Informationsproblem und Wahrheitspflicht: Ein Aufklärungsmodell für den Zivilprozess 9783161546129, 9783161546112

Im deutschen Zivilprozessrecht hat nach wie vor jede Partei das Tatsachenmaterial zu beschaffen, das zu einer für sie gü

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German Pages 531 [533] Year 2016

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Einleitung und Problembeschreibung
Einleitung
1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen
§ 1 Das Informationsproblem
A. Tatsachenabhängige Rechtsanwendung
B. Das Beibringen von Tatsachen als Aufgabe der Parteien
C. Informationslücken als Rechtsanwendungsproblem
I. Die Folgen für die Rechtsanwendung
1. Informationslücken – Für die Rechtsanwendung unerheblich?
2. Informationslücken als doppeltes Rechtsanwendungsproblem
II. Das Spannungsfeld mit legitimen Geheimhaltungsinteressen
D. Typische Konstellationen
I. Informationslücken im Erkenntnisverfahren
1. Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich
2. Negative Tatsachen
3. Innere Tatsachen
4. Weitere Fälle
II. Die Informationslücke und die ordnungsgemäße Klageerhebung
III. Die Informationslücke in der Zwangsvollstreckung
IV. Ab- und Eingrenzung
E. Der Begriff des Informationsproblems
§ 2 Das Informationsproblem und die Wahrheitspflicht
A. Informationsproblem und Gegnerverhalten
B. Die Wahrheitspflicht als Maßstab prozessrechtskonformen Verhaltens
I. Das Gegnerverhalten und §138 Abs.1 ZPO
II. § 138 Abs. 1 ZPO und die Entstehung und Vermeidung von Informationsproblemen
1. Kenntnis von der Wahrheit des Vortrags der risikobelasteten Partei
2. Kenntnis von der Unwahrheit des Vortrags der risikobelasteten Partei
3. Die aus Sicht der gegnerischen Partei unklare Sachlage
4. Die Wahrheitspflicht der risikobelasteten Partei
III. Schlussfolgerung
C. Wahrheitspflicht und prozessrechtliches Aufklärungsmodell
I. Die herkömmlichen Ansätze zum Umgang mit dem Informationsproblem
II. Die Missachtung des § 138 Abs. 1 ZPO
III. Notwendige Missachtung des § 138 Abs. 1 ZPO?
D. Ziel und Gang der Untersuchung
I. Das Ziel der Untersuchung
II. Der Gang der Untersuchung
Teil 2: Die Aufklärungsbeiträge der Parteien
2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M
§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se
A. Der unklare Regelungsgehalt von nemo tenetur edere contra se
B. Nemo tenetur edere contra se und das Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung
C. Nemo tenetur edere contra se und die Parteiautonomie
I. Der Dispositionsgrundsatz und nemo tenetur edere contra se
II. Der Beibringungsgrundsatz und nemo tenetur edere contra se
1. Herleitung aus dem Beibringungsgrundsatz?
2. Vorrang vor § 138 Abs. 1 ZPO wegen des Beibringungsgrundsatzes?
D. Die Bedeutung der Behauptungs- und der Beweislast für nemo tenetur edere contra se
I. Die Beweislastverteilung und nemo tenetur edere contra se
1. Die objektive Beweislast
2. Die subjektive Beweislast
a) Begriff
b) Die Regeln über den Beweisantritt
c) Das Verhältnis zu § 138 Abs. 1 ZPO
II. Die Behauptungslastverteilung und nemo tenetur edere contra se
1. Begriff
2. Die objektive Behauptungslast und nemo tenetur edere contra se
3. Die tatbestandliche Konkretisierung durch die subjektive Behauptungslast
a) Strenge Maßstäbe?
b) Großzügige Maßstäbe?
E. Die Bedeutung der materiellrechtlichen Auskunftsansprüche
I. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und der Klageantrag
II. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und schlüssiges Vorbringen
III. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und Beweisführung
1. §§ 421, 422 ZPO und der vermeintliche Vorrang gegenüber der Wahrheitspflicht
2. Die überschätzte Bedeutung der §§ 421, 422 ZPO
§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast
A. Die sekundäre Behauptungslast: Funktionsweise und Formel der h.M.
B. Die Fallgruppen der sekundären Behauptungslast
I. Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich
1. Die frühe Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe
2. Beispiele jüngeren Erscheinungsdatums
II. Negative Tatsachen
III. Innere Tatsachen
IV. Weitere Fälle
1. Sachverständig erfassbare Tatsachen
2. Tatsachen im Wahrnehmungsbereich nur der risikobelasteten Partei
C. Die dogmatische Einordnung: Umkehr der subjektiven Behauptungslast
D. Die sekundäre Behauptungslast und die Bewältigung des Informationsproblems
I. Der Effekt auf das Informationsproblem
II. Die Fragen nach Tatbestand und Konkurrenzen
1. Die Unvollständigkeit der gängigen Formel
2. Die inkonsequente Anwendung der gängigen Formel
3. Das Verhältnis zu den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen
III. Die Frage nach den Rechtsfolgen
IV. Die Frage nach der dogmatischen Rechtfertigung
§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung
A. Die Beweisvereitelung: Funktionsweise und Formel der h.M
B. Die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung
I. Der Effekt der gesetzlichen Regeln auf das Informationsproblem
II. Die inhaltlichen Beschränkungen
1. Urkunde und Augenscheinsobjekt: Die anderweitig angeordnete Auskunftspflicht
a) Die Grundregel des § 422 ZPO
b) Die Ausnahme gemäß § 423 ZPO
2. Die Beschränkungen der Parteivernehmung gemäß § 445 ZPO
a) Allgemeine Voraussetzungen der Parteivernehmung gemäß §445 ZPO
b) Immanente Beschränkungen des § 445 ZPO
3. Die weiteren Beschränkungen der gesetzlich geregelten Beweisvereitelung
C. Die Fortentwicklung zu den allgemeinen Grundsätzen über die Beweisvereitelung
I. Die Erstreckung auf den vereitelten Zeugenbeweis
II. Die Erstreckung auf nicht erstellte Beweismittel
III. Das Verschuldenserfordernis als einheitliches Merkmal der Beweisvereitelung
1. Die Konstellationen
2. Die verschiedenen Verschuldensmaßstäbe in diesen Konstellationen
a) § 427 Satz 1 Alt. 1 ZPO: Vorsatz
b) § 427 Satz 1 Alt. 2 ZPO: Fahrlässigkeit
c) § 444 ZPO: Absicht
3. Einfaches Verschulden als einheitlicher Maßstab der Beweisvereitelung
IV. Der Verzicht auf den materiellrechtlichen Auskunftsanspruch trotz §422 ZPO
1. Die Ausweitung des materiellrechtlichen Anspruchs auf Auskunft, etc
2. Der Verzicht auf den Vorlegungsanspruch bei §422 ZPO
a) Die Vorlage von Patientenunterlagen im Arzthaftungsprozess
b) Vorlegungsanspruch und Mängelhaftung I
c) Vorlegungsanspruch und Mängelhaftung II
D. Die Beweisvereitelung und die Bewältigung des Informationsproblems
I. Der Effekt auf das Informationsproblem
II. Die unklaren Rechtsfolgen der Beweisvereitelung
1. Das Problem der systematischen Verortung
2. Beweisvereitelung als Umkehr der objektiven Beweislast
a) Die ältere Rechtsprechung
b) Die Umkehr der objektiven Beweislast als ungeeignete Rechtsfolge
3. Beweisvereitelung als Umkehr der subjektiven Beweislast
4. Beweisvereitelung und Beweiswürdigung
III. Die offene dogmatische Rechtfertigung der Beweisvereitelung
1. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens
2. Der Arglisteinwand
3. Kompensationsbedürftige wechselseitige Beweisnöte
4. Beweisvereitelung und Gewohnheitsrecht
5. Deliktsrechtliche Qualifizierung der Beweisvereitelung?
3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in alternativen Aufklärungsmodellen
§ 6 Das Aufklärungsmodell des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses
A. Der Begriff des Informationsproblems im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht
I. Das existierende precedent
II. Das fehlende oder inhaltlich mehrdeutige precedent
B. Das Informationsproblem vor dem Übertritt in die pretrial discovery
I. Die Verfahrensabschnitte
II. Das judgment on the pleadings: Begriff, Voraussetzungen, Wirkungen
III. Die Anforderungen an den Klägervortrag: Von notice pleading zu Twombly/Iqbal
1. Die früheren Anforderungen: Notice pleading
2. Die Verschärfung der Anforderungen durch Twombly/Iqbal
a) Die Forderung nach einer plausiblen Klagebegründung
b) Konkretisierung I: Bell Atlantic Corp. v. Twombly
c) Konkretisierung II: Ashcroft v. Iqbal
3. Die neuralgischen Fallgruppen
a) Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich
b) Innere Tatsachen
IV. Die Anforderungen an das Verteidigungsvorbringen
1. Bestreiten und Zugestehen gegnerischen Vortrags: denials und admissions
2. Qualifizierte Verteidigung I: Die negative defenses
3. Qualifizierte Verteidigung II: Die affirmative defenses gemäß FRCP 8 (c)
a) Begriff
b) Entsprechende Geltung der Twombly/Iqbal-Grundsätze?
c) Die h.M.: Beschränkung der Twombly/Iqbal-Grundsätze auf den Klägervortrag
d) Konsequenzen
C. Informationsprobleme im weiteren Verfahrensverlauf
I. Fiktiver Verfahrensablauf: trial ohne discovery
II. Die Aufklärungsmaßnahmen im Rahmen von disclosure und discovery
1. Die discovery und die Suche nach der Wahrheit
2. Die initial disclosures
3. Die discovery
III. Verweigerung und Unmöglichkeit
1. Das verbleibende Informationsproblem
2. Abhilfe gegen das verbleibende Informationsproblem
3. Discovery sanctions wegen vorsätzlicher Beweisvereitelung
a) Die Rechtsgrundlage
b) Inhalt und Voraussetzungen der Sanktion
c) Die Grenzen dieser Sanktionsmöglichkeit
4. Discovery sanctions wegen einer Verletzung der duty to preserve
a) Die Entstehung der duty to preserve
b) Reichweite und Verletzung der duty to preserve
aa) Die verbleibenden Problembereiche
bb) Notwendige Anhaltspunkte für den Beweiswert
cc) Die Grenzen der duty to preserve
dd) Die Grenzen der spoliation inference als discovery sanction
c) Gerechtfertigter und zufälliger Untergang des Informationsträgers
5. Wahrheitspflicht und Verweigerung einer admission gemäß FRCP 36
D. Discovery und Vertraulichkeitsschutz
I. Relevance im Sinne von FRCP 26 (b)
II. Privilege im Sinne von FRCP 26 (b)
III. Die protective order gemäß FRCP 26 (c)
1. Das gerichtliche Ermessen
2. Nachgewiesene Missbrauchsabsicht
3. Zweifelhafte oder sichere tatsächliche Relevanz ohne Missbrauchsabsicht
§ 7 Die allgemeine Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses
A. Die wechselseitige Offenbarungspflicht zur umfassenden Wahrheitserforschung
B. Die Aufklärungspflicht im Anschluss an einen plausiblen Initialvortrag
I. Die Funktionsweise dieses Ansatzes
II. Die dogmatische Begründung
III. Die Bewältigung des Informationsproblems
1. Auf der Vortragsebene
2. Auf der Beweisebene
3. Haupt- und Gegenbeweis
C. Die voraussetzungslose allgemeine Aufklärungspflicht
I. Die Funktionsweise dieses Ansatzes
II. Die dogmatische Begründung
III. Die Unvereinbarkeit des Ansatzes mit der lex lata
D. Die Überprüfung des Gebots einer umfassenden Wahrheitserforschung
E. Effiziente Wahrheitserforschung durch adversielle Aufklärungsmodelle mit wechselseitiger Offenbarungspflicht?
I. Die zu berücksichtigenden Kostenfaktoren
II. Die Entwicklung der Fehlerkosten
III. Die Entwicklung der Fehlervermeidungskosten
1. Die Justizkosten
2. Die Kostenentwicklung infolge bewusst unwahren Parteivorbringens
3. Die Kosten missbräuchlicher Ausforschung
§ 8 Der soziale Zivilprozess
A. Gerichtliche Wahrheitserforschung zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips
B. Die Funktionsweise dieses Ansatzes
C. Die dogmatische Begründung
D. Die dogmatischen Einwände gegen den sozialen Zivilprozess
I. Sozialstaatsprinzip und zivilprozessrechtliches Aufklärungsmodell
II. Die Systematik der verfahrensrechtlichen Aufklärungsmodelle
E. Die Ineffizienz inquisitorischer Aufklärungsmodelle in der streitigen Zivilgerichtsbarkeit
I. Die Entwicklung der Fehlerkosten
II. Die Entwicklung der Fehlervermeidungskosten
1. Die Justizkosten
2. Die Kostenentwicklung infolge bewusst unwahren Vorbringens
3. Die Kosten missbräuchlicher Ausforschung
4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung
§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht
A. Die Hypothese: Subjektiver Wahrheitsverstoß ohne objektive Wahrheitsprüfung
B. Die Überprüfung der Hypothese
I. Die äußerungsdeliktischen Konstellationen
1. Die im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung
2. Die im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen wahre Tatsachenbehauptung
3. Nicht erweislicher Wahrheitsgehalt und gutgläubiger Erklärender
4. Nicht erweislicher Wahrheitsgehalt und bösgläubiger Erklärender
II. Methoden zur Ermittlung einer lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung
1. Die Forderung nach Belegtatsachen
2. Dogmatische Einordnung der „Behandlung wie eine unwahre Behauptung“
a) Fehlende Belegtatsache und erwiesene Unwahrheit
b) Fehlende Belegtatsache und objektive Beweislast
c) Fehlende Belegtatsache und Geständnisfiktion
d) Fehlende Belegtatsache und bewusste Unwahrheit
C. Die Umsetzung dieser Methoden I: Die Station des Erklärenden
I. Hintergrund: Die informationelle Selbstbestimmung und der sog. Ehrschutz
II. Die inhaltlichen Anforderungen
III. Grenzen: Das sog. Laienprivileg und seine Bedeutung
D. Die Umsetzung dieser Methoden II: Die Station des Betroffenen
I. Die Forderung nach einer qualifizierten Gegenäußerung
II. Die spiegelbildliche Geltung der an den Erklärenden gestellten Anforderungen
III. Einfluss des Laienprivilegs auf die qualifizierte Gegenäußerung?
§ 10 Die Rechtfertigung der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung
A. Das Problem: Die potentielle Wahrheit der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung
B. Der Präventionsgedanke als Lösungsansatz
I. Der Präventionsgedanke und Art. 5 Abs. 1 GG
II. Die potentielle beabsichtigte Lüge
1. Die beabsichtigte Lüge: Ein marginales Problem
2. Prozessökonomische Erwägungen
3. Der Selbstbestimmungsgedanke des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts
4. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
5. Der nachfolgende Wahrheitsbeweis
III. Die Tatsachenbehauptung ins Blaue hinein
C. Die subjektiv unwahre Behauptung in der forensischen Psychologie
I. Die Beurteilungskriterien der Aussageanalyse
1. Die Undeutsch-Hypothese
2. Die aussageanalytische Nullhypothese als methodischer Ausgangspunkt
3. Die Realkennzeichen zur Entkräftung der aussageanalytischen Nullhypothese
a) Inhalts- und Konstanzanalyse
b) Die Bewertung der festgestellten Realkennzeichen
II. Aussageanalytische und äußerungsrechtliche Methoden zur Bestimmung subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptungen
1. Die nur eingeschränkte Übertragbarkeit aussageanalytischer Methoden
2. Behauptungen über selbst erlebte Tatsachen
a) Die Nullhypothese zu Gunsten des Betroffenen
b) Belegtatsachen als Realkennzeichen der Äußerung
c) Die Gegenäußerung als Realkennzeichen für die Tatsachenbehauptung
d) Realkennzeichen wider die Unglaubhaftigkeit der Gegenäußerung
3. Behauptungen über nicht selbst erlebte Tatsachen
D. Der Unterschied zur vorweggenommenen Beweiswürdigung
§ 11 Gemeinsamkeiten von lediglich subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptung und dem Parteivorbringen
A. Das Problem: Übertragbarkeit äußerungsdeliktischer Erkenntnisse auf den Prozess
B. Das Parteivorbringen und Art.5 Abs.1 GG
I. Die begriffliche Ebene
II. Art. 5 Abs. 1 GG und konkurrierende Grundrechtspositionen
C. Das Parteivorbringen und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht
I. Behauptungen über Verhaltensweisen der jeweils anderen Partei
II. Behauptungen über andere Umstände
III. Die Lehre vom beschränkten Aussagegehalt der Prozessäußerung
D. Die Rollenverteilung im innerprozessualen äußerungsdeliktischen Konflikt
I. Der Regelfall
II. Gegenbehauptung und Gegenbeweis
III. Erstmalige Tatsachenbehauptung durch den Gegner der risikobelasteten Partei
1. Das antizipierte Bestreiten
2. Sachvortrag zu Gunsten des risikobelasteten Gegners
§ 12 Materiellrechtliche Methoden zur Bestimmung des lediglich subjektiv unwahren Parteivorbringens
A. Das Problem: Gewährung oder Versagung von Rechtsschutz gegen die Prozessäußerung?
B. Die Auswirkungen eines hypothetischen äußerungsdeliktischen Zweitprozesses
I. Vor Rechtshängigkeit des Erstprozesses
II. Während der Rechtshängigkeit des Erstprozesses
III. Nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses
IV. Die sog. Untersagung der Gegenschlagsäußerung
C. Die grundsätzliche Unzulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses
I. Bedenken gegen den äußerungsdeliktischen Zweitprozesses
II. Die Prozessäußerung und die Lehre vom materiellrechtlichen Anspruchsausschluss
III. Äußerungsdeliktischer Zweitprozess und § 193 StGB
IV. Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis für den äußerungsdeliktischen Zweitprozess
D. Die Reichweite der Unzulässigkeit
I. Die gegenständliche Reichweite der Unzulässigkeit
1. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen
2. Die (fehlende) Eignung und Erforderlichkeit zur Rechtsverfolgung
3. Der äußerungsdeliktische Zweitprozess im selben Forum
II. Die zeitliche Reichweite der Unzulässigkeit
1. Der rechtshängige Erstprozess
2. Die Zeit vor der Rechtshängigkeit des Erstprozesses
3. Die Zeit nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses
III. Die persönliche Reichweite der Unzulässigkeit
E. Die ungenügende Wahrheitsprüfung im Erstprozess und die Konsequenzen
I. Prämisse I: Der ausgeschlossene äußerungsdeliktische Zweitprozess
1. Die Schutzfunktion des Erstprozesses
2. Funktionelle Gleichwertigkeit der zivilprozessrechtlichen Wahrheitsprüfung?
a) Beispiel nach BGH, NJW 1990, 3151
b) Die äußerungsrechtliche Wahrheitsprüfung
c) Die prozessrechtliche Wahrheitsprüfung
d) Fazit
II. Prämisse II: Zulässige Äußerungsklage im Forum des Erstprozesses
1. Die Widerklage des Gegners der risikobelasteten Partei
2. Die objektive Klagenhäufung der risikobelasteten Partei
III. Die Konsequenzen
IV. Rechtfertigung unterschiedlicher Maßstäbe der Wahrheitsprüfung?
1. Die informationelle Selbstbestimmung des Gegners der risikobelasteten Partei
2. Die Privatautonomie
5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung
§ 13 Die Initialbehauptung
A. Das Problem: Die inhaltlichen Anforderungen
B. Denkbar: Umfassende objektive Belegtatsachen
I. Strenge Anforderungen an den Initialvortrag
1. Die äußerungsdeliktische Parallele
2. Der Wortlaut des § 138 Abs. 1 ZPO
3. Die Konsequenzen einer solchen Lösung
II. Die Untauglichkeit eines solch strengen Maßstabs
1. Geständnis und Geständnisfiktion als Realkennzeichen
2. Die äußerungsdeliktische Parallele und der Wortlaut des § 138 Abs. 1 ZPO
3. Schlussfolgerung
C. Denkbar: Subsumierbarkeit als Maßstab
I. Ausgangspunkt
II. Der sog. Justizsyllogismus
D. Notice pleading als geeigneter Maßstab für die Initialbehauptung im deutschen Prozessrecht
I. Der Standard des notice pleading
1. Die positive Beschreibung
2. Abgrenzungen
a) Nach unten: notice pleading und conclusory allegations
b) Nach oben: plausibility und heightened pleading
II. Die Übertragung auf das deutsche Prozessrecht
1. Die Initialbehauptung der informierten Partei am Beispiel des Kaufvertrags
2. Die Initialbehauptung im Fall eines Informationsproblems
3. Die Initialbehauptung und der unbestimmte Rechtsbegriff
III. Die Rechtfertigung der Anwendung von notice pleading unter der Geltung der ZPO
1. Rechtsfolgen eines ausreichenden pleadings im U.S.-amerikanischen Zivilprozess
a) Der Übertritt in die discovery
b) Die Lasten der discovery
c) Das Verständnis von Twombly und Iqbal vor diesem Hintergrund
2. Rechtsfolgen einer ausreichenden Initialbehauptung in der ZPO
3. Die Wirkungen einer Abweisung aufgrund mangelnden Klägervortrags
IV. Notice pleading als Phänomen des gegenwärtigen deutschen Zivilprozessrechts
V. Das Problem der Geständnisfähigkeit präjudizieller Rechtsverhältnisse
1. Schlussfolgernde Behauptung und iura novit curia
2. Schlussfolgernde Initialbehauptung und zwingendes Recht
§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens
A. Das Initialbestreiten des Gegners
B. Die erwartbaren Belegtatsachen der risikobelasteten Partei
I. Die Situation der risikobelasteten Partei
II. Die an die informierte Partei gerichteten Regelanforderungen
III. Die Erleichterungen zu Gunsten der nicht informierten Partei
1. Die Notwendigkeit von Erleichterungen
2. Die Umsetzung der Erleichterungen in § 138 Abs. 1 ZPO
a) Der Grundsatz
b) Tatsachen außerhalb des eigenen Wahrnehmungsbereichs der Partei
c) Innere Tatsachen
d) Negative Tatsachen
e) Lange zurückliegende Ereignisse
f) Sachverständig feststellbare Tatsachen
C. Die erwartbaren Belegtatsachen für das weitere Bestreiten
I. Die Situation des Gegners der risikobelasteten Partei
II. Die spiegelbildliche Bestimmung der erwartbaren Belegtatsachen
III. Zusammenwirken von Behauptung und Bestreiten bei der Sachverhaltsaufklärung
1. Der Wahrnehmungskreis der Parteien
2. Innere Tatsachen
3. Negative Tatsachen
4. Lange zurückliegende und lediglich sachverständig feststellbare Tatsachen
D. Dem Gegenbeweis zugrunde liegende Tatsachen
I. Unkenntnis als Problem
II. Lösungsmöglichkeiten auf Basis des § 138 Abs. 1 ZPO
E. Der Vergleich mit dem Lösungsansatz der h.M
§ 15 Die Beweisebene
A. Das fortbestehende Informationsproblem
B. § 138 Abs. 1 ZPO und die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung
I. Die prozessuale Situation
II. § 138 Abs. 1 ZPO und der Aussagegehalt des vereitelten Beweises
1. Die absichtliche Beweisvereitelung gemäß § 444 ZPO
2. Die nicht absichtliche Beweisvereitelung gemäß §§ 371 Abs. 2 und 3, 427 ZPO
a) Das unterdrückte Beweismittel
b) Der ungewisse Verbleib des Beweismittels
III. § 138 Abs. 1 ZPO und der Beweiswert des vereitelten Beweises
1. Die selbständige Würdigung des vereitelten Beweises
2. Tatbestandsbeweismittel
3. Zeugnisbeweismittel
IV. § 138 Abs. 1 ZPO und die Verweigerung von Vernehmung und Beeidigung
1. Die grundlose Verweigerung der Vernehmung
2. Die begründete Verweigerung der Vernehmung
3. Die Eidesverweigerung
C. Die Fortbildung dieser Beweisvereitelung anhand von §138 Abs.1 ZPO
I. Die beschränkte Reichweite der Regeln über die Beweisvereitelung
II. §138 Abs.1 ZPO als dogmatischer Ansatz
1. Die gleiche Behandlung von wesentlich Gleichem
2. Verteilung der subjektiven Beweislast als sachliche Differenzierung?
a) Denkbar: Subjektive Beweislast und Ausforschungsschutz
b) Der anderweitig verwirklichte Ausforschungsschutz
3. Gegenschluss zu den gesetzlichen Bestimmungen als sachliche Differenzierung?
III. Die Ermittlung der subjektiven Unwahrheit in äußerungsdeliktischer Parallele
1. Die Bedeutung des § 138 Abs. 1 ZPO auf der Beweisebene
2. Die Regelanforderungen an den Erklärenden und an die risikobelastete Partei
a) Die äußerungsdeliktischen Regeln
b) Die prozessrechtliche Entsprechung
3. Die Erleichterungen für den Erklärenden und für die risikobelastete Partei
a) Die äußerungsdeliktischen Regeln
b) Die nur eingeschränkte prozessrechtliche Entsprechung
4. Die gebotene Verallgemeinerung der äußerungsdeliktischen Regeln
D. Die Konkretisierung der Wahrheitspflicht auf der Beweisebene
I. Das Zurückhalten vorhandener Beweismittel
II. Die unterlassene Dokumentation
1. Konstellationen und Problemlagen
2. Erwartbarkeit und Dokumentationsobliegenheit
3. Die Missachtung der Dokumentationspflicht/-obliegenheit
a) Die Bedeutung für das Informationsproblem
b) Pflichten-/Obliegenheitsmissachtung mit Nachteilszufügungsabsicht
c) Pflichten-/Obliegenheitsmissachtung ohne Nachteilszufügungsabsicht
d) Zweifel am dokumentationsbedürftigen Umstand
III. Das untergegangene oder abhandengekommene Beweismittel
1. Konstellationen und Problemlagen
2. Erwartbarkeit und Aufbewahrungsobliegenheit
3. Die Missachtung der Aufbewahrungsobliegenheit
a) Die vorsätzliche Missachtung
b) Fahrlässigkeit und Zufall
IV. Das unklare Schicksal des Beweismittels
E. Der Vergleich mit dem Lösungsansatz der h.M
§ 16 Zumutbarkeitsgrenzen
A. Das Problem: Praktische Konkordanz widerstreitender Interessen
B. Das Geheimnis des Gegners der risikobelasteten Partei
I. Der Vorrang des Geheimnisses
II. Der Vorrang des effektiven Rechtsschutzes
1. Undetaillierte Angaben über Betriebsinterna
2. Die feststehende Rechtswidrigkeit des Geheimnisses
III. Vorrang und Wahrscheinlichkeit
1. Grundsatz
2. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit
a) Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung
b) Die Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsgrads
aa) Interpretationsvorschläge
bb) Keine überwiegende Wahrscheinlichkeit
cc) Kein Verzicht auf jede Wahrscheinlichkeit
dd) Fazit
c) Wahrscheinlichkeitsbegründung und Indizienvortrag
d)Wahrscheinlichkeit und Gegenbeweis
3. Die Rechtsfolge
C. Das Geheimnis der risikobelasteten Partei
I. Vorrang des Geheimnisses
1. Die abstrakte Schadensberechnung gemäß § 252 Satz 2 BGB
2. Die Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB
II. Der Aktivprozess der risikobelasteten Partei im Übrigen
III. Der Passivprozess der risikobelasteten Partei
1. Der Hauptbeweis der risikobelasteten Partei
2. Der Gegenbeweis der risikobelasteten Partei
D. Die Geheimnisse Dritter
I. Die Wertung der §§383 ff. ZPO
II. Die Anwendung auf die Ausgangsbeispiele
E. Praktische Konkordanz durch in camera-Verfahren
I. Der Ablauf eines in camera-Verfahrens
II. Das in camera-Verfahren und das rechtliche Gehör der Parteien
1. Das rechtliche Gehör der risikobelasteten Partei
2. Das rechtliche Gehör des Gegners
III. Die Rechtsgrundlage für das in camera-Verfahren
1. Die materiellrechtlichen Grundlagen
2. Ihre prozessrechtliche Wirkung
3. Das Schließen der verbleibenden Lücken
Teil 3: Die Rolle des Prozessgerichts
6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen
§ 17 Offenkundige Tatsachen
A. Potentielle Übergriffe in die Parteifreiheit
B. Begriffsbestimmung und Abgrenzung
I. Offenkundigkeit
II. Das private Wissen des Richters
C. §291 ZPO und gegenteiliger Parteivortrag
I. Die h.M
II. Wahrheitspflicht und übereinstimmender offenkundig unwahrer Vortrag
D. §291 ZPO und fehlender Parteivortrag
I. § 291 ZPO, die Behauptungslast und der Beibringungsgrundsatz
II. Offenkundigkeit und erweiterter Streitgegenstand
III. Offenkundigkeit und anspruchsbegründende Tatsachen
IV. § 291 ZPO, der fehlende Parteivortrag und die Wahrheitspflicht
E. Haupt- und Gegenbeweis wider die Offenkundigkeit
F. Der Anspruch auf rechtliches Gehör
§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen
A. Konstellationen des übereinstimmend unwahren Vorbringens
B. Das bewusst unwahre Geständnis im Zwei-Personen-Verhältnis
I. Die These vom Vorrang des §138 Abs.1 ZPO
II. § 138 Abs. 1 ZPO als Grundlage gerichtlicher Ermittlungsbefugnisse?
1. Begründung der Ermittlungsbefugnis
2. Die Fortentwicklung zum Amtsermittlungsgrundsatz
3. Der systematische Widerspruch zwischen Amtsermittlung und Zivilprozess
III. Der Vorrang des § 288 Abs. 1 ZPO
1. Die wertungskonforme Bindungswirkung bewusst unwahren Vorbringens
2. Die Bestätigung durch § 290 ZPO
3. Die Parallele zur materiellrechtlichen Privatautonomie
4. Drohende Umgehung materiellen Rechts?
C. Das bewusst unwahre Geständnis zu Lasten Dritter
I. Kollusion und Entscheidungswirkung erga omnes
1. Die Anfechtungsklage gemäß § 246 AktG
2. Die Erbunwürdigkeitsklage gemäß § 2342 BGB
II. Kollusion und Rechtskrafterstreckung
1. Die Fälle der Einzelrechtsnachfolge
2. Die Fälle der Prozessstandschaft
a) Die gewillkürte Prozessstandschaft
b) Die gesetzliche Prozessstandschaft
3. Die Fälle der materiellrechtlichen Abhängigkeit
III. Kollusion und Interventionswirkung
IV. Kollusion und versicherungsrechtliche Bindungswirkung
1. Die versicherungsrechtliche Bindungswirkung
2. Die Alternativen kollusiven Verhaltens
3. Der Schutz des Versicherers
V. Die sog. kollusive Gläubigerbenachteiligung
1. Beschreibung der Fallgruppe
2. Der Schutz des dritten Gläubigers
D. Der vermeintliche Sonderfall des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO
E. Unstreitiges unwahres Vorbringen und die Frage nach dem Prozessbetrug
I. Dogmatische Konstruktion und Eingrenzung der Problemfälle
II. Der vollendete Prozessbetrug
III. Der versuchte Prozessbetrug
1. Der versuchte Prozessbetrug im Standardablauf der Sachverhaltsaufklärung
2. Versuchter Prozessbetrug und späteres Geständnis
IV. Der Sonderfall des vorweggenommenen Geständnisses
V. Die Bestätigung dieser Thesen durch die Wertungen des Restitutionsrechts
§ 19 Gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsachen
A. Die Konstellationen dieses Problemkreises
B. Der Streitgegenstand als Grenze
I. Tatsachen jenseits des Streitgegenstands und die Mindermeinung
II. Tatsachen jenseits des Streitgegenstands und die h.M
C. Tatsachen innerhalb des Beweisthemas
I. Der Grundsatz
II. Die Reichweite dieses Grundsatzes
D. Die Behandlung der verbleibenden Fälle
I. Charakteristika der verbleibenden Fälle
II. Das tatsächliche zu eigen Machen
III. Das unterbliebene zu eigen Machen
1. Die Nichtbeachtung der gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckten Tatsache
2. Die Bestätigung dieser These durch Widerruf und Änderung von Parteivorbringen
3. Kein Widerspruch zu §291 ZPO
§ 20 Der äquipollente Gegnervortrag
A. Die Konstellation des äquipollenten Vortrags
B. Der Streitgegenstand als Grenze
C. Im Entscheidungsprogramm identisches Vorbringen
I. Tatsachen außerhalb der Tatbestandsmerkmale
II. Unterschiedliche Konkretisierungen desselben Lebenssachverhalts
III. Konkretisierung anhand eines Rechtsprechungsbeispiels
D. Der doppelrelevante äquipollente Parteivortrag
I. Die Charakteristika des doppelrelevanten Parteivortrags
II. Das zugestandene doppelrelevante äquipollente Vorbringen
III. Das bestrittene doppelrelevante Vorbringen
IV. Das doppelrelevante äquipollente Vorbringen als Bestandteil des gegnerischen Bestreitens gemäß §138 Abs.2 ZPO
E. Restanwendungsbereich für das zu eigen Machen äquipollenten Vorbringens?
I. Charakteristika denkbarer Fälle
II. Die Probleme bei der Wahlfeststellung
III. Die h.M. zum Umgang mit dem vorweggenommenen Geständnis
IV. Die Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtung
7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO
§ 21 Allgemeine Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ZPO
A. Prozessleitung als Befugnisnorm zur eigeninitiativen Sachverhaltsaufklärung?
B. §139 ZPO und die richterliche Inquisition
I. § 139 ZPO als Ausdruck der Fürsorge für die schwächere Partei?
II. § 139 ZPO als Mittel zur Akzeptanzförderung und Befriedungswirkung?
III. § 139 ZPO als Konkretisierung des Amtsermittlungsgrundsatzes?
C. §139 ZPO und das rechtliche Gehör
I. § 139 ZPO, rechtliches Gehör und iura novit curia
II. Rechtsanwendung und rechtliches Gehör
III. Die Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung im Einzelnen
1. Pauschaler Initialvortrag und pauschales Bestreiten
2. Hinweispflicht und erwartbare Belegtatsachen auf der Vortragsebene
3. Hinweispflicht und erwartbare Belegtatsachen auf der Beweisebene
IV. Rechtliches Gehör und Erforderlichkeit des Hinweises
1. Der erforderliche Hinweis im Anwaltsprozess
2. Der erforderliche Hinweis und das gegnerische Vorbringen
D. Hinweispflicht jenseits des Sachverhältnisses i.S.d. § 139 Abs. 1 ZPO
I. Die denkbaren Konstellationen
II. Hinweispflicht und Klageänderung
1. Hinweis auf die Änderung des Antrags
2. Hinweis auf die Veränderung der Tatsachenbasis
III. Hinweispflicht und zwingendes materielles Recht
E. Hinweise auf Einreden und Gestaltungsrechte?
I. Das Problem und die Lösungsansätze
II. Die Auslegung des Parteivorbringens
III. Die verbleibenden Fälle
§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien
A. §§ 141 ff. ZPO als Befugnisnormen zur eigeninitiativen Sachverhaltsaufklärung?
B. §§141ff. ZPO und das unstreitige Vorbringen
I. Die These
II. Die zwingenden beweisrechtlichen Elemente der §§ 141 ff. ZPO
III. §§ 141 ff. ZPO und der zugestandene Vortrag der risikobelasteten Partei
IV. Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO im Vorfeld der gegnerischen Erwiderung
1. Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung
2. Der ergänzungsbedürftige Initialvortrag
C. Funktion und Reichweite der Parteianhörung gemäß §141 ZPO
I. Die Parteianhörung als förmliches Beweismittel?
II. Die Parteianhörung als Gegenstand der Beweiswürdigung gemäß §286 ZPO
III. Die funktionelle Identität von Parteianhörung und Parteivernehmung bei der Beweiswürdigung
1. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung
2. Keine Abgrenzung nach dem Beweiswert
3. Keine Abgrenzung nach dem Beweisgrund
a) Begriff und Abgrenzungskonzept
b) Die Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme gemäß §285 ZPO
c) Die Vier-Augen-Fälle
4. Die Beeidigungsfähigkeit der Parteivernehmung als maßgeblicher Unterschied
a) Die Situationen der Eidesleistung
b) Der Zweck der einschränkenden Voraussetzungen gemäß §§ 445 ff. ZPO
c) Die weiteren Unterschiede: § 445 Abs. 2 ZPO und § 141 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 ZPO
IV. Die Anordnung persönlichen Erscheinens
V. Die Rechtsfolgen von Nichterscheinen und Aussageverweigerung
1. Das vollständig verweigerte (weitere) Vorbringen
2. § 141 ZPO und der Sachvortrag durch den Prozessvertreter
3. Die verweigerte persönliche Anhörung in der Beweiswürdigung
D. Funktion und Reichweite der §§ 142, 144 ZPO bei der Sachverhaltsaufklärung
I. Der vermeintliche Widerspruch zwischen §§ 422, 423 ZPO und §§ 142, 144 ZPO
II. Der Adressat einer Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO
III. Der Gegenstand einer Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO
IV. §§ 142, 144 ZPO als Ermessensvorschriften
E. Der Sonderfall des § 143 ZPO
§ 23 Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten
A. Das Problem: Die Folgen der Vorlegungsverweigerung durch den Dritten
B. Vorlagepflicht des Dritten und Besitzverschaffungsanspruch der Partei
I. Fälliger und durchsetzbarer Herausgabeanspruch
II. Ansprüche auf Informationserteilung
III. Weigerungsrechte des Dritten gemäß §§ 142 Abs. 2, 144 Abs. 2 ZPO
1. Die Situation der risikobelasteten Partei
2. Die Situation des Gegners der risikobelasteten Partei
a) Die These von der Entlastungsfunktion des Weigerungsrechts des Dritten
b) Die Grenzen dieser These
C. Der fehlende Bezug der Partei zum Informationsträger
I. Die Konstellation
II. Grundsatz: Entscheidung nach der gesetzlichen Risikoverteilung
III. Verabredung und einseitige Unterstützung als Ausnahmen von diesem Grundsatz
D. Der entäußerte Informationsträger
I. Die Konstellationen
II. Verabredung und einseitige Unterstützung
III. Die Bedeutung des Parteiverhaltens
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Informationsproblem und Wahrheitspflicht: Ein Aufklärungsmodell für den Zivilprozess
 9783161546129, 9783161546112

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 210

Christian Gomille

Informationsproblem und Wahrheitspflicht Ein Aufklärungsmodell für den Zivilprozess

Mohr Siebeck

Chrtistian Gomille, geboren 1977 in Heidelberg; 1997–2002 Studium der Rechtswissenschaften in München; 2002–2004 Referendariat in München und Paris; 2004–2005 Rechtsanwalt in einer auf IT- und Medienrecht spezialisierten Kanzlei; 2006–2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ludwig-Maximilians-Universität München; 2009 Promotion; 2015 Habilitation; seit 2012 Juniorprofessor für Bürgerliches Recht sowie deutsches und internationales Zivilverfahrensrecht, Universität Augsburg.

e-ISBN PDF 978-3-16-154612-9 ISBN 978-3-16-154611-2 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2016 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach aus der Garamond gesetzt, von GuldeDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Die Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München im Wintersemester 2015/2016 als Habilitationsschrift vor. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur befinden sich im Wesentlichen auf dem Stand vom 30. Juni 2015. Die zum Ende des Jahres in Kraft getretenen Änderungen des UWG wurden ebenso berücksichtigt wie zwischenzeitlich neu aufgelegte Literatur. Einige Worte des Dankes: Mein verehrter akademischer Lehrer, Professor Johannes Hager, hat meine beiden Qualifikationsarbeiten stets mit kritischem Wohlwollen betreut. Während meiner Zeit als sein Mitarbeiter hat er mir die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens beigebracht und – vor allem – die Freude daran vermittelt. Ich habe sehr gerne an seinem Lehrstuhl gearbeitet. Die Professoren Hans Christoph Grigoleit und Stephan Lorenz haben mein Habilitationsverfahren als Mentoren unterstützt. Von beiden bekam ich Hilfe und Rat, und zwar nicht nur dann, wenn ich sie darum bat. Bei meinem Wechsel an die Universität Augsburg traf ich auf Kollegen, die auf das in München laufende Verfahren gerne Rücksicht nahmen. Linda Arnòtfalvy, Julia Leinauer und Jennifer Ohla haben meine umfangreichen Kopierlisten abgearbeitet und das Manuskript in seinen verschiedenen Entstehungsphasen mehrfach Korrektur gelesen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat mein Projekt mit einer großzügigen Sachbeihilfe gefördert. Ich widme die Arbeit meinen Eltern Karin und Jens sowie meiner Schwester Malina. München/Augsburg im April 2016

Christian Gomille

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Teil 1

Einleitung und Problembeschreibung Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

3

. . . . . . . . . . . . . . .

§ 1 Das Informationsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Tatsachenabhängige Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Beibringen von Tatsachen als Aufgabe der Parteien . . . . . . . C. Informationslücken als Rechtsanwendungsproblem . . . . . . . . . . I. Die Folgen für die Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informationslücken – Für die Rechtsanwendung unerheblich? 2. Informationslücken als doppeltes Rechtsanwendungsproblem II. Das Spannungsfeld mit legitimen Geheimhaltungsinteressen . . D. Typische Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Informationslücken im Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . 1. Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich . . . . 2. Negative Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Innere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Informationslücke und die ordnungsgemäße Klageerhebung III. Die Informationslücke in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . IV. Ab- und Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Der Begriff des Informationsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

3 3 4 6 6 6 7 8 9 9 9 10 11 12 13 15 16 17

§ 2 Das Informationsproblem und die Wahrheitspflicht . . . . . . . 17 A. Informationsproblem und Gegnerverhalten . . . . . . . . . B. Die Wahrheitspflicht als Maßstab prozessrechtskonformen Verhaltens . . . . . . I. Das Gegnerverhalten und § 138 Abs. 1 ZPO . . . . . . II. § 138 Abs. 1 ZPO und die Entstehung und Vermeidung von Informationsproblemen . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

17

. . . . . . . . . . . . . .

18 18

. . . . . . .

20

VIII

Inhaltsverzeichnis

1. Kenntnis von der Wahrheit des Vortrags der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kenntnis von der Unwahrheit des Vortrags der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die aus Sicht der gegnerischen Partei unklare Sachlage . . . . . 4. Die Wahrheitspflicht der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . III. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wahrheitspflicht und prozessrechtliches Aufklärungsmodell . . . . . . I. Die herkömmlichen Ansätze zum Umgang mit dem Informationsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Missachtung des § 138 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . III. Notwendige Missachtung des § 138 Abs. 1 ZPO? . . . . . . . . . . D. Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 20 21 22 23 23 23 25 26 27 27 27

Teil 2

Die Aufklärungsbeiträge der Parteien 2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se . . . . .

30

A. Der unklare Regelungsgehalt von nemo tenetur edere contra se . . . . . B. Nemo tenetur edere contra se und das Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Nemo tenetur edere contra se und die Parteiautonomie . . . . . . . . . I. Der Dispositionsgrundsatz und nemo tenetur edere contra se . . . II. Der Beibringungsgrundsatz und nemo tenetur edere contra se . . . 1. Herleitung aus dem Beibringungsgrundsatz? . . . . . . . . . . . 2. Vorrang vor § 138 Abs. 1 ZPO wegen des Beibringungsgrundsatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Bedeutung der Behauptungs- und der Beweislast für nemo tenetur edere contra se . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Beweislastverteilung und nemo tenetur edere contra se . . . . . 1. Die objektive Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die subjektive Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Regeln über den Beweisantritt . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verhältnis zu § 138 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . II. Die Behauptungslastverteilung und nemo tenetur edere contra se . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30 31 33 34 35 35 37 38 38 38 39 39 39 40 41 41

IX

Inhaltsverzeichnis

2. Die objektive Behauptungslast und nemo tenetur edere contra se . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die tatbestandliche Konkretisierung durch die subjektive Behauptungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strenge Maßstäbe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Großzügige Maßstäbe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die Bedeutung der materiellrechtlichen Auskunftsansprüche . . . I. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und der Klageantrag . II. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und schlüssiges Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und Beweisführung . 1. §§ 421, 422 ZPO und der vermeintliche Vorrang gegenüber der Wahrheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die überschätzte Bedeutung der §§ 421, 422 ZPO . . . . .

. . .

41

. . . . .

. . . . .

43 43 44 46 46

. . . . . .

47 48

. . . . . .

48 48

. . . . .

§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast . . . . . . . 50 A. Die sekundäre Behauptungslast: Funktionsweise und Formel der h.M. B. Die Fallgruppen der sekundären Behauptungslast . . . . . . . . . . . . I. Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich . . . . . . . 1. Die frühe Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe . . . . . . . . . 2. Beispiele jüngeren Erscheinungsdatums . . . . . . . . . . . . . II. Negative Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Innere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weitere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverständig erfassbare Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatsachen im Wahrnehmungsbereich nur der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die dogmatische Einordnung: Umkehr der subjektiven Behauptungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die sekundäre Behauptungslast und die Bewältigung des Informationsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Effekt auf das Informationsproblem . . . . . . . . . . . . . . II. Die Fragen nach Tatbestand und Konkurrenzen . . . . . . . . . . 1. Die Unvollständigkeit der gängigen Formel . . . . . . . . . . . 2. Die inkonsequente Anwendung der gängigen Formel . . . . . 3. Das Verhältnis zu den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Frage nach den Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Frage nach der dogmatischen Rechtfertigung . . . . . . . . .

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

. . . . . . . . .

50 52 52 52 53 54 56 57 57

.

58

.

59

. . . . .

61 61 61 61 62

. . .

63 63 65

. . . . . . . . . . . .

67

A. Die Beweisvereitelung: Funktionsweise und Formel der h.M. . . . . . B. Die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung . . . . . . . . . . I. Der Effekt der gesetzlichen Regeln auf das Informationsproblem II. Die inhaltlichen Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

67 69 69 70

X

Inhaltsverzeichnis

1. Urkunde und Augenscheinsobjekt: Die anderweitig angeordnete Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grundregel des § 422 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ausnahme gemäß § 423 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beschränkungen der Parteivernehmung gemäß § 445 ZPO . a) Allgemeine Voraussetzungen der Parteivernehmung gemäß § 445 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Immanente Beschränkungen des § 445 ZPO . . . . . . . . . . 3. Die weiteren Beschränkungen der gesetzlich geregelten Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Fortentwicklung zu den allgemeinen Grundsätzen über die Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Erstreckung auf den vereitelten Zeugenbeweis . . . . . . . . . II. Die Erstreckung auf nicht erstellte Beweismittel . . . . . . . . . . . III. Das Verschuldenserfordernis als einheitliches Merkmal der Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die verschiedenen Verschuldensmaßstäbe in diesen Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 427 Satz 1 Alt. 1 ZPO: Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 427 Satz 1 Alt. 2 ZPO: Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . c) § 444 ZPO: Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfaches Verschulden als einheitlicher Maßstab der Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Verzicht auf den materiellrechtlichen Auskunftsanspruch trotz § 422 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ausweitung des materiellrechtlichen Anspruchs auf Auskunft, etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verzicht auf den Vorlegungsanspruch bei § 422 ZPO . . . . a) Die Vorlage von Patientenunterlagen im Arzthaftungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorlegungsanspruch und Mängelhaftung I . . . . . . . . . . . c) Vorlegungsanspruch und Mängelhaftung II . . . . . . . . . . D. Die Beweisvereitelung und die Bewältigung des Informationsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Effekt auf das Informationsproblem . . . . . . . . . . . . . . . II. Die unklaren Rechtsfolgen der Beweisvereitelung . . . . . . . . . . 1. Das Problem der systematischen Verortung . . . . . . . . . . . . 2. Beweisvereitelung als Umkehr der objektiven Beweislast . . . . a) Die ältere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Umkehr der objektiven Beweislast als ungeeignete Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beweisvereitelung als Umkehr der subjektiven Beweislast . . . . 4. Beweisvereitelung und Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . III. Die offene dogmatische Rechtfertigung der Beweisvereitelung . . .

70 70 71 72 73 74 74 75 75 76 76 76 77 77 77 78 78 79 79 80 80 81 83 83 83 84 84 85 85 85 86 88 88

XI

Inhaltsverzeichnis

1. 2. 3. 4. 5.

Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens . . . . . . . . Der Arglisteinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompensationsbedürftige wechselseitige Beweisnöte . . Beweisvereitelung und Gewohnheitsrecht . . . . . . . . Deliktsrechtliche Qualifizierung der Beweisvereitelung?

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in alternativen Aufklärungsmodellen . . . . . . . . . .

89 90 90 91 91

93

§ 6 Das Aufklärungsmodell des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 A. Der Begriff des Informationsproblems im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das existierende precedent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das fehlende oder inhaltlich mehrdeutige precedent . . . . . . . . . B. Das Informationsproblem vor dem Übertritt in die pretrial discovery . I. Die Verfahrensabschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das judgment on the pleadings: Begriff, Voraussetzungen, Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Anforderungen an den Klägervortrag: Von notice pleading zu Twombly/Iqbal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die früheren Anforderungen: Notice pleading . . . . . . . . . . . 2. Die Verschärfung der Anforderungen durch Twombly/Iqbal . . a) Die Forderung nach einer plausiblen Klagebegründung . . . . b) Konkretisierung I: Bell Atlantic Corp. v. Twombly . . . . . . c) Konkretisierung II: Ashcroft v. Iqbal . . . . . . . . . . . . . . 3. Die neuralgischen Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich . . . . . b) Innere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Anforderungen an das Verteidigungsvorbringen . . . . . . . . 1. Bestreiten und Zugestehen gegnerischen Vortrags: denials und admissions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualifizierte Verteidigung I: Die negative defenses . . . . . . . . 3. Qualifizierte Verteidigung II: Die affirmative defenses gemäß FRCP 8 (c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entsprechende Geltung der Twombly/Iqbal-Grundsätze? . . c) Die h.M.: Beschränkung der Twombly/Iqbal-Grundsätze auf den Klägervortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Informationsprobleme im weiteren Verfahrensverlauf . . . . . . . . . . I. Fiktiver Verfahrensablauf: trial ohne discovery . . . . . . . . . . . . II. Die Aufklärungsmaßnahmen im Rahmen von disclosure und discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94 95 96 97 97 98 99 100 102 102 103 105 107 107 108 109 109 111 112 112 113 114 115 116 116 117

XII

Inhaltsverzeichnis

1. Die discovery und die Suche nach der Wahrheit . . . . . . 2. Die initial disclosures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verweigerung und Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das verbleibende Informationsproblem . . . . . . . . . . . 2. Abhilfe gegen das verbleibende Informationsproblem . . . 3. Discovery sanctions wegen vorsätzlicher Beweisvereitelung a) Die Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt und Voraussetzungen der Sanktion . . . . . . . . c) Die Grenzen dieser Sanktionsmöglichkeit . . . . . . . . 4. Discovery sanctions wegen einer Verletzung der duty to preserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entstehung der duty to preserve . . . . . . . . . . . b) Reichweite und Verletzung der duty to preserve . . . . . aa) Die verbleibenden Problembereiche . . . . . . . . . bb) Notwendige Anhaltspunkte für den Beweiswert . . cc) Die Grenzen der duty to preserve . . . . . . . . . . dd) Die Grenzen der spoliation inference als discovery sanction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gerechtfertigter und zufälliger Untergang des Informationsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wahrheitspflicht und Verweigerung einer admission gemäß FRCP 36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Discovery und Vertraulichkeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . I. Relevance im Sinne von FRCP 26 (b) . . . . . . . . . . . . . . II. Privilege im Sinne von FRCP 26 (b) . . . . . . . . . . . . . . . III. Die protective order gemäß FRCP 26 (c) . . . . . . . . . . . . 1. Das gerichtliche Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachgewiesene Missbrauchsabsicht . . . . . . . . . . . . . 3. Zweifelhafte oder sichere tatsächliche Relevanz ohne Missbrauchsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 7 Die allgemeine Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 A. Die wechselseitige Offenbarungspflicht zur umfassenden Wahrheitserforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Aufklärungspflicht im Anschluss an einen plausiblen Initialvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Funktionsweise dieses Ansatzes . . . . . . . . . . II. Die dogmatische Begründung . . . . . . . . . . . . . III. Die Bewältigung des Informationsproblems . . . . . 1. Auf der Vortragsebene . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auf der Beweisebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haupt- und Gegenbeweis . . . . . . . . . . . . . . C. Die voraussetzungslose allgemeine Aufklärungspflicht . .

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XIII

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I. Die Funktionsweise dieses Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die dogmatische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Unvereinbarkeit des Ansatzes mit der lex lata . . . . . . . . . . D. Die Überprüfung des Gebots einer umfassenden Wahrheitserforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Effiziente Wahrheitserforschung durch adversielle Aufklärungsmodelle mit wechselseitiger Offenbarungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zu berücksichtigenden Kostenfaktoren . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung der Fehlerkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Entwicklung der Fehlervermeidungskosten . . . . . . . . . . . 1. Die Justizkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kostenentwicklung infolge bewusst unwahren Parteivorbringens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kosten missbräuchlicher Ausforschung . . . . . . . . . . . .

146 148 148 150 152 152 153 154 154 155 156

§ 8 Der soziale Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 A. Gerichtliche Wahrheitserforschung zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Funktionsweise dieses Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die dogmatische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die dogmatischen Einwände gegen den sozialen Zivilprozess . . . . I. Sozialstaatsprinzip und zivilprozessrechtliches Aufklärungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Systematik der verfahrensrechtlichen Aufklärungsmodelle . E. Die Ineffizienz inquisitorischer Aufklärungsmodelle in der streitigen Zivilgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklung der Fehlerkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung der Fehlervermeidungskosten . . . . . . . . . 1. Die Justizkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kostenentwicklung infolge bewusst unwahren Vorbringens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kosten missbräuchlicher Ausforschung . . . . . . . . . .

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163 163 164 164

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4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 A. Die Hypothese: Subjektiver Wahrheitsverstoß ohne objektive Wahrheitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . B. Die Überprüfung der Hypothese . . . . . . . . . . . . . . I. Die äußerungsdeliktischen Konstellationen . . . . . . 1. Die im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . 168 . . . . . . . . 169 . . . . . . . . 170 . . . . . . . . 170

XIV

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2. Die im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen wahre Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht erweislicher Wahrheitsgehalt und gutgläubiger Erklärender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nicht erweislicher Wahrheitsgehalt und bösgläubiger Erklärender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Methoden zur Ermittlung einer lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Forderung nach Belegtatsachen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Einordnung der „Behandlung wie eine unwahre Behauptung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlende Belegtatsache und erwiesene Unwahrheit . . . . . b) Fehlende Belegtatsache und objektive Beweislast . . . . . . c) Fehlende Belegtatsache und Geständnisfiktion . . . . . . . . d) Fehlende Belegtatsache und bewusste Unwahrheit . . . . . C. Die Umsetzung dieser Methoden I: Die Station des Erklärenden . . . I. Hintergrund: Die informationelle Selbstbestimmung und der sog. Ehrschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die inhaltlichen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grenzen: Das sog. Laienprivileg und seine Bedeutung . . . . . . D. Die Umsetzung dieser Methoden II: Die Station des Betroffenen . . . I. Die Forderung nach einer qualifizierten Gegenäußerung . . . . . II. Die spiegelbildliche Geltung der an den Erklärenden gestellten Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfluss des Laienprivilegs auf die qualifizierte Gegenäußerung? .

. 171 . 171 . 172 . 173 . 173 . . . . . .

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§ 10 Die Rechtfertigung der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 A. Das Problem: Die potentielle Wahrheit der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Präventionsgedanke als Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . I. Der Präventionsgedanke und Art. 5 Abs. 1 GG . . . . . . . . . II. Die potentielle beabsichtigte Lüge . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die beabsichtigte Lüge: Ein marginales Problem . . . . . . . 2. Prozessökonomische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Selbstbestimmungsgedanke des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . 5. Der nachfolgende Wahrheitsbeweis . . . . . . . . . . . . . . III. Die Tatsachenbehauptung ins Blaue hinein . . . . . . . . . . . . C. Die subjektiv unwahre Behauptung in der forensischen Psychologie I. Die Beurteilungskriterien der Aussageanalyse . . . . . . . . . . 1. Die Undeutsch-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die aussageanalytische Nullhypothese als methodischer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XV

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3. Die Realkennzeichen zur Entkräftung der aussageanalytischen Nullhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalts- und Konstanzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bewertung der festgestellten Realkennzeichen . . . . . II. Aussageanalytische und äußerungsrechtliche Methoden zur Bestimmung subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptungen . . 1. Die nur eingeschränkte Übertragbarkeit aussageanalytischer Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Behauptungen über selbst erlebte Tatsachen . . . . . . . . . . . a) Die Nullhypothese zu Gunsten des Betroffenen . . . . . . . b) Belegtatsachen als Realkennzeichen der Äußerung . . . . . c) Die Gegenäußerung als Realkennzeichen für die Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Realkennzeichen wider die Unglaubhaftigkeit der Gegenäußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Behauptungen über nicht selbst erlebte Tatsachen . . . . . . . D. Der Unterschied zur vorweggenommenen Beweiswürdigung . . . . .

. 194 . 194 . 196 . 196 . . . .

196 197 197 198

. 198 . 199 . 199 . 201

§ 11 Gemeinsamkeiten von lediglich subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptung und dem Parteivorbringen . . . . . . . . 203 A. Das Problem: Übertragbarkeit äußerungsdeliktischer Erkenntnisse auf den Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Parteivorbringen und Art. 5 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . I. Die begriffliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 5 Abs. 1 GG und konkurrierende Grundrechtspositionen . . C. Das Parteivorbringen und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . I. Behauptungen über Verhaltensweisen der jeweils anderen Partei . II. Behauptungen über andere Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Lehre vom beschränkten Aussagegehalt der Prozessäußerung D. Die Rollenverteilung im innerprozessualen äußerungsdeliktischen Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenbehauptung und Gegenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erstmalige Tatsachenbehauptung durch den Gegner der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das antizipierte Bestreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachvortrag zu Gunsten des risikobelasteten Gegners . . . . .

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203 204 204 205 206 206 207 208

. 208 . 208 . 209 . 209 . 209 . 210

§ 12 Materiellrechtliche Methoden zur Bestimmung des lediglich subjektiv unwahren Parteivorbringens . . . . . . . . . . . . . . . 211 A. Das Problem: Gewährung oder Versagung von Rechtsschutz gegen die Prozessäußerung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 B. Die Auswirkungen eines hypothetischen äußerungsdeliktischen Zweitprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Vor Rechtshängigkeit des Erstprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . 212

XVI

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II. Während der Rechtshängigkeit des Erstprozesses . . . . . . . . . . III. Nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses . . . . . . . IV. Die sog. Untersagung der Gegenschlagsäußerung . . . . . . . . . . C. Die grundsätzliche Unzulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedenken gegen den äußerungsdeliktischen Zweitprozesses . . . . II. Die Prozessäußerung und die Lehre vom materiellrechtlichen Anspruchsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Äußerungsdeliktischer Zweitprozess und § 193 StGB . . . . . . . . IV. Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis für den äußerungsdeliktischen Zweitprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Reichweite der Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die gegenständliche Reichweite der Unzulässigkeit . . . . . . . . . 1. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen . . . . . . . . . . . . 2. Die (fehlende) Eignung und Erforderlichkeit zur Rechtsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der äußerungsdeliktische Zweitprozess im selben Forum . . . . II. Die zeitliche Reichweite der Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . . 1. Der rechtshängige Erstprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zeit vor der Rechtshängigkeit des Erstprozesses . . . . . . . 3. Die Zeit nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die persönliche Reichweite der Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . E. Die ungenügende Wahrheitsprüfung im Erstprozess und die Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prämisse I: Der ausgeschlossene äußerungsdeliktische Zweitprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schutzfunktion des Erstprozesses . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionelle Gleichwertigkeit der zivilprozessrechtlichen Wahrheitsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beispiel nach BGH, NJW 1990, 3151 . . . . . . . . . . . . . . b) Die äußerungsrechtliche Wahrheitsprüfung . . . . . . . . . . c) Die prozessrechtliche Wahrheitsprüfung . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prämisse II: Zulässige Äußerungsklage im Forum des Erstprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Widerklage des Gegners der risikobelasteten Partei . . . . . 2. Die objektive Klagenhäufung der risikobelasteten Partei . . . . . III. Die Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtfertigung unterschiedlicher Maßstäbe der Wahrheitsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die informationelle Selbstbestimmung des Gegners der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213 213 214 214 214 215 216 217 218 219 219 220 221 222 222 222 224 225 225 226 226 226 226 227 227 228 228 229 229 230 230 231 231

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XVII

5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234

§ 13 Die Initialbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 A. Das Problem: Die inhaltlichen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . B. Denkbar: Umfassende objektive Belegtatsachen . . . . . . . . . . . . . . I. Strenge Anforderungen an den Initialvortrag . . . . . . . . . . . . . 1. Die äußerungsdeliktische Parallele . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Wortlaut des § 138 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Konsequenzen einer solchen Lösung . . . . . . . . . . . . . II. Die Untauglichkeit eines solch strengen Maßstabs . . . . . . . . . . 1. Geständnis und Geständnisfiktion als Realkennzeichen . . . . . 2. Die äußerungsdeliktische Parallele und der Wortlaut des § 138 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Denkbar: Subsumierbarkeit als Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der sog. Justizsyllogismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Notice pleading als geeigneter Maßstab für die Initialbehauptung im deutschen Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Standard des notice pleading . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die positive Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nach unten: notice pleading und conclusory allegations . . . . b) Nach oben: plausibility und heightened pleading . . . . . . . II. Die Übertragung auf das deutsche Prozessrecht . . . . . . . . . . . 1. Die Initialbehauptung der informierten Partei am Beispiel des Kaufvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Initialbehauptung im Fall eines Informationsproblems . . . 3. Die Initialbehauptung und der unbestimmte Rechtsbegriff . . . III. Die Rechtfertigung der Anwendung von notice pleading unter der Geltung der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsfolgen eines ausreichenden pleadings im U.S.-amerikanischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Übertritt in die discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Lasten der discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verständnis von Twombly und Iqbal vor diesem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen einer ausreichenden Initialbehauptung in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Wirkungen einer Abweisung aufgrund mangelnden Klägervortrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Notice pleading als Phänomen des gegenwärtigen deutschen Zivilprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234 236 236 236 236 237 237 237 238 238 239 239 240 241 241 241 242 242 243 245 245 245 247 248 249 249 250 251 252 253 255

XVIII

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V. Das Problem der Geständnisfähigkeit präjudizieller Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Schlussfolgernde Behauptung und iura novit curia . . . . . . . . 257 2. Schlussfolgernde Initialbehauptung und zwingendes Recht . . . 259

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens . . . 261 A. Das Initialbestreiten des Gegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die erwartbaren Belegtatsachen der risikobelasteten Partei . . . . . . I. Die Situation der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . . . II. Die an die informierte Partei gerichteten Regelanforderungen . . III. Die Erleichterungen zu Gunsten der nicht informierten Partei . . 1. Die Notwendigkeit von Erleichterungen . . . . . . . . . . . . 2. Die Umsetzung der Erleichterungen in § 138 Abs. 1 ZPO . . . a) Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatsachen außerhalb des eigenen Wahrnehmungsbereichs der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Innere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Negative Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Lange zurückliegende Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . f) Sachverständig feststellbare Tatsachen . . . . . . . . . . . . C. Die erwartbaren Belegtatsachen für das weitere Bestreiten . . . . . . . I. Die Situation des Gegners der risikobelasteten Partei . . . . . . . II. Die spiegelbildliche Bestimmung der erwartbaren Belegtatsachen III. Zusammenwirken von Behauptung und Bestreiten bei der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Wahrnehmungskreis der Parteien . . . . . . . . . . . . . . 2. Innere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Negative Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lange zurückliegende und lediglich sachverständig feststellbare Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Dem Gegenbeweis zugrunde liegende Tatsachen . . . . . . . . . . . . I. Unkenntnis als Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösungsmöglichkeiten auf Basis des § 138 Abs. 1 ZPO . . . . . . E. Der Vergleich mit dem Lösungsansatz der h.M. . . . . . . . . . . . .

§ 15 Die Beweisebene

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261 262 262 262 263 263 265 265

. . . . . . . .

265 266 266 267 268 269 269 269

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270 270 270 271

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272 272 272 273 274

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A. Das fortbestehende Informationsproblem . . . . . . . . . . . B. § 138 Abs. 1 ZPO und die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die prozessuale Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 138 Abs. 1 ZPO und der Aussagegehalt des vereitelten Beweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die absichtliche Beweisvereitelung gemäß § 444 ZPO 2. Die nicht absichtliche Beweisvereitelung gemäß §§ 371 Abs. 2 und 3, 427 ZPO . . . . . . . . . . . . .

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a) Das unterdrückte Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der ungewisse Verbleib des Beweismittels . . . . . . . . . . III. § 138 Abs. 1 ZPO und der Beweiswert des vereitelten Beweises . 1. Die selbständige Würdigung des vereitelten Beweises . . . . . 2. Tatbestandsbeweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeugnisbeweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. § 138 Abs. 1 ZPO und die Verweigerung von Vernehmung und Beeidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die grundlose Verweigerung der Vernehmung . . . . . . . . . 2. Die begründete Verweigerung der Vernehmung . . . . . . . . 3. Die Eidesverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Fortbildung dieser Beweisvereitelung anhand von § 138 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die beschränkte Reichweite der Regeln über die Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 138 Abs. 1 ZPO als dogmatischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . 1. Die gleiche Behandlung von wesentlich Gleichem . . . . . . . 2. Verteilung der subjektiven Beweislast als sachliche Differenzierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Denkbar: Subjektive Beweislast und Ausforschungsschutz . b) Der anderweitig verwirklichte Ausforschungsschutz . . . . 3. Gegenschluss zu den gesetzlichen Bestimmungen als sachliche Differenzierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Ermittlung der subjektiven Unwahrheit in äußerungsdeliktischer Parallele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung des § 138 Abs. 1 ZPO auf der Beweisebene . . 2. Die Regelanforderungen an den Erklärenden und an die risikobelastete Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die äußerungsdeliktischen Regeln . . . . . . . . . . . . . . . b) Die prozessrechtliche Entsprechung . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Erleichterungen für den Erklärenden und für die risikobelastete Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die äußerungsdeliktischen Regeln . . . . . . . . . . . . . . . b) Die nur eingeschränkte prozessrechtliche Entsprechung . . 4. Die gebotene Verallgemeinerung der äußerungsdeliktischen Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Konkretisierung der Wahrheitspflicht auf der Beweisebene . . . . I. Das Zurückhalten vorhandener Beweismittel . . . . . . . . . . . . II. Die unterlassene Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstellationen und Problemlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erwartbarkeit und Dokumentationsobliegenheit . . . . . . . . 3. Die Missachtung der Dokumentationspflicht/-obliegenheit . . a) Die Bedeutung für das Informationsproblem . . . . . . . . b) Pflichten-/Obliegenheitsmissachtung mit Nachteilszufügungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XX

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c) Pflichten-/Obliegenheitsmissachtung ohne Nachteilszufügungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zweifel am dokumentationsbedürftigen Umstand . . . III. Das untergegangene oder abhandengekommene Beweismittel 1. Konstellationen und Problemlagen . . . . . . . . . . . . . 2. Erwartbarkeit und Aufbewahrungsobliegenheit . . . . . . 3. Die Missachtung der Aufbewahrungsobliegenheit . . . . a) Die vorsätzliche Missachtung . . . . . . . . . . . . . . b) Fahrlässigkeit und Zufall . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das unklare Schicksal des Beweismittels . . . . . . . . . . . E. Der Vergleich mit dem Lösungsansatz der h.M. . . . . . . . . .

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§ 16 Zumutbarkeitsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 A. Das Problem: Praktische Konkordanz widerstreitender Interessen . B. Das Geheimnis des Gegners der risikobelasteten Partei . . . . . . . I. Der Vorrang des Geheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Vorrang des effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . 1. Undetaillierte Angaben über Betriebsinterna . . . . . . . . . 2. Die feststehende Rechtswidrigkeit des Geheimnisses . . . . . III. Vorrang und Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . a) Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung . . . . . . . . b) Die Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsgrads . . . . . . aa) Interpretationsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine überwiegende Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . cc) Kein Verzicht auf jede Wahrscheinlichkeit . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wahrscheinlichkeitsbegründung und Indizienvortrag . . . d) Wahrscheinlichkeit und Gegenbeweis . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Geheimnis der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorrang des Geheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die abstrakte Schadensberechnung gemäß § 252 Satz 2 BGB 2. Die Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB . . . . . . II. Der Aktivprozess der risikobelasteten Partei im Übrigen . . . . III. Der Passivprozess der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . 1. Der Hauptbeweis der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . 2. Der Gegenbeweis der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . D. Die Geheimnisse Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Wertung der §§ 383 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Anwendung auf die Ausgangsbeispiele . . . . . . . . . . . . E. Praktische Konkordanz durch in camera-Verfahren . . . . . . . . . I. Der Ablauf eines in camera-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . II. Das in camera-Verfahren und das rechtliche Gehör der Parteien

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XXI

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1. Das rechtliche Gehör der risikobelasteten Partei 2. Das rechtliche Gehör des Gegners . . . . . . . . III. Die Rechtsgrundlage für das in camera-Verfahren . 1. Die materiellrechtlichen Grundlagen . . . . . . . 2. Ihre prozessrechtliche Wirkung . . . . . . . . . . 3. Das Schließen der verbleibenden Lücken . . . .

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Teil 3

Die Rolle des Prozessgerichts 6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 17 Offenkundige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 A. Potentielle Übergriffe in die Parteifreiheit . . . . . . . . . . . . . . . B. Begriffsbestimmung und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Offenkundigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das private Wissen des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. § 291 ZPO und gegenteiliger Parteivortrag . . . . . . . . . . . . . . I. Die h.M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wahrheitspflicht und übereinstimmender offenkundig unwahrer Vortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. § 291 ZPO und fehlender Parteivortrag . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 291 ZPO, die Behauptungslast und der Beibringungsgrundsatz II. Offenkundigkeit und erweiterter Streitgegenstand . . . . . . . . III. Offenkundigkeit und anspruchsbegründende Tatsachen . . . . . IV. § 291 ZPO, der fehlende Parteivortrag und die Wahrheitspflicht E. Haupt- und Gegenbeweis wider die Offenkundigkeit . . . . . . . . F. Der Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen . . . . . . . . . . . . 347 A. Konstellationen des übereinstimmend unwahren Vorbringens . . . . B. Das bewusst unwahre Geständnis im Zwei-Personen-Verhältnis . . I. Die These vom Vorrang des § 138 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . II. § 138 Abs. 1 ZPO als Grundlage gerichtlicher Ermittlungsbefugnisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründung der Ermittlungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . 2. Die Fortentwicklung zum Amtsermittlungsgrundsatz . . . . 3. Der systematische Widerspruch zwischen Amtsermittlung und Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Vorrang des § 288 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die wertungskonforme Bindungswirkung bewusst unwahren Vorbringens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bestätigung durch § 290 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Parallele zur materiellrechtlichen Privatautonomie . . . . 4. Drohende Umgehung materiellen Rechts? . . . . . . . . . . .

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C. Das bewusst unwahre Geständnis zu Lasten Dritter . . . . . . . . I. Kollusion und Entscheidungswirkung erga omnes . . . . . . . 1. Die Anfechtungsklage gemäß § 246 AktG . . . . . . . . . . 2. Die Erbunwürdigkeitsklage gemäß § 2342 BGB . . . . . . II. Kollusion und Rechtskrafterstreckung . . . . . . . . . . . . . 1. Die Fälle der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . 2. Die Fälle der Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . a) Die gewillkürte Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . b) Die gesetzliche Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . 3. Die Fälle der materiellrechtlichen Abhängigkeit . . . . . . III. Kollusion und Interventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . IV. Kollusion und versicherungsrechtliche Bindungswirkung . . . 1. Die versicherungsrechtliche Bindungswirkung . . . . . . . 2. Die Alternativen kollusiven Verhaltens . . . . . . . . . . . 3. Der Schutz des Versicherers . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die sog. kollusive Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . 1. Beschreibung der Fallgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Schutz des dritten Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . D. Der vermeintliche Sonderfall des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO . . . . E. Unstreitiges unwahres Vorbringen und die Frage nach dem Prozessbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatische Konstruktion und Eingrenzung der Problemfälle II. Der vollendete Prozessbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der versuchte Prozessbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der versuchte Prozessbetrug im Standardablauf der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versuchter Prozessbetrug und späteres Geständnis . . . . . IV. Der Sonderfall des vorweggenommenen Geständnisses . . . . V. Die Bestätigung dieser Thesen durch die Wertungen des Restitutionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 19 Gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsachen

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A. Die Konstellationen dieses Problemkreises . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Streitgegenstand als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatsachen jenseits des Streitgegenstands und die Mindermeinung II. Tatsachen jenseits des Streitgegenstands und die h.M. . . . . . . . C. Tatsachen innerhalb des Beweisthemas . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Reichweite dieses Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Behandlung der verbleibenden Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Charakteristika der verbleibenden Fälle . . . . . . . . . . . . . . . II. Das tatsächliche zu eigen Machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das unterbliebene zu eigen Machen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nichtbeachtung der gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckten Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXIII

2. Die Bestätigung dieser These durch Widerruf und Änderung von Parteivorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 3. Kein Widerspruch zu § 291 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

§ 20 Der äquipollente Gegnervortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 A. Die Konstellation des äquipollenten Vortrags . . . . . . . . . . . . . . B. Der Streitgegenstand als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Im Entscheidungsprogramm identisches Vorbringen . . . . . . . . . . I. Tatsachen außerhalb der Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . II. Unterschiedliche Konkretisierungen desselben Lebenssachverhalts III. Konkretisierung anhand eines Rechtsprechungsbeispiels . . . . . D. Der doppelrelevante äquipollente Parteivortrag . . . . . . . . . . . . . I. Die Charakteristika des doppelrelevanten Parteivortrags . . . . . II. Das zugestandene doppelrelevante äquipollente Vorbringen . . . III. Das bestrittene doppelrelevante Vorbringen . . . . . . . . . . . . IV. Das doppelrelevante äquipollente Vorbringen als Bestandteil des gegnerischen Bestreitens gemäß § 138 Abs. 2 ZPO . . . . . . E. Restanwendungsbereich für das zu eigen Machen äquipollenten Vorbringens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Charakteristika denkbarer Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Probleme bei der Wahlfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . III. Die h.M. zum Umgang mit dem vorweggenommenen Geständnis IV. Die Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtung . . . . .

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

400 400 401 402 402

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§ 21 Allgemeine Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ZPO . . . . . 405 A. Prozessleitung als Befugnisnorm zur eigeninitiativen Sachverhaltsaufklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. § 139 ZPO und die richterliche Inquisition . . . . . . . . . . . . . . . I. § 139 ZPO als Ausdruck der Fürsorge für die schwächere Partei? II. § 139 ZPO als Mittel zur Akzeptanzförderung und Befriedungswirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. § 139 ZPO als Konkretisierung des Amtsermittlungsgrundsatzes? C. § 139 ZPO und das rechtliche Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 139 ZPO, rechtliches Gehör und iura novit curia . . . . . . . . II. Rechtsanwendung und rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . III. Die Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung im Einzelnen . . . . 1. Pauschaler Initialvortrag und pauschales Bestreiten . . . . . . . 2. Hinweispflicht und erwartbare Belegtatsachen auf der Vortragsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hinweispflicht und erwartbare Belegtatsachen auf der Beweisebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtliches Gehör und Erforderlichkeit des Hinweises . . . . . .

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XXIV

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1. Der erforderliche Hinweis im Anwaltsprozess . . . . . . . . 2. Der erforderliche Hinweis und das gegnerische Vorbringen . D. Hinweispflicht jenseits des Sachverhältnisses i.S.d. § 139 Abs. 1 ZPO I. Die denkbaren Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hinweispflicht und Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hinweis auf die Änderung des Antrags . . . . . . . . . . . . 2. Hinweis auf die Veränderung der Tatsachenbasis . . . . . . . III. Hinweispflicht und zwingendes materielles Recht . . . . . . . . E. Hinweise auf Einreden und Gestaltungsrechte? . . . . . . . . . . . . I. Das Problem und die Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Auslegung des Parteivorbringens . . . . . . . . . . . . . . . III. Die verbleibenden Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 415 . . 417 . 417 . . 417 . . 418 . . 418 . . 419 . . 420 . . 421 . . 421 . . 422 . . 424

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien . . . 425 A. §§ 141 ff. ZPO als Befugnisnormen zur eigeninitiativen Sachverhaltsaufklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. §§ 141 ff. ZPO und das unstreitige Vorbringen . . . . . . . . . . . . . I. Die These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die zwingenden beweisrechtlichen Elemente der §§ 141 ff. ZPO III. §§ 141 ff. ZPO und der zugestandene Vortrag der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO im Vorfeld der gegnerischen Erwiderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . 2. Der ergänzungsbedürftige Initialvortrag . . . . . . . . . . . . . C. Funktion und Reichweite der Parteianhörung gemäß § 141 ZPO . . . I. Die Parteianhörung als förmliches Beweismittel? . . . . . . . . . II. Die Parteianhörung als Gegenstand der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die funktionelle Identität von Parteianhörung und Parteivernehmung bei der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . 1. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung . . . . . . . . . . 2. Keine Abgrenzung nach dem Beweiswert . . . . . . . . . . . . 3. Keine Abgrenzung nach dem Beweisgrund . . . . . . . . . . . a) Begriff und Abgrenzungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme gemäß § 285 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Vier-Augen-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Beeidigungsfähigkeit der Parteivernehmung als maßgeblicher Unterschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Situationen der Eidesleistung . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Zweck der einschränkenden Voraussetzungen gemäß §§ 445 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die weiteren Unterschiede: § 445 Abs. 2 ZPO und § 141 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die Anordnung persönlichen Erscheinens . . . . . . . . . . . . . V. Die Rechtsfolgen von Nichterscheinen und Aussageverweigerung 1. Das vollständig verweigerte (weitere) Vorbringen . . . . . . . 2. § 141 ZPO und der Sachvortrag durch den Prozessvertreter . . 3. Die verweigerte persönliche Anhörung in der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Funktion und Reichweite der §§ 142, 144 ZPO bei der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der vermeintliche Widerspruch zwischen §§ 422, 423 ZPO und §§ 142, 144 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Adressat einer Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO . . . . . . III. Der Gegenstand einer Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO . . . . . IV. §§ 142, 144 ZPO als Ermessensvorschriften . . . . . . . . . . . . . E. Der Sonderfall des § 143 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 441 . 443 . . . . .

