register Vol. 65, No. 165 v. 24.8.2000, S. 51716 f.: „Issuer selective disclosure bears a close resemblance in this regard to ordinary „tipping“ and insider trading.“ 19 Krauel, S. 239. 17
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privilegierten Marktteilnehmern verboten wird, kurserhebliche Informationen, die nicht dem gesamten Anlegerpublikum zur Verfügung stehen, für entsprechende Wertpapiertransaktionen zu verwerten. Letztlich soll das Insiderverbot eine „ausgeglichene Spielfläche“ („level playing field“) für den Kapitalmarkt schaffen, auf der alle Marktteilnehmer zumindest dieselbe Ausgangsposition haben. Dieser Regelungszweck des Insiderverbots wird aber nicht nur dadurch konterkariert, daß typische Insider, wie etwa Vorstandsmitglieder und Großinvestoren, ihre Wissensvorsprünge im Anteilshandel ausnutzen, sondern auch dadurch, daß Unternehmensvertreter aufgrund selektiver Informationspolitik anderen Marktteilnehmern dieselben Möglichkeiten eröffnen. Ließe man Analysten und Unternehmensvertreter freie Hand bei der Ausgestaltung ihrer Kommunikationsbeziehungen, so käme es zu einer asymmetrischen Informationsverteilung im Markt, die ein verstärktes Aufkommen von Insiderhandel sehr wahrscheinlich machen würde. Gegen die Lockerung der Insiderhandelsverbote für Finanzanalysten und andere Informationsintermediäre spricht damit die Gefahr eines Vertrauensverlustes bei den Anlegern. 3. „Moral hazard“ Eine insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten würde nach Ansicht vieler Autoren noch einen weiteren Nachteil für den Kapitalmarkt mit sich bringen.20 Es wird argumentiert, ein allzu vertrauliches Kommunikationsverhältnis von Unternehmensinsidern und Analysten würde langfristig gesehen den Preisbildungsmechanismus des Marktes verzerren.21 Als Grund dafür wird die sog. „moral hazard“-Problematik genannt.22 Wie bereits eingangs angedeutet hätten die Emittenten bei Fehlen einer entsprechenden Verbotsregelung die Möglichkeit, durch eine selektive und gleichzeitig geschickte Informationspolitik Analysten längerfristig an sich zu binden. Eine solche Bindung an das Unternehmen ließe sich konkret dadurch erreichen, daß man den Analysten in Aussicht stellt, man werde ihnen im Gegenzug für „freundliche“ Analystenmeldungen exklusiv Insiderinformationen mitteilen. Die Analysten würden durch eine solche Informationspolitik der Unternehmen einem gewissen, „moralischen“ Druck ausgesetzt werden. Sie wären praktisch gezwungen, die von ihnen beobachteten Unternehmen stets positiv in der Öffentlichkeit darzustellen. Denn durch eine negative Darstellung des Unternehmens 20 Siehe Laderman, Business Week, 5. Oct. 1998, S. 158; Dugar/Nathan, 5 (1996) Journal of Investing, S. 13. 21 Drygala, WM 2001, S. 1282, 1283 mit weiteren Nachweisen. 22 Löffler, S. 45, übersetzt den Begriff „moral hazard“ mit dem deutschen Wort „Verhaltensrisiko“.
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liefen sie Gefahr, ihren privilegierten Informationszugang zum betroffenen Unternehmen zu verlieren.23 Die Schaffung solcher Abhängigkeitsverhältnisse würde also dazu führen, daß Analysten künftig von Verkaufsempfehlungen und sonstigen pessimistischen Wasserstandsmeldungen vollends Abstand nehmen würden. Weil sich viele Anleger bei ihren Investitionsentscheidungen aber auf die Empfehlungen der Analysten verlassen, käme es zu einer latenten Überbewertung der am Markt gehandelten Wertpapiere. Der Preisbildungsmechanismus wäre gestört. Die Anleger würden sich bei ihren Transaktionen nicht mehr am eigentlichen „Wert“ der Anlagetitel orientieren, sondern an den Wunschvorstellungen der Emittenten, die diese mit Hilfe der Analysten in den Markt hineinprojizieren. Das Ende einer solchen Entwicklung ist absehbar. Spätestens dann, wenn die Spekulationsblase platzt, dürfte das Vertrauen der Anleger in die Funktionsfähigkeit des Marktes endgültig aufgebraucht sein.24 III. Zusammenfassung Aus rechtspolitischer Sicht werden gegen eine Lockerung der Insiderhandelsverbote zugunsten der Berufsgruppe der Finanzanalysten im wesentlichen zwei Argumente vorgetragen. Zum einen wird befürchtet, die Unternehmen könnten aus taktischen Gründen dazu übergehen, Analysten und Großinvestoren auf Kosten des restlichen Anlegerpublikums informationell zu bevorzugen. Die dadurch bedingte „asymmetrische“ Informationsverteilung im Markt würde langfristig gesehen das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Marktes zerstören. Zum anderen wird darauf hingewiesen, Analysten könnten als Begünstigte der selektiven Informationspolitik schnell in ein Abhängigkeitsverhältnis zum jeweiligen Emittenten geraten, was letztlich dazu führen würde, daß die Objektivität ihrer Anlageempfehlungen nicht mehr gewährleistet wäre. Dies hätte wiederum negative Auswirkungen auf den Preisbildungsmechanismus des Marktes. Diese gegen eine insiderrechtliche Privilegierung der Analysten angeführten Wirkungshypothesen sind in der Praxis zwar nicht nachprüfbar, weil das WpHG den Unternehmen die selektive Weitergabe von bewertungsrelevanten Informationen weitgehend verbietet. Sollten sich jedoch die geäußerten Befürchtungen tatsächlich bewahrheiten, so ließe sich aus rechtspolitischer Sicht nur wenig gegen die bestehende Insider-Rechtslage für Emittentenvertreter und Analysten einwenden.
23 Es ist schwer vorstellbar, daß ein Analyst auch für eine negative Einschätzung mit Insiderinformationen „entlohnt“ werden würde. Vielmehr müßte er damit rechnen, beim nächsten Analystentreffen nicht noch einmal eingeladen zu werden. 24 Zugleich dürften die Analysten in diesem Fall ihre Glaubwürdigkeit beim Anlegerpublikum verloren haben.
C. Argumentation für eine rechtliche Privilegierung
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C. Die Argumentation für eine (insider-)rechtliche Privilegierung der Finanzanalysten Nach verbreiteter Ansicht leisten Finanzanalysten einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der sog. „Informationseffizienz“ des Marktes.25 Z. T. wird sogar die Auffassung vertreten, die Finanzanalysten seien ein unverzichtbarer Bestandteil des Informationsverarbeitungsprozesses des Kapitalmarktes und dürften daher nicht durch eine zu weitgehende Insiderregelung an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert werden.26 Wie es im einzelnen durch die Tätigkeit der Informationsintermediäre zu dem allseits gepriesenen, positiven Effekt für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes kommt und wieso dieser Effekt durch eine allzu strenge Insiderregelung relativiert werden könnte, wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur bislang nicht näher untersucht.27 Deswegen fällt es schwer, den gesamtwirtschaftlichen Nutzen und damit die besondere Schutzbedürftigkeit der Informationsintermediäre vor dem Hintergrund insiderrechtlicher Verbotsbestimmungen anzuerkennen und bei der Auslegung der §§ 12–14 WpHG zu berücksichtigen. Daher sind die Erkenntnisse der Kapitalmarktforschung, auf denen die Effizienz-Argumentation zugunsten der Finanzanalysten basiert, nachzuzeichnen und auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen. Die Argumentationskette zugunsten der Finanzanalysten wird im folgenden in vier Abschnitte untergliedert. Zunächst wird die Funktionsweise des Preisbildungsmechanismus entsprechend den Grundsätzen der sog. „Efficient Capital Market Theory“ erläutert (I.). Im Anschluß daran werden die tatsächlichen Marktgegebenheiten mit der Kapitalmarkttheorie verglichen. Zugleich sollen die Gründe aufgezeigt werden, weswegen der Markt sich in der Praxis dem Zustand effizienter Informationsverarbeitung immer nur annähern, ihn aber nie erreichen kann (II.). Im dritten Abschnitt soll der Beitrag der Finanzanalysten zur Verbesserung des Informationsverarbeitungsprozesses des Marktes näher untersucht werden (III.). In einem letzten Schritt ist schließlich aufzuzeigen, daß die Qualität des Beitrags der Finanzanalysten zur Informationsverarbeitung des Marktes in erheblichem Maße davon abhängt, inwieweit das Insiderrecht dieser Berufs-
25 Löffler, S. 119 ff.; ders., zfbf 51 (2/1999), S. 128, 128; Drygala, WM 2001, S. 1313, 1317; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 170; vgl. auch die Empfehlungen der Forumgruppe an die Dienste der Europäischen Kommission: Finanzanalysten: Beste Praktiken in einem integrierten europäischen Finanzmarkt, abrufbar unter www. europa.eu.int, S. 13 f. 26 Claussen, in: Claussen/Schwark, S. 11, 27; ders., AG 1997, S. 306, 310; Fisch, 26 (1991) Georgia Law Review, S. 179, 182 f.: „securities analysts perfom an essential function in making the markets more efficient by disseminating market information and causing that information to be reflected in stock prices.“ 27 So bereits Loistl, Die Bank 1993, S. 456, 457.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
gruppe einen ungehinderten Zugang zu Unternehmensinformationen gewährt und deren Verwertung nicht verhindert (IV.). I. Die Preisbildung des Marktes unter Berücksichtigung der „Efficient Capital Market Hypothesis“ Ausgangspunkt der rechtspolitischen Argumentation zugunsten der Berufsgruppe der Finanzanalysten ist die Konzeption des Preisbildungsmechanismus nach der sog. „Efficient Capital Market Hypothesis“ (im folgenden ECMH).28 Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis erschöpft sich die Hauptaussage der ECMH keineswegs darin, Kapitalmärkte seien stets „informationseffizient“.29 Vielmehr ist die ECMH in erster Linie als ein Kapitalmarktmodell zu verstehen, das der Erklärung des Preisbildungsmechanismus des Marktes dient. Die Hypothese vom informationseffizienten Markt geht dabei von der Prämisse aus, daß sich die Börsenkurse des Marktes stets und ausschließlich am „inneren“ Wert der gehandelten Wertpapiere orientieren.30 1. Die Börsenkurse als Ergebnis von Angebot und Nachfrage Unbestritten ist, daß sich die Preise auf einem Markt aus den Transaktionsentscheidungen der Marktteilnehmer ergeben. Jeder einzelne Anbieter und jeder einzelne Nachfrager trifft für sich die Entscheidung, zu welchem Preis er welche Menge von Produkten anbieten bzw. abnehmen will. Jeder Anleger will die am Markt gehandelten Wertpapiere dabei möglichst billig erwerben und möglichst teuer verkaufen. Jedoch bildet sich am Markt für jedes Produkt aus der Summe aller Einzelentscheidungen ein bestimmter Marktpreis, der „den Markt räumt“, d.h. der den größtmöglichen Konsens unter den Anlegern über den Wert einer Aktie oder eines anderen Finanzprodukts repräsentiert.31 Nach der ECMH entspricht dieser Marktpreis in einem informationseffizienten Markt stets dem „inneren Wert“ des Wertpapiers, der sich mit Hilfe der im Markt vorhandenen, bewertungsrelevanten Informationen ermitteln läßt.32 Dahinter steht die Überlegung, daß ein rational denkender Anleger seine Transaktionsentscheidungen bezüglich eines bestimmten Wertpapiers stets an dem eigentlichen Wert des Wertpapiers ausrichtet. Er ist also zum Kauf des betreffenden Papiers über 28 Vgl. zur ECMH grundlegend Fama, 25 (1970) Journal of Finance, S. 383 ff.; zusammenfassend Schmidt/Prigge, in: Gerke/Steiner, Sp. 392, 393 f. 29 Steinhauer, S. 69. 30 Steinhauer, S. 61/62; Krämer, in: Gerke/Steiner, Sp. 1267, 1268 f.; Schmidt, in: Gerke/Steiner, Sp. 915, 916. 31 Schmidt/Prigge, in: Gerke/Steiner, Sp. 392, 395 f.; Steinhauer, S. 68. 32 Schmidt, in: Gerke/Steiner, Sp. 915, 916: „Der innere Wert (Intrinsic Value) eines Finanztitels wird dessen Börsenkurs gegenübergestellt, . . .“
C. Argumentation für eine rechtliche Privilegierung
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die Börse nur bereit, wenn der dort geltende Marktpreis nicht höher ist als der „innere“ Wert des Papiers. Umgekehrt würde er das Wertpapier nicht zu einem Preis verkaufen, der unter dem „inneren“ Wert des Papiers liegt. Bevor er also an der Börse tätig wird, versucht der rational denkende Anleger mit Hilfe der im Markt vorhandenen, bewertungsrelevanten Informationen den „inneren“ Wert des Wertpapiers zu ermitteln. Sodann trifft er auf dieser Wissensgrundlage seine Investitionsentscheidung. Weil aber alle Marktteilnehmer so denken und handeln, so die Annahme der ECMH, entspreche der Börsenkurs stets dem „inneren“ Wert des Papiers. Weiterhin nimmt die ECMH an, daß sich der „innere“ Wert der gehandelten Papiere aus der Summe aller im Markt vorhandenen, bewertungsrelevanten Informationen ergibt. Daher, so die Folgerung der Theorie, würden die Börsenkurse in einem informationseffizienten Markt zu jedem Zeitpunkt alle bewertungsrelevanten Informationen wiederspiegeln.33 2. Die drei Stufen der Informationseffizienz In Anlehnung an Fama werden in der Theorie drei Stufen der Informationseffizienz unterschieden.34 Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist dabei der Umfang der vom Preisbildungsprozeß verarbeiteten Informationen. a) Starke Form Die höchste Stufe der Informationseffizienz ist erreicht, wenn der Preis eines Wertpapiers auf der Grundlage aller bewertungsrelevanten Informationen zustandekommt, die im Markt vorhanden sind. Gemeint sind damit auch solche Informationen, die nur einer kleinen Minderheit von Marktteilnehmern oder gar nur einer einzigen Person zur Verfügung stehen. In einem solchen Idealfall, in dem man auch von einer Informationseffizienz im strengen Sinne spricht, entsprechen die Kurse zu jeder Zeit dem „wahren“ Wert eines Wertpapiers. Es besteht ein völliger Gleichlauf von Preis und Marktwert, frei von jeglichen Reibungsverlusten. b) Halbstarke Form Die mittlere Stufe der Informationseffizienz ist dagegen gegeben, wenn die Preise zu jeder Zeit dem für alle Marktteilnehmer „zugänglichen“ Informationsstand entsprechen. Ein Kapitalmarkt ist also informationseffizient im mittelstrengen Sinne, wenn die Anleger alle Informationen, auf die sie öffentlich frei 33
Franke/Hax, Kapitel 4.2, S. 315. Fama, 25 (1970) Journal of Finance, S. 383 ff.; ders., (1991) Journal of Finance, S. 1576 ff.; vgl. zusammenfassend auch Krämer, in: Gerke/Steiner, Sp. 1267, 1269 ff. 34
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
zugreifen können, unverzüglich, vollständig und zutreffend in die Kurse einbringen. Auch auf dieser Stufe entsprechen die Kurse zu jeder Zeit weitgehend dem „wahren“ Wert der Wertpapiere, weil der Markt fast alle bewertungsrelevanten Informationen berücksichtigt hat. Dennoch besteht anders als bei der Informationseffizienz im strengen Sinne keine völlige Kongruenz von Marktpreis und tatsächlichem Wert der Papiere, weil nur alle öffentlich zugänglichen Informationen verarbeitet werden. Insider, die über bewertungsrelevante Informationen verfügen, die die anderen Marktteilnehmer (noch) nicht haben, können die geringfügigen Über- oder Unterbewertungen des Marktes erkennen und durch entsprechende Wertpapiergeschäfte zu ihrem Vorteil korrigieren. c) Schwache Form Die unterste Stufe der Informationseffizienz, die sog. schwache Informationseffizienz, ist dagegen schon dann erreicht, wenn die Preise auf dem Kapitalmarkt sämtliche Informationen über das vergangene Marktgeschehen voll verarbeitet haben. Im Gegensatz zu den ersten beiden Stufen der Informationseffizienz kann auf dieser Stufe noch nicht von einer zeitnahen Annäherung des Börsenpreises an den gegenwärtigen, „wahren“ Wert eines Wertpapiers gesprochen werden. Ist ein Kapitalmarkt informationseffizient im schwachen Sinne, so läßt sich daraus lediglich schließen, daß sich durch den Rückblick auf die vergangene Kursentwicklung keinerlei Schlüsse für die zukünftige Kursentwicklung eines Papiers gewinnen lassen, weil der aktuelle Kurs bereits alle Informationen, die in den historischen Kursen des Papiers enthalten waren, ebenfalls berücksichtigt hat.35
35 Der Nutzen, der sich für die Anleger aus der schwachen Stufe der Informationseffizienz ergibt, läßt sich im Gegensatz zu den ersten beiden Stufen weder mit den Erkenntnissen der Fundamentalanalyse noch der Ertragswertmethode erklären. Vielmehr kann der Ausgangspunkt dieser Effizienzstufe mit den Überlegungen zur sog. „technischen“ Wertpapieranalyse verglichen werden. Beide Denkmodelle beruhen auf der Überlegung, daß aus Marktvorgängen, die in der Vergangenheit liegen, Schlüsse auf die zukünftige Entwicklung eines Wertpapiers gezogen werden können, weil sich bestimmte Verlaufsmuster in der Kursentwicklung ständig wiederholen würden. Daher könne derjenige, der ein solches Muster frühzeitig erkennt, anhand der Informationen zum vergangenen Marktgeschehen die weitere Kursentwicklung bestimmen. Ein Markt ist daher informationseffizient im Sinne der schwachen Stufe, wenn die Marktteilnehmer unverzüglich auf solche Schlußfolgerungen zur künftigen Kursentwicklung mit entsprechenden Wertpapiertransaktionen reagieren. Die aktuellen Preise auf einem (schwach) informationseffizienten Kapitalmarkt haben daher die auf der Grundlage vergangener Informationen erstellten Prognosen längst nachvollzogen.
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3. Der „innere“ Wert bzw. der „rationale“ Preis eines Wertpapiers Untrennbar verbunden mit dem Begriff der Informationseffizienz ist die Frage nach der Berechnung des „rationalen“ Preises bzw. des „inneren“ Wertes eines Anlagetitels.36 Bislang wurde nur festgestellt, daß ein Börsenkurs, in dem alle bewertungsrelevanten Informationen eingeflossen sind, dem „inneren“ Wert des Wertpapiers entspricht. Im folgenden soll zumindest im Ansatz dargelegt werden, wie sich der „innere“ Wert eines Wertpapiers eigentlich berechnet. a) Die sogenannte „Barwert-“ bzw. „Dividend-Discount“-Methode Der Wert eines performanceabhängigen Wertpapiers, etwa einer Aktie, wird gewöhnlich nach der sog. Barwert- bzw. Dividend-Discount-Methode berechnet.37 Es gibt zwar noch andere Methoden zur Berechnung des „inneren“ Wertes einer Aktie, doch ist die Barwertmethode die derzeit in der Fundamentalanalyse führende.38 Diese Konzeption geht davon aus, daß der heutige Wert einer Aktie dem Barwert ihrer künftigen Erträge/Dividenden entspricht. Demnach ergibt sich der Wert eines Anlagetitels aus den von ihm zu erwartenden Zahlungsströmen, diskontiert auf den Berechnungsstichtag. So ist etwa der Wert einer Aktie gleich der Summe sämtlicher ihrer künftigen, diskontierten Dividendenzahlungen. Obwohl es grundsätzlich möglich ist, die künftigen Dividenden einer Aktie originär zu bestimmen, ist es in der Praxis üblich, zunächst den künftigen Unternehmensgewinn insgesamt zu berechnen, um in einem zweiten Schritt daraus anteilig die Höhe der Dividendenzahlungen pro Aktie39 abzuleiten.40 Denn im Grunde genommen sind es die zukünftigen Gewinne des Unternehmens, die die Gesellschaftsleitung in die Lage versetzen, Dividenden an die Aktionäre auszuzahlen.41 Im übrigen hat die Orientierung am Unternehmensgewinn den Vorteil, daß bei der Schätzung der künftigen Dividenden die Unsicherheiten hinsichtlich der tatsächlichen Dividendenauszahlung nicht berücksichtigt werden müssen. Bekanntlich ist die tatsächliche Auszahlung von Dividendengewinnen Gegenstand unternehmerischer Ermessensentscheidungen. Die Frage, ob der „Gewinn pro Aktie“ ausgezahlt oder thesauriert wird, spielt innerhalb der Barwertmethode grundsätzlich keine Rolle.42 36
Krämer, in: Gerke/Steiner, Sp. 1267, 1268. Dodd/Graham, Wertpapieranalyse, Teil 4, S. 539 ff.; Schmidt, in: Gerke/Steiner, Sp. 915, 917 f.; Loistl, in: Claussen/Schwark, Sp. 80, 90; Löffler, S. 23. 38 Dodd/Graham, Wertpapieranalyse, Teil 4, Kapitel 28, S. 556. 39 Diese Umrechnungsformel wird auch als „Gewinn pro Aktie“, englisch: earnings per share (EPS) bezeichnet. 40 Löffler, S. 24. 41 Schmidt, in: Gerke/Steiner, Sp. 915, 917. 42 Löffler, S. 24. 37
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
Weil die Prognose aller zukünftig zu erwartenden Zahlungsströme überaus schwierig ist, wird der Prognosezeitraum üblicherweise auf zwei oder drei Geschäftsjahre begrenzt.43 Eine nur für wenige Geschäftsjahre vorgenommene Schätzung läuft jedoch Gefahr, kurzfristige Ertragsentwicklungen in ihrer Bedeutung überzugewichten. Daher wird der prognostizierte Jahresüberschuß regelmäßig nach der sog. DVFA/SG-Methode von Sondereinflüssen bereinigt.44 Das bereinigte Ergebnis wird als „Ergebnis nach DVFA/SG“ bezeichnet. Allerdings bestehen in der Praxis hinsichtlich der Frage, welche Aufwendungen und Erträge als kurzweilige Sondereinflüsse aus der Gewinnprognose herauszufiltern sind, noch gewisse Ermessensspielräume.45 Zu den bereinigungsfähigen Aufwendungen und Erträgen gehören u. a. die Aufgabe wesentlicher Geschäftsbereiche, Verkauf großer Beteiligungen und Aufwendungen für die erstmalige Börseneinführung.46 Im Ergebnis ist also für die Prognose der künftigen Dividendenzahlungen pro Aktie zunächst eine (externe) Bilanzanalyse vorzunehmen, bei der durch Auswertung aller öffentlich verfügbaren Informationen die Gewinnerwartungen des Unternehmens für die nächsten Geschäftsjahre geschätzt werden. Hauptinformationsquellen sind dabei zum einen die für die vergangenen Jahre erstellten Jahresabschlüsse und Zwischenabschlüsse und zum anderen persönliche Einschätzungen des Vorstands und anderer leitender Mitarbeiter hinsichtlich der künftigen Geschäftsentwicklung des Unternehmens. Anschließend ist der so geschätzte Unternehmensgewinn anteilig auf die ausgegebenen Aktien aufzuteilen.
b) Risiko angepaßter Diskontierungsfaktor nach dem „Capital Asset Pricing Model“ Für die Bestimmung des Gegenwartswerts einer Aktie nach der Barwertmethode ist die Voraussage über die künftigen Gewinne bzw. Dividenden nicht die einzige Voraussetzung. Ein weiterer Schritt besteht darin, die Kapitalisierungsrate für die betreffenden Gewinne bzw. Dividenden zu bestimmen. Der Ausdruck „Kapitalisierungsrate“ bezeichnet den Faktor, mit dessen Hilfe man den gegenwärtigen Wert des geschätzten Dividendenflusses berechnet.
43
Schmidt, in: Gerke/Steiner, Sp. 915, 921. Die DVFA/SG-Methode wurde von der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung e. V. (DVFA) und dem Arbeitskreis „Externe Unternehmensrechnung“ der Schmalenbach-Gesellschaft – Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. (SG) erarbeitet. 45 Löffler, S. 25 mit Verweis auf die Studie von Hüfner/Möller zur Verläßlichkeit von DVFA-Ergebnissen, veröffentlicht in: ZBB 1997, S. 1 ff. 46 Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 219. 44
C. Argumentation für eine rechtliche Privilegierung
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Grundsätzlich richtet sich die Kapitalisierungsrate nach der erwarteten Rendite. Bei risikolosen, festverzinslichen Rentenpapieren entspricht die Rendite dem versprochenen Zinssatz.47 Bei einer risikobehafteten Anlage, wie etwa der Aktie, besteht die Rendite dagegen aus dem Zinssatz für risikolose Papiere zuzüglich einer investmentspezifischen Risikoprämie. Die Höhe dieser Risikoprämie wird grundsätzlich nach dem sog. „Capital Asset Pricing Model“ (CAPM) bestimmt.48 Danach wird zunächst die Risikoprämie für den Gesamtmarkt ermittelt, aus der anschließend die Risikoprämie für die konkrete Aktie abgeleitet wird. Hauptaussage des CAPM ist nämlich, daß zwischen dem für die Bewertung einer Aktie relevanten Risiko und dem durchschnittlichen Risiko des Gesamtmarktes ein linearer Zusammenhang besteht. Die Höhe der Risikoprämie für den Gesamtmarkt ergibt sich aus der Differenz von durchschnittlicher Rendite des Gesamtmarkts und dem Zinssatz risikoloser Rentenpapiere. Für den Berechnungsvorgang wird der Gesamtmarkt aus Gründen der Praktikabilität ersetzt durch einen Aktienindex (etwa durch den DAX oder den amerikanischen Standard and Poor’s 500 Index). Die Höhe der Rendite für den Aktienindex ergibt sich aus seinem durchschnittlichen Gewinn-/Kursverhältnis (Gewinnrendite) der letzten Jahre. Hat man die Risikoprämie für den gesamten Börsenindex bestimmt, ist in einer zweiten Stufe die Risikoprämie für die konkrete Aktie zu ermitteln. Dafür muß der sog. Betafaktor dieser Aktie bestimmt werden. Der Betafaktor einer Aktie steht für das Verhältnis, in dem das durchschnittliche Gewinn-/Kursverhältnis der einzelnen Aktie vom durchschnittlichen Gewinn-/Kursverhältnis des Aktienindex abweicht. Während der Betafaktor des Aktienindex stets gleich eins ist, kann der Betafaktor einer einzelnen Aktie entweder größer oder kleiner als eins sein. Eine Aktie mit einem Beta größer als eins, weist ein höheres durchschnittliches Gewinn-/Kursverhältnis und damit eine höhere Rendite auf als der Bezugsindex (etwa der DAX). Um die Risikoprämie der konkreten Aktie zu erhalten, ist die Risikoprämie des Aktienindex mit dem Betafaktor zu multiplizieren. c) Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich der Gegenwartswert einer Aktie ausdrücken als die Summe aller künftigen Dividendenzahlungen, diskontiert um den erwarteten Zinssatz risikoloser Rentenpapiere zuzüglich der wertpapierspezifischen Risikoprämie.49 47
Dies gilt zumindest für triple A geratete Emittenten. Das „Capital Asset Pricing Model“ geht zurück auf Sharpe, Journal of Finance 1964, S. 425–442, Lintner, Review of Economics and Statistics 1965, S. 13–37 und Mossin, Enometrica 1966, S. 768–783. Siehe dazu auch Neus/Hirth, in: Gerke/Steiner, Sp. 1305, 1306 f. 48
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
II. Die tatsächlichen Marktgegebenheiten Für die Frage, ob die Finanzanalysten mit ihrer Tätigkeit tatsächlich einen nützlichen Beitrag zur Informationsverarbeitung des Marktes leisten, ist entscheidend, inwieweit die tatsächlichen Marktgegebenheiten dem Idealzustand des informationseffizienten Marktes entsprechen. Denn wäre der Kapitalmarkt bereits ohne den Beitrag der Analysten vollkommen informationseffizient, bestünde keinerlei Bedürfnis für Wertpapieranalysten und deren Anlageempfehlungen.50 Die von ihnen vorgenommene Auswertung bewertungsrelevanter Informationen wäre sinnlos, weil sämtliche Informationen bereits vollständig und zutreffend in den Börsenkursen enthalten wären. Es ließen sich daher mit Hilfe der professionellen Wertpapieranalyse keinerlei Über- bzw. Unterbewertungen des Marktes mehr aufdecken und gewinnbringend korrigieren, weil die Preise stets dem gegenwärtigen Wert der Papiere entsprechen würden. 1. Meinungsstand und empirische Untersuchungen Bei der Erörterung des Meinungsstands hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit die ECMH durch die Praxis bestätigt wird, ist zwischen zwei Aspekten streng zu unterscheiden: a) Keine Zweifel an der Grundidee der ECMH Unbestritten ist, daß die Effizienzhypothese eine der am besten mit der empirischen Kapitalmarktforschung kompatiblen ökonomischen Kapitalmarkttheorien ist.51 Wie Steinhauer betont, gibt es zur Erklärung des Preisbildungsprozesses kein besseres Konzept als das des Gleichgewichtspreises der ECMH.52 Es sei überzeugend anzunehmen, sowohl Angebot als auch Nachfrage würden sich stets an den im Markt vorhandenen, bewertungsrelevanten Informationen und damit am „inneren“ Wert der Wertpapiere orientieren. Der Wert eines Papiers könne immer nur der Preis sein, den die Marktteilnehmer auf einem funktionsfähigem Markt zu zahlen bereit sind.53 Am Erklärungsmodell der ECMH müsse daher in jedem Falle festgehalten werden, selbst wenn empirische Forschungen 49 So auch Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, S. 60; Krämer, in: Gerke/Steiner, Sp. 1267, 1268. 50 Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 170: „Mit der Vorstellung des effizienten Kapitalmarktes mit vollkommener Informationseffizienz kann die wichtige Funktion der Wertpapieranalysten im realen Kapitalmarktgeschehen nicht erläutert werden.“ So auch Schmidt, in: Gerke/Steiner, Sp. 915, 916; Löffler, zfbf 51 (1999), S. 128, 128. 51 Krämer, in: Gerke/Steiner, S. 1267, 1274. 52 Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, S. 68 mit Verweis auf Fischel, 74 (1989) Cornell Law Review, S. 907, 914. 53 Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, S. 68.
C. Argumentation für eine rechtliche Privilegierung
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ergeben sollten, daß der Preisbildungsprozeß sich in der Praxis mal mehr und mal weniger nah am Ideal des „inneren“ Wertes orientiert. b) Uneinigkeit hinsichtlich des tatsächlichen Effizienzgrades Hinsichtlich der Frage, welche der drei Stufen der Informationseffizienz in der Praxis gewöhnlich vorzufinden ist, besteht im Schrifttum dagegen erheblich weniger Einigkeit. Immerhin ist der überwiegende Teil des wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttums der Meinung, daß die Preisbildung auf den Kapitalmärkten den Idealzustand vollkommener Informationseffizienz praktisch nie erreichen wird.54 So wird die strenge Form der Informationseffizienz schon allein deswegen für die Praxis abgelehnt, weil Insider durch Verwertung ihres exklusiven Wissens überproportionale Gewinne erzielen könnten.55 Dies wäre nicht möglich, wenn die Börsenkurse zu jeder Zeit sämtliche bewertungsrelevanten Informationen enthalten würden.56 Aber auch hinsichtlich der sog. mittel-strengen Informationseffizienz gehen die Meinungen auseinander. Zwar wird von niemandem ernsthaft bestritten, daß die Börsenkurse mehr als gelegentlich mit dem aufgrund öffentlich verfügbarer Information ermittelbaren Wert der Aktie übereinstimmen.57 Doch ist unklar, in welchen Abständen und über welchen Zeitraum dies der Fall ist. Während einige Autoren die Auffassung vertreten, Kurs und „innerer“ Wert eines Wertpapiers könnten nur in sehr liquiden Märkten über einen längeren Zeitraum hinweg übereinstimmen58, kommen nach Auffassung anderer Autoren die tatsächlichen Marktgegebenheiten in allen Börsensegmenten in der Regel dem Modell halb-strenger Effizienz durchaus nahe. Die Ergebnisse empirischer Studien zum US-amerikanischen und deutschen Kapitalmarkt scheinen die vom Schrifttum vertretene Auffassung zu belegen, daß Kapitalmärkte einerseits zwar grundsätzlich zur halb-strengen Informations54 Graham/Dodd, Wertpapieranalyse, S. 28; Krämer, in: Gerke/Steiner, S. 1267, 1270. 55 Neben den Erkenntnissen empirischer Untersuchungen bestehen schon denktheoretische Bendenken, ob ein Markt jemals informationseffizient im strengen Sinne sein kann. 56 Wie bereits dargelegt (vgl. oben 2. Teil, C. I. 2. a) reflektiert der Börsenkurs auf einem streng informationseffizienten Markt sämtliche bewertungsrelevanten Informationen. Dazu zählen auch solche, die nur einigen wenigen Marktteilnehmern bekannt sind. 57 Die Hypothese vom halb-streng effizienten Markt wird also keinesfalls vollständig verworfen, vgl. auch Krämer, in: Gerke/Steiner, S. 1267, 1271. 58 Graham/Dodd, Wertpapieranalyse, Teil 1, S. 26: „Aber unsere grundsätzliche Überzeugung geht dahin, daß Börsenkurse dem Investor den richtigen Wert nur gelegentlich anzeigen, wie auch eine angehaltene Uhr nur zweimal am Tag die richtige Zeit zeigt.“
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
effizienz tendieren, andererseits diesen Zustand jedoch nicht konstant beibehalten. Überprüft wird die halb-strenge Informationseffizienz bevorzugt an den Rendite-Ergebnissen, die große, professionell gemanagte Investmentfonds im Vergleich zur allgemeinen Marktrendite erzielen. Würde die Mehrzahl der Fonds die allgemeine Marktperformance schlagen, so ließe sich daraus folgern, daß am Markt noch einige Ineffizienzen bestehen. Denn wäre der Markt informationseffizient in der halb-strengen Form, wäre es selbst für einen professionellen Fonds-Manager nicht möglich, eine bessere Rendite zu erzielen als sie ein zufällig zusammengestelltes Wertpapierportfolio abwerfen würde. In der Literatur herrscht jedoch inzwischen dahingehend Konsens, daß professionell gemanagte Investmentfonds langfristig eine Rendite erzielen, die über der allgemeinen Marktrendite liegt.59 Damit scheint erwiesen, daß der Markt Ineffizienzen bei der Informationsverwertung aufweist, die sich mit Hilfe der Wertpapieranalyse gewinnbringend korrigieren lassen.60 Allerdings haben diese Studien auch gezeigt, daß die Rendite professionell gemanagter Investmentfonds selbst vor Abzug der Fondsgebühren nicht viel höher liegt als die allgemeine Marktrendite.61 Dies wiederum läßt darauf schließen, daß sich der Markt dem Zustand halb-strenger Informationseffizienz immerhin sehr stark annähert. 2. Gründe für die in der Praxis bestehenden Ineffizienzen Zu Recht vertritt daher der überwiegende Teil des Schrifttums die Aufassung, die bisher durchgeführten Studien hätten das Erklärungsmodell der ECMH nicht erschüttern können.62 Dennoch ist zuzugeben, daß es in der Praxis keinen Kapitalmarkt gibt, der sämtliche, vorhandene Informationen stets unverzüglich und zutreffend in die Börsenkurse „einarbeitet“, so daß die Börsenkurse immer dem „inneren“ Wert der betreffenden Wertpapiere entsprechen. Es stellt sich daher die Frage nach den Gründen für die Diskrepanz von Theorie und Praxis. Wenn das Modell der ECMH grundsätzlich stimmig ist, sind die Gründe dafür, daß die Praxis nur bedingt diesem Modell entspricht, an anderer Stelle zu suchen. Im wesentlichen werden zwei Gründe genannt, die für die bestehenden Abweichungen von Börsenkurs und „innerem“ Wert verantwortlich sind. Dabei handelt es sich zum einen um die Dynamik und zum anderen um die Normativität
59 Steinhauer, S. 65 mit Verweis (Fn. 48) auf Hendricks/Patel/Zeckhauser, 48 (1993) Journal of Finance, S. 93 ff. 60 Steinhauer, S. 65. 61 Steinhauer, S. 65 mit Verweis (Fn. 49) auf Henriksson, 57 (1984) Journal of Business, S. 73 ff.; Chang/Lewellen, 57 (1984) Journal of Business, S. 57 ff. 62 Steinhauer, S. 68/69 mit Verweis (Fn. 65) auf Fischel, 74 (1989) Cornell Law Review, S. 907, 914 und Brealy/Myers, Chapter 13-2, S. 331 ff.; siehe auch Krämer, in: Gerke/Steiner, Sp. 1267, 1274: „Alle bisherigen Tests konnten die Hypothese effizienter Kapitalmärkte nicht wesentlich erschüttern.“
C. Argumentation für eine rechtliche Privilegierung
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der Wertentwicklung von Wertpapieren. Im übrigen darf auch das Argument des „irrationalen Verhaltens“ nicht unberücksichtigt bleiben. a) Dynamik der Wertentwicklung Der „innere“ Wert eines Wertpapiers ist zeitlich gesehen keineswegs konstant.63 Dauernd treten neue Ereignisse hinzu, die Einfluß auf die Bewertung des Wertpapiers nehmen. Bis sich der Kurs an diese neuen Bewertungsfaktoren angepaßt hat, dauert es gewöhnlich eine gewisse Zeit. Denn die neuen Bewertungsfaktoren müssen vom Anlegerpublikum zunächst als solche wahrgenommen werden und durch entsprechende Wertpapiertransaktionen in die Börsenkurse „hineintransportiert“ werden. Zwischen dem Zeitpunkt der Informationsveröffentlichung und der Reaktion des Anlegerpublikums besteht also eine gewisse Zeitspanne, in der die Börsenkurse vom „inneren“ Wert der Aktien abweichen. b) Normativität der Wertentwicklung Zum anderen ist die künftige Wertentwicklung eines Wertpapiers nur bedingt vorhersagbar. Wie die Ausführungen zur „Dividend-Discount“-Methode gezeigt haben, sind für die Berechnung des „inneren“ Werts einer Aktie Schätzungen notwendig, die zwangsläufig einem gewissen Wertungsrisiko unterliegen. Für den Anleger besteht daher nicht nur die Schwierigkeit, die für die Bewertung der Aktie relevanten Faktoren rechtzeitig zu erkennen, sondern diese auch richtig zu gewichten. Angesichts der Komplexität der Wertpapieranalyse dürfte dies nicht immer einfach sein. Daher kann es nicht nur wegen der Dynamik, sondern auch wegen der Normativität der Wertentwicklung leicht zu Über- bzw. Untergewichtungen im Markt kommen.64 Normative Fehleinschätzungen können daher durchaus auftreten. Der Markt wird diese Abweichungen erst korrigieren, wenn die bewertungsrelevanten Informationen vom Anlegerpublikum überwiegend zutreffend beurteilt werden. c) Rationalität der Entscheidungspräferenzen Schließlich darf bei der Überprüfung der ECMH nicht übersehen werden, daß Anleger bei ihren Investitionsentscheidungen nicht immer ausschließlich rational handeln. Während das Handeln von Portfolio-Managern und anderen institutionellen Großanlegern weitgehend von den Ergebnissen der Fundamentalana63
Graham/Dodd, Teil 1, S. 46: „Der Wert ist nicht mit einer Aura der Dauer umge-
ben.“ 64
Graham/Dodd, Teil 1, S. 46.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
lyse und anderen Wertermittlungsmethoden bestimmt wird, legen vor allem Kleinanleger ihrem Handeln häufig auch subjektive Entscheidungs- und Zielpräferenzen zugrunde, die ein ausschließlich rational denkender Anleger für nicht bewertungs- und damit auch nicht entscheidungsrelevant erachten würde. Dieses Handeln „wider besseres Wissens“ läßt sich insbesondere in Zeiten einer allgemeinen „Baisse“ an der Börse beobachten. Macht das betreffende Papier bereits seit einiger Zeit Verluste, so verschließen viele Anleger bewußt die Augen vor den noch künftig zu erwartenden Verlusten und hoffen insgeheim auf eine überraschende Kehrtwende, anstatt das Papier noch rechtzeitig abzustoßen. 3. Fazit Die ECMH blendet die in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten hinsichtlich der Informationsaggregation und -verwertung völlig aus. So berücksichtigt die Effizienzhypothese nicht, daß zwischen dem Eintritt eines bewertungsrelevanten Ereignisses und der Reaktion des Anlegerpublikums stets eine gewisse Zeitspanne liegen wird. Des weiteren geht die Theorie fälschlicherweise davon aus, daß das Anlegerpublikum die bewertungsrelevanten Informationen stets zutreffend interpretieren wird. Sie berücksichtigt nicht, daß die Wertbestimmung normativ erfolgt und daher Irrtümer durchaus möglich sind. Schließlich unterstellt die Hypothese den Marktteilnehmern, sie würden stets ausschließlich rational handeln, was erwiesenermaßen nicht der Fall ist. Angesichts dieser Modellvorgaben verwundert es nicht, daß in der Praxis der Zustand vollkommener Informationseffizienz nicht erreicht wird. Dennoch ist die Konzeption, die der ECMH zugrunde liegt, vom Ansatz her zutreffend. Daß sich die Anleger bei ihren Transaktionen in erster Linie am „inneren“ Wert der Wertpapiere orientieren, entspricht weitgehend den tatsächlichen Gegebenheiten. Abweichende Investitionsentscheidungen irrational handelnder Anleger werden in einem großen Markt vom restlichen Anlegerpublikum absorbiert bzw. relativiert. Vor allem langfristig gesehen nähert sich der Preisbildungsmechanismus dem von der ECMH beschriebenen Ideal stark an. Abgesehen von einigen Störfaktoren, die den Ablauf des Preisbildungsmechanismus belasten, kann der Börse somit prinzipiell eine Kursgestaltung i. S. der halb-strengen Informationseffizienz unterstellt werden. III. Der Beitrag der Finanzanalysten zur Informationsverarbeitung Wenn aber die Praxis nicht weit vom Zustand halb-strenger Informationseffizienz entfernt ist und damit eine professionell erstellte Wertpapieranalyse praktisch keine Vorteile gegenüber einem zufällig zusammengestellten Wertpapierportfolio verspricht, fragt sich, welchen Nutzen der ganze Aufwand, den Tausende von Analysten tagtäglich betreiben, eigentlich hat. Die Antwort auf diese
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Frage liegt in der Dynamik des Preisbildungsprozesses. Markteffizienz ist letztlich die Konsequenz einer effizienten und vor allem stetigen Informationsverarbeitung. Eine effiziente Preisbildung schließt nicht aus, daß mit Hilfe systematischer Forschungstätigkeit in gewissen Zeiten und in gewissen Märkten abnormale Überschußgewinne erzielt werden können. Indem Finanzanalysten bewertungsrelevante Informationen sammeln, auswerten und ihre Erkenntnisse an andere Marktteilnehmer weiterleiten, sind sie unmittelbar am Informationsverarbeitungsprozeß des Marktes beteiligt. Sie tragen dazu bei, daß der Markt schneller und zutreffender auf neue, bewertungsrelevante Ereignisse reagiert. Ihre Tätigkeit beschleunigt den Informationsverarbeitungsprozeß und erhöht zugleich die Informationseffizienz des Marktes. Des weiteren bestehen, wie zuvor aufgezeigt, in der Praxis eine ganze Reihe von Störfaktoren, die einen reibungslosen und effizienten Ablauf des Preisbildungsmechanismus, wie sie ihn die ECMH in der Theorie beschreibt, behindern. Die Finanzanalysten tragen dazu bei, daß der Markt diese praktischen Hindernisse auf dem Weg zu einer effizienten Preisbildung überwinden kann. Im wesentlichen läßt sich der Beitrag der Finanzanalysten zur Informationsverarbeitung in zwei Schritte untergliedern. 1. Zwei Voraussetzungen zur Verwirklichung der ECMH Zum einen müssen die Anleger die im Markt vorhandenen Informationen stets umfassend und richtig interpretieren und zum anderen müssen sie die zutreffend ausgewerteten Informationen auch tatsächlich zum Gegenstand ihrer Investitionsentscheidungen machen. a) Informationsbeschaffung und -auswertung Wie bereits dargelegt, bereitet den Marktteilnehmern in der Praxis vor allem die Informationsaggregation und -auswertung Schwierigkeiten. Für die Bestimmung der Wertentwicklung eines Anlagetitels ist es notwendig, möglichst viele der im Markt vorhandenen Informationen zusammenzutragen und zutreffend auszuwerten.65 Dabei sind die kapitalmarktrelevanten Informationen durch eine große Komplexität gekennzeichnet.66 Es ist nicht unmittelbar ersichtlich, welche Konsequenzen eine neue Information im Gesamtgeflecht von Fakten für die optimale Gestaltung eines Wertpapierdepots hat. Der Vorgang der Informationsaggregation und -auswertung ist daher nicht nur mit einem erheblichen, zeitlichen Aufwand verbunden, sondern verlangt darüber hinaus ein erhebliches Maß an
65 Löffler, S. 10: „Der Umfang der verfügbaren Informationen wird in vielen Fällen sinnvollerweise als Entscheidungsgröße betrachtet.“ 66 v. Rosen/Gerke, Kodex für anlegergerechte Kapitalmarktkommunikation, S. 9.
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Analysekenntnissen und -fähigkeiten. Beides ist im Anlegerpublikum nicht im ausreichenden Maße vorhanden. Der Analyst übernimmt daher als kapitalmarktbezogener Dienstleister die Aufgabe eines „Vorbereiters“. Im Rahmen der von ihm vorgenommenen Fundamentalanalyse, die im Gegensatz zur technischen Analyse auf die Ermittlung die der Preisbildung zugrundeliegenden Faktoren gerichtet ist67, untersucht der Analyst insbesondere Ertragslage und Vermögenswerte eines Unternehmens, das spezifische Risiko des jeweiligen Wertpapiers und die allgemeine Marktsituation. Einer der wichtigsten Bestandteile der Finanzanalyse ist dabei die Generierung von Vorhersagen für künftige Unternehmensgewinne, die wiederum für die Wertentwicklung performanceabhängiger Anlagetitel von besonderer Bedeutung sind. Dies alles dient dem Zweck, Fehlbewertungen des Marktes aufzudecken, die der Analyst durch entsprechende Anlageempfehlungen an die Anleger weitergibt. Für Investoren stellt der Kauf professionell erstellter Finanzanalysen somit eine sinnvolle Alternative zu etwaigen eigenen Recherche- und Analysebemühungen dar. Denn die vom Analysten übermittelten Informationen sind in der Regel bereits so aufgearbeitet, daß sie unbesehen zur Grundlage von Investitionsentscheidungen gemacht werden können. Soweit sich mehrere Investoren die Berichte der Analysten teilen, stellt die professionell erstellte Finanzanalyse zudem einen durchaus kostengünstigen Weg zum Erwerb von entscheidungsrelevanten Informationen dar.68 Wie Löffler zutreffend ausführt, büßt der einzelne Kunde einer Analysedienstleistung seinen Wettbewerbsvorteil, den er durch den erworbenen Analysebericht gegenüber anderen Marktteilnehmern erlangt, nicht bereits dadurch wieder ein, daß er die darin enthaltenen Informationen mit anderen Abnehmern teilt.69 Zwar verringern sich theoretisch die Gewinnchancen des einzelnen Marktteilnehmers mit jedem weiteren Anleger, der ebenfalls Kenntnis von einer bislang unentdeckten Über- oder Unterbewertung am Markt erlangt. Denn das Angebot für ein bestimmtes Wertpapier ist am Markt stets begrenzt. Doch gehen den Anlegern durch Bündelung ihrer Analyseaktivitäten nicht sämtliche Gewinnvorteile verloren. Anleger, die Kenntnis von einer Unterbzw. Überbewertung erlangen, sind oftmals gar nicht in der Lage, den gesamten erzielbaren Gewinn allein abzuschöpfen. Zum einen fehlen ihnen häufig die notwendigen Mittel, um die entsprechenden Spekulationspositionen aufzubauen; zum anderen unterliegen einige Marktteilnehmer gesetzlich festgelegten Obergrenzen für den Erwerb einzelner Wertpapiere. Daher kann es durchaus sinnvoll sein, wenn sich mehrere Investoren in bezug auf die Dienstleistung eines Analysten zusammentun und gemeinsam den Gewinn abschöpfen.
67 68 69
Löffler, S. 20. Löffler, S. 10. Löffler, S. 10.
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b) Informationsverarbeitung Mit der zutreffenden Auswertung der vorhandenen Information ist es jedoch noch nicht getan. Damit der Preisbildungsprozeß auch tatsächlich informationseffizient i. S. der ECMH ist, müssen die mühsam zusammengetragenen und richtig interpretierten Informationen auch Eingang in die Börsenkurse finden. Nicht jeder Anleger reagiert jedoch unverzüglich mit einer entsprechenden Transaktion, wenn er feststellt, daß ein von ihm beobachtetes oder bereits erworbenes Wertpapier über- bzw. unterbewertet ist.70 Je weniger Anleger sich am kurzfristigen Handel der Wertpapiere beteiligen, um so länger dauert der Prozeß, bis sich der Börsenkurs dem eigentlichen Wert des Wertpapiers wieder angenähert hat, d.h. bis eine Korrektur der jeweiligen Über- bzw. Unterbewertung vom Markt vorgenommen wird. Umgekehrt nimmt die Anpassungsgeschwindigkeit des Wertpapierpreises mit steigender Anzahl konkurrierender Anleger zu.71 Auch an dieser Stelle nehmen Analysten wieder aktiv Einfluß auf den Preisbildungsprozeß, indem sie ihren Auftraggebern bzw. Kunden konkrete Handlungsdirektiven erteilen. So enthält jeder Analysebericht in der Regel einen abschließenden Befund, der entweder als eine „Kauf“- oder „Verkaufsempfehlung“ formuliert ist.72 Das eigentliche Endprodukt der Analystentätigkeit ist somit eine konkrete Anlageempfehlung in bezug auf das in Rede stehende Wertpapier. Löffler weist jedoch zutreffend daraufhin, daß es letztlich unerheblich ist, ob der Analyst die Anlageempfehlung bereits selbst formuliert oder ob er den Investoren mit seiner Ergebnisschätzung nur eine Entscheidungsgrundlage liefert. Analysten können die von ihnen aufbereiteten Informationen in einer Vielzahl von Formen an ihre Kunden weiterleiten. Das Spektrum reicht von verbalen Beschreibungen der bewertungsrelevanten Aspekte über verschiedene prognostizierte Kennzahlen bis hin zu expliziten Empfehlungen und Vorhersagen. Die kommunizierten Inhalte werden jedoch stets an den Gewinnprognosen des untersuchten Unternehmens und damit auch am Wert der einzelne Aktie ausgerichtet sein. Eine Studie von Harris/Lang/Möller aus dem Jahre 1994 hat ergeben, daß die Kursentwicklung performanceabhängiger Anlagetitel in besonders starkem Maße von den Gewinnprognosen, die von Analysten und anderen Informationsintermediären geäußert werden, abhängig sind.73 70 Grund dafür können verschiedene strategische Überlegungen sein. Eine vielfach geäußerte Begründung ist, daß viele Anleger deshalb vor einer möglichen Investition zurückschrecken, weil sie befürchten, die bestehende Unterbewertung werde vom Markt auch in Zukunft in nicht ausreichendem Maße berücksichtigt werden, so daß sich seine Gewinnaussichten zumindest in naher Zukunft nicht realisieren werden. Vgl. dazu Brennan, 45 (1990) Journal of Finance, S. 709 ff.; Löffler, S. 136 ff. 71 Löffler, S. 136 mit Verweis auf das kompetitive Modell von Hirshleifer/Subrahmanyam/Titman, 5 (1994) Journal of Finance, S. 1665 ff. 72 Der Analysebericht kann den Anlegern aber auch das „Halten“ des betreffenden Papiers empfehlen. 73 Harris/Lang/Möller, zfbf 1995, S. 996, 1027 f.
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2. Der tatsächliche Einfluß der Analystenempfehlungen auf die Anlageentscheidungen der Investoren Im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum besteht Einigkeit darüber, daß die Tätigkeit der Wertpapieranalysten in Form der Aufbereitung und Weitergabe bewertungsrelevanter Informationen die Informationseffizienz des Kapitalmarktes verbessert.74 Die Argumentationskette, die von der Kapitalmarkttheorie für diesen positiven Effekt gebildet wird, konnte auch durch empirische Studien nicht erschüttert werden. Im Gegenteil, die bislang gewonnenen Ergebnisse der Empirie unterstützen die Annahmen der theoretischen Kapitalmarktforschung.75 Zwar ist es mangels entsprechender Daten bislang nicht möglich, eine absolute Bewertung des Beitrags der Finanzanalysten zur Informationsverarbeitung des Marktes vorzunehmen.76 Doch konnten einzelne Teilstufen der analytischen Tätigkeit auf ihre praktische Relevanz für den Informationsverarbeitungsprozeß des Marktes hin überprüft werden. Gegenstand empirischer Untersuchungen waren zum einen die Rationalität der Gewinnprognosen von Finanzanalysten77 und zum anderen der Signalgehalt von Anlageempfehlungen für das Investitionsverhalten des Anlegerpublikums.78 a) Die Rationalität der von Analysten erstellten Gewinnprognosen Ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, daß Analysten mit ihrer Tätigkeit die Informationseffizienz der Märkte tatsächlich erhöhen, läßt sich dadurch gewinnen, daß man nach der Rationalität der Analyseprognosen fragt. Denn die Qualität des Beitrags der Analysten zur Verbesserung der Informationsverarbeitung des Gesamtmarktes hängt in erster Linie von der Genauigkeit ihrer Voraussagen hinsichtlich der Wertentwicklung der gehandelten Anlagetitel ab. Eine gängige Methode zur empirischen Überprüfung der Rationalität von Analystenprognosen ist der Rückgriff auf das sog. International Detail History, das von dem Institutional Brokers Estimate System (IBES) erstellt wird.79 In dieser Datenbank wird eine Vielzahl von Prognosen, die Analysten bezüglich börsennotierter Unternehmen erstellen, über Jahre hinweg gesammelt und gespeichert. Eine Reihe von 74 Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 170; Caccese, in: Claussen/Schwark, S. 125, 126; Drygala, WM 2001, S. 1313, 1317. 75 Vgl. die Untersuchungen von Huberts/Fuller, 51 (1995) Financial Analysts Journal, S. 12 ff.; Chung/McInish, 19 (1995) Journal of Banking and Finance, S. 1025 ff. 76 Löffler, S. 2: „. . . eine absolute Bewertung ihres Beitrags ist schwierig.“ 77 Löffler, S. 29 ff. 78 Löffler, S. 119 ff. 79 Das International Detail History ist eine von der IBES inc. entwickelte computergestützte Datenbank für Unternehmensertragsprognosen. In den Kalkulationen werden publizierte Gewinnabgaben und Durchschnittswerte von Schätzungen für Folgejahre, die von Analysten ermittelt wurden, berücksichtigt.
