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German Pages 120 [122] Year 2014
Horst Reul
Innovationen in Bautenfarben
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Umschlagbild: Thordino – www.Fotolia.com
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Horst Reul Innovationen in Bautenfarben Hannover: Vincentz Network, 2013 Farbe und Lack Edition ISBN 978-3-7486-0211-8 © 2013 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover Vincentz Network, P.O. Box 6247, 30062 Hannover, Germany Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchtnamen, Warenzeichen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern: Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029 E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de Satz: Vincentz Network, Hannover, Germany
ISBN 978-3-7486-0211-8
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Farbe und Lack Edition
Horst Reul
Innovationen in Bautenfarben
Horst Reul: Innovationen in Bautenfarben © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Farbe und Lack Edition
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2007, 183 Seiten, 165 mm x 260 mm, gebunden, ISBN 978-3-86630-899-2 Bestell-Nr. 402
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Auf ein Wort Seit Menschengedenken ist die Welt von Farbigkeit geprägt. Dem Vorbild der faszinierenden Vielfalt der farbigen Natur nacheifernd, versucht der Mensch, Farben auf sich selbst und seine Behausung aufzutragen. Zur Verfügung standen zunächst in der Natur vorhandene Pigmente als farbgebende Komponente und Kalk sowie Naturharze als Bindemittel. Der erste große Schritt zum synthetischen, chemisch definierten Produkt als Anstrichstoff war die Herstellung von Wasserglas und die Erkenntnis, Wasserglas als Bindemittel für Beschichtungen verwenden zu können. Als zweiten großen Schritt revolutionierte die Farbenentwicklung die Verwendung von Kunstharzdispersionen als Bindemittel. Bis heute ist diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Nach einer längeren Periode ohne auffällige Innovationen, unter anderem eine Folge des Konzentrationsprozesses im Farben-herstellenden Marktsegment, lässt sich in der jüngsten Zeit eine Art Aufbruch in der Bautenfarbenwelt beobachten. Beginnend mit der Marketingmächtigen Lotus-Effektfarbe setzen sich immer mehr Farbenhersteller, und stärker noch die großen Rohstoffhersteller, mit neuen Anforderungen an die Produkte auseinander. Diese Anforderungen resultieren u.a. aus politischen Vorgaben, wie der CO2-Einsparung, einem veränderten Zeitgeist, wie dem sich immer mehr durchsetzenden Anspruch an die Nachhaltigkeit der verwendeten Rohstoffe, sowie aus Wünschen und Forderungen der Verbraucher, denen Megatrends zu Grunde liegen. Lag in der Vergangenheit der Schwerpunkt in der Produktentwicklung in der Optimierung der einzelnen Rezepturbestandteile, z.B. dem Pigment, dem Bindemittel, dem Additiv, sowie der Kostenoptimierung, ohne dabei die systematische Einbeziehung der Eigenschaften des zu beschichtenden Substrats zu berücksichtigen, muss heutzutage einer Neuentwicklung ein holistischer Ansatz vorangehen. Dieser umfasst die umfangreiche Auseinandersetzung mit den physikalischen und chemischen Merkmalen des Substrats, insbesondere der Substratoberfläche als Funktion der Zeit. Erst die Kenntnis der Umweltbelastungen, denen eine Beschichtung ausgesetzt ist, und die Prognose der Wechselwirkung mit dem Substrat erlaubt die Entwicklung einer zukunftsträchtigen, innovativen Bautenfarbe. Neue Ideen aus anderen Anwendungsbereichen, die mit Stichworten wie Nanotechnik, Superhydrophilie oder Hybridisierung verbunden sind, haben bereits in der Bautenfarbenentwicklung Eingang gefunden. Diese Ideen, die in der Fachwelt einen Paradigmenwechsel
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ankündigen, greift das vorliegende Buch auf und versucht, einen Überblick über Innovationen in der Bautenfarbenentwicklung zu schaffen. Das kann naturgemäß nicht vollständig sein. Die wesentlichen marktreifen Neuerungen stammen aus den Labors der großen Hersteller, deshalb lässt es sich nicht vermeiden, auf die Herkunft der Innovationen hinzuweisen. Dabei werden auch aktuelle Forschungsergebnisse aus den Hochschulen gewürdigt. Dieses Buch wendet sich an Produktentwickler, an Sachverständige und an Studierende der höheren Semester sowie alle chemisch-technisch Interessierten, die sich mit Bautenfarben beschäftigen. Horst Reul Illertissen, im März 2013
Bezugsquellen für ausgewählte Rohstoffe finden Sie ab Seite 119
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Inhaltsverzeichnis 1
Von der Farbe zur Bautenfarbe...........................................................11
2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3
Definition von Bautenfarben...............................................................13 Was sind Bautenfarben?.......................................................................................... 13 Bautenfarben – gestern und heute........................................................................ 13 Unterscheidung nach dem Bindemitteltyp.......................................................... 14 Unterscheidung nach dem Einsatzgebiet und Substrat................................... 14 Unterscheidung nach der Dauerhaftigkeit.......................................................... 14
3 Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben.....................................15 3.1 Kunststein: Beton und dessen Oberfläche........................................................... 15 3.1.1 Betonarten und Betoneigenschaften..................................................................... 15 3.1.1.1 Beton in der „flüssigen“ Phase............................................................................... 16 3.1.1.2 Beton in der „festen“ Phase.................................................................................... 16 3.1.1.3 Wasser-Zement-Wert und Anmachwasser.......................................................... 18 3.1.1.4 Zement als Bindemittel............................................................................................ 19 3.1.1.5 Vom Zement zum Beton........................................................................................... 19 3.1.1.6 Zement-Zusammensetzung.................................................................................... 19 3.1.1.7 Einteilung der Zement-Zusatzstoffe...................................................................... 21 3.1.1.8 Zusammensetzung der Beton-Porenlösung........................................................ 22 3.1.2 Betonoberfläche......................................................................................................... 23 3.1.2.1 Schalungsstrukturen des Betons.......................................................................... 24 3.1.2.2 Porigkeit der Betonoberfläche................................................................................ 24 3.1.3 Trennmittel und Entschalungshilfen................................................................... 24 3.1.3.1 Physikalisch wirkende Entschalungsmittel ...................................................... 28 3.1.3.2 Chemisch bzw. physikochemisch wirkende Entschalungsmittel.................. 28 3.1.3.3 Biologisch abbaubare Entschalungshilfen.......................................................... 29 3.1.3.4 Verfärbung der Betonoberfläche .......................................................................... 29 3.1.3.5 Einfluss der Bewitterung auf die Oberflächenbeschaffenheit........................ 29 3.1.4 Resümee...................................................................................................................... 31 3.1.4.1 Anforderungen an eine innovative Bautenfarbe für Beton............................. 31 3.1.5 Normen und Literatur.............................................................................................. 32 3.2 Außen- und Innenputze und deren Oberfläche ................................................. 33 3.2.1 Allgemeine Begriffe und Definitionen................................................................. 33 3.2.2 Außenputze................................................................................................................ 34 3.2.2.1 Belastungen von Außenputzen.............................................................................. 35 3.2.2.2 Normsituation............................................................................................................ 36 3.2.2.3 Bindemittel für mineralisch gebundene Außenputze...................................... 37 3.2.2.4 Zuschläge, Zusätze, Zusatzmittel ......................................................................... 39 3.2.2.5 Typische Außenputz-Rezepturen.......................................................................... 41 3.2.2.6 Außenputz-Oberfläche............................................................................................. 41 3.2.2.7 Anforderungen an Bautenfarben für Außenputze............................................ 43 3.2.2.8 Normen, Richtlinien, Merkblätter, Literatur....................................................... 44 Innenputze – Schwerpunkt Gips- und Gipskalkputze..................................... 44 3.2.3
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Inhalt
3.2.3.1 Funktionen des Innenputzes.................................................................................. 44 3.2.3.2 Bindemittel Gips, mögliche Zuschläge und notwendige Additive................. 46 3.2.3.3 Innenputz-Oberflächen............................................................................................ 49 3.2.3.4 Anforderungen an Bautenfarben für Innenputze............................................. 52 3.2.3.5 Normen, Richtlinien, Merkblätter, Literatur....................................................... 52 3.3 Holz, Holzwerkstoffe und deren Oberfläche ...................................................... 53 3.3.1 Anatomischer Aufbau des Holzes......................................................................... 53 3.3.2 Chemischer Aufbau des Holzes............................................................................. 55 3.3.3 Holzfeuchte................................................................................................................. 56 3.3.4 Dauerhaftigkeit.......................................................................................................... 58 3.3.5 Holzwerkstoffe........................................................................................................... 61 3.3.6 Normen, Literatur..................................................................................................... 63 4 Megatrends und ihr Einfluss auf die Entwicklung von Bautenfarben........................................................................................65 5 Anforderungsprofil an Bautenfarben.................................................67 5.1 Anforderungsprofil aus physikalischer Sicht..................................................... 67 5.2 Anforderungsprofil aus bauchemischer Sicht.................................................... 67 5.3 Anforderungsprofil aus ökologischer Sicht......................................................... 67 5.4 Anforderungsprofil aus gesundheitlicher Sicht................................................. 68 5.5 Anforderungsprofil aus Sicht des Substrats....................................................... 68 5.5.1 Kunststein Beton und Stahlbeton.......................................................................... 68 5.5.2 Putze............................................................................................................................ 72 5.5.2.1 Anstrichstoffe für Außenputze.............................................................................. 72 5.5.2.2 Anstrichstoffe für Innenputze............................................................................... 73 5.5.3 Holz.............................................................................................................................. 74 5.6 Normen, Richtlinien, Merkblätter, Literatur....................................................... 74 6 Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze....................................................................................75 6.1 Neuartige Bindemittel............................................................................................. 75 6.1.1 Silikatische Bindemittelsysteme........................................................................... 75 6.1.2 Kunstharz-Dispersionen.......................................................................................... 80 6.1.3 Hybride organische Bindemittel mit schmutzabweisender Wirkung........... 84 6.1.4 Bindemittel aus nachwachsenden Rohstoffen.................................................... 85 6.2 Neuartige Füllstoffe................................................................................................. 85 6.2.1 Modifizierte Füllstoffe............................................................................................. 86 6.3 Neuartige Pigmente................................................................................................. 87 6.3.1 Photokatalytisch wirkende Pigmente................................................................... 87 6.3.2 Effektpigmente.......................................................................................................... 89 6.3.3 Pigmente mit Patinaeffekt...................................................................................... 90 6.3.4 Optimierte Pigment-Darreichungsform, VOC-arme Pigmentpräparationen............................................................................................. 90 6.3.5 IR-reflektierende Pigmente..................................................................................... 90 6.4 Neue Additive............................................................................................................ 95 6.4.1 UV-Absorber............................................................................................................... 96 6.4.2 Biozide......................................................................................................................... 97 6.4.2.1 Topfkonservierung................................................................................................... 98 6.4.2.2 Beschichtungsschutzmittel bzw. Filmschutzmittel.......................................... 98 6.4.2.3 Einsatz von verkapselten Bioziden........................................................................ 99
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Inhalt
6.4.2.4 Rheologie beeinflussende Additive....................................................................... 99 6.4.2.5 Zellulosefasern als Alternative zu CMC.............................................................. 101 6.4.2.6 Dispergiermittel........................................................................................................ 101 6.4.2.7 Hydrophobierungsadditive..................................................................................... 103 6.5 Literatur...................................................................................................................... 104 7 7.1 7.2 7.3 7.4
Trends in Bautenfarben.......................................................................107 Trends bei Betonbeschichtungen.......................................................................... 107 Trends bei Putzbeschichtungen............................................................................ 108 Trends bei Holzbeschichtungen............................................................................ 109 Literatur...................................................................................................................... 111
8 Fazit......................................................................................................113 8.1 Neue Bindemittel ..................................................................................................... 113 8.2 Neue Füllstoffe........................................................................................................... 113 8.3 Neue Pigmente.......................................................................................................... 113 8.4 Neue Additive............................................................................................................ 113 8.5 Resümee...................................................................................................................... 114 Autor.....................................................................................................115 Danksagung.........................................................................................115 Index.....................................................................................................116 Bezugsquellen......................................................................................119
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Von der Farbe zur Bautenfarbe
Farben ordnen die Welt. Farben stiften Identität. Farben prägen sich ein. Ohne Farben bleibt man unsichtbar. „Die Farbe ist ein fester Bestandteil der menschlichen Umwelt; sie ist Ausdruck und Wesensbestandteil in der Symbolik, Mystik, Ästhetik, Wissenschaft, Kunst und Kultur“ [1]. Die Farbe ist nach DIN 5033 genormt und wird definiert als „ein durch das Auge vermittelter Sinneseindruck, der durch das menschliche Auge auftretende Strahlen ausgelöst wird“ [2]. Funktionaler Charakter der Farbe Farben haben im Wesentlichen zwei Funktionen zu erfüllen, die Schmuckfunktion (Gestaltungsfunktion) – diese reicht vom harmonischen Empfinden bis zur Disharmonie – und die Organisationsfunktion. Der Mensch erkennt Farben schneller als Formen. Deshalb werden Farben in allen Umweltbereichen zur Kennzeichnung eingesetzt. Farben ordnen, weisen hin, markieren, warnen und werben. Man spricht von Kennfarben, Sicherheitsfarben, Ordnungsfarben und Verkehrsfarben. Farben sind demnach Gestaltungs- und Beeinflussungsmittel. Farben im Bauwesen Farben wirken physiologisch und psychologisch. Für die Anwendung am Bau heißt dies, ein entsprechendes Farbklima schaffen, um in den Räumen, in denen wir uns aufhalten, Wohlbefinden zu erzeugen. Die Farbe ist kein Werkstoff. Ein Werkstoff, wie z.B. Pigmente oder Bindemittel, kann allenfalls ein farbiges Aussehen haben. Trotzdem hat sich sowohl umgangssprachlich als auch in der Fachsprache die Wortkombination mit einem Bindemittel und dem Wort Farbe als Werkstoffbezeichnung durchgesetzt. Die „Farbe“ als Werkstoff, Anstrichmittel und Beschichtungsstoff Nachfolgend wird nicht das Grundlagenwissen der Farb- und Anstrichlehre ausführlich wiedergegeben – dazu wird auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen und die Grundlagenkenntnisse werden beim Leser vorausgesetzt. Nachdem nicht nur beim Laien, sondern auch in der Fachwelt in der Terminologie oftmals Überschneidungen vorkommen, werden im Folgenden einige der wesentlichen Begriffe in Erinnerung gerufen. Zu definieren ist zunächst das Anstrichmittel „Farbe“: Hierzu zählen die Produkte im Lieferzustand, eigentlich das Präprodukt. Die Darreichungsform erstreckt sich von der Pulverform über die dünnflüssige Lösung oder Dispersion bis zur noch streichfähigen Paste. Beschichtung, farbige Dünnbeschichtung, Bautenfarbe Ziel ist die Herstellung einer farbigen Schicht auf einem Substrat. Man spricht vom Verbund einer mehr oder weniger dicken Beschichtung auf einem meistens mineralischen Untergrund, der in Wechselwirkung mit der Beschichtung treten kann und selbst mit der Umgebung (Umwelt) in Wechselwirkung tritt. Diese Interaktion einer Dünnbeschichtung
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Von der Farbe zur Bautenfarbe
und der daraus resultierende Einfluss auf die farbige Schicht, die üblicherweise „Farbe“ bezeichnet wird, steht im besonderen Blickpunkt des Interesses im vorliegenden Buch. Zunächst wird der zu beschichtende Untergrund Beton, Putz und Holz beleuchtet, dann das Anforderungsprofil an den Beschichtungsstoff herausgearbeitet und schließlich der Frage nachgegangen, welche Innovationen sich auf dem Bautenfarbensektor abzeichnen. 1.1 Literaturhinweise [1] Wulf, H.: Große Farbwarenkunde; Köln, 1974, S. 28 [2] DIN 5033, Ausgabe 1979 (Neufassung 2009)
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Was sind Bautenfarben?
2
Definition von Bautenfarben
2.1
Was sind Bautenfarben?
13
Das Deutsche Lackinstitut [1] unterscheidet nach Bautenlacken und Bautenfarben. Unter Bautenlacken werden demnach Anstrichstoffe zur Beschichtung von Holz und Metall, zum Beispiel für Fenster, Türen, Heizkörper, Fußböden, meistens auf Basis von Alkydharzen oder Acryldispersionen verstanden. Baufarben ist der Sammelbegriff für alle Anstrichstoffe, die im Bausektor Verwendung finden. Man unterscheidet dabei noch zwischen den Bautenfarben, die für den Anstrich von Wänden und Fassaden verwendet werden und den Bautenlacken, die zur Beschichtung von Holz- und Metalloberflächen z.B. für Türen, Fenster und Heizkörper, eingesetzt werden. Bautenfarben werden auch nach ihrem Einsatzbereich unterschieden, und zwar nach Fassadenfarben und Innenfarben. Baumstark definiert Fassadenfarbe als „Außenfarbe, die auf Fassaden, meistens mineralische Untergründe, aufgetragen wird; besondere Anforderungen werden an die Wetterbeständigkeit gestellt“ [2] und Innenfarben als „Farben, die nur im Innenbereich eingesetzt werden und deshalb nicht wetterbeständig sein müssen […]. Die Kriterien für Innenfarben sind: Verarbeitbarkeit, Deckvermögen, Scheuer- und Waschbeständigkeit“ [3]. Ferner begegnet man auf dem Markt den sogenannten House Paints. Unter diesem Begriff, der aus dem angelsächsischen Bereich stammt, versteht man Beschichtungsstoffe oder Außenfarben, die auf den unterschiedlichsten Untergründen aufgebracht werden können, z.B. auf Fassaden, die aus neuem oder alten Holz sowie mineralischen Putzen bestehen, aber auch auf kritische Untergründe wie Alkydlacke oder Metalloberflächen aufgebracht werden können. House Paints zählen zu den sogenannten Universalfarben für alle an einem Haus zu erwartenden Substrate. Im vorliegenden Buch wird unter Bautenfarben ein Beschichtungsstoff für die Substrate Beton, Naturstein, mineralisch gebundene Putze und bewitterte Holzflächen verstanden.
2.2
Bautenfarben – gestern und heute
Die Beleuchtung des Werdegangs von Bautenfarben seit der Industrialisierung lässt zwei wesentliche Unterscheidungsmerkmale hervortreten • die Unterscheidung nach dem Bindemitteltyp (substratorientiert) • die Unterscheidung nach dem Einsatzgebiet (substratorientiert) Ein weiteres Merkmal, die Applikationsweise, leitet sich meistens aus dem Bindemitteltyp und der Darreichungsform ab. Unterschieden wurden und werden wie in den folgenden Kapiteln zu lesen ist.
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Definition von Bautenfarben
2.2.1 Unterscheidung nach dem Bindemitteltyp In Bautenfarben werden heute vor allem die folgenden genannten anorganischen Bindemittel eingesetzt: • Kalke • Kalke und Weißzement • Wasserglas und organischen Bindemittel (Filmbildner) • Polymerdispersion • Polymerlösungen • Naturharzlösungen sowie Mischsysteme aus beiden • anorganisch/organisch wässrig, organisch lösungsmittelhaltig – Dispersionskalkfarben – Kalkkaseinfarben – Dispersionssilikatfarben • organisch/organisch wässrig – Silikonharzfarben – PU-Harzfarben
2.2.2 Unterscheidung nach dem Einsatzgebiet und Substrat Außen/Fassaden • • • •
Beton Putze Naturstein Holz
Innen • Beton • Putz – kalkgebunden – zementgebunden – gipsgebunden – lehmgebunden • Naturstein • Holz
2.2.3 Unterscheidung nach der Dauerhaftigkeit • temporär • dauerhaft Sowohl in der Fachwelt als auch bei der herstellenden Industrie dominiert die gattungsorientierte (d.h. bindemittelbezogene) Bautenfarbenbezeichnung. Innovationen werden deshalb innerhalb der Gattungsrezepte, z.B. bei Silikonharzfarben, gesucht. Die substratorientierte Sichtweise findet man für das Einsatzgebiet Beschichtung von Holz und Metall. 2.3 Literatur [1] Deutsches Lackinstitut (www.lacke-und-farben.de) [2] Baumstark, R.; Schwartz, M.: Dispersionen für Bautenfarben; Vincentz Network, Hannover, 2001, S. 257 [3] Baumstark, R.; Schwartz, M.: Dispersionen für Bautenfarben; Vincentz Network, Hannover, 2001, S. 262
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Kunststein: Beton und dessen Oberfläche
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3 Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben Innovationen in der Bautenfarbenwelt resultierten fast immer aus dem Bemühen, mit der im Herstellerunternehmen vorhandenen Produktlinie die Einsatzgebiete zu erweitern. So wurden Silikatfarben für den Betonschutz eingesetzt, acrylatbasierende Dispersionsfarben auf kalkhydrathaltigen Putzen, sogenannte Lotus-Farben für nahezu jeden Untergrund empfohlen. Marketingorientierte Aussagen dominieren noch heute bei der Markteinführung solcher Produkte. Fragen nach der Dauerhaftigkeit, besonders nach dem Langzeitverhalten an der Grenzfläche zwischen dem Substrat (Untergrund) und der Beschichtung (Anstrichschicht) können nicht oder nur lückenhaft beantwortet werden, weil die Kenntnis über die Oberflächeneigenschaften der Substrate Defizite aufweist. Im nun folgenden Kapitel wird die Oberflächenbeschaffenheit von Beton, Putzen und Holz im Lichte der physikalischen und chemischen Eigenschaften als Anstrichsubstrat genauer beschrieben. Die genaue Kenntnis der Substratoberflächeneigenschaft als Funktion der Zeit erlaubt die Entwicklung eines geeigneten Beschichtungsproduktes. Dies ist in der jüngsten Zeit noch wichtiger geworden, weil sich die Bindemittelnormen sowie die Normen zur Herstellung von Betonen und Putzen erheblich geändert haben. Die Langzeitfolgen dieser Änderungen sind heute z.T. noch nicht endgültig absehbar. Aus diesem Grund wird auch auf die Normenänderungen hingewiesen, die in jüngster Zeit und künftig erheblichen Einfluss auf die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Substratoberfläche nehmen können.
3.1
Kunststein: Beton und dessen Oberfläche
Unter Beton versteht man einen künstlich hergestellten Stein. Die Ausgangsstoffe sind hydraulisch erhärtende Bindemittel, Zuschlagstoffe, Wasser und Zusätze. Grundlagen für die Herstellung und Prüfung von Beton und Stahlbeton sind in der Bundesrepublik Deutschland unter anderem die Normen DIN EN 206-1 und die DIN 1045-2 sowie DIN EN 12350 und DIN EN 12390. Im Rahmen dieses Buches soll auf die Betonherstellung, auf die Besonderheiten und auf die verschiedensten Anforderungen nicht im Detail eingegangen werden, da es hierüber umfangreiche, hervorragende Literatur gibt und die einzelnen Normen ausführlich Auskunft zu den verschiedensten Fragestellungen geben. Einige wesentliche Merkmale, die für das Verständnis der Betonoberfläche hilfreich und notwendig sind, werden im Folgenden erklärt.
3.1.1
Betonarten und Betoneigenschaften
Beton überstreicht in seiner Bezeichnung zwei Zustände eines Steines und zwar Stein in flüssiger u nd i n fester Form. Diese z wei Beton-Zustände werden weiterhin nach den verschiedenen Merkmalen unterteilt. Horst Reul: Innovationen in Bautenfarben © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
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3.1.1.1
Beton in der „flüssigen“ Phase
Beton in der flüssigen Phase ordnet man nach Fließverhalten, Verarbeitungsverfahren, -eigenschaft, -konsistenz und -zeit, der Herstellungsort, Art der Beförderung und der Oberflächenbehandlung. • Fließverhalten (ohne Rüttelenergiezufuhr) – Fließbeton – selbstverdichtender Beton (SVB) • Verarbeitungsverfahren – Stampfbeton – Walzbeton – Vergussbeton – Rüttelbeton – Schüttbeton • Verarbeitungseigenschaften, Verarbeitungskonsistenz – steifer Beton – plastischer Beton – Fließbeton • Verarbeitungszeit – verzögerter Beton – beschleunigter Beton • Herstellort – Werkbeton – Baustellenbeton • Art der Beförderung – Transportbeton/Lieferbeton – Pumpbeton • Fertigung und Oberflächenbehandlung – Spritzbeton – Schleuderbeton – Gleitbeton – Vakuumbeton 3.1.1.2
Beton in der „festen“ Phase
Ebenfalls kann der Beton aus der festen Phase nach verschiedenen Kriterien unterschieden werden, die sich nach der Dichte, den Verbundmaterialien und -verfahren, der Porosität, den mechanischen Merkmalen, der Ästhetik, der Funktion, den Belastungsvorgaben auszeichnen sowie ob es sich um vorgefertigten Beton handelt oder ob den Beton eine besondere Güte auszeichnet. Auch hier kann eine weitere Diversifizierung vorgenommen werden: • Trockenrohdichte – Leichtbeton – Normalbeton – Schwerbeton • Verbundmaterialien und Verbundverfahren – Stahlbeton – Spannbeton
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Kunststein: Beton und dessen Oberfläche
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– Faserbeton – Glasfaserbeton – Stahlfaserbeton – Textilbeton • Porosität der Matrix – Porenbeton – Porenleichtbeton • mechanischen Merkmalen, besonders der Druckfestigkeit – fester Beton – hochfester Beton – ultrahochfester Beton • Erscheinungsbild (Ästhetik) – Sichtbeton – Weißbeton – farbiger Beton – Waschbeton – österreichischer Waschbeton – strukturierter, gestalteter Beton • Einsatz- und Aufgabengebieten (Funktion) – Brückenbeton – Straßenbeton – Strahlenschutzbeton – Tresorbeton – Unterwasserbeton – Geobeton – Dränbeton – Bunkerbeton – Trinkwasserbehälterbeton – Tunnelbeton • Art der Belastung und des Angriffs – frost-/taubeständiger Beton – tausalzbeständiger Beton – sulfatbeständiger Beton – wasserundurchlässiger Beton – meerwasserbeständiger Beton – verschleißbeständiger Beton • vorgefertigter Beton – Fertigteile, Stahlbetonfertigteile – Betonwaren, z.B. in Großserien hergestellte, kleinformatige Betonerzeugnisse – Betonwerkstein, vorgefertigte Betonbauteile, deren Oberfläche betonwerksteinmäßig bearbeitet ist • wertebehaftete Einteilung des Betons – guter Beton – schlechter Beton – Standardbeton – Architekturbeton – Feinbeton
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
Von Bedeutung ist die Unterteilung nach dem Erhärtungszustand. Man unterscheidet hier nach • Frischbeton • jungem Beton und • Festbeton Unter Frischbeton versteht man Beton, der noch verarbeitbar ist; junger Beton dagegen ist nicht mehr verarbeitbar, hochalkalisch und ist gerade erhärtet, aber noch nicht belastbar, Festbeton dagegen ist bereits erhärtet und belastbar. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass besonders in den ersten beiden Jahrzehnten nach Kriegsende aufgrund der ausschließlich auf die Druckfestigkeit bezogenen Denkweise die meisten Hochbauten, die keiner großen Belastung ausgesetzt waren, nur Betonqualitäten von B 15 (C 16/20) bzw. maximal B 25 (C 20/25) besitzen. Diese Qualitäten genügen unseren heutigen Anforderungen unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit längst nicht mehr. In der neuen Norm wurde den erhöhten Anforderungen Rechnung getragen und sogenannte Expositionsklassen eingeführt. 3.1.1.3 Wasser-Zement-Wert und Anmachwasser Die Summe aus Zugabewasser und Zuschlagsfeuchte in einer Betonmischung ins Verhältnis gesetzt zum Zementgewicht wird auch Wasser-Zement-Wert oder W/Z-Wert genannt. Gelegentlich wird in der neueren Literatur der W/Z-Wert auch nur mit dem Kleinbuchstaben w bezeichnet. Zement (Zementarten siehe Tabelle 3.2 Seite 20) benötigt maximal 25 Gew.-% Anmachwasser zur vollständigen Erhärtung. Damit erhält man jedoch ohne spezielle Zusätze meistens keinen verarbeitbaren Beton. Der gebräuchliche Wasseranteil liegt deshalb bei 45 bis 60 % vom Zementgewicht. Tabelle 3.1: Druckfestigkeitsklassen für Normal-/Schwerbeton Der W/Z-Wert liegt also bei 0,45 und hochfesten Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 bis 0,6. Druckfestigkeitsklasse
fck, cyl [N/mm2]
fck, cube [N/mm2]
C 8/10
8
10
C 12/15
12
15
C 16/20
16
20
C 20/25
20
25
C 25/30
25
30
C 30/37
30
37
C 35/45
35
45
C 45/55
45
55
C 50/60
50
60
C 55/67
55
67
C 60/75
60
75
C 70/85
70
85
C 80/95
80
95
C 90/105
90
105
C 110/115
110
115
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In der Vergangenheit wurde oft ein Wasser-/Zementwert von bis zu 0,7 toleriert mit den entsprechenden negativen Folgen für die Betonqualität. Das zur Erhärtung nicht benötigte Wasser verdunstet und hinterlässt Hohlräume. Diese Hohlräume liegen als feinste Haarröhrchen (Kapillaren) oder auch als Poren vor. Je höher der Wasser-/Zementwert, desto poriger der Zementstein, desto geringer ist die Druckfestigkeit. Der Bedarf des Beton-Anmachwassers richtet sich nach dem Feinheitsgrad des verwendeten Zementes und der Zusatzstoffe, der Restfeuchte des Zuschlags und der gewünschten Betonkonsistenz.