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§ 23 Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . 451 A. Das Problem: Die Folgen der Vorlegungsverweigerung durch den Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Vorlagepflicht des Dritten und Besitzverschaffungsanspruch der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fälliger und durchsetzbarer Herausgabeanspruch . . . . . . . . II. Ansprüche auf Informationserteilung . . . . . . . . . . . . . . . III. Weigerungsrechte des Dritten gemäß §§ 142 Abs. 2, 144 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Situation der risikobelasteten Partei . . . . . . . . . . . . 2. Die Situation des Gegners der risikobelasteten Partei . . . . a) Die These von der Entlastungsfunktion des Weigerungsrechts des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grenzen dieser These . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der fehlende Bezug der Partei zum Informationsträger . . . . . . . I. Die Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsatz: Entscheidung nach der gesetzlichen Risikoverteilung III. Verabredung und einseitige Unterstützung als Ausnahmen von diesem Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Der entäußerte Informationsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verabredung und einseitige Unterstützung . . . . . . . . . . . . III. Die Bedeutung des Parteiverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 451 . . 452 . . 452 . . 453 . . 454 . . 454 . . 455 . . . .

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458 459 459 459 460

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . .

461

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

Teil 1

Einleitung und Problembeschreibung

Einleitung Das herkömmliche Aufklärungsmodell des deutschen Zivilprozesses lässt Verstöße der Parteien gegen die Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO unentdeckt. Dieses Defizit verleiht dem Gegner die Rechtsmacht, Informationsprobleme der risikobelasteten Partei erst auszulösen. So liegt es namentlich, wenn er wahrheitswidrig bestreitet und sodann den Umstand für sich wirken lässt, dass die risikobelastete Partei keinen Zugriff auf die Beweismittel hat, die sie zum Nachweis der wahrheitswidrig bestrittenen Tatsache benötigt. Dieses Dilemma wird überwunden, wenn § 138 Abs. 1 ZPO die gebotene praktische Bedeutung erhält: In einem ersten Schritt sind deshalb sowohl die Behauptungen als auch das Bestreiten der Parteien zunächst als unglaubwürdig und damit subjektiv unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO zu unterstellen. Beweisbedürftig wird eine Tatsachenbehauptung danach erst dann, wenn sowohl die risikobelastete Partei für die Behauptung als auch der Gegner für sein Bestreiten ausreichende Belegtatsachen benannt haben, so dass das Prozessgericht an der Unterstellung subjektiv unwahren Vorbringens nicht weiter festhält. Effektiv wird dem rechtswidrig verursachten Informationsproblem jedoch erst dann begegnet, wenn das Prozessgericht subjektiv wahrheitswidrigen Parteivortrag auch auf der Beweisebene berücksichtigen kann. In einem zweiten Schritt hat deshalb der Gegner seine sämtlichen Beweismittel der risikobelasteten Partei zur Verfügung zu stellen. Eine etwaige Weigerung dient regelmäßig dem Zweck, den auf der Vortragsebene begangenen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht zu verschleiern. Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung sieht das Prozessgericht deshalb den Beweis der risikobelasteten Partei ebenso regelmäßig als geführt an. Dieses grob skizzierte Aufklärungsmodell nutzt die Möglichkeiten, die die prozessrechtliche Wahrheitspflicht ihrem Normzweck entsprechend bietet und bieten soll, um Prozessniederlagen infolge rechtswidrig herbeimanipulierter Informationsprobleme zu begrenzen. Die vorliegende Untersuchung begründet, dass und weshalb es zulässig und geboten ist, § 138 Abs. 1 ZPO in der beschriebenen Weise für die Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozess nutzbar zu machen, und zeigt die Folgen auf, die sich daraus für die konkreten Mitwirkungslasten der Parteien ergeben. Der veränderte Umgang mit § 138 Abs. 1 ZPO wirkt sich jedoch auch auf das Verhältnis zwischen den Parteien und dem Prozessgericht aus. Auf diese Auswirkungen geht die Untersuchung ebenfalls in einem selbständigen Abschnitt ein.

1. Kapitel

Begriffe und Konstellationen Man kann sich der Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozess und den Rollen, die das Prozessgericht und die Parteien dabei einnehmen, auf sehr unterschiedliche Weise annähern. Dieses erste Kapitel dient dazu, die zentralen Begriffe und Prämissen der vorliegenden Arbeit zu definieren und anhand einzelner Konstellationen näher zu beschreiben.

§ 1 Das Informationsproblem A. Tatsachenabhängige Rechtsanwendung Recht und seine Anwendung sind tatsachenabhängig.1 Es sind tatsächliche Gegebenheiten, die anhand von Rechtssätzen juristisch beurteilt werden.2 Somit regeln diese Rechtssätze als sog. „verhaltenssteuernde Ordnung“ reale Gegebenheiten zwischen den einzelnen Rechtssubjekten.3 Erfüllen die Rechtssätze ihre Funktion als „verhaltenssteuernde Ordnung“ im Einzelfall nicht – etwa weil jemand rechtliche Grenzen bewusst überschreitet, weil Beteiligte eines Rechtsverhältnisses über Gegenstand und Umfang einzelner Verpflichtungen uneins sind, etc. –, so besteht Anlass für einen Zivilprozess als streitige Auseinandersetzung zwischen mehreren Privatrechtssubjekten. Dem Zivilprozess fällt dann die Aufgabe zu, die subjektiven Rechte und Pflichten der Parteien anhand des geltenden Rechts festzustellen und zu verwirklichen.4 Damit führt der Zivilprozess zugleich zur Bewährung der 1 AK/E. Schmidt, ZPO (1987), § 138 Rn. 1; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 278; E. Schmidt, Der Zweck des Zivilprozesses und seine Ökonomie (1973), 34; Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß (1975), 4; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 116 f.; vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 1; M. Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit (2002), 374; Deguchi, in: FS für Leipold (2009), 555, 560 f. 2 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 87; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 278; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 36. 3 Enneccerus/Lehmann, BGB AT (15. Aufl. 1959), § 30 1. I.; s. auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip (3. Aufl. 2005), 2; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 6. 4 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 1 Rn. 7; E. Schmidt, Der Zweck des Zivilprozesses und seine Ökonomie (1973), 10; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 42 f.; Gaul, AcP 168 (1968), 27, 46 f.; F. Baur, JBl. 1970,

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

Rechtsordnung in ihrem objektiv-rechtlichen Geltungsanspruch.5 Beides erfordert eine Rekonstruktion des tatsächlichen Geschehens, das dem mit der Klage geltend gemachten Begehren zugrunde liegt.6 Zivilprozess und Zivilprozessrecht sind demnach Institutionen, die die Anordnungen des materiellen Rechts flankieren und ihre praktische Wirksamkeit sichern.7

B. Das Beibringen von Tatsachen als Aufgabe der Parteien Ohne eine verlässliche prozessförmige Rekonstruktion des streitgegenständlichen Geschehens stehen nicht nur das konkrete subjektive Recht, sondern auch die praktische Wirksamkeit der Rechtssätze als „verhaltenssteuernde Ordnung“ in Frage. Denn nur dann, wenn die einer Rechtsordnung unterworfenen Subjekte wissen, dass hoheitliche Organe deren Regelungen effektiv umsetzen werden, haben sie Anlass, sich auch ohne direkten Zwang in Einklang mit den gesetzlichen Anordnungen zu verhalten.8 Insbesondere aus diesem Grund wird das Beweisrecht zuweilen als Rückgrat des Prozesses bezeichnet.9 Entsprechend wichtig ist die Frage, wie das Prozessgericht an diejenigen Informationen gelangt, die es für die Rekonstruktion des zu entscheidenden Sachverhalts benötigt. Das deutsche Zivilprozessrecht weist den Parteien die Aufgabe zu, die für die Streitentscheidung erforderlichen Tatsachen in den Prozess einzuführen („Beibringungsgrundsatz“).10 Nach gängiger Lesart bedeutet das zweierlei: 5 445; Jauernig, JuS 1971, 329, 331; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307; Störmer, JuS 1994, 238; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 36; vgl. auch Posner, Economic Analysis of Law (7. Aufl. 2007), S. 593 f.; Gottwald, in: FS für Fasching (1988), 181. 5 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 1 Rn. 9; Gaul, AcP 168 (1968), 27, 46 f. 6 Katzenmeier, ZZP 115 (2002), 51, 63; vgl. auch Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen (1950), 16; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 43; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307; Deguchi, in: FS für Leipold (2009), 555, 560 f. 7 Diesen Zusammenhang haben viele betont, vgl. etwa von Jhering, Der Kampf ums Recht (1872), Neuausgabe bearb. von A. Hollerbach (8. Aufl. 2003), 36; Röhl, JZ 1971, 576, 577, 579; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306, 307; ähnlich Klein, Praxis des Civilprocesses (1900), 1 f.; ders., Probevortrag an der Wiener Universität (1885), in: Reden/Vorträge/Aufsätze/Briefe (1927), 3; der Sache nach auch Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 32; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), 92. 8 von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess (1939), 44. 9 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 102; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 712; Schumann, NJW 1986, 1600; der Sach nach auch Junker, in: Informationsbeschaffung für den Zivilprozeß (1996), 63, 65. 10 MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einl. Rn. 290; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 97; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 9; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 14; Paulus, Zivilprozessrecht (5. Aufl. 2013), Rn. 314; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 66; Rosenberg/Schwab/Gottwald,

§ 1 Das Informationsproblem

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Erstens bestimmen allein die Parteien, welche Tatsachen der Feststellung im Wege der Beweisaufnahme bedürfen.11 Zweitens darf das Prozessgericht den Sachverhalt nicht von Amts wegen erforschen.12 Dieser prozessrechtliche Ansatz bedingt, dass nur solche Tatsachen Prozessstoff und Entscheidungsgrundlage werden, die die Parteien kennen. Für die Aufgabenverteilung unter den Parteien gilt darüber hinaus – mag das auch dem Beibringungsgrundsatz als solchem nicht unmittelbar zu entnehmen sein –, dass jeder Partei die Verantwortung zufällt, die ihr jeweils günstigen Tatsachen sowie die zugehörigen Beweismittel beizubringen.13 Daraus folgt, dass das Prozessgericht auch eine solche Tatsache nicht für die Sachverhaltsrekonstruktion heranziehen kann, die lediglich diejenige Partei nicht kennt, die sie nach der prozessrechtlichen Aufgabenverteilung beizubringen hätte.14

11 Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 7; Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit (1970), 19; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 346; Schwab, Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2012), Rn. 156 G; Meyke, Darlegen und Beweisen im Zivilprozess (2. Aufl. 2001), Rn. 70; Zettel, Der Beibringungsgrundsatz (1977), 30; Schlemmer-Schulte, Beweislast und Grundgesetz (1997), 13 f.; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten (2008), 71; Konzen, in: FS für Gaul (1997), 335, 340; Coester-Waltjen, Jura 1998, 662; Reiter, JA 2004, 226; Brögelmann, JR 2005, 309; Burbulla, JA 2004, 905; Mertins, NJ 2009, 441; Bischoff, JA 2010, 532. 11 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 9; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 16; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 7; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 69; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 346; Meyke, Darlegen und Beweisen im Zivilprozess (2. Aufl. 2001), Rn. 71; Heß, Wahrheits- und Aufklärungspflicht (2006), 15; Schreiber, Jura 1989, 86, 90; Störmer, JuS 1994, 238, 239; Kaiser, in: Beweis im Zivil- und Strafprozess (1995), 17, 18; Junker, in: Informationsbeschaffung für den Zivilprozeß (1996), 63, 71; Sarbach, ZBJV 136 (2000), 685, 687; Bischoff, JA 2010, 532. 12 Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 97; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 9; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 20; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 68; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 7; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 346; Schwab, Zivilprozessrecht (5. Aufl. 2012), Rn. 156 G; Meyke, Darlegen und Beweisen im Zivilprozess (2. Aufl. 2001), Rn. 72; Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit (1970), 19; Heß, Wahrheits- und Aufklärungspflicht (2006), 15; Schreiber, Jura 1989, 86, 88; Kaiser, in: Beweis im Zivil- und Strafprozess (1995), 17, 18; Bischoff, JA 2010, 532; Sarbach, ZBJV 136 (2000), 685, 687. 13 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 50 Rn. 11; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 1; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 347; Schwab, Zivilprozessrecht (5. Aufl. 2012), Rn. 157 G; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen (1950), 16; Sarbach, ZJBV 136 (2000), 685, 688; Bischoff, JA 2010, 532. 14 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 7; Rosenberg, Die Beweislast (5. Aufl. 1965), 12; Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß (1966), 65; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 277 f.

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

C. Informationslücken als Rechtsanwendungsproblem So zeigt sich, dass die Unkenntnis der verantwortlichen Partei von einer zu ihren Gunsten wirkenden Information zu einer lediglich lückenhaften Rekonstruktion des Sachverhalts führt.15 Als Konsequenz entscheidet das Prozessgericht entweder auf Basis der gesetzlichen Risikoverteilung oder auf Basis einer vorläufig erfolgreichen Beweisführung des Gegners. In beiden Fällen entscheidet das Prozessgericht auf der Grundlage eines Sachverhalts, der – verglichen mit den wirklichen Ereignissen – unvollständig und daher unzutreffend rekonstruiert ist.16 Dabei ist der Informationsbegriff im doppelten Wortsinn zu verstehen: Er umfasst die Tatsachen, die selbst Beweisthema sind, ebenso wie die Beweismittel zum Nachweis der Tatsachenbehauptung. Diejenige Partei, zu deren Lasten sich die Informationslücke auswirkt, wird dabei als risikobelastete Partei bezeichnet.17

I. Die Folgen für die Rechtsanwendung 1. Informationslücken – Für die Rechtsanwendung unerheblich? Manche halten es freilich für rechtlich bedeutungslos, ob das Erkenntnisverfahren die wirklichen Ereignisse korrekt rekonstruieren konnte oder nicht. So hänge die Rechtsanwendung nicht davon ab, welches Geschehen sich objektiv zugetragen habe, sondern allein davon, welche Tatsachen im Zivilprozess feststellbar seien.18 Wenn die Rechtsanwendung aber definitionsgemäß als einzigen Bezugspunkt das prozessual Festgestellte hat, dann wird die Informationslücke als Rechtsanwendungsproblem kurzerhand wegdefiniert. Ob außer den festgestellten Tatsachen womöglich weitere Ereignisse stattfanden, die zu einer anderen Beurteilung des Falles hätten führen können, ist dann nämlich unbeachtlich. Es ist aus mehreren Gründen nicht durchhaltbar, als Basis einer korrekten Rechtsanwendung künstlich zwischen den wirklichen und den prozessrechtlich festgestellten Ereignissen zu trennen. Schon um beurteilen zu können, ob die entscheidungserheblichen Tatsachen hinreichend aufgeklärt wurden, da15 Deguchi, in: FS für Leipold (2009), 555, 561; s. auch Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 49; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 3. 16 Vgl. Deguchi, in: FS für Leipold (2009), 555, 561. 17 Stürner, Die Aufklärungspflichten der Parteien des Zivilprozesses (1976), 4; diese Bezeichnung ist zu Recht gebräuchlich, mag sie auch dort nicht ganz präzise sein, wo aufgrund der fehlenden Information lediglich der Gegenbeweis misslingt. Denn in diesem Fall erfolgt die Entscheidung ja gerade nicht aufgrund der gesetzlichen Risikozuweisung, sondern aufgrund der Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit der jeweiligen Tatsache. 18 Leonhard, Die Beweislast (2. Aufl. 1926), § 36; ähnlich Goldschmidt, in: FS für Brunner (1914), 109, 120.

§ 1 Das Informationsproblem

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mit der Rechtsstreit entscheidungsreif ist, ist ein Maßstab erforderlich. Einen solchen kann nur das objektiv Geschehene liefern. Das ergibt sich jedenfalls aus dem institutionellen Zweck des Zivilprozesses, Rechtsschutz bei Auseinandersetzungen zwischen Privatrechtssubjekten zu gewähren.19 Positivrechtlich ist dieser Zusammenhang zwischen dem objektiven Geschehen und den zivilprozessualen Feststellungen in § 138 Abs. 1 ZPO niedergelegt, denn Wahrheit im dortigen Sinn meint die Übereinstimmung von wirklichem Sachverhalt und prozessualer Erklärung.20 Gleiches gilt für den dem § 286 ZPO zugrunde liegenden Beweisbegriff, der eine Tätigkeit bezeichnet, die in dem Richter die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Behauptung begründen soll.21 2. Informationslücken als doppeltes Rechtsanwendungsproblem Kann die risikobelastete Partei die zu ihren Gunsten wirkende Information mangels Kenntnis oder Zugriffs nicht in den Prozess einbringen, so entscheidet das Prozessgericht zu ihren Lasten. Dies führt unter zwei Gesichtspunkten zu einem Rechtsanwendungsproblem. Der Erste betrifft die streitentscheidende Funktion der Privatrechtsordnung. Wenn entscheidungserhebliche Tatsachen unberücksichtigt bleiben, weil die risikobelastete Partei über die notwendigen Informationen nicht verfügt, dann nimmt das Prozessgericht mit seiner Entscheidung dieser Partei entweder ein Recht, das ihr an sich zusteht, oder es gewährt dem Gegner ein Recht, das bei Zugrundelegung des wahren Sachverhalts keine Grundlage hat. Zweitens wirkt die Informationslücke sich auf die Funktionsfähigkeit des Privatrechts als „verhaltenssteuernde Ordnung“ aus. So legt die jeweils anzuwendende – meist dem materiellen Recht zugehörige – Norm fest, welche Partei welche Informationen beizubringen hat.22 Zu wessen Lasten Informationslücken gehen werden, ist dadurch kalkulierbar.23 Ebenfalls ist in zahlreichen Fällen abseh- und berechenbar, welche entscheidungserheblichen Informatio19 E. Schmidt, Der Zweck des Zivilprozesses und seine Ökonomie (1973), 34, 38; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 49 f. 20 Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 2. 21 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 1. 22 BGHZ 147, 203, 209; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 284 Rn. 15; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 428; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 50 Rn. 18; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 277; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 10; Langenbucher/Mäsch, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht (3. Aufl. 2013), § 8 Rn. 33; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 178; Osterloh-Konrad, Der allgemeine vorbereitende Informationsanspruch (2007), 56; Arnold, AcP 209 (2009), 285, 301; der Sache nach auch E. Schneider, MDR 1969, 4, 9; Pohle, MDR 1949, 386, 388; Wacke, ZZP 114 (2001), 77, 81; Böhr, NJW 2001, 2059, 2060; Paulus, in: FS für Gerhardt (2004), 747, 748. 23 Eidenmüller, ZZP 113 (2000), 5, 10.

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

nen die risikobelastete Partei in einen etwaigen Prozess nicht einbringen können wird. Abstrakt gilt das etwa für solche Informationen, die sich im alleinigen Zugriffsbereich ihres Gegners befinden. Informationsverteilung und Prognostizierbarkeit der sich daraus ergebenden Nachteile führen dazu, dass die Privatrechtssubjekte ihr Verhalten nicht mehr an den normativen Anordnungen orientieren, sondern an der voraussichtlichen Aufklärbarkeit im Prozess.24 Wer etwa damit rechnen kann, dass die Verletzung eines fremden Schutzrechts – z.B. das Urheberrecht am Quellcode eines Computerprogramms – deshalb voraussichtlich unaufgeklärt bleiben wird, weil die für den prozessrechtlichen Nachweis erforderlichen Informationen dem Zugriff der risikobelasteten Partei entzogen sind, wird eher zur Verletzung des fremden Rechts neigen als derjenige, der von einer Offenbarung seines Verhaltens im Prozess ausgehen muss.25

II. Das Spannungsfeld mit legitimen Geheimhaltungsinteressen Beide Punkte legen es auf den ersten Blick nahe, eine umfassende Wahrheitsermittlung als Ziel einer idealen Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozess zu definieren.26 Doch eröffnet sich sogleich ein Spannungsfeld mit gegenläufigen Interessen, die jedes prozessrechtliche Aufklärungsmodell jedenfalls dann berücksichtigen muss, wenn sie rechtlich anerkannt sind. So setzt das Ziel einer umfassenden Wahrheitsermittlung eine ebenso umfängliche Mitwirkung der Parteien an dieser voraus. Das wiederum bedeutet einen Eingriff auch in legitime Geheimhaltungsinteressen, sei es in unternehmerischer, sei es in privater Hinsicht. Die risikobelastete Partei mag dies – je nach Ausgestaltung der konkreten Verfahrensordnung – über die Gestaltung ihres Vorbringens noch steuern können. Der Gegner könnte die Öffnung seines Bereichs jedoch lediglich um den Preis prozessrechtlicher Nachteile verweigern.27 Sollte das Ziel der Wahrheitsermittlung allein diesen Eingriff recht24 Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1139; ähnlich Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip (3. Aufl. 2005), 430, jedoch aus einer allgemeineren Perspektive, wonach lückenhafte Tatsachengrundlagen generell geeignet seien, systematisch „falsche“ Verhaltensanreize zu setzen; s. auch Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 5 f. 25 Eine weitere negative Folge mag darin bestehen, dass Privatrechtssubjekte an sich erwünschte Tätigkeiten einstellen oder unterlassen, wenn die Erfolgsprognose für einen Prozess aufgrund abstrakt-generell determinierter Beweisnöte negativ ausfällt. So wird es sich eher innovationshemmend auswirken, wenn materiell gewährte gewerbliche Schutzrechte nicht prozessrechtlich abgesichert sind. In gleicher Weise mag eine Person einen Verkehr der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich machen, wenn sie wegen der beweisrechtlichen Gegebenheiten auch bei größtmöglicher Sorgfalt einer Haftungsfolge nicht entgehen kann (J. Hager, in: FS für Deutsch [2009]), 769, 771; ähnlich Taupitz, in: FS für Canaris [2007], 1231, 1233 f.). 26 E. Schmidt, Der Zweck des Zivilprozesses und seine Ökonomie (1973), 38; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 50. 27 Deren Ausgestaltung hinge wiederum von der konkreten Verfahrensordnung ab.

§ 1 Das Informationsproblem

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fertigen, dann eröffnete der Zivilprozess folglich die Möglichkeit, auch durch illegitime Klageerhebung Einblick in den fremden Geheimbereich zu nehmen. Solcher Missbrauchsgefahr wirksam zu begegnen, ist eine zentrale Herausforderung für jedes auf wechselseitiger Ausforschung basierende Aufklärungsmodell.28

D. Typische Konstellationen I. Informationslücken im Erkenntnisverfahren Informationslücken treten im Erkenntnisverfahren in verschiedenen typischen Konstellationen auf. Das gilt gleichermaßen für die Vortrags- wie für die Beweisebene. 1. Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich Klassisch ist die Situation, in der sich die entscheidungserhebliche Information beim Gegner der risikobelasteten Partei befindet.29 So stellte der Käufer einer größeren Immobilieneinheit fest, dass die insgesamt erzielten Nettokaltmieten deutlich hinter den Beträgen zurückblieben, die der Verkäufer im Kaufvertrag für die vergangenen Jahre angegeben hatte. Der Käufer machte sodann zunächst gegen den Verkäufer und später gegen den beurkundenden Notar gestützt auf § 19 Abs. 1 BNotO Schadensersatz geltend. Er unterlag in beiden Fällen, da er nicht darlegen konnte, dass der Verkäufer die tatsächlich erzielten Nettokaltmieten arglistig unwahr beziffert hatte. Dazu hätte er zu den Kontoauszügen, Sammeleinzugslisten, Betriebskostenabrechnungen, Kontokorrentkonten aus der Mietenbuchhaltung sowie den Verwalterabrechnungen vortragen und diese vorlegen müssen; der Verkäufer sei zu deren Herausgabe nicht verpflichtet, auch nicht im Schadensersatzprozess gegen den Notar.30 Strukturidentische Probleme entstehen häufig im Bereich des Immaterialgüter- und Wettbewerbsrechts. Man denke etwa an den Fall, dass der Anbieter eines Telemediendienstes einem Konkurrenten vorwirft, dieser habe sich rechtswidrig den PHP-Quellcode31 seines Internetauftritts beschafft und ver28

Siehe etwa Kaufmann-Kohler/Bärtsch, SchiedsVZ 2004, 13, 16; Ahrens, GRUR 2005, 837,

839. 29 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 119 ff., bezeichnet diese Gruppe als Fälle typischer Sachverhaltsunkenntnis und rückt sie ins Zentrum seiner Untersuchung. 30 BGH, NJW 2007, 155 f., wobei es sich um die letztinstanzliche Entscheidung im Schadensersatzprozess gegen den Notar handelt. Die Entscheidung referiert die Geschehnisse im Erstprozess zwischen den Vertragsparteien. 31 PHP ist eine Skriptsprache, die überwiegend für Webseiten und Webanwendungen gebräuchlich ist.

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

wende ihn für den eigenen Dienst. Um seinen Anspruch darzutun, hatte der Kläger eines solchen Falles vorgebracht, dass der konkurrierende Dienst des Beklagten in Aussehen, Aufbau und Funktionalitäten mit seinem Dienst, dem des Klägers, übereinstimme und dass darüber hinaus Dateinamen und Dateiabfolgen in erheblichen Teilen identisch seien. Das mit dem Fall befasste Gericht sah hierin keinen ausreichenden Vortrag einer Verletzungshandlung. Erforderlich seien wenigstens konkrete Ausführungen dazu, wie der Konkurrent an den Quellcode des Programms gekommen sein könnte.32 Ähnliches kann sich im Patentrecht zutragen. Argwöhnt etwa der Inhaber eines Verfahrenspatents, ein Konkurrent nutze das geschützte Verfahren entgegen § 9 Nr. 2 PatG,33 so hat er die Verletzungshandlung darzulegen,34 das heißt die einzelnen Tatsachen, in denen die Benutzung des geschützten Verfahrens besteht.35 Die Probleme der risikobelasteten Partei verschärfen sich weiter, wenn die streitige Tatsache ein Negativum innerhalb des gegnerischen Wahrnehmungsbereichs betrifft, etwa das Fehlen eines alten Familienrezepts, mit dem ein Konkurrent seinen Honiglikör bewirbt.36 Mit einer umfassenden wechselseitigen Ausforschung ließe sich für die risikobelastete Partei zwar Abhilfe schaffen. Gestattete man aber den unbeschränkten Einblick in die gegnerische Sphäre allein aufgrund des rechtshängigen Prozesses, erhielte selbst die unredliche risikobelastete Partei mühelos Einblick in gegnerische Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. 2. Negative Tatsachen Negative Tatsachen sind allgemein schwierig aufzuklären. Wenn das Negativum Anspruchs- oder Einwendungsvoraussetzung ist, dann müsste die risikobelastete Partei streng genommen alle auch nur entfernt in Betracht zu ziehenden Gründe benennen und ausräumen, die die negative Anspruchs- oder Einwendungsvoraussetzung ausräumen könnten.37 Das betrifft etwa denkbare Rechtsgründe zum Behaltendürfen in den Fällen des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB38 oder die Nichtbenutzung einer Marke im Sinne von §§ 26 Abs. 1, 49 Abs. 1 Satz 1 MarkenG bei einer auf § 55 MarkenG gestützten Löschungsklage.39 32

LG Köln, MMR 2009, 640, 643. Handelte es sich um einen Fall des § 9 Nr. 3 PatG – also um gleiche Erzeugnisse –, dann griffe die Umkehr der Feststellungslast nach § 139 Abs. 3 PatG ein. 34 Benkard/Rogge/Grabinski, PatG (10. Aufl. 2006), § 139 Rn. 114; vgl. auch RGZ 88, 437, 438; Mes, PatG/GebrMG (3. Aufl. 2011), § 139 PatG Rn. 218. 35 Benkard/Rogge/Grabinski, PatG (10. Aufl. 2006), § 139 Rn. 116. 36 BGH, GRUR 1963, 270, 271. 37 BGH, NJW 1999, 2887; NJW-RR 2009, 1424, 1425; Stieper, ZZP 123 (2010), 27, 32. 38 BGH, NJW 1999, 2887; NJW-RR 2009, 1442, 1444; 2009, 1424, 1425; vgl. auch BGH, NJW-RR 2004, 556; OLG Rostock, NZBau 2007, 707, 708; Staudinger/S. Lorenz, BGB (2007), § 812 Rn. 92. 39 BGH, NJW-RR 2009, 53, 54; Ingerl/Rohnke, MarkenG (3. Aufl. 2010), § 55 Rn. 12; Fezer, Markenrecht (4. Aufl. 2009), § 55 MarkenG Rn. 28; Kochendörfer, WRP 2007, 258, 260. 33

§ 1 Das Informationsproblem

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3. Innere Tatsachen Weiter sind in diesem Zusammenhang die inneren Tatsachen zu erwähnen. Über deren Vorliegen oder Nichtvorliegen im maßgeblichen Zeitpunkt kann mit letzter Gewissheit stets nur die Person Auskunft geben, in der die innere Tatsache gegeben oder nicht gegeben sein soll. Verlangt etwa der ehemalige Mieter von seinem vormaligen Vermieter Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt des vorgeschobenen Eigenbedarfs, so hat der Mieter darzulegen und nötigenfalls zu beweisen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt die Selbstnutzungsabsicht des Vermieters nicht vorlag.40 Ähnlich liegt es, wenn der vollmachtlose Vertreter Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des anderen Teils von seiner fehlenden Vertretungsmacht dartun soll.41 Doch betrifft das Problem keineswegs nur innere Tatsachen in der Person des Gegners der risikobelasteten Partei. Auch sie selbst betreffende innere Tatsachen sind bei strenger Lesart nur mühsam in prozessrechtlich verwertbarer Form vortrag- und beweisbar. Das gilt jedenfalls für negative Tatsachen. Man denke etwa an das Haftungsprivileg aus § 10 Nr. 1 TMG, das – jedenfalls nach vorzugswürdiger Sichtweise – die Unkenntnis des Diensteanbieters von der Rechtsverletzung als echte und von ihm zu beweisende Einwendungsvoraussetzung ausgestaltet.42 Auch positive innere Tatsachen der begünstigten Partei, die zum Tatbestand der anspruchs- oder einwendungsbegründenden Norm gehören, sind nur mit Mühe greifbar zu machen, zumal es sich hier häufig um einen unbewussten seelischen Vorgang handelt.43 Freilich verlagert die Privatrechtsordnung das Risiko der Unaufklärbarkeit hier häufig auf den Gegner. So liegt es etwa bei der Vermutung des guten Glaubens. Diese Vermutung ordnen §§ 173 Alt. 1, 932 Abs. 2, 892 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 Alt. 2 BGB, 15 Abs. 1 a.E., Abs. 3 a.E. HGB ausdrücklich an;44 sie gilt auch über diese konkret geregelten Fälle hinaus.45

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BGH, NJW 2005, 2395, 2396. MünchKomm/Schubert, BGB (7. Aufl. 2015), § 179 Rn. 61. 42 Freilich geht die h.M. entgegen Wortlaut und Systematik sowohl des § 10 Nr. 1 TMG als auch des zugrunde liegenden Art. 14 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt [„Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“], ABl. L 178 vom 17.7.2000, S. 1 bis 16, davon aus, dass die Behauptungs- und Feststellungslast den Geschädigten treffe (OLG Hamburg, GRUR-RR 2013, 94, 96; Müller-Broich, TMG [1. Aufl. 2012], § 10 Rn. 8; zu den Vorgängerbestimmungen BGH, NJW 2003, 3764; OLG Düsseldorf, MMR 2004, 315, 317; KG, ZUM 2005, 160, 161; überzeugend dagegen Pankoke, MMR 2004, 211, 214). 43 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), 503. 44 Mes, in: FS für Hertin (2000), 619, 628 f. 45 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), 503. 41

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

4. Weitere Fälle Informationslücken können jedoch auch dort auftreten, wo die risikobelastete Partei über ebenso gute oder sogar bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt als ihr Gegner. So forderte etwa ein Immobilienkäufer nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen von dem beklagten Makler die Courtage mit der Begründung zurück, es habe eine wirtschaftliche Verflechtung des Maklers mit dem Verkäufer bestanden. Deshalb fehle der Rechtsgrund. Der Makler machte den Ausschluss der Kondiktion nach § 814 BGB geltend, weil der beurkundende Notar den Käufer über die wirtschaftliche Verflechtung und die damit einhergehende Nichtschuld der Courtage aufgeklärt habe, und bot den Notar als Zeugen für diesen Verteidigungsvortrag an. Der Käufer bestritt die Aufklärung durch den Notar und weigerte sich, diesen von seiner Schweigepflicht zu entbinden.46 Dem Makler waren somit trotz eigener Wahrnehmung seine greifbaren Nachweismöglichkeiten abgeschnitten. Ähnlich liegen Sachverhalte, die zu komplex sind, als dass sie aus bloßer Wahrnehmung heraus prozessverwertbar aufbereitet werden könnten, hierzu vielmehr besonderer Sachverstand erforderlich ist. So liegt es etwa im Arzthaftungs- oder auch im Baumängelprozess. Im Arzthaftungsprozess mag der Patient nach Einsicht in die Patientenakte theoretisch in der Lage sein, die Behandlung und ihren Bezug zu seiner Gesundheitsbeeinträchtigung zu rekonstruieren. Ohne sachverständige Hilfe, deren Inanspruchnahme weitere Kosten verursachen würde, sind jedoch weder der Vergleich der konkreten Behandlungsmaßnahme mit dem fachärztlichen Standard47 noch die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die später aufgetretene Beeinträchtigung aufzeigbar.48 Entsprechend stellt sich die Situation beim Baumangel dar. Hier nimmt der Besteller ein bestimmtes Symptom – etwa Feuchtigkeit in Räumen – unmittelbar wahr, nicht jedoch dessen technische Ursache und damit den Bezug zur Tätigkeit des Unternehmers.49 Um beide Punkte konkret vortragen zu können, müsste der Besteller vorab einen Sachverständigen hinzuziehen. Für die risikobelastete Partei besteht in diesen Fällen das Problem also nicht darin, dass sie an die entscheidungserheblichen Informationen nicht gelangen kann, sondern darin, dass die Informationsbeschaffung mit erheblichem und

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Vgl. BGH, NJW-RR 1996, 1534. Das betrifft den arzthaftungsrechtlichen Fehlerbegriff, vgl. BGH, NJW 1993, 2989, 2991; 1996, 779, 780; 2003, 2311, 2313; BeckOK/Spindler, BGB (Stand: 11/2013), § 823 Rn. 592; Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 18a; Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts (4. Aufl. 2010), § 100 Rn. 24; Deutsch, NJW 1993, 1506, 1509; Jorzig, MDR 2001, 481, 482 f.; Boemke, NJW 2010, 1562, 1563. 48 In diese Richtung Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 392. 49 BGH, NJW-RR 2002, 743; vgl. auch OLG Koblenz, NJW-RR 2010, 1036. 47

§ 1 Das Informationsproblem

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damit potentiell von der Rechtsverfolgung abschreckendem Aufwand verbunden ist.50 Und schließlich kann sich eine Informationslücke auch in Fällen ergeben, in denen die maßgeblichen Tatsachen sich – im Verhältnis zum Gegner – nur im Wahrnehmungskreis der risikobelasteten Partei ereigneten, Details und vor allem Beweismittel nun aber wegen Zeitablaufs nicht mehr greifbar sind. Wichtigstes Beispiel dieser Fallgruppe ist die Auseinandersetzung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem GmbH-Gesellschafter wegen vermeintlicher Nichterfüllung der Einlageschuld.51 Finden sich bei der Gesellschaft als Gemeinschuldnerin keine – aus Sicht des Insolvenzverwalters – hinreichend klaren Unterlagen über die Erbringung der Einlageschuld, so macht er die Forderung geltend.52 Unabhängig vom Zeitablauf trägt der Gesellschafter die Beweislast für die Erfüllung.53 Wurden die entsprechenden Unterlagen zwischenzeitlich wegen Ablaufs der Aufbewahrungsfrist vernichtet, so bleibt er beweisfällig und muss abermals leisten.54

II. Die Informationslücke und die ordnungsgemäße Klageerhebung Die Beispiele haben die Informationslücke der risikobelasteten Partei im rechtshängigen Erkenntnisverfahren nach ordnungsgemäßer Klageerhebung veranschaulicht; es geht um die Informationslücke bei der Prüfung des Streitgegenstands im Hinblick auf eine Sachentscheidung. Allerdings kann die Informationslücke namentlich der klagenden Partei sich bereits im Vorfeld dahingehend auswirken, dass es zu einer Sachprüfung gar nicht erst kommt, weil das Prozessgericht ihr Begehren mangels ordnungsgemäßer Klageerhebung durch Prozessurteil abweist oder womöglich die Klageschrift gar nicht erst zustellt. Die Situation kann eintreten, wenn die klagende Partei keine anerkannten Identifikatoren für die Person des Gegners angeben kann und damit die Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 ZPO nicht erfüllt. So liegt es etwa im Fall rechtswidriger Spam-E-Mails, die materiellrechtlich einen Verstoß etwa gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht55 des Betroffenen und/oder gegen 50

Der Sache nach Bergmann/Pauge/Steinmeyer/Simmler, Gesamtes Medizinrecht (2. Aufl. 2014), § 138 ZPO Rn. 3; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 754. 51 BGH, DStR 2004, 2112 (mit Anm. Goette); 2005, 297, 298 (mit Anm. Goette); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2006, 1188, 1189; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 103; Wicke, GmbHG (3. Aufl. 2016), § 19 Rn. 8. 52 BGH, NZG 2005, 45; 2007, 790. 53 BGH, DStR 2005, 297; NZG 2007, 790. 54 Für die Praxis ist dieses konkrete Problem mittlerweile allerdings dadurch entschärft, dass § 19 Abs. 6 GmbHG die Verjährung der Einlageschuld an die Aufbewahrungsfrist für die Buchungsbelege gemäß § 257 Abs. 4 HGB i.V.m. §§ 13 Abs. 3 GmbHG, 6 Abs. 1 HGB angepasst hat (Thiessen, ZHR 168 [2004], 503, 516 f.; Goette, DStR 2004, 2113). 55 MünchKomm/Wagner, BGB (6. Aufl. 2013), § 823 Rn. 593.

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

§ 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 UWG56 jeweils unter dem Gesichtspunkt der Belästigung darstellen. Hier liegt das Problem darin, dass einerseits insbesondere mit § 6 TMG oder § 7 UWG zwar detaillierte Vorschriften zum Schutz vor solchen Belästigungen zur Verfügung stehen, andererseits aber der Absender einer rechtswidrigen Kommunikation für den Betroffenen nicht erkennbar ist.57 Gleiches gilt für die Verletzung von Urheberrechten durch rechtswidrige Vervielfältigung über Online-Tauschbörsen. Auch hier mag der Rechtsinhaber zwar wahrnehmen, dass eine unberechtigte Vervielfältigung geschieht; denjenigen, der die unmittelbare Verletzungshandlung begeht, vermag er indes nicht ohne Weiteres zu identifizieren.58 Mit vergleichbaren Konstellationen hatte sich die Rechtsprechung in den sog. Hausbesetzungsfällen zu befassen, bei denen der besetzende Personenkreis namentlich unbekannt war und außerdem seine Zusammensetzung ständig wechselte.59 Vorbehaltlich besonderer Bestimmungen erfasst dieses Problem auch den Anspruchsumfang und damit den Antrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 a.E. ZPO. Relevant kann das insbesondere bei Schadensersatzforderungen werden, wenn nicht die bloße Feststellung der Ersatzpflicht, sondern Zahlung begehrt ist. Die an sich erforderliche konkrete Bezifferung60 des Klagebegehrens bereitet etwa bei der Verletzung von Immaterialgütern Schwierigkeiten. So liegt es namentlich, wenn die Verletzung zwar dem Grunde nach feststeht, nicht aber hinsichtlich ihres Ausmaßes. Schließlich ist die Unterlassungsklage zu erwähnen, bei der der Kläger die konkrete Verletzungshandlung nicht bezeichnen kann. Das Problem entsteht etwa bei der Verletzung von Urheberrechten an Computerprogrammen nach §§ 69a ff. UrhG,61 sofern der Kläger nicht den Vorwurf der identischen Übernahme erhebt.62 Geschützt werden vor allem die Codes sowie die innere

56 BGH, NJW 2004, 1655, 1656 (zu § 1 UWG a.F.); OLG Bamberg, NJW-RR 2007, 394; Ohly/Sosnitza/Ohly, UWG (6. Aufl. 2014), § 7 Rn. 71. 57 Spindler/Schuster/Micklitz/Schirmbacher, Recht der elektronischen Medien (3. Aufl. 2015), § 6 TMG Rn. 79. 58 Wandtke/Bullinger/Bohne, UrhG (4. Aufl. 2014), § 101 Rn. 29. 59 LG Krefeld, NJW 1982, 289; LG Kassel, NJW-RR 1991, 381, 382; LG Berlin, NJW-RR 1998, 713, 714; Raeschke-Kessler, NJW 1981, 663; vgl. weitergehend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 253 Rn. 16. 60 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 253 Rn. 13a, 15. 61 Vgl. dazu Schneider, Handbuch des EDV-Rechts (4. Aufl. 2009), Rn. P 117 ff. 62 BGH, NJW-RR 2003, 1279, 1280 f.: „Eine derartige Beschreibung der angegriffenen Ausführung kommt allenfalls bei identischer Übernahme in Betracht. Entspricht die angegriffene Ausführungsform genau dem Produkt, für das Schutz beansprucht wird, mag es angehen, das Verbot durch Bezugnahme auf dieses Produkt zu formulieren, statt – wie an sich geboten – die konkrete Verletzungsform zu beschreiben.“ Auch hierbei handelt es sich jedoch um eine Verlegenheitslösung, denn ohne Zugriff auf die Codes, etc. muss die identische Übernahme aus den übereinstimmenden Arbeitsergebnissen auf dem Bildschirm geschlossen werden, die an sich nicht nach § 69a Abs. 1 UrhG schutzfähig sind.

§ 1 Das Informationsproblem

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Struktur und die Organisation des Programms,63 nicht aber die auf dem Bildschirm sichtbaren Arbeitsergebnisse, die das Programm hervorbringt.64 Um die konkrete Verletzungshandlung nach § 97 Abs. 1 UrhG darzutun, muss der Kläger des Unterlassungsprozesses an sich die Codes, die innere Struktur und/ oder die Organisation des Programms seines Gegners aufzeigen, und zwar bereits auf der Ebene der Antragstellung nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.65 Diese schutzfähigen Bestandteile des Computerprogramms bleiben dem Kläger indes in aller Regel verborgen; er sieht lediglich das Ergebnis des Programmablaufs auf dem Bildschirm.66

III. Die Informationslücke in der Zwangsvollstreckung Schließlich sei noch die Informationslücke des Vollstreckungsgläubigers in der Einzelzwangsvollstreckung angesprochen. Sie besteht darin, dass er nicht notwendig weiß, über welche Vermögensgegenstände der Vollstreckungsschuldner verfügt und wo sie sich befinden.67 Ein ineffektives Vollstreckungsverfahren entwertet den im Erkenntnisverfahren gewonnenen Titel68 und stellt die 63 OLG Düsseldorf, MMR 1999, 729, 730; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, UrhG (4. Aufl. 2014), § 69a Rn. 23; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht (4. Aufl. 2010), § 69a Rn. 10; Schneider, Handbuch des EDV-Rechts (4. Aufl. 2009), Rn. P 118. 64 H.M. OLG Düsseldorf, MMR 1999, 729, 730; Dreier/Schulze/Dreier, UrhG (5. Aufl. 2015), § 69a Rn. 16; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, UrhG (4. Aufl. 2014), § 69a Rn. 23; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht (4. Aufl. 2010), § 69a Rn. 11; Schneider, Handbuch des EDV-Rechts (4. Aufl. 2009), Rn. P 118. 65 BGH, NJW-RR 2003, 1279, 1281; Dreier/Schulze/Dreier, UrhG (4. Aufl. 2013), § 97 Rn. 46; Schneider, Handbuch des EDV-Rechts (4. Aufl. 2009), Rn. P 120; Schulze, CR 1986, 779, 788; auch noch Brandi-Dohrn, GRUR 1985, 179, 186 f., der diese Ansicht dann aber in CR 1986, 835, 836 aufgegeben hat und das Problem seither bei der Begründetheit verortet. Doch ist es richtig, insoweit bereits bei der Bestimmtheit des Antrags und damit bei der Zulässigkeit anzusetzen. Der Antrag ist nämlich nicht bereits dann hinreichend bestimmt, wenn er bloß eine für sich betrachtet klare Rechtsfolge benennt. Vielmehr ist der Antrag auch dann nicht hinreichend bestimmt, wenn er der zu seiner Rechtfertigung gegebenen Begründung widerspricht (BGHZ 156, 1, 9; BGH, NJW 1996, 260, 262). Demnach könnte der Kläger natürlich ein für sich gesehen bestimmtes Klagebegehren formulieren, indem er beantragt, der Beklagte möge es unterlassen, eine Software zu vervielfältigen, die genau der geschützten Originalsoftware entspricht und zur Präzisierung einen entsprechenden Datenträger beifügt und in Bezug nimmt (BGHZ 94, 276, 291). Dann richtete sich der Antrag auf Untersagung der identischen Übernahme (konsequent daher BGH, NJW-RR 2003, 1279, 1281). Mit diesem Vorgehen ist jedoch nichts gewonnen, wenn der Kläger auf der Begründungsebene die konkrete Verletzungshandlung vortragen muss und sich hier zeigt, dass diese nicht in einer identischen Übernahme des geschützten Computerprogramms, sondern lediglich in einer teilweisen oder modifizierten Übernahme besteht. Dann widersprechen sich Antrag und Begründung, wodurch der Antrag unbestimmt wird. 66 Brandi-Dohrn, CR 1985, 67; siehe auch Schneider, Handbuch des EDV-Rechts (4. Aufl. 2009), Rn. P 117. 67 Würdinger, JZ 2011, 177. 68 Würdinger, JZ 2011, 177, 178.

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

praktische Wirksamkeit des zugrunde liegenden materiellen Rechts ebenfalls in Frage: Dem Gläubiger wird letztlich vorenthalten, was das Prozessgericht ihm rechtskräftig zuerkannt hat; weiter schafft eine ineffektive Vollstreckung Verhaltensanreize wider die Achtung des geltenden Rechts.

IV. Ab- und Eingrenzung Fehlende Informationen können sich also für die Partei, die sie beizubringen hat, an verschiedenen Stellen eines Zivilprozesses nachteilig auswirken. Jedoch weisen die Nachteile in Art und Intensität Unterschiede auf. Besteht die Informationslücke auf der Vortrags- oder Beweisebene im rechtshängigen Prozess nach ordnungsgemäßer Klageerhebung, so befindet das auf Grundlage eines nur lückenhaft aufgeklärten Sachverhalts ergehende Sachurteil nach Eintritt der Rechtskraft endgültig über den Streitgegenstand.69 Sieht man vom Restitutionsverfahren ab, wird der durch die Informationslücke benachteiligten Partei entweder ein Anspruch genommen oder eine Verpflichtung auferlegt, die auf Basis des vollständigen Sachverhalts im materiellen Recht keine Grundlage findet. Diese Konstellationen stehen im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Die Endgültigkeit des Rechtsverlusts fällt wesentlich schwächer aus, wenn es um die Informationslücke bei der Antragsformulierung oder bei der Bezeichnung des Gegners geht. Ergeht ein Prozessurteil gegen die uninformierte Partei, hindert sie dies nicht, ihr Begehren nach Erhalt der fehlenden Information abermals klageweise geltend zu machen.70 Ein Rechtsverlust tritt de facto hier erst mit der Verjährung ein. Es kommt hinzu, dass das Prozessrecht zumindest für die Fälle problematischer Antragsformulierung in § 254 ZPO ein probates Hilfsmittel bereithält. Diese Konstellation fehlender Information und ihrer Folgen ist für die weitere Untersuchung deshalb allenfalls ausschnittweise interessant. Am wenigsten problematisch ist die fehlende Information schließlich in der Einzelzwangsvollstreckung. Ein auch nur ansatzweise endgültiger faktischer Rechtsverlust gegenüber einem solventen, seine Vermögenswerte aber verbergenden Vollstreckungsschuldner ist bereits aufgrund der Verjährungsfrist des § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB jedenfalls als Regelszenario praktisch kaum vorstellbar. Dieser Befund gilt zumal deshalb, weil das Vollstreckungsrecht den Schuldner nach Maßgabe der §§ 802c ff. ZPO zur Auskunft über sein Vermö69 BGH, NJW 2008, 1227, 1228; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 322 Rn. 46; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 322 Rn. 29; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 149 Rn. 2. 70 OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 1735, 1736; MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 322 Rn. 172; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 152 Rn. 6; vgl. auch BGH, NJW 2008, 1227, 1228.

§ 2 Das Informationsproblem und die Wahrheitspflicht

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gen verpflichtet und in § 807 ZPO ein weiteres scharfes Instrument zur Beteiligung des Vollstreckungsschuldners bereithält, mag dieses auch erst im Anschluss an einen erfolglos gebliebenen Vollstreckungsversuch eingreifen.71 Fehlende Information, ihre Folgen und ihre Beschaffung in diesem Bereich des Zivilprozesses sind danach auch nicht Gegenstand der weiteren Untersuchung.

E. Der Begriff des Informationsproblems Ein Informationsproblem im Sinne dieser Arbeit liegt nach alledem vor, wenn die risikobelastete Partei durch rechtskräftiges Sachurteil deshalb einen endgültigen Rechts- oder Einwendungsverlust erleidet, weil sie eine Information – sei es in Form einer hinreichend substantiierten Tatsachenbehauptung, sei es in Form eines Beweismittels –, die sie für eine ihr günstige Tatsachenfeststellung benötigte, mangels Kenntnis oder Zugriff nicht in den Prozess einführen konnte.

§ 2 Das Informationsproblem und die Wahrheitspflicht A. Informationsproblem und Gegnerverhalten Der bislang gefundene Begriff des Informationsproblems ist noch insoweit unpräzise, als nicht klar ist, welche Informationen in Form von Tatsachen und Beweismitteln die risikobelastete Partei liefern muss, um eine ihr günstige Tatsachenfeststellung zu erreichen. Welche Informationen die risikobelastete Partei benötigt, wird einhellig anhand mechanisch angewandter Relationstechnik ermittelt.72 Zunächst hat die Partei den anspruchsbegründenden Sachverhalt schlüssig bzw. den einwendungsbegründenden Sachverhalt erheblich vorzubringen.73 Dazu genügt die Behauptung von Tatsachen, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht – oder die erhobene Einwendung – als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen.74 Auf das be71

Würdinger, JZ 2011, 177, 179. Recht deutlich wird das etwa bei Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 181; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 3; Steines, JuS 1972, 520, 521; Berg, JuS 1984, 363; Ulrich, DS 2010, 225. 73 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 25; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 347; Steines, JuS 1972, 520, 521; Berg, JuS 1984, 363; Ulrich, DS 2010, 225. 74 BGH, NJW 1984, 2888, 2889; 1995, 2627, 2628; 1996, 1826, 1827; 1998, 2967, 2968; 2000, 3286, 3287; 2001, 144, 145; 2002, 3632, 3634; 2005, 2710, 2711; 2008, 3361, 3362; 2009, 2598; 2009, 2137; 2012, 382; 2012, 1647, 1648; NJW-RR 1996, 783, 786; 1998, 1409; 1999, 361; 2001, 768, 769; 2005, 840, 841; 2007, 541, 543; 2007, 1409, 1410; 2008, 1311, 2010, 246, 247; 2010, 1038, 72

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

achtliche Bestreiten des Gegners hin, hat sie ihr Vorbringen dann gegebenenfalls um weitere Einzelheiten zu ergänzen, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommen soll.75 Im Anschluss daran fällt der risikobelasteten Partei dann die Aufgabe zu, die von ihr behauptete und vom Gegner bestrittene Tatsache unter Beweis zu stellen76 und das Beweismittel selbst zu präsentieren.77 Bestreitet der Gegner demgegenüber nicht, so gilt dies gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO als Zugeständnis und das Gericht legt die zugestandene Behauptung seiner Entscheidung zugrunde.78 Welche Informationen die risikobelastete Partei benötigt, um die Feststellung einer ihr günstigen Tatsache zu erreichen, hängt danach ganz entscheidend vom Gegnerverhalten ab, namentlich von seinem Bestreiten oder Nichtbestreiten.79

B. Die Wahrheitspflicht als Maßstab prozessrechtskonformen Verhaltens I. Das Gegnerverhalten und § 138 Abs. 1 ZPO Die Folge einer rein mechanischen Anwendung der Relationstechnik besteht darin, dass der Umfang notwendiger Tatsachenbeschaffung allein von der Faktizität von Behauptung und Bestreiten abhängt.80 So entsteht leicht der Eindruck, dass das Parteiverhalten keinen rechtlichen Maßstäben unterliege. Man könnte meinen, dass das Prozessrecht es dem freien Belieben der Parteien überlässt, was sie behaupten und was sie bestreiten, und dass die Rekonstruk-

75 1039 f.; 2013, 217, 219; NZG 2005, 890, 891; NJWE-FER 2000, 209 f.; NZI 2013, 891, 893; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 17; sachlich nichts Anderes bedeutet die Formulierung, die Klage sei schlüssig, wenn ihr Tatsachenvortrag – seine Wahrheit unterstellt – geeignet sei, den Klageantrag sachlich zu rechtfertigen (Zöller/Greger, ZPO [31. Aufl. 2016], Vor § 253 Rn. 23; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO [22. Aufl. 2006], § 331 Rn. 12). 75 BGH, NJW 1996, 1826, 1827; NJW-RR 1999, 361; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 343; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 7; vgl. auch BGH, NJW 1995, 2627, 2628; NJW-RR 1996, 783, 786. 76 Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 284 Rn. 1; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 50 Rn. 5; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 352; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 501. 77 Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 276; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 6; siehe auch Beckhaus, Bewältigung von Informationsdefiziten (2010), 1. 78 Etwa Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 9; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 536; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 21; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 349; Konzen, in: FS für Gaul (1997), 335, 340. 79 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 3. 80 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 2; ähnlich Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 10.

§ 2 Das Informationsproblem und die Wahrheitspflicht

19

tion streitiger Tatsachen allein eine Angelegenheit der Beweisaufnahme sei.81 Diesen Eindruck verstärkt noch die allgemeine Aufklärungsregel der h.M., wonach keine Partei gehalten sei, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfüge,82 und dass keine Partei verpflichtet sei, bei der Ermittlung des Sachverhalts die Sache ihres Gegners zu betreiben.83 Doch trügt dieser Eindruck, denn die Parteien unterliegen sowohl beim Aufstellen ihrer Behauptungen als auch beim Bestreiten der Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO.84 Dabei statuiert § 138 Abs. 1 ZPO eine echte Rechtspflicht.85 Inhaltlich untersagt § 138 Abs. 1 ZPO nach ganz h.M. sowohl die Einlassung wider besseres Wissen („Prozesslüge“)86 als auch den gleichgestellten Fall der Angaben ins Blaue hinein.87 81

Wach, Grundfragen und Reform des Zivilprozesses (1914), 32; s. auch Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 37. 82 BGH, NJW 1958, 1491, 1492; 1964, 1414; 1990, 3151; 1997, 128, 129; 2000, 1108, 1109; 2007, 155, 156; NZI 2008, 240, 241; BAG, Urt. v. 13.6.1996 – 8 AZR 351/93 [juris]; NJW 2004, 2848, 2851; NZA 2010, 1006, 1009; OLG Zweibrücken, OLGR 2001, 133, 135; OLG Dresden, BKR 2007, 372, 374; OLG Düsseldorf, BeckRS 2007, 5070; NJW-RR 2013, 1440, 1444; NZV 2014, 34, 37 f.; OLG Hamm, BeckRS 2008, 20167; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), Vor § 128 Rn. 26, § 138 Rn. 21; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 26; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 137; Schaefer, Die richterliche Hinweispflicht im Zivilprozess (2004), 157; Kraayvanger/Hilgard, NJ 2003, 572; Kiethe, JZ 2005, 1034, 1035; Becker, MDR 2008, 1309, 13010; D. Gutmann, BB 2010, 171, 174; Solmecke/Rüther/Herkens, MMR 2013, 217, 218; Maschmann, NZA 2013, 1305, 1310; Dölling, NJW 2013, 3121, 3126; ähnlich Wiezcorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 26; Blomeyer, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1985), 174. 83 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 130; Baumgärtel/Prütting, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 3 Rn. 10; ders., in: FS für Bartenbach (2005), 417, 421. 84 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 2; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 4; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 3; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 26 Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 65 Rn. 63; Zeiss/ Schreiber, Zivilprozessrecht (12. Aufl. 2014), Rn. 202; Ambs, Bestreiten mit Nichtwissen (1997), 163; Becker-Eberhard, in: Yildirim, Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen (2001), 15, 23; Bernhardt, in: FG für Rosenberg (1949), 9, 26; Nicoli, JuS 2000, 584, 585; Schilken, in: Yildirim, Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen (2001), 36, 50; Heinemann, MDR 2001, 137, 141; Hirtz, AnwBl 2006, 780; Kiethe, MDR 2007, 625 f. 85 Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 1; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 1; a.A. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1962), 125 f. 86 BGH, NJW 1968, 1233, 1234; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 138 Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 2; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 2; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 2; Wieczorek/ Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 4; Blomeyer, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1985), S. 174; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 26 Rn. 8; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht (12. Aufl. 2014), Rn. 202; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 65 Rn. 63; Meyke, Darlegen und Beweisen im Zivilprozess (2. Aufl. 2001), Rn. 87; Morhard, Die Informationspflicht der

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

II. § 138 Abs. 1 ZPO und die Entstehung und Vermeidung von Informationsproblemen Anhand verschiedener Konstellationen lässt sich zeigen, dass zwischen dem Entstehen von Informationsproblemen und Verstößen gegen die prozessrechtliche Wahrheitspflicht ein enger Zusammenhang besteht. 1. Kenntnis von der Wahrheit des Vortrags der risikobelasteten Partei In der ersten hypothetischen Konstellation behauptet die risikobelastete Partei eine Tatsache, von der der Gegner weiß, dass sie wahr ist. Dabei erreicht ihr Vortrag nicht mehr und nicht weniger als das Mindestmaß an Konkretisierung, um schlüssig bzw. erheblich zu sein. Da § 138 Abs. 1 ZPO dem Gegner das bewusst wahrheitswidrige Bestreiten untersagt, kann in dieser Konstellation von Rechts wegen kein weiteres Informationsproblem entstehen, und zwar auch dann nicht, wenn die risikobelastete Partei zu einer weiteren Konkretisierung mangels Tatsachenkenntnis oder zur Beweisführung mangels Zugriff auf ein Beweismittel außer Stande ist. 2. Kenntnis von der Unwahrheit des Vortrags der risikobelasteten Partei In der zweiten Konstellation weiß der Gegner, dass die risikobelastete Partei zwar subjektiv redlich, jedoch objektiv unwahr vorträgt. So mag die risikobelastete Partei unter Beachtung des Mindestmaßes an Konkretisierung dem Gegner vorwerfen, er habe den Quellcode ihres nach §§ 69a, 69c UrhG geschützten Computerprogramms vollständig übernommen, und deshalb Schadensersatz nach § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG verlangen. Doch weiß der Gegner,

87 Parteien (1993), 85; Hackenberg, Die Erklärung mit Nichtwissen (1995), 43; Yoshida, Informationsbeschaffung im Zivilprozeß (2001), 26; Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 35; Witte, GRUR 1960, 419, 420; Olzen, ZZP 98 (1985), 403, 415; Kawano, in: FS für Henckel (1995), 411, 413 f.; Leipold, in: FS für Nakamura (1996), 301, 305; Mes, in: FS für Hertin (2000), 619, 629; Hirtz, AnwBl 2006, 780; Kiethe, MDR 2007, 625. 87 BGH, NJW 1968, 1233, 1234; 1992, 1967, 1968; 1995, 2111, 2112; NJW-RR 2002, 1419, 1420 f.; 2003, 69, 70; BAG, NZA 1999, 96, 98; OLG Köln, NJW-RR 1992, 572, 573; 1995, 1407, 1408; NZG 1999, 151, 152; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2011, 121, 122; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 65 Rn. 63; Hackenberg, Die Erklärung mit Nichtwissen (1995), 118; Weyers, in: FG für Esser (1975), 193, 215 f.; Mes, in: FS für Hertin (2000), 619, 629; der Sache nach auch Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 8; Meyke, Darlegen und Beweisen im Zivilprozess (2. Aufl. 2001), Rn. 97; a.A. Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 6; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 61; E. Peters, Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß (1966), 76 f.; Chudoba, Der ausforschende Beweisantrag (1993), 95.

§ 2 Das Informationsproblem und die Wahrheitspflicht

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dass er eine zulässige Nachprogrammierung unter Entwicklung eines eigenen Codes vorgenommen hat.88 Hier stellt sich nicht die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Bestreitens. Auch trifft die Formel von der unzumutbaren Hilfeleistung zum gegnerischen Prozesssieg nicht das Problem. Vielmehr geht es darum, ob die gegnerische Partei nach § 138 Abs. 1 ZPO gehalten ist, zur Verteidigung gegen den Vorwurf ihren eigenen Quellcode offenzulegen und sachverständiger Überprüfung zugänglich zu machen. Bejaht man das, greift man in legitime Geheimhaltungsinteressen des Gegners ein, wenn die Beweisaufnahme später die objektive Unwahrheit des Klägervorwurfs offenbart. Verneint man das, schafft man Anreize zur Prozesslüge. Denn im Zeitpunkt der Entscheidung über eine Offenlegungspflicht kann das Gericht nicht wissen, ob es sich um eine Konstellation wie unter 1. oder wie hier unter 2. geschildert handelt. 3. Die aus Sicht der gegnerischen Partei unklare Sachlage Und schließlich sind die Fälle zu erwähnen, in denen der Gegner im Unklaren darüber ist, ob der Sachvortrag der risikobelasteten Partei zutrifft, jedoch Zugriff auf Informationsträger hat, die eine Klärung der objektiven Sachlage ermöglichten. So kann es etwa liegen, wenn der Gegner das Computerprogramm, dessen Quellcode der Gegenstand des Verletzungsvorwurfs ist, von einem Dritten erworben hat. Eine ähnliche Situation tritt ein, wenn der Gegner keine genaue Erinnerung an ein Geschehen hat, jedoch als einziger in der Lage ist, einen Zeugen zu benennen. Hier kann man allenfalls bedingt von einer Hilfeleistung zum Prozesserfolg sprechen, wenn man den Gegner der risikobelasteten Partei zur Offenlegung seiner Informationsträger verpflichtet. Denn wenn aus seiner Sicht unklar ist, welches Ergebnis die Auswertung des Informationsträgers bringen wird, führt dies zu einer Erfolgschance von ½ für beide Parteien.89 Eine Hilfeleistung liegt folglich nur insoweit vor, als die risikobelastete Partei durch die gegnerische Vorlegung eine Erfolgschance erwirbt, die sie nicht hätte, wenn der Gegner das Informationsproblem ausnutzte und nach der objektiven Beweislast ein Urteil zu seinen Gunsten nähme. Wiederum ist problematisch, welche Verteidigungsmaßnahmen § 138 Abs. 1 ZPO vom Gegner der risikobelasteten Partei einfordert. Im Fall der Quellcodeherausgabe geht es auch hier um das Spannungsverhältnis zwischen den Interessen an der Sachverhaltsaufklärung einerseits und an Geheimhaltung andererseits. Im Fall des zu benennenden Zeugen greifen freilich keine solchen Erwägungen zu Gunsten des Gegners ein. Hier stellt sich vielmehr die Frage, ob § 138 Abs. 1 ZPO von ihm zur Vorbeugung gegen Pro88 89

Zur Zulässigkeit vgl. LG Köln, MMR 2009, 640, 643. Blomeyer, AcP 158 (1959/1960), 97, 102.

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

zesslügen einen Aufklärungsbeitrag verlangen kann, der seine Erfolgschancen um den Faktor ½ verglichen mit der Zurückhaltung dieser Information schmälert. 4. Die Wahrheitspflicht der risikobelasteten Partei Doch geht es keinesfalls nur um mögliche Wahrheitsverstöße des Gegners, sondern auch um solche der risikobelasteten Partei selbst. Zum einen sind solche Fälle zu erwähnen, in denen die für den Anspruch risikobelastete Partei eine ihr bewusste Unkenntnis des Gegners über ihm zustehende Einwendungen ausnutzt.90 So kann es etwa liegen, wenn der Gläubiger gegen den Alleinerben eine Forderung geltend macht, die der Erblasser bereits getilgt hatte, ohne Aufzeichnungen darüber zu hinterlassen.91 Ähnlich verhält es sich, wenn ein Dritter die vom Gläubiger eingeforderte Schuld vor dem oder während des Prozesses begleicht, der Schuldner hiervon aber nichts erfährt,92 etwa weil er sich für eine solche Drittleistung schämt. Zum anderen geht es um diejenigen Fälle, in denen die risikobelastete Partei von vornherein keinen Prozesserfolg, sondern lediglich Informationsgewinnung anstrebt. So mag etwa der Inhaber eines Verfahrenspatents einen Konkurrenten mit einem ins Blaue hinein konstruierten, den äußeren Anforderungen an die Mindestkonkretisierung aber genügenden Vorwurf einer Verletzung nach § 9 Nr. 2 Alt. 1 PatG überziehen. Unterstellt man, dass bereits solch ein Minimalvortrag genügt, um den Gegner prozessrechtlich zur Offenlegung seiner Informationen zu veranlassen, böte wahrheitswidriger Vortrag die Möglichkeit, etwa in den abgeschirmten Geschäfts- und Betriebsbereich von Konkurrenten einzudringen.93

90 Streng genommen passt diese Fallgruppe allenfalls bedingt zur risikobelasteten Partei als Bezugsperson, denn für die Einwendung ist der Anspruchsgegner risikobelastet. Sie soll dennoch an dieser Stelle Erwähnung finden, weil hier die Besonderheit besteht, dass der Gegner mangels jeglicher eigener Kenntnis aus seiner Sicht keine seriöse Initiative zur Verteidigung gegen den Anspruch vorbringen kann. Tatsächlich geht es hier aber nicht darum, dass die für den Anspruchsgrund risikobelastete Partei wegen § 138 Abs. 1 ZPO von sich aus die Einwendungen des Gegners in den Prozess einführen müsste (so aber Heß, Wahrheits- und Aufklärungspflicht [2006], 31). Vielmehr darf sie bei Kenntnis von wirksamen Einwendungen den Anspruch bereits nicht als bestehend vortragen. 91 Vgl. E. Peters, Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß (1966), 79. 92 Wieczorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 51. 93 Vgl. OLG Köln, GRUR 1987, 530, 532 zur Löschungsklage nach § 11 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 WZG: „Dem Zeicheninhaber ist es nicht zuzumuten, jedem, der nur einige, in sich nicht voll schlüssige Indizien für die Nichtbenutzung vorträgt, seine Umsatzzahlen, Werbeaufwendungen usw. offenzulegen.“; für §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Satz 1 MarkenG ebenso OLG Hamburg, GRUR 1999, 339, 341.

§ 2 Das Informationsproblem und die Wahrheitspflicht

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III. Schlussfolgerung Die Konstellationen zeigen, dass Informationsprobleme der risikobelasteten Partei vielfach erst dadurch entstehen, dass der Gegner Tatsachen unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO behauptet oder bestreitet. So kann die anfänglich risikobelastete Partei infolge gegnerischen Bestreitens wider besseres Wissen oder ins Blaue hinein in die Situation geraten, mehr Informationen – sei es in Form von weiter konkretisiertem Vortrag, sei es in Form von Beweismitteln – beibringen zu müssen, als es bei prozessrechtskonformem Gegnerverhalten de iure erforderlich wäre. Auch die Notwendigkeit zu einer Einwendung vorzutragen, kann sich für die risikobelastete Partei erst als Folge eines gegnerischen Wahrheitsverstoßes einstellen. Im Fall des Gegenbeweises wird eine Partei unter Umständen erst durch solchermaßen prozessrechtswidriges Verhalten des Gegners zur risikobelasteten Partei. Auch geht es in den genannten Fällen nicht um eine irgendwie geartete Mitwirkung des Gegners an der Sachverhaltsermittlung zugunsten der risikobelasteten Partei. Wenn die Behauptung oder das Bestreiten, das das Informationsproblem erst auslöst, wider § 138 Abs. 1 ZPO erfolgt, verfügte die risikobelastete Partei bereits über sämtliche für ihren Prozesserfolg notwendigen Informationen. Wenn das Bestreiten hingegen legitim ist, stellt sich die Frage nach der Mitwirkung am gegnerischen Prozesserfolg ohnehin nicht mehr. Hier geht es vielmehr um das Problem, ob und unter welchen Voraussetzungen es dem Gegner zuzumuten ist, der risikobelasteten Partei seine Informationen zur Verfügung zu stellen, damit sie sich von der Legitimität des gegnerischen Vorbringens überzeugen kann.

C. Wahrheitspflicht und prozessrechtliches Aufklärungsmodell I. Die herkömmlichen Ansätze zum Umgang mit dem Informationsproblem Nimmt man das Informationsproblem als prozessuales Phänomen hin und blendet seine möglichen Ursachen zunächst aus, so ergeben sich zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Die Rechtsordnung kann das Informationsproblem der risikobelasteten Partei akzeptieren. Das führt gegebenenfalls zu Friktionen mit dem jeweils sachentscheidungsrelevanten Recht. Diese Friktionen müssen dann durch prozessrechtliche Grundsätze gerechtfertigt sein.94 Die Alternative besteht darin, ein prozessrechtliches Aufklärungsmodell zu definieren, das Informationsprobleme der risikobelasteten Partei ausgleicht. 94

Vgl. Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), Vor § 128 Rn. 26; D. Gutmann, BB 2010, 171, 174.

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1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

Das klassische Verständnis von der Institution des Zivilprozesses folgt der ersten Alternative. Wie bereits erwähnt, gilt hier folgende Maßgabe: Keine Partei ist gehalten, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt.95 Diese These steht in der Tradition der martialischen Formulierung Adolf Wachs, wonach es keiner Partei zugemutet werden könne, gegen ihr eigenes Fleisch zu wüten.96 Die Konsequenz besteht darin, dass Informationsprobleme und ihre Nachteile für die risikobelastete Partei systemimmanent sind. Das bedeutet zugleich, dass eine Überprüfung von Behauptung und Bestreiten am Maßstab des § 138 Abs. 1 ZPO ausscheiden muss.97 Mit anderen Worten ist also jedes Parteivorbringen zu behandeln, als sei es im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitsgemäß.98 Gegenteilig positionieren sich diejenigen, die das Informationsproblem der risikobelasteten Partei dadurch beheben wollen, dass sie ihr Zugang zu den benötigten Informationen gewähren. Dabei sind drei Untergruppen zu unterscheiden. So lasse sich das Informationsproblem über eine umfassende wechselseitige Parteiausforschung, über eigeninitiative richterliche Untersuchung oder eine Kombination beider Maßnahmen vermeiden.99 Alle diese Ansätze lösen das Informationsproblem dadurch, dass sie der risikobelasteten Partei mit mehr oder weniger großem Aufwand die Beweisführung ermöglichen wollen. Ob der Gegner die Behauptung der risikobelasteten Partei gemäß § 138 Abs. 1 ZPO bestreiten oder – wenn es um den Gegenbeweis geht – seine eigene aufstellen durfte, bleibt unbeachtet. Auch hier wird also jegliches Parteivorbringen behandelt, als sei es wahrheitsgemäß im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO.

95

BGH, NJW 1958, 1491, 1492; 1964, 1414; 1990, 3151; 1997, 128, 129; 2000, 1108, 1109; 2007, 155, 156; NZI 2008, 240, 241; BAG, Urt. v. 13.6.1996 – 8 AZR 351/93 [juris]; NJW 2004, 2848, 2851; NZA 2010, 1006, 1009; OLG Zweibrücken, OLGR 2001, 133, 135; OLG Dresden, BKR 2007, 372, 374; OLG Düsseldorf, BeckRS 2007, 5070; OLG Hamm, BeckRS 2008, 20167; OLG Köln, MMR 2011, 396, 399; Baumbach//Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), Vor § 128 Rn. 26, § 138 Rn. 21; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 26; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 118; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 23; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 137; D. Gutmann, BB 2010, 171, 174; ähnlich Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 26; Blomeyer, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1985), 174. 96 Wach, Grundfragen und Reform des Zivilprozesses (1914), 35; zum Zusammenhang dieser Aussage mit der heute gängigen Formel der h.M. siehe Eckardt, NZG 1999, 938. 97 Vgl. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 183; Blomeyer, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1985), 174; Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 37. 98 Vgl. Olzen, ZZP 98 (1985), 403, 415. 99 Schlosser, JZ 1991, 599, 603 f.

§ 2 Das Informationsproblem und die Wahrheitspflicht

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II. Die Missachtung des § 138 Abs. 1 ZPO So zeigt sich, dass § 138 Abs. 1 ZPO weder im klassischen Konzept der h.M. noch in den vorgeschlagenen Alternativen eine nennenswerte Rolle spielt. Dies ist schon angesichts des engen Zusammenhangs zwischen dem Informationsproblem und der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht nicht überzeugend. Der Zweck der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht untermauert diese Kritik. Sie soll den Gegner schützen100 und verhindern, dass unwahres Vorbringen in den Prozess gelangt, das dann entweder zu einem Urteil auf unzutreffender Sachgrundlage führt101 oder mit beträchtlichem Aufwand widerlegt werden muss.102 Wenn prozessrechtliche Aufklärungsmodelle die Wahrheitsfrage jedoch erst im Rahmen der §§ 284, 286 ZPO bei der Beweisführung stellen,103 dann können sie von vornherein keinen Beitrag liefern, um den Zweck des § 138 Abs. 1 ZPO zu verwirklichen. Das bewusst wahrheitswidrige Vorbringen mit dem Ziel, sich prozesstaktische Vorteile zu verschaffen, ist überdies keine praktisch vernachlässigbare Größe. Vielmehr ist es ein häufig dokumentiertes Phänomen104 mit langer Tradition.105 Es kommt hinzu, dass die Bereitschaft zur Lüge in dem Maße steigt, in dem das Entdeckungsrisiko sinkt.106 Daraus folgt, dass der Gegner gerade in den Fällen die stärkste Motivation zur Prozesslüge verspürt, in denen er absehen kann, dass die risikobelastete Partei beim Nachweis ihres Vorbringens oder beim Aufstellen von Gegenbehauptungen und der Führung des Gegenbeweises vor einem nicht oder kaum überwindbaren Informationsproblem steht.107

100

Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 6. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 65 Rn. 67. 102 Vgl. Gottwald, Gutachten A für den 61. DJT (1996), A 16, jedoch in Zusammenhang mit der selbständigen Klage auf Auskunft und Rechnungslegung. 103 Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 37. 104 Vgl. etwa etwa Wieczorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 51; Bender, JZ 1982, 709, 710; Samson, GRUR 1982, 324, 325; E. Schmidt, DR 1984, 24, 30; ders., DRiZ 1988, 59; Kröger/Bausch, GRUR 1997, 321, 323; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 42; Caspary, FPR 2006, 366, 369; Dropkin, 51 Duke Law Journal (2006), 1803, 1806 f.; Mankowski, WM 2009, 921, 926. 105 Sellert, in: FS für Behrends (2009), 485, 486, aus rechtshistorischer Perspektive. 106 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (3. Aufl. 2007), Rn. 215. 107 Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 203; Shin, 29 RAND Journal of Economics (1998), 378, 379; Dewatripont/Tirole, 107 Journal of Political Economy (1999), 1, 5; Palumbo, 21 International Review of Law and Economics (2001), 309, 311; Walpin, 26 Harvard Journal of Law & Public Policy (2003), 175, 179; vgl. auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (4. Aufl. 2005), 3; Frankel, 123 University of Pennsylvania Law Review (1975), 1031, 1038; Langbein, 52 The University of Chicago Law Review (1985), 823; ähnlich Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1140. 101

26

1. Kapitel. Begriffe und Konstellationen

III. Notwendige Missachtung des § 138 Abs. 1 ZPO? Die Kritik an den herkömmlichen Aufklärungsmodellen geht allerdings ins Leere, wenn es keine Möglichkeit gibt, ein der lex lata entsprechendes und schlüssiges zivilprozessrechtliches Aufklärungsmodell zu konstruieren, dessen Nexus die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO ist. In der Tat sind die Vorbehalte beträchtlich, die in Rechtsprechung und Literatur gegen ein derartiges Unterfangen geäußert werden. So stehe die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht jedenfalls in einem Spannungsverhältnis mit den allgemeinen Regeln über die Behauptungs- und Beweislast.108 Teils heißt es sogar, § 138 Abs. 1 ZPO sei mit dem gleichzeitig geltenden Beibringungsgrundsatz unmöglich zu vereinbaren.109 § 138 Abs. 1 ZPO erlege den Parteien nicht auf, Einzelheiten zum Angriffs- oder Verteidigungsvorbringen vorzutragen, um dem Gegner jeweils die erwidernde Einlassung zu erleichtern.110 Die Parteien bestimmten selbst, was sie vollständig und wahrhaftig zu erklären hätten.111 Tatbestandlich sei ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO kaum jemals feststellbar.112 Parteivortrag könne schon deshalb nicht wegen Verstoßes gegen die prozessuale Wahrheitspflicht unbeachtet gelassen werden, da ein solcher Verstoß ohne Erhebung und Würdigung der angetretenen Beweise nicht festgestellt werden könne.113 Ein zu strenges Verständnis von der Wahrheitspflicht enge richterliche Prüfung und Grundlagen des Urteils sachwidrig ein.114 Insgesamt sei die Vorschrift logisch funktionslos.115 Manche erklären sie gar zur folgenlosen Dekorationsnorm116 oder halten den Normbefehl des § 138 Abs. 1 ZPO für ebenso berechtigt wie töricht.117

108 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 9; ähnlich Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), 427. 109 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 182; ganz ähnlich Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1962), 127 f. 110 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 9. 111 Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 532; ähnlich Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 112. 112 Olzen, ZZP 98 (1985), 403, 415. 113 BGH, NJW-RR 1995, 1340; der Sache nach auch E. Peters, Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß (1966), 73 f. 114 E. Peters, Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß (1966), 77. 115 Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 36 f. 116 Schoofs, Entwicklung und aktuelle Bedeutung der Regeln über Geständnis und Nichtbestreiten im Zivilprozeß (1980), 157. 117 Bettermann, ZZP 91 (1978), 365, 377.