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Kapitalmarktexperten hat auf dieser Daten-Grundlage Berechnungen vorgenommen, um die Effizienz der von Analysten vorgenommenen Ertragsschätzungen zu überprüfen.80 Dabei haben insbesondere Keane und Runkle in ihrer Studie aus dem Jahre 1997 nachweisen können, daß Analysten ihre Prognosen hinsichtlich der Gewinnerwartungen börsennotierter Unternehmen überwiegend nach rationalen Gesichtspunkten erstellen.81 b) Der Signalgehalt der Anlageempfehlungen von Finanzanalysten Des weiteren ist man bereits in mehreren empirischen Untersuchungen der Frage nachgegangen, wie gut und wie schnell Ertragsschätzungen, die von Analysten erstellt und an das Anlegerpublikum weitergegeben werden, tatsächlich Eingang in die Aktienkurse finden.82 Auch diese Frage ist für die Beurteilung des Beitrags der Finanzanalysten zur Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes von entscheidender Bedeutung. Denn es nützt wenig, wenn die Ertragsschätzungen der Analysten rational und genau sind, sie von den Anlegern im Rahmen ihrer Investitionsentscheidungen aber nicht berücksichtigt werden. In der Theorie nimmt man an, daß grundsätzlich eine lineare Beziehung zwischen einem Informationssignal und der daraus resultierenden Preisveränderung besteht.83 Kommt also eine neue bewertungsrelevante Information in den Markt, so die Annahme, werden rational handelnde Marktteilnehmer sogleich ihre bisherigen (Gewinn-)Erwartungen an die veränderten Umstände anpassen. Im Idealfall entspricht die Preisanpassung genau der Einschätzungsänderung, die aufgrund der neuen Information vorgenommen werden mußte. Fraglich ist jedoch, 80 Untersuchungen dieser Art wurden für den amerikanischen Markt durchgeführt von Lys/Sohn, 13 (1990) Journal of Accounting and Economics, S. 341 ff.; Abarbanell, 14 (1991) Journal of Accounting and Economics, 147 ff.; Ali/Klein/Rosenfeld, 67 (1992) The Accounting Review, S. 183 ff., Keane/Runkle, 106 (1998) Journal of Political Economy, S. 768 ff.; Nutt/Easterwood, 28 (1999) Financial Management, S. 106 ff. Siehe jüngst auch Chen/Cheng, On the association between analysts’ forecast errors and past stock returns: A re-examination, Working paper, abrufbar unter der Internetadresse http://faculty.Washington.edu/qcheng/papers.htm. 81 Keane/Runkle, Are financial analysts’ forecasts of corporate profits rational?, 106 (1998) Journal of Political Economy, S. 768 ff. Allerdings kamen sie auch zum Ergebnis, daß Analysten dazu neigen, positive Unternehmensinformationen übertrieben und negative Informationen verkürzt darzustellen. Für den deutschen Markt ist Löffler, S. 114 ff., zu abweichenden Ergebnissen gekommen, was er u. a. mit den spezifischen Charakteristika der einzelnen Märkte zu erklären versucht. 82 Die erste Untersuchung auf diesem Gebiet war die von Givoly/Lakonishok, 4 (1980) Journal of Banking and Finance, S. 221 ff.; für weitere Studien vgl. Abedl-Khalik/Ajinkya, 57 (1982) Accounting Review, S. 661 ff.; Hawkins/Chamberlin/Daniel, 40 (1984) Financial Analysts Journal, S. 24 ff.; Stickel, 66 (1991) Accounting Review, S. 402 ff. 83 Löffler, S. 121 mit Verweis auf Grossmann, 18 (1976) Journal of Finance, S. 81 ff.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
ob auch Analystenmeldungen diese Wirkung in der Praxis erzielen. Seitdem Ertragsschätzungen von Finanzanalysten dem Markt in verstärktem Umfang zur Verfügung stehen, wird die Preisentwicklung nach Veröffentlichung solcher Prognosen empirisch untersucht.84 Die meisten Untersuchungen beobachten die Kurswirkung solcher Analystenmeldungen, die eine Revision bereits veröffentlichter Gewinnprognosen enthalten. Die Ergebnisse dieser Studien lassen die Schlußfolgerung zu, daß Revisionen der Ergebnisschätzungen von Finanzanalysten – wenn auch z. T. mit Verzögerungen – zu Erwartungsänderungen bei den Investoren führen.85 Daraus kann wiederum gefolgert werden, daß Analysten dem Markt neue Informationsimpulse geben, die sich in der Börsenkursbildung auch niederschlagen.86 IV. Der Einfluß des Insiderrechts auf den Beitrag der Finanzanalysten Um die Argumentationskette zugunsten einer insiderrechtlichen Privilegierung der Finanzanalysten zu komplettieren, bedarf es noch eines letzten, aber entscheidenden Denkschrittes. Bislang wurde lediglich der positive Effekt beschrieben, den die Finanzanalysten auf die Informationsverarbeitung des Marktes haben. Dieser Umstand belegt zwar die gesamtökonomische Nützlichkeit dieser Berufsgruppe, er rechtfertigt aber noch nicht eine Lockerung der insiderrechtlichen Handlungsverbote. Vielmehr ist darzulegen, weshalb eine besonders strenge Insiderregelung diesen positiven Effekt beeinträchtigen oder sogar vollends aufheben könnte. 1. Die Bedeutung persönlicher Unternehmensgespräche Ausgangspunkt der Argumentation ist die überaus große Bedeutung, die persönliche Unternehmensgespräche für die Arbeit der Finanzanalysten haben. Wie bereits im ersten Teil der Arbeit anhand der aktuellen deutschen Insider-Rechtslage dargelegt vermag eine umfassende Insiderreglung die Berufsausübung der Finanzanalysten in einem nicht unerheblichen Maße zu beeinträchtigen. 87 Der sog. „chilling effect“ des Insiderrechts wirkt sich vor allem auf Vor-Ort-Gesprä84
Löffler, zfbf 51 (2/1999), S. 128, 131. Löffler, zfbf 51 (2/1999), S. 128, 146; Chen/Cheng, Institutional Holdings and Analysts’ Stock Recommendations, Working Papier, abrufbar unter der Internetadresse http://papers.ssrn.com, kommen in ihrer Untersuchung zum Ergebnis, daß institutionelle Anleger ihre Transaktionsentscheidungen an den Empfehlungen der Analysten ausrichten. 86 Boni/Womack, Solving the sell-side research problem: Insights from buy-side professionals, Working Paper, University of New Mexico, S. 10 f.; Bradley/Jordan/Ritter, 58 (2003) The Journal of Finance, S. 1 ff. 87 Vgl. oben 1. Teil, 4. Abschnitt, B. 85
C. Argumentation für eine rechtliche Privilegierung
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che und andere persönliche Kommunikationsformen zwischen Emittenten und Analysten aus. Die Qualität des Beitrags, den die Finanzanalysten zur Verbesserung der Informationsverarbeitung des Marktes leisten, hängt jedoch entscheidend von der Durchführung solcher Gespräche ab.88 Die Auskünfte, die Finanzanalysten in solchen Gesprächen erhalten, sind nicht nur die wichtigste Informationsquelle für Informationsintermediäre, sondern stellen für sie auch generell einen entscheidenden Anreiz zum Tätigwerden dar.89 a) Unternehmensinformationen als Hauptinformationsquelle Bewertungsrelevante Informationen sind der entscheidende „Input-Faktor“ für professionelle Wertpapieranalysen.90 Die Qualität der Voraussagen, die ein Finanzanalyst trifft, hängt in erster Linie vom Umfang der ihm zur Verfügung stehenden Informationen ab. Daher greift der Analyst bei seiner Recherche grundsätzlich auf sämtliche, ihm zugängliche Informationsquellen zurück. Allerdings ist nicht jede Informationsquelle in demselben Maße geeignet, dem Analysten wertvolle Informationen für die Erstellung von Wertentwicklungsprognosen zu liefern. Vielmehr bestehen unter der Vielzahl kapitalmarktbezogener Informationsquellen Abstufungen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. In der Vergangenheit ist die Frage, welchen Informationsquellen welche Bedeutung für die Wertpapieranalyse zukommt, bereits mehrfach zum Gegenstand kapitalmarktbezogener Forschungsstudien und -umfragen gemacht worden.91 Einhelliges Ergebnis dieser Untersuchungen ist, daß persönliche Gespräche mit Emittentenvertretern als die wertvollste Informationsquelle für Finanzanalysten anzusehen sind.92 Einer der Hauptgründe für die herausragende Bedeutung von Unternehmensgesprächen für die Erstellung von Wertpapieranalysen ist nach Ansicht von Loistl der persönliche Eindruck, den die Analysten während des Gesprächs von der Fähigkeit der Unternehmensleitung gewinnen, das Unternehmen auch in Zu88 Rau, in: Baetge, S. 121, 128; Löffler, S. 21 mit Verweis auf die Studie von Pike/ Meerjanssen/Chadwick, 23 (1993) Accounting and Business Research, S. 489 ff.; Loistl, in: Claussen/Schwark, S. 80, 103 f. 89 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1317: „Will man die Wertpapieranalyse in ihrer gegenwärtigen Form als eine im Prinzip für den Markt vorteilhafte Institution erhalten, so kann man den Informationsvorsprung der Analysten und deren Möglichkeit, diesen Vorsprung für ihren Beruf zu nutzen, nicht auf Null reduzieren.“ So auch Brudney, 93 (1979) Harvard Law Review, S. 322, 341; Langevoort, Insider Trading, § 11.02 [2], S. 4; Fischel, 13 (1984) Hofstra Law Review, S. 127, 143. 90 Vgl. oben 2. Teil, C. II. 1.–3. 91 Rau, in: Baetge, S. 121, 128; Janssen, in: Achleitner/Bassen, S. 565, 568; Brammer, in: Achleitner/Bassen, S. 613, 619. 92 Rau, in: Baetge, S. 121, 128; Pike/Meerjanssen/Chadwick, 23 ( 1993) Accounting and Business Research, S. 489 ff.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
kunft weiterhin erfolgreich zu führen.93 Analysten seien bei der Beurteilung der zukünftigen Erfolgschancen eines Unternehmens in erster Linie an dessen strategischer Ausrichtung, an dessen Positionierung im Markt und an eventuellen Produktentwicklungen interessiert.94 Desweiteren kommt es ihnen darauf an, mehr über die Motivation und die Kompetenz der Unternehmensleitung zu erfahren. Klingen die vom Vorstand geplanten Vorhaben überzeugend und lassen sie sich mit der langfristigen Planungskonzeption des Unternehmens vereinbaren, so ist dies für eine positive Bewertung des Unternehmens in der Regel ausschlaggebender als die Ergebnisse der letzten Jahresabschlüsse.95 Allerdings lassen sich diese nicht monetären Informationen nur bedingt den aktuellen Jahresabschlüssen96 oder sonstigen Pflichtpublikationen entnehmen.97 Zum einen schlagen sich Informationen zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens und andere sog. „soft information“ nicht in gegenwärtigen Zahlen nieder. Denn sie haben in der Regel noch keinerlei Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens. Zum anderen überschreitet ihre potentielle Kursrelevanz in der Regel noch nicht die Kurserheblichkeitsschwelle des § 15 Abs. 1 WpHG, so daß sie auch nicht der Ad-hoc-Publizität unterliegen. b) Unternehmensinformationen als Handlungsanreiz Trotz der überaus großen Bedeutung persönlicher Unternehmensgespräche für die Qualität von Analystenvorhersagen wird gegen eine insiderrechtliche Privilegierung der Kommunikationsbeziehungen von Unternehmensvertretern und Analysten häufig eingewandt, es würden dem Analysten auch ohne die Mög93
Loistl, in: Claussen/Schwark, S. 80, 103 f. Loistl/Mohamed-Bakry, in: Achleitner/Bassen, S. 119, 139 mit Verweis auf Chung/Jo, 31 (1996) Journal of Financial and Quantitative Analysis, S. 493 ff.; Günther/Beyer, BB 2001, S. 1623, 1624 mit Verweis auf eine im Jahre 1997 durchgeführte Befragung von 420 Finanzanalysten, siehe dazu Dempsey, Journal of Financial Statement Analysis, S. 61 ff. 95 Loistl, in: Claussen/Schwark, S. 80, 103; Günther/Beyer, BB 2001, S. 1623, 1634: „Da der Unternehmenswert in erster Linie einen Zukunftserfolgswert verkörpert, sind vor allem prospektive Informationen, insbesondere auch von nicht monetären Indikatoren von großer Relevanz.“ 96 Vgl. aber § 297 HGB, wonach börsennotierte Mutterunternehmen ihren Konzernabschluß um die international üblichen Berichtselemente Kapitalflussrechnung und Segmentberichterstattung zu erweitern haben, die insbesondere zukunftsbezogene Informationen enthalten sollen. 97 Loistl, in: Claussen/Schwark, S: 80, 104; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 26: „Im theoretischen Grenzfall (halbstreng) informationseffizienter Märkte kann aus der Analyse von Bilanzdaten keinerlei Vorteil gezogen werden.“; vgl. auch Günther/Beyer, BB 2001, S. 1623, 1625: „Allgemein weisen die Untersuchungsergebnisse auf die Notwendigkeit zur Veröffentlichung von aussagefähigen nicht monetären Indikatoren hin, die im traditionellen Berichtswesen deutlich unterrepräsentiert sind.“ 94
C. Argumentation für eine rechtliche Privilegierung
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lichkeit zum persönlichen Unternehmensgespräch noch genügend andere Informationsquellen zur Verfügung stehen, um die Wertentwicklung der am Markt gehandelten Anlagetitel bestimmen zu können.98 Die mit dem Verlust der ertragreichen Informationsquelle „Unternehmensgespräch“ verbundenen Abstriche bei der Qualität der Analysen seien rechtspolitisch zugunsten der informationellen Chancengleichheit der Anleger hinzunehmen und wohl auch zu verkraften.99 Bei einer solchen Argumentation wird jedoch häufig übersehen, daß das Berufsbild des Analysten nicht allein von der Interpretation bewertungsrelevanter Informationen, sondern vor allem vom Aufspüren solcher Informationen geprägt ist. Wie Drygala zutreffend ausführt, hängt das öffentliche Interesse an Analystenberichten und -empfehlungen entscheidend davon ab, inwieweit darin auch neue Informationen und Erkenntnisse über die Wertentwicklung der am Markt gehandelten Anlagetitel enthalten sind.100 Dies gilt insbesondere für die Berichte der sog. „sell-side“-Analysten. Denn institutionelle Anleger, insbesondere große Fondsgesellschaften, verfügen in der Regel über eigene Analyse- und Rechercheabteilungen (sog. „buy-side“-Analysten), die sich ebenfalls mit der Auswertung bewertungsrelevanter Informationen nach den Grundsätzen der Fundamentalanalyse beschäftigen. Diese Marktteilnehmer sind an den Berichten externer Analysten nur dann interessiert, wenn sie ihnen aufgrund der Verarbeitung neuer Informationen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern versprechen. Aber nicht nur Marktteilnehmer, die über eigene Analyseabteilungen verfügen, erwarten vom Analysten, daß er in seinem Bericht auch neue Erkenntnisse über die Wertentwicklung der Anlagetitel verarbeitet. Auch die übrigen Marktteilnehmer erheben grundsätzlich denselben Anspruch. Denn bekanntlich wird die Auswertung öffentlich zugänglicher Informationen nicht nur von Analysten vorgenommen, sondern von allen anderen Marktteilnehmern auch; die Börsenkurse spiegeln daher den aus diesen Informationen ableitbaren Erkenntnisgehalt meistens schon nach kurzer Zeit weitgehend wieder. Um Unter- bzw. Überbewertungen dennoch aufspüren und gewinnbringend korrigieren zu können, bedarf es daher einer fundierten Wertpapieranalyse, die nicht nur auf bereits veröffentlichten sondern auch auf neuen Informationen basiert.101 Die Belohnung dafür, unterbewertete Wertpapiere frühzeitig zu entdecken, besteht in dem erhöhten Gewinn, der sich allerdings erst dann realisiert, wenn die
98
Vgl. etwa Krauel, S. 244 und auch K.-P. Weber, S. 167 f. Krauel, S. 241/242, verkürzt dargestellt bei Steinhauer, S. 35; ähnlich auch Cholakis, 39 (1999) St. Clara Law Review, S. 819, 860. 100 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1317 mit Verweis auf Brudney, 93 (1979) Harvard Law Review, S. 322, 341; Langevoort, Insider Trading, § 11.02 [2], S. 4; Fischel, 13 (1984) Hofstra Law Review, S. 127, 143. 101 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1317; Boni/Womack, Solving the Sell-Side Research Problem: Insights from Buy-Side Professionals, Working Paper, University of New Mexico, S. 3. 99
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
Börse das Papier später zu einem höheren Kurs bewertet, der mit dem inneren Wert im Einklang steht.102 Auf der anderen Seite stellt das Aufspüren neuer, bewertungsrelevanter Informationen auch für die Analysten selbst einen wichtigen Handlungsanreiz dar. Das öffentliche Interesse an Anlageempfehlungen hängt, wie bereits dargelegt, entscheidend davon ab, inwieweit die Analysten dem übrigen Anlegerpublikum den Eindruck vermitteln können, sie verfügten über mehr Wissen als andere Marktteilnehmer. Wird den Analysten jedoch die Möglichkeit zum Aufspüren neuer, auch unterhalb der Kurserheblichkeitsschwelle liegender Informationen durch eine zu weitgehende Insiderregulierung „faktisch“ genommen, so können sie den übrigen Marktteilnehmern nicht auf Dauer den Eindruck überlegenen Wissens glaubhaft vermitteln. Das Anlegerpublikum würde das Interesse an ihrer Tätigkeit über kurz oder lang verlieren. Mangels öffentlichen Interesses würde es aber auch nicht lange dauern, bis die Analysten ihre Tätigkeit selbst vollends einstellen würden. Es würde keinen Sinn ergeben, Wertpapiere allein auf der Grundlage von Informationen zu bewerten, die allen anderen Marktteilnehmern ebenfalls zur Verfügung stehen. Die Wahrscheinlichkeit, daß dem Markt insgesamt ein schwerwiegender Irrtum bei der Auswertung der vorhandenen Informationen unterläuft, ist in der Regel auch ohne den Beitrag der Analysten äußerst gering. Den Finanzanalysten würde, wären sie im Rahmen ihrer Arbeit auf die Auswertung bereits veröffentlichter Informationen beschränkt, der entscheidende Anreiz zum Tätigwerden fehlen.103 Zugleich könnten sie nicht in dem von ihnen erwarteten Maße zur Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes beitragen. Bei der Diskussion über die Zweckmäßigkeit der Wertpapieranalyse darf daher nie übersehen werden, daß es sich auch bei den Informationsintermediären um eine egoistisch motivierte Berufsgruppe handelt, für die der Gesetzgeber einen entsprechenden Handlungsanreiz bereit halten muß, wenn er von ihrem Beitrag zur Informationsverarbeitung des Marktes profitieren will.104 2. Faktischer Zwang zur Offenlegung der Analyseberichte und -empfehlungen Weiterhin spricht für eine insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten die Überlegung, daß Analysten zur Erstellung von Analyseberichten und -empfehlungen nur dann bereit sind, wenn sie ihre Erkenntnisse zunächst exklusiv zahlenden Auftraggebern zur Verfügung stellen dürfen, ohne zugleich das ge102
Graham/Dodd, Teil 1, S. 53; vgl. auch Löffler, S. 11. Boni/Womack, Solving the Sell-Side Research Problem: Insights from Buy-Side Professionals, Working Paper, University of New Mexico, S. 3 u. 10 f. 104 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1317; Caccese, in: Claussen/Schwark, S. 125, 126. 103
C. Argumentation für eine rechtliche Privilegierung
207
samte Anlegerpublikum darüber informieren zu müssen. Die Erstellung von Analyseberichten ist sowohl mit einem erheblichen zeitlichem Aufwand als auch mit weiteren Kosten verbunden. Den Analysten muß daher die Möglichkeit gegeben werden, diese Kosten durch eine entsprechende Vergütung zumindest wieder auszugleichen. Diese Möglichkeit bestünde jedoch nicht, wenn der Analyst zur Veröffentlichung seiner Analyseberichte gezwungen wäre. Zwar sieht das Gesetz eine derartige Veröffentlichungspflicht nicht ausdrücklich vor. Wie im ersten Teil der Arbeit anhand der aktuellen Gesetzeslage nach dem WpHG erläutert wurde, kann jedoch eine sehr umfassende Insiderregelung Analysten „faktisch“ dazu zwingen, ihre Analyseergebnisse offenzulegen, damit sie sich nicht dem Verdacht eines Insidervergehens aussetzen.105 Diese faktische Zwangslage ist vor allem dann gegeben, wenn sich der Analyst im persönlichen Gespräch mit einem Unternehmensvertreter mit einer Insiderinformation „infiziert“ hat. Nach h. M. im Schrifttum verbietet das Gesetz dem Analysten die Verwertung dieser Information (vgl. § 14 Abs.1 Nr. 2 und 3 WpHG). Wie aber kann sich der Analyst anders vom Verdacht befreien, er habe die betreffende Information trotz des gesetzlichen Verbots in seine Bewertungen mit einbezogen, als seine Analyseberechnungen offenzulegen? Sollten also Unternehmensvertreter trotz des „chilling effects“ des Insiderrechts weiterhin dazu bereit sein, Gespräche mit Analysten zu führen, so bestünde immer noch die Gefahr, daß Analysten ihre Tätigkeit aufgrund des faktischen Zwangs zur Veröffentlichung ihrer Analyseergebnisse einstellen. Das Insiderrecht stellt daher in zweifacher Hinsicht eine Bedrohung für den gesamtökonomisch sinnvollen Beitrag der Finanzanalysten dar. V. Zusammenfassung Die Finanzanalysten leisten einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes, indem sie einen großen Teil der vom Anlegerpublikum vorzunehmenden Informationsaggregation und -auswertung übernehmen. Dieser Beitrag kann durch eine zu weitgehende Insiderregelung relativiert werden. Hauptgrund dafür ist der sog. „chilling effect“, den das Insiderrecht auf die Kommunikationsbeziehungen von Analysten und Emittentenvertretern mangels ausreichender Haftungsfilter hat. Mit Wegfall der Möglichkeit zur persönlichen Kommunikation geht den Analysten nicht nur eine ihrer wichtigsten Informationsquellen verloren, sondern darüber hinaus auch der entscheidende Handlungsanreiz, um ihre Tätigkeit im gewohnten Maße fortzusetzen. Letzteres wirkt sich besonders negativ auf die Qualität des Beitrags der Analysten zur Informationsverarbeitung des Marktes aus.
105
Vgl. oben 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
D. Exkurs: Gesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung der (Informations-)Effizienz des Marktes Der gesamtökonomische Nutzen der Finanzanalysten besteht sowohl in der Verbesserung der Informationsversorgung als auch der Informationsverarbeitung des Marktes. Im Hinblick auf eine (insider-)rechtliche Privilegierung der Finanzanalysten ließe sich einwenden, es bedürfe der egoistisch motivierten Tätigkeit dieser Berufsgruppe schon deswegen nicht, weil der Gesetzgeber sich selbst um eine Verbesserung dieser beiden Voraussetzungen für einen informationseffizienten Markt kümmere. Denn nach inzwischen fast einhelliger Auffassung orientiert sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des kapitalmarktrechtlichen Rechtsrahmens am wirtschaftswissenschaftlichen Konzept informationseffizienter Kapitalmärkte.106 Markteffizienz ist damit auf europäischer und auf nationaler Ebene als ein selbständiges Regelungsziel des Kapitalmarktrechts anerkannt.107 Zur Umsetzung dieses Ziels hat der Gesetzgeber bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen erlassen, die in erster Linie auf die Informationsversorgung, aber auch auf die Verbesserung der Informationsverarbeitung des Marktes abzielen.108
I. Das zweistufige System von Publizitäts- und Aufklärungspflichten Den Ausführungen von Mülbert folgend lassen sich die gesetzgeberischen Maßnahmen in ein „zweistufiges System“ einordnen.109 Es besteht zum einen aus Publizitäts- und zum anderen aus Informations- und Aufklärungspflichten. Adressat der Publizitätspflichten sind die Emittenten der Wertpapiere. Diese Veröffentlichungspflichten sind transaktionsunabhängig. Dies bedeutet, daß Art und Umfang der zu veröffentlichenden Informationen sich nicht nach den Bedürfnissen einzelner Anleger oder Anlegergruppen im Hinblick auf ein anstehendes Wertpapiergeschäft richten, sondern allgemein der Auskunft über die Wertentwicklung des Emittenten und damit der von ihm ausgegebenen Wertpa106 Assmann, in: Assmann/Schütze, S. 10 f.; Meier-Schatz, Europäische Harmonisierung, S. 91; Grundmann, ZSR 1996, S. 103, 139; Kübler, Gesellschaftsrecht, § 31 II, S. 390; ders., ZHR 145, S. 204, 205 f.; Wittich, AG 1997, S. 1, 3; Merkt, in: Hopt/ Rudolph/Baum, S. 17, 139; Schröder, S. 89; a. A. lediglich S. Weber, Kapitalmarktrecht, S. 378 u. S. 381, der den Begriff „Effizienz“ für nicht ausreichend juristisch geklärt hält. 107 In der Regel wird das Regelungsziel „Markteffizienz“ noch einmal unterteilt in „institutionelle“, „operationale“ und „allokative“ Effizienz. Siehe dazu Kübler, Gesellschaftsrecht, § 31 II, S. 390 und unten 2. Teil, E. III. 2. a). 108 Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2094; Für eine Übersicht über die jüngste Entwicklung des Kapitalmarktrechts vgl. auch M. Weber, NJW 2000, S. 2061 ff. u. 3461 ff. 109 Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2098.
D. Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des Marktes
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piere dienen.110 Den Emittenten kommt damit keine Intermediärsfunktion zu, d.h. es ist nicht die Aufgabe der börsennotierten Aktiengesellschaften, gegenwärtige und potentielle Anleger bei ihren individuellen Investitionsentscheidungen zu beraten. Vielmehr sollen sie lediglich die (Informations-)Grundlage dafür schaffen, daß ein rational handelnder Anleger den „inneren“ Wert der gehandelten Anlagetitel selbst ermitteln und dementsprechend handeln kann. Dagegen ordnet das Gesetz den am Markt tätigen Wertpapierdienstleistungsinstituten die Funktion eines Informationsintermediärs zu.111 Anders als die Emittenten werden sie vom Gesetz dazu verpflichtet, einzelne Anleger bei ihren Transaktionsplänen sachgerecht aufzuklären und zu informieren. Durch entsprechende Regelungen im WpHG und im KAGG bzw. AuslInvestmG wird den Vertriebsmittlern damit zugleich die Funktion des Informationsmittlers zugewiesen. Ihnen obliegt es, den Inhalt der am Verständnis- und Erwartungshorizont professioneller Anleger orientierten Pflichtpublizität der Emittenten auch Privatanlegern verständlich zu machen.112 1. Die kapitalmarktbezogene Pflichtpublizität der Emittenten Daß der Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung des kapitalmarktrechtlichen Regelungsrahmens am wirtschaftswissenschaftlichen Konzept der Informationsökonomik orientiert, kommt vor allem in dem umfangreichen Katalog kapitalmarktbezogener Publizitätspflichten zum Ausdruck.113 In der Theorie besteht Einigkeit darüber, daß sich die Informationseffizienz des Marktes erhöht, wenn den Anlegern präzisere, umfangreichere und vergleichbarere Informationen über die Anlageobjekte geliefert werden.114 Das Kapitalmarktrecht unterwirft die Wertpapieremittenten weitreichenden Informationspflichten.115 Die Pflichtpublizität zielt darauf ab, die Allokationseffizienz des Marktes zu steigern, indem sie eine Mindestversorgung des Anlegerpublikums mit kapitalmarktrelevanten Informationen gewährleistet.116 So besteht aus heutiger Sicht kein Zweifel daran, daß z. B. die Zwischenberichtspublizität, aber auch die Ad-hoc-Publizität bei sachgerechter Ausgestaltung die Informationseffizienz des Marktes steigern.117 Die kapitalmarktbezogene Pflichtpublizität ist inzwischen zu einem komplizier110
Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2098. Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2099. 112 Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2099. 113 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300 f.; Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2098; Hommelhoff, ZGR 2000, S. 748, 754; Schröder, S. 78 ff.; für die USA vgl. insbesondere Easterbrook/Fischel, 70 (1984) Virginia Law Review, S. 699, 673. 114 Meier-Schatz, S. 222; Fülbier, Regulierung der Ad-hoc-Publizität, Kapitel IV, S. 107 ff.; Möller, in: Gerke/Steiner, S. 1143, 1151. 115 Für einen Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten vgl. auch Schröder, S. 56 ff. 116 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300 f. 111
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
ten System gereift. Im einzelnen ist zwischen der Emissionspublizität, der Regelpublizität, der Zwischenberichterstattung, der Ad-hoc-Publizität und der Beteiligungspublizität zu unterscheiden.118 Die Emissions- bzw. Markteinführungspublizität verpflichtet die Wertpapieremittenten zur Erstellung und Veröffentlichung eines Emissionsprospekts. Art und Umfang des Prospekts richten sich nach der Art der Emission. Plant ein Unternehmen eine Aktien- oder Anleiheemission für den amtlichen Börsenhandel, so ist es gemäß § 30 BörsG zur Erstellung eines Börsenzulassungsprospektes verpflichtet. Wird dagegen eine Wertpapieremission für den Freiverkehr oder den außerbörslichen Handel beabsichtigt, besteht eine Prospektpflicht nach den allgemeineren Maßgaben des Wertpapier-Verkaufsprospektgesetzes. Neben der Markteinführungspublizität treffen das Unternehmen weitere Publizitätspflichten während der laufenden Teilnahme am Kapitalmarkt. Sie dienen dem Zweck, das Anlegerpublikum auch nach erfolgreicher Markteinführung über die weitere Entwicklung des Unternehmens zu informieren.119 Im Rahmen der Marktteilnahmepublizität ist wiederum zwischen der periodischen und der ereignisbezogenen Publizität zu unterscheiden.120 Zur ersten Gruppe zählen im wesentlichen die jährliche (handelsrechtliche) Rechnungslegung und die Zwischen- bzw. Halbjahresberichtspflichten (§ 44b BörsG). Die regelmäßige Publizität wird ergänzt durch die ereignisbezogene Publizität. Dazu zählen die allgemeinen Auskunftspflichten gemäß § 44c BörsG und die Ad-hoc-Publizität gemäß § 15 WpHG. Im übrigen unterliegen die Wertpapieremittenten gem. § 25 WpHG der Pflicht, die Stimmrechtsverteilung ihrer Gesellschafter offenzulegen.121 2. Die Informations- und Aufklärungspflichten der Finanzintermediäre Die Pflichtpublizität der Emittenten ist jedoch nicht die einzige gesetzliche Maßnahme zur Verbesserung der Markteffizienz. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Finanzintermediäre mit einer Reihe von Aufklärungs- und Infor117 Für die Zwischenberichterstattung vgl. Alvarez/Wotschofsky, S. 107; für die Adhoc-Publizität vgl. Fülbier, Kapitel IV, S. 141 ff.; für die Pflichtpublizität im allgemeinen siehe Möller, in: Gerke/Steiner, S. 1143, 1151. 118 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 140 ff. 119 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 171. 120 Siehe dazu u. a. Alvarez/Wotschofsky, S. 3–10. 121 Damit das börsennotierte Unternehmen seiner Pflicht nach § 25 WpHG nachkommen kann, verpflichtet § 21 WpHG die Aktionäre, wesentliche Veränderungen ihrer Stimmrechtsanteile der Gesellschaft unverzüglich mitzuteilen. In diesem Zusammenhang begegnet man häufig dem Mißverständnis, daß es sich bei der Beteiligungspublizität um eine anlegerbezogene und nicht um eine emittentenbezogene Publizitätspflicht handelt. So etwa S. Weber, S. 236. Dagegen zutreffend Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2099.
D. Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des Marktes
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mationspflichten belegt, wodurch die Informationsverarbeitung des Marktes verbessert werden soll. Die Informations- und Aufklärungspflichten der Finanzintermediäre finden sich einerseits im KAGG bzw. AuslInvestmG und andererseits im WpHG. Gem. § 19 Abs. 1 KAGG sind Investmentfonds-Gesellschaften verpflichtet, vor Vertragsschluß dem Erwerber eines Anteilsscheins den Verkaufsprospekt der KAG, die Vertragsbedingungen und den Rechenschaftsbericht kostenlos zur Verfügung zu stellen. Diese Anforderungen richten sich an die unmittelbar verkaufenden oder vertreibenden Stellen. Dieselbe Verpflichtung obliegt gem. § 3 Abs. 1 AuslInvestmG ausländischen Investmentgesellschaften, die ihre Anteile im Inland vertreiben. Hierdurch soll der Erwerber eines Investmentanteils in die Lage versetzt werden, sich über alle für seinen Kaufentschluß relevanten Umstände zu informieren.122 Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WpHG verpflichtet, ihren Kunden alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen, soweit dies zur Wahrung ihrer Anlegerinteressen und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich ist. Der Umfang der Informationspflicht hängt vom Einzelfall ab. Leitgedanke ist, den Anleger durch die zu übermittelnden Informationen in die Lage zu versetzen, eine eigenverantwortliche, seinen Interessen entsprechende Anlageentscheidung zu treffen.123 Bezogen auf das konkrete Wertpapier muß das Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Anleger etwa über Charts, Ratings, Bewertungen in der Presse und Ad-hoc-Mitteilungen des Emittenten des Wertpapiers aufklären. Auch über die spezifischen Risiken des Marktsegments, in dem das avisierte Wertpapier notiert ist, muß aufgeklärt werden. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 WpHG sind die Anteilsscheine von Kapitalanlagegesellschaften als Wertpapiere anzusehen. Folglich sind Kapitalanlagegesellschaften Wertpapierdienstleistungsunternehmen i. S. von § 2 Abs. 3 WpHG. Sie unterliegen daher neben der Informationspflicht nach § 19 KAGG zusätzlich den §§ 31 ff. WpHG. II. Defizite des zweistufigen Systems von Publizitätsund Informationspflichten Trotz dieses umfangreichen Pflichtenkatalogs für Emittenten und Finanzintermediäre besteht nach überwiegender Auffassung im Schrifttum weiterhin ein berechtigtes Interesse am Erhalt des Beitrags, den die Finanzanalysten zur Verbesserung der Informationseffizienz leisten.124 Die Maßnahmen des Gesetzgebers reichen für sich gesehen nicht aus, um einen effizienten Preisbildungspro122 Baur, in: Assmann/Schütze, § 18 Rn. 173 mit Verweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. V/3494, S. 20. 123 Koller, in: Assmann/Schneider, § 31 Rn. 96 ff.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
zeß auf dem Kapitalmarkt zu garantieren.125 Darauf deuten vor allem Defizite im System von Publizitäts- und Informationspflichten hin.126 1. Defizite bei der kapitalmarktbezogenen Pflichtpublizität Zwar sind die Emittenten gesetzlich dazu angehalten, das Anlegerpublikum in erheblichem Maß mit entscheidungserheblichen Informationen zu versorgen. Doch vermag die Erfüllung dieser Pflichten die Informationsbedürfnisse der Anleger nicht zu befriedigen.127 So deckt die Pflichtpublizität allenfalls ein Mindestmaß des Informationsbedarfs eines professionellen Anlegers ab.128 Dagegen ist die Informationsdichte der gesetzlichen Pflichtpublizität für die schwächste Anlegergruppe, die Kleinanleger, häufig zu groß.129 a) Strukturbedingte Defizite Daß der Informationsbedarf des Anlegerpublikums den Umfang gesetzlicher Publizitätspflichten weit übersteigt, wird vor allem an den strukturbedingten Nachteilen der gesetzlichen Publizitätspflichten deutlich. Bei diesen Pflichten handelt es sich ausnahmslos um unpersönliche Kommunikationsinstrumente. Ihnen ist gemein, daß sie sich an ein breites Publikum richten, bestimmten (Form-) Vorgaben entsprechen und schriftlich verfaßt sein müssen. Die persönliche Kontaktaufnahme mit einzelnen Anlegern bzw. Anlegergruppen ist dagegen gesetz124 Grundmann, ZSR 1996, S. 103, 133: „Wenn der Börsenprospekt und der Wertpapierverkaufsprospekt nur auf den überdurchschnittlichen, regelmäßig den professionellen Anleger, Berater und Analyst zugeschnitten sein kann, so ist umgekehrt darauf zu achten, daß der Berater auch jeweils dazu verpflichtet ist, die notwendige Transformationsarbeit für den Kleinanleger zu leisten.“; Meier-Schatz, S. 199–201: „Ein Grossteil der von ihnen [gemeint sind u. a. Finanzanalysten] gesammelten, aufbereiteten und ausgewerteten Firmendaten fliessen zumal durch Transaktionen, welche (direkt oder indirekt) in Abstützung auf diese informatorischen Grundlagen erfolgen, in den Börsenkurs der entsprechenden Wertpapiere ein. Hierdurch sorgen sie für den hohen Grad an Informationseffizienz . . .“; zu den Vorzügen freiwilliger Unternehmenspublizität gegenüber der Pflichtpublizität vgl. auch Merkt, Unternehmenspublizität, S. 423 f.; Alvarez/Wotschofsky, Kapitel 5, S. 91–108. 125 Ekkenga, Anlegerschutz, S. 396; Merkt, Unternehmenspublizität, S. 198–207 u. S. 417; Meier-Schatz, S. 444 ff. 126 Vgl. für die Defizite der jährlichen Rechnungslegung Alvarez/Wotschofsky, Kapitel 5, S. 91 ff.; Hommelhoff, ZGR 2000, S. 748, 761 und Günther/Beyer, BB 2001, S. 1623, 1625, Ekkenga, Anlegerschutz, S. 441 ff. 127 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 224 f., für den der Staat durch die gesetzliche Pflichtpublizität lediglich eine Art Hilfestellung für den Markt leistet, damit die „originäre Informationsversorgung durch den Markt bzw. durch die Unternehmen selbst erleichtert“ wird. 128 Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 28 129 Grundmann, ZSR 1996, S. 103, 132.
D. Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des Marktes
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lich nicht vorgesehen. Aus der Sicht der Unternehmen, die die Offenlegungsund Berichterstattungspflichten zu erfüllen haben, bleibt das Anlegerpublikum als Adressat anonym. Gesetzliche Unternehmenspublizität ist damit ein rein einseitiges Kommunikationsmittel, deren Zielgruppe innerhalb des Anlegerpublikums zudem nicht weiter spezifiziert ist. Der Vorteil solcher Kommunikationsmittel liegt zwar in der Möglichkeit, eine große Zahl von Adressaten bei vergleichsweise geringem Kostenaufwand zu erreichen. Die gesetzliche Pflichtpublizität ist daher bestens geeignet, das Anlegerpublikum mit Basisinformationen zu versorgen. Es versagt jedoch dort, wo es um eine Intensivierung und Individualisierung der Kommunikationsbeziehungen zwischen Unternehmen und Anlegern geht. Daraus ergeben sich zwei entscheidende Nachteile. Zum einen können besondere Informationsbedürfnisse einzelner Anlegergruppen nicht berücksichtigt werden und zum anderen besteht bei komplexeren Sachverhalten nicht die Möglichkeit der Rückkoppelung bzw. des Dialogs zwischen den Marktseiten. aa) Ungenügende Berücksichtigung des Adressatenhorizonts Die Informationsübermittlung im Rahmen der Pflichtpublizität richtet sich, wie bereits erwähnt, grundsätzlich an einen unbestimmten, offenen Adressatenkreis. Dadurch entstehen zwangsläufig erhebliche „Streuverluste“. Denn das Anlegerpublikum ist äußerst heterogen strukturiert.130 Es reicht vom „professionellen Portfolio-Manager bis hin zum einzelnen „Kleinanleger“.131 Sie alle haben ganz unterschiedliche Informationsbedürfnisse. Die gesetzliche Pflichtpublizität vermag die Brücke zwischen diesen Extremen nicht zu schlagen, weil sie aufgrund ihrer Struktur immer nur eine Kompromißlösung sein kann. Der Gesetzgeber hat sich (wohlweislich) bislang nicht auf einen bestimmten Adressatenhorizont festgelegt, der für Art und Umfang der zu veröffentlichenden Informationen maßgeblich sein soll.132 Im Schrifttum wird die Frage nach dem Anlegerhorizont der kapitalmarktbezogenen Pflichtpublizität uneinheitlich beurteilt.133 Die Rechtsprechung hat sich mit dieser Frage bislang kaum befaßt. Allein hinsichtlich der Prospektpflicht gemäß § 1 VerkProspG bzw. §§ 36, 38 BörsG wurde die Frage nach dem Anlegerhorizont vom BGH aufgeworfen.134 130 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 395: „Die Breite und Heterogenität des Adressatenkreises [der Unternehmenspublizität] schafft also Probleme.“ 131 Zitiert aus Merkt, Unternehmenspublizität, S. 398. 132 Fleischer, Gutachten F für den 64. Deutschen Juristentag, S. F42/43. 133 Für den professionellen Investor als Publizitätsadressat siehe LG Düsseldorf, WM 1980, S. 102, 106; Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2099; Grundmann, ZSR 1996, S. 103, 133; Heinze, S. 133 ff.; für den „unbewanderten Laien“ siehe etwa Wunderlich, DStR 1975, S. 688, 690, für eine Zusammenfassung der Meinungen im Bereich des Prospektrechts siehe Assmann, in: Assmann/Lenz/Ritz, VerkProspG, § 13 Rn 23. 134 BGH NJW 1982, S. 2823 f.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
Im Rahmen eines vom Anleger geltend gemachten Schadensersatzanspruches mußte der Maßstab bestimmt werden, an dem ein „unvollständiger“ Prospekt zu messen ist. Nach Auffassung des BGH ist bei bei der Erstellung eines Prospekts auf einen aufmerksamen Leser ohne überdurchschnittliches Fachwissen abzustellen, der jedoch Bilanzen zu lesen versteht.135 Inwieweit dieser Maßstab auch auf andere kapitalmarktbezogene Publizitätspflichten anzuwenden ist, wurde bislang offen gelassen. Ohne die Frage nach dem Anlegerhorizont der kapitalmarktbezogenen Pflichtpublizität hier abschließend klären zu müssen, läßt sich jedoch bereits aus den Ausführungen des BGH zur Prospektpflicht herauslesen, daß die Pflichtpublizität – zumindest was die Markteinführungspublizität betrifft – auf eine Anlegergruppe abzielt, die irgendwo in der Mitte zwischen unerfahrenem Kleinanleger und professionellem Großanleger liegt. Diese Erkenntnis unterstützt die eingangs aufgestellte These, die Pflichtpublizität könne in bezug auf die Informationsbedürfnisse des Anlegerpublikums immer nur eine Kompromißlösung sein. So gehen die Informationsbedürfnisse des Marktes einerseits über den Umfang der Pflichtpublizität hinaus, andererseits bleiben sie aber auch erheblich dahinter zurück. Während am oberen Ende des Anlegerspektrums ein qualitativer und quantitativer Mehrbedarf an Informationen besteht, wird am unteren Ende eine vereinfachte Aufbereitung des Publizitätsinhalts verbunden mit einer grundlegenden Bewertung verlangt.136 bb) Keine Möglichkeit zur Rückkoppelung Ein weiteres, strukturbedingtes Defizit der Pflichtpublizität ist die fehlende Möglichkeit zur Rückkoppelung. Die Pflichtpublizität ist ein rein „einseitiges“ Kommunikationsinstrument. Sie bietet dem Emittenten nicht die Möglichkeit, auf individuelle Informationswünsche und Rückfragen der Anleger einzugehen. Dies bleibt für den Inhalt der Veröffentlichungen nicht ohne Konsequenzen. Zwangsläufig muß sich der Inhalt der Veröffentlichungen auf Basisinformationen beschränken, für deren Verständnis und Interpretation keine weiteren Rückfragen erforderlich sind.137 Wie bereits erwähnt, genügt es den professionellen Marktteilnehmern jedoch nicht, lediglich über die Hauptkennzahlen des Unter135
BGH NJW 1982, S. 2823, 2824; ihm folgend OLG Frankfurt AG 1994, S. 184,
186. 136 Das Problem der Überforderung durch Komplexität und Quantität der zu veröffentlichenden Informationen darf nicht unterschätzt werden. Immerhin sind 15% aller auf dem deutschen Kapitalmarkt gehandelten Aktien im direkten Besitz privater Haushalte. Hinzu kommen jene Kleinanleger, die über Investmentfonds indirekt beteiligt sind. Dies sind in Deutschland weitere 15% der Aktionäre. Vgl. dazu das DAI-Factbook 2001. 137 Link, Aktienmarketing, Punkt 3.3.4.2.2, S. 319.
D. Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des Marktes
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nehmens informiert zu werden. Detaillierte Informationen über das Umfeld, die Besonderheiten des Unternehmen und seine Zukunftserwartungen lassen sich daher erst im direkten Dialog mit dem Unternehmen sinnvoll erörtern. b) Inhaltliche Defizite Neben Defiziten, die auf die Struktur unpersönlicher Kommunikationsmittel zurückzuführen sind, weist die kapitalmarktbezogene Pflichtpublizität inhaltliche Schwächen auf, die historisch bedingt sind und sich durch Anpassung des Publikationsinhaltes an die Anforderungen eines modernen Finanzmarkts beseitigen ließen.138 aa) Mangelnde Zukunftsorientierung der Pflichtpublizität Eines dieser inhaltlichen Defizite nach deutschem Recht ist die nur ungenügende Berücksichtigung zukunftsorientierter, nicht monetärer Informationen.139 Die gesetzlichen Offenlegungs- und Berichtspflichten, denen die Emittenten unterliegen, lassen Prognosedaten weitgehend vermissen. Dies widerspricht dem Zweck der kapitalmarktbezogenen Pflichtpublizität, zumal es den Anlegern im Rahmen ihrer Investitionsentscheidungen gerade auf die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens ankommt. Zu einer verantwortlichen Informationspolitik auf dem Kapitalmarkt zählt auch der Blick in die Zukunft.140 Der Unternehmenswert verkörpert ja zumindest nach der sog. Barwertmethode in erster Linie einen Zukunftserfolgswert, zu dessen Bestimmung vor allem prospektive Informationen, insbesondere auch in Form von nicht monetären Indikatoren, von großer Relevanz sind.141 Dagegen sind Informationen über bereits „eingetretene“ Ereignisse für die Anleger nur insoweit von Nutzen, als sie noch nicht Eingang in die Kursbildung am Markt gefunden haben.142 Der Vorwurf mangelnder Zukunftsorientierung trifft insbesondere auf die jährliche Regelpublizität zu. Der Jahresabschluß, der sich mit der aktuellen Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten befaßt, enthält überwiegend vergangenheitsorientierte Informationen, mit deren Hilfe zwar eine Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung für das vergangene Geschäftsjahr ermöglicht
138
Siehe dazu auch Alvarez/Wotschofsky, Kapitel 5, S. 91 ff. Darauf weisen insbesondere Günther/Beyer, BB 2001, S. 163 ff., hin. 140 Siebel/Gebauer, WM 2001, S. 118, 120. 141 Günther/Beyer, BB 2001, S. 1623, 1624. 142 Denn wie bereits dargelegt (vgl. oben 2. Teil, C. I. 3.) können vergangenheitsbezoge Informationen nur dann Einfluß auf die zukünftigen Renditeaussichten nehmen, wenn sie von den Anlegern bei ihren Investitionsentscheidungen noch nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden haben. 139
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
wird, jedoch nicht für das kommende. Diese Zurückhaltung bei der Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen ist auf die ursprünglich handelsrechtliche Ausrichtung der Rechnungslegung zurückzuführen. Anders als etwa in den USA war der Zweck der Rechnungslegung in Deutschland nicht von Anfang darauf ausgerichtet, (auch) den Interessen der aktuellen und potentiellen Aktionäre des Unternehmens zu entsprechen.143 Vielmehr dienten die Rechnungslegungsvorschriften, bevor sie im Zuge der aktienrechtlichen Reformen einigen Modifizierungen unterzogen wurden, ausschließlich dem Zweck, die Gläubiger des Unternehmens zu schützen, wobei unter Gläubigern die Fremdkapital- bzw. Kreditgeber verstanden wurden. Anders als Aktionäre sind die Gläubiger eines Unternehmens weniger an der zukünftigen, noch unsicheren Entwicklung des Unternehmens interessiert. Für sie zählt mehr ein realistisches Bild der aktuellen finanziellen Verhältnisse. Nur an „harten“ Fakten können sie die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens messen. Nicht zuletzt deswegen zählen das Vorsichts- und Realisationsprinzip zu den Leitgedanken der handelsrechtlichen Rechnungslegung.144 Lediglich der gemäß §§ 289, 315 HGB zu erstellende Lagebericht bezieht sich in gewissen Grenzen auch auf zukünftige Ereignisse.145 Lageberichtspflichtig sind danach auch beabsichtigte Vorhaben und Projekte des Unternehmens wie z. B. Konzernstrukturmaßnahmen oder die Errichtung neuer Produktionsstätten. Andere Ausnahme von dem Grundsatz, daß nur konkrete vergangene und gegenwärtige Geschehnisse und Zustände veröffentlicht werden müssen, bestehen jedoch nicht. Selbst bei der Ad-hoc-Publizitätspflicht gemäß § 15 WpHG vertritt nur eine Mindermeinung die Auffassung, daß Strategien, Planungen und Konzepte zu veröffentlichen seien.146 Vor allem bei mehrstufigen Unternehmensentscheidungen verlangt dagegen die überwiegende Auffassung einen fortgeschrittenen Realisierungsgrad des jeweiligen Vorhabens.147
143 Erst mit der Aktienrechtsreform von 1965 fand, neben dem historisch begründeten Gläubigerschutz, der Aktionärsschutz Eingang in die Rechnungslegung, vgl. dazu Alvarez/Wotschofsky, Kapitel 5, S. 95. 144 Vgl. auch Pellens/Gassen, FAZ v. 03.12.2001, S. 29: „Für den Bilanzansatz gilt nach HGB noch der auf Savary zurückgehende Grundsatz des Vorsichtsprinzips: „Der Kaufmann soll sich ärmer rechnen, als er ist.“ Diese angeblich dem Gläubigerschutz dienende Regel stößt international auf wenig Gegenliebe.“ 145 Vgl. dazu auch Alvarez/Wotschofsky, Kapitel 6, S. 114: „Die Ergänzungsfunktion des Lageberichts kommt zum einen zeitlich durch die Aufnahme zukunftsorientierter Informationen . . . zum Ausdruck. Zukunftsorientierte Informationen finden sich vor allem im Prognosebericht.“ 146 Für eine Veröffentlichung spricht sich insbesondere Assmann, WM 1996, S. 1337, 1340, aus. 147 Kümpel, in: Assmann/Schneider, § 15 Rn. 52; Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135, 152; Burgard, ZHR 162 (1998), S. 51, 83; Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 22 u. 25.
D. Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des Marktes
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bb) Umgekehrte Maßgeblichkeit gem. § 5 EStG Neben dem Problem unzureichender Zukunftsorientierung wird an der handelsrechtlichen Rechnungslegung des weiteren ihre mangelnde Ausrichtung am angelsächsischen Prinzip des „true and fair view“ kritisiert.148 Die deutsche Rechnungslegung ist traditionsgemäß nur in einem beschränkten Maße auf die Information der Kapitalanleger angelegt,149 da ihr Inhalt primär an den Interessen der Fremdkapitalgeber ausgerichtet ist. Der Informationswert der handelsrechtlichen Rechnungslegung wird aber auch dadurch beeinträchtigt, daß sie als Bemessungsgrundlage im Steuerrecht herangezogen wird.150 Bekanntermaßen geht das Steuerrecht vom Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz aus (§ 5 EStG). Umgekehrt wirken die steuerlichen Bewertungsgrundsätze aber auch auf die aktienrechtliche Rechnungslegung zurück.151 Denn eine Vielzahl von Steuervergünstigungen, die das Steuerrecht für Gesellschaften vorsieht, werden nur anerkannt, soweit sie sich durch gleichlautende Wertansätze auch aus der Handelsbilanz ergeben (umgekehrte Maßgeblichkeit). Steuerrechtliche Rücklagen und Sonderabschreibungen vermindern jedoch das handelsrechtliche Ergebnis.152 Dies läuft dem eigentlichen Zweck der Handelsbilanz zuwider, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln.153 Die Steuervergünstigungen tragen mithin einen Fremdkörper in die aktienrechtliche Rechnungslegung hinein.154 Zu Recht sieht man daher in den steuerlichen Sonderabschreibungen eine Verfälschung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses.155 In jüngster Vergangenheit haben sich die Stimmen gemehrt, die de lege ferenda eine aktienrechtliche Regelung verlangen, nach der börsennotierte Aktiengesellschaften ihren handelsrechtlichen Jahresabschluß mit einer Zusatzrechnung versehen, die sich am Prinzip des „true and fair view“ orientiert.156
148
Ekkenga, Anlegerschutz, S. 107; Hommelhof, ZGR 2000, S. 748, 759. Vgl. oben 2. Teil, D. II. 1. a) aa). 150 Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 28. 151 Kropff, in Geßler/Hefermehl, Vorb. zu §§ 148 ff. AktG, Rn. 31. 152 Crezelius, Steuerrecht II, § 8, S. 128. 153 Crezelius, Steuerrecht II, § 8, S. 127. 154 Vgl. auch Pellens/Gassen, FAZ v. 03.12.01, S. 29: „[. . .], oft wuchert hier aber seit jeher der Moloch Steuerrecht hinein und verschlechtert aus rein steuerlichen Beweggründen dessen Verständlichkeit und Vergleichbarkeit.“ 155 Kropff, in: Geßler/Hefermehl, Vorb. zu §§ 148 ff. AktG, Rn. 31 m. w. N.; Ekkenga, Anlegerschutz, S. 127; Diehl/Loistl/Rehkugler, S. 28 f. 156 Hommelhof, ZGR 2000, S. 793, 759. 149
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
2. Defizite bei den Informations- und Aufklärungspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Investmentgesellschaften Ebenso wie die Publizitätsvorschriften sind die Informations- und Aufklärungspflichten nach dem WpHG, KAGG und AuslInvestmG wenig geeignet, eine effiziente Informationsverarbeitung des Marktes zu garantieren. Sicherlich tragen die Wohlverhaltensvorschriften für Finanzintermediäre dazu bei, daß vor allem Kleinanleger, die sich in der Regel nur bedingt mit dem Informationsangebot des Marktes auseinandersetzen, vor Abschluß eines konkreten Wertpapiergeschäfts zumindest einige grundlegende Informationen übermittelt bekommen, die für eine rationale Investitionsentscheidung notwendig sind. Allerdings ist zu bezweifeln, ob diese Vorschriften auch garantieren können, daß der einzelne Anleger im Hinblick auf den eigentlichen Wert des Wertpapiers eine angemessene, d.h. rationale Investitionsentscheidung trifft. a) Wertpapierhandelsgesetz An den wertpapierhandelsrechtlichen Informations- und Aufklärungspflichten kann im Hinblick auf ihre Geeignetheit zur Verbesserung der Informationsverwertung des Marktes gleich in zweifacher Hinsicht Kritik geübt werden. aa) Aufklärung statt Beratung Zum einen sind in diesem Zusammenhang Art und Umfang der Informationsund Aufklärungspflichten des WpHG zu kritisieren. Es ist fraglich, ob die bloße Information und Aufklärung des Anlegers genügt, um sicherzustellen, daß dieser eine rationale Investitionsentscheidung trifft. Nach fast einhelliger Auffassung im Schrifttum begründet § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG nur eine Pflicht zur Information und Aufklärung, nicht aber eine Pflicht zur Beratung bzw. zur Übermittlung von Einschätzungen und Empfehlungen.157 Spezifische Beratungspflichten bestehen vielmehr nur, wenn zusätzlich ein entsprechender Beratungsvertrag zwischen dem betreffenden Institut und dem Anleger abgeschlossen wird.158 Von dem (konkludenten) Abschluß eines solchen Vertrages kann in der Praxis aber nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß Wertpapierdienstleistungsinstitute angesichts der mit einem Beratungsvertrag verbundenen Haftungsrisiken grundsätzlich darauf bedacht sein 157 Koller, in: Assmann/Schneider, § 31 Rn. 96; Balzer, DB 1997, S. 2311, 2313; Schwennicke, WM 1998, S. 1101, 1103, ebenso die Rspr. des BGH. Vgl. etwa BGH v. 4.3.1987 – IV a ZR 122/85, BGHZ 100, 117 [118] = MDR 1987, 563; v. 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 [128] = MDR 1993, 861. 158 Nobbe, in: Horn/Schimansky, Bankrechtstag 1998, S. 235, 239 f.; Kümpel, WM 1993, S. 689, 691 f.
D. Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des Marktes
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werden, den gesetzlichen Pflichtenrahmen nicht ohne eine entsprechende zusätzliche Vergütung zu überschreiten. In der Regel werden sie den Anleger deshalb darauf hinweisen, daß sie keine Beratungsleistungen erbringen. Im Hinblick auf eine effiziente Informationsverarbeitung des Marktes wäre jedoch gerade eine Verpflichtung zur Beratung des Anlegers wünschenswert. Denn nach der von der Rechtsprechung entwickelten Systematik der Aufklärungs- und Beratungspflichten besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem Umfang von Aufklärungspflichten einerseits und Beratungspflichten andererseits.159 Während bei der Aufklärungspflicht der Anleger lediglich über die erkennbaren, entscheidungserheblichen Umstände informiert werden muß, tritt bei der Beratungspflicht zusätzlich zur Informationsübermittlung die Informationsbewertung hinzu. Entscheidendes Wesensmerkmal der Beratung ist eine auf das konkrete Wertpapiergeschäft bezogene Empfehlung des Beraters. Trifft ein unerfahrener Anleger eine Investitionsentscheidung, die im Hinblick auf den „inneren“ Wert des betreffenden Wertpapiers als ungünstig und damit ineffizient zu bewerten ist, und tritt er mit diesem beabsichtigten Geschäft an das Wertpapierdienstleistungsinstitut heran, so wäre es nicht nur für die individuelle Situation des Anlegers, sondern auch für den Preisbildungsprozeß des Kapitalmarktes insgesamt von Vorteil, wenn der Wertpapierdienstleister korrigierend, d.h. beratend in den Entscheidungsprozeß des Anlegers eingreifen müßte. Die §§ 31 ff. WpHG verpflichten jedoch das Wertpapierdienstleistungsinstitut nur, dem Anleger die zweckdienlichen Informationen zu übermitteln, aus denen der Anleger, vorausgesetzt er verfügt über den notwendigen Kenntnis- und Erfahrungsschatz, die Nachteilhaftigkeit seines beabsichtigten Geschäfts selbst erkennen könnte. bb) Möglichkeit zur Abbedingung Ein weiterer Kritikpunkt, der an der Geeignetheit des § 31 Abs. 2 WpHG zur Verbesserung der Informationsverarbeitung des Marktes zweifeln läßt, ist die Möglichkeit der Wertpapierdienstleistungsunternehmen, sich durch eine entsprechende Vereinbarung von ihrer Verpflichtung zur Information und Aufklärung des Anlegers weitgehend zu befreien. Nach einem Urteil des BGH unterliegen sog. Discount-Broker, die sich ausdrücklich nur an gut informierte und erfahrene Anleger wenden, jede Beratung ablehnen und lediglich Order ausführen, nur reduzierten Aufklärungspflichten.160 Sie können ihre Verpflichtung gem. § 31 Abs. 2 WpHG bereits dadurch erfüllen, daß sie dem Kunden einmalig bei Aufnahme der Geschäftsbeziehungen standardisierte Informationen übermitteln. Das BAWe hat in seiner auf der Grundlage des § 35 Abs. 6 WpHG ausgearbei159 Vgl. dazu den Überblick über die Systematik der Aufklärungspflichten der Banken bei Vortmann, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken, S. 1 ff. 160 BGHZ 142, S. 345 ff.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
teten Richtlinie zur Konkretisierung der §§ 31, 32 WpHG diese Möglichkeit zur Abbedingung berücksichtigt.161 Gemäß Punkt 2.6 dieser Wohlverhaltensrichtlinien muß ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das Eigenhandelsgeschäfte für andere lediglich ausführt („execution only“), den Kunden spätestens vor Auftragsannahme über diesen Umstand aufklären. Dabei hat es die Kenntnisse und Erfahrungen und die vom Kunden beabsichtigten Geschäftsarten zu berücksichtigen. Mit dieser Aufklärung und der Übermittlung standardisierter Informationsbroschüren hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen seine Verpflichtung nach § 31 Abs. 2 WpHG erfüllt. Es nimmt daher keinen Einfluß auf die Anlageentscheidung des Anlegers. Eine Effizienzsteigerung des Marktes ist angesichts der zunehmenden Bedeutung sog. Discount-Broker von der Vorschrift des § 31 WpHG wohl nicht zu erwarten. b) Die Informationspflichten der Investmentgesellschaften Wie bereits erwähnt, unterliegen Kapitalanlagegesellschaften zusätzlich zu den §§ 31 ff. WpHG den Informationspflichten des KAGG bzw. des AuslInvestmG. Der Umfang dieser Pflichten geht jedoch nicht über den der wertpapierhandelsrechtlichen Pflichten hinaus. Im Gegenteil, anders als § 31 WpHG verpflichtet § 19 KAGG die Gesellschaft nicht, den Kunden entsprechend seines individuellen Kenntnis- und Erfahrungsstands aufzuklären. Das Gesetz läßt es vielmehr genügen, wenn die Anlagegesellschaft dem Kunden ihren Verkaufsprospekt zur Verfügung stellt, der allein schon wegen seiner standardisierten Struktur nur objektbezogene Informationen enthalten kann. Darüber hinaus wird die Gesellschaft durch § 19 KAGG anders als nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG nur bedingt dazu verpflichtet, den Anleger über die gegenwärtige, allgemeine Marktlage aufzuklären. Zwar ist der Verkaufsprospekt in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren. Doch ist es angesichts der Schnellebigkeit des Kapitalmarkts doch eher unwahrscheinlich, daß der Verkaufsprospekt zum Zeitpunkt des Anteilserwerbs die gegenwärtige Marktlage zutreffend wiedergibt. Im übrigen ist zu bedenken, daß die Anteilsinhaber eines Aktienfonds nur bedingt Einfluß auf die Preisbildung am Sekundärmarkt nehmen. Denn sie stellen ihr Kapital der Fondsgesellschaft nur zur Verfügung, damit diese, vertreten durch ihr Portfolio-Management, in weitgehend eigenständiger Regie Aktien am Markt erwirbt und veräußert. Daher können die Informationspflichten nach dem KAGG bzw. des AuslInvestmG von vornherein nur wenig zur Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes beitragen.
161 Vgl. Punkt 2.6 der Richtlinie des BWAe zur Konkretisierung der §§ 31, 32 WpHG für das Kommissionsgeschäft, den Eigenhandel für andere und das Vermittlungsgeschäft der Wertpapierdienstleistungsunternehmen vom 23. August 2001.
E. Für und wider der angeführten Argumente
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III. Fazit Die Überprüfung des zweistufigen Systems von Publizitäts- und Aufklärungspflichten hat ergeben, daß die vom Gesetzgeber erlassenen Maßnahmen für sich allein nicht ausreichen, um eine effiziente Informationsverarbeitung des Marktes zu gewährleisten. Daher läßt sich die zugunsten einer insiderrechtlichen Privilegierung der Finanzanalysten angeführte Argumentation nicht allein mit dem Einwand entkräften, der Gesetzgeber habe bereits selbst hinreichende Maßnahmen ergriffen, um die Informationseffizienz des Marktes zu verbessern. Wie der Konflikt zwischen den sich widerstreitenden Interessen von Gegnern und Befürwortern einer insiderrechtlichen Privilegierung der Finanzanalysten zu lösen ist, bleibt danach weiterhin offen.
E. Abwägung der für und wider eine insiderrechtliche Privilegierung der Finanzanalysten angeführten Argumente Wie unter B. und C. gezeigt fällt eine abschließende Beurteilung der Frage, wie aus rechtspolitischer Sicht der insiderrechtliche Rechtsrahmen für Analysten ausgestaltet sein sollte, nicht leicht. Denn in der Gesamtbetrachtung sind mit der Tätigkeit der Analysten sowohl Vor- als auch Nachteile für die Funktionsfähigkeit des Marktes verbunden.162 Der wirtschaftspolitisch erwünschten Steigerung der Informationseffizienz stehen potentielle, die Liquidität des Marktes negativ beeinflussende Vertrauensverluste des Anlegerpublikums gegenüber. I. Kompromiß zwischen den sich widerstreitenden Interessen als optimale Lösung Lange Zeit wurde hinsichtlich der Frage, ob Finanzanalysten insiderrechtlich zu bevorzugen sind oder nicht, entweder nur die eine oder die andere Position vertreten.163 Dagegen wird in jüngerer Zeit verstärkt eine Kompromißlösung befürwortet.164 Anstatt den Analysten entweder gar keinen oder aber völligen Spielraum bei der Informationsrecherche und -verwertung zu überlassen, sei ein
162 Im deutschen Schrifttum ebenso Drygala, WM 2001, S. 1313, 1321; Krauel, S. 239 f. 163 Für eine insiderrechtliche Privilegierung: Claussen, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, Rz. 82 ff.; ders., DB 1994, S. 27, 28; ders., AG 1994, S. 306, 308 ff.; mit Einschränkungen auch Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 47; Waldeck, in: Claussen/Schwark, S. 48, 51 f.; Scharrenberg, in: Claussen/Schwark, S. 107, 123 f.; gegen eine insiderrechtliche Privilegierung: Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 12 Rz. 38; Assmann, in: Claussen/Schwark, S. 54, 69; Steinhauer, S. 35; K.-P. Weber, S. 167 f.; Eichele, WM 1997, S. 501, 503 f.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
ausdifferenziertes System insiderrechtlicher Verbotsbestimmungen vorzuziehen, das einerseits den Analysten genügend Anreiz für ihre gesamtökonomisch nützliche Tätigkeit läßt und andererseits den Schutz der informationellen Chancengleichheit der Anleger nicht allzu sehr vernachlässigt.165 Als ausschlaggebend für die Notwendigkeit einer derartigen Kompromißlösung wird die Überlegung angesehen, daß man auf den Beitrag der Analysten zur Verbesserung der Informationsverarbeitung des Marktes nicht verzichten sollte. Dafür spiele zum einen die Förderung der Informationseffizienz eine zu große Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Marktes. Zum anderen müsse beachtet werden, daß die gesetzlichen Publizitäts- und Aufklärungspflichten nur bedingt geeignet sind, die Informationsverarbeitung des Marktes in dem gewünschten Maße zu fördern. Der positive Effekt, den die Analysten mit ihrer Tätigkeit auf die Informationseffizienz des Marktes ausüben, lasse sich aber nur erhalten, wenn der Berufsgruppe der Informationsintermediäre mehr rechtlicher Spielraum zur Verfügung steht als es bisher der Fall ist. Andererseits müsse aber auch berücksichtigt werden, daß mit einer allzu großzügigen insiderrechtlichen Behandlung der Analysten erhebliche Gefahren verbunden sein können. Daher dürfe der den Analysten für ihre Tätigkeit einzuräumende Freiraum wiederum nicht zu groß ausfallen.166 Eine insiderrechtliche Privilegierung der Analysten i. S. einer „safeharbour“-Regelung scheide daher in jedem Falle aus. Es müsse vielmehr eine Lösung gefunden werden, die eine Brücke zwischen den sich widersprechenden Interessen schlägt, so daß einerseits den Analysten genügend Anreiz für ihre Tätigkeit geboten wird und andererseits auf einen angemessenen Schutz der informationellen Chancengleichheit der Anleger nicht verzichtet wird. II. Folgerungen aus der rechtspolitischen Betrachtung für das deutsche Recht Die Lösung, die das deutsche Insiderrecht für die Berufsgruppe der Finanzanalysten bereithält, steht in einem auffälligen Kontrast zum soeben festgestellten rechtspolitischen Befund.167 Weder im Gesetzestext der §§ 12–14, 38 WpHG noch in der Gesetzesbegründung findet sich ein Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der insiderrechtlichen Handlungsverbote die Problematik der Finanzanalysten in irgendeiner Weise mitberücksichtigt hat.168 164 Caccese, in: Claussen/Schwark, S. 125, 126; Diehl, Spannungsfeld Aktienanalyse und Insiderproblematik, Finanzplatz-News Nr. 20 v. November 2000; Drygala, WM 2001, 1313, 1317. 165 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1317. 166 Wie unter B dargelegt besteht bei einer Lockerung der insiderrechtlichen Handlungsverbote zugunsten der Informationsintermediäre die latente Gefahr, daß Analysten und Emittentenvertreter ihre rechtlichen Freiräume ausnutzen, um kollusiv zu Lasten des restlichen Anlegerpublikums zusammenzuarbeiten. 167 Vgl. dazu ausführlich oben 1. Teil.
E. Für und wider der angeführten Argumente
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Im Gegenteil, sowohl die Finanzanalysten als auch die Emittentenvertreter, die sich den Fragen der Analysten stellen, werden nach dem Gesetz ebenso (streng) behandelt, wie jeder andere Marktteilnehmer auch.169 Es bestehen keinerlei zusätzliche Haftungsfilter, die diese Personengruppen bei ihrer „gefahrgeneigten“ Tätigkeit vor ungerechtfertigten Verdachtsermittlungen bewahren könnten. Die §§ 12–14, 38 WpHG „lösen“ somit das Spannungsverhältnis von Wertpapieranalyse und Insiderrecht einseitig zugunsten einer möglichst weitreichenden informationellen Chancengleichheit unter den Anlegern und nehmen dabei „billigend“ in Kauf, daß die mit der Finanzanalyse verbundenen gesamtökonomischen Vorteile verlorengehen. Insgesamt ist die Insiderrechtslage für Finanzanalysten nach dem WpHG daher als unbefriedigend anzusehen. Rechtspolitisch besteht das Bedürfnis, das Insiderrecht in seiner jetzigen Fassung einer Modifizierung dahingehend zu unterziehen, daß künftig die Bedürfnisse der Finanzanalysten besser berücksichtigt werden. III. Übereinstimmung von rechtspolitischem Befund und kapitalmarktrechtlichem Regulierungskonzept Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die aus rechtspolitischer Sicht befürwortete Kompromißlösung durchaus mit den Regelungsvorgaben des kapitalmarktrechtlichen Gesamtkonzepts zu vereinbaren ist. Aus dem System kapitalmarktrechtlicher Regelungsziele und Leitprinzipien geht hervor, daß jede Regelung mit Bezug zum Kapitalmarkt stets einen angemessenen Ausgleich zwischen den für die Funktionsfähigkeit des Marktes konstitutiven Faktoren schaffen muß. Informationseffizienz und Marktfairneß, die beiden Gegenpole der Problematik, sind beide Grundvoraussetzungen für einen funktionsfähigen Markt. Das Insiderrecht als Teil des Kapitalmarktrechts darf daher die eine Voraussetzung – Markteffizienz – nicht einseitig zugunsten der anderen – Marktfairneß – opfern.170 Isoliert betrachtet, bilden die §§ 12–14, 38 WpHG zwar ein in sich geschlossenes und weitgehend widerspruchsfreies Regelungswerk.171 Doch ist das Insiderrecht als Teil des Kapitalmarktrechts mit einer ganzen Reihe von weiteren
168 Der einzige Hinweis auf die Bedürfnisse der Finanzanalysten findet sich in der Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 2 WpHG, Reg. Begr. 2. FMFG, BT-Drucks. 12/ 6679, S. 47. 169 Siehe dazu oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. u. 2. Abschnitt, A. 170 Zur Zeit ist dies jedoch der Fall, weil das Insiderrecht die Kommunikationsbeziehungen zwischen Unternehmensvertretern und Analysten sowie die Informationsverwertungsbefugnisse der Analysten zugunsten der informationellen Chancengleichheit übermäßig reguliert. 171 Zu den bestehenden Wertungswidersprüchen in der dogmatische Haftungsgrundlage der §§ 12–14. 38 WpHG siehe ausführlich unten 4. Teil, C.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
gesetzlichen Maßnahmen zur Bildung eines umfassenden Marktverfassungsund -organisationsrechts verflochten.172 Der mit dem Insiderrecht intendierte Schutz der informationellen Chancengleichheit der Anleger ist folglich nur eines von mehreren kapitalmarktrechtlichen Unterzielen, die erst in der Summe einen effektiven Funktionenschutz des Kapitalmarktes gewährleisten. So will das Kapitalmarktrecht zwar die Funktionsfähigkeit des Marktes dadurch verbessern, daß es das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Marktes stärkt. Insofern leisten die §§ 12–14, 38 WpHG einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung eines funktionsfähigen Marktes. Jedoch erschöpft sich der Funktionenschutz des Kapitalmarktrechts keineswegs darin, das Vertrauen der Anleger in die „Fairneß“ des Marktablaufs zu stärken. Ein weiteres bedeutsames Unterziel des kapitalmarktrechtlichen Funktionenschutzes ist u. a. die Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes.173 Sowohl der europäische als auch der nationale Gesetzgeber orientieren sich bei der Ausgestaltung des kapitalmarktrechtlichen Rechtsrahmens am wirtschaftswissenschaftlichem Konzept informationseffizienter Märkte.174 Regelungen, wie etwa die Publizitäts- und Informationspflichten für Emittenten und Finanzintermediäre, wurden primär geschaffen, damit der Markt durch Abbau bestehender Informationsasymmetrien seine sog. Allokationsfunktion besser wahrnehmen kann.175 Diesen gesetzgeberischen Bemühungen widerspricht es jedoch, wenn sich die §§ 12–14, 38 WpHG, wie im ersten Teil der Arbeit gezeigt, „lähmend“ auf die Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittenten- und Anlegerseite auswirken und damit die Informationseffizienz des Marktes gefährden. Streng genommen muß hier sogar von einem internen kapitalmarktrechtlichen Zielkonflikt gesprochen werden, der zur Zeit zwischen dem Insiderrecht und denjenigen Regelungen besteht, die der Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes dienen. Diesem Zielkonflikt ist weiter nachzugehen. Vieles spricht dafür, daß im Interesse eines einheitlichen und widerspruchsfreien Marktregulierungskonzepts das Insiderrecht einen angemesseneren Ausgleich zwischen dem Schutz der informationellen Chancengleichheit (Marktfairneß) und den Bedürfnissen der Wertpapieranalysten (Markteffizienz) schaffen muß.