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Kunststein: Beton und dessen Oberfläche
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Durch Zugabe von Betonverflüssigern oder Fließmitteln kann der Anmachwasserbedarf und damit der Wasser-/Zementwert deutlich reduziert werden. Das einmal eingestellte WasserZement-Verhältnis ist unumkehrbar und beeinflusst die Festbetoneigenschaften wesentlich. Unumkehrbar bedeutet in diesem Zusammenhang, dass einem erhärteten Beton, bzw. einem in der Erhärtungsreaktion befindlichen Beton nachträglich kein Wasser mehr hinzugefügt werden kann und darf, weil die chemische Reaktion bereits wie bei einem Harz/ Härtersystem begonnen hat. Dies unterscheidet das Bindemittel Zement im Beton z.B. von einem filmbildenden oder in Wasser löslichen Anstrichbindemittel. Besonders in den Wiederaufbaujahren nach dem 2. Weltkrieg wurde häufig Beton mit hohen Wasser-Zement-Werten und relativ geringen Zementgehalten eingesetzt. Zu geringer Zementgehalt führte aufgrund der damit verbundenen geringen Alkalitätsreserve zudem zu vermindertem Korrosionsschutz der Bewehrung. Die Folgen davon sind die heutigen korrosionsbedingten Schäden. 3.1.1.4
Zement als Bindemittel
Wie bei einer Beschichtung hängen die Eigenschaften des Betons und besonders der Oberflächen von der Qualität der Ausgangsstoffe, der Rezeptur, der Mischung und den Verarbeitungsbedingungen sowie den Aushärtungsbedingungen ab. Ausschlaggebend für die Qualität eines Betons sind die Zusammensetzung und der prozentuale Anteil des Bindemittels Zement in der Ausgangsmischung und der Anteil des sogenannten Anmachwassers, unter Bezug auf das Bindemittelgewicht. In Abhängigkeit von der Ausgangszusammensetzung und den Aushärtungsbedingungen erhält man Betone mit Druckfestigkeiten von 8 bis 115 N/mm2, siehe Tabelle 3.1. 3.1.1.5 Vom Zement zum Beton Die zur Betonherstellung verwendeten Zemente sind i.d.R. keine chemisch eindeutig definierten Substanzen, sondern Gemische verschiedener Calciumsilikate und -aluminate sowie -ferrate. Die Erhärtungsreaktion, die sogenannte Hydratation der Zementmineralien eines typischen Portland-Zementes wird nachfolgend aufgeführt. 2 C3S + H → C3S2H3 + 3 CH + 229 kJ 2 C2S + 4 H → C3S2H3 + CH + 86,5 kJ C3A + 12 H + CH → C4AH13 + 361 kJ C3A + 3 (CaSO4 · 2 H2O) + 26 H2O → C3A · 3 CaSO4 · 32 H2O C = CaO
A = Al2O3
S = SiO2
H = H 2O
3.1.1.6 Zement-Zusammensetzung Die europäische Zementnorm DIN 197-1 unterscheidet verschiedene Hauptarten von Zementen, die letztendlich Zubereitungen sind. Neben Portland-Zement enthalten sie z.B. Hüttensand, Silikastaub, Flugasche, gebrannten Schiefer, Kalkstein und Puzzolane. Die nachfolgende Tabelle 3.2 zeigt im Überblick die genormten Zementarten und ZementZusammensetzungen nach DIN EN 197-1. Der Reaktionsvorgang der Mineralien im Portland-Zement nach Kontakt mit Wasser lässt sich mit einem Harz-/Härtersystem vergleichen, wobei Wasser als Härter zu betrachten ist. Es bilden sich während der Zementhydratation Polyhydrosilikate und -aluminate. Zusammengefasst: Nach dem Kontakt des Bindemittels Portland-Zement mit dem Anmachwasser finden Reaktionen statt, die man Hydratation- und Hydrolyse-Reaktion nennt. Die
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Hauptreaktionsprodukte der Hydratation sind die Hydratphasen der Ausgangsklinkerphasen, also Calciumsilikathydrate und Calciumaluminatsulfathydrate. Als quantitativ wesentliches Hydrolyseprodukt bildet sich bei Portland-Zement bis zu 25 % der starken Lauge Calciumhydroxid. Außerdem reagieren die im Zement enthaltenen Alkalioxide zu den in ihrer Reaktionsfähigkeit nicht zu unterschätzenden Nebenkomponenten, der ätzend wirkenden Natron- und Kalilauge. Nachdem Betone als Resultat des Erhärtungsverhalten eines Vielstoffgemisches vorliegen, muss kurz noch auf die anderen Bestandteile, die an der Erhärtungsreaktion teilnehmen, Tabelle 3.2: Zementarten und Zusammensetzung der Zemente nach DIN EN 197-1 Zementart Hauptart
Benennung
Kurzzeichen
Hauptbestandteile neben Portlandzementklinker Art Anteil [M.-%]
CEM I
Portland-Zement
CEM I
–
Portland-Hüttenzement Portland-Silikastaubzement
CEM II/A-S CEM II/B-S CEM II/A-D CEM II/A-P
Portland-Puzzolanzement
CEM II/B-P CEM II/A-Q CEM II/B-Q CEM II/A-V
CEM II
PortlandFlugaschezement
CEM II/B-V CEM II/A-W CEM II/B-W
Portland-Schieferzement
CEM II/A-T CEM II/B-T CEM II/A-L
Portland-Kalksteinzement
CEM II/B-L CEM II/A-LL CEM II/B-LL
Portland-Kompositzement
CEM II/A-M CEM II/B-M
Hüttensand (S) Silikastaub (D) natürliches Puzzolan (P)
künstliches Puzzolan (Q) kieselsäurereiche Flugasche (V) kalkreiche Flugasche (W)
gebrannter Schiefer (T)
Kalkstein (L)
Kalkstein (LL) alle Hauptbestandteile sind möglich (S, D, P, Q, V, W, T, L, LL)
CEM III/A CEM III
Hochofenzemnet
CEM III/B
Puzzolanzement
CEM V
Kompositzement
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CEM IV/A CEM IV/B CEM V/A CEM V/B
21 – 35 6 – 10 6 – 20 21 – 35 6 – 20 21 – 35 6 – 20 21 – 35 6 – 20 21 – 35 6 – 20 21 – 35 6 – 20 21 – 35 6 – 20 21 – 35 6 – 20 21 – 35 36 – 65
Hüttensand (S)
CEM III/C CEM IV
0 6 – 20
66 – 80 81 – 95
Puzzolane (D, P, Q, V, W) Hüttensand (S) und Puzzolane (P, Q, V)
11 – 35 36 – 55 18 – 30 31 – 50
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Kunststein: Beton und dessen Oberfläche
Abbildung 3.1: Wesentliche Betonzusatzstoffgruppen und -arten
21
Quelle: Lafarge Betonhandbuch
Hüttensand ist in Deutschland nicht als Betonzusatzstoff (BZS) genormt oder zugelassen. Er wird ausschließlich als Hauptbestandteil bei der Herstellung von hüttensandhaltigen Zementen (CEM III, CEM II-S usw.) verwendet. DIN EN 206-1/DIN 1045-2 unterscheiden lediglich zwei Arten von anorganischen BZS. Typ I: nahezu inaktive (inerte) BZS, Typ II: puzzolanische oder latent-hydraulische BZS
eingegangen werden. Diese Zusätze werden Betonzusatzstoffe genannt und nach inerten bzw. inaktiven Zusatzstoffen und puzzolanischen oder latent-hydraulisch wirksamen Zusatzstoffen unterschieden. Abbildung 3.1 gibt einen Überblick über die Betonzusatzstoffe. 3.1.1.7
Einteilung der Zement-Zusatzstoffe
Für die Eigenschaften der Betonoberfläche sind darüber hinaus noch die Zusatzmittel von Interesse. Diese dienen der Regulierung der physikalischen und chemischen Eigenschaften während des Abbindevorgangs von Zementleim und nehmen erheblichen Einfluss auf die Eigenschaften des Zementsteins im Beton. Man unterscheidet nach DIN EN 934-2 insgesamt elf Wirkungsgruppen: BV Betonverflüssiger – Verminderung des Wasseranspruchs und/oder Verbesserung der Verarbeitbarkeit FM Fließmittel – Verminderung des Wasseranspruchs und/oder Verbesserung der Verarbeitbarkeit zur Herstellung von Beton mit fließfähiger Konsistenz und Beton mit selbstverdichtenden Eigenschaften
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
22
Tabelle 3.3: Semiquantitative Röntgenfluoreszenzanalyse einer Betonprobe No.
Substanz
in % [m/m]
11
Na 2O
0,26
12
MgO
1,64
13
Al2O3
3,52
14
SiO2
26,55
15
P 2O 5
0,126
16
SO3
1,85
17
Cl
0,023
19
K 2O
0,438
20
CaO
22
TiO2
0,146
25
MnO
0,042
26
Fe2O3
1,38
38
SrO
0,038
40
ZrO2
0,01
Σ
La–Lu
0,025
34,82
LP Luftporenbildner – Einführung von Mikroporen zur Erhöhung des Frostund Taumittelwiderstands DM Dichtungsmittel – Verminderung der kapillaren Wasseraufnahme VZ Erstarrungsverzögerer – Verzögerung des Erstarrens BE Erstarrungsbeschleuniger – Beschleunigung des Erstarrens BE Erhärtungsbeschleuniger – Beschleunigung des Erhärtens ST Stabilisierer – Verminderung des Absonderns von Anmachwasser Die DIN EN 934-2 regelt auch mehrfunktionelle Zusatzmittel. Diese sind BV/VZ Verzögerer mit Beton verflüssigender Wirkung FM/VZ Fließmittel mit verzögernder Wirkung BV/BE Betonverflüssiger mit erstarrungsbeschleunigender Wirkung
In Deutschland sind auch noch die nachfolgenden Wirkungsgruppen auf dem Markt, aber von untergeordneter Bedeutung. CR Chromatreduzierer – Reduktion des Hautkrebs erregenden Cr(VI) im Zement zu Cr(III) RH Recylinghilfen für Waschwasser – Wiederverwendung von Waschwasser, das beim Reinigen von Mischfahrzeugen und Mischern anfällt SB Schaumbildner – Einführung von Luftporen zur Herstellung eines Schaumbetons bzw. Betons mit porosiertem Zementstein Die Zusammensetzung des erhärteten Betons lässt sich mit Hilfe der Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) und Röntgendiffraktionsanalyse (RDA) leicht Tabelle 3.4: Röntgendiffraktometrie (RDA) einer Betonprobe, feststellen. Die nachfolgende RFAquantitative Phasenanalyse nach Rietveld Tabelle und das RDA-Spektrum Probe: 0369 zeigen exemplarisch die Element[M %] aus Phase Formel verteilung und das phasenanalyAbb. 3.2 tische Ergebnis. Quarz
SiO2
38,5 ± 2,0
Calcit
CaCO3
34,9 ± 2,0
Dolomit
CaMg(CO3 ) 2
5,5 ± 1,2
Portlandit
Ca(OH) 2
4,6 ± 0,6
Anorthit
CaAl2Si2O8
4,5 ± 0,9
Muscovit
KAl2 (OH, F) 2 [AlSi3O10 ]
3,5 ± 1,0
Ettringit
Ca6Al2 [(OH12(SO4) 3 ] · 26 H2O
2,7 ± 0,6
Microcline
KAlSi3O8
2,7 ± 0,7
Gips
CaSO4 x 2H2O
1,7 ± 0,5
Cordierit
Mg2Al4Si5O18
1,4 ± 0,4
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3.1.1.8 Zusammensetzung der Beton-Porenlösung Für das Verständnis der Oberflächenbeschaffenheit eines Betons ist u.a. die Kenntnis der Zusammensetzung der Porenlösung notwendig. Unmittelbar nach der Zugabe des Wassers zum Zement entsteht eine Lösung, die überwiegend aus Alkali- und Calciumsulfaten
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Kunststein: Beton und dessen Oberfläche
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Abbildung 3.2: Röntgenbeugungsdiagramm (RDA) einer Betonprobe
sowie Calciumhydroxid besteht. Die Zusammensetzung wird durch Wechselwirkung mit den entstehenden Hydratphasen beeinflusst, so dass die Porenlösung nach Ablauf der Ruheperiode und nach dem Verbrauch des gelösten Sulfats hauptsächlich im Gleichgewicht mit – OH -, K+ -, Na+ - und Ca2+-Ionen steht. Der pH-Wert dieser Lösung liegt bei einem Wert von 12,5 bis 13. Das Lösungsgleichgewicht wird unter anderem durch die Wirkstoffe in Betonzusatzmitteln und Betonzusatzstoffen auf unterschiedliche Weise beeinflusst. –
Hohe OH -Konzentrationen in der Porenlösung mit pH-Werten über 12 schützen Bewehrungsstahl wirksam vor Korrosion. Die Carbonatisierung des Betons senkt den pH-Wert und hebt den Korrosionsschutz bei pH-Werten unter 11 auf. Die Herstellung von Beton mit Betonzusatzstoffen im Austausch mit Zement oder mit hüttensand- bzw. puzzolanreichen Zementen erfordert demnach den Erhalt einer auf die Nutzungsdauer abgestimmten, ausreichend hoch bemessenen Alkalireserve, um eine schnelle Carbonatisierung zu verhindern.
3.1.2 Betonoberfläche Die Betonoberfläche wird durch die Schalung geprägt. Die Ausnahme hiervon bildet die Oberfläche des Betonbodens, deren Eigenschaften durch die Oberflächenbehandlung, z.B. Flügelglätten oder durch Strukturierung vor der Erhärtung wie eines „Besenstriches“ oder nach dem Erhärten, z.B. durch Schleifen oder Polieren, beeinflusst wird. Dem Buchthema folgend, ist die vertikale und als Decke genutzte Betonoberfläche von Interesse. Betonflächen mit Anforderungen an das Aussehen werden Sichtbeton genannt. Dem aktuellen Merkblatt „Sichtbeton“ Ausgabe 2004 entsprechend, versteht man unter Sichtbeton „Ansichtsflächen, die nach der Fertigstellung sichtbar bleiben und die Merkmale der Gestaltung und der Herstellung erkennen lassen, z.B. Form, Textur, Farbe, Schalhaut und Fugen.
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
24
Die Ansichtsfläche bestimmt maßgebend die architektonische Wirkung eines Bauteils oder Bauwerks. Nach dem vorgenannten Merkblatt werden verschiedene Sichtbetonklassen unterschieden. Die Unterscheidung basiert auf Anforderungen an die Porigkeit, FarbtonGleichmäßigkeit, Ebenheit und Arbeits- bzw. Schalhautfugen. Die Tabelle 3.5 gibt eine Übersicht über die Anforderungen an geschalte Sichtbetonflächen. 3.1.2.1
Schalungsstrukturen des Betons
Beton besitzt nach dem Erhärten die Eigenschaften und das Aussehen eines Gesteins. Geprägt wird das Aussehen durch den Schalungsabdruck. Dieser reicht von einer sägerauen bis zu einer gestalteten Brettstruktur. Die Oberfläche kann glatt oder durch Strukturmatrizen gezeichnet sein. Die optischen Wirkungen, die heutzutage mit Hilfe des Schalungsabdrucks auf den Beton erreicht werden können, sind vielfältig. Nachdem die Schalungsstruktur ausschlaggebend für die Oberflächengestaltung und Oberflächengüte eines Betons ist, soll nachfolgend tiefer auf die Schalungen eingegangen werden. Ausschlaggebend ist die sogenannte Schalhaut, diese kann aus unbeschichteten Holzwerkstoffplatten bestehen, aus Sperrholzplatten, aus Schichtplatten, aus Platten mit Firnbeschichtung, aus Kunststoffplatten oder aus Metallschalungen. Die Tabelle 3.6 vermittelt einen Überblick über die Eigenschaften verschiedener Schalungsoberflächen. Die Schalungsstruktur erzeugt verschiedene Strukturbilder. Neben den Rasterstrukturen der verwendeten Schalungen, ob kleinteilige Elemente oder Einzelbretter oder großformatige Elemente, erzielt man Oberflächenstrukturen von glänzend über matt, grob, fein oder rau, die darüber hinaus auch vom verwendeten Beton bzw. dessen Mischung abhängen. 3.1.2.2
Porigkeit der Betonoberfläche
Die Betonoberfläche wird auch nach ihrer unterschiedlichen Porigkeit unterschieden. Die Betonoberfläche wird nach Porigkeitsklassen eingeteilt. Definiert wird dies nach dem maximalen Porenanteil in Quadratmillimeter bei einer Prüffläche von 500 · 500 mm. Die Tabelle 3.7, entnommen aus dem DBV-Merkblatt, gibt einen Überblick über die Anforderungen an die Porigkeitsklassen. Die Oberflächeneigenschaften des entschalten Betons hängen nicht nur von der Art der verwendeten Schalung und deren Qualität ab, sondern auch vom verwendeten Entschalungsmittel oder der Entschalungshilfe. Nachdem Reste der Entschalungshilfe oder ein Entschalungsfilm über längere Zeit auf der Betonoberfläche verweilen können und diese direkt mit dem Anstrichstoff bzw. Beschichtungsstoff wechselwirken, soll nachfolgend kurz auf die Zusammensetzung und deren Wirkprinzip eingegangen werden.
3.1.3
Trennmittel und Entschalungshilfen
Entschalungshilfen sollen beim Ausschalen die Haftung zwischen dem Beton und seiner Schalung verringern bzw. verhindern sowie Schäden an der Betonoberfläche und dem Schalungsmaterial vermeiden. Der Architekt und der Auftraggeber erwarten eine Vielzahl von Merkmalen wie: • • • • • •
einwandfreie Abformung der Schalhautoberfläche, keinerlei Absanden oder Abmehlen, keinerlei Fleckenbildung, farblich gleichmäßige Oberflächen, Ausgleich von fertigungstechnisch- oder witterungsbedingten Farbunterschieden, Lunker- und Porenfreiheit,
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7
6
5
4
3
2
1
T3
T4
Betonflächen mit besonders hoher gestalterischer Bedeutung, repräsantive Bauteile im Hochbau
SB 4
T2
SB 3
Betonflächen mit normalen gestalterischen Anforderungen, z. B.: Treppenhausräume; Stützwände
T1
Textur
P4
P3
P2
s4
P1
P3
P2
P1
ns4
Porigkeit4
FT3
FT2
FT2
FT1
s4
FT2
FT2
FT2
FT1
ns4
Farbtongleichmäßigkeit
E2
E2
E1
E1
Ebenheit
AF4
AF3
AF2
AF1
Arbeitsund Schalhautfugen
Anforderungen an geschalte Sichtbetonflächen2,3 nach Klassen bezüglich
Betonflächen mit hohen gestalterischen Anforderungen, z. B.: Fassaden im Hochbau
SB 2
SB 1
Betonflächen mit geringen gestalterischen Anforderungen, z. B.: Kellerwände oder Bereiche mit vorwiegend gewerblicher Nutzung
Beispiel
erforderlich
dringend empfohlen
empfohlen
freigestellt
Erprobungsfläche6
SHK3
SHK2
SHK2
SHK1
Schalhautklasse7
Weitere Anforderungen
sehr hoch
hoch
mittel
niedrig
Kosten
Quelle: DBV Merkblatt Sichtbeton 8/2008
Zur Erfüllung der Anforderungen an die Sichtbetonklassen sind die Hinweise dieses Merkblatts zu beachten Die gestalterische Wirkung der Ansichtsfläche einer Sichtbetonklasse ist grundsätzlich nur in ihrer Gesamtwirkung angemessen beurteilbar. d. h. nicht nach Maßgabe absolut erklärter Einzelmerkmale. Die Verfehlung von vertraglich vereinbarten Einzelmerkma!en im Sinne dieses Merkblattes soll daher dann nicht zu einer Pflicht zur Mängelbeseitigung führen, wenn der Gesamteindruck des betroffenen Bauteils oder Bauwerks in seiner Gestaltungswirkung nicht gestört ist. Diese Anforderungen/Eigenschaften werden in Tabelle 2, im DBV-Merkblatt Sichtbeton, näher beschrieben. Siehe Tabelle 4, im DBV-Merkblatt Sichtbeton: Erläuterung: s = saugende bzw. ns = nichtsaugende Schalhaut Der Gesamteindruck bei vorhandenen oder nicht vorhandenen Farbtonunterschieden ist i. d. R. erst nach längerer Standzeit (u. U. nach mehreren Wochen) beurteilbar. Die Farbtongleichmäßigkeit ist aus dem üblichen Betrachtungsabstand gemäß Abschnitt 7, im DBV-Merkblatt Sichtbeton, zu beurteilen. Gegebenenfalls sollten mehrere Erprobungsflächen angefertigt werden. Siehe Tabelle 3, im DBV-Merkblatt Sichtbeton
4
3
2
1
Sichtbetonklasse1
geringen normalen Anforderungen Anforderungen
besonderen Anforderungen
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Sichtbeton mit
Tabelle 3.5: Sichtbetonklassen und Anforderungen an Sichtbetonflächen
Kunststein: Beton und dessen Oberfläche 25
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leicht raue Textur der BO raue Bretttextur, von Schnittverfahren abhängig, BO-Farbton dunkel glatte Bretttextur, Maserung erkennbar, BO-Farbton dunkel glatt, leichte Holzmaserung auf BO ausgeprägte Holztextur, sonst wie 2c leicht raue Textur, Maserung teilweise erkennbar glatte Bretttextur, Maserung erkennbar, bei Ersteinsatz u. U. sehr dunkle BO glatt 0
Holzwerkstoffplatten, unbeschichtet (Spanplatten nach DIN 68793)
Bretter sägerau
Bretter gehobelt
Holzobenflächen geschliffen, unbeschichtet roh; z. B. 3-Schichtplatten, Bretter und Brettplatten
wie 2c, Oberfläche gebürstet
Sperrholzplatte oder Seekieferplatte
Nadelhol-Brettplatte (oberflächenvergütet)
Furniersperrholz mit saugender Filmbeschichtung
bisher wenig praktische Erfahrungen
Saugfähigkeit und Ausprägung der Textur bei mehrfachem Einsatz abnehmend, Holzzuckereinfluss beachten (Absandung)
Saugfähigkeit und Ausprägung der Textur bei mehrfachem Einsatz abnehmend, Holzzuckereinfluss beachten (Absandung)
wie 2c
saugend, mit steigender Einsatzzahl abfallend, Holzzuckereinfluss beachten (Absandung)
Saugfähigkeit und Ausprägung der Textur bei mehrfachem Einsatz abnehmend, Holzzuckereinfluss beachten (Absandung)
Saugfähigkeit und Ausprägung der Textur bei mehrfachem Einsatz abnehmend, Holzzuckereinfluss beachten (Absandung), einzelne Holzfasern in BO
starke Farbtonunterschiede, fleckig
Mögliche Auswirkungen auf die Betonoberfläche bzw. Anwendungsbereiche
bisher wenig praktische Erfahrungen
ca. 10 bis 15 Einsätze
ca. 3 Einsätze
wie 2c
Platten bis 10 Bretter 5 bis 10 Einsätze
bis ca. 5 Einsätze
bis ca. 3, bei SB 4 nur einmaliger Einsatz
ca. 2 bis 3 Einsätze (Entsorgung aufwändig)
Anhaltswerte bzw. Einsatzhäufigkeit2
DBV Merkblatt Sichtbeton 8/2008
1 F ilmbeschichtung , in der Regel Phenolharzpapier unterschiedlicher Beschichtungsdicke ab 120 g/m2 bis 600 g/m2; je nach Trägerplatte; siehe Herstellerangaben 2 Die angegebene Einsatzhäufigkeit gilt je nach Güte und Qualität der Schalhaut sowie in Abhängigkeit von den Sichtbetonklassen SB 1 bis SB 3 (s. Tab. 1, im DBV-Merkblatt Sichtbeton). Für die Klasse SB 4 kann die Einsatzhäufigkeit erheblich abnehmen (s. Tab. 3, im DBV-Merkblatt Sichtbeton). 3 Einsatz bisher vorrangig bei Rahmen- und Paneelschalungen, d. h. in Rahmen eingelegt
4
3b
3a
2d
2c
2b
2a
1
Merkmale/Textur (Struktur) der Betonoberfläche (BO)
Art der Schalhaut
Tabelle 3.6: Eigenschaften verschiedener Schalungsoberflächen
Eigenschaft
saugend
Reul_Bautenfarben.indb 26
schwach saugend
26 Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
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Zelle
stärkere Neigung zu Unregelmäßigkeiten (Farbunterschiede, Wolkenbildung, mamorierung)
derzeit nur als Rahmenschalung erhältlich
glatte, ausgeprägte Holzmaserung auf BO sichtbar glatt, keine Textur
glatte, sehr helle BO
Textur nach Herstellerangebot beliebig gestaltbar, BO hell glatt
glatt Textur des Drainvlieses siehe Herstellerangaben
3-Schichtplatte (gebürstet, oberflächenvergütet, DIN 18215)
Platten mit Filmbeschichtung, im Allg. Phenolharzfilm, auf – Furniersperrholzplatten – Stab- und Stäbchensperrholzplatten
Kunststoff-Platten3 Verbund-Konstruktion mit Alufolie oder Glasfaser verstärkt
Kunststoff-Matrizen
runde Stützenschalungen (Kunststoffrohre, Folienverbundmaterialrohre)
Metallschalungen
Drainvlies Sonderfall zur Ableitung von Überschusswasser aus der Betonoberfläche
dunkle, weitgehend porenfreie BO, im Allgemeinen keine Sichtbetonanwendung, Risiko zur Faltenbildung
Neigung zu erhöhter Porenbildung und Mamorierung, Rostflecken auf BO möglich
Neigung zu erhöhter Porenbildung und Mamorierung
bisher wenig praktische Erfahrungen
Es liegen unterschiedliche Erfahrungen vor
Es liegen unterschiedliche Erfahrungen vor
glatte, leichte Holzmaserung auf BO sichtbar
3-Schichtplatte (geschliffen, oberflächenvergütet, DIN 18215)
Mögliche Auswirkungen auf die Betonoberfläche bzw. Anwendungsbereiche
Merkmale/Textur (Struktur) der Betonoberfläche (BO)
Art der Schalhaut
materialabhängig: 1 bis 2 Einsätze
ca. 100 Einsätze
1 Einsätze
je nach Erzeugnis; bei Matrizen große Einsatzzahlen erreichbar
ca. 100 Einsätze
5–30 Einsätze, Einsatzzahl je nach Plattenaufbau und Filmbeschichtung
ca. 8 bis 15 Einsätze
ca. 15 bis 20 Einsätze
Anhaltswerte bzw. Einsatzhäufigkeit2
1 F ilmbeschichtung , in der Regel Phenolharzpapier unterschiedlicher Beschichtungsdicke ab 120 g/m2 bis 600 g/m2; je nach Trägerplatte; siehe Herstellerangaben 2 Die angegebene Einsatzhäufigkeit gilt je nach Güte und Qualität der Schalhaut sowie in Abhängigkeit von den Sichtbetonklassen SB 1 bis SB 3 (s. Tab. 1, im DBV-Merkblatt Sichtbeton). Für die Klasse SB 4 kann die Einsatzhäufigkeit erheblich abnehmen (s. Tab. 3, im DBV-Merkblatt Sichtbeton). 3 Einsatz bisher vorrangig bei Rahmen- und Paneelschalungen, d. h. in Rahmen eingelegt
11
10
9
8
7
61
5b
5a
nichtsaugend
Sonderschalhäute
Reul_Bautenfarben.indb 27
schwach saugend
Eigenschaft
Tabelle 3-6: Fortsetzung
Kunststein: Beton und dessen Oberfläche 27
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
28
• Schonung des teuren Schalungsmaterials, • Unterdrückung von Kalkausblühungen, • keinerlei Einfluss auf die Haftung von Anstrichen, Putzen, Klebern auf dem Betonuntergrund, • einen äußerst niedrigen Preis, • Vermeidung jeglicher Nacharbeitung an den ausgeschalten Flächen • und Vermeidung von Rost auf dem Stahl. Ferner wird ein Bündel an weiteren Anforderungen wie erhöhte Regenfestigkeit, Resistenz gegen UV-Strahlung u.a. gefordert. Auf dieses Anforderungsprofil soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Wirkungsweise der Entschalungsmittel: Obwohl die Wirkungsweise der verschiedenen auf dem Markt befindlichen Entschalungsmittel in ihren Einzelheiten keinesfalls umfangreich erforscht ist, und die Mechanismen relativ kompliziert sind, besteht in der Fachwelt Einigkeit darüber, dass sowohl physikalische als auch chemische Effekte beteiligt sind. Um diese Effekte zu erzielen, kann man zwei Wege einschlagen. Man appliziert von vornherein • hydrophobe Substanzen auf die Schalung oder • latent hydrophobe Substanzen, die mit Bestandteilen des Zementleims reagieren und nach der Umsetzung hydrophobierend wirken. 3.1.3.1
Physikalisch wirkende Entschalungsmittel
Als Rohstoffe werden hierfür Paraffine, Erdwachs, Pflanzenwachs, Silikonöle, unverseifbare Harze, Perfluorether, Mineralöle, Syntheseöle, spezielle Glykole, höherwertige Alkohole, aromatische Kohlenwasserstoffe (werden in jüngerer Zeit nicht mehr verwendet) und z.T. im Ausland noch halogenierte Kohlenwasserstoffe verwendet. Die Wirkungsweise basiert darauf, dass sich zwischen dem hydrophilen Zementleim und der Schaloberfläche ein Trennfilm bildet. Der Trenneffekt erhöht sich mit der Filmfestigkeit und Widerstandsfähigkeit des Trennmittels gegen Temperatur- und Reibungseinflüsse. 3.1.3.2
Chemisch bzw. physikochemisch wirkende Entschalungsmittel
Ausschließlich chemisch wirkende Entschalungsmittel im eigentlichen Sinne werden als Trennmittel nicht verwendet. Hierzu zählen Oberflächenverzögerer wie Weinsäure, die z.B. für die Herstellung von Waschbeton eingesetzt werden. Die physikochemisch wirkenden Entschalungsmittel enthalten neben den zuvor genannten Rohstoffen noch natürliche Fettsäuren, Fettsäureester, Triglyceride und verseifbare Harze. Die Zusätze der Entschalungshilfen reagieren mit dem Kalkhydrat aus dem Zementleim während der Erhärtungsphase. Sie bilden eine zusätzliche hydrophobe Schicht an der Grenzfläche zum sich bildenden Zementstein. Die Folge ist, dass nach dem Entschalen auf dem erhärteten Beton eine feine hydrophobe Staubschicht vorhanden ist. Diese wird dann abgekehrt und erzeugt eine gleichmäßige Sichtbetonfläche. Fehler bei der Applikation der Tabelle 3.7: Porigkeitsklassen von Sichtbetonoberflächen
Quelle: DBV-Merkblatt Sichtbeton 8/2008
3-7
Porigkeit
1 2
1
Porigkeitsklasse
2
maximaler Porenanteil in mm 1
2
P1
P2
P3
P4
ca. 3000
ca. 2250
ca. 1500
ca. 7502
orenanteil in mm2 der Poren mit Durchmesser d in den Grenzen 2 mm < d < 15 mm P 750 mm2 entsprechen 0,30 % der Prüffläche (500 mm · 500 mm)
Reul_Bautenfarben.indb 28
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Kunststein: Beton und dessen Oberfläche
Abbildung 3.3: Schirmbildung von Betonvorsprüngen Quelle: Huberty, J. M.: Fassaden in der Witterung; Beton Verlag; 1983
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Abbildung 3.4: Verschiedene Regenwassermengen an unterschiedlich geneigten Flächen Quelle: Kind-Barkauskas, F.: Beton Atlas; Verlag R. Müller, Köln, Beton Verlag, Düsseldorf; 1995
Entschalungshilfen wie z.B. hohe Auftragsmengen, führen zum Absanden der Betonoberfläche, zu hässlichen Verfärbungen oder zu Porenbildung. 3.1.3.3
Biologisch abbaubare Entschalungshilfen
Die immer mehr verwendeten, meistens auf Rapsöl oder Rapsölestern basierenden biologisch abbaubaren Entschalungshilfen haben zu zusätzlichen Problemen auf der Betonoberfläche geführt: Bei relativ hoher Luftfeuchtigkeit kommt es zum Schimmelpilzbefall an Wänden und Decken auf witterungsgeschützten Betonoberflächen. In jüngster Zeit werden auch photokatalytisch abbaubare Entschalungshilfen eingesetzt. Die Wirksamkeit hängt von der UV-Einwirkung und der Bewitterungsintensität ab, deshalb muss auch hier an den wetterabgewandten Flächen mit Verfärbungen und unvollständig abgebauten Entschalungsresten gerechnet werden. 3.1.3.4
Verfärbung der Betonoberfläche
Nicht nur Verfärbungen als Folge der fehlerhaften Anbindung von Entschalungshilfen, sondern auch die unterschiedliche Eigenfarbe des Zementsteins als Funktion des Wasser-/Zementwertes und unterschiedlicher Mahlfeinheit beeinflussen die Oberflächenfarbe des Betons. Ein relativ hoher Eisenoxidgehalt ist vor allem für den dunklen Grauton des Portland-Zementes verantwortlich. Der Anteil an feingemahlenem Hüttensand hellt die Oberflächenfarbe auf. Zur Herstellung einer weißen Oberfläche wird weißer Portland-Zement verwendet. Dieser ist eisenoxidarm, die Rohstoffe zur Herstellung des Weißzements basieren auf Kalkstein und Kaolin. Gelegentlich werden Farbpigmente zur Herstellung farbiger Betonoberflächen verwendet. Für Rot-, Gelb-, Braun- und Schwarztöne werden überwiegend Eisenoxidpigmente eingesetzt. Für die Blaueinfärbung verwendet man Pigmente auf Mischkristallbasis, z.B. Kobalt-AluminiumChromoxidpigmente. Die verwendeten Pigmente müssen naturgemäß alkalibeständig sein und sollen keine Neigung zum Eluieren zeigen. Bewitterte Sichtbetonflächen bedürfen häufig schon nach wenigen Jahren einer Beschichtung durch Bautenfarben. 3.1.3.5
Einfluss der Bewitterung auf die Oberflächenbeschaffenheit
Die Neigung zur Verschmutzung von Sichtflächen hängt von deren Geometrie ab. In unseren Breitengraden wird eine Fassade überwiegend von Westen, d.h. von Südwesten bis Nordwesten, bewittert. Horizontale Vorsprünge, Brüstungen, Balkone oder vertikale Rippen, erzeugen einen Regenschatten. Es bildet sich eine Schmutzkruste oder auch Patina. Diese
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
Abbildung 3.5: Sichtbetonfläche
Abbildung 3.6: Sichtbetonfläche mit Bretterschalungsabdruck, Detail aus Abbildung 3.5
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Abbildung 3.7: Elementverteilung (EDX-Spektrum) einer Betonoberfläche; man beachte den relativ hohen Schwefelgehalt
setzt sich aus Anreicherungen von Auslaugungsprodukten zusammen, die von Schwermetallverbindungen bis zu Alkali- und Calciumcarbonat reichen können. Die Abbildungen 3.3 und 3.4 vermitteln exemplarisch einen Eindruck von der Wirkung von Brüstungen oder Vorsprüngen auf die Fassadenoberfläche.