Zwischenergebnis

27

D. Ziel und Gang der Untersuchung I. Das Ziel der Untersuchung Trotz dieser Vorbehalte besteht das Ziel der Untersuchung darin, ein Aufklärungsmodell für den Zivilprozess zu entwickeln, das maßgeblich auf dem Zusammenhang zwischen dem Informationsproblem und der Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO beruht. Dieses Aufklärungsmodell soll festlegen, welche Aufklärungsbeiträge die Parteien im Verhältnis zueinander zu erbringen haben, um eine günstige Tatsachenfeststellung zu erlangen oder aber umgekehrt eine ungünstige Tatsachenfeststellung zu vermeiden. Außerdem soll das Aufklärungsmodell die Handlungsbefugnisse präzisieren, die die §§ 139 ff. ZPO dem Prozessgericht bei der Sachverhaltsermittlung verleihen. Grundlage ist die lex lata.

II. Der Gang der Untersuchung Den ersten Abschnitt bildet die Analyse des Status quo im Hinblick sowohl auf das von Rechtsprechung und h.M. praktizierte Aufklärungsmodell als auch auf alternative Konzepte. Nachdem sich der Status quo in dieser Analyse als fortentwicklungsbedürftig erweist, geht es im nächsten Schritt um die Konstruktion eines prozessrechtlichen Aufklärungsmodells anhand der Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO. Hier steht die dogmatische Herleitung am Anfang. Es schließen sich die Ausgestaltung im Einzelnen und die stets zu berücksichtigenden Grenzen der Zumutbarkeit für jede Partei an. Den Abschluss bilden die Folgerungen, die das so konstruierte Aufklärungsmodell für die richterlichen Befugnisse und deren Grenzen im Rahmen der §§ 139 ff. ZPO auslöst.

Zwischenergebnis Informationsprobleme der risikobelasteten Partei entstehen vielfach erst dadurch, dass der Gegner Tatsachen unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO behauptet oder bestreitet. Wenn § 138 Abs. 1 ZPO dem Gegner solches Verhalten untersagt, hat dies mit einer unzumutbaren Unterstützung fremder Prozessführung nichts zu tun. Die herkömmlichen Aufklärungsmodelle berücksichtigen diese Zusammenhänge nicht oder jedenfalls nicht in ausreichendem Maß.

Teil 2

Die Aufklärungsbeiträge der Parteien

2. Kapitel

Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M. Die h.M. geht bei der Sachverhaltsaufklärung von dem Grundsatz aus, dass keine Partei der gegnerischen Prozessführung zum Erfolg verhelfen müsse („nemo tenetur edere contra se“). Diese Basisregel soll umfassend sowohl auf der Vortrags- als auch auf der Beweisebene gelten. Dieser Ansatz ist deshalb problematisch, weil er an verschiedenen Stellen mit der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO kollidiert. Eine systematische Abgrenzung der Anwendungsbereiche dieser beiden kollidierenden Regeln nehmen die Vertreter der h.M. nicht vor. Stattdessen versucht insbesondere die Rechtsprechung, allzu grobe Unbilligkeiten über die richterrechtlichen Institute der sekundären Behauptungslast und der Beweisvereitelung zu vermeiden. Als Folge dessen hat sich im Lauf der Zeit eine in sich widersprüchliche Gemengelage von Regeln und Ausnahmen etabliert. Das folgende Kapitel zeigt in einem ersten Schritt, innerhalb welcher Grenzen nemo tenetur edere contra se neben § 138 Abs. 1 ZPO existieren kann. Es schließt sich eine Analyse der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast und über die Beweisvereitelung an.

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se A. Der unklare Regelungsgehalt von nemo tenetur edere contra se Das Zivilprozessrecht enthält keine kodifizierte Regel darüber, wie mit dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei zu verfahren sei. So finden sich zwar einige Bestimmungen über die Aufgaben der Parteien, die Befugnisse des Prozessgerichts und technische Abläufe bei der Sachverhaltsaufklärung. Zu erwähnen sind für das Verfahren im ersten Rechtszug etwa §§ 138, 282 oder 288 ZPO für die Parteien, §§ 139 ff., 291, 293 Satz 2 oder 296 ZPO für das Prozessgericht und §§ 355 bis 484 ZPO für den technischen Ablauf der Beweisaufnahme außerhalb des selbständigen Beweisverfahrens. Im Übrigen prägen die weitgehend materiellrechtlich qualifizierten Behauptungs- und Beweislasten das gegenwärtig praktizierte Aufklärungsmodell.1 Das Ganze ergänzen diverse prozessrechtliche Schöpfungen richterlicher Rechtsfortbil1

Deguchi, in: FS für Leipold (2009), 555, 561.

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se

31

dung,2 die indes kein in sich geschlossenes oder stimmiges System bilden.3 Der Vorschlag, § 138 Abs. 2 ZPO um eine allgemeine Aufklärungspflicht der Parteien zu ergänzen,4 hat sich nicht durchgesetzt. Den Ausgangspunkt bildet nach wie vor die Regel nemo tenetur edere contra se: Keine Partei sei gehalten, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfüge.5 Wie gesehen, ist diese Regel die wesentliche Ursache für das unbewältigte Informationsproblem der risikobelasteten Partei.6 Dabei ist ihr Regelungsgehalt nur scheinbar klar. Das wird deutlich, wenn man – was offenbar stillschweigend allgemein zugrunde gelegt wird – als Prämisse aufstellt, dass nemo tenetur edere contra se es dem Gegner gestattet, Beweismittel zurückzuhalten, die der risikobelasteten Partei zum Prozesserfolg verhelfen würden. Dazu muss die Tatsache freilich zuvor beweisbedürftig geworden, also von der risikobelasteten Partei behauptet und vom Gegner bestritten worden sein. Wenn aber der Gegner über Informationsträger verfügt, die den Nachweis der Tatsache zugunsten der risikobelasteten Partei ermöglichen, so hat er mindestens regelmäßig bewusst wahrheitswidrig bestritten. Nemo tenetur edere contra se kann ihm folglich nur dann das Zurückhalten von Beweismitteln gestatten, wenn die Regel zugleich das vorangegangene wahrheitswidrige Bestreiten sanktioniert. Ein solcher Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO wäre indes begründungsbedürftig. Dies gilt zumal deshalb, weil diese Regel eine Schöpfung der Rechtsprechung7 ohne valide Basis im geschriebenen Prozessrecht darstellt. Sollte sich ein Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO nicht begründen lassen, müssen die Anwendungsbereiche der beiden Vorschriften gegeneinander abgegrenzt werden.

B. Nemo tenetur edere contra se und das Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung Nahe liegt es zunächst, einen möglichen Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht mit dem Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung zu rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung 2

McGuire, GRURInt 2005, 15; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129. Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 11; Schlosser, JZ 1991, 599: „Es läßt sich nicht darüber hinwegsehen, daß unser Zivilprozeßrecht im Bereich der Sachverhaltsermittlung von einem undurchdringlichen Wildwuchs verschiedenartiger Pflanzen geprägt ist, die sich ständig neu kreuzen und quer durchdringen.“ 4 Gottwald, Gutachten A für den 61. DJT (1996), A 19. 5 Siehe § 2 B. II. 6 Siehe § 2 B. II. 7 McGuire, GRURInt 2005, 15. 3

32

2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

des Bundesverfassungsgerichts beeinträchtigt ein Zwang zur Selbstbezichtigung das Allgemeine Persönlichkeitsrecht8 und berührt zugleich die Würde des Menschen, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet wird.9 Nur unter zwei Voraussetzungen folgt daraus ein Argument für die nemo-tenetur-Regel und ihren Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO. Erstens müsste die Wahrheitspflicht die Parteien dazu anhalten, von sich aus erstmalig Tatsachen in den Prozess einzubringen, die sich zu ihrem Nachteil auswirken. Zweitens müsste eine solche zivilprozessrechtliche Pflicht zugleich einen ungerechtfertigten Eingriff in das Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung darstellen. Beides ist nicht der Fall. Zunächst: § 138 Abs. 1 ZPO verpflichtet keine der Parteien zu einer Aussage, sondern gebietet den Parteien lediglich dort zu schweigen, wo ein Vorbringen zum eigenen Vorteil nur zum Preis einer Lüge möglich wäre. Fügt sich der Gegner und bestreitet das Vorbringen der risikobelasteten Partei nicht, so mag dies gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO als Zugeständnis wirken. Doch handelt es sich hierbei nicht um aktive, sondern lediglich um passive Mitwirkungspflichten bei der Sachverhaltsaufklärung zum eigenen Nachteil.10 Solche passiven Mitwirkungspflichten akzeptiert das Bundesverfassungsgericht aber dann als grundgesetzkonform, wenn sie das Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung nicht unterlaufen.11 Ein solches Unterlaufen ist für die passiven Mitwirkungspflichten im Zivilprozess aber schon deshalb nicht feststellbar, weil an die Zugeständnisfiktion keine straf- oder strafähnlichen Folgen knüpfen und eine auf diese Weise festgestellte Tatsache in einem etwaig nachfolgenden Strafverfahren nicht verwertbar ist.12 Danach würde § 138 Abs. 1 ZPO allenfalls zur Selbstbezichtigung zwingen, sofern eine umfassende und anlasslose Auskunftspflicht beider Parteien das einzige Mittel wäre, um die Beachtung der Wahrheitspflicht zu überprüfen. Dass der Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO jedoch der einzige Weg wäre, um die Parteien vor solch umfassenden Offenbarungen zu ihren Lasten zu bewahren, müsste erst bewiesen werden. 8 BVerfGE 96, 171, 181; BVerfG, NJW 1997, 1841, 1843; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG (75. EL 2015), Art. 2 Rn. 187; in diese Richtung auch BVerfGE 65, 1, 45 f. 9 BVerfGE 56, 37, 41 f.; BVerfG, NJW 1999, 779; der Sache nach auch BVerfGE 118, 168, 203; BVerfG, NJW 2002, 1411, 1412; NStZ 1995, 555; Maunz/Dürig/Herdegen, GG (75. EL 2015), Art. 1 Rn. 86; Schütze, in: FS für Stiefel (1987), 697, 702. 10 Dass der Beschuldigte im Strafverfahren schweigen darf, ohne dass dieses Schweigen – jedenfalls im Grundsatz – gegen ihn gewertet werden darf, hängt eng mit dem Umstand zusammen, dass das Verfahren keine individuellen Rechte anderer, sondern lediglich den staatlichen Strafanspruch durchsetzt (Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst [1977], 132). Insoweit stellt sich die Situation im Zivilprozessrecht anders dar, weil dort subjektive Rechte beider Parteien in ihrem Verhältnis zueinander verhandelt und geklärt werden, die der staatliche Hoheitsträger beide zu schützen verpflichtet ist. 11 BVerfGE 56, 37, 42. 12 Ähnlich LG Karlsruhe, BeckRS 2010, 10943; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 138 Rn. 31.1; Stürner, NJW 1981, 1757, 1759.

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se

33

Darüber hinaus kennt die Rechtsordnung bereits kein ausnahmsloses Gebot, dem zufolge niemand zu Auskünften gezwungen werden darf, durch die er eine von ihm begangene strafbare Handlung offenbart.13 Vielmehr sei unter anderem auf die Zweckbestimmung der Auskunft abzustellen und insbesondere danach zu unterscheiden, ob und inwieweit andere auf diese Auskunft angewiesen seien.14 Wenn das Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung aber selbst für Straftaten je nach Auskunftszusammenhang Ausnahmen zulässt, so muss das erst recht für solche im Zivilprozess entscheidungserheblichen Tatsachen gelten, die strafrechtlich irrelevant sind. Das belegen die zahlreichen – grundgesetzkonformen15 – Auskunftspflichten, die dem Berechtigten erst ermöglichen, zivilrechtliche Ansprüche gegen die Auskunftsperson durchzusetzen. Aus dem Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung lässt sich ein Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO demnach nicht herleiten.

C. Nemo tenetur edere contra se und die Parteiautonomie Der herrschende Begründungsansatz sieht in nemo tenetur edere contra se eine Konsequenz aus der zivilprozessrechtlichen Parteiautonomie, die sowohl die Parteifreiheit als auch die Parteiverantwortung umfasse.16 Häufig wird dabei auch der Zusammenhang mit der materiellrechtlichen Privatautonomie betont.17 So beschreibt der Grundsatz der Parteifreiheit und Parteiverantwortung nach gegenwärtigem Verständnis den Umstand, dass der Zivilprozess zwar vor dem Gericht als staatlicher Institution erfolgt, gleichwohl aber eine Angelegenheit der Parteien und deren Interessen ist, so dass primär diese zu seiner

13

BVerfGE 56, 37, 42; BGHSt 37, 340, 342. BVerfGE 56, 37, 42. 15 Dazu allgemein BVerfGE 56, 37, 45 f.; BVerfG, NJW 1978, 2389 (Versorgungsausgleich); 1997, 247, 248 (Urheberrecht). 16 BVerfGE 52, 131, 153; BVerfG, NJW 2008, 2170, 2171; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 308 Rn. 2; Musielak/Voit/Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), § 308 Rn. 1; MünchKomm/Musielak, ZPO (4. Aufl. 2013), § 308 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), vor § 128 Rn. 138, 150; Habscheid, ZZP 81 (1968), 175; Arens, ZZP 96 (1983), 1, 21; Coester-Waltjen, Jura 1998, 661; Katzenmeier, JZ 2002, 533, 537. 17 BVerfGE 52, 131, 153; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 19; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 67; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 345; Bettermann, ZZP 91 (1978), 365, 386; Arens, ZZP 96 (1983), 1, 21; Birk, NJW 1985, 1489, 1494; Pawlowski, DRiZ 1988, 334; Wagner, NJW 2001, 1398, 1399; in Bezug auf den Dispositionsgrundsatz Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), Einf. Rn. 66; Wieczorek/Schütze/Prütting, ZPO (3. Aufl. 1994), Einl. Rn. 73; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 24 Rn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 76 Rn. 1; Sarbach, ZJBV 136 (2000), 685, 690; Unberath, ZEV 2008, 465, 466. 14

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

Initiierung und Durchführung berufen sind.18 Wenn der Zivilprozess aber auf das individuelle Parteiinteresse fokussiert, dann soll daraus zugleich folgen, dass jede Partei eigenverantwortlich und ohne Hilfe durch Prozessgericht und Gegner die ihr günstigen Tatsachen und Beweise beschaffen müsse.19 Anders ausgedrückt folgen nemo tenetur edere contra se und der dieser Regel entsprechende Umgang mit dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei unmittelbar aus dem Zweck des Zivilprozesses, subjektive Rechte der Parteien zu schützen.20 Die wesentlichen Ausprägungen dieser Parteiautonomie sind der Dispositions- und der Beibringungsgrundsatz.21 Tatsächlich vermag keiner der beiden Grundsätze einen Vorrang von nemo tenetur edere contra se vor der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht zu begründen.

I. Der Dispositionsgrundsatz und nemo tenetur edere contra se Unter dem Begriff des Dispositionsgrundsatzes werden die Befugnisse der Parteien zusammengefasst, über den Streitgegenstand zu verfügen. Einzelne Ausprägungen sind das exklusive Recht der Parteien, einen Zivilprozess durch Klage einzuleiten,22 ihre Definitionshoheit über den Streitgegenstand, wie sie etwa in § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO zum Ausdruck kommt,23 sowie das Recht der Parteien, durch einseitiges oder einvernehmliches Handeln, etwa nach §§ 268 18 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), vor § 128 Rn. 149; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 1 Rn. 7; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 3; Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten (2010), 71; Kawano, in: FS für Henckel (1995), 411. 19 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 26; Arens, ZZP 96 (1983), 1, 2 f.; i. Erg. auch BVerfGE 52, 131, 154 f. 20 BGHZ 10, 333, 336; 161, 138, 143; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 278 Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 1 Rn. 7; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 3; Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 9; Schumann, ZZP 96 (1983), 137, 153; Benda/Weber, ZZP 96 (1983), 285, 287; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306 f.; Vogg, NJW 1993, 1357, 1360; Buß, NJW 1998, 337, 338; Leeb, BB-Beil. 10/1998, 3, 6; Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 518; P. Schmidt, NJW 2007, 1172, 1174; A. Bruns, ZZP 124 (2011), 29; der Sache nach auch BVerfGE 52, 131, 153. 21 Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), § 308 Rn. 1; MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einl. Rn. 276; Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten (2010), 70; CoesterWaltjen, Jura 1998, 661; Piekenbrock, NJW 1999, 1360, 1363. 22 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 71; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 87; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 24 Rn. 4; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 6; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 54; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 341. 23 Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 308 Rn. 1; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 73; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 24 Rn. 6; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 8; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 55; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 342; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), 415 f.

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se

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Abs. 1, 306 oder 307 ZPO,24 über die Fortsetzung und die Beendigung des Verfahrens zu bestimmen, ohne dass das Gericht hiergegen einschreiten könnte.25 Es liegt auf der Hand, dass der so verstandene Dispositionsgrundsatz in keiner Beziehung zu dem Informationsproblem im Zivilprozess steht. So führt das Informationsproblem zu einem Sachurteil wider die risikobelastete Partei. Fehlt einer Partei aber eine Information, die für einen Dispositionsakt erforderlich wäre, dann kann dies sinnvollerweise nur die Phase der Klageerhebung erfassen. Die Folge ist, dass der nicht (zureichend) Informierte seinen Anspruch klagweise nicht, nicht ordnungsgemäß oder quantitativ unvollständig geltend macht. In der ersten Alternative kommt es gar nicht erst zum Prozess, in der zweiten ergeht Prozessurteil26 und in der dritten ergeht rechtskräftige Sachentscheidung nur über den geltend gemachten Teil.27 Verfügt eine Person nicht über ausreichende Informationen, um einen objektiv gegebenen Anspruch den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechend klagweise geltend zu machen, so besteht die Informationslücke bereits im Vorfeld des Prozesses, in einer Phase also, in der der zeitliche Anwendungsbereich der prozessrechtlichen Aufklärungsregeln noch gar nicht eröffnet ist.

II. Der Beibringungsgrundsatz und nemo tenetur edere contra se 1. Herleitung aus dem Beibringungsgrundsatz? Der Beibringungsgrundsatz fasst begrifflich all diejenigen zivilprozessrechtlichen Regeln zusammen, aus denen sich ergibt, dass die Beschaffung des entscheidungserheblichen Tatsachenstoffs eine Angelegenheit der Parteien ist, und nicht diejenige des Prozessgerichts.28 Dazu zählen die Bindungswirkung 24

Statt aller Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), Einf. Rn. 63. Braun, Zivilprozessrecht (2014), 78 f.; R. Bruns, Zivilprozessrecht (2. Aufl. 1979), Rn. 83; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 90; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 10; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 59; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 344. 26 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 253 Rn. 61. 27 MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 322 Rn. 131 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 322 Rn. 146. 28 BVerfG, NJW 2008, 2170, 2171; BGHZ 161, 138, 143; BGH, NJW 1989, 3161, 3162; 1992, 1768, 1769; 1997, 2055, 2056; 1998, 2969, 2970; NJW-RR 2002, 1108, 1112; OLG Naumburg, NJOZ 2005, 3651, 3653; OLG Celle, NJOZ 2009, 2394, 2398; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2011, 496, 498; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 284 Rn. 34; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), Einf. Rn. 66; MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einl. Rn. 294; Wieczorek/ Schütze/Prütting, ZPO (3. Aufl. 1994), Einl. Rn. 79; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), vor § 128 Rn. 153, 186; Staudinger/Gursky, BGB (2002), § 2029, Rn. 2; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 87 f.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 9; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 13; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 66; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 7; Schilken, Zivil25

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

von Geständnis und Geständnisfiktion gemäß § 288 Abs. 1 ZPO bzw. §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO,29 umgekehrt die Beweisbedürftigkeit infolge erheblichen Bestreitens sowie die Beweiserhebung nur auf Antritt der beweisführungsbelasteten Partei.30 Diese Gestaltung des Zivilprozesses soll die Geltung von nemo tenetur edere contra se notwendig mit sich bringen: So gehöre es zum Wesen einer kontradiktorischen Verfahrensgestaltung, dass die nicht risikobelastete Partei weder zur Sachverhaltsaufklärung beitragen müsse noch Nachteile aus einem verbliebenen non liquet zu tragen habe. Keine Partei sei verpflichtet, bei der Ermittlung des Sachverhalts die Sache ihres Gegners zu betreiben.31 Gegen nemo tenetur edere contra se als notwendige Folge einer kontradiktorischen Verfahrensgestaltung spricht entscheidend der Vergleich mit dem U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht des Bundes. Auch dort steht die Tatsachenbeschaffung in der alleinigen Verantwortung der Parteien.32 Dennoch sind die Parteien gemäß FRCP33 26 (b) verpflichtet, einander wechselseitig Zugang zu sämtlichen potentiell entscheidungserheblichen Informationen zu gewähren. Der Einwand, dass bei einer solchen Verfahrensgestaltung der Beibringungsgrundsatz nur formell unangetastet bleibe,34 führt schon deshalb nicht weiter, weil der Beibringungsgrundsatz im Kern das Verhältnis der Parteien zum Prozessgericht betrifft.35 Solange dieses von sich aus regelmäßig keine Tatsachen in den Prozess einführen darf, findet auch inhaltlich kein Eingriff in den Beibringungsgrundsatz statt. 29 prozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 346; Habscheid, ZZP 81 (1968), 175, 176; Prütting, NJW 1980, 361, 362; Leipold, JZ 1982, 441; Birk, NJW 1985, 1489, 1491; Schreiber, Jura 1989, 86; Kawano, in: FS für Henckel (1995), 411 f.; Bettermann, ZZP 91 (1998), 365, 390; Becker-Eberhard, in: Yildirim, Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen (2001), 15, 16; Schilken, in: Yildirim, Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen (2001), 36, 47 f.; Gehrlein, MDR 2003, 421, 428; Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 530 f. 29 BVerfG, NJW 2008, 2170 Rn. 16; OLG Celle, NJOZ 2009, 2394, 2398; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2011, 496, 498; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 7; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 16; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 6; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), 349; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), 419 f. 30 BVerfG, NJW 2008, 2170 Rn. 16; OLG Celle, NJOZ 2009, 2394, 2398; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2011, 496, 498; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 16; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 6; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 350. 31 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 130. 32 Siehe an dieser Stelle statt aller nur Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 388. 33 Federal Rules of Civil Procedure. 34 Arens, ZZP 96 (1983), 1, 18. 35 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 89; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 5; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 66; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 14; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 1; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 345.

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se

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2. Vorrang vor § 138 Abs. 1 ZPO wegen des Beibringungsgrundsatzes? Auch meinen manche, dass aus dem Wesen des Beibringungsgrundsatzes und der kontradiktorischen Verfahrensgestaltung der Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht resultiere.36 So sei die Selbstbestimmung der Parteien über den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt eine notwendige Voraussetzung des § 138 Abs. 1 ZPO.37 Erst die Parteien ordneten durch ihre Sachvorträge wechselseitig selbst an, was im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO vollständig und wahrheitsgemäß zu erklären sei.38 Auch die Erklärungspflicht des § 138 Abs. 2 ZPO beziehe sich wechselseitig lediglich auf den von den Parteien allein selbst bestimmten und begrenzten Sachverhalt.39 Das überzeugt nicht. Wenn die Geltung der Regel nemo tenetur edere contra se sich bereits nicht unmittelbar auf den Beibringungsgrundsatz zurückführen lässt, dann kann der Beibringungsgrundsatz auch kaum ihren vermeintlichen Vorrang gegenüber der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht begründen. Aber auch im Übrigen führt diese These zu sachwidrigen Ergebnissen. Man denke abermals an den Fall der Drittleistung auf die streitgegenständliche Forderung. Diese mag nun ohne Kenntnis des Beklagten nach Rechtshängigkeit erfolgt sein. Nähme man nemo tenetur edere contra se ernst und erkannte der Regel Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO zu, dann verhielte der Kläger sich rechtmäßig, wenn er die Erfüllung verschwiege und die Klage weiter betriebe.40 Das kann freilich schon deshalb nicht zutreffen, weil das Aufrechterhalten der Klageforderung zugleich besagt, dass nach Wissen des Klägers keine rechtsvernichtenden Einwendungen bestehen. Weiß der Kläger um eine solche Einwendung und berühmt sich dennoch der Klageforderung, so liegt hierin ein geradezu lehrbuchhafter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO.41 Auf welche Weise etwas derart Diffuses wie das Wesen des kontradiktorischen Verfahrens es rechtfertigen oder gar gebieten sollte, § 138 Abs. 1 ZPO zu übergehen, lassen auch die Vertreter der Vorrangthese offen. 36 So Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951), 176; s. auch Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 182: „Wer es als unter der Würde des Gerichts ansieht, seiner Entscheidung objektiv unwahre Tatsachen zugrunde legen zu müssen, der mag für eine Abschaffung des Verhandlungsgrundsatzes und der auf ihn zurückgehenden Rechtsfolgen plädieren. Dagegen erscheint es unmöglich, den Verhandlungsgrundsatz mit der Wahrheitspflicht zu vereinbaren.“ 37 Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 532. 38 Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 532; ähnlich Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 25; Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951), 176; Inoue, ZZP 98 (1985), 378, 390 f. 39 Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 532. 40 So in der Tat Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951), 176. 41 Wieczorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 51; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 11; vgl. auch E. Peters, Der Ausforschungsbeweis im Zivilprozess (1966), 81.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

D. Die Bedeutung der Behauptungs- und der Beweislast für nemo tenetur edere contra se Einige ziehen eine Verbindung zwischen der Verteilung von Behauptungsund Beweislast einerseits und der Geltung von nemo tenetur edere contra se nebst Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO andererseits. So beruhe auch die Regelung der Behauptungs- und Beweislast im Zivilprozess auf der Eigenverantwortung der Parteien, die jeweils ihnen günstigen Tatsachen in den Prozess einzubringen.42 Das ist freilich deshalb missverständlich formuliert, weil jedenfalls die objektive Behauptungs- und Beweislast Bestandteil des unvollständig aufgeklärten Tatbestands der materiellrechtlichen Norm sind.43 Sie können folglich nicht Reflex einer prozessrechtlichen Aufklärungsregel sein. Allenfalls mag man also umgekehrt der Erwägung nachgehen, ob nemo tenetur edere contra se und der Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO eine Konsequenz aus der Verteilung von Behauptungs- und Beweislast im Zivilrecht sind.

I. Die Beweislastverteilung und nemo tenetur edere contra se 1. Die objektive Beweislast Die objektive Beweislast liefert Argumente weder für noch gegen die Geltung von nemo tenetur edere contra se. Sie ist lediglich die Entscheidungsregel für den Fall des non liquet.44 Diese Situation entsteht unabhängig davon, welche Art von Aufklärungsmodell im konkreten Verfahren zur Anwendung kommt.45 Welche Partei unter welchen Voraussetzungen welche Anstrengungen oder Unterstützungsleistungen unternehmen kann, damit eine bloß lückenhafte Sachverhaltsaufklärung möglichst unterbleibt, ist der objektiven Beweislast nicht zu entnehmen.

42 BGH, NJW 1990, 3151; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 26; Arens, ZZP 96 (1983), 1. 43 S. an dieser Stelle nur Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 352. 44 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 714; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 50 Rn. 4; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 276; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 3; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 502; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 3 Rn. 10; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 33; Assmann, in: Summum ius, summa iniuria (1994), 183, 186. 45 Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 276.

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se

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2. Die subjektive Beweislast a) Begriff Die subjektive Beweislast erscheint im Hinblick auf die Rechtfertigung der ungeschriebenen Regel nemo tenetur edere contra se zunächst aussagekräftiger. Sie weist unter den Parteien die Aufgabe und Befugnis zu, Beweisanträge zu stellen.46 Wo es um die Führung des Hauptbeweises geht, trifft diejenige Partei die subjektive Beweislast, die auch objektiv beweisbelastet ist.47 Soll der Gegenbeweis geführt werden, so ist diejenige Partei subjektiv beweisbelastet, zu deren Lasten der Hauptbeweis vorläufig gelungen ist.48 Misslingt die Beweisführung, wird der Prozess verloren gehen.49 Über diese Zuweisung der Aufgabe und der negativen Folgen für den Fall der Nichterfüllung hinaus besagt die subjektive Beweislast als solche jedoch nichts. Insbesondere lässt sich ihr nichts dafür entnehmen, ob und gegebenenfalls wann der Gegner gehalten ist, die Aufgabenerfüllung der subjektiv beweisbelasteten Partei zu unterstützen, indem er Informationen bereitstellt. Denn theoretisch mag die subjektiv beweisbelastete Partei den Beweis dadurch antreten, dass sie den Gegner zur Offenbarung interner Informationen auffordert. b) Die Regeln über den Beweisantritt Um das Bild von der subjektiven Beweislast in der ZPO zu vervollständigen, muss man folglich die Vorschriften über den Beweisantritt hinzuziehen. Nur ausnahmsweise und nach Maßgabe der §§ 422 ff. ZPO kann dabei die subjektiv beweis- und damit risikobelastete Partei den Beweis ordnungsgemäß antre46

BGH, NJW 1996, 1059, 1060; NJW-RR 2005, 1071, 1073; BayObLG, NJW-RR 2002, 1453; OLG Köln, NJW 2006, 69, 70; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Vorbem § 284 Rn. 20; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), Anh. § 286 Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 284 Rn. 18; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 98; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 3 Rn. 32; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 715; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), S. 170 f.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 50 Rn. 4; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 276; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 352; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 4; Rosenberg, Die Beweislast (5. Aufl. 1965), 16; Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß (1975), 36; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 6 f.; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 35; Laumen, NJW 2002, 3739, 3742; E. Schmidt, JuS 2003, 1007. 47 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 715; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 423; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 4; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 35; Gottwald, Jura 1980, 225, 227. 48 MünchKomm/Prütting, ZPO (3. Aufl. 2008), § 286 Rn. 103; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 716; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 6; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 36; Baumgärtel, in: FS für Nakamura (1996), 41, 44. 49 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 715; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 4; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 35; Baumgärtel, in: FS für Nakamura (1996), 41, 45.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

ten, indem sie die Vorlegung des Beweismittels durch den Gegner beantragt. Demnach zeigt der Umkehrschluss, dass die subjektiv beweisbelastete Partei grundsätzlich Zugriff auf die Information und ihren Träger haben muss, um ihre Beweisführungsaufgabe ordnungsgemäß zu erfüllen. In Verbindung mit den Regeln über den Beweisantritt lässt sich nemo tenetur edere contra se somit durchaus als Folge der Regeln über die subjektive Beweislast bezeichnen. c) Das Verhältnis zu § 138 Abs. 1 ZPO Ein Vorrang dieser Regel gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. So stellt sich die Frage nach der subjektiven Beweislast erst dann, wenn die schlüssige Behauptung erheblich bestritten wurde. § 138 Abs. 1 ZPO betrifft jedoch die Vortragsebene und verpflichtet die bestreitende Partei, zu ihren Lasten die Wirkungen der §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO eintreten zu lassen, wenn sie andernfalls lügen müsste. Dass die Verteilung der subjektiven Beweislast in Verbindung mit den Regeln über den Beweisantritt aber bezwecken sollte, dem Gegner die Früchte seines Pflichtverstoßes zu erhalten, ist ohne Wertungswidersprüche nicht zu begründen. Folgendes kommt hinzu: Würde – wie es die Formel nemo tenetur edere contra se insinuiert – die Offenbarung der beim Gegner befindlichen Information der Prozessführung der risikobelasteten Partei tatsächlich zum Erfolg verhelfen, so läge auf der Vortragsebene regelmäßig ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO vor. Entweder kannte der Gegner den Inhalt der bei ihm befindlichen Information und hat dennoch bewusst wahrheitswidrig bestritten. Oder aber er kannte den Inhalt nicht und hat bestritten, ohne sich zuvor vergewissert zu haben. Dann liegt ein verbotenes Bestreiten ins Blaue hinein vor.50 Man mag dem Zusammenspiel von subjektiver Beweislast und den Regeln über den Beweisantritt somit tatsächlich eine Regel entsprechend nemo tenetur edere contra se entnehmen. Keineswegs genießt sie jedoch normativen Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO. In Einklang befinden sich beide Regeln folglich nur dann, wenn der Gegner nach bestem Wissen und Gewissen bestritten hat und die Offenbarung eines bei ihm befindlichen Informationsträgers dennoch der risikobelasteten Partei zum Prozesssieg verhelfen würde. Das ist etwa in Fällen der Rechtsnachfolge denkbar, wenn die beweisbedürftige Handlung vom Rechtsvorgänger vorgenommen wurde und aus dem Informationsträger ohne sachverständige Überprüfung nicht wahrzunehmen ist. In ihrer allumfassenden Formulierung ist die Regel nemo tenetur edere contra se auf der Beweisebene jedoch außerstande, zwischen den im Hinblick auf § 138 Abs. 1 ZPO legitimen Fällen des Bestreitens und Zurückhaltens von Informationsquellen sowie den illegitimen Varianten dieses Verhaltens zu unterscheiden. 50

Wieczorek/Schütze/Gerken, Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 8.

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se

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II. Die Behauptungslastverteilung und nemo tenetur edere contra se 1. Begriff Der Konflikt zwischen nemo tenetur edere contra se und § 138 Abs. 1 ZPO entsteht auf der Vortragsebene. Sollte nemo tenetur edere contra se tatsächlich normativen Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO genießen, so müsste sich dies aus den Regeln über die Behauptungslast ergeben. Allgemein ist nach der Behauptungslast jede Partei gehalten, diejenigen Tatsachen hinreichend konkret zu behaupten, die eine für sie günstige Rechtsfolge auslösen sollen.51 Die Regeln über die Behauptungslast sind strukturell ebenso ausgestaltet wie diejenigen über die Beweislast.52 Folglich gibt es eine objektive Behauptungslast als Entscheidungsregel für den Fall, dass die erforderlichen Tatsachenbehauptungen entweder ganz ausbleiben oder nicht hinreichend konkret sind.53 Dem Vorbild der subjektiven Beweislast folgend ist auch eine subjektive Behauptungslast anerkannt.54 Sie trifft zunächst die objektiv behauptungsbelastete Partei und kann nach gängiger Sichtweise – ebenso wie die Last zur Führung des Haupt- und des Gegenbeweises – im Laufe des Prozesses zwischen den Parteien hin- und herwechseln („Behauptungs- und Gegenbehauptungslast“).55 2. Die objektive Behauptungslast und nemo tenetur edere contra se Für oder wider die Geltung von nemo tenetur edere contra se liefert die objektive Beweislast deshalb keine Argumente, weil das non liquet unabhängig vom Aufklärungsmodell bewältigt werden muss, um dem Justizgewähranspruch Genüge zu tun. Trotz der strukturellen Identität beider Figuren im Übrigen ist dieses Argument aber deshalb nicht auf die objektive Behauptungslast übertragbar, weil eine Behauptungslast nur in solchen Verfahren existiert, in denen die Tatsachenbeschaffung Angelegenheit der Parteien ist.56 Tatsächlich be51

So die Definition bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 38; der Sache nach ebenso Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 50 Rn. 1; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 274; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 499; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 44; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 36. 52 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 50 Rn. 1; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 274. 53 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 716; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 44; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 36. 54 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 41; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 36 f. 55 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 8; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 44; Emde, VersR 1996, 291, 294; Mankowski, CR 2003, 44, 49. 56 Prütting/Helms/Prütting, FamFG (3. Aufl. 2014), § 26 Rn. 50; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 38; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 36.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

gründet die objektive Behauptungslast einen weiteren Anwendungsbereich von nemo tenetur edere contra se, der mit den Pflichten aus § 138 Abs. 1 ZPO vereinbar ist. So mag ein Kläger eine Klage formulieren, die wegen allzu pauschalen Vorbringens zu einzelnen Voraussetzungen ihrer Begründetheit unschlüssig ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Dienstberechtigte auf Feststellung der Beendigung des Vertrags durch außerordentliche Kündigung klagt57 und dabei mangels genauerer Tatsachenkenntnis lediglich vorbringt, der Dienstleister habe ihn bestohlen. In dieser Pauschalität reicht das Vorbringen zum wichtigen Grund schon deshalb nicht aus, weil es nicht einmal das Tatobjekt des vermeintlichen Diebstahls bezeichnet. In solchen Fällen ist der Gegner nicht gehalten, der risikobelasteten Partei weitere Informationen zur Verfügung zu stellen, damit diese ihr Vorbringen über die Schlüssigkeitsschwelle heben kann. Im genannten Beispiel würde das selbst dann gelten, wenn der Dienstleister den Dienstberechtigten tatsächlich bestohlen haben sollte. § 331 Abs. 2 Hs. 2 ZPO verdeutlicht, dass der Gegner der risikobelasteten Partei hier in der Tat berechtigt ist, zu seinen Lasten gehende Informationen zurückzuhalten. Trägt die risikobelastete Partei zu einer anspruchsbegründenden Voraussetzung nicht oder nicht ausreichend vor, greift die objektive Behauptungslast als Entscheidungsregel zu ihren Lasten ein. Dementsprechend wird die Klage auch dann durch streitiges Sachurteil abgewiesen, wenn der Beklagte zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint.58 Der Beklagte aus dem Beispielsfall könnte eine Sachentscheidung in seinem Sinn also allein dadurch herbeiführen, dass er dem Termin zur mündlichen Verhandlung fernbleibt. Da vor diesem Hintergrund eine Unterstützungspflicht gegenteiligen Inhalts sinnlos wäre, besteht die logische Schlussfolgerung darin, dass der Gegner nicht dazu verpflichtet ist, der risikobelasteten Partei einen schlüssigen Vortrag erst zu ermöglichen. Mit § 138 Abs. 1 ZPO ist dieses Ergebnis ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn die Bestreitenslast des Beklagten gemäß § 138 Abs. 2 ZPO entsteht erst, wenn der Kläger eine Tatsache schlüssig vorgebracht hat.59 Zuvor besteht kein Anlass zur Entgegnung. Nur für diese Fallgruppe – das Vorbringen des Anspruchstellers erreicht den für die Schlüssigkeit erforderlichen Konkretisierungsgrad nicht60 – kann daher der Aussage zugestimmt werden, dass erst die 57 Zur Zulässigkeit einer solchen Klage außerhalb von Arbeitsverhältnissen siehe Staudinger/Preis, BGB (2011), § 626 Rn. 312. 58 Saenger/Pukall, ZPO (6. Aufl. 2015), § 331 Rn. 8; Zöller/Herget, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 330 Rn. 11; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 331 Rn. 35; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 105 Rn. 38. 59 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 18; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 24. 60 Dieser Befund ist – freilich unabhängig von der Parteirolle – auf den Fall der Schlüssigkeit des anspruchsbegründenden Vorbringens beschränkt. Kann umgekehrt der in Anspruch Genommene keine hinreichend konkreten Tatsachen für eine Einwendung benennen, dann darf

§ 3 Die Wahrheitspflicht und nemo tenetur edere contra se

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Parteien durch ihre Sachvorträge wechselseitig selbst anordneten, was im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO vollständig und wahrheitsgemäß zu erklären sei.61 3. Die tatbestandliche Konkretisierung durch die subjektive Behauptungslast Welche effektive Reichweite die Regel nemo tenetur edere contra se und ihre Vereinbarkeit mit § 138 Abs. 1 ZPO auf der Vortragsebene haben, hängt folglich davon ab, wann der Anspruchsteller seiner konkreten Behauptungslast genügt und damit den Gegner zu einer wahrheitsgemäßen Erwiderung veranlasst. Maßgeblich ist die bekannte Formel, wonach die Behauptung von Tatsachen genüge, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich seien, das geltend gemachte Recht als in der Person der jeweils begünstigten Partei entstanden erscheinen zu lassen. Welche konkreten Anforderungen daraus abzuleiten sind, handhabt die Rechtsprechung letztlich einzelfallabhängig.62 a) Strenge Maßstäbe? Im Grundsatz sollen dabei strenge Anforderungen gelten.63 So müsse das Prozessgericht sich eine konkrete Vorstellung von den zugrunde liegenden Geschehnissen machen können, so dass allgemeine, letztlich austauschbare und beliebige Beschreibungen nicht ausreichten.64 Folglich genüge die behaupder61Anspruchsteller diesen Umstand nicht für sich ausnutzen. Denn seine Kenntnis, dass eine Einwendung besteht, macht seinen gleichwohl vorgetragenen Anspruch zur wahrheitswidrigen Behauptung im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO. So liegt es zumindest in dem wiederholt erwähnten Fall der dem Beklagten unbekannt gebliebenen Zahlung eines Dritten oder seines Rechtsvorgängers. Würde im Beispielsfall der Dienstleister den Dienstberechtigten auf Zahlung der bis zur ordentlichen Kündigung geschuldeten Vergütung verklagen, so beginge er dennoch keinen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht. Ursache hierfür ist, dass das mangels genauerer Tatsachenkenntnis allzu vage Vorbringen zum Diebstahlsvorwurf nicht nur ein prozessrechtliches Problem darstellt, sondern – wie § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB zeigt – auch materiellrechtlich keinen tauglichen Kündigungsgrund darstellt. 61 Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 532; ähnlich Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 25; Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951), 176; Inoue, ZZP 98 (1985), 378, 390 f. 62 BGH, NJW 2001, 144, 145; 2008, 3361, 3362; NJW-RR 1998, 1409; 2007, 1409, 1410; 2008, 1311; 2010, 246, 247; 2010, 1039 f.; NJWE-FER 2000, 209 f.; OLG Köln, NJW-RR 1999, 1155; siehe auch Junker, in: Die Informationsbeschaffung für den Zivilprozess (1996), 63, 72. 63 Arens, ZZP 96 (1983), 1, 2, sieht dies als den Regelfall an: „Im Allgemeinen sind die Anforderungen an den Tatsachenvortrag der Parteien hoch. Vortrag und Bestreiten müssen substantiiert erfolgen. Es genügen nicht allgemeine Behauptungen, sondern grundsätzlich müssen alle Tatsachen vorgetragen werden, die der Tatbestand der Rechtsnorm erfordert, aus der die Partei die Rechtsfolge herleiten will.“ 64 OLG Köln, NJW-RR 1995, 1533, 1534, wörtlich heißt es: „Anhand dieser sehr allgemeinen Darstellung kann sich der Senat keine konkrete Vorstellung von den beanstandeten Ausfällen der Software machen; (…).“; Brögelmann, JR 2005, 309, 310; i. Erg. ebenso Chudoba, Der ausforschende Beweisantrag (1993), 103.

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tungsbelastete Partei den an sie gestellten Aufgaben nicht, wenn sie lediglich die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals als existent oder nicht existent im Sinne einer Rechtsbehauptung aufstelle.65 Hierdurch würde lediglich das Ergebnis eines fertigen Subsumtionsschlusses präsentiert, nicht aber ein Subsumtionsschluss ermöglicht.66 Für den substantiierten Vorwurf der Vorlagenfreibeuterei gemäß § 4 Nr. 3 lit. c) UWG genüge es etwa nicht, dass der Anspruchsteller die Übernahme technischer Grundideen nebst der daraus sich ergebenden konstruktiven Besonderheiten dartue, vielmehr seien konkret übernommene Details zu fordern.67 Die Behauptung eines Straßenverkehrsunfalls ohne die Angabe von Einzelheiten zum Unfallhergang wie Unfallzeit, Verhalten der Beteiligten und Vorfahrtsregelung am Tatort wurde ebenfalls als unzureichend erachtet.68 Das Gleiche gilt für eine in ihren Symptomen nicht näher beschriebene Hundephobie69 oder auch für vermeintliche rechtsgeschäftliche Übereinkünfte, bei denen Angaben zum Inhalt der Erklärungen sowie den Umständen von Abgabe und Zugang fehlen.70 b) Großzügige Maßstäbe? Jedoch lassen Rechtsprechung und h.M. gerade bei rechtsgeschäftlichen Verabredungen Ausnahmen zu und halten auch die bloße Wiederholung von 65

Brögelmann, JR 2005, 309, 310; Stackmann, NJW 2007, 3521, 3523 f.; das gilt freilich dort nur eingeschränkt, wo der Tatbestand an innere Vorgänge der nicht behauptungsbelasteten Partei anknüpft. Verdeutlichen lässt sich das Problem anhand des § 444 Alt. 1 BGB. Hier ist der Käufer dafür behauptungs- und beweisbelastet (BeckOK/Faust, BGB [8/2014], § 444 Rn. 22), dass der Verkäufer den Mangel der Kaufsache arglistig verschwiegen hat, also bei der Vereinbarung des Haftungsausschlusses (BeckOK/Faust, BGB [8/2014], § 444 Rn. 22) die Mangelhaftigkeit der Kaufsache zumindest billigend in Kauf nahm. Wenn der Käufer nicht zufällig einen Zeugen ausfindig machen kann, der – etwa weil dieser den Verkäufer über den Mangel aufgeklärt hatte – eine zuverlässige Aussage über den subjektiven Kenntnisstand des Verkäufers im maßgeblichen Zeitpunkt machen kann, steht dem Käufer kaum eine Möglichkeit zur Verfügung, einen subsumtionsfähigen Sachverhalt über die Gedankenwelt des Verkäufers vorzubringen. Er ist darauf beschränkt, ohne weitere Präzisierungen ein mindestens billigendes In-KaufNehmen des Verkäufers zu behaupten (Brehm, Bindung des Richters [1982], § 4 III.: „Bei diesen sog. facta aliena muss sich die Partei auf die nackte Behauptung beschränken.“). Doch ist das zulässig, denn die Behauptung, der Verkäufer habe positive Kenntnis von der Mangelhaftigkeit gehabt oder diese zumindest billigend in Kauf genommen, mag spekulativ sein, kann aber unter das Tatbestandsmerkmal „arglistiges Verschweigen“ subsumiert werden. Hier handelt es sich vielmehr um ein Problem des § 138 Abs. 1 ZPO; differenzierend Hansen, JuS 1991, 588, 589. 66 Stackmann, NJW 2007, 3521, 3523 f. 67 OLG München, NJWE-WettbR 1997, 38, 40. 68 KG, NJOZ 2009, 2403, 2404. 69 OLG Saarbrücken, BeckRS 2006, 1800. 70 BGH, NJW 1982, 1708, 1710: „Die Behauptung der Bekl., der Kl. sei mit der fristlosen Kündigung einverstanden gewesen, ist nämlich entgegen § 138 Abs. 1 ZPO nicht ausreichend substantiiert. Es hätte hier vielmehr der näheren Darlegung bedurft, unter welchen Umständen die angebliche Übereinkunft erzielt worden sein soll.“

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Rechtsbegriffen für ausreichend, wenn diese – wie etwa Kauf oder Übereignung – allgemeinsprachlich verwendet werden und die Verwender sie mit gattungsmäßig bestimmten tatsächlichen Geschehnissen verbinden.71 Gesteht der Gegner die Wahrheit der solchermaßen pauschal gehaltenen Behauptung zu oder bestreitet er sie nicht, so wird sie gemäß § 288 Abs. 1 ZPO bzw. §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3 ZPO festgestellt.72 Entsprechendes gilt für § 331 Abs. 2 ZPO.73 Bestreitet der Gegner jedoch, so sollen für die behauptungsbelastete Partei zwei Möglichkeiten bestehen, um fortzufahren. Entweder verfügt sie über ein Beweismittel, das direkt die Wahrheit der von ihr aufgestellten Behauptung erweist, etwa Urkunden gemäß § 416 ZPO dafür, dass die Parteien bestimmte Erklärungen abgegeben haben. Oder es fehlt solch ein Beweismittel, etwa weil die in Rede stehenden Erklärungen mündlich erfolgten. Dann soll die risikobelastete Partei gehalten sein, den genauen Inhalt des vermeintlichen Erklärungszeichens sowie die Umstände von Abgabe und Zugang vorzutragen. Misslingt dies, was insbesondere dann wahrscheinlich wird, wenn es um den Austausch von Willenserklärungen zwischen dem Gegner und Dritten zum Nachteil der risikobelasteten Partei geht,74 soll die Entscheidung gegen die risikobelastete Partei aufgrund der objektiven Behauptungslast ergehen und nicht aufgrund der objektiven Beweislast.75 Diese zuletzt genannte Konsequenz vermengt Vortrags- und Beweisfragen und ist deshalb widersprüchlich. Der ursprüngliche Vortrag der risikobelasteten Partei kann nur entweder insgesamt ausreichend sein oder nicht. Ist er ausreichend, trifft den Gegner die Last aus § 138 Abs. 2 ZPO. Im Bestreitensfall ist die ursprüngliche Behauptung somit in all ihrer Pauschalität Beweisthema. Misslingt der Beweis, so ist anhand der objektiven Beweislast gegen die risikobelastete Partei zu entscheiden. Wenn man umgekehrt den pauschalen Vortrag doch nicht zulässt, dann begründet etwa die Aussage, die Parteien hätten einen Kaufvertrag mit näher bezeichneten essentialia abgeschlossen, noch keine Entgegnungslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO. Folglich besteht kein Raum für Geständnis, Geständnisfiktion oder ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten. Soweit die h.M. jedoch versucht, beide Konsequenzen miteinander zu kombinieren, kann sie dies nur unter Inkaufnahme logischer Brüche.

71 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 288 Rn. 1; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 504. 72 Meyke, NJW 2000, 2230, 2231. 73 Meyke, NJW 2000, 2230, 2231. 74 BGH, NJW 2009, 2137, liefert eine solche Konstellation, bei der – letztlich in Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast – freilich doch ein großzügiger Maßstab zugunsten der risikobelasteten Partei angelegt wurde; ähnliche Fälle mögen im Kartellrecht auftreten. 75 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 505; Meyke, NJW 2000, 2230, 2231.

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Somit lässt die herrschende Praxis letztlich ungewiss, welche Anforderungen an eine ausreichende Tatsachenbehauptung zu stellen sind. Folglich ist in gleicher Weise ungewiss, wann eine Partei entsprechend nemo tenetur edere contra se Informationen für sich behalten darf, weil sie die Bestreitenslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO noch nicht trifft.

E. Die Bedeutung der materiellrechtlichen Auskunftsansprüche Verbreitet ist schließlich die Annahme, das herrschende umfassende Verständnis von nemo tenetur edere contra se ergebe sich aus einem Gegenschluss zu den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen:76 Allein diese würden darüber bestimmen, in welchem Umfang eine Partei dem Gegner für ihn günstiges Material zur Verfügung stellen müsse. Eine allgemeine Aufklärungspflicht kenne das materielle Recht nicht. Es sei nicht Aufgabe des Prozessrechts, eine solche Pflicht einzuführen. Ein Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO lässt sich indes auch nicht auf diese Weise begründen.

I. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und der Klageantrag Allerdings gewähren die materiellrechtlichen Auskunftsansprüche Zugriff auf unterschiedliche Informationen, die für die Prozessführung jeweils unterschiedlich verwertbar sind. Dabei geht es zunächst und in den meisten Fällen um Auskunftsansprüche, die die Höhe eines dem Grunde nach feststehenden Anspruchs betreffen.77 So liegt es etwa bei §§ 666, 1379, 2027, 2127 BGB, bei § 4 VersAusglG oder auch bei § 101 UrhG, § 19 MarkenG, § 140b PatG. Jedoch dienen alle diese Aufklärungsmechanismen nicht dazu, ein Sachurteil gegen die nicht informierte Partei zu vermeiden. Vielmehr beheben diese Auskunftsansprüche solche Informationsdefizite des Anspruchsinhabers, die ihn bereits daran hindern, seinen Anspruch rechtshängig zu machen. Solange er den Umfang seines Anspruchs nicht kennt, kann er diesen nicht in Antragsform gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geltend machen und es droht mit Zeitablauf der faktische Anspruchsverlust durch Verjährung. Unmittelbar prozessrechtliche Bedeutung erhalten solche Auskunftsansprüche demnach auch erst in Verbindung mit der Stufenklage gemäß § 254 ZPO. Sie gestattet die objek76 BGH, NJW 1990, 3151; 1997, 128, 129; LAG Hessen, BeckRS 1994, 30901867; LAG Rheinland-Pfalz, BeckRS 2009, 61426; 2011, 75303; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 27; der Sache nach auch Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 26; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 510; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 23. 77 Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten (2010), 10; ähnlich Baumgärtel/ Laumen, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 10 Rn. 2.

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tive Häufung der Klagen auf Rechnungslegung, Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses und/oder Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und der – einstweilen noch unbestimmten – Klage auf den geltend gemachten Hauptanspruch.78 Damit ist der Kläger von den Bestimmtheitserfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO an die Antragsformulierung entbunden, wenn er die hierfür erforderlichen Informationen entschuldbar nicht hat, weil diese nicht seinem, sondern dem Verfügungsbereich des Gegners angehören.79 Damit wird auch die Klage auf den Hauptanspruch sogleich rechtshängig und hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.80 § 254 ZPO ermöglicht es danach, den Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung prozessrechtlich so zu behandeln, als verfüge er bereits über die Information, auf deren Erhalt er in diesem Zeitpunkt lediglich erst einen materiellrechtlichen Anspruch hat.81 Nachdem sich materiellrechtliche Auskunftsansprüche, die dem Anspruchsinhaber erst die Antragsformulierung ermöglichen, außerhalb des Anwendungsbereichs der prozessrechtlichen Sachverhaltsaufklärung bewegen, begründen diese einen Gegenschluss weder des Inhalts, dass nemo tenetur edere contra se im Übrigen Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO genieße, noch auch nur des Inhalts, dass der Gegner sich jedes Tuns oder Unterlassens enthalten dürfe, das sich auf die Prozessführung der risikobelasteten Partei günstig auswirkte.

II. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und schlüssiges Vorbringen Sodann gibt es materiellrechtliche Auskunftsansprüche, die es dem Anspruchsteller ermöglichen, sein Begehren schlüssig zu formulieren.82 Zu nennen sind hier insbesondere §§ 809, 810 BGB, aber auch § 101a UrhG, § 19a Abs. 1 MarkenG, § 140c Abs. 1 PatG. Hier mag in der Tat der Gegenschluss zulässig sein, dass ein Informationsdefizit, das der schlüssigen Anspruchsformulierung entgegensteht, außerhalb solcher Auskunftsansprüche zum allgemeinen Lebensrisiko des Anspruchsinhabers zählt. Doch führt das zu keinen Erkenntnissen, 78

BGH, NJW 2002, 2952, 2953; 2003, 2748; OLG Düsseldorf, NJW 1973, 2034; Thomas/ Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 254 Rn. 1; Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 254 Rn. 3; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 254 Rn. 1; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 254 Rn. 7; Lüke, JuS 1995, 143, 144; Reichel, ZZP 38 (1908), 49, 52; i. Erg. wohl auch BGH, NJW 2000, 1645, 1646. 79 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 254 Rn. 3; Reichel, ZZP 38 (1908), 49. 80 BGH, NJW-RR 1995, 513; KG, NJW 1970, 903; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 254 Rn. 4; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO (4. Aufl. 2013), § 254 Rn. 3; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 254 Rn. 19; Lüke, JuS 1995, 143, 144. 81 Assmann, Das Verfahren der Stufenklage (1990), § 3 I. 1. d). 82 Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 145; Mes, in: FS für Hertin (2000), 619.

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die über die bislang gewonnenen hinausgingen. Weder besagen diese materiellrechtlichen Auskunftsansprüche etwas darüber, welche Anforderungen an einen schlüssigen Vortrag zu stellen sind, noch rechtfertigen sie einen Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO, sobald eine Tatsache schlüssig behauptet wurde.

III. Materiellrechtliche Auskunftsansprüche und Beweisführung 1. §§ 421, 422 ZPO und der vermeintliche Vorrang gegenüber der Wahrheitspflicht Schließlich gibt es materiellrechtliche Auskunftsansprüche, die der risikobelasteten Partei die Beweisführung ermöglichen sollen. Auf sie nehmen §§ 421, 422 ZPO Bezug. Danach kann die risikobelastete Partei den von ihr geforderten Urkundenbeweis dadurch antreten, dass sie die Vorlegung durch den Gegner beantragt, wenn sie einen materiellrechtlichen Anspruch auf Vorlegung dieser Urkunde hat. Das steht in sehr engem Zusammenhang mit den Regeln über die subjektive Beweislast und lässt es in der Tat naheliegend erscheinen, dass die risikobelastete Partei bei ihrer Beweisführung überall dort nicht auf die Mitwirkung ihres Gegners vertrauen darf, wo sie über keinen materiellrechtlichen Auskunftsanspruch verfügt.83 Und auch für den Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO mag man hieraus etwas ableiten. So setzen §§ 421, 422 ZPO definitionsgemäß eine beweisbedürftige Tatsachenbehauptung voraus. Die fragliche Tatsachenbehauptung ist im Kontext dieser Normen aber regelmäßig deshalb beweisbedürftig, weil der Gegner sie unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO bestritten hat. Wenn die vorzulegende Urkunde nämlich der Beweisführung der risikobelasteten Partei dient, dann hätte der Gegner regelmäßig bereits nicht bestreiten dürfen. Wenn §§ 421, 422 ZPO die Tatsachenbehauptung vor diesem Hintergrund aber dennoch für beweisbedürftig erachten, dann nur deshalb, weil das Bestreiten auch in dieser Situation prozessrechtlich legitim ist. Zu dieser Wertungsentscheidung gelangt man jedoch nur, wenn man den Vorrang von nemo tenetur edere contra se gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO anerkennt. 2. Die überschätzte Bedeutung der §§ 421, 422 ZPO Doch überschätzt die Bedeutung der §§ 421, 422 ZPO, wer sie mit dieser Argumentation als Beleg dafür heranziehen will, dass die prozessrechtliche Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO hinter nemo tenetur edere contra se zurückzutreten habe. Um ihnen eine solch weitreichende Bedeutung zuzuer83

Seichter, WRP 2006, 391, 394.

Zwischenergebnis

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kennen, haben §§ 421, 422 ZPO einen deutlich zu geringen selbständigen Anwendungsbereich. So betreffen die von § 422 ZPO in Bezug genommenen Auskunfts- und Vorlegungsansprüche nicht lediglich die Beweisebene, sondern ermöglichen einem Anspruchsteller in erster Linie die Formulierung seines Klageantrags und die schlüssige Behauptung von Tatsachen. Wenn die risikobelastete Partei nun die von ihrem Gegner aufgrund von § 101 UrhG, § 19 MarkenG, § 140b PatG erhaltenen Informationen verwendet, um ihren Schadensersatzantrag zu formulieren und in der Klagebegründung entsprechend vorträgt, ergibt ein Bestreiten nur dann Sinn, wenn der Gegner einräumt, seine Auskunftspflicht nicht ordentlich erfüllt zu haben. Nicht anders liegt es, wenn die risikobelastete Partei anhand von §§ 809, 810 BGB, § 101a UrhG, § 19a Abs. 1 MarkenG oder § 140c Abs. 1 PatG diejenigen Tatsachen ermittelt, die ihr einen schlüssigen Vortrag ermöglichen, und diese dann unverändert verwendet. Auch hier können §§ 421, 422 ZPO in Verbindung mit den Auskunftsansprüchen auf der Beweisebene keine Rolle spielen, weil das Bestreiten ausbleiben wird. So erlangen §§ 421, 422 ZPO in Verbindung mit dem jeweiligen Auskunftsanspruch von vornherein nur dort eine selbständige Bedeutung, wo die risikobelastete Partei von sich aus über ausreichende Informationen zur bestimmten Antragsformulierung und/oder zur schlüssigen Behauptung verfügt. Dieser schmale selbständige Anwendungsbereich auf der Beweisebene genügt nicht, um daraus die allgemeine Schlussfolgerung zu ziehen, dass der Gegner in all denjenigen Fällen, in denen die risikobelastete Partei keinen materiellrechtlichen Auskunftsanspruch hat, wegen des Vorrangs von nemo tenetur edere contra se bestreiten dürfte, ohne gegen § 138 Abs. 1 ZPO zu verstoßen.

Zwischenergebnis Die Regel nemo tenetur edere contra se ist gerechtfertigt, wenn der vermeintliche Anspruchsinhaber nicht über ausreichende Informationen verfügt, um seinen Antrag entsprechend den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu formulieren. Zur Offenlegung ist der Gegner nur im Rahmen der materiellrechtlichen Auskunftsansprüche verpflichtet. Jedoch liegen diese Probleme im Vorfeld der prozessrechtlichen Sachverhaltsaufklärung. Zu einem Konflikt mit § 138 Abs. 1 ZPO kann es von vornherein nicht kommen. Auf der Vortragsebene ist nemo tenetur edere contra se dort gerechtfertigt, wo der vermeintliche Anspruchsinhaber über keine ausreichenden Informationen verfügt, um seinen Anspruch schlüssig darzutun. Hier ist der Gegner zur Erwiderung nicht veranlasst. Ein Konflikt mit § 138 Abs. 1 ZPO kann nicht entstehen. Inwieweit der vermeintliche Anspruchsinhaber Zugriff auf beim Gegner befindliche Informationen erhält, bemisst sich abermals ausschließlich anhand entsprechender materiellrechtlicher Ansprüche. Die effektive Reich-

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weite von nemo tenetur edere contra se hängt in diesen Fällen davon ab, welche inhaltlichen Anforderungen an das schlüssige Vorbringen zu stellen sind. Die h.M. definiert dabei keine dogmatisch fassbaren Kriterien, anhand derer der für die Schlüssigkeit erforderliche Konkretisierungsgrad im konkreten Fall zu bestimmen wäre. Auf der Beweisebene gerät nemo tenetur edere contra se nur dort nicht in Konflikt mit § 138 Abs. 1 ZPO, wo der Gegner nicht weiß, dass die Behauptung der risikobelasteten Partei wahr ist, und er mit zumutbarem Aufwand auch nicht ermitteln kann, dass der in seinem Zugriffsbereich befindliche Informationsträger die Wahrheit dieser Behauptung erweisen werde. Hat der Gegner Kenntnis von dem für seine Prozessführung schädlichen Inhalt des fraglichen Informationsträgers oder kann er sie sich zumutbar verschaffen, so verstößt er gegen § 138 Abs. 1 ZPO, wenn er dennoch bestreitet. Weiß er hingegen darum, dass der Informationsträger sein eigenes Vorbringen unterstützen wird, bedeutet die Offenlegung keine Unterstützung des Gegners, ist mithin kein edere contra se. Wo die h.M. nemo tenetur edere contra se auf der Beweisebene darüber hinaus anwendet und der Regel Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO einräumt, fehlt diesem Vorgehen die dogmatische Rechtfertigung.

§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast A. Die sekundäre Behauptungslast: Funktionsweise und Formel der h.M. Wie soeben gesehen, hängt es von den inhaltlichen Anforderungen an die konkrete Behauptungslast ab, in welchem Umfang nemo tenetur edere contra se Informationsprobleme der risikobelasteten Partei auf der Vortragsebene begründet, ohne dass ein Konflikt mit § 138 Abs. 1 ZPO entsteht. Je höher die Anforderungen sind, desto eher droht die prozessrechtliche Aufgabenverteilung bei der Sachverhaltsaufklärung in eine Rechtsschutzverweigerung umzuschlagen. Deshalb ist es nicht unproblematisch, wenn die h.M. im Grundsatz wohl zu strengen Kriterien tendiert. Rechtsprechung und h.M. erkennen diese Problemlage und versuchen, über das Instrument der sog. sekundären Behauptungslast gegenzusteuern. In den erfassten Fallgruppen wird der risikobelasteten Partei dabei gestattet, einen pauschalen Initialvortrag zu liefern, der dennoch die Entgegnungslast des § 138 Abs. 2 ZPO auslöst. Allerdings ist der risikobelasteten Partei damit allein noch nicht sehr geholfen. Denn gemäß § 138 Abs. 2 ZPO muss der Gegner nur auf die konkret vorgetragenen Tatsachen erwidern.84 Das bedeutet: 84

BGH, NJW-RR 1986, 980, 981; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 138 Rn. 4; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 10; MünchKomm/C. Wagner, ZPO

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Genügt ein pauschaler Vortrag der konkreten Behauptungslast, so genügt ein einfaches Bestreiten als Reaktion.85 So erhält die risikobelastete Partei keine weiteren Informationen für ihre Prozessführung und das Entdeckungsrisiko eines etwaigen Wahrheitsverstoßes bleibt marginal. Das Problem wird lediglich von der Vortrags- auf die Beweisebene verschoben. Folglich geht das Institut der sekundären Behauptungslast einen Schritt weiter und hält den Gegner zu einem konkreten Bestreiten an, obwohl die risikobelastete Partei lediglich einen pauschalen Initialvortrag geliefert hat.86 Nach der h.M. gilt folgende Formel: Den Gegner treffe eine gewisse sekundäre Behauptungslast, wenn die risikobelastete Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs stehe und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitze, während ihr Gegner sie habe und ihm nähere Angaben zumutbar seien.87 Da es sich bei dieser sekundären Behauptungslast um ein bloßes Element der Vortragsebene handele, könne auf seiner Grundlage kein Zugang zu Beweismitteln verlangt werden.88 Komme der Gegner der risikobelasteten Partei seiner sekundären Behauptungslast nicht nach, greife zu seinen Lasten die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO in analoger An(4. 85 Aufl. 2013), § 138 Rn. 19; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 24; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 35; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 349; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 7; Morhard, Die Informationspflicht der Parteien (1993), 17; Ambs, Bestreiten mit Nichtwissen (1997), 65; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten (2008), 71; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 146; a.A. Hackenberg, Die Erklärung mit Nichtwissen (1995), 121; Freudenthal, Die sekundäre Behauptungslast (2008), 37. 85 BGH, NJW-RR 1990, 78, 90; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 24; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 36; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 506; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 349; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 7; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 411; M. Huber, in: FS für Gerhardt (2004), 379, 386 f. 86 Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 219; M. Huber, in: FS für Gerhardt (2004), 379, 389. 87 BGHZ 145, 170, 183 f.; 146, 202, 212; 164, 11, 19; 173, 23, 29 f.; 190, 145, 167; BGH, NJW 1990, 3151 f.; 1996, 315, 317 (insoweit in BGHZ 131, 163 nicht abgedruckt); 1998, 2277, 2279; 1998, 2976, 2977; 1999, 3485, 3486; 1999, 2887, 2888; 2003, 1039, 1040; 2003, 3626, 3627; 2005, 2395, 2397; 2008, 982, 984; 2009, 2384, 2386; 2009, 2894, 2896; 2010, 1364, 1371; NJW-RR 2002, 1309, 1310; 2009, 1142, 1144; GRUR 2009, 60, 61; Urt. v. 20.9.2006 – VIII ZR 127/04 (juris); Beschl. v. 29.3.2007 – IX ZR 108/05 (juris); Urt. v. 21.4.2010 – XII ZR 134/08 (juris); Thomas/ Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 138 Rn. 12; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 284 Rn. 34; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 10; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 103; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 37; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 219; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 342; Morhard, Die Informationspflicht der Parteien (1993), 26; Yoshida, Informationsbeschaffung im Zivilprozeß (2001), 40; Freudenthal, Die sekundäre Behauptungslast (2008), 33; Frohn, JuS 1996, 243, 249; Willingmann, VuR 1998, 75, 78; Kiethe, JZ 2005, 1034, 1035; Klingelhöffer, ZEV 2007, 361, 362; der Sache nach bereits RGZ 166, 240, 242; BGH, NJW 1961, 826, 828; 1962, 2149, 2150; sehr kritisch Braun, Zivilprozessrecht (2014), 510. 88 BGH, NJW 2008, 982, 984; anders noch RGZ 166, 240, 242.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

wendung ein.89 Zur Begründung der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast beschränkt sich die h.M. darauf, auf Treu und Glauben gemäß § 242 BGB zu verweisen.90 Freilich treten in diesem Zusammenhang gelegentlich terminologische Missverständnisse auf. Zuweilen bezeichnet die Rechtsprechung nämlich auch gewöhnliche Anwendungsfälle des § 138 Abs. 2 ZPO als sekundäre Behauptungslast.91

B. Die Fallgruppen der sekundären Behauptungslast I. Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich 1. Die frühe Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe Indem die Formel der h.M. zu den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast sich sehr stark an den Wahrnehmungskreisen der Parteien orientiert, ruft sie den Eindruck hervor, ihr liege ein ausgeprägter Sphärengedanke als zentrales Wertungskriterium zugrunde.92 Historisch sind die Fälle der sekundären Behauptungslast tatsächlich sehr eng mit solchen Konstellationen verknüpft, in denen eine Partei behauptungs- und beweisbelastet für Umstände ist, die nicht ihrem, sondern dem unmittelbar eigenen Wahrnehmungskreis des Gegners zugehören. So begehrte ein juristischer Pressedienst von einem Konkurrenten die Unterlassung der Werbeaussage, er arbeite ständig mit einer großen Anzahl führender, namentlich genannter Juristen zusammen.93 Für die Unwahrheit einer Werbeaussage ist der Anspruchsteller behauptungs- und beweisbelastet.94 Im Fall kam es darauf an, ob und welche der von dem Konkurrenten genannten vorgeblichen ständigen Mitarbeiter laufend Beiträge zur Verfügung stellten. Dies könne der Anspruchsteller nicht wissen, so dass es dem Werbenden im Rahmen seines substantiierten Bestreitens95 wenigstens obliege, die Zahl der-

89 BGH, NJW 1999, 3485; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 21; Mes, GRUR 2000, 934, 939; Kiethe, VIZ 2004, 1, 6. 90 BGH, NJW 1961, 826, 828; 1962, 2149, 2150; NJW-RR 2002, 865, 866; GRUR 2007, 251, 253; 2009, 60, 61; OLG Hamburg, GRUR-RR 2004, 104, 109; OLG München, GRUR-RR 2007, 345, 346; 2008, 300; ZUM 2010, 459; Fezer, MarkenG (4. Aufl. 2009), § 55 Rn. 28; Wandtke/Bullinger/Bohne, UrhG (4. Aufl. 2014), § 99 Rn. 5; Eckardt, NZG 1999, 938, 939; Karger, GRUR-Prax 2010, 305; kritisch MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 22. 91 Etwa BGH, NZG 2003, 393, 394; OLG München, GRUR-RR 2007, 345 f. 92 Vgl. Meyke, NJW 2000, 2230, 2232. 93 BGH, NJW 1961, 826. 94 BGH, NJW 1962, 2149, 2150. 95 Die Bezeichnung dieser Figur als „sekundäre Behauptungslast“ wurde erst später entwickelt.

§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast

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jenigen zu nennen, die tatsächlich in diesem Sinne Beiträge leisteten.96 Ähnlich lag es wenig später im Streit zweier Spirituosenhersteller, von denen der eine dem anderen vorwarf, er werbe mit der unwahren Behauptung, Bärenfang-Likör nach einem alten ostpreußischen Familienrezept herzustellen.97 So habe die die Unterlassung begehrende Partei keinen Einblick in die Rezepturen ihres Konkurrenten und könne folglich lediglich Zweifel anmelden, die aus dessen Unternehmensgeschichte mit nur geringem Kontakt nach Ostpreußen resultierten.98 Da der in Anspruch genommene Konkurrent jedoch über sämtliche für die Beurteilung des Falls erforderlichen Tatsachen verfüge, seien von ihm nach Treu und Glauben weiter gehende Aufklärungsbeiträge zu fordern, obgleich er weder behauptungs- noch beweisbelastet sei.99 2. Beispiele jüngeren Erscheinungsdatums Auch in den zahlreichen Entscheidungen jüngeren Datums, die die Rechtsprechung unter Rückgriff auf die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast trifft, sind solche Konstellationen zentral, in denen die risikobelastete Partei entscheidungserhebliche Vorgänge nicht selbst wahrgenommen hat. Erwähnt sei etwa die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 1 Abs. 5 KSchG.100 § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG begründet die Vermutung, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, wenn bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG diejenigen Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Diese Vermutungswirkung erfasst nach h.M. das Fehlen einer anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ebenso wie die korrekte Sozialauswahl.101 Im Kündigungsschutzprozess muss deshalb der in der Namensliste aufgeführte gekündigte Arbeitnehmer behaupten und nötigenfalls beweisen, dass die Beschäftigung für ihn nicht weggefallen ist.102 Dazu müsse der Arbeitnehmer substantiiert behaupten und nötigenfalls beweisen, wieso der Arbeitsplatz trotz der Betriebsänderung noch vorhanden sei oder wo er sonst im Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden könne.103 Doch handele es sich dabei um Geschehnisse aus dem Bereich des Arbeitgebers, so dass sich die 96

BGH, NJW 1961, 826, 828. BGH, NJW 1962, 2149. 98 BGH, NJW 1962, 2149, 2150. 99 BGH, NJW 1962, 2149, 2150. 100 BAG, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 „Namensliste“; NZA 2008, 633, 636; weitere Fälle der sekundären Behauptungslast finden sich in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts etwa in BAG, AP Nr. 111 zu § 7 BetrAVG; NZA 2010, 561, 567. 101 Siehe nur ErfK/Oetker, Arbeitsrecht (16. Aufl. 2016), § 1 KSchG Rn. 364. 102 BAG, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 „Namensliste“. 103 BAG, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 „Namensliste“; NJW 2010, 1395, 1396; NZA 2008, 633, 634. 97

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

Darlegungslast des Arbeitnehmers mindere und der Arbeitgeber zur Mitwirkung verpflichtet sei.104 Und auch in Arzthaftungsprozessen greift die Rechtsprechung häufig auf die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast zurück. Die fehlende Wahrnehmung des Patienten ist hier jedenfalls in den Fällen der tragende Anknüpfungspunkt, in denen der Patient während der fraglichen Behandlungsmaßnahme narkotisiert war.105

II. Negative Tatsachen Eng verwandt und ebenfalls praktisch sehr bedeutsam sind diejenigen Konstellationen, in denen die Rechtsprechung die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast zur Milderung des Informationsproblems der risikobelasteten Partei beim Vortrag negativer Tatsachen heranzieht. So verlangte ein Wettbewerber der Vereinigte Photokopierapparate GmbH, aus deren Firma den Zusatz „Vereinigte“ zu löschen und die weitere Verwendung dieses Zusatzes zu unterlassen. Der entsprechend behauptungs- und beweisbelastete Kläger meinte, dass in Wahrheit nämlich keine Vereinigung solcher Betriebe vorliege.106 Da es somit aber um eine negative Tatsache gehe, ergebe sich, dass der Anspruchsteller das Nichtvorliegen einer Vereinigung nicht oder lediglich sehr erschwert vortragen und beweisen könne.107 Da der in Anspruch Genommene aber über die entsprechende Kenntnis verfüge, sei er auch unter dem Gesichtspunkt des § 138 Abs. 1 ZPO gehalten, diejenigen Umstände offenzulegen, aus denen sich die Berechtigung ergebe, den Firmenzusatz „Vereinigte“ zu führen.108 Ähnlich liegt es bei der sekundären Behauptungslast des Kondiktionsgläubigers für den fehlenden Rechtsgrund. Zwar sei der Kondiktionsgläubiger in vollem Umfang beweispflichtig für die Tatsachen, aus denen er die von ihm begehrte Rechtsfolge herleite, somit auch für das behauptete Nichtbestehen eines Rechtsgrundes für die erbrachte Leistung.109 Erhalte er vom Kondikti104 BAG, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 „Namensliste“; Moll/Ulrich, Arbeitsrecht (3. Aufl. 2012), § 40 Rn. 214; ähnlich BAG, NJW 2010, 1395, 1396; missverständlich BAG, NZA 2008, 633, 634 Tz. 20 einerseits und 636 Tz. 38 andererseits; strenger offenbar ErfK/Oetker, Arbeitsrecht (16. Aufl. 2016), § 1 KSchG Rn. 365. 105 BGH, NJW 1980, 1333; Staudinger/J. Hager, BGB, (2009), § 823 Rn. I 43; Katzenmeier, Arzthaftung (2002), S. 377; Terbille, Medizinrecht (2. Aufl. 2013), § 1 Rn. 276. 106 RGZ 166, 240. 107 RGZ 166, 240, 242. 108 RGZ 166, 240, 242. 109 BGH, NJW 1999, 2887, 2888; 2003, 1039; 2011, 2130, 2131; NJW-RR 2004, 556; 2007, 488, 489; 2009, 1142, 1144; Stieper, ZZP 123 (2010), 27, 35; ähnlich auch BGHZ 169, 377, 383 wo jedoch für einen Teilbereich weitergehend sogar eine Beweislastumkehr zu Gunsten des als Kondiktionsschuldner in Anspruch Genommenen vorgenommen wird, was seine Ursache aber in dem übrigen Rechtsverhältnis zwischen den Parteien hatte, aus dem der mögliche Rechtsgrund resultierte.