172 Loistl, Die Bank 1993, S. 456, 457: „In der deutschen Rechtslandschaft dient das Insiderrecht der Kapitalmarktregulierung.“ 173 Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2094. 174 Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2094. 175 Vgl. Kübler, Gesellschaftsrecht, § 31 II, S. 391: „Damit erweist sich rechtlich angeordnete Publizität als ein politisches Ordnungsprinzip, das nicht nur auf den Schutz aktueller oder potentieller Gesellschafter zielt, sondern vor allem die Leistungsfähigkeit der zentralen Kapitalmarktfunktion erhalten und verbessern soll.“
E. Für und wider der angeführten Argumente
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1. Die marktbezogene Regelungsperspektive des Kapitalmarktrechts Die spezifische Regelungsperspektive des Kapitalmarktrechts bildet das Einfallstor für die Berücksichtigung funktionsorientierter Effizienz-Erwägungen bei der Ausgestaltung des kapitalmarktbezogenen Rechtsrahmens.176 Denn anders als etwa das Bank- und Gesellschaftsrecht ist das Kapitalmarktrecht weder verbands- noch institutionenbezogen, sondern ausschließlich marktbezogen.177 So umfaßt das Kapitalmarktrecht nach dem Definitionsvorschlag von Kümpel „die Gesamtheit der Normen, Geschäftsbedingungen und Standards, mit denen die Organisation der Kapitalmärkte und die auf sie bezogenen Tätigkeiten sowie das marktbezogene Verhalten der Marktteilnehmer geregelt werden“.178 Dementsprechend wird das Kapitalmarktrecht auch als Marktorganisations- und Marktverfassungsrecht bezeichnet. Es hat die primäre Aufgabe, die reibungslose Transmission der auf dem Markt gehandelten Vermögensanlagen zu gewährleisten.179 Dafür schafft es nicht nur die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern greift zudem regulierend in den Marktprozeß ein.180 Für die Ausgestaltung eines solchen Rechtsgebiets, bedarf es nach mittlerweile einhelliger Auffassung einer übergeordneten, wirtschaftspolitischen Gesamtkonzeption.181 Die einzelnen kapitalmarktrechtlichen Vorschriften müssen sich wie einzelne Bausteine zu einem in sich stimmigen Rechtsrahmen zusammenfügen lassen. Bereits in den siebziger Jahren haben Kohl/Walz zutreffend erkannt, daß die Frage nach der optimalen Verwendung von Kapital nicht nur Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Untersuchungen sein dürfe, sondern zugleich zur regelungspolitischen Aufgabe des Kapitalmarktrechts gemacht werden müsse. In diesem Zusammenhang vertritt nunmehr Grundmann die Auffassung, das (europäische) Kapitalmarktrecht lasse sich von gesamtökonomischen Erwägungen leiten und habe sich für bestimmte Modelltheorien entschieden, andere hingegen verworfen.182 Nach Auffassung von Mülbert orientiert sich das europäische Kapitalmarktkonzept u. a. an den Prinzipien der „institutionellen“ und „informationellen“ Markteffizienz.183
176 Grundmann, ZSR 1996, S. 103, 136 ff.; siehe jetzt auch Fleischer, Gutachten F für den 64. Deutschen Juristentag, S. 22 ff. 177 Schwark, in: FS Stimpel, S. 1087, 1091. 178 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.4. 179 Schwark, in: FS für Stimpel, S. 1087, 1091. 180 Assmann, in: Großkomm. AktG, Einl. Rn. 356. 181 So bereits Kohl/Walz, AG 1977, S. 29; siehe auch Grundmann, ZSR 1996, S. 103, 124 f.; Fleischer, Gutachten F für den 64. Deutschen Juristentag, S. 22 ff. 182 Grundmann, ZSR 1996, S. 103, 139 f. 183 Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2094.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
Daraus, daß dem Kapitalmarktrecht ein einheitliches Regulierungskonzept zugrunde liegt, ist für die hier zu behandelnde Problematik zu schließen, daß eine einzelne gesetzgeberische Maßnahme auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts nicht ohne Abstimmung mit den bereits bestehenden Regulierungen ergehen darf. Bezogen auf das Insiderrecht bedeutet dies, daß der Schutz der informationellen Chancengleichheit nur soweit reichen darf, wie andere Regelungszwecke des Kapitalmarktrechts nicht unangemessen beeinträchtigt werden. 2. Die Regelungsziele des Kapitalmarktrechts Die Gesamtkonzeption des Kapitalmarktrechts wird durch die einzelnen Regelungsziele dieses Rechtsgebiets konkretisiert. Nach einer weit verbreiteten Auffassung läßt sich das Kapitalmarktrecht sogar nur von seinen Regelungszielen her begreifen, weil anders Regelungsbedarf und -aufgaben dieses Rechtsgebiets nicht bestimmt werden könnten.184 Um die Frage nach der Vereinbarkeit insiderrechtlicher Wertungen mit der Gesamtkonzeption des Kapitalmarktrechts überprüfen zu können, ist es hilfreich, einen Blick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen dieses Rechtsgebiets zu werfen. Das rechtswissenschaftliche Schrifttum ordnet in Anlehnung an die Erkenntnisse der wirtschaftswissenschaftlichen Kapitalmarktforschung dem Kapitalmarktrecht vorrangig zwei Regelungsziele zu. Es handelt sich zum einen um den Funktionenschutz des Marktes und zum anderen um den Schutz der Anleger, wobei jedoch die zweite Schutzrichtung nicht i. S. eines Individualschutzes, sondern vielmehr i. S. eines „überindividuellen“ Schutzes zu verstehen sei.185 a) Funktionenschutz Übergeordnetes Ziel des Kapitalmarktrechts sind nach allgemeiner Auffassung der Schutz und die Förderung der „Funktionsfähigkeit“ des Marktes.186 Bei diesem Regelungsziel geht es in erster Linie um die Leistungsfähigkeit der kapitalmarktbezogenen Einrichtungen und Ablaufmechanismen.187 Der kapitalmarktrechtliche Rechtsrahmen soll optimale Bedingungen für den marktmäßigen Ausgleich zwischen der Kapitalnachfrage der Unternehmen und der Anla184
Assmann, in: Assmann/Schütze, § 1 Rn. 22. Nach Auffassung von Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 8.173, sei der (überindividuelle) Anlegerschutz genau genommen ein wesentlicher Teilaspekt des Funktionenschutzes des Marktes. Denn ökonomisch gesehen bestehe die Einsicht, daß Kapitalmärkte in erster Linie vom Vertrauen der Anleger leben. 186 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.174: „Mittlerweile wird der Schutz der Funktionsfähigkeit der Märkte als primäres Regelungsziel [des Kapitalmarktrechts] angesehen.“ 187 Kübler, Gesellschaftsrecht, § 31 II, S. 390; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.174. 185
E. Für und wider der angeführten Argumente
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gebereitschaft der Anleger schaffen.188 Die Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts lassen sich jedoch nicht mit einer einfachen Formel umschreiben.189 Vielmehr zerfällt das regulatorische Leitbild des funktionsfähigen Kapitalmarktes bei näherer Betrachtung in eine Mehrzahl von nur zum Teil gleichlaufenden Regelungszwecken.190 So wird grundsätzlich zwischen der institutionellen, operationalen und allokativen Funktionsfähigkeit des Marktes unterschieden.191 Nur wenn alle drei Effizienzbedingungen von der Rechtsordnung hinreichend berücksichtigt werden, kann von einem funktionsfähigen Markt gesprochen werden.192 aa) Institutionelle Effizienz Mit institutioneller Funktionsfähigkeit sind vor allem die Grundvoraussetzungen eines wirksamen Marktmechanismus gemeint. Dazu gehören im wesentlichen ein ungehinderter Marktzugang für Anleger und Emittenten sowie die Bereitstellung verschiedener standardisierter und damit verkehrsfähiger Anlageformen.193 Die institutionelle Funktionsfähigkeit des Marktes mißt sich an der Breite und Tiefe des Marktes sowie an seiner Stabilität. Das letztgenannte Qualitätsmerkmal erfordert einen ausgeprägten Vertrauensschutz der Anleger. Denn nur wenn die Anleger Vertrauen in die Integrität des Marktes fassen, sind sie auch bereit, in den Markt zu investieren. Ihr Marktengagement entscheidet letztlich über die Liquidität und damit über die institutionelle Effizienz des Marktes. Das Insiderrecht fördert als eine der wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahmen des Kapitalmarktrechts daher nicht nur die „Fairneß“ des Marktablaufs sondern trägt zugleich zur Verbesserung der (institutionellen) Effizienz des Marktes bei. bb) Operationale Effizienz Die operationale Funktionsfähigkeit setzt voraus, daß die Kosten, die für die Emittenten bei der Emission von Anlagetiteln und für die Anleger bei dem An188 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300 mit Verweis auf Kiel, Internationales Kapitalanlegerschutzrecht, S. 8. 189 Nach Auffassung von S. Weber, Kapitalmarktrecht, S. 356, läßt sich der Inhalt dieses Regelungsziels nur bedingt bestimmen. 190 Kübler, Gesellschaftsrecht, § 31 II, S. 390; Kohl/Kübler/Waltz/Wüstrich, ZHR 138 (1974), S. 1, 16 f. 191 Kübler, Gesellschaftsrecht, § 31 II, S. 390/391; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.178 ff. 192 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300, bezeichnet die drei Teilaspekte des Funktionenschutzes sogar als „Effizienzbedingungen“, die „auf wirtschaftswissenschaftliche Ansätze zur Bestimmung der Kapitalmarkteffizienz zurückgehen“. 193 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 1195, Rn. 8.185.
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
und Verkauf von Wertpapieren entstehen, möglichst gering gehalten werden. Je geringer diese sog. Transaktionskosten sind, um so geringer sind auch die Eigenkapitalkosten der Emittenten und die Kostenbelastungen der Anleger. Die operationale Effizienz des Marktes ist somit ein entscheidendes Kriterium für kapitalsuchende Emittenten und anlagewillige Investoren. cc) Allokative Effizienz Das dritte Unterziel des kapitalmarktrechtlichen Funktionenschutzes, die Erreichung einer möglichst effizienten Kapital-Allokation,194 gilt als besonders wichtige Vorbedingung für einen funktionsfähigen Markt. Die Allokationsfunktion des Marktes erfüllt eine volkswirtschaftlich bedeutsame Aufgabe. Denn ein allokationseffizienter Markt sorgt dafür, daß das von den Anlegern bereitgestellte Kapital seiner bestmöglichen Verwendung zugeführt wird. Der Idealzustand eines allokationseffizienten Marktes ist erreicht, wenn das Anlagekapital ausschließlich dorthin fließt, wo der jeweils dringendste Bedarf an Investitionsmitteln die höchste Rendite verspricht. Durch diese Auslesefunktion stellt der Kapitalmarkt sicher, daß wirtschaftliches Wachstum nur dort gefördert wird, wo dies auch Erfolg verspricht.195 Um seiner Allokationsfunktion gerecht werden zu können, muß der Kapitalmarkt möglichst informationseffizient sein. Es kommt also darauf an, daß die Preise, die auf dem Kapitalmarkt gezahlt werden, im wesentlichen dem „inneren“ Wert der Investition entsprechen. Dies gilt nicht nur für den Primärmarkt, wo dies in bezug auf die Auslesefunktion des Kapitalmarkts sofort einsichtig erscheint, sondern auch für den Sekundärmarkt. Zwar stehen sich auf dem Sekundärmarkt sowohl auf der Angebots- als auch Nachfrageseite ausschließlich Anleger gegenüber. Eine Auslese zwischen guten und weniger guten Investitionsvorhaben kann also dort nicht unmittelbar erfolgen, weil die Emittenten sich bereits auf dem Primärmarkt mit Eigenkapital eingedeckt haben. Allerdings dienen die Börsenkurse auf dem Sekundärmarkt als ein wichtiger Indikator für die Erfolgschancen künftiger Eigenkapitalbeschaffungsmaßnahmen des betreffenden Emittenten. Je höher die Börsenkurse der bereits emittierten Wertpapiere sind, um so geringer werden die künftigen Eigenkapitalbeschaffungskosten der Emittenten sein. 194 Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 385; ders., AG 1977, S. 85, 89; Assmann, Prospekthaftung, S. 24 f.; ders., in: Assmann/Schütze, § 1 Rn. 24; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.203; Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300; Hopt, Gutachten, S. 47 ff.; Zimmer, S. 42; a. A. lediglich S. Weber, S. 356 u. 378 ff., seiner Auffassung nach liegt dem gemeinschaftsrechtlichen Kapitalmarktrecht „keine Hypothese eines effizienten Markts zugrunde“. 195 Nicht zuletzt deswegen wird der Kapitalmarkt auch als „Wachstumsmotor“ der Wirtschaft bezeichnet. Vgl. Kübler, Gesellschaftsrecht, § 31 II, S. 391.
E. Für und wider der angeführten Argumente
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Gesetzliche Maßnahmen, die die Informationseffizienz steigern sollen, sind zum einen die Publizitätspflichten der Emittenten und zum anderen die Informations- und Aufklärungspflichten der Finanzintermediäre. Daneben trägt auch die egoistisch motivierte Tätigkeit der Informationsintermediäre zur Verbesserung der Informationsverarbeitung des Marktes bei. Hingegen kann sich das Insiderrecht negativ auf die Informations- und damit auch auf die Allokationseffizienz des Marktes auswirken, weil es zum einen die Verwertung bestimmter bewertungsrelevanter Informationen verbietet und zum anderen „faktisch“ den Informationsaustausch zwischen Emittenten- und Anlegerseite behindert. b) Anlegerschutz Obgleich dem Funktionenschutz des Marktes inzwischen ein übergeordneter Stellenwert im Gefüge kapitalmarktrechtlicher Regelungsziele zugesprochen wird, ist auch der Anlegerschutz weiterhin als ein eigenständiges Regelungsziel des Kapitalmarktrechts anerkannt.196 Allerdings ist beim Anlegerschutz streng zwischen solchen Vorschriften zu unterscheiden, die einen individualschützenden Charakter tragen und solchen, die ausschließlich dem Schutz der Gesamtheit der Anleger und damit dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Marktes dienen. So zielt etwa der Großteil aller vertrauensbildenden Maßnahmen, wie z. B. das Insiderrecht oder auch das Kursmanipulationsverbot, in erster Linie auf die Steigerung der institutionellen Effizienz und damit auf den Funktionenschutz des Marktes ab.197 Dagegen werden die Interessen des einzelnen Anlegers dadurch nur mittelbar geschützt. Unmittelbar individualschützenden Charakter besitzen dagegen nur wenige kapitalmarktrechtliche Normen. In diesem Zusammenhang lassen sich etwa die Vorschriften zur Börsentermingeschäftsfähigkeit und die Wohlverhaltensregeln für Wertpapierdienstleister nennen, wobei letztere neben dem Anlegerschutz auch den Zweck verfolgen, die Informationseffizienz und damit die Funktionsfähigkeit des Marktes zu verbessern. Der „überindividuelle“ Anlegerschutz, der den Individual-Anlegerschutz weitgehend verdrängt hat, wird im wesentlichen auf zwei Arten verwirklicht. Zum einen schützt das Kapitalmarktrecht die Gesamtheit der Anleger, indem es die „Fairneß“ des Marktablaufs verbessert und zum anderen dadurch, daß es die „Effizienz“ der Informationsverarbeitung des Marktes steigert. Denn der beste 196 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.204: „Wenngleich der Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes mittlerweile das vorrangige Regelungsziel des Kapitalmarktrechts darstellt, wird dem Anlegerschutz nicht selten ein gleicher Stellenwert zugemessen.“ 197 Vgl. zum Schutzcharakter des Kursmanipulationsverbots (§§ 20a, 20b WpHG) die Gesetzesbegründung zum 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 249: „Damit wird – entsprechend der Insiderregelung und der geplanten Richtlinie über den Marktmißbrauch – die Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte innerhalb des EWR geschützt.“
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
Schutz vor Übervorteilung und anderen Anlagerisiken bietet ein möglichst informationseffizienter Markt, weil auf ihm die Börsenkurse stets dem „inneren“ Wert der Wertpapiere entsprechen und damit keine „unfairen“ Sondervorteile erzielt werden können. 3. „Trade-off“-Beziehungen zwischen den einzelnen Regelungszielen und Leitprinzipien des Kapitalmarktrechts (Antinomien im kapitalmarktrechtlichen Zielsystem) Die Verwirklichung der einzelnen, soeben genannten Regelungsziele des Kapitalmarktrechts stellt hohe Anforderungen an den Gesetzgeber. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere dadurch, daß zwischen den einzelnen, für die Funktionsfähigkeit des Marktes konstitutiven Faktoren erhebliche Reibungsverluste bestehen. In der ökonomischen Diskussion werden solche Konflikte zwischen einzelnen Leistungsmerkmalen des Marktes gewöhnlich als sog. „trade-off“-Beziehungen bzw. „Antinomien im Zielsystem“ bezeichnet.198 Eine solche „tradeoff“-Beziehung liegt vor, wenn der Erreichungsgrad des einen Leistungsmerkmals sich nur auf Kosten des Erreichungsgrades des anderen Leistungsmerkmals steigern läßt. Rudolph/Röhrl haben in ihrem Beitrag zur Börsenreform beispielhaft verschiedene Interdependenzen aufgezeigt, die zwischen den einzelnen Leistungsmerkmalen eines Wertpapiermarktes bestehen.199 Ihrer Auffassung nach liegt u. a. zwischen der sog. „Stetigkeit der Preisbildung“ und der Förderung der Markttransparenz eine sog. „trade-off“-Beziehung vor. Beide Faktoren sind für die Funktionsfähigkeit des Marktes äußerst wichtig. So trägt eine hohe Markttransparenz zur Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes bei und fördert damit die „allokative“ Funktionsfähigkeit des Marktes. Eine „stetige Preisbildung“ fördert dagegen das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Marktes und trägt damit zur Verbesserung der „institutionellen“ Funktionsfähigkeit des Marktes bei. Wird jedoch die Markttransparenz durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen erhöht, so erhöht sich zugleich die Volatilität der Wertpapiere, weil sich die Börsenkurse aufgrund der raschen Informationsvermittlung „schlagartig“ an neue bewertungsrelevante Ereignisse anpassen. Für eine „stetige Preisbildung“ wäre es jedoch vorteilhafter, wenn der Markt weniger informationseffizient wäre, weil sich die Börsenkurse dann nur allmählich dem „inneren“ Wert der Wertpapiere annähern würden. Eine „stetige Preisbildung“ ist nur bis zu einem gewissen Grad mit der Förderung von Markttransparenz ver-
198 Rudolph/Röhrl, in: Hopt/Rudolph/Baum (Hrsg.), S. 143, 189 f. und Fleischer, Gutachten F für den 64. Deutschen Juristentag, S. 31. 199 Rudolph/Röhrl, in: Hopt/Rudolph/Baum (Hrsg.), S. 143, 189 f.
E. Für und wider der angeführten Argumente
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einbar. Der Gesetzgeber muß für einen gerechten Ausgleich zwischen diesen beiden Leistungsmerkmalen sorgen. Eine weitere „trade-off“-Beziehung besteht nach Ansicht von Rudolph/Röhrl zwischen der Markttransparenz und der Sofortigkeit der Preisanpassung. Wird die Markttransparenz durch eine Vielzahl von Publizitätspflichten derart verbessert, daß der Markt über nahezu sämtliche bewertungsrelevante Informationen informiert ist, würden insbesondere professionelle Marktteilnehmer das Interesse daran verlieren, sich aktiv am kurzfristigen Wertpapierhandel zu beteiligen. Denn es wäre mangels am Markt bestehender Informationsasymmetrien nicht mehr möglich, „günstige“ Wertpapiergeschäfte abzuschließen. Im Ergebnis würde diese Entwicklung den Informationsverarbeitungsprozeß erheblich verlangsamen. Intransparenz sei daher zu einem gewissen Grad notwendig, um die Sofortigkeit der Preisanpassung zu gewährleisten. 4. Die „trade-off“-Beziehung zwischen „ökonomischer Effizienz“ und „Fairneß“ Der Gesetzgeber stößt bei der Ausgestaltung des kapitalmarktrechtlichen Rechtsrahmens auf eine ganz Reihe von „trade-off“-Beziehungen. Die wahrscheinlich am häufigsten zu lösende „trade-off“-Beziehung im Gefüge kapitalmarktrechtlicher Leistungsmerkmale ist jedoch die zwischen „ökonomischer Effizienz“ und „Fairneß“. In den USA hat man den latenten Regelungskonflikt zwischen diesen beiden für die Funktionsfähigkeit des Marktes konstitutiven Faktoren bereits frühzeitig erkannt: „Financial market regulations are the outcome of a continuous tug-of-war between concern for economic efficiency and concern for fairness“.200 Für das US-amerikanische Recht belegen Shefrin/Statman eindrucksvoll, daß der latente Regelungskonflikt zwischen Effizienz- und Fairneß-Kriterien bei nahezu jeder gesetzgeberischen Maßnahme, die der Ausgestaltung des kapitalmarktrechtlichen Rechtsrahmens dient, eine Rolle spielt.201 Dabei verstehen sie unter dem Begriff „Fairneß“ in erster Linie den Zustand, in dem alle Marktteilnehmer den gleichen Zugang zu bewertungsrelevanten Informationen im Markt besitzen. Mit „Effizienz“ meinen sie primär die bereits ausführlich behandelte „Informationseffizienz“.202 Beispielhaft nennen 200
Shefrin/Statman, Financial Analysts Journal 1993 (November–December), S. 21. Hersh/Statman, Fiancial Analysts Journal 1993, S. 21. 202 Die beiden Autoren subsumieren aber noch weitere kapitalmarktrechtlich relevanten Zustände und Funktionsbedingungen unter das Begriffspaar „Effizienz“ und „Fairneß“. Der Begriff „Fairneß“ beziehe sich im Kapitalmarktrecht auch auf die Freiheit, Transaktionen in jedem beliebigen Börsensegment zu jedem beliebigen Zeitpunkt abzuschließen. „Fairneß“ bedeute zudem, sicherzustellen, daß diejenigen Informationen, die den Anlegern für ihre Investitionsentscheidungen übermittelt werden, der Wahrheit entsprechen. Als „gerecht“ werde im Kapitalmarktrecht auch empfunden, 201
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
beide Autoren sechs kapitalmarktbezogene Regelungen, die von dem Zielkonflikt zwischen Fairneß- und Effizienzkriterien beinflußt werden. Dazu zählen im einzelnen die Börsenzulassungsregeln, die Regeln über die Zulässigkeit von Effektenkrediten, die kapitalmarktbezogenen Publizitätspflichten, die Wohlverhaltensregeln für Wertpapierdienstleister, die Regeln über die Aussetzung des Börsenhandels und das Insiderrecht. An dieser Stelle können nicht alle diese Regelungen erörtert werden; die folgenden Bemerkungen beschränken sich vielmehr auf das hier relevante Insiderrecht. a) Der Konflikt zwischen Effizienz und Fairneß im Insiderrecht Obgleich bei fast allen kapitalmarktrechtlichen Regelungen eine Abwägung zwischen „Effizienz“- und „Fairneß“-Kriterien vorzunehmen ist, wirkt sich der durch sie verursachte, potentielle Regelungskonflikt vor allem im Insiderrecht aus. So wird die (rechtspolitische) Debatte zur Regulierungsbedürftigkeit von Insiderhandel von der Frage dominiert, welchem der beiden Leistungskriterien die größere Bedeutung beizumessen ist.203 Offenbar schränkt das Verbot von Insiderhandel den Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern ein.204 Informationell privilegierten Marktteilnehmern wird untersagt, ihre Wissensvorsprünge im Anteilshandel zu verwerten. Insider müssen daher von bestimmten Wertpapiergeschäften Abstand nehmen, die sie ansonsten getätigt hätten. Dies hat zur Folge, daß ein Teil der bewertungsrelevanten Informationen keinen Eingang in den Preisbildungsmechanismus des Marktes findet. Diese Ineffizienzen bei der Informationsverwertung wirken sich wiederum negativ auf die Allokationsfunktion des Marktes aus. Mit einem gesetzlichen Insiderverbot gehen also Effizienz-Einbußen des Marktes einher. Demgegenüber kann bei einer Legalisierung von Insiderhandel kaum noch von wenn die Emittenten in Zusammenarbeit mit der Börsenaufsicht dafür sorgen, daß es zu keinen übermäßigen Kursschwankungen am Markt kommt. Unter den Begriff „Fairneß“ seien schließlich auch solche anlegerschützende Maßnahmen zu subsumieren, die als Schutzobjekt nicht den eigenverantwortlich handelnden Anleger im Auge haben, sondern den unselbständigen Investor, der ggf. vor seinen eigenen (für ihn ungünstigen) Anlageentscheidungen geschützt werden muß. „Effizienz“ hingegen sei in diesem Zusammenhang nicht nur i. S. von „informationeller“ Effizienz, sondern auch im Sinne der „Pareto“-Effizienz zu verstehen. Pareto-Effizienz bezeichnet im Rahmen der Wohlfahrtsökonomie einen Beurteilungsmaßstab, anhand dessen die gesamtökonomische Nützlichkeit gesellschaftlicher Entscheidungen gemessen wird. Paretoeffizient sind danach alle Sozialakte, die mindestens ein Individuum besser stellen, ohne daß ein anderes Individuum einen Nachteil erleidet. 203 Vgl zusammenfassend Schörner, Gesetzliches Insiderhandelsverbot, S. 71 ff. 204 Das Insiderrecht wirkt insofern wettbewerbshemmend, als der einzelne Anleger nicht alle Informationen verwenden darf, die er besitzt. Vielmehr darf er nur auf diejenigen Informationen zurückgreifen, die allen Anlegern zur Verfügung stehen. Dies stellt eine Beschränkung des sog. „Informationen“-Wettbewerbs dar.
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Chancengleichheit am Markt gesprochen werden. Marktteilnehmer mit privilegiertem Informationszugang könnten ihren Wettbewerbsvorteil voll ausspielen, ohne daß das restliche Anlegerpublikum die Möglichkeit hätte, den Vorsprung der Insider anderweitig zu kompensieren. Die mangelnde Fairneß des Anteilshandels würde – zumindest langfristig gesehen – einen Großteil der Anleger davon abhalten, weitere Investitionen am Markt zu tätigen. Dem Markt wäre die für seine Funktionsfähigkeit erforderliche Liquidität entzogen. Gegen die Freigabe von Insiderhandel wird daher eingewandt, der zu erwartende Vertrauensverlust bei den Anlegern hebe die Effizienzvorteile des Insiderhandels weitgehend bzw. vollständig auf. Während also wettbewerbsorientierte Effizienzüberlegungen für eine Freigabe von Insiderhandel sprechen, legt der auf den Schutz der Liquidität des Marktes abzielende Fairneß-Gedanke ein umfassendes Verbot von Insiderhandel nahe. Die Funktionsfähigkeit des Marktes erfordert sowohl eine auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtete effiziente Kapitalallokation als auch einen gesunden Wettbewerb. Letzterer kann aber nur entstehen, wenn die Konkurrenten – im Sekundärmarkt sind dies die Anleger – zumindest in ihrer Ausgangsposition weitgehend gleichgestellt sind. Im modernen insiderrechtlichen Schrifttum besteht daher die Einsicht, daß die Verwertung nicht kompensierbarer Informationsvorsprünge im Anteilshandel untersagt werden muß. Andererseits soll jedoch auch keine „absolute“ Chancengleichheit der Anleger gewährleistet werden.205 Trotz des bestehenden Insiderhandelsverbots soll den Anlegern weiterhin genügend Anreiz geboten werden, durch Einsatz eigener Ressourcen Gewinne im Anteilshandel zu erzielen. Daher wird die Verwertung von Informationsvorsprüngen in der Regel nur insoweit untersagt, als dies für die Erhaltung des Anlegervertrauens unbedingt notwendig ist.206 b) Der Konflikt zwischen Effizienz und Fairneß bei der insiderrechtlichen Behandlung von Finanzanalysten Der das Insiderrecht beherrschende Konflikt zwischen Effizienz und Fairneß wirkt sich zwangsläufig auch auf die (insider-)rechtliche Beurteilung der Finanzanalysten aus. Ähnlich wie bei der Debatte über die Regulierungsbedürftigkeit von Insiderhandel stehen sich auch bei der Frage, inwieweit es den Analysten gestattet sein soll, Informationen aufzuspüren und zu Empfehlungen zu verarbeiten, Effizienz- und Fairneßerwägungen gegenüber. Im Gegensatz zur 205 Caccese, in: Claussen/Schwark, S. 125, 126; lyse und Insiderproblematik, Finanzplatz-News Nr. WM 2001, 1313, 1317. 206 Caccese, in: Claussen/Schwark, S. 125, 126; lyse und Insiderproblematik, Finanzplatz-News Nr. WM 2001, 1313, 1317.
Diehl, Spannungsfeld Aktienana20 v. November 2000; Drygala, Diehl, Spannungsfeld Aktienana20 v. November 2000; Drygala,
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2. Teil: Rechtslage aus rechtspolitischer Sicht
aktuellen Rechtslage, die das Spannungsverhältnis zwischen Finanzanalyse und Insiderrecht einseitig zugunsten der informationellen Chancengleichheit „löst“, bedarf es für die Ausgestaltung des insiderrechtlichen Rechtsrahmens der Finanzanalysten jedoch einer Kompromißlösung, die sowohl den erwähnten Effizienz- als auch den für das Insiderrecht maßgebenden Fairneßerwägungen Rechnung trägt, ohne dabei einem der beiden Leistungsmerkmale einseitig den Vorrang zu geben.207 So wie die an der Funktionsfähigkeit des Marktes ausgerichtete kapitalmarktrechtliche Rahmengesetzgebung generell um eine ausgewogene Balance zwischen Effizienz- und Fairneßkriterien bemüht sein sollte, so ist auch bei der (insider-)rechtlichen Behandlung der Finanzanalysten ein gerechter Ausgleich der sich widerstreitenden Interessen anzustreben. IV. Zusammenfassung Die rechtspolitische Betrachtung ergibt, daß im Insiderrecht ein angemessenerer Ausgleich zwischen der informationellen Chancengleichheit der Anleger einerseits und den Handlungsbefugnissen der Finanzanalysten andererseits geschaffen werden muß. Dafür spricht vor allem, daß auf den gesamtökonomisch nützlichen Beitrag der Analysten zur Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes trotz der potentiellen Gefahren, die mit der Analysetätigkeit verbunden sind, nicht verzichtet werden sollte. Dieser Befund entspricht der Gesamtkonzeption des Kapitalmarktrechts. Aus Sicht des Gesetzgebers besteht seit längerem die Einsicht, daß sich das übergeordnete kapitalmarktrechtliche Regelungsziel – die Schaffung eines funktionsfähigen Marktes – nicht allein durch solche gesetzliche Maßnahmen erreichen läßt, die dem Schutz der Integrität des Marktes dienen. Zwar hängt das Engagement der Anleger in besonderem Maße von der Integrität des Marktes und damit letztlich von der „Fairneß“ des Marktablaufs ab. Doch spielen weitere Faktoren für die Funktionsfähigkeit des Marktes sowie für das Marktengagement der Anleger eine wichtige Rolle. Dazu zählt insbesondere die Informationseffizienz des Marktes. Nur auf einem weitgehend informationseffizienten Markt sind die Anleger vor Investitionsrisiken geschützt, die über das allgemeine Marktrisiko hinausgehen. Deshalb fördert die Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes indirekt auch das Anlegervertrauen. Das Insiderrecht in seiner jetzigen Fassung vernachlässigt jedoch diese rechtspolitische Einsicht. Die §§ 12–14, 38 WpHG betonen zu sehr den Schutz der Markt-Fairneß, was wiederum zu Lasten der Markt-Effizienz geht. Relevant wird dieser Wertungswiderspruch für die Rechtsposition der Finanzanalysten. Obwohl sie durch ihre egoistisch-motivierte Tätigkeit in erheblicher Weise zur Verbesserung der Informationseffizienz des Marktes beitragen, wer207 Vgl. auch Caccese, in: Claussen/Schwark, S. 125, 126: „It is thus critical to strike a balance between effective insider trading regulation and allowing analysts to perform their function by bringing information to the market place.
E. Für und wider der angeführten Argumente
235
den sie vom Insiderrecht in keiner Weise besonders berücksichtigt. Im Gegenteil, die Handlungsverbote des Insiderrechts hindern die Berufsgruppe der Informationsintermediäre mehr als andere Marktteilnehmer an der Ausübung ihrer Tätigkeit und nehmen ihnen zugleich jeglichen Handlungsanreiz.
Dritter Teil
Beurteilung der Rechtslage aus rechtsvergleichender Sicht Einführung Aus rechtspolitischer Sicht hat das deutsch/europäische Insiderrecht das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Finanzanalyse nicht optimal gelöst. Im folgenden soll daher der Blick auf das US-amerikanische Recht gerichtet werden. Im Wege eines Rechtsvergleichs kann ermittelt werden, ob der insiderrechtliche Rechtsrahmen für Analysten jenseits des Atlantiks besser ausgestaltet ist als im WpHG. Ein Vergleich mit dem US-amerikanischen Recht drängt sich vor allem deswegen auf, weil die Finanzanalysten in den USA bereits seit Jahrzehnten als nützliche Informationsmultiplikatoren anerkannt sind und zugleich deutlich stärker in den Kommunikationsprozeß zwischen Emittenten und Anlegerpublikum eingebunden sind als hierzulande. Dementsprechend dürfte in den USA ein erhöhter Regelungsbedarf hinsichtlich der Informationsverwertungsbefugnisse der Analysten bestehen. Dies verleitet zu der Annahme, das US-amerikanische Insiderrecht könnte speziell für die Berufsgruppe der Finanzanalysten eine Regelung getroffen haben, die einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz der informationellen Chancengleichheit und den Bedürfnissen der Finanzanalysten schafft. I. Funktion und Ziel des Rechtsvergleichs Das Ziel des Rechtsvergleichs erschöpft sich nicht darin, die insiderrechtliche Rechtslage, wie sie in den USA besteht, lediglich aufzuzeigen. Vielmehr können sich daraus Anregungen ergeben, wie das deutsche Insiderrecht modifiziert werden könnte, damit die Interessen der Finanzanalysten künftig besser berücksichtigt werden. II. Zum Gegenstand des Rechtsvergleichs Bevor auf das US-amerikanische Recht im einzelnen eingegangen wird, sind diejenigen Teile der Rechtsordnung zu skizzieren, die für das in Frage stehende Regelungsproblem relevant sein könnten. Eine solche Vorauswahl ist vor allem
3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (Einführung)
237
deshalb notwendig, weil das US-amerikanische Recht kein mit den §§ 12–14, 38 WpHG vergleichbares einheitlich kodifiziertes Insiderrecht enthält. Vielmehr finden sich in der lex scripta vier verschiedene Teilregelungen, die sich z.T punktuell i. S. eines Sondertatbestands, z. T. mittelbar i. S. einer allgemeinen Verbotsklausel mit dem Problem des Insiderhandels befassen. Im einzelnen sind das Sec. 16 des Securities Exchange Acts (1), die Rule 14e-3 (2), die Rule 10b5 (3) und die sog. „Fair Disclosure“-Regelung, bestehend aus den Rules 100– 103 (4). Nicht alle dieser Regelungen werden jedoch für die hier behandelte Problematik im gleichen Maße relevant. 1. Sec. 16 SEA Eine im weiteren Sinne zum US-amerikanischen Insiderrecht zu zählende Teilregelung stellt Sec. 16 des Securities Exchange Acts (SEA) dar. Dieser Regelungsabschnitt des US-amerikanischen Wertpapierrechts normiert eine Berichtspflicht für leitende Gesellschaftsorgane und Großaktionäre börsennotierter Unternehmen. Danach müssen diese Personen in regelmäßigen Abständen ihren aktuellen Aktienbestand gegenüber der Wertpapieraufsichtsbehörde, der Securities and Exchange Commission (SEC), offenlegen. Zugleich wird ihnen untersagt, Aktien des Unternehmens innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten zu kaufen und wieder zu verkaufen. Damit soll bereits im Vorfeld verhindert werden, daß diese Personen, die aufgrund ihrer Nähe zum Unternehmen typischerweise über Insiderinformationen verfügen, durch kurzfristige Spekulationen Wissensvorsprünge zu ihrem persönlichen Vorteil ausnutzen können. Bei Verstoß gegen dieses Verbot steht der Gesellschaft ein sog. „Gewinnabschöpfungsrecht“ zu. Ohne den Nachweis erbringen zu müssen, daß die betreffende Person durch das An- und Verkaufen der Aktien eine Insiderinformation verwertet hat, kann die Gesellschaft, vertreten durch ihre Organe, den Gewinn aus diesen Aktiengeschäften zugunsten der Gesellschaft einziehen. Sec. 16 des SEA stellt damit eine effektive Teilregelung zur Verhinderung von Insiderhandel dar. Für die vorliegend behandelte Problematik hat sie jedoch keinerlei Relevanz. Sec. 16 des SEA verbietet weder den Emittentenvertretern die Weitergabe von Insiderinformationen an außenstehende Dritte noch geht ihr Anwendungsbereich so weit, daß auch Analysten und andere Informationsintermediäre dem Handelsverbot unterfallen. Im folgenden kann Sec. 16 des SEA daher vernachlässigt werden. 2. Rule 14e-3 Als weitere Teilregelung auf dem Gebiet des Insiderrechts ist die sog. Rule 14e-3 zu nennen, die die US-amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde (SEC) zur Konkretisierung von Section 14(e) des SEA erlassen hat.1 Sec. 14(e) des
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (Einführung)
SEA normiert ein allgemeines Verbot für betrügerische Handlungen im Zusammenhang mit der Übernahme von Unternehmen über die Börse. Rule 14e-3 konkretisiert dieses Verbot insoweit, als es allen Personen, die nicht im Auftrag des Bieterunternehmens handeln, den Erwerb von Wertpapieren des Zielunternehmens im Wissen um die anstehende Unternehmensübernahme untersagt. Zugleich verbietet Rule 14e-3 allen Angehörigen und Beauftragten sowohl des Bieter- als auch des Zielunternehmens, Informationen über die anstehende Unternehmensübernahme anderen Personen vor Bekanntgabe des offiziellen Übernahmeangebots mitzuteilen. Insgesamt stellt Rule 14e-3 damit ein umfassendes Insiderhandelsverbot im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen dar. Allerdings geht der Anwendungsbereich dieser Norm nicht über diesen insiderrechtlichen Sonderfall hinaus. Die Handlungsverbote dieser Regelung haben daher keinerlei Auswirkungen auf andere Kommunikationsinhalte zwischen Emittentenvertretern und Analysten. Angesichts der Tatsache, daß Unternehmensübernahmen nur einen relativ kleinen Ausschnitt aus der Kapitalmarktkommunikation zwischen Unternehmen und Anlegerpublikum darstellen, kann Rule 14e-3 im weiteren Verlauf vernachlässigt werden. 3. Rule 10b-5 Neben Sec. 16 SEA und Rule 14e-3 ist für das US-amerikanische Insiderrecht vor allem die sog. Rule 10b-5 von Bedeutung. Diese Vorschrift wurde von der SEC auf der Grundlage von Sec. 10(b) des SEA, einer weit gefaßten anti-fraud-Regelung, erlassen und verbietet jede Art von „Betrug“ oder „Täuschung“ im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren. Obwohl diese Vorschrift die Begriffe „Insider“ oder „Insidergeschäft“ nicht ausdrücklich erwähnt, ist sie zur „Zentralnorm“ des US-amerikanischen Insiderrechts geworden. Ursprünglich war sie nur als eine Regelung zur Bekämpfung von Kapitalanlagebetrug gedacht. Um sie aber auch als allgemeine Haftungsnorm für Insiderverstöße heranziehen zu können, hat die Rechtsprechung in richterrechtlicher Rechtsfortbildung drei sog. „Haftungstheorien“ entwickelt, mit deren Hilfe es möglich ist, Insiderhandel als eine Art „Betrug durch Unterlassen“ unter den Tatbestand der Rule 10b-5 zu subsumieren. Im einzelnen handelt es sich dabei um die „equal access“-theory, die „fiduciary duty“-theory und die „misappropriation“-theory. Bemerkenswert dabei ist, daß alle drei Theorien den Grund für die betrugsähnliche Vorgehensweise des Insiders unterschiedlich 1 Die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC besitzt auf dem Gebiet des Wertpapierrechts eine weitreichende Regulierungskompetenz mit gleichsam gesetzgeberischer Funktion. Eine vergleichbare Regulierungskompetenz des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel wäre dagegen mit dem deutschen Verfassungsrecht, insbesondere mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem Bestimmtheitsgrundsatz, nicht vereinbar.
3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (Einführung)
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beurteilen. Dementsprechend kommen die Gerichte z. T. zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem welche Insider-Haftungstheorie sie im Rahmen des Verbotstatbestands der Rule 10b-5 anwenden. Mittlerweile ist eine äußerst umfangreiche und komplizierte Kasuistik zu Rule 10b-5 entstanden, die zwar nahezu jede insiderrechtlich relevante Verhaltensweise erfaßt, die jedoch ihrerseits Widersprüche aufweist. 4. Regulation FD Die vierte Regelung mit insiderrechtlichem Bezug ist die sog. „Fair Disclosure“-Regelung, bestehend aus den Rules 100–103 . Sie wurde erst kürzlich in den Code of Federal Regulation aufgenommen und steht in einem engen Zusammenhang mit Rule 10b-5 und der zu ihr entwickelten Kasuistik. Die Regulation FD besteht hauptsächlich aus einer Verpflichtung der Emittenten, unternehmenseigene kursrelevante Tatsachen zu veröffentlichen. Anders als die Adhoc-Publizitätspflicht nach deutschem Recht wird diese Veröffentlichungspflicht jedoch nicht automatisch mit Entstehen einer kursrelevanten Tatsache ausgelöst. Vielmehr hat die SEC die Veröffentlichungspflicht an das tatsächliche Kommunikationsverhalten des jeweiligen Emittenten geknüpft. Nur wenn der Emittent sich dazu entschließt, eine unternehmensinterne kursrelevante Information an außenstehende Dritte weiterzugeben, besteht für ihn die Pflicht, dies in einer Art zu tun, die eine möglichst weite Verbreitung im Anlegerpublikum sicherstellt. Regulation FD wurde in erster Linie geschaffen, um die Kommunikationsbeziehungen von Emittentenvertretern und Analysten auf eine klarere Rechtsgrundlage zu stellen. Daher nimmt diese Regelung im folgenden Rechtsvergleich einen besonderen Stellenwert ein. Allerdings läßt sich der Regelungszweck der Regulation FD nicht ohne einen vorherigen Blick auf die genauen Verbotsaussagen der Rule 10b-5 verstehen. III. Zum Verlauf des Rechtsvergleichs Im Zentrum des Rechtsvergleichs haben danach die von der Rechtsprechung auf der Grundlage von Rule 10b-5 entwickelten insiderrechtlichen Prinzipien zu stehen. Dabei geht es vor allem darum, wie sich das Insiderrecht und der mit ihm vermittelte Schutz der informationellen Chancengleichheit auf die Arbeitsbedingungen der Finanzanalysten auswirken. In einer Gesamtbetrachtung ist der rechtliche Freiraum zu bestimmen, der den Analysten bei kumulativer Anwendung der verschiedenen Handlungsverbote, die aufgrund von Rule 10b-5 entwickelt wurden, übrig bleibt. Der zweite Abschnitt des Rechtsvergleichs geht auf die „Fair Disclosure“-Regelung ein. Untersucht wird, welche Auswirkungen diese Regelung auf das von der Rechtsprechung entwickelte System insiderrechtlicher Handlungsverbote be-
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (1. Abschn.)
sitzt. Dabei steht die Rechtsposition der Finanzanalysten im Vordergrund. Zudem wird erörtert, ob diese Regelung aufgrund ihrer umfassenden Konzeption eine ähnliche lähmende Wirkung („chilling effect“) auf die Informationspolitik der Unternehmen haben kann wie das insiderrechtliche Weitergabeverbot im deutschen Insiderrecht. Abschließend werden die wesentlichen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Insiderrecht noch einmal zusammengefaßt. Erster Abschnitt
Insiderhandel als Wertpapier-Betrug i. S. von Rule 10b-5 A. Der Tatbestand von Rule 10b-5 Wie aus dem Wortlaut hervorgeht2, ist Rule 10b-5 keine Vorschrift, die speziell zur Regulierung von Insiderhandel geschaffen wurde. Die Regelung verwendet weder den Begriff „Insider“ noch definiert sie, was unter „Insiderhandel“ zu verstehen ist. Hinzu kommt, daß die Norm ursprünglich nur solche betrügerischen Wertpapiergeschäfte erfassen sollte, die außerbörslich, d.h. unmittelbar zwischen den Vertragsparteien, geschlossen werden.3 Mangels anderweitiger Rechtsgrundlagen hat jedoch die SEC – in Abstimmung mit der Rechtsprechung – den Anwendungsbereich dieser Verbotsnorm auch auf Insidergeschäfte im anonymen Wertpapierhandel ausgedehnt. Dazu waren einige konzeptionelle Schwierigkeiten zu überwinden. I. Insiderhandel als „Betrug durch Unterlassen“ Um Rule 10b-5 auch auf Insiderfälle anwenden zu können, mußte Insiderhandel zunächst als ein Anwendungsfall des Wertpapier-Betrugs (fraud) qualifiziert werden. Dies erreicht die SEC dadurch, daß sie Insiderhandel als eine Art 2 „It shall be unlawful for any person, directly or indirectly, by the use of any means or instrumentality of interstate commerce, or of the mails or of any facility of any national securities exchange, a) to employ any device, scheme, or artifice to defraud, b) to make any untrue statement of a material fact or to omit to state a material fact necessary in order to make the statements made, in the light of the circumstances under which they were made, not misleading, or c) to engage in any act, practice, or course of business which operates or would operate as a fraud or deceit upon any person, in connection with the purchase or sale of any security.“ 3 Vgl. dazu Freeman, 22 (1967) Business Lawyer, S. 793, 922. Milton Freeman hatte an der Entstehung von Rule 10b-5 maßgeblich mitgewirkt.
A. Der Tatbestand von Rule 10b-5
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„Betrug durch Unterlassen“ auslegt. Ähnlich wie der sog. „Eingehungsbetrüger“, der seinem Gegenüber bei Vertragsschluß eine entscheidungserhebliche Tatsache pflichtwidrig verschweigt, tätige auch der Insider sein Wertpapiergeschäft in dem Wissen darüber, daß sein Handelspartner die Transaktion wohl nicht vorgenommen hätte, wenn dieser Kenntnis von der Insiderinformation gehabt hätte.4 Daher könne Insiderhandel zumindest dann unproblematisch als ein Fall des Wertpapier-Betrugs qualifiziert werden, wenn das entsprechende Wertpapiergeschäft außerbörslich geschlossen wird. Denn stehen sich die Handelspartner von Angesicht zu Angesicht („face to face“) gegenüber, besteht für den Insider die Möglichkeit, seinen Handelspartner über die ihm bekannte Insiderinformation aufzuklären. Verschweigt er stattdessen seinen Wissensvorsprung, so ist nach Auffassung der SEC darin eine „Täuschungshandlung“ i. S. des Betrugstatbestands zu sehen.5 Der Handelspartner erliegt dabei insofern einem Irrtum, als er den „wahren“ Wert der Wertpapiere mangels Kenntnis von der Insiderinformation falsch einschätzt. Wenn aber ein Insidergeschäft, das im außerbörslichen Handel geschlossen wird, als Betrug i. S. von Rule 10b-5 angesehen werden könne, dürfe – normativ gesehen – für die rechtliche Beurteilung eines im börslichen Handel geschlossenen Insidergeschäfts nichts anderes gelten. Denn obwohl im börslichen Anteilshandel der persönliche Kontakt zum jeweiligen Handelspartner und damit auch die Möglichkeit zur individuellen Aufklärung entfallen, ändere sich an der Grundsituation eines betrügerischen Verhaltens des Insiders nichts. Aus diesen Überlegungen heraus hat sich die SEC dazu entschlossen, die im Rahmen der allgemeinen Betrugsrechtsprechung entwickelte „disclose or abstain“-Formel auch auf den börslichen Insiderhandel anzuwenden. Danach begeht derjenige, der Wertpapiere in dem Wissen um ein bevorstehendes kursrelevantes Ereignis an der Börse kauft bzw. verkauft, einen Betrug zu Lasten des Anlegerpublikums, wenn er die betreffende Information nicht vor Abschluß der Transaktion allgemein veröffentlicht hat. Die „disclose or abstain“-Formel läßt dem Insider jedoch die Wahl. Der Insider ist nicht in jedem Fall verpflichtet, seinen Wissensvorsprung gegenüber dem gesamten Anlegerpublikum offenzulegen. Er muß dies nur tun, wenn er sich auf Grundlage der Information am Wertpapierhandel beteiligen will. Verzichtet er darauf, seinen Wissensvorsprung im Anteilshandel verwerten zu wollen, indem er von dem geplanten Geschäft vollends Abstand nimmt, ist er auch nicht zur Offenlegung seiner Insiderkenntnis verpflichtet. Langevoort weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, daß der Insider in den meisten Fällen mit dieser Handlungsvariante Vorlieb neh4 Erstmals von der SEC so gesehen in dem Fall In re Cady, Roberts & Co., 40 (1961) S.E.C., S. 907 ff. 5 Vgl dazu die Entscheidungen Ward LaFrance Truck Corp., 13 (1943) S.E.C., S. 373; Kordon v. National Gypsum Co., 73 (1947) F. Supp., S. 798; siehe auch K.-P. Weber, S. 49.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (1. Abschn.)
men muß, weil er in der Regel nicht über das Recht verfügen wird, ohne Absprache mit dem betreffenden Emittenten die kursrelevante Information zu veröffentlichen.6 Daher läuft die „disclose or abstain“-Formel im Rahmen der Rule 10b-5 auf ein reines Handelsverbot für Insider hinaus. II. Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage Die von der SEC entwickelte Betrugskonstruktion bedurfte jedoch noch einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Denn auch nach US-amerikanischen Recht kann bloßes Schweigen nur dann als eine „Täuschung durch Unterlassen“ angesehen werden, wenn zugleich eine Verpflichtung zur Aufklärung besteht.7 Das Vorgehen des Insiders stellt also nicht per se eine betrügerische Täuschungshandlung i. S. von Rule 10b-5 dar. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn der Insider im Einzelfall aufgrund einer besonderen Rechtsbeziehung dazu verpflichtet ist, sein Sonderwissen offenzulegen. Eine derartige Verpflichtung läßt sich jedoch im Fall des Insiders nicht ohne weiteres begründen. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß der Insider seine Geschäfte über den anonymen Börsenhandel abwickelt. Denn im börslichen Handel besteht zwischen dem Insider und seinem Transaktionspartner grundsätzlich keinerlei persönlicher Kontakt. Doch auch für den Fall, daß der Insider seine Geschäfte außerbörslich, d.h. im direkten Kontakt mit seinen Handelspartner schließt, ist die Herleitung einer entsprechenden Aufklärungspflicht des Insiders schwierig. Denn im Common Law gilt uneingeschränkt der caveat emptor-Grundsatz. Danach ist der Verkäufer nicht verpflichtet, den Käufer über entscheidungserhebliche Umstände aufzuklären. Der Kaufvertrag läßt sich somit – anders als im deutschen Recht – grundsätzlich nicht als Rechtsgrundlage für eine entsprechende Aufklärungspflicht der Vertragsparteien heranziehen.8 Die SEC ist anfangs stillschweigend über diese konzeptionelle Hürde hinweggegangen. So hatte sie in dem Fall Cady, Roberts & Co.9 einen Mitarbeiter eines börsennotierten Unternehmens auf der Grundlage von Rule 10b-5 wegen Insiderhandels haftbar gemacht, ohne entsprechend begründet zu haben, weswegen der Unternehmensinsider eigentlich zur Offenlegung der Tatsache verpflich6
Langevoort, Insider Trading, § 1.03[1][a], S. 1–18. Dies ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Common Law zur Rechtsfigur des deceit (unerlaubte Handlung in der Form des Betrugs). Bereits in diesem allgemeinen Zusammenhang ist umstritten, inwieweit eine Täuschungshandlung auch durch bloßes Schweigen begangen werden kann. Vgl. dazu Krauel, S. 61 f. und K.-P. Weber, S. 46 f. 8 Nach Common Law sind Verkäufer und Käufer zur gegenseitigen Aufklärung über entscheidungserhebliche Umstände vielmehr nur dann verpflichtet, wenn im Einzelfall eine besondere Treuebeziehung zwischen den Vertragsparteien besteht. 9 In re Cady, Roberts & Co., 40 S.E.C., S. 907 ff. (1961). 7
A. Der Tatbestand von Rule 10b-5
243
tet war. Ihrer Auffassung nach war das Verhalten des Unternehmensmitarbeiters schon allein aufgrund seiner „spezifischen Ungerechtigkeit“ als ein Betrug zu Lasten des Anlegerpublikums anzusehen. Die unterinstanzliche Rechtsprechung ist der Rechtsauffassung der SEC zunächst gefolgt. So hatte das einflußreiche Berufungsgericht des zweiten Bezirks in dem Fall SEC v. Texas Gulf Sulphur Co10. den von der SEC entwickelten Gedanken der „spezifischen Ungerechtigkeit“ aufgegriffen und ebenfalls zur Begründung einer Insiderhaftung gem. Rule 10b-5 herangezogen. In seiner Urteilsbegründung hatte das Gericht ausgeführt, Rule 10b-5 schütze das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Integrität des Marktes. Jeder Marktteilnehmer dürfe erwarten, daß ihn niemand aufgrund eines privilegierten Informationszugangs übervorteile.11 Das betrügerische Element von Insiderhandel wurde also bereits in dem Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit gesehen. Dementsprechend wurden diese ersten Entscheidungen auf der Grundlage von Rule 10b-5 unter der Bezeichnung „equal acces“-theory zusammengefaßt. Diese Rechtsansicht hielt jedoch dem Urteil des Supreme Court nicht stand. In dem Fall Chiarella v. United States12 hatte das höchste amerikanische Gericht darüber zu entscheiden, ob ein Zeitungsdrucker, der aufgrund seiner Tätigkeit vorab von einer kurserheblichen Information erfährt, sich wegen Verstoßes gegen Rule 10b-5 strafbar macht, wenn er die Information noch vor ihrer Veröffentlichung stillschweigend im Anteilshandel verwertet. Die Vorinstanz hatte eine Haftung des Zeitungsdruckers in Übereinstimmung mit den Leitsätzen der Texas Gulf Sulphur-Entscheidung bejaht.13 Wegen seiner Kenntnis von der Insiderinformation habe ein „unfaires Informationsgefälle“ zwischen ihm und seinem (anonymen) Handelspartner bestanden. Schon allein aus „Fairneß“-Gründen sei der Zeitungsdrucker daher verpflichtet gewesen, seinen Transaktionspartner vor Abschluß des Geschäfts entsprechend aufzuklären. Dagegen hatte der Supreme Court eingewandt, nicht jedes „unfaire“ Verhalten im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren könne als ein Betrug i. S. von Rule 10b-5 angesehen werden. Zudem lasse sich mit bloßen „FairneßErwägungen“ keine Verpflichtung des Insiders i. S. der „disclose or abstain“Formel begründen. Die Dogmatik des Common Law verlange für das Bestehen einer Rechtspflicht i. S. der „disclose or abstain“-Formel vielmehr eine besondere Rechtsbeziehung zwischen den Parteien. Dies könne jedoch entweder nur 10
SEC v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F. 2d, S. 833 ff. SEC v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F. 2d, S. 833, 848: „. . ., the Rule is based in policy on the justifiable expectation of the securities marketplace that all investors trading on impersonal exchanges shall have relatively equal access to material information.“ 12 Chiarella v. United States, 445 (1980) U.S., S. 222 ff. 13 Vgl. die Entscheidung des court of appeals for the second circuit, 588 (1978) F. 2d, S. 1358 ff. 11
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (1. Abschn.)
ein besonderes Vertrauensverhältnis oder eine aktienrechtliche Treuebindung sein.14 Seit der Entscheidung des Supreme Court in dem Fall Chiarella v. United States setzt die Haftung des Insiders gem. Rule 10b-5 damit stets voraus, daß der Insider aufgrund einer besonderen Rechtsbeziehung zur Offenlegung seines Sonderwissens verpflichtet ist. Die Rechtsprechung hat im Anschluß daran zwei unterschiedliche Begründungsansätze entwickelt, mit deren Hilfe sich eine besondere Pflichtenbeziehung des Insiders herstellen läßt. Dabei handelt es sich zum einen um die sog. „fiduciary duty“-theory und zum anderen um die sog. „misappropriation“-theory. Während die „fiduciary duty“-theory eine besondere Pflichtenbeziehung des Insiders dadurch begründet, daß sie den Anwendungsbereich gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten ausdehnt, konstruiert die „misappropriation“-theory eine besondere Pflichtenbindung des Insiders zur Informationsquelle. Die beiden Haftungstheorien unterscheiden sich allerdings nicht nur hinsichtlich ihres Begründungsansatzes sondern auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Umfang des Insiderverbots. Während die „fiduciary duty“theory in erster Line nur Gesellschaftsorgane und andere Unternehmensangehörige erfaßt, unterliegen nach der „misappropriation“-theory diejenigen Marktteilnehmer einer besonderen Pflichtenbindung, die in einem besonderen Vertrauensverhältnis zur Informationsquelle stehen. Je nachdem welche der beiden Theorien dem Tatbestand der Rule 10b-5 zugrunde gelegt wird, kann es also zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das hat auch Auswirkungen auf den insiderrechtlichen Rechtsrahmen der Finanzanalysten.
B. Die sogenannte „fiduciary duty“-theory Die nach dieser Theorie erforderliche15, besondere Rechtsbeziehung ist nach der Auffassung des Gerichts vor allem dann anzunehmen, wenn die Parteien in einem speziellen Vertrauens- bzw. Treueverhältnis zueinander stehen. Damit hat der Supreme Court bereits die Richtung für die Entwicklung der sog. „fiduciary duty“-theory vorgegeben. Diese wird aus der organschaftlichen bzw. aktionärsrechtlichen Stellung des Insiders zu seinen potentiellen Handelspartnern im börslichen Anteilshandel abgeleitet. 14 Im Fall des Zeitungsdruckers hat der Supreme Court eine derartige Rechtsbeziehung jedoch nicht erkennen können. Der Zeitungsdrucker habe im Zeitpunkt der Informationsverwertung weder in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum betroffenen Emittenten gestanden, noch war er mit den Aktionären der Gesellschaft durch eine aktienrechtliche Treuebindung verbunden gewesen. 15 In allen anderen Fällen könne Insiderhandel nicht als Betrug i. S. von Rule 10b-5 gewertet werden, weil der Insider mangels besonderer Pflichtenbeziehung nicht pflichtwidrig handelt, wenn er es unterläßt, seine Transaktionspartner bzw. das Anlegerpublikum über seine Insiderkenntnis aufzuklären.
B. Die sogenannte „fiduciary duty‘‘-theory
245
I. Die Treuepflichten des „klassischen Unternehmensinsiders“ Die „fiduciary duty“-theory geht vom Bild des „klassischen Unternehmensinsiders“ aus. Danach haben typischerweise nur Vorstandsmitglieder, andere leitende Angestellte des Unternehmens und Großaktionäre Kenntnis von kursrelevanten Unternehmensinterna. Diese Personen stehen zugleich in einem organschaftlichen bzw. aktionärsrechtlichen Treueverhältnis zur Gesellschaft selbst. Sie sind aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen dazu verpflichtet, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben primär im Interesse der Gesellschaft zu handeln. Diese dem klassischen Unternehmensinsider obliegende Treueverpflichtung bezieht sich nach Auffassung des Supreme Court jedoch nicht nur auf die Gesellschaft selbst, sondern auch auf die hinter der Gesellschaft stehenden Aktionäre. Dies bedeutet, daß der Unternehmensinsider grundsätzlich auch im Verhältnis zu seinen Mitaktionären seine persönlichen Interessen hinter die Interessen der Gesellschaft zurückstellen muß. Wird ein „klassischer“ Unternehmensinsider am Wertpapiermarkt tätig, so muß er demnach darauf achten, daß er mit seinem Handeln weder die Interessen der Gesellschaft noch die seiner Mitaktionäre verletzt. Aufgrund der besonderen Rechtsbeziehung zu seinen Mitaktionären ist es dem Unternehmensinsider daher untersagt, geheime und zugleich kursrelevante Informationen, die aus der Sphäre der eigenen Gesellschaft stammen, zu seinem persönlichen Vorteil im Anteilshandel zu verwerten. Vielmehr ist er aufgrund seiner Treuebindung zur Gesellschaft dazu angehalten, die übrigen Aktionäre seiner Gesellschaft ebenfalls an der Gewinnentwicklung der Wertpapiere teilhaben zu lassen. Nach Auffassung des Supreme Court steht der Wert, den eine unternehmensinterne Insiderinformation vor ihrer allgemeinen Veröffentlichung verkörpert, allen Aktionären der Gesellschaft gemeinschaftlich zu.
II. Ausweitung der treuerechtlichen Pflichtenbindung auf sogenannte „temporary insiders“ Der vom Supreme Court in der Entscheidung Chiarella v. United States aufgestellte Grundsatz, wonach ein Insiderverstoß gegen Rule 10b-5 stets eine besondere Offenlegungspflicht des Insiders voraussetzt, hat zu einer deutlichen Einschränkung des personellen Anwendungsbereichs des Insiderverbots geführt. Während nach der ursprünglichen Rechtsauffassung der SEC jeder Marktteilnehmer, der Kenntnis von einer Insidertatsache hat, automatisch dem Verbotstatbestand von Rule 10b-5 unterfiel, werden auf der Grundlage der „fiduciary duty“-theory nur noch „klassische“ Unternehmensinsider, wie etwa Vorstandsmitglieder und Großaktionäre, erfaßt. Dagegen ist eine Haftung auf der Grundlage der „fiduciary duty“-theory grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der betreffende Insider nicht unmittelbar der Sphäre des Emittenten zugeordnet werden kann. Denn mangels aktionärsrechtlicher oder organschaftlicher Bindung gegen-
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (1. Abschn.)
über der Gesellschaft ist die betreffende Person nicht dazu verpflichtet, ihren Wissensvorsprung mit den übrigen Aktionären der Gesellschaft zu teilen. Dies hat in der Praxis zu großem Unmut über die einseitige Verteilung insiderrechtlicher Verhaltenspflichten geführt. Um allzu große Strafbarkeitslücken zu vermeiden, hat die Rechtsprechung den Adressatenkreis der sog. fiduciary duty daher nach und nach auch auf unternehmensexterne Personengruppen ausgedehnt. Neben den „klassischen“ Unternehmensinsidern sollen danach vor allem die sog. „temporary insiders“ einer Treueverpflichtung gegenüber der Gesellschaft und damit auch gegenüber den Aktionären der Gesellschaft unterliegen. Zu den sog. „temporary insiders“ zählen u. a. Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien und Investmentbanker. Diese Personen werden von der Gesellschaft beauftragt, sie in wichtigen strategischen Fragen zu beraten. Zu diesem Zweck gewährt die Gesellschaft ihnen in der Regel auch Einsicht in geheime Unternehmensinterna. Dadurch entsteht potentiell die Gefahr eines Insidermißbrauchs. Um dieser Gefahr angemessen begegnen zu können, sind nach Auffassung der Rechtsprechung auch diese unternehmensexternen Personen für die Zeit ihres Auftrages als Treuhänder (fiduciaries) der Gesellschaft anzusehen und unterliegen damit ebenfalls dem Insiderverbot gem. Rule 10b-5. Im einzelnen setzt dies jedoch voraus, daß der unternehmensexterne Berater in einem besonderen Vertrauensverhältnis zur Gesellschaft steht, aufgrund dessen er zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Dafür muß der zwischen der Gesellschaft und dem externen Berater geschlossene Geschäftsbesorgungsvertrag eine entsprechende Verschwiegenheitsklausel enthalten. Weiterhin verlangt die Rechtsprechung, daß dem jeweiligen Berater die betreffende Insiderinformation zur Erfüllung seiner Aufgaben übermittelt wurde. Liegen diese beiden Voraussetzungen vor, so ist der „temporary insider“ auf der Grundlage der „fiduciary duty“theory insiderrechtlich genauso zu behandeln wie der „klassische“ Unternehmensinsider. III. Übertragung der treuerechtlichen Pflichtenbindung auf sogenannte „tippees“ In der Entscheidung Dirks v. SEC16 hat der Supreme Court die „fiduciary duty“-theory schließlich auch auf sog. „tippees“ (Tipempfänger) ausgedehnt. Anders als bei den sog. „temporary insiders“ sah sich das Gericht jedoch nicht in der Lage, für diesen Personenkreis eine originäre Treueverpflichtung gegenüber der Gesellschaft zu begründen. Tipempfänger hätten in der Regel keinerlei Bezug zum jeweiligen Emittenten, auf den sich die betreffende Insiderinformation bezieht. Sie verbinde weder ein Auftragsverhältnis noch ein anderes Vertrauensverhältnis mit der Gesellschaft. Daher wäre es dogmatisch verfehlt, die16
463 (1983) U.S., S. 646 ff.
B. Die sogenannte „fiduciary duty‘‘-theory
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sen Personenkreis unmittelbar in den Anwendungsbereich gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten mit einzubeziehen. Um aber dennoch zu einer Haftbarkeit von Tipempfängern zu gelangen, hat das Gericht die Konstruktion der sog. „derivative fiduciary duty“ (abgeleitete Treuepflicht) entwickelt. Danach kann im Einzelfall die dem Unternehmensinsider obliegende Treueverpflichtung unter bestimmten Umständen auf den Tipempfänger „übergehen“, mit der Folge, daß auch dieser einen Betrug zu Lasten des Marktes begeht, wenn er die ihm übermittelte Insiderinformation stillschweigend im Anteilshandel verwertet. Eine solche Verlagerung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht auf den Tipempfänger setzt jedoch nach Auffassung des Supreme Court zugleich ein treuwidriges Verhalten des Unternehmensinsiders voraus. Nur wenn der Unternehmensinsider durch Weitergabe der Insiderinformation bereits seinerseits einen Treueverstoß begeht, soll danach auch der Informationsempfänger den insiderrechtlichen Handlungsverboten unterliegen. Der Unternehmensinsider handelt jedoch nicht stets treuwidrig, wenn er Insiderinformationen an Außenstehende weitergibt. Vielmehr ist dies nach Auffassung des Gerichts nur dann der Fall, wenn er sich im Gegenzug für die Informationsübermittlung an den Tipempfänger einen irgendwie gearteten persönlichen Vorteil verschaffen will. Des weiteren muß der Tipempfänger im Zeitpunkt der Informationsübermittlung Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis von der Treuwidrigkeit des Tipgebers haben. Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, geht die Treuepflicht auf den Tipempfänger über. Im Ergebnis koppelt das US-amerikanische Insiderrecht damit die Haftung des Tipempfängers an ein Fehlverhalten des Tipgebers. Die Haftung des Tipempfängers ist quasi akzessorisch zur Haftung des Tipgebers. Hinter dieser von der Rechtsprechung zusätzlich geschaffenen Haftungsvoraussetzung für Tipempfänger steht die Überlegung, daß ein Insiderverbot für außenstehende Dritte in erster Linie dem Zweck dient, Unternehmensinsider an der Umgehung ihrer Verhaltenspflichten zu hindern.17 Denn wären Tipempfänger grundsätzlich vom Insiderverbot freigestellt, so wäre die Gefahr groß, daß Unternehmensinsider sich eines Dritten zur Durchführung ihrer Insidergeschäfte bedienen würden. Um diese Möglichkeit auszuschließen, müsse ein Tipempfänger jedenfalls dann insiderrechtlich haftbar gemacht werden können, wenn er kollusiv mit einem Unternehmensinsider zusammenarbeitet. Kollusives Zusammenarbeiten setzt jedoch – entsprechend den vom Supreme Court aufgestellten Haftungskriterien – voraus, daß beide Parteien, d.h. Tipgeber und -nehmer, ein17 Vgl. Dirks v. SEC, 463 (1983) U.S., S. 646, 659: „Not only are insiders forbidden by their fiduciary relationship from personally using undisclosed corporate information to their advantage, but they also may not give such information to an outsider for the same improper purpose of exploiting the information for their personal gain. Similarly, the transactions of those who knowingly participate with the fiduciary in such a breach are „as forbidden“ as transactions „of the trustee himself“.