3.1.4 Resümee Die Oberflächeneigenschaften des Kunststeins Beton sind das Ergebnis der Zusammensetzung des Ausgangsbetons und der Erhärtungsbedingungen. Den größten Einfluss auf die Oberflächeneigenschaften hat das Schalungsmaterial in Verbindung mit dem Trennmittel. Die Oberfläche des Betons ist anfangs hochalkalisch. Der pH-Wert ändert sich als Funktion der Wechselwirkung mit der CO2-haltigen, mehr oder weniger feuchten Umgebungsluft. Auf der Betonoberfläche kann sich eine Vielzahl von Verbindungen anreichern, die das Ergebnis der Hinterfeuchtung, der Auslaugung, der Carbonatisierung und des mikrobiellen Bewuchses sind. Die physikalischen Merkmale der Betonoberfläche wie Druckfestigkeit, Porenanzahl und Porengeometrie, Mikro- und Makrorisse sowie Neigung zum Absanden und Abblättern haben ihre Ursache in der Betonrezeptur und der Bauwerksgeometrie. 3.1.4.1
Anforderungen an eine innovative Bautenfarbe für Beton
Neben den immer geltenden klassischen Anforderungen wie Pigmentfarbstabilität, UVund Witterungsstabilität des Bindemittels, muss eine innovative Bautenfarbe für das Substrat Beton:
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• • • • • •
einen hohen CO2-Diffusionswiderstand, einen geringen Wasserdampfdiffusionswiderstand, eine dauerhaft hohe wasserabweisende Wirkung, eine dauerhafte „Verkrallung“ mit dem Untergrund, eine hohe Resistenz gegenüber alkalihaltigem Porenwasser, eine geringe rissüberbrückende Wirkung
über einen Zeitraum von bis zu zwanzig Jahren nachweisen können. Diese qualitativen Merkmale sind mittlerweile in den für den Anwender relevanten Regelwerken (DAfStB-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“, Ausgabe Oktober 2001 in Verbindung mit der DIN V 18026 „Oberflächenschutzsysteme für Beton aus Produkten nach DIN EN 1504-2: 2005-01“, 2006-06) in Bezug auf die CO2- und Wasserdampfdiffusion und wasserabweisende Wirkung quantitativ festgelegt. Inwieweit dieses Anforderungsprofil für Betone auf der Basis der neueren Zemente den Ansprüchen an die Dauerhaftigkeit genügt und ob sich in diesem Zusammenhang Innovationen abzeichnen, darauf wird in den Kapiteln 6 und 7.1 eingegangen.
3.1.5
Normen und Literatur
Normen, Richtlinien, Merkblätter DIN 1045 „Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton – Teil 1: Bemessung und Konstruktion“, Ausgabe 7/2001 DIN EN 197 „Zement“ - Teil 1: „Zusammensetzung, Anforderungen und Konformitätskriterien von Normalzement“; 8/2004 DIN EN 934 „Zusatzmittel für Beton, Mörtel und Einpressmörtel“ – Teil 2: „Betonzusatzmittel, Definitionen und Anforderungen, Konformität, Kennzeichnung und Beschriftung“; 2/2002 DAfStB-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“, Ausgabe Oktober 2001 in Verbindung mit der DIN V 18026 „Oberflächenschutzsysteme für Beton aus Produkten nach DIN EN 1504-2: 2005-01“, 2006-06 BFS-Merkblatt Nr. 1 „Schutz und Instandsetzung von Betonoberflächen im Hochbau“, Ausgabe Oktober 1995, hg. vom Bundesausschuss Farbe und Sachwertschutz, Ffm. DBV-Merkblatt „Sichtbeton“, Fassung August 2008; hg. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E. V.; Berlin, 2008
Literatur Hilker, G.: Biologisch abbaubare Schalöle und Schimmelpilzbildung; in: Tiefbau 11/2002, Seite 632–637 Maier, E.: Betontrennmittel für Sichtbeton; in: BauPortal 3/2010, Seite 140–146 (www.baumaschine.de) Kind-Barkauskas, F.: Beton Atlas; 2. Auflage; Beton Verlag; Düsseldorf, 2002 Lamprecht, H.-O.; Kind-Barkauskas, F., Pickel, U.; Otto, H.; Schmincke, P.; Schwara, H.: Betonoberflächen – Gestaltung und Herstellung; expert Verlag; Grafenau, 1984 Huberty, J. M.: Fassaden in der Witterung; Beton Verlag; Düsseldorf, 1983 Hellberg, H.; Pickel, U.: Entschalungsmittel in der betonverarbeitenden Industrie; Hg. Deutsche Shell AG; o. J. Schumann, A. et al.: Schal- und Trennmittel für den Betonbau; expert Verlag; Ehningen, 1988 Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E. V.: DBV-Merkblatt „Sichtbeton“, Fassung August 2008 Reul, H.: Handbuch Bautenschutz und Bausanierung – Schadensursachen, Diagnoseverfahren, Sanierungsmöglichkeiten; 5. Auflage, Köln, 2007; Kapitel 1 „Schutz und Instandsetzung von Stahlbetonoberflächen“ Reul, H.: Handbuch der Bauchemie; 1. Auflage; Augsburg, 1991; Kapitel 5 „Entschalungshilfen“ Sprung, S.: Silikatische Zemente; in: Reul, H. (Hg.): Kittel – Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Band 7: Produkte für das Bauwesen; Beschichtungen, Bauklebstoffe, Dichtstoffe; Hirzel Verlag; Stuttgart, 2005 Freimann, T.: Betonflächen mit Sichtbetonanforderungen; Beton Informationen 5/2004 Strehlein, D., Schießl, P.: Fleckige Dunkelverfärbungen an Sichtbetonflächen; in: Beton; Ausgabe 1+2/2009
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Außen- und Innenputze und deren Oberfläche
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Außen- und Innenputze und deren Oberfläche
Neben Beton ist als Bautenfarbensubstrat Putz von erheblichem Interesse. Unter dem Oberbegriff Putz verbirgt sich eine kaum mehr überschaubare eigene Welt, in die tief einzutauchen, den Rahmen dieses Buches sprengen würde. Der Zielsetzung dieses Kapitels entsprechend, widmet sich deshalb der nachfolgende Abschnitt den wesentlichen Merkmalen von Putzen aus chemischer und physikalischer Sicht, im Besonderen der Oberfläche.
3.2.1 Allgemeine Begriffe und Definitionen Putz Putz ist ein ein- oder mehrlagiger Belag aus Putzmörtel oder Beschichtungen mit putzartigem Aussehen, der in bestimmter Dicke aufgetragen wird. Er erhält seine endgültigen Eigenschaften erst durch Verfestigung am Baukörper. Putze werden in der Regel in einer oder mehreren Schichten des gleichen Mörtels aufgebracht. Untere Lagen werden Unterputz, die oberste Lage wird Oberputz genannt. Putzgrund Darunter versteht man das Bauteil, welches verputzt wird. Typischer Putzgrund für mineralische Putze, besonders für Außenputze, ist der Beton, das Mauerwerk aus Naturstein, Kalksandstein oder aus Ziegelstein. Putzmörtel Putzmörtel ist ein Gemisch, das aus einem oder mehreren mineralischen Bindemitteln, Zuschlägen und ggf. Zusätzen hergestellt ist. Putzmörtel werden unterschieden • nach ihrem Zustand im – Frischmörtel: der in gebrauchsfertigem, verarbeitbarem Zustand vorliegt, und – Festmörtel: der durch Abbinden und/oder Erhärten verfestigt ist • nach dem Ort der Herstellung in – Baustellenmörtel: der am Einbauort aus den Ausgangsstoffen zusammengesetzt und gemischt ist, und – Werkmörtel: der im Werk aus den Ausgangsstoffen zusammengesetzt und gemischt ist •
nach der jeweiligen Liefer- bzw. Darreichungsform in – Werktrockenmörtel, – Werkvormörtel, – Werkfrischmörtel.
Werktrockenmörtel werden auf der Baustelle durch ausschließliche Zugabe einer vom Hersteller anzugebenden Wassermenge in den Verarbeitungszustand gebracht. Für Kunstharzputze ist der Begriff Putzmörtel nicht zu verwenden. Putzträger Gemäß DIN 18550, Teil 1 Ausgabe 1/85 versteht man darunter flächig ausgebildete Materialien, die dazu dienen, „das Haften des Putzes zu verbessern oder einen von der tragenden Konstruktion weitgehend unabhängigen Putz zu ermöglichen“. In der Nachfolgenorm, = DIN V 18550, 4/05 Abschnitt 6-2, wird betont, dass „Putzträger (ein) dauerndes Haften
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des Putzes sicherstellen (müssen)“. „Sie müssen nach Norm oder nach den Vorschriften der Hersteller befestigt werden“. Besonders, wenn der Putzgrund für den direkten Putzauftrag ungeeignet ist, muss ein überspannender Putzträger aufgebracht werden. Der Putzträger muss allseitig mindestens 20 cm auf dem umgebenden, geeigneten Putzgrund übergreifen. Als Putzträger eignen sich metallische Putzträger, Gipskartonputzträgerplatten nach DIN 18180 (Innenbereich), Holzwolle- und Holzwolle-Mehrschichtplatten nach DIN EN 13168 sowie Ziegeldrahtgewebe und Rohrmatten. Putzträger haben, insbesondere in der Instandsetzung von verputzten Fassaden, eine große Bedeutung. Mittlerweile sind sowohl die Putzträger aus Metall als auch Putzprofile aus Metall, auf die im Rahmen dieses Kapitels nicht eingegangen werden soll, genormt. Die DIN EN 13658-2 regelt die „Putzträger und Putzprofile aus Metall – Begriffe, Anforderungen und Prüfverfahren“, Teil 2 „Außenputze“. Putzbewehrung/Putzarmierung Putzbewehrung oder Putzarmierung sind Einlagen im Putz, die zur Verminderung der Rissbildung dienen. Putzbewehrungen bestehen aus Metall, aus Kunststoffasern, aus mineralischen Fasern oder aus beschichteten Glasfasergeweben. Sie haben die Aufgabe, der Gefahr der Rissbildung im Putz zu begegnen. Sie sind jedoch nicht in der Lage, konstruktionsbedingte Risse, z.B. in der Folge von Durchbiegungen von Decken oder von Schwind-, Kriech- und Temperaturverformungen, zu verhindern. Putzbewehrungen aus Geweben können ihre Aufgabe nur dann erfüllen, wenn sie in der zugbelasteten Zone des Putzes straff und faltenfrei eingelegt werden. Sie sollten in der oberen Hälfte der Putzlage überlappend (mindestens 10 cm) eingebracht werden. Putzweise Darunter versteht man die Art der Ausführung bzw. der Oberflächenbehandlung bzw. Oberflächenbearbeitung. Die Putzweisen werden nach dem Verarbeitungsverfahren im frischen Zustand des Putzes und nach dem Bearbeitungsverfahren des erhärteten bzw. in der Erhärtung befindlichen Putzes unterschieden.
3.2.2 Außenputze Außenputze können eingeteilt werden nach der Zusammensetzung ihres Bindemittels und ihrem Abbindereaktionstyp, nach ihren Festmörteleigenschaften und nach ihren Anwendungsgebieten. Einteilung nach den Bindemitteln und der Abbindereaktion Zur Herstellung von Außenputzen eignen sich nur Putze, die entweder carbonatisch und/oder hydraulisch erhärten. Zu den carbonatisch erhärtenden Außenputzen zählen Luftkalkputze. Zu den carbonatisch/hydraulisch erhärtenden Putzen gehören die hydraulischen Kalkputze bzw. Kalkzementputze. Ausschließlich hydraulisch erhärtende Putze heißen Zementputze. Eine Besonderheit ist der sogenannte Roman-kalkgebundene Putzmörtel. Roman-Kalk, oder auch Roman-Zement genannt, ist ein hochhydraulischer Kalk, der überwiegend hydraulisch erhärtet und C2S enthält. Einteilung nach den Festmörtel-Eigenschaften • Unterscheidung nach der Rohdichte Putze, insbesondere Außenputze, werden nach ihrer Trockenrohdichte unterschieden in Leichtputze und Normalputze. Putze mit einer Trockenrohdichte gleich/kleiner 1300 kg/m3 werden nach DIN EN 998-1 Leichtputze genannt.
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• Unterscheidung nach der Druckfestigkeit Putze werden nach ihrer Prismen-Druckfestigkeit nach einem Alter von 28 Tagen unterschieden. Man unterscheidet den Putz nach Putzgruppen P I bis P III nach DIN V 18550 bzw. CS I bis CS IV nach DIN EN 998-1. • Einteilung nach den Anwendungsgebieten Neben den Standardanwendungen werden Putze mit besonderen Eigenschaften angeboten, und zwar – Wärmedämmputze, – Sanierputze , sowie – Schall-, Brand- und Strahlenschutzputze. Letztere sind im Außenbereich kaum von Bedeutung. 3.2.2.1
Belastungen von Außenputzen
Thermomechanische und hygrische Einflüsse Auf ein Gebäude wirken u.a. ein: • • • • • •
Sonneneinstrahlung Schlagregen Feuchte (Nebel) Schnee Wind Temperaturwechsel
Daraus resultieren Wechselwirkungen, die mit Wasser, Temperaturänderungen und mechanischen Spannungen zu tun haben. Erstere nennt man hygrische, letztere thermomechanische Einflüsse. Feuchtigkeitsgehalt und Wärmeleitfähigkeit Die Feuchtigkeitsaufnahme und der Feuchtetransport spielen bei der Beurteilung eines Putzes eine wesentliche Rolle. Der Putz hat die Aufgabe, den darunter befindlichen Wandbaustoff vor größeren, irreversiblen Durchfeuchtungen zu schützen. Der Feuchtigkeitsgehalt beeinflusst nahezu alle mechanischen und sonstigen physikalischen sowie zum Teil auch chemischen Eigenschaften eines porösen Wandbaustoffes. So nehmen die Festigkeit mit steigendem Feuchtigkeitsgehalt ab und das Volumen zu (Quellen). Wechselnde Festigkeit verbunden mit hygrischer Längenänderung kann zu Rissbildungen und Absprengungen führen. Die Wärmeleitfähigkeit erhöht sich mit steigendem Feuchtigkeitsgehalt, d.h. die Dämmwirkung nimmt erheblich ab. Dies führt, z.B. beim Heizen, nicht nur zu höherem Energieverlust im Bauwerk, sondern vermindert auch das Behaglichkeitsempfinden der Bewohner. Ein zu hoher Feuchtigkeitsgehalt beeinträchtigt die Frostbeständigkeit vieler Baustoffe. Feuchte kann auch zum Transport löslicher Salze beitragen. Nicht zuletzt soll darauf hingewiesen werden, dass Feuchtigkeit das Wachstum von Algen und Pilzen, im Innenbereich Schimmelpilzen, begünstigt. Witterungsbeständigkeit Ein Außenputz muss ausreichend witterungsbeständig sein, d.h. der häufigen Einwirkung von Feuchte und wechselnden Temperaturen widerstehen. Die Witterungsbeständigkeit eines Putzes erkennt man im Wesentlichen durch deren Unlöslichkeit oder größte mögliche Unlöslichkeit der Bindemittel nach Regeneinwirkung und in Bezug auf seine wasserhem-
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mende bzw. wasserabweisenden Eigenschaften gegenüber Regen. Man spricht auch vom „Regenschutz“ eines Putzes. Biologische Einflüsse Neben den physikalischen und chemischen Einwirkungen aus der Umwelt ist auf die Einwirkung von Mikroorganismen bzw. deren Stoffwechselprodukten zu achten. Mikroorganismen wie Pilze und Flechten bilden Säuren, z.B. Oxalsäure. Sie lösen damit das Bindemittel an und sind dann in der Lage, sich in größeren Kolonien an den „angeätzten“ Stellen anzusiedeln und in der Folgezeit das Putz- und Anstrichgefüge zu zermürben. Mit zunehmender Reinheit der Außenluft (verminderter SO2-Gehalt) und der Zunahme von Stickoxiden, herrührend aus Dieselverbrennungsabgasen, Düngemitteln, Gülle u.a. erhöht sich die Neigung zur Besiedlung von Fassaden durch Algen und Pilze. Begünstigt wird die Besiedlung, wenn Bäume und Sträucher in der Nähe der Fassaden wachsen. 3.2.2.2 Normsituation Bindemittel für mineralisch gebundene Außenputze Für Außenputze eignen sich nur Bindemittel, die im erhärteten Zustand nur wenig wasserlöslich sind. Hierzu zählen • • • • •
Luftkalk, Wasserkalk, hydraulischer Kalk, hochhydraulischer Kalk und Zement.
Baugipse bzw. Stuckgips und Anhydrit sowie deren Abmischungen mit Baukalk bzw. Luftkalk eignen sich in unseren Breitengraden nur eingeschränkt für den Außenputzbereich. Andere anorganische Bindemittel, wie z.B. Wasserglas, und organische Bindemittel, wie Kunstharzdispersionen und Silikonharzemulsionen bzw. -dispersionen als Bestandteil von Außenputzen zählen im speziellen nicht als Bindemittel für Außenputze, da die Produkte, die die vorgenannten Bindemittel enthalten, Dickbeschichtungen bzw. organisch gebundenen Putze genannt und deshalb im Rahmen dieses Buches als Bautenfarben-Substrat nicht behandelt werden. Die Bindemittel für die Putzmörtel bzw. mineralische Putze werden wie folgt abgegrenzt (die nebenstehenden Großbuchstaben sind die Abkürzungen aus der Euronorm DIN EN 998-1): Zement Putz- und Mauerbinder Luftkalk Luftkalk+Zement hydraulischer Kalk hydraulischer Kalk+Zement Luftkalk+Gips (nur für Innenputze)
CEM MC L L/CEM HL HL/CEM L/G
(engl. cement) (engl. masonry cement) (engl. lime) (engl. hydraulic lime) (engl. lime/gypsum)
Normative Einteilung der Außenputze Standard-Außenputze werden in der Regel nach ihren Festmörteleigenschaften und ihrem Verhalten gegenüber Wasser nach der Druckfestigkeit, der kapillaren Wasseraufnahme, der Wasserdampfdiffusionsfähigkeit, der Wasserdurchlässigkeit auf entsprechenden Untergünden bei Bewitterung und außerdem der Haftung auf dem Untergrund in Abhängigkeit von der Bewitterung sowie der Wärmeleitfähigkeit unterschieden.
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Putze, im besonderen Außenputze, werden nach der Prismen-Druckfestigkeit, ihrer kapillaren Wasseraufnahme und ihrer Wärmeleitfähigkeit unterschieden. Dies ist bei der Auswahl von Bautenfarben zu beachten. Einteilung nach DIN V 18550 „Putz und Putzsysteme - Ausführung“ Die DIN V 18550 (4/2005) beschreibt die Putzeigenschaften und die bei der Herstellung, Verarbeitung und Beurteilung verwendeten Begriffe. Sie legt die Anforderungen an die Putze in Abhängigkeit von deren Aufgaben fest. Beschrieben werden die mineralischen Putze, die Kunstharzputze als Oberputzlage, die Wärmedämmputzsysteme, Leichtputzmörtel sowie Putze für Sonderzwecke wie z.B. Sanierputze und Akustikputze. Die DIN V 18550 enthält die Beschreibung der Bestimmung des Wasseraufnahme-Koeffizienten von Putzen, die Qualitätsstufen von Innenputz-Oberflächen und schließt mit einem Abschnitt über die Bewertung von Putzrissen. Hierbei stützt sie sich auf das WTA-Merkblatt 2-4-94 „Beurteilung und Instandsetzung gerissener Putze an Fassaden“ (Neuausgabe 2-4, 8/2008). Die DIN EN 13914-1 erschien im Juni 2005 und ist in der Bundesrepublik Deutschland als nationale Norm eingeführt. Teil 1 beschreibt die „Herstellung und Ausführung von Außenputzen“. Dabei werden auch die planerischen Grundsätze erfasst. 3.2.2.3
Bindemittel für mineralisch gebundene Außenputze
Mineralische Putze enthalten Luftkalk, hydraulischen Kalk, Portlandzement und gelegentlich sogenannte latenthydraulische Anteile, wie z.B. Trass oder Elektrofilterasche als Bindemittel. Die Zuschläge liegen bei beiden Putzarten meistens gewaschen vor. Oft werden Brechsand, Quarzsand oder mineralische Leichtzuschläge wie Vermiculit, Perlite, sowie organische Leichtzuschläge verwendet. Zur Steuerung des Abbinde-, Haft- und Verarbeitungsverhaltens werden Zusatzmittel hinzugefügt. Nachfolgend soll auf die Einzelbestandteile von Außenputzen näher eingegangen werden. Die Oberflächeneigenschaften hängen, wie beim Beton, im Wesentlichen von den Eigenschaften des Bindemittls ab. Baukalk Zur Herstellung von Putzen dient sowohl in der Historie als auch heute am häufigsten das Bindemittel Kalk. In der Schweiz genormt nach SIA 215, in der Bundesrepublik Deutschland in Tabelle 3.8: Klassifizierungskriterien für Putzsysteme nach DIN EN 998-1, Eigenschaften
Druckfestigkeit nach 28 d
kapillare Wasseraufnahme
Wärmeleitfähigkeit
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Bezeichnung
Mittelwerte
CS I
0,4 bis 2,5 N/mm2
CS II
1,5 bis 5,0 N/mm2
CS III
3,5 bis 7,5 N/mm2
CS IV
≥ 6 N/mm2
W0
nicht festgelegt
W1
w ≤ 0,40 kg/m2 min 0,5
W2
w ≤ 0,20 kg/m2 min 0,5
T1
≤ 0,1 W/mK
T2
≤ 0,2 W/mK
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
der DIN EN 459-1, wird Baukalk im Wesentlichen in Luftkalk und hydraulischen Kalk unterschieden. Die Unterscheidung hängt von dem verwendeten Rohstoff und der Brennart ab. • Luftkalk ist ein Baukalk, der sich vorwiegend durch Aufnahme von Kohlendioxidgas aus der Luft verfestigt (Carbonatisierung). Er erhärtet nicht unter Wasser. Zu Luftkalk zählen – Weißkalk, der aus möglichst reinem kohlensaurem Kalk (CaCO3) durch Brennen unterhalb der Sintergrenze hergestellt wird sowie – Dolomitkalk, der aus dolomithaltigem Gestein (CaCO3 und MgCO3) durch Brennen unterhalb der Sintergrenze hergestellt wird. Weißkalk wird in Form von ungelöschtem Kalk oder in Form von Kalkhydrat (gelöschtemKalk) geliefert. Erkennbar ist dies an der normativen Bezeichnung, die auf dem Gebinde aufgedruckt sein muss. So ist ein Weißkalk 90 in Form von gelöschten Kalken wie folgt zu bezeichnen: EN 459-1 CL 90-Q. Die Ziffer 90 weist darauf hin, dass der Anteil an Calciumoxid plus Magnesiumoxid mindestens 90 % beträgt. Ein Weißkalk 80 in Form von Kalkhydrat (gelöschtem Kalk) trägt die Bezeichnung EN 459-1 CL 80-S. Die Ziffer 80 weist darauf hin, dass die Summe aus Kalziumoxid plus Magnesiumoxid mindestens 80 Gew.-% betragen muss. Dolomitkalke werden in der Regel als halbgelöschter oder gelöschter Kalk geliefert. So ist ein Dolomitkalk 85 in Form von halbgelöschtem Kalk an der nachfolgenden Bezeichnung zu erkennen: EN 459-1 DL 85-S1. Hydraulische Kalke Hierzu zählen • Wasserkalk, der aus mergeligem Kalkstein (Kalkstein vermengt mit tonigen oder silikatischen Bestandteilen) durch Brennen unterhalb der Sintergrenze hergestellt wird und sich durch Zusammenwirken von hydraulischer und vorwiegend Karbonaterhärtung verfestigt. • Hydraulischer Kalk, der aus Kalksteinmergel durch Brennen unterhalb der Sintergrenze hergestellt wird und sich durch Zusammenwirken von Carbonaterhärtung und vorwiegend hydraulischer Erhärtung verfestigt. Hochhydraulischer Kalk der vorwiegend hydraulisch erhärtet. Er wird hergestellt: a) aus Kalksteinmergel durch Brennen unterhalb der Sintergrenze b) aus mergeligem Kalkstein durch Brennen unterhalb der Sintergrenze und Zusatz von latenthydraulischen oder puzzolanischen Stoffen zum gebrannten Produkt c) durch Zumischen im Werk von latenthydraulischen, puzzolanischen oder hydraulischen Stoffen zu Luftkalk bzw. Wasserkalk. Zur Einhaltung der oberen Festigkeitsgrenze darf er fein aufgeteilte inerte mineralische Stoffe, wie z.B. Gesteinsmehl enthalten. Aus dieser Aufteilung ist ersichtlich, dass der hochhydraulische Kalk im Abbindeverhalten dem Zement ähnelt. •
In der gleichen Weise wie der Weißkalk und der Dolomitkalk durch die Bezeichnung auf den Gebinden hinsichtlich seiner Mindestgehalte an CaO und MgO erkenntlich ist, lassen sich die hydraulischen und natürlich-hydraulischen Kalke anhand ihrer Bezeichnung voneinander unterscheiden. So besitzt ein natürlich-hydraulischer Kalk 3,5 mit puzzolanischen
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Zusätzen die Bezeichnung EN 459-1 NHL 3,5-Z. Die Tabelle 3.9 listet die Arten von Baukalk gemäß DIN EN 459-1 auf.
Tabelle 3.9: Baukalke nach DIN EN 459-1, ohne formulierte Kalke
Die Zusammensetzung von Baukalken schwankt z.T. erheblich. Daraus resultieren auch unterschiedliche Putzoberflächeneigenschaften. Neben den aufgeführten Luftkalken und Kalken mit hydraulischen Eigenschaften werden sogenannte formulierte Kalke angeboten. Diese Kalke können neben Baukalk Zemente, natürliches Puzzolan, Hüttensand, Kalkstein und als Nebenbestandteile Calciumsulfat und Silikastaub enthalten. Darüber hinaus ist der Zusatz von organischen und mineralischen Additiven zulässig. Formulierte Kalke sind demnach vorgemischte Produkte mit unterschiedlich hohen Kalkhydratanteilen.
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a
Benennung
Kurzzeichen
Weißkalk 90
CL 90
Weißkalk 80
CL 80
Weißkalk 70
CL 70
Dolomitkalk 85
DL85
Dolomitkalk 80
DL 80
hydraulischer Kalk 2
HL2
hydraulischer Kalk 3,5
HL 3,5
hydraulischer Kalk 5
HL 5
natürlicher hydraulischer Kalk 2
NHL 2
natürlicher hydraulischer Kalk 3,5
NHL 3,5
natürlicher hydraulischer Kalk 5
NHL 5
uftkalke werden darüber hinaus nach ihren Lieferbedingungen als L ungelöschte Kalke (0) oder Kalkhydrate (5) klassifiziert. Bei gelöschten Dolomitkalken wird der Grad der Hydratation als S1: halbgelöscht und S2: vollständig gelöscht bezeichnet.
Zemente In Fertigputzen und baustellengemischten Putzen wird überwiegend Portlandzement CEM I 32,5 N nach DIN EN 197-1 entweder als Bindemittelanteil oder als Bindemittel für P III bzw. CS IV Putze verwendet. In der Schweiz entspricht dies dem PC Normal. Die Spezifikationen der Zementarten werden in der Bundesrepublik Deutschland in der DIN EN 197-1 und der DIN 1164 Teil 10, in Österreich in der EN 197-1 und in der Schweiz in der SIA Norm 215 beschrieben. Die vorgenannten Zementklassen werden in der Euronorm als PC 32,5 CEM I bezeichnet. Trass-Zement und Hochofenzement bzw. Sonderzemente werden nur in Einzelfällen für spezielle Einsatzgebiete, z.B. in der Denkmalpflege, verwendet. 3.2.2.4
Zuschläge, Zusätze, Zusatzmittel
Zuschläge Die Gemenge können, wie zuvor schon erwähnt, aus Körnern mineralischer oder organischer Stoffe bestehen, die entweder ein dichtes Gefüge (z.B. Natursand, Brechsand, Kunststoffgranulat) oder ein poriges Gefüge (z.B. Perlite, Blähton, geschäumte Kunststoffe) besitzen. Bei der Verwendung von Zuschlägen ist die DIN 4226-1 „Gesteinskörnungen für Beton und Mörtel – normale und schwere Gesteinkörnungen“, Ausgabe 7/01 und Teil 2 der gleichen Norm „Leichte Gesteinskörnungen (Leichtzuschläge“, Ausgabe 2/02 zu beachten. Werden recyclierte Gesteinskörnungen verwendet, müssen die Anforderungen der DIN 4226-100 „Recyclierte Gesteinskörnungen“, Ausgabe 2/02 beachtet werden. Anmachwasser (Zugabewasser) Zur Herstellung des Frischmörtels wird Anmachwasser benötigt. Dieses Wasser soll möglichst die Qualität von Trinkwasser haben. Bestandteile, die die Eigenschaften des Putzmör-
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tels ungünstig beeinflussen, dürfen im Anmachwasser nicht enthalten sein. Hier gelten die Regeln der Betontechnologie (siehe DIN EN 1008, 10/02 „Zugabewasser für Beton“). Zusätze Zusätze beeinflussen die Eigenschaften des Putzmörtels durch chemische und/oder physikalische Vorgänge bzw. Wirkungen. Bei den Putzmörtelzusätzen ist, wie man dies von der Betontechnologie her kennt, zwischen Putzzusatzmitteln und Zusatzstoffen zu unterscheiden. Zusatzmittel Zusatzmittel regulieren die Frischmörteleigenschaften und nehmen auf die Festmörteleigenschaften Einfluss. Die Dosierung von Zusatzmitteln liegt zwischen 0,01 und ca. 3 % vom Bindemittelgewicht. Diese lassen sich folgendermaßen einteilen: • Verflüssiger bzw. Plastifizierer erlauben die Reduktion des Wasser/Bindemittelverhältnisses oder die Weichmachung des Putzes, ohne zusätzliche, die Qualität verschlechternde Wasserzugabe. • Verdicker, Thixotropierhilfen erhöhen die Standfestigkeit des Putzes auf dem Untergrund und dienen der Verminderung der Entmischungsneigung des Putzes. • Wasserretentionsmittel helfen die kritische Früherhärtungsphase ohne wesentliche Nachbehandlungsmittel überwinden. • Haftungsverbesserer werden dem Putz zur Erhöhung der Haftzugfestigkeit und der Verbesserung der Elastizität zugefügt und beugen der Rissebildung vor. • Schaumbildner, Luftporenbildner erlauben die Herstellung von Leicht- und Dämmputzen, dienen auch der Verbesserung der Frostbeständigkeit von Normalputzen und erhöhen die Dämmwirkung. • Hydrophobierungsmittel erzeugen im Gefüge des erhärteten Putzes einen wasserabweisenden Effekt und erhöhen dadurch die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Witterungsbelastung. Putztrockenmörtel, die z.B. den Anforderungen der DIN V 18550 „wasserabweisender Putz“ entsprechen, enthalten grundsätzlich Hydrophobierungsmittel. • Abbinderegler dienen der Verkürzung oder der Verlängerung der Abbinde- bzw. Verarbeitungszeit des Putzes. Zusatzmittel für Putze mit reaktiven mineralischen und filmbildenden Bindemitteln sind nicht genormt. Hinweise gibt die DIN EN 934-2 (02/2002) „Betonzusatzmittel“) bzw. Teil 3 „Zusatzmittel für Mörtel“. Zusatzstoffe Zusatzstoffe sind zu unterteilen in inerte Zusatzstoffe, latent hydraulische und puzzolanische Zusatzstoffe. Zu ersteren zählen Gesteinsmehle, Farbpigmente, zu letzteren Trass, Puzzolan und ggf. Elektrofilterasche (Flugasche). Die Zugabe von Fasern zu Putzmörtel oder auch zu Beschichtungsstoffen wird nicht als Putzbewehrung, sondern als Zusatzstoff bezeichnet. Werden an der Baustelle Zusätze d.h.