§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast

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onsschuldner keine weiteren Angaben zu möglichen Behaltensgründen, müsse er daher an sich alle auch nur entfernt in Betracht zu ziehenden Behaltensgründe durch entsprechenden eigenen Vortrag ausräumen. Dies sei zwar nicht schon theoretisch unmöglich, aber doch unzumutbar, wenn es dem Kondiktionsschuldner problemlos möglich sei, darzutun, weshalb er meine, das Erlangte behalten zu dürfen.110 Folglich könne sich der Kondiktionsgläubiger für seinen eigenen Vortrag in Bezug auf den fehlenden Rechtsgrund regelmäßig darauf beschränken, die vom Kondiktionsschuldner behaupteten Rechtsgründe auszuräumen.111 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast dienen hier also dazu, die risikobelastete Partei von der Notwendigkeit zu entbinden, sämtliche denkbaren kontradiktorischen Gegenteile des Negativums abschließend zu benennen und zu beweisen. In gleicher Weise verfährt der Bundesgerichtshof auch bei der markenrechtlichen Löschungsklage nach §§ 26 Abs. 1, 49 Abs. 1 Satz 1 MarkenG. Der Löschungskläger ist hier behauptungs- und beweisbelastet dafür, dass der Inhaber die Marke für die jeweiligen Waren und Dienstleistungen nicht im Sinne des § 26 Abs. 1 MarkenG genutzt habe.112 Er müsse also für einen Zeitraum von fünf Jahren – gerechnet ab der Eintragung der Marke – lückenlos dartun und gegebenenfalls beweisen, dass der Inhaber keine der sämtlich denkbaren Alternativen rechtserhaltender Nutzung im Sinne des § 26 Abs. 1 MarkenG erfüllt habe.113 Ein solcher Vortrag und Beweis seien de facto unmöglich, jedenfalls aber unzumutbar.114 Hielte man an den theoretisch gestellten strengen Anforderungen fest, sei die auf § 49 Abs. 1 MarkenG gestützte Löschungsklage von vornherein aussichtslos.115 Folglich habe der auf Löschung in Anspruch genommene Markeninhaber zumindest die konkreten Waren oder Dienstleistungen zu benennen, für die er die fragliche Marke verwende.116 Darüber hinaus verlangt der Bundesgerichtshof Angaben zu den mit diesen Waren und Dienstleistungen erzielten Umsätzen.117

110

BGH, NJW 2003, 1049, 1050. BGH, NJW 1983, 626 f.; 1991, 1812; NJW-RR 1991, 574, 575; 2004, 556; 2009, 1424, 1425; BeckRS 2007, 6172 Rn. 14; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 15 Rn. 7; Geipel, zfs 2010, 24; Stieper, ZZP 123 (2010), 27, 32. 112 BGH, GRUR 2009, 60, 61; OLG Stuttgart, NJWE-WettbR 1998, 230; OLG Hamburg, GRUR 1999, 339, 341; GRUR-RR 2004, 104, 109; OLG München, GRUR-RR 2008, 300; Ingerl/Rohnke, MarkenG (3. Aufl. 2010), § 55 Rn. 12; Fezer, MarkenG (4. Aufl. 2009), § 55 Rn. 28; Kochendörfer, WRP 2007, 258, 260. 113 In diesem Sinne im Ausgangspunkt OLG Köln, GRUR 1987, 530, 532. 114 Ingerl/Rohnke, MarkenG (3. Aufl. 2010), § 55 Rn. 12; Fezer, MarkenG (4. Aufl. 2009), § 55 Rn. 28; Kochendörfer, WRP 2007, 258, 260. 115 Renck, GRURInt 1999, 132, 141 trifft sinngemäß diese allgemeine Aussage vor dem konkreten Hintergrund argentinischen Markenrechts. 116 OLG Hamburg, GRUR 1999, 339, 341. 117 BGH, GRUR 2003, 1047, 1048; anders noch OLG Köln, GRUR 1987, 530, 532; OLG Hamburg, GRUR 1999, 339, 341. 111

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III. Innere Tatsachen Der Anwendungsbereich der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast setzt sich mit der Gruppe der inneren Tatsachen fort, mag man über deren systematische Selbständigkeit auch streiten können. Eine besondere Erscheinungsform von Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungskreis bilden die inneren Tatsachen dann, wenn es um Kenntnisse, Vorstellungen, etc. einer anderen Person als der risikobelasteten Partei geht. So trägt der Mieter bei einem Schadensersatzverlangen wegen vorgeschobenen Eigenbedarfs die Behauptungs- und Beweislast für den im maßgeblichen Zeitpunkt fehlenden Selbstnutzungswillen des Vermieters.118 Dabei dürfe sich der Vermieter zur Vermeidung prozessualer Nachteile nicht darauf beschränken, die Behauptung des Mieters, der Vermieter habe im Zeitpunkt der Kündigung die Nutzung der Wohnung nicht ernsthaft beabsichtigt, einfach zu bestreiten.119 Im Rahmen des Zumutbaren könne von ihm insbesondere das substantiierte Bestreiten einer negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positivum sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden.120, 121 Um einen Sonderfall der negativen Tatsache geht es, wenn die entscheidungserhebliche innere Tatsache die Unkenntnis oder einen anderen inneren Zustand der risikobelasteten Partei selbst betrifft. So liegt es etwa bei der mangelnden Kenntnis des falsus procurator vom Fehlen seiner Vertretungsmacht in § 179 Abs. 2 BGB,122 bei der fehlenden Kenntnis des Hinterlegers von der gefahrdrohenden Beschaffenheit der hinterlegten Sache in § 694 BGB123 oder auch bei der fehlenden Kenntnis des Diensteanbieters von der Rechtsverletzung des Nutzers in § 10 Nr. 1 TMG.124 Schwierigkeiten der risikobelasteten Partei bei der Darlegung dieses Negativums begegnet man auch hier dadurch, dass im Anschluss an die Behauptung eigener Unkenntnis o.ä. der Gegner über die sekundäre Behauptungslast dazu angehalten wird, Umstände darzutun, aus denen sich ergibt, dass die innere Tatsache in der Person der risikobelasteten Partei doch vorlag.125 Diesen Vortrag kann der Gegner namentlich lie118

BGH, NJW 2005, 2395, 2397. BGH, NJW 2005, 2395, 2397. 120 BGH, NJW 2005, 2395, 2397. 121 Vgl. zum ähnlichen Fall der Arglist in § 28 VVG Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch, VVG (3. Aufl. 2015), § 28 Rn. 90. 122 Zur Behauptungs- und Feststellungslast des vollmachtlosen Vertreters siehe MünchKomm/Schubert, BGB (7. Aufl. 2015), § 179 Rn. 61. 123 Zur Behauptungs- und Feststellungslast des Hinterlegers siehe MünchKomm/Henssler, BGB (6. Aufl. 2012), § 694 Rn. 11. 124 Freilich trägt der Diensteanbieter hierfür nur nach der zutreffenden Mindermeinung die Behauptungs- und Feststellungslast. Die h.M. erlegt demgegenüber dem Verletzten die Behauptungs- und Feststellungslast für die Kenntnis des Diensteanbieters von der Rechtsverletzung auf, um letzteren von einem sonst notwendigen Negativbeweis zu entlasten, vgl. etwa Leible/Sosnitza/Staudinger, Versteigerungen im Internet (2004), Rn. 463. 125 Pankoke, MMR 2004, 211, 216 f. 119

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fern, indem er mögliche kenntnisbegründende Umstände benennt, beispielsweise den Zugang der Erklärung nach §§ 167 Abs. 1, 168 Satz 3 BGB beim falsus procurator.

IV. Weitere Fälle 1. Sachverständig erfassbare Tatsachen Darüber hinaus gewährt die h.M. der risikobelasteten Partei auch dann die Vorzüge aus den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast, wenn sie die dem Streit zugrunde liegenden Geschehnisse zwar unmittelbar selbst wahrgenommen hat, ihre Beurteilung und prozessverwertbare Aufbereitung jedoch Fachkenntnisse erfordert, über die sie selbst nicht, wohl aber der Gegner verfügt. Zu dieser Fallgruppe gehören etwa Arzthaftungsprozesse, in denen der Patient die Behandlung vollständig unmittelbar selbst wahrgenommen hat. An sich müsste er das Vorgehen des Arztes im Einzelnen schildern können. Sofern für die Beurteilung des Sachverhalts medizinisches Fachwissen notwendig ist – etwa wenn es im Rahmen der Frage nach dem Behandlungsfehler um den fachärztlichen Standard im Zeitpunkt der Behandlung geht –, kann der risikobelastete Patient dieses theoretisch ohne Weiteres extern einkaufen. Es kommt hinzu, dass er gemäß § 630g BGB einen Anspruch auf Zugang zu seinen Patientenakten hat, die die Behandlung ebenfalls in einer für den Fachmann nachvollziehbaren Form dokumentieren müssen.126 Dennoch ist im Ergebnis anerkannt, dass dem Patienten solche Anstrengungen bei seinem eigenen Sachvortrag nicht zuzumuten sind, er vielmehr nach den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast entlastet werden soll. So seien an den Vortrag des Patienten zum ärztlichen Behandlungsfehler nur maßvolle Anforderungen zu stellen.127 Hinreichende Anhaltspunkte für einen ärztlichen Fehler seien ausreichend, um der entsprechenden Behauptungslast zu genügen.128 Der Patient dürfe sich auf einen Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestatte.129 Hierfür reicht es im Zweifel bereits aus, wenn der Patient die Gesundheitsbeeinträchtigung, die medizinische Behandlung und den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen beiden vor126

Siehe nur Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 71. BGHZ 159, 245, 252; BGH, VersR 1981, 752; 2003, 1541, 1542; OLG Brandenburg, OLG-NL, 2006, 25, 26; Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 392; Terbille, Medizinrecht (2. Aufl. 2013), § 1 Rn. 277; Wenzel, Medizinrecht (3. Aufl. 2013), Rn. 7.73; a.A. offenbar Ahrens, NJW 1983, 2609, 2611, der das Informationsdefizit des Patienten im vorprozessualen Stadium beseitigen will. 128 Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 48. 129 BGHZ 159, 245, 252; OLG Celle, VersR 2007, 204, 205. 127

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

trägt;130 das gilt jedenfalls dann, wenn ein inhaltlicher Bezug nicht ausgeschlossen ist. Als Reaktion auf einen solchen Vortrag ist es dann Angelegenheit des in Anspruch genommenen Arztes, seinerseits einen konkreten Sachvortrag dazu zu liefern, dass er fachgerecht vorgegangen sei.131 Solchermaßen informiert könne dann der Patient seinerseits diesen Vortrag konkret angreifen und durch Sachverständigenbeweis überprüfen lassen. Im Ergebnis ähnlich verhält es sich beim Baumangel, bei dessen Vortrag sich der Besteller auf das Symptom beschränken darf, aus dem er den Mangel herleitet.132 2. Tatsachen im Wahrnehmungsbereich nur der risikobelasteten Partei Schließlich sind Rechtsprechung und h.M. zuweilen sogar so weit gegangen, mittels der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast diejenige Partei zu belasten, die außerhalb des zu beurteilenden Geschehens steht, und zwar zu Gunsten derjenigen Partei, deren unmittelbar eigenem Wahrnehmungsbereich die entscheidungserheblichen Tatsachen zugehören. In den zugrunde liegenden Fällen nahm jeweils der Insolvenzverwalter einer GmbH die Gesellschafter gemäß § 19 Abs. 1 GmbHG auf Erfüllung der Einlageschuld in Anspruch.133 Unterlagen, die die frühere Erfüllung der Einlageschuld hätten dokumentieren können, waren nicht vorhanden, entsprechende Aufbewahrungsfristen abgelaufen. Die insoweit behauptungs- und beweisbelasteten Gesellschafter134 wanden jeweils ohne weitere Konkretisierung ein, sie hätten ihrerzeit durch Überweisung auf eines der Konten der Gesellschaft ihre Schuld nach § 19 Abs. 1 GmbHG beglichen. Rechtsprechung und h.M. rückten hier die Beweisnot der Gesellschafter ins Zentrum ihrer Erwägungen. Sei die Einlageschuld bereits vor sehr langer Zeit fällig geworden, werde es infolge Zeitablaufs für den Gesellschafter immer schwerer, die Erfüllung im Einzelnen darzutun und nötigenfalls zu beweisen.135 Ohne positive Anhaltspunkte gegen die Erfüllung sei daher zu Gunsten des Gesellschafters 130

Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 392; a.A. Ahrens, NJW 1983, 2609, 2611. Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 48; Terbille, Medizinrecht (2. Aufl. 2013), § 1 Rn. 276. 132 BGH, NJW 1999, 1330, 1331; NJW-RR 1997, 1376; 2000, 309, 310; 2002, 743; ZfBR 1999, 255; s. auch Werner/Pastor, Der Bauprozess (14. Aufl. 2013), Rn. 1980. Im Bereich dieser Symptomrechtsprechung zu den Baumängeln ist freilich zu beachten, dass die Prozessgerichte häufig sogleich in die Beweisaufnahme übergehen, um die Ursachen des Symptoms und damit die subsumtionsfähigen Grundlagen für den Mangelbegriff von einem Sachverständigen ermitteln zu lassen. 133 Vgl. etwa BGH, DStR 2004, 2112; 2005, 297; NZG 2007, 790; OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 2001, 402; OLG Koblenz, NZG 2002, 821. 134 Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG (20. Aufl. 2013), § 19 Rn. 15; Wicke, GmbHG (3. Aufl. 2015), § 19 Rn. 8; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG (8. Aufl. 2015), § 19 Rn. 20; Voßen, DStR 2004, 1299, 1301. 135 OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 2001, 402 f. 131

§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast

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von einer ordnungsgemäßen Erfüllung der Einlageschuld auszugehen.136 Im Rahmen seiner sekundären Behauptungslast soll es daher dem Insolvenzverwalter – oder dem sonstigen Gläubiger – obliegen, konkrete Umstände dafür darzutun, dass die Einlageschuld nicht erfüllt sei.137 Gewiss handelt es sich bei den einschlägigen Fällen um eine sehr spezielle Konstellation, die zudem infolge der Anpassung der Verjährungsfrist an gesellschaftsrechtliche Aufbewahrungsfristen in dieser Form nicht mehr auftauchen kann.138 Dass die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast in diesen Konstellationen aber zeitweise praktisch erheblich werden konnten, zeigt, dass die Nähe zu den entscheidungserheblichen Informationen keinesfalls stets der tragende Beweggrund für das Entstehen einer sekundären Behauptungslast ist. Insoweit ist die Formel von Rechtsprechung und h.M. unvollständig.

C. Die dogmatische Einordnung: Umkehr der subjektiven Behauptungslast Eine Analyse dieser Fallgruppen zeigt, dass die sekundäre Behauptungslast die subjektive Behauptungslast umkehrt. So weist die subjektive Behauptungslast der risikobelasteten Partei nicht nur den Sachvortrag als Aufgabe zu. Vielmehr sagt sie in Anlehnung an die subjektive Beweislast darüber hinaus, dass ein Bestreiten nicht aufgestellter Behauptungen ebenso ins Leere geht wie der Gegenbeweis zur Erschütterung eines noch nicht erhobenen Hauptbeweises.139 Gegnerisches Bestreiten ist also unbeachtlich, solange die risikobelastete Partei ihre Behauptungen nicht vollständig vorgebracht hat. Daraus folgt zugleich, dass die Gegenbehauptung nicht stärker konkretisiert sein muss als die Behauptung, ja streng genommen sogar, dass vom Gegner etwaig vorgebrachte Einzelheiten so lange unbeachtlich sind, bis die risikobelastete Partei sie sich zu eigen macht. Wenn es zu § 138 Abs. 2 ZPO heißt, dass der Grad an Konkretisierung der Behauptung

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OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 2001, 402, 403. KG, NZG 2005, 46, 47; OLG Brandenburg, NZG 2006, 948, 949; Baumbach/Hueck/ Fastrich, GmbHG (20. Aufl. 2013), § 19 Rn. 15; Wicke, GmbHG (3. Aufl. 2015), § 19 Rn. 8; Michalski/Ebbing, GmbHG (2. Aufl. 2010), § 19 Rn. 41; Voßen, DStR 2004, 1299, 1303; Goette, DStR 2004, 2113; a.A. OLG Jena, NZG 2010, 68, 69. 138 S. oben § 1 D. I. 4. 139 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 44; zur Aussage der subjektiven Beweislast über das Verhältnis von Gegenbeweis und noch nicht erhobenem Hauptbeweis siehe Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 33; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 98; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 286 Rn. 52; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 5; Paulus, Zivilprozessrecht (5. Aufl. 2013), Rn. 275; Pohle, MDR 1949, 386. 137

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

darüber bestimme, wie konkret zu bestreiten sei,140 dann ist das Ausdruck exakt dieses Verhältnisses von Behauptung und Gegenbehauptung und damit von Behauptungs- und Gegenbehauptungslast. Dass die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast die subjektive Behauptungslast dadurch umkehren, dass die Gegenbehauptung deutlich konkreter auszufallen hat als die Initialbehauptung der risikobelasteten Partei, wird beim Sachvortrag im Arzthaftungsprozess besonders deutlich. Hier hat der Patient zunächst lediglich sehr allgemein zu Gesundheitsbeschädigung, Behandlungsfehler und dem Ursachenzusammenhang zwischen beiden vorzutragen, der Arzt hierauf jedoch detailliert zu erwidern.141 Auch der klassische Streit um den Bärenfang-Likör142 verdeutlicht diese dogmatische Verortung der sekundären Behauptungslast. Denn zum juristisch relevanten Kernbereich, ob nämlich die vom Werbenden verwandte Rezeptur tatsächlich ein altes ostpreußisches Familienrezept sei oder nicht, konnte der klagende Konkurrent direkt nichts vorbringen. Vielmehr beschränkte sich sein Vortrag zur Unternehmensgeschichte des Werbenden auf Indizien, die mit Mühe noch die Minimalanforderungen an die Schlüssigkeit des Klägervorbringens erreichten.143 Dennoch sah der Bundesgerichtshof den Werbenden bei Meidung der Rechtsfolge des § 138 Abs. 3 ZPO als gehalten an, die für die Beurteilung der Wahrheit seiner Werbeaussage maßgebenden tatsächlichen Umstände zu offenbaren; allenfalls für den Inhalt des Rezepts selbst könne ein berechtigtes Interesse an der Wahrung seiner Geschäftsgeheimnisse in Betracht kommen.144

140 BGH, NJW 1993, 3196; NJW-RR 1992, 278; NVwZ 2008, 110, 114 (insoweit in BGHZ 174, 48 nicht abgedruckt); NZBau 2011, 483, 484; DtZ 1993, 278, 280; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 8a; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 138 Rn. 18; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 36; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 349; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 412; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 38; Willingmann, VuR 1998, 75, 77; a.A. Freudenthal, Die sekundäre Behauptungslast (2008), 37. 141 Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 48; Terbille, Medizinrecht (2. Aufl. 2013), § 1 Rn. 276. 142 BGH, NJW 1962, 2149. 143 BGH, NJW 1962, 2149, 2150: „Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die Kl. stand (…) völlig außerhalb des tatsächlichen Geschehensablaufs, der für die Beurteilung der Wahrheit der Werbebehauptung in Betracht kommt. Sie konnte lediglich auf die Zweifelsgründe hinweisen, die sich daraus ergeben, daß die Bekl. stets in Köln ansässig gewesen war und nicht in unmittelbaren Beziehungen zu Ostpreußen gestanden hatte, und mußte sich im übrigen, da ihr eigene Mittel zur Aufklärung nicht zur Verfügung standen, auf eine Erklärung „mit Nichtwissen” beschränken. Ein weitergehender tatsächlicher Vortrag und das Angebot geeigneter Beweise war von ihr unter diesen Umständen nicht zu erwarten.“ 144 BGH, NJW 1962, 2149, 2150.

§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast

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D. Die sekundäre Behauptungslast und die Bewältigung des Informationsproblems I. Der Effekt auf das Informationsproblem Im praktischen Ergebnis mögen die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast das Informationsproblem der risikobelasteten Partei in Teilbereichen bewältigen können. Sofern der Gegner seiner sekundären Behauptungslast nachkommt, verschaffen sie der risikobelasteten Partei Zugang zu seinen Informationen. Hierdurch wird eine gewisse Nähe zu einer allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses hergestellt.145 In Teilbereichen bleibt der Effekt auf das Informationsproblem freilich von vornherein lückenhaft. Namentlich tragen die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast allenfalls wenig dazu bei, das Informationsproblem der mit dem Gegenbeweis belasteten Partei zu überwinden. Der Hauptbeweis ist geführt. Falls die entsprechend belastete Partei es zu leisten imstande ist, so wird sich in Bezug auf das dem Gegenbeweis zugrunde liegende Vorbringen jedenfalls eine geständnisgleiche Wirkung gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO häufig erübrigen. Der dem erfolgreichen Hauptbeweis zugrunde liegende Sachvortrag steht regelmäßig entgegen. Außer Betracht bleibt dabei der zentrale Aspekt, dass die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei die den Gegenbeweis ermöglichenden Tatsachen nach § 138 Abs. 1 ZPO nicht hätte verschweigen dürfen. Weil die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast sich, wenn überhaupt, zu wenig an § 138 Abs. 1 ZPO orientieren, können sie dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei auch nur in Teilen abhelfen.

II. Die Fragen nach Tatbestand und Konkurrenzen Im Übrigen herrscht große Ungewissheit über Tatbestand, Rechtsfolgen und dogmatische Rechtfertigung dieses prozessrechtlichen Instituts.146 1. Die Unvollständigkeit der gängigen Formel Unklarheiten bestehen bereits über den Tatbestand der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast. Die gängige Formel, die diesen Tatbestand offenbar beschreiben soll,147 erfasst von allen Anwendungsfällen lediglich diejenigen, bei denen es um Infor145 Wagner, ZEuP 2001, 441, 467; s. aber Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 150. 146 Vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 149. 147 Siehe oben A.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

mationen außerhalb des Wahrnehmungskreises der risikobelasteten Partei geht.148 Hingegen ist es nicht möglich, die weiteren Anwendungsgebiete der lediglich sachverständig erfassbaren oder der negativen Tatsachen in der Person der risikobelasteten Partei unter diese Formel zu subsumieren. Denn in diesen Konstellationen steht die risikobelastete Partei nicht außerhalb des darzulegenden Geschehens und ist – wenn auch gegebenenfalls nur unter Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe – in der Lage, die für einen substantiierten Vortrag erforderlichen Tatsachen aus eigener Kraft zu recherchieren. Erst recht kann die gängige Beschreibung des Tatbestands diejenigen Fälle nicht erklären, in denen die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast gezielt eine Partei belasten, die die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht selbst wahrgenommen hat, und zwar zu Gunsten einer anderen Partei, aus deren unmittelbar eigenem Wahrnehmungskreis die fraglichen Informationen stammen. 2. Die inkonsequente Anwendung der gängigen Formel Es kommt hinzu, dass die Rechtsprechung die gängige Formel von der sekundären Behauptungslast auch in ihrem direkten Anwendungsbereich nicht einheitlich anwendet. Teils wird diese Formel nämlich um das Vorliegen besonderer Umstände als offenes Korrektiv ergänzt.149 Es reiche nicht aus, dass der risikobelasteten Partei die Darlegung wesentlich schwerer falle als ihrem Gegner.150 Dies erschwert die Vorhersehbarkeit prozessgerichtlichen Handelns zusätzlich. Diese Unschärfe mag die Ursache dafür sein, dass die Rechtsprechung zuweilen keine sekundäre Behauptungslast annimmt, obwohl nur die nicht risikobelastete Partei über entscheidungserhebliche Informationen verfügt. Erinnert sei an das Eingangsbeispiel des vermeintlich übervorteilten Immobilienkäufers: So sollte der Verkäufer der betreffenden Großimmobilie, der sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, im Kaufvertrag die in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit tatsächlich erzielte Nettokaltmiete vorsätzlich zu hoch beziffert zu haben, weder als Drittbeteiligter noch gar als Partei dazu gehalten sein, sich im Einzelnen zu den Grundlagen zu äußern, anhand derer er den im Vertrag genannten Betrag ermittelt hatte.151

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LAG Niedersachsen, BeckRS 2002, 30464530, geht dementsprechend davon aus, dass es sich um den einzigen Anwendungsfall der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast handele. 149 BGH, NJW 1997, 128, 129; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 38. 150 BGH, NJW 1997, 128, 129; 2000, 1108, 1109; BAG, NZA 2010, 1006, 1008; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 38. 151 BGH, NJW 2007, 155 f. – obiter dictum.

§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast

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3. Das Verhältnis zu den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen Schließlich handhabt die Rechtsprechung das Verhältnis der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast zu materiellrechtlichen Ansprüchen auf Auskunft, Rechnungslegung, etc. uneinheitlich.152 So machte ein Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegenüber der Gesellschaft und seinen Mitgesellschaftern persönlich einen Anspruch auf Gewinnauszahlung in Höhe eines Teilbetrags von 65 000,– DM geltend, obwohl die ihm vorliegenden Bilanzen Verluste auswiesen.153 Zur Begründung seines Anspruchs trug er vor, die Gesellschaft habe in erheblichem Umfang Schwarzumsätze getätigt; über die Bilanzen hinaus werde ihm jedoch die Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Gesellschaft verweigert. Nach den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast sah der Bundesgerichtshof – trotz des Kontrollrechts nach § 716 Abs. 1 BGB154 – die Beklagten als bei Meidung der Rechtsfolge des § 138 Abs. 3 ZPO gehalten an, die näheren Einzelheiten, die zur konkreten, substantiierten Begründung des klägerischen Anspruchs erforderlich seien, von sich aus in den Prozess einzubringen.155 In einer Auseinandersetzung zwischen einem Handelsvertreter und einem Unternehmen sah der Bundesgerichtshof demgegenüber keinen Anlass, eine sekundäre Behauptungslast des Unternehmens zuzulassen. Hier sei der Handelsvertreter zunächst auf den Abrechnungsanspruch nach § 87c Abs. 1 HGB zu verweisen.156 Im Streit darüber, ob der Vermieter bei der Betriebskostenkalkulation das Wirtschaftlichkeitsgebot beachte, verneint der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf das Belegeinsichtsrecht des Mieters eine sekundäre Behauptungslast des Vermieters ebenfalls.157

III. Die Frage nach den Rechtsfolgen Ebenso wichtig wie die Frage nach dem auslösenden Tatbestand ist diejenige nach den Rechtsfolgen der sekundären Behauptungslast. Denn nur insoweit, als diese dem Gegner abverlangen, die bei ihm befindlichen Informationen preiszugeben, und sie ihn widrigenfalls mit der Folge des § 138 Abs. 3 ZPO belegen, können sie das Informationsproblem der risikobelasteten Partei bewältigen.

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Siehe Kiethe, MDR 2003, 781, 783 f. BGH, NJW 1999, 3485. 154 Dieses berechtigt jeden Gesellschafter zur Einsicht in alle Geschäftsunterlagen der Gesellschaft, siehe Staudinger/Habermeier, BGB (2003), § 716 Rn. 5. 155 BGH, NJW 1999, 3485, 3486. 156 BGH, NJW-RR 2007, 705, 707. 157 BGH, BeckRS 2011, 21481; dagegen Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht (11. Aufl. 2013), § 535 Rn. 116a; Streyl, NZM 2006, 125, 130; ders., NZM 2008, 23, 24. 153

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

So steht das konkrete Bestreiten bei der sekundären Behauptungslast stets unter allgemeinem Zumutbarkeitsvorbehalt.158 Nach konkreteren Kriterien, anhand derer sich im Einzelfall bemessen könnte, wie weit die sekundäre Behauptungslast reichte, sucht man indes vergebens. Erwartungsgemäß fallen die Entscheidungen entsprechend unterschiedlich aus. Gerade die frühe Rechtsprechung hatte ein weites Verständnis von den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast. So verlangte das Reichsgericht von der Vereinigte Photokopierapparate GmbH, dass diese sämtliche wesentlichen Unterlagen beizubringen habe, die dem Gericht des Wettbewerbsprozesses die Prüfung ermöglichen, ob die Firmenwahl zu Recht erfolgt sei.159 In der Bärenfang-Entscheidung160 des Bundesgerichtshofs sollte der auf Unterlassung in Anspruch genommene Werbende sämtliche tatsächlichen Umstände offenbaren, die für die Beurteilung maßgebend seien, ob er tatsächlich Bärenfang nach einem alten ostpreußischen Familienrezept produziere.161 In anderen Konstellationen erkannte die Rechtsprechung den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast hingegen nur eine sehr viel geringere Reichweite zu. So genügte in BGH, NJW 1999, 2887 der Kondiktionsschuldner seiner sekundären Behauptungslast gegenüber dem Testamentsvollstrecker bereits dadurch, dass er ausführte, der Rechtsgrund bestehe in einer Schenkung und diese sei an einem bestimmten Tag erklärt worden.162, 163 Und 158

Siehe nur BGH, NJW 1999, 2887, 2888: „(…) während der Gegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind.“ 159 RGZ 166, 240, 242, als Grundlage nannte das Reichsgericht § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 242 BGB. 160 BGH, NJW 1962, 2149. 161 BGH, NJW 1962, 2149, 2150, allenfalls für den Inhalt des Rezepts selbst zieht der Bundesgerichtshof ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse in Betracht, lässt die Frage aber offen. Die These des Reichsgerichts, wonach § 138 Abs. 1 ZPO mit seiner Verpflichtung zum vollständigen Vortrag Grundlage dieser sekundären Behauptungslast sei, hatte der Bundesgerichtshof bereits zuvor korrigiert (BGH, NJW 1961, 826, 828: „Eine Pflicht oder Last des Bekl. zum substantiierten Bestreiten besteht nicht schlechthin; sie ist insbesondere nicht aus dem in § 138 Abs. 1 ZPO enthaltenen Gebot vollständiger Erklärung abzuleiten; die Pflicht zur Vollständigkeit bedeutet nur, daß die Parteien bei der Schilderung des von ihnen Darzulegenden redlich vorgehen und nicht bloß das ihnen Günstige heraussuchen, alles andere dagegen verschweigen dürfen […].“). 162 BGH, NJW 1999, 2887, 2888: „Um sich dazu zu erklären, ob die von P zugunsten des Kl. getätigten Überweisungen und die von dem Kl. nach bevollmächtigten Abhebungen erfolgte Übertragung mit oder ohne Rechtsgrund erfolgt sind, bedurfte der Bekl. lediglich der nachvollziehbaren Angabe, daß es zu einem Schenkungsversprechen des P dem Kl. gegenüber gekommen sei, zu dessen Erfüllung die Abhebungen und die Überweisungen getätigt worden seien. Diese Darlegung konnte dem vom BerGer. wiedergegebenen Vorbringen des Kl. im Schriftsatz vom 9.1.1995 ohne Weiteres entnommen werden. Ersichtlich sollte damit gesagt sein, P habe dem Kl. am 2.1.1991 die schenkweise Zuwendung der streitigen Beträge versprochen; deshalb habe der Kl. in der Folgezeit diese Beträge mit Einverständnis des Erblassers abgehoben bzw. im Wege der Überweisung durch P erhalten, so daß die Schenkung vollzogen sei.“ 163 An der Beweislast des Kondiktionsgläubigers in diesem Fall haben zahlreiche Vertreter der Literatur Kritik geübt. Nachdem der Empfänger sich als Rechtsgrund auf eine Schenkung

§ 4 Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast

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auch in der Pressedienst-Entscheidung164 verfuhr der Bundesgerichtshof eher zurückhaltend, was die Reichweite der sekundären Behauptungslast anbelangt. Dort stritten die Parteien im Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 UWG165 über die Wahrheit folgender Werbeaussage des Beklagten: „Für die ständige Mitarbeit konnten neben zahlreichen bekannten Juristen auch über 80 Bundesrichter, Oberlandesgerichtspräsidenten, Generalstaatsanwälte, Präsidenten von Landgerichten, Landesarbeitsgerichten, Landessozialgerichten, Verwaltungsgerichtshöfen, Finanzgerichten usw. gewonnen werden.“ Die sekundäre Behauptungslast des Beklagten führe dazu, dass dieser zwar die Zahl der Beiträge Leistenden zu nennen habe, deren Namen jedoch verschweigen dürfe.166

IV. Die Frage nach der dogmatischen Rechtfertigung Das zentrale Problem der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast besteht allerdings in der fehlenden dogmatischen Basis.167 Wie eingangs dieses Abschnitts erwähnt, wäre dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei auf der Vortragsebene bereits dadurch abgeholfen, dass man sich für die Schlüssigkeit bzw. Erheblichkeit mit einem eher pauschalen Vorbringen begnügt. Schon dadurch wäre eine Entscheidung zu ihren Lasten aufgrund der objektiven Behauptungslast ausgeschlossen. Der Last des Gegners zur überschießend konkreten Gegenbehauptung bedarf es für die Behebung dieses Informationsproblems nicht mehr. Vielmehr dient diese – was Rechtsprechung und h.M. auch nicht verhehlen – dazu, die Beweisführung zu erleich164 berufen habe, trage dieser wegen § 518 Abs. 2 BGB die Beweislast für die Formwirksamkeit der Schenkung (BeckOK/Wendehorst, BGB [37. Ed. 2015], § 812 Rn. 272; MünchKomm/J. Koch, BGB [6. Aufl. 2012], § 518 Rn. 22; Staudinger/S. Lorenz, BGB [2007], § 812 Rn. 92; Wacke, AcP 191 [1991], 1, 11; ders., ZZP 114 [2001], 77, 94; Böhr, NJW 2001, 2059, 2061; differenzierend Schiemann, JZ 2000, 570, 571). Dafür sprechen gute Gründe und der Bundesgerichtshof hat sich der Kritik später insoweit angeschlossen, als es um eigenmächtige Abhebungen ging, die vorgeblich auf einer mündlichen Schenkungsabrede beruhten (BGHZ 169, 377, 383). Diese Kontroverse berührt die Bedeutung dieser Entscheidung für die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast jedoch nicht. Denn erst aufgrund seiner sekundären Behauptungslast war der Sohn als Kondiktionsschuldner dazu angehalten, Angaben über mögliche Rechtsgründe zum Behaltendürfen zu machen. Dürfte er – wie es der Grundkonzeption der h.M. an sich entspräche – hierzu vollständig schweigen und sich auf die fehlende Schlüssigkeit Vortrags des Gläubigers verlassen, dann stünde ein Schenkungsvertrag gar nicht erst im Raum und die Frage nach der Beweislast für dessen Formwirksamkeit stellte sich nicht. 164 BGH, NJW 1961, 826. 165 Diese Form der Irreführung war damals noch in § 3 UWG geregelt. 166 BGH, NJW 1961, 826, 828. 167 Wagner, ZEuP 2001, 441, 467.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

tern und damit das Informationsproblem auf der nachgelagerten Beweisebene zu mildern.168 Die h.M. äußert sich nicht dazu, welche Erwägungen jenseits vager Gerechtigkeitspostulate169 dieses Vorgehen rechtfertigen sollten. Dieser Rückzug auf die Gebote von Treu und Glauben ist nicht nur dogmatisch unergiebig. Er hinterlässt zudem ein völlig ungeklärtes Verhältnis zur Regel nemo tenetur edere contra se, die – ebenfalls nach Rechtsprechung und h.M. – auf der Beweisebene doch das zentrale Wertungskriterium zu Lasten der risikobelasteten Partei sein soll. Anders gewendet: Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast sollen die risikobelastete Partei von den Folgen genau derjenigen Regel befreien, in der die h.M. selbst einen tragendenen Gerechtigkeitsaspekt des Beweisrechts erblickt. Hier mag man argumentieren, dass ein Beharren des Gegners auf nemo tenetur edere contra se im Einzelfall schikanös sein kann. Doch müssen dann diejenigen Gesichspunkte herausgearbeitet werden, die das Schikanöse im Kern ausmachen. Hiervon sieht die h.M. jedoch ab. Folglich bleibt festzustellen, dass die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast und nemo tenetur edere contra se einander widersprechen.

Zwischenergebnis Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast sind systematisch auf der Vortragsebene verortet. Sie wirken dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei mit zwei Ansatzpunkten entgegen. Auf der Vortragsebene geschieht dies, indem sie einen lediglich pauschalen Initialvortrag für ausreichend erklären. Wenigstens für den Anwendungsbereich der sekundären Behauptungslast räumt die h.M. damit die Ungewissheiten aus, die sie bei der Formulierung der allgemeinen Anforderungen an das schlüssige Parteivorbringen belassen hat. Indem die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast darüber hinaus den Gegner dazu anhalten, auf pauschales Vorbringen konkret und gegebenenfalls detailliert zu erwidern, kehren sie die subjektive Behauptungslast um. Dies dient im Ergebnis dazu, das Informationsproblem der risikobelasteten Partei auf der Beweisebene abzumildern. Insoweit besteht das dogmatische Dilemma der h.M. darin, dass dieses Bestreben mit ihrem Verständnis von 168 BGHZ 171, 232, 239 f.; BGH, NJW 1999, 2887, 2888; BeckRS 2012, 4076; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 103; Römer/Langheid/Rixecker, VVG (4. Aufl. 2014), § 28 Rn. 30; MünchKomm/Reiff, VVG (2. Aufl. 2016), § 63 Rn. 47; Kiethe, JZ 2005, 1034, 1035. 169 RGZ 166, 240, 242; BGH, NJW 1961, 826, 828; 1962, 2149, 2150; OLG Köln, NJW-RR 1997, 98; OLG München, GRUR-RR 2007, 345, 346; ZUM 2010, 459; Wandtke/Bullinger/ Bohne, UrhG (4. Aufl. 2014), § 99 UrhG Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/von Rintelen, Versicherungsrecht (2. Aufl. 2009), § 23 Rn. 87.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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nemo tenetur edere contra se unvereinbar ist. Auch im Übrigen machen Unklarheiten in Tatbestand, Rechtsfolge und Konkurrenzen die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast zu einem schwer prognostizierbaren Institut des Zivilprozessrechts.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung A. Die Beweisvereitelung: Funktionsweise und Formel der h.M. In Zusammenhang mit den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast war festzustellen, dass diese – obschon systematisch ein Bestandteil der Vortragsebene – jedenfalls auch das Informationsproblem der risikobelasteten Partei auf der Beweisebene abmildern sollen. Dieses Bestreben setzt sich in einem weiteren richterrechtlichen Institut fort, das auch systematisch zur Beweisebene gehört, namentlich in den Grundsätzen über die Beweisvereitelung.170 Hierzu formulieren Rechtsprechung und h.M. allgemein: Wenn jemand seinem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwere oder unmöglich mache,171 dann könnten sich zu Gunsten des Gegners Beweiserleichterungen ergeben,172 die bis zur Umkehr der Beweislast gehen könn-

170 Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 507; E. Schneider, MDR 1969, 4; E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 201; Schlosser, JZ 1991, 599, 604; Paulus, AcP 197 (1997), 136, 137 f. 171 BGH, NJW 1980, 887, 888; 1986, 59, 60; 1993, 1391, 1393; 1994, 1594, 1595; 1997, 3311, 3312; 1998, 79, 81; 2004, 222; 2006, 434, 436; 2008, 982, 985; 2009, 360, 361; 2011, 778, 780; NJW-RR 1996, 883, 885; 2000, 1471, 1472; OLG Bamberg, VersR 1971, 32; OLG Köln, NZV 1992, 365, 366; OLG Celle, NJW-RR 1997, 568, 570; OLG Dresden, OLG-NL 2001, 97, 101; OLG Braunschweig, NZBau 2004, 550, 552; OLG München, VersR 2008, 1521, 1522; BeckRS 2011, 10312; OLG Frankfurt/Main, BeckRS 2010, 10369; OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.3.2002 – 7 U 436/00 [juris]; Urt. v. 17.2.2004 – 4 U 411/03 [juris]; vgl. auch bereits RGZ 60, 147, 152; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 286 Rn. 17; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 284 Rn. 89; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 286 Rn. 14a; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 80; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast/ Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 11 Rn. 2; Nikisch, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1952), 324; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 382; Krapoth, Die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung (1996), 24; Yoshida, Informationsbeschaffung im Zivilprozeß (2001), 41; Liceni-Kierstein, FPR 2010, 140, 142. 172 BGHZ 72, 132, 139; BGH, NJW 1986, 2426, 2428; 1988, 200, 203; 2002, 825, 827; 2004, 222, 223; 2008, 982, 985; 2011, 778, 780; NJW-RR 1989, 160, 162 f.; 2005, 1051, 1052; 2009, 995, 996; VersR 1976, 136, 138; 1981, 42, 43; NZM 2005, 700, 701; OLG Köln, NJW-RR 1986, 222, 223; 1989, 439, 440; OLG Dresden, OLG-NL 2001, 97, 101; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 286 Rn. 18; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 286 Rn. 14a; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 286 Rn. 188; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 20; Michalski, NJW 1991, 2069, 2070; Liceni-Kierstein, FPR 2010, 140, 142.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

ten.173 Unmöglichkeit oder Erschwerung der Beweisführung liege danach vor, wenn die vereitelnde Partei vorhandene Beweismittel vernichte, vorenthalte oder ihre Benutzung erschwere. Das Gleiche gelte, wenn sie zumindest fahrlässig die Aufklärung eines bereits entstandenen Schadensereignisses unterlasse, um dadurch die Entstehung eines Beweismittels zu verhindern, obwohl die spätere Notwendigkeit einer Beweisführung dem Aufklärungspflichtigen bereits erkennbar gewesen sein müsse.174 Zentrales Element der Beweisvereitelung ist das doppelte Verschulden, das sowohl die Vorenthaltung oder Vernichtung des Beweismittels als auch die Verunmöglichung der gegnerischen Beweisführung erfassen muss.175 Als dogmatische Rechtfertigung für die Konstruktion dieses allgemeinen prozessrechtlichen Instituts der Beweisvereitelung dient abermals wenig mehr als ein Hinweis auf Treu und Glauben.176

173 BGHZ 6, 224, 227; BGH, NJW 1983, 2935, 2936; 1986, 59, 61; 1986, 2426, 2428; 1994, 1594, 1595; 1998, 79, 81; 2002, 825, 827; 2006, 434, 436; 2008, 982, 985; 2009, 360, 362; 2011, 778, 780; NJW-RR 1989, 160, 162 f.; 1996, 883, 885; 2005, 1051, 1052; 2010, 1378, 1380; VersR 1976, 136, 138; 1981, 42, 43; OLG Celle, VersR 1966, 870, 871; NJW-RR 2002, 1675, 1676; OLG Bamberg, VersR 1971, 32; OLG Köln, NJW-RR 1986, 222, 223; 1989, 439, 440; OLG München, NJW-RR 1989, 1371; BeckRS 2011, 6253; OLG Dresden, OLG-NL 2001, 97, 101; Thomas/ Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 286 Rn. 17; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 284 Rn. 93; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 286 Rn. 188; Nikisch, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1952), 324; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 20; Michalski, NJW 1991, 2069, 2070; Liceni-Kierstein, FPR 2010, 140, 142. 174 BGH, NJW 1997, 3311, 3312 f.; LG Dresden, BeckRS 2011, 2838; Laumen, MDR 2009, 177; mit leichten Abweichungen im Wortlaut auch BGH, NJW 1983, 2935, 2936 f.; 1998, 79, 81; 2004, 222; 2009, 360, 361 f.; 2011, 778, 780; NZM 2005, 700, 701; OLG Köln, NJW-RR 1989, 439, 440; der Sache nach auch BGHZ 99, 391, 396 f.; BGH, LM Nr. 2 zu § 282 ZPO; NJW 1960, 821; 2002, 825, 827; OLG München, NJW-RR 1987, 1021; BeckRS 2011, 10312; OLG Celle, NJW-RR 1997, 568, 570; OLG Saarbrücken, BeckRS 2005, 383. 175 BGH, NJW 1986, 59, 60 f.; 1994, 1594, 1595; 1998, 79, 81; 2004, 222; 2006, 434, 436; 2008, 982, 985; 2009, 360, 361 f.; NJW-RR 1996, 1534; OLG Köln, NJW-RR 1997, 98, 99; OLG München, BeckRS 2011, 6253; OLG Saarbrücken, Urt. v. 17.2.2004 – 4 U 411/03 [juris]; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 82; Nikisch, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1952), 324; ähnlich bereits BGH, NJW 1967, 2012, 2013. 176 RGZ 60, 147, 152 („Verhalten […], das wider Treu und Glauben verstößt und nach dem allgemeinen Rechtsempfinden als verwerflich erscheint.“); BGHZ 99, 391, 397; BGH, NJW 1986, 2371, 2372; 1998, 79, 81; 2011, 778, 780; NJW-RR 1988, 962, 964; 2000, 1471, 1472; VersR 1981, 42, 43; WM 1967, 1042, 1044; OLG Karlsruhe, NJW 1990, 2319, 2321; VersR 1975, 741; Urt. v. 17.2.1988 – 7 U 32/87 [juris]; OLG München, NJW-RR 1988, 1534, 1535; OLG Düsseldorf, VersR 1995, 107; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1095, 1096; OLG Celle, NJW-RR 1997, 568, 570; 2002, 1675, 1676; KG, IPrax 2004, 255, 258; OLG Saarbrücken, Urt. v. 17.2.2004 – 4 U 411/03 [juris]; Musielak/Borth/Borth/Grandel, FamFG (4. Aufl. 2013), § 30 Rn. 8; Staudinger/Rauscher, BGB (2011), Vorbem. zu §§ 1591 bis 1600d Rn. 71; Hölters, AktG (2. Aufl. 2014), § 93 Rn. 270.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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B. Die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung I. Der Effekt der gesetzlichen Regeln auf das Informationsproblem Dennoch haben sich die Grundsätze über die Beweisvereitelung als allgemeines Institut des Beweisrechts keineswegs völlig abseitig und losgelöst von gesetzlichen Bestimmungen entwickelt. Vielmehr hält das geschriebene Zivilprozessrecht einzelne Bestimmungen bereit, die gemeinhin unter dem Begriff „Beweisvereitelung“ zusammengefasst werden.177 Für den Urkundsbeweis sind dies namentlich §§ 422, 423, 441 Abs. 3 Satz 2 ZPO, die über die Verweisung des § 371 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch für den Augenscheinsbeweis gelten. Diese Vorschriften benennen die Voraussetzungen, unter denen der Gegner verpflichtet ist, Urkunden bzw. Augenscheinsobjekte vorzulegen. Kommt er dieser Pflicht nach, hat er der risikobelasteten Partei Informationen zur Verfügung gestellt, die diese zur erfolgreichen Prozessführung benötigt. Weigert er sich oder unterlässt er die gebotenen Anstrengungen, die Urkunde bzw. das Augenscheinsobjekt beizuschaffen, greift § 427 ZPO ein. Nach § 427 Satz 2 ZPO kann das Prozessgericht dann im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung die Behauptungen des Gegners über den Aussagegehalt des Beweismittels als bewiesen annehmen.178 Ebenso verhält es sich nach § 444 ZPO, wenn der Gegner eine Urkunde beseitigt oder sonst zur Benutzung untauglich macht, und zwar mit dem Ziel, sie der risikobelasteten Partei zu Beweiszwecken zu entziehen.179 Vergleichbar sind die Regelungen der §§ 445, 446, 452 Abs. 1 Satz 1 ZPO über die Parteivernehmung. Danach kann die risikobelastete Partei für den ihr obliegenden Beweis subsidiär180 die Vernehmung des Gegners beantragen. Zwar ist der Gegner nicht in dem Sinn zur Aussage verpflichtet, dass seine Aussage erzwingbar wäre.181 Doch kann das Prozessgericht gemäß § 446 ZPO die Weigerung einschließlich der vorgebrachten Gründe im Rahmen des § 286 177 Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 427 Rn. 2; Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 427 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 427 Rn. 1; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 382; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 507. 178 BeckOK/Krafka, ZPO (19. Ed. 2015), § 427 Rn. 4; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 427 Rn. 3; Blomeyer, AcP 158 (1959/1960), 97, 98; Michalski, NJW 1991, 2069, 2070; a.A. Nikisch, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1952), 324. 179 Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 444 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 444 Rn. 5; Blomeyer, AcP 158 (1959/1960), 97, 98; a.A. Nikisch, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1952), 324. 180 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Vor § 445 Rn. 1; BeckOK/Bechteler, ZPO (19. Ed. 2015), § 445 Rn. 3; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 445 Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 123 Rn. 8; kritisch zu dieser Regelung Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), 269, 291 f.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), 295, 304. 181 BGH, NJW 2005, 3773, 3774; BeckOK/Bechteler, ZPO (19. Ed. 2015), § 446 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 446 Rn. 1.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

ZPO frei zu seinem Nachteil würdigen.182 Unter den Voraussetzungen des § 452 Abs. 1 ZPO kann das Prozessgericht darüber hinaus die Beeidigung der Parteiaussage anordnen; verweigert die Partei den Eid, verweist § 453 Abs. 2 ZPO auf § 446 ZPO. Verweigert die gegnerische Partei die Aussage oder den Eid nicht ausdrücklich, sondern bleibt dem jeweiligen Termin schlichtweg fern, folgt die entsprechende Beweiswürdigungsbefugnis des Prozessgerichts aus § 454 ZPO.183

II. Die inhaltlichen Beschränkungen Doch ordnen die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung damit nur auf den ersten Blick eine eher weitgehende Mitwirkung des Gegners an der Beweisführung der risikobelasteten Partei an. 1. Urkunde und Augenscheinsobjekt: Die anderweitig angeordnete Auskunftspflicht a) Die Grundregel des § 422 ZPO Zentral ist in diesem Zusammenhang § 422 ZPO.184 Danach ist der Gegner zur Vorlegung einer Urkunde verpflichtet, wenn der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Herausgabe oder die Vorlegung der Urkunde verlangen kann. Nur dann, wenn ein solcher materiellrechtlicher Herausgabe- oder Vorlegungsanspruch besteht, kann ein Vorlegungsantrag der risikobelasteten Partei nach § 424 ZPO erfolgreich sein und zu einer Vorlegungsanordnung nach § 425 ZPO oder einer Vernehmung über den Verbleib nach § 426 ZPO führen. § 422 ZPO begründet damit keinen selbständigen prozessrechtlichen Anspruch der risikobelasteten Partei auf Zugang zu Beweismitteln, die sich beim Gegner befinden.185 Für die risikobelastete Partei tritt dabei die Schwierigkeit hinzu, dass sie die Urkunde im Rahmen des § 424 Nr. 1 ZPO substantiiert bezeichnen muss. Die h.M. legt hier strenge Maßstäbe an. Die Urkunde sei anhand objektiver Merkmale so exakt zu bezeichnen, dass über deren Identität kein Zweifel aufkommen könne.186 Wesentliche Unterscheidungsmerkmale sind dabei etwa das Da182 BGH, NJW 2005, 3773, 3774; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 446 Rn. 1; Stein/ Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 446 Rn. 6. 183 BGH, NJW 2005, 3773, 3774. 184 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 138. 185 Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 422 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 422 Rn. 1; Krapoth, Die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung (1996), 19; teilweise abweichend Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten (2008), 86. 186 BeckOK/Krafka, ZPO (19. Ed. 2015), § 424 Rn. 4; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 424 Rn. 4.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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tum und der Aussteller.187 Häufig hat die risikobelastete Partei Schwierigkeiten, diesen Anforderungen zu genügen. So war etwa im Rahmen des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG ein Vorlegungsantrag wegen mangelnder Substantiierung erfolglos, bei dem ein ausgeschiedenes Vorstandsmitglied sich auf Umsatzprognosen für ein bestimmtes Geschäftsjahr bezog, die es der Gesellschaft nach eigenem Bekunden überlassen hatte.188 Nach Auffassung des Gerichts bleibe bei dieser Bezeichnung im Dunkeln, um welche konkreten Unterlagen es sich gehandelt haben solle.189 b) Die Ausnahme gemäß § 423 ZPO Anders verhält es sich hingegen bei § 423 ZPO. Danach ist die nicht risikobelastete Partei verpflichtet, diejenigen bei ihr befindlichen Urkunden vorzulegen, auf die sie im Prozess zur Beweisführung Bezug genommen hat. Die h.M. sieht hierin eine originäre prozessrechtliche Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei.190 Ihr Anwendungsbereich und damit ihre Eignung zur Bewältigung des Informationsproblems sind jedoch denkbar gering. Die Ursache liegt darin, dass § 423 ZPO nur dann eingreifen soll, wenn die nicht risikobelastete Partei auf die Urkunde gerade zu Beweiszwecken Bezug nimmt, die Urkunde also als Beweismittel verwenden will.191 Die bloße Bezugnahme auf den Inhalt zum Zwecke des Bestreitens soll hingegen nicht

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Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 424 Rn. 2. OLG Düsseldorf, BeckRS 2009, 25547. 189 OLG Düsseldorf, BeckRS 2009, 25547; insoweit von BGH, NZG 2011, 549, 551, unbeanstandet: „Allerdings hat der Bekl. entgegen den Auflagen des BerGer. weder seine schriftliche Umsatzplanung für 2003 vorgelegt noch deren Inhalt vorgetragen. Deshalb ist unklar geblieben, welche Zahlen er seiner Umsatzprognose zu Grunde gelegt hat. Er hat aber eine Umsatzplanung für das Jahr 2004 vorgelegt und unter Beweisantritt behauptet, eine ebensolche für das Jahr 2003 erstellt und den Partnern überlassen zu haben. Außerdem hat er schriftliche „Umsatz-Budgets“ mit Schätzungen der „Honorarumsätze“ der einzelnen Mitarbeiter für die Jahre 2003, 2004 und 2005 vorgelegt. Das BerGer. differenziert nicht zwischen den Jahren 2003, 2004 und 2005, sondern hält den Vortrag des Bekl. insgesamt für unsubstanziiert. Das ist fehlerhaft. Es hätte jedenfalls darlegen müssen, ob es angesichts der Umsatzprognose für 2004 auf die Zahlen für 2003 überhaupt noch ankommt. Gegebenenfalls hätte es durch Zeugenvernehmung aufklären müssen, ob der Bekl. auch für 2003 eine solche Prognose erstellt und vorgelegt hat.“ 190 Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 423 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 423 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 423 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 423 Rn. 1; vgl. auch BGHZ 173, 23, 30; Musielak/ Voit/M. Huber, ZPO (8. Aufl. 2011), § 423 Rn. 1; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten (2008), 86. 191 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 423 Rn. 1; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 423 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 423 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 423 Rn. 1; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten (2008), 87; a.A. Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 423 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 423 Rn. 4; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 101. 188

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

ausreichen.192 Wenn aber die Beweisführungslast zwischen den Parteien erst in dem Moment wechselt, in dem der Hauptbeweis vorläufig erfolgreich geführt ist,193 dann kann § 423 ZPO über etwaige Informationsprobleme bei der Führung ebendieses Hauptbeweises nicht hinweghelfen. Vielmehr erfasst die Vorschrift bei dieser Sichtweise zunächst nur Informationen für die Führung des Gegenbeweises. Insoweit gelangt die Urkunde auch nicht über § 423 ZPO in den Prozess, sondern über den Beweisantritt der mit der Führung des Gegenbeweises belasteten Partei. Als eigenständiger Anwendungsbereich des § 423 ZPO verbleiben somit lediglich noch diejenigen Fälle, in denen der Gegner vorsorglich einen Gegenbeweis zum Hauptbeweis der risikobelasteten Partei antritt, den diese zwar beantragt, das Prozessgericht aber noch nicht erhoben hat. In dieser Situation soll nämlich der Gegenbeweis erhoben werden dürfen, obwohl die Beweisführunglast noch nicht von der einen Partei auf die andere gewechselt ist.194 In diesen verbleibenden Konstellationen wird das Informationsproblem der risikobelasteten Partei regelmäßig deshalb nicht sonderlich schwer wiegen, weil sie immerhin in der Lage war, den Hauptbeweis anzutreten. Ein Informationsproblem der mit dem Hauptbeweis belasteten Partei bewältigt § 423 ZPO tatsächlich nur dann, wenn der angebotene Hauptbeweis zulässigerweise auf Vernehmung des Gegners nach § 445 Abs. 1 ZPO lautet und der Gegner bereits Gegenbeweismittel angeboten hat.195 Freilich bleibt in diesem Fall immer noch zu beachten, dass der Gegner den Inhalt seines eigenen Vortrags steuern und sich – sofern er rational und sorgfältig handelt – davor hüten wird, sich zu eigenen Beweiszwecken auf Dokumente zu berufen, die im Ergebnis die Sache des Gegners betreiben. Danach kann § 423 ZPO letztlich nicht attestiert werden, einen nennenswerten Beitrag zur Bewältigung des Informationsproblems der risikobelasteten Partei zu leisten. 2. Die Beschränkungen der Parteivernehmung gemäß § 445 ZPO Nachdem die für Urkunden geltenden Regeln wegen § 371 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch auf Augenscheinsobjekte Anwendung finden, bleiben von den gesetzlich geregelten Fällen der Beweisvereitelung schließlich noch §§ 446, 453 Abs. 2, 454 ZPO zu betrachten.

192 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 423 Rn. 1; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten (2008), 87; vgl. auch RGZ 69, 401, 405. 193 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 5. 194 Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 33; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 5. 195 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 445 Rn. 17.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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a) Allgemeine Voraussetzungen der Parteivernehmung gemäß § 445 ZPO § 445 ZPO verpflichtet den Gegner der mit der Führung des Hauptbeweises belasteten Partei196 unabhängig davon zur Aussage, ob er materiellrechtlich zur Erteilung der begehrten Auskunft verpflichtet ist. Auch indirekt existiert kein entsprechender Vorbehalt. Zwar ist die Vernehmung des Gegners nur dann zulässig, wenn die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei diesen Beweis mit anderen Beweismitteln nicht vollständig geführt oder andere Beweismittel nicht vorgebracht hat. Diese Subsidiarität der Vernehmung nach § 445 Abs. 2 ZPO macht den Vernehmungsantrag jedoch selbst in solchen Fällen nicht unzulässig, in denen die risikobelastete Partei über andere Beweismittel zwar verfügt, diese aber bislang nicht vorgebracht hat.197 Sie setzt sich lediglich der Gefahr aus, dass das Prozessgericht im Anschluss an die Gegnervernehmung präsentierte Beweismittel gemäß § 296 ZPO oder § 531 Abs. 2 ZPO wegen Verspätung zurückweist.198 Folglich ist der Antrag nach § 445 Abs. 1 ZPO erst recht zulässig, wenn andere Beweismittel zwar (potentiell) existieren, die risikobelastete Partei aber keinen Zugang zu ihnen hat. § 445 Abs. 1 ZPO mag zwar keine Pflicht des Gegners begründen, sich im Rahmen seiner Vernehmung zur Sache einzulassen.199 Wenn sein Schweigen aber gemäß § 446 ZPO in der Beweiswürdigung zu seinem Nachteil zu wirken droht, dann entfaltet diese Drohung jedenfalls einen mittelbaren Zwang, bei ihm lagernde Informationen preiszugeben oder aber Informationsprobleme des Gegners durch unwahres Bestreiten gar nicht erst auszulösen. Zumindest für die objektiv beweisbelastete Partei kommt § 445 Abs. 1 ZPO danach prin196

MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 445 Rn. 8; gemäß § 445 Abs. 2 ZPO steht die Vernehmung nicht zur Führung des Gegenbeweises zur Verfügung, BeckOK/Bechteler, ZPO (19. Ed. 2015), § 445 Rn. 9; a.A. Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 445 Rn. 9; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 445 Rn. 24, die die Parteivernehmung zur Erschütterung des Anscheinsbeweises zulassen wollen. Dies sei notwendig, weil der Gegenteilsbeweis nach § 292 Satz 2 ZPO auch nach § 445 Abs. 1 ZPO geführt werden könne und der Anscheinsbeweis keine stärkere Wirkung bekommen dürfe als eine gesetzliche Vermutung. Dieses Argument überzeugt jedenfalls dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass der Anscheinsbeweis zur vollen Überzeugung des Prozessgerichts führt (Zöller/Greger, ZPO [31. Aufl. 2016], Vor § 284 Rn. 29; MünchKomm/Prütting, ZPO [4. Aufl. 2013], § 286 Rn. 52 f.; a.A. Musielak/Voit/Foerste, ZPO [13. Aufl. 2016], § 286 Rn. 24; Stein/Jonas/Leipold, ZPO [22. Aufl. 2008], § 286 Rn. 133), wohingegen die gesetzliche Vermutung die objektive Beweislast verteilt (vgl. nur Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht [17. Aufl. 2010], § 113 Rn. 34). Dem Anscheinsbeweis die volle Beweiswirkung des § 286 ZPO zuzuerkennen ist deshalb vorzugswürdig, weil andernfalls nicht erklärlich wäre, mit welcher Berechtigung dem Anscheinsbeweis ein Gegenbeweis entgegengesetzt werden müsste, um dessen Wirkungen zu beseitigen. Für eine generelle Absenkung des Regelbeweismaßes entbehrt das Gesetz einer tragfähigen Grundlage (MünchKomm/Prütting, ZPO [4. Aufl. 2013], § 286 Rn. 53). 197 MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 445 Rn. 7. 198 MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 445 Rn. 7. 199 BGH, NJW 2005, 3773, 3774; BeckOK/Bechteler, ZPO (19. Ed. 2015), § 446 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 446 Rn. 1.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

zipiell als Instrument zur Abmilderung oder gar Bewältigung ihres Informationsproblems in Betracht. Für die mit der Führung des Gegenbeweises belastete Partei gilt das wegen § 445 Abs. 2 ZPO jedoch nicht. b) Immanente Beschränkungen des § 445 ZPO Dennoch nehmen Rechtsprechung und h.M. an, dass § 445 Abs. 1 ZPO immanenten Beschränkungen nach Art von nemo tenetur edere contra se unterliege. So gelte auch im Rahmen des § 445 Abs. 1 ZPO das Verbot des Ausforschungsbeweises.200 Folglich genüge die Angabe eines abstrakten Tatbestandsmerkmals nicht.201 Ein Verstoß gegen das Ausforschungsverbot liege erst dann nicht mehr vor, wenn der Gegner über seine Kenntnis von einem bestimmten Umstand als innere Tatsache vernommen werden solle und Indizien für diese Kenntnis vorgebracht seien.202 Das meint letztlich nichts anderes, als dass die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei ihren Sachvortrag über die Schlüssigkeit hinaus zumindest anhand von Indizien näher zu konkretisieren hat, bevor eine Beweisaufnahme nach § 445 ZPO möglich ist. In dem Ausmaß, in dem man der mit der Führung des Hauptbeweises belasteten Partei eine solche Konkretisierung abverlangt, schwindet die Eignung des § 445 ZPO, deren Informationsproblem auf der Beweisebene zu bewältigen. 3. Die weiteren Beschränkungen der gesetzlich geregelten Beweisvereitelung Die weiteren Einschränkungen, denen die gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung unterliegen, sind rasch zusammengefasst. So existiert keine Regelung über die Vereitelung eines Zeugenbeweises. Ferner setzt § 444 ZPO eine Vereitelungsabsicht des Gegners der risikobelasteten Partei voraus, was der Bundesgerichtshof als vorwerfbares und missbilligenswertes Verhalten beschreibt.203 Beim Nachweis dieser inneren Tatsache ergeben sich für die risikobelastete Partei abermals nicht unerhebliche Schwierigkeiten.204 Im Übrigen enthalten die gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung keine Regelung darüber, wie prozessrechtlich damit umzugehen ist, wenn ein im Fall seines Vorhandenseins vorzulegendes Dokument untergegangen ist, abhandengekommen ist oder pflichtwidrig gar nicht erst erstellt wurde. Diese Regelungsstruktur ermöglicht es dem Gegner, sich auch dann, wenn er das Beweismittel absichtlich und zum Zwecke der Beweisvereitelung zerstörte, auf 200 BGHZ 193, 159, 173; BGH, BKR 2013, 212, 214; 2013, 388, 390; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 445 Rn. 8a, 10; OLG Hamm, BeckRS 2011, 19688; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 445 Rn. 28. 201 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 445 Rn. 28. 202 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 445 Rn. 29. 203 BGH, NJW 1996, 1534; vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 444 Rn. 1. 204 Zur Verteilung der Feststellungslast siehe MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 444 Rn. 4.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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die bloß fahrlässige Zerstörung zu berufen, ohne dass die risikobelastete Partei eine realistische Chance hätte, Absicht und Finalität zu beweisen und damit in den Genuss des § 444 ZPO zu kommen. Schließlich setzt ein erfolgreicher Vorlegungsantrag nach § 422 ZPO voraus, dass die risikobelastete Partei anderweitig Kenntnis von der – jedenfalls möglichen205 – Existenz des Informationsträgers erlangt hat und seinen Aussagewert zumindest grob beschreiben kann. Hingegen liefern §§ 422 ff. ZPO selbst keine Grundlage dafür, von der gegnerischen Partei Auskunft darüber zu verlangen, ob sie über Beweismittel verfügt, von der die risikobelastete Partei nichts weiß.206 Das ergibt sich aus den Antragserfordernissen des § 424 ZPO, den die h.M. über seinen Wortlaut hinaus als zwingend interpretiert.207 Zur Auskunft darüber, ob und welche Informationsträger existieren und welchen Inhalt sie haben, ist der Gegner der risikobelasteten Partei lediglich dann verpflichtet, wenn sich dies aus dem § 422 ZPO zugrunde liegenden materiellrechtlichen Auskunfts- oder Rechnungslegungsanspruch ergibt.

C. Die Fortentwicklung zu den allgemeinen Grundsätzen über die Beweisvereitelung Bei den geschriebenen Regeln über die Beweisvereitelung ist es jedoch nicht geblieben. Vielmehr hat die Rechtsprechung namentlich des Bundesgerichtshofs die einschränkenden Voraussetzungen der Vorschriften über die Beweisvereitelung immer weiter zurückgedrängt. Die Grundsätze über die Beweisvereitelung als allgemeines beweisrechtliches Institut sind das Ergebnis dieser Entwicklung. Sie hat sich in mehreren Etappen vollzogen.

I. Die Erstreckung auf den vereitelten Zeugenbeweis Die erste wichtige Erweiterung betrifft den Zeugenbeweis. So ergebe sich – ungeachtet der gegenteiligen gesetzgeberischen Anordnung – kein sachlicher Grund, zwischen Urkunden und Augenscheinsobjekten auf der einen und Zeugen auf der anderen Seite zu unterscheiden.208 Folglich könne das Prozessgericht im Rahmen des § 286 ZPO Schlüsse zu Lasten des Gegners der risiko205 Vgl. BGH, NJW 1989, 717, 719, wonach es ausreicht, dass die nicht feststellungsbelastete Partei bei ordnungsgemäßem Verhalten über die behauptete Urkunde (Leistungsverzeichnis) verfügen musste; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 424 Rn. 2. 206 Anders Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 136; unklar, Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 422 Rn. 5. 207 Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 424 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 424 Rn. 1; vgl. auch OLG München, BeckRS 2001, 30175636; einschränkend aber Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 424 Rn. 1: Wesentliche Erfordernisse. 208 BGH, NJW 1960, 821.

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belasteten Partei ziehen, wenn er sich ohne einen mit Rücksicht auf Treu und Glauben nachvollziehbaren Grund weigere, einen Zeugen zu benennen, der nur ihm bekannt sei.209 Ebenso sieht die Rechtsprechung eine Vereitelung des Zeugenbeweises in den Fällen, in denen die risikobelastete Partei den Zeugen zwar ladungsfähig benennen kann, der Zeuge aber dem Gegner gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, und der Gegner ihn – wiederum ohne triftigen Grund – nicht oder erst so verspätet von der Verschwiegenheitspflicht befreit, dass er keine klare Erinnerung an den feststellungsbedürftigen Sachverhalt mehr hat.210

II. Die Erstreckung auf nicht erstellte Beweismittel Darüber hinaus besteht zwischenzeitlich Einigkeit, dass unter die Bestimmungen über unterdrückte, beseitigte und sonst untergegangene Urkunden und Augenscheinsobjekte auch die Konstellationen fallen, in denen der Gegner der risikobelasteten Partei das Beweismittel gar nicht erst erstellt hat.211

III. Das Verschuldenserfordernis als einheitliches Merkmal der Beweisvereitelung Die verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung knüpfen die Reaktionsmöglichkeiten des Prozessgerichts an unterschiedliche Verschuldenserfordernisse. Die Rechtsprechungsentwicklung hat sie zu dem eingangs dieses Abschnitts erwähnten doppelten Verschuldenserfordernis erweitert und vereinheitlicht. 1. Die Konstellationen Legt die nicht beweisführungsbelastete Partei trotz gerichtlicher Anordnung nach §§ 422, 423 ZPO in Verbindung mit §§ 425, 426 Satz 4 ZPO das verlangte Beweismittel oder gemäß § 441 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Schriftproben nicht vor, verweigert sie nach § 446 ZPO die Erklärung oder nach § 453 Abs. 2 ZPO die Eidesleistung, so sind nach den gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Folgen drei Konstellationen zu unterscheiden: (1.) Die Verweigerung der möglichen Mitwirkung an der gegnerischen Beweisführung in §§ 427 Satz 1 209

BGH, NJW 1960, 821; 2008, 982, 984. OLG Frankfurt/Main, NJW 1980, 2758; OLG München, NJW-RR 1987, 1021, 1022; vgl. auch BGH, NJW-RR 1996, 1534, der im konkreten Fall allerdings einen triftigen Grund zur Nichtbefreiung von der Verschwiegenheitspflicht annimmt. 211 Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 444 Rn. 2; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 444 Rn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 444 Rn. 1. 210

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Alt. 1, 441 Abs. 3 Satz 3, 446 ZPO, (2.) die nicht gehörige Anstrengung bei der nur potentiell möglichen Mitwirkung durch Beweismittelvorlage in § 427 Satz 1 Alt. 2 ZPO und schließlich (3.) die unmögliche Mitwirkung durch Beweismittelvorlage in § 444 ZPO. 2. Die verschiedenen Verschuldensmaßstäbe in diesen Konstellationen a) § 427 Satz 1 Alt. 1 ZPO: Vorsatz Ist es der nicht risikobelasteten Partei möglich, einer gerichtlich angeordneten Vorlegung nachzukommen, verweigert sie diese aber, so löst allein diese Verweigerung die Reaktionsmöglichkeiten des Prozessgerichts nach §§ 371 Abs. 2 Satz 2, 427 Satz 1 Alt. 1 ggf. i.V.m. Satz 2, 441 Abs. 3 Satz 2 ZPO aus. Danach kann die Behauptung des Beweisführers über den Inhalt des Beweismittels als bewiesen angesehen werden. Dabei knüpfe diese beweisrechtliche Sanktion an ein schuldhaftes Verhalten der nicht beweisführungsbelasteten Partei.212 Dem kann schwerlich widersprochen werden. Tatsächlich geschieht die Verweigerung der möglichen Mitwirkung trotz gerichtlicher Anordnung stets vorsätzlich. Entsprechendes muss konsequenterweise auch im Rahmen der verweigerten Vernehmung nach § 446 ZPO gelten. b) § 427 Satz 1 Alt. 2 ZPO: Fahrlässigkeit Schwieriger ist die § 427 Satz 1 Alt. 2 ZPO zugrunde liegende Konstellation einzuordnen. Hier kann es sich nur um eine potentiell mögliche Mitwirkung handeln. Denn wenn das Prozessgericht im Rahmen der Vernehmung über den Verbleib nach § 426 Satz 1 ZPO zu der Überzeugung gelangt, dass das Beweismittel sich entgegen seinem Bestreiten doch im Besitz des Gegners der risikobelasteten Partei befindet, dann ergeht Vorlegungsanordnung gemäß § 426 Satz 4 ZPO. Kommt der Adressat dieser Vorlegungsanordnung dann nicht nach, bemessen sich die weiteren Folgen der Weigerung nach § 427 Satz 1 Alt. 1 ZPO. Folglich kann § 427 Satz 1 Alt. 2 ZPO nur Konstellationen regeln, in denen das Prozessgericht mittels der Vernehmung den Verbleib der Urkunde nicht aufklären konnte, und zwar deshalb, weil der Gegner der risikobelasteten Partei die in der Ladung zur Vernehmung ausgesprochene Verpflichtung zur Nachforschung213 nicht mit der gehörigen Sorgfalt erfüllt hat. Das bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als dass § 427 Satz 1 Alt. 2 ZPO der nicht risikobelasteten Partei das Risiko des non liquet für den Urkundenverbleib auferlegt und dem Prozessgericht gestattet, in Bezug auf das Beweisthema den unklaren Verbleib zu Lasten des Adressaten der Vorlegungsanordnung zu würdigen. Exis212 213

Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 427 Rn. 1. Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 426 Rn. 2.

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tierte § 427 Satz 1 Alt. 2 ZPO nicht, bliebe es ohne Weiteres beim non liquet hinsichtlich der behaupteten Tatsache mitsamt den negativen Folgen für die risikobelastete Partei. Tragender Beweggrund für diese Entlastung der risikobelasteten Partei ist die schuldhaft verletzte Nachforschungspflicht des Gegners,214 wobei die Vorschrift einfache Fahrlässigkeit genügen lässt. c) § 444 ZPO: Absicht Nach § 444 ZPO können die Behauptungen der risikobelasteten Partei über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden, wenn der Gegner sie in der Absicht beseitigt oder zur Benutzung untauglich gemacht hat, ihre Benutzung dem Gegner zu entziehen. Wesentlich kommt es darauf an, dass im hypothetischen Fall des Vorhandenseins oder der Benutzbarkeit des Beweismittels eine Vorlegungsanordnung nach §§ 425, 426 Satz 4 ZPO gestützt auf §§ 422, 423 ZPO ergehen könnte.215 Denn auch § 444 ZPO setzt an sich voraus, dass der Gegner der risikobelasteten Partei nach materiellem Recht zur Offenbarung des begehrten Beweismittels verpflichtet ist.216 3. Einfaches Verschulden als einheitlicher Maßstab der Beweisvereitelung Ausgangspunkt der Entwicklung hin zu dem einfachen Verschulden als einheitlichem Maßstab der Beweisvereitelung ist § 444 ZPO.217 Zunächst wird der Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf sämtliche anderen Beweismittel ausgedehnt.218 Die nach der Gesetzesformulierung eigentlich erforderliche Absicht wird sodann als Arglist verstanden,219 was an sich gewöhnlichen Vorsatz bedeutete. Doch kommt es auf den Begriff der Absicht nach nunmehr einhelliger und praktisch unwidersprochener Rechtsprechung nicht mehr an. Denn in Abkehr vom strengen Wortlaut des § 444 ZPO genügt für die Beweisvereitelung nun jede Form von Verschulden, also auch Fahrlässigkeit in allen Erscheinungsformen.220 214

Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 428 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 444 Rn. 1. 216 Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 444 Rn. 4; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 444 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 444 Rn. 3. 217 Vgl. Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 444 Rn. 5. 218 Vgl. BSG, NJW 1994, 1303; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 444 Rn. 6. 219 BSG, NJW 1994, 1303; LSG Hamburg, NZS 2010, 45, 46; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 444 Rn. 4. 220 BGH, NJW 1994, 1594; 2002, 825, 827; 2004, 222; 2008, 982, 985; 2009, 360, 361 f.; NJWRR 1988, 962, 964; 1996, 1534; 2009, 995, 996; ZIP 1985, 312, 314; Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 444 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 286 Rn. 188; Oberheim, JuS 1997, 61, 62; E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 211; E. Schneider, MDR 1969, 4, 5; vereinzelt wurde sogar in Frage gestellt, ob es des Verschuldens tatsächlich stets bedürfte, vgl. BGHZ 112, 266, 278. 215

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Der Verschuldensvorwurf setzt seinerseits lediglich voraus, dass für die nicht risikobelastete Partei im maßgeblichen Zeitpunkt der Vornahme der (ebenfalls schuldhaft begangenen) Beseitigungshandlung oder der Unbrauchbarmachung erkennbar ist, dass dem jeweiligen Gegenstand in einem gegenwärtigen oder künftigen Prozess Beweisfunktion zukommen könne.221 Das Gleiche gilt nach Rechtsprechung und h.M. auch dann, wenn die nicht risikobelastete Partei es von vornherein unterlässt, ein erkennbar relevant werdendes Beweismittel erst zu schaffen.222

IV. Der Verzicht auf den materiellrechtlichen Auskunftsanspruch trotz § 422 ZPO Am Ende der Entwicklung spielt der von § 422 ZPO an sich geforderte materiellrechtliche Anspruch auf Informationszugang (sei es in Form von Auskunft, Rechnungslegung o.ä.) jedenfalls keine substantielle Rolle mehr. Dies hat zwei Ursachen: die konturenlose Ausweitung solcher Ansprüche zum einen, und den Verzicht auf solche Ansprüche in der Beweisvereitelungsformel zum anderen. 1. Die Ausweitung des materiellrechtlichen Anspruchs auf Auskunft, etc. Nach h.M. ist den Grundsätzen von Treu und Glauben ein Anspruch auf Auskunft bei Rechtsverhältnissen zu entnehmen, deren Wesen es mit sich bringe, dass der die Auskunft Fordernde in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seiner Rechte im Ungewissen sei, der auf Auskunft in Anspruch Genommene hingegen in der Lage sei, unschwer solche Auskunft zu erteilen.223 Wenn es danach nur darauf ankommen soll, dass (1.) zwischen zwei Parteien eine schuldrechtliche Sonderverbindung besteht und (2.) eine Partei über Informationen verfügt, die die andere zur Geltendmachung ihrer Rechte benötigt, dann lässt sich solch ein materiellrechtlicher Anspruch beliebig bejahen. Der Systematik des § 422 ZPO ist damit vordergründig Genüge getan; ihr kommt jedoch keinerlei Begrenzungsfunktion mehr zu.