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vernehmlich einen Gesetzes- bzw. Treuepflichtverstoß begehen. In allen anderen Fällen sei dagegen eine Haftung des Tipempfängers zur Erhaltung der Integrität des Marktes nicht zwingend erforderlich. Vielmehr könne ein zu weitgehendes Insiderverbot sich nachteilig auf das Kapitalmarktgeschehen auswirken. IV. Bedeutung der „fiduciary duty“-theory für Finanzanalysten Das auf der Grundlage der „fiduciary duty“-theory entwickelte US-amerikanische Insiderverbot nimmt im Gegensatz zum deutschen Insiderrecht nur wenig Einfluß auf die Berufsausübung der Finanzanalysten. Denn bei genauer Interpretation der von der Rechtsprechung aufgestellten Haftungskriterien zeigt sich, daß weder die Weitergabe von Insiderinformationen an Finanzanalysten noch die anschließende Informationsverwertung durch Finanzanalysten als Täuschungshandlung dem Betrugstatbestand von Rule 10b-5 unterfällt. 1. Keine Informationsschranke zu Lasten des Emittentenvertreters Zwar ist der Emittentenvertreter, der sich im persönlichen Gespräch den Fragen der Finanzanalysten stellt, aufgrund seiner organschaftlichen Treuebindung grundsätzlich dazu verpflichtet, seine Antworten am Interesse der Gesellschaft auszurichten. Diese Verpflichtung hindert ihn jedoch nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht daran, auch Insiderinformationen an Finanzanalysten weiterzugeben.18 Denn einen Verstoß gegen seine Treuepflicht begeht der Emittentenvertreter – entsprechend den vom Supreme Court aufgestellten Grundsätzen – nur dann, wenn er sich durch die Informationsmitteilung zugleich einen persönlichen Vorteil verschaffen will.19 Im Rahmen seiner „investor relations“-Tätigkeit handelt der Emittentenvertreter in der Regel jedoch ausschließlich im Interesse der Gesellschaft. Er ist in dem Gespräch mit den Analysten darum bemüht, die Gesellschaft in einem möglichst guten Licht darzustellen. Dagegen erlangt er durch sein bereitwilliges Auskunftsverhalten weder unmittelbar noch mittelbar einen persönlichen Sondervorteil.20
18 Vgl. zur Rechtsprechung: State Teachers Retirement Bd. v. Fluor Corp., 576 F. Supp., S. 1116, 1121 (S.D.N.Y. 1983); siehe in der Literatur: Loss/Seligmann, Securities Regulation, Volume 8, S. 3610; Bloomenthal/Wolff, Securities and Federal Corporate Law, § 19:18; Brown, The Regulation of Corporate Disclosure, § 8.02 (4). 19 Dieser Grundsatz wurde in der Entscheidung Dirks v. SEC, 463 (1984) U.S., S. 646, 662, entwickelt. 20 Langevoort, Insider Trading, § 11.02, S. 11–3.
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2. Kein Verwertungsverbot zu Lasten der Analysten Mangels Treueverstoß des Emittentenvertreters entsteht aber auch für den Finanzanalysten als sog. „tippee“ (Tipempfänger) keine besondere Pflichtenbindung, wenn er im Gespräch mit dem Emittentenvertreter eine Insiderinformation mitgeteilt bekommt. Die dem Emittentenvertreter obliegende Treuebindung geht vielmehr nur dann auf ihn über, wenn der Analyst seinem Informanten im Gegenzug einen persönlichen Vorteil zukommen lassen würde. Dies ist jedoch in der Regel nicht der Fall. Es besteht daher keine sog. „abgeleitete“ Treuepflicht für den Finanzanalysten, die ihn seinerseits daran hindern könnte, die erlangten Informationen an seine Kunden bzw. Auftraggeber weiterzugeben. Weil die insiderrechtliche Pflichtenbindung nach den Grundsätzen der „fiduciary duty“-theory nur vom jeweiligen Tipgeber abgleitet werden kann, besteht zudem auch kein insiderrechtliches Verwertungsverbot für die Informationsadressaten der Finanzanalysten. Die betreffenden Insiderinformationen sind vielmehr zur freien Verwertung in den Umlauf gekommen. Die Chancenvorteile, die die unmittelbaren Informationsadressaten der Finanzanalysten gegenüber dem restlichen Anlegerpublikum im Anteilshandel dadurch erlangen, werden zumindest auf Grundlage der „fiduciary duty“-theory vom Gesetz bzw. von der Rechtsprechung toleriert. V. Bewertung Auf den ersten Blick mag diese auf der Grundlage der „fiduciary duty“theory entstandene Rechtslage für Finanzanalysten überraschen. Immerhin ist die Berufsgruppe der Informationsintermediäre danach vollends von einer Haftung i. S. von Rule 10b-5 befreit. Dieses Ergebnis ist durchaus von der Rechtsprechung so gewollt gewesen. Die zusätzlichen Haftungsvoraussetzungen für Tipempfänger wurden vom Supreme Court gerade im Hinblick auf die besondere Intermediärstellung der Finanzanalysten entwickelt. In dem Fall Dirks v. SEC ging es um einen Finanzanalysten, der von einem ehemaligen Mitarbeiter einer börsennotierten Gesellschaft darüber informiert wurde, daß die Bilanzen des betreffenden Unternehmens in nicht unerheblichem Maße gefälscht waren. Die SEC warf dem Analysten vor, er habe „treuwidrig“ gehandelt, als er diese Information exklusiv an seine Kunden, einige Großinvestoren, weitergab. Dem widersprach jedoch der Supreme Court. Dem betreffenden Analysten könne schon deswegen kein Vorwurf gemacht werden, weil weder er noch sein Informant sich persönlich an den übermittelten Informationen bereichern wollte. Handelt ein Informant allein in der Absicht, Mißstände innerhalb des Unternehmens aufzudecken, ohne sich zugleich dadurch einen persönlichen Vorteil verschaffen zu wollen, so sei darin kein Treuepflichtverstoß gegenüber den Aktionären der Gesellschaft zu entdecken. Ebenso wenig könne sich daraus eine derivative Verantwortung des Finanzanalysten als Tipempfänger ergeben. Die in
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (1. Abschn.)
dem Fall Dirks v. SEC vom Supreme Court aufgestellten Haftungsgrundsätze werden daher überwiegend als eine „safe harbour“-Regelung zugunsten der Analysten verstanden.21 Das Kriterium des „persönlichen Vorteils“ sei in Fällen selektiver Informationspolitik gegenüber Finanzanalysten praktisch nie erfüllt. Denn der betreffende Emittentenvertreter handle allenfalls zum Vorteil seiner Gesellschaft. Als Grund für die insiderrechtliche Privilegierung wird überwiegend der gesamtökonomisch nützliche Beitrag angesehen, den die Informationsintermediäre mit ihrer Arbeit leisten. So betont der Supreme Court in seiner Urteilsbegründung, daß ein zu weitgehendes Insiderverbot sich lähmend auf den Beitrag der Finanzanalysten zur Gewährleistung eines informationseffizienten und damit funktionstüchtigen Marktes auswirken würde.22 Das Insiderverbot müsse vielmehr darauf Rücksicht nehmen, daß der für die Funktionsfähigkeit des Marktes so wichtige Kommunikationsprozeß zwischen Emittenten und Finanzanalysten nicht immer unter Einbeziehung aller gegenwärtigen und künftigen Aktionäre der betreffenden Gesellschaft erfolgen könne.
C. Die sogenannte „misappropriation“-theory Die „fiduciary duty“-theory ist jedoch nicht die einzige Rechtskonstruktion, die die SEC in Abstimmung mit den US-amerikanischen Gerichten zur Begründung einer Insider-Haftung gem. Rule 10b-5 entwickelt hat. Vielmehr ist spätestens seit dem höchstrichterlich entschiedenen Fall United States v. O’Hagan noch eine zweite Insider-Haftungstheorie, die sog. „misappropriation“-theory, anerkannt.23 Nach dieser Theorie kann sich für den Insider die Pflicht, von der Verwertung seines Wissensvorsprungs im Anteilshandel Abstand zu nehmen, aus einer besonderen Vertrauensbeziehung zur Informationsquelle ergeben. Eine solche Vertrauensbeziehung i. S. der „misappropriation“-theory setzt jedoch voraus, daß dem Insider die betreffende Information in einer Weise anvertraut wurde, die ihn zur Loyalität gegenüber seinem Informanten verpflichtet. Der Insider muß in erkennbarer Weise dazu angehalten worden sein, die Information nur zu dem von den Parteien vereinbarten Zweck zu verwenden. Dies ist entweder der Fall, wenn die Parteien diesbezüglich eine ausdrückliche Verschwiegenheitsverpflichtung vereinbart haben, oder, wenn sie bereits seit einiger Zeit in einer irgendwie gearteten Vertrauensbeziehung zueinander stehen, aus der sich eine solche Verschwiegenheitspflicht konkludent ergibt.24 Verwertet der Insider 21
Krauel, S. 158; Kraakman, in: Hopt/Wymeersch, S. 39, 43. Vgl. Dirks v. SEC, 463 (1983) U.S., S. 646, 658: „Imposing a duty to disclose or abstain solely because a person knowingly receives material non public information from an insider and trades on it could have an inhibiting influence on the role of market analysts, which the SEC itself recognizes is necessary to the preservation of a healthy market.“ 23 United States v. O’Hagan, 117 S.Ct., S. 2199 (1997). 22
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entgegen dieser ihm obliegenden Verpflichtung die Information zum eigenen Vorteil im Anteilshandel, so begeht er nach Auffassung der US-amerikanischen Rechtsprechung einen Wertpapier-Betrug zu Lasten seines Informanten. Die für den Tatbestand von Rule 10b-5 erforderliche Täuschungshandlung wird dabei darin gesehen, daß der Insider es vor Abschluß der entsprechenden Geschäfte unterläßt, seinen Informanten über sein geplantes Vorhaben zu informieren bzw. ein entsprechendes Einverständnis eingeholt zu haben. Anders als nach der „fiduciary duty“-theory ist der Insider nach der „misappropriation“-theory jedoch nicht zur Offenlegung seines Sonderwissens gegenüber dem gesamten Anlegerpublikum verpflichtet.25 Vielmehr genügt es für eine Haftungsbefreiung nach der „misappropriation“-theory, wenn der Insider die von ihm beabsichtigte Handelsaktivität gegenüber seinem Informanten anzeigt. Im Gegensatz zur „fiduciary duty“-theory wird dem Insider hier also nicht vorgeworfen, er habe es pflichtwidrig versäumt, seine Handelspartner über sein Sonderwissen vor Abschluß des Geschäfts aufzuklären. Unter dem Blickwinkel der „misappropriation“-theory liegt das Fehlverhalten des Insiders daher weniger in einem Wertpapier-Betrug im klassischen Sinne, als vielmehr in einer Art „Mißbrauch“ des ihm anvertrauten Wissens. Der Informant des Insiders wird dabei als der „rechtmäßige Eigentümer“ der Information angesehen, der als einziger frei über die Information verfügen darf (sog. „property rights“-Ansatz). Der Insider ist dagegen nur eine Vertrauensperson des rechtmäßigen Informationsinhabers, die nur innerhalb eines bestimmten Handlungsrahmens über die Information verfügen darf. Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf, der dem Insider unter der „misappropriation“-theory gemacht wird, der, daß er seine Verfügungsbefugnis über die Information mißbraucht, um sich daran persönlich zu bereichern. Insgesamt trägt die Verbotsvorschrift der Rule 10b-5 auf der Grundlage der „misappropriation“-theory damit den Charakter eines insiderrechtlichen „Untreuetatbestands“.26
24 Vgl. dazu die neu in den Code of Federal Regulation eingefügte Regelung „Rule 10b5-2“ (CFR Title 17, Chapter II, Part 240). Diese Vorschrift bezieht sich auf die von der Rechtsprechung entwickelte „misappropriation“-theory und stellt dabei einige von der Rechtsprechung offen gelassene Punkte klar, ohne die Rechtsprechung jedoch verändern zu wollen. Insbesondere versucht sie im Wege einer allgemeinen Definition festzulegen, wann von einer Vertrauensbeziehung i. S. der „misappropriation“-theory ausgegangen werden kann. 25 In einer Fußnote hat der Supreme Court in dem Fall United States v. O’Hagan, 117 S.Ct., S. 2199 ff. (1997), ausgeführt, daß der Insider sein geplantes Vorhaben nur denjenigen gegenüber anzeigen muß, denen er aufgrund einer besonderen Rechtsgrundlage zur Loyalität verpflichtet ist. Vgl. dazu auch Coffee, New York Law Journal, July 31 1997, S. 5 ff. 26 Wörtlich übersetzt heißt „misappropriation“ auch „Veruntreuung“.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (1. Abschn.)
I. Rechtspolitischer Hintergrund Die „misappropriation“-theory verfolgt, wie soeben gezeigt, einen völlig anderen haftungsrechtlichen Begründungsansatz als die „fiduciary duty“-theory. Während letztgenannte Theorie die „disclose or abstain“-Verpflichtung des Insiders aus einer gesellschaftsrechtlichen Treuebindung zu seinen aktuellen und künftigen Mitaktionären ableitet, sieht die „misappropriation“-theory den Grund für das dem Insider obliegenden Handelsverbot darin, daß dieser sich gegenüber seiner Informationsquelle zur Loyalität verpflichtet hat. Die beiden Haftungstheorien sind deswegen nur bedingt miteinander kompatibel.27 Dies hat u. a. zur Folge, daß viele der Haftungskriterien, die der Supreme Court in den Entscheidungen Chiarella v. United States und Dirks v. SEC zur Konkretisierung der „fiduciary duty“-theory entwickelt hat, nicht oder nur in modifizierter Form auf die „misappropriation“-theory übertragen werden können. Dennoch ist es nach Auffassung des Gerichts zulässig, beide Theorien kumulativ auf ein und denselben Insider-Sachverhalt anzuwenden. Der Richter dürfe sich zur Begründung einer Insiderhaftung auf beide Theorien stützen, weil die „misappropriation“theory und die „fiduciary duty“-theory sich von ihrem Begründungsansatz her nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr ergänzen würden.28 Dieses Nebeneinander zweier unterschiedlicher Haftungsansätze im US-amerikanischen Insiderrecht läßt sich nur mit den dahinter stehenden rechtspolitischen Zielen erklären. Hauptgrund für die Entwicklung einer zweiten InsiderHaftungstheorie im Rahmen von Rule 10b-5 ist die nur begrenzte Reichweite der „fiduciary duty“-theory. Zwar hat die Rechtsprechung den Anwendungsbereich der „fiduciary duty“-theory nach und nach auch auf unternehmensexterne Personen ausgedehnt.29 Doch stößt die „fiduciary duty“-theory aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Konzeption zwangsläufig auf Grenzen im anonymen Anteilshandel. So lassen sich mit der „fiduciary duty“-theory insbesondere keine kurserheblichen „Marktinformationen“ und demzufolge auch keine reinen „Marktinsider“ erfassen. Marktinformationen sind Informationen, die nicht aus der Sphäre eines börsennotierten Emittenten stammen, die aber dennoch im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens erheblichen Einfluß auf die Kursent27 Die Unterschiedlichkeit der beiden Haftungsansätze schließt jedoch nicht aus, daß ein Insider sowohl nach der „fiduciary duty“-theory als auch nach der „misappropriation“-theory bestraft werden kann. Nach Auffassung der Rechtsprechung sind die beiden Theorien im Zweifelsfall kumulativ anzuwenden. Wie Langevoort, Insider Trading, § 1.03, S. 20 jedoch zutreffend ausführt, lassen sich mit der „misappropriation“theory weitgehend alle Fälle erfassen, die in den klassischen Anwendungsbereich der „fiduciary duty“-theory fallen. Daher habe die „misappropriation“-theory in der Rechtsprechungspraxis die dominantere Rolle eingenommen. 28 „The two theories are complementary“, United States v. O’Hagan, 117 S.Ct., S. 2199, 2208; siehe auch K.-P. Weber, S. 119. 29 Vgl. oben 3. Teil, 1. Abschnitt, B. I.–III.
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wicklung der am Markt gehandelten Wertpapiere haben können. Ein Beispiel für eine reine Marktinformation ist etwa die Anhebung des Diskontsatzes durch die Zentralbank. Diese und andere für die Rahmenbedingungen des Marktes relevanten Informationen lassen sich keinem der am Markt notierten Unternehmen zuordnen. Es besteht daher auch für niemanden die gesellschaftsrechtliche Verpflichtung, diese Informationen – entsprechend den Grundsätzen der „fiduciary duty“-theory – mit seinen aktuellen und künftigen Mitaktionären zu teilen. Insidergeschäfte, die auf der Grundlage solcher Informationen getätigt werden, lassen sich vielmehr nur mit dem von der „misappropriation“-theory verfolgten Haftungsansatz erfassen. In dem soeben erwähnten Diskontsatz-Beispiel kommt daher für einen Mitarbeiter der Zentralbank, der das Wissen um die bevorstehende Zinserhöhung zum persönlichen Vorteil im Anteilshandel verwertet, lediglich eine Haftung nach der „misappropriation“-theory in Betracht. Denn als Vertrauensperson der Bank ist er gegenüber seinem Arbeitgeber verpflichtet, die ihm mitgeteilten Informationen vertraulich zu behandeln. Die einzige Möglichkeit, einer Haftung nach der „misappropriation“-theory zu entgehen, bestünde für den Bankmitarbeiter darin, sich ein entsprechendes Einverständnis seines Arbeitgebers einzuholen, wonach er die Information zu privaten Zwecken im Anteilshandel verwerten darf. Unterläßt er dies jedoch pflichtwidrig, so haftet er gem. Rule 10b5 wegen „Veruntreuung“ der ihm anvertrauten Informationen. Dagegen würde der Bankmitarbeiter durch die Verwertung der ihm anvertrauten Information keinen Betrug zu Lasten derjenigen Aktionäre begehen, von denen er die Wertpapiere im Anteilshandel kauft bzw. verkauft. Denn für eine Haftung nach der „fiduciary duty“-theory fehlt ihm die dafür erforderliche gesellschaftsrechtliche Treuebindung. II. Berufliche Loyalitätspflichten Primäre Voraussetzung für eine Haftung nach den Grundsätzen der „misappropriation“-theory ist eine besondere Vertrauensbeziehung zwischen der Informationsquelle und dem Insider, die ihn zur vertraulichen Behandlung der ihm übermittelten Informationen verpflichtet. Lange Zeit war jedoch unklar, welche Anforderungen an ein solches Vertrauensverhältnis zwischen Insider und Informationsquelle zu stellen sind. Inzwischen ist anerkannt, daß es sich dabei sowohl um eine rechtliche als auch um eine faktische Sonderbeziehung handeln kann.30 Zur Fallgruppe der sog. „rechtlichen“ Sonderbeziehungen werden in erster Linie beruflich begründete Loyalitätspflichten des Insiders zu seinem Ar30 Vgl. Langevoort, Insider Trading, § 6.04, S. 18: „There must be a relationship of trust and confidence between the defendant and the source of the information, either in fact or as a matter of law [Hervorhebung durch den Verfasser].“
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beitgeber bzw. Auftraggeber gezählt. Nicht zuletzt deswegen wird die „misappropriation“-theory von kritischen Stimmen auch als „insiderrechtlicher Arbeitgeberschutz“ bezeichnet.31 Entsprechend den von den US-amerikanischen Gerichten gebildeten Fallgruppen sind dabei zwei Arten beruflich begründeter Loyalitätspflichten zu unterscheiden. Danach kann eine Vertrauensbeziehung zwischen dem Insider und der Informationsquelle entweder arbeitsrechtlich oder auftragsrechtlich begründet sein. Ein Beispiel für ein arbeitsrechtlich begründetes Vertrauensverhältnis bildet der Fall SEC v. Materia.32 Hier hatte ein Angestellter einer Finanzdruckerei, Mister Anthony Materia, aus einer von ihm bearbeiteten Druckvorlage ein bevorstehendes Übernahmeangebot für eine börsennotierte Gesellschaft entschlüsseln können und diese Information noch vor ihrer Veröffentlichung zum eigenen Vorteil im Anteilshandel verwertet. Das Gericht hatte die Verurteilung des Druckers damit begründet, daß dieser durch sein eigennütziges Verhalten eine aufgrund seines Angestelltenverhältnisses bestehende Treuebeziehung zu seinem Arbeitgeber verletzt und zugleich dessen wirtschaftlichen Ruf gefährdet habe. Ein Beispiel für eine auftragsrechtlich begründete Loyalitätspflicht ist der höchstrichterlich entschiedene Fall United States v. O’Hagan.33 In diesem Fall ging es um eine Rechtsanwaltskanzlei, die von einem Unternehmen für ein geplantes Übernahmeverfahren als Beraterin herangezogen wurde. Einer der Partner der beauftragten Kanzlei verwertete die Kenntnis um das bevorstehende Übernahmeverfahren zu seinem eigenen Vorteil, indem er Aktien des Zielunternehmens kaufte. Ihm wurde vom Supreme Court vorgeworfen, er habe durch sein eigennütziges Verhalten nicht nur gegenüber seiner eigenen Kanzlei, sondern auch gegenüber dem Bieterunternehmen einen Treuepflichtverstoß i. S. der „misappropriation“-theory begangen. Denn aufgrund des zwischen dem Bieterunternehmen und seiner Kanzlei geschlossenen Auftragsverhältnisses habe er sich konkludent dazu verpflichtet, alles zu unterlassen, was den Interessen des Auftraggebers widersprechen könnte. Dazu zählt nach Auffassung des Gerichts auch der eigennützige Kauf von Wertpapieren der Zielgesellschaft, weil dies zu einer Erhöhung des Börsenkurses des Zielunternehmens und damit zu einer Gefährdung des Übernahmevorhabens führt. Im Zusammenhang mit den sog. beruflich begründeten Loyalitätspflichten ist schließlich darauf hinzuweisen, daß der Insider nicht zwingend eine Vertrauensbeziehung zur „ursprünglichen“ Insiderquelle unterhalten muß. Vielmehr genügt es zur Begründung eines entsprechenden Handelsverbots des Insiders, wenn der Insider schon gegenüber seinem eigenen Arbeitgeber, der nicht gleichzeitig die „ursprüngliche“ Quelle der Information ist, zur vertraulichen Behandlung des 31 32 33
So etwa Krauel, S. 142 f. und K.-P. Weber, S. 122 f. SEC v. Materia, 745 F. 2d, S. 197 ff. (1984). United States v. O’Hagan, 117 S.Ct., S. 2199 ff. (1997).
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ihm anvertrauten Wissens verpflichtet ist. In dem Fall United States v. O’Hagan hätte also auch die Treuebeziehung des Anwalts zu seiner eigenen Kanzlei ausgereicht, um für ihn ein Verwertungsverbot der Übernahmepläne zu begründen. Gerade in Fällen, in denen der betreffende Insider für ein Beratungs- oder ein anderes Dienstleistungsunternehmen tätig ist, das von einem Wertpapieremittenten beauftragt wird, läßt sich also eine Pflicht des Insiders zur vertraulichen Behandlung der Informationen sowohl im Verhältnis zum Auftraggeber als auch im Verhältnis zu seinem eigenen Arbeitgeber konstruieren.34 III. Andere, insbesondere familiäre Loyalitätspflichten Wie bereits erwähnt, kennt die „misappropriation“-theory jedoch nicht nur beruflich begründete Loyalitätspflichten, sondern auch solche, die aus einer rein faktischen Vertrauensbeziehung hervorgehen.35 Dazu zählen in erster Linie familiäre Treuepflichten. Gem. Nr. 3, 1. HS der erst kürzlich in den Code of Federal Regulation eingefügten Rule 10b5-2 besteht ein familiäres Treueverhältnis grundsätzlich schon immer dann, wenn die betreffende Person die Information von einem Mitglied ihres engeren Familienkreises, d.h. von ihrem Ehepartner, Kind oder einem Elternteil, mitgeteilt bekommt.36 Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die betreffende Person glaubhaft darlegen kann, daß sie trotz ihrer familiären Bindung zum Informanten nicht zur vertraulichen Behandlung der Information verpflichtet ist.37 Grund für eine solche Annahme könnte etwa sein, daß bereits in der Vergangenheit familiäre Bindungen die betroffenen Parteien nicht davon abgehalten haben, Informationen zum eigenen Vorteil im Anteilshandel auszunutzen. Eine weitere Ausnahme läßt Rule 10b5-2 für den Fall zu, daß die Parteien ausdrücklich auf eine Verschwiegenheitserklärung verzichtet haben. Trotz dieser Ausnahmeregelungen dürfte jedoch in der Praxis die Regel sein, daß Insiderinformationen nicht verwertet werden dürfen, sofern sie von Familienmitgliedern übermittelt werden. Die in Rule 10b5-2 getroffene Regelung entspricht damit weitgehend der vor Erlaß dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung.38
34 Diese Doppelverpflichtung spielt, wie unten noch näher auszuführen sein wird, auch für Finanzanalysten eine große Rolle. Denn Informationsintermediäre arbeiten in der Regel nicht selbständig, sondern als Angestellte einer Investmentbank oder eines anderen Wertpapierdienstleistungsinstituts. Daher sind auch für die Berufsgruppe der Analysten Fälle durchaus denkbar, in denen der Insider einer „doppelten“ Treueverpflichtung unterliegt. 35 Siehe Langevoort, Insider Trading, § 6.04[2], S. 6–20. 36 Vgl. Rule 10b5-2b) Nr. 3, 1. Halbsatz. 37 Vgl. Rule 10b5-2b) Nr. 3, 2. Halbsatz. 38 Für einen Fall familiärer Treuebindungen vgl. United States v. Chestman, 947 F. 2d, S. 551 ff. (1991).
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Neben familiären Treuebeziehungen gibt es noch andere, ebenfalls faktisch begründete Sonderbeziehungen, die zur vertraulichen Behandlung der übermittelten Informationen verpflichten. Dazu gehören vor allem ärztliche Schweigepflichten. So wurde in dem Fall United States v. Willis die Beziehung zwischen einem Psychiater und seiner Patientin als ausreichend angesehen, um eine Loyalitätspflicht i. S. der „misappropriation“-theory zu bejahen.39 Die Ehefrau eines Managers einer börsennotierten Gesellschaft hatte ihrem Psychiater während einer Sitzung vertrauliche Informationen aus dem Unternehmen mitgeteilt, die dieser sogleich zu seinem Vorteil durch den Abschluß entsprechender Wertpapiergeschäfte verwertete. Das Gericht verurteilte den Psychiater wegen verbotenen Insiderhandels i. S. von Rule 10b-5 mit der Begründung, er habe durch die eigennützige Verwendung der ihm im Patientengespräch anvertrauten Informationen seine ärztliche Schweige- und Vertraulichkeitspflicht verletzt. IV. Übertragung der Loyalitätspflichten auf Tipempfänger Ähnlich wie bei der „fiduciary duty“-theory stellt sich auch im Rahmen der „misappropriation“-theory die Frage, inwieweit bloße Tipempfänger (sog. tippees) in den insiderrechtlichen Pflichtenkreis miteinbezogen werden können. Denn ebensowenig wie außenstehender Tipempfänger eine originäre Treuebindung i. S. der „fiduciary duty“-theory zur jeweiligen Gesellschaft und deren Aktionäre unterhalten, sind sie in der Regel auch nicht aufgrund einer besonderen Vertrauensbeziehung zur Loyalität gegenüber ihrem Tipgeber bzw. dessen Informationsquelle verpflichtet. Daher sind Tipempfänger als sog. „outsiders“ zunächst einmal nicht vom Anwendungsbereich der „misappropriation“-theory erfaßt. Gleichwohl hat die Rechtsprechung nach Wegen gesucht, Tipempfänger in den Schutzbereich der zwischen dem Insider und seiner Informationsquelle bestehenden Treuebindung mit einzubeziehen. Die meisten Gerichte haben sich dabei für eine Lösung entschieden, die sich stark an den im Rahmen der „fiduciary duty“-theory geltenden Haftungskriterien für Tipempfänger orientiert. Danach unterliegt der Tipempfänger nur dann dem insiderrechtlichen Handlungsverbot, wenn der Tipgeber durch die Weitergabe der Information an den Tipempfänger seinerseits einen Treuebruch begeht. Ähnlich wie bei der „fiduciary duty“-theory ist dies nach überwiegender Auffassung jedoch nur dann der Fall, wenn sich der Tipgeber durch die Informationsweitergabe einen irgendwie gearteten persönlichen Vorteil verschaffen wollte. Des weiteren setzt die Haftung des Tipempfängers voraus, daß dieser positive Kenntnis vom treuwidrigen Handeln des Tipempfängers hat. Insgesamt muß sich also auch nach der „misappropriation“-theory der zu beurteilende Sachverhalt so darstellten, daß Tipgeber und -empfänger bei der Verwertung der Insiderinformation kollusiv zusammen39
United States v. Willis, 737 F.Supp 269 (S.D.N.Y. 1990).
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arbeiten wollten. Im wesentlichen entsprechen diese Haftungsvoraussetzungen damit dem sog. Dirks-Test, benannt nach der gleichnamigen Entscheidung des Supreme Court, in der das Gericht die Haftungsgrundsätze für Tipempfänger unter der „fiduciary duty“-theory festgelegt hat. Der einzige Unterschied zwischen der Haftung des Tipempfängers aufgrund der „misappropriation“-theory gegenüber seiner Haftung nach der „fiduciary duty“-theory besteht darin, daß der Tipempfänger im ersten Fall zusammen mit dem Tipgeber einen Betrug zu Lasten des Anlegerpublikums begeht und im zweiten einen Betrug zu Lasten der Informationsquelle.40 Ansonsten gelten die vom Supreme Court für die „fiduciary duty“-theory entwickelten Haftungsgrundsätze für Tipempfänger für die „misappropriation“-theory in gleicher Weise. V. Bedeutung der „misappropriation“-theory für Finanzanalysten Auf den ersten Blick scheint der Handlungsfreiraum für Finanzanalysten durch die „misappropriation“-theory im Vergleich zur „fiduciary duty“ tendenziell kleiner geworden zu sein, zumal die „misappropriation“-theory auch sog. Marktinsider erfaßt. Dieser Eindruck ist bei genauerer Betrachtung jedoch unbegründet. Wie Coffee zutreffend ausführt, hat sich durch die ergänzende Heranziehung der „misappropriation“-theory nichts Grundlegendes an der insiderrechtlichen Sonderstellung der Informationsintermediäre im US-amerikanischen Insiderrecht geändert.41 Dies gilt zumindest für den vorliegend behandelten Fall, daß der Analyst eine Insiderinformation im Rahmen eines sog. Vor-Ort-Gesprächs mitgeteilt bekommt.42 Denn die „misappropriation“-theory verbietet weder dem mit der „investor-relations“-Pflege beauftragten Emittentenvertreter, Insiderinformationen an Finanzanalysten weiterzugeben, noch hindert sie die Finanzanalysten daran, die erlangten Insiderinformationen an ihre Kunden bzw. Auftraggeber unter Ausschluß der Öffentlichkeit weiterzuleiten. 1. Keine Informationsschranke zu Lasten der Emittentenvertreter Zwar ist jeder Emittentenvertreter aufgrund seines Angestelltenverhältnisses grundsätzlich gegenüber seinem Arbeitgeber zur vertraulichen Behandlung von unternehmensinternen Insiderinformationen verpflichtet. Allerdings verletzt der Unternehmensvertreter diese Pflicht nur, wenn er über die betreffenden Insiderinformationen gegen bzw. ohne den Willen seines Arbeitgebers verfügt. Denn die „misappropriation“-theory sieht den Grund für die Haftung des Insiders
40 41 42
So bereits Langevoort, Insider Trading, § 6.07, S. 36/37. Coffee, New York Law Journal, July 31 1997, S. 5 ff. So auch Drygala, WM 2001, S. 1282, 1289.
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darin, daß der Insider die ihm von seiner Informationsquelle eingeräumte Verfügungsbefugnis über die Insiderinformation mißbraucht. Von einem solchen Mißbrauch seines Verfügungsrahmens kann jedoch schon dann keine Rede sein, wenn der Emittentenvertreter eine entsprechende Erlaubnis oder gar Anweisung für sein Handeln erteilt bekommen hat. Wie Coffee zutreffend darlegt, kann im Rahmen der „misappropriation“-theory die Informationsquelle selbst darüber bestimmen, ob eine Handlung ihrer Vertrauensperson als ein strafbares Insidergeschäft bzw. als ein strafbarer Insidertip i. S. von Rule 10b-5 anzusehen ist.43 Eine börsennotierte Gesellschaft kann also, vertreten durch ihre Organe, darüber entscheiden, ob eine unternehmenseigene Insiderinformation zur freien Verfügung an Dritte herausgegeben werden darf. Genauso verhält es sich auch im Fall des Emittentenvertreters, der im Rahmen sog. Vor-Ort-Gespräche Insiderinformationen aus unternehmensstrategischen Gründen gezielt an einen ausgewählten Kreis von Finanzanalysten und Großinvestoren weiterleitet. Der Emittentenvertreter handelt im Einverständnis seines Arbeitgebers und damit straffrei, weil er die betreffende Information als Instrument der unternehmenseigenen „investor-relations“-Politik einsetzt. Von einer „Veruntreuung“ i. S. der „misappropriation“-theory kann daher in Fällen selektiver Information von Finanzanalysten keine Rede sein. Die Tatsache, daß die Frage nach der Zulässigkeit einer Insiderhandlung allein in den Entscheidungsbereich der Informationsquelle fällt, ist also ausschlaggebend für die Zulässigkeit einer selektiven Informationspolitik börsennotierter Unternehmen. Eine Haftung des Emittentenvertreters aufgrund der „misappropriation“theory dürfte selbst dann ausgeschlossen sein, wenn ihm der Analyst durch aggressives und zugleich geschicktes Hinterfragen eine Insiderinformation entlockt, die er ansonsten nicht von selbst preisgegeben hätte. Denn wie bereits dargelegt macht sich ein sog. Tipgeber nur dann durch die Weitergabe einer Insiderinformation strafbar, wenn er sich damit zugleich einen persönlichen Vorteil verschaffen will (sog. Dirks-Test).44 Der Emittentenvertreter, der bei der Beantwortung der ihm gestellten Fragen über seinen vorgegebenen Handlungsrahmen hinausgeht, will sich in der Regel jedoch nicht an der Informationsweitergabe selbst bereichern. Er handelt vielmehr ausschließlich im Interesse seiner Gesellschaft. Daher scheitert die Haftbarkeit des Emittentenvertreters im Falle eines Überschreitens seines Verfügungsrahmens jedenfalls an der für eine Veruntreuung i. S. von Rule 10b-5 erforderlichen subjektiven Bereicherungsabsicht.
43 Coffee, New York Law Journal, July 31 1997, S. 5 mit Verweis auf die Entscheidung United States v. O’Hagan, 117 (1997) S.Ct., S. 2199, 2203. 44 Die Frage nach der persönlichen Bereicherungsabsicht des Tipgebers spielt also sowohl für die Haftung des Tipgebers als auch des Tipempfängers eine große Rolle.
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2. Kein Verwertungsverbot zu Lasten der Analysten Auch für den Analysten selbst ergeben sich auf der Grundlage der „misappropriation“-theory keine besonderen insiderrechtlichen Haftungsrisiken. Dies gilt jedenfalls für Fälle, in denen der Analyst sich anläßlich eines Emittentengesprächs mit einer Insiderinformation „infiziert“ hat. Mangels einer entsprechenden Loyalitätsverpflichtung veruntreut der Analyst die ihm mitgeteilten Informationen nicht zu Lasten der betreffenden Gesellschaft, wenn er sie an seine Kunden bzw. Auftraggeber weiterleitet [a)]. Eine Haftung des Analysten könnte allenfalls damit begründet werden, daß er gegenüber seinem eigenen Arbeitgeber zur Vertraulichkeit verpflichtet ist [b)]. a) Kein Treuebruch zu Lasten des Emittenten Eine Haftung des Analysten wegen „Veruntreuung“ von Insiderinformationen zu Lasten des Emittenten scheidet mangels einer Treuebeziehung zum jeweiligen Emittenten aus. Eine Loyalitätsverpflichtung des Analysten gegenüber dem von ihm beobachteten Emittenten läßt sich weder originär noch derivativ herleiten. Eine originäre Treuebindung würde voraussetzen, daß der Analyst aufgrund eines besonderen Auftragsverhältnisses mit dem Emittenten verbunden wäre. Dies ist jedoch bei bloßen Unternehmensbefragungen anläßlich sog. VorOrt-Gespräche nicht der Fall. Auch eine derivative Treuebindung des Analysten kommt nicht in Betracht. Denn damit der Analyst als sog. „Tipempfänger“ in den Schutzbereich der Treuebeziehung zwischen dem Emittentenvertreter und seiner Gesellschaft einbezogen werden könnte, müßte – entsprechend den Grundsätzen des sog. Dirks-Tests – der Analyst mit dem Emittentenvertreter kollusiv zusammenarbeiten. Ein solches Zusammenwirken der beiden KommunikationsParteien scheidet jedoch aus mehreren Gründen aus. Zum einen ist zu berücksichtigen, daß der Auskunft gebende Emittentenvertreter in der Regel von seiner Gesellschaft ausdrücklich dazu ermächtigt sein wird, Analysten mit nicht öffentlichen Informationen zu versorgen. Der Emittentenvertreter ist also gegenüber den Adressaten seiner „investor-relations“-Politik weitgehend von seiner Verpflichtung zur vertraulichen Behandlung unternehmensinterner Insiderinformationen befreit. Daher wäre es in Fällen sog. Vor-Ort-Gespräche mehr als widersprüchlich, wenn man aus der „aufgeweichten“ Vertraulichkeitsverpflichtung des Emittentenvertreters eine uneingeschränkte Loyalitätspflicht für den Analysten ableiten würde. Zum anderen würde die Haftung des Analysten als sog. Tipempfänger (tippee) voraussetzen, daß der Emittentenvertreter sich von der Informationsweitergabe an den Analysten die Erlangung eines irgendwie gearteten persönlichen Vorteils verspricht (sog. „personal benefit-test“). Auch dies wird in der Regel in der hier behandelten Konstellation nicht der Fall sein, weil der Emittentenvertreter grundsätzlich nicht im eigenen, sondern im Interesse der Gesellschaft handelt, wenn er sich den Fragen der Analysten im Interview stellt.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (1. Abschn.)
Insgesamt sind also die Voraussetzungen für eine Haftung des Analysten wegen eines Treuepflichtverstoßes zu Lasten des Emittenten nicht erfüllt. b) Kein Treuebruch zu Lasten seines eigenen Arbeitgebers Allenfalls ließe sich erwägen, ob der Analyst durch die Verwertung der erlangten Insiderinformationen einen Treuebruch zu Lasten seines eigenen Arbeitgebers begeht. Denn sofern ein Analyst nicht als unabhängiger Dienstleister tätig ist, sondern einem Kreditinstitut oder einem anderen Wertpapierdienstleistungsinstitut angehört, ist er diesem aufgrund seines Angestelltenverhältnisses zur Loyalität verpflichtet. Zu dieser beruflich begründeten Loyalitätspflicht gehört grundsätzlich auch die vertrauliche Behandlung solcher Informationen, die der Analyst von den von ihm befragten Emittenten erfährt. Nach der „misappropriation“-theory kann eine Treuebindung des Insiders im Hinblick auf die in Frage stehenden Insiderinformationen nicht nur gegenüber der „ursprünglichen“ Informationsquelle, sondern auch gegenüber dem eigenen Arbeitgeber bestehen, der nicht zugleich die „ursprüngliche“ Quelle der betreffenden Information ist. Ein Analyst, der in einem Vor-Ort-Gespräch von einem Emittentenvertreter eine Insiderinformation übermittelt bekommt, ist zwar mangels einer besonderen Vertrauensbeziehung nicht gegenüber dem Emittenten selbst, aber dafür gegenüber seinem eigenen Arbeitgeber zur Loyalität verpflichtet. Der Analyst darf daher die ihm von Emittentenseite mitgeteilten Informationen nur mit dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einverständnis seines eigenen Arbeitgebers verwerten. Allerdings ist fraglich, inwieweit eine solche Treuebindung gegenüber dem eigenen Arbeitgeber den Analysten daran hindern sollte, Insiderinformationen, die er im persönlichen Gespräch mit Emittentenvertretern erlangt hat, an die Kunden bzw. Auftraggeber seines Arbeitgebers weiterzugeben. Denn wie Drygala zutreffend ausführt, handelt der Analyst im Interesse seines Arbeitgebers, wenn er sein privilegiertes Wissen in seine Analysen mit einarbeitet.45 Er tut genau das, wofür er von seinem Arbeitgeber bezahlt wird. Eine „Veruntreuung“ zu Lasten seines Arbeitgebers kommt daher jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Analyst die Informationen zum Vorteil des Kundenkreises seines Arbeitgebers verarbeitet.46 Etwas anderes kann für Fälle gelten, in denen der Analyst die erlangten Insiderinformationen nicht an die Kunden bzw. Auftraggeber seines Arbeitgebers weiterleitet, sondern sie für private Geschäfte nutzt. Denn ob Eigengeschäfte des Analysten noch vom mutmaßlichen Willen seines Arbeitgebers umfaßt sind, ist mehr als fraglich. Vielmehr ist hier davon auszugehen, daß der Analyst wi45 46
Drygala, WM 2001, S. 1282, 1289. Drygala, WM 2001, S. 1282, 1289.
C. Die sogenannte „misappropriation‘‘-theory
261
der die Interessen und damit ohne ein entsprechendes Einverständnis seines Arbeitgebers handelt. Der Insidertatbestand i. S. der „misappropriation“-theory dürfte erfüllt sein. VI. Bewertung Im Ergebnis ist der Analyst auf der Grundlage der „misappropriation“-theory weder im Verhältnis zum Emittenten noch im Verhältnis zu seinem eigenen Arbeitgeber einem insiderrechtlichen Haftungsrisiko ausgesetzt. Im letzteren Fall gilt dies jedenfalls dann, wenn der Analyst die Informationen lediglich an die Kunden und Auftraggeber des Kreditinstituts, für das er arbeitet, weitergibt. Dieses rechtliche Ergebnis läßt sich nur schwer einordnen. Denn daß Analysten auch unter der „misappropriation“-theory insiderrechtlich privilegiert behandelt werden, scheint sich anders als bei der „fiduciary duty“-theory eher zufällig zu ergeben. Für die Entwicklung der „misappropriation“-theory haben die Analysten und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Probleme in der Praxis keine Rolle gespielt. Mit der „misappropriation“-theory sollten in erster Linie sog. „Marktinsider“ und „Marktinformationen“, die keinem börsennotierten Unternehmen eindeutig zugeordnet werden können, in den Anwendungsbereich von Rule 10b-5 mit einbezogen werden. Daher finden sich in den von der Rechtsprechung angeführten Entscheidungsgründen keinerlei Hinweise auf die Bedeutung der „misappropriation“-theory für das problematische Kommunikationsverhältnis zwischen Emittentenvertretern und Analysten. Allerdings ist die „misappropriation“-theory häufig Gegenstand grundsätzlicher Kritik gewesen. Im wesentlichen sind es zwei Aspekte, die dieser Haftungstheorie vorgehalten werden. Zum einen wird bezweifelt, ob die „misappropriation“-theory noch mit dem Wortlaut von Rule 10b-5 zu vereinbaren ist. Denn der Tatbestand dieser Verbotsnorm verlangt, daß der Insider einen Betrug im engen Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren begeht (in connection with the purchase or sale of securities). Die „misappropriation“theory sieht das betrügerische Element beim Insiderhandel jedoch nicht in dem Wertpapiergeschäft selbst, das der Insider im Anteilshandel abschließt, sondern in dem Überschreiten des Verfügungsrahmens, den der Insider von seiner Informationsquelle vorgegeben bekommen hat. Daher wird vertreten, auf der Grundlage der „misappropriation“-theory könne Insiderhandel nicht mehr als ein sog. Wertpapierbetrug angesehen werden, der in einem engen Zusammenhang zu dem Kauf bzw. Verkauf von Wertpapieren steht, sondern müsse als ein Fall der Untreue aufgefaßt werden, der das Prinzipal-Agenten-Verhältnis zwischen dem Angestellten und seinem Arbeitgeber betrifft. Letzteres sei aber vom Wortlaut der Norm nicht mehr erfaßt. Zum anderen wird der „misappropriation“-theory vorgehalten, sie verfehle den eigentlichen Schutzzweck des Insiderrechts, wenn sie den Schwerpunkt der
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
Insider-Haftung auf die principal-agent-Problematik verlagere.47 Denn grundsätzlich sollen mit dem Insiderverbot nicht die rechtmäßigen Informationsinhaber (die sog. owner of the information), sondern allein die Marktteilnehmer geschützt werden. Sie sind die eigentlichen „Opfer“ von Insiderhandel, weil ihnen durch die Handelsaktivität der Insider die Chance genommen wird, an den mit den Kursschwankungen am Markt verbundenen Spekulationsgewinnen teilzuhaben. Die „misappropriation“-theory schütze jedoch in erster Linie nur die Quelle der Insiderinformation, indem sie sicherstelle, daß eine nicht öffentlich bekannte, kurserhebliche Information nicht entgegen dem bzw. ohne den Willen des rechtmäßigen Informationsinhabers im Anteilshandel ausgenutzt werden darf.48 Davon profitierten die übrigen Marktteilnehmer jedoch nur mittelbar. Zwar würden aufgrund des Untreueverbots der „misappropriation“-theory grundsätzlich weniger Insidergeschäfte getätigt werden als ohne ein solches Verbot. Jedoch werde der Schutz der Anleger im Rahmen der „misappropriation“-theory dadurch vernachlässigt, daß der vermeintliche Informationsinhaber letztlich darüber bestimmen könne, ob und durch wen seine Informationen verwertet werden dürften. Der Insider müsse im Zweifelsfall sein Vorhaben lediglich gegenüber der Informationsquelle anzeigen, um sich insiderrechtlich zu exculpieren. Eine Anzeigepflicht gegenüber dem Anlegerpublikum bestehe dagegen nicht. Dies sei mit dem Schutzgedanken des Insiderrechts unvereinbar. Diese beiden Vorbehalte gegenüber der „misappropriation“-theory haben jedoch spätestens mit der Entscheidung „United States v. O’Hagan“ deutlich an Gewicht verloren.49 Darin hatte der Supreme Court die „misappropriation“theory für grundsätzlich vereinbar mit Rule 10b-5 erklärt und sie sogar selbst auf den der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt angewendet.50 Zweiter Abschnitt
Die „Fair Disclosure“-Regelung A. Das Verbot „selektiver“ Publizität Wenngleich das US-amerikanische Insiderrecht die Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenvertretern und Finanzanalysten weitgehend von einer Haftung gem. Rule 10b-5 ausnimmt,51 bedeutet dies nicht, daß sich in den 47
K.-P. Weber, S. 122 ff.; Bergmans, S. 51 f. K.-P. Weber, S. 123. 49 United States v. O’Hagan, 117 S.Ct., S. 2199 ff.; in dieser Entscheidung läßt der Supreme Court erkennen, daß ihm die Schwächen der „misappropriation“-theory durchaus bewußt sind. 50 United States v. O’Hagan, 117 S. Ct., S. 2199, 2211. 51 Vgl. oben 3. Teil, 1. Abschnitt, B. u. C. 48
A. Das Verbot „selektiver‘‘ Publizität
263
USA die Kapitalmarktkommunikation zwischen Emittentenvertretern und Analysten in einem völlig rechtsfreien Raum abspielt. Vielmehr besteht neben dem Insiderrecht im engeren Sinne noch eine weitere Regelung mit insiderrechtlichem Bezug, die speziell für die freiwillige Unternehmenspublizität börsennotierter Gesellschaften bestimmte Vorgaben normiert. Dabei handelt es sich um die sog. „Fair Disclosure“-Regelung, die von der SEC erst kürzlich mit der Zielsetzung erlassen wurde, das lückenhafte Insiderverbot um ein präventives Schutzelement zu ergänzen.52 Danach ist jeder Emittent dazu verpflichtet, kursrelevante Informationen grundsätzlich so zu veröffentlichen, daß alle Anleger davon Kenntnis erhalten können.53 Mit dieser Regelung soll verhindert werden, daß Emittentenvertreter im Rahmen ihrer „investor relations“-Politik einzelne Anleger oder Analysten zu Lasten der Allgemeinheit informationell bevorteilen können.54 I. Der regelungspolitische Hintergrund der „Fair Disclosure“-Regelung Schon lange Zeit vor Inkrafttreten der „Fair Disclosure“-Regelung wurde in den USA kontrovers über die Regelungsbedürftigkeit von „selektiver“ Unternehmenspublizität („selective disclosure“) diskutiert.55 Darunter wird die bevorzugte Weitergabe von kursrelevanten Informationen an einen kleinen Kreis von Investoren und Finanzanalysten verstanden, ohne daß diese Informationen zugleich dem gesamten Anlegerpublikum zugänglich gemacht werden.56 Hinsichtlich der Frage, ob diese Art der Informationspolitik verboten werden soll, sind in den USA die Vertreter von Schrifttum und Praxis in zwei gegensätzliche Lager gespalten. Die eine Gruppe hält die informationelle Bevorzugung einzelner Marktteilnehmer für zwingend sanktionsbedürftig. Sie sieht darin eine unzulässige Ungleichbehandlung der Marktteilnehmer, die langfristig gesehen zu erheb52 Die „Fair Disclosure“-Regelung ist im Oktober 2000 in Kraft getreten und in den Code of Federal Regulation, Title 17, Chapter II, Parts 243.100–243.103 eingearbeitet worden. 53 Vgl. Rule 100a(1) u. (2). 54 So die Begründung zur Regulation FD, Release Nos. 33-7881, 34-43154; IC24599, Federal Register Volume 65, No. 165 vom 24.08.2000, S. 51716, 51716: „Regulation FD (Fair Disclosure) is a new issuer disclosure rule that adresses selective disclosure.“ 55 Brudney, 93 (1979) Harvard Law Review, S. 322 ff.; Coffee, 70 (1984) Virginia Law Review, S. 717 ff.; Harder, 10 (1985) Journal of Corporation Law, S. 711 ff.; Kidd, 18 (1993) Delaware Journal of Corporate Law, S. 101 ff. 56 Vgl. etwa die Begründung zur Regulation FD, Federal Register Volume 65, No. 165, S. 51716, 51716: „. . ., many issuers are disclosing important nonpublic information, such as advance warnings of earnings results, to securities analysts or selected institutional investors or both, before making full disclosure of the same information to the general public.“
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
lichen Vertrauenseinbußen bei den benachteiligten Anlegern führen kann.57 Die andere Gruppe betont dagegen die überaus große Bedeutung einer freien und ungestörten Kapitalmarktkommunikation für die Funktionsfähigkeit des Gesamtmarktes.58 Sie befürchtet, daß ein Verbot selektiver Informationspolitik in der Praxis zu einem spürbaren Rückgang der freiwilligen Unternehmenspublizität führen könnte, was sich wiederum negativ auf die Informationseffizienz des Marktes auswirken würde. 1. Die Position des Supreme Court in den achtziger Jahren Über die Jahre hat sich die Gewichtung dieser beiden gegensätzlichen Meinungen deutlich verschoben. In den achtziger und neunziger Jahren überwog deutlich die Meinung derer, die sich für eine deregulierte Kapitalmarktkommunikation aussprachen. In dieser Zeit wurde jede Art der Einschränkung des Kommunikationsprozesses zwischen Emittenten- und Anlegerseite als schädlich für die Informationseffizienz des Marktes angesehen und daher abgelehnt. Eine Vielzahl von Autoren des Schrifttums sprach sich für eine völlige Deregulation der Unternehmenspublizität aus und rechtfertigte dies mit gesamtökonomischen Erwägungen.59 Auch die Entscheidungen der Rechtsprechung waren maßgeblich von diesem eher „liberalen“ Standpunkt geprägt. Wie bereits bei der Darstellung der „fiduciary duty“-theory dargelegt wurde60, hatte der Supreme Court in dieser Zeit den Anwendungsbereich des auf der Grundlage von Rule 10b-5 entwikkelten Insiderrechts zugunsten der Finanzanalysten deutlich eingeschränkt. Sowohl in der Chiarella- als auch in der Dirks-Entscheidung vertrat das höchste amerikanische Gericht den Standpunkt, die egoistisch-motivierte Tätigkeit der Finanzanalysten spiele eine herausragende Rolle für die Funktionsfähigkeit des Marktes und dürfe daher nicht durch eine übermäßige Verbotsandrohung behindert werden. Um den Berufsbelangen der Analysten im Insiderrecht angemessen Rechnung tragen zu können, hatte der Supreme Court u. a. den sog. „personal benefit“-Test eingeführt, der eine Haftung der Emittentenvertreter und Finanzanalysten gem. Rule 10b-5 praktisch ausschließt. Die Bestrebungen der Rechtsprechung, die Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenvertretern und Analysten von einer insiderrechtlichen Haftung weitgehend frei zu halten, hatte im übrigen auch der amerikanische Gesetzgeber bei seinen in dieser Zeit auf dem Gebiet des Insiderrechts verabschiedeten Maßnahmen bewußt berücksichtigt. So hatte der Kongreß bei der Ausgestaltung des 57
Langevoort, 76 (1990) Virginia Law Review, S. 1023 ff. Brountas, 92 (1992) Columbia Law Review, S. 1517 ff.; Fischel, 13 (1984) Hofstra Law Review, S. 127 ff. 59 Vgl. etwa Fischel, 13 Hofstra Law Review, S. 127, 140; Good, 14 Arizona State Law Journal, S. 129, 156; Meister, 53 Vanderbilt Law Review, S. 947, 976. 60 Vgl. oben 3. Teil, 1. Abschnitt, B. 58
A. Das Verbot „selektiver‘‘ Publizität
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Insider Trading Sanctions Act (ITSA)61 und des Insider Trading And Securities Fraud Enforcement Act (ITSFEA)62 nicht zuletzt aus Rücksicht auf die wichtige Funktion der Finanzanalysten auf eine gesetzliche Definition von Insiderhandel verzichtet. Zwar hatte der Kongreß im Rahmen beider Gesetzgebungsverfahren ausführlich und intensiv über eine gesetzliche Definition von Insiderhandel beraten. Doch kam er in beiden Verfahren zu dem Ergebnis, daß es sinnvoller sei, wenn die Rechtsprechung bei der Anwendung von Rule 10b-5 über ausreichend Flexibilität verfüge, um im Einzelfall das besonders sensible Verhältnis zwischen Emittentenvertretern und Analysten mit der gebotenen Sorgfalt beurteilen zu können. Daher enthalten die beiden 1984 und 1988 erlassenen Regelwerke keinerlei materiell-rechtlichen Aussagen zum Anwendungsbereich des US-amerikanischen Insiderrechts. Stattdessen regeln sie ausschließlich die auf der Rechtsfolgenseite bestehenden Sanktionsmöglichkeiten für einen Insiderverstoß. Und selbst hier hatte der Gesetzgeber darauf geachtet, daß es zu keiner übermäßigen Belastung des Kapitalmarktgeschehens kommt. So heißt es etwa in den Anmerkungen zum ITSA: „[w]e anticipate that the courts . . . will be mindful of the necessity, in light of the substantial penalties herein imposed, to avoid unduly inhibiting traders from generating and acting upon valid research information of the sort upon which efficient markets necessarily depend.“63 Auch in der Begründung zum ITSFEA weist der Gesetzgeber darauf hin, daß er mit seiner Maßnahme keinesfalls den Kommunikationsprozeß auf dem Kapitalmarkt beeinträchtigen wolle: „the Committee does not intend, and does not believe [these changes] will engender any adverse effect on the legitimate flow of information to and from market analysts . . . The Committee recognizes that market analysts play a crucial role in facilitating the dissemination of information to the marketplace, and thereby promoting smoothly functioning markets. This legislation is not intended to interfere with these critical functions.“64 2. Der Standpunkt der SEC Ende der neunziger Jahre Ende der neunziger Jahre trat jedoch ein Umschwung in der Beurteilung des Spannungsverhältnisses von insiderrechtlichem Vertrauensschutz und Wertpa61 Durch den ITSA wurde section 21A in den Securities Exchange Act (SEA) neu eingefügt. Danach ist die SEC ermächtigt, Insider auf Zahlung einer sog. civil penalty bis zur dreifachen Höhe des Insidergewinns vor dem Bundes-Bezirksgericht (United States District Court) zu verklagen. 62 Durch den ITSFEA wurde section 20A in den Securities Exchange Act neu eingefügt. Diese Vorschrift normiert ein Privatklagerecht für diejenigen Anleger, die als gutgläubige Transaktionspartner Opfer eines Insidergeschäfts geworden sind. 63 130 Congress Records H7758 (July 25, 1984); zitiert aus Langevoort, Insider Trading, § 11.02, S. 3 Fn. 4. 64 H.R. Rep. No. 910, 100th Cong., 2d Sess. 19 (Sept. 9, 1988); zitiert aus Langevoort, Insider Trading, § 11.02, S. 3 Fn. 5.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
pieranalyse ein. Erste Anzeichen dafür, daß nunmehr die Interessen der informationell benachteiligten Anleger von aufsichtsrechtlicher Seite stärker berücksichtigt werden würden, fanden sich in einer Reihe von Reden, die der damalige Chairman der SEC, Arthur Levitt, und andere Mitarbeiter der SEC vor der interessierten Bereichsöffentlichkeit hielten.65 Darin sprachen sie mit wachsender Besorgnis die von der Aufsichtsbehörde beobachtete Entwicklung an, daß Unternehmensvertreter immer häufiger die selektive Kommunikation mit Analysten dazu benutzen würden, um vor allem negative Ereignisse, die die finanzielle Entwicklung der Gesellschaft betreffen, möglichst unauffällig in den Kurs der eigenen Wertpapiere hinein zu tragen, anstatt diese durch allgemeine Veröffentlichung dem gesamten Anlegerpublikum auf einen Schlag zugänglich zu machen.66 Weiterhin fiel der SEC in diesem Zusammenhang negativ auf, daß viele Analysten sich durch ihren privilegierten Informationszugang über die Zeit in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zu den von ihnen beobachteten Emittenten begeben hatten.67 Dies machte sich nach Ansicht der SEC insbesondere dadurch bemerkbar, daß die von diesen Personen veröffentlichten Analysen in nicht unerheblichem Maße an Objektivität eingebüßt hätten.68 Zugleich häuften sich nach Angaben der SEC die Beschwerden der sog. Kleinanleger dar65 Siehe z. B. die Rede von Chairman Arthur Levitt anlässlich der „SEC Speaks“ Konferenz v. 27. Februar 1998 mit dem Titel: „A Question of Integrity: Promoting Investor Confidence By Fighting Insider Trading“; die Rede von Commissioner Isaac C. Hunt, Jr. v. 26. Februar 1999 mit dem Titel: „Navigating the Sea of Communications“ und die Rede von Commissioner Laura S. Unger v. 23. April 1999 mit dem Titel: „Corporate Communications Without Violations: How Much Should Issuers Tell Their Analysts And When“. Alle Reden sind unter der Internetadresse www.sec.gov abrufbar. 66 Die Beobachtungen der SEC nehmen u. a. Bezug auf folgende Presse-Veröffentlichungen: Susan Pulliam and Gary McWilliams, Compaq is Criticized for How It Disclosed PC Troubles, Wall Street Journal, 2. März 1999, C1; Susan Pulliam, Abercrombie & Fitch Ignites Controversy Over Possible Leak of Sluggish Sales Data, Wall Street Journal, 21. Juni 1995, C1; George Anders and Robert Berner, Webvan to Delay IPO in Response to SEC Concerns, Wall Street Journal, 7. Oktober 1999, C 16 (in diesem Artikel wird die Veröffentlichung von Informationen gegenüber institutionellen Anlegern auf sog. Road-Shows thematisiert.). 67 Die Beobachtungen der SEC stützen sich insoweit auf folgende Presse-Veröffentlichungen: Fred Barbash, Companies, Analysts A Little Too Cozy, Washington Post, 31. Oktober 1999, H1; Andrew Hill, Let the buyer beware, Financial Times, 27. Oktober 1999, S. 14; Gretchen Morgenson, The Earnings Waltz: Is the Music Stopping?, N.Y. Times, 24. Oktober 1999, S. 3; Robert McGough, One Analyst anticipated IBM News, Wall Street Journal, 22. Oktober 1999, C 1; Jonathan Weil, In Stock Ratings, Many Analysts Say „Sell“ Is a Four-Letter Word, Wall Street Journal, 6. Mai 1998, T2; Jeffrey M. Laderman, Who Can You Trust?, Wall Street’s Spin Game, Stock Analysts Often Have a Hidden Agenda, Business Week, 5. Oktober 1998, S. 148. 68 Grund dafür sei, daß Analysten befürchteten, vom Informationsfluss der Unternehmen abgeschnitten zu werden, falls sie zu negativ über ihre Gesprächspartner berichteten. Siehe dazu John C. Coffee, Jr., Is Selective Disclosure Now Lawful?, N.Y. Law Journal, 31. Juli 1997, S. 5: In this environment, analysts are likely to feel pressured to report favorably about particular issuers to avoid being „cut . . . off from ac-
A. Das Verbot „selektiver‘‘ Publizität
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über, daß viele börsennotierte Unternehmen eine „unfaire“ Informationspolitik betreiben würden, wodurch es zu einer ungerechten Chancenverteilung im Anteilshandel gekommen sei.69 Viele Anleger hätten deswegen ihr Vertrauen in die Integrität des Marktes im allgemeinen und in die Ordnungsgemäßheit der Preisbildung im besonderen verloren. Vor dem Hintergrund dieser sich abzeichnenden Kehrtwende hatte Langevoort bereits vor Erlaß der „Fair Disclosure“-Regelung die Vermutung geäußert, daß die durch die Rechtsprechung des Supreme Court geschaffene Haftungsfreizeichnung für Emittentenvertreter sowie Finanzanalysten noch nicht das letzte Wort in dieser Rechtsfrage gewesen sein würde.70 Dementsprechend faßte die SEC Ende der neunziger Jahre den Entschluß, die Praxis „selektiver“ Publizität weitgehend zu unterbinden. Allerdings stand die SEC dabei vor dem Problem, daß ihr zur Erreichung dieses Ziels der Weg über das Insiderrecht versperrt war. Denn die vom Supreme Court im Rahmen von Rule 10b-5 aufgestellten Haftungskriterien, die eine Haftung des Emittentenvertreters wegen einseitiger Weitergabe von Insiderinformationen an Finanzanalysten nicht zulassen, hätten allenfalls durch den Gesetzgeber beseitigt werden können. Von dessen Seite war jedoch zu diesem Zeitpunkt keine Regelungs-Initiative zu erwarten. Im übrigen vertritt auch die SEC – ähnlich wie der Supreme Court – den Standpunkt, daß ein übermäßiges Insiderverbot den freien Kommunikationsfluß zwischen Emittenten- und Anlegerseite unnötig behindern würde. Daher sieht auch sie die Ausweitung des insiderrechtlichen Anwendungsbereichs vor dem Hintergrund gesamtökonomischer Erwägungen als keine geeignete Maßnahme zur Lösung der „selective disclosure“-Problematik an. Um den Widrigkeiten des Insiderrechts zu entgehen, hat die US-amerikanische Aufsichtsbehörde daher einen anderen Regelungsansatz gewählt. Im August 2000 gelang es der SEC, mit der sog. „Fair Disclosure“-Regelung eine Kompromißlösung zu finden, die einerseits das von der Rechtsprechung entwickelte Insiderrechtssystem nicht verändert und andererseits für eine „faire“ Informationspolitik der Unternehmen sorgt. Anstatt ein allgemeines Weitergabeverbot für Insidertatsachen zu normieren, verpflichtet die „Fair Disclosure“-Regelung – wie eingangs erwähnt – die Emittenten, für die Verbreitung ihrer kursrelevanten Unternehmensinterna ein Medium zu wählen, das im Zweifel alle Anleger erreicht. Aus rechtspolitischer Sicht ist die „Fair Disclosure“-Regelung damit als Reaktion der SEC auf die „unfaire“ Informationspolitik börsennotierter Unternehmen zu sehen.71 Die Aufcess to the flow of non-publice information through future analyst conference phone calls“ or other means of selective disclosure. 69 Vgl. die Begründung zur Regulation FD, Federal Register Volume 65, No. 165, S. 51716, 51717, in der einige persönliche Beschwerden von Anlegern zitiert werden (Fn 10). 70 Langevoort, Insider Trading, § 11.02, S. 4: „In this sense, the issue remains a particularly important and difficult one“.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
sichtsbehörde wollte mit dieser Regelung einen Ausgleich zur insiderrechtlichen Privilegierung des Kommunikationsverhältnisses von Emittentenvertretern und Finanzanalysten schaffen. II. Die „Fair Disclosure“-Regelung im einzelnen Die „Fair Disclosure“-Regelung besteht aus insgesamt 4 Teilbestimmungen, die als Rules 243.100–103 in den Code of Federal Regulation eingearbeitet wurden.72 Von diesen vier Vorschriften bildet Rule 100 den Grundtatbestand. Die Vorschrift normiert die bereits erwähnte Veröffentlichungspflicht für kursrelevante Informationen. Daneben enthält Rule 101 einen Katalog von Definitionen für diejenigen Rechtsbegriffe, die im Grundtatbestand von Rule 100 verwendet werden. Rule 102 und 103 schließlich regeln die Gesetzeskonkurrenz des Regelwerks zu anderen Normen, insbesondere zum Insiderrecht und zu anderen kapitalmarktbezogenen Publizitätspflichten. 1. Der Grundtatbestand der „Fair Disclosure“-Regelung Bislang wurde Rule 100 als „bloße“ Publizitätspflicht für kurserhebliche Informationen umschrieben. Dies wird der Konzeption dieser Regelung jedoch nicht voll gerecht. Die „Fair Disclosure“-Regelung ist vielmehr als eine Publizitätspflicht sui generis einzustufen, weil sie die Veröffentlichungspflicht des Emittenten mit einem Verbot selektiver Informationsweitergabe verknüpft. Anders als etwa die Ad-hoc-Publizität nach deutsch/europäischem Recht wird die Publizitätspflicht gem. Rule 100 nämlich nicht bereits mit Entstehung einer kurserheblichen Information ausgelöst.73 Vielmehr macht die „Fair Disclosure“Regelung die Pflicht des Emittenten zur Veröffentlichung der betreffenden Information von seinem sonstigen Informationsverhalten abhängig. Gem. Rule 100(a) ist ein Emittent zur Offenlegung unternehmensinterner, kursrelevanter Informationen nur dann verpflichtet, wenn er die betreffenden Informationen sowieso an eine unternehmensexterne Person weitergeben wollte bzw. dies bereits getan hat. Drygala hat das Regelungskonzept von Rule 100 treffend auf die einfache Formel reduziert „wenn du es einem sagst, dann sag es gleich allen“.74 71
So auch Drygala, WM 2001, S. 1313. Regulation FD, Code of Federal Regulation, Title 17, Chapter II, Part. 243.100– 243.103. Im folgenden ist aus Vereinfachungsgründen die Rede von Rules 100 bis 103. 73 Dies ist jedoch bei § 15 WpHG der Fall. Danach unterliegt ein Emittent der Veröffentlichungspflicht, sobald eine kurserhebliche Information in seinem Tätigkeitsbereich „eingetreten“ ist. Zum Zeitpunkt des „Eintritts“ einer ad-hoc-publizitätspflichtigen Tatsache vgl. u. a. Burgard, ZHR 162 (1998), S. 51, 71 ff. 74 Drygala, WM 2001, S. 1282, 1290. 72
A. Das Verbot „selektiver‘‘ Publizität
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2. Tatbestandliche Einschränkungen Die in Rule 100 geregelte Veröffentlichungspflicht tritt jedoch nicht immer ein, sobald eine unternehmensinterne, kurserhebliche Information an einen außenstehenden Dritten weitergegeben wird. Vielmehr wird die Pflicht zur gleichmäßigen Information des Anlegerpublikums durch mehrere tatbestandliche Einschränkungen relativiert. Zeitpunkt der Veröffentlichung [a)], Regelungsadressaten [b), c)] und Informationsumfang [d)] sind von der SEC bewußt restriktiv definiert worden, damit die „Fair Disclosure“-Regelung nur ganz gezielt das persönliche Kommunikationsverhältnis zwischen Emittentenvertretern einerseits und Analysten und institutionellen Anlegern andererseits erfaßt. Dagegen soll die Regelung von ihrer tatbestandlichen Ausrichtung her andere Kommunikationsbeziehungen des Emittenten, wie etwa die zu seinen Vertragspartnern und Kunden, nicht erfassen. Die meisten dieser tatbestandlichen Restriktionen sind erst kurz vor Inkrafttreten der Regelung in den Gesetzestext mit aufgenommen worden, nachdem der erste Diskussionsentwurf der „Fair Disclosure“-Regelung aufgrund seines eher weit gezogenen Regelungsbereichs einen Sturm der Entrüstung unter den professionellen Marktteilnehmern ausgelöst hatte.75 Es wurde der SEC vorgeworfen, sie würde mit ihrer geplanten Regelung weit über das von ihr verfolgte Ziel hinausschießen, weil diese nicht nur die selektive Informationspolitik der Unternehmen gegenüber Analysten unterbinden, sondern praktisch sämtliche Kommunikationsbeziehungen des Emittenten „lähmen“ würde (sog. chilling effect). a) Bewußte oder unbewußte Informationsweitergabe Hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem eine kurserhebliche Information zu veröffentlichen ist, unterscheidet Rule 100(a) danach, ob der Emittent bzw. seine Organe die Information absichtlich oder versehentlich an einen außenstehenden Dritten weitergegeben haben. Wird eine kurserhebliche, nicht öffentlich bekannte Information vorsätzlich oder in grob fahrlässiger Verkennung der Sachlage (reckless in not knowing) an einen außenstehenden Dritten weiterleitet, so begeht der Emittent einen Verstoß gegen Regulation FD, sofern er die Information nicht zeitgleich auch dem übrigen Anlegerpublikum zugänglich macht (vgl. Rule 100(a)1). Wird eine kurserhebliche Information dagegen unbewußt, d.h. fahrlässig an einen außenstehenden Dritten weitergeleitet, so genügt es, wenn der Emittent die Information unverzüglich nach Kenntniserlangung von der versehentlich erfolgten Weitergabe veröffentlicht (vgl. Rule 100(a)2).76
75 Der Diskussionsentwurf vom 20. Dezember 1999 ist abgedruckt als sog. Proposed Rule: Selective Disclosure and Insider Trading, S7-31-99, Release Nos. 337787, 34-42259, CCH SEC Docket, Vol. 71 v. 31.1.2000, S. 732 ff.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
Mit dieser Differenzierung trägt die „Fair Disclosure“-Regelung dem Umstand Rechnung, daß es im Einzelfall nicht immer leicht zu beurteilen sein wird, ob eine Information kurserheblich und damit veröffentlichungspflichtig ist oder nicht. Gerade in Einzelgesprächen mit Analysten bleibt dem Emittentenvertreter in der Regel nur wenig Zeit, um die Kurserheblichkeit seiner Aussagen zu überprüfen.77 Daher kann es durchaus passieren, daß eine Information weitergegeben wird, die der Emittent eigentlich noch gar nicht offenlegen wollte. In dieser Situation gibt das Gesetz mit der in Rule 100(a)2 getroffenen Regelung dem Emittenten die Möglichkeit, seinen – versehentlich begangenen – Gesetzesverstoß umgehend wieder gut zu machen, indem er die Information nachträglich gegenüber allen Anlegern offenlegt. b) Eingeschränkter „Täterkreis“ auf seiten des Emittenten Der Anwendungsbereich der „Fair Disclosure“-Regelung wird des weiteren dadurch eingeschränkt, daß nicht jeder Emittentenvertreter, der eine kurserhebliche Information unter Ausschluß der Öffentlichkeit an einen außenstehenden Dritten weitergibt, die Rechtsfolgen von Rule 100(a) auszulösen vermag. Die SEC hat sich bei der Ausarbeitung ihres Regelwerks dazu entschlossen, den Kreis der von der Regelung erfaßten Unternehmensmitarbeiter auf leitende Funktionsträger zu beschränken. Gem. Rule 101(c) der endgültigen Fassung sind lediglich Mitglieder des Vorstands, leitende Angestellte sowie diejenigen Mitarbeiter, die regelmäßig mit Maßnahmen der „investor relations“-Pflege betraut sind, dazu verpflichtet, ein Veröffentlichungsverfahren i. S. der „Fair Disclosure“-Regelung für den Fall durchzuführen, daß sie eine kurserhebliche Information an einen außenstehenden Dritten weitergegeben haben bzw. weitergeben wollen.78 Dahinter steht die Überlegung, daß es nicht verhältnismäßig wäre, jeden Unternehmensmitarbeiter, gleichgültig welche Aufgaben ihm vom Unternehmen übertragen wurden, der Pflichtenbindung der „Fair Disclosure“-Regelung zu un76 Jedoch nicht später als 24 Stunden nach erfolgter Informationsweitergabe, vgl. Rule 101(d). 77 Die US-amerikanische Literatur bezeichnet diese unter Zeitdruck zu treffenden Entscheidung als sog. snap decisions, was soviel bedeutet wie Momentaufnahmen. Vgl. etwa die Stellungnahme von Merril Lynch zum Diskussionsentwurf der „Fair Disclosure“-Regelung, S. 1: „. . ., materiality judgements are too difficult to make on a snap basis.“ 78 Dagegen war im ersten Regelungsentwurf, den die SEC der Bereichsöffentlichkeit im Dezember 1999 als Diskussionsgrundlage vorgestellt hatte, diese Einschränkung noch nicht vorgesehen. Gem. Rule 101(c) des Entwurfs ist jede Informationsweitergabe, die ein Vorstandsmitglied, Angestellter oder ein sonstiger Vertreter der Gesellschaft vornimmt, geeignet, die Publizitätspflicht des Emittenten auszulösen. Vgl. CCH SEC Docket, Vol. 71, S. 732, 738.