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Zusatzstoffe oder Zusatzmittel verwendet, sind unbedingt Eignungsprüfungen mit der für den Einsatz vorgesehenen Mörtelmischung durchzuführen. 3.2.2.5
Typische Außenputz-Rezepturen
Außenputze werden üblicherweise als Trockenmörtel geliefert und erhalten, wie weiter oben schon ausführlich erläutert, ihre endgültigen Eigenschaften, insbesondere Oberflächeneigenschaften, durch die Art der Verarbeitung und die Randbedingungen während der Erhärtung. Die nachfolgenden Richtrezepturen zeigen die typischen Zusammensetzungen von Außenputzen im Lieferzustand. Maschinenputz auf Zement-/Kalkhydratbasis Tabelle 3.10: Richtrezepur Leichtgrundputz
Tabelle 3.11: Richtrezepur Dämmputz
CEM I 32,5
22 %
CEM I 42,5
76 %
Kalkhydrat
3%
Kalkhydrat
4%
Quarzsand (0,1 bis 1,5 mm)
68 %
Steinmehl
6,97 %
Kalksteinmehl
4,72 %
Perlite (Körnung bis 1 mm)
12 %
Methylcellulose (2000 mPas)
0,2 %
0,15 %
Luftporenbildner (z.B. Alkylsulfonat)
0,03 %
Luftporenbildner (z.B. Alkylsulfonat)
0,03 %
0,1 %
Calciumstearat (Hydrophobierungsmittel)
Calciumstearat (Hydrophobierungsmittel)
0,1 %
Kunststoffdispersionspulver
0,6 %
ggf. Abbindebeschleuniger (z.B. Natriumaluminat)
0,1 %
Expandiertes Polystyrol (EPS)
2%
Methylcellulose (5000 mPas)
Tabelle 3.12: Richtrezepur wasserabweisender Fassadenputz für manuelle und maschinelle Applikation
Tabelle 3.13: Richtrezepur Edelputz Weißzement CEM I 42,5
9%
CEM I 52,5
21 %
Weißkalkhydrat
14 %
Kalkhydrat
5%
Kalksteinsand
71,39 %
Quarzsand (0,05-1,5 mm)
69 %
Eisenoxid-Ocker
4,5 %
Kunststoffdispersionspulver
0,8 %
Methylcellulose (2000 mPas)
0,09 %
Methylcellulose (4000 mPas)
0,06 %
Carboxymethylcellulose (CMC)
0,01 %
Luftporenbildner (z.B. Alkylsulfonat)
0,01 %
Luftporenbildner (z. B. Alkylsulfonat)
0,01 %
Calciumstearat
0,5 %
ggf. Kunststoffdispersionspulver
0,5 %
Calciumstearat Steinmehl
0,1 % 4,03 %
3.2.2.6 Außenputz-Oberfläche Oberflächenbehandlung während der Erhärtung Der Außenputz kann während der Erhärtung eine Oberflächenbehandlung erhalten. Durch die Bearbeitung mit der Glättkelle (Traufel) bekommt man einen geglätteten Putz, durch Bearbeitung mit dem Filzschwamm oder Holzscheibe einen gefilzten Putz. Durch Verwendung eines geeigneten Werkzeugs, z.B. einer Kunststoff- oder Holzscheibe oder einer Traufel, erhält man in Abhängigkeit des Grobkorns des aufgebrachten Putzes geriebenen Putz oder Reibeputz als Rillenputz, Scheibenputz oder Münchner Rauhputz.
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Abbildung 3.8: Außenputz, gefilzte Oberfläche
Abbildung 3.9: Außenputz, normaler Kratzputz
Quelle: DIN 13 914-1, Ausgabe Juni 2005; Technische Baubestimmungen, 6. Auflage, S. 102-59
Quelle: DIN 13 914-1, Ausgabe Juni 2005; Technische Baubestimmungen, 6. Auflage, S. 102-160
Ausschließlich durch das Anwerfen des Mörtels, d.h. nicht durch die Oberflächenbearbeitung, erhält man einen Kellenwurfputz. Üblicherweise enthält ein Putz, der zum Kellenwurfputz zu verwenden ist, einen Zuschlag grober Körnung. Modellierputz: Putze dieser Art erhalten ihre Form durch freie Strukturierung bzw. Bearbeitung mit Hilfe einer Kelle oder einer Traufel, z.B. Kellenstrichputz. Spritzputz: Die Struktur eines typischen Spritzputzes bekommt man durch einfaches Aufspritzen eines feinkörnigen, dünnflüssigen Mörtels unter Verwendung eines geeigneten Spritzputzgerätes. Oberflächenstrukturierung kurz vor der vollständigen Erhärtung des Putzes Kratzputz: Die typische Struktur eines Kratzputzes entsteht durch Kratzen der Oberfläche des angetragenen Oberputzes mit einem Nagelbrett, einem Sägeblatt oder einer Ziehklinge. Zum richtigen Zeitpunkt des Kratzens in Abhängigkeit vom Erhärtungsverlauf des Putzes wird durch diese Oberflächenbehandlung die bindemittel- und damit auch spannungsreiche Oberfläche des angetragenen Oberputzes entfernt. Das Grobkorn wird sichtbar. Es erscheint die hierfür charakteristische Putzstruktur. Nach dem vollständigen Erhärten des Kratzputzes sind die losen Teile zu entfernen. Waschputz: Ein Waschputz erhält seine endgültige Struktur durch Abwaschen der an der Oberfläche befindlichen, noch nicht erhärteten Bindemittelschlämme. Zur Herstellung eines Waschputzes benötigt man einen Putz mit Zuschlag grober Körnung sowie einen Unterputz mit einer Mindestdruckfestigkeit der Kategorie CS III nach DIN EN 998-1. Oberflächeneigenschaften nach der Erhärtung Für die Auswahl und Entwicklung einer Bautenfarbe für Außenputze sind nicht nur die physikalischen, sondern auch die chemischen Eigenschaften der Putzoberfläche von Interesse. Der anfangs hohe pH-Wert von ca. 12,5 bis 13 sinkt in Oberflächennähe infolge der Carbonatisierung auf einen Wert zwischen 8,5 und 9,5. Die Carbonatisierungsgeschwindigkeit ist infolge der anfänglich hohen Hydrophobizität deutlich geringer als von vielen Putzherstellern und Anwendern angenommen. Die von Herstellern und Anwendern behauptete Carbonatisierungsgeschwindigkeit von 1 mm pro Tag kann nur an nicht hydrophoben, hoch kapillaraktiven Außenputzen auf Kalkzementbasis beobachtet werden. Hydrophob eingestellte Außenputze verlieren ihre wasserabweisende Wirkung, besonders auf der bewit-
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terten Seite, auf der Oberfläche bereits nach einigen Monaten. Das Phänomen hängt von der Auswahl des Hydrophobierungsmittels ab. Enthalten die Außenputze Calciumstearat oder Zinkstearat oder siliciumorganische Verbindungen als Hydrophobierungsmittel, haben Langzeituntersuchungen ergeben, dass der Putzquerschnitt bei Schichtdicken bis zu 20 mm auch nach 15 bis 20 Jahren wasserabweisend bleibt. Die aus Kostengründen gern verwendeten Natriumoleate dagegen sowie Ammoniumstearate werden durch UV-Belastung abgebaut mit der Folge, dass die Putzoberfläche kapillaraktiv wird, d.h. durch eine erhöhte Saugfähigkeit gekennzeichnet ist. Damit wird der mikrobiellen Besiedlung und der Verschmutzung der Fassadenoberfläche Vorschub geleistet. Fazit: Für eine nun vorzunehmende Beschichtung mit einer Bautenfarbe ist die Kenntnis der Eigenschaften der Putzoberfläche deshalb von ausschlaggebender Bedeutung für die Dauerhaftigkeit des Anstrichs. 3.2.2.7
Abbildung 3.10: Ungeschützte Putzfassade, unterschiedlich hydrophob, mikrobieller Bewuchs vorhanden
Anforderungen an Bautenfarben für Außenputze
Es stellt sich die Frage, warum Putze überhaupt mit einem Anstrichstoff versehen werden sollen. Putze sind eine Verschleißschicht. Das Aufbringen von Bautenfarben auf Außenputze, ob Neuputz oder Altputz, dient der Verlängerung der Nutzungsdauer der Verschleißschicht Putz und hat darüber hinaus eine ästhetische Funktion. Aus den vorangegangenen Kapiteln ergibt sich ein Anforderungsprofil an Anstrichstoffe für Außenputze wie folgt: • • • • • • • •
hohe Wasserdampfdurchlässigkeit gute Haftung am Untergrund Beständigkeit gegenüber Industrieabgasen (SO2, NOx) Wetter- und UV-Beständigkeit hohe Wasserfestigkeit keine Anquellneigung ausreichende Wasserabweisung ausreichende CO2 -Durchlässigkeit
Dieses qualitativ formulierte Anforderungsprofil wird in der DIN EN 1062-1 unter quantitativen Gesichtspunkten konkretisiert. Im Kapitel 5.5.2 dieses Buches wird darauf detailliert eingegangen.
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3.2.2.8
Normen, Richtlinien, Merkblätter, Literatur
Normen DIN V 18550 „Putz und Putzsysteme – Ausführung“, 4/2005 DIN EN 998-1 „Festlegungen für Mörtel für Mauerwerk; Putzmörtel“, Ausgabe September 2003 DIN EN 13658-2 „Putzträger und Putzprofile aus Metall – Begriffe, Anforderungen und Prüfverfahren – Teil 2: Außenputze; Deutsche Fassung EN 13658-2:2005“, 9/2005 DIN EN 459-1 „Baukalke“ Teil 1 „Begriffe, Anforderungen und Konformitätskriterien“, Ausgabe 10/2010 DIN EN 13914-1 „Planung, Zubereitung und Ausführung von Innen- und Außenputzen – Teil 1: Außenputz“, Ausgabe Juni 2005 DIN EN 1062-1:2004-08 Beschichtungsstoffe – Beschichtungsstoffe und Beschichtungssysteme für mineralische Substrate und Beton im Außenbereich – Teil 1: Einteilung
Richtlinien Putzrichtlinien, herausgegeben von der ÖAP (Österreichische Arbeitsgemeinschaft Putz) www: http://www.oeap.at
Merkblätter Beschichtungen auf mineralischen Außenputzen:BFS Merkblatt Nr. 9; Stand 7/2010
Literatur Ross, H., Stahl, F.: Praxis-Handbuch Putz; Verlag Rudolf Müller; 2. Auflage; Köln, 1997 Maier, J.: Putz und Stuck; Fraunhofer IRB Verlag; Stuttgart, 2007 Reul, H.: Handbuch Bautenschutz und Bausanierung – Schadensursachen, Diagnoseverfahren, Sanierungsmöglichkeiten; 5. Auflage, Köln 2007; Kapitel 3 „Außenputze“ und Kapitel 5 „Fassadenbeschichtungen“
3.2.3 Innenputze – Schwerpunkt Gips- und Gipskalkputze Für die Anwendung im Innenbereich bietet sich, im Gegensatz zum Außenbereich, eine wesentlich größere Vielfalt in der Verwendung der Bindemittel, des Zuschlags und der Farbpigmente sowie anderer Additive an. Innenputze unterliegen einer wesentlich geringeren thermomechanischen Belastung, werden hygrisch nur in Ausnahmefällen belastet, z.B. in sogenannten Feucht- und Nassräumen. Deshalb erweitert sich die Möglichkeit der einzusetzenden Bindemittel erheblich, so z.B. um die Bindemittel Stuck- bzw. Baugips, Gipsbinder und -Anhydrit als reaktive Bindemittel einerseits und um Ton als trocknendes Bindemittel andererseits, das in Form des Lehmputzes eine ungeahnte Renaissance erfährt, so dass diese Putzart für Bautenfarben einen neuen Anwendungsbereich darstellt. 3.2.3.1
Funktionen des Innenputzes
Standardfunktionen Hat der Außenputz neben der ästhetischen im Wesentlichen eine schützende Funktion zu erfüllen, so erwartet man vom Innenputz die Erfüllung von Standardfunktionen. Diese Standardfunktionen lassen sich in zwei grundsätzliche Kategorien unterteilen, die Kategorie I, die die sogenannten direkten Funktionen umfasst, und die Kategorie II, der die sogenannten indirekten Funktionen zuzuordnen sind. Kategorie I Der Innenputz an Wand und Decke hat eine gestalterische Funktion zu erfüllen. Das gewünschte Erscheinungsbild der Innenputz-Oberfläche kann von einer ebenen, glatten Fläche bis zur rustikalen, groben Kellenstruktur reichen. Der Innenputz kann zur
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Herstellung von Stuckornamenten oder, wie beim Außenputz, für Sgraffito-Arbeiten (Kratzputz) Verwendung finden. Darüber hinaus dient der Innenputz als Untergrund für farbige Beschichtungen wie Anstrichstoffe, für Tapeten und Beläge, z.B. Fliesen. Zur Erfüllung der direkten Funktionen fordert man vom Innenputz Rissfreiheit, eine gute Haftung am Untergrund, eine ausreichende Schichtstärke bzw. Schichtdicke und schließlich eine ausreichende Härte. Kategorie II Der Innenputz soll ein angenehmes Wohnklima erzeugen. Gemeinsam mit der Beschichtung soll der Innenputz idealerweise zur Raumluftfeuchteregulierung beitragen. Ferner soll die Besiedlung durch Mikroorganismen, z.B. Schimmelpilze, nicht gefördert, sondern verhindert werden. Der Innenputz soll zur Verbesserung der Behaglichkeit beitragen, das Wohlbefinden fördern, d.h. einen positiven Beitrag zur Gesundheit leisten. Denn der Innenputz, häufig der beschichtete Innenputz, umgibt uns täglich, oftmals Tag und Nacht, da sich der Mensch überwiegend in Innenräumen, d.h. Räumen mit verputzten Wänden und Decken, aufhält. Innenputze mit Sonderfunktionen Neben Standardfunktionen hat der Putz gelegentlich Sonderfunktionen zu erfüllen. • Dämmfunktion Im Einzelfall kann es sinnvoll sein, die Innenseite der Außenwand mit einem Dämmputz zu versehen, wobei naturgemäß dieser Dämmputz nicht wasserabweisend eingestellt sein darf. Er muss kapillaraktiv bleiben, damit er seinen Beitrag zur Feuchteregulierung der Raumluft leisten kann. • Temperierfunktion Als Alternative zur Innendämmung, d.h. zum Anbringen von Dämmputzen oder Dämmplatten, bietet sich der Einbau von Wandflächenheizungen an der Innenseite der Außenwände an. Man spricht auch von der Hüllflächentemperierung. Erreicht wird dies durch Einbetten von Heizschlangen in den Putz oder dem Einbau von Wandheizungen, die nach dem Prinzip der hypokausten Heizung arbeiten. Die nach dem Hüllflächen-Temperierungsprinzip arbeitenden Wandheizungen erzeugen eine angenehme Strahlungswärme und sorgen deutlich mehr als konventionelle Konvektionsheizkörper für warme Wandoberflächen. Dadurch leistet man einen Beitrag zur Verhinderung der Feuchtekondensation auf der Putzoberfläche und unterbindet damit die Möglichkeit des Schimmelpilzbewuchses. • Kühlfunktion; Räume kühlen mit Putzkühldecken Nicht nur die Erwärmung der Innenseite der Außenwand ist eine Strategie zur Temperierung der Raumluft, sondern auch die Kühlung der Decke. Dies ist dann von Interesse, wenn die sogenannte Wohlfühltemperatur, besonders in heißen Monaten, überschritten wird. So kann z.B. durch den Einbau von Kapillarrohrmatten, die in einen Gipsputz eingebettet werden, mit Hilfe des Kühlmediums Wasser die Deckenoberflächentemperatur herabgesenkt werden. Die Temperierfunktion wird also nicht durch die physikalischen Eigenschaften des Putzes an sich erreicht, sondern dadurch, dass der Putz als Einbettungsmaterial für Kühlmittel oder Wärme transportierende Medien dient. • Sanierfunktion; Schadsalzlösung aufnehmende Putze Hierfür eignen sich sogenannte Sanierputze. Gemäß DIN EN 998-1 „Putzmörtel“ werden Sanierputze als Sanierputzmörtel mit der Abkürzung R bezeichnet. Diese Sanierputz-
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mörtel eignen sich zum Verputzen feuchter, salzhaltiger Mauerwerke. Sie müssen nach dem Erhärten eine hohe Porosität, eine hohe Wasserdampfdiffusionsfähigkeit und eine verminderte kapillare Leitfähigkeit aufweisen. Geregelt werden die Anforderungen an die Sanierputzsysteme, die sowohl im Innen- als auch im Außenbereich eingesetzt werden können, noch detaillierter im WTA-Merkblatt 2-9-04 „Sanierputzsysteme“. Entsprechend diesen gegenüber der DIN EN 998-1 „Putzmörtel“ beschriebenen Mindestanforderungen muss ein Sanierputzsystem nach WTA darüber hinaus eine erhöhte Schadsalzresistenz aufweisen. • Schallabsorbierende Funktion Putze, die in der Lage sind, Schall zu absorbieren und den Nachhall zu verringern, werden auch Akustikputze genannt. Durch eine geeignete Rezeptierung müssen Akustikputze in der Lage sein, Schall zu absorbieren. Die schallabsorbierende Wirkung wird unter anderem durch eine poröse Oberflächenstruktur erreicht. Die Schallabsorption wird nach DIN EN ISO 11654 in sechs Klassen eingeteilt. Der Hersteller von Akustikputzen muss auf der Basis von amtlichen Prüfergebnissen die Schallabsorptionsklasse angeben. • Strahlenabsorbierende Funktion (Strahlenschutzputze) Für besondere Einsatzgebiete, z.B. in Räumen, in denen energiereiche Strahlung wie Röntgenstrahlung auftritt, müssen Putze mit strahlenabsorbierender Wirkung verwendet werden. Diese speziellen Putze müssen Anforderungen hinsichtlich der Putzdicke, der Zusammensetzung erfüllen und den einschlägigen Richtlinien für den Strahlenschutz entsprechen. Der Schutz gegenüber ionisierender Strahlung wird unter anderem dadurch erzielt, dass als Zuschlag Schwerspat verwendet wird. • Brandschutzfunktion Putze, die als Brandschutzbekleidung verwendet werden können, müssen die Anforderungen an den Putz als Brandschutzbekleidung gemäß DIN 4102-4 „Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen; Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile“, 03/1994, erfüllen. Durch die Wahl des Bindemittels und eine geeignete Rezeptierung erhält man Putze, die im Brandbelastungsfall eine z.T. selbstlöschende Funktion zeigen. Ein besonders geeignetes Bindemittel für brandschützende Putze ist Gips. Neben der „selbstlöschenden“ Wirkung von Gips durch Abgabe eines Teils seines Kristallwassers enthalten Brandschutzputze als Zuschlag häufig Vermiculite (geblähten Glimmer). • Magnetfunktion (Magnetputze) Die magnetische Wirkung des Putzes wird durch Einbetten von Eisenteilchen in den Putzmörtel erhalten. Auf der Oberfläche der Magnetputze haften dann all die Teile, die auf einer Magnettafel haften würden. Üblicherweise verwendet man als Bindemittel für Magnetputze Kunstharzdispersionen. Auf den eisenteilhaltigen Kunstharzputz lassen sich nun mit kleinen Magneten Pläne, Karten oder Plakate anheften. • Schadstoffzerstörende Funktion Ähnlich wie die katalytisch wirkenden Beschichtungsstoffe für die Innenwand werden neuerdings Innenputze angeboten, die in der Lage sind, über Oberflächen-Wechselwirkungen Schadstoffe zu zerstören, d.h. in kurzkettige, kleinere Moleküle zu zerlegen. Die Abbaustoffe sollen keine schädigenden und das Wohlbefinden beeinträchtigenden Eigenschaften haben. 3.2.3.2
Bindemittel Gips, mögliche Zuschläge und notwendige Additive
Putze, die als Innenputze verwendet werden, werden nach den wesentlichen Gesichtspunkten der Behaglichkeit und der Klimaregulierung in einem Innenraum ausgewählt und
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eingesetzt. Dazu zählt im Wesentlichen die Eigenschaft, Feuchte aus der Luft aufnehmen und wieder abgeben zu können. Drei Innenputzmörtelarten haben in der Vergangenheit den Beweis angetreten, dass sie zum Wohlbefinden beitragen und eine klimaregulierende Wirkung besitzen bzw. erzeugen. Dies sind Putze auf der Bindemittelbasis Gips und Putze auf der Bindemittelbasis Ton bzw. Lehm. Nachfolgend soll näher auf Gipsputze und deren Bestandteile eingegangen werden. Gips – als erhärtendes Bindemittel Das Erhärtungsverhalten von Gips, d.h. des Gipsbinders, unterscheidet sich deutlich von dem des Zementes und des Kalkes, deshalb soll nachfolgend kurz das Erhärtungsverhalten nach Zugabe des Anmachwassers beschrieben und anschließend auf die Zusammensetzung eines Putzmörtels eingegangen werden, d.h. auf die Zusätze, die man benötigt, um einen maschinengängigen Putzgips, einen sogenannten Maschinenputzgips, zu erhalten. Erhärten von Gips Nach der Zugabe des Anmachwassers, in der Regel 50 bis 60 % des Gipsgewichtes, erhärtet der Gips (CaSO4 · H2O) durch Kristallisation, d.h. durch Anlagerung von weiterem Kristallwasser, das dem CaSO4 beim Brennen entzogenen wurde. Man spricht auch von einer Rehydratation. CaSO4 · 1/2 H2O + n H2O → CaSO4 · 2 H2O Die Erstarrungszeit des Putzgipses ist relativ kurz. Sie reicht von wenigen Minuten bis ca. 15 bis 20 Minuten. Die Abbindezeit des Anhydrits (CaSO4 ohne Kristallwasser) dagegen ist bedeutend länger, jedoch für die Praxis nicht lang genug. Gips unterscheidet sich in seinem Verhalten von Kalk und Zement nicht nur durch das Erhärtungsverhalten, sondern auch dadurch, dass er während und nach der Erhärtung nicht schwindet, d.h. das Volumen verringert sich nicht. Im Gegenteil, in der Regel ist während des Erhärtens eine Expansion als Funktion des Wasser-/Gips-Verhältnisses zu beobachten. Zuschlagstoffe Zum Herstellen von Gipsputzen eignen sich, wie für Putze mit anderen Bindemitteln auch, Zuschlagstoffe • • • •
mit dichtem Gefüge wie Natursand oder Brechsand mit porigem Gefüge wie Perlite oder Blähton organische Zuschläge mit dichtem Gefüge wie Kunststoffgranulat mit porigem Gefüge wie geschäumte Kunststoffe
Additive Nachdem das Bindemittel Stuckgips bzw. Putzgips in den meisten Fällen auch der Anhydrit (wasserfreier Gips), nach der Zugabe des Wassers eine zu kurze Verarbeitungszeit besitzt, müssen dem Gipsputz Additive zugefügt werden, die die Verarbeitungszeit deutlich verlängern. Ferner müssen Additive zugegeben werden, die das Wasserrückhaltevermögen erhöhen sowie die Maschinengängigkeit verbessern. Diese Additive oder Zusätze werden auch Stellmittel genannt. Das wichtigste Zusatzmittel für Putzgipse sind Abbindeverzögerer. Diese basieren in der Regel auf Fruchtsäuren, z.B. Weinsäure, Zitronensäure oder Apfelsäure.
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Zur Verbesserung des Wasserrückhaltevermögens und zur Einstellung der Viskosität werden Stärkeether und Celluloseether hinzugefügt. Die Stellmittel können migrieren und auf das Verhalten von Anstrichstoffen Einfluss nehmen. Je nach Anwendungsgebiet wird nicht das reine Stuckgips- oder Putzgips-Bindemittel verwendet, sondern Mischungen aus Kalkhydrat und Putzgipsen. In Abhängigkeit von der Zusammensetzung und Art der zugesetzten Stellmittel erhält man nach der Erhärtung einen Gipsputz oder Gipskalkputz mit Druckfestigkeiten über 2 N/mm2 und Biegezugfestigkeiten von mindestens 1 N/mm2. Richtrezepturen Gipsputzen. bzw. Gipskalkputzen Die nachfolgenden Richtrezepturen zeigen die typischen Zusammensetzungen von Gipsputzen. bzw. Gipskalkputzen im Lieferzustand. Gipsputze Tabelle 3.14: Handgipsputz Rezeptur 1 β-Halbhydrat
Tabelle 3.15: Handgipsputz Rezeptur 2 45,00 %
β-Halbhydrat
65,0 %
Kalksteinsand (0 bis 1 mm)
48,7 %
Kalkhydrat
5,0 %
Kalkhydrat
5,0 %
Perlite
1,5 %
Perlite
1,0 %
Luftporenbildner
0,01 %
Weinsäure oder Zitronensäure
0,04 %
modifizierte HPMC (10.000 mPas)
0,25 %
Quarzsand (0 bis 1 mm)
28,20 %
Weinsäure oder Zitronensäure
0,08 %
modifizierte Methylzellulose (11 bis 16.000 mPas)
0,22 %
Gipskalkputze Tabelle 3.16: Maschinenputz auf Kalk/Gipsbasis Rezeptur 1
Tabelle 3.17: Maschinenputz auf Kalk/Gipsbasis Rezeptur 2
β-Halbhydrat (0 bis 0,2 mm)
50,0 %
β-Halbhydrat (0 bis 0,2 mm)
50,0 %
Kalksteinsand (0 bis 1 mm)
43,75 %
Kalkhydrat
20,0 % 28,95 %
Kalkhydrat
5,0 %
Kalksteinsand (0 bis 1 mm)
Perlite
1,0 %
Perlite
0,8 %
Walocel S 2000
0,02 %
Luftporenbildner
0,02 %
Weinsäure oder Zitronensäure
0,04 %
modifizierte HPMC (10.000 mPas)
0,17 %
modifizierte Methylzellulose (11 bis 16.000 mPas)
0,18 %
Luftporenbildner, z.B. Natriumlaurylsulfat
0,01 %
Weinsäure oder Zitronensäure
0,06 %
Innenputze sind genormt und werden in der DIN V 18550 unterschieden nach Innenputzen für übliche Beanspruchung und Innenputzen für Feuchträume. Die nachfolgende Tabelle 3.18 listet die Anforderungen an die Mörtelgruppen und Druckfestigkeitsklassen für Innenputze, untergliedert nach Unter- und Oberputzen, auf. Gipsgebundene Putze nach DIN 1168-1 und DIN EN 13279-1 Gipsgebundene Putze werden in der Regel als Trockenmörtel geliefert. Als Bindemittel enthalten sie entweder Baugipse nach DIN 1168-1 „Baugipse; Begriff, Sorten und Verwendung, Lieferung und Kennzeichnung“ (1/1986) oder Anhydrit-/Calciumsulfat-Binder nach
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Tabelle 3.18: Bewährte Innenputzsysteme nach DIN V 18550 (Auszug) Quelle: Lafarge Betonhandbuch; Oberursel: Lafarge Zement GmbH; 2007, Seite I 15-2 Putzanwendung
Innenputze mit üblicher Beanspruchung
Innenputze für Feuchträume
Unterputz
Oberputz
Mörtelgruppe (DIN V 18550)
Druckfestigkeit (DIN EN 998-1)
Mörtelgruppe (DIN V 18550)
Druckfestigkeit (DIN EN 998-1)
–
–
PI
CS I
PI
CS II
PI
CS I
–
–
P II
CS II
P II
CS II
PI
CS I
P II
CS II
P II
CS II
P II
CS II
P IV
(≥ 2,0 N/mm2)
–
–
P III
CS IV
P III
CS III
PI
CS I
P III
CS III
P II
CS II
P III
CS IV
P II
CS III
P III
CS IV
P III
CS IV
–
–
P IV
(≥ 2,0 N/mm2)
P IV
(≥ 2,0 N/mm2)
P I (dünnlagig)
CS I
P IV
(≥ 2,0 N/mm2)
P II (dünnlagig)
CS II
P IV
(≥ 2,0 N/mm )
P IV
(≥ 2,0 N/mm2)
–
–
P II
CS II
P II
CS II
P I (dünnlagig)
CS I
P II
CS II
P II
CS II
–
–
P III
CS III
–
–
P III
CS IV
P III
CS III
P II
CS II
P III
CS IV
P III
CS IV
2
DIN EN 13454 „Calciumsulfat-Binder, Calciumsulfat-Compositbinder und CalciumsulfatWerkmörtel für Estriche – Teil 1: Begriffe und Anforderungen“, Ausgabe 1/2005 bzw. Gipsbinder nach DIN EN 13279-1 „Gipsbinder und Gipstrockenmörtel – Teil 1: Begriffe und Anforderungen“ (9/2005). 3.2.3.3 Innenputz-Oberflächen Qualitätsstufen für abgezogene, glatte und gefilzte Putze Putzoberflächen im Innenbereich werden von den Nutzern hinsichtlich ihrer Oberflächeneigenschaften, z.B. der Optik und der Ebenheit, kritisch betrachtet. Der Unterschied zwischen dem Wunsch des Auftraggebers und den normativen Gegebenheiten führt nahezu täglich zu Konflikten am Bau, die nicht selten vor dem Gericht landen. Um über die normativ geforderten Ebenheitstoleranzen hinaus exaktere Beschreibungen für die Ausschreibungstexte zu erhalten, dem Ausschreiber und dem Auftraggeber sowie dem Auftragnehmer eine Vertragsgrundlage bieten zu können, wurde vom Bundesverband der Gipsindustrie e.V. in
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
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Verbindung mit dem Deutschen Stuckgewerbebund und dem Schweizer Maler- und Gipsunternehmerverband, dem Industrieverband Werkmörtel e.V., dem Bundesausschuss Farbe und Sachwertschutz e.V. sowie dem Hauptverband Farbe, Gestaltung und Bautenschutz mit dem Merkblatt „Putzoberflächen im Innenbereich – Qualitätsstufen für abgezogene, glatte und gefilzte Putze“ ein Regelwerk zur Verfügung gestellt, das zur deutlichen Verminderung der Konfliktmöglichkeiten beiträgt.
Tabelle 3.19: Innenputz-Qualitätsstufen für abgezogene und geglättete Putzoberflächen Qualitätsstufe
abgezogene Putzoberfläche
geglättete Putzoberfläche
Beschaffenheit/Eignung der Oberfläche
Maßtoleranz
Beschaffenheit/Eignung der Oberfläche
Maßtoleranz
Q1
geschlossene Putzfläche
–
geschlossene Putzfläche
–
Q2 Standard
geeignet z.B. für: • Oberputze, Körnung ≥ 2,0 mm • Wandbeläge aus Keramik, Natur- und Betonstein etc.