221

BGH, NJW 2002, 825, 827. BGH, NJW 2009, 360, 361 f.; NZM 2005, 700, 701. 223 RGZ 108, 1, 7; 158, 377, 379; BGHZ 10, 385, 387; 81, 21, 24; 87, 346, 351 f.; 95, 285, 287 f.; 125, 322, 329; 126, 109, 113; 148, 26, 30; 149, 165, 174 f.; 152, 307, 316; 191, 259, 266; BGH, NJW 1964, 1414; 1978, 1002; 1980, 2463; 1995, 1222, 1223; 1998, 2969, 2970; 2008, 1001, 1002; 2010, 1135, 1137; 2010, 2213, 2216; 2010, 2354, 2357 f.; NJW-RR 2005, 1408; BeckOK/Sutschet, BGB (37. Ed. 2015), § 242 Rn. 53; Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB (2015), § 242 Rn. 605. 222

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2. Der Verzicht auf den Vorlegungsanspruch bei § 422 ZPO Dennoch hat die Rechtsprechung im Lauf der Zeit auf die Konstruktion eines materiellrechtlichen Anspruchs auf Auskunft, Rechnungslegung, etc. verzichtet und den Vorlegungsanspruch prozessrechtlich begründet. Dementsprechend taucht die anderweitig bestehende Offenbarungspflicht in der gängigen Beweisvereitelungsformel nicht mehr auf. a) Die Vorlage von Patientenunterlagen im Arzthaftungsprozess Ein berühmtes Beispiel ist die frühere Rechtsprechung zur Vorlage von Patientenunterlagen im Arzthaftungsprozess. So hatte der Bundesgerichtshof im Jahr 1955 angenommen, dass ein Arzt verpflichtet gewesen sei, einen herausoperierten Tupfer im Hinblick auf die spätere Aufklärung im erwartbaren Prozess aufzubewahren und trotz der objektiven und subjektiven Beweislast des Patienten selbst zu Beweiszwecken vorzulegen.224 Wenige Jahre später ging es um verschwundene Röntgenaufnahmen, anhand derer das ärztliche Vorgehen auf Behandlungsfehler hin hätte untersucht werden sollen.225 §§ 427, 444 ZPO seien auch i.V.m. § 371 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht einschlägig. Es fehle am korrespondierenden materiellrechtlichen Auskunftsanspruch des Patienten.226 Ein solcher folge weder aus dem Behandlungsvertrag noch aus allgemeinen gesetzlichen Vorschriften, insbesondere nicht aus § 810 BGB.227 Dessen ungeachtet seien §§ 427, 444 ZPO Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, so dass die Patientenunterlagen im Prozess durch den Arzt vorzulegen seien; komme er dem nicht nach oder sei dies wegen Vernichtung o.ä. nicht mehr möglich, könne dies nach den allgemeinen Grundsätzen über die Beweisvereitelung zu Lasten des Arztes gewertet werden.228 Diese Rechtsprechung war Folge der nunmehr überholten Sichtweise, dass die ärztlichen Aufzeichnungen über die Behandlung und ihren Verlauf lediglich interne Gedächtnisstütze für den Arzt seien, zu der der Patient keinen Zugang haben könne.229 Heute sind die ärztliche Dokumentationspflicht und das korrespondierende Einsichtsrecht des Patienten nicht nur standesrechtlich 224 225 226

BGH, LM Nr. 2 zu § 282 ZPO unter 5. BGH, NJW 1963, 389. BGH, NJW 1963, 389; vgl. auch BGH, NJW 1960, 821; E. Peters, ZZP 82 (1969), 200,

207. 227

BGH, NJW 1963, 389. BGH, LM Nr. 2 zu § 282 ZPO unter 5; NJW 1963, 389, 390; vgl. dazu auch BGH, NJW 1978, 1681, 1682: „Damit erfordert es der Grundsatz der „Waffengleichheit” im Arztfehlerprozeß (…) zunächst, daß der Arzt dem klagenden Patienten Aufschluß über sein Vorgehen in dem Umfang gibt, in dem ihm dies ohne Weiteres möglich ist, und insoweit auch zumutbare Beweise erbringt. Dieser Beweispflicht genügt der Arzt weithin durch Vorlage einer ordnungsmäßigen Dokumentation im Operationsbericht, Krankenblatt oder Patientenkarte, wie sie auch gutem ärztlichen Brauch entspricht (…).“ 229 Vgl. dazu Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 471. 228

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verankert,230 sondern es ist darüber hinaus anerkannt, dass die ärztliche Dokumentation und die Einsichtsgewähr – primär therapeutischen Zwecken dienende231 – vertragliche Nebenpflichten sind.232 Einfachrechtlich niedergelegt sind diese Pflichten mittlerweile in §§ 630f, 630g BGB. Folglich kann im Prozess heute direkt über § 427 ZPO gegebenenfalls i.V.m. § 371 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Vorlage der Patientenakte verlangt werden, mit der Folge, dass §§ 427, 444 ZPO unmittelbar anwendbar sind. b) Vorlegungsanspruch und Mängelhaftung I Häufiger sind die Fälle, in denen die Rechtsprechung sich mit der Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen materiellrechtlicher Auskunfts- und Vorlegungsansprüche gar nicht erst befasst, sondern hiervon unabhängig sogleich die Grundsätze über die Beweisvereitelung heranzieht. Insbesondere in Mängelhaftungsfällen ist solches Vorgehen der Rechtsprechung immer wieder zu beobachten. So ging es in einem Fall233 um Schadensersatzansprüche im Rahmen der kaufrechtlichen Mängelhaftung bei einem Verbrauchsgüterkauf. Innerhalb der ersten sechs Monate seit der Übergabe erlitt der Turbolader des verkauften Kfz einen Schaden. Der Verkäufer verweigerte die Nacherfüllung, die der Käufer sodann selbst vornahm und deren Kosten er im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 281, 437 Nr. 3 BGB liquidieren wollte. In einem obiter dictum sah der Bundesgerichtshof den klagenden Käufer als verpflichtet an, den beschädigten Turbolader im Prozess zu präsentieren, um so dem beklagten Verkäufer den ihm wegen § 476 BGB234 etwaig obliegenden Beweis des Gegenteils zur Frage der Mangelhaftigkeit im Zeitpunkt des Gefahrübergangs zu ermöglichen.235 Den Umstand, dass die Vorlage wegen zwischenzeitlicher Entsorgung des beschädigten und ausge230

Siehe etwa § 10 Abs. 1 Satz 1 MBO-Ä ([Muster-]Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte in der Fassung der Beschlüsse des 100. Deutschen Ärztetages 1997 in Eisenach, geändert durch die Beschlüsse des 103. Deutschen Ärztetages 2000). 231 Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 71. 232 Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 472; Laufs/Kern/Schlund, Handbuch des Arztrechts (4. Aufl. 2010), § 55 Rn. 1. 233 BGH, NJW 2006, 434. 234 Über die Reichweite des § 476 BGB besteht Streit. Der Bundesgerichtshof meint, dass § 476 BGB nicht für die Frage gelte, ob überhaupt ein Sachmangel vorliege. Kämen für eine innerhalb der sechsmonatigen Frist aufgetretene Abweichung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit mehrere Ursachen in Betracht, helfe § 476 BGB dem Verbraucher nicht (BGHZ 159, 215, 219 f.; BGH, NJW 2006, 434, 435 f.; 2006, 1195, 1196; teilweise zustimmend Gsell, JuS 2005, 967, 971 f.; einschränkend dagegen BGH, NJW 2005, 3490, 3492). Dies ist freilich nicht sonderlich überzeugend, bleiben doch Sinn und Zweck des § 476 BGB, nämlich dem Verbraucher gerade in solchen Fällen das Beweisrisiko abzunehmen, im Ergebnis weitgehend unberücksichtigt (S. Lorenz, NJW 2004, 3020, 3021; Klöhn, NJW 2007, 2811 f.). 235 BGH, NJW 2006, 434, 436.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

tauschten Turboladers unmöglich geworden sei, hielt der Bundesgerichtshof für einen geeigneten Ansatzpunkt einer Beweisvereitelung.236 Ob in diesem Fall spezielle Ansprüche des Käufers auf Vorlegung des Turboladers bestehen, ist in der Tat zweifelhaft. Solange der Verkäufer Nacherfüllung schuldet, geht damit zwar zwangsläufig ein Recht zur Besichtigung der (vermeintlich) mangelhaften Kaufsache einher. Das folgt schon daraus, dass die Maßnahmen zur Mängelbeseitigung an der Kaufsache selbst vorzunehmen sind. Doch erlischt dieses Besichtigungsrecht gleichzeitig mit dem Recht auf zweite Andienung gemäß § 275 Abs. 1 BGB, wenn der Käufer zur Selbstvornahme schreitet. Gleichwohl bleibt das Besichtigungsrecht gemäß § 439 Abs. 4 BGB erhalten, sofern die ursprünglich zu Erfüllungszwecken hingegebene Kaufsache vollständig ausgetauscht wird. Gute Gründe sprechen dafür, diese Bestimmung auf die Nachbesserung entsprechend anzuwenden.237 Doch wird in diesem Zusammenhang weiter gefordert, dass das ausgetauschte Teil trotz seines Defekts noch werthaltig ist.238 Daran fehlt es im Fall des zerstörten Turboladers. Schließlich gewährt auch § 809 BGB dem Verkäufer jedenfalls nicht unmittelbar einen Anspruch auf Informationsgewährung. Denn danach erhält nur derjenige Zugang zu der fremden Sache, der einen eigenen Anspruch in Ansehung der Sache zu haben meint239 und eine eigene Rechtsposition sichern will.240 Sicherlich ließe sich in dieser Situation ein Informationsanspruch über § 242 BGB gemäß der gängigen Formel ohne Weiteres konstruieren. Doch setzt der Bundesgerichtshof sich mit dieser Frage gar nicht erst auseinander. Vielmehr stellt er seine allgemeine Definition der Beweisvereitelung voran. Sodann stellt er fest, dass das Verhalten des auf Schadensersatz klagenden Käufers die Voraussetzungen einer fahrlässigen Beweisvereitelung erfülle. Dieser habe erkennen können und durch eine entsprechende Anweisung verhindern müssen, dass die von ihm mit dem Austausch des defekten Turboladers beauftragte Werkstatt diesen nicht aufbewahre.241 Auf Rechtsfolgenseite sei dem durch die Beweisvereitelung des Käufers am Vollbeweis gehinderten Verkäufer zumindest eine Beweiserleichterung in der Form zu gewähren, dass der vom Tatrichter als wahrscheinlichste festgestellte Geschehensablauf als bewiesen angesehen werde.242

236

BGH, NJW 2006, 434, 436. MünchKomm/Busche, BGB (6. Aufl. 2012), § 635 Rn. 49. 238 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB (Neubearb. 2014), § 635 Rn. 15. 239 Palandt/Sprau, BGB (75. Aufl. 2016), § 809 Rn. 4; MünchKomm/Habersack, BGB (6. Aufl. 2013), § 809 Rn. 4. 240 BGH, NJW 1981, 733. 241 BGH, NJW 2006, 434, 436. 242 BGH, NJW 2006, 434, 436. 237

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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c) Vorlegungsanspruch und Mängelhaftung II Ein zweites Beispiel aus diesem Kontext betrifft die Ansprüche eines Werkbestellers – es ging um den Bau eines Parkhauses – gegenüber dem Werkunternehmer.243 In Streit standen Ersatzansprüche wegen einer zulässigen Selbstvornahme der Mängelbeseitigung. Es hatten sich noch vor der Abnahme Risse im Beton gezeigt; der Unternehmer verweigerte die Nacherfüllung unter Hinweis auf seine fehlende Verantwortlichkeit. Bei der anschließenden Selbstvornahme zeigten sich unterhalb der Oberfläche über die gerügten Risse hinausgehende Mängel, deren Beseitigung durch den Besteller eine umfangreiche Reparatur erforderten. Nach erfolgreicher Beseitigung dieser Schäden ließ sich der Status quo ante nicht rekonstruieren. Abermals geht der Bundesgerichtshof nicht auf etwaige materiellrechtliche Auskunftsansprüche ein, sei es aus § 635 Abs. 4 BGB, aus § 809 BGB oder aus § 242 BGB. So liege eine Beweisvereitelung des Bestellers darin, dass er durch die Mängelbeseitigung das Werk des Unternehmers verändert und es diesem nicht ermöglicht habe, sich an der Schadensfeststellung zu beteiligen, obwohl der Unternehmer um Beteiligung gebeten und der Besteller diese Bitte nicht zurückgewiesen habe.244 Zudem sei der Umfang der erforderlichen Reparaturarbeiten erst im Zuge der Mängelbeseitigungsmaßnahmen sichtbar geworden, und dennoch habe der Besteller es unterlassen, dem Unternehmer seine weitergehenden Erkenntnisse mitzuteilen.245 Angesichts dieser Sachlage sei es jedenfalls nicht rechtsfehlerhaft, eine Beweislast für die Mangelfreiheit zu Gunsten des Unternehmers umzukehren, also vom Besteller den Nachweis für die Mangelhaftigkeit zu fordern, obwohl die Abnahme noch nicht erfolgt war.246 Es sei gerechtfertigt, den Besteller einen derartigen Rechtsnachteil erleiden zu lassen, wenn er seine Kooperationspflicht dadurch verletze, dass er dem Unternehmer weder eigene Feststellungen zu den behaupteten Mängeln ermögliche noch eine Dokumentation erstelle, anhand derer das Vorliegen der angeblichen Mängel überprüft werden könne.247

D. Die Beweisvereitelung und die Bewältigung des Informationsproblems I. Der Effekt auf das Informationsproblem So weit dieses Institut reicht, können die Grundsätze über die Beweisvereitelung ebenso wie die sekundäre Behauptungslast das Informationsproblem der 243 244 245 246 247

BGH, NJW 2009, 360. BGH, NJW 2009, 360, 362. BGH, NJW 2009, 360, 362. BGH, NJW 2009, 360, 362. BGH, NJW 2009, 360, 362.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

risikobelasteten Partei zumindest mildern. Will der Gegner vermeiden, dass zu seinen Lasten die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung eingreifen, muss er vorwerfbares Verhalten vermeiden, das die Beweisführung stört. Dieser Ansatz hat im Prinzip weitreichende Konsequenzen: Im Interesse der Beweisführung der risikobelasteten Partei hat er Beweismittel zu schaffen, zu erhalten und ihr zugänglich zu machen. Anreize dafür, sich im Vertrauen auf die Beweisnot der risikobelasteten Partei einen strategischen Vorteil durch bewusst wahrheitswidriges Vorbringen zu verschaffen, werden so reduziert.

II. Die unklaren Rechtsfolgen der Beweisvereitelung Von einem pragmatischen Standpunkt aus betrachtet, mag man den Grundsätzen über die Beweisvereitelung somit durchaus einige positive Effekte zubilligen. Dennoch haften auch diesem beweisrechtlichen Institut verschiedene Schwierigkeiten an, und zwar sowohl in praktischer als auch in dogmatischtheoretischer Hinsicht. 1. Das Problem der systematischen Verortung Wendet man sich zunächst den Rechtsfolgen zu, die die Rechtsprechung einer Beweisvereitelung durch die nicht risikobelastete Partei zuspricht, so ergeben sich Probleme bei der genauen systematischen Verortung dieses Instituts, also bei der Frage, an welcher Station innerhalb des Beweisführungsprozesses es seine Wirkung entfaltet. Während die frühere Rechtsprechung die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung als Umkehr der Beweislast bezeichnete,248 spricht der Bundesgerichtshof mittlerweile überwiegend von Beweiserleichterungen, die bis zur Umkehr der Beweislast reichen könnten.249 Was dies im konkreten

248 RGZ 60, 146, 152; BGHZ 6, 224, 227; BGH, NJW 1976, 1315, 1316 (insoweit in BGHZ 66, 349 nicht abgedruckt); OLG Köln, NJW-RR 1989, 439, 440; aus der Lit. vgl. Blomeyer, AcP 158 (1959/60), 99, 103; Liceni-Kierstein, FPR 2010, 140, 142; Schmid, NJW 1994, 767, 772; Kuhla/Hüttenbrink, Verwaltungsprozess (3. Aufl. 2002), Rn. E 237. 249 BGHZ 72, 132, 139; 99, 391, 398 f.; BGH, NJW 1986, 2426, 2428; 1996, 315, 317 (insoweit in BGHZ 131, 163 nicht abgedruckt); 1998, 79, 81; 2002, 825, 827; 2004, 222; 2006, 434, 436; 2008, 982, 985; 2009, 360, 362; NJW-RR 1989, 160, 162; 2005, 1051, 1052; 2009, 995, 996; aus der Lit. vgl. etwa Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 286, Rn. 18; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 286 Rn. 96 f.; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 286 Rn. 14a; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 20; Laumen, NJW 2002, 3739, 3746; Müller, NJW 1997, 3049, 3053; der Sache nach auch Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2013), A vor § 286 Rn. 147; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 507; Nugel, VersR 2005, 1211, 1214; Schaffrath/Jangner, VersR 1996, 1065, 1069; E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 221; E. Schneider, MDR 1969, 4, 10; differenzierend Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 286 Rn. 188; a.A. MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 92: Analogie zu den gesetzlichen Bestimmungen.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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Einzelfall bedeute, sei der im tatrichterlichen Ermessen liegenden Überzeugungsbildung überantwortet.250 2. Beweisvereitelung als Umkehr der objektiven Beweislast a) Die ältere Rechtsprechung Teile der älteren Rechtsprechung deuten darauf hin, dass die Grundsätze über die Beweisvereitelung auf Rechtsfolgenseite eine Umkehr der objektiven Beweislast bewirkten. So verwendete das Reichsgericht die Formulierung von der Verkehrung der Beweislast, die insbesondere dann anzunehmen sei, wenn das die Beweisführung vereitelnde Verhalten zugleich eine Vertragsverletzung gegenüber der risikobelasteten Partei bedeute.251 Ähnlich argumentierte der Bundesgerichtshof in einem Fall, der Gewährleistungsansprüche wegen eines Kaufs auf Probe betraf. Dort lade der Käufer sich den Beweis für die Beschaffenheit der Probe auf, wenn er die Probe schuldhaft nicht aufbewahre und dadurch dem Verkäufer den Beweis für die Probemäßigkeit der Leistung unmöglich mache.252 b) Die Umkehr der objektiven Beweislast als ungeeignete Rechtsfolge Gleich mehrere Gründe sprechen entscheidend gegen die These von der Umkehr der objektiven Beweislast als Rechtsfolge der Beweisvereitelung. Zunächst: Über die Verteilung der objektiven Beweislast entscheidet die – meist dem materiellen Recht zugehörige – streitentscheidende Norm. Welche der Parteien die objektive Beweislast trifft, kann daher nicht von der jeweiligen Situation des konkreten Prozesses abhängen.253 Legt man das Verschulden mit der h.M. als zentrales Tatbestandsmerkmal der Beweisvereitelung zugrunde, so wäre man darüber hinaus gezwungen, die objektive Beweislast sowohl bei nur leichter Fahrlässigkeit als auch bei direktem Vorsatz umzukehren. Dies ist ein allzu grober Maßstab.254 Weiter hätte diese systematische Verortung zur Konsequenz, dass die an sich objektiv beweisbelastete Partei im Fall der gegnerischen Beweisvereite-

250

BGH, NJW-RR 2005, 1051, 1052; siehe dazu auch Reinhardt, NJW 1994, 93, 94. RGZ 60, 146, 152. 252 BGHZ 6, 224, 227; siehe aus neuerer Zeit aber auch BGH, WM 2012, 702, 703. 253 Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 316; E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 214 f.; Laumen, NJW 2002, 3739, 3745; Prütting, ZZP 123 (2010), 135, 143. 254 Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 11 Rn. 32; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 770; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 282; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 383; Schwab, Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2012), Rn. 527; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 316; E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 219; Laumen, NJW 2002, 3739, 3745. 251

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

lung besser stünde, als wenn ihre Beweisführung geglückt wäre.255 Dann nämlich wäre der Wahrheitsbeweis zunächst erbracht und der Gegner könnte diesen durch den Gegenbeweis entkräften. Zöge die Beweisvereitelung hingegen eine echte Umkehr der objektiven Beweislast nach sich, müsste konsequenterweise die vereitelnde Gegenpartei nicht mehr nur den Gegenbeweis, sondern den Beweis des Gegenteils antreten. Dass diese Verbesserung der Position der an sich objektiv beweisbelasteten Partei sachgerecht ist, müsste freilich erst begründet werden, zumal nicht einmal § 444 ZPO eine derart strenge Rechtsfolge anordnet.256 Und schließlich lassen sich mit der Lösung nach der Umkehr der objektiven Beweislast diejenigen Fälle nicht erfassen, in denen die mit der Führung des Hauptbeweises belastete (objektiv beweisbelastete) Partei den Gegenbeweis vereitelt. Eine solche Situation kann etwa dann eintreten, wenn die objektiv beweisbelastete Partei das Sichern solcher Beweismittel unterlässt oder verhindert, die der Gegner benötigt, um einen etwaig erfolgreich geführten Anscheinsbeweis zu erschüttern.257 Mit der Umkehr der objektiven Beweislast wäre der mit der Führung des Gegenbeweises belasteten Partei nicht gedient. Denn die Umkehr würde bedeuten, dass sie selbst nunmehr objektiv beweisbelastet wäre. Dadurch erlangt sie keinen Vorteil. Und da ihr Gegner durch den erfolgreich geführten Anscheinsbeweis verhindert hat, dass non liquet eintritt, bleibt die objektive Beweislast ohnehin ohne Einfluss auf die Sachentscheidung des Prozessgerichts. 3. Beweisvereitelung als Umkehr der subjektiven Beweislast Zahlreiche Anhänger findet die These, wonach die Grundsätze über die Beweisvereitelung die subjektive Beweislast umkehrten.258 Ein starrer Maßstab soll hier nicht gelten, vielmehr sei eine erhebliche Erleichterung der Beweisführungslast bis hin zu deren Umkehr anzunehmen.259 Zur Überprüfung dieser These mag man die Situation zugrunde legen, dass eine Tatsachenbehauptung vorgebracht und bestritten ist, die zugleich objek255 Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 286 Rn. 96; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 317; Thole, JR 2011, 327, 331; a.A. Krapoth, Die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung (1996), 76. 256 Zum gegen §§ 444, 427 ZPO zulässigen Gegenbeweis LAG Köln, NZA 1999, 545, 546. 257 Eine solche Konstellation betrifft etwa BGH, NJW 1998, 79, 80. 258 BGH, NJW 1986, 59, 60; OLG Köln, NZV 1992, 365, 366; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 286 Rn. 96; ErfK/Preis, Arbeitsrecht (16. Aufl. 2016), Einf. Rn. 23; BeckOK/Tillmanns, Arbeitsrecht (38. Ed. 2015), § 106 GewO Rn. 59; Laumen, NJW 2002, 3739, 3745; Lepa, NZV 1992, 129, 136; Linde/Lindemann, NZA 2003, 649; Michalski, NJW 1991, 2069, 2070; Wähner, LMK 2009, 273436. 259 BGH, NJW 1986, 59, 60; OLG Köln, NZV 1992, 365, 366; Hennige, NZA 1999, 281, 282; Laumen, NJW 2002, 3739, 3745; Linde/Lindemann, NZA 2003, 649; Michalski, NJW 1991, 2069, 2070; vgl. auch Staudinger/Kohler, BGB (2010), § 6 UmweltHG Rn. 25.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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tiv und subjektiv beweisbelastete Partei aber aufgrund einer gegnerischen Beweisvereitelung außer Stande ist, den Hauptbeweis für die Wahrheit ihrer Behauptung zu führen. Kehrte man lediglich die subjektive Beweislast um, bliebe die objektive Beweislast unangetastet. Kommt die vereitelnde Partei ihrer neu gewonnenen subjektiven Beweislast nicht nach, tritt non liquet ein. Da die objektive Beweislast aber bei der Partei verblieben ist, die das Opfer der Beweisvereitelung wurde, wird die Entscheidung weiterhin zu deren Lasten ausfallen.260 Wenn die Beweisvereitelung lediglich die subjektive Beweislast umkehren sollte, dann bleibt sie in Wahrheit folgenlos. Anders läge es nur, wenn man infolge der Beweisvereitelung einen erfolgreich geführten Hauptbeweis fingierte.261 Diese Fiktion ersetzte allerdings den Vorgang der richterlichen Beweiswürdigung, und zwar auch für den Fall eines nur leicht fahrlässig verloren gegangenen Beweismittels.262 Wodurch solch ein Vorgehen angesichts des § 286 Abs. 2 ZPO gerechtfertigt sein sollte, bleibt unklar.263 Weiter kann die Umkehr der subjektiven Beweislast die Beweisvereitelung wider die mit dem Gegenbeweis belastete Partei nicht sachgerecht lösen. Zur Erinnerung: Sie trägt die subjektive Beweislast, wenn es der objektiv beweisbelasteten Partei gelungen ist, das Prozessgericht vorläufig von der Wahrheit ihrer Behauptung zu überzeugen, der Hauptbeweis also vorläufig geführt ist.264 Der Gegenbeweis ist dann erforderlich, um die Beweissituation abermals zu ändern.265 Schiebt man nun aufgrund des vereitelten Gegenbeweises die subjektive Beweislast zurück zur objektiv beweisbelasteten Partei, so ändert dieser Umstand nichts daran, dass der Hauptbeweis geführt ist. Die Untätigkeit der nunmehr wieder subjektiv und objektiv beweisbelasteten Partei zöge lediglich nach sich, dass der erfolgreiche Hauptbeweis zur Basis der Sachentscheidung des Prozessgerichts wird. Eine Veränderung der Beweissituation zu Gunsten des Opfers der Beweisvereitelung ließe sich wiederum nur dadurch erzielen, dass man als Folge der Beweisvereitelung ihren Gegenbeweis als erfolgreich fingierte.266 Doch handelt es sich wiederum um eine strenge Rechtsfolge, deren dogmatische Rechtfertigung und Sachgerechtigkeit wenigstens erklärungsbedürftig sind.

260

Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 338. So Schatz, Die Beweisvereitelung in der Zivilprozeßordnung (1992), 116; in diese Richtung tendiert auch Thole, JR 2011, 327, 333; siehe allgemein Baumgärtel, in FS für Nakamura (1996), 41, 47. 262 Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 11 Rn. 33; Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 317. 263 Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 11 Rn. 33; Weber, Kausalitätsbeweis im Zivilprozess (1997), 215. 264 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 65; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 13. 265 Gottwald, GRURInt 1982, 695, 697. 266 So Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 556. 261

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

4. Beweisvereitelung und Beweiswürdigung Die h.M. verortet die Grundsätze über die Beweisvereitelung systematisch bei der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO.267 Danach ist die Beweisvereitelung ein Prozessverhalten der Partei, das frei zu ihren Lasten gewertet werden darf.268 Das knüpft an die gesetzlichen Bestimmungen über die Rechtsfolgen einer Beweisvereitelung an, die ebenfalls systematisch der Beweiswürdigung zuzuordnen sind.269 Doch ist auch dieser Ansatz problematisch. So liegt es gerade im Wesen der Beweisvereitelung, die Überzeugungsbildung des Prozessgerichts über die Wahrheit einer Tatsache zu erschweren oder zu verhindern, indem die vereitelnde Partei Erkenntnisquellen unterdrückt, vernichtet, etc. Es stellt sich dann die Frage, wie diese – vorsätzliche oder fahrlässige – Sabotage der Sachaufklärung sich auf den gerichtlichen Erkenntnisprozess auswirken können sollte. Für den Fall der gezielten Beweisvereitelung mag man sich noch damit behelfen, dass der Gegner der risikobelasteten Partei solchermaßen handelte, um die Würdigung des Beweismittels zu seinen Lasten zu verhindern.270 Bei der lediglich fahrlässigen Beweisvereitelung funktioniert dieses Gedankenmodell allerdings nicht mehr.271 Was im Übrigen unter einer Beweiserleichterung zu verstehen sein und wann und in welchem Umfang sie eingreifen soll, bleibt ungewiss. Dies führt auf der einen Seite zu einer großen Flexibilität in der Handhabung der Grundsätze über die Beweisvereitelung,272 damit aber notwendig auch zu einer entsprechend geringen Prognostizierbarkeit des prozessgerichtlichen Verhaltens.

III. Die offene dogmatische Rechtfertigung der Beweisvereitelung Da die Grundsätze über die Beweisvereitelung wie bereits die sekundäre Behauptungslast das Informationsproblem der risikobelasteten Partei auf der Beweisebene lindern sollen, ist es logisch, dass das dogmatische Grundproblem auch hier erneut auftritt. Wenn mit der h.M. nemo tenetur edere contra se auf 267 BGH, NJW 1960, 821; 1967, 2012; 2004, 222; 1998, 79, 81; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 286 Rn. 18; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 282; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 383; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 20; Schwab, Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2012), Rn. 527; offengelassen bei BGH, NJW 1986, 59, 61. 268 BGH, NJW 1967, 2012. 269 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 770; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 383. 270 Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 282; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 382. 271 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 86; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 770. 272 Schwab, Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2012), Rn. 527.

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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der Beweisebene das zentrale Wertungskriterium darstellt, dann sind §§ 427, 441 Abs. 3 Satz 3, 444, 446, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO die rechtfertigungsbedürftigen Ausnahmen. Eine Fortentwicklung zu einem allgemeinen beweisrechtlichen Institut unter Hinweis auf § 242 BGB kommt nicht in Betracht. Das gilt insbesondere für den Verzicht auf die von § 422 ZPO vorausgesetzte anderweitig angeordnete Offenbarungspflicht. Verglichen mit den spärlichen Rechtfertigungsbemühungen, die die h.M. in Zusammenhang mit der sekundären Behauptungslast unternimmt, finden sich für die Beweisvereitelung immerhin einige übergreifende Gedanken. Das Beweisvereitelungsmodell der h.M. können sie jedoch allesamt nicht überzeugend erklären. 1. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens Zuweilen heißt es, die nicht risikobelastete Partei verhalte sich widersprüchlich, wenn sie einerseits schuldhaft Beweismittel vernichte, sich andererseits aber im Prozess auf die Beweislosigkeit des Gegners berufe.273 Widersprüchlich ist solches Verhalten allerdings keineswegs. Denn widersprüchliches Verhalten setzt voraus, dass zwei Verhaltensweisen einer Person in einem einander ausschließenden Verhältnis stehen.274 Danach verhält sich im Gegenteil gerade diejenige Partei besonders zielstrebig und konsequent, die zunächst absichtlich und mit Vereitelungszweck Beweismittel zu Gunsten des Gegners unterdrückt oder beseitigt, um dann die daraus sich ergebende Beweissituation zu ihren Gunsten auszunutzen.275 Nur graduell weniger zielstrebig ist diejenige Partei, die zunächst fahrlässig ein Beweismittel zur prozessrechtlichen Verwertung unverwertbar macht, sodann aber die aus diesem Ereignis sich ergebende Chance für eine geschickte Prozessführung erblickt und nutzt. Aus dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens lässt sich folglich nichts für die Herkunft und die Voraussetzungen einer Pflicht der nicht risikobelasteten Partei gewinnen, möglicherweise zu Gunsten des Gegners wirkende Beweismittel zu schaffen, zu erhalten und zur Verfügung zu stellen.

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BGH, NJW-RR 2000, 1471, 1472; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 282; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 382; siehe auch E. Schneider, MDR 1969, 4, 9: „Die beweisbelastete Partei darf keinen Rechtsverlust erleiden, weil ihr die an sich mögliche Beweisführung unmöglich geworden ist wegen eines in der Verantwortungssphäre des Gegners liegenden früheren Verhaltens, das mit dessen Berufung auf die Beweisführungslast unvereinbar ist.“ 274 Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (1993), 24, 352: „Das Verbot des Selbstwiderspruchs kennzeichnet eine formale Beziehung zwischen zwei Verhaltensweisen einer Person. Insofern kann man von einem widersprüchlichen Verhalten nur sprechen, wenn die betreffenden Akte in einem negatorischen Verhältnis zueinander stehen, wenn also eine Person Urheber zweier mit den Aussagen a und non-a zu beschreibender Akte ist.“ 275 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 91.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

2. Der Arglisteinwand Auch der – ebenfalls nur vereinzelt herangezogene – Arglisteinwand führt nicht weiter. Bleibe bei der Beweisführung des Klägers eine Unklarheit bestehen, die an sich zu seinen Lasten gehen würde, die aber vom Beklagten fahrlässig herbeigeführt sei, so stehe der Berufung des Beklagten auf diese mangelnde Beweisführung die Einrede der Arglist entgegen.276 Das überzeugt schon deshalb nicht, weil Arglist im zivilrechtlichen Sprachgebrauch synonym für Vorsatz Verwendung findet.277 Gegenüber einem bloß fahrlässigen Verhalten kann der Arglisteinwand daher schon begrifflich nicht greifen. Es kommt hinzu, dass auch Vorsatz ein für sich betrachtet wertneutraler Begriff ist. Als Zurechnungskriterium für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen in einer bestimmten Person erlangt er erst in Verbindung mit dem Verstoß gegen eine Verhaltenspflicht Bedeutung. Die entscheidende Frage in Zusammenhang mit den Grundsätzen über die Beweisvereitelung lautet aber, weshalb der Gegner verpflichtet sein sollte, der risikobelasteten Partei Erkenntnisquellen für deren Beweisführung zu liefern. In der grundsätzlichen Konzeption der h.M. sollte ihm aber nemo tenetur edere contra se zur Seite stehen.278 3. Kompensationsbedürftige wechselseitige Beweisnöte Für den speziellen Fall der ärztlichen Dokumentations- und der damit einhergehenden ärztlichen Aufklärungspflicht im Prozess hat der Bundesgerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung darauf abgestellt, dass es Beweisnöte für beide Prozessparteien gebe:279 Auf der einen Seite stehe die Beweisnot des Patienten, der zwar grundsätzlich einen Fehler des Arztes als Anspruchsgrundlage zu beweisen habe, dem aber ein Einblick in das Tun des Arztes nur begrenzt, häufig, etwa infolge Narkotisierung, gar nicht möglich sei. Andererseits stehe der Arzt vor der Schwierigkeit, dass Zwischenfälle, die in der Regel auf ärztliches Fehlverhalten hindeuteten, in vielen Bereichen infolge der Unberechenbarkeit des lebenden Organismus ausnahmsweise auch schicksalhaft eintreten könnten. Zweifel bestehen bereits an der Verallgemeinerungsfähigkeit dieses speziell für die Besonderheiten des Arzthaftungsprozesses entwickelten Gedankens. Aber auch für ihren eigenen Anwendungsbereich ist diese Aussage nicht zwingend. So kann es eine Beweisnot beider Parteien für ein und dieselbe Tat276

OLG Frankfurt/Main, JW 1934, 3299. Vgl. nur MünchKomm/Armbrüster, BGB (7. Aufl. 2015), § 123 Rn. 17. 278 Das Gleiche gilt für den verwandten Vorwurf, die den gegnerischen Beweis vereitelnde Partei missachte ihre allgemeine Mitwirkungs- und Prozessförderungspflicht (Lüke, Zivilprozessrecht [10. Aufl. 2011], Rn. 282; Pohlmann, Zivilprozessrecht [3. Aufl. 2014], Rn. 382). 279 BGH, NJW 1978, 1681, 1682. 277

§ 5 Die Grundsätze über die Beweisvereitelung

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sache nicht geben. Das non liquet kann nach gegenwärtigem Stand der deutschen haftungsrechtlichen Dogmatik nur zu Lasten der einen oder der anderen Partei gehen.280 4. Beweisvereitelung und Gewohnheitsrecht Manche versuchen schließlich, dem dogmatischen Problem dadurch auszuweichen, dass sie die Grundsätze über die Beweisvereitelung als inzwischen gewohnheitsrechtlich verfestigt anerkennen.281 Überzeugend ist auch dies nicht. Es mag zwar zutreffen, dass sich die Frage nach der Vereinbarkeit eines Rechtsprechungssatzes mit dem einfachrechtlichen Status quo ante nicht mehr stellt, sobald er zu Gewohnheitsrecht geworden ist.282 Jedoch bedarf auch ein gewohnheitsrechtlicher Geltungssatz der Auslegung, die nur erfolgen kann, wenn das hinter ihm stehende rechtliche Prinzip erfasst ist.283 Um die dogmatische Grundlegung kommt man also nicht herum. Im Übrigen sprechen die besseren Gründe dafür, die allgemeinen Grundsätze über die Beweisvereitelung der Kategorie des Richterrechts zuzuordnen.284 Denn dafür, dass eine ständige Rechtsprechung in den Rang eines verbindlichen Gewohnheitsrechts aufsteigt, müsste diese einer allgemeinen Rechtsprechung entsprechen und praktisch unangefochten sein.285 Insbesondere der letztgenannte Punkt ist angesichts der Meinungsverschiedenheiten zu den Rechtsfolgen der Beweisvereitelung nicht erfüllt.286 Folglich können die Grundsätze über die Beweisvereitelung allenfalls dem Richterrecht zugeschlagen werden, was auch in Anbetracht der fortbestehenden Unsicherheiten möglich ist.287 5. Deliktsrechtliche Qualifizierung der Beweisvereitelung? Erwägungen über eine etwaige deliktsrechtliche Qualifizierung der Grundsätze über die Beweisvereitelung sind auf Basis der lex lata von eher theoreti280 Dies ist rechtspolitisch nicht unumstritten, wenn teils statt der strengen entweder-oderRegel der lex lata die Einführung einer Proportionalhaftung gefordert wird, vgl. etwa Steiner, VersR 2009, 473, 474 (zur Ablösung des groben Behandlungsfehlers im Arzthaftungsprozess); MünchKomm/Wagner, BGB (6. Aufl. 2013), § 823 Rn. 859. 281 Oberheim, JuS 1997, 61, 62; für die Annahme von Gewohnheitsrecht auch Lepa, NZV 1992, 129, 135. 282 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 433. 283 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 357. 284 Reinhardt, NJW 1994, 93, 94; dahin tendierend bereits Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß (1975), 136 f. 285 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 357. 286 Vgl. Paulus, AcP 197 (1997), 136, 139. 287 Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß (1975), 137.

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2. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in der h.M.

scher Bedeutung.288 Inspiriert ist dieses Gedankenspiel insbesondere durch das furtum tabularum im römischen Formularprozess der klassischen Zeit und durch das dem U.S.-amerikanischen Zivilprozess bekannte spoliation tort.289, 290 Doch setzt die Einordnung eines Verhaltens als Delikt jedenfalls ein Unrechtsurteil voraus.291 Dieses anhand des deutschen Zivilprozessrechts zu fällen, ist jedenfalls dann kaum möglich, wenn man mit der h.M. zugrunde legt, dass nemo tenetur edere contra se ein wertungsmäßig tragender Pfeiler des deutschen Beweisrechts ist. Letztlich wurde die Idee, die Beweisvereitelung im deutschen Prozessrecht haftungsrechtlich zu erklären, aber auch aus einem schadensrechtlichen Grund nicht weiterverfolgt. So steht im Fall der Zurückhaltung eines Beweismittels nicht fest, welchen Einfluss es bei einer hypothetischen Einführung in den Prozess auf die richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO gehabt hätte. Abstrakt liegt der zu ersetzende „Schaden“ danach lediglich darin, dass der Gegner die risikobelastete Partei um ihre Beweischance von 50% gebracht hat.292 Auf Basis des § 249 Abs. 1 BGB kann man dann mittels der herkömmlichen Ermittlungsmethoden nicht zu einem ursächlich durch das vereitelnde Verhalten verursachten Schaden gelangen.

Zwischenergebnis Im Gegensatz zur sekundären Behauptungslast wirken die Grundsätze über die Beweisvereitelung nicht nur auf der Beweisebene, sondern sind auch systematisch dort verortet. Für sie existieren immerhin Vorbilder im geschriebenen Gesetzesrecht, namentlich in §§ 427, 441 Abs. 3 Satz 3, 444, 446, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO. Die Fortentwicklung zu einem allgemeinen beweisrechtlichen Institut geht aber deutlich über die geregelten Fälle hinaus. Das betrifft insbesondere den Verzicht auf die von § 422 ZPO an sich geforderte materiellrechtliche Pflicht zur Offenbarung von Urkunden und Augenscheinsobjekten. Die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung bleiben mit „Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast“ sehr vage. Die Vorschläge zur Konkretisierung dieser Formel lassen sich sämtlich nicht bruchlos in die bestehende beweisrechtliche Dogmatik integrieren. Schließlich ergibt sich derselbe Widerspruch zu nemo tenetur edere contra se wie bei der sekundären Behauptungslast. 288 Insbesondere Blomeyer, AcP 158 (1959/60), 97, 102 und Paulus, AcP 197 (1997), 136, 140 ff. haben sich den allgemeinen Grundsätzen über die Beweisvereitelung auf diese Weise genähert. 289 Paulus, AcP 197 (1997), 136, 141. 290 Zum spoliation tort etwa Nolte, 26 St. Mary’s Law Journal (1994–1995), 351, 356 ff. 291 Staudinger/J. Hager, BGB (1999), Vorbem zu §§ 823 ff. Rn. 24; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht (2. Aufl. 1996), Rn. 2. 292 Blomeyer, AcP 158 (1959/60), 97, 102 f.; Schatz, Die Beweisvereitelung in der Zivilprozeßordnung (1992), 42.

3. Kapitel

Informationsproblem und Wahrheitspflicht in alternativen Aufklärungsmodellen Im theoretischen Ausgangspunkt gibt es zwei Grundkonzepte für die Gestaltung prozessrechtlicher Modelle zur Sachverhaltsaufklärung, namentlich das adversielle und das inquisitorische Aufklärungsmodell.1 Adversielle Aufklärungsmodelle stellen die Tatsachenbeschaffung in die Verantwortung der Parteien.2 Sie können mit und ohne Pflicht der Parteien zur wechselseitigen Informationsoffenbarung ausgestaltet sein. Unter der Geltung von inquisitorischen Aufklärungsmodellen ermittelt hingegen das Prozessgericht den Sachverhalt aktiv und eigenverantwortlich.3 Für das adversielle Aufklärungsmodell ist kennzeichnend, dass dort jede Partei selbst dafür verantwortlich ist, diejenigen Tatsachen beizubringen, die die von ihr begehrte Rechtsfolge auslösen. So füge sich die vom Eigeninteresse geleitete Aktivität jeder Partei im Ergebnis zu einem vollständigen und wahrheitsgemäßen Abbild der zugrunde liegenden Geschehnisse zusammen.4 In ihrer restriktiven Form entbinden adversielle Modelle den Gegner von jeglicher Aufklärungspflicht für Umstände, die der risikobelasteten Partei günstig sind. Folglich sei dann die Sachverhaltsaufklärung stets auf den verfügbaren – also den durch die Parteien beigebrachten – Prozessstoff beschränkt; insoweit finde keine erschöpfende, sondern lediglich eine relative Wahrheitsprüfung statt.5 Legt man die h.M. zugrunde, fällt das Aufklärungsmodell der ZPO in 1

Siehe nur Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 203. Tullock, 28 KYKLOS (1975), 745, 746; Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 203; Parisi, 22 International Review of Law and Economics (2002), 194. 3 Tullock, 28 KYKLOS (1975), 745, 746; Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 203; Parisi, 22 International Review of Law and Economics (2002), 193; der Sache nach auch Jacoby, in: Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts (2009), 229 f. 4 BVerfGE 52, 131, 153 f.; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 181; Arens, in: Gilles, Humane Justiz (1977), 1, 6; ders., ZZP 96 (1983), 1; Gaul, AcP 168 (1968), 27, 49 f.; Birk, NJW 1985, 1489, 1494; Leipold, in: FS für Fasching (1988), 329, 340; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 39; Saenger, ZZP 121 (2008), 139, 143; vgl. auch Freedman, 64 Michigan Law Review (1966), 1469, 1470; Frankel, 123 University of Pennsylvania Law Review (1975), 1031, 1042 f.; Daughety/Reinganum, 16 Journal of Law, Economics & Organization (2000), 365 f.; Parisi, 22 International Review of Law and Economics (2002), 193, 207; Walpin, 26 Harvard Journal of Law & Public Policy (2003), 175, 177. 5 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), vor § 128 Rn. 152; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 36; so auch der – von ihm jedoch kritisch bewertete – Befund von Frankel, 123 University of Pennsylvania Law Review (1975), 1031, 1036 f. 2

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3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen

die Kategorie der restriktiven adversiellen Aufklärungsmodelle.6 Freilich führte die vorangegangene Analyse zu dem Ergebnis, dass dieses Aufklärungsmodell auf das im Gesetz angelegte Zusammenspiel von Parteiegoismus, Wahrheitspflicht und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen nicht ausgerichtet ist. Die Regel nemo tenetur edere contra se ist zu allumfassend formuliert, um diese Gemengelage angemessen austarieren zu können. Indem die h.M. diese Regel zudem zum zentralen Wertungskriterium des Beweisrechts erhebt, schafft sie nicht nur faktisch die Möglichkeit, im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitswidriges Vorbringen strategisch für den eigenen Prozessvorteil einzusetzen, sondern legitimiert solches Vorgehen sogar. Vor diesem Hintergrund sind die sekundäre Behauptungslast und die Beweisvereitelung als Institute zur teilweisen Bewältigung des Informationsproblems der risikobelasteten Partei nicht einmal folgerichtig. Dieser Befund liefert Anlass genug, konkurrierende Aufklärungsmodelle im Hinblick darauf zu untersuchen, ob sie den Zusammenhang von Informationsproblem und Wahrheitspflicht besser erfassen. Dabei beginnt das folgende Kapitel mit dem U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht des Bundes7 als einem geradezu archetypischen Repräsentanten des adversiellen Aufklärungsmodells mit wechselseitiger Pflicht der Parteien, ihre entscheidungserheblichen Informationen zu offenbaren. Die daran anschließenden Abschnitte betreffen die Versuche, alternative Aufklärungsmodelle auf Grundlage der lex lata im deutschen Zivilprozess zu begründen.

§ 6 Das Aufklärungsmodell des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses A. Der Begriff des Informationsproblems im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht Bevor man mit einer ins Einzelne gehenden Untersuchung darüber beginnt, wie das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht des Bundes mit dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei umgeht, ist zu klären, ob vor dem Hin6

Wenn demgegenüber das deutsche und andere kontinentaleuropäische prozessuale Aufklärungsmodelle häufig als inquisitorischer Natur bezeichnet werden (etwa Dewatripont/Tirole, 107 Journal of Political Economy [1999], 1, 26; Parisi, 22 International Review of Law and Economics [2002], 193 f.), handelt es sich um ein Missverständnis (siehe Stürner, ZZP 123 [2010], 147, 156). Denn weder die äußere Prozessleitung noch die Beweiswürdigung weisen dem Prozessgericht die Verantwortung für die Tatsachenbeschaffung zu, was für ein inquisitorisches Verfahren aber erforderlich wäre; dennoch macht auch Junker, in: Informationsbeschaffung für den Zivilprozeß (1996), 63, 66, bei der Informationsbeschaffung eine dominierende Stellung des Richters aus. 7 Es geht daher nur um das vor den Federal Courts geltende Verfahrensrecht, vgl. S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 45; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr (1986), 67.

§ 6 Das Aufklärungsmodell des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses

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tergrund des deutschen und des U.S.-amerikanischen Zivilprozessrechts jeweils derselbe Begriff vom Informationsproblem Verwendung finden kann.

I. Das existierende precedent Letztlich unproblematisch ist das zu bejahen, wenn das maßgebliche materielle Recht ein precedent für die Entscheidung des verhandelten Falls bereithält. So betrifft das hier zugrunde gelegte Verständnis vom Informationsproblem nur entscheidungserhebliche Tatsachen. Welche tatsächlichen Informationen entscheidungserheblich sind, legt im deutschen und sonstigen kontinentaleuropäischen Gesetzesrecht die Norm fest: Sie beschreibt abstrakt-generell, bei Vorliegen welcher Tatsachen ihre Rechtsfolge eintreten soll. Besteht der verhandelte Fall aus konkreten Tatsachen, die zu der abstrakten Beschreibung in der Norm passen, tritt die von der Norm angeordnete Rechtsfolge für den verhandelten Fall ein („Subsumtion anhand des formallogischen Syllogismus“).8 Wenn die risikobelastete Partei nicht in der Lage ist, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und zu beweisen, tritt die von ihr begehrte Rechtsfolge nicht ein. Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Gegenbeweis misslingt. Dieses Verständnis vom Informationsproblem basiert auf der Annahme, dass bei vollständiger Aufklärung des Sachverhalts zugleich feststeht, welche der beiden Parteien obsiegen muss. Im Fallrecht des common law gilt jedenfalls dann nichts anderes, wenn ein precedent für den verhandelten Fall existiert.9 Danach sind Fälle, die in den entscheidenden Punkten gleich liegen, innerhalb der hierarchischen Reichweite auch gleich zu entscheiden.10 Welche Tatsachen entscheidungserheblich sind, folgt dabei aus dem bindenden Teil der vorangegangenen Entscheidung.11 Zwar muss dieser Teil seinerseits erst durch Abstraktion der für die damalige

8 Staudinger/Honsell, BGB (2013), Einl. Rn. 154; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 271; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre (1982), 14; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie (8. Aufl. 2015), Rn. 681 f.; Engisch, in: FS Ruperto Carola (1986), 3, 5; R. Walter, in: FG für Opałek (1993), 347; kritisch J. Schneider, Information und Entscheidung des Richters (1980), 55 f. 9 Lücke, 1 Bond Law Review (1989), 36, 46; Langone, 17 Touro Law Review (2001), 769, 796; Huhn, 42 Santa Clara Law Review (2002), 813, 814 f.; Maxeiner, 57 Valparaiso University Law Review (2006), 517, 554. 10 McLeod, Legal Method (8. Aufl. 2011), Rn. 8.3 f.; Lücke, 1 Bond Law Review (1989), 36 f.; Fikentscher, Methoden des Rechts/II (1975), 63. 11 McLeod, Legal Method (8. Aufl. 2011), Rn. 9.2: „(…) the prescriptive ratio of the earlier case or, in other words, the statement of law derived from the earlier case which that case prescribes as being the law for later courts to follow.“; Lücke, 1 Bond Law Review (1989), 36, 46; s. auch Dagan, 57 University of Toronto Law Journal (2007), 607, 612; Schauer, 91 Texas Law Review (2013), 749, 752 f.

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3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen

Entscheidung maßgeblichen konkreten Umstände ermittelt werden.12 Für den Begriff des Informationsproblems ist dies jedoch gleichgültig.

II. Das fehlende oder inhaltlich mehrdeutige precedent Anders soll es aber zumindest in solchen Konstellationen liegen, für die ein precedent entweder noch nicht existiert oder dessen Aussage mehrdeutig ist. Dann nämlich gehe es um Fragen der Rechtsfortbildung. Wo aber die Rechtsfortbildung in Rede stehe, sei die streitentscheidende Regel bis zum Zeitpunkt des Richterspruchs unklar.13 Außerdem sei dann die Vorstellung, wonach bei vollständiger Sachaufklärung eine Partei als Sieger des Prozesses feststehen würde, bloße Fiktion.14 Freilich besteht die Herausforderung zur Rechtsfortbildung auch im deutschen Recht, ohne dass dies grundlegende Zweifel an dem hier verwendeten Begriff des Informationsproblems begründen könnte. So sind unbestimmte Rechtsbegriffe konkretisierungsbedürftig, es können Normen in Widerspruch zu höher-/vorrangigem Recht geraten oder einer analogen Ausweitung oder teleologischen Reduktion bedürfen, etc. Allen diesen Fragen sieht sich das Prozessgericht jedoch nur dann ausgesetzt, wenn der konkret verhandelte Fall sie aufwirft. Gelangen Umstände des Falles, die eine Rechtsfortbildung erforderlich machen, nicht zur Kenntnis des Prozessgerichts, so wird es anhand des überkommenen Normenverständnisses entscheiden. Folglich sind die Umstände, die den Anlass für eine Rechtsfortbildung liefern, ihrerseits selbst entscheidungserheblich. Das Informationsproblem trifft in diesen Fällen diejenige Partei, zu deren Lasten anhand des überkommenen Normenverständnisses entschieden wird. Für das U.S.-amerikanische Recht gilt insoweit nichts anderes. So mag die Aussage eines precedent inhaltlich mehrdeutig sein.15 Soweit ein tatsächlicher Umstand des verhandelten Falles diese Mehrdeutigkeit offenlegt und das Prozessgericht den Fall ohne eine konkretisierende Auslegung nach den herkömmlichen Interpretationsregeln16 nicht entscheiden kann, ist dieser Umstand entscheidungserheblich. Diejenige Partei, die den die Mehrdeutigkeit offenbarenden Umstand nicht benennen konnte und zu deren Lasten die Entscheidung nach den überkommenen Regeln ausfällt, ist Betroffene eines Informationsproblems. Nicht anders liegt es, wenn ein precedent den verhandelten Fall nicht exakt abbildet, sondern die für den Fall maßgebliche Entscheidungsregel erst aus der Kombination mehrerer entschiedener Fälle abge12 13 14 15 16

McLeod, Legal Method (8. Aufl. 2011), Rn. 9.2. Tullock, 30 KYKLOS (1977), 517, 519. Ordover/Weitzman, KYKLOS 30 (1977), 511, 514. Huhn, 42 Santa Clara Law Review (2002), 813, 819. Huhn, 42 Santa Clara Law Review (2002), 813, 832.

§ 6 Das Aufklärungsmodell des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses

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leitet wird.17 Dort ist jede Information entscheidungserheblich, die es erfordert, einen weiteren Fall zu berücksichtigen. Und schließlich verhält es sich entsprechend, wenn die Entscheidungsregel nicht aus konkreten Fällen, sondern aus allgemeinen principles konstruiert werden muss.18 Der hier verwendete Begriff des Informationsproblems ist folglich auch für die Untersuchung des Informationsproblems im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht tauglich.

B. Das Informationsproblem vor dem Übertritt in die pretrial discovery I. Die Verfahrensabschnitte Der U.S.-amerikanische Zivilprozess nach den Federal Rules of Civil Procedure (FRCP) ist in zwei Abschnitte untergliedert: Das trial als die eigentliche Hauptverhandlung und die vorgelagerte pretrial Phase.19 Am Anfang des Prozesses stehen dabei die Klageerhebung nach FRCP 3 und die Klageschrift, für die lediglich die generellen Anforderungen der FRCP 8 zu beachten sind.20 Es verteidigt sich sodann der Beklagte nach Maßgabe der FRCP 12. Der Austausch weiterer Schriftsätze ist für den Regelfall nicht vorgesehen.21 Vielmehr geht das Verfahren in die discovery Phase über, in der die für die Substantiierung im trial benötigten Informationen beschafft werden.22 Bereits die pretrial Phase kann mit einem Urteil enden. Hinsichtlich Tatbestand und Wirkungen ist dabei zu unterscheiden zwischen dem judgment on the pleadings nach FRCP 12 (c)23 und (i)24 und dem summary judgment gemäß FRCP 56 (a).25

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Fikentscher, Methoden des Rechts/II (1975), 256. Fikentscher, Methoden des Rechts/II (1975), 257. 19 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 534. 20 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 99. 21 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 373. 22 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 99. 23 MOTION FOR JUDGMENT ON THE PLEADINGS. After the pleadings are closed – but early enough not to delay trial – a party may move for judgment on the pleadings. 24 HEARING BEFORE TRIAL. If a party so moves, any defense listed in Rule 12 (b) (1)(7) – whether made in a pleading or by motion – and a motion under Rule 12 (c) must be heard and decided before trial unless the court orders a deferral until trial. 25 MOTION FOR A SUMMARY JUDGMENT OR PARTIAL SUMMARY JUDGMENT. A party may move for summary judgment, identifying each claim or defense – or the part of each claim or defense – on which summary judgment is sought. The court shall grant summary judgment if the movant shows that there is no general dispute as to any material fact and the movant is entitled to judgment as a matter of law. The court should state on the record the reasons for granting or denying the motion. 18

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3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen

II. Das judgment on the pleadings: Begriff, Voraussetzungen, Wirkungen Das judgment on the pleadings nach FRCP 12 (c) ergeht allein auf Basis der Schriftsätze und der ihnen beigefügten Anlagen,26 ohne dass irgendwelche außerhalb dieser selbst liegenden Informationen Berücksichtigung finden.27 In systematisch und inhaltlich engem Zusammenhang mit FRCP 12 (c) steht der erfolgreiche Klageabweisungsantrag gemäß FRCP 12 (b) (6).28 Mit ihm macht der Beklagte geltend, dass für das Begehren des Klägers keine Anspruchsgrundlage gegeben ist, und zwar selbst dann nicht, wenn man sein gesamtes Vorbringen als wahr unterstellt.29 Jedenfalls aus FRCP 12 (d)30 ersichtlich liefern auch in diesem Fall ausschließlich die Schriftsätze die für die Entscheidung notwendigen Informationen. Insoweit mag man die Abweisung aufgrund von FRCP 12 (b) (6) als besonders geregelten Fall des judgment on the pleadings bezeichnen.31 Ein erfolgreicher Antrag auf Basis von FRCP 12 (c) bzw. FRCP 12 (b) (6) setzt voraus, dass bereits die Schriftsätze die notwendige Tatsachenbasis liefern, um eine Endentscheidung treffen zu können.32 So liegt es namentlich dann, wenn der Beklagte die für seine Verurteilung erheblichen Tatsachen bereits in der Erwiderung zugesteht.33 Umgekehrt ergeht judgment on the pleadings etwa dort gegen den Kläger, wo der geltend gemachte Anspruch bereits nach seinem eigenen Vorbringen verjährt ist.34 Gleiches gilt, wenn nach dem Vortrag in den Schriftsätzen der Klage die Grundsätze über res judicata entgegenstehen,35 für den Anspruch also eine frühere endgültige Sachentschei-

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Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 522. Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 520. 28 HOW TO PRESENT DEFENSES. Every defense to a claim for relief in any pleading must be asserted in the responsive pleading if one is required. But a party may assert the following defenses by motion: […] failure to state a claim upon which relief can be granted. 29 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 362. 30 RESULT OF PRESENTING MATTERS OUTSIDE THE PLEADINGS. If, on a motion under Rule 12 (b) (6) or 12 (c), matters outside the pleadings are presented to and not excluded by the court, the motion must be treated as one for summary judgment under Rule 56. […]. 31 Siehe Barbara v. NYSE, Inc., 99 F.3d 49, 51 (2d Cir. 1996), wo die bestätigte Entscheidung der Vorinstanz als dismissal for failure to state a claim bezeichnet wird, während Kravitz/Klau, 34 Connecticut Law Review (2002), 833, 942 diese Entscheidung als judgment on the pleadings bezeichnen; a.A. wohl Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 365, die eine Abgrenzung von FRCP 12 (c) und FRCP 12 (b) (6) für erforderlich hält. 32 Grossi, 20 Indiana International & Comparative Law Review (2010), 213, 236; Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 521. 33 Grossi, 20 Indiana International & Comparative Law Review (2010), 213, 236. 34 Grossi, 20 Indiana International & Comparative Law Review (2010), 213, 236. 35 Madrid, 98 Cornell Law Review (2013), 463, 489; die entgegenstehende res judicata wird allerdings nicht einheitlich über das judgment on the pleading erfasst. Siehe dazu a.a.O. Fn. 19. 27

§ 6 Das Aufklärungsmodell des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses

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dung bereits vorliegt,36 oder wenn für den Beklagten keine Gerichtsbarkeit besteht.37 Das judgment on the pleadings ist zwar prinzipiell rechtskraftfähig.38 Damit ist aber keineswegs stets eine Rechtskraftwirkung verbunden, wie sie im deutschen Prozessrecht ein Sachurteil nach § 322 ZPO entfaltet. Ob mit dem judgment on the pleadings ein endgültiger Anspruchsverlust verbunden ist, hängt vielmehr davon ab, ob die Entscheidung with prejudice oder without prejudice ergeht.39 Weist das Gericht die Klage without prejudice ab, steht dem Unterlegenen zumindest theoretisch die Möglichkeit offen, sein Begehren unter Beseitigung des vormaligen Mangels abermals vor Gericht zu bringen.40 Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall der erfolgreichen Klage. Auch hier kann das Gericht dem Antrag auf judgment on the pleadings entsprechen und gleichzeitig dem Beklagten aufgeben, seine Verteidigung nachzubessern.41 Verurteilt das Gericht den Beklagten demgegenüber antragsgemäß, ohne die Nachbesserungsmöglichkeit auszusprechen, sind spätere Einwendungen gegen den Anspruch nach den Grundsätzen über res judicata ausgeschlossen.42

III. Die Anforderungen an den Klägervortrag: Von notice pleading zu Twombly/Iqbal Das Informationsproblem kann den Kläger danach theoretisch bereits in dieser frühen Phase des Prozesses ereilen, und zwar dann, wenn sein Vorbringen inhaltlich zu dürftig ausfällt, um den geltend gemachten Anspruch als verwirklicht darzustellen. Wie groß die solchermaßen drohende Gefahr tatsächlich ist, hängt – ganz wie beim Schlüssigkeitserfordernis des deutschen Prozessrechts – davon ab, welche Anforderungen die FRCP insoweit stellen.

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Allen v. McCurry, 449 U.S. 90, 94 (1980). Barbara v. NYSE, Inc., 99 F.3d 49, 59 (C.A.2 [N.Y.], 1996). 38 Kravitz/Klau, 34 Connecticut Law Review (2002), 833, 942; Koshiyama, Rechtskraftwirkungen und Urteilsanerkennung nach amerikanischem, deutschem und japanischem Recht (1996), 9. 39 Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 737. 40 Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 737; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Fn. 351. 41 Mag Instruments, Inc. v. JS Products, Inc., 595 F.Supp.2d 1102, 1108 f.: „Accordingly, the Court denies Plaintiff’s Motion to Strike and grants Plaintiff’s Motion for Judgment on the Pleadings, with leave to amend.“ 42 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 180. 37

100 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen 1. Die früheren Anforderungen: Notice pleading FRCP 8 (a) (2)43 ist die relevante bundesrechtliche Regel zu den Anforderungen an den klägerischen Tatsachenvortrag, soweit es sich um eine Leistungsklage handelt. Danach hat der der Kläger die tatsächliche Grundlage seines vermeintlichen Anspruchs nur in kurzen und einfachen Worten zu schildern. Allgemein hat man dies lange Zeit dahin interpretiert, dass der Kläger den Beklagten nur in groben Zügen darüber in Kenntnis zu setzen habe, welcher Art sein Anspruch sei und auf welchen Umständen er gründe.44 Dabei verzichtet FRCP 8 (a) (2) nicht nur auf eine in die Einzelheiten gehende Schilderung der tatsächlichen Ereignisse,45 vielmehr kommt eine Abweisung wegen unzureichenden tatsächlichen Vorbringens nur dann in Betracht, wenn das Gericht überzeugt ist, dass der Kläger keinen Sachverhalt wird beweisen können, der den geltend gemachten Anspruch rechtfertigt.46 Höhere Anforderungen sind nur dort zu stellen, wo dies besonders vorgesehen sei, etwa durch FRCP 9 (b) für fraud und mistake.47 Dieser großzügige Maßstab hilft dem Kläger über manche Schwierigkeiten hinweg, beispielsweise beim Vortrag über innere Tatsachen in der Person des Gegners. So etwa hatten farbige Eisenbahnarbeiter Klage gegen ihre Gewerkschaft und einige derer Funktionäre mit dem Vorwurf der Rassendiskriminierung erhoben. Zur Begründung führten sie an, dass die für sie zuständigen Gewerkschaftsrepräsentanten bei den Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite die Interessen der Kläger wegen ihrer Rassezugehörigkeit nicht sachgerecht vertreten hätten, was den Verlust ihrer Arbeitsplätze zur Folge gehabt habe. Nach den Grundsätzen über das notice pleading hielt der Supreme Court diesen Vortrag für ausreichend, weil der Sachverhalt – seinen Nachweis im Prozess unterstellt – einen Schadensersatzanspruch der Kläger begründete.48 Insbesondere im Hinblick auf die behauptete rassistische Motivation verlangte er

43 CLAIM FOR RELIEF. A pleading that states a claim for relief must contain: […] a short and plain statement of the claim showing that the pleader is entitled to relief. 44 Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 47 (1957); Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 99. 45 Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 47 (1957). 46 Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 45 f. (1957): „In appraising the sufficiency of the complaint, we follow, of course, the accepted rule that a complaint should not be dismissed for failure to state a claim unless it appears beyond doubt that the plaintiff can prove no set of facts in support of his claim which would entitle him to relief.“; ebenso Haines v. Kerner, 404 U.S. 519, 521 (1972); Cruz v. Beto, 405 U.S. 319, 322 (1972); Scheuer v. Rhodes, 416 U.S. 232, 236 (1974); Hospital Bldg. Co. v. Trustees of Rex Hospital, 425 U.S. 738, 746 (1976); Simon v. Eastern Kentucky Welfare Rights Organization, 426 U.S. 26, 55 (1976); Estelle v. Gamble, 429 U.S. 97, 106 (1976); McLain v. Real Estate Bd. of New Orleans, Inc., 444 U.S. 232, 246 (1980). 47 Leatherman v. Tarrant County Narcotics Intelligence and Coordination Unit, 507 U.S. 163, 168 (1993); Swierkiewicz v. Sorema N. A., 534 U.S. 506, 513 (2002). 48 Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 46 (1957).

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– entsprechend FRCP 9 (b) a.E.49 – keine weiteren Einzelheiten oder sonstigen Belegtatsachen.50 Das erinnert zunächst an die Definition der Schlüssigkeit im deutschen Prozessrecht. Doch mag man den Maßstab des notice pleading noch klägerfreundlicher interpretieren. Während Schlüssigkeit nach dem Verständnis der ZPO nämlich einen Tatsachenvortrag verlangt, der in Verbindung mit einem Rechtssatz die geltend gemachten Rechte als in der Person des Klägers entstanden erscheinen lässt,51 soll den Anforderungen der FRCP 8 (a) (2) auch dann genügt sein, wenn der Kläger einen Sachverhalt vorträgt, der unter einen Haftungstatbestand fallen kann oder auch nicht.52 Anders gewendet: Das notice pleading verlangt noch nicht nach sämtlichen klagebegründenden Tatsachen;53 um diese geht es erst im anschließenden discovery Verfahren.54 An FRCP 8 (a) (2) kann eine Klage nach diesen Grundsätzen folglich nur scheitern, wenn die geschilderten Ereignisse unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt zu der begehrten Rechtsfolge führen können.55 Das kommt etwa in Betracht, wenn der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen selbst und allein für eine erlittene Verletzung verantwortlich ist.56 Es liegt auf der Hand, dass diese Voraussetzungen nur in seltenen Fällen erfüllt sein können.57 Ist den Anforderungen des notice pleading genügt, kann der Kläger zur Gegner- oder Drittenausforschung nach den Regeln über die pretrial discovery schreiten.58 Die Eintrittsschwelle in die pretrial discovery wird dabei deshalb so niedrig gehalten, weil niemand infolge eines Informationsdefizits um seine Rechte gebracht werden soll.59 Die Wertungsfragen, ob die in Anspruch ge49 FRAUD OR MISTAKE; CONDITIONS OF MIND. […] Malice, intent, knowledge, and other conditions of a person’s mind may be alleged generally. 50 Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 47 (1957). 51 Siehe nur Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), vor § 253 Rn. 38. 52 Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 722: „First, a plaintiff alleging intentional discrimination in her complaint often tells a story whose facts are consistent with both legal and illegal behavior.“; ähnlich Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 992: „In ruling on a 12 (b) (6) motion, a court must accept the plaintiff’s allegations as true and construe the complaint liberally granting the plaintiff the benefit of all inferences that can be derived from the facts.” 53 Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 1001. 54 Swierkiewicz v. Sorema N. A., 534 U.S. 506, 512 (2002): „This simplified notice pleading standard relies on liberal discovery rules and summary judgment motions to define disputed facts and issues and to dispose of unmeritorious claims.“ 55 Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 992. 56 Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 992 Fn. 29. 57 Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 434; Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 522. 58 Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 993. 59 Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 726: „In the absence of discovery, it is particularly difficult for civil rights claims to survive dismissal when plaintiffs cannot access information that is exclusively in the defendant’s possession, such as evidence of a defendant’s intent or institutional practices. This unequal access to information – informational asymmetry – between the parties is unfair and puts plaintiffs at a significant disadvantage when

102 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen nommene Partei zur effektiven Verteidigung gegen einen nur vage formulierten Vorwurf geschützte und legitime Geheimnisse preisgeben muss, beantworten die geschilderten Grundsätze über das notice pleading mit „Ja“. Korrekturen sind dann lediglich noch innerhalb des discovery Verfahrens möglich. 2. Die Verschärfung der Anforderungen durch Twombly/Iqbal a) Die Forderung nach einer plausiblen Klagebegründung Dieser großzügige Maßstab hatte in manchen Rechtsgebieten von jeher Schwierigkeiten, sich durchzusetzen. Betroffen waren namentlich die kartellrechtliche Haftung nach Section I Sherman Antitrust Act60 und Bürgerrechtsklagen.61 Nachdem der Supreme Court in der Vergangenheit verschärften Anforderungen gerade auch in diesen Fallgruppen stets entgegengewirkt hatte,62 hat er vor wenigen Jahren eine Kehrtwende vollzogen: Damit sie nicht nach FRCP 12 (b) (6) abgewiesen werde, müsse die Klageschrift in Menge und Aussagekraft solche Tatsachen enthalten, die die Klageforderung plausibel begründen.63 Ent60 challenging the misconduct of employers, corporations, and other institutions.”; siehe auch Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 439; Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 990. 60 Siehe etwa Futurevision Cable Systems of Wiggins, Inc. v. Multivision Cable TV Corp., 789 F. Supp. 760, 772 (S.D. Miss. 1992) zum abgestimmten, wettbewerbsbeschränkenden Verhalten [„conspiracy“]. Um eine conspiracy wirksam zu behaupten, müsse die Klägerin die Tatsachen benennen, die diese begründen. Die Schilderung äußerer Umstände – es ging um die exklusive Vergabe von Senderechten in einem bestimmten Verbreitungsgebiet – verbunden mit der allgemeinen Behauptung einer conspiracy genüge nicht [„A general allegation of conspiracy, … without a statement of the facts constituting the conspiracy, is a mere allegation of a legal conclusion and is inadequate of itself to state a cause of action.“]. 61 Goad v. Mitchell, 297 F.3d 497, 504 f. (C.A.6 [Ohio], 2002) zur Meinungsfreiheit in einem Dienstverhältnis. Die Kläger waren im Vollzug beschäftigt und hatten gegenüber Kontrollinstanzen auf (vermeintliche) Missstände innerhalb ihrer Vollzugsanstalt hingewiesen. Sie trugen vor, dass als Vergeltungsmaßnahme hierfür gegen sie willkürlich Disziplinarmaßnahmen ergriffen worden seien [„The initiation and pursuit by Mitchell and Visintine of improper and unwarranted disciplinary proceedings against Goad and Wuchich.“]. Um die unlautere Motivlage als ausreichend vorgetragen anzuerkennen, forderte das angerufene Gericht indes bereits in den pleadings konkrete Belegtatsachen ein, die den Rückschluss auf die missbilligte Motivlage der Beklagten erlaubten [„(…) permits district courts to require plaintiffs to produce specific, nonconclusory factual allegations of improper motive before discovery in cases in which the plaintiff must prove wrongful motive (…).]. 62 Leatherman v. Tarrant County Narcotics Intelligence and Coordination Unit, 507 U.S. 163, 168 (1993): „We think that it is impossible to square the heightened pleading standard applied by the Fifth Circuit in this case with the liberal system of notice pleading set up by the Federal Rules.“ Zwar handelt es sich hier um einen Fall aus dem Bereich der civil rights. Jedoch beeinflusste er insbesondere auch die kartellrechtliche Rechtsprechungspraxis [Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 1012: „While heightened pleading emerged in both types of claims, pleading with particularity is not the general rule in antitrust cases post-Leatherman.“]. 63 Ashcroft v. Iqbal, 550 U.S. 662, 663 (2009): „[…] the Rule does call for sufficient factual matter, accepted as true, to state a claim to relief that is plausible on its face […].“; im Anschluss an Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 547 (2007).

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sprechendes gilt im Rahmen von FRCP 12 (c).64 Dieser Standard soll strenger als derjenige des notice pleading sein.65 Gleichwohl soll das Level des heightened pleading gemäß FRCP 9 (b) – danach verlangt etwa ein Wertpapierbetrug („securities fraud“), dass der Kläger im Einzelnen darstellt, welche Personen sich wann, wo, wie und mit welchem Inhalt solchermaßen verabredet haben66 – nicht verlangt sein.67 Die neuartige Forderung nach einem plausiblen Klagevorbringen ist demnach konkretisierungsbedürftig. b) Konkretisierung I: Bell Atlantic Corp. v. Twombly So hatten die Kläger im Fall Bell Atlantic Corp. v. Twombly eine Wettbewerbsbeschränkung in Form abgestimmten Verhaltens behauptet. Zur Begründung des Vorwurfs führten sie lediglich aus, dass die beklagten Telekommunikationsunternehmen nach außen erkennbar gleichartig handelten.68 Dazu, dass dieses gleichartige Handeln Ausdruck einer dahingehenden Vereinbarung war, enthielt die Klageschrift keine näheren Angaben. Den früheren Maßstäben des notice pleading mag dieser im Hinblick auf die wettbewerbsbeschränkende vertragliche Verabredung ausgesprochen dünne Vortrag noch genügen. So war das Gericht danach bei der Entscheidung über einen Antrag nach FRCP 12 (b) (6) gehalten, die klägerischen Behauptungen als wahr zu unterstellen und aus diesen alle dem geltend gemachten Begehren günstigen Schlussfolgerungen zu ziehen.69 Dass nach außen gleichartiges Ver64 Myers v. Koopman, F.3d, 2013 WL 6698102 (C.A.10 [Colo.], 2013); Jenn-Ching Luo v. Baldwin Union Free School Dist., Fed.Appx., 2013 WL 6726899 (C.A.2 [N.Y.], 2013). 65 Steinberg/Gomez-Cornejo, 30 Review of Litigation (2010), 1, 26. 66 DiLeo v. Ernst & Young, 901 F.2d 624, 627 (C.A.7 [Ill.], 1990): „FRCP 9 (b) requires the plaintiff to state with particularity any circumstances constituting fraud. Although states of mind may be pleaded generally, the circumstances must be pleaded in detail. This means the who, what, when, where, and how: the first paragraph of any newspaper story.“ 67 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 547 (2007); a.A. Steinberg/Gomez-Cornejo, 30 Review of Litigation (2010), 1, 32. 68 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544 (2007): „The question in this putative class action is whether a § 1 complaint can survive a motion to dismiss when it alleges that major telecommunications providers engaged in certain parallel conduct unfavorable to competition, absent some factual context suggesting agreement, as distinct from identical, independent action.“ 69 Schuler v. U.S., 617 F.2d 605, 608 (C.A.D.C., 1979); Kowal v. MCI Communications Corp., 16 F.3d 1271, 1276 (C.A.D.C., 1994); Atchinson v. District of Columbia, 73 F.3d 418, 422 (C.A.D.C., 1996); Sparrow v. United Air Lines, Inc., 216 F.3d 1111, 1113 (C.A.D.C., 2000); Andrx Pharmaceuticals, Inc. v. Biovail Corp. Intern., 256 F.3d 799, 805 (C.A.D.C., 2001); Browning v. Clinton, 292 F.3d 235, 242 (C.A.D.C., 2002); Stokes v. Cross, 327 F.3d 1210, 1215 (C.A.D.C., 2003); Holy Land Foundation for Relief and Development v. Ashcroft, 333 F.3d 156, 165 (C.A.D.C., 2003); Kingman Park Civic Ass’n v. Williams, 348 F.3d 1033, 1039 (C.A.D.C., 2003); Barr v. Clinton, 370 F.3d 1196, 1199 (C.A.D.C., 2004); U.S. ex rel. Williams v. MartinBaker Aircraft Co., Ltd., 389 F.3d 1251, 1259 f. (C.A.D.C., 2004); Thomas v. Principi, 394 F.3d 970, 972 (C.A.D.C., 2005); Venetian Casino Resort, L.L.C. v. E.E.O.C., 409 F.3d 359, 364 (C.A.D.C., 2005); Public Citizen v. U.S. Dist. Court for Dist. of Columbia, 486 F.3d 1342, 1344

104 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen halten verschiedener Marktakteure auf einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung beruht, ist zwar weder zwingend noch auch nur überwiegend wahrscheinlich. Jedoch ist es auch nicht logisch ausgeschlossen, was die allein maßgebliche Testfrage für den Standard des notice pleading bildete.70 Gemessen am Maßstab des heightened pleading nach FRCP 9 (a), wäre der Antrag nach FRCP 12 (b) (6) hingegen in jedem Fall erfolgreich. Denn dann wären genaue Angaben sowohl zum Inhalt des Vertrags als auch zu den Umständen seines Zustandekommens zu fordern, um dem Kläger den Übertritt in die pretrial discovery zu gestatten. Für den zwischen den Polen notice pleading und heightened pleading liegenden Maßstab der plausiblen Klagebegründung nimmt der U.S. Supreme Court eine zweistufige Prüfung vor. Zunächst sind rechtliche Schlussfolgerungen einschließlich der bloßen Wiedergabe von Merkmalen des anspruchsbegründenden Tatbestands aus dem gesamten klägerischen Vorbringen auszusondern. Sie enthalten keine prüfbaren Tatsachen und sind daher unbeachtlich.71 Die bloße Behauptung, dass die Beklagten eine wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen hätten, kann eine auf Section I Sherman Antitrust Act gestützte Klage daher nicht ausreichend begründen.72 In einem zweiten Schritt sind die so vom Rest des Vorbringens isolierten Tatsachen daraufhin zu überprüfen, ob sie – ihre Wahrheit unterstellt – das geltend gemachte Begehren plausibel begründen. Die klägerische Behauptung in Bell Atlantic Corp. v. Twombly beschränkt sich darauf, dass die beklagten Marktteilnehmer sich nach außen erkennbar gleichartig verhalten. Dieses gleichartige Verhalten kann freilich ebenso gut ein Resultat parallel getroffener und unabgesprochener Entscheidungen der jeweiligen Marktteilnehmer sein. Dieses Vorbringen genügt demnach noch nicht, um den Anspruch aus Section I Sherman Antitrust Act plausibel darzulegen. Notwendig sind vielmehr solche unterstützenden Belegtatsachen, die eine Ausforschung des Beklagten oder Dritter im Rahmen einer pretrial discovery als aussichtsreich erscheinen lassen.73 Bei Meidung einer Abweisung nach FRCP 12 (b) (6) muss der Kläger also Indizien benennen, die dafür sprechen, dass das gleichartige Marktverhalten nicht lediglich das 70 (C.A.D.C., 2007); Atherton v. District of Columbia Office of Mayor, 567 F.3d 672, 678 (C.A.D.C., 2009); Vila v. Inter-American Investment, Corp., 570 F.3d 274, 284 (C.A.D.C., 2009); In re Interbank Funding Corp. Securities Litigation, 629 F.3d 213, 216 (C.A.D.C., 2010); Hettinga v. U.S., 677 F.3d 471, 476 (C.A.D.C., 2012); NB ex rel. Peacock v. District of Columbia, 682 F.3d 77, 82 (C.A.D.C., 2012); Defenders of Wildlife v. Perciasepe, 714 F.3d 1317, 1327 (C.A.D.C., 2013); Jacobs v. Vrobel, 724 F.3d 217, 220 (C.A.D.C., 2013). 70 Scheuer v. Rhodes, 416 U.S. 232, 236 (1974); Hoover v. Ronwin, 466 U.S. 558, 588 (1984); Swierkiewicz v. Sorema N. A., 534 U.S. 506, 515 (2002); Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 992; Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 722. 71 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 555 (2007); Steinberg/Gomez-Cornejo, 30 Review of Litigation (2010), 1, 31. 72 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 556 (2007). 73 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 556 (2007).