A. Das Verbot „selektiver‘‘ Publizität
271
terwerfen. Denn die „Fair Disclosure“-Regelung verlangt ihren Regelungsadressaten ein nicht unerhebliches Maß an Verantwortung im alltäglichen Umgang mit kurserheblichen Informationen ab. Die betroffenen Personen müssen insbesondere darauf achten, daß sie keine kurserheblichen Informationen leichtfertig an außenstehende Dritte weitergeben. Denn sonst würden sie sich einer Haftung wegen Verstoßes gegen Rule 100(a) aussetzen bzw. ihren Arbeitgeber dazu zwingen, Informationen offenzulegen, die dieser (noch) geheim halten will.79 Des weiteren soll dem Emittenten selbst ermöglicht werden, durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen Pflichtverstößen seiner Mitarbeiter entgegenzuwirken. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Kreis der von der Regelung betroffenen Unternehmensmitarbeiter überschaubar bleibt. Denn ein Wertpapieremittent kann immer nur bis zu einem gewissen Grad Compliance-Strukturen innerhalb des eigenen Unternehmens errichten und effektiv durchsetzen. In diesem Zusammenhang spielt zudem eine Rolle, daß die SEC die Emittenten zwar nicht ausdrücklich zum Aufbau einer Compliance-Organisation verpflichtet hat, aber im Zweifelsfall das Vorhandensein solcher Vorsorgemaßnahmen als starkes Indiz dafür werten will, daß eine Information nicht absichtlich, sondern lediglich versehentlich i. S. von Rule 100(a) 2 herausgegeben wurde.80 Um also in den Genuß dieser für sie günstigen Sachverhaltsauslegung kommen zu können, sind die Emittenten schon aus rein faktischen Gründen zum Aufbau einer solchen Organisationsstruktur verpflichtet. Dabei darf das Gesetz an sie jedoch keine übermäßigen Anforderungen stellen. c) Eingeschränkter „Täterkreis“ auf seiten der Informationsempfänger Weiterhin hat die SEC den Anwendungsbereich der „Fair Disclosure“-Regelung auch auf seiten der Informationsempfänger eingeschränkt. Gem. Rule 100(b)1 i–iv besteht nicht bei jedem außenstehenden Dritten, an den eine kurserhebliche Information selektiv weitergegeben wird, automatisch die Pflicht zur unverzüglichen Offenlegung der betreffenden Information. Vielmehr löst eine selektive Informationsweitergabe – vorbehaltlich der in Rule 100(b)2 getroffenen Regelung – die Pflicht zur gleichzeitigen Herstellung der Öffentlichkeit nur dann aus, wenn die Information an einen Wertpapierhändler, Investment-Berater, Fondsmanager oder an einen sonstigen Wertpapierdienstleister weitergegeben wird.81 Im übrigen wird zum tauglichen Empfängerkreis auch jeder Aktien79 Zu den Sanktionen, die ein Verstoß gegen Rule 100 nach sich ziehen kann, vgl. im einzelnen unten 3. Teil, 2. Abschnitt, A. II. 4. 80 Vgl. die Begründung zur Regulation FD, Federal Register, Volume 65, No. 165, S. 51716, 51722: „. . ., it is unlikely that issuers engaged in good-faith efforts to comply with the regulation will be considered to have acted recklessly.“ 81 Die SEC bezeichnet den in Rule 100(b)1 definierten Personenkreis verallgemeinernd auch als „financial market professionals“, vgl. dazu Begründung zur Regulation
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
inhaber gezählt, von dem anzunehmen ist, er werde die an ihn übermittelten Insiderinformationen umgehend dazu nutzen, um entweder seine bereits erworbenen Aktien wieder zu verkaufen bzw. weitere Aktien des Unternehmens dazu zu kaufen. Darüber hinaus normiert Rule 100(b)2 zusätzlich eine Rückausnahme von Rule 100(b)1 für alldiejenigen Personen, die entweder aufgrund einer besonderen Treuebeziehung oder aufgrund einer mit dem Emittenten geschlossenen Vereinbarung zur vertraulichen Behandlung der an sie übermittelten Informationen verpflichtet sind. Dazu zählen auch alle sog. Ratingagenturen (vgl. Rule 100(b)2 iii), vorausgesetzt ihnen wird allein aus Gründen der Unternehmensbewertung Einblick in die Unternehmensinterna gewährt. Überschneiden sich also die in Rule 100(b)1 und 2 genannten Personenkreise, so ist letztere Vorschrift maßgebend. Übermittelt danach etwa ein Emittent eine kurserhebliche Information an einen Wertpapierhändler, der aufgrund einer besonderen Treuebeziehung zum Stillschweigen gegenüber dem Wertpapieremittenten verpflichtet ist, so besteht für den Emittenten nicht die Verpflichtung, die betreffende Information auch dem übrigen Anlegerpublikum zugänglich zu machen. Diese Rückausnahme ist bewußt auf das auf der Grundlage von Rule 10b-5 entwickelte Insiderverbot abgestimmt worden. Denn Personen, die aufgrund einer besonderen Treuebeziehung oder eines vergleichbaren Rechtsverhältnisses mit dem Unternehmen verbunden sind, unterliegen als sog. „temporary insiders“ bereits dem insiderrechtlichen Verwertungsverbot. Insofern ist für diese Informationsempfänger bereits ein entsprechender Schutzmechanismus gegeben, der eine zusätzliche Heranziehung der „Fair Disclosure“-Regelung überflüssig macht. Insgesamt dient die in Rule 100(b) vorgenommene Einschränkung des Adressatenkreises der Aufrechterhaltung normaler, beruflich veranlaßter Kommunikationsflüsse zwischen dem Unternehmen einerseits und seinen Kunden, Zulieferern und strategischen Partnern andererseits.82 Ähnlich wie das insiderrechtliche Weitergabeverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, will auch die „Fair Disclosure“-Regelung solche Informations-Mitteilungen nicht unterbinden, die „im normalen Rahmen der Berufs- und Geschäftsausübungstätigkeit“ und damit nicht zum alleinigen Zwecke der Chancenverwertung im Anteilshandel erfolFD, Federal Register, Volume 65, No. 165, S. 51716, 51719. Dazu zählt selbstverständlich auch die Berufsgruppe der Finanzanalysten. Soweit ein Finanzanalyst als sog. „sell-side analyst“ für ein Brokerhaus oder einen anderen Vertreiber von Wertpapieren arbeitet, ist er bereits von Abs. i erfaßt. Soweit er dagegen selbständig arbeitet oder bei einer Fondsgesellschaft angestellt ist (sog. „buy-side analyst“), ist er als ein Investment Adviser i. S. von Section 202(a)11 des Investment Advisers Act anzusehen und wird daher von Abs. ii erfaßt. 82 Begründung zur Regulation FD, Federal Register, Volume 65, No. 165, S. 51716, 51719.
A. Das Verbot „selektiver‘‘ Publizität
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gen. In beiden Fällen steht dahinter die Überlegung, daß für die Funktionsfähigkeit anerkannter wirtschaftlicher Institutionen Informationsflüsse erforderlich sind, die nicht der gesamten (Bereich-)Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Im Gegensatz zum deutsch/europäischen Insiderrecht geht die „Fair Disclosure“-Regelung in diesem Zusammenhang allerdings noch einen Schritt weiter und konkretisiert diejenigen Kommunikationsbeziehungen, die nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Verbotsbestimmung fallen sollen. Anders als das deutsch/europäische Insiderrecht greift die „Fair Disclosure“-Regelung damit gezielt und nur punktuell in das Kapitalmarktgeschehen ein. Indem die SEC insbesondere professionelle Kapitalmarktexperten und aktuelle Aktieninhaber als potentielle Adressaten ausdrücklich benennt, spricht sie das Problem der „selective disclosure“ unmittelbar an. Denn die Adressaten der selektiven Informationspolitik börsennotierter Unternehmen sind in der Regel nur diejenigen, die von Rule 100(b) als „taugliche“ Informationsempfänger aufgezählt werden. Dazu zählen insbesondere Analysten und einflußreiche Großinvestoren. Dagegen wäre es überflüssig, auch andere Personenkreise in die Regelung mit einzubeziehen. d) Keine Anwendung der „Mosaiktheorie“ Schließlich hat die SEC den Regelungsumfang der „Fair Disclosure“-Regelung dadurch eingeschränkt, daß sie die von der Rechtsprechung für das Insiderrecht entwickelte „Mosaiktheorie“ im Rahmen der „Fair Disclosure“-Regelung für nicht anwendbar erklärt hat.83 Ein Emittent ist also aufgrund der „Fair Disclosure“-Regelung nicht daran gehindert, Informationsbruchstücke, die erst in Kombination mit anderen, möglicherweise schon veröffentlichten Informationen kurserheblich sein können, an außenstehende Dritte unter Ausschluß der Öffentlichkeit weiterzugeben. Wegen der Unanwendbarkeit der sog. „Mosaiktheorie“ ist die Kurserheblichkeit einer Information bzw. eines Informationsbruchstücks stets isoliert für sich zu bestimmen, ohne dabei andere Informationen berücksichtigen zu müssen. Ist ein Informationsbruchstück für sich nicht geeignet, im Falle seiner Veröffentlichung den Kurs des betreffenden Papiers zu beeinflussen, so fällt es auch nicht in den Anwendungsbereich von Rule 100. Diese tatbestandliche Einschränkung wurde vor allem im Hinblick auf die Berufsbelange der Analysten vorgenommen. Ihnen soll durch die „Fair Disclosure“-Regelung nicht der notwendige Anreiz für ihre gesamtökonomisch sinnvolle Tätigkeit genommen werden. Denn wären die Emittenten zur Offenlegung
83 Vgl. Begründung zur Regulation FD, Federal Register, Volume 65, No. 165, S. 51716, 51722: „. . ., an issuer is not prohibited from disclosing a non-material piece of information to an analyst, even if, unbeknownst to the issuer, that piece helps the analyst complete a „mosaic“ of information that, taken together, is material.“
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
sämtlicher Informationsstücke, die potentiell kursrelevant sein könnten, verpflichtet, so verbliebe den Analysten kaum noch Spielraum, um sich durch intensive Recherchearbeiten einen Informationsvorsprung gegenüber dem restlichen Anlegerpublikum zu erarbeiten. Die mögliche Folge wäre, daß die Analysten ihre Tätigkeit ganz einstellen würden. Um dies zu vermeiden, sind die Emittenten aufgrund der „Fair Disclosure“-Regelung nur zu Offenlegung solcher Informationen verpflichtet, deren Kurserheblichkeit auch von einem durchschnittlichen Anleger ohne weiteres ermittelt werden kann. 3. Wahlmöglichkeit beim Veröffentlichungsverfahren Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der „Fair Disclosure“-Regelung erfüllt, ist der Emittent zur Veröffentlichung der betreffenden Information verpflichtet. Gem. Rule 101(e) kann er dabei zwischen einem förmlichen und einem alternativen Veröffentlichungsverfahren wählen. Entscheidet er sich gem. Absatz 1 der Vorschrift für das förmliche Veröffentlichungsverfahren, muß er bestimmte gesetzliche Vorgaben einhalten. Insbesondere muß er für die Publikation ein von der SEC erstelltes Formular verwenden.84 Entscheidet er sich für die alternative Veröffentlichungsform, kann der Emittent das Verfahren grundsätzlich frei gestalten. Gem. Rule 101(e)2 muß er lediglich darauf achten, daß die von ihm gewählte Art der Veröffentlichung auch tatsächlich geeignet ist, sämtliche Anleger zu erreichen. In der Begründung zur Regulation FD rät die SEC den Emittenten deshalb zu einer Kombination aus verschiedenen Kommunikationsmedien. Danach soll der Emittent zunächst eine Pressemitteilung für die betreffende Information an eine überregionale Tageszeitung herausgeben. In einem zweiten Schritt soll er sodann eine Pressekonferenz veranstalten, auf der er das betreffende Ereignis mit den daran interessierten Anlegern diskutiert. Zu dieser Veranstaltung soll er via Internet die Anleger frühzeitig einladen. Wenn er dieses Verfahren einhält, so hat der Emittent nach Auffassung der SEC den Anforderungen der Rule 101(e)2 an eine umfassende Veröffentlichung genügend Rechnung getragen. 4. Sanktionen bei Verstoß gegen Regulation FD Ein Verstoß gegen die „Fair Disclosure“-Regelung kann von der SEC mit unterschiedlichen Instrumenten sanktioniert werden. So kann die Aufsichtsbehörde 84 Dabei handelt es sich um ein Formblatt namens Form 8-K, welches von der SEC im Zusammenhang mit anderen Publizitätspflichten ausgearbeitet wurde und der Vereinfachung und Vereinheitlichung des Veröffentlichungsverfahrens dient. So ist gem. section 13(a)(1) des SEA und der darauf basierenden Rule 13a-11 jeder Emittent zur laufenden Veröffentlichung von bestimmten kurserheblichen Tatsachen verpflichtet. Eine Liste dieser kurserheblichen Tatsachen ist in dem sog. Form 8-K enthalten. Vgl. dazu Steinhauer, S. 182 f. und auch Gruson/Wiegmann, S. 173, 175 ff.
A. Das Verbot „selektiver‘‘ Publizität
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zum einen im Wege der sog. administrative action eine Unterlassungsverfügung gegen den betreffenden Emittenten erlassen, die ihn unter Androhung eines Bußgelds dazu verpflichtet, in Zukunft von einer solchen Informationspraxis abzusehen. Des weiteren kann die SEC ein sog. civil action-Verfahren gegen den betreffenden Emittenten vor dem dafür zuständigen Bezirksgericht anstrengen. Hat die Klage Erfolg, so kann das Gericht den Emittenten für seine Gesetzesverfehlung zur Zahlung von Schadensersatz an die SEC verurteilen. Dabei erfolgt die Bemessung der Höhe des zu zahlenden Schadensersatzes nicht anhand von Kompensationserwägungen, sondern es wird zu Abschreckungszwekken bewußt eine überhöhte Summe festgesetzt (sog. civil money penalties). Trotz der genannten Sanktionsmöglichkeiten wird ein Verstoß gegen die „Fair Disclosure“-Regelung deutlich milder bestraft als ein Verstoß gegen Rule 10b-5. Denn anders als im Insiderrecht sind im Rahmen der „Fair Disclosure“-Regelung sowohl strafrechtliche Sanktionen als auch private Schadensersatzklagen von geschädigten Anlegern ausgeschlossen. Darauf weist die SEC in der Begründung zur Regulation FD ausdrücklich hin.85 Diese Beschränkung des Haftungsumfangs stellt eine erhebliche Entlastung für die betroffenen Emittenten dar. Denn im Vergleich zu Unterlassungsverfügungen und Schadensersatzklagen der SEC sind die ausgeschlossenen Sanktionsmöglichkeiten in ihren Auswirkungen deutlich schwerwiegender. Zwar kann auch im Wege der von der SEC durchgeführten civil action ein Organvertreter des Emittenten persönlich zur Verantwortung gezogen werden. Jedoch macht es für die betroffenen Regelungsadressaten einen erheblichen Unterschied, ob sie bei Gesetzesverstößen strafrechtliche oder lediglich zivilrechtliche Sanktionen befürchten müssen. Für den Emittenten selbst ist zudem der Ausschluß privater Schadensersatzklagen von geschädigten Anlegern besonders wichtig. Denn bekanntermaßen kann eine Flut von privaten Schadensersatzklagen zu einem erheblichen Kostenrisiko für das betroffene Unternehmen werden. Ähnlich wie die Einschränkungen, die die SEC auf der Tatbestandsseite der „Fair Disclosure“-Regelung vorgenommen hat, dient auch der Ausschluß strafrechtlicher und anderer schwerwiegender Sanktionen auf der Rechtsfolgenseite dem Zweck, die rechtspolitischen Bedenken, die gegen die neue Regelung im Vorfeld hervorgebracht wurden, zu entkräften. Wie bereits erwähnt, befürchteten die Kritiker der Regulation FD, daß die neue Regelung einen „chilling effect“ auf die Kapitalmarktkommunikation der Emittenten haben werde. Um dies zu vermeiden, hat die SEC u. a. die Sanktionsdrohungen auf ein für die Effektivität der Regelung notwendiges Maß reduziert.86
85 Vgl. Begründung zur Regulation FD, Federal Register, Volume 65, No. 165, S. 51716, 51726: „It [Regulation FD] is not an antifraud rule, and it is not designed to create new duties under the antifraud provisions of the federal securities laws or in private rights of action.“
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
5. Kein Einfluß auf den Umfang des Insiderrechts Rule 102 stellt schließlich ausdrücklich klar, daß ein Verstoß gegen die „Fair Disclosure“-Regelung nicht zugleich als ein Verstoß gegen Rule 10b-5 sanktioniert werden kann. In der Begründung zur Regulation FD führt die SEC dazu aus, das neue Regelwerk habe keinerlei Auswirkungen auf das von der Rechtsprechung entwickelte Insiderrecht. Regulation FD erweitere insbesondere nicht den insiderrechtlichen Haftungsumfang. Eine selektive Informationsweitergabe ist also auch nach Inkrafttreten der „Fair Disclosure“-Regelung nur dann als ein strafbarer Insidertip i. S. von Rule 10b-5 zu werten, wenn der Tipgeber durch die Informationsweitergabe einen persönlichen Vorteil erlangen will (vgl. den sog. Dirks-Test). Durch den Erlaß der „Fair Disclosure“-Regelung hat sich damit an der insiderrechtlichen Privilegierung des Kommunikationsverhältnisses von Emittentenvertretern und Analysten im US-amerikanischen Recht nichts geändert.
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts Wie der Rechtsvergleich zeigt, bestehen zwischen dem US-amerikanischen und dem deutsch/europäischen Insiderrecht erhebliche Regelungsunterschiede. Letztlich haben die beiden Rechtsordnungen zwei völlig verschiedene Lösungsansätze zur Bekämpfung von Insiderhandel gewählt. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß das Spannungsverhältnis zwischen informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse jenseits des Atlantiks anders gehandhabt wird als hierzulande. Während das deutsch/europäische Insiderrecht die Frage nach der angemessenen insiderrechtlichen Behandlung der Analysten weitgehend übergeht, indem es diese Berufsgruppe grundsätzlich denselben Regeln unterwirft wie alle anderen Marktteilnehmer auch87, hat das US-amerikanische Recht mit der „Fair Disclosure“-Regelung einen ausdifferenzierten Lösungsansatz für diesen Interessenkonflikt gewählt. Danach begegnet das US-amerikanische Insiderrecht, anders als das deutsch/europäische Recht, der Gefahr einer Ausuferung der Kommunikationsbeziehungen zwischen Analysten und Emittentenvertretern nicht allein mit repressiven sondern zusätzlich mit präventiven Regelungselementen. Im Gegensatz zum deutschen Kapitalmarktrecht, wo das Insiderverbot (§§ 12–14 WpHG) und die Ad-hoc-Publizitätspflicht (§ 15 WpHG) nur z. T. aufeinander abgestimmt sind und daher nicht als eine Regelungseinheit 86 Vgl. Begründung zur Regulation FD, Federal Register, Volume 65, No. 165, S. 51716, 51726: „We recognize that the prospect of private liability for violations of Regulation FD could contribute to a „chilling effect“ on issuer communications. Issuers might refrain from some informal communications with outsiders if they feared that engaging in such communications, even when appropriate, would lead to their being charged in private law suits with violations of Regulation FD.“ 87 Vgl. dazu oben das Ergebnis des 1. Teils der Arbeit (4. Abschnitt, B.).
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
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angesehen werden können, hat der US-amerikanische Gesetzgeber die Publizitätspflicht der „Fair Disclosure“-Regelung deutlich stärker mit dem auf der Grundlage von Rule 10b-5 entwickelten Insiderrecht verknüpft. Ob jedoch der US-amerikanische Gesetzgeber dadurch den latenten Regelungskonflikt zwischen informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse tatsächlich besser gelöst hat, bleibt offen. Entscheidendes Kriterium für die Beantwortung dieser Frage wird sein, ob sich die US-amerikanische Insiderregelung in ihrer jetzigen Form, d.h. unter Berücksichtigung der „Fair Disclosure“-Regelung, faktisch weniger „lähmend“ auf die Kapitalmarktkommunikation auswirkt als ihr deutsch/europäisches Pendant (sog. „chilling effect“). I. Erörterung und Vergleich einzelner Teilbestimmungen Die Frage soll zunächst im Wege einer Einzelbetrachtung erörtert werden. Zu diesem Zweck werden einzelne Regelungselemente des US-amerikanischen Insiderrechts mit ihrem regulativen Gegenstück aus dem deutsch/europäischen Insiderrecht verglichen. Auf diese Weise läßt sich feststellen, wo jeweils Unterschiede zwischen den beiden Regelwerken bestehen und welche (faktischen) Konsequenzen sich daraus für das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse ergeben. Erst im Anschluß an die Einzelbetrachtung kann ein abschließendes Gesamturteil aus den Teilergebnissen ermittelt werden. 1. Vergleich des Insider-Rechtsrahmens für Emittentenvertreter Entscheidend für die Kommunikationsbereitschaft der Emittenten gegenüber außenstehenden Dritten sind Umfang und Ausgestaltung des insiderrechtlichen Weitergabeverbots. Je strenger dieses Verbot ausgestaltet ist, desto höher ist die Gefahr, daß börsennotierte Unternehmen im Rahmen ihrer „Investor Relations“Politik auf persönliche Kommunikationsformen verzichten. a) Ähnlicher Verbotsumfang trotz konzeptioneller Unterschiede Ein Vergleich der beiden Teilregelungen zeigt, daß das US-amerikanische Recht grundsätzlich ein ähnlich umfangreiches Weitergabeverbot für Emittentenvertreter normiert hat wie das deutsch/europäische Recht. Zwar ist das Weitergabeverbot für Emittentenvertreter im US-amerikanischen Recht konzeptionell anders ausgestaltet als im deutschen Recht. Denn im US-amerikanischen Recht existiert keine mit § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG vergleichbare Verbotsnorm, die den Emittentenvertretern die Weitergabe von Insiderinformationen an Dritte ausdrücklich verbietet. Ein solches Verbot wird auch nicht aus der zentralen
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
Norm des US-amerikanischen Insiderrechts (Rule 10b-5) im Wege der ergänzenden Gesetzesauslegung abgeleitet. Auf der Grundlage von Rule 10b-5 haften Emittentenvertreter vielmehr nur dann für die Weitergabe von Insiderinformationen, wenn sie sich daran persönlich bereichern wollen (personal benefit test).88 Auch die „Fair Disclosure“-Regelung verbietet den Emittentenvertretern nicht die (selektive) Weitergabe von Insiderinformationen. Sie stellt nur sicher, daß die betreffenden Informationen vorab oder zeitgleich ordnungsgemäß veröffentlicht werden, wenn sie an Finanzanalysten weitergegeben werden. Doch obwohl die sog. „Fair Disclosure“-Regelung eigentlich nur eine Publizitätspflicht für börsennotierte Unternehmen normiert, läuft sie letztlich auf ein selektives Weitergabeverbot für Emittentenvertreter hinaus. Denn im Ergebnis verbietet diese Regelung den Emittentenvertretern, ebenso wie § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, Insiderinformationen selektiv an Finanzanalysten weiterzugeben, ohne diese zugleich allen anderen Marktteilnehmern offenzulegen. Für die Frage nach dem Ausmaß des sog insiderrechtlichen „chilling effect“ ist daraus zu folgern, daß das US-amerikanische Recht jedenfalls im Hinblick auf den Verbotsumfang des Weitergabeverbots den Emittentenvertretern keine Privilegierung gegenüber dem deutsch/europäischen Insiderrecht gewährt. Angesichts des umfassenden Verbots selektiver Information ließen sich daher grundsätzlich dieselben Vorwürfe, die gegenüber dem Weitergabeverbot der deutsch/europäischen Insiderregelung erhoben werden, auch auf das US-amerikanische Insiderrecht übertragen. b) Regelungsbesonderheiten im US-amerikanischen Recht Allerdings muß bei der Bewertung des US-amerikanischen Insider-Rechtsrahmens für Emittentenvertreter zusätzlich berücksichtigt werden, daß die SEC den Verbotsumfang der „Fair Disclosure“-Regelung – in Abweichung zur deutsch/ europäischen Regelung – durch einige Regelungsbesonderheiten wieder eingeschränkt hat. Diese Regelungszusätze führen zwar nicht zu einer grundlegenden Relativierung der Verbotsaussage. Sie scheinen aber dennoch geeignet zu sein, den sog. „chilling effect“ des für Emittentenvertreter geltenden Weitergabeverbots deutlich abzuschwächen.89 aa) Die Möglichkeit zur Exculpation gem. Rule 100a Nr. 2 Die größte Entlastung dürfte für die mit der „Investor Relations“-Pflege beauftragten Personen sicherlich die in Rule 100a Nr. 2 vorgesehene Exculpa88
Vgl. dazu oben 3. Teil, 1. Abschnitt, B. IV. 1. Vgl. dazu die Pressemitteilung des Chairman der SEC, Arthur Lewitt, vom 10.08.2000, in der er die Problematik des sog. „chilling effects“ anspricht. Die Mitteilung ist unter der Internetadresse www.sec.gov abrufbar. 89
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
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tionsregelung bringen. Danach besteht für einen Emittentenvertreter die Möglichkeit, bei einem fahrlässigen Verstoß gegen das Weitergabeverbot durch eine Art „Selbstanzeige“ das ansonsten drohende Ermittlungsverfahren bereits im Vorfeld abzuwenden, indem er umgehend ein allgemeines Veröffentlichungsverfahren für die versehentlich weitergebene Information einleitet. Hat danach ein Emittentenvertreter fahrlässig eine Insiderinformation selektiv an einen außenstehenden Dritten weitergegeben, so bleibt dieser Verstoß ungeahndet, wenn er bzw. das Unternehmen die Information unverzüglich (d.h. innerhalb der nächsten 24 Stunden) der Allgemeinheit zugänglich macht. Diese Regelung ist in besonderem Maße geeignet, die aufgrund des Weitergabeverbots entstehenden Kommunikationshemmnisse zwischen Emittentenvertretern und Analysten zu beseitigen. Dem Emittentenvertreter, der sich den Fragen der Finanzanalysten im Rahmen von Einzelgesprächen stellt, wird dadurch die Furcht genommen, sich durch eine kleine Unachtsamkeit einer Haftung nach dem Insiderrecht auszusetzen. Das deutsch/europäische Recht enthält keine mit Rule 100a Nr. 2 vergleichbare Regelung. Hat ein Unternehmensinsider erst einmal eine kurserhebliche Information entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG an einen Finanzanalysten oder einen anderen außenstehenden Dritten weitergegeben, so besteht keinerlei Möglichkeit, diesen Gesetzesverstoß nachträglich – etwa durch Veröffentlichung der Information in analoger Anwendung der Vorschriften über die Ad-hoc-Publizität – wieder gutzumachen.90 Das WpHG sieht also keine besondere Form eines persönlichen Strafaufhebungsgrunds vor.91 Ein strafbefreiender Rücktritt nach den Regeln des allgemeinen Strafrechts (§ 24 StGB) scheidet ebenfalls aus, weil die vom Insider begangene Tat bereits mit Weitergabe der Information vollendet ist. Ein Rücktritt ist jedoch nur solange möglich, wie die Tat noch nicht beendet wurde bzw. der Täter Grund zur Annahme hat, daß die Tat noch nicht beendet sein könnte. Der Emittentenvertreter haftet also bereits ab dem Moment, in dem er die Information an den Finanzanalysten weitergibt. Insofern trägt die in Rule 100a Nr. 2 getroffene Regelung in erheblichem Maße zur Abschwächung des insiderrechtlichen Haftungsrisikos bei. Zwar ließe sich zugunsten des deutsch/europäischen Insiderrechts einwenden, daß ein fahrlässiger Verstoß gegen das insiderrechtliche Weitergabeverbot überhaupt nicht strafbar bzw. bußgeldbewehrt ist, so daß eine mit Rule 100a Nr. 2 vergleichbare Regelung im deutschen Recht gar nicht notwendig sei. Doch darf nicht übersehen werden, daß die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 90 Es kommt dann für seine Veurteilung allein darauf an, ob der Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Denn anders als im US-amerikanischen Recht haftet der Emittentenvertreter nach deutschem Insiderrecht nicht bei einer fahrlässigen Begehungsweise. 91 Denkbar wäre eine Regelung gewesen, nach der etwa bis zur Verwertung der Information durch den Informationsempfänger eine strafbefreiende Veröffentlichung möglich ist.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
ihre Ermittlungen bereits bei Vorliegen des objektiven Tatbestands einleitet.92 Eine mögliche Rufschädigung des betreffenden Unternehmens kann daher auch dann eintreten, wenn der Emittentenvertreter nur versehentlich die Information preisgegeben hat. Nicht zuletzt deshalb würde eine „Selbstanzeige“-Möglichkeit auch für das deutsche Insiderrecht Sinn machen. bb) Keine strafrechtlichen Sanktionen Anders als nach deutsch/europäischem Insiderrecht muß der Emittentenvertreter nach US-amerikanischen Recht bei einem Verstoß gegen das Weitergabeverbot grundsätzlich keine strafrechtlichen Sanktionen befürchten.93 Die SEC leitet in einem derartigen Fall „lediglich“ administrative bzw. zivilrechtliche Maßnahmen ein. Dieser Aspekt dürfte sich ebenfalls abschwächend auf das Ausmaß der faktischen Verbotswirkungen auswirken. Denn sicherlich käme einer strafrechtlichen Sanktionsandrohung nicht zuletzt wegen des damit verbundenen Unwerturteils eine deutlich stärkere Abschreckungswirkung zu. cc) Mehrstufige Unternehmensentscheidungen Des weiteren erleichtert das US-amerikanische Recht den Informationsaustausch zwischen Emittentenvertretern und Analysten insofern, als es den Emittenten hinsichtlich der Frage, zu welchem Zeitpunkt eine mehrstufige Unternehmensentscheidung zu veröffentlichen ist, im Gegensatz zum deutschen Recht94 keinerlei Probleme bereitet. Denn anders als im deutschen Recht, gibt es im US-amerikanischen Recht keine bzw. eine nur sehr eingeschränkte Pflicht zur Veröffentlichung kursrelevanter Unternehmensinformationen. Damit entfällt aber auch die schwierige Auslegungsfrage, wann eine Unternehmensentscheidung veröffentlicht werden kann und darf. In Deutschland werden zu dieser Frage z. T. sehr kontroverse Standpunkte vertreten. Eine Auffassung geht dahin, Unternehmensentscheidungen erst dann gem. § 15 WpHG zu veröffentlichen, wenn auch das letzte Entscheidungsorgan der Maßnahme zugestimmt hat.95 92 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 43 Rz. 154; vgl. auch oben 1. Teil, 4. Abschnitt, A. 93 Eine strafrechtliche Sanktionsdrohung besteht nur bei einem Verstoß gegen Rule 10b-5. Die Weitergabe von Insiderinformationen wird jedoch von dieser Norm nicht erfaßt, solange der Emittentenvertreter dabei keinen „persönlichen Vorteil“ anstreben will. Die „Fair Disclosure“-Regelung sieht hingegen nur administrative und zivilrechtliche Sanktionen vor. Vgl. oben 3. Teil, 1. Abschnitt, B. IV. 1, C. V. 1.; 2. Abschnitt, A. II. 4. 94 Siehe zum Problem mehrstufiger Unternehmensentscheidungen Schwark, in FS Bezzenberger, S. 771 ff. 95 Hopt, ZHR 159 (1995), S. 135, 152; ders., in: Festgabe für Hellner, WM 1994, S. 29, 30.
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
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Dieser Auslegungsvorschlag kann im Einzelfall dazu führen, daß eine Information unternehmensintern sehr lange geheim gehalten werden muß.96 Analystengespräche werden in solchen Fällen zur Qual. Diese Problematik besteht im USamerikanischen Recht nicht, weil dort der Veröffentlichungszeitpunkt einer Information nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, sondern allein vom Informationsverhalten des Unternehmens abhängt. dd) Rechtssicherheit hinsichtlich der sogenannten „Mosaik“-Theorie Ein vierter und letzter Gesichtspunkt, der für eine schwächere Ausprägung des „chilling effects“ im US-amerikanischen Insiderrecht spricht, ist das von der SEC gemachte Zugeständnis an Emittenten- und Analystenvertreter, auf die Anwendung der sog. „Mosaik“-Theorie im Rahmen der „Fair Disclosure“-Regelung zu verzichten.97 Anders als im deutschen Recht, wo die rechtliche Behandlung der sog. „Mosaik“-Theorie auf der Grundlage von § 13 Abs. 2 WpHG noch weitgehend ungeklärt ist98, besteht im US-amerikanischen Insiderrecht Rechtssicherheit in der Frage, inwieweit Informationen selektiv weitergegeben werden dürfen, die für sich gesehen (noch) nicht kursrelevant sind, die aber in Kombination mit anderen – möglicherweise schon veröffentlichten – Informationen zu einer neuen Beurteilung der Sachlage führen würden. Zwar steht nach der bisher herrschenden Meinung die Mosaik-Theorie auch im deutschen Recht zumindest der Weitergabe von sog. Informationsbruchstücken nicht entgegen. Allerdings wäre auch hier eine Klarstellung seitens des Gesetzgebers für das Kommunikationsverhalten der Unternehmen förderlich. 2. Vergleich des Insider-Rechtsrahmens für Finanzanalysten Für die Rechtsposition der Finanzanalysten fällt das Ergebnis des Rechtsvergleichs noch klarer aus. Deutlicher noch als bei den Emittentenvertretern löst das US-amerikanische Insiderrecht hier den Interessenkonflikt zwischen informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse zugunsten der Informationsintermediäre und damit zugunsten einer effektiven Kapitalmarktkommunikation. Anders als im deutschen Recht sind die Analysten nach US-amerikanischen Insiderrecht weitgehend von einer Haftung freigestellt. Maßgebend für Umfang und Inhalt des insiderrechtlichen Verwertungsverbots sind im US-amerikanischen Insiderrecht die sog. „fiduciary duty“- und die „misappropriation“theory.99 Diese beiden Theorien hindern den Tipempfänger an der Informations96 97 98 99
Kiem/Kotthoff, DB 1995, S. 1999, 2001. Vgl. oben 3. Teil, 2. Abschnitt, A. II. 2. d). Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, B. II.–IV. Vgl. oben 3. Teil, 1. Abschnitt, B. u. C.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
verwertung jedoch nur dann, wenn er die Information zuvor durch kollusives Zusammenwirken mit seinem Tipgeber erlangt hat. Dies ist lediglich dann der Fall, wenn er seinem Tipgeber einen persönlichen Vorteil gewährt. Im Rahmen sog. „Vor-Ort“-Gespräche ist dies eher untypisch, so daß für Finanzanalysten praktisch nie ein Verwertungsverbot besteht. Zwar sind sie nach den Grundsätzen der „misappropriation“-theory in der Regel auch noch gegenüber ihren eigenen Arbeitgebern zur Loyalität verpflichtet. Dies dürfte sie aber allenfalls daran hindern, die Information zu ihren eigenen Gunsten zu verwerten. Eine Verarbeitung der zufällig erlangten Insiderinformationen in ihre Analysen und Empfehlungen dürfte hingegen im Interesse und mit Willen ihres Arbeitgebers geschehen. 3. Vergleich der Pflichtenbindungen auf seiten der Analyseadressaten Schließlich darf bei einem Vergleich der beiden Insiderregelungen die Rechtsposition der sog. „Informationsendabnehmer“ nicht außer Betracht bleiben. Für die gesamtökonomische Bedeutung der Analystentätigkeit ist es von erheblicher Bedeutung, ob Anleger die Rechercheergebnisse der Analysten auch dann verwerten dürfen, wenn diese Insiderinformationen enthalten. Denn die Analysearbeit professioneller Marktteilnehmer kann sich nur dann positiv auf die Preisbildung des Marktes auswirken, wenn die Anleger, die auf das Spezialwissen der Analysten zurückgreifen, diese auch verwerten dürfen. Anders als im deutsch/europäischen Recht, ermöglicht es die spezielle Ausgestaltung der „misappropriation“- und der „fiduciary duty“-theory, daß Informationen, die ohne einen sog. „Treuebruch“ (breach of duty) in die Hände der Analysten geraten sind, auch noch von Personen, die am Ende der Informationskette stehen, straffrei verwertet werden dürfen. Im deutsch/europäischen Insiderrecht wird dieser gesamtökonomisch positive Effekt durch die Regelung über die sog. Sekundärinsider verhindert. Danach unterliegt jede Person dem Verwertungsverbot, die Kenntnis von einer Insidertatsache hat, unabhängig davon, unter welchen Umständen sie die Information erlangt hat. Die deutsche Regelung setzt also bei jeder Person neu an, anstatt die Verwertbarkeit der Information danach zu beurteilen, unter welchen Umständen sie ursprünglich die Informationsquelle verlassen hat. II. Gesamtbewertung Die Einzelbetrachtung hat gezeigt, daß das US-amerikanische Insiderrecht in vielen Punkten das Kommunikationsverhältnis zwischen der Emittenten- und der Anlegerseite weniger streng reguliert als das deutsche Recht. Dementsprechend eindeutig fällt auch die Gesamtbewertung des Rechtsvergleichs aus. Im
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
283
Ergebnis schränkt das US-amerikanische Recht die freiwillige Kommunikation zwischen Emittentenvertretern und Analysten deutlich weniger ein als das deutsch/europäische Recht und löst daher das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse insgesamt besser. Zum einen enthält es eine Reihe von Detailregelungen, die den sog. „chilling effect“, den das Insiderrecht grundsätzlich auf die freiwillige Unternehmenspublizität hat, abschwächen. Zum anderen läßt das US-amerikanische Recht im Gegensatz zum deutsch/europäischen Insiderrecht den Finanzanalysten genügend Anreiz, nach neuen Informationen zu suchen, indem es die Vertreter dieser Berufsgruppe weitgehend von einer Insider-Haftung ausnimmt und ihnen so die freie Verwertung ihrer Recherchebemühungen ermöglicht. Im Rahmen der Gesamtbewertung der beiden Insiderwerke ist der besondere Stellenwert der „Fair Disclosure“-Regelung hervorzuheben. Der damit eingeschlagene Lösungsweg gibt den Ausschlag zugunsten des US-amerikanischen Rechts. Die Regelung bietet gleich mehrere Vorteile gegenüber einer herkömmlichen insiderrechtlichen Lösung. Zum einen hätte das US-amerikanische Insiderrecht das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse ohne die nachträgliche Einfügung dieser Regelung zu einseitig zu Gunsten der Interessen der Informationsintermediäre gelöst. Zum anderen hat der amerikanische Gesetzgeber mit der „Fair Disclosure“-Regelung einen vergleichsweise modernen Weg gefunden, um die starke Regulierungswirkung eines klassischen, gesetzlich geregelten Weitergabeverbots umgehen zu können, ohne auf die notwendige Eindämmung des Informationsflusses zwischen Emittentenvertretern und Finanzanalysten verzichten zu müssen. Die „Fair Disclosure“-Regelung dient in erster Linie der präventiven Bekämpfung von Insiderhandel. Zugleich wirkt sie jedoch – ähnlich einem repressiven Handlungsverbot – regulierend auf den Kommunikationsprozeß des Marktes ein. Im Ergebnis trägt die „Fair Disclosure“-Regelung damit den Bedürfnissen der Finanzanalysten genügend Rechnung und stärkt zugleich das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Marktes. Dabei stellt die „Fair Disclosure“-Regelung keineswegs lediglich eine Kombination aus insiderrechtlichem Weitergabeverbot und Ad-hoc-Publizitätspflicht dar. Sie ist vielmehr eine Regelung sui generis, die das Spannungsverhältnis von Wertpapieranalyse und Insiderrecht deshalb besser als die beiden Einzelregelungen im deutsch/europäischen Insiderrecht zu lösen vermag, weil sie die Publizitätspflicht der Emittenten nicht an die Entstehung der Information knüpft, sondern an das Informationsverhalten des Unternehmens.100 Schließlich ist es vor dem Hintergrund gesamtökonomischer Erwägungen als sinnvoll und angemessen anzusehen, daß die US-amerikanische Regelung 100
Vgl. bereits oben 3. Teil, 2. Abschnitt, A. II. 1.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
(weitgehend) darauf verzichtet, die Adressaten selektiver Publizität ihrerseits einem insiderrechtlichem Verwertungsverbot zu unterwerfen. Wie sich aus dem sog „personal benefit test“ ergibt, unterbindet das US-amerikanische Insiderrecht nur dort ein Ausnutzen von Insiderinformationen, wo Emittentenvertreter und Tipempfänger kollusiv zum Schaden des Anlegerpublikums zusammenarbeiten. Dieser Haftungsfilter im US-amerikanischen Insiderrecht stellt einen ausgewogenen Kompromiß zwischen den sich widerstreitenden Interessen der Finanzanalysten und des Anlegerpublikums, insbesondere der Kleinanleger, dar. Zum einen wird mit dieser Einschränkung des Verbotsumfangs gewährleistet, daß Analysten in ihrer Berufsausübung nicht unnötig behindert werden. Zum anderen werden aber gerade die Mißbrauchsfälle, in denen Emittentenvertreter ihr Sonderwissen für sich selbst und nicht zugunsten des Marktes verwerten wollen, erfaßt. III. Stellungnahme zur abweichenden Meinung von Drygala Abweichend von der hier vertretenen Auffassung hält Drygala die US-amerikanische Insider-Regelung in ihrer jetzigen Form für nur bedingt geeignet, das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse in angemessener Weise zu lösen.101 Zwar sei der von der „Fair Disclosure“-Regelung gewählte Lösungsansatz vor dem Hintergrund des nur lückenhaft ausgestalteten US-amerikanischen Insiderrechts grundsätzlich zu begrüßen.102 Denn die vom Supreme Court aufgestellten zusätzlichen Haftungskriterien für Tipgeber und -empfänger hätten in der Zeit vor Erlaß der „Fair Disclosure“-Regelung maßgeblich zur Ausuferung der selektiven Informationspolitik börsennotierter Unternehmen beigetragen.103 Insofern sei ein Korrektiv allemal zwingend notwendig gewesen. Allerdings gehe die mit der „Fair Disclosure“-Regelung bezweckte informationelle Gleichstellung der Anleger viel zu weit. 1. Niedrige Kurserheblichkeitsschwelle als Hauptkritikpunkt Grund dafür sei in erster Linie die im US-amerikanischen Insiderrecht überaus niedrig angesetzte Kurserheblichkeitsschwelle104 (materiality), die die SEC im Rahmen ihrer „Fair Disclosure“-Regelung nicht unreflektiert hätte überneh101
Drygala, WM 2001, S. 1313, 1324. Drygala, WM 2001, S. 1313, 1314. 103 Siehe dazu bereits oben 3. Teil, 1. Abschnitt B. IV. u. C. V. 104 Genaugenommen ist der Begriff „materiality“ nicht mit „Kurserheblichkeit“, sondern mit „Wesentlichkeit“ zu übersetzen. Denn das US-amerikanische Recht stellt für die insiderrechtliche Relevanz einer Information nicht auf deren zu erwartende Kursreaktion an der Börse, sondern auf deren Bedeutung für die Investitionsentschei102
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
285
men dürfen. Nunmehr seien jedoch die Emittenten zur Offenlegung praktisch aller unternehmensinternen Informationen verpflichtet, die sie an außenstehende Dritte in persönlichen Gesprächen weitergeben würden. Dies wirke sich in zweifacher Hinsicht negativ auf das allgemeine Kapitalmarktgeschehen aus. a) Rückgang freiwilliger Publizität auf seiten der Emittenten Zunächst sei zu befürchten, daß die „Fair Disclosure“-Regelung aufgrund ihres weiten sachlichen Anwendungsbereichs die Emittenten in ihrer Publikationsbereitschaft gegenüber Analysten und Anlegern hemmt (sog. chilling effect). Denn je mehr Informationen ein Unternehmen selektiv an das Anlegerpublikum herausgebe, umso höher sei die Wahrscheinlichkeit, daß sich darunter eine Information befinde, die „wesentlich“ i. S. von Rule 10b-5 sein könnte und die deshalb die Pflichtenbindung der „Fair Disclosure“-Regelung auszulösen vermag.105 Um einen Verstoß gegen die Handlungspflichten von Rule 100 und einen damit eventuell einhergehenden Reputationsverlust beim Anlegerpublikum nicht unnötig zu riskieren, würden nach Auffassung von Drygala viele börsennotierte Unternehmen künftig im Zweifelsfall keine zusätzlichen Informationen mehr selektiv an das Anlegerpublikum weitergeben.106 Der damit verbundene Rückgang an bewertungsrelevanten Informationen im Markt wirke sich jedoch negativ auf die Informationseffizienz der Preisbildung aus. b) Anreizverluste auf seiten der Analysten Des weiteren äußert Drygala die Befürchtung, die mit der „Fair Disclosure“Regelung bezweckte informationelle Gleichbehandlung der Anleger könnte den Analysten künftig einen Großteil ihres Handlungsanreizes nehmen, den sie benötigen würden, um ihre gesamtökonomisch sinnvolle Tätigkeit in der bisher gewohnten Weise fortzusetzen. Wenn nämlich ein Unternehmen verpflichtet sei, praktisch jede Information, die es an einen Analysten im persönlichen Einzelgespräch weitergibt, zeitgleich auch dem übrigen Anlegerpublikum zugänglich zu machen, stelle sich für den Analysten die Frage, warum er sich überhaupt noch die Mühe machen sollte, Unternehmensgespräche zu führen. Damit steht nach dungen des einzelnen Anlegers ab. Dazu noch ausführlich unten 3. Teil, 2. Abschnitt, B. III. 3. a). Vgl. auch Gruson/Wiegmann, AG 1995, S. 173, 177. 105 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1324. 106 Drygala, WM 2001, S. 1313, 1324; ähnliche Befürchtungen wurden auch von professionellen Marktteilnehmern während der Anhörungsphase des Gesetzgebungsverfahrens zur Regulation FD geäußert. Vgl. etwa die Stellungnahme von Merrill Lynch zur Regulation FD vom 5. Mai, 2000 (abrufbar auf der Internetseite der SEC, www.sec.gov): „Our fundamental concern with Regulation FD is its overwhelming reliance on „materiality“, a concept that can only be defined in general terms as something that a reasonable investor would want to know.“
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
Auffassung von Drygala jedoch zugleich die Existenzgrundlage der Analystentätigkeit auf dem Spiel. Denn obwohl Analysten in erster Linie wegen ihrer Analysefähigkeiten geschätzt werden, dürfe nicht übersehen werden, daß ihre Tätigkeit auch auf die Gewinnung neuer Informationen abziele. Um sich gegenüber der Konkurrenz aus den eigenen Reihen durchzusetzen, müsse ein Analyst stets darauf achten, daß die von ihm erstellten Berichte neben einer Analyse der bereits bekannten Marktlage auch neue Erkenntnisse enthalten. Zudem würde eine Vielzahl von Anlegern durch entsprechende Transaktionsgeschäfte die künftige Geschäftsentwicklung der Unternehmen tagtäglich neu bewerten. Daher sei für einen Analysten das Aufspüren von neuen Informationen auch insofern von existenzieller Bedeutung, als er ansonsten keinen über die allgemeine Markteinschätzung hinausgehenden Beitrag zur Informationsverarbeitung leisten könnte. Die SEC habe dieses Problem zwar gesehen, jedoch nicht genügend dagegen unternommen. Zwar habe sie die sog. „Mosaik“-Theorie für unanwendbar erklärt. Dieser Schritt sei jedoch bei weitem nicht ausreichend gewesen, um einen angemessenen Ausgleich für den durch die Regelung verloren gegangenen Handlungsspielraum der Analysten zu schaffen. 2. Grundsätzliches zur Auffassung von Drygala Sicherlich läßt sich auch gegenüber der US-amerikanischen Insiderregelung der Vorwurf erheben, sie habe es versäumt, das Merkmal der „Wesentlichkeit“ – ähnlich wie das deutsche Recht das Merkmal der „Kurserheblichkeit“ – hinlänglich zu konkretisieren. Wie wichtig dieses Merkmal für die betroffenen Regelungsadressaten ist, zeigt sich daran, daß die Haftung des Insiders bzw. des Regelungsadressaten der „Fair Disclosure“-Regelung ähnlich wie im deutsch/europäischen Recht oft einzig und allein von der Frage abhängt, ob die jeweilige Information als wesentlich bzw. kurserheblich einzustufen ist oder nicht. Zutreffend ist auch, daß die Rechtsunsicherheit, die wegen dieses Merkmals im Anlegerpublikum besteht, einen US-amerikanischen Richter bereits vor zwanzig Jahren dazu veranlaßt hat, die Kommunikationsbeziehungen zwischen Emittentenvertretern und Analysten mit einem „Fechtkampf“ zu vergleichen, der auf einem „Hochseil“ ausgetragen wird.107 Vor diesem Hintergrund wäre es sicherlich von Vorteil gewesen, wenn die SEC das Merkmal der „Wesentlichkeit“ anläßlich der „Fair Disclosure“-Regelung genauer bestimmt hätte. Doch ist es nur wenig überzeugend, die US-amerikanische Regelung allein wegen der Unzulänglichkeit dieses Merkmals für verfehlt zu halten. Vielmehr
107 Vgl. SEC v. Bausch & Lomb, Inc., 565 F. 2d 8, 9 (2d Cir. 1977). In dieser Entscheidung wurde das Kommunikationsverhältnis zwischen einem Emittentenvertreter und einem Finanzanalysten als ein „fencing match conducted on a tightrope“ bezeichnet.
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
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ist zu berücksichtigen, daß jede Insiderregelung zwingend auf die Verwendung dieses Merkmals angewiesen ist. Soll die informationelle Chancengleichheit unter den Anlegern gewahrt werden, so muß eine informationelle Grenzlinie zwischen verwertbaren und nicht verwertbaren Wissensvorsprüngen gezogen werden. Dies läßt sich zur Zeit jedoch nur mit der eher „weichen“ Terminologie der „Kurserheblichkeit“ bzw. „Wesentlichkeit“ bewerkstelligen. Die damit verbundenen Abgrenzungsprobleme treten jedoch in jeder Insiderrechtsordnung auf und stellen damit keinen spezifischen Kritikpunkt einer bestimmten Regelung dar. Zudem läßt Drygala in seiner Bewertung völlig außer acht, daß das US-amerikanische Insiderverbot auch in Kombination mit der „Fair Disclosure“-Regelung noch deutlich zurückhaltender ausgestaltet ist als die deutsche Insiderregelung. Wie der Vergleich zwischen den Handlungsverboten der deutsch/ europäischen und der US-amerikanischen Insiderregelung gezeigt hat108, berücksichtigt die US-amerikanische Regelung die Interessen der Analysten sowohl beim persönlichen Anwendungsbereich als auch beim Pflichtenumfang der Verbotsregelung deutlich stärker als das deutsch/europäische Recht. Dies spricht eindeutig gegen die Annahme, die US-amerikanische Regelung lasse den Analysten deutlich weniger Spielraum für ihre Tätigkeit als das deutsch/europäische Recht. 3. Die Ausgangsprämisse von Drygala Ungeachtet dieser allgemeinen Bedenken vermag die von Drygala getroffene Feststellung schon deshalb nicht zu befriedigen, weil sie von einer unzutreffenden Prämisse hinsichtlich der Auslegung des Wesentlichkeitsmerkmals (materiality) im US-amerikanischen Insiderrecht ausgeht. Die Schlußfolgerungen, die Drygala aus der Erörterung der „Fair Disclosure“-Regelung zieht, sind nur auf der Grundlage seines Verständnisses vom sog. materiality standard konsequent. Wäre die Kurserheblichkeitsschwelle im US-amerikanischen Insiderrecht tatsächlich so niedrig, wie Drygala sie darstellt, müßte ohne Zweifel mit einer erheblichen Behinderung des Kapitalmarktgeschehens durch die neue Regelung gerechnet werden. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die vom US-amerikanischen Insiderrecht festgelegte Kurserheblichkeitsschwelle tatsächlich soviel niedriger ist als die, die das deutsche Insiderrecht u. a. in § 13 Abs. 1 WpHG bestimmt hat. a) Unterschiedliche Definitionen des Merkmals „kurserheblich“ Ohne Zweifel wird das Merkmal der Kurserheblichkeit im US-amerikanischen Insiderrecht anders definiert als im deutschen Recht. So ist nach deut108
Vgl. oben 3. Teil, 2. Abschnitt, B. I.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
schem Insiderrecht eine Information kurserheblich, wenn sie geeignet ist, im Falle ihrer Veröffentlichung den Kurs der betreffenden Wertpapiere erheblich zu beeinflussen.109 Dagegen wird eine Information im US-amerikanischen Insiderrecht entsprechend einer Entscheidung des Supreme Court dann für material angesehen, wenn ein vernünftiger Investor sie im Rahmen seiner Entscheidung über den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren eines bestimmten Unternehmens für erheblich erachtet hätte („. . . an omitted fact is material if there is a substantial likelihood that a reasonable shareholder would consider it important [in making an investment decision]“).110 Erforderlich ist jedoch nicht, daß der Investor bei Kenntnis von der Tatsache wahrscheinlich eine andere Entscheidung getroffen hätte. Es genügt vielmehr, daß sich das Gesamtbild der dem Investor zur Verfügung stehenden Informationen in bedeutender Weise geändert hätte („there must be a substantial likelihood that a fact would have been viewed by the reasonable investor as having significantly altered the total mix of information made available“).111 Der Definitionsansatz im US-amerikanischen Recht ist also ein völlig anderer. Während das deutsch/europäische Recht auf den zu erwartenden Kursausschlag abstellt, kommt es nach US-amerikanischen Recht darauf an, ob der einzelne Anleger die Information für die Bewertung des betreffenden Unternehmens für bedeutsam hält. b) Ungeklärte Auslegungsfragen Fraglich ist jedoch, ob man – wie Drygala dies tut – aus einer Gegenüberstellung dieser beiden unterschiedlichen Definitionen ohne weiteres folgern kann, das US-amerikanische Insiderrecht setze im Gegensatz zum deutsch/europäischen Insiderrecht kein „Mindestmaß an kursbeeinflussender Wirkung“ voraus, sondern lasse vielmehr jedes noch so geringe Kursbeeinflussungspotential für die insiderrechtliche Relevanz einer Information ausreichen. Zwar ist Drygala zuzugeben, daß die von der US-amerikanischen Rechtsprechung verwendete Formel auf den ersten Blick weiter gefaßt zu sein scheint als die deutsch/ europäische Erheblichkeitsumschreibung. Denn ob eine Information von einem durchschnittlichen Anleger für relevant empfunden wird, oder ob sie den Kurs 109 Vgl. ausführlich zum Tatbestandsmerkmal der „Kurserheblichkeit“ in § 13 Abs. 1 WpHG oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. IV. 110 Diese Definition wurde erstmals in der Entscheidung TSC Indus., Inc. v. Northway, 426 U.S., S. 438, 449 (1976) verwendet. Vgl. dazu auch Basic Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224, 231 (1988). 111 Basic Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224, 231–32 (1988). Diese Formel gilt als Ergänzung und Fortentwicklung der Definition, die in der Entscheidung TSC Indus. Inc. v. Northway, 426 (1976) U.S., S. 438, 449 verwendet wurde. Sie ist die heute maßgebende Formel zur Bestimmung der Wesentlichkeit („materiality“) einer Information. So etwa Langevoort, Insider Trading, § 11.02[2], S. 11: „The prevailing test for materiality is the „total mix“ test.“
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
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der Wertpapiere, auf die sie sich bezieht, erheblich zu beeinflussen mag, sind zwei sehr unterschiedliche Beurteilungskriterien, von denen das erste im Zweifelsfall eher erfüllt zu sein scheint als das zweite. Doch ist dem entgegen zu halten, daß der vom Supreme Court aufgestellte materiality standard – den im übrigen auch Drygala zur Grundlage seiner Erörterung macht – von den USamerikanischen Gerichten ganz unterschiedlich ausgelegt wird.112 Während einige Gerichte diese Formel in ihren Entscheidungen eher weit auslegen und sich damit für eine relativ niedrige Kurserheblichkeitsschwelle aussprechen, finden sich auf der anderen Seite mindestens ebenso viele Entscheidungen, in denen das Merkmal tendenziell restriktiv ausgelegt wird.113 Dabei ist das von der Rechtsprechung geprägte Bild gerade in den Fällen, in denen es um die insiderrechtliche Haftung von Finanzanalysten geht, sehr uneinheitlich.114 Dem entspricht es, daß sich die wegen Insiderhandels beschuldigten Analysten in der Vergangenheit mit recht unterschiedlichem Erfolg auf den Einwand mangelnder Kurserheblichkeit der von ihnen verwendeten Informationen berufen haben.115 Hinzu kommt, daß das Kurserheblichkeitsmerkmal Anfang der achtziger Jahre durch die sog. Dirks-Entscheidung des Supreme Court erheblich an praktischer Bedeutung verloren hatte und deshalb anschließend kaum noch Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen ist.116 Grund dafür war, daß das höchste US-amerikanische Gericht mit den in dieser Entscheidung entwickelten zusätzlichen Haftungsfiltern für Tipgeber und -empfänger das Kommunikationsverhältnis zwischen Emittentenvertretern und Analysten weitgehend von einer insiderrechtlichen Haftung ausgenommen hatte.117 Damit sind aber auch in der 112 So Langevoort, Insider Trading, § 11.02[2], S. 13: „To date, the courts have not consistently adopted any such objective test for materiality, instead allowing the issue to be adressed simply as a fact question under the general „total mix“ standard. 113 Langevoort, Insider Trading, § 11.02 [2], S. 13 mit Verweis auf die Entscheidung Elkind v. Ligget & Myers Inc., 635 F. 2d 156 (2d Cir. 1980), als Beispiel für eine hohe Kurserheblichkeitsschwelle und auf die Entscheidung SEC v. Bausch & Lomb Inc., 420 F. Supp. 1226 (S.D.N.Y. 1976), 565 F. 2d 8 (2d Cir. 1977) als Beispiel für eine eher niedrige Kurserheblichkeitsschwelle. 114 Langevoort, Insider Trading, § 11.02 [2], S. 13: „Investment analyst had mixed success under this approach [gemeint ist der ,total-mix‘-test].“ Als weitere Entscheidungen, in denen die Verurteilung des Analysten ausschließlich von der Auslegung des „material“-Merkmals abhing, nennt Langevoort, S. 13/14: In re Wentz, [1984 Transfer Binder] Federal Securities Law Reporter, (CCH) 83,629; SEC v. Monarch Fund, 608 F. 2d 938 (2d Cir. 1979) und State Teachers Retirement Bd. V. Fluor Corp., 566 F. Supp. 945, 950 (S.D.N.Y. 1983). 115 Langevoort, Insider Trading, § 11.02[2], S. 13: „Investment analysts had mixed success under this approach [gemeint ist der ,total mix‘ test].“ 116 Siehe dazu etwa die Stellungnahme von Sullivan & Cromwell zur Regulation FD vom 28. April 2000 (abrufbar auf der Internetseite der SEC, www.sec.gov): „Much of the uncertainty surrounding this issue [of materiality] was eliminated, however, with the Supreme Courts’ landmark 1983 decision in SEC v. Dirks.“ 117 Vgl. oben 3. Teil, 1. Abschnitt B. IV.