Standardanforderungen an die Ebenheit
geeignet z. B. für: • Oberputze, Körnung > 1,0 mm • mittel- bis grobstrukturierte Wandbekleidungen, z.B. Raufasertapeten mit Körnung RM oder RG nach BSF-Info 05-01 • matte, gefüllte Anstriche/Beschichtungen (z.B. quarzgefüllte Dispersionsbeschichtung), die mit langflorigem Farbroller oder mit Struktur aufgetreagen werden
Standardanforderungen an die Ebenheit
Q3
geeignet z.B. für: • Oberputze, Körnung > 1,0 mm • Wandbeläge aus FeinKeramik, großformatige Fliesen, Glas, Naturwerkstein etc.
erhöhte Anforderungen an die Ebenheit
geeignet z.B. für: • Oberputze, Körnung ≤ 1,0 mm • fein strukturierte Wandbekleidungen, z.B. Vlies, Raufasertapeten mit Körnung RM nach BSF-Info 05-01 • matte, fein strukturierte Anstriche/Beschichtungen
Standardanforderungen an die Ebenheit
Q4
–
–
geeignet für glatte Wandbekleidungen und Beschichtungen mit Glanz, z.B.: • Metall, Vinyl- oder Seidentapeten • L asuren oder Anstriche/Beschichtungen bis zum mittleren Glanz • Spachtel- und Glättetechniken
erhöhte Anforderungen an die Ebenheit
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Außen- und Innenputze und deren Oberfläche
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Dieses Merkblatt unterscheidet die Oberflächenbeschaffenheit in vier Qualitätsstufen nach Q 1 bis Q 4 und differenziert nach abgezogenen, geglätteten und gefilzten Putzoberflächen. Die Qualitätsstufe Q 2 beschreibt die Mindestanforderungen an die Ebenheit für sämtliche Putzoberflächenbearbeitungen. Die Qualitätsstufe Q 3 entspricht für geglättete und gefilzte Putzoberflächen den Standardanforderungen und für abgezogene Putzoberflächen erhöhten Anforderungen an die Ebenheit. Die Qualitätsstufe Q 3 genügt in der Regel den Anforderungen an den Untergrund für Innenanstriche. Die Qualitätsstufe Q 4 beschreibt die erhöhten Anforderungen an die Ebenheit für geglättete und gefilzte Putzoberflächen. Diese Qualitätsstufe ist erforderlich, wenn auf die Putzoberfläche glatte oder strukturierte Wandbekleidungen aufgebracht werden sollen, z.B. Seidentapeten oder Anstriche und Lasuren mit erhöhten Anforderungen sowie Beschichtungen, die in Spachtel- oder Glättetechnik aufzubringen sind. Die Tabellen 3.19 und 3.20, entnommen aus dem Merkblatt „Putzoberflächen im Innenbereich“, beschreiben die Qualitätsstufen für Innenputze für abgezogene bzw. geglättete Putzoberflächen sowie abgeriebene und gefilzte Putzoberflächen. Mikrobieller Bewuchs, Schimmelpilzbesiedlung Unter bestimmten Bedingungen tritt auf der Oberfläche von Gips- und Gipskalkputzen einerseits sowie Lehmputzen andererseits die Bildung von Schimmelpilzen auf. Tabelle 3.20: Innenputz-Qualitätsstufen für abgeriebene und gefilzte Putzoberflächen Qualitätsstufe
abgezogene Putzoberfläche
geglättete Putzoberfläche
Beschaffenheit/Eignung der Oberfläche
Maßtoleranz
Beschaffenheit/Eignung der Oberfläche
Maßtoleranz
Q1
geschlossene Putzfläche
–
geschlossene Putzfläche
–
Q2 Standard
abgeriebene Putzflächen sind geeignet z.B. für: • matte, gefüllte Anstriche/Beschichtungen
Standardanforderungen an die Ebenheit
gefilzte Putzflächen sind geeignet z.B. für: • matte, gefüllte Anstriche/Beschichtungen
Standardanforderungen an die Ebenheit
abgeriebene Putzflächen können auch geeignet sein für: • grobstrukturierte Wandbekleidungen, z.B. Raufasertapeten mit Körnung RG nach BSF-Info 05-01
gefilzte Putzflächen können auch geeignet sein für: • grobstrukturierte Wandbekleidungen, z.B. Raufasertapeten mit Körnung RG nach BSF-Info 05-01
Q3
geeignet z.B. für: • matte, nicht strukturierte/nicht gefüllte Anstriche/Beschichtungen
Standardanforderungen an die Ebenheit
geeignet z.B. für: • matte, nicht strukturierte/nicht gefüllte Anstriche/Beschichtungen
Standardanforderungen an die Ebenheit
Q4
geeignet z.B. für: • L asuren oder Anstriche/Beschichtungen bis zum mittleren Glanz
erhöhte Anforderungen an die Ebenheit
geeignet z.B. für: • L asuren oder Anstriche/Beschichtungen bis zum mittleren Glanz
erhöhte Anforderungen an die Ebenheit
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
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Die wesentliche Voraussetzung für die Besiedlung der Innenputzoberflächen mit Mikroorganismen ist ein überwiegend neutraler pH-Wert und eine ausreichende Feuchtigkeit. Die Besiedlung tritt dann auf, wenn über einen längeren Zeitraum, d.h. bis zu fünf Tagen, die Luftfeuchtigkeit 75 % oder mehr beträgt und ruhende Luftverhältnisse vorherrschen. 3.2.3.4
Anforderungen an Bautenfarben für Innenputze
Es stellt sich die Frage, warum Innenputze überhaupt mit einem Anstrichstoff versehen werden sollen. Putze dienen als Verschleißschicht, in Wohnräumen haben sie darüber hinaus die Funktion, das Wohnklima positiv zu beeinflussen. Innenanstriche haben die Aufgabe, einer möglichen Schimmelpilzbildung vorzubeugen, Fehler in der Putzoberfläche auszugleichen, das Behaglichkeitsempfinden der Nutzer zu verbessern. Das Aufbringen von Bautenfarben auf Innenputze, ob Neuputz oder Altputz, dient der Verlängerung der Nutzungsdauer der Verschleißschicht Putz und hat darüber hinaus eine ästhetische Funktion. Bautenfarben für den Innenbereich, besonders für Kalk- und Gipskalkputze, müssen folgende Eigenschaften aufweisen: • • • • •
hohe Wasserdampfdurchlässigkeit hohe CO2-Durchlässigkeit scheuer- und abriebfest geruchsfrei möglichst emissionsfrei
Die Bestandteile des Bindemittels dürfen nicht in Wechselwirkung mit dem Gipsputz treten, weil sonst die Gefahr der Bildung von Alkalisulfaten besteht. Über diese Anforderungen hinaus müssen Bautenfarben für Innenputze für die unterschiedlichen Oberflächen-Qualitätsstufen geeignet sein. Für den Entwickler ergeben sich hierbei neue Herausforderungen. 3.2.3.5
Normen, Richtlinien, Merkblätter, Literatur
Normen DIN 1168-1 „Baugipse; Begriff, Sorten und Verwendung, Lieferung und Kennzeichnung“ (1/1986) DIN EN 13279-1 „Gipsbinder und Gipstrockenmörtel – Teil 1: Begriffe und Anforderungen“ (9/2005) DIN EN 13454 „Calciumsulfat-Binder, Calciumsulfat-Compositbinder und Calciumsulfat-Werkmörtel für Estriche – Teil 1: Begriffe und Anforderungen“, Ausgabe 1/2005 DIN V 18550 „Putz und Putzsysteme – Ausführung“, Ausgabe 4/2005 DIN EN 998-1 „Festlegungen für Mörtel im Mauerwerksbau – Teil 1: Putzmörtel“, Ausgabe 9/2003 DIN EN 13658-2 „Putzträger für Innenputze“ (Ausgabe 9/2005) DIN 4102-4 „Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen; Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile“, 03/1994 DIN EN 15251 „Eingangsparameter für das Raumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden – Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik“, 8/2007
Merkblätter WTA-Merkblatt 2-9-04 „Sanierputzsysteme“ Merkblatt „Putzoberflächen im Innenbereich“, hg. Deutscher Stuckgewerbebund u.a., Stand November 2003 Merkblatt „Putzoberflächen im Innenbereich“ Merkblatt 3 „Qualitätsstufen: abgezogen, geglättet, abgerieben und gefilzt“; hg. Bundesverband der Gipsindustrie e.V., Industriegruppe Baugipse; Ausgabe Oktober 2011
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Holz, Holzwerkstoffe und deren Oberfläche
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Literatur Hummel, Hans-Ulrich: Gips und wasserärmere Calciumsulfate; in: Reul, Horst (Hg.); Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Band 7: Produkte für das Bauwesen; Beschichtungen, Bauklebstoffe, Dichtstoffe; S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2005, Seiten 71–86 Reul, Horst: Handbuch der Bauchemie – Grundlagen, Rohstoffe, Rezepturen; Verlag für chem. Industrie H. Ziolkowsky, Augsburg, 1991 Reul, Horst: Mit Kalkputzen Feuchtigkeit regulieren; in: b+b Bauen im Bestand, Heft 5/2012, Seite 56–60
3.3
Holz, Holzwerkstoffe und deren Oberfläche
Erhält Beton oder Putz seine endgültigen Eigenschaften, besonders an der Oberfläche, erst an der Baustelle, so liegt der Baustoff Holz bereits gebrauchsfertig vor. Bereits in der Zimmerei oder im holzverarbeitenden Betrieb erhalten Bauholz und Holzwerkstoffe ihre Oberflächeneigenschaften. Der Baustoff Holz umfasst geschnittene Nadel- und Laubhölzer und reicht von verleimten und geklebten Holzwerkstoffen bis zu gefertigten Holzwerkstoffen. Als nachwachsender Rohstoff wird Holz auch im konstruktiven Bereich immer mehr eingesetzt. Aufgrund seiner organischen Natur unterliegt die Oberfläche des Holzes, besonders im Außenbereich, einem steten Angriff, der nicht nur die Vergrauung, sondern auch Zerstörung durch pflanzliche Schädlinge zur Folge haben kann. Die Holzoberfläche bedarf deshalb einer schützenden Behandlung. Für den Bautenfarben-Entwickler und -Anwender sind daher die Oberflächeneigenschaften von besonderem Interesse. Im nachfolgenden Kapitel wird deshalb den physikochemischen Eigenschaften des Holzes große Aufmerksamkeit gewidmet und nur kurz auf die mechanischen Merkmale eingegangen.
3.3.1 Anatomischer Aufbau des Holzes Über eine Bildungsschicht entsteht durch Zellteilung, d.h. Wachstum, von Zellen in Ästen, Wurzeln und Stämmen von Bäumen und Sträuchern, sogenanntes sekundäres Dauergewebe, genannt Holz. Die Bildungsschicht oder Kambium scheidet unter stetiger Vergrößerung ihres Umfanges nach innen Holzzellen und nach außen Rindenzellen ab. Das Verhältnis Rinde zu Holz liegt bei älteren Bäumen bei ca. 1 : 9. Millionen von Zellen verschiedenster Art bilden dabei den Holzkörper. Gleichartige Zellen bilden größere Verbände, sogenannte Gewebe. Diese Gewebe müssen die Funktionen • Wassertransport • Nährstoffspeicherung • mechanische Festigung übernehmen. Den zu erfüllenden Funktionen entsprechend, werden die Gewebe in Leitgewebe und Speichergewebe eingeteilt. Der Großteil der Holzzellen verläuft parallel zur Stammachse, also in Faserrichtung. Zu diesen achsenparallel orientierten Zellen liegen rechtwinklig, d.h. im stehenden Baum waagerecht, zahlreiche als Holzstrahlen bezeichnete Zellbänder. Diese Zellbänder sind mit der Rinde verbunden und ermöglichen die Leitung und Speicherung von organischen Stoffen. Die Innenrinde (Bast) dient dem Transport der Stoffe, die zur Assimilation in den Nadeln und Blättern benötigt werden. Je nach Holzart können auf dem Querschnitt eines berindeten Baumstammes die aus Bast und Borke zusammengesetzte Rinde und der den Hauptteil bildende Holzteil mit Splint und Kern, Jahresringen oder Zuwachszonen und das im Innern liegende Mark unterschieden
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Abbildung 3.11: Schematische Darstellung von Nadelholz
Quelle: Wesche, K., Bauverlag Wiesbaden und Berlin, 1988
Abbildung 3.12: Schematische Darstellung von Laubholz
Quelle: Wesche, K., Bauverlag Wiesbaden und Berlin, 1988
werden. Das Mark dient dem jungen Spross überwiegend zur Speicherung der Inhaltsstoffe. Mit zunehmendem Alter des Holzes nimmt der Verkernungsvorgang zu, wobei sich allmählich das Holz in Splint und Kernholz trennt. Das außenliegende Splintholz erfüllt als lebender Teil des Stammes Wasserleit- und Speicherfunktionen. Das Kernholz enthält kaum noch lebende Zellen. Die Verkernung erfolgt je nach Holztyp zwischen dem zwanzigsten und vierzigsten Lebensjahr des Baumes. Bemerkenswert dabei ist, dass zahlreiche Kerninhaltsstoffe fungizid oder insektizid wirken können, d.h. einen natürlichen Holzschutz bilden. Dies erklärt auch, dass überwiegend Splintholz von tierischen oder pflanzlichen Organismen zerstört wird. Nach der Art der Kernholzbildung werden die Baumarten wie folgt eingeteilt: • Bäume mit regelmäßiger Farbkernbildung (sogenannte Kernholzbäume): hierzu zählen z.B. Kiefer, Rüster, Douglasie, Nussbaum und Kirschbaum • Bäume mit unregelmäßiger Farbkernbildung: diese Baumtypen werden als sogenannte Falschkerne bezeichnet, z.B. Rotkern oder Buche. • Bäume mit hellem Kernholz: hierzu zählen Fichte, Tanne, Rotbuche und z.B. Birnbaum. • Bäume mit verzögerter Kernholzbildung: zwischen Splint und Kernholz besteht dabei weder ein Farb- noch ein Feuchtigkeitsunterschied. Hierzu zählen z.B. Birke, Spitzahorn und Weißbuche. Jahresringe, Zuwachszonen In den Klimagebieten mit winterlicher Vegetationsruhe wird das Wachstum des Baumes unterbrochen. Dies zeigt sich in Ruhepausen der Jahresringbildung, die auf das Alter des Holzes schließen lassen. Hölzer aus immergrünen Tropenwäldern mit ununterbrochener Wachstumstätigkeit besitzen kaum unterscheidbare Zuwachszonen. Schnittrichtung Für die Verformungseigenschaften des verwendeten Holzes aber auch für die daraus resultierende Maserung ist die Schnittrichtung entscheidend. Dabei wird der sogenannte Querschnitt (quer zur Faserrichtung), der Tangentialschnitt (parallel zur Faserrichtung), und der Radialschnitt (der Schnitt durch die Mitte des Stammes parallel zur Faserrichtung), unterschieden.
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Holz, Holzwerkstoffe und deren Oberfläche
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3.3.2 Chemischer Aufbau des Holzes Nicht nur aus dem anatomischen Aufbau der Hölzer resultieren die physikalischen und technologischen Eigenschaften der Hölzer, sondern auch der chemische Aufbau der Zellwände beeinflusst die Eigenschaften erheblich. Holz ist, wie andere pflanzliche Stoffe auch, nicht ein einheitliches Material, sondern besteht aus einer Vielzahl organischer Verbindungen. Die chemische Elementaranalyse ergibt zwar für alle Hölzer sehr ähnliche Zusammensetzungen: • • • •
Kohlenstoff ca. 50 % Sauerstoff ca. 43 % Wasserstoff ca. 6 % Stickstoff weniger als 1 %
Das Verhältnis der hauptsächlich vorhandenen Verbindungen, also der Hauptbestandteile, kann sich deutlich unterscheiden. Je nachdem ob Laub- oder Nadelhölzer vorliegen, oder ob tropische Hölzer oder Hölzer aus dem gemäßigten klimatischen Bereich analysiert werden, schwanken die Bestandteile des Holzes wie folgt: • • • • •
Zellulose 40 bis 50 % Polyosen 15 bis 35 % Lignin 20 bis 35 % Extraktstoffe 1 bis 3 % (z.B. Fette, Wachse, Harze, Eiweiß) Asche 0,1 bis 0,5 % (Rückstand nach dem Verbrennen)
In Nadelhölzern liegt der Lignin-Anteil deutlich höher als in Laubhölzern. In tropischen Hölzern können Extraktstoffgehalte bis zu 15 % und Aschegehalte bis 5 % auftreten. Zellulose Zellulose ist die Gerüstsubstanz der Zellwand und im Wesentlichen für die Zugfestigkeit des Holzes verantwortlich. Zellulose ist ein natürliches Polymer, bestehend aus GlucoseEinheiten. Polyosen Polyosen werden auch als Hemizellulosen bezeichnet. Polyosen sind mit der Zellulose bzw. mit den Zellulosetypen verwandt, unterscheiden sich aber im molekularen Aufbau dadurch, dass nicht nur Glucose-Einheiten als Bausteine vorhanden sind, sondern verschiedene Zuckerbausteine den Molekülaufbau bestimmen. Polyosen wirken im Holzaufbau als Verbindung zwischen der Zellulose und dem Lignin und sind an den Quell- und Schwindprozessen des Holzes beteiligt. Isolierte Polyosen wirken wie natürlicher Klebstoff. Lignin Lignin als dritter wesentlicher Bestandteil des Holzes ist der sogenannte Verholzungsstoff und verleiht den pflanzlichen Geweben erst den typischen Holzcharakter. Lignin ist, chemisch gesehen, ein aromatischer Baustein mit Phenylpropan-Einheiten. Bei der Herstellung von Zellstoff aus dem Holz fällt das Lignin in erheblichen Mengen an und wird für unterschiedlichste Anwendungsgebiete eingesetzt. Extraktstoffe Neben den zuvor genannten Hauptbestandteilen enthält Holz noch eine Vielzahl organischer relativ niedermolekularer Verbindungen, die mit geeigneten Lösungsmitteln extrahierbar sind. Sie werden deshalb auch Extraktstoffe genannt. In Nadelhölzern liegen als Extraktstoffe Ter-
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pene vor. Daneben erhält man noch Lignane, Stilbene, Flavonoide, Fette, Wachse, Gerbstoffe und eine Vielzahl anderer kompliziert aufgebauter Stoffe. Die Art der Extraktstoffe und deren Konzentration ist oft ausschlaggebend für das Nahrungsangebot der tierischen und pflanzlichen Organismen, aber auch für den typischen Geruch einer Holzart. Neben den zuvor genannten Extraktstoffen enthält Holz noch Zellinhaltsstoffe wie Zucker, Stärke, Eiweißstoffe und Fette. Diese bilden für holzzerstörende Pilze den Hauptnährstoff. Die in den Extraktstoffen enthaltenen Proteine dienen den Larven der holzzerstörenden Insekten als Nahrungsgrundlage.
3.3.3 Holzfeuchte Holz enthält neben den zuvor genannten Bestandteilen erhebliche Mengen Feuchtigkeit. Diese Feuchte liegt als in den Zellen und den Hohlräumen eingeschlossenes Wasser vor. Man unterscheidet dabei die Gleichgewichtsfeuchte und die Darrfeuchte. Holzfeuchtebestimmung Die Holzfeuchte wird dabei definiert als das Verhältnis zwischen der Masse des im Holz enthaltenen Wassers und der Masse des wasserfreien, absolut trockenen sogenannten darrtrockenen Holzes. Die Holzfeuchte µ wird in Prozent angegeben. Die Holzfeuchtigkeit wird nach der Beziehung mu - mo . 100 [%] µ= m o wobei mu = die Masse des feuchten Holzes in g mo = die Masse des wasserfreien Holzes in g bezeichnet und gemäß DIN 52183 nach Trocknung bei 105 °C im Trockenschrank berechnet wird. Danach bedeuten z.B. 25 % Holzfeuchte, dass auf 100 Teile absolut trockener Holzsubstanz 25 Teile Wasser kommen. 100 % Holzfeuchte bedeuten, dass Holz eine Wassermenge enthält, die genau seinem Gewicht im darrtrockenen Zustand entspricht. Die Berechnung und Bezeichnung der Holzfeuchte wird z.B. in der DIN 68 800 Teil 3 beschrieben. Nachfolgend einige charakteristische Holzfeuchtewerte: • 0 % : Darrgewicht des Holzes, absolut ofentrockenes Holz • 12 bis 16 % : Gleichgewichtsfeuchte für Holzkonstruktionen im Freien, z.B. Fenster Tabelle 3.21: Arten der Wasserbindung im Holz
Quelle: Thienel, K.-Ch, Universität der Bundeswehr München
Wassergehalt [M.-%]
Art der Wasserbindung
über 30 %
als freies Wasser in den Kapillaren des Holzes (in Poren und Hohlräumen des Holzes)
bis 30 %
als gebundenes Wasser in den Zellwänden (über 30 % keine Volumenveränderung nur Gewichtsveränderung)
6 – 15 %
durch Adsorption an der Oberfläche interfibrillärer und interzellulärer Räume
0–6%
durch Chemosorption als chemische Bindung an freien Hydroxylgruppen von Cellulose- und Polyosemolekülen
Nach DIN 1052 werden für die Holzfeuchte als Ausgleichsfeuchte folgende Werte angenommen: in geschlossenen, beheizten Räumen 9 ± 3 %, in geschlossenen, unbeheizten Räumen 12 ± 3 %, in überdeckten, offenen Bauwerken 15 ± 3 %, in Bauwerken, die der Witterung ausgesetzt sind 18 ± 6 %.
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• 15 bis 20 % : Bauholz unter offenen, aber überdachten Bereichen • 20 % : unterer Grenzwert für Pilzbefall • 28 bis 32 % : Fasersättigungsbereich für die meisten Holzarten. Bei 100 % relativer Luftfeuchte stellt sich die Gleichgewichtsfeuchte ein. Verhalten von Holz gegenüber Temperatur- und Feuchteeinfluss
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Tabelle 3.22: Längenausdehnungskoeffizienten von Werkstoffen im Vergleich
Quelle: Bogusch: Lehrgangsmanuskript Modul IV (2005), S. 1–7
Werkstoff
Längenausdehnungskoeffizient
Aluminium
24 m · 10 – 6 /K
V2A-Stahl
16 m · 10 – 6 /K
Guss
12 m · 10 – 6 /K
Holz
5 m · 10 – 6 /K 120 m · 10 – 6 /K
Polyamid
Polyäthylen 200 m · 10 – 6 /K Der materialspezifische Längenausdehnungskoeffizient von Holz ist im PVC 175 m · 10 – 6 /K Vergleich zu anderen Werkstoffen sehr gering, so dass Temperaturschwankungen kaum Dimensionsschwankungen zur Folge haben. Die nachfolgende Tabelle listet die Längenausdehnungskoeffizienten einiger Werkstoffe im Vergleich auf.
Der anatomische Aufbau des Holzes ist die Voraussetzung für die guten Wärmedämmeigenschaften und dient als Vorbild für viele synthetische Werkstoffe. Holz unterscheidet sich deshalb z.B. vom Werkstoff Beton in seiner Wärmeleitfähigkeit und Oberflächentemperatur deutlich. Die Folge ist, gerade im Innenbereich, eine geringe Neigung zur Tauwasserbildung bei hohem Feuchtegehalt der Innenraumluft. Die Tabelle 3.23 vermittelt hiervon einen Eindruck. Sie zeigt die raumseitige Oberflächentemperatur und Grenzfeuchte für Tauwasserausfall an verschiedenen Baustoffen bei angenommenen Außentemperaturen von 0 °C und Innentemperaturen von 20 °C und einer Materialstärke von 100 mm. Quellen und Schwinden Die hygroskopische Eigenschaft des Holzes führt zu Volumen- und Maßänderung bei wechselnden Umgebungsfeuchten. Die Maßänderungen von Holz bei Feuchtigkeitsaufnahme bzw. -abgabe wird durch die Bestimmung der linearen Quell- und Schwindmaße in den drei Holzrichtungen längs, tangential und radial bestimmt. Das Lineare Quell- bzw. Schwindmaß wird mit a bzw. b bezeichnet, das Volumenquellmaß wird αV und das Volumenschwindmaß bV genannt. Die Bestimmungsmethode wird in der DIN 52184 beschrieben. Tabelle 3.23: Raumseitige Oberflächentemperatur und Grenzfeuchte für Tauwasserausfall an verschiedenen Baustoffen Quelle: Bogusch, Modul IV (2005), S. 1–7 Baustoff
Wärmeleitfähigkeit λ [W/mK]
Oberflächentemperatur innen [°C]
Grenzfeuchte rel. Luftfeuchtigkeit [%]
Aluminium
200
4,7
36,7
Stahl
60
4,8
37,0
Guss
50
4,8
37,0
V2A-Stahl
15
5,3
38,1
Beton
2,1
8,2
46,1
Polyethylen
0,4
13,8
67,6
Holz
0,13
17,1
84,1
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
In der Literatur und in der Norm findet man das differentielle Schwindmaß V, ausgedrückt in % je % Feuchteänderung, in Abhängigkeit von den Schnittebenen des Holzes. Die Tabelle 3.24 gibt einen Überblick über das differentielle Schwindmaß der am häufigsten eingesetzten Bauholzarten.
3.3.4 Dauerhaftigkeit Unter diesem qualitativen Begriff Dauerhaftigkeit wird die Widerstandsfähigkeit gegen mechanische Abnutzung, gegen chemische Angriffe, gegen Witterungseinflüsse und gegen Schädlingsbefall verstanden. Widerstand gegen mechanische Abnutzung Mit steigender Rohdichte und Härte sowie abnehmender Holzfeuchte erhöht sich der Verschleißwiderstand. Durch Oberflächenschutzsysteme, z.B. Beschichtungen, kann der Widerstand gegen mechanische Abnutzung erheblich verbessert werden. Widerstand gegen chemische Angriffe Die meisten Holzarten sind gegenüber chemischen Angriff verhältnismäßig widerstandsfähig. Sie widerstehen dem Angriff von Laugen und Säuren mit pH-Werten zwischen 10 und 3. Der pH-Wert der meisten Hölzer liegt zwischen 4 und 5. Kristallisieren die Reaktionsprodukte in den Zellen aus, wird das Holz mechanisch zerstört. Nach Kontakt mit Metallen kommt es aufgrund der Wechselwirkung der Elektrolyten in der Holzmatrix zu Verfärbungen. Widerstand gegen Witterungseinflüsse Die Holzoberfläche wird, besonders im Außenbereich, durch Sonneneinstrahlung und häufige Feuchte- und Temperaturwechsel beeinträchtigt. Die UV-Strahlung zerstört die obersten Holzschichten. Die Folge sind Verfärbungen und nach Wasserkontakt eine Vergrauung. Feuchte- und Temperaturwechsel lassen Holz quellen und schwinden. Die Folge ist die Rissbildung. Über die Risse dringt Feuchtigkeit ein und begünstigt die Einwirkung pflanzlicher Schädlinge.
Tabelle 3.24: Differentielles Schwindmaß V verschiedener Holzarten und Holzwerkstoffe Holzart
Quelle: Bogusch
Differenzielles Schwindmaß V %/% radial
tangential
mittel
Ahorn
0,15
0,26
0,21
Birke
0,21
0,29
0,25
Buche
0,20
0,41
0,31
Eiche
0,16
0,36
0,26
Esche
0,21
0,38
0,30
Fertigparkett (3-lagig abgesperrt)
0,03
0,03
0,03
Fichte
0,19
0,39
0,29
Kiefer
0,19
0,36
0,28
Lärche
0,14
0,30
0,22
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Holz, Holzwerkstoffe und deren Oberfläche
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Abbildung 3.13: Unbehandelte Holzfassade auf der Süd- und Ostseite
Abbildung 3.14: Unbehandelte Holzfassade auf der Westseite; schon nach einem Jahr der Bewitterung zeigt sich die Vergrauung der Holzoberfläche
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
Tabelle 3.25: Resistenzklassen verschiedener Holzarten nach DIN EN 350-2 Quelle: Kempe, K, IRB Verlag, S. 32 Einheimische Holzarten
Resistenzklasse*
Fichte
4
Tanne
4
Kiefer
3 – 4
Lärche
3 – 4)
Douglasie
3 – (4)
Eiche
2
Robinie
1 – 2
Buche
5
Edelkastanie
2
Importhölzer Western Red Cedar
2
Yellow Cedar
2 – 3
Bangkirai
2
Afzelia
1
Kambala
1 – 2
Bongossi (Azobe)
2
Teak 1
(1 – 3)
White Meranti
5
(630 kg/m3 )
Yellow Meranti
4
(630 kg/m3 )
Light Red Meranti
3 – 4 (520 kg/m3 )
Dark Red Meranti
2 – 4 (680 kg/m3 )
* Resistenzklassen nach DIN EN 350-2: 1 = sehr resistent 2 = resistent 4 = wenig resistent 5 = nicht resistent
Vorbeugende Maßnahmen gegen Schädlingsbefall Es werden in der Regel zwei Strategien verfolgt: Entweder man verwendet Holzarten mit erhöhter Resistenz gegenüber Schädlingsbefall oder man versucht, die einzubauenden Hölzer durch vorbeugende chemische Verfahren mit Holzschutzmitteln vor Befall zu bewahren. Resistenz von Holzarten gegen Befall Hölzer werden nach dem Grad der Resistenz des ungeschützten Kernholzes gegen Befall durch holzzerstörende Pilze bei langanhaltender Feuchtigkeit über dem Feuchtegehalt von 20 % bzw. Erdkontakt eingeteilt. Das Splintholz sämtlicher Holzarten wird grundsätzlich der Gefährdungsklasse 4 bzw. 5 zugeordnet. Die Resistenzklasse des Holzes resultiert im Wesentlichen aus der Wirkung der Nebenbestandteile des Holzes, den sogenannten Inhaltsstoffen, z.B. Kern-, Mineral- und Gerbstoffe. Die Tabelle 3.25 gibt einen Überblick über die Resistenzklassen. Holzschutzmittel
3 = mäßig resistent
Zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Holzoberflächen werden verschiedene Strategien verfolgt, auf die im Folgenden intensiv eingegangen wird. Bei der Auswahl der Bindemittel und Additive der Beschichtungsstoffe ist darauf zu achten, dass Wechselwirkungen mit den Holzschutzmitteln möglich sind. Deshalb soll kurz auf die Inhaltsstoffe der vorbeugenden Holzschutzmittel eingegangen werden. Man unterscheidet vorbeugende wässrige Holzschutzmittel auf Salzbasis von vorbeugenden lösungsmittelhaltigen Holzschutzmitteln. Die wässrigen Holzschutzmittel enthalten: • C: Chromverbindungen (Kaliumdichromat, Natriumdichromat, Ammoniumdichromat) • F: Fluorverbindungen (Magnesiumhexafluorosilikat, Kupferhexafluorosilikat, Kaliumhydrogenfluorid, Ammoniumhydrogenfluorid) • Wird die Buchstabenkonfiguration HF aufgeführt, weist dies auf Hydrogenfluoride hin. Bei der Buchstabenkonfiguration SF auf Fluorosilikate. • A: Arsenverbindungen (hauptsächlich Arsenpentoxid) • B: Borverbindungen (Borsäure, Borax, Polybor) • K: Kupferverbindungen (Kupfersulfat, Kupferhexafluorosilikat) Anmerkung: Die Chromate wirken im Wesentlichen nicht biozid, sie dienen in der Regel der Fixierung der Biozide im Holz.
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Holz, Holzwerkstoffe und deren Oberfläche
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Die lösemittelhaltigen Holzschutzmittel werden seltener vorbeugend eingesetzt. Sie ähneln im Aufbau Imprägnierungen bzw. Lasuren und enthalten, je nach Anwendungsbereich, neben Bindemitteln, Pigmenten und Hilfsmitteln Wirkstoffe mit fungizider und insektizider Wirkung. Lösemittelhaltige Präparate enthalten Wirkstoffe in äußerst geringen Konzentrationen, weil diese hochwirksam sind. Neben den Wirkstoffen bestehen lösemittelhaltige Präparate überwiegend aus Lösemittelgemischen oder reinen Lösemitteln und darüber hinaus, je nach Anwendungsbereich, aus Bindemitteln, Pigmenten und Hilfsmitteln, z.B. Sikkativen. Übliche Wirkstoffe lösemittelhaltiger Holzschutzmittel mit fungizider Wirkung sind Dichlofluanid, Propiconazol, Tebuconazol, Tributylzinnverbindungen, Xyligen-AL, Xyligen-B. Wirkstoffe mit insektizider Wirkung sind Cypermethrin, Deltamethrin, Lindan (a-Hexachlorcyclohexan, das in der Bundesrepublik Deutschland seit 1984 nicht mehr produziert werden darf) und Permithrin. Die Lösemittel dienen für die Wirkstoffe als Transportmittel. Die Lösemittel weisen oft Flammpunkte ab 30 °C auf, d.h. es besteht bei der Anwendung Brandgefahr. Bei der Anwendung in Innenräumen ist auf entsprechende Vorsichtsmaßnahmen wie gute Belüftung zu achten. Grundsätzlich sei angemerkt, dass die Anwendung von Holzschutzmitteln in Innenräumen die Ausnahme bleiben muss.