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Resultat autonomer Entscheidungen der Akteure ist, sondern auf einer vertraglichen Verabredung beruht. Solche Indizien können etwa in der Marktstruktur74 oder auch in früheren Kontakten der beklagten Marktteilnehmer liegen.75 Auf der Wertungsebene verschiebt die Forderung nach einer plausiblen Klagebegründung die Gewichte weg vom Rechtsschutzinteresse des Klägers hin zum Schutz des Beklagten vor willkürlicher Inanspruchnahme. Der U.S. Supreme Court rechtfertigt dies mit dem Hinweis auf Zeit und Kosten, die dem Beklagten jedenfalls eines kartellrechtlichen Verfahrens auch dann entstehen, wenn er sich im Rahmen einer pretrial discovery letztlich erfolgreich gegen die erhobenen Vorwürfe zur Wehr setzt. Das Kostenrecht ist an dieser Stelle besonders bedeutsam, weil der erfolglose Kläger die Kosten des Beklagten grundsätzlich nicht zu erstatten hat.76 Das Kostenrisiko entfaltet folglich nur eine eingeschränkte Abschreckungswirkung gegen aufs Geratewohl erhobene Klagen. Diesen fehlenden Filter soll die Forderung nach einer plausiblen Klagebegründung ersetzen.77 c) Konkretisierung II: Ashcroft v. Iqbal Im Fall Ashcroft v. Iqbal klagte ein pakistanischer Staatsbürger muslimischen Glaubens gegen mehrere Vertreter amerikanischer Ermittlungsbehörden des Bundes. Ermittlungsbeamte hatten den Kläger im Zuge der Ermittlungen zu den Anschlägen vom 11. September 2001 in Gewahrsam genommen. Von den Beklagten David Ashcroft und Robert Mueller, zum maßgeblichen Zeitpunkt Justizminister bzw. Direktor des Federal Bureau of Investigation, verlangte er Schadensersatz mit der Behauptung, sie hätten Ermittlungspraktiken eingeführt, die ihn, den Kläger, verschärften Gewahrsamsbedingungen ausgesetzt hätten, und zwar wegen seiner Rasse, Religion und Herkunft. Durch die Einführung besagter Ermittlungspraktiken hätten die Beklagten die verfassungs74 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann, Kartellrecht (2. Aufl. 2009), § 1 GWB Rn. 71. So spricht es für eine wettbewerbsbeschränkende Abrede, wenn die Marktstruktur einem intensiven Wettbewerb förderlich ist, viele Akteure sich aber dennoch gleichartig verhalten. 75 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann, Kartellrecht (2. Aufl. 2009), § 1 GWB Rn. 76. 76 Alyeska Pipeline Service Co. v. Wilderness Society, 421 U.S. 240, 270 f. (1975); Coyne-Delany Co., Inc. v. Capital Development Bd. of State of Illinois, 717 F.2d 385, 393 (C.A.Ill., 1983); Kennedy v. Whitehurst, 509 F.Supp. 226, 231 (D.C.D.C., 1981); Blow v. Lascaris, 523, F.Supp. 913, 916 (D.C.N.Y., 1981); Fallowfield Development Corp. v. Strunk, 766 F.Supp. 335, 337 f. (E.D.Pa., 1991); Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 22. 77 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 559 (2007): „Probably, then, it is only by taking care to require allegations that reach the level suggesting conspiracy that we can hope to avoid the potentially enormous expense of discovery in cases with no «reasonably founded hope that the [discovery] process will reveal relevant evidence» to support a § 1 claim.“

106 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen mäßigen Rechte des Klägers verletzt und seien ihm deshalb zum Schadensersatz verpflichtet.78 Um erfolgreich zu sein, muss solch eine Bivens action wegen religiöser Diskriminierung in tatsächlicher Hinsicht ergeben, dass der in Anspruch Genommene den Kläger vorsätzlich und zielgerichtet wegen seiner Religion einer Maßnahme unterzogen hat, die ein anderer nicht erdulden musste.79 Andere, im Hinblick auf die Diskriminierungsfrage neutrale Umstände müssen ausscheiden. Um mit seinem Begehren nicht bereits vor der pretrial discovery nach FRCP 12 (b) (6) abgewiesen zu werden, hätte der Kläger in Ashcroft v. Iqbal folglich hinreichend dartun müssen, dass seine Behandlung während des Gewahrsams nur auf seine Religion und nicht auf ermittlungstaktische Gründe zurückzuführen sei.80 Wann solches hinreichend dargetan ist, beurteilt sich auch in Diskriminierungs- und anderen Bürgerrechtsfällen anhand der Grundsätze, die der U.S. Supreme Court zuvor in der Entscheidung über den Fall Bell Atlantic Corp. v. Twombly aufgestellt hatte.81 In Anwendung des Zwei-Stufen-Tests gemäß Bell Atlantic Corp. v. Twombly kommt der U.S. Supreme Court zunächst zu der Einschätzung, dass die Aussage, die Beklagten Ashcroft und Mueller hätten wegen der Rasse und Religion diskriminierende Ermittlungspraktiken verfügt bzw. ausgeführt, den Charakter einer Schlussfolgerung habe und daher einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt nicht zugänglich sei.82 Als Grundlage einer plausiblen Klagebegründung kommt sie folglich nicht in Betracht. Als Tatsachenvortrag verbleiben demnach lediglich noch die Aussagen, dass die U.S.-amerikanischen Ermittlungsbehörden des Bundes im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 tausende muslimische Männer in Gewahrsam genommen und verschärfte Haftbedingungen – insbesondere Ausschluss von der Kommunikation mit der Außenwelt – über sie verhängt hätten. Eine religiös oder rassistisch motivierte Diskriminierung sei dadurch jedoch nicht plausibel dargetan. Angesichts der persönlichen Hintergründe der Attentäter vom 11. September 2001 sei es bereits eine logische Schlussfolgerung, dass bei der Suche nach Un78 Nach Bivens v. Six Unknown Named Agents, 403 U.S. 388 (1971), sog. Bivens action, die dem Betroffenen im Fall einer Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte Rechtsschutz direkt auf Grundlage der Verfassung gewährt, soweit spezialgesetzlicher Rechtsschutz nicht vorgesehen ist. 79 Church of the Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah, 508 U.S. 520, 540 ff. (1993); Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 676 (2009); Pahls v. Thomas, 718 F.3d 1210, 1230 (C.A.10 [N.M.], 2013); Cole v. F.B.I., 719 F.Supp.2d 1229, 1250 (D.Mont., 2010); Jackson v. Raemisch, 726 F.Supp.2d 991, 1005 (W.D.Wis., 2010); Ward v. Rabideau, 732 F.Supp.2d 162, 174 (W.D.N.Y., 2010); Hall v. Lanier, 766 F.Supp.2d 48, 52 (D.D.C., 2011); Johnson v. Government of Dist. of Columbia, 780 F.Supp.2d 62, 77 (D.D.C., 2011); In re Navy Chaplaincy, 928 F.Supp.2d 26, 33 (D.D.C., 2013); Barnes v. Ross, 926 F.Supp.2d 499, 509 (S.D.N.Y., 2013). 80 Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 677 (2009). 81 Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 678 f. (2009). 82 Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 681 (2009).

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terstützern und Hintermännern Ausländer muslimischen Glaubens im besonderen Fokus der Ermittlungen standen.83 Darüber hinaus sei im Hinblick auf den behaupteten Vorsatz zur Diskriminierung aus rassistischen und religiösen Gründen nichts Unterstützendes vorgebracht.84 Während der U.S. Supreme Court in Bell Atlantic Corp. v. Twombly die verschärften Anforderungen an den klägerischen Sachvortrag in der pretrial Phase noch ausführlich mit dem Aufwand rechtfertigt, den die discovery gerade in kartellrechtlichen Verfahren mit sich bringt, fallen die entsprechenden Ausführungen in Ashcroft v. Iqbal eher knapp aus. Gleichwohl wird auch hier deutlich, dass die plausible Klagebegründung geboten ist, um den Beklagten allgemein davor zu schützen, willkürlich mit einer pretrial discovery überzogen zu werden.85 3. Die neuralgischen Fallgruppen Zwar mag es sein, dass die plausible Begründung als Maßstab für eine Klageschrift, die dem Kläger den Weg in die pretrial discovery ebnet, anhand der Besonderheiten zunächst des kartellrechtlichen und sodann des bürgerrechtlichen Verfahrens entwickelt wurde. Dennoch ist dieser Maßstab Folge einer Interpretation der FRCP 8 und damit im gesamten Anwendungsbereich der Federal Rules of Civil Procedure verbindlich.86 Folglich läuft der Kläger überall dort Gefahr, eine Klageabweisung auf Grundlage von FRCP 12 (b) (6) zu erleiden, wo er den klagebegründenden Sachverhalt zur Gänze oder in entscheidungserheblichen Auszügen lediglich in Form vager Schlussfolgerungen zu beschreiben vermag. Dadurch entstehen Informationsprobleme in Fallgruppen, die denjenigen des deutschen Zivilprozesses sehr ähnlich sind. a) Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich Zunächst sind dabei die Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungsbereich zu nennen. Gerade der Fall Bell Atlantic Corp. v. Twombly ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Die Parteien einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung verschleiern dieselbe gegenüber denjenigen, die von ihr negativ betroffen sind. Mangels Informationszugang bleibt den Betroffenen dann häufig nichts anderes übrig, als die negativen Effekte zu beschreiben, denen sie ausgeliefert sind, und die dahinter stehende vertragliche Vereinbarung schlicht zu 83 Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 682 (2009). Für den Kläger kam hinzu, dass dieser sich im Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme illegal in den Vereinigten Staaten aufhielt. 84 Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 683 (2009). 85 Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 678: „Rule 8 marks a notable and generous departure from the hyper-technical, code-pleading regime of a prior era, but it does not unlock the doors of discovery for a plaintiff armed with nothing more than conclusions.“ 86 Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 684 (2009): „Our decision in Twombly expounded the pleading standard for «all civil actions» (…).“

108 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen behaupten. Nach außen erkennbare Indizien, wie gegebenenfalls die Marktstruktur im Kartellrecht, helfen dem Betroffenen keineswegs immer über den fehlenden Zugang zur direkt entscheidungserheblichen Information hinweg. So besteht für eine kollusive Abrede zweier Gesellschafter zum Nachteil eines dritten Gesellschafters über die negativen Folgen hinaus nicht notwendig ein tragfähiger und nach außen erkennbarer Anhaltspunkt.87 Nimmt man den Zwei-Stufen-Test des U.S. Supreme Courts zur Ermittlung eines plausiblen Klagevortrags ernst, müsste auch eine Klage, die dem Gegner die Übernahme des Quellcodes vorwirft und dies lediglich mit äußeren Übereinstimmungen der Funktionalitäten und der Benutzeroberfläche begründet,88 nach FRCP 12 (b) (6) abgewiesen werden. Der Vorwurf des übernommenen Quellcodes hat den Charakter einer bloßen Schlussfolgerung. Identische Funktionalitäten und Benutzeroberflächen sind ebenso gut durch eine legale Nachprogrammierung zu erklären.89 b) Innere Tatsachen Die größten Kontroversen löst die Twomby/Iqbal-Formel freilich im Bereich der inneren Tatsachen aus. Das betrifft insbesondere Diskriminierungs- und andere Bürgerrechtsklagen. Hier sei das Risiko einer Klageabweisung nach FRCP 12 (b) (6) strukturell besonders groß.90 Die Ursache liegt darin, dass eine erfolgreiche Diskriminierungsklage voraussetzt, dass der Beklagte den Kläger vorsätzlich und zielgerichtet wegen eines Diskriminierungsgrundes gegenüber anderen benachteiligt hat.91 Die Beschreibung der objektiven Benachteiligung allein wird dabei kaum jemals genügen, um den Plausibilitätstest zu bestehen. Denn regelmäßig wird es mit mindestens gleicher Wahrscheinlichkeit möglich sein, dass der Kläger den Beklagten aus zulässigen Gründen benachteiligte.92 Die schlichte Behauptung, dass die erforderliche innere Tatsache im maßgeblichen Zeitpunkt in der Person des Gegners vorgelegen habe, genügt aber deshalb nicht, weil sie schlussfolgernd und rein spekulativ ist. An diesen Erfordernissen scheiterte nicht nur die Klage im Fall Ashcroft v. Iqbal noch vor dem Übertritt in die pretrial discovery. Ebenso erging es etwa einer Gefängnisinsassin, die während ihrer Inhaftierung von einem Wärter sexuell missbraucht wurde, mit ihrer Klage gegen die Vorgesetzten des Täters. Sie konnte nichts Substantielles dazu vorbringen, dass diese von einer Missbrauchsgefahr zumindest hätten wissen müssen.93 Gleichfalls nach FRCP 12 87 88 89 90 91 92 93

Vgl. BGH, NJW 2009, 2137. Vgl. LG Köln, MMR 2009, 640, 643. Für das deutsche Recht i. Erg. ebenso LG Köln, MMR 2009, 640, 643. Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 722. Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 722. Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 722. Franklin v. Curry, F.3d, 2013 WL 6728101 (C.A.11 [Ala.], 2013).

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(b) (6) abgewiesen wurde eine Altersdiskriminierungsklage, zu deren Behauptung letztlich nicht mehr vorgebracht war, als dass der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen des Alters der Klägerin gekündigt habe.94 Über die Schwierigkeiten, die es bereitet, innere Tatsachen in der Person des Beklagten plausibel darzutun, hilft dem Kläger auch FRCP 9 (b) Satz 2 nicht hinweg. Zwar heißt es dort, dass andere innere Tatsachen als fraud oder mistake allgemein aufgestellt werden dürfen („Malice, intent, knowledge, and other conditions of a person’s mind may be alleged generally.“). Doch handelt es sich dem U.S. Supreme Court zufolge bei „allgemein“ um einen relativen Maßstab, dessen Bezugsgröße das für fraud und mistake geforderte heightened pleading sei.95 FRCP 9 (b) Satz 2 besage demnach lediglich, dass für andere innere Tatsachen kein heightened pleading gefordert sei, gestatte es dem Kläger jedoch nicht, reine Schlussfolgerungen ohne jede Indizienbasis zur Klagebegründung zu verwenden.

IV. Die Anforderungen an das Verteidigungsvorbringen Die Grundsätze, die der U.S. Supreme Court in den Entscheidungen Twombly und Iqbal aufgestellt hat, setzen den Kläger mitunter einem erheblichen Informationsproblem aus. Zu klären bleibt die Frage nach den Auswirkungen auf das Verteidigungsvorbringen des Beklagten. Die entsprechenden normativen Grundsätze stellen FRCP 8 (b) und (c) sowie Teile der FRCP 9 auf. Zu unterscheiden ist zwischen dem Bestreiten gegnerischer Tatsachenbehauptungen, den negative defenses sowie den affirmative defenses. 1. Bestreiten und Zugestehen gegnerischen Vortrags: denials und admissions Zunächst hat eine Partei auf jede gegen sie erhobene Klage nach FRCP 8 (b) (1) (A)96 zu erwidern und sich dabei gemäß FRCP 8 (b) (1) (B)97 zu sämtlichen gegnerischen Tatsachenbehauptungen zu äußern. Soweit eine Stellungnahme zur gegnerischen Tatsachenbehauptung verlangt ist und unterbleibt, gilt die Behauptung gemäß FRCP 8 (b) (6)98 als zugestanden,99 es sei denn, es geht um 94

Thompson v. ABVI Goodwill Services, 531 Fed.Appx. 160 (C.A.2 [N.Y.], 2013). Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 686 f. (2009). 96 IN GENERAL. In responding to a pleading, a party must: (A) state in short and plain terms its defenses to each claim asserted against it; (…). 97 IN GENERAL. In responding to a pleading, a party must: (B) admit or deny the allegations asserted against it by an opposing party. 98 EFFECT OF FAILING TO DENY. An allegation – other than one relating to the amount of damages – is admitted if a responsive pleading is required and the allegation is not denied. If a responsive pleading is not required, it is considered denied or avoided. 99 St. Eve/Zuckerman, 7 The Federal Courts Law Review (2013), 152, 157. 95

110 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen die Schadenshöhe. Nach FRCP 8 (b) (2)100 muss jedes Bestreiten angemessen auf den Kern der anzugreifenden Behauptung eingehen. Im Gegensatz zum deutschen Recht ist den Parteien ein allgemeines Bestreiten gestattet. So darf die Partei sich gemäß FRCP 8 (b) (3) Satz 1101 darauf beschränken, sämtliches Klägervorbringen einschließlich der Ausführungen zur Rechtslage insgesamt zu bestreiten, sofern dies in good faith geschieht. Freilich sind Fälle selten, in denen eine Partei gutgläubig das gesamte klägerische Vorbringen bestreiten kann; ein Umstand, der die praktische Bedeutung der FRCP 8 (b) (3) Satz 1 minimiert.102 Wichtiger ist deshalb FRCP 8 (b) (3) Satz 2103 über das teilweise Bestreiten. Hierzu kann die Partei einzelne gegnerische Behauptungen bestreiten und für den Rest die Wirkungen der FRCP 8 (b) (6) eintreten lassen. Alternativ besteht die Möglichkeit, einzelne klägerische Behauptungen besonders zuzugestehen und im Übrigen generell zu bestreiten. Eine entsprechende Regelung enthält auch FRCP 8 (b) (4).104 Das dort geregelte teilweise Bestreiten hat jedoch nicht die Summe aller gegnerischen Behauptungen als Bezugsgröße, sondern die einzelne, inhaltlich jedoch teilbare Tatsachenbehauptung. Schließlich widmen die Federal Rules of Civil Procedure auch dem Fall eine eigene Regel, dass eine Partei zur Wahrheit von gegnerischen Behauptungen Stellung beziehen muss, obwohl sie diese mangels Information an sich nicht beurteilen kann. Das mag Umstände aus der Sphäre ihres Gegners, ihres Rechtsvorgängers oder Dritter betreffen. Während das deutsche Prozessrecht der erwidernden Partei hier aufgibt – und nach § 138 Abs. 4 ZPO auch gestattet –, die Wahrheit der Behauptung schlicht in Abrede zu stellen, verlangt FRCP 8 (b) (5),105 dass sie ihr Informationsdefizit offenlegt. Diese Erklärung über das eigene Nichtwissen hat sodann die gleiche Wirkung wie ein Bestreiten. Informationsprobleme können an dieser Stelle praktisch nicht auftreten. Soweit ein den Maßstäben der FRCP 8 (b) (2) genügendes Bestreiten besondere Informationen erfordert, die die bestreitende Partei nicht hat, greift zu ih100 DENIALS – RESPONDING TO THE SUBSTANCE. A denial must fairly respond to the substance of the allegation. 101 GENERAL AND SPECIFIC DENIALS. A party that intends in good faith to deny all the allegations of a pleading – including the jurisdictional grounds – may do so by a general denial. 102 St. Eve/Zuckerman, 7 The Federal Courts Law Review (2013), 152, 156. 103 GENERAL AND SPECIFIC DENIALS. A party that does not intend to deny all the allegations must either specifically deny designated allegations or generally deny all except those specifically admitted. 104 DENYING PART OF AN ALLEGATION. A party that intends in good faith to deny only part of an allegation must admit the part that is true and deny the rest. 105 LACKING KNOWLEGDE OR INFORMATION. A party that lacks knowledge or information sufficient to form a belief about the truth of an allegation must so state, and the statement has the effect of a denial.

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ren Gunsten FRCP 8 (b) (5) ein. Zwar kann sich danach eine Partei nicht völlig schrankenlos auf ein Informationsdefizit berufen. Vielmehr soll sie gewisse Ermittlungsanstrengungen zu unternehmen haben, ehe ein Bestreiten nach FRCP 8 (b) (5) zulässig ist.106 Bleiben die Ermittlungen jedoch ohne Erfolg, steht FRCP 8 (b) (5) nichts weiter im Weg. Ausgeschlossen ist FRCP 8 (b) (5) erst dann, wenn offensichtlich ist, dass die bestreitende Partei um die Wahrheit der gegnerischen Behauptung weiß oder sich über die Wahrheit mühelos selbst informieren kann.107 2. Qualifizierte Verteidigung I: Die negative defenses Neben admission und denial, also Zugeständnis und Bestreiten, stellt FRCP 8 (b) die defenses. Dieses Nebeneinander kann allerdings nicht mit demjenigen in § 282 Abs. 1 ZPO gleichgesetzt werden, der Behauptungen und Bestreiten auf der einen sowie Einwendungen und Einreden auf der anderen Seite erwähnt. Der Begriff der defenses greift deutlich weiter als die Einwendungen und Einreden gemäß § 282 Abs. 1 ZPO. Das zeigen bereits die sog. Rule 12 (b) defenses, bei denen es sich um Verfahrensrügen und teils auch, das gilt insbesondere für FRCP 12 (b) (6), um Anträge auf eine Entscheidung in der Sache handelt. Ausdrücklich geregelt sind zudem die affirmative defenses in FRCP 8 (c). Keinen Niederschlag in den Federal Rules of Civil Procedure haben hingegen die negative defenses gefunden. Die negative defense wird beschrieben als ein Instrument, mit dem der Beklagte sich gegen den prima facie case des Klägers zur Wehr setzt.108 Vom prima facie case des Klägers spricht man dabei dann, wenn er ausreichende Beweise dargetan hat, damit das Gericht die von ihm behauptete Tatsache feststellen kann.109 So liegt es etwa, wenn der Kläger eine verbotene Benachteiligung im Einstellungsverfahren geltend macht und dartut, dass (1.) er einer geschützten Gruppe angehört, (2.) er sich mit den geforderten Qualifikationen auf die vom Beklagten ausgeschriebene Stelle beworben hat, (3.) er unberücksichtigt blieb und (4.) die ausgeschriebene Stelle später nicht besetzt wurde.110

106

Com. by Preate v. Rainbow Associates, Inc., 587 A.2d 357, 359 (Pa. Cmwlth., 1991). State Farm Mut. Auto. Ins. Co. v. Krohn, 492 N.E.2d 1262, 1264 (Ohio Mun., 1985): „There is no expressed exception to the statement in the rule that a denial results when the pleader alleges he is without knowledge or information sufficient to form a belief. Yet it has been repeatedly held that this kind of denial must be a good faith denial since all allegations in the answer are subject to the good faith certification of Civil Rule 11. The defendant cannot allege he is without knowledge or information sufficient to form a belief when, with slight effort, the means for obtaining such knowledge is readily within his control.“ 108 General Auto Parts Co. v. Genuine Parts Co., F.Supp.2d, 2007 WL 704121 (D. Idaho, 2007); St. Eve/Zuckerman, 7 Federal Courts Law Review (2013), 152, 160. 109 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 530. 110 Flagg, 104 Yale Law Journal (1995), 2009, 2016. 107

112 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Zur Verteidigung hat der Beklagte dann Beweismittel zu benennen und beizubringen, die diesen prima facie case wieder entkräften.111 Er muss also Anhaltspunkte dafür liefern, dass er den Kläger aus anderen Gründen als der behaupteten Diskriminierung nicht eingestellt hat. Erfolgreich ist die negative defense dabei nicht erst, sobald der Beklagte das Gericht mit dem vollen geforderten Beweismaß von seiner Version des Sachverhalts überzeugt. Nachdem der gelungene prima facie case die Beweislast nicht umkehrt112 und folglich weiterhin der Kläger das Gericht von der Wahrheit seines Vortrags zu überzeugen hat,113 erfüllt die negative defense ihren Zweck bereits, wenn sie die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit des Klägervortrags unter das für eine Tatsachenfeststellung erforderliche Beweismaß absenkt. Dies tritt ein, wenn nach der negative defense der Klägervortrag nicht mehr überwiegend wahrscheinlich ist.114 Funktionell entspricht die negative defense damit dem Gegenbeweis des deutschen Zivilprozessrechts. Informationsprobleme mögen – parallel zur Situation im deutschen Zivilprozess – an dieser Stelle zwar entstehen, wenn die beklagte Partei keine oder keine ausreichenden Beweismittel zur Verfügung hat, um den klägerischen prima facie case zu entkräften. Während der pleadings wirkt sich dies jedoch noch nicht aus.115 Denn solange der klägerische Vortrag wirksam bestritten ist, kann es einen prima facie case und ein entsprechendes judgment on the pleadings zu Gunsten des Klägers noch nicht geben. Vielmehr entsteht die Notwendigkeit, eine negative defense zu erheben, erst dann, wenn – regelmäßig am Ende der discovery – der Kläger ein summary judgment nach FRCP 56 beantragt.116 3. Qualifizierte Verteidigung II: Die affirmative defenses gemäß FRCP 8 (c) a) Begriff Die affirmative defenses im Sinne der FRCP 8 (c) mag man als im Verhältnis zum Klagevorbringen selbständige Verteidigungsmaßnahmen bezeichnen. Selbständig sind sie deshalb, weil sie auch zur Klageabweisung führen, wenn man alle Klagebehauptungen als wahr unterstellt.117 Folglich sind sie – und darin liegt der wesentliche Unterschied zu den denials und den negative defenses 111

Kressel, 116 Yale Law Journal (2006), 412, 421. St. Eve/Zuckerman, 7 Federal Courts Law Review (2013), 152, 160. 113 Kressel, 116 Yale Law Journal (2006), 412, 421. 114 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 163. 115 St. Eve/Zuckerman, 7 Federal Courts Law Review (2013), 152, 162: „An affirmative defense must be affirmatively pleaded, but a negative defense need not be.“ 116 Vgl. Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 524. 117 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 347. 112

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– keine bloßen oder qualifizierten Verneinungen einer klägerischen Tatsachenbehauptung, sondern völlig neues Vorbringen zur Sache. FRCP 8 (c) nennt unter anderem Erfüllung („accord and satisfaction“; „payment“), Mitverschulden („contributory negligence“), Verjährung („statute of limitations“) oder auch die entgegenstehende Rechtskraft als negative Sachentscheidungsvoraussetzung („res judicata“). Der Einordnung als selbständige Verteidigungsmaßnahme entspricht es, dass die affirmative defenses nur Berücksichtigung finden, sofern die begünstigte Partei sie durch pleading gemäß FRCP 8 zum Prozessstoff macht und nötigenfalls beweist.118 b) Entsprechende Geltung der Twombly/Iqbal-Grundsätze? Wenn der Beklagte die für seine affirmative defense maßgeblichen Tatsachen im Wege des pleading zum Prozessstoff macht, dann liegt es nahe, die Twombly/Iqbal-Grundsätze auch insoweit anzuwenden. Dafür spricht zunächst der Wortlaut. So handelt es sich bei den Twombly/Iqbal-Grundsätzen um Präzisierungen des short and plain statement of the claim gemäß FRCP 8 (a) (2). Nach FRCP 8 (b) (1) (A) sind aber auch die defenses in short and plains terms vorzubringen. Wenn short and plain das in beiden Fällen zu erfüllende Maß ist, kann es hier keine unterschiedliche Interpretation geben.119 Auch auf der Wertungsebene drängt sich keine gegenteilige Einschätzung auf. So sind der Kläger und der Beklagte behauptungs- und beweisbelastet für die die Klage bzw. die affirmative defense begründenden Tatsachen. Wenn beide Parteien aber die identischen Lasten hinsichtlich der für sie günstigen Umstände tragen, dann wäre es widersprüchlich, dem Beklagten den großzügigen Maßstab von notice pleading zuzugestehen, dem Kläger aber den strengeren plausibility-Standard gemäß Twombly/Iqbal aufzuerlegen.120 Außerdem können pauschal und ins Blaue hinein behauptete affirmative defenses den

118 Electric Storage Battery Co. v. Shimadzu, 307 U.S. 5, 16 (1939); Blonder-Tongue Laboratories, Inc. v. University of Illinois Foundation, 402 U.S. 313, 350 (1971); Harlow v. Fitzgerald, 457 U.S. 800, 815 (1982); Rivet v. Regions Bank of Louisiana, 522 U.S. 470, 475 (1998); Jones v. Bock, 549 U.S. 199, 212 (2007); Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 100. 119 Hayne v. Green Ford Sales, Inc., 263 F.R.D. 647, 650 (D.Kan., 2009); HCRI TRS Acquirer, LLC v. Iwer, 708 F.Supp.2d 687, 691 (N.D.Ohio, 2010). 120 U.S. v. Quadrini, 2007 WL 4303213 (E.D.Mich., 2007) unter *4; Aspex Eyewear, Inc. v. Clariti Eyewear, Inc., 531 F.Supp.2d 620, 622 (S.D.N.Y., 2008); Tracy v. NVR, Inc., 2009 WL 3153150 (W.D.N.Y., 2009) unter *7; Shinew v. Wszola, 2009 WL 1076279 (E.D.Mich., 2009) unter *4; Hayne v. Green Ford Sales, Inc., 263 F.R.D. 647, 650 (D.Kan., 2009); Nixson v. The Health Alliance, 2010 WL 5230867 (S.D.Ohio, 2010) unter *2; Palmer v. Oakland Farms, Inc., 2010 WL 2605179 (W.D.Va., 2010) unter *5; Microsoft Corp. v. Lutian, 2011 WL 4496531 (N.D.Ohio, 2011) unter *2; zum Gleichlauf der Maßstäbe vor Twombly/Iqbal siehe etwa FSP, Inc. v. Societe Generale, 2005 WL 475986 (S.D.N.Y., 2005) unter *7.

114 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Kläger den identischen Gefahren einer missbräuchlichen discovery aussetzen wie vergleichbar unbestimmte Klagebehauptungen.121 Danach genügt es nicht, wenn etwa der wegen Kennzeichenrechtsverletzungen in Anspruch Genommene als Rechtfertigungsgrund ohne weitere Konkretisierung lediglich die missbräuchliche Kennzeichenverwendung durch den Kläger behauptet.122 Ebenso liegt es etwa dort, wo ein aus Garantieversprechen auf Schadensersatz in Anspruch genommener Kfz-Händler sich mit dem nicht weiter konkretisierten Vorbringen verteidigt, der Kläger habe das Fahrzeug nicht sachgerecht benutzt und behandelt und darüber hinaus seine Schadensminderungsobliegenheit verletzt.123 c) Die h.M.: Beschränkung der Twombly/Iqbal-Grundsätze auf den Klägervortrag Doch ist all das nicht zwingend und auch die zwischenzeitlich wohl h.M.124 wendet die Twombly/Iqbal-Grundsätze nicht auf affirmative defenses an. So fällt bereits die Wortlautanalyse nicht eindeutig dahingehend aus, dass die Twombly/Iqbal-Grundsätze auf jedes pleading im Sinne der FRCP 8 Anwendung finden müssen. Es ist nämlich keineswegs ausgemacht, dass short and plain die entscheidenden Tatbestandsmerkmale sind, aus denen sich die Reichweite der Twombly/Iqbal-Grundsätze ableiten lässt. Vielmehr ist es ebenso denkbar, dass die Twombly-/Iqbal-Grundsätze ihre tatbestandliche Rechtfertigung in der weiter gehenden Anforderung der FRCP 8 (a) (2) finden, wonach das short and plain statement darlegen müsse, dass der geltend gemachte Anspruch dem Kläger zustehe. Schon deshalb, weil FRCP 8 (c) für die affirmative defenses kein entsprechendes Tatbestandsmerkmal enthalte, könnten die Twombly/Iqbal-Grundsätze auf diese auch nicht anwendbar sein.125 Manche stellen entscheidend auch darauf ab, dass die Twombly/Iqbal zugrunde liegenden Konstellationen allein den klägerischen Vortrag betrafen 121 HCRI TRS Acquirer, LLC v. Iwer, 708 F.Supp.2d 687, 691 (N.D.Ohio, 2010); Safeco Ins. Co. of America v. O’Hara Corp., 2008 WL 2558015 (E.D.Mich., 2008) unter *1; Nixson v. The Health Alliance, 2010 WL 5230867 (S.D.Ohio, 2010) unter *2; Microsoft Corp. v. Lutian, 2011 WL 4496531 (N.D.Ohio, 2011) unter *3. 122 Microsoft Corp. v. Lutian, 2011 WL 4496531 (N.D.Ohio, 2011) unter *5. 123 Hayne v. Green Ford Sales, Inc., 263 F.R.D. 647, 651 f. (D.Kan., 2009). 124 So zumindest die Beobachtung von Hansen v. Rhode Island’s Only 24 Hour Truck & Auto Plaza, Inc., 287 F.R.D. 119, 122 (D.Mass., 2012); Mayer, 112 Michigan Law Review (2013), 275, 279; anders schätzen St. Eve/Zuckerman, 7 The Federal Courts Law Review (2013), 152, 165, die Kräfteverhältnisse ein. 125 First Nat. Ins. Co. of America v. Camps Services, Ltd., 2009 WL 22861 (E.D.Mich., 2009) unter *2; Holdbrook v. SAIA Motor Freight Line, LLC, 2010 WL 865380 (D.Colo., 2010) unter *2; McLemore v. Regions Bank, 2010 WL 1010092 (M.D.Tenn., 2010) unter *13; Bayer CropScience AG v. Dow AgroSciences LLC, 2011 WL 6934557 (D.Del., 2011) unter *1; Hansen v. Rhode Island’s Only 24 Hour Truck & Auto Plaza, Inc., 287 F.R.D. 119, 122 (D.Mass., 2012); Mayer, 112 Michigan Law Review (2013), 275, 285 f., 291.

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und eine Anwendung auf das Verteidigungsvorbringen folglich nicht in Betracht komme.126 Zwei weitere Aspekte flankieren diese streng am Wortlaut orientierte Argumentation. So stehe dem Beklagten wesentlich weniger Zeit zur Verfügung, um seine affirmative defenses zu ermitteln und zu formulieren, als dem Kläger dafür, seine anspruchsbegründenden Behauptungen zusammenzutragen.127 Immerhin müsse der Beklagte gemäß FRCP 12 (a) (1) (A) (i) innerhalb von 21 Tagen erwidern, wohingegen der Kläger im Prinzip die gesamte Dauer der Verjährungsfrist nutzen könne, um seinen Fall zu recherchieren.128 In der Tat setzt die strenge Präklusionsregel der FRCP 12 (h) (1) (B) (ii) den Beklagten unter Druck, sämtliche denkbaren affirmative defenses sogleich vorzubringen.129 Schließlich halten die Vertreter der nunmehr wohl h.M. auch die teleologische Rechtfertigung der Twombly/Iqbal-Grundsätze für auf das Verteidigungsvorbringen nicht übertragbar. Die Gefahr missbräuchlicher discovery bestehe hier nicht. Es sei nämlich nicht davon auszugehen, dass der Beklagte die discovery aufgrund erdichteter Verteidigungen betreibe.130 Im Übrigen verursache die discovery wegen des Verteidigungsvorbringens nur wenige zusätzliche Kosten.131 d) Konsequenzen Je nachdem, welcher der konkurrierenden Ansichten zum pleading-Standard für affirmative defenses man sich anschließt, ergeben sich für die belastete Partei identische Informationsprobleme wie bei der Formulierung einer „plausiblen“ Klage. Man denke ein weiteres Mal an den früheren Gläubiger des Erblassers, der – obwohl der Erblasser seine Schuld beglichen hatte – den Erben erneut in Anspruch nimmt, und zwar in der sicheren Erwartung, dass der Erbe die früher erfolgte Zahlung niemals werde beweisen können. Wendet man in dieser Konstellation die Twombly/Iqbal-Grundsätze zu Lasten des beklagten Erben an, so genügt seine – im Vertrauen auf die Sorgfalt des Erblassers in geschäftlichen Angelegenheiten – vorgebrachte Verteidigung, die Forderung müsse erfüllt sein, den Anforderungen nicht. Abhängig von der 126 127

Romantine v. CH2M Hill Engineers, Inc., 2009 WL 3417469 (W.D.Pa., 2009) unter *1. Bayer CropScience AG v. Dow AgroSciences LLC, 2011 WL 6934557 (D.Del., 2011) un-

ter *1. 128 Hansen v. Rhode Island’s Only 24 Hour Truck & Auto Plaza, Inc., 287 F.R.D. 119, 123 (D.Mass., 2012). 129 Baum v. Faith Technologies, Inc., 2010 WL 2365451 (N.D.Okla., 2010) unter *3; St. Eve/ Zuckerman, The Federal Courts Law Review (2013), 152, 162 f.; Mayer, 112 Michigan Law Review (2013), 275, 287; Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 349. 130 Leon v. Jacobson Transp. Co., Inc., 2010 WL 4810600 (N.D.Ill., 2010) unter *1; Bayer CropScience AG v. Dow AgroSciences LLC, 2011 WL 6934557 (D.Del., 2011) unter *1; Hansen v. Rhode Island’s Only 24 Hour Truck & Auto Plaza, Inc., 287 F.R.D. 119, 123 (D.Mass., 2012). 131 Hansen v. Rhode Island’s Only 24 Hour Truck & Auto Plaza, Inc., 287 F.R.D. 119, 122 (D.Mass., 2012).

116 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen konkreten prozessualen Situation wird er dann aufgrund von FRCP 12 (c) verurteilt oder das Gericht erklärt diese Verteidigung gemäß FRCP 12 (f)132 für unerheblich. Bleibt es wegen der affirmative defenses hingegen bei den Maßstäben des notice pleading gemäß Conley v. Gibson, ist die behauptete Erfüllung auch in dieser Pauschalität ausreichend und der Erbe erhält über die discovery Zugang zu den Unterlagen des Klägers. Aus denen kann er dann womöglich Informationen erhalten, die seine Vermutung bestätigen und zur Klageabweisung führen.

C. Informationsprobleme im weiteren Verfahrensverlauf I. Fiktiver Verfahrensablauf: trial ohne discovery Für die weitere Betrachtung sei zunächst eine Situation unterstellt, in der der U.S.-amerikanische Zivilprozess unter Verzicht auf die discovery direkt von den pleadings in das trial übergeht. Hier hat zunächst der Kläger seine Version des Geschehens einschließlich sämtlicher Beweismittel zu präsentieren („plaintiff’s case“).133 Im Anschluss erfolgt spiegelbildlich die Verteidigung des Beklagten mitsamt der eigenen vollständigen – um in der deutschen Terminologie zu bleiben – Gegen- und Hauptbeweisführung („defendant’s case“).134 Wegen der Beweisbedürftigkeit bestehen im Ergebnis deutliche Parallelen zur Rechtslage nach der ZPO. Die Beweisbedürftigkeit setzt zunächst voraus, dass die entsprechend belastete Partei die Tatsache in der pleading Phase ausreichend vorgebracht hat. Dabei löst nicht jedes ungenügende pleading zwingend eine Abweisung nach FRCP 12 (b) (6) oder ein Urteil nach FRCP 12 (c) aus. Vielmehr kann – man denke vor allem an Hilfstatsachen – unzureichendes Vorbringen, das weder die Klage unschlüssig noch die Verteidigung unerheblich macht, gemäß FRCP 12 (f) von Amts wegen oder auf Antrag für irrelevant erklärt werden.135 Diese Tatsache kann dann nicht mehr Gegenstand des trial werden. Weiter sind nur solche Tatsachen beweisbedürftig, die der Gegner nicht zugestanden hat. So binden im Rahmen der pleadings erfolgte Zugeständnisse („admissions“) die Partei regelmäßig auch im weiteren Verfahrensverlauf.136 Zugestandene Tatsachen sind dabei ebenso wie im deutschen Recht 132 MOTION TO STRIKE. The court may strike from a pleading an insufficient defense or any redundant, immaterial, impertinent, or scandalous matter. (…) 133 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 156. 134 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 573. 135 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 354. 136 Glick v. White Motor Co., 458 F.2d 1287, 1291 (C.A.3, 1972); Keller v. U.S., 58 F.3d 1194, 1198 Fn. 8 (C.A.7 [Ill.],1995); Medcom Holding Co. v. Baxter Travenol Laboratories, Inc., 106 F.3d 1388, 1404 (C.A.7 [Ill.], 1997); Soo Line R. Co. v. St. Louis Southwestern Ry. Co., 125 F.3d 481, 483 (C.A.7 [Ill.], 1997); Solon v. Gary Community School Corp., 180 F.3d 844, 858 (C.A.7

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nicht als bewiesen, sondern als unbestritten zugrunde zu legen.137 Die so beschriebene Bindungswirkung entfällt erst, wenn die Partei das Zugeständnis später zulässigerweise widerruft oder die als zugestanden fingierte Tatsache bestreitet. Welche Voraussetzungen hierfür jeweils erfüllt sein müssen, hängt davon ab, ob das Zugeständnis förmlich erfolgte oder nicht.138 Hier bestehen folglich starke Ähnlichkeiten mit §§ 288, 138 Abs. 3 ZPO. Die Ähnlichkeiten setzen sich bei der Analyse drohender Informationsprobleme der risikobelasteten Partei fort. Wenn sie die zu ihren Gunsten entscheidungserhebliche Tatsache lediglich behaupten, nicht aber beweisen kann, wird sie den Prozess nur unter der Voraussetzung gewinnen, dass der Gegner die Tatsache nicht bestreitet und das Geständnis oder die Geständnisfiktion Bestand hat. Freilich gilt auch hier, dass der Gegner das Zugeständnis von Tatsachen nur in gutem Glauben an die Unwahrheit der Behauptung verweigern darf.139 Mit anderen Worten ist also auch den Parteien des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses das Bestreiten wider besseres Wissen untersagt. Bei unterstellter Nichtexistenz der discovery ergibt sich damit im Ergebnis das identische Zusammenspiel von Informationsproblem und Wahrheitspflicht wie unter der Geltung der ZPO.

II. Die Aufklärungsmaßnahmen im Rahmen von disclosure und discovery 1. Die discovery und die Suche nach der Wahrheit Da das U.S.-amerikanische Bundeszivilprozessrecht danach strebt, den Einfluss des Informationszugangs auf den Verfahrensausgang zu minimieren, ist 137 [Ind.], 1999); Help At Home Inc. v. Medical Capital, L.L.C., 260 F.3d 748, 753 (C.A.7 [Ill.], 2001); McCaskill v. SCI Management Corp., 298 F.3d 677, 680 (C.A.7 [Ill.], 2002); Parilla v. IAP Worldwide Services, VI, Inc., 368 F.3d 269, 275 (C.A.3 [Virgin Islands], 2004); Crest Hill Land Development, L.L.C. v. City of Joliet, 396 F.3d 801, 805 (C.A.7 [Ill.], 2005); Sovereign Bank v. J’s Wholesale Club, Inc., 533 F.3d 162, 181 (C.A.3 [Pa.], 2008); Cambridge Healthcare, L.L.C. v. Infinity Home Health Services, 2011 WL 2294196 (N.D.Ill., 2011) unter *1; Kraemer v. Hoffman, 2014 WL 1340048 (W.D.Wis., 2014) unter *3; St. Eve/Zuckerman, 7 Federal Courts Law Review (2013), 152, 157. 137 Keller v. U.S., 58 F.3d 1194, 1198 Fn. 8 (C.A.7 [Ill.],1995); Solon v. Gary Community School Corp., 180 F.3d 844, 858 (C.A.7 [Ind.], 1999); McCaskill v. SCI Management Corp., 298 F.3d 677, 682 (C.A.7 [Ill.], 2002); Crest Hill Land Development, L.L.C. v. City of Joliet, 396 F.3d 801, 805 (C.A.7 [Ill.], 2005); In re Doctors Hosp. of Hyde Park, Inc., 2014 WL 1424910 (Bkrtcy.N.D.Ill., 2014) unter *8; St. Eve/Zuckerman, 7 Federal Courts Law Review (2013), 152, 158. 138 Keller v. U.S., 58 F.3d 1194, 1198 Fn. 8 (C.A.7 [Ill.],1995): „A judicial admission is conclusive, unless the court allows it to be withdrawn; ordinary evidentiary admissions, in contrast, may be controverted or explained by the party.“ 139 St. Eve/Zuckerman, 7 Federal Courts Law Review (2013), 152, 157: „A party may also use the answer to admit allegations in the complaint. And indeed, if denying the allegation would be in bad faith, the responding party may well have the duty to do so.“

118 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen der geschilderte Zusammenhang zwischen Informationsproblem und Wahrheitspflicht jedoch rein hypothetisch. Tatsächlich gilt: Die Wahrheitsermittlung wird als Garant für den höchsten erzielbaren Grad an Gerechtigkeit erachtet.140 Daher soll keine Partei Vorteile aus der Unterdrückung von Beweismitteln ziehen dürfen.141 Das Instrument, um die beim jeweiligen Gegner befindlichen Informationen aufzufinden und im weiteren Verlauf in das Verfahren einzuführen, ist die pre trial discovery gemäß FRCP 26 ff.142 Im Sinne einer umfassenden Wahrheitsermittlung ist diese discovery dabei nicht etwa auf diejenigen Tatsachen beschränkt, die die Parteien in den pleadings vorgebracht haben.143 Vielmehr dient dieser Verfahrensabschnitt gemäß FRCP 26 (b) (1) dazu, sämtliche Tatsachen aufzudecken, die für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch in irgendeiner Weise relevant sein können.144 2. Die initial disclosures Dieser Verfahrensabschnitt beginnt gemäß FRCP 26 (a) (1) mit den initial disclosures. Hier verpflichtet FRCP 26 (a) (1) (A)145 jede Partei dazu, dem Gegner unaufgefordert insbesondere zur Verfügung zu stellen: Die Namen und Kontaktdaten von sämtlichen ihr bekannten Personen, die womöglich über erhebliche Informationen verfügen; eine Beschreibung, welcher Art die solchermaßen womöglich erlangbare Information ist; Kopien oder sonstige Zusammenstellungen und Beschreibungen aller schriftlichen Dokumente und Augenscheinsobjekte, die sie zur Unterstützung ihres Anspruchs bzw. ihrer Einwendungen verwenden könnte. Vorzulegen sind diese Informationen nach FRCP 26 (a) (1) (C)146 entweder bei oder innerhalb von 14 Tagen nach der ers140 Dotson v. Bravo, 202 F.R.D. 559, 570 (N.D.Ill., 2001); Verizon Directories Corp. v. Yellow Book USA, Inc., 331 F.Supp.2d 136, 141 (E.D.N.Y., 2004); Schwarzer, 50 University of Pittsburgh Law Review (1989), 703, 712; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 111; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 52. 141 Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1140; Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 389. 142 Yeazell, Civil Procedure (6. Aufl. 2004), 407 f.; Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1140; Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 726. 143 Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 361. 144 Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 362 f.; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 111; Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 405. 145 IN GENERAL. Except as exempted by Rule 25 (a) (1) (B) or as otherwise stipulated or ordered by a court, a party must, without awaiting a discovery request, provide to the other parties: (…). 146 TIME FOR INITIAL DISCLOSURES—IN GENERAL. A party must make the initial disclosures at or within 14 days after the parties’ Rule 26(f) conference unless a different time is setby stipulation or court order, or unless a party objects during the conference that initial disclosures are not appropriate in this action and states the objection in the proposed discovery plan. In ruling on the objection, the court must determine what disclosures, if any, are to be made and must set the time for disclosure.

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ten discovery conference gemäß FRCP 26 (f). Ursprünglich ging man davon aus, dass diese disclosures die wechselseitige Parteiausforschung bereits in weitem Umfang erledigen würden.147 Nach der Reform des Jahres 2000 tragen die Bestimmungen über die disclosures diese Einschätzung freilich nicht mehr, oder jedenfalls nur noch zum Teil. Nachdem die Parteien gemäß FRCP 26 (a) (1) (A) (ii)148 nunmehr lediglich noch diejenigen schriftlichen Dokumente und Augenscheinsobjekte unaufgefordert vorzulegen haben, welche sie zur Erreichung ihrer eigenen Prozessziele zu verwenden beabsichtigen, können sie in beträchtlichem Umfang selbst steuern, welche Informationen dieser Offenlegungspflicht unterfallen und welche nicht.149 Letztlich steht hier der Zweck im Vordergrund, dem Gegner eine effektive Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung zu ermöglichen, um so das Verfahren insgesamt effizienter zu gestalten.150 Die Sanktionen, die FRCP 37 (c) (1)151 für den Verstoß gegen die Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung bereithält, bestätigen diese Zwecksetzung: Danach ist es der Partei grundsätzlich verwehrt, sich in der Verhandlung auf das zurückgehaltene Beweismittel zu berufen. Wenn und soweit bereits die disclosures das Informationsproblem der risikobelasteten Partei beseitigen sollten, ist dies lediglich ein Nebeneffekt. 3. Die discovery Die eigentliche Ausforschung zur Beseitigung von Informationsproblemen der risikobelasteten Partei erfolgt nach wie vor im Rahmen der discovery gemäß FRCP 26 (b).152 Dabei beschreibt FRCP 26 (b) (1) Satz 1153 einen denkbar weiten Anwendungsbereich. Danach kann jede Partei vom Gegner verlangen, 147 Schwarzer, 50 University of Pittsburgh Law Review (1989), 703, 718; Yamamoto/ Dwight, 16 University of Hawaii Law Review (1994), 167, 184 f.; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 52; skeptisch Sorenson, 46 Hastings Law Journal (1995), 679, 744 f. 148 (…) a copy—or a description by category and location—of all documents, electronically stored information, and tangible things that the disclosing party has in its possession, custody, or control and may use to support its claims or defenses, unless the use would be solely for impeachment; (…). 149 Cloud, 74 Temple Law Review (2001), 27, 46. 150 Yamamoto/Dwight, 16 University of Hawaii Law Review (1994), 167, 177. 151 FAILURE TO DISCLOSE OR SUPPLEMENT. If a party fails to provide information or identify a witness as required by Rule 26 (a) or (e), the party is not allowed to use that information or witness to supply evidence on a motion, at a hearing, or at a trial, unless the failure was substantially justified or is harmless. (…). 152 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 404. 153 SCOPE IN GENERAL. Unless otherwise limited by court order, the scope of discovery is as follows: Parties may obtain discovery regarding any nonprivileged matter that is relevant to any party’s claim or defense—including the existence, description, nature, custody, condition, and location of any documents or other tangible things and the identity and location of persons who know of any discoverable matter. (…).

120 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen dass dieser ihr Zugang zu jeglicher Information und jeglichem Beweismittel verschaffe, die für den geltend gemachten Anspruch, eine selbständige Einwendung oder die Gegenbeweisführung bedeutsam sind. Dazu zählt ausdrücklich auch die Auskunft über die Existenz, Art und Natur, den Zustand, die Aufbewahrungsverhältnisse und den Standort eines solchen Informationsträgers. Noch weiteren Zugang zu gegnerischen Informationen erhalten die Parteien auf Grundlage von FRCP 26 (b) (1) Satz 2.154 Wenn ein berechtigtes Interesse besteht, kann danach der Anspruchsteller nicht nur auf Informationen zugreifen, die für die Beweisführung über den unmittelbar geltend gemachten Anspruch erheblich sind, sondern darüber hinaus den gesamten in Zusammenhang stehenden Lebenssachverhalt betreffen, der Raum für andere und weitere Anspruchsziele eröffnet. Diese Unterscheidung dürfte im deutschen Zivilprozessrecht am ehesten derjenigen zwischen dem weit verstandenen Lebenssachverhalt und dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff entsprechen.155 Die einzelnen Maßnahmen zum Informationsaustausch finden sich in FRCP 30 ff. Üblicherweise beginnen die Parteien mit den wechselseitigen interrogatories gemäß FRCP 33, fahren fort mit dem Austausch von schriftlichen und elektronischen Dokumenten sowie von Augenscheinsobjekten gemäß FRCP 34, um sodann schließlich zu den eidlichen Vernehmungen von Zeugen und den Parteien selbst im Rahmen der depositions gemäß FRCP 30 ff. zu schreiten.156 Als weitere discovery-Maßnahmen sehen FRCP 35 und FRCP 36 auf gerichtliche Anordnung hin die körperliche und psychische Untersuchung einer Partei bzw. die Aufforderung zur Abgabe eines Geständnisses vor. Das Durchlaufen dieses Prozesses zur Informations- und Beweismittelgewinnung führt zuweilen bereits zu einer vollständigen Klärung der tatsächlichen Streitfragen. Hängt der Ausgang des Rechtsstreits somit lediglich noch von einer rechtlichen Beurteilung ab, können beide Parteien auf Grund von FRCP 56 ein summary judgment beantragen, das das Verfahren noch vor dem Übertritt in die trial Phase beendet.157

III. Verweigerung und Unmöglichkeit 1. Das verbleibende Informationsproblem Mit dem wechselseitigen Anspruch auf Zugang zu den potentiell entscheidungserheblichen Informationen und Informationsträgern des Gegners ist an 154 SCOPE IN GENERAL. (…) For good cause, the court may order discovery of any matter relevant to the subject matter involved in the action. (…). 155 Dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 92 Rn. 18. 156 Böhm, Amerikanisches Prozessrecht (2005), Rn. 437. 157 Anderson v. Liberty Lobby, Inc., 477 U.S. 242, 247 f. (1986); Kronisch v. U.S., 150 F.3d 112, 126 (C.A.2 [N.Y.], 1998); Böhm, Amerikanisches Prozessrecht (2005), Rn. 527.

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sich die theoretische Grundlage dafür gelegt, dass Informationsasymmetrien gar nicht erst entstehen und streitentscheidend wirken können. In der Theorie schafft die discovery das Informationsproblem der risikobelasteten Partei also ab. Diesem theoretischen Ansatz gelingt jedoch nur dann der prozesspraktische Durchbruch, wenn die Parteien ihre Pflichten aus FRCP 26 ff. auch erfüllen.158 Die exklusive Herrschaft über eine für sie negative Information und ihren Träger eröffnet den Parteien jedoch vielfältige Möglichkeiten, das gegnerische Informationsproblem dadurch aufrechtzuerhalten, dass sie ihre Offenbarungspflichten nicht oder lediglich unzureichend erfüllen. Dabei geht es nicht um die schlichte Verweigerung jeglicher Kooperation, denn nach FRCP 37 (a) (1)159 kann jede Partei die begehrte discovery-Maßnahme gerichtlich erzwingen. Kommt die verpflichtete Partei auch dem daraufhin ergangenen gerichtlichen Befehl nicht nach, greifen die Sanktionsmechanismen gemäß FRCP 37 (b) (2) (A).160 Die Instrumente, aus denen das Gericht im Fall einer weiteren Weigerung nach pflichtgemäßem Ermessen161 auswählen kann, reichen dabei von der Unterbrechung des Verfahrens162 über die Nichtberücksichtigung von Vorbringen der sich weigernden Partei163 und die Wahrunterstellung gegnerischen Vortrags164 bis hin zur Klageabweisung165 oder aber Verurteilung.166 Offene Obstruktion gegen die discovery ist demnach kein geeignetes Mittel, um ein gegnerisches Informationsproblem bestehen zu lassen und für die eigenen prozessualen Zwecke auszunutzen. Doch gibt es subtilere Möglichkeiten, das discovery-Verfahren zu sabotieren. Um etwa die entscheidungserhebliche Kenntnis des Beklagten von bestimmten Umständen nachweisen zu können, verlangt der Kläger auf Basis von FRCP 34, dass ihm die einschlägige unternehmensinterne Kommunikation lückenlos vorgelegt werde. Der Beklagte kommt dem sehr weitgehend nach, hält aber das einzige ihn belastende Memorandum zurück und bestreitet 158

Johnston, 156 Federal Rules Decisions (1994), 313. IN GENERAL. On notice to other parties and all affected persons, a party may move for an order compelling disclosure or discovery. (…). 160 FOR NOT OBEYING A DISCOVERY ORDER. If a party or a party’s officer, director, or managing agent—or a witness designated under Rule 30 (b) (6) or 31 (a) (4)—fails to obey an order to provide or permit discovery, including an order under Rule 26 (f), 35, or 37 (a), the court where the action is pending may issue further just orders. 161 McGlynn, 27 University of Memphis Law Review (1997), 663, 667; Zuckerman, 27 Journal of Computer and Information Law (2009), 235, 246 f.; Norton/Woodard/Cleveland, 64 South Carolina Law Review (2013), 459, 466. 162 (iv) staying further proceedings until the order is obeyed. 163 (ii) prohibiting the disobedient party from supporting or opposing designated claims or defenses, or from introducing designated matters in evidence; (iii) striking pleadings in whole or in part. 164 (i) directing that the matters embraced in the order or other designated facts be taken as established for purposes of the action, as the prevailing party claims. 165 (v) dismissing the action or proceeding in whole or in part. 166 (vi) rendering a default judgment against the disobedient party. 159

122 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen im Übrigen sämtliche Vorwürfe. Direkt verwandt mit dieser Kombination aus wahrheitswidrigem Vorbringen und vorsätzlicher Beweismittelunterdrückung sind diejenigen Fälle, in denen die Partei ihr nachteilige Dokumente bei Verfahrensbeginn oder höchst vorsorglich im Vorfeld jeglicher Streitigkeit vernichtet. Hier kann die Partei jeglicher auf FRCP 34 gestützten discovery request des Gegners nachkommen, ohne dass sich an dessen Informationsproblem etwas ändert. Auch muss die Beseitigung von Informationen und ihren Trägern nicht stets planvoll im Hinblick auf einen aktuellen oder potentiell drohenden Prozess erfolgen. So mögen belastende Dokumente zufällig, versehentlich oder im Rahmen routinemäßiger Löschungen untergegangen sein. Kommt es später zu einem Rechtsstreit, in dem eben solch ein untergegangenes Dokument entscheidungserheblich wird, kann die Partei die sich unverhofft bietende Gelegenheit ergreifen und das gegnerische Informationsproblem zu ihren Gunsten wirken lassen, indem sie wahrheitswidrig bestreitet und das verlangte Geständnis gemäß FRCP 36 (a) (1) (B) (4) verweigert. Und schließlich seien noch die Konstellationen erwähnt, in denen ein Beweismittel untergegangen oder unerreichbar ist und die an sich offenbarungspflichtige Partei – etwa weil sie Rechtsnachfolgerin ist – über die Wahrheit oder Unwahrheit der gegnerischen Behauptung keine Aussage treffen kann. Wenn das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht des Bundes dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei effektiv entgegenwirken will, dann muss es Lösungen bereithalten, die den Wahrheitsermittlungs- und Gerechtigkeitsanspruch des discovery-Verfahrens in den geschilderten Fällen nicht von vornherein ins Leere laufen lassen. 2. Abhilfe gegen das verbleibende Informationsproblem Natürlich wäre es höchst widersinnig, wenn das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht des Bundes die beschriebenen Beweismanipulationen schlicht hinnähme. Das Ziel, mittels der discovery Waffengleichheit im Informationszugang herzustellen und auf diese Weise das wahre Geschehen möglichst zuverlässig rekonstruieren zu können, würde dann konterkariert.167 Um sich nicht dem Vorwurf innerer Widersprüchlichkeit auszusetzen, bekämpft es die Beweismittelmanipulation daher auf drei Ebenen:168 (1.) durch den Versuch, das Geschehen ungeachtet eines vernichteten oder inhaltlich veränderten Beweismittels möglichst zutreffend zu ermitteln, (2.) durch den Ausgleich von Schäden, die der Betroffene infolge der Beweismittelunterdrückung erlitten hat, 167 Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1138; siehe auch Cedillo/Lopez, 20 St. Mary’s Law Journal (1989), 637, 639. 168 Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085; siehe auch Tucker, 27 University of Toledo Law Review (1995), 67.

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und (3.) durch die – im Zivilprozess aber offenbar nur wenig bedeutsame – strafrechtliche Verfolgung. Da diese Untersuchung prozessrechtliche Aufklärungsmodelle betrifft, können strafrechtliche Sanktionen – etwa aufgrund von Titel 18 Sections 1503, 1505 oder 1510 des United States Code (U.S.C.) – ebenso außer Betracht bleiben wie die zivilrechtliche Kompensation durch ein spezielles Delikt der Beweisvereitelung („spoliation tort“).169 Vielmehr geht es hier allein darum, wie eine sachgerechte Rekonstruktion des entscheidungserheblichen Geschehens möglich ist, obwohl Träger wichtiger Informationen vernichtet, beiseitegeschafft oder gar nicht erst erstellt wurden. Insoweit hält das U.S.-amerikanische Bundeszivilprozessrecht die spoliation inference und die discovery sanctions bereit. Was die Voraussetzungen und Rechtsfolgen anbelangt, sind beide Mechanismen praktisch identisch; der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die spoliation inference nur im trial und die discovery sanctions nur in der pretrial discovery eingreifen.170 3. Discovery sanctions wegen vorsätzlicher Beweisvereitelung a) Die Rechtsgrundlage Wenn sich im Verlauf eines discovery-Verfahrens herausstellt, dass die vorlegungspflichtige Partei ein Beweismittel zerstört hat, es ihr abhandengekommen ist, sie es inhaltlich wesentlich verändert hat, etc., dann stellt FRCP 37 (b) dem Gericht ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur angemessenen Reaktion zur Verfügung. Jedoch ist diese Rechtsgrundlage nur einschlägig, wenn die den Beweis vereitelnde Partei eine discovery order zur Offenlegung des maßgeblichen Informationsträgers missachtet.171 Zwar unterliegt die unbeachtet gebliebene discovery order keinen besonderen Erfordernissen im Hinblick auf Inhalt oder Form, vielmehr ist das Tatbestandsmerkmal in einem weiten Sinn zu verstehen.172 Dennoch scheidet FRCP 37 (b) aber jedenfalls dort als Rechtsgrundlage für discovery sanctions aus, wo die Partei das Beweismittel bereits im Vorfeld des Prozesses vernichtet, verändert oder verloren hat.173 169

Dazu etwa Paulus, AcP 197 (1997), 136, 145 ff. Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1094. 171 Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1094; Zuckerman, 27 Journal of Computer and Information Law (2009), 235, 245. 172 Halas v. Consumer Services, Inc., 16 F.3d 161, 164 (C.A.7 [Ill.], 1994); Brandt v. Vulcan, Inc., 30 F.3d 752, 756 Fn. 7 (C.A.7 [Ill.], 1994); Metropolitan Life Ins. Co. v. Cammon, 1989 WL 153558 (N.D.Ill., 1989), unter *3; Quela v. Payco-General American Creditas, Inc., 2000 WL 656681 (N.D.Ill., 2000), unter *6; Fidelity Nat. Title Ins. Co. of New York v. Intercounty Nat. Title Ins. Co., 2002 WL 377728 (N.D.Ill., 2002), unter *17; Rhodes v. LaSalle Bank, N.A., 2005 WL 281221 (N.D.Ill., 2005), unter *2; Victor Stanley, Inc. v. Creative Pipe, Inc., 269 F.R.D. 497, 520 (D.Md., 2010); JFB Hart Coatings, Inc. v. AM General L.L.C., 764 F.Supp.2d 974, 981 f. (N.D.Ill., 2011); Escobedo v. Ram Shirdi, Inc., 2012 WL 4017939 (N.D.Ill., 2012), unter *5. 173 Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1095. 170

124 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Mit einem solchermaßen beschränkten Sanktionsapparat wäre das discovery Verfahren gegen die Vernichtung, Unterdrückung oder Veränderung von Beweismitteln jedoch nur unzureichend abgeschirmt. So könnte ein Arzt jede Patientenunterlage, die auf einen Behandlungsfehler hindeuten könnte, sogleich vernichten. Ebenso könnte der Hersteller die Aufzeichnungen über solche Testreihen beseitigen, die auf Gesundheitsrisiken hindeuten, sobald er sich entscheidet, das Produkt dennoch auf den Markt zu bringen. Obwohl auch in solchen Fällen die Beweislage manipuliert wäre, bliebe der jeweils Geschädigte im Hinblick auf den Behandlungs- bzw. Produktfehler beweisfällig, wenn andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen und Sanktionen auf Grundlage der FRCP 37 (b) wegen des nicht eröffneten zeitlichen Anwendungsbereichs außer Betracht bleiben. Über die in den FRCP oder sonstigen Prozessgesetzen und -regeln bereitgestellten Maßnahmen hinaus verfügen U.S.-Gerichte jedoch über eine sog. inherent power als allgemeine Regel des common law,174 die taugliche Grundlage für weiter gehende Sanktionen gegen prozesszweckwidriges Parteiverhalten ist.175 Dementsprechend gestattet FRCP 37 (b) keinen Umkehrschluss des Inhalts, dass die Beweisvereitelung außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Norm sanktionslos sei.176 Unter die inherent powers eines Gerichts fallen dabei diejenigen Maßnahmen, die erforderlich sind, um einen sachgerechten Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten.177 Da sie den Gerichten auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage – also gewissermaßen kraft Natur der Sache – an die Hand gegeben sind, sind bei ihrer Ausübung die Regeln pflichtgemäßer Ermessensausübung strikt zu beachten. Generell ist bei Maßnahmen auf dieser Grundlage zwar Zurückhaltung geboten.178 In Zusammenhang mit dem 174

Norton/Woodward/Cleveland, 64 South Carolina Law Review (2013), 459, 463. Chambers v. NASCO, Inc., 501 U.S. 32, 35 (1991); Omegbu v. Milwaukee County, 2008 WL 220342 (E.D.Wis., 2008), unter *1; Wojtanek v. Pactiv Corp., 2012 WL 4483875 (N.D.Ill., 2012), unter *2; In re Pradaxa (Dabigatran Etexilate) Products Liability Litigation, 2013 WL 5377164 (S.D.Ill., 2013), unter *5; Premier Dealer Services, Inc. v. Duhon, 2013 WL 6150602 (E.D.La., 2013), unter *2; Babcock/Massaro/Spaulding, Civil Procedure (3. Aufl. 2006), 451; Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1095; Zuckerman, 27 Journal of Computer and Information Law (2009), 235, 246; Erickson, 60 Drake Law Review (2012), 887, 889 f.; Norton/Woodward/Cleveland, 64 South Carolina Law Review (2013), 459, 463. 176 Vgl. Chambers v. NASCO, Inc., 501 U.S. 32, 49 (1991). 177 Roadway Exp., Inc. v. Piper, 447 U.S. 752, 764 (1980); Barnd v. City of Tacoma, 664 F.2d 1339, 1342 (C.A.Wash., 1982); Fjelstad v. American Honda Motor Co., Inc., 762 F.2d 1334, 1138 (C.A.9 [Mont.], 1985); G. Heileman Brewing Co., Inc. v. Joseph Oat Corp., 871 F.2d 648, 651 Fn. 3 (C.A.7 [Wis.], 1989); Coleman v. American Red Cross, 23 F.3d 1091, 1099 (C.A.6 [Mich.], 1994); Doctor’s Associates, Inc. v. Distajo, 66 F.3d 438, 456 Fn. 12 (C.A.2 [Conn.],1995); Primus Automotive Financial Services, Inc. v. Batarse, 115 F.3d 644, 648 (C.A.9 [Cal.],1997); In re Levander, 180 F.3d 1114, 1118 (C.A.9 [Cal.], 1999); U.S. v. Gonzales, 344 F.3d 1036, 1049 (C.A.10 8N.M.], 2003); U.S. v. Llanez-Garcia, 735 F.3d 483, 492 (C.A.6 [Ohio], 2013); Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1095: „The inherent powers of federal courts are those which are necessary to the exercise of all others.“ 178 U.S. v. Llanez-Garcia, 735 F.3d 483, 492 (C.A.6 [Ohio], 2013). 175

§ 6 Das Aufklärungsmodell des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses

125

Verlust, der Vernichtung, der Unterdrückung oder der inhaltlichen Veränderung eines Beweismittels gestattet diese inherent power doctrine dem Gericht im Ergebnis jedoch dieselben Sanktionen wie FRCP 37 (b).179 b) Inhalt und Voraussetzungen der Sanktion Damit gelten für alle discovery sanctions letztlich dieselben Maßstäbe wie für die spoliation inference, und zwar gleichgültig auf Basis welcher Rechtsgrundlage. Danach kann der Umstand, dass eine Partei ein potentielles Beweismittel zerstört, weggegeben oder inhaltlich verändert hat, bei der Sachverhaltsermittlung zu ihren Ungunsten gewertet werden.180 Anders ausgedrückt: Ging bei der einen Partei ein an sich vorzulegender Informationsträger verloren, so darf aus diesem Verlust auf die Wahrheit derjenigen gegnerischen Tatsachenbehauptung geschlossen werden, zu deren Überprüfung der verloren gegangene Informationsträger dienen sollte. Getragen wird diese Schlussfolgerung von der Erwägung, dass die betroffene Partei den Informationsträger nur deshalb beseitigt oder sonst unbrauchbar gemacht habe, weil seine Vorlegung zu ihrem Nachteil die Wahrheit der gegnerischen Behauptung erwiesen hätte.181 179 Leon v. IDX Systems Corp., 464 F.3d 951, 958 (C.A.9 [Wash.], 2006); Konrath v. Amphitheater Unified School Dist. No. 10, 2007 WL 2809026 (D.Ariz., 2007), unter *9; Columbia Pictures, Inc. v. Bunnell, 2007 WL 4877701 (C.D.Cal., 2007), unter *5; Marceau v. International Broth. of Elec. Workers, 618 F.Supp.2d 1127, 1172 Fn. 16 (D.Ariz., 2009); Mullaney v. Hilton Hotels Corp., 2009 WL 2006828 (D.Hawai‘i, 2009), unter *4; Chevron U.S.A., Inc. v. M & M Petroleum Services, Inc., 2009 WL 2431926 (C.D.Cal., 2009), unter *21; National Corporate Tax Credit Funds III, IV, VI, VII v. Potashnik, 2010 WL 457626 (C.D.Cal., 2010), unter *4; Kopitar v. Nationwide Mut. Ins. Co., 266 F.R.D. 493, 495 (E.D.Cal., 2010); Hester v. Vision Airlines, Inc., 2010 WL 4553449 (D.Nev., 2010), unter *4; Adams v. AllianceOne, Inc., 2011 WL 2066617 (S.D.Cal., 2011), unter *5; Hubbard v. Plaza Bonita, L.P., 2011 WL 2433086 (S.D.Cal., 2011), unter *8; Moore v. U.S., 2011 WL 3739518 (N.D.Cal.,2011), unter *2; FTC v. Lights of America Inc., 2012 WL 695008 (C.D.Cal., 2012), unter *1; Volcan Group, Inc. v. T-Mobile USA, Inc., 940 F.Supp.2d 1327, 1333 (W.D.Wash., 2012); MGA Entertainment, Inc. v. National Products Ltd., 2012 WL 4052023 (C.D.Cal., 2012), unter *2; Holiday v. American Cas. Co. of Reading, PA, 2013 WL 1955561 (D.Nev., 2013), unter *2; Silva v. City and County of Honolulu, 2013 WL 2420902 (D.Hawai‘i, 2013), unter *22; Food Services of America, Inc. v. Carrington, 2013 WL 4507593 (D.Ariz., 2013), unter *19; Patton v. Wal-Mart Stores, Inc., 2013 WL 6158467 (D.Nev., 2013), unter *3; Mitchell v. Haviland, 2014 WL 271666 (E.D.Cal., 2014), unter *5. 180 Beaven v. U.S. Dept. of Justice, 622 F.3d 540, 555 (C.A.6 [Ky.], 2010); Talavera v. Shah, 638 F.3d 303, 311 (C.A.D.C., 2011); Canton v. Kmart Corp., 470 Fed.Appx. 79, 85 (C.A.3 [Virgin Islands], 2012); Gerlich v. U.S. Dept. of Justice, 711 F.3d 161, 170 (C.A.D.C., 2013); Solum/ Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1087; Tucker, 27 University of Toledo Law Review (1995), 67, 77; McGlynn, 27 University of Memphis Law Review (1997), 663, 666. 181 Schmid v. Milwaukee Elec. Tool Corp., 13 F.3d 76, 78 (C.A.3 [Pa.], 1994); Hodge v. WalMart Stores, Inc., 360 F.3d 446, 450 (C.A.4 [Va.], 2004); In re Hechinger Inv. Co. of Delaware, Inc., 489 F.3d 568, 579 (C.A.3 [Del.], 2007); Morse Diesel Intern., Inc. v. U.S., 81 Fed.Cl. 220, 222 (Fed.Cl., 2008); Whitt v. Stephens County, 529 F.3d 278, 284 (C.A.5 [Tex.], 2008); Canton v. Kmart Corp., 470 Fed.Appx. 79, 85 (C.A.3 [Virgin Islands], 2012); Bird Provision Co. v. Owens Country Sausage, Inc., 379 F.Supp. 744, 751 (D.C.Tex. 1974); Cedillo/Lopez, 20 St. Mary’s Law Journal (1989), 637, 650; Norton/Woodard/Cleveland, 64 South Carolina Law Review (2013), 459, 460.

126 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Freilich bildet diese Schlussfolgerung eine scharfe Sanktion,182 ist sie doch häufig gleichbedeutend mit der Entscheidung über Sieg oder Niederlage im Prozess.183 Im Rahmen der Ermessensausübung ist sie deshalb nur unter solchen weiteren Voraussetzungen gerechtfertigt, die der Schärfe der Sanktion Rechnung tragen.184 Tatsächlich ist diese Schlussfolgerung keineswegs in allen Fällen, in denen ein im Rahmen der discovery erheblicher Informationsträger verloren gegangen ist, die sachgerechte Lösung. Das folgt bereits aus der Reichweite der Vorlegungspflichten gemäß FRCP 26 (b) (1). Wie gesehen, sind dort dem Gegner sämtliche Informationsträger bereitzustellen, die auch nur potentiell tatsächliche Erkenntnisse zu dem geltend gemachten Anspruch oder der erhobenen Einwendung liefern könnten. Käme die Schlussfolgerung der spoliation inference ohne weitere Voraussetzungen zum Einsatz, könnte auch der Verlust eines Informationsträgers von objektiv nachrangigem oder gar fehlendem Beweiswert zur Folge haben, dass die gegnerische Behauptung als wahr zu behandeln wäre.185 Man denke etwa an nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtete Akten, die der Gegner herausverlangt, um aus diesen eventuell Indizien für seinen Klageanspruch zu gewinnen. Auch mag der wegen verbotener Diskriminierung klagende abgelehnte Bewerber zusätzlich zu der digital verfassten Aktennotiz die handschriftlichen Notizen über sein Bewerbungsgespräch herausverlangen. Sind diese bereits vernichtet, wäre bei strenger Lesart der spoliation inference seine Behauptung, er sei wegen seines Alters, Geschlechts, etc. nicht eingestellt worden, zumindest vorläufig als wahr zu unterstellen. Der zugrunde liegende Gedanke, die Partei habe den Informationsträger zur Vermeidung eigener prozessualer Nachteile beseitigt, greift jedoch in beiden Beispielen nicht. Das gilt erst recht in solchen Fällen, in denen Unachtsamkeit, Zufall oder Dritte den Informationsträger unbrauchbar werden ließen. Um eine solch überschießende Wirkung der spoliation inference zu vermeiden, hat die Rechtsprechung in einem ersten Schritt subjektive Tatbestandsmerkmale entwickelt. Danach ist die gegnerische Tatsachenbehauptung dann als bewiesen zu unterstellen, wenn eine Partei einen Informationsträger böswillig („bad faith“) beseitigt, das heißt mit dem Zweck, ungünstige Tatsachen zu verbergen („for the purpose of hiding adverse information“).186 Insoweit 182 McAdams v. U.S., 297 Fed.Appx. 183, 187 (C.A.3 [Pa.], 2008); McGlynn, 27 University of Memphis Law Review (1995), 663, 666. 183 Grosdidier v. Broadcasting Bd. of Governors, Chairman, 709 F.3d 19, 28 (C.A.D.C., 2013). 184 Talavera v. Shah, 638 F.3d 303, 311 (C.A.D.C., 2011). 185 Vgl. Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1091 f. 186 Mathis v. John Morden Buick, Inc., 136 F.3d 1153, 1155 (C.A.7 [Ill.], 1998); Faas v. Sears, Roebuck & Co., 532 F.3d 633, 644 (C.A.7 [Ill.], 2008); Trask-Morton v. Motel 6 Operating L.P., 534 F.3d 672, 681 (C.A.7 [Ind.], 2008); Norman-Nunnery v. Madison Area Technical College, 625 F.3d 422, 429 (C.A.7 [Wis.], 2010); Micron Technology, Inc. v. Rambus Inc., 645 F.3d 1311, 1327 (C.A.Fed. [Del.], 2011); Everett v. Cook County, 655 F.3d 723, 727 (C.A.7 [Ill.], 2011); Bracey v. Grondin, 712 F.3d 1012, 1019 (C.A.7 [Wis.], 2013).