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
Rechtssprechungspraxis die Hauptanwendungsfälle für problematische Kurserheblichkeitsfragen weggefallen. Dies hatte zur Folge, daß die Kriterien zur angemessenen Bestimmung der Kurserheblichkeit lange Zeit nicht mehr weiterentwickelt werden konnten. Von einer gefestigten Rechtsprechung zur Höhe der Kurserheblichkeitsschwelle im US-amerikanischen Insiderrecht kann daher zur Zeit kaum die Rede sein. Erst mit Erlaß der „Fair Disclosure“-Regelung ist die zuvor verstummte Diskussion über die angemessene Kurserheblichkeitsschwelle wieder zum Leben erweckt worden. Mehr denn je stellt sich nunmehr im US-amerikanischen Recht die Frage, wo genau die Grenze zur insiderrechtlichen Erheblichkeit verläuft. Angesichts der nur kurzen Zeitdauer, die seit Inkrafttreten von Regulation FD vergangen ist, konnte sich jedoch bislang noch keine neue einheitliche Meinung hinsichtlich der Höhe der Kurserheblichkeitsschwelle herausbilden. Vor diesem Hintergrund wird klar, daß entgegen der Auffassung von Drygala sich zur Zeit ein abschließender Befund über die genaue Höhe der Kurserheblichkeitsschwelle im US-amerikanischen Insiderrecht verbietet. Doch deutet vieles darauf hin, daß das material-Merkmal künftig im Zweifelsfall eher restriktiv ausgelegt werden wird, um die Regelungsadressaten der „Fair Disclosure“-Regelung nicht unangemessen zu belasten. c) Argumente, die für eine Vergleichbarkeit der Erheblichkeitsschwellen im US-amerikanischen und deutschen Insiderrecht sprechen Im übrigen scheinen auch schon jetzt die Erheblichkeitsschwellen im USamerikanischen und deutschen Recht zumindest rein faktisch nicht sehr weit auseinanderzuliegen. Denn bei genauerer Betrachtung der Definitionsvorschläge und unter Berücksichtung der Anwendungspraxis beider Regelwerke relativieren sich die vermeintlichen Unterschiede weitgehend. Im Ergebnis dürfte daher der Umfang der von den beiden Insiderregelungen erfaßten Informationen entgegen der Auffassung von Drygala bereits heute ungefähr gleich sein.118
118 So auch Gruson/Wiegmann, AG 1995, S. 173, 177 ff.: „. . . eine nach US-amerikanischem disclosure standard „wesentliche“ Tatsache – eine Tatsache, die ein vernünftiger Investor im Rahmen seiner Investmententscheidung für erheblich erachtet hätte – ist regelmäßig auch geeignet, im Falle ihrer Bekanntgabe erhebliche Kursänderungen nachsichzuziehen.“; vgl. auch Hausmaninger, Insider Trading, S. 207: „Auch nach amerikanischem Recht muß eine Information geeignet sein, eine erhebliche („substantial“) Auswirkung auf den Kurs des Wertpapiers zu haben („materiality“), um als Insiderinformation gewertet zu werden.“
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
291
aa) Indizien, die für die Wesentlichkeit/Kurserheblichkeit einer Information sprechen Für die Vergleichbarkeit der Kurserheblichkeitsschwellen im US-amerikanischen und deutsch/europäischen Recht spricht, daß in beiden Rechtsordnungen nahezu dieselben Indizien verwendet werden, anhand derer in Zweifelsfällen die insiderrechtliche Relevanz einer Information bestimmt wird.119 Wichtiges Indiz für die insiderrechtliche Erheblichkeit einer Information ist in beiden Rechtsordnungen zum einen die Tatsache, daß nach Veröffentlichung der Information eine deutliche Kursveränderung (major market movement) eingetreten ist.120 Obwohl das Ausbleiben einer spürbaren Kursreaktion nicht zwingend gegen die Kurserheblichkeit einer Information spricht, haben US-amerikanische Gerichte nachträgliche Kursschwankungen bisher stets als entscheidendes Indiz für die Wesentlichkeit einer Information angesehen: „. . ., any information the disclosure of which would be likely to result in a substantial change in the price of the security“.121 Entgegen der Auffassung von Drygala122 wird eine ex-postBetrachtung der Kursentwicklung auch im deutschen Recht durchaus als ein berücksichtigungsfähiges Indiz zur Bestimmung der Kurserheblichkeit einer Information erachtet.123 Des weiteren stellen beide Rechtsordnungen für die Bestimmung der Wesentlichkeit bzw. Kurserheblichkeit einer Information im Zweifelsfall darauf ab, ob der Insider nach Kenntniserlangung von der vermeintlichen Insiderinformation im Anteilshandel tätig geworden ist. Wie bereits erwähnt, gilt auch dies zwar nicht als unwiderlegliche Vermutung für die Kurserheblichkeit einer Information. Hat der Insider jedoch tatsächlich unmittelbar nach Kenntniserlangung Wertpapiere, auf die sich die betreffende Information bezieht, gekauft bzw. verkauft, so spricht in beiden Rechtsordnungen einiges dafür, daß es sich bei der
119 Für das US-amerikanische Insiderrecht vgl. Langevoort, Insider Trading, § 5.02[1], S. 8 ff. Entsprechend seinen Ausführungen wird die „Wesentlichkeit“ einer Information anhand von insgesamt drei Indizien bestimmt, wobei diese Indizien nicht kumulativ vorliegen müssen, sondern im Sinne eines „beweglichen Systems“ im Einzelfall gegeneinander abzuwägen sind. Dazu zählen im einzelnen die tatsächlich eingetretene Kursbeeinflussung, ein Tätigwerden des Insiders und die vertrauliche Behandlung der Information durch den Emittenten selbst. 120 Vgl. Elkind v. Liggett & Myers, Inc., 635 F. 2d 156, 166 (2d Cir. 1980); Kohler v. Kohler, 319 F. 2d 634, 642 (7th Cir. 1963); List v. Fashion Park Inc., 340 F. 2d 457, 462 (2d Cir.1965); SEC v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F. 2d 833, 849–50 (2d Cir. 1968). 121 Diese Formel wurde z. B. in der Entscheidung SEC v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 (1968) F. 2d, S. 833, 848 zur Bemessung der materiality herangezogen. 122 WM 2001, S. 1313, 1316. 123 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 65b; ders., AG 1994, S. 237, 244; siehe auch Steinhauer, S. 40: „Bei realistischer Betrachtung ist die nachträgliche Kursveränderung jedoch praktisch von ganz erheblicher Bedeutung.“
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
betreffenden Information um eine „kurserhebliche“ bzw. „wesentliche“ Insidertatsache gehandelt hat. bb) Beispielskataloge für wesentliche/kurserhebliche Informationen Daß die Kurserheblichkeitsschwellen im US-amerikanischen und deutschen Insiderrecht weitgehend gleich sind, zeigt sich zudem daran, daß die Ereignisse, die im Leitfaden der Deutschen Börse AG als Regelbeispiele für „ad hoc-publizitätspflichtige“ Tatsachen aufgezählt werden124, zum großen Teil mit denjenigen übereinstimmen, die von den Regelwerken der US-amerikanischen Börsen als „wesentlich“ und damit ebenfalls veröffentlichungspflichtig eingestuft werden.125. Darüber hinaus wären auch die meisten der in der Begründung zur „Fair Disclosure“-Regelung beispielhaft aufgezählten Informationen von der deutschen Ad-hoc-Publizitätspflicht umfaßt. Nur in den Ausführungsbestimmungen zum bereits erwähnten Formblatt Form 8-K, welches börsennotierte Unternehmen für die Veröffentlichung bestimmter „wesentlicher“ Informationen verwenden müssen, finden sich einige Unternehmensereignisse, die nicht der Adhoc-Publizitätspflicht gem. § 15 Abs. 1 WpHG unterliegen würden. Dies kann jedoch nicht als Gegenbeweis dafür gewertet werden, daß die Kurserheblichkeitsschwelle im US-amerikanischen Recht niedriger ist als im deutschen Recht, sondern hängt mit den zusätzlichen Voraussetzungen in § 15 Abs. 1 WpHG zusammen.126 Neben der „Geeignetheit zur erheblichen Kursbeeinflussung“ verlangt § 15 Abs. 1 WpHG nämlich zusätzlich, daß die betreffende Tatsache „Auswirkungen auf die Vermögens- und Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten“ hat. Nicht jedes kurserhebliche Unternehmensereignis hat jedoch Auswirkungen auf das Unternehmen. Vor allem personelle Veränderungen in der Zusammensetzung der Unternehmensleitung werden nach deutschem Recht grundsätzlich nicht für ad-hoc-publizitätspflichtig erachtet, weil es sich dabei weder um einen buchungs- noch um einen lageberichtsfähigen Vorgang im Rahmen der Regelpublizität handelt.127 Insoweit unterscheiden sich die US-amerikanische und deutsche Ad-hoc-Publizitätspflicht, nicht aber die Kurserheblichkeitsschwellen der beiden Rechtsordnungen.
124 BAWe/Deutsche Börse AG, Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität nach dem Wertpapierhandelsgesetz, S. 50. 125 Bekanntermaßen verwendet § 15 Abs. 1 WpHG ebenso wie § 13 Abs. 1 WpHG das Merkmal der „Kurserheblichkeit“, so daß – bis auf einige Ausnahmen – der Regelungsumfang dieser Vorschrift ebenfalls zur Bemessung der Kurserheblichkeitsschwelle im deutschen Insiderrecht herangezogen werden kann. Dies sehen auch Gruson/Wiegmann, AG 1995, S. 173, 180. 126 Zu den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 WpHG im einzelnen vgl. etwa Kümpel, in: Assmann/Schneider, § 15 WpHG, Rn. 33–70. 127 Siehe dazu Burgard, ZHR 162 (1998), S. 51, 64 ff.
B. Bewertung des US-amerikanischen Insiderrechts
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cc) Aktuelle Auslegungstendenzen im deutsch/europäischen Insiderrecht Für die Vergleichbarkeit der beiden Tatbestandsmerkmale spricht auch, daß sich die Auslegungsvorschläge für das „Kurserheblichkeits“-Merkmal im deutschen Insiderrecht immer mehr an die Auslegungsgrundsätze des materiality standards im US-amerikanischen Recht angleichen. So bestimmt die h. M. im deutschen Schrifttum die Kurserheblichkeit einer Information mittlerweile vorrangig anhand der Theorie des sog. „Kaufanreizes“.128 Danach ist darauf abzustellen, ob es sich aus der Sicht des Insiders lohnt, die Information im Anteilshandel zu verwerten. Diese Fragestellung entspricht weitgehend der in den USA maßgebenden „Wesentlichkeits“-Definition, wonach eine Information immer dann als insiderrechtlich relevant einzustufen ist, wenn sie für die Investitionsentscheidung des Insiders „bedeutsam“ sein könnte.129 Dagegen erhält der ursprüngliche Vorschlag des deutschen Gesetzgebers, eine Information immer dann für kurserheblich anzusehen, wenn sie eine Kursveränderung von voraussichtlich 5% auszulösen vermag, immer weniger Zuspruch.130 Eine „starre“ Prozentgrenze wird überwiegend für praxisfern erachtet, weil sie die individuellen Volatilitätsgrenzen der einzelnen Wertpapiere nicht ausreichend berücksichtigen kann.131 Mit der Abkehr von einer fixen Prozentgrenze im deutschen Insiderrecht wird jedoch zugleich das Erheblichkeitsmerkmal in § 13 Abs. 1 WpHG – wenn nicht vollständig, so doch bis zu einem gewissen Grad – negiert.132 Denn der Kauf oder Verkauf von Wertpapieren kann sich auch dann als lohnend erweisen, wenn die Information, die der Transaktionsentscheidung zugrunde gelegt wird, nur eine geringfügige Kursreaktion auszulösen vermag. Insofern erfolgt eine weitere Angleichung an das Wesentlichkeitsmerkmal des US-amerikanischen Rechts. Aufschlußreich ist schließlich die in Deutschland festzustellende Tendenz, die Kurserheblichkeit einzelner Phasen einer mehrstufigen Unternehmensentscheidung mit Hilfe der sog. „Probability/magnitude“-Formel zu bestimmen.133 Danach ist zur Beurteilung der Kurserheblichkeit einer noch nicht abgeschlossenen Unternehmensentscheidung die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Entschei128
Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. IV. 2. Danach ist zu fragen, ob der durchschnittliche Investor die betreffende Information für bedeutsam für seine Transaktionsentscheidungen hält. Vgl. oben Punkt III 3 a. 130 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 20 Rn. 67; siehe auch Assmann, in: Assmann/ Schneider, § 13 Rn. 72, für Assmann vermag die 5%-Grenze allenfalls als Richtwert dienen, der im Einzelfall um markt- und insiderpapierbedingte Besonderheiten zu bereinigen ist. 131 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 20 f. Rn. 69. 132 So auch Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, S. 337, Rn. 97; ähnlich Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 72. 133 So etwa Schwark, in FS Bezzenberger, S. 771, 783. 129
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3. Teil: Rechtslage der rechtsvergleichenden Sicht (2. Abschn.)
dung in Beziehung zu deren erwarteten Bedeutung zu setzen. Mit dieser Beurteilungsmethode hat sich das Schrifttum von der ursprünglich gesellschaftsrechtlich ausgerichteten Vorstellung gelöst, eine Unternehmensentscheidung sei erst dann im Wege der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu veröffentlichen, wenn sämtliche Entscheidungsgremien der Gesellschaft über die betreffende Angelegenheit abschließend entschieden hätten.134 Diese Entwicklung im deutschen Recht ist mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung parallel zur Rechtsentwicklung in den USA verlaufen. Auch dort wurde mit dem sog. Agreement-in-principle-Test zunächst eine Auffassung vertreten, wonach vorbereitende Verhandlungen über eine Unternehmensentscheidung für grundsätzlich nicht „wesentlich“ und damit nicht veröffentlichungspflichtig erachtet wurden. Diese Auffassung wurde jedoch vom Supreme Court später verworfen und durch den Probability/magnitude-Test ersetzt. 4. Synthese Wenn die Kurserheblichkeitsschwelle des US-amerikanischen Rechts nach alledem nicht grundsätzlich niedriger als die im deutschen Recht anerkannte Relevanzgrenze angesetzt werden kann, ist der von Drygala aufgestellten These die Grundlage entzogen. Die „Fair Disclosure“-Regelung kann nicht als eine unangemessen strenge Regelung angesehen werden, die den Interessen der Analysten in unverhältnismäßiger Weise zuwiderläuft.
134 Dies vertreten u. a. Heidmeier, AG 1992, S. 110, 111; Peltzer, ZIP-Report 1994, S. 746, 750; Hopt, in: WM-Festgabe für Hellner vom 9. Mai 1994, S. 29, 33; ders., ZHR 159 (1995), S. 135, 152.
Vierter Teil
Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem A. Einführung Die Arbeit hat bisher gezeigt, daß das deutsch/europäische Insiderrecht nicht nur aus rechtspolitischer, sondern auch aus rechtsvergleichender Sicht das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse nicht optimal gelöst hat. Die Handlungsverbote des § 14 WpHG entfalten aufgrund ihres vergleichsweise weit gezogenen Anwendungsbereichs eine deutlich höhere Blockadewirkung zu Lasten der Analysten als etwa das US-amerikanische Insiderverbot. Im direkten Vergleich der Regelungswerke fällt auf, daß es den Verbotstatbeständen des § 14 Abs. 1 Nr. 1–3, Abs. 2 WpHG vor allem an zusätzlichen Haftungsfiltern fehlt, die die betroffenen Regelungsadressaten vor ungezielten Strafverfolgungsmaßnahmen, wie z. B. einer rufschädigenden „Ausforschungsermittlung“, bewahren. Es besteht daher Anlaß zu der Befürchtung, daß das deutsch/europäische Insiderrecht bei konsequenter Anwendung durch die Aufsichts- und Ermittlungsbehörden sich „faktisch“ auch auf solche Inhalte kapitalmarktbezogener Kommunikation „lähmend“ auswirkt, die unterhalb der insiderrechtlich relevanten Kurserheblichkeitsschwelle liegen.1 Dagegen hat die US-amerikanische Regelung aufgrund einer Reihe von tatbestandlichen Besonderheiten die Gefahr, daß von ihr ein sog. „chilling effect“ auf die freiwillige Kapitalmarktkommunikation ausgehen könnte, wenn nicht gebannt, so doch deutlich reduziert. Im folgenden wird erörtert, ob die aus der rechtsvergleichenden Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse auch für die Bestimmungen des WpHG fruchtbar gemacht werden können. Es wäre untunlich, die Regelung in den USA unbesehen in das deutsche Recht zu importieren. Dagegen spricht zum einen der völlig andere Ansatz, den der US-amerikanische Gesetzgeber mit der „Fair Disclosure“-Regelung zur Lösung des Problems gewählt hat. Zum anderen spricht gegen eine Angleichung der Bestimmungen des WpHG an das US-amerikanische Recht, daß viele der vom Supreme Court aufgestellten, tatbestandlichen Besonderheiten nur historisch zu erklären sind, d.h. die bei objektiver Betrachtung möglicherweise hät1
Vgl. oben das Ergebnis 1. Teil, 4. Abschnitt, B.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
ten weniger kompliziert geregelt werden können. Doch sind die aufgrund des in den USA vorherrschenden Case-Law-Systems bestehenden Unterschiede keineswegs so groß, daß sich eine Annäherung der beiden Regelungen schlichtweg verbieten würde.2 Vielmehr ist es durchaus denkbar, einige der tatbestandlichen Haftungsfilter des US-amerikanischen Rechts in die Handlungsverbote des § 14 WpHG einzufügen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Modifizierung des Verbotstatbestands des § 14 WpHG nach dem Vorbild des US-amerikanischen Rechts mit dem der deutsch/europäischen Insiderregelung zugrundeliegenden Gesamtkonzept zu vereinbaren ist. Welche Verbesserungsmöglichkeiten denkbar sind und welche davon auch tatsächlich realisierbar sind, wird daher in zwei voneinander getrennten Prüfungsschritten erörtert. Dementsprechend gliedert sich der folgende Teil der Arbeit in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt werden auf der Grundlage der gewonnenen, rechtsvergleichenden und rechtspolitischen Erkenntnisse einzelne Verbesserungsvorschläge für das deutsch/europäische Insiderrecht überdacht und ggf. eingearbeitet. Im zweiten Abschnitt wird das Regelungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts daraufhin überprüft, inwieweit es mit den einzelnen Verbesserungsvorschläge zu vereinbaren ist, ohne daß es dabei zu unüberwindbaren dogmatischen Widersprüchen kommt.
B. Verbesserungsvorschläge für das deutsch/europäische Insiderrecht I. Die Primär-/Sekundärinsider-Diskussion Bereits in der Vergangenheit sahen sich einige Vertreter des Schrifttums angesichts der Schwierigkeiten, die der insiderrechtliche Rechtsrahmen den Analysten bereitet, dazu veranlaßt, darüber nachzudenken, wie de lege lata eine Lösung gefunden werden kann, die für diese Berufsgruppe weniger belastend ist.3 Sie sahen die einzige Möglichkeit, die rechtliche und auch faktische Blokkadewirkung des Insiderrechts abzuschwächen, darin, die Analysten pauschal, d.h. unabhängig von den konkreten Umständen ihrer Kenntniserlangung, als Sekundär- anstatt als Primärinsider einzustufen.4 Dieser Lösungsvorschlag wird 2 A. A. wohl noch Assmann, in: Assmann/Schneider, Vor § 12, Rn. 40 und Hopt, ZGR 1991, S. 17, 28. 3 Claussen, DB 1994, S. 27, 28; ders., AG 1997, S. 306, 308 f.; ders., Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, Rn. 82 ff.; ders., in: Claussen/Schwark, S. 11, 24 f.; Drygala, WM 2001, S. 1313, 1319; Assmann, in: Claussen/Schwark, S. 54, 57; Schwark, in: Claussen/Schwark, S. 32, 47; Waldeck, in: Claussen/Schwark, S. 48, 51 f. 4 Vgl. etwa Assmann, in: Claussen/Schwark, S. 54, 69: „Der Analyst erfüllt eine für das Funktionieren der Kapitalmärkte wichtige Funktion als Informationsinterme-
B. Verbesserungsvorschläge für das Insiderrecht
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jedoch der Komplexität des Regelungsproblems in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. 1. Kein effektiver Schutz vor drohenden Strafsanktionen Bereits im ersten Teil der Arbeit wurde daraufhin gewiesen, daß ein Analyst auch im Falle seiner Einordnung als Sekundärinsider nicht vollends vor einer Strafbarkeit nach dem WpHG geschützt ist.5 Zwar hatte Cramer anfangs noch die Auffassung vertreten, die Teilnahmeregeln des Strafrechts dürften aus systematischen Gründen keine Anwendung auf die Insiderhandlungsverbote finden.6 Jedoch ist inzwischen anerkannt, daß auch ein Sekundärinsider sich durch die Weitergabe einer Insiderinformation wegen Beihilfe zur Insidertat eines anderen gem. § 14 Abs. 2 WpHG i. V. mit § 27 StGB strafbar machen kann.7 Es wäre den Informationsintermediären lediglich erlaubt, ihren Auftraggebern und Kunden Kauf- bzw. Verkaufsempfehlungen zu erteilen, die zwar auf Insiderinformationen beruhen, diese aber nicht kenntlich machen.8 Dagegen würden sich die Analysten auch nach diesem Vorschlag dem Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen, sobald sie die betreffende Insider-Information, die sie zur Abgabe der Empfehlung veranlaßt hat, gegenüber ihren Auftraggebern offenlegen.9 Weil aber die Empfehlungen eines Analysten in der Regel nur dann glaubwürdig sind, wenn sie auch anhand der betreffenden Informationsquellen überprüft werden können, würde eine Einstufung als Sekundärinsider den beruflichen Rechtsrahmen der Analysten allenfalls geringfügig verbessern.
diär und -kontrolleur. Sollten, wie aus Kreisen der Analysten zu vernehmen, im Hinblick auf die Erfüllung dieser Aufgaben Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlicher Rechtslagen in Deutschland und namentlich dem europäischen Ausland bestehen, so bestünde fraglos Anlaß, diese Ungleichgewichtslage zu beseitigen. Sie könnte etwa darin bestehen, den Analysten ausdrücklich aus dem Kreis der Primärinsider auszunehmen oder durch entsprechende Gesetzesauslegung die Weitergabe an den Analysten als befugt zu betrachten.“ 5 Zur Strafbarkeit von Sekundärinsidern nach den Teilnahmeregeln des allgemeinen Strafrechts vgl. oben 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 6 Cramer, in: FS Trifterer, S. 323, 336 f.; ders., AG 1997, S. 59. 7 Vgl. den Jahresbericht 2001 des BAWe, S. 20: „Dem Sekundärinsider ist anders als dem Primärinsider die Weitergabe von Insiderwissen und die Empfehlung einer Aktie mit solcher Kenntnis nicht verboten. Gleichwohl kann er sich als Anstifter oder Gehilfe strafbar machen, wenn er sein Insiderwissen weitergibt oder aufgrund dieses Wissens den Handel eines Papiers empfiehlt.“ 8 Dazu ausführlich oben 1. Teil, 2. Abschnitt, B. 9 Denn wenn der Analyst die Insider-Information gegenüber seinen Kunden bzw. Auftraggebern offenlegt, werden diese selbst zu Insidern und können demzufolge eine vorsätzliche Haupttat im Sinne der Beihilfestrafbarkeit begehen. Vgl. dazu auch oben 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 2. a).
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
2. Mangelnde Eignung für einen gerechten Ausgleich Doch selbst wenn – wider Erwarten – durch höchstrichterliche Rechtsprechung entschieden werden sollte, daß die Teilnahmeregeln des Strafrechts nicht auf das Insiderrecht anzuwenden sind, und damit der Weg frei wäre für eine spürbare Haftungserleichterung der Finanzanalysten, könnte ihre pauschale Einordnung als Sekundärinsider nicht als optimale Lösung angesehen werden. Denn wie Drygala zutreffend ausführt, muß vor dem Hintergrund rechtspolitischer Zielsetzungen das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse derart gelöst werden, daß weder die Belange der Analysten noch die Schutzinteressen der Anleger einseitig bevorzugt werden.10 Würde man jedoch die Analysten stets als Sekundärinsider einordnen und wären zugleich die Teilnahmeregeln des allgemeinen Strafrechts nicht anwendbar, so ergäben sich für die Berufsgruppe der Informationsintermediäre „ungeahnte Möglichkeiten“ der Informationsverwertung.11 Sie wären gesetzlich nicht daran gehindert, Insidertips straflos an ihre Kunden weiterzugeben und sich dies entsprechend vergüten zu lassen. Sie dürften demnach andere Marktteilnehmer zur Vornahme von verbotenen Insidergeschäften animieren, ohne daß sie dafür selbst zur Verantwortung gezogen werden könnten. Ihre Straffreiheit würde dabei nicht nur für den Fall gelten, daß sie die Insider-Informationen selbst eher „zufällig“ erlangt haben. Vielmehr bestünde, anders als im US-amerikanischen Insiderrecht, selbst dann ein Haftungsausschluß für Analysten, wenn diese sich die Insider-Informationen vorsätzlich, d.h. in persönlicher Bereicherungsabsicht, beschafft hätten. Das Kräftefeld zwischen informationeller Chancengleichheit und den Interessen der Wertpapieranalyse wäre sozusagen in sein Gegenteil verkehrt. Von einer derzeit einseitigen Bevorzugung der informationellen Chancengleichheit würde sich die Schutzrichtung des Insiderrechts dahingehend verlagern, daß die Interessen der Wertpapieranalysten über die Interessen des Gesamtmarktes gestellt werden würden. Damit würde jedoch das Ziel verfehlt, den Konflikt zwischen Wertpapieranalyse und informationeller Chancengleichheit ausgewogen zu regulieren. 3. Keine bessere Kommunikationsbereitschaft der Emittentenvertreter Im übrigen würde die Einstufung der Finanzanalysten als Sekundärinsider nicht dazu beitragen, die Kommunikationsbereitschaft der Emittentenvertreter zu verbessern. Denn an der Rechtsposition der Unternehmensvertreter würde sich durch die insiderrechtliche Privilegierung der Analysten nichts ändern. Sie 10
Drygala, WM 2001, S. 1313, 1324. So auch die Vermutung von Drygala, WM 2001, S. 1313, 1319 und Hopt, in: Baetge (Hrsg.), S. 164, 167. 11
B. Verbesserungsvorschläge für das Insiderrecht
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wären bei ihrer „investor-relations“-Arbeit weiterhin gefährdet, sich eines Vergehens gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG verdächtig zu machen. Auch deshalb wäre die Einstufung der Finanzanalysten als Sekundärinsider keine geeignete Maßnahme, um das Spannungsverhältnis von Wertpapieranalyse und informationeller Chancengleichheit ausgewogener zu lösen. Wie bereits mehrfach betont kommt es für die Arbeitsbedingungen der Finanzanalysten nicht nur auf ihre eigene Rechtsposition an.12 Vielmehr kann ihre Funktion als Informationsmultiplikatoren nur dann gewährleistet werden, wenn es den Emittenten ermöglicht wird, ohne strafrechtliches Risiko Informationen an diese Berufsgruppe weiterzugeben. Dieser Gesichtspunkt wird bei der Diskussion über die insiderrechtliche Analysten-Problematik häufig vernachlässigt.13 II. Alternative Vorschläge Läßt sich das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse nicht dadurch auflösen, daß die Analysten pauschal als Sekundärinsider i. S. von § 14 Abs. 2 WpHG eingestuft werden, bedarf es eines differenzierteren und breiter angelegten Lösungsansatzes. Ziel muß sein, den insiderrechtlichen Rechtsrahmen für Finanzanalysten so auszugestalten, daß sich die mit der Tätigkeit der Analysten verbundenen gesamtökonomischen Vor- und Nachteile die Waage halten.14 Dazu muß die Insider-Regelung den Analysten den möglichst großen Anreiz für ihre Recherchetätigkeit gewähren, ohne daß vermeidbare Vertrauenseinbußen auf seiten des informationell benachteiligten Anlegerpublikums entstehen.15 Wo diese Grenze verläuft, läßt sich mangels empirischer Erkenntnisse nicht genau sagen.16 Fest steht jedoch, daß das Maß des insiderrechtlichen Freiraums für Finanzanalysten weiter gezogen werden muß als es bislang der Fall ist. Zunächst ist nach geeigneten Ansatzpunkten für Verbesserungen innerhalb des Insiderrechts zu fragen (1.). Sodann sind die Konsequenzen, die sich bei Umsetzung solcher Vorschläge ergeben, zu überprüfen (2.). 12
Vgl. oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. u. B. So etwa Krauel, S. 241 ff. 14 Vgl. dazu oben 3. Teil. 15 So bereits Drygala, WM 2002, S. 1313. 1324. 16 Die Rechtsentwicklung in Amerika verdeutlicht eindrucksvoll diese Schwierigkeiten. Jenseits des Atlantiks sind Rechtsprechung und Aufsichtsbehörden seit Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts darum bemüht, eine für alle Beteiligten befriedigende Lösung zu finden. Im Verlaufe der Zeit wurden dabei ganz unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. Das Spektrum reicht von einem völligen Verbot informationeller Wissensvorsprünge für Finanzanalysten bis hin zu einer völligen Freigabe der Analystentätigkeit. Letzten Endes hat man sich in den USA auf eine Kompromißlösung geeinigt, die zwar von einer strafrechtlichen Verfolgung eventueller Insiderverstöße durch Finanzanalysten und Unternehmensvertretern absieht, die jedoch mit verwaltungsrechtlichen Mitteln eine informationelle Bevorzugung der Finanzanalysten zu verhindern sucht. 13
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
1. Geeignete Ansatzpunkte für eine Einschränkung des insiderrechtlichen Verbotsrahmens Die §§ 12–14, 38 WpHG bieten unterschiedliche Ansatzpunkte, um den Anwendungsbereich des Insiderrechts zugunsten der Finanzanalysten einzuschränken. Wie jede andere Insiderregelung auch, setzen sich die §§ 12–14, 38 WpHG aus insgesamt vier verschiedenen Regelungselementen zusammen, die erst im Zusammenspiel das gesamte Ausmaß der Regelung ergeben.17 Es handelt sich um den Insiderpersonenbegriff, die einzelnen Handlungsverbote, die betroffenen Wertpapiere und den Insiderinformationsbegriff. Der persönliche Anwendungsbereich des Insiderrechts wird in erster Linie mit Hilfe des Insiderpersonenbegriffs festgelegt. Im deutschen Insiderrecht ist dieser Begriff nicht zuletzt wegen der Gruppe der Sekundärinsider sehr weit gezogen.18 Danach ist bekanntlich jede Person, die Kenntnis von einer Insidertatsache hat, als Insider anzusehen.19 Der sachliche Anwendungsbereich wird hingegen durch die anderen drei Regelungselemente festgelegt. Die Handlungsverbote etwa bestimmen darüber, inwieweit der Insider legal über sein Sonderwissen verfügen darf. Nach deutschem Recht sind die sich aus dem Katalog des § 14 WpHG ergebenden Handlungsverbote zumindest für die Gruppe der Primärinsider umfassend ausgestaltet. Danach ist sowohl die Informationsverwertung als auch das sog. „Tipping“ in der Form der Informationsweitergabe und Empfehlung verboten. Mit den Wertpapieren, die von der Regelung erfaßt sind, werden die tauglichen Tatgegenstände festgelegt, an denen eine Insidertat begangen werden kann. Die deutsche Regelung umschließt praktisch den gesamten geregelten Börsenhandel einschließlich des Freiverkehrs. Großen Einfluß auf die Regelungsweite des Insiderrechts hat schließlich auch der Insiderinformationsbegriff. Während etwa der freiwillige Insiderkodex, der durch das WpHG abgelöst wurde, noch fallgruppenartig diejenigen Informationen festlegte, die als Insiderinformationen von der Verwertung im Anteilshandel ausgeschlossen sein sollten, definiert § 13 Abs. 1 WpHG den Begriff der Insiderinformation anhand allgemeiner Kriterien. Danach kann praktisch jede kapitalmarktbezogene Information eine Insidertatsache sein, wenn sie ein gewisses Kursbeeinflussungspotential aufweist. Von diesen vier elementaren Bestandteilen einer Insiderregelung eignen sich insbesondere der Insidertatsachenbegriff sowie die Verbotstatbestände für eine maßvolle Begrenzung des insiderrechtlichen Anwendungsbereichs. Dagegen ist der Insiderpersonenbegriff nur bedingt geeignet, eine ausdifferenzierte Lösung 17 Vgl. zum Aufbau und den Elementen einer Insiderregelung bereits K.-P. Weber, S. 35–44. 18 K.-P. Weber, S. 190 f. 19 Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107, Rn. 19.
B. Verbesserungsvorschläge für das Insiderrecht
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in der hier zu behandelnden Problematik herbeizuführen. Denn würde die Berufsgruppe der Analysten pauschal aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Insiderrechts herausgenommen werden, so würde das Spannungsverhältnis von Insiderrecht und Wertpapieranalyse einseitig zugunsten letzterer entschieden werden.20 Auch der Umfang der als Insiderpapiere in Betracht kommenden Anlagetitel wirkt sich nur bedingt auf das Problem aus. Denn die Analystenproblematik stellt sich in der Regel nur für solche Wertpapiere, die in den bekannten Aktien- und Rentenpapiersegmenten gehandelt werden. Diese Papiere sind jedoch in jedem Falle in die Regelung mit einzubeziehen. Dagegen werden Emittenten, die in weniger bekannten Segmenten gehandelt werden, nur selten von Analysten beobachtet und spielen de facto keine Rolle im Konflikt zwischen informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse. Eine Diskussion darüber, ob auch Wertpapiere aus dem Freiverkehr in die Insiderregelung miteinbezogen werden sollen, erübrigt sich daher jedenfalls für die hier erörterte Analysten-Problematik. 2. Probleme tatbestandlicher Modifizierungen im Insiderrecht Vor einer Modifizierung der beiden Regelungselemente „Insidertatsache“ und „Verbotstatbestand“ sind die Schwierigkeiten zu bedenken, die bei einer Umformulierung dieser Merkmale entstehen können. Schon jetzt bereitet die Definition des Merkmals „Insidertatsache“ erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Wie früher dargelegt21 kann mangels geeigneter Abgrenzungskriterien praktisch jede kapitalmarktbezogene Information mit einem gewissen Kursbeeinflussungspotential in den sachlichen Anwendungsbereich des Insiderrechts fallen. Weder inhaltlich noch im Hinblick auf die Höhe des der Information innewohnenden Kursbeeinflussungspotentials konnte bislang eine Lösung gefunden werden, die eine Ausuferung dieses Merkmals verhindern könnte. Auch die insiderrechtlichen Handlungsverbote sind nur bedingt einer exakten tatbestandlichen Ausformulierung zugänglich. Dies liegt in erster Linie daran, daß sich ein verbotenes Insidergeschäft äußerlich in keiner Weise von einem rechtmäßig getätigten Wertpapiergeschäft unterscheidet.22 Angesichts des allein auf subjektiver Ebene äußerlich nicht erkennbaren Vorgangs der Informationsverwertung unterscheidet sich ein verbotenes Insidergeschäft von einem „normalen“ Wertpapiergeschäft. Daher fällt es schwer, das Verwertungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 WpHG tatbestandlich so auszugestalten, daß es nicht potentiell jedes Wertpapiergeschäft erfaßt. Aber auch die Ausformulierung 20 21 22
Vgl. dazu bereits oben 4. Teil, B. I. 2. Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. Siehe dazu oben 1. Teil, 4. Abschnitt, A. I. 1.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
des Weitergabeverbots gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, welches insbesondere für die Wertpapieranalysten und Emittentenvertreter ein Berufshindernis darstellt, fällt nicht leicht. Zwar setzt ein Verstoß gegen das Weitergabeverbot auf objektiver Tatbestandsseite zumindest die äußerlich wahrnehmbare Mitteilung einer Insiderinformation voraus. Insofern bietet der objektive Tatbestand des Weitergabeverbots immerhin einen zusätzlichen Anknüpfungspunkt für die Normierung haftungsbegrenzender Kriterien. Doch wirft auch dieser Verbotstatbestand schwierige Abgrenzungsfragen auf. So konnte bislang kein allgemeiner Beurteilungsmaßstab gefunden werden, anhand dessen die Grenze zwischen einer insiderrechtlich befugten und einer unbefugten Informationsweitergabe gezogen werden kann. Daher besteht bei dem Versuch einer Modifizierung der insiderrechtlichen Handlungsverbote stets die Gefahr, daß die bestehenden Auslegungsprobleme durch Einfügung neuer bzw. anderer Tatbestandsmerkmale nicht gelöst, sondern lediglich „umverteilt“ werden. Es wäre wenig gewonnen, wenn sich die Auslegungsprobleme, die sich etwa bei der Frage nach der „Erheblichkeit“ im Rahmen des Kursbeeinflussungsmerkmals stellen, auf einen anderen unbestimmten Rechtsbegriff verlagern würden, mit dessen Hilfe man das Merkmal auszulegen bzw. zu definieren versucht. Vielmehr ist jeder Verbesserungsvorschlag danach zu hinterfragen, ob er tatsächlich ein Abgrenzungskriterium enthält, welches die bestehenden Auslegungsprobleme besser zu lösen vermag als die bisherigen Rechtsbegriffe. Angesichts dieser Schwierigkeiten stehen die folgenden Vorschläge zur Schaffung eines besseren Ausgleichs zwischen dem Schutz der informationellen Chancengleichheit und den Bedürfnissen der Wertpapieranalyse nur unter dem Vorbehalt mangelnder praktischer Erprobung. Sie konzentrieren sich auf eine Konkretisierung und Eingrenzung des Merkmals „Insidertatsache“ (3.) und auf die Normierung zusätzlicher Haftungsfilter im Rahmen des Weitergabeverbots (4.). 3. Konkretisierung und Eingrenzung des Insidertatsachenbegriffs Als ein Ansatzpunkt für die Schaffung eines angemesseneren Ausgleichs zwischen informationeller Chancengleichheit und den Bedürfnissen der Wertpapieranalyse bietet sich das Merkmal der „Insidertatsache“ in § 13 Abs. 1 WpHG an. Unabhängig vom Umfang der eigentlichen Verbotstatbestände läßt sich bereits durch Konkretisierung und Eingrenzung dieses Merkmals eine Eindämmung des insiderrechtlichen Rechtsrahmens erreichen. Wie der erste Teil der Arbeit ergeben hat, ist dieser Begriff bislang zu ungenau definiert sowie tendenziell zu weit gefaßt.23 Dabei besteht angesichts des umfassenden Verbotskatalogs des 23
Siehe dazu 1. Teil, 3. Abschnitt, A.
B. Verbesserungsvorschläge für das Insiderrecht
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§ 14 WpHG ein erhebliches Bedürfnis nach Rechtssicherheit darüber, welche Informationen unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Wertpapierhandel verwertet werden dürfen und welche nicht. Dies gilt insbesondere für Emittentenvertreter und Analysten, die im Rahmen ihrer persönlichen Gespräche innerhalb kürzester Zeit darüber entscheiden müssen, ob ihre Aussagen möglicherweise eine Insidertatsache enthalten könnten. a) Bestimmung der sogenannten „Kurserheblichkeitsschwelle“ Der Umfang des Insidertatsachenbegriffs hängt in erster Linie von der Bestimmung der sog. „Kurserheblichkeitsschwelle“ ab.24 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Kurserheblichkeitsschwelle nicht schon dann überschritten sein, wenn die Information geeignet ist, den Kurs der betreffenden Wertpapiere zu beeinflussen. Vielmehr muß der potentielle Kursausschlag „erheblich“ sein. Wie das Merkmal „erheblich“ zu verstehen ist, wird vom WpHG nicht näher erläutert. Nach einhelliger Auffassung ist es bislang nicht möglich, diesem unbestimmten Rechtsbegriff eine „nachvollziehbare Handlungsanweisung“ zu entnehmen.25 Dementsprechend gehen die Meinungen im Schrifttum zu der Frage, wo die Grenze zur „Erheblichkeit“ verlaufen soll, stark auseinander. Ein Teil des Schrifttums will das Merkmal „erheblich“ möglichst eng auslegen, indem es darunter nur solche Informationen subsumiert, die einer „kleinen Sensation“ gleichkommen.26 Dagegen hält die Staatsanwaltschaft Frankfurt a. M. es nicht für möglich, prozentuale Abstufungen hinsichtlich des Kursbeeinflussungspotentials in der Praxis vorzunehmen.27 Mangels geeigneter Abgrenzungskriterien müsse entgegen dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers jede Information als kurserheblich angesehen werden, deren Verwertung einen irgendwie gearteten „Sondergewinn“ verspricht. Danach kann auch eine Information, die im Falle ihrer Veröffentlichung nur einen geringen, aber dafür sicheren Kursausschlag erwarten läßt, eine Insidertatsache sein. Für Analysten und Emittentenvertreter, die sich bei ihren Gesprächen ohnehin schon auf einem schmalen Grad zwischen erwünschter „investor-relations“Pflege und verbotenem „Insider-Tipping“ bewegen, ist dieser Zustand divergie24 Der Grund dafür ist, daß inhaltlich praktisch keine Eingrenzungen des Insidertatsachenbegriffs vorgenommen werden. Vgl. dazu auch Schneider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 511: „Im Ergebnis kommt es somit bei Äußerungen von Unternehmensvertretern entscheidend nur und allein auf deren Kursrelevanz an.“ 25 Loesche/Eiche/Stute, AG 1999, S. 308. 26 Schneider/Burgard, in: Baums/Hopt/Horn (Hrsg.), S. 501, 512. 27 Entsprechend den Angaben von Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 100, hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main in den ersten Ermittlungsverfahren ein verfahrensbezogenes Grundsatzpapier erstellt. Darin heißt es u. a.: „Das Tatbestandsmerkmal „erheblich“, wie es gem. § 8 der Bedingungen für Geschäfte an der FWB verwendet wird, entspricht nicht der Erheblichkeit i. S. d. WpHG.“
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
render Auslegungsvarianten unhaltbar. Das Erheblichkeitskriterium muß gesetzlich derart konkretisiert werden, daß ersichtlich wird, wo die Kurserheblichkeitsschwelle genau verläuft. Im Interesse eines angemessenen Ausgleichs zwischen informationeller Chancengleichheit und den Bedürfnissen der Wertpapieranalysten ist dabei darauf zu achten, daß diese Erheblichkeitsschwelle weder zu hoch noch zu niedrig angesetzt wird. aa) Keine allgemeingültige Definition Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des ersten Teils der Arbeit erscheint es wenig sinnvoll, die Eindämmung des Insidertatsachenbegriffs mit Hilfe einer allgemeingültigen Definition der sog. Erheblichkeitsgrenze anzustreben. Zwar spricht sich die h. M. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung28 weiterhin für eine generalisierende Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals aus.29 Doch konnte bislang kein Auslegungsvorschlag gefunden werden, der den Anforderungen an eine justitiable Regelung zu genügen vermag. (1) Kauf- bzw. Verkaufsanreiz So ist entgegen einer verbreiteten Auffassung das Kriterium des „Kauf- bzw. Verkaufanreizes“ nicht geeignet, einen Kompromiß bezüglich der Höhe des zu erwartenden Kursausschlags herzustellen. Denn die Frage, ob die betreffende Information einen Kauf- bzw. Verkaufsanreiz beim Insider auszulösen vermag, gibt nur bedingt Aufschluß über die Höhe des zu erwartenden Kursausschlags. Wie Benner zutreffend ausführt, spielt für die Transaktionsentscheidungen eines Insiders noch eine Reihe anderer Faktoren eine Rolle.30 Damit ein Geschäft sich als „lohnend“ erweist, ist neben der Höhe des Kursausschlags u. a. auch die Liquidität des Papiers entscheidend. Im übrigen kann im Einzelfall ein Handlungsanreiz auch bereits bei einem sehr niedrigen Kursbeeinflussungspotential gegeben sein. (2) Finanzmathematischer Ansatz Auch der von Loistl vorgeschlagene, finanzmathematische Ansatz, wonach das Kursbeeinflussungspotential anhand des zu erwartenden Einflusses der Information auf das DVFA/SG-Ergebnis je Aktie zu bestimmen ist, vermag nicht zu überzeugen. Es ist zwar unbestritten, daß das Maß des zu erwartenden Kursausschlags in einem engen Verhältnis zur Veränderung der Gewinnerwartung 28 29 30
Reg. Begr. 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 47. So jedenfalls die Einschätzung von Cahn, ZHR 162 (1998), S. 1, 16. Benner, in: Wabnitz/Janovsky, Rn. 95.
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pro Aktie steht, die das betreffende Ereignis mit sich bringt. Daher ließe sich das Kursbeeinflussungspotential einer Information durchaus dadurch berechnen, daß man nach dem Einfluß der Information auf das DVFA/SG-Ergebnis je Aktie fragt. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß das Insiderrecht nicht nur auf Börsenspezialisten, sondern auf sämtliche Marktteilnehmer Anwendung findet. Um die Praktikabilität des Insiderverbots gewährleisten zu können, sollte daher nach einer griffigeren Formel gesucht werden, die ohne mathematische Berechnungen auskommt. Im übrigen würde auch der Auslegungsvorschlag von Loistl die Frage nach der konkreten Höhe der Kurserheblichkeitsschwelle nicht beantworten. Hier könnte allenfalls auf die ursprünglich vorgeschlagene 5%Hürde zurückgegriffen werden. Diese ist jedoch aufgrund ihrer Starrheit mit erheblichen Nachteilen verbunden. bb) Fallgruppen für eine induktive Bestimmung der Kurserheblichkeitsschwelle Mangels geeigneter allgemeiner Kriterien zur Bestimmung des Kursbeeinflussungspotentials einer Information ist daher entgegen der h. M. dem Vorschlag der Vorzug zu geben, der eine induktive Auslegung des Merkmals „Kurserheblichkeit“ befürwortet.31 Danach sind einzelne Fallgruppen für solche Informationen zu bilden, bei denen ein „erhebliches Kursbeeinflussungspotential“ in der Regel vermutet werden kann. Sicherlich bedarf es zur Bildung solcher Fallgruppen angesichts des derzeit noch dürftigen Erkenntnisstands weiterer empirischer Kapitalmarktstudien. Doch schon heute besteht Einigkeit darüber, daß manche Arten von Informationen stets, d.h. unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls, als kurserheblich einzustufen sind. Dazu zählen z. B. M & A Ankündigungen (wie Übernahmepläne) und die Korrektur von Gewinnerwartungen. Nach Auffassung des BAWe und der Deutschen Börse AG lassen sich zudem Insolvenzen und Pläne zum Rückkauf eigener Aktien in der Regel als kurserheblich einstufen.32 Es ließe sich de lege ferenda daher überlegen, ob das Bundesfinanzministerium bzw. die BAFin gesetzlich dazu ermächtigt werden sollten, im Wege einer verbindlichen Rechtsverordnung einen Katalog kurserheblicher Tatsachen zu erstellen, der zudem in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren wäre. Ein ähnliches Verfahren wird etwa im Bereich der sog. Kursmanipulation bereits sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene angewandt, nachdem eingesehen wurde, daß sich der Begriff „Kurs- bzw. Marktmanipulation“ nicht allgemeinverbindlich definieren läßt. So soll die EU-Richtlinie über Insidergeschäfte und 31
Siehe dazu auch Schwark, in: FS Bezzenberger, S. 771, 789 ff. Vgl. BAWe/Deutsche Börse AG, Leitfaden „Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität“, S. 50 f. Dort findet sich ein Beispielskatalog für publizitätspflichtige Tatsachen gem. § 15 WpHG, die zugleich als Insidertatsachen angesehen werden können. 32
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Marktmanipulation nach dem sog. „Lamfalussy“33-Verfahren durch zusätzliche Rechtsakte ergänzt und ausgefüllt werden, die die EU-Kommission in Absprache mit den nationalen Wertpapieraufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten erläßt. Dieses auf europäischer Ebene neue Gesetzgebungsverfahren soll den Anforderungen an sich schnell wandelnde Märkte besser gerecht werden und orientiert sich daher am System der Verordnungsermächtigung. Ähnlich wie der Bundestag per Gesetz die Bundesregierung oder Minister zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen ermächtigen kann, beschränkt sich der EU-Gesetzgeber auf die Rahmengesetzgebung und überläßt die Detailvorschriften der EU-Kommission und technischen Ausschüssen. Danach enthält die geplante EU-Richtlinie über Insidergeschäfte und Marktmanipulation nur ein allgemeines Verbot von Marktmanipulation. Die einzelnen Manipulationshandlungen hingegen werden in einem gesondert erstellten Dokument aufgezählt. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Rahmen des 4. FMFG ebenfalls für ein mehrgliedriges Rechtsetzungsverfahren im Bereich der Kursmanipulation entschieden. Zwar hat er der Exekutive weniger Spielraum für normausfüllende Rechtsakte überlassen als es der europäische Gesetzgeber bei der geplanten EU-Richtlinie über Marktmißbrauch beabsichtigt. Denn im Gegensatz zur geplanten EU-Richtlinie enthält § 20a Abs. 1 WpHG mehr als nur ein allgemeines Manipulationsverbot. Doch sieht § 20a Abs. 2 WpHG vor, daß das Bundesfinanzministerium bzw. die BAFin einige Tatbestandselemente der Regelung durch Rechtsverordnung ausfüllen. Dieses Verfahren hätte angesichts der vergleichbaren Probleme bei der Bestimmung des Begriffs „Erheblichkeit“ auch im Insiderrecht seine Berechtigung.34 b) Inhaltliche Begrenzung des Insidertatsachenbegriffs Wenn schon eine genaue Bestimmung der „Kurserheblichkeitsschwelle“ nur bedingt möglich ist, so sollte der Insidertatsachenbegriff unabhängig von der Höhe des Kursbeeinflussungspotentials jedenfalls einer inhaltlichen Konkretisie33 Dieses Verfahren ist nach dem belgischen Finanzmarktexperten Alexandre Lamfalussy benannt, der Vorsitzender der Expertengruppe war, die dieses Verfahren entwickelt hat. 34 Allerdings ist auch dieser Lösungsvorschlag nicht frei von Nachteilen. Es ist zu befürchten, daß die pauschale Einordnung bestimmter Informationen in den Anwendungsbereich des Insiderrechts zu erheblichen Einschnitten bei der Kommunikation von Emittenten und Analysten führen wird. Gesetzt den Fall, Gewinnprognosen wären grundsätzlich als kurserheblich anzusehen, wäre ein Gespräch zwischen Emittenten und Analysten über die künftige Entwicklung des Unternehmens kaum mehr möglich. Der Emittentenvertreter würde sich allzu leicht dem Verdacht aussetzen, unter Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG eine Prognose über den zu erwartenden Gewinn des Unternehmens abgegeben zu haben. Daher wird z. T. vorgeschlagen, auch innerhalb einer Fallgruppe im Einzelfall danach zu differenzieren, ob bestimmte Faktoren und Begleitumstände die Vermutung der Kurserheblichkeit relativieren oder gar aufheben könnten. Dadurch würde dieser Auslegungsvorschlag jedoch wieder einen erheblichen Teil seines Beitrags zur Verbesserung der Rechtssicherheit einbüßen.
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rung unterzogen werden. Bislang nimmt das Gesetz inhaltlich kaum Einschränkungen des Insidertatsachenbegriffs vor.35 Insbesondere das Merkmal des „Emittenten- und Insiderpapierbezugs“ in § 13 Abs. 1 WpHG ist nicht geeignet, bestimmte Informationen aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts auszuschließen.36 Letztlich entscheidet das Kursbeeinflussungspotential darüber, ob eine Information als geeignete Insidertatsache in Frage kommt. Nach nunmehr überwiegender Auffassung können sogar bloße Werturteile, die von bestimmten Personen geäußert werden, Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs. 1 WpHG sein, wenn sie im Falle ihrer öffentlichen Äußerung einen Kursausschlag erwarten lassen.37 Um einer Ausuferung des Tatsachenbegriffs entgegenzuwirken, sollte man sich zur Bestimmung seiner inhaltlichen Reichweite auf die theoretischen Grundlagen des Insiderrechts besinnen. Das Insiderrecht sowie die Funktionsweise des Insiderhandels insgesamt basieren, wie bereits an anderer Stelle näher dargelegt38, auf dem Preisbildungsmodell der Efficient Capital Market Hypothesis (ECMH). Danach kommt die Preisbildung am Markt dadurch zustande, daß sich alle Marktteilnehmer ein Bild über die künftige Entwicklung der Emittenten machen und diese Vorstellungen ihren Transaktionsentscheidungen zugrunde legen. Diese Theorie geht vom sog. homo oeconomicus aus, d.h. von einem Anleger, der sich von keinerlei subjektiven Präferenzen (ver-)leiten läßt. Entscheidungsrelevant sind für ihn vielmehr nur solche Ereignisse und Informationen, die tatsächlich Einfluß auf die Gewinnerwartungen des Unternehmens nehmen. Wenn jedoch das gesamte Insiderwerk auf einem rationalen Gedankengerüst basiert, so muß sich konsequenterweise auch der Umfang des Insidertatsachenbegriffs danach richten. Im Ergebnis können daher nur solche Informationen Insidertatsachen i. S. von § 13 Abs.1 WpHG sein, die ein ausschließlich rational denkender Anleger seinen Investitionsentscheidungen zugrunde legen würde. Dagegen dürfen Informationen, die ein solcher Anleger nicht für entscheidungsrelevant ansehen würde, selbst dann nicht als Insidertatsachen angesehen werden, wenn sie in der Praxis zu Kursausschlägen führen. Insider sollten nicht für etwas haftbar gemacht werden, was der Willkür des irrational handelnden Anlegerpublikums unterliegt. Schenkt also das Börsenpublikum den Vorhersagen eines sog. „Börsengurus“ Glauben, ohne daß dieser seine Empfehlungen näher begründet oder mit entsprechenden Argumenten belegt, so ist dies zwar als ein Fall irrationaler Verhaltensweisen im Anteilshandel zu betrachten, 35 So lautet jedenfalls das Ergebnis der Erörterungen des ersten Teils der Arbeit. Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. V. 36 Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. III. 4. 37 Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Band III, S. 3410, § 107 Rn. 21; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 33 f.; Caspari, in: Baetge (Hrsg.), S. 65, 68; vgl. auch oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. I. 3. b). 38 Vgl. oben 2. Teil, C. I. 1.
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nicht jedoch als ein Fall des Insiderrechts. Ebensowenig insiderrechtlich relevant dürften dementsprechend auch persönliche Einschätzungen sein, die Emittentenvertreter im Rahmen von Gesprächen gegenüber Analysten äußern, sofern sie lediglich auf Vermutungen und nicht auf fundiertem Insiderwissen beruhen. Mit der Entscheidung, nur solche Äußerungen für insiderrechtlich relevant zu erklären, die auch tatsächlich Einfluß auf die Gewinnerwartungen des Unternehmens nehmen, ließen sich einige besonders problematische Rechtsfragen aus dem Tatsachenbegriff des § 13 Abs. 1 WpHG ausschließen. So würde etwa die Problematik des sog. „Scalping“ insiderrechtlich irrelevant werden. Denn das Wissen darüber, daß ein sog. „Börsenguru“ demnächst eine bestimmte Aktie empfehlen wird, ist für die Gewinnentwicklung des betreffenden Emittenten völlig irrelevant. c) Rechtssicherheit bezüglich der Beurteilung der Mosaiktheorie Weiterhin läßt sich die insiderrechtliche Situation der Analysten dadurch verbessern, daß man Klarheit über die rechtliche Beurteilung der sog. „Mosaiktheorie“ schafft. Diese Theorie erkennt an, daß es in der Praxis Sachverhalte gibt, in denen eine Information für sich gesehen noch keinen Kursausschlag im Falle ihrer Veröffentlichung erwarten läßt, die aber in Verbindung mit anderen, möglicherweise schon veröffentlichen Informationen zu einer völlig neuen Beurteilung der Sachlage und damit zu einer Kursänderung führen kann.39 Gerade für Analysten, die einen Großteil ihrer Arbeit in das Sammeln und Zusammenfügen von Informationsbruchstücken investieren, hat die Frage, wie in solchen Fällen zu verfahren ist, große Bedeutung.40 Bislang besteht jedoch erhebliche Rechtsunsicherheit über die rechtliche Beurteilung der sog. „Mosaiktheorie“.41 Zwar konnten die wenigen Autoren, die sich bislang mit dieser Problematik auseinandergesetzt haben, sich auf eine einheitliche Beurteilung einigen. Danach sind Informationen, die erst in Verbindung mit anderen Informationen Kursbeeinflussungspotential entfalten, für sich gesehen noch keine Insidertatsachen.42 Nichts desto weniger soll ein Analyst, der mehrere Informationsbruchstücke zu einer kurserheblichen Information zusammenfügt, nach h. M. daran gehindert sein, diese für sich oder einen anderen zu verwerten.43 Wortlaut 39 Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, B.; zur Mosaiktheorie im US-amerikanischen Recht siehe oben 3. Teil, 2. Abschnitt, A. II. 2. d). 40 Siehe zur Bedeutung der Mosaiktheorie für Finanzanalysten v. Rosen/Gerke, Kodex für anlegergerechte Kapitalmarktkommunikation, S. 38/39, Punkt 3.1.4. 41 Vgl. zur Diskussion im deutschen Recht Assmann, AG 1997, S. 50, 51; ders., in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 73 a. E.; Drygala, WM 2001, S. 1313, 1321 f.; Scheider/Burgard, in: FS Buxbaum, S. 501, 508; Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 13WpHG Rn. 68, der die Anwendbarkeit der Mosaiktheorie auf alle in der vorliegenden Arbeit erörterten Fälle als unstrittig bejaht. 42 Assmann, AG 1997, S. 50, 51.
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und Systematik des Gesetzes lassen zwar auch andere Auslegungsergebnisse zu. Vor allem ließe sich gegen die weite Auslegung des Verwertungsverbots einwenden, es sei für die Analysten nicht hinnehmbar, darauf achten zu müssen, ob die von ihnen analysierten Informationen eventuell in ihrer Gesamtheit ein insiderrechtlich relevantes Kursbeeinflussungspotential entfalten könnten. Beschäftigt man sich näher mit dem Spannungsverhältnis von Insiderrecht und Wertpapieranalyse, spricht vieles dafür, daß den Analysten die Rechtsfolgen der Mosaiktheorie nicht zugemutet werden sollten.44 Zudem liefe der Schutzzweck des § 13 Abs. 2 WpHG weitgehend leer, würde man seinen Tatbestand dann nicht mehr als erfüllt ansehen, wenn in die betreffende Bewertung eine für sich gesehen nicht kurserhebliche Information eingeflossen wäre. Entgegen der bislang vertretenen Auffassung sollte daher die Frage der Anwendbarkeit der Mosaiktheorie zugunsten der Analysten dahingehend entschieden werden, daß eine Analyse bzw. Bewertung nur dann als Insidertatsache anzusehen ist, wenn sie tatsächlich selbst auf einer solchen beruht. 4. Die Normierung zusätzlicher Haftungsfilter im Verbotstatbestand Nicht nur die tatbestandliche Ungenauigkeit des Merkmals „Insidertatsache“ ist verantwortlich dafür, daß die §§ 12–14, 38 WpHG sich „lähmend“ auf die Kommunikationsbeziehungen von Analysten und Emittentenvertretern auswirken. Hinzu kommt, daß nach herkömmlicher Auslegung des Merkmals „unbefugt“ jede Weitergabe einer Insider-Information im Rahmen der Kommunikationskette zwischen Emittenten, Analysten und Anlegern zwangsläufig gegen die strafrechtlich sanktionierten Verbotsbestimmungen des § 14 WpHG verstößt. Einziger Haftungsfilter ist das Vorsatzerfordernis. Doch ist das Vorsatzerfordernis bekanntermaßen nicht geeignet, einen effektiven Schutz vor „rufschädigenden“ Verdachtsermittlungen zu gewährleisten.45 Da bereits die unterste Vorsatzstufe „dolus eventualis“ für die Begründung einer Strafbarkeit nach §§ 14, 38 WpHG genügt46, ist es schwer vorstellbar, daß sich ein professioneller Marktteilnehmer im Falle einer Anklage mit Erfolg darauf berufen können wird, er habe den Inside-Charakter der Information nicht erkannt.47 Es ist daher 43 Schäfer, in: Schäfer, Kommentar, § 13 WpHG Rn. 68, Assmann, in: Assmann/ Schneider, § 13 Rn. 73. 44 A. A. Drygala, WM 2001, S. 1313, 1323/24, der allerdings von der Prämisse im deutschen Recht ausgeht, daß die Kurserheblichkeitsschwelle deutlich höher liegt als im US-amerikanischen Recht. 45 Siehe dazu oben 1. Teil, 4. Abschnitt, A. I. 1. 46 Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 18. 47 Die in diesem Zusammenhang von Benner, in: Wabnitz/Janovsky, Kapitel 4 Rn. 66–69, vertretene Auffassung, der Analyst könne grundsätzlich darauf vertrauen, der Emittentenvertreter werde sich an das Weitergabeverbot halten und keine Insiderinformationen übermitteln, ist ein wenig lebensfremd. Ein grundsätzliches Vorver-
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zu prüfen, welche zusätzlichen Haftungsfilter in den Verbotstatbestand mit aufgenommen werden könnten, damit das Problem eines vorschnellen Insider-Verdachts entschärft werden kann. Dabei ist zwischen der Seite des Emittentenvertreters und der des Analysten zu differenzieren. Beide unterliegen zwar in derselben Weise dem Weitergabeverbot; allerdings kommen für sie unterschiedliche Haftungsfilter in Betracht. a) Zusätzliche Haftungsfilter für Emittentenvertreter Das insiderrechtliche Weitergabeverbot wirkt sich nachteilig auf die Informationspolitik der Unternehmen aus. Dies geht mittelbar auch zu Lasten der Analysten, die im Rahmen ihrer Berufsausübung von einer offenen Informationspolitik der Unternehmen abhängig sind. Die folgenden Vorschläge zielen darauf ab, speziell das Insider-Verdachtsrisiko für Emittentenvertreter zu minimieren, die sich bereitwillig den Fragen der Analysten stellen. aa) Streben nach persönlichem Sondervorteil Zum einen ließe sich überlegen, ob der Tatbestand des Weitergabeverbots entsprechend einem Rechtsgedanken aus dem US-amerikanischen Recht dahin ergänzt werden sollte, daß eine unbefugte Informationsmitteilung stets das Streben nach einem persönlichen Sondervorteil voraussetzt.48 Dies würde die rechtliche Situation für Emittentenvertreter erheblich verbessern, weil diese bei der Informationsübermittlung anläßlich von Analystentreffen in der Regel ausschließlich im Unternehmensinteresse handeln. Gibt der Unternehmensvertreter eine Insiderinformation im persönlichen Gespräch preis, so wäre der objektive Tatbestand des Weitergabeverbots nicht schon ohne weiteres erfüllt. Vielmehr müßten zusätzlich Umstände vorliegen, die Anlaß zu der Vermutung geben, der betreffende Emittentenvertreter habe sich durch die Mitteilung der Information persönlich bereichern wollen.49 Ist dies nicht der Fall, müßte der betreffende Unternehmensvertreter nicht befürchten, daß gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird. Im Ergebnis ließe sich so erreichen, daß der mit der „investor-relations“-Pflege verfolgte Zweck, das Anlegerpublikum besser über die gesamtwirtschaftliche Situation des Unternehmens zu informieren, nicht unnötig ständnis darüber, daß ein Analyst die Qualität einer Insidertatsache nicht erkennt, weil er auf die Rechtstreue seines Gesprächspartners vertrauen darf, gibt es nicht. 48 Siehe zu den Grundlagen der sog. „fiduciary duty“-theory oben 3. Teil, 1. Abschnitt, B. I. 49 Eine Insiderinformation stellt einen gewissen Vermögenswert dar, der sich nicht nur durch entsprechende Insidergeschäfte im Anteilshandel realisieren läßt, sondern auch durch eine entsprechende Vergütung, die ein Dritter für die Übermittlung der Information zu zahlen bereit ist.
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durch eine übermäßige Strafdrohung des Weitergabeverbots vereitelt wird. Zwar läßt sich die Gefahr nicht von der Hand weisen, daß mangels drohender Sanktionen die Emittentenvertreter allzu fahrlässig mit ihrer Verpflichtung zur Wahrung der informationellen Chancengleichheit umgehen könnten. Ob diese Befürchtung begründet ist, unterliegt jedoch erheblichen Zweifeln. Denn jedes börsennotierte Unternehmen dürfte auch ohne eine entsprechende Strafsanktion daran interessiert sein, seinen Ruf durch eine „gute“ und zugleich „faire“ Informationspolitik zu wahren. bb) Verstoß gegen unternehmensinterne Compliance-Bestimmungen Eine andere Möglichkeit, den Tatbestand des Weitergabeverbots für Emittentenvertreter zu entschärfen, bestünde darin, die insiderrechtliche „Befugnis“ zur Informationsweitergabe in erster Linie an vom Unternehmen selbst erstellten Compliance50-Bestimmungen zu messen.51 Danach würde ein Emittentenvertreter gegen das Weitergabeverbot nur dann verstoßen, wenn er sich im Rahmen seiner Auskünfte über die internen Vorgaben seines eigenen Unternehmens eigenwillig hinwegsetzt. Wird etwa intern eine Vorlage ausgearbeitet, an der sich der mit der „investor-relations“-Pflege beauftragte Emittentenvertreter bei der Beantwortung der Analystenfragen orientieren soll, so könnte dem Emittentenvertreter persönlich kein Insider-Vorwurf daraus gemacht werden, daß die von der Vorgabe abgedeckten Informationen (versehentlich) eine kurserhebliche Tatsache enthalten. Allerdings können auch gegen diesen Vorschlag Bedenken erhoben werden. So bestünde bei einer Koppelung der insiderrechtlichen Befugnis zur Informationsweitergabe an die internen Compliance-Bestimmungen des jeweiligen Emittenten die Gefahr, daß ein Unternehmen, vertreten durch seine Organe, sich bewußt über den allgemeinen Grundsatz der informationellen Chancengleichheit hinwegsetzt, wenn es dies in der jeweiligen Situation taktisch für angemessen hält. Hinzu kommt, daß Compliance-Bestimmungen keinen Gesetzescharakter haben.52 In der Regel werden diese Bestimmungen vom jeweiligen Unternehmen selbst ausgearbeitet. Als Orientierungshilfe dient allein eine vom Aufsichtsamt veröffentlichte Richtlinie zur Konkretisierung der Organisationspflichten nach dem WpHG.53
50 Nach U. H. Schneider, ZIP 2003, S. 645 ff., umfaßt Compliance die Gesamtheit aller Maßnahmen, um das rechtmäßige Verhalten der Unternehmen, der Organmitglieder und der Mitarbeiter im Blick auf alle gesetzlichen Gebote und Verbote zu gewährleisten. 51 Auch dieser Vorschlag ist mit einem Rechtsgedanken des US-amerikanischen Insiderrechts verwandt. Vgl. oben zur sog. „misappropriation“-theory, 3. Teil, 1. Abschnitt, C. I. u. II. 52 Es gibt lediglich gesetzliche Bestimmungen, wie etwa §§ 25a KWG, 33 WpHG, die zur Errichtung entsprechender organisatorischer Strukturen verpflichten.