3.3.5 Holzwerkstoffe Bauholz, das aus natürlich gewachsenem Holz hergestellt wird, besitzt einige wesentliche Nachteile wie Anisotropie und Empfindlichkeit gegenüber Feuchteänderungen. Diesen Nachteilen begegnet man durch Weiterverarbeitung des Holzes zu Holzwerkstoffen. Holzwerkstoffe haben in jüngerer Zeit stark an Bedeutung zugenommen und können nach ihrer Weiterverarbeitung in drei wesentliche Gruppen gegliedert werden: • Lagenholz wird durch Aufteilen des Holzes (Lamellen, Furniere) und anschließender Wiedervereinigung durch Verleimen unter Druck hergestellt. • Holzspanwerkstoffe erhält man durch Zerkleinern, z.B. als Holzwolle, Holzspäne oder Holzfasern, und Zufügen eines Bindemittels • Holzfaserwerkstoffe werden durch chemischen Aufschluss, unter Zerstörung der Holzfasern und anschließendem Pressen unter hohem Druck mit oder ohne Bindemittel, ein neuer Werkstoff hergestellt. Mit den vorgenannten Holzwerkstoffen lassen sich Bauaufgaben, die bisher anderen Stoffen vorbehalten waren, problemlos und kostengünstig lösen. Nicht alle dieser Holzwerkstoffe sind genormt. Sie bedürfen bei der Anwendung einer allgemeinen bauaufsichtliche Zulassung oder einer Zulassung im Einzelfall. Nachfolgend sollen die wichtigsten Holzwerkstoffe erläutert werden. • Brettschichtholz (BSH): Auch als Leimholz oder Leimbalken bezeichnet, besteht aus mindestens drei faserparallel miteinander verklebten, getrockneten Brettern oder Brettlamellen aus Nadelholz; dadurch erhöht sich die Tragfähigkeit im Vergleich zu üblichem Bauholz um bis zu 80 %. BSH ist derzeit nach DIN 1052 genormt. • Balkenschichtholz (BASH): Für Balkenschichtholz werden Nadelholzbalken, z.B. aus Fichte oder Douglasie, aus zwei oder drei faserparallel miteinander verklebten Einzelhölzern gleicher Querschnittsmaße verarbeitet. • Lagenholz: Zur Herstellung von Lagenholz werden 0,5 bis 8 mm dicke Furniere als Endlosband vom Stamm geschält, geschnitten oder gesägt und anschließend verarbeitet. Typische Lagenhölzer sind:
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Beschichtungsuntergrund für Bautenfarben
– Multiplanplatten: Diese bestehen aus drei bis fünf Lagen kreuzweise verleimter Nadelholzbretter – Sperrholz: Darunter versteht man Platten aus mindestens drei aufeinander geleimten Holzlagen, deren Faserrichtungen um 90° gegeneinander versetzt sind. Dadurch wird das Quellen und Schwinden minimiert. Sperrholz wird in den Qualitäten „nicht wetterbeständig“ und „bedingt wetterbeständig“ angeboten. Sperrholz ist ferner als Furniersperrholz, Stabsperrholz, Stäbchensperrholz und zusammengesetztes Sperrholz im Handel. – Spanholz/Spanplatten: Diese im Rohbau für Innenwände, Außenwände und Außenbekleidungen sowie Dachschalungen eingesetzten Platten werden aus kurzen Spänen hergestellt. Dabei wird als Bindemittel in der Regel Kunstharz, selten Zement, Gips oder Magnesit, verwendet. – OSB-Platten: Diese Platten (oriented Strand Board) sind nach DIN EN 300 definiert. Sie zeichnen sich durch eine hohe Festigkeit, Steifigkeit und geringe Wasseraufnahme aus. OSB-Platten werden aus 60 bis 75 mm langen und 0,6 mm dicken, rechteckigen Flachspänen, meistens aus Kiefer, in drei Lagen hergestellt. Als Bindemittel wird Phenolharz zugesetzt. • Thermoholz (TMT): Sowohl Holz als auch Holzwerkstoffen ist gemeinsam, dass sie bei Bewitterung, insbesondere unter UV-Belastung, unerwünschte Oberflächeneigenschaftsänderungen erfahren wie Vergrauung, Rissbildung infolge Quell- und Schwindvorgängen sowie Befall durch pflanzliche und tierische Schädlinge. Werksseitige Strategien zur Holzoberflächenbehandlung Um die Änderungen der Oberflächeneigenschaften so gering wie möglich zu halten, werden verschiedene Strategien verfolgt. Diese reichen von der werksseitigen Behandlung mit Holzschutzmitteln über die werksseitige Imprägnierung bis zur Beschichtung im eingebauten Zustand. Eine interessante Alternative hierzu ist die thermische Behandlung des einzubauenden Holzes. Dieses Holz wird Thermoholz oder thermisch modifiziertes Holz (TMT = thermally modified Timber) bezeichnet. Das Holz wird auf mindestens 160 °C in sauerstoffarmer Atmosphäre, entweder unter Wasser oder in Öl, erhitzt. Dabei werden Holzbestandteile chemisch umgewandelt. Betroffen hiervon sind vor allem die thermisch instabilen Polyosen. Durch das Erhitzen werden Acetylgruppen an der Hemi-Zellulose abgespalten und Essigsäure gebildet. Die Essigsäure wirkt als Katalysator beim Abbau der Hemi-Zellulose. Bei Temperaturen um 150 °C wird auch a-Zellulose abgebaut. Flüchtige Stoffe wie Harze und Abbauprodukte der Hemi-Zellulose entweichen. Der relative Lignin-Anteil im Holz erhöht sich. Der pH-Wert des behandelten Holzes sinkt auf ca. 1,5. Dadurch wird den Mikroorganismen der Nährboden entzogen. Durch die Erhöhung des LigninAnteils wird die Holzfarbe dunkler. Das behandelte Holz bleibt weiterhin UV-unbeständig. Durch die thermische Behandlung verringern sich die Festigkeitswerte. Das Holz erhält einen rauchigen Geruch, der über die Zeit nachlässt. Das Schwind- und Quellmaß in tangentialer, axialer und radialer Richtung wird um bis zu 70 % verringert. Die thermische BehandAbbildung 3.15: Anstrichuntergrund Spanplatte, typisches Einsatzgebiet Dachuntersicht lung verringert einige negative Eigen-
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schaften des Holzes (Wasseraufnahme, Schwind- und Quellverhalten) deutlich, löst aber nicht das Problem der geringen UV-Beständigkeit. Auch thermisch behandeltes Holz muss durch geeignete innovative Maßnahmen, die weiter unten noch beschrieben werden, geschützt werden. Die erhöhte Acidität auf der Oberfläche, die Reduzierung der OH-Gruppen durch die thermische Behandlung müssen bei der Auswahl und Entwicklung von Bindemitteln für Beschichtungs- bzw. Anstrichstoffe beachtet werden.
3.3.6 Normen, Literatur Normen DIN EN 335-1 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten – Definition der Gefährdungsklassen für einen biologischen Befall – Teil 1: Allgemeines – Deutsche Fassung EN 335-1: 2006-10 DIN EN 335.2 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten – Definition der Gefährdungsklassen für einen biologischen Befall – Teil 2: Anwendung bei Vollholz – Deutsche Fassung EN 335-2: 2006-10 DIN EN 350-1 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten – Natürliche Dauerhaftigkeit von Vollholz – Teil 1: Grundsätze für die Prüfung und Klassifikation der natürlichen Dauerhaftigkeit von Holz; Deutsche Fassung EN 350-1: 1994-10 DIN EN 350-2 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten – Natürliche Dauerhaftigkeit von Vollholz – Teil 2: Leitfaden für die natürliche Dauerhaftigkeit und Tränkbarkeit von ausgewählten Holzarten von besonderer Bedeutung in Europa; Deutsche Fassung EN 350-2: 1994-10 DIN EN 351-1 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzwerkstoffen – Mit Holzschutzmitteln behandeltes Vollholz – Anforderungen an mit Holzschutzmitteln behandeltes Holz in Abhängigkeit von den Gefährdungsklassen; 2007-10 DIN EN 351-2 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzwerkstoffen – Mit Holzschutzmitteln behandeltes Vollholz – Probenahme und Analyse von mit Holzschutzmitteln behandeltem Holz; 2007-10 DIN EN 387 Brettschichtholz – Universal-Keilzinkenverbindungen – Leistungs- und Mindestanforderungen an die Herstellung; Ausgabe 2002-04 DIN EN 460 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten – Natürliche Dauerhaftigkeit von Vollholz – Leitfaden für die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit von Holz für die Anwendung in den Gefährdungsklassen; 1994-10 DIN EN 599-1 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten – Anforderungen an Holzschutzmittel, wie sie durch biologische Prüfungen ermittelt wird – Teil 1: Spezifikationen entsprechend der Gebrauchsklasse; 2009-10 DIN EN 599-2 Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten – Anforderungen an Holzschutzmittel, wie sie durch biologische Prüfungen ermittelt werden – Teil 2: Klassifikation und Kennzeichnung; 1995-08 DIN 68 800 Teil 2 Holzschutz im Hochbau, Vorbeugende bauliche Maßnahmen im Hochbau; 2012-02 DIN 68 800 Teil 3 Holzschutz im Hochbau, vorbeugender chemischer Schutz von Vollholz; 2012-02 DIN 68 800 Teil 4 Holzschutz, Bekämpfungsmaßnahmen gegen holzzerstörende Pilze und Insekten; 2012-02 DIN 52 161 Teil 1 Prüfung von Holzschutzmitteln, Nachweis von Holzschutzmitteln im Holz, Probenahme aus verbautem Holz; 2006-06 DIN 52 161 Teil 4 Prüfung von Holzschutzmitteln, Nachweis von Holzschutzmitteln im Holz, Bestimmung der Menge von fluorhaltigen Holzschutzmitteln
Literatur Ohlmeyer, M., Paul, W.: Optimierung der Eigenschaften von Holzwerkstoffen mit Hilfe von thermischen Modifizierungsmethoden; Arbeitsbericht aus dem Institut für Holztechnologie und Holzbiologe Nr. 2010/2, Universität Hamburg Schönburg, K.: Holzoberflächen am Bauwerk; Fraunhofer IRB Verlag; Stuttgart, 2009 Kempe, K.: Holzschädlinge; IRB Verlag; Stuttgart, Berlin; 4. Auflage; 2009, für Tabelle 3.25 S. 32 Thienel, K.-Ch.: Bauchemie und Werkstoffe des Bauwesens – Holz; Vorlesung Wintertrimester 2011; Universität der Bundeswehr München, Fakultät für Werkstoffe des Bauwesens und für Tabelle 3.21 S. 23 Bogusch, N.: Lehrgang Gebäudeschäden und Gebäudeinstandsetzung (TÜV); Lehrgang an der TÜV Rheinland Akademie GmbH in Köln und München; Modul IV Teil 1: Holzwerkstoffe und Holzschädlinge Wesche, K.: Baustoffe für tragende Bauteile, Teil 4 Holz und Kunststoffe. 2. Auflage, Bauverlag Wiesbaden und Berlin, 1988
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4 Megatrends und ihr Einfluss auf die Entwicklung von Bautenfarben Seit Jahren zeichnen sich Megatrends ab, die Maßnahmen für das gesundheitliche Wohlbefinden umfassen. Hierzu zählen neben der Bio-Welle die Fitness-Welle und die Wellness-Welle. Diese Trends sind mehr oder weniger Außentrends, d.h. Fitness-Wellness-orientierte Tätigkeiten werden in einem losen sozialen Netzwerk außerhalb der eigenen vier Wände ausgeführt. Diesen Trend Wellness und Maßnahmen zum gesundheitlichen Wohlbefinden steht seit mehr als fünfzehn Jahren der Trend Cocooning gegenüber. Diese Entwicklung ist innenorientiert und damit verbunden sind alle Maßnahmen, die zum Wohlbefinden beim Wohnen gehören. Man könnte auch von der neuen Gemütlichkeit sprechen. Dies ist nicht unbedingt mit dem Attribut Gemütlichkeit der Vergangenheit zu verbinden, sondern mit der Präsentation von Komfort innerhalb der eigenen vier Wände mit Wirkung auf einen ausgewählten Personenkreis. Beide Megatrends entwickelten sich ohne staatliche Regulierung. Megatrend Ökologie, Umweltfreundlichkeit, Klimaschutz Ein durch staatliche Einflussnahme induzierter Trend ist der Trend zur Energieeinsparung. Dieser Trend nimmt immer mehr Einfluss auf Bauweisen und Bauprodukte. CO2-Einsparung: Trotz des umstrittenen Einflusses des CO2 auf die Klimaerwärmung werden Produkte und technische Verfahren nach deren CO2-Emission bzw. CO2-äquivalenten klimarelevanten Emissionen untersucht und beurteilt. Neben dem innenorientierten Megatrend Cocooning zeichnet sich der Zeitgeist im Alltag als Wohntrend ab. Wohnwelttrend Man unterscheidet zurzeit vier Wohnwelten. Diese Wohnwelttrends schlagen sich in der Auswahl der Farben nieder. • modern – designorientiert hochglänzende oder matte Oberflächen in zarten Naturtönen sind typisch hierfür • klassisch – elegant klassische Eleganz vergangener Epochen zeigt sich in einer harmonischen Verbindung mit asiatischen oder afrikanischen Elementen, hochwertig und edel, aber auch Oberflächen mit „used Charakter“. Diese sollen den Eindruck jahrhundertelangen Gebrauchs und uralter Tradition vermitteln. • natürlich – harmonisch Eine Mischung aus gemütlicher und farbenfroher Gestaltung, gewissermaßen als Mixtur aus Ererbtem und Neuem, werden Räume in südländischer Leichtigkeit gestaltet. Man schafft sich ein Ambiente aus warmen und sommerlichen Farben, dazu gehören auch Hölzer in weichen Tönen. Typisch hierfür: mediterrane Badelandschaft • jung – unbeschwert leuchtende Farben, Muster und Stilmix sind Ausdruck dieses Wohnwelt-Trends Horst Reul: Innovationen in Bautenfarben © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Megatrends und ihr Einfluss auf die Entwicklung von Bautenfarben
Aldiisierung und Eternityisierung Neben den Megatrends Wellness, Fitness und Cocooning (gesund leben ohne Additive) halten sich seit nunmehr fünfzehn Jahren die beiden Megatrends Aldiisierung und Eternityisierung. D.h. wir leben in einer Zeit zwischen Aldi und Eternity. Was versteht man darunter? Unter Aldiisierung versteht man das Phänomen, aus der Rezession geboren, das auch einkommensstärkere Schichten zu billigsten Angeboten greifen lässt. Unter Eternityisierung versteht man das Phänomen, das die Entwicklung zum Langlebigen und Ursprünglichen beschreibt. Im weiteren Sinne umfasst dieser Megatrend alles, was Ewigkeit, Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit symbolisiert. Mit Eternity, aus dem lat. aeternitas (Ewigkeit) abgeleitet, über die USA zu uns gekommen, verbinden wir die Attribute langlebig, dauerhaft, ursprünglich, natürlich. Beobachtet man das Phänomen der Aldiisierung bis vor kurzem im Konsumgüterbereich, so lässt sich in der jüngeren Zeit beobachten, dass auch am Bau die beiden Megatrends bereits ihre Spuren hinterlassen haben. So fordert der einkommensschwächere Bauherr und Käufer von Eigentumswohnungen oder Häusern die gleiche Produktqualität wie von hochpreisigen Markenprodukten, akzeptiert dabei jedoch „No-Name-Products“ oder kaum bekannte Markennamen. Ausgeprägt finden wir dieses Phänomen im DIY-Markt. Der Megatrend Eternity, der immer stärker wird, dessen Geburtshelfer die Denkmalpflege und die Umweltschutzidee ist, wurzelt in einer romantischen Vorstellung von Natur und enthält eine rationale ökonomische Komponente. Megatrend Nanotechnologie Bei diesem Trend unterscheidet man drei Bereiche, und zwar • die inkrementelle Nanotechnologie, die Eigenschaften von Werkstoffen verbessern will, z.B. bei Oberflächenbeschichtungen, • die evolutionäre Nanotechnologie, die existierende Technologien zu verbessern und zu verkleinern sucht, und • die radikale Nanotechnologie, die das Ziel hat, neuartige Nanoroboter zu schaffen. Mittlerweile stößt man bereits in die fremde Welt des Pikometer-Universums ein. Für den Bautenfarben-Entwickler sind die inkrementelle und die evolutionäre Nanotechnologie von Interesse. Wie weit sich die Megatrends bereits auf die Entwicklung von Bautenfarben bzw. deren Komponenten ausgewirkt haben, darüber wird das Kapitel 6 Auskunft geben. Aus den Megatrends und dem zu beschichtenden Substrat ergibt sich ein besonderes Anforderungsprofil für Bautenfarben, auf das in Kapitel 5 eingegangen wird.
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Anforderungsprofil aus ökologischer Sicht
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Anforderungsprofil an Bautenfarben
Das Anforderungsprofil soll aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden, und zwar aus dem Blickwinkel des Substrates und aus dem Blickwinkel der Beschichtung. Zunächst werden die Anforderungen qualitativ formuliert und dann, soweit hierüber Regelwerke vorliegen, quantitativ aufgelistet.
5.1
Anforderungsprofil aus physikalischer Sicht
Das Substrat soll nach der Applikation der Beschichtung möglichst keine Volumenänderungen erfahren, d.h. das Schwind- und Quellverhalten bei Feuchte- oder ggf. Lösemitteleinfluss soll so gering wie möglich sein. Das Substrat soll idealerweise keine Verformung erfahren, nicht zur Rissbildung neigen. Aus der Sicht der Beschichtung ist die Forderung zu erheben, dass die Beschichtung keine Oberflächenänderung erfahren darf, gut am Untergrund haften muss und das Brandverhalten des Systems nicht negativ beeinflussen darf.
5.2
Anforderungsprofil aus bauchemischer Sicht
Auf der Substratoberfläche dürfen sich keine Verbindungen bilden, die eine Volumenvergrößerung, eine Erhöhung der Löslichkeit oder eine Haftungsverminderung zur Folge haben. Die Beschichtung darf keine eluierbaren Stoffe, die im Wesentlichen durch wässrige Lösungen wie CO2-haltigen Regen ausgewaschen werden können, enthalten. Ferner dürfen keine UV-induzierten Reaktionen, die zur Identitätsänderung der Bestandteile führen, stattfinden, und schließlich sollte die Beschichtung idealerweise keine Änderungen durch UV-Belastung, besonders im Bindemittel und Pigment, erfahren. Die Beschichtung soll möglichst keine flüchtigen Stoffe enthalten o der bilden, u m d ie Blasenbildung und Schadgasemission auszuschließen. Bautenfarben dürfen nicht zum Fogging-Phänomen (Schwarzstaub-Phänomen) beitragen.
5.3
Anforderungsprofil aus ökologischer Sicht
Substrat: In einer Zeit der Knappheit öffentlicher und privater Gelder sollten Beschichtungen dazu beitragen, die Lebensdauer der zu beschichtenden Oberflächen und die Instandhaltungszyklen zu verlängern. Beschichtung: Der aufgeklärte Verbraucher sieht sich als Bestandteil eines Ökosystems und möchte wissen, ob die Produkte, die er verwendet, zur Verunreinigung von Wasser, Luft und Boden führen. Außerdem kann es entscheidend sein, welcher Energieinhalt in den Produkten vorhanden ist, somit welche Energie zur Herstellung verwendet werden muss und wie hoch die CO2-Emission während des Herstellungsprozesses im Vergleich zu anderen Produkten liegt. Der Verbraucher geht der Frage nach, ob die Produkte auf nachwachsenden Rohstoffen basieren oder ob die Bindemittel nachwachsende Rohstoffe enthalten. Horst Reul: Innovationen in Bautenfarben © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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5.4
Anforderungsprofil an Bautenfarben
Anforderungsprofil aus gesundheitlicher Sicht
Neben den physikalischen, chemischen und ökologischen Anforderungen an ein Beschichtungsmaterial haben die gesundheitlichen Anforderungen mittlerweile einen deutlich höheren Stellenwert als in der Vergangenheit. Zu unterscheiden ist die Wirkung des Beschichtungsmaterials in der Liefer- und Verarbeitungsform auf den Verarbeiter einerseits und nach der Applikation, besonders in Innenräumen, auf den Nutzer andererseits. Aus der Sicht des Verarbeiters bzw. Arbeitsschutzes ist festzuhalten, dass das Beschichtungsmaterial weder geruchsbildende noch toxische oder die Gesundheit gefährdende Bestandteile enthalten darf. Aus der Sicht des Nutzers ist zu fordern, dass die Beschichtung keine leicht- bis mittelflüchtigen oder sogar schwerflüchtigen Bestandteile enthält, die Allergien auslösende oder carcinogene Wirkung haben. Sie dürfen also weder die Gesundheit gefährden noch beeinträchtigen. Das Beschichtungsmaterial darf weiterhin keine Bestandteile enthalten, die in das Substrat migrieren und dort gleichsam wie ein Depot zur langanhaltenden Emission leicht- bis mittelflüchtiger Verbindungen führt. Schließlich sollen Bautenfarben den mikrobiellen Bewuchs nicht fördern, sondern verhindern. Aus den eben beschriebenen Anforderungsprofilen aus bauphysikalischer, bauchemischer, ökologischer und gesundheitlicher Sicht ergibt sich, dass Bautenfarben möglichst emissionsfreie Systeme sein müssen. Das in den Kapiteln 5.1 bis 5.4 qualitativ formulierte Anforderungsprofil an Bautenfarben umfasst implizit Anforderungen an die Innenraumhygiene. Dieser Aspekt ist nicht nur in Wohnräumen und Büros von großem Interesse, sondern auch in Lehrräumen wie Schulgebäuden. Bislang fehlen Normen, die die Bewertung der gesundheitlichen Gefährdung der Nutzer in Innenräumen zum Inhalt haben. Die DIN EN ISO 16000 beschäftigt sich mit der Bestimmung der Emission flüchtiger organischer Verbindungen, ohne jedoch zulässige Grenzwerte festzulegen. Der Entwickler von Bautenfarben kann sich aber in Leitfäden wie z.B. dem „Leitfaden für Innenraumhygiene in Schulgebäuden“ im Hinblick auf VOC und SVOC informieren sowie an Bewertungskonzepten wie sie in den „Grundsätzen zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten in Innenräumen“ aufgeführt sind, orientieren. Auch die VDI-Richtlinie 4706 „Kriterien für das Innenraumklima“ und die DIN EN 13779 „Lüftung von Nichtwohngebäuden – Allgemeine Grundlagen und Anforderungen an Lüftungs- und Klimaanlagen“ helfen dem Bautenfarben-Entwickler bei der Auswahl der Produktkomponenten.
5.5
Anforderungsprofil aus Sicht des Substrats
Von wesentlichem Interesse ist die Funktion der Bautenfarbe bezogen auf das Substrat. Aus der Funktion ergibt sich ein umfangreiches Anforderungsprofil, auf das z.T. schon in den vorangegangenen Kapiteln eingegangen worden ist.
5.5.1
Kunststein Beton und Stahlbeton
Für die Verwendung von Bautenfarben auf Betonoberflächen besteht seit geraumer Zeit ein Regelwerk: die DIN V 18026 in Verbindung mit der DIN EN 1504-2. Nachdem Bautenfarben, insbesondere Betonschutzfarben, durch die Oberflächenschutz-Klassifizierungen OS 4 in Verbindung mit OS 1 und OS 5a in dieser Norm definiert sind, und es sowohl hinsichtlich der zugrundeliegenden Prüfverfahren als auch der Anforderungen quantitative Vorgaben gibt, sollen diese nachfolgend aufgeführt werden:
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Anforderungsprofil aus Sicht des Substrats
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Tabelle 5.1: Anforderungen an das Oberflächenschutz-System OS 1 Quelle: Technische Baubestimmungen, DVD 05/2012 Leistungsmerkmale nach DIN EN 1504-2
Prüfverfahren nach
Anforderungen
1
Masseverlust nach Frost-Tausalz-Wechselbeanspruchung
DIN EN 13581
Masseverlust 20 Zyklen später als bei nicht imprägnierter Probe
2
Eindringtiefe
DIN EN 1504-2:2004 Tabelle 3
Klasse I: < 10 mm Klasse II: ≥ 10 mm
3
Wasseraufnahme und Alkalibeständigkeit
DIN EN 13580
Absorptionskoeffizient < 7,5 % im Vergleich mit unbehandelter Probe < 10 % in Alkalilösung
4
Koeffizient der Trocknungsgeschwindigkeit
DIN EN 13579
Klasse I: > 30 % Klasse II: > 10 %
Tabelle 5.2: Anforderungen an das Oberflächenschutz-System OS 4 Quelle: Technische Baubestimmungen, DVD 05/2012 Leistungsmerkmale nach DIN EN 1504-2
Prüfverfahren nach
Anforderungen
1
Gitterschnittprüfung
DIN EN ISO 2409 Schnittbreite: 4 mm
Gitterschnittwert: ≤ GT 2
2
CO2-Durchlässigkeit
DIN EN 1062-6
sD > 50 m
3
Wasserdampf-Durchlässigkeit
DIN EN ISO 7783-1 DIN EN ISO 7783-2
Klasse I: sD > 5 m
4
kapillare Wasseraufnahme und Wasser-Durchlässigkeit
DIN EN 1062-3
w < 0,1 kg/(m2 · h0,5)
5
Haftfestigkeit nach Prüfung auf Temperatur-Wechselverträglichkeit
nach Temperatur-Wechselbeanspruchung a) keine Risse, Blasen, Ablösungen
Für Anwendungen im Außenbereich unter Einfluss von Tausalzen: GewitterregenBeanspruchung (Temperaturschock) (10x)
DIN EN 13687-2
und Frost-Tau-Wechselbeanspruchung mit Tausalzangriff (50x)
DIN EN 13687-1
6
Abreißversuch
DIN EN 1542
≥ 1,0 (0,7) N/mm2 Der Wert in Klammern ist der kleinste zulässige Wert jeder Ablesung
7
Brandverhalten nach Aufbringung
DIN EN 13501-1
Mindestanforderung: Klasse E-d2
8
Künstliche Bewitterung nach DIN EN 1062-11:2002-10, 4.2 (UV-Bestrahlung und Feuchte), nur bei Anwendung im Außenbereich
DIN EN 1062-11:2002-10, 4.2
Nach 2000 h künstlicher Bewitterung: keine Blasen, keine Risse, kein Abblättern
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b) Abreißversuch ≥ 1,0 (0,7) N/mm2 Der Wert in Klammern ist der kleinste zulässige Wert jeder Ablesung
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70
Anforderungsprofil an Bautenfarben
Tabelle 5.3: Anforderungen an das Oberflächenschutz-System OS 5a Quelle: Technische Baubestimmungen, DVD 05/2012 Leistungsmerkmale nach DIN EN 1504-2
Prüfverfahren nach
Anforderungen
1
Gitterschnittprüfung
DIN EN ISO 2409 Schnittbreite: 4 mm
Gitterschnittwert: ≤ GT 2
2
CO2-Durchlässigkeit
DIN EN 1062-6
sD > 50 m
3
Wasserdampf-Durchlässigkeit
DIN EN ISO 7783-1 DIN EN ISO 7783-2
Klasse I: sD > 5 m
4
kapillare Wasseraufnahme und Wasser-Durchlässigkeit
DIN EN 1062-3
w < 0,1 kg/(m2 · h0,5)
5
Haftfestigkeit nach Prüfung auf Temperatur-Wechselverträglichkeit
nach Temperatur-Wechselbeanspruchung a) keine Risse, Blasen, Ablösungen
Für Anwendungen im Außenbereich unter Einfluss von Tausalzen: Gewitterregen-Beanspruchung (Temperaturschock) (10x)
DIN EN 13687-2
und Frost-Tau-Wechselbeanspruchung mit Tausalzangriff (50x)
DIN EN 13687-1
6
Rissüberbrückungsfähigkeit im Anschluss an die Konditionierung nach DIN EN 1062-11:2002-10, 4.1 – 7 Tage bei 70 °C für Reaktionsharzsysteme 4.2. – UV-Bestrahlung und Feuchte bei Dispersionssystemen
DIN EN 1062-7
Rissüberbrückungsfähigkeit B2 (–20 °C)
7
Abreißversuch
DIN EN 1542
≥ 0,8 (0,5) N/mm2 Der Wert in Klammern ist der kleinste zulässige Wert jeder Ablesung
8
Brandverhalten nach Aufbringung
DIN EN 13501-1
Mindestanforderung: Klasse E-d2
9
Künstliche Bewitterung nach DIN EN 1062-11:200210, 4.2 (UV-Bestrahlung und Feuchte), nur bei Anwendung im Außenbereich
DIN EN 1062-11:2002-10, 4.2
Nach 2000 h künstlicher Bewitterung: keine Blasen, keine Risse, kein Abblättern
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b) Abreißversuch ≥ 0,8 (0,5) N/mm2 Der Wert in Klammern ist der kleinste zulässige Wert jeder Ablesung
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Anforderungsprofil aus Sicht des Substrats
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Tabelle 5.4: Prüfmerkmale und Identitätseigenschaften von Beschichtungen für Betonoberflächen Quelle: Technische Baubestimmungen, DVD 05/2012 Identitätseigenschaften
Prüfverfahren nach
zulässige Abweichung
Sichtprüfung
keine Hinweise auf Abweichungen der Zusammensetzung
Bestandteile Allgemeines Erscheinungsbild und Farbe Dichte – Pyknometer-Verfahren – Tauchkörper-Verfahren
DIN EN ISO 2811-1 DIN EN ISO 2811-2
±3%
Infrarotspektrum
DIN EN 1767
keine Hinweise auf Abweichungen der Zusammensetzung
Epoxid-Äquivalent
DIN EN 1877-1
±5%
Aminzahl
DIN EN 1877-2
±6%
Hydroxylzahl
DIN EN 1240
± 10 %
Isocyanatgehalt
DIN EN 1242
± 10 %
Flüchtige und nichtflüchtige Anteile 1
DIN EN ISO 3251
±5%
Aschegehalt 1
DIN EN ISO 3451-1
±5%
Thermogravimetrie
DIN EN ISO 11358
keine Hinweise auf Abweichungen der Zusammensetzung ± 5 % bezüglich des Masseverlusts bei 600 °C
Auslaufzeit
DIN EN ISO 2431
± 15 %
Viskosität
DIN EN ISO 3219
± 20 %
Korngrößenverteilung der trockenen Bestandteile
DIN EN 12192-1
± 6 % absolut > 2 mm 0,063 mm – 2 mm ± 4 % absolut < 0,063 mm ± 2 % absolut Feinspachtel: Prüfkomgrößen ≥ 0,125 mm: ± 5 % absolut (jeweils bezogen auf die Sieblinie)
Oberfläche – trocken – Glasperlenverfahren
DIN EN ISO 1517
± 10 %
Topfzeit
DIN EN ISO 9514
± 15 %
Entwicklung der Shorehärte A bzw. D nach 1, 3 und 7 Tagen
DIN EN ISO 868
± 3 Einheiten Shorehärte A oder D nach 7 Tagen
Konsistenz Luftgehalt Rohdichte Verarbeitbarkeit – Fließverhalten Verarbeitbarkeitszeit (Ansteifungszeit)
DIN EN 1015-3 DIN EN 1015-7 DIN EN 12190 u. DIN EN 1015-6 DIN EN 13395-2 DIN EN 13294
Ausbreitmaß: ± 15 % oder 20 mm ± 2 % absolut ±5% ± 15 % ± 20 %
Flüchtige und nichtflüchtige Anteile 2
DIN EN ISO 3251
±5%
Aschegehalt
DIN EN ISO 3451-1
±5%
Frisches Gemisch
1 2
2
nur bei einkomponentigen Systemen nur bei zweikomponentigen Systemen
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Anforderungsprofil an Bautenfarben
Das Oberflächenschutz-System OS 1 hat die Aufgabe, die Betonoberfläche zu hydrophobieren. Mit der Hydrophobierung sollen folgende Funktionen erfüllt werden: Die kapillare Wasseraufnahme soll zeitlich begrenzt reduziert werden, der Frost-/Tausalzwiderstand und Frostwiderstand sollen deutlich verbessert werden. Oberflächenschutz-Systeme gemäß OS 1 dürfen keine Filme bilden und sollen auf Silanen oder Siloxanen basieren. Für die Wand-, Decken- und Fassadenbeschichtung werden Oberflächenschutz-Systeme nach OS 4 eingesetzt. Die Tabelle 5.2 gibt einen Überblick über die Anforderungen, Prüfverfahren und Leistungsmerkmale dieser Beschichtungsklasse. Die meisten Betonoberflächen sind durch Haarrisse und kleinere Oberflächenrisse gekennzeichnet und weil sich diese als Funktion der Temperatur in ihrer Rissweite ändern, sollten Bautenfarben mit rissüberbrückender Wirkung das Mittel der Wahl sein. Auch diese Art der Beschichtung ist in der DIN V 18026 als OS 5a genormt. Das Anforderungsprofil an das Oberflächenschutz-System 5a ist der Tabelle 5.3 zu entnehmen. Die in den drei Tabellen 5.1 bis 5.3 aufgeführten Merkmale und Anforderungen geben im Wesentlichen das Anforderungsprofil im System, d.h. mit dem Substrat, wieder. Die Beschichtung hat nicht nur im System mit dem Substrat Betonfassade bzw. Betonwände und -decken genaue Anforderungen zu erfüllen, sondern auch im Hinblick auf die Identitätseigenschaften der Ausgangsstoffe und des Produktes im Lieferzustand. Die Tabelle 5.4 aus der DIN V 18026 gibt hierüber Auskunft.