§ 6 Das Aufklärungsmodell des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses

127

entsprechen spoliation inference und discovery sanctions im Ergebnis weitgehend demjenigen, was § 444 ZPO für die Beseitigung einer Urkunde in der Absicht, ihre Benutzung dem Gegner zu entziehen, vorsieht. c) Die Grenzen dieser Sanktionsmöglichkeit Es bleibt freilich die Frage, was mit einer derart eng gefassten spoliation inference und discovery sanction für die Vermeidung von Informationsproblemen gewonnen ist. So verlangt die bad faith Regel einen doppelten Vorsatz, und zwar denjenigen im Hinblick auf die Zerstörung des Informationsträgers zum einen und denjenigen im Hinblick auf das Verbergen der gespeicherten Information zum anderen. Folglich bleiben Konstellationen, in denen der Informationsträger versehentlich, zufällig oder durch Dritte unbrauchbar gemacht wurde, von vornherein außer Betracht. Für das Informationsproblem, das für die risikobelastete Partei in Verbindung mit dem verbotenen wahrheitswidrigen Bestreiten des Gegners in den pleadings entstanden ist, hält dieses Sanktionsmodell keine taugliche Lösung bereit. Das Gleiche gilt, wenn die spätere Partei den Informationsträger zwar vorsätzlich beseitigt, in diesem Moment aber noch keinen Gedanken an prozessuale Konsequenzen verschwendet. Somit verbleibt für die an bad faith gekoppelten spoliation inference und discovery sanctions lediglich die vorsätzliche Beseitigung oder sonstige Unbrauchbarmachung eines Informationsträgers, die planvoll im Hinblick auf einen aktuellen oder potentiell drohenden Prozess erfolgt. Bedenkt man nun noch, dass die risikobelastete Partei die Beweislast für das Vorliegen des doppelten Vorsatzes trägt,187 zeigt sich, dass die spoliation inference und die discovery sanctions in dieser Form den Gegner kaum davon abhalten können, von ihm künstlich erzeugte Informationsprobleme der risikobelasteten Partei für sich wirken zu lassen. In Kombination mit den Schwierigkeiten, innere Tatsachen nachzuweisen, eröffnet die bad faith Regel dem Gegner der risikobelasteten Partei nämlich einen enormen Spielraum für kaum widerlegbare Schutzbehauptungen.188 So mag es im Extremfall der risikobelasteten Partei sogar gelingen, die vorsätzliche Beseitigung eines Informationsträgers nachzuweisen. Doch kann der Gegner einer discovery sanction nach Art der spoliation inference noch durch den Hinweis entgehen, er habe es lediglich billigend in Kauf genommen, dass dieser Informationsträger für die Zwecke des laufenden Prozesses verloren sei.

187 Norman-Nunnery v. Madison Area Technical College, 625 F.3d 422, 429 (C.A.7 [Wis.], 2010); U.S. v. Nelson, 481 Fed.Appx. 40, 42 (C.A.3 [Pa.], 2012); Felix v. GMS, Zallie Holdings, Inc., 501 Fed.Appx. 131, 136 (C.A.3 [Pa.], 2012); Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1091. 188 Vgl. United Medical Supply Co., Inc. v. U.S., 77 Fed.Cl. 257, 268 (Fed.Cl., 2007).

128 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen 4. Discovery sanctions wegen einer Verletzung der duty to preserve a) Die Entstehung der duty to preserve Wegen ihrer geringen Effektivität hat es mit der bad faith Regel auch nicht sein Bewenden. Vielmehr setzte sich alsbald der Gedanke durch, dass auch die bloß fahrlässige Beseitigung oder sonstige Unbrauchbarmachung eines als Beweismittel geeigneten Informationsträgers eine Sanktion nach dem Inhalt der spoliation inference ermöglichen müsse.189 Allerdings gestatten die Umstände seines Verlusts in diesen Fällen nicht automatisch den Rückschluss, dass der Informationsträger im Falle seiner Verfügbarkeit die Wahrheit des Vorbringens der risikobelasteten Partei erweisen würde. Knüpft man die spoliation inference an den bloß fahrlässigen Verlust des Informationsträgers, geht es vielmehr darum, das Risiko der Unaufklärbarkeit abweichend von den allgemeinen Regeln zu verteilen.190 Das U.S.-amerikanische Prozessrecht sieht den rechtfertigenden Grund, die an sich risikobelastete Partei von ihrem Risiko zu befreien, in einem vorwerfbaren Verstoß des Gegners gegen seine duty to preserve, seine Pflicht also, einen Informationsträger für Zwecke des Beweises in einem Zivilprozess zu bewahren und bereitzuhalten.191 Verschiedene Umstände können diese Pflicht auslösen. Unproblematisch ist es, wenn die Partei, bei der der Informationsträger untergegangen oder sonst unbrauchbar geworden ist, aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit dem an sich risikobelasteten Gegner oder aufgrund anderweitiger spezialgesetzlicher Anordnung zur Dokumentation bestimmter Vorgänge gezwungen ist.192 Das betrifft etwa die Unterlagen über das Einstellungsverfahren, um seinen diskriminierungsfreien Ablauf zu dokumentieren.193 Eine Parallele aus dem deutschen Recht ist etwa die ärztliche Dokumentationspflicht.194 Der Umfang der Dokumentationspflicht ergibt sich dann aus der vertraglichen Abrede oder dem spezialgesetzlich definierten Pflichtenprogramm. Hier ist die prozess189

Cedillo/Lopez, 20 St. Mary’s Law Journal (1989), 637, 650. Cedillo/Lopez, 20 St. Mary’s Law Journal (1989), 637, 651. 191 Wood v. Pittsford Central School Dist., 2008 WL 5120494 (C.A.2 [N.Y.], 2008), unter *2; Consolidated Edison Co. of New York, Inc. v. U.S., 90 Fed.Cl. 228, 249 (Fed.Cl., 2009); Beaven v. U.S. Dept. of Justice, 622 F.3d 540, 554 (C.A.6 [Ky.], 2010); Norman-Nunnery v. Madison Area Technical College, 625 F.3d 422, 428 (C.A.7 [Wis.], 2010); Gerlich v. U.S. Dept. of Justice, 711 F.3d 161, 168 (C.A.D.C., 2013); Peterson v. Attorney General Pennsylvania, Fed.Appx., 2014 WL 44030 (C.A.3 [Pa.], 2014), unter *1; Sanofi-Aventis Deutschland GmbH v. Glenmark Pharmaceuticals Inc., USA, F.3d, 2014 WL 1552167 (C.A.Fed. [N.J.], 2014), unter *6; Turner v. U.S., 736 F.3d 274, 281 (C.A.4 [N.C.], 2013); Babcock/Massaro/Spaulding, Civil Procedure (3. Aufl. 2006), 451; Dropkin, 51 Duke Law Journal (2002), 1803, 1807; Erickson, 60 Drake Law Review (2012), 887, 889; Norton/Woodard/Cleveland, 64 South Carolina Law Review (2013), 459, 464. 192 Laboratory Corp. of America v. United States, 108 Fed.Cl. 549, 559 (Fed.Cl., 2012); Dropkin, 51 Duke Law Journal (2002), 1803, 1808. 193 Byrnie v. Town of Cromwell, Bd. of Educ., 243 F.3d 93, 109 (C.A.2 [Conn.], 2001). 194 § 630f BGB. 190

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rechtliche duty to preserve bloße Nebenfolge einer anderweitig ohnehin bestehenden Pflicht. Doch gibt es darüber hinaus auch eine selbständige prozessrechtliche duty to preserve. Sie soll sicherstellen, dass die für die Aufklärung des Sachverhalts benötigten Informationen im Zeitpunkt der discovery auch tatsächlich vorhanden sind. Die Vorlegungspflichten der discovery entfalten insoweit also eine Vorwirkung. Deshalb entsteht die duty to preserve jedenfalls im Zeitpunkt der Klageerhebung.195 Um aber die prospektiv vorlegungspflichtige Partei davon abzuhalten, ihre smoking guns vor Klageerhebung vermeintlich fahrlässig zu verlieren, besteht die duty to preserve bereits ab dem Moment, in dem eine juristische Auseinandersetzung vorhersehbar und wahrscheinlich ist.196 Hierfür ist die Perspektive eines verständigen Dritten an der Stelle der späteren Partei maßgeblich.197 Ist nach diesem Maßstab eine nachfolgende juristische Auseinandersetzung verständigerweise vorhersehbar, so sind prinzipiell sämtliche Informationen zu sichern, die relevant im Sinne der FRCP 26 (b) (1) sind.198 Wer also etwa erkennt, womöglich durch pflichtwidriges Verhalten einem anderen kausal einen Schaden zugefügt zu haben, ist im Hinblick auf einen eventuell folgenden Prozess augenblicklich dazu verpflichtet, sämtliche den Vorgang betreffenden Informationsträger zusammenzustellen und sicher zu verwahren. Gleiches gilt ab dem Moment, in dem dem Empfänger das Anspruchsschreiben seines Gegners zugeht. Und selbstverständlich hat der Anspruchsteller sämtliche für negative und affirmative defenses etwaig relevan-

195

Turner v. U.S., 736 F.3d 274, 282 (C.A.4 [N.C.], 2013); Chapman Law Firm, LPA v. United States, 113 Fed.Cl. 555, 609 (Fed.Cl., 2013); Erickson, 60 Drake Law Review (2013), 887, 888. 196 Turner v. U.S., 736 F.3d 274, 282 (C.A.4 [N.C.], 2013); Peterson v. Attorney General Pennsylvania, Fed.Appx., 2014 WL 44030 (C.A.3 [Pa.], 2014), unter *1; Chapman Law Firm, LPA v. United States, 113 Fed.Cl. 555, 609 (Fed.Cl., 2013); Sanofi-Aventis Deutschland GmbH v. Glenmark Pharmaceuticals Inc., USA, F.3d, 2014 WL 1552167 (C.A.Fed. [N.J.], 2014), unter *6; Babcock/Massaro/Spaulding, Civil Procedure (3. Aufl. 2006), 451; McGlynn, 27 University of Memphis Law Review (1995), 663, 666; Erickson, 60 Drake Law Review (2013), 887, 888; Tucker, 27 University of Toledo Law Review (1995), 67, 79; Kiker, 20 Richmond Journal of Law and Technology (2014), 6 unter *16. 197 Norman-Nunnery v. Madison Area Technical College, 625 F.3d 422, 428 (C.A.7 [Wis.], 2010); Peterson v. Attorney General Pennsylvania, Fed.Appx., 2014 WL 44030 (C.A.3 [Pa.], 2014), unter *1; Sanofi-Aventis Deutschland GmbH v. Glenmark Pharmaceuticals Inc., USA, F.3d, 2014 WL 1552167 (C.A.Fed. [N.J.], 2014), unter *6; Tucker, 27 University of Toledo Law Review (1995), 67, 79; Erickson, 60 Drake Law Review (2013), 887, 888; Kiker, 20 Richmond Journal of Law and Technology (2014), 6 unter *16. 198 Indemnity Ins. Co. of North America v. Electrolux Home Products, Inc., 520 Fed.Appx. 107, 111 (C.A.3 [Pa.], 2013); Peterson v. Attorney General Pennsylvania, Fed.Appx., 2014 WL 44030 (C.A.3 [Pa.], 2014), unter *1; Sanofi-Aventis Deutschland GmbH v. Glenmark Pharmaceuticals Inc., USA, F.3d, 2014 WL 1552167 (C.A.Fed. [N.J.], 2014), unter *6; Dropkin, 51 Duke Law Journal (2002), 1803, 1809.

130 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen ten Informationen zu sichern, sobald er das Geltendmachen seines Anspruchs auch nur in Betracht zieht. b) Reichweite und Verletzung der duty to preserve aa) Die verbleibenden Problembereiche. Mit diesem Wirkungsbereich stellen die discovery sanctions in der Tat ein effektives Instrument dar, um jeglichen Versuch der nicht risikobelasteten Partei, die Entscheidungsgrundlage durch eine Manipulation der maßgeblichen Informationsträger in ihrem Sinne zu gestalten, bereits im Ansatz zu unterbinden. Doch bleiben zwei Punkte problematisch. Der erste betrifft wiederum die Reichweite der discovery nach FRCP 26 (b) (1). Die angesichts der Masse an insbesondere elektronischen Informationen keineswegs unrealistische Konstellation, dass eine Partei die Vorlage einer zwischenzeitlich routinemäßig gelöschten Informationsquelle – etwa einzelner E-Mails – mit auch aus ihrer Sicht lediglich spekulativem Beweiswert verlangt, vermag man an dieser Stelle noch nicht angemessen zu lösen.199 Einer discovery sanction mit dem Inhalt einer spoliation inference könnte die vorlegungspflichtige Partei sicher jedenfalls nur dadurch entgehen, dass sie ab dem maßgeblichen Zeitpunkt sämtliche Daten dauerhaft speichert: Ein kostenintensives und in letzter Konsequenz praktisch wohl kaum umsetzbares Unterfangen.200 Der zweite betrifft den Verschuldensgrad. So mag der vorlegungspflichtigen Partei im Vorfeld des Prozesses durch leichte Fahrlässigkeit ein Informationsträger abhandengekommen sein, der nicht nur das gegnerische Vorbringen nicht stützte, sondern sogar ihr eigenes Bestreiten bestätigte. Ob es aber auch in solchen Fällen gerechtfertigt ist, die entsprechende gegnerische Behauptung als wahr zu unterstellen, erscheint zweifelhaft. Denn immerhin würde das Gericht diese Maßnahme auf seine inherent powers stützen, die an sich nur der Durchsetzung eines sachgerechten Verfahrensablaufs dienen. Dieser ist aber durch eine fahrlässige Verletzung der duty to preserve nicht zwingend in Frage gestellt.201 bb) Notwendige Anhaltspunkte für den Beweiswert. Es besteht daher Einigkeit, dass die duty to preserve und die Folgen ihrer Verletzung gewisser Modifikationen bedürfen, die das Gericht bei seiner Ermessensausübung zu berücksichtigen hat.202 Namentlich betreffen diese den Beweiswert des verloren gegangenen oder sonst unbrauchbar gewordenen Informationsträgers. So hat 199

Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1092. Erickson, 60 Drake Law Review (2013), 887, 892 f. 201 Erickson, 60 Drake Law Review (2013), 887, 894. 202 Stream Companies, Inc. v. Windward Advertising, 2013 WL 3761281 (E.D.Pa., 2013), unter *6. 200

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auf der einen Seite diejenige Partei, die aus der Nichtvorlage eines Informationsträgers positive Konsequenzen für die Wahrheit ihrer Behauptung gezogen wissen will, gewisse Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass der Träger ihr günstige Informationen enthalten habe.203 Wenn etwa handschriftliche Notizen über ein Bewerbungsgespräch in ein maschinenschriftliches Memorandum übertragen und sodann vernichtet wurden, dann kann der wegen verbotener Diskriminierung klagende Gegner aus der Vernichtung der Notizen nicht ohne Weiteres schlussfolgern lassen, dass diese im Gegensatz zu dem Memorandum seine Version der Geschehnisse bestätigt hätten.204 Will umgekehrt der Käufer einer großen Immobilieneinheit nachweisen, dass der Verkäufer ihm in den Verhandlungen unwahre Angaben über die von ihm erzielten Nettokaltmieten gemacht habe, und verlangt er zu diesem Zweck die internen Buchungs- und Rechnungsunterlagen des Verkäufers heraus, so sind diese Informationsträger direkte Beweismittel für die Wahrheit der Behauptung. Hier hat der Käufer in jedem Fall ausreichende Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass diese Unterlagen entscheidungserhebliche Informationen enthalten. Unterlegt er seine Behauptungen nun noch mit einem Nachweis darüber, dass die von ihm erzielten Nettokaltmieten signifikant hinter demjenigen zurückbleiben, was der Verkäufer bei den Vertragsverhandlungen erwirtschaftet haben wollte, sind jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Unterlagen des Verkäufers die Wahrheit der käuferseitigen Behauptungen erwiesen hätten. Infolge dieser Modifikation sind auch die Bedenken in Bezug auf die inherent powers als taugliche Rechtsgrundlage für discovery sanctions jenseits der Fälle von bad faith ausgeräumt. cc) Die Grenzen der duty to preserve. Ungeachtet der Reichweite der FRCP 26 (b) (1) ist anerkannt, dass die duty to preserve keine gegenständlich unbegrenzten Dokumentationspflichten in Bezug auf buchstäblich jede E-Mail aufstellt.205 Vielmehr greifen Verhältnismäßigkeitsaspekte zugunsten der vorlegungspflichtigen Partei ein,206 was letztlich aus FRCP 26 (b) (2) (C) (iii)207

203

Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1092; Tucker, 27 University of Toledo Law Review (1995), 67, 78. 204 Eine ähnliche Konstellation findet sich in Talavera v. Shah, 638 F.3d 303, 312 (C.A.D.C., 2011). 205 Concord Boat Corp. v. Brunswick Corp., 1997 WL 33352759 (E.D.Ark.,1997), unter *4. 206 Dropkin, 51 Duke Law Journal (2002), 1803, 1809 f.; Kiker, 20 Richmond Journal of Law and Technology (2014), 6 unter *17. 207 WHEN REQUIRED. On motion or on its own, the court must limit the frequency or extent of discovery otherwise allowed by these rules or by local rule if it determines that: […] (iii) the burden or expense of the proposed discovery outweighs its likely benefit, considering the needs of the case, the amount in controversy, the parties’ resources, the importance of the issues at stake in the action, and the importance of the discovery in resolving the issues.

132 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen folgt.208 Die vorlegungspflichtige Partei darf sich in Erwartung des Prozesses also auf die Sicherung und Bewahrung solcher Informationen und ihrer Träger beschränken, die in einem sachlichen Zusammenhang mit dem subject matter stehen.209 dd) Die Grenzen der spoliation inference als discovery sanction. Schließlich bleiben in Zusammenhang mit der spoliation inference als discovery sanction zwei Dinge zu beachten. Dort, wo der vorlegungspflichtigen Partei bad faith bei der Beseitigung oder sonstigen Unbrauchbarmachung des Informationsträgers nicht nachweisbar ist, gibt es keine starre Regel, unter welchen Bedingungen die spoliation inference zu Lasten der nicht risikobelasteten Partei ergeht. Vielmehr sind stets auch die sonstigen Erkenntnisse und Umstände des Verfahrens zu beachten.210 Das entspricht am ehesten der freien richterlichen Würdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO. Sodann bleibt zu bedenken, dass die spoliation inference als discovery sanction keine Strafe dafür ist, dass die Partei für den Verlust von (wahrscheinlich) entscheidungserheblichen Tatsachen verantwortlich ist. Vielmehr handelt es sich um ein Instrument, um dessen ungeachtet den wahren Sachverhalt zu rekonstruieren oder aber zumindest die Folgen der entstandenen Unsicherheit angemessen zwischen den Parteien zu verteilen. Daraus folgt, dass sonstige Erkenntnisse ungekürzt nach allgemeinen Regeln verwertbar sind. Das bedeutet weiter, dass dem Adressaten der spoliation inference als discovery sanction – jedenfalls außerhalb der bad faith Fälle211 – stets die Möglichkeit des Gegenbeweises offensteht.212 c) Gerechtfertigter und zufälliger Untergang des Informationsträgers Über die Konstruktion der duty to preserve stehen damit dem Gericht discovery sanctions in Form einer spoliation inference im Ergebnis für alle Fälle zur Verfügung, in denen ein an sich vorzulegender Informationsträger beseitigt oder sonst unbrauchbar gemacht wurde, dies der vorlegungspflichtigen Partei zurechenbar ist und zu einem Zeitpunkt geschah, in der ein verständiger Dritter davon ausgehen musste, dass eine juristische Auseinandersetzung über das subject matter wahrscheinlich sei. Dieses Instrumentarium ist effektiv, um ei208 Victor Stanley, Inc. v. Creative Pipe, Inc., 269 F.R.D. 497, 523 (D.Md., 2010); Tracy v. NVR, Inc., 2012 WL 1067889 (W.D.N.Y., 2012), unter *9 („As in any case raising issues of spoliation, the court’s determination of the scope of the duty to preserve is a highly fact-bound inquiry that involves considerations of proportionality and reasonableness.“); Reinsdorf v. Skechers U.S.A., Inc., 296 F.R.D. 604, 621 (C.D.Cal., 2013). 209 Kiker, 20 Richmond Journal of Law and Technology (2014), 6 unter *17. 210 Talavera v. Shah, 638 F.3d 303, 311 (C.A.D.C., 2011). 211 Beaven v. U.S. Dept. of Justice, 622 F.3d 540, 555 (C.A.6 [Ky.], 2010). 212 Norman-Nunnery v. Madison Area Technical College, 625 F.3d 422, 428 f. (C.A.7 [Wis.], 2010); McGlynn, 27 University of Memphis Law Review (1995), 663, 686.

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ner Umgehung der discovery Pflichten gemäß FRCP 26 (b) (1) entgegenzuwirken. Soweit das Beweismittel jedoch gerechtfertigterweise, zufällig oder durch einen Dritten, dessen Handeln der Partei nicht zurechenbar ist, beseitigt oder sonst unbrauchbar gemacht wurde, bestehen keine Möglichkeiten, im Wege von discovery sanctions zu reagieren.213 Als größte verbleibende Gefahr für die praktische Wirksamkeit der discovery mag man schließlich noch den Umstand ansehen, dass die risikobelastete Partei von der Existenz einer zu ihren Gunsten wirkenden smoking gun im Zugriffsbereich des Gegners nichts weiß. Das mag die discovery im Einzelfall tatsächlich leerlaufen lassen. Doch sollte man dieses Problem nicht überschätzen.214 So ist häufig beiden Parteien bewusst, welche Art von Informationsträgern erheblich sind: Patienten-, Abrechnungsunterlagen, Verträge mit Dritten, externe und interne Kommunikation mit Bezug zum Streitgegenstand, Quellcodes, Rezepturen, Entwicklungs- und Testdokumentationen, Namen und Anschriften von Zeugen, etc. Die gegnerische Einlassung, derlei Informationen mit Bezug zum Streitgegenstand existierten bei ihm nicht, wird nur selten glaubhaft sein. Es kommt hinzu, dass für einige der häufig entscheidungserheblichen Informationen mitsamt ihrer Träger gesetzliche Aufbewahrungspflichten bestehen. Noch am ehesten Gefahr droht dadurch, dass der vorlegungspflichtige Gegner aus der Gesamtheit der vorzulegenden Informationen die Einzelobjekte herausnimmt, die als direkte Beweismittel oder wenigstens starke Indizien für die Wahrheit der Behauptung der risikobelasteten Partei streiten. Doch gestaltet sich auch solch ein Vorgehen schwieriger, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Immerhin können Lücken in der beigebrachten Dokumentation auffallen, sei es aufgrund von numerierten Seitenzahlen in Akten, sei es aufgrund von Verweisen und Inbezugnahmen an anderen Stellen in der Dokumentation oder sei es aufgrund von Aussagen ergänzend vernommener Zeugen.215 Wird die Lücke aber offenbar, greifen wiederum die Regeln über die discovery sanctions. 5. Wahrheitspflicht und Verweigerung einer admission gemäß FRCP 36 Soweit es um Tatsachen aus dem eigenen Wahrnehmungsbereich des Gegners oder um solche geht, die er sich ohne größeren Aufwand besorgen kann,216 mag schließlich noch die Aufforderung zum förmlichen Geständnis, die request to admit gemäß FRCP 36, zur Verfügung stehen. Freilich dient sie nicht so sehr dazu, Klarheit über beweisbedürftige Tatsachen zu schaffen. Ihre prak213 214 215 216

Gerlich v. U.S. Dept. of Justice, 711 F.3d 161, 170 (C.A.D.C., 2013). Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1091. Solum/Marzen, 36 Emory Law Journal (1987), 1085, 1142 f. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 431.

134 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen tisch größte Bedeutung liegt vielmehr darin, die Wahrheit der in den pleadings nicht bestrittenen Behauptungen auch förmlich bestätigen zu lassen.217 Ursache hierfür ist die im trial stärkere Bindungskraft, die das förmliche Geständnis gegenüber dem einfachen Nichtbestreiten entfaltet.218 Wie bereits erwähnt, ist insoweit das Verhältnis ähnlich demjenigen zwischen § 138 Abs. 3 ZPO und § 288 Abs. 1 ZPO. Dennoch ist die request to admit auch in Bezug auf streitigen Sachvortrag denkbar und kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn der Gegner der risikobelasteten Partei die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung bestreitet und auf das Verlangen nach Dokumentenvorlegung weiter vorbringt, sämtliches einschlägige Material sei durch Zufall oder nicht zurechenbares Drittverhalten untergegangen. Zwar kann der Gegner sein – gegebenenfalls wahrheitswidriges – Bestreiten auch in seiner Antwort auf die request to admit fortsetzen. Jedoch verlangt FRCP 36 (a) (4)219 eine substantielle Begründung, weshalb die aufgeforderte Partei die admission verweigere. Das versperrt, dem § 138 Abs. 2 ZPO insoweit vergleichbar, den einfachen Ausweg in das schlichte Bestreiten. Der Eindruck, dass die request to admit ein effektives Instrument gegen Informationsprobleme der risikobelasteten Partei ist, wird noch dadurch verstärkt, dass eine ausgebliebene Antwort gemäß FRCP 36 (3)220 die Fiktion eines bindenden Geständnisses hat. Gleiches gilt nach den Grundsätzen über die spoliation of evidence, wenn die verweigernde Antwort die inhaltlichen Anforderungen nicht erfüllt.221 Theoretisch mündet also ein schlichtes oder bloß vages Bestreiten derjenigen Tatsache, auf die sich die request to admit bezieht, direkt in ein bindendes Geständnis.222 Nachdem die Spruchpraxis jenseits von nachgewiesenem bad faith offenbar sehr zurückhaltend ist, die Sanktion zu verhängen, wird die request to admit insgesamt jedoch als ein eher wenig wirksames Instrument zur Sachverhaltsrekonstruktion angesehen.223

217 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 432; Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 394; Yeazell, Civil Procedure (6. Aufl. 2004), 424. 218 Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 394. 219 ANSWER. If a matter is not admitted, the answer must specifically deny it or state in detail why the answering party cannot truthfully admit or deny is. A denial must fairly respond to the substance of the matter; (…). 220 TIME TO RESPOND; EFFECT OF NOT RESPONDING. A matter is admitted unless, within 30 days after being served, the party to whom the request is directed serves on the requesting party a written answer or objection addressed to the matter and signed by the party or its attorney. (…). 221 Rogers, in: Litigating Tort Cases (2013), § 17:15. 222 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 450; Wendel, 79 Marquette Law Review (1996), 895, 912. 223 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 433, 450.

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D. Discovery und Vertraulichkeitsschutz Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht des Bundes beide Parteien verpflichtet, die in ihrem jeweiligen Zugriffsbereich befindlichen Informationen dem Gegner offenzulegen und für dessen prozessrechtliche Zwecke zur Verfügung zu stellen. Etwaige Informationsprobleme sollen nicht über den Prozessausgang entscheiden. Im Spannungsfeld mit dem Schutz vertraulicher Informationen bedeutet dies eine klare Wertungsentscheidung zu Gunsten der Vermeidung prozessualer Informationsprobleme. Der denkbare Missbrauch der discovery, einen Prozess zu dem bloßen Zweck anzustoßen, sich möglichst weitgehenden Zutritt zu des Gegners Geheimsphäre zu verschaffen, wird dabei entweder als vernachlässigbar eingestuft oder hingenommen. Dennoch will der U.S.-amerikanische Zivilprozess Missbrauch und Exzesse der discovery möglichst begrenzen und lässt daher legitime Geheimhaltungsinteressen nicht völlig außer Acht.224 So sind discovery Maßnahmen gemäß FRCP 26 (b) Satz 1 zunächst auf solche Informationen beschränkt, die relevant und nonprivileged sind. Darüber hinaus können auch entscheidungserhebliche Informationen, die in der discovery kein bestimmtes Privileg genießen, mit einer protective order gemäß FRCP 26 (c) belegt werden.

I. Relevance im Sinne von FRCP 26 (b) Nähert man sich dem Begriff der relevance in FRCP 26 (b) Satz 1 vom deutschen Prozessrecht her, so scheinen erste wirkungsvolle Schranken gegen eine missbräuchliche Ausforschung errichtet. So sind beweiserheblich im Sinne der ZPO nur solche Tatsachen, bei deren Berücksichtigung die Entscheidung des Gerichts anders ausfällt als bei deren Nichtberücksichtigung.225 Zwar fallen hierunter auch sämtliche Indizientatsachen und Hilfstatsachen des Beweises,226 die den Kreis der beweiserheblichen Informationen spürbar ausweiten. Jedoch steht bei der mittelbaren Beweisführung vor der Beweiserhebung die Prüfung der Schlusskette durch das Gericht.227 Danach ist eine Information nur beweiserheblich, sofern die risikobelastete Partei ihren Träger, ihren vermuteten Inhalt und den Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung bezeichnen kann. Ein Beweisantrag, der dem nicht genügt, ist als ins Blaue hinein erhoben anzusehen und somit unbeachtlich.228 224 Babcock/Massaro/Spaulding, Civil Procedure (3. Aufl. 2006), 435; Yeazell, Civil Procedure (6. Aufl. 2004), 426; Note, 104 Harvard Law Review (1991), 1330. 225 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 111 Rn. 7. 226 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 111 Rn. 9. 227 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 16. 228 Vgl. Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 286 Rn. 86.

136 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Demgegenüber reicht das Verständnis von relevance im Sinne der FRCP 26 (b) Satz 1 deutlich weiter, woran auch die jüngst verschärften Anforderungen an das pleading des Klägers nichts geändert haben. Das folgt aus dem Zweck der discovery. Wer eine discovery request an seinen Gegner richtet, muss hier nämlich keineswegs den vermuteten Beweiswert der offenzulegenden Information und ihren Einfluss auf die Beweisführung benennen. Vielmehr soll die Offenlegung im Rahmen der discovery den Parteien nicht lediglich die greifbare Bestätigung liefern, was sie bereits zuvor wussten oder wenigstens konkret vermuteten, sondern sie in die Lage versetzen, Personen und Informationsträger darauf hin zu untersuchen, ob sie in irgendeiner Weise für die Prozessführung brauchbares Material liefern können.229 Was aus Sicht der ZPO also einen ins Blaue hinein gestellten und deshalb unerheblichen Beweisantrag darstellt, ist gemäß FRCP 26 (b) Satz 1 regelmäßig ein zweckentsprechendes discovery Begehren. Die Grenze ist erst dort erreicht, wo die begehrte Information oder ihr Träger derart fern vom Gegenstand von Klage oder Einwendung ist, dass ihre Verwendung für prozessuale Zwecke der einen oder der anderen Partei von vornherein ausscheidet.230 Ein derart grober Filter ist letztlich allerdings ungeeignet, um einen angemessenen Schutz vertraulicher Daten im discovery Verfahren sicherzustellen. Wer etwa geltend macht, von dem beklagten Softwarehersteller in einem Einstellungsverfahren rechtswidrig diskriminiert worden zu sein, kann auf dieser Grundlage sicherlich nicht die Offenlegung der Quellcodes von dessen Produkten verlangen. Zu Betriebsgeheimnissen der Qualität eines Quellcodes gelangt der Kläger jedoch stets dann, wenn dieser – wie im Prozess über die Verletzung von Urheberrechten – direktes Beweismittel ist. Auch eröffnet die Behauptung, bestimmte Informationen enthielten potentielle Indiz- oder Hilfstatsachen, weitreichende Möglichkeiten, um an sensible Daten des Gegners zu gelangen. Geht es in einem Produkthaftungsprozess etwa um den Zeitpunkt, in dem der Beklagte Kenntnis von dem nachträglich aufgetretenen Fehler des Produkts einer früheren Serie erlangte, so kann der Kläger die Entwicklungsdokumentation für die nachfolgende Produktserie herausverlangen.231 Die bloße Möglichkeit, dass diese Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung gestattet, genügt.

II. Privilege im Sinne von FRCP 26 (b) Doch ist die relevance der begehrten Information nur die erste Grenze, die FRCP 26 (b) der discovery im Hinblick auf ihre Missbrauchsgefahren zieht. So 229 230 231

Babcock/Massaro/Spaulding, Civil Procedure (3. Aufl. 2006), 433. Babcock/Massaro/Spaulding, Civil Procedure (3. Aufl. 2006), 433 f. Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 377.

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beschränkt FRCP 26 (b) Satz 1 selbst die Offenbarungspflicht auf nonprivileged matters. Dem liegt die Idee zugrunde, dass bestimmte persönliche Beziehungen oder Vertraulichkeitsinteressen allgemein als derart schützenswert anerkannt sind, dass sie sogar dem prozessualen Aufklärungsinteresse vorgehen.232 Nachdem es im Übrigen aber bei dem Grundsatz bleibt, dass die Bewahrung des Rechts den Zugriff auf jeden Beweis in den Händen der Parteien gestattet,233 ist der Begriff der nonprivileged matters entsprechend großzügig auszulegen. Demzufolge sind nur bestimmte Fallgruppen als Privilegien anerkannt. Mit am bedeutendsten ist dabei die Vertraulichkeit von Informationen aus dem Verhältnis zwischen dem Klienten und seinem Anwalt.234 Dieses Privileg sichert eine sachgerechte Vertretung der rechtlichen Interessen nicht nur zum Wohle des einzelnen Mandanten, sondern auch als Institution im öffentlichen Interesse.235 Gäbe es dieses Privileg nicht, müsste der gegnerische Anwalt als Zeuge über seine Gespräche mit seinem Mandanten aussagen und seine sämtlichen Unterlagen über den Fall offenlegen.236 Informationsproblemen der risikobelasteten Partei wäre damit zwar vordergründig effektiv begegnet. Die Konsequenz wäre freilich, dass die Mandanten ihre Anwälte nur selektiv mit Informationen versorgen, was eine sachgerechte Bearbeitung des Mandats unmöglich machte.237 Das U.S.-amerikanische Beweisrecht erkennt über die Beziehung zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten hinaus weitere persönliche Verhältnisse an, bei denen die Kommunikation zwischen den Beteiligten unter besonderem Schutz steht. Zu nennen sind etwa die Vertrauensverhältnisse zwischen Geistlichen und Gläubigen,238 zwischen Eheleuten239 oder auch zwischen Arzt und Patient.240 Und schließlich gilt auch im U.S.-amerikani-

232

Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 364. Catletti v. County of Orange, 207 F.Supp.2d 225, 229 (S.D.N.Y., 2002); Statutory Committee of Unsecured Creditors v. Motorola, Inc., 218 F.R.D. 325, 326 (D.D.C., 2003); Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 364; Graham, University of Illinois Law Review (1986), 43, 84; Amar/Lettow, 93 Michigan Law Review (1995), 857, 891; Amar, 20 Harvard Journal of Law and Public Policy (1997), 457, 463. 234 Fisher v. U.S., 425 U.S. 391, 403 (1976); Upjohn Co. v. U.S., 449 U.S. 383, 389 (1981); Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 406; Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 364; 235 Trammel v. U.S., 445 U.S. 40, 51 (1980); Upjohn Co. v. U.S., 449 U.S. 383, 389 (1981). 236 Fisher v. U.S., 425 U.S. 391, 403 (1976); Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 380. 237 Fisher v. U.S., 425 U.S. 391, 403 (1976). 238 Trammel v. U.S., 445 U.S. 40, 51 (1980); Mockaitis v. Harcleroad, 104 F.3d 1522, 1532 (C.A.9 [Or.],1997); Kasza v. Browner, 133 F.3d 1159, 1179 (C.A.9 [Nev.], 1998); In re Lott, 424 F.3d 446, 447 (C.A.6 [Ohio], 2005); U.S. v. Benally, 546 F.3d 1230, 1234 (C.A.10 [Utah], 2008). 239 Washington v. Texas, 388 U.S. 14, 23 Fn. 21 (1967); Trammel v. U.S., 445 U.S. 40, 47 (1980). 240 Department of Air Force v. Rose, 425 U.S. 352, 387 (1976); Trammel v. U.S., 445 U.S. 40, 51 (1980). 233

138 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen schen Beweisrecht, dass niemand gehalten ist, sich selbst eines strafbaren Verhaltens zu bezichtigen.241 Was den Zielkonflikt zwischen der Vermeidung von Informationsproblemen der risikobelasteten Partei und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen ihres Gegners anbelangt, ändern diese Privilegien nichts am Vorrang der Vermeidung von Informationsproblemen. So ist innerhalb der besonderen Vertrauensverhältnisse nur die Kommunikation als solche gegen discovery Maßnahmen geschützt, nicht aber deren Inhalt.242 Macht etwa ein Mandant seine interne Entwicklungsdokumentation eines Produkts, seine Kundenlisten, den Quellcode seiner Software, etc. seinem Anwalt zugänglich, muss weder der Mandant noch der Anwalt dem Gegner diese Kommunikationsvorgänge offenbaren. Verlangt aber der Gegner aufgrund von FRCP 34 von dem Mandanten die Offenlegung der Entwicklungsdokumentation, der Kundenlisten oder des Quellcodes, so kann der Mandant diesem Verlangen jedenfalls kein privilege im Sinne der FRCP 26 (b) Satz 1 entgegenhalten. Was das Verbot der Selbstbezichtigung anbelangt, so hilft dieses der redlichen Partei schon deshalb nicht weiter, weil die Offenbarung ihrer vertraulichen Information die gegen sie gerichteten Behauptungen widerlegen würde.

III. Die protective order gemäß FRCP 26 (c) 1. Das gerichtliche Ermessen Als verfahrensrechtliches Instrument zum Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen in der discovery gegen mögliche Missbrauchsversuche verbleibt letztlich nur die protective order,243 es sei denn, die Parteien verhandeln selbst einen Lösungsweg, der Geheimhaltungs- und Aufklärungsinteressen in Ausgleich bringt. Aus wichtigem Grund und auf Antrag der betroffenen Partei kann danach das Gericht gemäß FRCP 26 (c) (1) (G)244 insbesondere anordnen, dass Betriebsgeheimnisse nicht, lediglich teilweise oder nur auf eine bestimmte Art und Weise zu offenbaren sind. Entscheidender Gesichtspunkt ist dabei stets, inwieweit es zumutbar ist, eigene schutzwürdige Geheimnisse zum Zwecke der prozessualen Wahrheitserforschung aufzugeben. Gleiches gilt im Ergebnis auch für Informationen, die der Betroffene nicht aus betrieb241 Etwa Salinas v. Texas, 133 S.Ct. 2174, 2178 (U.S.Tex., 2013); Kansas v. Cheever, 134 S.Ct. 596, 601 (U.S.Kan., 2013); White v. Woodall, 134 S.Ct. 1697, 1703 (U.S., 2014). 242 Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 379 f. 243 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 443. 244 PROTECTIVE ORDERS. (…) The court may, for good cause, issue an order to protect a party or person from annoyance, embarrassment, oppression, or undue burden or expense, including one or more of the following: (…) requiring that a trade secret or other confidential research development, or commercial information not be reavealed or be revealed only in a specified way; (…).“

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lichen, sondern aus persönlichen Gründen vertraulich behandelt wissen möchte.245 Zwar hat das Gericht bei der Entscheidung über den Antrag einen großen Beurteilungsspielraum, ob und welche Schutzmaßnahmen es anordnet.246 Doch gilt auch hier der erwähnte Grundsatz, dass Prüfung und Bewährung des Rechts es jeder Partei und jedem Dritten abverlangen, ihre entscheidungserheblichen Informationen zu offenbaren. Dieser Aufopferungsgedanke bringt es mit sich, dass das Gericht bei der Verhängung von protective orders zurückhaltend zu verfahren hat. 2. Nachgewiesene Missbrauchsabsicht Größtmöglichen Schutz erhält die vertrauliche Information dadurch, dass das angerufene Gericht sie vollständig aus der discovery herausnimmt. Diese schärfste Form der protective order kommt allerdings nur unter strengen Voraussetzungen in Betracht, namentlich dann, wenn der um discovery ersuchenden Partei insoweit Missbrauch nachgewiesen ist.247 Dazu muss feststehen, dass diese Partei die entsprechende discovery Maßnahme nicht zu Zwecken der Rechtsverfolgung ergreift, sondern aus außerprozessualen Motiven,248 etwa um sich Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen.249 Im Ergebnis ist eine protective order dieses Inhalts nur in Konstellationen denkbar, in denen die tatsächliche Erheblichkeit der begehrten Information für den Fall der um discovery ersuchenden Partei bereits aus ex ante Perspektive zweifelhaft ist und prozessferne Motive durch Zeugen oder sonst dokumentierte Verlautbarungen nachgewiesen sind.250 Diese Voraussetzungen sind von vornherein regelmäßig nur bei potentiellen Indizien und Hilfstatsachen des Beweises erfüllt. Sobald die begehrte Information nämlich ein direktes Beweismittel oder ein innerhalb der Schlusskette gewichtiges Indiz für die Wahrheit oder Unwahrheit der streitigen Behauptung liefert, kann von rein prozessfernen Motiven keine Rede mehr sein. Ein bloßer außerprozessualer Nebenzweck, mag er auch zu missbilligen sein, genügt nicht, um das private oder dienstliche Geheimnis vollständig aus der discovery herauszuhalten.251

245 Yeazell, Civil Procedure (6. Aufl. 2004), 427; Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 455. 246 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 444. 247 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 444. 248 Echostar Communications Corp. v. News Corp. Ltd., 180 F.R.D. 391, 396 (D.Colo., 1998); Premier Election Solutions, Inc. v. Systest Labs Inc., 2009 WL 3075597 (D.Colo., 2009), unter *10. 249 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 444. 250 Echostar Communications Corp. v. News Corp. Ltd., 180 F.R.D. 391, 396 (D.Colo., 1998). 251 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 444.

140 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen 3. Zweifelhafte oder sichere tatsächliche Relevanz ohne Missbrauchsabsicht Als zweite Kategorie von Fällen lassen sich diejenigen zusammenfassen, in denen die tatsächliche Relevanz der begehrten vertraulichen Information zweifelhaft ist, die um discovery ersuchende Partei unlautere Motive jedoch entweder nicht hat oder ihr solche jedenfalls nicht nachweisbar sind. So mag es etwa liegen, wenn ein Kläger für seinen Nachweis verbotener Diskriminierung verlangt, dass der Beklagte ihm sämtliche Personalakten der in einem bestimmten Zeitraum Beschäftigten einschließlich der Leistungsbewertungen überlasse. Auch zählt der Fall dazu, dass der Kläger von mehreren Großhändlern deren Preiskalkulation herausverlangt, um hieraus Anhaltspunkte für eine verbotene wettbewerbsbeschränkende Abrede herzuleiten, die die Beklagten auf der nachfolgenden Marktstufe getroffen haben sollen. In solchen Situationen ist es die Aufgabe des Gerichts, die discovery so zu gestalten, dass einerseits der risikobelasteten Partei die begehrte Information nicht vollständig vorenthalten wird und andererseits der Gegner oder der Dritte sein Geheimnis nicht ohne jeden Vorbehalt komplett offenbaren muss.252 Hier kommen unterschiedliche Maßnahmen in Betracht, um die widerstreitenden Interessen auszugleichen. Neben der Anonymisierung etwa der verlangten Mitarbeiterakten ist hier insbesondere das in camera Verfahren zu nennen.253 So kann das Gericht als protective order etwa anordnen, dass die vertraulichen Informationen nur dem gegnerischen Anwalt und gegebenenfalls neutralen Sachverständigen zugänglich gemacht werden, dass Kopien und Abschriften nicht erstellt werden dürfen, eine Verwendung der verlangten Informationen für außerprozessuale Zwecke untersagt ist, die Einsichtnahme nur in Gegenwart des Gerichts erfolgen darf und die Informationsträger im Übrigen bei Gericht unter Verschluss gehalten werden.254 Im Anschluss an diese in camera erfolgte Überprüfung der Information und ihres Trägers, kann dann, je nach Lage des Falles, das Gericht darüber befinden, ob und inwieweit eine weiter gehende Offenlegung in Betracht kommt.255

252 Covey Oil Co. v. Continental Oil Co., 340 F.2d 993, 996 (C.A.Utah 1965); Friedenthal/ Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 444 Fn. 5. 253 Garner v. Wolfinbarger, 430 F.2d 1093, 1104 (C.A.Ala. 1970); Bruno & Stillman, Inc. v. Globe Newspaper Co., 633 F.2d 583, 598 (C.A.N.H., 1980); Friedman v. Bache Halsey Stuart Shields, Inc., 738 F.2d 1336, 1344 (C.A.D.C., 1984); Fausek v. White, 965 F.2d 126, 130 (C.A.6 [Tenn.], 1992); Cox v. Administrator U.S. Steel & Carnegie, 17 F.3d 1386, 1417 (C.A.11 [Ala.], 1994); Pikes Peak Family Housing, LLC v. U.S., 40 Fed.Cl. 673, 688 (Fed.Cl., 1998); Shell Petroleum, Inc. v. U.S., 47 Fed.Cl. 812, 819 (Fed.Cl., 2000); Doe v. Tenet, 329 F.3d 1135, 1149 Fn. 8 (C.A.9 [Wash.],2003); Foltz v. State Farm Mut. Auto. Ins. Co., 331 F.3d 1122, 1136 Fn. 6 (C.A.9 [Or.], 2003); Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 444. 254 Covey Oil Co. v. Continental Oil Co., 340 F.2d 993, 999 (C.A.Utah 1965). 255 U.S. v. Hsu, 155 F.3d 189, 205 (C.A.3 [Pa.], 1998); Baker & Hostetler LLP v. U.S. Dept. of Commerce, 473 F.3d 312, 316 (C.A.D.C., 2006); siehe auch Drexel Heritage Furnishings, Inc. v. U.S., 4 Cl.Ct. 169, 170 (Cl.Ct., 1983).

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Schließlich mag man als dritte Fallgruppe solche Situationen bezeichnen, bei denen an der tatsächlichen Erheblichkeit der begehrten Information von Anfang an kein Zweifel herrscht, namentlich weil es sich um ein direktes Beweismittel oder ein aussagekräftiges Indiz handelt. Auch hier verbleibt ex ante jedoch eine Unsicherheit, und zwar, ob die Offenlegung der Information die Wahrheit oder die Unwahrheit der streitigen Behauptung erweisen wird. Wegen dieser Unsicherheit ist die beachtliche Interessenlage beider Parteien und eventueller Dritter nicht anders als in den Fällen, in denen die tatsächliche Entscheidungserheblichkeit als solche ex ante unklar ist. Folglich werden beide Fallgruppen auch identisch behandelt.256

Zwischenergebnis Das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht ist von der Vorstellung beherrscht, dass Informationsdefizite der Parteien nicht über Sieg und Niederlage im Prozess entscheiden sollen. Eine nemo tenetur edere contra se vergleichbare Regel kennt der U.S.-amerikanische Zivilprozess nicht. Dennoch entstehen für den Kläger auf der Vortragsebene Informationsprobleme, wenn er keine ausreichenden Tatsachen benennen kann, die der Plausibilitätsprüfung anhand des Zwei-Stufen-Tests gemäß Twombly und Iqbal standhalten. Solchen Informationsproblemen wirken die FRCP nicht entgegen. Vielmehr verwarf der U.S.Supreme Court gezielt den großzügigeren Standard des notice pleading. Im Gegensatz zum deutschen Prozessrecht existieren für die FRCP fassbare Kriterien, anhand derer die Anforderungen an einen schlüssigen Klägervortrag einheitlich zu messen sind. Bei direktem Übertritt von den pleadings ins trial würden sich – lässt man das unterschiedliche Beweismaß außer Betracht – identische Informationsprobleme entwickeln wie im deutschen Zivilprozessrecht auf der Beweisebene. Hier jedoch dringt der Grundgedanke durch, wonach die Wahrheitsermittlung sowie die Prüfung und Bewährung des Rechts es jedem abverlangen, seine entscheidungserheblichen Informationen zu offenbaren. Rechtstechnisch umgesetzt ist diese umfassende Offenbarungspflicht in den Regeln über die pre trial discovery. Kommt eine Partei ihrer Offenbarungspflicht nicht ordentlich nach, so hält das U.S.-amerikanische Prozessrecht Maßnahmen bereit, die im Ergebnis den Grundsätzen über die Beweisvereitelung ähneln.

256

Covey Oil Co. v. Continental Oil Co., 340 F.2d 993, 998 f. (C.A.Utah 1965)

142 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen

§ 7 Die allgemeine Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses A. Die wechselseitige Offenbarungspflicht zur umfassenden Wahrheitserforschung Die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses stellt den am prominentesten vertretenen Versuch dar, das adversielle Aufklärungsmodell des deutschen Zivilprozessrechts um eine wechselseitige Offenbarungspflicht der Parteien zu ergänzen. Ebenso wie das Aufklärungsmodell der Federal Rules of Civil Procedure sieht dieser Ansatz eine umfassende Wahrheitserforschung als Gebot staatlich gewährten Rechtsschutzes an.257 Das meint nichts anderes als einen grundrechtlich verbürgten Anspruch beider Parteien auf vollständige Wahrheitsermittlung als notwendige Voraussetzung der Gewähr effektiven Rechtsschutzes. Dieser Anspruch beider Parteien mündet sodann in beider Pflicht, die in ihrem Zugriffsbereich befindlichen Informationen zu offenbaren, damit im Prozess der wahre Sachverhalt rekonstruiert werde. Ausgehend von dieser gemeinsamen Basis teilt sich die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses in zwei Untergruppen auf: Diejenige, die einen plausiblen Initialvortrag der risikobelasteten Partei fordert, zum einen, und die diejenige, die auf solch einen Vortrag verzichtet, zum anderen.

B. Die Aufklärungspflicht im Anschluss an einen plausiblen Initialvortrag I. Die Funktionsweise dieses Ansatzes Die Vertreter der ersten Variante dieses Aufklärungsmodells verlangen von der risikobelasteten Partei zunächst, dass sie einen beachtlichen Initialvortrag liefert.258 Der geltend gemachte Anspruch bzw. die erhobene Einwendung müssen danach so konkret behauptet sein, dass ihre Berechtigung plausibel erscheint.259 Im Anschluss daran sind beide Parteien verpflichtet, den gesamten Lebenssachverhalt vorzutragen, der dem Streit zugrunde liegt, soweit er für den Rechtsfolgenausspruch erheblich ist.260 Die Aufgabe welcher Partei es 257 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 31 f.; ähnlich Schlosser, NJW 1992, 3275, 3276. 258 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 7, 27. 259 AK/E. Schmidt, ZPO (1987), § 138 Rn. 5; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 119. 260 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 7, 27; Gottwald, Gutachten A für den 61. DJT (1996), A 19; Katzenmeier, JZ 2002, 533; Waterstraat, ZZP 118 (2005), 459, 483; Stürner, Die Aufklärungspflichten der Parteien des Zivilprozesses (1976), 134.

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dann ist, einen konkreten Aufklärungsbeitrag zu leisten, bemisst sich deshalb nicht nach dem überkommenen System von Angriff und Verteidigung, sondern danach, welcher der beiden Parteien die Sachverhaltsrekonstruktion eher möglich ist.261 Den Gegner trifft dabei die originär prozessrechtliche Pflicht, der risikobelasteten Partei insbesondere begehrte Auskünfte zu erteilen und Informationsträger zur Verfügung zu stellen.262 Wenn der Gegner diese Pflicht schuldhaft verletzt, dann soll die Behauptung der risikobelasteten Partei als wahr zu unterstellen sein,263 widerlegbar nur durch vollen Gegenteilsbeweis.264 Das meint nichts anderes als die Umkehr der objektiven Beweislast.265

II. Die dogmatische Begründung Manche Vertreter innerhalb dieser Meinungsgruppe leiten eine solche Aufklärungspflicht direkt aus dem Vollständigkeitsgebot des § 138 Abs. 1 ZPO ab.266 Andere sehen die einfachrechtliche Grundlage dieser allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht in einem allgemeinen Rechtsgedanken, der in §§ 138 Abs. 1 und Abs. 2, 423, 445 ff., 372a ZPO seinen spezialgesetzlichen Ausdruck gefunden habe.267 Die entsprechende Verallgemeinerung dieser einzelnen Bestimmungen sei jedenfalls wegen der grundgesetzlichen Wertung geboten, wonach die Erforschung der objektiven Wahrheit elementarer Bestandteil des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz sei.268

III. Die Bewältigung des Informationsproblems 1. Auf der Vortragsebene Diese Variante der allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht hält für den Initialvortrag sowohl an der objektiven als auch an der subjektiven Behauptungslast fest. Demnach hängt die Schwere des Informationsproblems

261

AK/E. Schmidt, ZPO (1987), § 138 Rn. 18. Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 134; Katzenmeier, JZ 2002, 533; Waterstraat, ZZP 118 (2005), 459, 483. 263 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 242; Katzenmeier, JZ 2002, 533. 264 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 246. 265 Arens, ZZP 96 (1983), 1, 16; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 249 räumt dies ein. 266 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 7, 27. 267 AK/E. Schmidt, ZPO (1987), 3 138 Rn. 18; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 92; ihm folgend etwa Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 11. 268 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 92. 262

144 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen der risikobelasteten Partei auf der Vortragsebene davon ab, wann das geforderte Maß an Plausibilität erreicht ist. Eine insoweit vergleichbar klare Begriffsbestimmung, wie der U.S. Supreme Court sie in seinen Entscheidungen Twombly und Iqbal vorgenommen hat, findet man an dieser Stelle nicht. Vielmehr dominieren bildhafte Beschreibungen. So sei ein Vorbringen unzulässig, das nur der Ausforschung des Gegners diene.269 Unklar bleibt dabei jedoch sowohl, wo die Grenze zwischen legitimer und illegitimer Ausforschung zu ziehen ist, als auch, wie das Prozessgericht die Absicht illegitimer Ausforschung als innere Tatsache erkennen sollte.270 Präziser erscheint zunächst die Formulierung, die einen Initialvortrag für ausreichend hält, wenn er bestimmte Anhaltspunkte für die Wahrheit der behaupteten Tatsache benennt, und umgekehrt als unbeachtlich einstuft, wenn solche Anhaltspunkte gänzlich fehlen.271 Hier deuten sich strengere Vorgaben an, die auf eine inhaltliche Entsprechung zu Twombly und Iqbal hinauslaufen könnten. Um das Informationsproblem an dieser Stelle jedoch möglichst gering zu halten, sollen Erleichterungen gelten, sofern die risikobelastete Partei sich in einer Situation typischer Unkenntnis befinde.272 Es genügten dann Anhaltspunkte, die in Verbindung mit einem Erfahrungssatz die aufgestellte Behauptung als vernünftige und nicht willkürliche Vermutung auswiesen.273 Insoweit führt diese Variante der Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses somit zu keinen Ergebnissen, die klarer wären als diejenigen, die die h.M. mit ihrem Zusammenspiel von nemo tenetur edere contra se und sekundärer Behauptungslast produziert. Hat die risikobelastete Partei den ihr obliegenden Initialvortrag beigebracht, setzen sich die Probleme bei der weiteren Konkretisierung fort. Nun ist der Gegner der risikobelasteten Partei dazu angehalten, substantiiert zu bestreiten. Das entspricht noch dem Vorgehen anhand der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast. Nach diesen hat jedoch die risikobelastete Partei, weitere Aufklärungsbeiträge zu leisten, sobald der Gegner hinreichend substantiiert bestritten hat.274 Anders liegt es bei der allgemeinen Aufklärungs269 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 7, 26; Schlosser, JZ 1991, 599, 608; ähnlich Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 114: Mutwillig eingeleitete Prozesse. 270 Vgl. Arens, ZZP 96 (1983), 1, 14. 271 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 7, 27. 272 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 119; ihm folgend Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 11; wohl auch Katzenmeier, JZ 2002, 533; Waterstraat, ZZP 118 (2005), 459, 483. 273 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 133. 274 Obwohl die sekundäre Behauptungslast die subjektive Behauptungslast für die Erwiderung auf den Initialvortrag umkehrt, bleibt es im Übrigen bei dem hergebrachten Wechselspiel von Angriff und Verteidigung. Dieser nun von der risikobelasteten Partei zu erbringende Aufklärungsbeitrag besteht dann je nach Lage des Einzelfalls in einem Beweisantritt oder in einer Stellungnahme zum gegnerischen Vorbringen gemäß § 138 Abs. 2 ZPO.

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pflicht der Parteien des Zivilprozesses. Im Anschluss an den gegebenenfalls erleichterten Initialvortrag der risikobelasteten Partei soll dort ein kooperatives System der Sachverhaltsrekonstruktion gelten.275 Unklar bleibt jedoch, wie innerhalb dieses Systems die Aufgabenzuweisung zwischen den Parteien erfolgt. 2. Auf der Beweisebene Wie bereits erwähnt, ist die Umkehr der objektiven Beweislast die Sanktion für den schuldhaften Verstoß gegen die prozessrechtliche Aufklärungspflicht. Hiergegen bestehen dieselben Bedenken, die bereits in Zusammenhang mit der Beweisvereitelung zu erheben waren: Über die Verteilung der objektiven Beweislast befindet die streitentscheidende Norm und nicht das Prozessrecht. Bei der Verhängung beweisrechtlicher Sanktionen ist es ein zu grober Maßstab, direkten Vorsatz und leichte Fahrlässigkeit gleich zu behandeln. Die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei stünde im Fall eines gegnerischen Verstoßes gegen die prozessrechtliche Aufklärungspflicht besser, als wenn der Gegner sich gefügt und der Beweis erfolgreich gewesen wäre. 3. Haupt- und Gegenbeweis Schließlich hilft diese Form einer allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht bestenfalls bedingt über das Informationsproblem der mit dem Gegenbeweis belasteten Partei hinweg. Das betrifft zunächst die Vortragsebene. Wenn jemand z.B. gegen ein Transportunternehmen Ersatzansprüche wegen der Beschädigung von Transportgut geltend macht, dann ist der Hauptbeweis nach den Regeln über den Anscheinsbeweis erfolgreich geführt, sobald feststeht, dass der Transportunternehmer einen Unfall mit den Transportboxen verursacht hat.276 Der unter diesen Umständen insoweit risikobelastete Transportunternehmer kann den Anscheinsbeweis etwa dadurch erschüttern, dass er einen weiteren Unfall mit dem Transportgut nachweist, der sich außerhalb seines Verantwortungsbereichs auf einer vor- oder nachgelagerten Etappe des Transportwegs ereignet hat. Um den Anspruchsteller an der Sachverhaltsaufklärung über solche den Anscheinsbeweis entkräftenden Umstände aktiv zu beteiligen, müsste der Transportunternehmer nach der Lehre von der allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht die alternative Schadensursache zunächst plausibel behaupten.277 Für eine plausible Behauptung fehlen ihm in aller Regel aber die erforderlichen Informationen. Auch die Erleichterungen, die die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der in typischer Unkenntnis befindlichen 275 276 277

AK/E. Schmidt, ZPO (1987), § 138 Rn. 18. BGH, NJW 1998, 79, 81. Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 132 f.

146 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Partei zugutekommen lässt, helfen ihm nicht weiter. Denn jeder entsprechende Vortrag käme über bloße Spekulation nicht hinaus. Ein solchermaßen unbestimmter Vortrag soll aber in jedem Fall unzulässig sein.278 Daraus folgt: Die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses gestattet es der mit der Führung des Hauptbeweises belasteten Partei, solche nur ihr bekannten Tatsachenkenntnisse zurückzuhalten, die ihre Beweisführung erschüttern könnten. Die Grenze ist erst dann erreicht, wenn sie positiv weiß, dass die von ihr behauptete Tatsache unwahr ist.279 Auch auf der Beweisebene ist die Lehre von der allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht ungeeignet, dem Informationsproblem der mit der Führung des Gegenbeweises belasteten Partei abzuhelfen. Insoweit ist auf die Feststellungen zu den Grundsätzen über die Beweisvereitelung zu verweisen: Zum einen ist der mit der Führung des Gegenbeweises belasteten Partei nicht gedient, wenn sie nun auch die objektive Beweislast trägt. Zum anderen ist der Hauptbeweis geführt, so dass es auf die Verteilung der objektiven Beweislast nicht mehr ankommt.

C. Die voraussetzungslose allgemeine Aufklärungspflicht I. Die Funktionsweise dieses Ansatzes Diesen Bedenken setzen manche eine allgemeine voraussetzungslose Aufklärungspflicht entgegen. Sie soll entstehen, sobald das Prozessrechtsverhältnis zustande gekommen ist. Sobald dies geschehen ist, sollen beide Parteien innerhalb des Streitgegenstandes nach ihren individuellen Möglichkeiten zur vollen Klärung des Sachverhalts beizutragen haben, und zwar gegebenenfalls auch über ihre Beweislast hinaus.280 Welche konkreten Aufgaben die Parteien bei der Sachverhaltsaufklärung in den einzelnen Stadien des Prozesses treffen, soll sich auch hier nicht nach dem Schema von Angriff und Verteidigung bemessen. Der dadurch bedingte Bedeutungsverlsut für die Beweisführungsund die Behauptungslast sei erforderlich, um sicherzustellen, dass das Prozessrecht keiner Partei einen Aufklärungsbeitrag abverlange, den sie nicht erbringen könne.281 Außerdem sei die Bestimmung der Behauptungslast in Abhängigkeit von der objektiven Beweislast im Hinblick auf den Prozesszweck 278 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 119; Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 7, 26; Schlosser, JZ 1991, 599, 608. 279 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 116 f. 280 Weyers, in: FG für Esser (1975), 194, 216; vgl. bereits von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess (1939), 287, 381; E. Peters, Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß (1966), 107 f.; i. Erg. auch Bruns, Zivilprozessrecht (2. Aufl. 1979), Rn. 85 d. 281 von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess (1939), 287.

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untauglich, weil die uninformierte risikobelastete Partei so zu Aussagen ins Blaue hinein getrieben werde.282 Darüber, welche Partei in welcher Situation des Prozesses welchen Aufklärungsbeitrag zu liefern habe, entscheide daher das Prozessgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Für die Ermessensentscheidung sei maßgeblich, welche Partei nach der Lebenserfahrung im Einzelfall die beste Sachkenntnis habe.283 Komme die angesprochene Partei dieser Aufforderung ohne verständlichen Grund nicht nach, könne das Prozessgericht daraus in freier Beweiswürdigung seine Schlüsse zu Gunsten der anderen Partei ziehen.284 Indem diese Variante der allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht auch den Gegner zur aktiven Teilnahme an der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet, ohne dass die risikobelastete Partei die jeweilige Tatsache plausibel behauptet haben müsste, vermeidet sie Unsicherheiten über den Plausibilitätsstandard. Auch entlastet sie die mit der Führung des Gegenbeweises belastete Partei von der Notwendigkeit, Umstände wider den Hauptbeweis selbständig darzutun. Auch insoweit ist der Gegner von Anfang an mitwirkungspflichtig. Die Schwierigkeiten, die die Umkehr der objektiven Beweislast als Sanktion für den Verstoß einer Partei gegen ihre Aufklärungspflicht mit sich bringt, entstehen hier deshalb nicht, weil die Sanktion in die richterliche Beweiswürdigung verlagert wird. Schließlich stellt dieser Ansatz klar, dass das Prozessgericht darüber entscheidet, welche Partei zu welchem Zeitpunkt welchen Aufklärungsbeitrag zu leisten hat. Wenn man unterstellt, dass der streitgegenständliche Sachverhalt objektiv aufklärbar ist, dann verhindert dieses Aufklärungsmodell scheinbar von vornherein, dass Informationsdefizite den Ausgang des Prozesses beeinflussen können. Denn alles, was der Kläger für sein Rechtsschutzbegehren zu liefern hat, ist ein Schriftsatz, der den Erfordernissen des § 253 ZPO so weit genügt, dass er zugestellt wird. Das Prozessrechtsverhältnis ist sodann unmittelbare Folge der Zustellung.285 Das Prozessgericht verweigert die Zustellung dabei nur in wenigen Fällen:286 wenn die Unterschrift fehlt, der Beklagte der deutschen Gerichtsbarkeit nicht unterliegt, der Kläger nicht postulationsfähig oder offenkundig prozessunfähig ist.

282

Bruns, Zivilprozessrecht (2. Aufl. 1979), Rn. 85 d; Weyers, in: FG für Esser (1975), 194,

215 f. 283

Weyers, in: FG für Esser (1975), 194, 216. E. Peters, Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß (1966), 111; i. Erg. ebenso Weyers, in: FG für Esser (1975), 194, 216. 285 BGH, NJW-RR 2009, 566, 568; Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 253 Rn. 1; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 253 Rn. 32. 286 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 253 Rn. 19. 284

148 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen

II. Die dogmatische Begründung In Verbindung mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz sollen vor allem Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte für diesen Ansatz sprechen. Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber mit den von ihm erlassenen Normen bestimmte tatsächliche Erscheinungen des Soziallebens regeln wolle.287 Konsequenterweise seien die Gerichte, die diese Normen anwenden sollten, zu dem Zweck eingesetzt, diese von dem Gesetzgeber vorgesehene Regelung im Einzelfall zu vollziehen. Dies setze wiederum voraus, dass sie sich darüber Klarheit verschafften, ob der vom Gesetzgeber gemeinte Fall vorliege.288 Nach dieser Auffassung bestimmt also allein der Zweck die Befugnis. Als normative Anknüpfung finden sich zuweilen pauschale Hinweise auf § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO.289

III. Die Unvereinbarkeit des Ansatzes mit der lex lata Freilich verstößt diese Variante einer allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht gegen den Beibringungsgrundsatz und ist deshalb mit dem geltenden Zivilprozessrecht unvereinbar. Dieser Kritik wird freilich entgegengehalten, dass der Beibringungsgrundsatz seinerseits erst aufgrund eines gewissen und eben nicht zwingenden Vorverständnisses in das Zivilprozessrecht hineingelesen werde.290 Eine solche Verteidigung beruht allerdings auf einem Missverständnis über die Bedeutung des Beibringungsgrundsatzes. So handelt es sich bei diesem nicht etwa um einen Rechtssatz, an dessen Geltung klar definierte Rechtsfolgen knüpfen. Vielmehr ist es ein Sammelbegriff für einzelne prozessrechtliche Phänomene, die den Parteien maßgeblichen Einfluss auf den Tatsachenstoff gewähren.291 Zu diesen Phänomenen zählt zentral die Behauptungslast, die die an dieser Stelle diskutierte Variante einer allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht abschaffen will.292 Dass die Behauptungslast aber eine verbindliche Regel des Zivilprozesses ist, kann im Ergebnis nicht ernstlich bezweifelt werden. Das ergibt sich aus Folgendem:

287

Weyers, in: FG für Esser (1975), 194, 202. Weyers, in: FG für Esser (1975), 194, 202; E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 60. 289 Herr, DRiZ 1988, 57; E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 60. 290 Weyers, in: FG für Esser (1975), 194, 201 f.; vgl. auch Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit (1971), 282: „Hier macht sich bemerkbar, daß auch ein Großteil der heutigen Prozessualisten wie ihre Fachgenossen bis hin zu Gönner die Grundsätze der Bildung von Regeln mißachtet und einem verfehlten Modelldenken den Vorzug vor der praxisnahen Betrachtung des Zivilprozeßrechts gibt. Die Verhandlungsmaxime ist nicht oberster Grundsatz unseres Prozeßrechts. Sie ist überhaupt kein Grundsatz der ZPO.“ 291 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht (1970), 118; E. Schneider, MDR 1970, 727, 729; a.A. Sarbach, ZJBV 136 (2000), 685, 686. 288

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Die objektive Behauptungslast betrifft die Konstellation, dass eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht vorgetragen und deshalb nicht beweisbedürftig wird. Umgekehrt kann eine entscheidungserhebliche Tatsache nur dann beweisbedürftig werden, wenn eine Partei sie vorgetragen hat.293 Wo es keine Behauptungslast gibt, sind demgegenüber sämtliche entscheidungserheblichen Tatsachen automatisch beweisbedürftig.294 Dabei darf das Prozessgericht eine beweisbedürftige Tatsache seiner Entscheidung nur zugrunde legen, wenn es von ihrer Wahrheit überzeugt ist. Solange dieser Überzeugungsprozess noch ergebnisoffen andauert, ist der Rechtsstreit noch nicht im Sinne des § 300 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung reif.295 Daraus folgt zugleich, dass es ohne eine Behauptungslast der Parteien auch keine Befugnis der Parteien gibt, das Gericht durch übereinstimmendes Handeln an bestimmte Tatsachen rechtlich zu binden. Denn wenn das Gericht eine Tatsache wegen der Bindungswirkung des übereinstimmenden Parteihandelns zugrunde legen muss, dann kommt es auf seine Überzeugung von der Wahrheit nicht mehr an.296 Dementsprechend wird in den Fällen des Geständnisses gemäß § 288 ZPO die Tatsache auch nicht als „bewiesen“, sondern als „gestanden“ dem Urteil zugrunde gelegt. Das Geständnis gemäß § 288 ZPO ist danach eine derjenigen Einflussnahmen der Parteien auf den Tatsachenstoff, die das Zivilprozessrecht anerkennt und die es ohne die Geltung der Behauptungslast nicht gäbe. Dasselbe gilt natürlich für den in engstem Zusammenhang stehenden § 138 Abs. 3 ZPO sowie für § 331 Abs. 2 Hs. 1 ZPO. Einen direkten Nachweis für die Existenz der Behauptungslast im deutschen Zivilprozessrecht liefert im Übrigen § 331 Abs. 2 Hs. 2 ZPO. So weist das Prozessgericht gemäß dieser Vorschrift die Klage durch streitiges Endurteil297 ab, sofern das klägerische Vorbringen den Klageantrag nicht rechtfertigt. Diese Folge lässt sich nur dadurch erklären, dass dem Kläger bei Meidung der Klageabweisung die Verantwortung zugewiesen

292

Weyers, in: FG für Esser (1975), 194, 216: „Man wird darauf verweisen, daß eben die Behauptungslast zweckmäßig zwischen den Parteien verteilt werden, sie also der Partei auferlegt werden müsse, die den besten Aufklärungsbeitrag zu leisten vermöge. Nun wird aber die Beweis- und (demzufolge nach h.M. auch die) Behauptungslast in den Gesetzen aufgrund vieler verschiedenartiger Erwägungen verteilt, nicht nur mit Rücksicht auf Aufklärungsmöglichkeiten. Den Gegebenheiten des einzelnen Prozesses kann man damit nicht flexibel genug Rechnung tragen. Das ist nur durch einen Rechtssatz des Inhalts zu erreichen, daß innerhalb des Streitgegenstands beide Parteien nach (möglicherweise eben sehr ungleichen) Kräften zur vollen Klärung des Sachverhalts, gegebenenfalls auch über ihre Beweislast hinaus, beizutragen haben.“ 293 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 111 Rn. 7. 294 Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit (4. Aufl. 2009), § 11 Rn. 3. 295 MünchKomm/Musielak, ZPO (4. Aufl. 2013), § 300 Rn. 2. 296 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 288 Rn. 5; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 288 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 51; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 30; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 13. 297 Siehe nur Stein/Jonas/Grunsky, ZPO (22. Aufl. 2006), § 331 Rn. 6.

150 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen ist, die für sein Begehren erforderlichen Tatsachen zumindest schlüssig zu behaupten. Wenn die Lehre von der allgemeinen voraussetzungslosen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses die Existenz einer Behauptungslast nicht anerkennt und damit sämtliche entscheidungserheblichen Tatsachen von vornherein für beweisbedürftig erklärt, dann hat das Auswirkungen für die Rolle, die diese Lehre dem Prozessgericht beimisst. So verteilt das Prozessgericht die bei der Tatsachenbeschaffung anfallenden Aufgaben zwischen den Parteien nach pflichtgemäßem Ermessen. Da jegliche entscheidungserhebliche Tatsache von Anfang an beweisbedürftig ist, ist die Verteilung dieser Aufgaben eine Tätigkeit, die auf die richterliche Überzeugung von der Existenz und Wahrheit einer solchen Tatsache gerichtet ist. Eine solche Tätigkeit ist definitionsgemäß Beweiserhebung.298 Da das Prozessgericht sie aus eigenem Antrieb vornimmt, erhebt es folglich Beweis von Amts wegen und aktiviert nicht lediglich latente Aufklärungspflichten, die die Parteien im wohl verstandenen Eigeninteresse ohnehin treffen. Die Lehre von der allgemeinen voraussetzungslosen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses mündet daher direkt in den Amtsermittlungsgrundsatz.299 Tatsächlich handelt es sich bei dieser Variante der allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht also nicht um ein adversielles, sondern um ein inquisitorisches Aufklärungsmodell. Dieses Ergebnis ist mit dem geltenden Recht unvereinbar.

D. Die Überprüfung des Gebots einer umfassenden Wahrheitserforschung Jenseits dieser einfachrechtlichen Einwände bleibt noch die grundgesetzliche Prämisse der Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses zu überprüfen. Danach soll der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz zugleich ein Gebot umfassender Wahrheitserforschung enthalten. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich für solch ein Gebot jedoch nichts entnehmen. Die Aufgabe des bürgerlichen Rechts besteht in erster Linie darin, Interessenkonflikte zwischen rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten sachgerecht zu lösen.300 Materiellrechtlich können diese weitgehend über ihre privatrechtlichen Ansprüche verfügen.301 Dem Bundesverfassungsgericht zufolge kann deshalb für den Bereich der streitigen Zivilgerichtsbarkeit nichts anderes gelten.302 298

Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 1. A.A. Sarbach, ZJBV 136 (2000), 685, 696. 300 BVerfGE 30, 173, 199; 52, 131, 153; 67, 329, 340; 112, 332, 354; BVerfG, NJW 2005, 1561, 1564; DNotZ 2001, 133, 136; BeckRS 2013, 55213. 301 BVerfGE 52, 131, 153. 302 BVerfGE 52, 131, 153. 299

§ 7 Die allgemeine Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses

151

Dass das Prozessrecht den Parteien etwa über §§ 138 Abs. 3, 288 ZPO die Möglichkeit einräumt, das Prozessgericht durch übereinstimmendes Verhalten an bestimmte Tatsachen zu binden, ist Ausdruck dieser prozessrechtlichen Entsprechung der materiellrechtlichen Privatautonomie.303 Damit ist jedenfalls die Behauptungslast grundgesetzlich legitimiert. Folglich besteht keine Notwendigkeit, in grundgesetzkonformer Fortbildung des geltenden Rechts der These von der allgemeinen voraussetzungslosen Aufklärungspflicht zu folgen. Darüber hinaus entziehen die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Arzthaftungsbeschluss auch derjenigen Variante einer allgemeinen prozessrechtlichen Aufklärungspflicht die verfassungsrechtliche Grundlage, die einen Initialvortrag der risikobelasteten Partei fordert. Wenn es nämlich ein verfassungsrechtliches Gebot umfassender Wahrheitserforschung geben sollte, dann dürfte einverständliches Parteihandeln nach § 138 Abs. 3 ZPO oder nach § 288 ZPO das Prozessgericht nicht binden.304 Eine allgemeine prozessrechtliche Aufklärungspflicht folgt auch nicht unmittelbar aus dem Gebot der Waffengleichheit im Prozess. Denn nach grundgesetzlichem Verständnis gewährleistet dieses lediglich, dass den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit eingeräumt sein muss, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen.305 Ein der Sache nach identisches Verständnis liegt auch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zugrunde.306 In der Diktion des EGMR muss danach jede Partei eine vernünftige Möglichkeit haben, ihren Fall vor Gericht unter Bedingungen zu präsentieren, die für diese Partei keinen substanziellen Nachteil im Verhältnis zu ihrem Prozessgegner bedeuten.307 Mit Blick auf die Waffengleichheit der Parteien mag man zwar einwenden, dass das umfassende Verständnis der h.M. von nemo tenetur edere contra se der nicht risikobelasteten Partei dadurch einen substantiellen Vorteil einräumt, dass sie bewusst wahrheitswidriges Vorbringen zu ihrem eigenen strategischen Vorteil einsetzen kann. Ein damit womöglich verbundenes verfassungsrechtliches Problem wäre aber durch die Institute der sekundären Behauptungslast und der Beweisvereitelung behoben.308 303

BVerfGE 52, 131, 153; Samson, GRUR 1982, 324, 325; Sarbach, ZJBV 136 (2000), 685,

690. 304 Beckhaus, Bewältigung von Informationsdefiziten (2010), 287; der Sache nach wenigstens sehr ähnlich Arens, ZZP 96 (1983), 1, 11. 305 BVerfGE 52, 131, 156; 55, 72, 94; BVerfG, NJW 1985, 1149, 1150; MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einl. Rn. 222; Baumgärtel, in: FS für Matscher (1993), 29, 31. 306 Meyer-Ladewig, EMRK (3. Aufl. 2011), Art. 6 Rn. 112; ebenso BVerfG, NJW 2008, 2170, 2171. 307 EGMR, NJW 1995, 1413; 2004, 927, 929; 2006, 1255, 1256; NJOZ 2009, 3205, 3207 f.; ebenso BVerfG, NJW 2008, 2170, 2171. 308 BVerfGE 52, 131, 154: „Ein wesentlicher Bestandteil dieses Verfahrens sind die aus dem Gesetz folgenden und von der Rechtsprechung fortentwickelten, in sich abgestuften und den

152 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen

E. Effiziente Wahrheitserforschung durch adversielle Aufklärungsmodelle mit wechselseitiger Offenbarungspflicht? Doch selbst wenn man unterstellte, dass der effektive Rechtsschutz eine umfassende Wahrheitserforschung gebiete, so folgte daraus noch immer nicht, dass das adversielle Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Offenbarungspflicht am besten geeignet wäre, um den wahren Sachverhalt zu ermitteln. Da jede verfahrensförmige Rekonstruktion eines vergangenen Geschehens Unsicherheitsfaktoren ausgesetzt ist, kann ein prozessrechtliches Aufklärungsmodell von vornherein nur mehr oder weniger gute Annäherungen liefern.309 Nach ökonomischen Kriterien ist vor diesem Hintergrund dasjenige Aufklärungsmodell vorzugswürdig, das die wenigsten Gesamtkosten verursacht.310 Insoweit fehlt der Beleg, dass das adversielle Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Offenbarungspflicht gegenüber einem solchen ohne diese Pflicht substanziell überlegen wäre.