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Maßgeblich ist allerdings, daß sich das Tatbestandsmerkmal „(un-)befugt“ durch Compliance-Bestimmungen im Einzelfall besser konkretisieren lassen als es bislang mit Hilfe allgemeiner Auslegungsmethoden möglich ist. Das insofern bestehende Mißbrauchsrisiko könnte durch entsprechende Dokumentationspflichten minimiert werden. So arbeitet der Gesetzgeber im Kapitalmarktrecht bereits an verschiedenen Stellen mit Dokumentationspflichten.54 Dieses Instrumentarium ließe sich auch auf den Compliance-Bereich übertragen. Ziel einer solchen Vorschrift müsste es sein, im einzelnen nachvollziehen zu können, wer die Informationsvorlage für die Analystenpräsentation erstellt hat, auf deren Grundlage der Emittentenvertreter seine Aussagen im Analystengespräch getroffen hat. Im Ergebnis wäre dies ein gangbarer Weg, um den Anwendungsbereich des Weitergabeverbots angemessen einzuschränken. cc) Rücktritt bzw. Gelegenheit zur tätigen Reue Schließlich wäre es für die Bereitschaft der Unternehmen zur freiwilligen Kommunikation mit dem Anlegerpublikum förderlich, wenn den betroffenen Emittentenvertretern die Möglichkeit gegeben würde, durch sofortige Veröffentlichung der versehentlich preisgegebenen Insiderinformation sich nachträglich von dem Vorwurf einer unbefugten Weitergabe befreien zu können.55 Hat etwa ein mit der „investor-relations“-Pflege beauftragtes Vorstandsmitglied versehentlich eine Insiderinformation unter Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG einem Analysten mitgeteilt, so müßte es ihm gestattet sein, durch sofortige Veröffentlichung der Information sich die Unannehmlichkeiten eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu ersparen. Zwar besteht nach überwiegender Auffas53 Richtlinie des BAWe zur Konkretisierung der Organisationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 33 Abs. 1 WpHG vom 25. Oktober 1999 (Fundstelle: Bundesanzeiger Nr. 210 vom 6. November 1999, S. 18 453). 54 Vgl. etwa § 16b Abs. 1 WpHG (Aufbewahrungspflicht); § 31 WpHG i. V. m. Punkt D der „Richtlinie gemäß § 35 Abs. 6 des Gesetzes über den Wertpapierhandel (WpHG) zur Konkretisierung der §§ 31 und 32 WpHG für das Kommunikationsgeschäft, den Eigenhandel für andere und das Vermittlungsgeschäft der Wertpapierdienstleistungsunternehmen“ vom 23.08.2001 (Fundstelle: Bundesanzeiger Nr. 165 vom 4.09.2001, S. 19217; danach muß ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen seine Pflichten gemäß § 31 WpHG so erfüllen, daß deren Einhaltung im Rahmen einer Prüfung nachvollzogen werden kann (Aufzeichnungspflicht); vgl. auch § 34b WpHG i. V. m. Punkt 8 der „Bekanntmachung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zur Auslegung einzelner Begriffe in § 34b Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)“, danach ist ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet, die in § 34b WpHG genannten Pflichten so zu erfüllen, daß deren Einhaltung nachvollzogen werden kann (Dokumentationspflicht). 55 Eine in diese Richtung zielende Regelung sieht Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der EGMarktmißbrauchsrichtlinie (2003/6/EG) vor (veröffentlicht im Abl. der EG L 096, 12.04.2003, S. 16 ff.). Die Richtlinie wurde noch nicht in das deutsche Recht umgesetzt. Die Umsetzung muß aber bis zum 12. Oktober 2004 erfolgen.
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sung im Schrifttum schon jetzt die Möglichkeit, Insiderinformationen in analoger Anwendung der Ad-hoc-Publizitätsbestimmungen vorzeitig zu veröffentlichen.56 Doch würde eine nachträgliche Veröffentlichung der betreffenden Information mangels einer entsprechenden Regelung einen Verstoß gegen das Weitergabeverbot selbst dann nicht rückgängig machen können, wenn zwischen Weitergabe und Veröffentlichung ein nur geringer zeitlicher Abstand besteht. Die gewünschte Haftungsbefreiung ließe sich nur durch eine ausdrückliche Regelung im Insiderrecht de lege ferenda erreichen. b) Zusätzliche Haftungsfilter für Analysten Das Weitergabe- und Empfehlungsverbot bedeutet im Falle ihrer Einordnung als Primärinsider auch für die Analysten eine erhebliche Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit. Sie kann nur durch zusätzliche Haftungsfilter für die Berufsgruppe der Informationsintermediäre aufgefangen werden. aa) Kollusives Zusammenwirken Es wurde vorgeschlagen, daß Emittentenvertreter nur dann „unbefugt“ i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG handeln, wenn sie mit der Informationsübermittlung zugleich einen persönlichen Sondervorteil anstreben.57 In Parallele dazu ließe sich für die rechtliche Situation der Analysten erwägen, ob diese ihrerseits der Pflichtenbindung gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG nur dann unterliegen sollten, wenn sie die Information unrechtmäßig erlangt haben. Eine unrechtmäßige Kenntniserlangung läge vor, wenn der Analyst dem Emittentenvertreter im Gegenzug für den Erhalt der Information einen irgendwie gearteten Sondervorteil zukommen läßt. Die Pflichtenbindung bestünde für die Analysten demnach nur, wenn er die Information durch bewußtes Zusammenwirken mit dem Emittentenvertreter erlangt hat. Dagegen bliebe er von der Pflichtenbindung verschont, wenn die Information ihm ohne sein Zutun oder gar gegen seinen ausdrücklichen Willen übermittelt worden wäre. Freilich würde eine solche Einschränkung des Verbotstatbestands zu erheblichen Strafbarkeitslücken führen. Nach dem Motto „Gelegenheit macht Diebe“ könnte ein Analyst, der sich ohne eigenes Zutun mit einer Insiderinformation „infiziert“ hat, sich ungestraft über den Grundsatz der informationellen Chancengleichheit hinwegsetzen, indem er sich seinen Wissensvorsprung von seinen Kunden bzw. Auftraggebern 56 Kümpel, in: Assmann/Schneider, § 15 Rn. 54 ff.; Hopt, ZGR 1997, S. 1, 23; Fürhoff/Wölk, WM 1997, S. 449, 457; noch weitgehender Burgard, ZHR 162 (1998), S. 51, 80 ff.; der bei Gefahr eines Verstoßes gegen das insiderrechtliche Weitergabeverbot (§ 14 I Nr. 2 WpHG) sogar eine Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität bejaht. 57 Siehe oben 4. Teil, B. II. 4. a), aa).
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
gesondert vergüten läßt. Andererseits ließe sich einwenden, daß ein Analyst, der die Kenntniserlangung seinerseits nicht forciert hat, nicht mit seine Berufsausübung behindernden Verbotspflichten belegt werden sollte. Diesem Verbesserungsvorschlag ist unter der Voraussetzung zu folgen, daß das dadurch entstehende Mißbrauchsrisiko an anderer Stelle in angemessener Weise bekämpft wird. Nur wenn sichergestellt werden kann, daß die Übermittlung von Insiderinformationen an Analysten grundsätzlich unterbunden wird, ist es im Hinblick auf das Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und effizienter Kapitalmarktkommunikation angemessen, die weitere Verwendung versehentlich weitergegebener Insiderinformationen nicht zu sanktionieren. Eine zusätzliche Schranke zur Minimierung der Mißbrauchsgefahr könnte dadurch geschaffen werden, daß Emittentenvertreter dazu verpflichtet werden, versehentlich weitergegebene Informationen unverzüglich dem gesamten Anlegerpublikum bekannt zu geben.58 bb) Streben nach persönlichem Sondervorteil Ein Haftungskriterium, das weniger auf ein kollusives Zusammenspiel von Emittentenvertreter und Analyst abstellt als auf ein eigenständiges Fehlverhalten des Analysten, wäre das des „persönlichen Sondervorteils“ im Verhältnis zu den Kunden bzw. Auftraggebern des Analysten. Danach wäre die Informationsweitergabe für den Analysten nur dann unbefugt, wenn er seinerseits für die Übermittlung einer Insider-Information eine entsprechende Sondervergütung von seinen Auftraggebern bzw. Kunden verlangen würde. Unabhängig davon, wie der Analyst selbst die Information erlangt hat, käme es also allein darauf an, ob er die Information im direkten Verhältnis zu seinen Kunden bzw. Auftraggebern dazu verwenden würde, die übliche Vergütung für seine Analysedienstleistungen zu steigern. Dieser Vorschlag hätte den Vorteil, daß der Analyst, der sich anläßlich eines Emittentengesprächs mit einer Insiderinformation „infiziert“ hat, es allein in der Hand hätte, inwieweit er sich der Strafdrohung des Insiderrechts aussetzen will. Soweit er darauf verzichtet, sich an den ihm mehr oder weniger „zufällig“ in die Hände gefallenen Insiderinformation zu bereichern, muß er auch nicht befürchten, eines Verstoßes gegen das Weitergabeverbot verdächtigt zu werden. Dieser Ansatz dürfte jedoch nicht praktikabel sein, weil der Analyst, anders als der Emittentenvertreter, mit der Informationsübermittlung stets ein unmittelbares Eigeninteresse verfolgt, so daß eine Unterscheidung im oben vorgeschlagenen Sinne nur schwer vorgenommen werden könnte. 58 So der Rechtsgedanke der FD-Regelung in den USA, vgl. dazu oben 3. Teil, 2. Abschnitt, A. I. u. II., und wohl auch der neuen EG-Marktmißbrauchsrichtlinie, 2003/ 6/EG, vgl. Art. 6 Abs. 3.
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cc) Veröffentlichungsverfahren Schließlich wäre es für die Analysten eine deutliche Entlastung, wenn das Gesetz für sie unter bestimmten Voraussetzungen ein Veröffentlichungsverfahren vorsehen würde, mit dessen Hilfe sie sich vorzeitig ihrer insiderrechtlichen Pflichtenbindung entledigen könnten. Bislang existiert ein solches Veröffentlichungsverfahren allein für die Emittenten selbst. Dagegen lassen die §§ 12–14, 38 WpHG den Insidern keine Alternative. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als von der Verwertung der Insidertatsache solange abzusehen, bis diese im Wege der Ad-hoc-Publizität gem. § 15 WpHG ihre insiderrechtliche Relevanz verlieren. Entgegen der Auffassung von Drygala besteht für Analysten de lege lata auch nicht die Möglichkeit, in analoger Anwendung des § 15 WpHG eine Veröffentlichung der Insiderinformation in Eigenregie herbeizuführen. Ein solches Vorgehen würde zum einen in unzulässiger Weise die Schutzmechanismen des § 15 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 WpHG aushebeln und zum anderen die den betreffenden Emittenten zustehende Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Wahl des Veröffentlichungszeitpunkts beschneiden. Für einen derartigen Eingriff in die Entscheidungskompetenz anderer Marktteilnehmer sowie der Börsen selbst bedarf es vielmehr einer gesetzlichen Grundlage, die bislang im WpHG nicht vorhanden ist. III. Zusammenfassung und Bewertung Es wurden Möglichkeiten aufgezeigt, wie de lege lata et ferenda ein angemessenerer Ausgleich zwischen dem Schutz der informationellen Chancengleichheit und den Bedürfnissen der Wertpapieranalysten geschaffen werden könnte. Während es nicht sinnvoll erscheint, die Berufsgruppe der Analysten pauschal als Sekundär- statt als Primärinsider einzustufen, sind andere Vorschläge zielfördernd. Ihnen liegt die Erkenntnis zugrunde, daß die Schwierigkeiten, mit denen die Analysten im Rahmen ihrer Berufsausübung konfrontiert werden, zu einem nicht unerheblichen Teil durch die tatbestandlichen Ungenauigkeiten des Insidertatsachenbegriffs verursacht werden. Sinnvoll erscheint es deshalb, sich dem Merkmal der Kurserheblichkeit künftig stärker auf induktivem Wege zu nähern und durch empirische Kapitalmarktforschung zu bestimmen, in welchen typisierbaren Einzelfällen von einem Kursbeeinflussungspotential ausgegangen werden kann, das über das normale Maß der Volatilität des Papiers hinausgeht. Des weiteren ist unter Rückgriff auf die theoretischen Grundlagen des Insiderhandels der Begriff der Insidertatsache inhaltlich auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Zudem ist die sog. „Mosaiktheorie“ als insiderrechtlich irrelevant anzusehen.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
Diese Vorschläge könnten im Sinne einer „kleinen Reform“ des Insiderrechts leicht umgesetzt werden, ohne daß gegen sie konzeptionelle Bedenken bestehen oder es für sie gar gesetzlicher Änderungen bedürfte. Doch wäre damit nur der erste Schritt in die richtige Richtung getan. Um das Kräftefeld von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse noch weiter zugunsten der Informationsmultiplikatoren zu verschieben, sind tiefgreifende Reformen notwendig. Diese können durch Einbau weiterer Haftungsfilter im Tatbestand des Weitergabeverbots geschaffen werden. Es werden jeweils drei Haftungsfilter für Emittentenvertreter und Analysten vorgeschlagen. Jeweils zwei zielen auf eine unmittelbare Einschränkung des Verbotstatbestands. Der dritte Vorschlag betrifft ein Veröffentlichungsverfahren, welches einerseits dem Beschuldigten eines Insiderverstoßes die Möglichkeit geben soll, sich von seiner Insider-Haftung nachträglich wieder zu befreien, und andererseits dem Adressaten der insiderrechtlichen Pflichtenbindung die Gelegenheit bietet, sich vorzeitig seiner Verbotsbeschränkungen zu entledigen. Diese Vorschläge lassen sich jedoch nur realisieren, wenn der gesetzliche Wortlaut des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG über die bestehenden Auslegungsmöglichkeiten hinaus modifiziert bzw. ergänzt wird.
C. Das Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts Die oben entwickelten Verbesserungsvorschläge sind nunmehr daraufhin zu untersuchen, ob eine tatbestandliche Modifizierung der insiderrechtlichen Handlungsverbote mit dem der Insiderregelung zugrundeliegenden Haftungskonzept zu vereinbaren wäre. Anlaß dazu gibt vor allem die Befürchtung, daß die Normierung zusätzlicher Haftungsfilter in den Verbotstatbeständen des § 14 WpHG nur unter Inkaufnahme erheblicher Systembrüche zu verwirklichen ist. Denn die vorgeschlagenen Modifikationen des Verbotstatbestands würden zu nicht unerheblichen Strafbarkeitslücken im Gesetz führen. Die deutsch/europäische Insiderregelung basiert jedoch bekanntermaßen auf einem eher breit angelegten Haftungskonzept, das Strafbarkeitslücken nur bedingt zu tolerieren scheint. Um die Vereinbarkeit der genannten Verbesserungsvorschläge mit der Gesetzessystematik der §§ 12–14, 38 WpHG beurteilen zu können, muß der „dogmatische Unterbau“ des deutsch/europäischen Insiderrechts genauer beleuchtet werden. Dabei wird sich zeigen, daß entgegen einer in der Literatur weit verbreiteten Auffassung die Ursache für die vielen insiderrechtlichen Anwendungsprobleme nicht allein darin zu suchen ist, daß die deutsch/europäische Insiderregelung eine Reihe von unbestimmten Rechtsbegriffen verwendet.59 Vielmehr ist ein er59 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 2, Rn. 5 spricht in diesem Zusammenhang von einem „Dschungel“ an unbestimmten Rechtsbegriffen. Auch Assmann, in: Assmann/
C. Das Haftungskonzept des Insiderrechts
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heblicher Teil der insiderrechtlichen Anwendungsprobleme bereits in dem vom Gesetzgeber gewählten Haftungskonzept verwurzelt. Die Probleme hätten sich daher auch bei einer sorgfältigeren Ausformulierung der insiderrechtlichen Verbotstatbestände nicht vollends vermeiden lassen. I. Vorbemerkung Dem deutsch/europäischen Gesetzgeber sind bereits bei der Ausgestaltung des Insider-Haftungskonzepts einige (kleinere) Unstimmigkeiten unterlaufen, die in ihrer Summe jedoch zu einer erheblichen Verunsicherung im Schrifttum geführt haben.60 Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Lehre ist angesichts der bestehenden konzeptionellen Widersprüche bei dem Versuch, der Richtlinie ein operationales Regelungsleitbild zu entnehmen, resignierend zu dem Ergebnis gekommen, die EG-Richtlinie sei mehr von einem „pragmatischen Gestaltungswillen geprägt als durch eine einheitliche Haftungstheorie“.61 Während einige Autoren überhaupt kein Regelungskonzept erkennen können, gehen andere davon aus, daß der Richtlinie eine Mixtur aus verschiedenen Haftungstheorien zugrundeliegt. Vereinzelt wurde dem europäischen Gesetzgeber sogar die Absicht unterstellt, er habe ein Regelungswerk schaffen wollen, das bewußt bei mehreren bereits anerkannten Insidertheorien Anleihen nimmt, weil so am ehesten mit einer internationalen Akzeptanz der europäischen Insiderregeln zu rechnen sei.62 Mit der Vorstellung, daß der Insider-Richtlinie kein einheitliches Regelungsleitbild zu entnehmen sei, ging die Annahme einher, etwaige Bemühungen, die EG-Richtlinie mit anderen insiderrechtlichen Haftungstheorien zu vergleichen, könnten nicht sonderlich vielversprechend sein.63 Erklären lassen sich diese vorschnell gezogen Schlußfolgerungen wohl nur aus dem Umstand, daß in Deutschland, wie auch in Europa insgesamt, die wissenschaftliche Durchdringung insiderrechtlicher Haftungstheorien bei weitem nicht so weit fortgeschritten ist wie in den USA, dem „Mutterland“ des Insiderrechts. Während sich in den USA spätestens seit der Entwicklung der sog. „fiduciary duty“-theory das Bewußtsein dafür geöffnet hat, daß insiderrechtliche Regulierungen unterschiedliche Haftungskonzepte verfolgen können, wurde in Europa der „dogmatische Unterbau“ der EG-Insiderrichtlinie bislang nur wenig erörtert. Daher verwundert es nicht, daß in den frühen Stellungnahmen zum Schneider, Vor § 12, Rn. 37 sieht den Grund für die Rechtsanwendungsprobleme in der „großen Zahl unbestimmter Rechtsbegriffe“. 60 Ähnlich K.-P. Weber, S. 189 ff. 61 Hopt, ZGR 1991, S. 17, 25–28; Assmann, AG 1994, S. 196, 202; Schäfer, Kommentar, Vor § 12 WpHG Rn. 19; Lahmann, S. 35; Tippach, S. 36/37; Wymeersch, in: Hopt/Wymeersch, S. 65, 126: „they have taken a rather pragmatic approach.“ 62 So Wymeersch, in: Hopt/Wymeersch, S. 65, 128. 63 Assmann, AG 1994, S. 196, 202.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
europäischen Insiderrecht das Haftungskonzept der Richtlinie vernachlässigt wurde. In jüngerer Zeit hat man sich jedoch immer mehr von der Vorstellung gelöst, die europäische Insiderregelung lasse sich nicht rechtsdogmatisch überprüfen. Vielmehr wurden die bestehenden konzeptionellen Widersprüche zum Anlaß genommen, das Haftungskonzept der EG-Richtlinie (sowie das des deutschen Insiderrechts) verstärkt zum Gegenstand insiderrechtlicher Untersuchungen zu machen. Dabei änderte sich auch die Herangehensweise an das Problem des Haftungskonzepts. Während Hopt die „Konsistenz“, wie er das Haftungskonzept umschreibt, noch aus den mit der Regelung verfolgten Regelungszielen und den geschützten Rechtsgütern abzuleiten versucht64, werden nunmehr die einzelnen Elemente der Insider-Regelung – dazu zählen im wesentlichen der Insiderbegriff, die Insiderinformation, die Insiderpapiere und die Handlungsverbote – daraufhin überprüft, ob sie in ihrer Gesamtschau ein einheitliches Haftungskonzept erkennen lassen. Mit dieser Methodik konnte die anfänglich angenommene Vermutung widerlegt werden, den Regeln des europäischen Insiderrechts könne in der Frage nach der ihnen zugrundeliegenden Haftungstheorie nicht mehr entnommen werden als eine bloße Aussage zur Legitimation des insiderrechtlichen Regelungsbedarfs.65 II. Die theoretischen Grundlagen des deutsch/europäischen Haftungskonzepts Angesichts der Tatsache, daß die einzelnen Bestimmungen der Insiderrichtlinie sowie des WpHG das ihnen zugrundeliegende Haftungskonzept nicht widerspruchsfrei umgesetzt haben, sollen hier zunächst die theoretischen Grundlagen dieses Konzepts losgelöst von den gesetzlichen Grundlagen skizziert werden. Wie eingangs erwähnt, besteht das Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts entgegen vereinzelter Auffassungen im Schrifttum keineswegs aus einer „Mischung“ verschiedener Regelungskonzepte.66 Vielmehr basiert das gesamte deutsch/europäische Regelungswerk auf einer einheitlichen Haftungstheorie.67 Diese Theorie wird von K.-P. Weber treffend als „relative informationelle 64 Hopt, ZGR 1991, S. 17, 28; auch Assmann, in: Assmann/Schneider, Vor § 12 Rn. 40 f., geht nicht auf die einzelnen Regelungsaussagen der Richtlinie ein, sondern beschränkt sich bei der Frage nach der dem Gesetz zugrundeliegenden Haftungstheorie auf die in den Erwägungsgründen der Präambel genannten Zielrichtungen. 65 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, Vor § 12 Rn. 40: „Der Versuch, Richtlinie und deutschem Insiderrecht ein Regelungsleitbild zu entnehmen, welches nicht nur eine richtlinienkonforme Anwendung des deutschen Rechts gestattet, sondern vor allem auch eine konsistente Anwendung, Auslegung und Fortentwicklung des deutschen Insiderrechts ermöglicht, fällt nicht sonderlich ergiebig aus.“; vgl. auch ders., AG 1994, S. 196, 202. 66 Immerhin ist dieser Auffassung zuzugeben, daß einzelne Regelungsaussagen unnötige Eingrenzungen bzw. mißverständliche Präzisierungen beinhalten, die im Widerspruch zu der Zielsetzung der Richtlinie stehen. Vgl. dazu näher unten 4. Teil, C. IV.
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Chancengleichheitstheorie“ 68 umschrieben. Z. T. wird sie im Schrifttum aber auch als „Informationsgleichheitstheorie“ 69 bzw. „Zugangstheorie“70 bezeichnet. 1. Der gedankliche Ausgangspunkt des Haftungskonzepts Anders als andere Insiderhaftungstheorien macht die „informationelle Chancengleichheitstheorie“ die insiderrechtliche Haftung nicht von marktexternen Faktoren, wie etwa der Verletzung gesellschaftsrechtlicher oder anderweitiger Treuepflichten, abhängig. Vielmehr sehen sowohl die europäische Insider-Richtlinie als auch das deutsche Insiderrecht den Grund für die insiderrechtliche Haftung ausschließlich in der Verletzung der „informationellen Chancengleichheit“ im Anteilshandel. Aus dem 5. Erwägungsgrund der Präambel zur Insiderrichtlinie geht hervor, daß aus Gründen der Chancengleichheit den Anlegern die Teilnahme am Wertpapierhandel nur auf einer einheitlichen Informationsgrundlage gestattet sein soll („Level playing field“). Wörtlich heißt es dort: „dieses Vertrauen (gemeint ist das Vertrauen der Anleger in das reibungslose Funktionieren des Kapitalmarktes) beruht unter anderem auf der den Anlegern gegebenen Zusicherung, daß sie gleichgestellt sind und daß sie gegen die unrechtmäßige Verwendung einer Insider-Infomation geschützt werden.“. Daraus geht das an alle Anleger gerichtete Gebot hervor, Transaktionsentscheidungen nur auf der Basis von Informationen zu treffen, die auch der Allgemeinheit bereits bekannt sind. Diejenigen Anleger, die aufgrund eines privilegierten Informationszugangs über (noch) nicht öffentlich bekannte Informationen verfügen, müssen deshalb von der Verwertung ihres Informationsvorsprungs absehen. Das europäische Haftungskonzept sieht den Grund für einen Insiderverstoß mithin in der bloßen Verwertung von Informationsvorsprüngen, die nicht allen Marktteilnehmern zustehen, ohne daß weitere Umstände, wie etwa die Verletzung einer gesellschaftsrechtlichen Sonderbeziehung, hinzutreten müssen. 2. Konkretisierung des gedanklichen Ausgangspunkts Der Grundgedanke des europäischen Haftungskonzepts bedarf allerdings noch der Erläuterung. Denn allein die Aussage, daß die Anleger informationell 67 So auch Hausmaninger, S. 183; Bergmans, S. 93; Krauel, S. 219 und wohl auch K.-P. Weber, S. 157 u. 199, der allerdings der Meinung ist, das Konzept der informationellen Chancengleichheit sei im WpHG besser verwirklicht als in der EG-Insiderrichtlinie. Immerhin ist dieser Gegenauffassung zuzugeben, daß einzelne Regelungsaussagen der Richtlinie unnötige Eingrenzungen bzw. mißverständliche Präzisierungen des Regelungskonzeptes beinhalten. Vgl. dazu näher unten 4. Teil, C. IV. 68 K.-P. Weber, S. 199. 69 Hausmaninger, S. 183; Hopt, ZGR 1991, S. 17, 26; Tippach, S. 29 und Claussen, AG 1997, S. 306, 307, der von „gleicher Informationsverbreitung“ spricht. 70 Krauel, S. 219.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
gleichgestellt sind und daher die Verwertung von Informationsvorsprüngen sanktioniert werden muß, begründet noch kein praktikables Haftungskonzept. So ist insbesondere klärungsbedürftig, wie weit die vom deutsch/europäischen Insiderrecht bezweckte Gleichstellung der Anleger reichen soll. Ist der im 5. Erwägungsgrund der Insiderrichtlinie angesprochene Gleichstellungsgrundsatz etwa so gemeint, daß alle tatsächlich bestehenden Informationsvorsprünge von der Verwertung im Anteilshandel ausgeschlossen sind? Oder ist der Gleichbehandlungsgrundsatz so zu verstehen, daß nur solche Informationen eine insiderrechtliche Haftung begründen können, die die Mehrheit der Anleger nicht nur nicht gekannt hat, sondern auch nicht hätte kennen können? Für den Fall, daß letzteres zutrifft, schließt sich die weitere Frage an, unter welchen Voraussetzungen von einem solchen Informationsvorsprung gesprochen werden kann. Ist dies bereits dann der Fall, wenn der einzelne Anleger mangels ausreichender Analysefähigkeiten nicht in der Lage ist, sich den betreffenden Informationsvorsprung selbst zu erarbeiten? Oder können nur solche Informationen eine Haftung begründen, zu denen sich die Mehrheit der Anleger selbst unter größten Anstrengungen keinen Zugang verschaffen könnte? a) Gleichstellung nur hinsichtlich des „Informationszugangs“ Zunächst ist klarzustellen, daß das in der Präambel der Insiderrichtlinie erwähnte Gleichstellungsgebot keinesfalls im Sinne einer „absoluten“ Chancengleichheit zu verstehen ist. Es kommt für eine Haftung nach deutsch/europäischem Insiderrecht nicht darauf an, ob die Mehrheit der Anleger von der betreffenden Information tatsächlich Kenntnis hat. Vielmehr ist für die Verwertbarkeit einer Information entscheidend, ob dem Anlegerpublikum der „Zugriff“ auf diese Information möglich ist.71 Insofern ist das Merkmal der „mangelnden öffentlichen Bekanntheit“ in § 13 Abs. 1 WpHG etwas ungenau formuliert. Eine Insiderinformation liegt genau genommen nur dann vor, wenn lediglich ein begrenzter Personenkreis auf sie Zugriff hat. Dagegen wird eine Information nicht schon dann zu einer nicht frei verwertbaren Insiderinformation, wenn sie „zufälligerweise“ den Anlegern nicht bekannt sein sollte, obwohl sie ihnen hätte bekannt sein können. Allerdings wird in der Regel der „Zugriff“ auf die Information nicht möglich sein, wenn die Information (noch) nicht öffentlich bekannt ist. Denn vor der Veröffentlichung der Information wird der Großteil des Anlegerpublikums nicht auf sie „Zugriff“ nehmen können. Diese Einschränkung des Chancengleichheitsgrundsatzes ist auch rechtspolitisch sinnvoll. Denn ein Zustand „absoluter“ Chancengleichheit würde voraussetzen, daß jeder Anleger tatsächlich im Besitz aller im Markt vorhandenen 71 So auch Wymeersch, in: Hopt/Wymeersch, S. 65, 69; Krauel, S. 219; K.-P. Weber, S. 199 u. 221.
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kursrelevanten Informationen sein müßte. Ein solcher Idealzustand ließe sich aber durch kein noch so strenges Insiderrecht verwirklichen.72 Die Grundidee des deutsch/europäischen Insiderhaftungskonzepts ist daher i. S. einer „relativen“ Chancengleichheit zu verstehen. Demnach kann von einem Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit nur dann die Rede sein, wenn die Information, die vom Insider verwertet wird, den übrigen Anlegern nicht nur nicht „bekannt“, sondern auch nicht „zugänglich“ ist. Im Sinne eines ersten Zwischenergebnisses läßt sich die insiderrechtliche Verbotsaussage mithin wie folgt konkretisieren: Der einzelne Anleger darf solche Informationen für seine Investitionsentscheidungen nicht verwerten, zu denen die übrigen Anleger keinen Zugang haben. Tut er es doch, macht er sich wegen eines Insider-Verstoßes haftbar. b) Keine wirtschaftliche Gleichstellung Aus Gründen der Praktikabilität bleibt die Gleichstellung der Anleger also auf den „Informationszugang“ beschränkt. Doch selbst hinsichtlich des „Informationszugangs“ gewährt die Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ keinen absoluten Schutz. Der Gleichstellungsgedanke trägt vielmehr dem Umstand Rechnung, daß die Anleger über sehr unterschiedliche individuelle Analysefähigkeiten verfügen. So hat etwa ein hoch spezialisierter Wertpapierhändler ganz andere Möglichkeiten als ein Kleinanleger, aus dem Bündel einzelner, öffentlich bekannt gewordener Informationen neue Erkenntnisse für die Wertentwicklung eines Papiers abzuleiten. Er wird in der Regel aufgrund seiner Erfahrung und seines Wissens die im Markt befindlichen Informationen gleich einem Puzzle oder Mosaik zu neuen Erkenntnissen zusammenfügen können. Dagegen bleibt dem unerfahrenen Kleinanleger der Zugang zu diesen „neuen“ Informationen wegen seiner nur unzureichenden Analysefähigkeiten oftmals verwehrt. Es liegt auf der Hand, daß eine Insiderregelung diese individuellen Unterschiede zwischen den Handelsteilnehmern nicht auszugleichen vermag. Es wäre auch verfehlt anzunehmen, aus Gründen der informationellen Chancengleichheit müsse jegliches Marktungleichgewicht im Anteilshandel beseitigt werden. Im Gegenteil, allein aus gesamtwirtschaftlichen Überlegungen heraus muß den Anlegern ein Anreiz dafür bleiben, sich durch den 72 Weil aber das insiderrechtliche Gleichstellungsgebot eben nicht im Sinne einer vorbehaltlosen Chancengleichheit verstanden werden darf, ist der von verschiedener Seite geäußerte Vorwurf zurückzuweisen, die Idee von der informationellen Gleichstellung der Anleger sei unpraktikabel und daher nicht geeignet, ein operationales Regelungsleitbild zu begründen. Es wäre zudem verfehlt, die Ausführungen zur informationellen Chancengleichheit als bloße Fairneß-Erwägungen abzutun, denen allenfalls bei der Frage nach der rechtspolitischen Legitimation des insiderrechtlichen Regelungsbedarfs eine Bedeutung zugemessen werden könnte. So aber Assmann, in: Assmann/ Schneider, Vor § 12 Rn. 40.
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Einsatz ihrer Ressourcen und Mittel gegenüber anderen Marktteilnehmern einen „Wettbewerbsvorteil“ verschaffen zu können, der ihnen einen erhöhten Anlagegewinn in Aussicht stellt. Daher wäre es unpraktikabel, den Anlegern die Pflicht aufzuerlegen, von der Verwertung eigener, auf öffentlichen Tatsachen basierender Erkenntnisse solange abzusehen, bis auch das übrige Anlegerpublikum ohne weiteres zu diesen Erkenntnissen kommen könnte.73 Insofern nimmt die Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ eine weitere Einschränkung ihres Schutzbereichs vor.74 Das erste Zwischenergebnis zur Verbotsaussage der europäischen Haftungstheorie muß daher um ein weiteres Kriterium ergänzt werden. Der einzelne Anleger darf nur solche Informationen nicht verwerten, zu denen sich die übrigen Anleger mit legalen wirtschaftlichen Mitteln keinen Zugang verschaffen können. Dagegen sind Informationsunterschiede, die (allein) auf wirtschaftlichen Marktungleichgewichten basieren, nicht von der Verwertung im Anteilshandel ausgenommen. c) Kein Abbau von Informationsasymmetrien Im übrigen ist auf eine weitere Grenze des informationellen Chancengleichheitsgrundsatzes hinzuweisen. Das Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts stellt sicher, daß bestehende, mit legalen wirtschaftlichen Mitteln nicht zu kompensierende Informationsvorsprünge nicht im Anteilshandel ausgenutzt werden. Darin erschöpft sich aber auch die vom Insiderrecht bezweckte Gleichstellung der Anleger. Die insiderrechtlichen Handlungsverbote verhindern damit gerade nicht, daß bestimmte Marktteilnehmer aufgrund eines privilegierten Informationszugang früher als andere Marktteilnehmer Kenntnis von kursrelevanten Informationen erlangen. Die Gleichstellung der Anleger im Wert73
Dies kommt auch in der Regelung des § 13 Abs. 2 WpHG zum Ausdruck. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß denjenigen Anlegern, denen die Fähigkeit zur kompetenten Analyse fehlt, nicht zwingend diese „neuen“ Informationen vorenthalten bleiben müssen. Vielmehr steht es jedem Marktteilnehmer frei, sich bei seinen Transaktionsentscheidungen professionell beraten zu lassen. Ist der einzelne Anleger also bereit, einen Teil seiner finanziellen Mittel in die Anlageberatung zu investieren, so kann er dadurch seinen eigenen Wettbewerbsnachteil kompensieren. Letztlich werden die aufgrund öffentlicher Tatsachen erstellten Analyseergebnisse dadurch jedem Marktteilnehmer zugänglich. Es ist daher für das Verständnis der dem europäischen Insiderrecht zugrundeliegenden Insidertheorie notwendig, danach zu differenzieren, ob der Zugang zu der betreffenden Information durch den Einsatz legaler, wirtschaftlicher Mittel zu erreichen wäre oder nicht. Nur im letzteren Fall handelt es sich um eine Information, die nur aufgrund eines privilegierten Informationszugangs erlangt werden kann und daher von der Verwertung im Anteilshandel ausgeschlossen wird. Das Insiderrecht verbietet daher die Ausnutzung nur solcher Informationsvorsprünge, die unabhängig von den individuellen Analysefähigkeiten der Anleger bestehen. 74
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papierhandel wird vielmehr allein dadurch gewährleistet, daß alle Anleger (also auch diejenigen Anleger, die einen privilegierten Informationszugang haben) ihre Transaktionsentscheidungen nur aufgrund einer einheitlichen Informationsgrundlage treffen dürfen. Durchgesetzt wird dies in erster Linie durch die Statuierung eines strafbewehrten Verwertungsverbots für sämtliche nicht-öffentlich bekannten, kursrelevanten Informationen. Zusätzlich versucht das Insiderrecht durch das Weitergabe- und Empfehlungsverbot den Kreis der potentiellen Insider möglichst klein zu halten, um so einer Ausnutzung der Insiderinformation durch Dritte vorzubeugen. Die Haftungstheorie, die den Verbotsbestimmungen des deutsch/europäischen Insiderrechts zugrundeliegt, zielt dagegen nicht darauf ab, bereits bestehende Informationsasymmetrien unter den Anlegern zu beseitigen. Die vom europäischen Insiderrecht intendierte informationelle Gleichstellung der Anleger geht also nicht so weit, daß sämtliche kursrelevanten Informationen dem allgemeinen Anlegerpublikum zugänglich gemacht werden müssen. Aus der insiderrechtlichen Haftungstheorie läßt sich daher weder ein Anspruch der Anleger auf Mitteilung kursrelevanter Informationen herleiten, noch eine Verpflichtung für Insider begründen, ihren Informationsvorsprung dem Anlegerpublikum offenzulegen. Mülbert bezeichnet das europäische Insiderhaftungskonzept daher zu Recht als eine schlichte „abstain“-Rule.75 d) Abgrenzung zur Ad-hoc-Publizität Die deutsch/europäische Insider-Haftungstheorie basiert somit im Gegensatz zu anderen Insider-Haftungstheorien nicht auf Transparenz-Überlegungen. Deshalb ist das Rechtsinstitut der Ad-hoc-Publizität auch streng vom Insiderrecht (im engeren Sinne) zu trennen, obwohl es eng mit der Ad-hoc-Publizität verknüpft ist. Denn die kapitalmarktrechtliche Pflichtpublizität nimmt neben ihrer eigentlichen Informationsfunktion zugleich die Aufgabe eines präventiven Insiderschutzes wahr, indem sie durch die rasche Veröffentlichung von kurserheblichen Informationen dem Insiderhandel frühzeitig den Boden entzieht. Doch sind das Insiderrecht einerseits und die Publizitätsvorschriften andererseits als zwei voneinander unabhängige Regelungselemente des Kapitalmarktrechts zu behandeln, deren Auslegungsmaßstäbe aus systemimmanenten Gründen zwar aufeinander abgestimmt werden sollten, jedoch nicht miteinander vermengt werden dürfen. Während die Pflichtpublizität „aktiv“ die informationelle Chancengleichheit der Anleger fördert, indem sie die Emittenten dazu verpflichtet, kapi75 Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2102, nimmt mit der Bezeichnung „abstain“ Bezug auf eine der drei US-amerikanischen Insider-Haftungstheorien. Nach der sog. „disclose or abstain“-theory kann der Insider wählen, ob er vor Abschluß des Wertpapiergeschäfts die Insiderinformation offenlegt oder ob er von dem Wertpapiergeschäft Abstand nimmt. Das deutsch/europäische Insiderrecht läßt dem Insider diese Wahl nicht. Gem. den §§ 12–14, 38 WpHG muß der Insider stets Abstand von dem Insidergeschäft nehmen.
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talmarktrelevante Informationen zu veröffentlichen und damit den privilegierten Informationszugang von Unternehmensinsidern beseitigt, kommt dem repressiven Insiderverbot bei der Herstellung informationeller Chancengleichheit nur eine unterstützende Funktion zu. Das Insiderrecht dient lediglich als „Sekundärrecht“ der Erreichung informationeller Chancengleichheit, indem es anders als die Pflichtpublizität bestehende Informationsasymmetrien nicht abbaut, sondern lediglich ihre Ausnutzung verhindert.76 III. Die gesetzlichen Grundlagen der Haftungstheorie Nachdem die theoretischen Grundlagen des europäischen Haftungskonzepts erläutert wurden, ist nun auf die konkrete Umsetzung dieses Konzepts im Richtlinien- bzw. Gesetzestext einzugehen. Es wird sich zeigen, daß sich bei der Umsetzung des Haftungskonzepts Inkonsequenzen eingeschlichen haben. Diese sind größten Teils darauf zurückzuführen, daß im europäischen Rechtsetzungsverfahren Zugeständnisse an besondere Anliegen einzelner Mitgliedstaaten gemacht wurden.77 Die Inkonsequenzen äußern sich sowohl in unnötigen Eingrenzungen als auch in mißverständlichen Präzisierungen des Regelungskonzepts.78 Dadurch wird das Gesamtbild der europäischen Haftungstheorie in nicht unerheblicher Weise verzerrt. Zur Verdeutlichung der Unstimmigkeiten werden zunächst diejenigen Regelungsaussagen der Richtlinie angesprochen, die die „Eckpfeiler“ des Haftungskonzepts bilden. Im Anschluß daran werden die widersprüchlichen bzw. mißverständlichen Regelungen aufgezeigt. Der Grundsatz der relativen, informationellen Chancengleichheit ist abgesehen von der bereits zitierten Formulierung im 5. Erwägungsgrund der EG-Insiderrichtlinie gesetzlich nicht ausdrücklich normiert. Doch läßt sich die Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ aus den einzelnen Regelungselementen der Richtlinie ableiten. 1. Der Sekundärinsiderbegriff Daß dem deutsch/europäischen Insiderrecht die Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ zugrundeliegt, läßt sich vor allem anhand des Insiderbegriffs nachweisen.79 Das europäische Insiderrecht kennt zwei Ar76 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 1 Rn. 1 beschreibt das Verhältnis von Ad-hocPublizität und Insiderrecht folgendermaßen: „Ausgangspunkt ist die Insidertatsache, die im Ad-hoc-Recht (bei Hinzutreten weiterer Umstände) eine Handlung gebietet, im Insiderrecht aber verbietet.“ 77 Schrödermeier/Wallach, EuZW 1990, S. 122; Hausmaninger, S. 160/161 u. S. 185. 78 Hausmaninger, S. 183 ff., S. 213 ff. u. S. 241 ff.; Viandier, in: Hopt/Wymeersch, K.-P. Weber, S. 158.
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ten von Insidern, die Primär- und die Sekundärinsider.80 Für beide Insiderpersonenkreise gilt das Verwertungsverbot hinsichtlich kursrelevanter Informationsvorsprünge in gleicher Weise.81 Der entscheidende Ansatzpunkt für die Theorie von der informationellen Chancengleichheit ergibt sich allerdings weniger aus dem Begriff des Primärinsiders als aus dem Begriff des Sekundärinsiders.82 Denn während der Primärinsiderkreis aufgrund zusätzlicher Merkmale nur bestimmte Personengruppen erfaßt, bildet der Sekundärinsiderbegriff den eigentlichen Grundtatbestand83, da er praktisch jeden zum Insider erklärt, der Kenntnis von einer Insiderinformation hat.84 Mit diesem Regelungselement wird der Grundstein für die Durchsetzung informationeller Chancengleichheit gelegt.85 Denn sein weitreichender Anwendungsbereich hat zur Folge, daß jeder Marktteilnehmer, der Kenntnis von einer Insiderinformation hat, der Verpflichtung unterliegt, die Ausnutzung seines Informationsvorsprungs im Anteilshandel zu unterlassen. Anders als im Rahmen in den USA anerkannter Insidertheorien sind daher nach europäischem Insiderrecht keine Fallkonstellationen denkbar, in denen ein Anleger befugtermaßen einen Informationsvorsprung, den die anderen Anleger mit legalen wirtschaftlichen Mitteln nicht kompensieren können, im Anteilshandel ausnutzen darf. Im Gegensatz dazu gibt es nach der US-amerikanischen „fiduciary duty“-theory sehr wohl Fälle, in denen ein sog. „tippee“ (Dieser Insidertyp entspricht dem europäischen Sekundärinsider) bewußt eine Insiderinformation ausnutzen darf, ohne sich deswegen strafbar zu machen.86 Dagegen wäre eine Strafbarkeitslücke hinsichtlich der Verwertung von Insiderinformationen im Rahmen der „informationellen Chancengleichheitstheorie“ systemwidrig, weil diese Theorie die insiderrechtliche Haftung an die Ausnutzung von Informationsasymmetrien knüpft. a) Einwand von K.-P. Weber K.-P. Weber gibt zu Bedenken, ob in dem Sekundärinsiderbegriff, wie ihn die EG-Insiderrichtlinie definiert, tatsächlich die Theorie von der informationellen 79
So bereits Hausmaninger, S. 183/184. Vgl. Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 der Richtlinie. 81 Dagegen unterliegt nur der Primärinsider zusätzlich dem Weitergabe- und Empfehlungsverbot des Art. 3 der EG-Richtlinie. 82 K.-P. Weber, S. 197 und Krauel, S. 218. 83 K.-P. Weber, S. 197, Fn 176 bezeichnet den Typus des Sekundärinsiders als „Grundform“ des deutsch/europäischen Insiderbegriffs. 84 Auch Siebel, in FS Semler, S. 955, 973 versteht die Formulierung des Art. 4 der Insiderrichtlinie im Ergebnis so, daß Sekundärinsider ist, wer eine Insiderinformation erhalten hat, sofern er nicht aufgrund eines zusätzlichen persönlichen Merkmals bereits als Primärinsider anzusehen ist. 85 Hausmaninger, S. 183. 86 Langevoort, Insider Trading, § 1.03, S. 21. 80
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Chancengleichheit zum Ausdruck kommt.87 Während die im deutschen Insiderrecht getroffene Definition des Sekundärinsiders als klarer Beleg für die Theorie von der relativen informationellen Chancengleichheit gewertet werden könne88, sei dies für die Regelung der EG-Richtlinie fraglich. Denn im Vergleich zur Regelung des § 14 Abs. 2 WpHG setze Art. 4 der Richtlinie zusätzlich voraus, daß der Sekundärinsider die Herkunft der Information bestimmen kann.89 Durch dieses zusätzliche Merkmal seien Fallkonstellationen denkbar, in denen ein Marktteilnehmer zwar Kenntnis von einer Insiderinformation hat, aber dennoch nicht als Sekundärinsider zu behandeln ist, weil er die Herkunft der Information nicht kennt. Dieser Marktteilnehmer wäre folglich berechtigt, die Information im Anteilshandel auszunutzen. Wenn aber im europäischen Insiderrecht Konstellationen denkbar seien, in denen ein Marktteilnehmer eine Insiderinformation bewußt ausnutzen darf, ohne sich dabei strafbar zu machen, könne der Insiderrichtlinie nicht die Haftungstheorie der informationellen Chancengleichheit zugrundeliegen. b) Erwiderung Der von K.-P. Weber geäußerte Einwand schlägt fehl. Es trifft nicht zu, daß nach der Regelung des Art. 4 der Richtlinie Konstellationen denkbar sind, in denen ein Marktteilnehmer, der Kenntnis von einer Insiderinformation hat, nicht als Sekundärinsider dem Verwertungsverbot unterliegt. Die in Art. 4 der Richtlinie enthaltene Klausel, „die unmittelbar oder mittelbar nur von einer in Artikel 2 genannten Person (also nur von einem Primärinsider) stammen kann“, darf und kann nicht als ein eigenständiges Merkmal aufgefaßt werden. Vielmehr ist dieser Zusatz in einem engen Zusammenhang mit dem vorrangigen Tatbestandsmerkmal des Art. 4, nämlich der Kenntnis von einer Insiderinformation, zu sehen. Der Zusatz soll lediglich zum Ausdruck bringen, daß bei der Sekundärinsiderstellung im Vergleich zur Stellung als Primärinsider höhere Anforderungen an das Wissen um die Qualität der Information als Insiderinformation zu stellen sind. Anders als Primärinsider erlangen Sekundärinsider nämlich die Informationen nicht „aus erster Hand“. Während Primärinsider aufgrund ihrer Nähe zur Informationsquelle die Möglichkeit haben, sich mit eigenen Augen ein Bild über den Wahrheitsgehalt einer Information zu machen, müssen sich die Sekundärinsider regelmäßig auf das verlassen, was ihnen von anderen Personen mitgeteilt wird. Aufgrund ihrer größeren Distanz zur Informationsquelle können diese Marktteilnehmer daher nicht immer eindeutig beurteilen, ob es 87
K.-P. Weber, S. 157. K.-P. Weber, S. 197, Fn. 177. 89 Art. 4 der Richtlinie definiert den Sekundärinsider als eine Person, „die in Kenntnis der Sache über eine Insider-Information verfügen, die unmittelbar nur von einer in Artikel 2 genannten Person stammen kann.“ 88
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sich bei der übermittelten Nachricht um eine „wahre“ Insiderinformation oder um ein unbestätigtes Gerücht handelt. Darauf kommt es aber bei der Begründung der Insiderstellung entscheidend an, weil der europäische Gesetzgeber Börsengerüchte ausdrücklich aus dem Informationsbegriff ausgeklammert hat.90 Der Zusatz „die nur von einem Primärinsider stammen kann“ hat folglich allein den Zweck, die Anforderungen an das Vorsatzerfordernis hinsichtlich des Merkmals „Insiderinformation“ zu präzisieren. Erst die Herkunft der Information gibt dem Sekundärinsider mit Gewissheit darüber Aufschluß, ob die betreffende Information die Qualität einer „präzisen“ Insiderinformation erfüllt.91 Im Ergebnis sind daher auch nach der Regelung der Insiderrichtlinie keine Fälle denkbar, in denen ein Marktteilnehmer positive Kenntnis von einer Insiderinformation hat, ohne (Sekundär-)Insider zu sein.92 Deshalb ist Art. 4 der Richtlinie entgegen den von K.-P. Weber geäußerten Bedenken sehr wohl als Beleg für die Haftungstheorie der informationellen Chancengleichheit anzusehen. 2. Die Insiderinformation im deutsch/europäischen Insiderrecht Als Beleg dafür, daß der europäischen Insiderregelung die Theorie von der relativen, informationellen Chancengleichheit zugrunde liegt, ist neben dem Sekundärinsiderbegriff vor allem das Regelungselement der „Insiderinformation“ zu nennen. In diesem Tatbestandsmerkmal kommt – wie beim Sekundärinsiderbegriff – klar zum Ausdruck, daß sich die Haftung im deutsch/europäischen Insiderrecht aus einem Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit ableitet.93 Anders als etwa noch Art. 2 der Insiderhandels-Richtlinien (IHR)94, trifft der europäische Insiderinformationsbegriff keine inhaltliche Vorauswahl darüber, 90 Aus den Vorarbeiten zur EG-Insiderrichtlinie geht eindeutig hervor, daß Börsengerüchte nicht als Insiderinformationen anzusehen sind. Hausmaninger, S. 188, Fn. 267 verweist auf die (unveröffentlichte) Begründung des ursprünglichen Richtlinienvorschlags, KOM (87) 111 endg, S. 5: „Außerdem muß die Information ausreichend präzise sein. Ein einfaches Gerücht ist daher nicht als eine Insider-Information anzusehen.“ 91 Auf den engen Zusammenhang zwischen dem Vorsatzerfordernis beim Sekundärinsider und dem Informationsbegriff wurde bereits im Jahre 1993 von der deutschen Kreditwirtschaft hingewiesen. In einem Artikel in der FAZ vom 28.08.1993, Nr. 199, S. 10, wurde ausgeführt, daß die Grenze zwischen dem üblichen Börsengerücht und einem Insiderfall verwischt werde, wenn die Anforderungen an den Vorsatz des Sekundärinsiders zu niedrig angesetzt werden würden. 92 Dagegen bleibt nach alledem fraglich, ob Gerüchte Insiderinformationen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie sein können. 93 Hausmaninger, S. 215 und K.-P. Weber, S. 197, der sich allerdings auf die deutsche Regelung in § 13 Abs. 1 WpHG beschränkt, vgl. sogleich unten 4. Teil, C. III. 2. a). 94 Hopt, in: Baumbach/Duden/Hopt, 27. Aufl., S. 1337/8, weist darauf hin, daß die in Art. 2 Nr. 3 der IHR erfolgte Aufzählung potentieller Insider-Informationen ab-
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
welche Informationen überhaupt als Insiderinformationen in Betracht kommen können und welche nicht.95 Während Art. 2 der IHR solche Informationen von vornherein vom Anwendungsbereich des Insiderinformationsbegriffs ausnimmt, die nicht aus der unternehmensinternen Sphäre desjenigen Emittenten stammen, dessen Papiere Gegenstand der verbotenen Insidergeschäfte sind, macht die Insiderrichtlinie die Frage, ob eine Information als Insiderinformation anzusehen ist, allein davon abhängig, ob sie geeignet ist, den Kurs eines oder mehrerer Wertpapiere im Falle ihres Bekanntwerdens erheblich zu beeinflussen.96 Der europäische Insider-Informationsbegriff unterscheidet also nicht danach, ob die betreffende Information im unternehmensinternen Bereich eines Emittenten entstanden ist oder ob sie der unternehmensexternen Sphäre zuzuordnen ist. Vielmehr kann gemäß Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie jede Information zur Insiderinformation werden, sofern ihr ein gewisses Kursbeeinflussungspotential zukommt.97 Eine inhaltliche Vorauswahl im Rahmen des Insiderinformationsbegriffs wäre nämlich mit der Chancengleichheitstheorie nicht vereinbar. Denn eine Vorauswahl bedeutet nichts anderes als eine Beschränkung des insiderrechtlichen Anwendungsbereichs. Selbst wenn Marktdaten – unter diesen Begriff werden all jene Informationen zusammengefaßt, die nicht aus der unternehmensinternen Sphäre eines Unternehmens herrühren98 – in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle bei der Informationsverwertung spielen99, ist ihre insiderrechtliche Erfassung aus dogmatischen Gesichtspunkten im Rahmen einer Regelung, die den Haftungsansatz der „Informationsgleichheitstheorie“ verfolgt, zwingend geboten. Und zwar deshalb, weil nicht nur Informationsvorsprünge, die aus unternehmensinternen Ereignissen herrühren, wie beispielsweise Beschlüsse über Dividendenzahlungen und Kapitalerhöhungen, sondern auch solche, die auf In-
schließend ist. Bei diesen Informationen handelt es sich ausschließlich um „unternehmensinterne“ Ereignisse und Beschlüsse. 95 Claussen, DB 1994, S. 17, 30; Assmann, ZGR 1994, S. 494, 513; ders., in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 55; Caspari, ZGR 1994, S. 530, 540; Becker, S. 65. 96 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 1794, Rz. 16.92; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 55. 97 Die Frage, welche Informationen als „Insiderinformationen“ in Betracht kommen können, darf nicht mit der logisch vorrangigen Frage verwechselt werden, was alles unter den Begriff der „Information“ (bzw. unter den Begriff „Tatsache“) zu subsumieren ist. Bei Gerüchten ist der Informations- bzw. Tatsachencharakter umstritten. Dabei handelt es sich aber im Gegensatz zu der hier behandelten Frage weniger um eine inhaltliche als um eine qualitative Abgrenzung. 98 Ausführlich zum Begriff der „Marktdaten“ Tippach, WM 1993, S. 1269 ff., der versucht, eine Klassifizierung verschiedener, „unternehmensexterner“ Informationen vorzunehmen. 99 Das Gegenteil ist der Fall, laut BAWe, Jahresbericht 1999, S. 33 spielen in der Insiderpraxis vor allem solche Fallkonstellationen eine große Rolle, in denen Kenntnisse über Orderlagen ausgenutzt werden. Eine Information darüber, wie groß die Nachfrage bezüglich eines Wertpapiers ist, ist als eine Marktinformation einzustufen.
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formationen beruhen, die außerhalb der Sphäre des betreffenden Wertpapieremittenten entstanden sind, sich für den Abschluß von Insidergeschäften eignen. Würde das europäische Insiderrecht bestimmte Informationen nicht erfassen, obwohl sie kursrelevant sind, so entstünden Strafbarkeitslücken, die – ähnlich wie Ausnahmen im Insiderpersonenkreis – im Widerspruch zu der dem Verwertungsverbot zugrundeliegenden Haftungstheorie stehen würden. Eine einheitliche Auslegung der Insiderregelung wäre dann nicht mehr möglich, weil sich eine Fallkonstellation, in der die Verwertung eines Informationsvorsprungs, der mit legalen Mitteln nicht zu kompensieren ist, straffrei bleibt, nicht mit der Haftungstheorie von der informationellen Chancengleichheit erklären ließe. So aber wird der Schutz der informationellen Chancengleichheit durch die Regelungsaussage dieses Merkmals komplettiert. Während die Definition des Sekundärinsiders zunächst nur sicherstellt, daß kein Anleger von der Pflicht zur Wahrung der allgemeinen Chancengleichheit ausgenommen ist, bestimmt der Informationsbegriff des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie den endgültigen Umfang der zugesicherten Chancengleichheit. Denn was nützt es, wenn jeder Marktteilnehmer potentiell Adressat des Insiderverbots ist, gleichzeitig aber nur ein kleiner Kreis an Informationen von der Verwertung im Anteilshandel ausgeschlossen ist.100 Zur Wahrung der informationellen Chancengleichheit bedarf es also einer Definition des Informationsbegriffs, die jeden Informationsvorsprung gleich welchen Inhalts, der mit legalen wirtschaftlichen Mitteln nicht kompensiert werden kann, dem Insiderverbot unterstellt. Entsprechend der dem Sekundärinsiderbegriff zu entnehmenden Aussage, daß in personeller Hinsicht keine Ausnahmen hinsichtlich des Verwertungsverbots gemacht werden, ergibt sich aus dem in Art. 1 Nr. 1 geregelten Informationsbegriff, daß auch in sachlicher Hinsicht der Grundsatz der informationellen Chancengleichheit keine Einschränkungen erfährt. a) Der Einwand von K.-P. Weber Ähnlich wie bereits bei der Definition des Sekundärinsiderbegriffs will K.-P. Weber auch beim Informationsbegriff zwischen der europäischen Insiderrichtlinie und der deutschen Regelung differenzieren. Während er den Informationsbegriff der deutschen Regelung in § 13 Abs. 1 WpHG als klaren Beleg für die Informationsgleichheitstheorie wertet101, äußert er bezüglich der Richtlinie abermals Bedenken. Denn im Gegensatz zu § 13 Abs. 1 WpHG sei bei dem europäischen Informationsbegriff in Art 1 Nr. 1 der Richtlinie nicht sicher, ob darin 100 Bereits K.-P. Weber, S. 44 hat den engen Zusammenhang zwischen Insider- und Informationsbegriff betont: „Ein weit definierter Insiderbegriff führt nur dann auch zu einer umfassenden Gesamtregelung, wenn er durch einen inhaltlich ebenfalls weit formulierten Informationsbegriff ergänzt wird.“ 101 K.-P. Weber, S. 176 u. S. 197.
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eventuell doch eine inhaltliche Einschränkung enthalten sei. So herrsche im europäischen Schrifttum große Rechtsunsicherheit darüber, ob tatsächlich alle Marktinformationen von dem in Art. 1 der Richtlinie verwendeten Informationsbegriff erfaßt werden würden.102 Wenn aber aus der Richtlinie nicht klar hervorgehe, daß jede kursrelevante Information dem Verwertungsverbot unterliegt, könne man auch nicht mit letzter Gewißheit sagen, daß der Insiderrichtlinie die Theorie von der „informationellen Chancengleichheit“ zugrunde liegt. b) Erwiderung Die von K.-P. Weber geäußerten Bedenken schlagen abermals fehl.103 Im Ergebnis sind seine Zweifel am Informationsbegriff sogar noch weniger begründet als die, die er im Hinblick auf den Sekundärinsiderbegriff äußert. Während sich die Sekundärinsiderdefinitionen der europäischen und der deutschen Insiderfassung im Wortlaut unterscheiden, ist die Insidertatsachen-Definition des Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie nahezu wortgleich mit der des § 13 Abs. 1 WpHG. Nach Art. 1 Nr. 1 der Insiderrichtlinie ist als Insider-Information jede „nicht öffentlich bekannte präzise Information“ anzusehen, „die einen oder mehrere Emittenten von Wertpapieren oder ein oder mehrere Wertpapiere betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieses Wertpapiers oder dieser Wertpapiere beträchtlich zu beeinflussen.“ § 13 Abs. 1 WpHG erklärt jede Tatsache zur Insiderinformation, „die sich auf eine oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf Insiderpapiere bezieht und die geeignet ist, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen.“ In beiden Fassungen kommt als einziges Kriterium, das für eine inhaltliche Beschränkung des Informationsbegriffs sprechen könnte, das Merkmal des „Emittenten- bzw. Wertpapierbezugs“ in Betracht. Die überwiegende Auffassung mißt diesem Merkmal jedoch weder bei der Insiderrichtlinie noch im deutschen Recht eine eigenständige Bedeutung zu.104 Die Emittenten und die von ihnen emittierten Wertpapiere könnten von vielen Umständen „betroffen“ sein, daher sei das Merkmal nicht für eine inhaltliche Eingrenzung geeignet.105 Dreyling betont, daß das Merkmal des Emittenten- bzw. Wertpapierbezugs weder in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie noch in § 13 Abs. 1 WpHG final zu verstehen sei; es genüge vielmehr auch ein „mittelbares Betroffensein“.106 102
K.-P. Weber, S. 150 mit Verweis (Fn. 94) auf Tippach, WM 1993, S. 1269, 1271. K.-P. Weber, S. 176 behauptet, der Unterschied zwischen dem deutschen und europäischen Insiderinformationsbegriff sei „dem Wortlaut nicht anzusehen.“ 104 Claussen, ZBB 1992, S. 267, 274 u. 277; Hopt, ZGR 1991, S. 17, 31; ders., in: FS Heinsius, S. 289, 290; ders., in: FS Beusch, S. 393, 397; Welter, in: Büschgen/ Schneider, S. 315, 324; Wymeersch, in: Hopt/Wymeersch, S. 65, 115. 105 Tippach, Das Insider-Handelsverbot und die besonderen Rechtspflichten der Banken, S. 71. 103
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Im übrigen weist Hausmaninger zu Recht darauf hin, daß nach dem historischen Willen des europäischen Gesetzgebers Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie neben unternehmensbezogenen Daten auch Marktdaten erfassen sollte. Dies geht aus der Begründung zum ursprünglichen Richtlinienentwurf vom 21.05.1987 hervor.107 Darin wurde ausdrücklich betont, daß das Merkmal „Insider-Information“, welches im damaligen Entwurf bezüglich des hier angesprochenen Kriteriums „Emittenten- bzw. Wertpapierbezug“ wortgleich mit dem Merkmal der Endfassung ist, auch Informationen erfaßt, die geeignet sind, den Markt als solchen zu beeinflussen. Dieses Verständnis vom Umfang des europäischen Informationsbegriffs findet schließlich seine Bestätigung darin, daß auch der in § 13 Abs. 1 WpHG definierte Begriff der Insidertatsache weit ausgelegt wird.108 Daher ist entgegen der Meinung von K.-P. Weber auch der Informationsbegriff des Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie als Beleg für die Theorie von der relativen, informationellen Chancengleichheit anzusehen. IV. Unsachgemäße, im (scheinbaren) Widerspruch zur Haftungstheorie stehende Regelungselemente Nicht alle Regelungselemente bringen jedoch die Haftungstheorie des deutsch/europäischen Insiderrechts in ähnlich klarer Weise zum Ausdruck wie die Merkmale „Sekundärinsider“ und „Insiderinformation“. Bedauerlicherweise enthalten sowohl die Insiderrichtlinie als auch das WpHG eine Reihe von Regelungen, die den Blick auf den Haftungsgrund des europäischen Insiderrechts unnötig verschleiern. 1. Die Definition des Primärinsiderkreises Dazu zählt insbesondere die in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie (bzw. § 14 Abs. 1 WpHG) getroffene Definition des Primärinsiderkreises. Diese Vorschrift wird vom Schrifttum immer wieder als Beispiel für eine Regelung genannt, die (scheinbar) im Widerspruch zum europäischen Gesamtkonzept stehe.109 Die rechtliche Ausgestaltung des Insiderbegriffs wird in bezug auf das europäische 106
Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, S. 27, Rn. 90. Begründung des ursprünglichen Richtlinienvorschlags, KOM (87) 111 endgültige Fassung, S. 5. 108 Assmann, ZGR 1994, S. 494, 513; Caspari, ZGR 1994, S. 530, 540; Claussen, DB 1994, S. 27, 30; Hopt, in: Bankrechts-Handbuch, § 107 Rz. 23, Immenga, ZBB 1995, S. 197, 202; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 1793, Rz. 16.89, ders., WM 1994, S. 2137, 2139; Süßmann, AG 1997, S. 63, 64. Vgl. auch Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 56, der zu dem fast wortgleichen Kriterium in § 13 Abs. 1 WpHG wie folgt Stellung nimmt: „Man sollte [weitere] Bemühungen zur Konkretisierung des Merkmals des Emittenten- oder Insiderpapier-Bezugs im Hinblick auf die Trennung der Insidertatsachen von anderen Tatsachen aufgeben.“ 107
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
Haftungskonzept gleich in zweifacher Hinsicht kritisiert. Zum einen wird es als mißlich angesehen, daß gemäß Art. 2, 1. und 2. Spiegelstrich der Richtlinie (bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WpHG) der Kreis der Primärinsider anhand gesellschaftsrechtlicher Kriterien definiert wird. Dies spreche weniger für ein marktbezogenes Regelungskonzept als für ein gesellschaftsrechtliches Haftungsmodell.110 Zum anderen erscheine es wenig sachgemäß, daß eine Insiderregelung, die wie die Insiderrichtlinie (bzw. das WpHG) einen marktbezogenen Haftungsansatz verfolgt, überhaupt zwischen verschiedenen Insiderkategorien (Primär- und Sekundärinsider) differenziert. a) Der Bezug zum Emittenten bzw. zu einer sonstigen Informationsquelle Gemäß Art. 2 Abs. 1, 1. und 2. Spiegelstrich der Insiderrichtlinie wird für den Primärinsiderstatus ein enger Bezug zu einem Wertpapieremittenten verlangt. So erfaßt die erste Primärinsidergruppe nur Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Wertpapieremittenten. Die zweite Gruppe ist nicht minder gesellschaftsrechtlich definiert. Danach sind alldiejenigen Personen als (Primär-)Insider anzusehen, die am Kapital des betreffenden Emittenten beteiligt sind, sprich die Aktionäre der Gesellschaft. Der für beide (Primär-)Insidergruppen verlangte „Emittentenbezug“ läßt sich nur schwer mit dem kapitalmarktbezogenen Haftungsansatz des europäischen Insiderrechts vereinbaren. Denn grundsätzlich wird dieses Kriterium nur bei gesellschaftsrechtlich-orientierten Haftungstheorien zur Bestimmung des Insiderpersonenkreises verwandt. Dagegen kommt es bei einem kapitalmarktbezogenen Haftungsgrund, wie ihn die Theorie von der „relativen Chancengleichheit“ liefert, überhaupt nicht darauf an, ob der Insider auf besondere Weise mit der betreffenden Gesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand der Insidergeschäfte sind, verbunden ist. Im Vergleich mit den im US-amerikanischen Insiderrecht anerkannten Haftungstheorien zieht das Kriterium des „Emittentenbezugs“ daher weniger eine Parallele zur kapitalmarktrechtlich ausgerichteten „equal access“-theory als zur gesellschaftsrechtlich-orientierten „fiduciary duty“-theory. Nach der letztgenannten Theorie kommen ebenfalls vornehmlich Gesellschafter und Organmitglieder der Wertpapieremittenten als Insider in Betracht, weil nach dieser Haftungstheorie die insiderrechtliche Haftung von der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten abhängig gemacht wird.111 109 Lahmann, S. 35 u. S. 54/55; Hopt, ZGR 1991, S. 17, 28; ders., in: Hopt/Wymeersch, S. 129, 137; Tippach, S. 32/33; K.-P. Weber, S. 137/138. 110 So vor allem Lahmann, S. 35. 111 Zum Haftungsgrund der „fiduciary duty“-theory vgl. Langevoort, Insider Trading, § 3, S. 1–33 und die beiden „land mark cases“ Chiarella v. United States, 445 U.S. 222 (1980); Dirks v. SEC, 463 U.S. 646 (1983).