5.5.2 Putze 5.5.2.1
Anstrichstoffe für Außenputze
Im Kapitel 3.2.2.7 wurden die Anforderungen an Bautenfarben für Außenputze qualitativ beschrieben. Farben für Außenputze haben neben der ästhetischen Funktion die Aufgabe, die Nutzungsdauer der Verschleißschicht Putz zu verlängern. Der Betonschutzanstrich muss im Wesentlichen das Eindringen von CO2 verhindern oder die Diffusion deutlich vermindern, damit die Carbonatisierungsfront nicht zum eingebetteten Armierungsstahl gelangt. Das hätte ansonsten zur Folge, dass sich die Passivschicht auflöst und die Armierung korrodiert. Eine Bautenfarbe für kalkhydrathaltigen Putz dagegen muss CO2-durchlässig sein, um dem Bindemittel Kalk die Möglichkeit zur Carbonatisierung zu geben. Dadurch unterscheidet sich die Funktion eines Putzanstriches deutlich von der Aufgabe eines Betonschutzanstriches. Neben den im Kapitel 3.2.2.7 genannten Anforderungen soll ein Anstrichstoff für Außenputz idealerweise den mikrobiellen Bewuchs verhindern. Eine optimale Außenputzbeschichtung beeinflusst den Wasserhaushalt des Substrates nicht negativ. Quantitativ formulierte Anforderungen, wie sie für Betonschutzfarben bekannt sind, werden für Beschichtungen für mineralische Außenputze in der DIN EN 1062-1 beschrieben. Aus der Anforderung, den Wasserhaushalt nicht negativ zu beeinflussen, ergibt sich die Anforderung an den sD (H2O)-Wert von maximal 1 m und den w-Wert von < 0,15 kg/m2h0,5. Die Wasseraufnahme W folgt der Beziehung: W = w · √t [kg/m2] W = Wasseraufnahme in [kg/m2] w = Wasseraufnahmekoeffizient in [kg/m2h0,5] t = Zeit in [h] Der Wasseraufnahmekoeffizient oder auch der w-Wert beschreibt die vom Baustoff pro Flächeneinheit aufgenommene Wassermenge in Abhängigkeit von der Zeit. Definitionsgemäß
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Anforderungsprofil aus Sicht des Substrats
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ist er nur in dem Bereich gültig, in dem die Abhängigkeit linear der Wurzel aus der Zeit (√t) folgt. Bau- und Beschichtungsstoffe (Farbanstriche und Imprägniermittel) mit einem kleineren w-Wert sind deshalb anderen vorzuziehen. Nach DIN EN 1062-1 werden Anstrichstoffe für mineralische Untergründe wie folgt unterteilt: Einteilung der Beschichtungen nach ihrer Wasserdurchlässigkeit Klasse W0 W1 w > 0,5 W2 w > 0,1 w ≤ 0,5 W3 w ≤ 0,1
Anforderung [kg/m2h0,5] keine Anforderung hoch mittel niedrig
Beschichtungen werden außerdem nach ihrer Wasserdampf-Diffusionsstromdichte (V) klassifiziert: Klasse Anforderung [g/m2 d] V0 keine Anforderung V1 hoch > 150 V2 mittel ≤ 150 > 15 V3 niedrig ≤ 15
Anforderung [m] keine Anforderung < 0,14 ≥ 0,14 < 1,4 ≥ 1,4
Ferner werden Beschichtungen untergliedert nach ihrer CO2-Durchlässigkeit. Klasse C0 C1
Anforderung [g/m2 d] keine Anforderung < 5
Anforderung [m] keine Anforderung > 50
Aus der Anforderung an die CO2-Durchlässigkeit ergibt sich, dass eine Beschichtungsgattung nicht als Farbe sowohl für Beton als auch für kalkhaltigen Putz geeignet sein kann. Die Eignung von Bautenfarben wird aus Sicht des Anwenders im BFS Merkblatt Nr. 9 unter Bezug auf die Normdruckfestigkeit der Putze und des Bindemittelsystems der Anstrichstoffe grob klassifiziert. Das Anforderungsprofil von Fassadenanstrichen für mineralische Untergründe in der Bauwerkserhaltung und in der Denkmalpflege beschreibt das WTAMerkblatt 2-12. 5.5.2.2
Anstrichstoffe für Innenputze
Der Wasserhaushalt, d.h. die Wasserdurchlässigkeit und die Wasserdampf-Diffusionsstromdichte sind wichtige Kriterien an die Beschichtung von Außenputzen, diese gelten ebenso für Innenputz-Beschichtungen. Darüber hinaus werden an Anstrichstoffe für Innenputze weitere Anforderungen gestellt. Innenanstriche werden in der Regel mechanisch erheblich intensiver beansprucht als Außenanstriche. Deshalb müssen sie, je nach Einsatzgebiet, waschbeständig, scheuerbeständig und/oder nassabriebbeständig sein. Ferner werden häufig noch höhere Anforderungen an das Deckvermögen und den Glanzgrad gestellt. Die Einteilung in verschiedene Scheuer- und Waschbeständigkeitsklassen sowie Glanzstufen sind der DIN EN 13300 und der DIN EN 1062-1 zu entnehmen. Diese Normen gelten für sämtliche weißen und bunten Innenfarben und Innen-Kunstharzputze. Die DIN EN 13300 regelt nicht die zulässigen flüchtigen Inhaltsstoffe (VOC). Hinweise hierzu gibt die VdL-RL 01 „Richtlinie zur Deklaration von Inhaltsstoffen in Bautenlacken, Bautenfarben und verwandten Produkten“ (VdL-Richtlinie Bautenanstrichstoffe), revidierte Ausgabe Juni 2004.
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Anforderungsprofil an Bautenfarben
5.5.3 Holz Beschichtungsstoffe bzw. Anstrichstoffe für Holz bzw. Holzwerkstoffe im Außenbereich haben die Aufgabe, die Funktion der Holzbauteile zu sichern, die Oberfläche vor biologischen Einwirkungen, vor UV-Strahlen und der Feuchte zu schützen. Schließlich dienen sie der ästhetischen Gestaltung. Obwohl die zu schützenden Hölzer und Holzwerkstoffe, ob maßhaltig oder nicht maßhaltig, sich in ihren Eigenschaften z.T. erheblich unterscheiden können, muss ein Beschichtungsstoff für Holz einige grundsätzliche Eigenschaften besitzen, die für sämtliche Holzoberflächen im Außenbereich von Bedeutung sind. Diese Eigenschaften sind: die Wetterbeständigkeit, die Vergilbungsbeständigkeit, die Dauerelastizität, die Nasshaftung auf Holz, das Penetrationsvermögen, die offene Zeit der Beschichtung, der Verlauf, das Glanzvermögen, die Holzfaseraufrichtung, die Trocknung, die Blockfestigkeit, die Renovierbarkeit/Schleifbarkeit, die Wasseraufnahme, die Wasserdampfdurchlässigkeit, die Reinigung der Werkzeuge und der VOC-Anteil.
5.6
Normen, Richtlinien, Merkblätter, Literatur
Normen DIN EN 13300 Beschichtungsstoffe – Wasserhaltige Beschichtungsstoffe und Beschichtungssysteme für Wände und Decken im Innenbereich – Einteilung; Ausgabe 2002-11 DIN EN 1062-1 „Beschichtungsstoffe – Beschichtungsstoffe und Beschichtungssysteme für mineralische Substrate und Beton im Außenbereich – Teil 1: Einteilung“; Ausgabe 2004-08 DIN EN 927-1 „Beschichtungsstoffe – Beschichtungsstoffe und Beschichtungssysteme für Holz im Außenbereich – Teil 3: Freibewitterung“; Ausgabe 3/2012
Richtlinien Arbeitskreis der Sachverständigen im bayerischen Maler- und Lackiererhandwerk (hg.): Richtlinie zur visuellen Beurteilung beschichteter Oberflächen (Richtlinie-Oberflächen – RiLi-Ofl); 2. Auflage; Fraunhofer IRB Verlag; Stuttgart, 2005 VDI-Richtlinie VDI 4706: Kriterien für das Raumklima; hg. Verein Deutscher Ingenieure; Entwurf August 2009 VDI-Richtlinie VDI 6038: Raumlufttechnik, Raumluftqualität, Beurteilung der Raumluftqualität; hg. Verein Deutscher Ingenieure; Entwurf Mai 2010 VdL-RL 01 „Richtlinie zur Deklaration von Inhaltsstoffen in Bautenlacken, Bautenfarben und verwandten Produkten“ (VdL-Richtlinie Bautenanstrichstoffe); hg. Verband der deutschen Lackindustrie e. V.; revidierte Ausgabe Juni 2004 Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute e.V (AGÖF): AGÖF-Orientierungswerte für flüchtige organische Verbindungen in der Raumluft (Aktualisierte Fassung vom 10. Oktober 2008); Quelle: www.agoef.de
Merkblätter WTA-Merkblatt 2-12 „Fassadenanstriche für mineralische Untergründe in der Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege“, Ausgabe 2/2012; hg. von der Wissenschaftlich-Technischen Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege e.V.; München, 2012 BFS-Merkblatt Nr. 18 „Beschichtungen auf Holz und Holzwerkstoffen im Außenbereich“, Ausgabe März 2006, hg. vom Bundesausschuss Farbe und Sachwertschutz, Ffm. BFS-Merkblatt Nr. 9 „Beschichtungen auf mineralischem Außenputz“, Ausgabe Juni 2010, hg. vom Bundesausschuss Farbe und Sachwertschutz, Ffm.
Literatur Bathon, L., Bletz, O.: Anstriche für Holz und Holzwerkstoffe im Außenbereich; in: Holzbau; 3/2006 Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Grundsätze zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten in Innenräumen; DIBt-Mitteilungen; Stand Oktober 2010 Leitfaden für Innenraumhygiene in Schulgebäuden, hg. vom Umweltbundesamt: Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes; Berlin, 2008 Rheinberger, U., Bunke, D.: Unbedenkliche Bauprodukte für Umwelt und Gesundheit; Forschungsbericht 202 95 384; Umweltbundesamt Berlin, 2007 (ausschließlich als Download unter www.umweltbundesamt.de)
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6 Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze Die regulative Einflussnahme durch europäische und nationale Institutionen, besonders im Hinblick auf die VOC- und SVOC-Konzentrationen in den Bindemittel- und Anstrichsystemen, zwang die Hersteller zu Modifikationen und Neuentwicklungen von Bindemitteln und Additiven. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass die Funktionalität von Beschichtungen erweitert werden soll. Dies schlägt sich in innovativen Lösungsansätzen nieder. Ob sich dabei substratorientierte Entwicklungen abzeichnen, ist noch zu beurteilen. Im Kapitel 6 werden Neuentwicklungen beschrieben und exemplarisch erklärt. Dabei wird auf die graue Literatur, insbesondere Seminarunterlagen sowie auf Veröffentlichungen der Hersteller, zurückgegriffen. Ebenso werden themennahe Forschungsergebnisse aus den Hochschulen herangezogen. Der wesentliche Teil der Neuentwicklungen stammt aus den Laboratorien der Hersteller, aus diesem Grund lässt es sich nicht ganz vermeiden, Produkte und Produktnamen zu nennen.
6.1
Neuartige Bindemittel
In der Bautenfarbenbezeichnung dominiert die bindemittelorientierte Einteilung, Erklärung siehe Kapitel 2.2.2. Dieses Konzept schlägt sich in der DIN EN 1062-1 nieder, denn obwohl die DIN EN 1062-1 durch ihre Bezeichnung „Beschichtungsstoffe und Beschichtungssysteme für mineralische Substrate und Beton im Außenbereich“ den Eindruck erweckt, substratorientiert aufgebaut zu sein, findet man in ihr die Unterteilung nach dem Bindemitteltyp und nach dem Lösungs- bzw. Dispergierzustand. Die bindemittelorientierte Untergliederung der Bautenfarben, dies ist auch in der DIN 18363 zu finden, wird deshalb nachfolgend bei der Beschreibung der Bindemittel-Innovationen beibehalten.
6.1.1
Silikatische Bindemittelsysteme
PU-flexibilisierte Alkaliwassergläser Alkaliwassergläser als Bindemittel für Bautenfarben werden seit mehr als 100 Jahren erfolgreich eingesetzt. In den 1970er Jahren kamen sogenannte stabilisierte Wassergläser auf den Markt, die die Rezeptierung in Kombination mit organischen Dispersionen erlauben. Der Einsatz von Wasserglas und modifizierten Wassergläsern als Bautenfarben-Bindemittel erreicht dann Grenzen, wenn eine rissüberbrückende und CO2-bremsende Wirkung der Beschichtung erreicht werden soll. Durch Isocyanat-Kombinationen mit Prepolymeren soll die Flexibilität der Beschichtung erhöht werden. Durch Zusatz geeigneter Füllstoffe, Pigmente und Additive können verschiedene Eigenschaften beeinflusst werden. Die wichtigsten Isocyanat-Rohstoffe, die zur Kombination mit Kaliwassergläsern eingesetzt werden, sind: Toluylendiisocyanat (TDI), Horst Reul: Innovationen in Bautenfarben © Copyright 2013 by Vincentz Network, Hannover, Germany ISBN 978-3-86630-838-1
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Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze
Abbildung 6.1: Wichtige Isocyanatrohstoffe
Quelle: Krakehl, J., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel 2005
Diphenylmethan-4,4`-diisocyanat (MDI), Hexamethylendiisocyanat (HDI) und Isophorondiisocyanat (IPDI). Die dazugehörende Strukturformel ist in Abbildung 6.1 dargestellt. Verwendung finden typische Isocyanatmodifikationen und Isocyanurate, deren Modifizierung in Abbildung 6.2 in einem Beispiel verdeutlicht wird. Durch die Kombination von Wasserglas und Isocyanaten erhält man Verbindungen mit unterschiedlichen Verknüpfungsgraden, siehe schematische Darstellung in Abbildung 6.3. Mit einer gezielten Reaktionsführung lassen sich die Materialeigenschaften exakt einstellen. Obwohl man mit diesen Kombinationsprodukten Systeme erhält, die von starr bis flexibel reichen, haben sie sich in der Praxis als Beschichtung für mineralische Untergründe noch nicht durchgesetzt.
Abbildung 6.2: Beispiel einer Modifizierung von Isocyanat
Quelle: Krakehl, J., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel 2005
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Abbildung 6.3: Schematische Darstellung einer Verknüpfung und Flexibilisierung von anorganischen silikatischen Systemen wie Wasserglas mit organischen Bindemittel-Komponenten, z.B. Isocyanaten
Quelle: Krakehl, J., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel 2005
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Neuartige Bindemittel
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Lithiumsilikate, Mischwassergläser Lithiumsilikatlösungen zeichnen sich im Vergleich zu Na- oder K-Silikatlösungen durch ein günstigeres SiO2-Kation-Verhältnis aus. Darüber hinaus besitzen Li-Silikate wegen ihres relativ hohen SiO2-Gehaltes eine erhöhte Reaktivität. Seit geraumer Zeit werden Li-Silikatlösungen zur Verfestigung von Sandstein und Betonoberflächen eingesetzt. Auch zur Herstellung von Korrosionsschutzfarben eignet sich Li-Silikat. Die algizide und fungizide Wirkung von Li+, die an gefestigten Skulpturen und Putzen zu beobachten ist, war Anlass, LiSilikate als Bindemittel für Fassadenfarben zu erproben. Aufgrund der geringen Löslichkeit von Li-Silikat werden seit kurzer Zeit Kombinationen aus K- und Li-Silikat, gelegentlich von Na-, K- und Li-Silikat eingesetzt. Damit lassen sich Silikatfarben formulieren, die sich durch rasche Trocknung, geringe Ausblühungsneigung und algizide Wirkung auszeichnen. Nanoskaliertes Kieselsol
Abbildung 6.4: Kolloiddisperses Sol im Vergleich zu sekundäragglomeriertem Gel oben: kolloiddisperses Sol, unten: sekundäragglomeriertes Gel
Quelle: Pantke, D., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel 2005
In einer Zeit, in der die Nanotechnologie Eingang in nahezu jeden Bereich gefunden hat, erinnerte man sich auch der Kieselsole, die korrekterweise als Kieselsäure-Aquasole bezeichnet werden müssen. Kieselsole sind kolloide Dispersionen von amorphem Siliciumdioxid in Wasser. Die Teilchengrößen liegen zwischen 1 nm und 200 nm. Über die Herstellung von Kieselsolen gibt die Literatur beispielsweise von Jonschker „Praxis der Sol-Gel-Technologie“ ausführlich Auskunft. In Erinnerung gerufen werden soll jedoch, dass, im Unterschied zu redispergierten Feststoffen, z.B. pyrogenen Kieselsäuren, die Produktionsstufen zur Herstellung von Kieselsolen in flüssiger Phase ablaufen. Im Gegensatz zur pyrogenen Kieselsäure bilden Kieselsole keine mechanisch unzerteilbaren Sekundäragglomerate. Sole sind kolloidale Lösungen, die ausschließlich Primärpartikel ohne Agglomeration enthalten. Gele sind wasserhaltige Feststoffe, die zwar Primärpartikel enthalten, deren Partikeldurchmesser denen in kolloidalen Lösungen gleicht, sie bilden jedoch Sekundäragglomerate, mit einem Durchmesser von mehr als 1000 nm. Dieser Unterschied ist in Abbildung 6.4 gezeigt. Die Abbildung 6.5 zeigt die typische Teilchengrößenverteilung am Beispiel eines wässrigen kolloiddispersen Siliciumdioxids „Levasil“ 300/30 %. Durch das kolloidale Verhalten und die Nanoeigenschaften eröffnet sich eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten, z.B. mit Wassergläsern zur Herstellung von Sol-Silikatfarben oder mit Silikonharzen und Kunstharz-Dispersionen zur Erzeugung von Nano-Composite-Materialien. Die handelsüblichen Kieselsole werden mit folgendem Eigenschaftsspektrum angeboten: • anionische alkalische Produkte • anionische saure Produkte • kationisch saure Produkte
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Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze
Abbildung 6.5: Teilchengrößenverteilung von kolloiddispersem Siliciumdioxid am Beispiel „Levasil“ 300/30 Quelle: Pantke, D., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel 2005
Die Kieselsole haben eine spezifische Oberfläche von 50 bis 500 m2/g bei einer entsprechenden mittleren Teilchengrößen von 5 bis 55 bzw. 80 nm. Dies ist auch abhängig von der durchgeführten Bestimmungsmethode. Der Feststoffgehalt liegt zwischen 15 und 50 %. Die alkalische Stabilisierung erfolgt mit Natrium, Kalium, Ammonium und das Erscheinungsbild zeigt eine transparent bis milchig trübe Flüssigkeit. Die Viskosität ist oft ähnlich niedrig wie bei typischen wässrigen Lösungen. Die am häufigsten eingesetzten alkalisch-anionischen Varianten zeigen eine typische Oberflächenladung, wie die Abbildung 6.6 dokumentiert. Kieselsol-Wasserglas-Kombinationen Mittlerweile haben sich Kombinationen aus Kieselsolen und Wassergläsern mit und ohne Kunstharz-Dispersionszusatz zur Verbesserung der Haftung auf problematischem Untergrund bewährt. Der problembehaftete Untergrund ist in den meisten Fällen durch Dispersionsfarbenreste auf zement- und kalkzementbasierenden Putzen gekennzeichnet. Der Vorteil der Verwendung von Kieselsolen gegenüber anderen KieselsäureanhydridProdukten (SiO2) liegt in deren deutlich geringerer Alkalität, leichteren Handhabung, in der erhöhten Wasser- und Brandbeständigkeit und Feuerfestigkeit. Durch die nanoskaligen Primärteilchen erhöhen sich die Bindekraft gegenüber Pigmenten sowie die Haftung auf organischen Filmbildnern wie z.B. alten Dispersionsanstrichen.
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Neuartige Bindemittel
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Abbildung 6.6: Oberflächenladung von SiO2-Teilchen in Kieselsolen
Quelle: Pantke, D., Beschichtungen und Bauchemie, Kassel 2005
Darüber hinaus erzielt man diverse optische Eigenschaften, z.B. ein transparentes Erscheinungsbild. Eine Rahmenrezeptur zur Herstellung einer Dispersionssilikatfarbe mit Kieselsol-Anteilen wird in Tabelle 6.1 aufgelistet. Dabei werden auch die Funktionen der einzelnen Bestandteile aufgeführt. Auch Sol-Silikatfarben müssen mit geeigneten Bioziden zur Filmkonservierung, z.B. „Diuron“, versetzt werden. Tabelle 6.1: Rahmenrezeptur zur Herstellung einer 1-komponentigen Silicium-reichen Dispersionssilikatfarbe Funktion
Bestandteile
21 %
Wasser
Wasser
0,5 %
Silikatstabilisator
„Cycloquart“
0,5 %
Dispergierhilfsmittel
Polyphosphat
0,2 %
organischer Verdicker
Carboximethylcellulose
0,2 %
anorganischer Verdicker
Magnesiumsilikat
8 %
Weißpigment
Rutil-Ti02 Si/AI/Zr-gecoated
3 %
weißer Füllstoff
Natriumaluminiumsilikat
3 %
anorganische Rissbrücke
„Wollastonit“, natürliches Silikat
7 %
organischer Binder
50 %ige Styrolacrylatdispersion
0,6 %
Entschäumer
Silikonölemulsion
30 %
Füllstoff
„Calcit“
15 %
Bindemittel
„Trasol“ mod. K-Silikatlösung
5 %
Bindemittelextender
Kieselsol
5 %
Thixotropieregler
„Plastorit“, natürliches Silikat
1 %
Hydrophobierungsmittel
Polysiloxanemulsion
Rahmenrezeptur ein-komponentige, „Si-reiche“ Dispersionssilikatfarbe
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Neue Silikonharz-Emulsionen Die im Gegensatz zu den Dispersionssilikatfarben nicht eindeutig über ihre Bindemittelzusammensetzung definierten Silikonharzfarben neigen, je nachdem, welche Silikonharzmodifikation verwendet wird oder welches Verhältnis Silikonharz/Kunstharzdispersion vorliegt, zur Oberflächenklebrigkeit und zur Vergrauung. Zurzeit bemüht man sich durch Verfolgen verschiedener Konzepte, den Klebrigkeitseffekt zu vermindern. Erzielt wird dies unter anderem durch leichter auswaschbare Filmbildehilfsmittel und durch eine verbesserte Kontrolle der Vernetzungsreaktion, um den Anteil an unreagierten Silikonbausteinen so gering wie möglich zu halten. Ein weiteres Konzept basiert auf der Herstellung von Silikon-Hybridharzen. Dabei wird ein lineares Dimethylsiloxan mit einer organischen Komponente kombiniert. Ein drittes, in der jüngsten Zeit in der Praxis eingesetztes Konzept hat zum Ziel, eine hydrophile Oberfläche zu erzeugen. An sehr hydrophoben Oberflächen wird infolge des Eintrocknens von schmutzbeladenen Wassertropfen eine erhöhte Verschmutzungsneigung beobachtet. Durch Verminderung des Kontaktwinkels werden die Schmutzpartikel bei ablaufendem Regenwasser über eine größere Oberfläche verteilt: Dadurch sind sie weniger sichtbar. Erreicht wird dies durch Verwendung von leicht auswaschbaren Emulgatoren. Die hydrophile Oberfläche kann auch durch ein weiteres interessantes Konzept hergestellt werden. Dazu wird die Rezeptur der Beschichtung so modifiziert, dass durch die Formulierung eine „ideale überkritische Siliconharz-Fassadenfarbe“ entsteht (überkritische PVK). Überkritische PVK-Farben bilden nach der Trocknung eine mikroporöse, wasserdampfdurchlässige Schicht. Durch das Bindemittel Silikonharz werden die Poren und die Oberfläche hydrophob. Durch Auftragen sogenannter externer Trigger (Löbus, Evonik Industries) auf den getrockneten Siliconharzanstrich wird die Anstrichoberfläche hydrophil. Das Ergebnis dieser Formulierung ist eine hydrophile Oberfläche mit geringer Anschmutzneigung und eine Farbschicht mit hydrophoben Mikroporen. Dadurch wird das Ziel erreicht, die Wasseraufnahme der Beschichtung so gering wie möglich zu halten. Inwieweit dieses Verfahren eine dauerhafte Lösung verspricht, muss die Praxis noch beweisen.
6.1.2 Kunstharz-Dispersionen Die für Bautenfarben verwendeten Kunstharz-Dispersionen bilden in der Regel einen Film. Sehr dichte Filme haben die Wirkung einer Substratfolie. Die diffusionsoffenen Farben bilden dagegen Bindemitteldomänen zwischen Pigmenten und Füllstoffen aus. Dadurch erhält man ein poröses Gefüge. Je nach Rezeptierung der Bautenfarbe widerstehen die Produkte auf der Basis der herkömmlichen Filmbildner nicht dauerhaft den Angriffen durch UV- und Feuchtebelastung. Das Ziel der Entwicklung ist es seit geraumer Zeit, die Widerstandsfähigkeit der Bautenfarben über das Bindemittel zu verbessern und die divergierenden Anforderungen an Beschichtungen „unter einen Hut“ zu bringen. Das Ziel ist also die multifunktionelle Beschichtung. Unter der Multifunktionalität versteht man, dass mehrere, scheinbar unvereinbare Eigenschaften in einer Beschichtung zusammengeführt werden sollen. Neue Funktionen müssen einen Zusatznutzen erbringen, ohne die gewohnten Eigenschaften und Funktionen zu beeinträchtigen. Funktionalisierte Acrylatpolymere Diese Bindemittelgruppe, im eigentlichen Sinne ein Copolymer, steht im Fokus der Neuentwicklungen. Ein bekannter Hersteller bietet eine neue Familie von funktionalisierten Acrylatpolymeren an, bei der das Konzept der interaktiven Bindemitteltechnologie
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Abbildung 6.7: 50000fache REM-Aufnahme eines verdünnten Blends aus CaCO3 und Latex in Wechselwirkung mit dem Mineral. In der linken Bildhälfte ist der bessere Verbund zwischen Latex und Füllstoff bzw. Pigment sowie die gleichmäßigere Verteilung der Füllstoff/Pigmentkomponenten zu erkennen. In der rechten Bildhälfte sind erhebliche Mengen an Füllstoff- und Pigmentteilchen nicht im Bindemittel eingebunden. Quelle: Clamen, G., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel 2008
zugrunde gelegt wird. Nach Herstellerangabe ist dieses Bindemittel in der Lage, Bindungen mit anorganischen Stoffen wie Titandioxid, Calciumcarbonat, Aluminiumoxid, Magnesiumoxid u.a. und mehrwertigen Kationen, die von Calcium- über Zink- bis zu Eisenionen reichen, einzugehen. Aus dieser Wechselwirkung resultiert eine deutlich bessere Verteilung der Pigment- und Füllstoffkomponenten, wie aus der Abbildung 6.7 ersichtlich wird. Diese Gruppe der funktionalisierten Acrylatpolymere zeichnet sich nach Angaben des Herstellers durch einen sehr geringen VOC-Gehalt aus und eignet sich besonders zur Formulierung von Bautenfarben für alkalischen Untergrund, z.B. für Betondachsteine, Faserzementplatten und sogar als Nachbehandlungsmembran auf Frischbeton. Auch als Sperrmittel für Holz, z.B. zum Absperren von Aststellen, und zur Verhinderung von Flecken, herrührend von phenol- und ligninhaltigen Verbindungen, eignet sich diese Bindemittelgruppe. Nach Angabe des Herstellers erreicht man die spezifische Chemikalienbeständigkeit durch die Auswahl der funktionellen Monomere. Dadurch soll die Bindung mit anorganischen Stoffen wie TiO2, CaCO3, Al2O3, MgO sowie mehrwertigen Kationen erheblich verbessert werden. Inklusion-Technik Durch die Verwendung eines Hybrid-Bindemittels, das harte Partikel in der VAE (VinylAcetat-Ethylen-Copolymer)-Polymermatrix enthält, ändern sich die Eigenschaften von VAE Filmen signifikant. Es ist die Rede von der Inclusion Technology. Mit diesem Verfahren erhält man, nach Angabe der Forscher, Polymerfilme ohne Lösungsmittelemission, eine niedrige Mindestfilmbildungstemperatur, eine deutlich verbesserte Haftzugfestigkeit und Dehnfähigkeit im Vergleich zu ausschließlich VAE-basierenden Anstrichfilmen, ferner eine Wetterbeständigkeit, die an Reinacrylat-basierende Betonfarben heranreicht. Das Optimum erhält man mit „harten“ Domänen aus Acrylatmonomeren von 5 Masse-% in der VAE-Matrix. Die für den Formulierer von Betonfassadenfarben so wichtigen Kennzahlen wie Wasserdampf- und CO2-Durchlässigkeit als Funktion der Zeit sind der Literatur nicht zu entnehmen.
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Abbildung 6.8: Schematische Darstellung des Herstellprozesses wässriger Nanokomposit-Dispersionen sowie der resultierenden Partikelstrukturen
Quelle: Leuninger, J., Tiarks, F., Wiese, H., Schuler, B., Wässrige Nanokomposite, Farbe und Lack 10/2004, S. 30ff
Nanostrukturierte Silicaacrylatpartikel Aus dem Bemühen, anorganische und organische Komponenten zu kombinieren, resultierte eine neue Bindemittelklasse, die in der jüngsten Zeit im Anstrich- und Lackbereich, besonders zur Herstellung von Holzlasuren und Fassadenfarben, Eingang gefunden hat. Damit eine ausreichende Filmbildung in wässrigen Dispersionen und deren Anstrichformulierungen gewährleisten werden kann, sind bei Verwendung herkömmlicher Styrolacrylatoder anderer Acrylatcopolymere, Lösemittel als Filmbildehilfsmittel erforderlich. Nach der Trocknung dieser Anstrichstoffe erhält man üblicherweise eine relativ hohe Härte mit geringer Neigung zur Verschmutzung und mit einem ausreichend hohen Pigmentbindevermögen. Der Nachteil organischer Systeme ist deren Thermoplastizität. Diese führt bei erhöhten Temperaturen zur Erweichung der von Natur aus thermoplastischen und nicht vernetzten Polymeranteile. Durch Zugabe anorganischer „Hartphasen“ mit einem Durchmesser von ca. 30 nm lassen sich flexible und vor allem transparente Beschichtungen herstellen. Die sogenannte anorganische Hartphase muss leicht in Wasser dispergierbar sein und sich im Anstrichfilm gleichmäßig verteilen. Es dürfen keine Phasenseparationen auftreten. Man erreicht dies durch Kombination mit wässrigen Silicasolen. Das Ergebnis sind anorganisch/polymere Nanokomposit-Dispersionen. Die Abbildung 6.8 zeigt die schematische Darstellung des Herstellungsprozesses einer wässrigen Nanokomposit-Dispersion und die daraus resultierenden Primärstrukturen. Dieser Technologie liegt der Gedanke zugrunde, dass ein feinteiliger Füllstoff während des Herstellprozesses der Kunstharz-Emulsion an die organische Matrix chemisch gebunden wird. Man spricht auch vom intrinsischen Füllstoff. Mit dieser Kunstharz-Emulsion als Bindemitteltyp lassen sich Anstrichstoffe formulieren, die Wasser schnell aufnehmen und abgeben, ohne jedoch das typische Quellen von Reinacrylaten bzw. Styrolacrylaten zu zeigen. Sie zeichnen sich durch hohe Wasserdampfdurch-
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Abbildung 6.9: Schematischer Aufbau eines Nano-Hybridpartikels
Quelle: Fichtner, Th., Vortrag Silikonharzfarben, Neu-Isenburg, 2012
Abbildung 6.10: Vergleich der Spreitwirkung von Tautropfen auf einer konventionellen und auf einer Nanokompositfarbe Quelle: Jahns, E., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel, 2006
lässigkeit und erhöhte Schmutzresistenz aus. Nach langjähriger Freibewitterung zeigte sich keine Neigung zur Kreidung. Anstriche auf der Basis dieser Bindemittelklasse besitzen eine vergleichsweise höhere Pendelhärte. Der Feststoffgehalt solcher Nanokomposit-Dispersionen auf Reinacrylat- bzw. Styrolacrylatbasis liegt zwischen 35 und 40 Masse-%. Der Silicaanteil variiert zwischen 30 und 50 Masse-%, bezogen auf den Gesamtfeststoff. Dispersionen dieser Art zeichnen sich durch eine effektive Bindung des Silica an das Polymer von mehr als 90 % aus. Der Durchmesser der dabei erhaltenen Polymerpartikel beträgt 100 nm, der Durchmesser der Silicaphasen dagegen weniger als 25 nm. Die amorphen SiO2-Partikel werden chemisch an die Latexpartikel gebunden, sind dadurch am Latex fixiert und an der Oberfläche der Latexpartikel konzentriert, dies ist schematisch in der Abbildung 6.9 dargestellt. Mit Nanokompositen lassen sich Fassadenbeschichtungen herstellen, die sich durch eine sehr hohe Wasserdampfdurchlässigkeit und geringe Anschmutzneigung auszeichnen. Letztere Eigenschaft ist das Ergebnis einer höheren Härte und geringeren Thermoplastizität im Vergleich zu Standardbindemitteln. Interessant ist der geringe Kontaktwinkel von Nanokompositen. So können Nanokomposite formuliert werden, die einen Kontaktwinkel
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von nur 60° haben. Konventionelle Fassadenfarben auf Dispersionsbasis haben einen Sofortkontaktwinkel von 80°, Standard-Silikonharzfarben von 110° und hydrophob eingestellte Silikatfarben von 120°. Dieser niedrige Kontaktwinkel zeigt den hydrophilen Charakter von Nanokompositfarben. Das hat zur Folge, dass hydrophober Schmutz kaum mit der Farboberfläche in Wechselwirkung tritt. Für die Praxis von Bedeutung ist jedoch, dass nach einer Langzeitbewitterung die konventionelle Latexfarbe einen Kontaktwinkel von 30° hat, die Nanokompositfarbe dagegen von nur noch weniger als 10° bis nicht mehr messbar. Ein Wassertropfen spreitet immer weiter und trocknet schließlich rasch ab. Dadurch erhält die Nanokompositfarbe eine superhydrophile Oberfläche. Die Abbildung 6.10 dokumentiert das starke Spreiten auf der Nanokompositfarbe von Tautropfen in der Freibewitterung.