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In diesem Zusammenhang ist noch anzumerken, daß auch die dritte Gruppe der Primärinsider nicht unbedingt als ein typisches „Wesensmerkmal“ der europäischen Haftungstheorie angesehen werden kann.112 Diese Insiderkategorie gibt ebenfalls, wenngleich nicht in demselben Maße wie die ersten beiden Insidergruppen, Anlaß dazu, über den Einfluß alternativer Haftungstheorien im europäischen Insiderrecht zu spekulieren. Zwar verlangt die dritte Gruppe anders als die ersten beiden Primärinsidergruppen keinen speziellen, gesellschaftsrechtlichen Bezug zu einem Wertpapieremittenten. 113 Daher läßt die Formulierung des Art. 2 Abs. 1 dritter Spiegelstrich der Richtlinie zumindest nicht auf einen gesellschaftsrechtlich-orientierten Haftungsansatz schließen.114 Doch legt diese Kategorie im Kontext mit den beiden anderen Gruppen die Vermutung nahe, der (Primär-)Insiderstatus einer Person hinge generell von der Nähe zu einer Informationsquelle ab.115 Gemäß Art. 2 dritter Spiegelstrich der Insiderrichtlinie (bzw. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) ist Primärinsider, wer „aufgrund seines Berufs oder seiner Tätigkeit oder seiner Aufgabe“ Kenntnis von einer Insiderinformation erlangt. Mit einer berufsbezogenen Kenntniserlangung geht meist eine engere Verbindung zwischen der betreffenden Person und der Informationsquelle einher. Sei es, weil der Arbeitgeber bzw. Auftraggeber der betreffenden Person unmittelbar die Quelle der Information ist, sei es, weil sich der betreffenden Person durch ihre berufliche Tätigkeit ein privilegierter Zugang zu einer Informationsquelle eröffnet. Daraus ergibt sich eine Parallele zu einer weiteren, im US-amerikanischen Insiderrecht anerkannten Haftungstheorie, die als entscheidenden Anknüpfungspunkt für die insiderrechtliche Haftung die Existenz einer Vertrauensbeziehung zwischen dem Insider und der Informationsquelle voraussetzt („misappropriation“-theory). Diese Theorie beruht ebenso wenig wie die „fiduciary duty“-theory auf der Überlegung, daß bereits der Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit für die Begründung insiderrechtlicher Haftung genügen soll. b) Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärinsider Nicht nur die Art und Weise, wie der Kreis der Primärinsider definiert wird, sondern auch der Umstand, daß das europäische Insiderrecht überhaupt zwischen primären und sekundären Insidern differenziert, erscheint im Lichte seines marktbezogenen Haftungskonzepts unsachgemäß. Die Aufteilung des Insideradressatenkreises in zwei verschiedene Kategorien, die zudem unterschied112 A. A. Hausmaninger, S. 184 u. S. 168 ff., der in der 3. Primärinsidergruppe die Informationsgleichheitstheorie verwirklicht sieht. 113 Hopt, ZGR 1991, S. 17, 38; ders., ZHR 159 [1995], S. 135, 145; Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19; ders., ZGR 1994, S. 494, 506; K.-P. Weber, S. 156. 114 K.-P. Weber, S. 137. 115 So bereits K.-P. Weber, S. 156; a. A. Hausmaninger, S. 184.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
lichen Handlungsverboten unterliegen116, kann bei einer Insiderregelung, die einen marktbezogenen Haftungsansatz verfolgt, leicht zu Mißverständnissen führen. Ein zweigeteilter Insiderbegriff legt nämlich die Vermutung nahe, die Insiderregelung differenziere zwischen Personen, die ihren Insiderstatus „originär“ begründen und solchen, die ihren Insiderstatus von der erstgenannten Gruppe lediglich ableiten. Ein solches Insider-Konzept würde aber für ein gesellschaftsrechtlich ausgerichtetes Lösungsmodell sprechen. Denn im Gegensatz zu kapitalmarktbezogenen Insiderregelungen kommt ein gesellschaftsrechtlicher Haftungsansatz nicht ohne die Konstruktion des „abgeleiteten“ Insiderstatus aus. Ansonsten würde sich der Kreis der von der Regelung erfaßten Insider lediglich auf Gesellschafter und Organmitglieder der Gesellschaft beschränken. Eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, die den Adressaten dazu verpflichtet, von Insidergeschäften Abstand zu nehmen, läßt sich nämlich in originärer Weise nur für Personen herleiten, die eine gesellschaftsrechtliche relevante Rechtsposition innehaben. Dagegen sind „unternehmensexterne“ Personen vom Adressatenkreis gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten grundsätzlich ausgenommen und wären daher auch nicht vom Anwendungsbereich des (gesellschaftsrechtlich ausgestalteten) Insiderrechts erfaßt. Nur durch eine juristische Hilfskonstruktion kann die Treuepflicht im Einzelfall auch auf eine Person übergehen, der gesellschaftsrechtlich gesehen keine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft oder den Gesellschaftern obliegt. So wird nach der US-amerikanischen „fiduciary duty“theory die Treuepflicht entsprechend den Grundsätzen der Kollusion vom Unternehmensinsider auf die unternehmensexterne Person „delegiert“.117 Ein solches insiderrechtliches Verständnis widerspricht aber der Theorie von der „relativen informationellen“ Chancengleichheit. Denn wie anhand der Merkmale „Sekundärinsider“ und „Insiderinformation“ gezeigt, kommt es für die Haftung nach europäischem Insiderrecht allein darauf an, ob die betreffende Person durch die Verwertung einer Information gegen die informationelle Chancengleichheit am Markt verstößt. Jeder Marktteilnehmer, der Kenntnis von einer Insiderinformation hat, kann einen solchen Verstoß begehen. Deshalb wird die betreffende Person bereits durch die Kenntnis von der Insiderinformation zum Insider. Weitere Umstände müssen nicht hinzutreten. Dies gilt vor allem für Sekundärinsider i. S. von Art. 4 der Richtlinie (bzw. § 14 Abs. 2 WpHG). Zwar erhalten diese Personen ihr Insiderwissen in der Regel unmittelbar oder mittelbar von einem Primärinsider; doch zur Begründung ihres Insiderstatus müssen diese Personen sich keine persönlichen Eigenschaften des Primärinsiders zurechnen lassen.118 Vielmehr begründen auch sie ihren Insiderstatus in originärer Weise durch Kenntniserlangung der Insiderinformation. Weil ein marktbezo116 Während die Primärinsider zusätzlich dem Weitergabe- und Empfehlungsverbot unterliegen, gilt für die Sekundärinsider allein das Verwertungsverbot. 117 Langevoort, Insider Trading, § 4 „Tipper and Tippee Liability“; vgl. auch Dirks v. SEC, 463 (1983) U.S., S. 646.
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genes Haftungskonzept im Gegensatz zu gesellschaftsrechtlichen Konzepten grundsätzlich ohne die Konstruktion des „abgeleiteten“ Insiderstatus auskommt, ist die in Art. 2 und 4 der Richtlinie (bzw. § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 2 WpHG) vorgenommene Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärinsidern mißverständlich. c) Entkräftung der (scheinbaren) Widersprüche Die Anmerkungen zum Primärinsiderbegriff zeigen, daß nicht alle Einzelbestimmungen optimal auf das Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts abgestimmt wurden. Deswegen läßt sich die vielfach geäußerte These, das europäische Insiderrecht trage insgesamt den Charakter einer Kompromißlösung, auch nicht von der Hand weisen. Allerdings geht die mangelnde Abstimmung nicht soweit, daß von einer Methodenmischung im Haftungskonzept gesprochen werden müßte.119 Obgleich die vom Primärinsiderbegriff ausgehenden konzeptionellen Widersprüche sich nicht ausräumen lassen, verlieren sie bei genauerer Betrachtung entscheidend an Gewicht. aa) Dies gilt vor allem für das Merkmal „Emittentenbezug“, das entsprechend den ersten beiden Gruppen des Art 2 der Richtlinie (bzw. des § 13 Abs. 1 WpHG) zur Begründung des Primärinsiderstatus vorausgesetzt wird. Zutreffend ist, daß ein solches Kriterium vornehmlich bei gesellschaftsrechtlich-orientierten Haftungskonzepten Anwendung findet. Doch kann aus dem Umstand, daß die Insiderrichtlinie ebenfalls dieses Merkmal verwendet, nicht gefolgert werden, das europäische Insiderrecht mache die insiderrechtliche Haftung der Primärinsider von der Verletzung etwaiger Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft abhängig.120 Dagegen spricht zum einen die historische Auslegung. Die Frage, wer als Insider überhaupt in Betracht kommen sollte, war eine der zentralen Diskussionspunkte bei der Erarbeitung des Richtlinienentwurfes.121 Aus den Materialien zum Rechtsetzungsverfahren geht hervor, daß für die Definition des Primärinsiderkreises zunächst nur ein einheitlicher Tatbestand vorgesehen war, der in seiner Formulierung dem der dritten Gruppe des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie (bzw. des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) sehr ähnlich war.122 Die deutsche EG-Delegation äußerte jedoch Bedenken gegen diese Regelung, weil sie mit 118 Zur Aufgabe der „fiduciary connection“ im europäischen Insiderrecht und die damit verbundene, unbeschränkte Ausweitung des insiderrechtlichen Anwendungsbereichs auf Sekundärinsider, vgl. auch Siebel, in: FS Semler, S. 955, 972 ff. 119 A. A. Lahmann, S. 35 u. 55; Wymeersch, in: Hopt/Wymeersch, S. 65, 126. 120 So auch Hausmaninger, S. 184. 121 v. Rosen, ZfgK 1989, S. 658, 660. 122 Vgl. Art. 1 Abs. 1 des letzten Richtlinienentwurfes, ABl. EG 1988 Nr. C 277, S. 13. Danach kam als Primärinsider jede Person in Betracht, die „in Ausübung ihres Berufes oder in Erfüllung ihrer Aufgabe eine Insiderinformation erhält.“
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
ihrer tätigkeitsbezogenen Umschreibung des Insiderpersonenkreises eine für das traditionelle Insiderverständnis ungewöhnliche Insiderdefinition trifft. Aus Gründen der Klarstellung wurde daher von deutscher Seite gefordert, den Insiderkreis genauer und enger zu definieren. Daraufhin wurden die weiteren (Primär-)Insidergruppen in den Richtlinientext eingefügt.123 Die Motivation, die hinter dieser nachträglichen Änderung im Rechtsetzungsverfahren stand, kann also aus historischer Sicht nicht so interpretiert werden, daß das Haftungskonzept des europäischen Insiderrechts in seiner Grundstruktur entscheidend abgeändert werden sollte. Vielmehr waren die mit diesem Nachtrag verbundenen Ziele pragmatischer Natur. Es ging der deutschen EG-Delegation laut Schrödermeier/Wallach lediglich darum, durch die gesonderte Benennung einzelner Personengruppen für mehr Rechtssicherheit im Rahmen des (Primär-)Insiderbegriffs zu sorgen, dies nicht zuletzt deswegen, weil die eigentlich geplante und mit der dritten Primärinsidergruppe umgesetzte Definition einige begriffliche Schwächen enthält.124 Ein weiteres Argument dafür, daß das Kriterium des „Emittentenbezugs“ im Rahmen des europäischen Insiderbegriffs nur eine untergeordnete Rolle spielt, läßt sich aus der systematischen Auslegung der drei Primärinsidergruppen gewinnen. Vergleicht man nämlich die drei Gruppen miteinander, fällt auf, daß die überaus weite Definition der letzten Gruppe bereits vom Wortlaut her geeignet ist, die Personen der ersten beiden Kategorien mitzuerfassen.125 Nicht zuletzt deswegen ist die dritte Gruppe schon als Auffangtatbestand bezeichnet worden.126 Weil aber diejenigen Personen, die in den ersten beiden Insidergruppen genannt werden, bereits nach Art 2 dritter Spiegelstrich (bzw. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) als Primärinsider einzustufen wären, kann es für die Haftung nach europäischen Recht nicht auf den Bezug der betreffenden Person zum Emittenten ankommen. Aus dieser systematischen Überlegung heraus erhält auch das soeben angeführte Argument, mit den ersten beiden Kategorien sei eine Klarstellung bzw. Präzision des Primärinsiderbegriffs bezweckt gewesen, seine endgültige Berechtigung. bb) Die hinsichtlich der dritten Primärinsidergruppe geäußerte Kritik, es werde durch sie der Eindruck erweckt, das europäische Insiderrecht setze – ähnlich wie die US-amerikanische „misappropriation“-theory – für die Haftung der Primärinsider eine Vertrauensbeziehung zwischen dem Insider und der Informationsquelle voraus, ist im Ergebnis ebenfalls nicht berechtigt. Ohne an dieser Stelle detailliert auf die dogmatische Grundlage der „misappropriation“-theory 123
Darauf weisen Schrödermeier/Wallach, EuZW 1990, S. 122 hin. Vgl. zu den Auslegungsschwierigkeiten bezüglich der tätigkeitsbedingten (Primär-)Insidergruppe oben 1. Teil, 2. Abschnitt, A. 125 Hausmaninger, S. 185. 126 Dierlamm, NStZ 1996, S. 519, 520 f. 124
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eingehen zu wollen, läßt sich dennoch sagen, daß zwischen der Regelung in Art. 2 Abs. 1 dritter Spiegelstrich der Insiderrichtlinie (bzw. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) und der „misappropriation“-theory nicht einmal annäherungsweise Dekkungsgleichheit besteht.127 Während Art. 2 Abs. 1 dritter Spiegelstrich der Insiderrichtlinie, wenn überhaupt, dann nur so verstanden werden kann, daß der Primärinsider in einer Vertrauensbeziehung zu der Informationsquelle, zu der er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit Zugang hat, stehen muß128, ist das Spektrum insiderrechtlich relevanter Vertrauensbeziehungen im Rahmen der „misappropriation“-theory erheblich weiter gezogen. So kann nach US-amerikanischen Insiderrecht nicht nur eine Vertrauensbeziehung zum Arbeit- bzw. Auftraggeber insiderrechtlich relevant sein, sondern auch eine Vertrauensbeziehung zu anderen Informationsquellen.129 Dazu zählen insbesondere familiäre Bindungen, aber auch sonstige Sonderbeziehungen, wie etwa solche, die sich aus ärztlichen Schweigepflichten ergeben.130 Eine Parallele zur „misappropriation“theory vermag man daher nur mit Mühe zu erkennen. cc) Schließlich lassen sich auch aus der vom europäischen Insiderrecht getroffenen Unterscheidung zwischen primären und sekundären Insidern keine Anhaltspunkte dafür ableiten, daß dem Regelwerk insgesamt nicht oder nur eingeschränkt die Theorie von der relativen, informationellen Chancengleichheit zugrunde liegt. Zwar stellen formal gesehen die Primärinsider gegenüber den Sekundärinsidern eine eigenständige Insiderkategorie dar, die zudem typischerweise enger mit der jeweiligen Informationsquelle verbunden sein mag als die Gruppe der Sekundärinsider. Aus diesem formalen Unterschied läßt sich jedoch nicht ohne weiteres folgern, der Insiderstatus der einen Gruppe werde dogmatisch anders begründet als der der anderen. Vielmehr läßt sich bei genauerem Hinsehen erkennen, daß Primär- und Sekundärinsider auf denselben dogmatischen Überlegungen basieren. Denn nicht nur der Status des Sekundärinsiders sondern auch der des Primärinsiders wird letztlich durch die Kenntnis von einer Insider-Information begründet.131 Der einzige Unterschied zwischen den beiden Insidergruppen besteht darin, daß beim Primärinsider im Gegensatz zum Sekundärinsider noch weitere persönliche Merkmale neben der Kenntnis von einer In127
Ähnlich bereits K.-P. Weber, S. 156. Die herrschende Meinung lehnt aber ein rechtliches oder anderweitig zu qualifizierendes Verhältnis zwischen dem Informierten und der jeweiligen Informationsquelle in Art. 2 dritter Spiegelstrich (bzw. § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) ab, vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, § 13 Rn. 19 mit weiteren Verweisen, a. A. soweit ersichtlich nur Claussen, ZBB 1992, S. 267, 271. 129 Vgl. zur „misappropriation“-theory Langevoort, Insider Trading, Chapter 6 und United States v. O’Hagan, 117 (1997) S. Ct., S. 759. 130 United States v. Willis, 737 (1990) F. Supp., S. 269. 131 K.-P. Weber, S. 190: „Obwohl das WpHG unterschiedliche Insidergruppen nennt, folgt die Insidererfassung im Kern bereits aus der Kenntnis einer Insiderinformation.“ 128
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
siderinformation vorliegen müssen. Daher formuliert K.-P. Weber das Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärinsidern völlig zutreffend, wenn er sagt, „jeder Primärinsider ist zugleich ein Sekundärinsider“.132 Weil aber der dogmatische Unterschied zwischen Primär- und Sekundärinsidern bei genauerer Betrachtung „gegen null“ tendiert, kann entgegen einer ersten Vermutung aus der Zweiteilung des Insiderbegriffs nicht gefolgert werden, es handle sich bei diesen beiden Insiderkategorien um zwei völlig unterschiedliche dogmatische Rechtsfiguren. Es wäre verfehlt anzunehmen, das europäische Insiderrecht wolle entsprechend den Vorgaben einer gesellschaftsrechtlich-orientierten Haftungstheorie zwischen Personen differenzieren, die ihren Insiderstatus in „originärer“ Weise begründen und solchen, die ihren Insiderstatus von der erstgenannten Gruppe ableiten. Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärinsidern spielt zwar auf der Rechtsfolgenseite, nämlich hinsichtlich des Verbotsumfangs, eine erhebliche Rolle.133 Abgesehen davon ist die Zweiteilung des Insiderbegriffs aber lediglich von rein deskriptiver Natur.134 Daher wird das Regelungskonzept des europäischen Insiderrechts, das eigentlich auf einem einheitlichen Insiderbegriff basiert, durch die formale Zweiteilung des Insiderbegriffs unnötig verschleiert. 2. Adressatenkreis des Weitergabe- und Empfehlungsverbots Während sich die konzeptionellen Ungereimtheiten auf der Tatbestandsseite des Insiderbegriffs größtenteils er- bzw. aufklären lassen, gerät man bei der Frage, warum das europäische Insiderrecht auf der Rechtsfolgenseite das Weitergabe- und Empfehlungsverbot nur für Primärinsider, nicht aber für Sekundärinsider vorsieht, in ernsthafte Erklärungsnöte. Gemäß Art. 3 der Richtlinie (bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpHG) unterliegen Primärinsider neben dem Verbot, Insiderinformationen im Anteilshandel auszunutzen, zusätzlich zwei weiteren Handlungsverboten. Zum einen ist es ihnen nicht gestattet, Insider-Informationen an andere „unbefugt“ weiterzugeben und zum anderen dürfen sie auf der Grundlage von Insider-Informationen keine Kauf- bzw. Verkaufsempfehlungen abgeben. Dagegen sind die Sekundärinsider sowohl nach der Richt-
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K.-P. Weber, S. 190. Der Einfluß des unterschiedlichen Verbotsumfangs auf die Haftungstheorie wird im folgenden Abschnitt noch gesondert erörtert. 134 Hausmaninger, S. 185 weist zutreffend daraufhin, daß die formale Aufteilung des Insiderbegriffs vornehmlich den Sinn hat, eine Warnung für die im Rahmen der Primärinsidergruppen gesondert genannten Personen auszusprechen. Denn im Vergleich zu den Sekundärinsidern sind diese Personen erheblich öfter der Versuchung ausgesetzt, mit legalen Mitteln nicht kompensierbare Informationsvorsprünge im Anteilshandel auszunutzen. 133
C. Das Haftungskonzept des Insiderrechts
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linie als auch nach dem WpHG von diesen zusätzlichen Handlungsverboten ausgenommen. a) Widerspruch zum europäischen Haftungskonzept? Die unterschiedliche Behandlung der beiden Insidergruppen auf der Rechtsfolgenseite läßt sich mit der Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ nicht erklären. Es stellt sich daher die Frage, ob diese vom europäischen Gesetzgeber getroffene Einzelentscheidung im Widerspruch zum Gesamtkonzept der Insiderrichtlinie steht.135 Wie soeben dargelegt geht das europäische Haftungskonzept – entgegen der formalen Zweiteilung im Gesetz – im Grunde genommen von einem einheitlichen Insiderbegriff aus.136 Es besteht weder hinsichtlich der dogmatischen Begründung des Insiderstatus noch hinsichtlich des Verwertungsverbots ein Unterschied zwischen primären und sekundären Insidern. Daher – so wird argumentiert137 – wäre es für die Stimmigkeit des Gesamtkonzepts nur konsequent gewesen, wenn der europäische Gesetzgeber den Verbotstatbestand des Art. 3 der Richtlinie (bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 3) auch auf Sekundärinsider erstreckt hätte. Zugegebenermaßen hätte dann die terminologische Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärinsidern jegliche rechtliche Relevanz verloren. Während nämlich bei einem einheitlichen Verbotsumfang der Begriff des Sekundärinsiders immer mehr in den Vordergrund rücken würde, könnte der Primärinsiderbegriff seine Berechtigung allenfalls noch darin finden, daß aus Gründen der Rechtssicherheit diejenigen Personengruppen noch einmal gesondert im Gesetz genannt werden sollten, die potentiell am ehesten in die Versuchung geraten, ein Insiderdelikt zu begehen (Warnfunktion). Doch trotz dieser Bedenken hätte, wie einige der nationalen Umsetzungsgesetze belegen, die Ausweitung des Weitergabe- und Empfehlungsverbots auf alle Insider durch einen einfachen Gesetzesverweis erfolgen können.138 Die konzeptionelle Ähnlichkeit von Primär- und Sekundärinsiderbegriff spricht also für einen einheitlichen Verbotsumfang. Jedoch bleibt fraglich, ob sich daraus bereits eine Pflicht zur Gleichbehandlung von Primär- und Sekundär135 So bereits Krauel, S. 290; Hausmaninger, S. 243; K.-P. Weber, S. 194 f. und nun auch Mülbert, WM 2001, S. 2085, 2102. 136 Vgl. oben 4. Teil, C. III. 1. und K.-P. Weber, S. 190. 137 So vor allem Hausmaninger, S. 243 und K.-P. Weber, S. 194 f. 138 Einige der EG-Mitgliedstaaten haben bei der Umsetzung der Richtlinie gemäß Art. 6 der Richtlinie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Anwendungsbereich des Weitergabe- und Empfehlungsverbots auf Sekundärinsider auszuweiten. Vgl. die englische (§ 57 Abs. 2 lit b iVm § 52 Abs. 1 CJA), die belgische (§ 184 iVm § 183 Loi du 4.12.1990), die luxemburgische (Art. 5 Loi du 3.5.1991), die italienische (Art. 2 Nr. 4 iVm Art. 2 Nr. 2 legge no. 157 vom 17.5.1991) und die irische Regelung (§ 108 Abs. 5 Companies Act 1990).
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
insidern ergibt oder ob nicht vielmehr erst andere, insbesondere rechtspolitische Gründe für eine Ausweitung des Weitergabe- und Empfehlungsverbots sprechen. Denn es darf nicht übersehen werden, daß es sich sowohl bei dem Weitergabeals auch dem Empfehlungsverbot anders als beim Verwertungsverbot um reine „Vorfeldtatbestände“ handelt. Ruft man sich noch einmal den Grund für die insiderrechtliche Haftung ins Gedächtnis, so stellt man fest, daß die haftungsbegründende Handlung eigentlich erst mit Abschluß eines Wertpapiergeschäfts begangen wird. Dagegen ist die bloße Kenntnis von einer Insiderinformation noch nicht als ein Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit anzusehen.139 Ansonsten wären die Insider zur Offenlegung ihres Wissens verpflichtet. Weil aber die bloße Kenntnis von einer Insiderinformation nach der Theorie von der relativen, informationellen Chancengleichheit noch keine Haftungsfolgen auslöst, die Informationsweitergabe aber letztlich nichts anderes ist als die Verschaffung von Kenntnis, ließe sich argumentieren, daß das europäische Haftungskonzept Vorfeldhandlungen eigentlich gar nicht erfaßt. Besteht aber nach dem Gesamtkonzept keine Pflicht zur Verfolgung von Vorfeldhandlungen, so ist es – zumindest aus konzeptioneller Sicht – auch nicht zwingend geboten, alle Insider dem Weitergabe- und Empfehlungsverbot zu unterwerfen. b) Vergleich mit anderen Haftungstheorien Die unterschiedliche Behandlung von Primär- und Sekundärinsidern auf der Rechtsfolgenseite erscheint nicht nur im Lichte des europäischen Insiderrechts unsachgemäß. Ganz allgemein gilt im Insiderrecht, unabhängig vom gewählten Haftungsansatz, eine Differenzierung hinsichtlich des Verbotsumfangs als unüblich. So werden nach keiner der US-amerikanischen Haftungstheorien Tipempfänger und sonstige „sekundäre“ Insider einem weniger umfangreichen Verbotstatbestand unterworfen als „typische“ Insider.140 Zwar variierte im Laufe der US-amerikanischen Insiderrechtsentwicklung der Kreis der potentiellen Insider, je nachdem, welche Haftungstheorie gerade maßgebend war. Sobald jedoch der potentielle Insiderkreis einmal festgelegt war, wurde im Nachhinein keine Differenzierung mehr hinsichtlich des Verbotsumfangs vorgenommen. Denn man hat, wie K.-P. Weber zutreffend ausführt, in den USA die Weitergabe einer Insiderinformation wertungsmäßig schon immer auf eine Ebene mit ihrer Verwertung im Anteilshandel gestellt. Grund dafür ist die Überlegung, daß eine Informationsweitergabe letztlich immer auch zu ihrer Verwertung führen wird. Überträgt man diese Sichtweise auf das europäische Insiderrecht, so ist im Ergebnis die unterschiedliche Behandlung von Primär- und Sekundärinsidern doch als ein Widerspruch zu der dem europäischen Insiderrecht zugrunde liegenden Haf139 140
Vgl. oben 4. Teil, C. II. 1. Wang/Steinberg, Insider Trading, S. 335 ff.
C. Das Haftungskonzept des Insiderrechts
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tungstheorie anzusehen. Denn besteht wertungsmäßig kein Unterschied zwischen Informationsweitergabe und -verwertung, dann begeht nicht nur derjenige, der eine Insider-Information im Anteilshandel ausnutzt, einen Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit, sondern auch der, der die betreffende Insider-Information zuvor preisgegeben hat. Wenn es aber keinen Unterschied macht, ob ein Primär- oder ein Sekundärinsider gegen die allgemeine Chancengleichheit am Markt verstößt, so gibt es auch keinen Grund, das Weitergabe- und Empfehlungsverbot nicht auch auf Sekundärinsider auszudehnen.141 c) Erklärungsversuche Im Gegensatz zu den eher mißverständlichen Formulierungen auf der Tatbestandsseite des Insiderbegriffs liegt demnach auf der Rechtsfolgenseite tatsächlich ein Widerspruch zur Haftungstheorie vor. Über die Gründe, die den europäischen Gesetzgeber dazu veranlaßt haben, das von ihm gewählte Haftungskonzept an solch entscheidender Stelle zu durchbrechen, kann nur spekuliert werden. aa) In dem Entwurf der EG-Richtlinie war das Weitergabe- und Empfehlungsverbot noch für diejenigen Sekundärinsider vorgesehen, die die Insider-Information „unmittelbar“, also im persönlichen Gespräch mit einem Primärinsider erlangt haben. Dieser Vorschlag wurde jedoch für die Endfassung wieder verworfen. Hausmaninger weist in diesem Zusammenhang auf zwei eher pragmatische Überlegungen hin, die die Kommission dazu bewogen haben sollen, sich im Rechtsetzungsverfahren gegen eine Ausdehnung des Weitergabe- und Erwerbsverbots auf Sekundärinsider auszusprechen.142 Zum einen sei die Ausweitung des Verbotsumfangs deshalb nicht unbedingt erforderlich, weil die Sekundärinsider, sprich alle Marktteilnehmer, ja bereits dem Erwerbs- und Veräußerungsverbot unterliegen würden. Insofern sei dem Schutz der informationellen Chancengleichheit in ausreichendem Maß Genüge getan. Zum anderen sei ein Verstoß gegen das Weitergabe- und Empfehlungsverbot ohnehin schwer nachzuweisen, so daß die Verfolgungsbehörden mit der Überwachung des Primärinsiderkreises bereits genug zu tun hätten. bb) Dagegen ließe sich aus dogmatischer Sicht eine Erklärung für die Ungleichbehandlung von primären und sekundären Insidern nur dann herleiten, wenn man entgegen der oben vertretenen Auffassung die in Art. 4 der Richtlinie getroffene Definition des Sekundärinsiders nicht bereits mit der Kenntnis von einer Insiderinformation als erfüllt ansieht. Mißt man nämlich stattdessen 141 Otto, in: Schünemann/Gonzales (Hrsg.), Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, S. 447, 462. 142 Hausmaninger, S. 238, Fn. 76–78.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
dem Zusatz „die unmittelbar oder mittelbar nur von einem Primärinsider stammen kann“ doch eine eigenständige Bedeutung dahingehend bei, daß Sekundärinsider nur sein kann, wer informationell in enger Beziehung zu einem Primärinsider steht, würde sich der Kreis der potentiellen Sekundärinsider drastisch reduzieren. Der Begriff des Sekundärinsiders wäre folglich nicht mehr als Grundtatbestand des Insiderbegriffs anzusehen, sondern müßte als bloßes Anhängsel zum Primärinsiderbegriffs verstanden werden. Wenn aber die Gruppe der Sekundärinsider im Vergleich zum Kreis der Primärinsider nur eine untergeordnete Rolle spielen würde, könnte man dem europäischen Insiderrecht auch nicht mehr vorbehaltlos die Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ zugrunde legen. Daraus ließe sich schließlich folgern, daß eine Einschränkung des Verbotsumfangs für Sekundärinsider nicht im Widerspruch zum Gesamtkonzept der Richtlinie stehen würde. Während sich eine solche Erklärung für die EG-Richtlinie noch vertreten ließe, wäre sie für die deutsche Regelung im WpHG völlig ausgeschlossen. Denn, wie oben ausgeführt, hat der deutsche Gesetzgeber auf die Übernahme des Zusatzes, „die unmittelbar oder mittelbar nur von einem Primärinsider stammen kann“, vollständig verzichtet. Mit dieser Entscheidung hat er eindeutig klargestellt, daß der Sekundärinsiderbegriff als Grundtatbestand des Insiderbegriffs zu verstehen ist. Daher läßt sich die Argumentation keinesfalls auf das deutsche Recht übertragen.
V. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die deutsch/europäische Insiderregelung auf einer einheitlichen Haftungstheorie basiert. Gemäß der Theorie der „relativen informationellen Chancengleichheitstheorie“ macht sich ein Marktteilnehmer wegen eines Insider-Verstoßes bereits dann haftbar, wenn er eine Information im Anteilshandel verwertet, auf die die anderen Marktteilnehmern keinen Zugriff haben und sich durch legale wirtschaftliche Mittel auch keinen Zugang verschaffen könnten.
D. Kritische Erörterung des deutsch/europäischen Haftungskonzepts Vorstehend wurde die Haftungstheorie des deutsch/europäischen Insiderrechts erläutert, auf eine Bewertung wurde jedoch weitgehend verzichtet. Diese ist nun nachzuholen und es ist zu klären, inwieweit die entwickelten Verbesserungsvorschläge in das Insiderrecht eingearbeitet werden können, ohne daß es zu einem Systembruch kommt.
D. Kritische Erörterung des Haftungskonzepts
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I. Fehlen einer optimalen Insiderregelung Zunächst ist darauf hin zu weisen, daß es im internationalen Vergleich bislang kein optimales insiderrechtliches Haftungskonzept gibt. Jede insiderrechtliche Haftungstheorie hat sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwächen. Für die drei großen Haftungstheorien des US-amerikanischen Insiderrechts hat insbesondere K.-P. Weber143 – aber auch andere schon vor ihm144 – die jeweiligen Vor- und Nachteile herausgearbeitet. Danach löst keine dieser drei Theorien das Problem des Insiderhandels wirklich zufriedenstellend. Während die „fiduciary duty“-theory der Kritik ausgesetzt ist, durch sie entstünden zu große und vor allem sachlich nicht gerechtfertigte Strafbarkeitslücken145, wird der „equal access“-theory vorgeworfen, ihr Anwendungsbereich sei zu weitgehend und undifferenziert.146 An der „misappropriation“-theory wird schließlich kritisiert, daß sie das Insiderrecht zum Schutzinstrumentarium privater Geheimhaltungsinteressen umfunktioniere.147 Das europäische Haftungskonzept ist dagegen bislang kaum kritisch analysiert worden. Das läßt aber nicht den Schluß zu, die europäische Haftungstheorie weise im Gegensatz zu den drei US-amerikanischen Haftungstheorien keinerlei Schwachstellen auf. Vielmehr ist das (bisherige) Ausbleiben von Kritik damit zu erklären, daß man sich in Europa noch nicht sehr eingehend mit den unterschiedlichen Haftungskonzepten im Insiderrecht beschäftigt hat.148 II. Die Stärke der deutsch/europäischen Haftungstheorie Zunächst ist auf die Stärke der deutsch/europäischen Haftungstheorie einzugehen. Die Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ ermöglicht es, praktisch jede insiderrechtlich relevante Verhaltensweise zu erfassen, ohne dabei auf dogmatisch bedenkliche Hilfskonstruktionen zurückgreifen zu müssen.149 Unter welchen Umständen auch immer die Informationsverwertung im Einzelfall zustande gekommen sein mag, für die Frage der insiderrechtlichen Haftung ist nach der Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ stets und ausschließlich entscheidend, ob die betreffende Information zum Zeitpunkt ihrer Verwertung auch für die anderen Marktteilnehmer 143
K.-P. Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, S. 51–131. Vgl. Kraakman, in: Hopt/Wymeersch, S. 39–46; Bergmans, S. 41–64. 145 Harder, 10 (1985) J.Corp.L., S. 711, 742. 146 Vgl. die Entscheidung des Supreme Courts, Chiarella v. United States, 445 U.S., S. 222, 232. 147 Kenny/Thebaut, 59 (1995) Alb.L.Rev., S. 139 ff.; Kidd, 18 (1993) Del.J.Corp.L., S. 101, 123: „The misappropriation theory is inadequate because it is supported by dubious legal reasoning“. 148 Siehe bereits oben 4. Teil, C. III. 149 K.-P. Weber, S. 197 ff.; Krauel, S. 308 ff. 144
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
mit legalen wirtschaftlichen Mitteln zugänglich ist. Dagegen spielt es weder in personeller Hinsicht eine Rolle, wer die Information im Anteilshandel verwertet, noch kommt es in sachlicher Hinsicht darauf an, welchen Inhalt die Information hat, solange ihr ein gewisses Kursbeeinflussungspotential zugemessen werden kann.150 Der Vorteil der europäischen Haftungstheorie besteht also darin, daß sich eine insiderrechtliche Haftung selbst in den vielschichtigsten Fallkonstellationen und für die unterschiedlichsten Marktteilnehmer mit Hilfe eines einheitlichen und zudem einfach zu handhabenden Kriteriums begründen läßt. Im Gegensatz zum europäischen Haftungsansatz können die sog. „gesellschaftsrechtlich-orientierten“ Haftungstheorien, wie etwa die sog. „fiduciary duty“-Theorie im US-amerikanischen Recht, nicht für jede insiderrechtlich relevante Fallkonstellation eine dogmatisch überzeugende Haftungsbegründung herleiten.151 Ihnen fehlt ein einheitliches Kriterium, mit Hilfe dessen sich alle insiderrechtlich relevanten Verhaltensweisen erfassen ließen. Dieser Nachteil gegenüber der deutsch/europäischen Haftungstheorie ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß sich die Insider-Problematik aufgrund der Anonymität des Marktgeschehens nur bedingt durch privatrechtliche bzw. gesellschaftsrechtliche Kriterien lösen läßt.152 Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten lassen sich nun einmal nicht beliebig auf jeden Marktteilnehmer übertragen. Daher kommt es bei diesen Theorien vielfach zu gekünstelt wirkenden Konstruktionen, wenn es darum geht, den Adressatenkreis des Insiderverbots auch auf unternehmensexterne Personen auszudehnen. Zudem läßt sich mit einer gesellschaftsrechtlich ausgerichteten Regelungsperspektive auch in sachlicher Hinsicht nicht jeder Informationsvorsprung erfassen, sondern nur solche, die der Sphäre eines bestimmten Emittenten zugeordnet werden können. Der vom europäischen Insiderrecht gewählte Haftungsansatz bietet also im Vergleich zu anderen Haftungstheorien einen weitaus umfassenderen Schutz vor unerwünschten Insidergeschäften. Er nimmt praktisch keine Personengruppe explizit aus dem Anwendungsbereich des Insiderverbots aus. Dadurch wird verhindert, daß bestimmte Personen in bestimmten Fallkonstellationen straffrei Insidergeschäfte vornehmen können. Zugleich wird damit „typischen“ Insidern jede Umgehungsmöglichkeit genommen. Ein Vorstandsmitglied kann seine Geschäfte also nicht über Dritte, etwa Familienangehörige abwickeln lassen.153 Wird ein derart umfassendes Insider-Haftungskonzept wie das des deutsch/europäischen Insiderrechts effektiv durchgesetzt, ist von einer weitgehenden Chan150
Vgl. dazu oben 1. Teil, 3. Abschnitt, A. IV. Krauel, S. 308; zur Problematik im Rahmen der „fiduciary duty“-theory vgl. Langevoort, Insider Trading, Chapter 4: Tipper and Tippee Liability. 152 Krauel, S. 308; M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, § 11, S. 296– 298. 153 Schörner, S. 22. 151
D. Kritische Erörterung des Haftungskonzepts
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cengleichheit der Anleger am Markt auszugehen. Im Ergebnis ließe sich also angesichts dieser Vorteile folgern, daß die deutsch/europäische Haftungstheorie dem insiderrechtlichen Schutzgut „Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes“ durch „Förderung des Anlegervertrauens“ besser gerecht wird als jede andere Haftungstheorie.154 III. Die Schwäche der deutsch/europäischen Haftungstheorie Der mit einfachen aber dennoch weitreichenden Mitteln begründete Haftungstatbestand der deutsch/europäischen Insiderregelung bietet aber nicht nur Vorteile. Mit ihm sind auch erhebliche Nachteile verbunden.155 Nicht zu Unrecht wird der vom europäischen Insiderrecht gewählte Haftungsansatz zugleich als Stärke und Schwäche einer jeden Insiderregelung bezeichnet, die ihn zum Ausgangspunkt ihrer Verbotsaussagen macht.156 Auf der einen Seite ist dieser Ansatz zwar besonders effektiv, soweit es darum geht, die Chancengleichheit der Anleger zu schützen und dadurch das Vertrauen in die Integrität zu stärken, weil er weder in personeller noch in sachlicher Hinsicht Ausnahmen bei der Verwertung von Informationsvorsprüngen zuläßt. Andererseits liegt aber genau darin die Gefahr einer Überregulierung und – angesichts der angedrohten Sanktionen – auch die Gefahr einer übermäßigen Pönalisierung.157 Ausgehend von der Prämisse, daß jeder (vorsätzliche) Verstoß gegen die informationelle Chancengleichheit am Markt als eine verbotene Insiderhandlung anzusehen ist, hat sich der europäische Gesetzgeber implizit zum Ziel gesetzt, den insiderrechtlichen Verbotstatbestand möglichst umfassend zu formulieren.158 Dadurch entsteht ähnlich wie bei der US-amerikanischen „equal access“theory die Gefahr, daß die einzelnen Verbotstatbestände nicht nur strafwürdige bzw. strafbedürftige Verhaltensweisen erfassen. Gerade im Hinblick darauf, daß es generell bei abstrakten Gefährdungsdelikten – und das Insiderverbot ist als 154 So zumindest das Ergebnis von Krauel, S. 308 und K.-P. Weber, S. 197, vgl. auch Bergmans, S. 46, der das Kriterium des Informationszugangs jedenfalls aus rechtspolitischer Sicht als entscheidendes Argument für die Begründung insiderrechtlicher Haftung ansieht. 155 Ebenfalls kritisch Bergmans, S. 95, zu der Parallelproblematik der „equal access“-theory bereits Voss, S. 331 ff. 156 Kraakman, in: Hopt/Wymeersch, S. 39, 41 in bezug auf die US-amerikanische „equal access“-theory: „The broad sweep of the equal access theory has also proven to be its chief weakness“. 157 Die Gefahr einer Überregulierung durch die Theorie von der relativen, informationellen Chancengleichheit erkennen auch K.-P. Weber, S. 73; Rider/Ashe, S. 14; Bergmans, S. 95; Kraakman, in: Hopt/Wymeersch, S. 39, 41; dagegen hält Krauel, Insiderhandel, S. 308 ff. den vom europäischen Insiderrecht gewählten Haftungsansatz anscheinend für völlig unbedenklich, weil er nur dessen Vorteile, nicht aber auch dessen Nachteile bespricht. 158 Otto, in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, S. 447, 457.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
ein solches einzustufen – leicht zu einer Ausuferung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs kommen kann, muß der vom europäischen Insiderrecht gewählte Haftungsansatz daher überaus kritisch gesehen werden.159 Von einer Tendenz zur Überregulierung ist im Insiderrecht vor allem dann auszugehen, wenn es durch die einzelnen Verbotstatbestände – dazu zählen in der Regel das Verwertungs-, Weitergabe- und Empfehlungsverbot – zu einer (erheblichen) Behinderung derjenigen Kapitalmarktteilnehmer kommt, die durch ihre kapitalmarktbezogene Tätigkeit wichtige, dem Allgemeinwohl dienende Funktionen erfüllen.160 Denn der Schutz der Allgemeinheit vor einer Übervorteilung im Anteilshandel trifft spätestens dann auf seine Grenzen, wenn dadurch andere wichtige kapitalmarktrechtliche Ziele vereitelt werden. Erste Anzeichen dafür, daß das deutsch/europäische Insiderrecht in nicht unerheblicher Weise die Tätigkeit wichtiger Kapitalmarktteilnehmer beeinträchtigt, lassen sich aus der Tatsache ableiten, daß der europäische Haftungsansatz in personeller Hinsicht nicht danach differenziert, ob der jeweilige Normadressat lediglich als Anleger oder aber als ein Kapitalmarktmittler, d.h. als eine Person, die kapitalmarktbezogene Dienstleistungen erbringt, am Markt tätig wird. Diese fehlende Differenzierung in der Verbotsaussage läßt befürchten, daß eine Informationsverwertung bzw. -weitergabe selbst dann als ein Verstoß gegen das Insiderrecht angesehen wird, wenn sie aus anderen kapitalmarktrechtlichen Gründen geboten erscheint. Der Verdacht einer Überregulierung verdichtet sich für das europäische Insiderrecht schließlich dadurch, daß sich mit dem „Zwang“ zu einer einheitlichen Beurteilung aller insiderrechtlich relevanter Verhaltensweisen nur schwerlich eine Ausnahmeregelung für bestimmte Kapitalmarktteilnehmergruppen vereinbaren läßt.161 Sollte also im Einzelfall eine Ausnahmeregelung zu Gunsten eines Kapitalmarktakteurs, der sich durch das Insiderrecht an der Ausübung seiner Tätigkeit gehindert sieht, erforderlich sein, scheint es wenig wahrscheinlich, daß der Haftungsansatz des deutsch/europäischen Insiderrechts eine dogmatisch nachvollziehbare Lösung anzubieten vermag. Dafür ist seine Verbotsaussage schlichtweg zu kategorisch formuliert. IV. Vereinbarkeit von tatbestandlichen Modifizierungen Nach dieser eher allgemeinen Beurteilung der Haftungstheorie ist konkret danach zu fragen, ob und inwieweit die eingangs162 entwickelten Verbesserungsvorschläge in die Regelung der §§ 12–14, 38 WpHG eingearbeitet werden kön159
Otto, in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, S. 447, 457. K.-P. Weber, S. 73; Voss, S. 345 ff. u. 356. 161 Benner, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, S. 338, Rn. 98 stellt zutreffend fest, daß die Insiderregelung des WpHG im Rahmen der Strafverfolgung keinerlei Verzichtsmöglichkeiten bei geringer Schuld oder geringer Folgen einer Tat normiert hat. 162 Vgl. oben 4. Teil, B. II. 4. a), b). 160
D. Kritische Erörterung des Haftungskonzepts
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nen, ohne das Gesamtkonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts in Frage zu stellen. Zunächst ist festzustellen, daß sämtliche zur Begrenzung des insiderrechtlichen Haftungsrisikos entwickelten Haftungsfilter beim Weitergabeverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ansetzen. Sowohl das Kriterium des „persönlichen Sondervorteils“ als auch der „Verstoß gegen interne Compliance-Bestimmungen“ sollen das Merkmal „unbefugt“ in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG ausfüllen bzw. ergänzen. Fraglich ist, inwieweit dies mit der Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ zu vereinbaren ist. Um dies beantworten zu können, ist zu untersuchen, ob die Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ eine zwingende Auslegung des Merkmals „unbefugt“ in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG vorgibt. Nur wenn dies nicht der Fall ist, wäre eine restriktive Auslegung dieses Handlungsverbots durch die Normierung zusätzlicher Haftungsfilter in dessen Tatbestand mit dem Gesamtkonzept des deutsch/ europäischen Insiderrechts vereinbar. 1. Das Weitergabeverbot als Vorfeldtatbestand Vor dem Hintergrund früherer Ausführungen zum Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts ist einsichtig, daß das Weitergabeverbot keine besondere Berücksichtigung in der Grundaussage der deutsch/europäischen Haftungstheorie gefunden hat. Wie dargelegt beschränkt sich die Begründung, die die deutsch/europäische Haftungstheorie für eine Insiderhaftung nach dem WpHG liefert, allein auf das Verwertungsverbot. Danach darf ein einzelner Anleger solche Informationen nicht verwerten, zu denen sich die übrigen Anleger mit legalen wirtschaftlichen Mitteln keinen Zugang verschaffen können.163 Dahinter steht die Überlegung, daß aus „Fairneß“-Gründen der Handel mit Informationen, die nicht allen Anlegern zur Verfügung stehen, unterbunden werden soll. Eine Begründung dafür, daß sich ein Insider auch durch die bloße Weitergabe einer Information haftbar machen kann, läßt sich der Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ dagegen nicht ohne weiteres entnehmen. Die vom Insiderrecht bezweckte Gleichstellung erschöpft sich vielmehr in der Verbotsaussage, daß bestehende, mit legalen Mitteln nicht zu kompensierende Informationsvorsprünge nicht im Anteilshandel ausgenutzt werden. Ein „Verstoß“ gegen die informationelle Chancengleichheit der Marktteilnehmer liegt aber bei der bloßen Weitergabe einer Insider-Information (noch) nicht vor. Denn es ist ja nicht gesagt, daß es aufgrund der Informationsweitergabe zwingend zu einer Verwertung und damit zu einer Benachteiligung der übrigen Marktteilnehmer kommt. Man könnte im Falle einer bloßen Informationsweitergabe allenfalls von einer „Gefährdung“ der informationellen Chancengleichheit im Anteilshandel sprechen, weil durch die Informationsweitergabe an einen 163
Vgl. oben 4. Teil, C. II. 2. b).
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
Dritten die Wahrscheinlichkeit, daß es zu einer Verwertung des Informationsvorsprungs im Anteilshandel kommt, gesteigert wird. Das Weitergabe- sowie das Empfehlungsverbot lassen sich daher nur als sog. Vorfeldtatbestände zum eigentlichen Haftungstatbestand des deutsch/europäischen Insiderrechts verstehen, deren Normierung jedoch aufgrund der Haftungstheorie nicht zwingend erforderlich ist.164 Es läßt sich somit argumentieren, daß die Gesamtkonzeption des deutsch/europäischen Insiderrechts einer Einschränkung des Umfangs des insiderrechtlichen Weitergabeverbots schon deswegen nicht entgegenstehen kann, weil sie nicht einmal die Statuierung dieses Verbots zwingend verlangt. 2. Die befugte Weitergabe als Ausnahmetatbestand Allerdings ist bei der Frage, ob eine tatbestandliche Modifizierung des Weitergabeverbots mit der Gesamtkonzeption des Insiderrechts zu vereinbaren wäre, noch ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen. Dabei handelt es sich um die Überlegung, daß zwischen den einzelnen Verbotstatbeständen des § 14 WpHG möglicherweise ein „systematischer Sachzusammenhang“ bestehen könnte, der eine einseitige Eingrenzung des Weitergabeverbots im Verhältnis zum Verwertungsverbot verbietet. Bei der Auslegung des Merkmals „unbefugt“ wurde im Schrifttum vielfach die Auffassung vertreten, daß aus systematischen Gründen die Fälle, in denen eine Weitergabe als gerechtfertigt anzusehen ist, möglichst restriktiv gehandhabt werden sollten.165 Zur Begründung wurde angeführt, daß nur so ein optimaler Schutz vor illegalen Insidergeschäften gewährleistet werden könne.166 Aus dogmatischer Sicht ließe sich hinzufügen, daß ein Vorfeldtatbestand, wie das Weitergabeverbot, im Zweifelsfall an den Verbotsumfang des Haupttatbestands anzupassen ist. Angesichts des Umstands, daß das Verwertungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG sehr weit ausgestaltet ist, müßte demnach auch das Weitergabeverbot eher weit ausgelegt werden. Denn der Zweck des Weitergabeverbots wird allgemein darin gesehen, das Risiko von Insidergeschäften dadurch zu minimieren, daß der Kreis derjenigen, die Kenntnis von Insidertatsachen haben, so klein wie möglich gehalten wird.167 Die „unbefugte“ Weitergabe würde damit zum Regelfall werden, die befugte Weitergabe dagegen zur Ausnahme. 164 Anders verhält es sich im Rahmen der beiden Haftungstheorien des US-amerikanischen Insiderrechts. Wie Langevoort zutreffend ausführt, stellt bereits die Informationsweitergabe grundsätzlich eine sog. „Treuepflichtverstoß“ und damit einen Haftungsgrund dar. Diese unterschiedlichen Sichtweisen im deutschen und US-amerikanischen Recht sind auf den unterschiedlichen Umfang der Handlungsverpflichtung des Insiders zurückzuführen. 165 Siehe oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 2. a). 166 Assmann, AG 1994, S. 237, 247; ders., ZGR 1994, S. 494, 520. 167 Caspari, ZGR 1994, S. 530, 545; Assmann/Cramer, in: Assmann/Schneider, § 14 Rn. 48.
D. Kritische Erörterung des Haftungskonzepts
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Diese Auslegung kann aber nicht überzeugen. Denn bei einer derart restriktiven Auslegung bestünde die Gefahr, daß das Merkmal „unbefugt“ in unzutreffender Weise gleichgesetzt wird mit dem Merkmal „ohne Herstellung einer hinreichend Öffentlichkeit“.168 Aus dem Gesetzestext und den Erwägungsgründen der EU-Insiderrichtlinie geht jedoch hervor, daß eine solche Auslegung nicht bezweckt war.169 Artikel 3a) der Richtlinie definiert eine unbefugte Weitergabe vielmehr als eine solche, die außerhalb des „normalen Berufsrahmens“ erfolgt. Dahinter steht die Überlegung, daß die Insiderreglung neben ihrer eigentlichen Schutzrichtung die praktischen Bedürfnisse der Wirtschaft nicht unberücksichtigt lassen darf. So nennt der 14. Erwägungsgrund der Insiderrichtlinie als Beispiel für ein derartiges praktisches Bedürfnis den Fall, daß eine Insider-Information an eine Behörde zur Erfüllung einer Verpflichtung weitergegeben werden muß. Eine solche Weitergabe könne niemals unbefugt sein. Wenn aber das Merkmal „befugt“ den Zweck hat, das Weitergabeverbot an die praktischen Bedürfnisse der Wirtschaft anzupassen, so besteht schon jetzt kein Gleichlauf zwischen dem Verwertungs- und dem Weitergabeverbot. Folglich lassen sich aus dem unterschiedlich weit gefaßten Anwendungsbereich der beiden Verbote auch keine konzeptionellen Hindernisse für eine tatbestandliche Modifizierung des Weitergabeverbots herleiten. 3. Das Verhältnis von Weitergabe- und Empfehlungsverbot Schließlich könnte einer tatbestandlichen Modifizierung des Weitergabeverbots das Empfehlungsverbot gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG entgegenstehen. Anders als das Weitergabeverbot enthält das Empfehlungsverbot keinerlei tatbestandliche Einschränkungen. Eine Empfehlung, die auf der Grundlage einer Insiderinformation abgegeben wird, kann daher grundsätzlich niemals als „befugt“ angesehen werden. Dies legt den Schluß nahe, daß auch eine Informationsweitergabe, die zum Zwecke einer Kauf- bzw. Verkaufsempfehlung erfolgt bzw. auf eine solche hinausläuft, niemals „befugt“ im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG sein darf. Übertragen auf das vorliegende Problem würde dies bedeuten, daß jedenfalls der Analyst nicht privilegiert werden könnte. Denn während der Emittentenvertreter die Informationen an den Analysten in der Regel lediglich „weitergibt“ und damit von der soeben aufgezeigten Problematik nicht betroffen wäre, verbindet der Analyst häufig die von ihm zusammengestellten Informationen mit einer abschließenden Bewertung des Papiers. Wäre also die o. g. Schlußfolgerung zwingend, würde sich aus systematischen Gründen eine tatbestandliche Modifizierung des Weitergabeverbots jedenfalls insoweit verbieten, als sie zu einer Haftungsfreistellung von Mischformen aus Informationsmittei168 169
Davor warnen auch Schneider/Singhof, in: FS Kraft, S. 585, 597. Siehe auch oben 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 2. a).
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lungen und Empfehlungen führen würde. Denn es wäre als systemwidrig anzusehen, das Weitergabeverbot einerseits für solche Fälle einzuschränken, in denen die Insiderinformation in der Form einer Empfehlung weitergegeben wird, andererseits aber das Empfehlungsverbot in seiner bisherigen Reichweite aufrechtzuerhalten. Diese Auslegung ist aber nicht zwingend. Denn es ist zu bedenken, daß das Empfehlungsverbot ebenso wenig wie das Weitergabeverbot für die Umsetzung der Haftungstheorie, die dem deutsch/europäischen Insiderrecht zugrundeliegt, erforderlich ist. Wie bereits dargelegt verlangt die Theorie von der „relativen, informationellen Chancengleichheit“ lediglich, daß das Gesetz den Anlegern verbietet, Informationen im Anteilshandel zu verwerten, zu denen nicht jeder Zugang hat. Eine Empfehlung, die auf der Grundlage einer Insiderinformation abgegeben wird, stellt aber – ähnlich wie eine Informationsweitergabe – lediglich eine „Gefährdung“ der informationellen Chancengleichheit dar. Das Empfehlungsverbot gehört damit ebenfalls nicht zum Kern der insiderrechtlichen Gesamtkonzeption. Demzufolge besteht auch kein Anwendungsvorrang des Empfehlungsverbots vor dem Weitergabeverbot. Es ist also nicht zwingend, das Weitergabeverbot im Lichte des Empfehlungsverbots auszulegen. Vielmehr ist auch das Gegenteil möglich. Gesetzessystematisch erscheint es zudem sinnvoller, das Empfehlungsverbot an das Weitergabeverbot anzupassen und nicht umgekehrt. Denn für eine Empfehlung i. S. von § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ist es nicht erforderlich, daß sie die Information selbst preisgibt. Die Empfehlung stellt damit ein Minus gegenüber der Informationsweitergabe dar. Daraus folgt, daß, wenn bereits die Informationsweitergabe als befugt anzusehen ist, die Empfehlung auf der Grundlage der Information erst recht als erlaubt anzusehen ist. 4. Schlußfolgerung Im Ergebnis steht daher die deutsch/europäische Haftungstheorie einer tatbestandlichen Modifizierung des Weitergabeverbots nicht entgegen. Es lassen sich demnach de lege ferenda zusätzliche Haftungsfilter in den Tatbestand des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG einfügen, ohne die Gesamtkonzeption des deutsch/europäischen Insiderrechts in Frage zu stellen. So ließen sich etwa durch Einfügen des Merkmals „Streben nach persönlichen Sondervorteil“ in den Tatbestand des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG die Probleme entschärfen, die sich bei sog. „Vor-OrtGesprächen“ zwischen Emittentenvertretern und Analysten regelmäßig stellen. Der Emittentenvertreter könnte nicht mehr ohne weiteres einer vorsätzlichen Insiderstraftat verdächtigt werden, ohne daß weitere besondere Umstände vorliegen, wie etwa ein kollusives Zusammenwirken mit dem betroffenen Analysten. Auf der anderen Seite wäre auch der Analyst entlastet. Er wäre nicht ständig dazu angehalten, die Informationen, die er bei Gesprächen mit Emittentenver-
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tretern erhält, auf ihre Insiderqualität hin zu überprüfen. Er könnte seiner Berufsausübung mit einem erheblich geringerem Risiko nachgehen. V. Lösbarkeit von Folgeproblemen Trotz der spürbaren Haftungserleichterung, die mit einer tatbestandlichen Modifizierung des Weitergabeverbots im o. g. Sinne verbunden wäre, hätte man mit der Umsetzung der eingangs genannten Verbesserungsvorschläge nicht alle Haftungsfragen, die sich im Zusammenhang mit dem Spannungsverhältnis von informationeller Chancengleichheit und Wertpapieranalyse stellen, gelöst. Zwar könnten Emittentenvertreter und Analysten eine effizientere Kapitalmarktkommunikation betreiben, weil sie weder eine Sanktionierung noch eine Ausforschungsermittlung auf der Grundlage des Weitergabeverbots befürchten müßten. Jedoch würden sich für sie auch weiterhin die im 1. Teil der Arbeit angesprochenen Probleme der Teilnahmestrafbarkeit gem. §§ 26, 27 StGB stellen (1.). Zum anderen wäre mit einer tatbestandlichen Modifizierung des Weitergabeverbots nicht das Problem gelöst, daß es den Auftraggebern und Kunden der Analysten weiterhin verboten bliebe, die an sie übermittelten Informationen zu verwerten (2.). Diesen Folgeproblemen widmen sich die anschließenden Bemerkungen. 1. Teilnahmestrafbarkeit für Emittentenvertreter und Analysten Nach h.M sind die allgemeinen Teilnahmeregeln des Strafrechts grundsätzlich auch auf das Insiderrecht anzuwenden. Ein Analyst, der Insiderinformationen an seine Kunden weitergibt, läuft daher Gefahr, sich wegen Beihilfe zur Insidertat eines anderen strafbar zu machen, vorausgesetzt der Informationsadressat verwertet auch tatsächlich die ihm übermittelten Informationen im Anteilshandel.170 Dies kann jedoch nicht für den Fall gelten, daß die Weitergabe der Information aufgrund tatbestandlicher Modifizierungen als „befugt“ anzusehen ist. 2. Verwertungsprobleme für Auftraggeber und Kunden Übrig bleibt das Problem, daß die Informationen, die der Analyst an seine Kunden und Auftraggeber weitergibt, von diesen nicht verwertet werden dürfen. Gem. § 14 Abs. 2 WpHG machen sich auch Sekundärinsider einer Insidertat strafbar, wenn sie Informationen, die ihnen übermittelt werden, im Anteilshandel verwerten. Diese letzte Hürde in der Informationskette läßt sich wohl nicht überwinden, ohne das Gesamtkonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts in 170
Ansonsten würde eine teilnahmefähige Haupttat fehlen.
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4. Teil: Konsequenzen für das deutsch/europäische Regelungssystem
Frage stellen zu müssen. Denn das Verwertungsverbot für Sekundärinsider ist für die Verwirklichung der Theorie von der „relativen informationellen Chancengleichheit“ ebenso konstitutiv wie das Verwertungsverbot für Primärinsider. Das deutsch/europäische Insiderrecht verbietet jede Verwertung einer kursrelevanten Information, die nicht allen Anlegern mit legalen wirtschaftlichen Mitteln zugänglich ist. Es kommt nicht darauf an, von wem der Insiderverstoß begangen wird. Auch derjenige, der am Ende der Informationskette steht und aus eigener Kraft keine Insiderinformationen erlangen kann, unterliegt nach der Theorie von der „relativen, informationellen Chancengleichheit“ zwingend dem Verwertungsverbot. Jede Durchbrechung dieses Grundsatzes würde einen Systembruch bedeuten und die Gesamtkonzeption der §§ 12–14, 38 WpHG in Frage stellen. 3. Ergebnis Im Ergebnis ist daher eine völlige Anpassung des deutsch/europäischen Rechtsrahmens an das US-amerikanische Insiderrecht nicht möglich, ohne das Haftungskonzept des deutsch/europäischen Insiderrechts insgesamt in Frage zu stellen. Doch kann im Rahmen dieses Haftungskonzepts de lege ferenda die Rechtsposition der Analysten soweit verbessert werden, daß ihre Berufsausübung künftig nicht mehr einem Drahtseilakt zwischen legalen und illegalen Handlungsweisen gleicht.
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Sachverzeichnis Ad-hoc-Publizität 209 Analyseberichte 206 f. asymmetrische Informationsverteilung 181 Bagatellfälle 130 Befugnis zur Weitergabe 33 ff., 86 Beihilfe zur Insiderstraftat 90 ff., 351 bestimmungsgemäße Kenntnis 64 ff. Bezug zu Emittenten bzw. Insiderpapieren 114 ff., 332 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 150 ff. Capital Asset Pricing Model 190 f. chilling effect 144 ff., 207, 277 f. „Dividend-Discount“-Methode 189, 195 dolus eventualis 147 f. Efficient Capital Market Hypothesis 186 ff., 307 Effizienz des Kapitalmarktes 186 ff., 193, 201, 208 ff., 226 f. – allokative (informationelle) 186 ff., 193, 201, 208 ff., 228 – institutionelle 227 – operationelle 227 Empfehlungsverbot 89 ff., 139 ff., 338 ff. empirische Untersuchungen 192 ff. Erheblichkeit der Kursbeeinflussung 119, 120 ff., 290 ff. Ermittlungsbefugnisse der BaFin 150 ff. Ermittlungsverfahren 127, 150 ff., 279 „Fair-Disclosure“-Regulation 167 ff., 237 ff., 262 ff.
Fairneß 224 ff., 321 ff. faktische Verbotswirkung 144 ff. „fiduciary duty“-theory 238, 244 ff., 282 f. Geheimhaltungspflicht gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG 44 ff., 56 Gleichbehandlung der Aktionäre 42, 46 ff., 165 Haftungskonzept 316 ff. informationelle Chancengleichheit 24 f., 38 f., 87 f. innerer Wert eines Wertpapiers 193 f. Insider 57 ff. – Primärinsider 59 ff., 84 ff. – Sekundärinsider 89 ff. Insidertatsache 101 ff., 302, 306 kapitalmarktbezogene Publizität 209 f., 212 f., 232, 268 Kursbeeinflussungspotential 118 ff., 139 Loyalitätspflichten 253 ff. Marktdaten 63, 116 ff., 328, 331 „misappropriation“-theory 238, 250 ff., 337 Mitteilen/Zugänglich machen 32 f. moral hazard 181, 183 f. Mosaiktheorie 133 ff., 273, 308 f. nemo-tenetur-Grundsatz 155 f. nicht öffentlich bekannt 114 ff., 139
Sachverzeichnis Publikationsverbot gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 WpHG 30, 50 ff., 114 Rechtsvergleich 236 ff., 295 ff. Regelungsziele des Kapitalmarktrechts 223, 226 ff. Rule-10b-5 238, 240 ff. Scalping 109 ff., 308 selektive Publizität 47, 86, 167, 181 ff., 266 ff. shareholder value 179 Tatsache 102 ff. – Gerüchte 111 f.
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– Meinungen und Werturteile 105, 113, 171 – Vorhaben, Pläne und Absichten 103, 110 Theorie des Handlungsanreizes 126 ff., 285 Tip 53, 91 ff., 136, 142, 182 „trade-off“-Beziehungen 230 ff. Treuepflichten 245 ff., 319 ff. Verdachtsstufe 151 ff. Verwertungsverbot 85, 89, 249 f., 259 f. Vorfeldtatbestand 38, 54, 347 f. Vorsatz 146 ff. Weitergabeverbot 31 ff., 85 f.