6.1.3 Hybride organische Bindemittel mit schmutzabweisender Wirkung Die Beschichtung mit der Eigenschaft „leicht zu reinigen und wenig anschmutzend“ war schon früh das Ziel der Entwicklungsarbeit. Man stützte sich dabei auf die Chemie der Fluor-Polymere, die sich nicht nur durch hydrophobe, sondern auch durch oleophobe Eigenschaften auszeichnen, aber als Bindemittel für Bautenfarben ungeeignet sind. Der zweite Zweig, der der Entwicklung von Bindemitteln mit schmutzabweisnder Wirkung zugrunde liegt, sind geeignete Polyurethane. Durch Umsetzung von Fluoralkohol mit Diisocyanat erhält man Polyurethan-Präpolymere, die anschließend mit Wasser dispergiert werden. Durch gezielte Kombinationen erhält man Bindemittel mit maßgeschneiderten Eigenschaften. Die Rede ist von fluormodifizierten Polyurethan-Dispersionen. Allein oder kombiniert mit Acrylaten, erhält man Bautenfarben, die nach dem Anschmutzen leicht zu reinigen sind, da sich auf der Oberfläche eine homogene fluorierte Schicht bildet. Nach dem Verschmutzen und Reinigen ist es möglich, dass die Beschichtung verletzt wird. Es findet eine selbständige Regeneration der Perfluoralkylgruppe an der Grenzfläche zur Luft statt. Die Funktionalität der Beschichtung wird dadurch wiederhergestellt.
Abbildung 6.11: Schematische Darstellung der Wiederherstellung der Funktionalität einer Beschichtung mit Perfluoralkylgruppen Quelle: Huber, J., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie; Kassel, 2007
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Neuartige Füllstoffe
6.1.4
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Bindemittel aus nachwachsenden Rohstoffen
Dem Megatrend folgend, ökologisch zu handeln, d.h. umweltfreundliche und nachhaltige Materialien zu verwenden, sucht man schon seit Langem nach Bindemittelalternativen für Bautenfarben. Dabei sind nachwachsende Rohstoffe von Interesse. Unter dem Stichwort „Lackrohstoffe vom Acker“ verfolgt man schon seit einigen Jahren die Herstellung widerstandsfähiger Polyurethane für den Anwendungsbereich „Beschichtung von Betonen“. Ausgangsstoffe sind dabei Sonnenblumen-Fettsäure und Leinöl-Epoxid. Als Polyol wird Diethylenglykol verwendet. Aus der daraus resultierenden Polyol-Stammkomponente erhält man mit MDI das angestrebte Polyurethan. Außerdem wird der Weg verfolgt, gebrauchte Frittierfette und -öle als Syntheserohstoff für Lacke und Polymere zu verwenden. Im Vergleich zu den unbenutzten Proben zeigen gebrauchte Fette und Öle einen deutlichen, durch den Frittiervorgang hervorgerufene Verfärbung sowie einen leichten Abfall der Jodzahl. Eine wesentliche Änderung der Zusammensetzung in Form einer Fettspaltung konnte dagegen nicht nachgewiesen werden. Die Aufbereitung der gebrauchten Fette und Öle erfolgte durch einfache Filtration über einen 80 µm Filter. Um ein brauchbares Alkydharz herzustellen, werden dann die Fette verseift und in ihre Ausgangsstoffe Fettsäure und Glycerin gespalten. Nachdem dieses Verfahren energieintensiv ist, bietet sich die einfachere und wirtschaftlichere Variante der Umesterung an. Das Triglycerid wird mit Glycerin im Verhältnis 1 : 2 umgesetzt. Man erhält auf diese Weise Monoglycerid. In einem zweiten Schritt werden die Monoglyceride mit Polycarbonsäuren, z.B. mit Phthalsäureanhydrid unter Polykondensation umgesetzt. Während der Reaktion zeigten sich den Autorenhinweisen nach keine Unterschiede zwischen ungebrauchten und gebrauchten Fetten bzw. Ölen, wie der Tabelle 6.2 entnommen werden kann. Die Senter und Wingensiefen schlagen die Verwendung derartiger „Recycling-Lacke“ für die Beschichtung von Metallen vor. Sie sind auch der Auffassung, dass nichts gegen die Verwendung für wässrige, fettsäuremodifizierte Bindemittel spricht. Marktreife Produkte mit Langzeiterfahrung werden noch nicht angeboten.
6.2
Neuartige Füllstoffe
Mit dem Wunsch nach bunten, dunklen Fassadenfarben erhöhen sich die Ansprüche an die Füllstoffe im Hinblick auf deren Stabilität und Bewitterungsresistenz. In wässrigen Dispersionsfarben verleihen Füllstoffe dem Anstrichfilm Körper und Volumen. Die Füllstoffe regulieren die Packungsdichte im Film in Abhängigkeit von der Füllstoffkonzentration, der Kornverteilung, der Kombination der verwendeten Füllstoffe und deren Kornform. Tabelle 6.2: Kennzahlen und Belastung der Fette und Öle Quelle: Senter, P., Wingensiefen, T., Farbe und Lack 2/2012, S. 20 Fett/-öl
Frittierzeit
Säurezahl (mg KOH/1 g Fett)
Iodzahl (g/100 g Harz)
Rapsöl
/
0,1
79,7
Rapsöl
7 Tage bei ca. 170 °C
2,1
68,6
Palmkernfett
/
0,3
51,2
Palmkernfett
7 Tage bei ca. 170 °C
3,7
40,2
unbekanntes Fett/Öl
7 Tage bei ca. 180 °C
2,5
58,4
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Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze
Die Füllstoffe bestimmen den Bindemittelbedarf, beeinflussen die Glanzhaltung, den sogenannten Sheen bei 85°, die Neigung zur Rissbildung, sowie das rheologische Verhalten. Die Füllstoffe nehmen Einfluss auf die Ausbesserungsfähigkeit der Beschichtung und die PVK sowie die KPVK. Die klassischen Füllstoffe, z.B. Calciumcarbonate, Silikate, Kaoline, Feldspate und Plastorit, neigen aufgrund wasserlöslicher Nebenbestandteile, besonders beim Aufheizen der Fassade und häufiger Durchfeuchtungs- und Trocknungswechsel, gelegentlich zu unerwünschten Ausblühungen. Gerade bei dunklen Farbtönen sind Ausblühungen dieser Art nicht hinnehmbar.
6.2.1 Modifizierte Füllstoffe Füllstoffe mit geringer Ausblühneigung, Zur Vermeidung der Ausblühungen werden mehrere Strategien verfolgt. So wird die Verwendung von nanoskaligem Marmor mit geringen Magnesiumcarbonat-Gehalten und von nodular geformtem Marmor und kalzinierten Kaolinen vorgeschlagen. Die Verwendung nodularer Marmormehle soll vergleichsweise einen geringeren Schichtdickenverlust bei Bewitterung zur Folge haben (Emmerich, N., Omya). Die Verwendung von Marmormehlen führt zu gleichartigen Oberflächen wie die Verwendung von Feldspaten. Langzeit-Freibewitterungsergebnisse liegen jedoch noch nicht vor. Native Kaoline, also hydratisierte Aluminiumsilikate, ändern bekanntlich unter Wassereinfluss ihr Volumen und sind deshalb nicht für Fassadenfarben geeignet. Durch kontrollierte Ofenfahrt und festgelegte Verweil-
Abbildung 6.12: Thermische Veredelung von Kaolin
Quelle: Kaltenecker, O., Vortrag bei Silikonharzfarben, Neu-Isenburg, 2012
Abbildung 6.13: Multifunktionell kalzinierte Kaoline
Quelle: Kaltenecker, O., Vortrag bei Silikonharzfarben, Neu-Isenburg, 2012
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Neuartige Pigmente
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zeit erhält man kalzinierte Kaoline mit definierter Struktur und Morphologie, einer kontrollierter Teilchengröße mit sehr schmaler Verteilung, sowie eine homogene Oberfläche. Die hohe Temperaturbeständigkeit erlaubt die Kombination mit dunklen Farbpigmenten. Die Abbildungen 6.12. bis 6.13 zeigen schematisch den Herstellprozess von kalzienierten Kaolinen. Funktionelle Füllstoffe Die neuesten Entwicklungen sind sogenannte silanisierte kalzinierte Kaoline. Diese zeichnen sich durch eine verminderte Wasseraufnahme aus. Der Effekt bleibt aufgrund der kovalenten Bindungen zwischen Partikel und funktioneller Gruppe dauerhaft erhalten und ist in verschiedenen Anwendungen vorteilhaft, insbesondere bei Fassadenfarben. Neben diesen beschriebenen modifizierten Füllstoffen werden neuerdings sogenannte funktionelle Füllstoffe verwendet, die als Leichtfüllstoffe in Form von Hohlkugeln vorliegen. Diese bestehen aus Keramik, Glas oder Kunststoff. Diese Hohlkugeln sind entweder mit Inertgas gefüllt oder teilvakuumiert. Man erzielt dabei eine Gewichtsreduzierung und eine Verminderung der Wärmeleitfähigkeit. So soll die gespeicherte Wärme länger in der Farbschicht gehalten werden und z.B. bei Putzfassaden die Putzschicht langsamer abkühlen. Damit soll die Kondensation des Wassers an der Putzoberfläche so lange wie möglich vermieden und der Befall durch Pilze und Algen verhindert werden. Nachdem die Trockenschichtdicken von Anstrichstoffen zwischen 100 und 150 µm betragen, dürfte der gewünschte Effekt sehr gering sein. Die Wirkung ist messtechnisch bislang nicht nachgewiesen worden.
6.3
Neuartige Pigmente
Nach DIN 55943 „Farbmittel“ sind Pigmente der eigentliche farbgebende Faktor einer Beschichtung, von der organischen Pigment- über die anorganische Pigmentwelt reichend. Sie lassen sich im Grenzbereich nur mühsam von den Füllstoffen abgrenzen. In der jüngsten Zeit zeichneten sich drei neuere Entwicklungen bei den Pigmenten für Bautenfarben ab: • die photokatalytisch wirkenden Pigmente, • die sogenannten Effektpigmente und • die IR-reflektierenden Pigmente. Neben diesen grundsätzlichen Entwicklungen sind seit geraumer Zeit, Änderungen in der Darreichungsform zu beobachten. Nachfolgend werden die neueren Entwicklungen der Pigmente für Bautenfarben beleuchtet.
6.3.1 Photokatalytisch wirkende Pigmente Seit mehr als zehn Jahren wird das Weißpigment Titandioxid als photokatalytisch wirkendes Pigment gezielt für Innenanstriche und in der jüngeren Zeit für Außenanstriche auf Dachziegeln und Pflastersteinen verwendet. Der Zusatz verschiedener TitandioxidPigmentvarianten dient nicht nur der Erzielung eines bestimmten Weiß- oder Helligkeitsgrades, sondern hat zum Ziel, eine selbstreinigende Farbe zu erzeugen. Darüber hinaus soll dabei die Umgebungsluft von Schadstoffen befreit werden. Mittlerweile bieten einige Hersteller von Außenbautenfarben Produkte an, die Titandioxid zur sogenannten Selbstreinigung oder „Edelkreidung“ enthalten. Der Hintergrund hierzu ist die Janusköpfigkeit des Titandioxid-Pigmentes. Titandioxid adsorbiert einfallendes Licht vollständig und schützt so die im UV-Schatten liegenden tieferen Schichten der Beschichtung vor UV-induziertem
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Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze
Abbau. Andererseits wird die aufgenommene UV-Energie in chemische Energie umgewandelt. Man spricht von der Photoaktivität des eingesetzten Titandioxids. Obwohl in der Literatur schon häufig der Mechanismus der Photokatalyse des Titandioxids beschrieben worden ist, soll nachfolgend der photokatalytische Zyklus in Erinnerung gerufen werden. Die beiden Titandioxid-Modifikationen Anatas und Rutil unterscheiden sich in ihrer photochemischen Aktivität. Die Anatas-Modifikation besitzt eine deutlich höhere Aktivität als die Rutil-Modifikation. Völz, Kempf und Fitzky stellten bereits 1942 für die bei der Edelkreidung ablaufenden chemischen bzw. physikalisch-chemischen Vorgänge eine schlüssige Theorie auf, die darauf basiert, dass Titandioxid unter Normalbedingungen ein n-Halbleiter ist mit einer Bandlücke von 3,05 eV für Rutil und 3,20 eV für Anatas. Die Adsorptionskante von Rutil liegt bei 420 nm und für Anatas bei 390 nm. Der Abbauvorgang findet nur in Anwesenheit von Wasser statt. Es bildet sich dabei ein Hydroxyl-Radikal. Das Hydroxyl-Radikal greift das Bindemittel und organische Verschmutzungen an. Die Abbildung 6.14 stellt die nach der Aufnahme von UV-Energie stattfindende Reaktion dar. Bei der Bestrahlung von „Titandioxid“ mit UV-Licht einer Wellenlänge unterhalb dieser Grenzwellenlänge wird für jedes Photon mit der Energie ein Elektron-Loch-Paar erzeugt. Abbildung 6.14: Bändermodell Titandioxid
Quelle: Hocken, H., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel, 2000
–
h · ν → e + p+ Das im Valenzband frei bewegliche Loch wandert zur Oberfläche des Titandioxid-Teilchens und reagiert mit einer dort chemisorbierten Hydroxylgruppe gemäß –
p+ + Ti4+ OH → Ti4+ + OH Nur eine kleine Zahl von Hydroxylgruppen auf der Titandioxid-Oberfläche kann tatsächlich Löcher einfangen. Das im Leitungsband frei bewegliche Elektron wandert ebenfalls zur Partikeloberfläche und reagiert mit einem Ti4+-Ion gemäß –
e + Ti4+ → Ti3+ Der Nachweis der OH-Radikale und der Ti3+-Ionen erfolgt mittels Elektronenspinresonanz (ESR). Das Ti3+-Ion reagiert mit an der Oberfläche adsorbiertem Sauerstoff O2 sofort weiter zu –
Ti3+ + O2 → Ti4+ (O2 )ads –
zu chemisorbiertem O2 . Diese Photoadsorptionsreaktion findet man auch bei anderen Oxid– halbleitern wie Zinkoxid und Magnesiumoxid. Der chemisorbierte Sauerstoff O2 reagiert nun weiter mit Wasser gemäß –
–
(O2 )ads + H2O → OH + HO2• Auch das Auftreten solcher Perhydroxylradikale wird mit Hilfe der ESR-Spektroskopie nachgewiesen. Das Hydroxylion reagiert mit dem Ti4+-Ion gemäß –
–
Ti4+ + OH → Ti4+ OH
Damit ist der photokatalytische Zyklus formal geschlossen und die ursprüngliche Hydroxylionenbelegung der Titandioxidoberfläche wieder hergestellt.
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Neuartige Pigmente
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Für die Anwendung im Außenbereich, besonders als Fassadenfarbe, werden nanoskalige Titandioxid-Pigmentvariationen verwendet, wobei Mischungen aus unbeschichteten und beschichteten Titandioxid-Pigmenten Verwendung finden. Nur dann, wenn beschichtete (gecoatete) Titandioxid-Pigmente verwendet werden, erhält man eine Fassadenfarbe mit langanhaltender Stabilität. Die Verwendung ungeschützter Titandioxid-Pigmente führt zwangsläufig zum Bindemittelabbau und Farbtonverlust. Für Holzlacke werden in der jüngsten Zeit ausschließlich nanoskalige beschichtete Titandioxid-Pigmente als sogenannte UV-Adsorber eingesetzt.
6.3.2 Effektpigmente Unter dem Begriff „Effektpigmente“ versteht man eine vielfältige Familie von Pigmenten, die von Perlglanzpigmenten über Metalleffektpigmenten bis zu speziellen Effektpigmenten reichen. Bislang wurden Effektpigmente in Lacken, Kunststoffen, Druckfarben und in der Kosmetik eingesetzt. In der Welt der Bautenfarben finden sich Effektpigmente erst seit wenigen Jahren als Bestandteil von Innen- und Außenfarben.
Abbildung 6.15: Photokatalytischer Zyklus für TiO2
Quelle: Spille, J. (Hg.): Kittel-Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Band 5: Hirzel Verlag; Stuttgart, 2003; S. 66
Abbildung 6.16: Strahlengang in einem beschichteten Flake Quelle: Spille, J. (Hg.): Kittel-Lehrbuch der Lacke und
Beschichtungen, Band 5, Hirzel Verlag; Stuttgart, 2003, S. 161 Dies erlaubt nicht nur die Entwicklung neuer Farbtöne, sondern auch bisher nicht gekannter Effekte, die von Glanzeffekten bis zu neuartigen haptischen Effekten reichen, den neuen Trendwelten „sensual light“ entsprechend. Die jüngsten Entwicklungen wetterbeständiger Effektpigmente, die sich in den Automobillacken bewährt haben, also sich durch eine erhöhte Beständigkeit gegenüber Feuchtigkeit und UV-Bestrahlung auszeichnen, lassen nun Anwendungen als Fassadenbeschichtungsbestandteil für Wärmedämmverbundsysteme zu.
Fassaden erstrahlen nun in edelster Optik in Silber- und Goldglanz. Diese Pigmente basieren auf beschichteten Aluminium-Flakes. Auf den Plättchen befinden sich Nanoschichten aus Eisenoxid oder Titandioxid, wobei die Schichtdicke des Eisenoxids zwischen 10 bis 120 nm beträgt. Der Farbton des Pigments hängt von der Schichtdicke des Eisenoxids ab. Schließlich werden die mit der Nanoschicht versehenen Aluminiumteilchen mit einem schützenden Bindemittel versehen. Die Beschichtung der Aluminiumteilchen erfolgt entweder im CVD-Verfahren oder im nasschemischen Verfahren durch Fällung von Oxidhydraten auf die Aluminiumplättchenoberfläche. Für die Anwendung im Außenbereich werden diese Pigmente mit einer wetterstabilisierenden Nachbeschichtung ausgestattet, deren Herstellung und Technik üblicherweise Firmen-Knowhow
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zugrunde liegt. Mittlerweile werden auch für Bautenfarben Pigmente mit Metalleffekt bzw. Silber- und Goldeffekt angeboten, deren Farbton von Blassgelb über Rotgold bis Gold reicht. Neben diesen mit Eisenoxid beschichteten Aluminiumpigmenten werden zur Herstellung von Goldtönen für Innen- und Außenbautenfarben auch Metallpigmente angeboten, die auf einer Kupfer-Zink-Legierung (85 % Cu, 15 % Zn) basieren. Diese Pigmente werden nicht pulverförmig, sondern pastenförmig angeboten.
6.3.3 Pigmente mit Patinaeffekt Dem Trend zur Nostalgie und Behaglichkeit folgend, wird immer mehr nach patinierten Oberflächen an der äußeren Hülle des Hauses und in der Raumgestaltung gefragt. Diese reichen von der künstlichen Alterung von Kupferdächern bis zur Imitation einer rostigen Oberfläche. Da das Substrat Metall nicht Gegenstand dieses Buches ist, wird auf die Herstellung solcher patinierter Metalloberflächen unter Verwendung geeigneter Pigmente nicht eingegangen. In der jüngsten Zeit lassen sich Patinaeffekte auch auf dem Substrat Holz und Putz erzeugen. Mit Hilfe von Effektpigmenten lassen sich Lasuren herstellen, mit denen Holzimitationen mit faszinierenden Oberflächen erzeugt werden können.
6.3.4 Optimierte Pigment-Darreichungsform, VOC-arme Pigmentpräparationen Zur Herstellung farbiger, wässriger oder lösemittelhaltiger Bautenfarben benötigt man für kleinere Ansätze oder zur Abtönung beim Maler fertige Pigmentkonzentrate. Seit Langem wird dabei verfolgt, den VOC-Gehalt so gering wie möglich zu halten, idealerweise kein Bindemittel zu benötigen und möglichst hohe Pigmentkonzentrationen bei niedriger Viskosität zu erhalten. Man erreicht dies durch die Verwendung hochleistungsfähiger Netzund Dispergieradditive mit sternförmigen Strukturen. Diese Dispergierhilfen basieren auf Polycarboxylatether-Polymeren. Die Ausgangsstoffe dieser Polycarboxylatether sind Polyglycolmethylether oder Polyglycolmethacrylate oder neuerdings Polyglycolallylether. Man erhält Polymere mit Kammstruktur. Der Kamm besteht aus einem anionischen Polymer, die Seitenketten aus nichtionischen Polymeren. Die Molekülstruktur führt zu einer sterischen Hinderung bei der Dispergierung und zu einer sternförmigen Anordnung auf den Pigmentteilchen.
6.3.5 IR-reflektierende Pigmente Die farbige Gestaltung von Fassaden mit Wärmedämmverbundsystemen führt, besonders bei dunklen Farbtönen, auf den sonnenbeschienenen Seiten zu einem Wärmestau in der Putzschicht. Es werden Oberflächentemperaturen in der Regel von über 70 °C gemessen, Oberflächentemperaturen von 80 °C und mehr sind dabei keine Seltenheit. Die Verwendung von Ruß oder Eisenoxidschwarz als Schwarzpigment hat stellenweise noch höhere Oberflächentemperaturen zur Folge. Aber auch dunkle Farbbeschichtungen auf Holz führen zu Oberflächentemperaturen in den gleichen Größenordnungen. Die Folge häufiger Aufheiz- und Abkühlwechsel sind signifikante Schädigungen der Anstrich- bzw. Anstrich-/Oberputzschicht. Auf Wärmedämmverbundsystemen zeigen sich diese Schädigungen in Form von großflächigen Ablösungen vom Unterputz und/oder der Bildung von Mikrorissen in der Bindemittelmatrix. Die Anstrichschichten auf dem Substrat Holz neigen zur Ablösung in Form von Blasen oder zur Degradation der Bindemittelmatrix und der vorzeitigen Abwitterung. Nahezu 50 % der gesamten Energie des Sonnenspektrums liegt im NIR-Bereich, wie die Abbildung 6.17 zeigt. Die pigmentierte Oberfläche interagiert mit der NIR-Strahlung, dies ist in Abbildung 6.18 dargestellt.
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Neuartige Pigmente
Abbildung 6.17: Sonnenspektrum
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Quelle: Sowade, T., Vortrag bei Neue Funktionalbeschichtungen, Stuttgart 2011
Abbildung 6.18: Wechselwirkung (pigmentierter) Oberflächen mit (NIR-) Strahlung
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Quelle: Sowade, T., Vortrag bei Neue Funktionalbeschichtungen, Stuttgart 2011
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Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze
Die IR-reflektierende Pigmente in Holzlacken reduzieren die Oberflächentemperatur erheblich wie in einer Messung an einem NIR-reflektierenden Holzlack im Vergleich zu einem konventionellen in Abbildung 6.19 zu sehen ist. Die Neigung zur Rissbildung und Haftverlust wird deutlich reduziert, das zeigt die Abbildung 6.20.
Abbildung 6.19: Lackierte Holzplättchen unter maximaler Temperaturbelastung
Quelle: Sowade, T., Vortrag bei Neue Funktionalbeschichtungen, Stuttgart 2011
Abbildung 6.20: Cyclische Belastung lackierter Fichtenplättchen
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Quelle: Sowade, T., Vortrag bei Neue Funktionalbeschichtungen, Stuttgart 2011
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Neuartige Pigmente
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Die Temperatur auf der Anstrichschicht und der darunter befindlichen Putzoberfläche eines Wärmedämmverbundsystem (WDVS) liegt vergleichsweise deutlich niedriger. Das bedeutet auch, dass dieses System ein geringeres Risiko eines vorzeitigen Defekts aufweist.
Abbildung 6.21: Vergleich einer Außenbeschichtung mit und ohne NIR-reflektierende Pigmentierung auf einem Wärmedämmverbundsystem, Messbedingungen: geschlossene Box, Innenwände mit Alufolie, 150 W-IR-Lampe,eingestellt auf 60 W, 32 cm Abstand zwischen Lampe und Muster, kontaktlose Temperaturmessung durch IR-Thermometer, Mustergröße 100 · 200 · 22 in cm. Quelle: Sowade, T., Vortrag bei Neue Funktionalbeschichtungen, Stuttgart 2011
Abbildung 6.22: Aufheizkurve auf einem Wärmedämmverbundsystem
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Quelle: Sowade, T., Vortrag bei Neue Funktionalbeschichtungen, Stuttgart 2011
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Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze
Abbildung 6.23: Bestimmung der maximal auftretenden Temperaturen im Vergleich links: NIR-reflektierende Schwarzpigmente; rechts: NIR-absorbierende Schwarzpigmente
Quelle: Sowade, T., Vortrag bei Neue Funktionalbeschichtungen, Stuttgart 2011
Abbildung 6.24: Visualisierung von Hellbezugswerten
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Quelle: Konzmann, H., Vortrag bei Zukunft Wohnen, Ludwigshafen, 2010
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Neue Additive
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Trotz Reduktion der Schwarzpigmentkonzentration ist die Wärmeaufnahme höher als bei NIR-absorbierenden Pigmenten. Die Aufheizkurve in Abbildung 6.22 zeigt verschieden schwarz pigmentierte Wärmedammverbundsysteme, zum einen mit NIR-reflektierenden Schwarzpigmenten (grüne Kurven) und im Vergleich dazu NIR-absorbierende Schwarzpigmente (grau und schwarze Kurven). Die in Abbildung 6.23 dargestellte Versuchsanordnung dokumentiert die Maximaltemperaturen unter Praxisbedingungen wieder im Vergleich der NIR-reflektierenden (Bilder links) zu den NIR-absorbierenden (Bilder rechts) Schwarzpigmente. Die Verwendung IR-reflektierender Pigmente erhöht die Lebensdauer von Wärmedämmverbundsystemen durch geringeren thermoinduzierten Abbau des Bindemittels und eine geringere thermomechanische Belastung an der Grenzfläche Putzschicht/Dämmschicht. Ferner ist es möglich, dunklere Farben mit niedrigeren Hellbezugswerten zu verwenden. Zur Vermeidung des Aufheizeffektes werden in der jüngsten Zeit transluzente wärmereflektierende Pigmente verwendet. Das Aufheizverhalten, ausgedrückt durch den TSR-Wert, wird in der Weise beeinflusst, dass die Oberflächentemperaturen um bis zu 25 °C herabgesenkt werden können. Die tatsächlich erzielbare Reduktion der Temperatur der Fassadenoberfläche hängt jedoch erheblich vom Schichtenaufbau und der Zusammenstellung der farbgebenden Pigmente ab. Dafür kommen sogenannte Nanopigmente, die sich bereits bei Lichtkuppeln und Gewächshäusern, Jalousien und Wintergärten bewährt haben, zum Einsatz. Pigmente dieser Art schlucken nur wenig Licht und reduzieren die eindringende Wärme bei intensiver Besonnung signifikant. Sie basieren auf metalloxidbeschichtetem Glimmer und erlauben die Anwendung von dunklen Beschichtungen mit einem Hellbezugswert gleich/kleiner 20.
6.4
Neue Additive
Additive sind nicht mehr wegzudenkende, oft essentielle Bestandteile von Bautenfarben. Oftmals ist die Zugabe von Additiven bzw. Additivsystemen die eigentliche Lösung des Problems wie z.B. Verlauf, Trocknungszeit, Absetzverhalten der Pigmente usw. Nach der mittlerweile zurückgezogenen DIN EN 971-1 versteht man unter Additiven „Hilfs- und Zusatzstoffe, die einem Beschichtungsstoff in kleinen Mengen zugesetzt werden, um eine oder mehrere Eigenschaften zu verleihen, zu verbessern oder zu modifizieren.“ Die VdL Richtlinie 01, Ausgabe 2004, versteht unter Additiven Antiabsetzmittel, Antischaummittel, Netzmittel, Trockenstoffe, Verdickungsmittel und Antihautmittel. Konservierungsmittel und Weichmacher gelten im Sinne dieser Richtlinie nicht als Additive. Daraus resultiert, dass die Additive einen positiven Einfluss auf • • • • •
den Herstellungsprozess das Verhalten während der Lagerung die Art der Applikation den Vernetzungs- und Filmbildungsprozess und das Verhalten der Beschichtung nach der Trocknung bzw. Erhärtung
nehmen sollen. Geeignete Additive ändern das physikalische Verhalten, z.B. im Lieferzustand durch Einflussnahme auf die Viskosität oder während der Verarbeitung, durch Verbesserung der Verlaufsneigung oder Erhöhung der Entlüftungsfähigkeit. Fungizid wirkende Additive verhindern den mikrobiellen Befall im Lieferzustand einerseits und nach der Verarbeitung in der Beschichtung andererseits.
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Trends in den Komponenten der Bautenfarben, innovative Lösungsansätze
Additive ändern das chemische Verhalten der reaktiven Bestandteile der Bindemittelsysteme. Die Auswahl der Additive, deren Zugabemenge und die Anzahl der Komponenten in einem Beschichtungsstoff, z.B. einer Fassadenfarbe, sind in der Regel das Ergebnis langjähriger, empirisch gestützter Optimierung. Die Rezeptierungen werden von den Herstellern soweit wie möglich geheim gehalten. Nicht nur die relativ hohe Anzahl der Additive in solchen Systemen, sondern auch der Zwang zu Produktformulierungen, die den Anforderungen der Megatrends wie z.B. erhöhte Nachhaltigkeit entsprechen sollen, hat in der jüngsten Zeit dazu geführt, nicht nur einzelne Additive zu verwenden, sondern Additivsysteme zuzufügen. Diese sollten idealerweise synergistisch wirken. Einige Neuentwicklungen sind Thema dieses Kapitels 6.4. Dabei werden auch Zusätze beleuchtet, die im engeren Sinne der vorgenannten Definitionen nicht mehr hinzugezählt werden, wie z.B. biozid wirkende Zusätze mit UV-absorbierender Wirkung.
6.4.1 UV-Absorber Besonders Beschichtungen auf Holz im Außenbereich unterliegen einer intensiven Bewitterung. Aber auch Beschichtungen auf Fassaden mit mineralischem Untergrund sind einer erhöhten UV-Belastung ausgesetzt. Um den UV-Einfluss so gering wie möglich zu halten, werden seit geraumer Zeit besonders für Holzoberflächenbeschichtungen bzw. Lasuranstriche organische UV-Absorber eingesetzt. Die Ursache für den unerwünschten Alterungsprozess im Holz ist die Bildung von Radikalen. Diese sorgen durch eine Kettenreaktion für den Abbau des Lignins und teilweise zum Abbau der Cellulose. UV-B-Strahlung (Wellenlänge 280 bis 315 nm) führt zur Photooxidation des Lignins und zum Abbau der Cellulose. UV-A-Strahlung (Wellenlänge 315 bis 380 nm) baut ausschließlich das Lignin ab. Sichtbares Licht (Wellenlänge 380 bis 720 nm) verändert die sogenannten natürlichen Holzfarbstoffe. Dunkle Hölzer bleichen aus und werden heller.
Abbildung 6.25: Beispiel für die Kombination eines HALS und UV-Absorbers
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Quelle: Nolte, U., Vortrag bei Beschichtungen und Bauchemie, Kassel, 2006
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Neue Additive
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Tabelle 6.3: Zinkoxid-Nanopartikel für den Schutz gegen UV-Strahlung Eigenschaft
ZnO
TiO2
organische Absorber
Transparenz
o
-
+
Langzeitstabilität
+
+
-
keine Migration
+
+
-
keine Photaktivität
+
-
+