I. Die zu berücksichtigenden Kostenfaktoren Neben den Fehlerkosten311 sind die sog. Fehlervermeidungskosten312 zu berücksichtigen. Zu diesen Fehlervermeidungskosten gehören zunächst insbesondere die direkten Ausgaben der Gesellschaft für Personal und infrastrukturelle Ausstattung der Justizbehörden und ebenso die Ausgaben der Parteien in Form von Zeitaufwand, Justizgebühren und Honorarzahlungen an ihre Anwälte („Justizkosten“).313 Darüber hinaus fallen Justizkosten auch dadurch an, 309 besonderen Interessen- und Verfahrenslagen angepaßten Regeln über die Beweisführung (vgl. §§ 282 ff., 288 ff. ZPO), über Beweiserleichterungen und die Verteilung der Beweislast. Sie gewährleisten die Möglichkeit differenzierter und ausgewogener Anwendung auch nach Gesichtspunkten der Billigkeit und Zumutbarkeit.“ Die einfachrechtlichen Probleme, die mit diesen Lösungsansätzen verbunden sind, spielen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Rolle. Die fehlende einfachrechtliche Überzeugungskraft führt für sich nämlich noch nicht zu einem Verstoß gegen spezifisches Verfassungsrecht. 309 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 284 Rn. 8; Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 525. 310 Posner, 2 The Journal of Legal Studies (1973), 399, 400; ders., 51 Stanford Law Review (1999), 1477, 1484; Hay, Indiana Law Journal (1997), 651, 654. 311 Siehe oben § 1 C. I. 2. 312 Posner, 2 The Journal of Legal Studies (1973), 399, 400; ders., 51 Stanford Law Review (1999), 1477, 1484; Hay, Indiana Law Journal (1997), 651, 654; Friedl, Beweislastverteilung unter Berücksichtigung des Effizienzkriteriums (2001), 76. 313 Posner, 2 The Journal of Legal Studies (1973), 399, 400; vgl. auch Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse (1902), 24; da auch die Aufwendungen der Parteien in die Ermittlung der Fehlervermeidungskosten einfließen, spielt es keine Rolle, inwieweit die staatliche Justiz infolge der Gebührenpflicht kostendeckend arbeitet. In diesem Fall werden die Fehlervermeidungskosten vollständig auf die Parteien verlagert. Insgesamt fallen sie aber in derselben Höhe an.

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153

dass die für die Justiz verbrauchten Ressourcen keine anderweitige Verwendung finden können.314 Schließlich wird man zu diesen Fehlervermeidungskosten auch die Kosten missbräuchlicher Ausforschung hinzurechnen müssen.315

II. Die Entwicklung der Fehlerkosten Die Tauglichkeit adversieller Aufklärungsmodelle mit wechselseitiger Offenbarungspflicht der Parteien wurde in der jüngeren Vergangenheit experimentell untersucht. Die Experimente schufen eine Situation asymmetrischer Informationsverteilung: Die Partei, die bei vollständiger Ermittlung des Sachverhalts nach der streitentscheidenden Norm obsiegen musste, verfügte nicht über sämtliche zu ihren Gunsten entscheidungserheblichen Tatsachen, sondern lediglich über Verdachtsmomente, in manchen Versionen nicht einmal über diese.316 Beide Parteien waren wechselseitig verpflichtet, einander auf konkrete Fragen vollständig und wahrheitsgemäß zu antworten, wobei ein Supervisor über die Einhaltung der Wahrheitspflicht wachte.317 In den Fällen, in denen die begünstigte Partei keinen Anhaltspunkt für die ihr günstige verborgene Information hatte, deckte dieses simulierte Aufklärungsmodell die Information in lediglich 7%318 bis 11%319 der Fälle auf; verfügte die begünstigte Partei demgegenüber über einen Anhaltspunkt, stieg die Aufklärungsquote auf 71%320 bis 77%.321 Vor dem Hintergrund der hier zu erörternden Fragen sind die Ergebnisse dieser Experimente freilich deshalb von nur begrenzter Aussagekraft, weil eine Verletzung der Wahrheitspflicht durch die Spielregeln der Simulation ausgeschlossen war und die Beachtung der Spielregeln überwacht wurde. Die Experimente eliminierten also den entscheidenden Faktor für das Entstehen von Effizienzverlusten im adversiellen System. Dennoch sind einige Schlussfolgerungen möglich. So zeigt sich zunächst, dass in Fällen, in denen die risikobelastete Partei keinen Anhaltspunkt für die Existenz der ihr günstigen Tatsache hat – praktisch wird das im rechtshängigen Prozess vor allem Tatsachen zur Führung des Gegenbeweises betreffen –, ein adversielles Aufklärungsmodell mit gegnerischer Aufklärungs- und überwachter Wahrheitspflicht nur ausgesprochen selten zu einer Ermittlung dieser 314

Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse (1902), 23 f. Siehe oben § 1 C. II. 316 Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 203, 213 f.; Block/Parker/Vyborna/ Dušek, 2 American Law and Economics Review (2000), 170, 173 f. 317 Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 203, 212; Block/Parker/Vyborna/Dušek, 2 American Law and Economics Review (2000), 170, 174; Block/Parker, 24 International Review of Law and Economics (2004), 89, 92. 318 Block/Parker/Vyborna/Dušek, 2 American Law and Economics Review (2000), 170, 177. 319 Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 203, 217. 320 Block/Parker/Vyborna/Dušek, 2 American Law and Economics Review (2000), 170, 179. 321 Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 203, 219. 315

154 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Tatsache führt. Dass die ohnehin schon geringe Aufdeckungsquote in einem realen Szenario, in dem niemand die Beachtung der Wahrheitspflicht sicherstellt, weiter absinkt, liegt auf der Hand. Eine Reduzierung der Fehlerkosten ist allerdings für die Fälle zu verzeichnen, in denen die risikobelastete Partei Anhaltspunkte für die Existenz der ihr günstigen Information hat und deshalb gezielte Auskünfte in diese Richtung verlangen kann. Zwar sind auch hier Abschläge für die reale Situation zu machen, in der für die Prozesslüge keine Entdeckungswahrscheinlichkeit von 1 besteht. Doch sind im Verhältnis zum adversiellen Aufklärungsmodell ohne Aufklärungspflicht die handwerklichen Anforderungen an die Lüge höher. Denn zum einen kann sich die nicht risikobelastete Partei nicht auf das bloße Negieren des gegnerischen Vorbringens beschränken, zum anderen ist sie verpflichtet, existente Unterlagen beizubringen. Beides vermeidet die Prozesslüge nicht vollständig, reduziert sie jedoch und führt damit zu geringeren Fehlerkosten.

III. Die Entwicklung der Fehlervermeidungskosten 1. Die Justizkosten Stellt man jedoch die Kosten in Rechnung, die das adversielle Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Auskunftspflicht der Parteien an anderer Stelle verursacht, so spricht die Gesamtbilanz unter Effizienzaspekten nicht zwingend für seine Überlegenheit. Zunächst geht es um die Justizkosten. Hier droht eine umfassende wechselseitige Aufklärungspflicht das Verfahren mit Tatsachen zu überfrachten, die für die Sachentscheidung unerheblich sind.322 So werden sich die Parteien und ihre Vertreter im Zweifel schon deshalb gegen einen auf das Notwendigste reduzierten Sachvortrag und den Verzicht auf Ausforschungen beim Gegner entscheiden, um nicht später in die Präklusionsfalle mitsamt den damit verbundenen Folgen zu geraten.323 Außerdem bedürfte es geregelter Verfahren zum wechselseitigen Informationsaustausch, deren Abwicklung – wie das Beispiel der pre trial discovery gemäß FRCP 26 (b) zeigt – stets zeit- und kostenintensiv ist. Der auf diese Weise anfallende Mehraufwand senkt zunächst die Produktivität der einzelnen im Justizsektor Beschäftigten, was sich in erster Linie in einer längeren Verfahrensdauer niederschlägt.324 In der Folge würde das Justizsystem an Effektivität verlieren. Um diesen Verlust zu vermeiden, bedürfte es einer umfangreicheren Ausstattung der Justiz: Es erhöhen sich dann die sog. 322 323 324

Vorwerk, MDR 1996, 870. Vorwerk, MDR 1996, 870. Vorwerk, MDR 1996, 870.

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Produktionskosten der Justiz.325 Zu berücksichtigen sind ferner die Kosten der Parteien, insbesondere für deren Rechtsanwälte,326 die sich den anfallenden Mehraufwand vergüten lassen werden. Zwar besteht die Möglichkeit, diese Kostenfaktoren über das Gebührenrecht auf die Parteien umzulegen. Gerade dann, wenn eine Partei die Ermittlungskosten im Prozess durch wahrheitswidriges Vorbringen erst auslöst, können die Kosten so nach dem Verursacherprinzip verteilt werden.327 Doch stößt diese Umlage an Grenzen. So kann sie bereits denjenigen Anteil an Justizkosten nicht erfassen, der infolge der Ressourcenbindung entsteht.328 Aber auch die unmittelbaren Kosten sind nur begrenzt umlagefähig. So trägt die obsiegende Partei nach § 91 Abs. 2 ZPO diejenigen Anwaltskosten selbst, die über die gesetzlichen Gebührensätze hinausgehen. Ferner hilft die Umlage nicht weiter, wenn die unterlegene Partei später insolvent wird oder wenn sie den Prozess mit Prozesskostenhilfe führte.329 2. Die Kostenentwicklung infolge bewusst unwahren Parteivorbringens Über die drohenden Justizkosten hinaus ist weiter festzustellen, dass das adversielle Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Offenbarungspflicht der Parteien letztlich auch nicht geeignet ist, die Parteien von bewusst wahrheitswidrigem Vorbringen abzuhalten. Das gilt jedenfalls so lange, wie das Aufklärungsmodell nicht um selbständige Sanktionen gegen die Prozesslüge erweitert wird.330 Wo solche Sanktionen fehlen, entspricht das bewusst wahrheitswidrige Vorbringen nämlich weiterhin individuell rationalem Verhalten.331 Das ergibt sich aus folgender Überlegung: Widerlegt die weitere prozessuale Sachaufklärung unwahres Vorbringen, so wird dieses wegen seiner objektiven Unwahrheit nicht zur Grundlage der Sachentscheidung.332 Ob die Partei die widerlegte Behauptung darüber hinaus bewusst, fahrlässig oder gutgläubig vorgebracht hat, ist für die weitere Entscheidungsfindung im Verfahren ohne Bedeutung.333 Das führt in der Folge dazu, dass – zumal in Anbetracht der 325 Kirstein/Schmidtchen, Ökonomische Analyse des Rechts (2003/2004), 89: „Die Kosten der im Justizsektor eingesetzten und verbrauchten Ressourcen können (…) als Produktionskosten der Justiz aufgefasst werden.“ 326 Schmidtchen/Bier, in: Bork/Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts (2009), 51, 63. 327 Vgl. Baye/Kovenock/de Vries, 115 The Economic Journal (2005), 583; in anderem Zusammenhang auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip (3. Aufl. 2005), 431. 328 Schmidtchen/Bier, in: Bork/Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse des Verfahrensrechts (2009), 51, 62. 329 Vgl. dazu MünchKomm/Motzer, ZPO (4. Aufl. 2013), § 122 Rn. 22. 330 Vgl. Dewatripont/Tirole, 107 Journal of Political Economy (1999), 1, 8. 331 Vgl. Dewatripont/Tirole, 107 Journal of Political Economy (1999), 1, 8. 332 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 183; Blomeyer, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1985), 174. 333 Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 37.

156 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Nachweisschwierigkeiten – der Frage nach einem möglichen versuchten Prozessbetrug in einem Ermittlungsverfahren allenfalls dann einmal mit Erfolg nachgegangen wird, wenn die Fälschung von Beweismitteln als Vorwurf im Raum steht.334 Taktisch befindet sich danach der wahrheitswidrig Bestreitende im Vorteil, weil der Streitgegenstand nebst Kosten und Nebenansprüchen seinen maximalen Verlust repräsentiert, und er im Übrigen darauf hoffen kann, dass die wechselseitige Ausforschung die ihm ungünstige Tatsache nicht aufdecken werde. Das bedeutet: Das adversielle Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Offenbarungspflicht der Parteien verhindert wahrheitswidriges Vorbringen nicht im Vorhinein, sondern beseitigt dessen Folgen nachträglich und mit dem geschilderten beträchtlichen Aufwand. 3. Die Kosten missbräuchlicher Ausforschung Es kommt hinzu, dass eine wechselseitige Offenbarungspflicht auch legitime Geheimnisse, insbesondere Geschäftsgeheimnisse der nicht risikobelasteten Partei, aufdecken würde. Ein adversielles Aufklärungsmodell, dass auch die nicht risikobelastete Partei voraussetzungslos und umfassend zur Mitwirkung verpflichtet, wäre danach ein probates Mittel, auf Basis eines vorgeschobenen Vorwurfs einen Prozess anzustrengen, um so die Geheimsphäre von Konkurrenten auszuspähen.335 Die ökonomische Vernunft hält sogar zu solchem Vorgehen an. Schließlich sind die einzigen individuell anfallenden Kosten diejenigen des Prozesses. So entwertete diese Variante des adversiellen Aufklärungsmodells jeden Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vollständig. Sind Innovationen betroffen, wird folglich auch dieses Vorgehen entweder zu Unterinvestitionen führen oder zu Vergleichszahlungen, um den Prozess abzuwenden und auf diese Weise das eigene Geheimnis zu schützen.336

Zwischenergebnis Die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses kann die Gemengelage zwischen Parteiegoismus, Wahrheitspflicht und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen ebenso wenig überzeugend austarieren wie die h.M. Soweit sie an der Behauptungslast festhält, ist sie ein adversielles Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Offenbarungspflicht der Parteien. Das 334

Vgl. zu solchen Fällen A. Schiemann, NJW 2006, 3366. Vgl. Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 424 Rn. 1. 336 Vgl. BVerfGE 115, 205, 230; siehe auch Stürner, JZ 1985, 453, 454; Koch/Zekoll, ZEuP 2010, 107, 125; Abdollahi, 40 North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation (2015), 771, 776 f. 335

§ 8 Der soziale Zivilprozess

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grundgesetzliche Gebot einer umfassenden prozessualen Wahrheitsermittlung, welches das dogmatische Fundament einer dahingehenden Rechtsfortbildung darstellte, hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht bestätigt. Belastbare Belege dafür, dass diese Lehre gegenüber dem herrschenden Aufklärungsmodell ohne Aufklärungspflicht Vorteile unter Gesichtspunkten der Effizienz böte, finden sich nicht. Die Umkehr der objektiven Beweislast als Regelrechtsfolge des Verstoßes einer Partei gegen ihre allgemeine Aufklärungspflicht verträgt sich nicht mit dem Befund, dass die Beweislastverteilung durch die streitentscheidende Norm selbst erfolgt. Sie stellt weiter die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei besser, wenn der Gegner gegen seine Aufklärungspflicht verstößt, als wenn sie den Hauptbeweis erfolgreich führt. Schließlich hilft dieses Aufklärungsmodell nicht über das Informationsproblem der mit der Führung des Gegenbeweises belasteten Partei hinweg. Soweit die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses auf eine Behauptungslast der Parteien verzichtet, ist sie ein inquisitorisches Aufklärungsmodell und mit dem geltenden Zivilprozessrecht unvereinbar.

§ 8 Der soziale Zivilprozess A. Gerichtliche Wahrheitserforschung zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips Während die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses die adversiellen Aufklärungsmodelle mit wechselseitiger Offenbarungspflicht repräsentiert, steht die Lehre vom sozialen Zivilprozess exemplarisch für Bestrebungen, auch die streitige Zivilgerichtsbarkeit einem inquisitorischen Modell zur Sachverhaltsaufklärung zu unterwerfen. Der soziale Zivilprozess gleicht der allgemeinen Aufklärungspflicht insoweit, als auch er eine erschöpfende Wahrheitsfindung für notwendig erachtet. Allerdings soll die Wahrheitserforschung hier weniger durch eigeninitiatives Parteihandeln gelingen, sondern durch fürsorgliche richterliche Aktivität.337 Die Lehre vom sozialen Zivilprozess sieht die umfassende Wahrheitsermittlung ebenfalls als verfassungsrechtlich geboten an. Sie wählt jedoch nicht das individuelle Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz als Ausgangspunkt. Vielmehr stehen hier gesellschaftlich-politische Überlegungen im Mittelpunkt. 337 Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse (1902), 10: „Aufgabe des Richters ist es, nach Wahrheit zu forschen, Wahrheit zu verkünden, denn ein wahres, richtiges Bild der Thatsachen ist die Hauptbedingung eines gerechten Spruches.“; vgl. auch Zettel, Der Beibringungsgrundsatz (1977), 153; E. Schmidt, JZ 1980, 153, 158.

158 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen Ausgangspunkt ist der Gedanke Franz Kleins, dem zufolge der Rechtsstreit ein Fall sozialer Not sei.338 Solchen Notfällen abzuhelfen, sei ein Gebot des sozialen Rechtsstaats339 und der Prozess als Wohlfahrtseinrichtung eine Institution, um dieses Gebot zu erfüllen.340 Folglich sollen nicht nur der Prozess als solcher, sondern die gesamte richterliche Tätigkeit am gesellschaftlich-politischen Ziel des sozialen Rechtsstaats ausgerichtet sein.341 Daraus ergebe sich dann das Gebot umfassender Wahrheitserforschung im Zivilprozess als zwingende Konsequenz.342 Danach ist das inquisitorische Aufklärungsmodell in Form des sozialen Zivilprozesses ein direktes Gebot des Sozialstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 1 GG.

B. Die Funktionsweise dieses Ansatzes Die Vertreter dieses Ansatzes wollen im Ausgangspunkt daran festhalten, dass die Parteien zunächst alles vorbringen, was ihrer eigenen Rechtsposition günstig ist. Insoweit sei am kontradiktorischen Verfahren festzuhalten, weil dieses ein vorzügliches technisches und prozessökonomisches Mittel zur Stoffsammlung sei.343 Danach soll die Tatsachenbeschaffung zwar in erster Linie Angelegenheit der Parteien sein. Das Prozessgericht müsse jedoch „nachfassen“, sobald es merke, dass den bereitwilligen Parteien die Aufgabenerfüllung zu misslingen drohe.344 Als Eingriffsgrundlage dient dieser Ansicht in erster Linie § 139 Abs. 1 ZPO.345 In Zusammenwirken mit §§ 141 ff. ZPO schaffe diese Vorschrift den Beibringungsgrundsatz ab.346 Diese Bestimmungen sollten sicherstellen, dass alle für den Sachverhalt erheblichen Erklärungen abgegeben und die sachdienlichen Anträge gestellt werden.347 Folglich dürfe das Prozessgericht grundsätzlich jede Aufklärung betreiben, die es in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erkennbar gewordenen Rechtsschutzbegehren für erforderlich halten dürfe, um richtig zu entscheiden.348 338

Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse (1902), 17. Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 68. 340 Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse (1902), 31. 341 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 20; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses (1994), 34. 342 Bender, JZ 1982, 709, 711; der Sache nach auch E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 61; a.A. Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses (1994), 144. 343 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 103. 344 E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 61. 345 Peters, JW 1938, 1432. 346 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 101; a.A. Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses (1994), 144. 347 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 112. 348 Bender/Belz/Wax, Das Verfahren nach der Vereinfachungsnovelle und vor dem Familiengericht (1977), Rn. 8; einschränkend Wassermann, Der soziale Zivilprozess (1978), 103. 339

§ 8 Der soziale Zivilprozess

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Die so beschriebene Funktion eines Aufklärungsmodells nach Art des sozialen Zivilprozesses bildet letztlich mehr oder weniger genau das ab, was der Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 26 FamFG für die Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit anordnet. Auch dort liegt die Verantwortung für die Stoffsammlung zwar beim Gericht, jedoch dienen die Beteiligten als wesentliche Erkenntnisquelle. Obwohl es in solchen Verfahren keine Behauptungslast im technischen Sinn gibt, ist anerkannt, dass das Gericht nicht aus eigenem Antrieb im Hinblick auf sämtliche theoretisch denkbaren Umstände zu ermitteln hat.349 Bringen etwa beide Ehegatten nichts vor, was auf eine grobe Unbilligkeit im Sinne von § 27 Satz 1 VersAusglG hindeutet, wird das Gericht ohne Verstoß gegen § 26 FamFG auch keine Nachforschungen in diese Richtung anstellen.350 Wo Anhaltspunkte für die mögliche Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals bestehen, bedient sich das Gericht ebenfalls zunächst der Beteiligten als Lieferanten weiterer Informationen. Verweigert der zur weiteren Aufklärung aufgeforderte Beteiligte seine Mitwirkung, braucht das Gericht in Einklang mit § 26 FamFG keine weiteren Ermittlungen anzustellen und kann nach der objektiven Beweislast entscheiden.351 In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn die Vertreter des sozialen Zivilprozesses den Erhalt kontradiktorischer Elemente innerhalb ihres inquisitorischen Aufklärungsmodells erwähnen. Nachdem das Aufklärungsmodell des sozialen Zivilprozesses inquisitorisch ist,352 gilt zugleich zwingend, dass jede richterliche Aktivität bei der Sachverhaltserforschung Beweiserhebung ist. Verweigert eine nicht beweisbelastete Partei den ihr abverlangten Aufklärungsbeitrag, bemessen sich die Folgen mithin nach den Grundsätzen über die Beweisvereitelung.

349 BayObLG, NJOZ 2004, 3908 (3910); Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit (4. Aufl. 2009), § 10 Rn. 26; Winter/Nießen, NZG 2007, 13, 14. 350 BVerfG, NJW-RR 1993, 382; BGH, NJW 1988, 1839, 1840. 351 Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit (4. Aufl. 2009), § 10 Rn. 23. 352 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 103, meint hingegen, dass sein Aufklärungsmodell keineswegs in dem Sinn inquisitorisch sei, dass es einen Amtsermittlungsgrundsatz etabliere. So sei überhaupt auf die Begriffe des Amtsermittlungs- und des Beibringungsgrundsatzes zu verzichten. Sie seien keine Hilfe mehr, um das Prozessgeschehen zu erfassen, sondern stünden mitunter einer zeitgemäßen Prozessführung im Wege. Diese Ausführungen Wassermanns führen freilich in die Irre. Wenn die Lehre vom sozialen Zivilprozess die Sachverhaltsaufklärung im Ausgangspunkt bei den Parteien belässt und mit dem überkommenen Wechselspiel von Angriff und Verteidigung organisiert, dieses Vorgehen aber unter den Vorbehalt eines jederzeit möglichen kompensatorischen Eingriffs des Prozessgerichts zu Gunsten der strukturell schwächeren Partei stellt, dann weist sie damit dem Prozessgericht die Letztverantwortung für die Tatsachenbeschaffung zu. Allein diese Verantwortungszuweisung unterwirft den sozialen Zivilprozeß aber definitionsgemäß dem Amtsermittlungsgrundsatz.

160 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen

C. Die dogmatische Begründung Die Schlusskette von dem Sozialstaat als Staatszielbestimmung gemäß Art. 20 Abs. 1 GG hin zu einem bestimmten Aufklärungsmodell für den Zivilprozess mit konkreten Handlungsanweisungen für die einzelne Prozesssituation ist begründungsbedürftig. Methodisch bildet dieser Ansatz § 139 ZPO als die zentrale Bestimmung über die materielle Prozessleitung fort zu einer Zentralbestimmung über die aktive richterliche Sachverhaltsaufklärung. In der Logik des sozialen Zivilprozesses liegt es dann, dass diese Fortbildung grundgesetzlich geboten ist, jedes andere prozessrechtliche Aufklärungsmodell also verfassungswidrig wäre.353 Mindestens muss das inquisitorische Verfahren aber im Sinne einer verfassungsorientierten Auslegung354 des § 139 ZPO vorzugswürdig gegenüber adversiellen Aufklärungsmodellen sein. Als argumentativen Ausgangspunkt wählen die Konstrukteure des sozialen Zivilprozesses die Formel vom sozialen Rechtsstaat. Soziale Rechtsstaatlichkeit knüpfe in erster Linie an das Postulat der sozialen Gerechtigkeit an, worunter in der geschichtlichen Entwicklung die Tendenz zum Ausgleich für Schwäche und Benachteiligung und zur helfenden Zuwendung gegenüber Menschen verstanden werde, die wegen ihrer sozialen Lage ausgleichender Hilfe bedürften.355 Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verlange von der staatlichen Gewalt, eine materiale Gerechtigkeit herzustellen, die jedem das Seine geben wolle.356 Gemessen daran machen die Vertreter des sozialen Zivilprozesses Defizite zunächst auf der Ebene des materiellen Zivilrechts aus. So sei es Fiktion, dass die Privatrechtssubjekte ihre Rechtsgeschäfte frei, gleichrangig und selbstverantwortlich abschlössen und gestalteten.357 Vielmehr stünden einander regelmäßig eine abstrakt schwächere und eine abstrakt stärkere Partei gegenüber.358 Verbraucherschutzbestimmungen sowie die Fortentwicklung der Inhaltskontrolle von Verträgen sind aus dieser Perspektive direkte Konsequenzen aus dem Sozialstaatsprinzip.359 In sich folgerichtig betrachten die Vertreter des sozialen Zivilprozesses ein Aufklärungsmodell, das in erster Linie auf Eigeninitiative der Parteien setze, sich außerhalb eigennütziger Parteiaktivität einer aktiven Sachverhaltsaufklärung aber verschließe, mit einer gewissen Skepsis.360 Denn auch in der Situation des Prozesses träfen regelmäßig abstrakt stärkere und abstrakt schwä353 Zur verfassungskonformen Interpretation vgl. etwa BVerfGE 88, 187, 194; 103, 89, 100; Zippelius, Juristische Methodenlehre (11. Aufl. 2012), § 10 III. b). 354 BeckOK/von Heintschel-Heinegg, StGB (29. Ed. 2015), § 1 Rn. 21. 355 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 73. 356 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 75; vgl. auch E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 61. 357 E. Schmidt, JZ 1980, 153, 156. 358 E. Schmidt, JZ 1980, 153, 156. 359 Vgl. Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 18 f.: Funktioneller wechselseitiger Zusammenhang zwischen rechtlicher und sozialer Ordnung. 360 E. Schmidt, JZ 1980, 153, 155.

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chere Gegner aufeinander.361 Da das Sozialstaatsprinzip und der mit ihm intendierte Schutz des Schwächeren jede staatliche Gewalt einschließlich des Spruchrichters in der streitigen Zivilgerichtsbarkeit binde,362 sollen die Prozessgerichte dazu verpflichtet sein, in der konkreten Prozesssituation eine reale Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen.363 Diese reale Waffengleichheit gewährleiste das Prozessgericht dadurch, dass es die abstrakte Unterlegenheit der einen Partei durch seine Verhandlungsführung kompensiere.364

D. Die dogmatischen Einwände gegen den sozialen Zivilprozess Auch diese Alternative zur h.M. überzeugt nicht. Nach den bisherigen Feststellungen dieser Arbeit liegen zwei dogmatische Einwände gegen den sozialen Zivilprozess auf der Hand. So ist ein Aufklärungsmodell, das den Parteien die Verantwortung für den Tatsachenstoff nimmt und sie stattdessen in die Hände des Prozessgerichts legt, mit dem geltenden Prozessrecht unvereinbar.365 Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass das geltende adversielle Aufklärungsmodell einer Überprüfung am Maßstab des Grundgesetzes standhält.366 Der Ausbau des § 139 ZPO zu einer Zentralnorm für die aktive richterliche Sachverhaltsaufklärung ist deshalb auf Basis der lex lata schon aus diesen Gründen nicht überzeugend. Im Einzelnen seien hierzu zwei Punkte angemerkt: Erstens ist die Schlusskette vom Sozialstaatsprinzip zu einem bestimmten zivilprozessrechtlichen Aufklärungsmodell nicht haltbar. Zweitens sprechen auf der Ebene des einfachen Rechts systematische Gründe gegen die Fortentwicklung des § 139 Abs. 1 ZPO zu einer zentralen Norm der aktiven richterlichen Sachverhaltsermittlung.

I. Sozialstaatsprinzip und zivilprozessrechtliches Aufklärungsmodell Im Ausgangspunkt ist der Lehre vom sozialen Zivilprozess durchaus noch zuzustimmen. Nach ganz h.M. soll das Sozialstaatsprinzip durch sozialen Ausgleich soziale Gerechtigkeit verwirklichen, nicht gerechtfertigte gesellschaftliche Machtunterschiede einebnen, die Schwachen stützen und die Starken

361 362 363 364 365 366

Bender, JZ 1982, 709, 710. Wassermann, Der soziale Zivilprozeß (1978), 16. Bender, JZ 1982, 709, 710. Bender, JZ 1982, 709, 711; der Sache nach auch E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 61. Siehe oben § 7 C. III. Siehe oben § 7 D.

162 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen beschränken.367 Freilich offenbart bereits diese Formulierung die den Staatszielbestimmungen eigene Unbestimmtheit. Ein Gebot konkreter gesetzgeberischer Einzelmaßnahmen lässt sich daraus kaum einmal ableiten.368 Folglich ist es Angelegenheit der gesetzgebenden Gewalt, das so verstandene Sozialstaatsprinzip zu konkretisieren.369 Das gilt auch für die Wahl des angemessenen Aufklärungsmodells für den Zivilprozess. So mag es mit Blick sowohl auf den individuellen Rechtsschutz als auch auf das erwünschte Sozialverhalten der Privatrechtssubjekte wünschenswert sein, das streitgegenständliche Geschehen im juristisch relevanten Kernbereich möglichst zutreffend zu rekonstruieren. Doch kann jedes prozessrechtliche Aufklärungsmodell sich diesem Ziel lediglich annähern, und zwar unter Einsatz unterschiedlicher Ressourcen.370 Die Wahl zwischen den verschiedenen Aufklärungsmodellen und dem für ihre Verwirklichung jeweils notwendigen Ressourceneinsatz muss aber dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Hier käme – dem Untermaßverbot beim Schutzgebot zu Gunsten der Grundrechte vergleichbar – allenfalls in Betracht, das gesetzgeberische Handeln auf Untätigkeit oder Untauglichkeit der ergriffenen Maßnahmen zu untersuchen. Doch auch aus einem danach festgestellten Verstoß ergäbe sich noch kein bis in die Einzelheiten konkretisiertes zivilprozessrechtliches Aufklärungsmodell.

II. Die Systematik der verfahrensrechtlichen Aufklärungsmodelle Darüber hinaus zeigt ein Vergleich mit anderen Aufklärungsmodellen des deutschen Verfahrensrechts, dass es aus systematischen Gründen unzulässig ist, § 139 ZPO als zentrale Befugnisnorm für die aktive richterliche Sachverhaltsaufklärung zu interpretieren. Das belegen bereits die Blicke in die freiwillige Gerichtsbarkeit und in den Verwaltungsprozess. Beide zugehörigen Verfahrensordnungen weisen in § 26 FamFG bzw. in § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VwGO ausdrücklich dem Gericht die Verantwortung für die Sachverhaltsermittlung zu. Die ZPO kennt keine sol367 So Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht (32. Aufl. 2008), § 13 Rn. 4; der Sache nach ebenso Zacher, in: Isensee/Kirchhof, HdStR (3. Aufl. 2004), § 28 Rn. 110; Stein/Frank, Staatsrecht (21. Aufl. 2010), S. 167; Badura, Staatsrecht (4. Aufl. 2010), Rn. D 35. 368 Sachs, GG (7. Aufl. 2014), Art. 20 Rn. 47; von Münch/Kunig/Schnapp, GG (6. Aufl. 2012), Art. 20 Rn. 55; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht (32. Aufl. 2008), § 13 Rn. 16; Badura, Staatsrecht (4. Aufl. 2010), Rn. D 36. 369 Sachs, GG (7. Aufl. 2014), Art. 20 Rn. 47; von Münch/Kunig/Schnapp, GG (6. Aufl. 2012), Art. 20 Rn. 55; Degenhart, Staatsrecht I (30. Aufl. 2014), Rn. 601; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht (32. Aufl. 2008), § 13 Rn. 9; Benda, in: ders./Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts (2. Aufl. 1994), § 17 Rn. 80. 370 Siehe oben § 7 E. vor I.

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che Bestimmung. Neben die Befugnisse zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung stellen beide Verfahrensordnungen jedoch zusätzlich in § 28 Abs. 1 FamFG und § 86 Abs. 3 VwGO Bestimmungen über die materielle richterliche Prozessleitung, die mit § 139 Abs. 1 ZPO praktisch identisch sind. Hier geht es um etwas anderes als um die aktive richterliche Sachverhaltsaufklärung. So dienen Maßnahmen der materiellen Prozessleitung der Fürsorge371 und bezwecken, den Beteiligten aufzuzeigen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen sie ihr Prozessziel nicht erreichen können und welche Schritte sie zu unternehmen haben, um ihre materielle Rechtsposition im Prozess durchzusetzen.372 Würde die so verstandene Befugnis zur materiellen Prozessleitung bereits zu Aufklärungsmaßnahmen ermächtigen, wären daneben §§ 26 FamFG, 86 Abs. 1 VwGO überflüssig. Da § 139 ZPO aber nicht wesentlich anders interpretiert werden kann als die Parallelbestimmungen der §§ 28 Abs. 1 FamFG, 86 Abs. 3 VwGO, bestätigt das Fehlen einer §§ 26 FamFG, 86 Abs. 1 VwGO entsprechenden Vorschrift, dass es im Zivilprozess keine eigeninitiative Sachverhaltsermittlung durch das Prozessgericht gibt.

E. Die Ineffizienz inquisitorischer Aufklärungsmodelle in der streitigen Zivilgerichtsbarkeit Setzt man auch für das inquisitorische Aufklärungsmodell die Zuverlässigkeit der Wahrheitserforschung ins Verhältnis zu dem Aufwand, der hierfür getrieben werden muss, so spricht jedenfalls für den Bereich der streitigen Zivilgerichtsbarkeit wenig für die Amtsermittlung. Dies untermauert die These, dass es Angelegenheit des Gesetzgebers ist, darüber zu entscheiden, wie er das Sozialstaatsprinzip im Zivilprozess verwirklichen will.

I. Die Entwicklung der Fehlerkosten Teile der Literatur gehen davon aus, dass die Sachverhaltsermittlung durch das Prozessgericht einer individueller Rationalität folgenden Tatsachenmanipulation durch die Parteien effektiv entgegenwirke.373 Gleichzeitig machen manche das fehlende Eigeninteresse der Entscheidungsinstanz am Ausgang des Verfahrens als Quelle möglicher Unteranstrengung bei der Sachverhaltsauf371

BeckOK/Breunig, VwGO (36. Ed. 2016), § 86 Rn. 93. So die Beschreibung von Schoch/Schneider/Bier/Dawin, VwGO (29. EL 2015), § 86 Rn. 131. 373 Vgl. Tullock, 28 KYKLOS (1975), 745, 755; wohl auch Palumbo, 21 International Review of Law and Economics (2001), 309, 310. 372

164 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen klärung aus.374 Einiges spricht für diese zuletzt genannte Erwägung. So treibt die Parteien ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens, das dem Prozessgericht fehlt. Auch besteht im Zivilprozess anders als im Strafprozess kein gesteigertes öffentliches Interesse am Verfahrensausgang.375 Auch dieses Modell wurde experimentell im Hinblick darauf untersucht, inwieweit es den wahren Sachverhalt vollständig zu ermitteln imstande ist. Die Experimente waren Bestandteile derselben Untersuchungsreihe, mit der auch das adversielle Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Auskunftspflicht der Parteien überprüft wurde. Hatte die begünstigte Partei keinen Anhaltspunkt für die Existenz der ihr günstigen Information beim Gegner, betrug die Aufklärungsquote im inquisitorischen Modell immerhin 27%;376 das bedeutet einen messbaren Vorteil gegenüber dem adversiellen Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Auskunftspflicht der Parteien und erst recht gegenüber einem solchen ohne entsprechende Auskunftspflicht. Wo Verdachtsmomente hingegen bestanden, sank die Aufklärungsquote erstaunlicherweise auf bloße 15%.377 Zwar ist auch in diesem Zusammenhang Zurückhaltung mit den Ergebnissen der Rollenspiele geboten. Doch zeigen sie immerhin eines: Es findet sich kein tragfähiger Beleg dafür, dass ein inquisitorisches Aufklärungsmodell die wahren dem Streit zugrunde liegenden Geschehnisse effektiver ermitteln könnte als ein adversielles Aufklärungsmodell.

II. Die Entwicklung der Fehlervermeidungskosten 1. Die Justizkosten In der Literatur zur ökonomischen Analyse des Prozessrechts stellen manche die These auf, inquisitorische Modelle seien insoweit effizienter als adversielle, als Kosten für die Wahrheitsermittlung lediglich einmal anfielen, weil schließlich nur das Prozessgericht mit der Wahrheitsfindung betraut sei.378 Diese Sichtweise geht davon aus, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit und die Summe der Investitionen in den Rechtsstreit – Privatgutachten, Anwaltshono374

Tullock, 28 KYKLOS (1975), 745, 758; Fucik, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 191, 197 f.; ähnlich Walpin, 26 Harvard Journal of Law & Public Policy (2003), 175, 176; Dewatripont/Tirole, 107 Journal of Political Economy (1999), 1, 28 erwähnen die mögliche Parteilichkeit als weitere Quelle von Unsicherheit; ähnlich Frankel, 123 University of Pennsylvania Law Review (1975), 1031, 1042. 375 Bettermann, ZZP 91 (1978), 365, 386. 376 Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 202, 217. 377 Parker/Lewisch, in: FS 100 Jahre ÖZPO (1998), 202, 219. 378 Tullock, 28 KYKLOS (1975), 745, 755 f.; Palumbo, 21 International Review of Law and Economics (2001), 309, 310; dieser Gedanke klingt auch bei Dewatripont/Tirole, 107 Journal of Political Economy (1999), 1, 8 an; kritisch dazu Parisi, 22 International Review of Law and Economics (2002), 193, 201.

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rare, etc. – im adversiellen Aufklärungsmodell zusammenhängen.379 Daraus folgt weiter, dass die Erfolgsaussichten beider Parteien unter anderem davon abhängig sind, welche Investitionssummen sie jeweils aufzubringen bereit sind.380 Deshalb habe auch diejenige Partei, die bei vollständiger Sachverhaltsaufklärung unterliegen würde, ein Interesse daran, durch ihre Investitionen in den Rechtsstreit ihre Erfolgsaussichten zu erhöhen.381 Im inquisitorischen Modell flössen demgegenüber die Investitionen der Parteien in die Qualität der Entscheidungsinstanz; die Partei, die bei vollständiger Sachaufklärung unterliegen werde und dies wisse, werde in dieser Konstellation keinerlei Investition in eine besonders qualifizierte Entscheidungsinstanz tätigen, weil mit deren Qualität die Chance ihres Prozessverlusts zunehme.382 Dieser Investitionsverzicht reduziere die Justizkosten der inquisitorischen Aufklärung gegenüber denjenigen, die bei adversiellen Aufklärungsmodellen anfielen. Doch kann das nicht überzeugen. So ist in hoheitlich organisierten und durchgeführten Zivilprozessen bereits die Vorstellung Fiktion, dass jede Investition der Parteien in den Rechtsstreit zugleich eine Investition in die Qualität der Entscheidungsinstanz sei, die beiden Parteien zu gleichen Teilen zugutekomme.383 Eigene Rechtsverfolgungskosten haben die Parteien – oder allgemeiner: die Beteiligten – eines Verfahrens nämlich stets dann zu tragen, wenn das Verfahren ihnen rechtliches Gehör gewährt.384 Investitionen in die eigene Gehörsgewähr dienen aber stets dazu, die eigenen Erfolgsaussichten im Verfahren zu erhöhen. Die Behauptung, das inquisitorische Modell lasse die Kosten der Sachverhaltsermittlung nur einmal entstehen, trifft folglich nur auf solche Verfahrensordnungen zu, die den Parteien keine Beteiligung am Verfahren einräumen. Ein solches Verfahren wäre freilich weder mit dem Rechtsstaatsgebot des deutschen Grundgesetzes noch mit Art. 6 EMRK vereinbar. 2. Die Kostenentwicklung infolge bewusst unwahren Vorbringens Auch das inquisitorische Aufklärungsmodell entfaltet keine effektive Anreizwirkung gegen wahrheitswidriges Vorbringen. Aus den gleichen Erwä379 Tullock, 28 KYKLOS (1975), 745, 747 f.; vgl. auch Baye/Kovenock/de Vries, 115 The Economic Journal (2005), 583, 585. 380 Tullock, 28 KYKLOS (1975), 745, 748; vgl. auch Spier, 59 The Review of Economic Studies (1992), 93, 105: „In reality, the amount of money invested in legal counsel depends on many factors; these include the wealth of the litigant, the stakes of the case, and the amount that the other party invests.“ 381 Tullock,28 KYKLOS (1975), 745, 755 f., für den Gegner hätte dies zur Folge, dass er entweder ebenfalls höhere Investitionen vornehmen oder eine Verringerung seiner Erfolgsaussichten hinnehmen muss (vgl. insbesondere a.a.O. 747 f.). 382 Tullock, 28 KYKLOS (1975), 745, 755. 383 Ordover/Weitzman, 30 KYKLOS (1977), 511, 515. 384 Tullock, 28 KYKLOS 28 (1975), 745, 756 räumt das ein, meint aber, die eigenen Rechtsverfolgungskosten fielen dennoch geringer aus als im adversiellen Aufklärungsmodell.

166 3. Kapitel. Informationsproblem und Wahrheitspflicht in Aufklärungsmodellen gungen, wie sie bereits für das adversielle Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Offenbarungspflicht anzustellen waren, fehlt auch hier eine tatsächlich abschreckende Sanktionsdrohung für solchen Parteivortrag.385 Hier wie dort besteht der realistischerweise zu erwartende Maximalverlust lediglich in der Prozessniederlage zuzüglich der Verfahrenskosten und gegnerischen Gebühren. Wahrheitswidriger Parteivortrag kann dann nur durch umfangreiche und aufwendige Ermittlungen im Nachhinein aufgedeckt werden. Dies führt wiederum zu einer Erhöhung der Justizkosten. Diese Kostenerhöhung kann sich wiederum aufgrund zweierlei Überlegungen ergeben. Entweder bleiben die Aufwendungen für das Justizwesen im Verhältnis zum adversiellen Aufklärungsmodell ohne wechselseitige Auskunftspflicht der Parteien konstant. Dann nimmt die Verfahrensdauer zu. Oder man erhöht den Aufwand für die staatliche Justizausstattung. Dann sind diese Mehrkosten zu den im Verhältnis zu adversiellen Aufklärungsmodellen unveränderten Rechtsverfolgungskosten der Parteien zu addieren.386 3. Die Kosten missbräuchlicher Ausforschung Und schließlich muss die Analyse des inquisitorischen Aufklärungsmodells diejenigen Kosten berücksichtigen, die durch illegitime Ausforschung entstehen. Hier gelten die Überlegungen zum adversiellen Aufklärungsmodell mit Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei entsprechend.

Zwischenergebnis Die Lehre vom sozialen Zivilprozess sieht für den Zivilprozess ein inquisitorisches Aufklärungsmodell vor. Sie löst die Gemengelage zwischen Parteiegoismus, Wahrheitspflicht und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen auf, indem sie den Parteiegoismus als entscheidenden Faktor eliminiert. Damit etabliert sie den Amtsermittlungsgrundsatz in die streitige Zivilgerichtsbarkeit. Deshalb widerspricht sie dem geltenden Zivilprozessrecht aus den gleichen Gründen wie die allgemeine voraussetzungslose Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses. Das grundgesetzliche Sozialstaatsgebot fordert keine dahingehende Fortbildung des § 139 ZPO. Unter Effizienzgesichtspunkten sind keine spürbaren Vorteile zu verzeichnen, wenn man bürgerlichrechtliche Positionen zwischen Privatrechtssubjekten mit inquisitorischen Modellen aufklärt.

385 386

Dewatripont/Tirole, 107 Journal of Political Economy (1999), 1, 8. Ordover/Weitzman, 30 KYKLOS (1977), 511, 515.

4. Kapitel

Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Mit Blick auf die prozessrechtliche Wahrheitspflicht ergab die Analyse des Status quo: Die allumfassend formulierte Regel nemo tenetur edere contra se tariert die Gemengelage zwischen Parteiegoismus, Wahrheitspflicht und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen nicht angemessen aus. Sie ist insbesondere nicht in der Lage, zwischen solchem Zurückhalten von Informationen, welches im Hinblick auf § 138 Abs. 1 ZPO legitim ist, und solchem, auf welches das nicht zutrifft, zu unterscheiden. Die Alternativkonzepte, die Teile der Literatur als Aufklärungsmodelle für den Zivilprozess ersonnen haben, helfen diesen Schwierigkeiten nicht überzeugend ab. Dort erfolgt der Kampf gegen die Prozesslüge über eine aufwendige und umfangreiche Rekonstruktion des objektiven streitgegenständlichen Geschehens. Bewusst wahrheitswidriges Vorbringen wird auf diese Weise im Zweifel erst im Nachhinein ermittelt und allein deshalb nicht als Urteilsgrundlage festgestellt, weil es objektiv unwahr ist. Abermals bleibt die normative Wertung des § 138 Abs. 1 ZPO, wonach bewusst unwahres Vorbringen gar nicht erst in den Prozess gelangen darf, außer Acht. Dass die bestehenden prozessrechtlichen Aufklärungsmodelle der Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO im Ergebnis keine Bedeutung beimessen, liegt in deren Logik begründet, dass jeder subjektiv unwahre Vortrag notwendig voraussetze, dass die vorgetragene Tatsache objektiv unwahr sei:1 Die Prüfung eines Parteivortrags am Maßstab des § 138 Abs. 1 ZPO würde demgemäß mit Feststellungen über den objektiven Wahrheitsgehalt beginnen. Da gemäß § 286 ZPO jedoch allein die objektive Sachlage entscheidungserheblich ist, kann es für die Streitentscheidung auf die innere Einstellung der Partei zu ihrem Vorbringen nicht mehr ankommen.2 Das folgende Kapitel entwirft die dogmatischen Grundlagen eines Modells zur Sachverhaltsaufklärung, das der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht neben dem Parteiegoismus und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen angemessen Rechnung trägt. Die Herleitung vollzieht sich in vier Schritten: Zunächst ist zu zeigen, dass jedenfalls das materielle bürgerliche Recht Kon1 Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 61; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 8; aus dem Strafrecht LK/Tiedemann, StGB (11. Aufl. 2005), § 263 Rn. 240. 2 Etwa Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 36 f.

168 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung stellationen anerkennt, in denen eine Tatsachenbehauptung als bewusst unwahr behandelt wird, ohne dass ihr objektiver Wahrheitsgehalt geprüft würde. Man mag dieses Phänomen als die „lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung“ bezeichnen. Sodann sind die Wertungsgesichtspunkte herauszuarbeiten, die dieses Phänomen rechtfertigen. Im folgenden dritten Schritt geht es um die Gemeinsamkeiten zwischen Tatsachenbehauptungen innerhalb und außerhalb von Prozessen. Abschließend ist zu begründen, dass, weshalb und unter welchen Voraussetzungen es möglich und zulässig ist, auch im Zivilprozessrecht Sachvortrag als subjektiv unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO zu behandeln, ohne sich mit dem objektiven Wahrheitsgehalt auseinanderzusetzen.

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht A. Die Hypothese: Subjektiver Wahrheitsverstoß ohne objektive Wahrheitsprüfung An bewusst unwahre Erklärungen einer Person knüpft das materielle bürgerliche Recht Rechtsfolgen etwa bei der arglistigen Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, bei der arglistig vorgespiegelten Mangelfreiheit der Kaufsache gemäß §§ 438 Abs. 3 Satz 1, 444 Alt. 1 BGB, bei der unwahren Tatsachenbehauptung im allgemeinen Äußerungsdeliktsrecht gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 186 StGB, 824 BGB oder auch bei der Anschwärzung gemäß § 4 Nr. 2 UWG. Von einem arglistigen Vorspiegeln der Mangelfreiheit kann allerdings nur dort die Rede sein, wo der Mangel zuvor positiv festgestellt wurde. So hat jeder Haftungstatbestand des § 437 Nr. 1 BGB den Mangel als Tatbestandsvoraussetzung. Im Mängelhaftungsrecht hat das arglistige Verschweigen daher niemals eine selbständig haftungsbegründende Bedeutung. Ähnlich verhält es sich bei § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Dass die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht ohne eine Überprüfung der objektiven Faktenlage auskommt, folgt jedenfalls daraus, dass hier die Täuschung als objektives Tatbestandsmerkmal ausgestaltet ist.3 Daher muss die vom Anfechtungsgegner hervorgerufene oder aufrechterhaltene Fehlvorstellung des Anfechtenden über Tatsachen positiv feststehen, ehe das Rechtsgeschäft nach dieser Vorschrift anfechtbar ist.4 Das subjektive Element allein vermag die Anfechtung des anderen 3

Vgl. BeckOK/Wendtland, BGB (37. Ed. 2015), § 123 Rn. 8. Siehe nur Staudinger/Singer, BGB (2012), § 123 Rn. 86: „Die Voraussetzungen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bzw. wegen widerrechtlicher Drohung sind in vollem Umfang von demjenigen zu beweisen, der sich auf die Anfechtung beruft.“ 4

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht 169

Teils nicht zu rechtfertigen. Weder aus §§ 438 Abs. 3 Satz 1, 444 Alt. 1 BGB noch aus § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB lässt sich daher für § 138 Abs. 1 ZPO etwas gewinnen, das der gängigen Sichtweise zur prozessrechtlichen Wahrheitspflicht widerspräche. Anders mag es jedoch bei den Bestimmungen des allgemeinen Äußerungsdeliktsrechts und gegebenenfalls auch bei der lauterkeitsrechtlichen Anschwärzung gemäß § 4 Nr. 2 UWG liegen. Zwar gilt auch hier, dass die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung ihre Rechtswidrigkeit begründet.5 Das deutet zunächst darauf hin, dass eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Tatsachenbehauptung ohne Feststellungen zu ihrem objektiven Wahrheitsgehalt nicht möglich ist.6 Dem entspricht es, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts solche Tatsachenbehauptungen nicht den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung erwiesenermaßen feststeht. Allerdings nimmt das Bundesverfassungsgericht daneben auch solche Tatsachenbehauptungen vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG aus, die der Erklärende bewusst unwahr äußert.7 Danach können die erwiesene, also objektive Unwahrheit und die bewusste, also subjektive Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung gleichermaßen ihre Rechtswidrigkeit begründen. Dieses Nebeneinander von erwiesener und bewusster Unwahrheit gestattet die Formulierung folgender Hypothese: Das allgemeine Äußerungsdeliktsrecht kennt einen Haftungstatbestand der subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung, der ohne Feststellungen zur objektiven Sachlage verwirklicht ist. Sollte diese Hypothese zutreffen, könnten sich weitere Anwendungsfälle für § 4 Nr. 2 UWG ergeben. Die lauterkeitsrechtliche Anschwärzung ist nämlich letztlich nichts anderes ein besonderes Äußerungsdelikt.

B. Die Überprüfung der Hypothese Die Überprüfung der Hypothese erfolgt zweistufig. Zunächst ist zu ermitteln, ob innerhalb des Haftungssystems des zivilen Äußerungsdeliktsrechts ein eigener Anwendungsbereich für einen Tatbestand der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung besteht. Sobald dieser Anwendungsbereich er5 BVerfGE 54, 208, 219; 90, 241, 247; BVerfG, NJW 1993, 1845; 2000, 2413, 2414; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 190. 6 E. Helle, NJW 1964, 841; Kriele, NJW 1994, 1897, 1902; Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 39; ähnlich Kiesel, NVwZ 1992, 1129, 1134. 7 BVerfGE 61, 1, 8; 85, 1, 15; 90, 1, 15; 90, 241, 247; 99, 185, 197; BVerfG, NJW 1991, 1475, 1476; 1991, 2074, 2075; 1993, 1845; 1999, 3326, 3327; 2000, 199, 200; 2000, 3485; 2003, 660, 661; 2003, 961, 962; 2004, 354, 355; 2007, 2686, 2687; 2008, 2907, 2908; NJW-RR 2010, 470; zust. BGH, NJW 2014, 2029, 2032; aus der Lit. vgl. BeckOK/Schemmer, GG (27. Ed. 2014), Art. 5 Rn. 6; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Rn. 6.14, 6.72.

170 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung mittelt wurde, ist die zweite Stufe der Prüfung erreicht. Dort sind die Methoden zu beschreiben, die es gestatten, eine Tatsachenbehauptung ohne Beweisaufnahme wie eine unwahre zu behandeln. Integraler Bestandteil dieser zweiten Prüfungsstufe ist die Untersuchung, ob diese Methoden die fragliche Behauptung tatsächlich als subjektiv unwahr behandeln oder ob sie den Schluss auf die Unwahrheit anders als über die subjektive Tatseite begründen.

I. Die äußerungsdeliktischen Konstellationen 1. Die im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung Zunächst geht es um die Tatsachenbehauptung, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt ihrer Äußerung erwiesen ist. Es leuchtet ein, dass solche Erklärungen nicht den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen. So verfälschen unwahre Informationen die öffentliche Diskussion8 und sind daher vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 1 GG kein schützenswertes Gut.9 Folglich verletzt eine solche Äußerung auch ohne Weiteres das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.10 Die innere Einstellung des Erklärenden zum Wahrheitsgehalt seiner Aussage ist hier ohne jeden Einfluss auf die Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit. Problematisch ist freilich, dass die Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung regelmäßig erst ex post festgestellt wird.11 Folglich fällt eine Behauptung nur in wenigen Fällen wegen erwiesener Unwahrheit aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. So liegt es zunächst dann, wenn die Unwahrheit – beweisrechtlich gesprochen – allgemeinkundig ist. Darunter versteht man Ereignisse oder Zustände, die von einer beliebigen Zahl von Personen ohne besondere Sachkunde jederzeit wahrgenommen werden können, sei es unmittelbar, sei es durch Zugriff auf allgemein zugängliche, zuverlässige Quellen.12 Folglich hat etwa die Leugnung des Holocausts nicht am sachlichen Schutzbereich des

8 BVerfGE 54, 208, 219; 61, 1, 8; 85, 1, 15; 90, 1, 15; 90, 241, 247; BVerfG, NJW 1991, 1475, 1476; 1993, 1845; 1999, 3326, 3327; 2000, 199, 200; 2000, 2413, 2414; 2000, 3485; 2004, 354, 355; 2004, 592; 2007, 2686; NJW-RR 2000, 1209; 2001, 411; 2012, 1002, 1003. 9 BVerfGE 54, 208, 219; 61, 1, 8; 85, 1, 15; 94, 1, 8; 99, 185, 197; BVerfG, NJW 1993, 1845; 2004, 354, 355; NJW-RR 2000, 1209, 1210; 2012, 1002, 1003; ZUM 2005, 284, 286; Sachs/ Bethge, GG (7. Aufl. 2014), Art. 5 Rn. 28; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hopfauf/Kannengießer, GG (13. Aufl. 2014), Art. 5 Rn. 3; a.A. Dreier/Schulze-Fielitz, GG (3. Aufl. 2013), Art. 5 Rn. 65. 10 Siehe nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2 (13. Aufl. 1994), § 80 II. 1. a). 11 Dreier/Schulze-Fielitz, GG (3. Aufl. 2013), Art. 5 Rn. 65. 12 OLG Schleswig, NJW-RR 1991, 715; OLG Zweibrücken, BeckRS 2012, 22074; Thomas/ Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1; BeckOK ZPO/Bacher (19. Ed. 2015) § 291 Rn. 3; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 26.

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Art. 5 Abs. 1 GG teil.13 Als zweite Unterfallgruppe gehören diejenigen Situationen hierher, in denen die fragliche Behauptung bereits Streitgegenstand eines früheren Prozesses gewesen ist und sich dort ihre Unwahrheit herausstellte. § 190 Satz 2 StGB stellt eine besondere Ausprägung dieses Grundsatzes dar. 2. Die im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen wahre Tatsachenbehauptung In den spiegelbildlichen Konstellationen steht im Zeitpunkt der Äußerung ihre Wahrheit fest. Hier gilt, dass – sofern nicht die informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen die Preisgabe der Tatsache verbietet14 – der Erklärende wahre Begebenheiten verbreiten darf.15 Da eine erwiesen wahre Behauptung die öffentliche Debatte nicht verfälschen kann, ist es für die rechtliche Beurteilung auch ohne Belang, welche innere Einstellung der Erklärende zum Wahrheitsgehalt seiner Aussage haben mag. 3. Nicht erweislicher Wahrheitsgehalt und gutgläubiger Erklärender Ist der Wahrheitsgehalt der fraglichen Tatsachenbehauptung im Zeitpunkt ihrer Äußerung unbewiesen, so genießt sie den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG.16 Das gilt jedenfalls dann, wenn der Erklärende gutgläubig ist. Die weitere Folge besteht darin, dass über den Wahrheitsgehalt Beweis zu erheben ist.17 Wenn der Sachverhalt auch nach der Beweisaufnahme unaufgeklärt bleibt, dann ergeht Entscheidung nach der Beweislast. Welche der Parteien diese dann im konkreten Fall zu tragen hat, hängt gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 186, 193 StGB davon ab, ob der Erklärende ordnungsgemäß recherchiert hat oder nicht.18 Selbst wenn das Prozessgericht danach aber gegen den Erklärenden entscheidet, sind die Rechtsfolgen des deliktischen Anspruchs beschränkt. So ist eine Verurteilung zum Widerruf der Äußerung deshalb nicht möglich, weil diese voraussetzt, dass die Unwahrheit der streitgegenständlichen Behauptung feststeht: Niemand darf ohne Richterspruch verpflichtet werden, etwas als unwahr zu bezeichnen, was möglicherweise wahr ist.19 13

BVerfGE 90, 241, 249. BVerfG, NJW 2000, 2413, 2414; vgl. auch BGH, NJW 2010, 760, 763: Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung; auch hierbei handelt es sich aber lediglich um besondere Anwendungsfälle des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. 15 Siehe nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2 (13. Aufl. 1994), § 80 II. 5. b). 16 Vgl. BVerfGE 90, 241, 254; 99, 185, 197; BVerfG, NJW 2004, 354, 355; NJW-RR 2000, 1209, 1210; 2001, 411; 2010, 470, 471; BGH, NJW 2013, 790 f.; 2014, 2029, 2032. 17 BVerfGE 99, 185, 199. 18 BVerfGE 114, 339, 353; BVerfG, NJW 1991, 2074, 2075; BGHZ 132, 13, 23; 139, 95, 105; 176, 175, 189 f.; BGH, NJW 1981, 2117, 2120; 1985, 1621, 1622; 1987, 2225, 2227; 1993, 525, 527; 2014, 2029, 2032; Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 265. 19 BGHZ 37, 187, 189 f.; 176, 175, 183; MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anhang zu § 12 Rn. 310. 14

172 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung 4. Nicht erweislicher Wahrheitsgehalt und bösgläubiger Erklärender Auch in der letzten Fallgruppe ist die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung ungewiss. Doch soll der Erklärende hier bösgläubig sein. Nimmt man die Erkenntnisse aus der soeben erörterten Fallgruppe ernst, so müsste auch an dieser Stelle eine Beweiserhebung über die Wahrheit seiner Aussage stattfinden. Denn immerhin ist die Äußerung in beiden Konstellationen potentiell wahr. Und sollte sie tatsächlich wahr sein, änderte auch die innere Einstellung des Erklärenden nichts an ihrer Zulässigkeit. Es müsste die unbewiesene Tatsachenbehauptung folglich auch dann unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG stehen und als möglicherweise wahr behandelt werden, wenn der Erklärende von ihrer Unwahrheit ausgeht. Ein Unwahrheitsverdikt könnte demnach erst im Anschluss an eine Beweisaufnahme erfolgen. Wenn man solchermaßen verfährt, dann gibt es keine selbständige Gruppe bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen, die von vornherein außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 GG verbleiben. Die Hypothese wäre nicht nur nicht bestätigt, sondern sogar widerlegt. Es bleibt dann jedoch die Frage, weshalb das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung neben die erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung stellen sollte. Natürlich mag man Konstellationen erwähnen, in denen die Unwahrheit im maßgeblichen Zeitpunkt erwiesen ist und der Erklärende von der wirklichen Faktenlage Kenntnis hat. Doch ist die Äußerung hier schon wegen ihrer erwiesenen Unwahrheit rechtswidrig, ohne dass es auf die subjektive Tatseite noch entscheidend ankäme. Weiter mag man für diese zweite Variante der nicht durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Tatsachenbehauptung solche Fälle in den Blick nehmen, in denen die Behauptung nur aus Sicht eines allwissenden Beobachters unwahr ist und der Erklärende die Unwahrheit kennt. Solche Fälle existieren allerdings nicht. Denn was im maßgeblichen Zeitpunkt nur ein allwissender Beobachter weiß, das ist zu dieser Zeit in Wahrheit unbekannt: Für die Rechtsanwendung muss der Sachverhalt vielmehr ex post durch Beweisaufnahme geklärt werden. Wer jedoch die Beweisaufnahme für notwendig erachtet, sieht die Aussage als potentiell wahr an und erkennt ihr damit den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG zu. Erweist sich sodann die Äußerung im Rahmen dieser Beweisaufnahme als unwahr, so ist sie wegen dieser objektiven Unwahrheit rechtswidrig. Die entsprechende Kenntnis des Erklärenden spielt dann allenfalls noch für die Bemessung einer etwaigen Entschädigung eine Rolle.20 20 Positive Kenntnis von der Unwahrheit der Tatsachenbehauptung wäre darüber hinaus weder für den Widerrufsanspruch noch für die Begründung der Wiederholungsgefahr in § 1004 BGB noch für das Verschulden bei §§ 823, 824 BGB erforderlich. Insoweit reicht es vielmehr aus, dass der Erklärende nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB handelte. Um seine berechtigten Interessen zu verneinen, ist die positive Kenntnis von der Unwahrheit zwar selbstverständlich hinreichend, nicht aber notwendig.

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht 173

Soll die Variante der bewusst unwahren Tatsachenbehauptung einen eigenständigen Anwendungsbereich haben, so kann dieser folglich nur im Zeitpunkt der Äußerung ungewisse Sachverhalte betreffen, bei denen der Erklärende von der Unwahrheit seiner Aussage wenigstens ausgeht. Tatsächlich liefert die Rechtsprechung einige Beispiele für solches Vorgehen. So hatte ein Gewerkschaftsaktivist über einen Unternehmer behauptet, dieser lasse körperliche Schwerstarbeit überwiegend von weiblichen Beschäftigten durchführen, habe bestimmte Überstundenzuschläge nicht gezahlt u.ä.m. Hinsichtlich all dieser Behauptungen fand eine Beweisaufnahme nicht statt. Gleichwohl wurden sie als im Sinne des § 824 BGB unwahr behandelt, und zwar deshalb, weil das Gesamtverhalten des Erklärenden die Tatrichter zu der Schlussfolgerung veranlasste, er habe an die Wahrheit seiner Behauptungen jedenfalls nicht glauben dürfen21 und sei mithin bösgläubig gewesen. Die methodische Richtigkeit dieses Vorgehens bestätigte später das Bundesverfassungsgericht in seinem Helnwein-Beschluss.22 Freilich ändert die innere Einstellung des Erklärenden in diesen Fällen im Ergebnis nichts daran, dass die behauptete Tatsache theoretisch doch wahr sein könnte. Wenn man im Sinne des Bundesverfassungsgerichts von einer lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung spricht, dann wird dem Erklärenden folglich gewissermaßen das Risiko auferlegt, dass die Behauptung nicht der Wahrheit entspricht, jedoch mit den entscheidenden Besonderheiten, dass erstens insoweit keine Beweiserhebung stattfindet und zweitens die Behauptung behandelt wird, als stehe die Unwahrheit fest.23 Somit scheint die Hypothese bestätigt: Jedenfalls im allgemeinen Äußerungsdeliktsrecht findet sich ein Haftungstatbestand der bewusst unwahren Tatsachenbehauptung, der verwirklicht ist, ohne dass Feststellungen zum objektiven Wahrheitsgehalt der Äußerung zu treffen wären.

II. Methoden zur Ermittlung einer lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung 1. Die Forderung nach Belegtatsachen Zum Unwahrheitsverdikt ohne Beweiserhebung gelangt das Gericht eines Äußerungsprozesses über ein Wechselspiel von Rede und Gegenrede, das Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 i.V.m. 21

BGH, GRUR 1975, 36, 38. BVerfGE 99, 185, 199. Dort konnten die Behauptungen über die vorgebliche ScientologyMitgliedschaft Helnweins jedoch deshalb nicht ohne Weiteres als bewusst unwahr aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG ausgeschlossen werden, weil der Erklärende nach den konkreten Umständen des Falles gutgläubig gewesen ist. 23 Im Einzelnen zu dieser Risikozuweisung und zu den Erwägungen, die sie rechtfertigen, siehe sogleich § 10. 22

174 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG entwickelt haben. Kommt dieses Wechselspiel im Äußerungsprozess zur Anwendung, um den Wahrheitsgehalt der angegriffenen Äußerung zu überprüfen, so ergibt sich die Notwendigkeit von Rede und Gegenrede damit unmittelbar aus den grundrechtlichen Vorgaben des materiellen Rechts und nicht aus den prozessrechtlichen Behauptungslasten.24 Dem Erklärenden wird dabei zunächst abverlangt, sog. Belegtatsachen für seine Tatsachenbehauptung zu benennen.25 Diese Belegtatsachen seien unabhängig von der Beweislastverteilung jedenfalls im Prozess beizubringen, wenn der Betroffene die Wahrheit der Behauptung in Abrede stelle und gegen sie vorgehe.26 Sei der Erklärende nicht in der Lage, seine Behauptung mit Belegtatsachen zu erhärten, werde sie wie eine unwahre behandelt.27 Unter Belegtatsachen sind dabei nicht notwendig Beweismittel zu verstehen, sondern sogar vorrangig weitere Einzelheiten, um die zunächst pauschal gehaltene Äußerung zu konkretisieren.28 2. Dogmatische Einordnung der „Behandlung wie eine unwahre Behauptung“ Freilich bedarf es einer besonderen Begründung dafür, dass das Fehlen der geforderten Belegtatsachen den Haftungstatbestand der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung verwirklicht. 24 BVerfGE 99, 185, 198 f.; i.Erg. auch OLG Köln, MMR 2012, 197, 198, das die prozessrechtlichen Behauptungslasten als den materiellen Regeln des Äußerungsrechts entsprechend ausgestaltet ansieht. 25 BVerfGE 99, 185, 198; BVerfG, NJW-RR 2000, 1209, 1210; BGHZ 176, 175, 184; BGH, NJW 1981, 2062, 2064; ZUM-RD 2008, 117, 119; OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 1056, 1057; OLG Köln, AfP 2001, 524, 525; MMR 2012, 197, 198; OLG Karlsruhe, ZUM 2001, 883, 886; OLG Braunschweig, NJW-RR 2004, 1634; LG Hamburg, ZUM-RD 2012, 603, 607; NK/Katzenmeier, BGB (2. Aufl. 2012), § 823 Rn. 203; MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 315; BeckOK/Schemmer, GG (27. Ed. 2014) Art. 5 Rn. 129; J. Hager, AcP 196 (1996), 167, 188; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291; Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2005, 571, 575; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse (2003), S. 319; der Sache nach auch BGH, NJW 1959, 2011, 2013. 26 BGH, GRUR 1975, 36, 38; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.133. 27 BVerfGE 99, 185, 199; BGHZ 176, 175, 184; BGH, NJW 1975, 1882, 1883; 1981, 2062, 2064; 2009, 915, 916; GRUR 1975, 36, 38; OLG Köln, AfP 2001, 524, 525; MMR 2012, 197, 198; OLG Braunschweig, NJW-RR 2004, 1634; LG Hamburg, ZUM-RD 2012, 603, 607; BeckOK/ Schemmer, GG (27. Ed. 2015) Art. 5 Rn. 129; Löffler/Steffen, Presserecht (5. Aufl. 2006), § 6 LPG Rn. 273; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.133; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291; Lettl, WRP 2005, 1045, 1072; unklar BVerfG, NJW 2007, 2686, 2688. 28 BGH, GRUR 1975, 36, 38: „In Streitigkeiten der vorliegenden Art muß schon aus sachlichen Gründen dem Bekl. unabhängig von der Beweislast immer eine erweiterte Darlegungspflicht auferlegt werden. (…) Solange der Bekl. dieser seiner Darlegungspflicht nicht nachkommt, sind nicht nur seine eigenen Beweisantritte schon nach allgemeinen Grundsätzen unbeachtlich; (…).“

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a) Fehlende Belegtatsache und erwiesene Unwahrheit Rechtsprechung und Literatur äußern sich insoweit allenfalls beiläufig und widersprüchlich. So meinte das Bundesverfassungsgericht, mangels vorgetragener Belegtatsachen gingen die Zivilgerichte ohne Beweisaufnahme von einer erwiesenen Unwahrheit der strittigen Behauptung aus.29 Danach wäre die nicht durch Belegtatsachen untermauerte Tatsache einer solchen gleichgestellt, deren Unwahrheit die Beweisaufnahme dieses Prozesses ergeben hätte. Hingegen kann nicht die Gleichstellung mit einer Äußerung gemeint sein, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt ihrer Äußerung als erwiesen feststand. Denn das Fehlen von Belegtatsachen für die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung ist etwas anderes als die allgemeinkundige oder in einem Vorprozess nachgewiesene Unwahrheit. Wenn die nicht durch Belegtatsachen untermauerte Tatsachenbehauptung behandelt werden soll, als habe die Beweisaufnahme dieses Prozesses ihre Unwahrheit ergeben, dann ist das Unwahrheitsverdikt an sich das Ergebnis einer freien Beweiswürdigung. Es müsste also auch im Fall fehlender Belegtatsachen Raum für die freie Überzeugungsbildung des Prozessgerichts verbleiben.30 Für einen entsprechenden Beurteilungsspielraum ist den einschlägigen Entscheidungen jedoch nichts zu entnehmen. Denn dort heißt es nicht, dass die Behauptung bei fehlenden Belegtatsachen als unwahr behandelt werden kann, sondern dass sie in dieser Situation wie eine unwahre zu behandeln ist.31 Folglich bildete die fehlende Belegtatsache eine starre Beweisregel für die Unwahrheit der angegriffenen Behauptung. Solche Beweisregeln sind der ZPO gemäß ihrem § 286 Abs. 2 indes fremd. Es kommt hinzu, dass – jedenfalls wenn man sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anschließt – das Fehlen von Belegtatsachen regelmäßig bereits auf der Vortrags- und nicht erst auf der Beweisebene zu berücksichtigen ist.32 Danach kann die nicht durch Belegtatsachen untermauerte Tatsachenbehauptung nicht als eine solche behandelt werden, deren Unwahrheit die Beweisaufnahme bzw. Beweiswürdigung dieses Prozesses ergeben hätte.

29

BVerfG, NJW-RR 2007, 1194, 1195. Vgl. Musielak/Voit/Foerste, ZPO(13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 13; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 13; Greger, NZV 1988, 13 zur Unzulässigkeit verbindlicher gesetzlicher Vorgaben für die Beweiswürdigung. 31 BVerfGE 99, 185, 199; BVerfG, NJW-RR 2000, 1209, 1210; BGHZ 176, 175, 184; BeckOK GG/Schemmer (27. Ed. 2015) Art. 5 Rn. 129; Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien (3. Aufl. 2008), Rn. 924; i. Erg. auch BGH, GRUR 1975, 36, 38, wo zwar eine Kann-Formulierung verwendet wird, Beweisantritte aber dennoch für unbeachtlich erklärt werden. 32 BVerfGE 99, 185, 199; BVerfG, NJW-RR 2007, 1194, 1195; siehe auch BGH, GRUR 1975, 36, 38. 30

176 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung b) Fehlende Belegtatsache und objektive Beweislast Nach anderen Quellen soll es eine Folge der objektiven Beweislast sein, dass eine nicht durch Belegtatsachen untermauerte Äußerung als unwahr behandelt werde.33 Das kann aus mehreren Gründen nicht zutreffen, und zwar unabhängig davon, dass solch eine Beweislastentscheidung lediglich nach einer gescheiterten Beweisführung in Betracht kommt.34 So bedeutet eine Behandlung der Behauptung als unwahr inhaltlich etwas anderes als eine Risikozuweisung nach den Regeln der objektiven Beweislast. Denn bei der Beweislastentscheidung bleibt der Wahrheitsgehalt der Aussage gerade offen. Wird sie demgegenüber als unwahr behandelt, so gibt es eine verbindliche Aussage über ihren Wahrheitsgehalt. Es liegt dann kein non liquet, sondern ein aufgeklärter Sachverhalt vor. Wird die Behauptung wegen fehlender Belegtatsachen als unwahr behandelt, kann der Erklärende demgemäß zur Berichtigung in Form der Richtigstellung seiner Behauptung verurteilt werden.35 Das ist aber – ebenso wie beim Widerruf – nur bei einer positiven Feststellung der Unwahrheit möglich.36 Demgegenüber wäre bei einer Beweislastentscheidung wider den Erklärenden allenfalls eine Verurteilung zur Berichtigung in Form der Nichtaufrechterhaltung möglich.37 Außerdem gilt die Regel, dass die nicht durch Belegtatsachen untermauerte Tatsachenbehauptung wie eine unwahre zu behandeln ist, gerade unabhängig von der konkreten Beweislastverteilung.38 Wenn es sich aber so verhält, dann kann die Regel von der fehlenden Belegtatsache nicht mit der objektiven Beweislast identisch sein. c) Fehlende Belegtatsache und Geständnisfiktion Schlüssiger wirkt demgegenüber ein zuweilen anzutreffender Ansatz, der die Forderung nach Belegtatsachen als einen Anwendungsfall der sekundären Behauptungslast ansieht. Liefert der Erklärende keine Belegtatsachen, so soll zu seinen Lasten § 138 Abs. 3 ZPO eingreifen.39 Das klingt zunächst einleuchtend. Geht man davon aus, dass den Betroffenen die Behauptungslast für die Unwahrheit der Behauptung trifft,40 dann kommt dieser ihr in Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast bereits durch einen pauschalen Initialvortrag nach. Es wäre Angelegenheit des Erklärenden, diesen 33

BVerfG, NJW 2007, 2686, 2688. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 3. 35 BGHZ 176, 175, 190; zum Inhalt des Richtigstellungsanspruchs vgl. Wenzel/Gamer, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 13.63. 36 Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 273, 280. 37 Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 280; Wenzel/Gamer, Das Recht der Wortund Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 13.69. 38 BGHZ 176, 175, 184; BGH, GRUR 1975, 36, 38; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.133. 39 BGHZ 176, 175, 184; LG Hamburg, ZUM-RD 2012, 603, 607. 40 Jauernig/Teichmann, BGB (16. Aufl. 2015), § 824 Rn. 13. 34

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht 177

pauschalen Vortrag im Einzelnen zu bestreiten, und zwar durch Ausführungen, die für die Wahrheit der streitgegenständlichen Behauptung sprechen. Unterlässt er dies, greifen §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO zu seinen Lasten ein. Freilich verschwimmen bei diesem rein prozessrechtlichen Erklärungsansatz für die Folgen fehlender Belegtatsachen die Grenzen zwischen den Vorgaben des materiellen Äußerungsrechts und den Bestimmungen über die prozessrechtliche Sachverhaltsaufklärung. Zwischen beiden Bereichen mögen sich deshalb manche Überschneidungen ergeben, weil die prozessrechtliche Aufklärung der streitgegenständlichen außerprozessualen Äußerung anhand von Prozessäußerungen erfolgt, auf die wiederum die Regeln des allgemeinen Äußerungsdeliktsrechts zumindest prinzipiell anwendbar sind. Dennoch hat die Regel über die fehlenden Belegtatsachen und die Folgen für den Wahrheitsgehalt der streitgegenständlichen Äußerung ihren Ursprung nicht im Prozessrecht, sondern in der praktischen Konkordanz zwischen der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 GG.41 Dass die rein prozessrechtliche Erklärung überdies nicht in allen Fällen trägt, zeigt sich, wenn der Erklärende mit seiner Äußerung keine öffentlichen Interessen wahrnimmt. Dann trifft den Erklärenden gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 186 StGB die Beweis- und somit auch die Behauptungslast für die Wahrheit seiner Behauptung.42 Gleiches gilt im Rahmen des § 4 Nr. 2 UWG.43 Schweigt der Erklärende in diesen Konstellationen zu Umständen, die die Wahrheit seiner Behauptung begründen könnten, ergeht ebenfalls eine Entscheidung zu seinen Lasten. Jedoch befindet man sich nicht im Anwendungsbereich des § 138 Abs. 3 ZPO, sondern zieht die objektive Behauptungslast heran. Ebenso wie bei der Beweislastentscheidung bleibt die Frage nach dem Wahrheitsgehalt unbeantwortet. Folglich kann der Erklärende nicht zu Widerruf oder Richtigstellung verurteilt werden. Die Anwendung der Regel über die fehlenden Belegtatsachen führt jedoch auch in solchen Fällen zum dem inhaltlichen Urteil, dass die streitgegenständliche Aussage unwahr sei44 und ermöglicht demnach Verurteilungen zu Widerruf und Richtigstellung. Konsequenterweise greift sie daher unabhängig von der Verteilung von Beweislastund Behauptungslast ein.45 d) Fehlende Belegtatsache und bewusste Unwahrheit Damit gelangt man gewissermaßen schon im Ausschlussverfahren zu dem Ergebnis, dass die ohne die erforderlichen Belegtatsachen aufgestellte Tatsachen41

BVerfGE 99, 185, 199. BeckOK BGB/Spindler, BGB (11/2013), § 824 Rn. 48. 43 Ohly/Sosnitza/Ohly, UWG (6. Aufl. 2014), § 4 Rn. 8/16. 44 BGH, GRUR 1975, 36, 38. 45 BGHZ 176, 175, 184; BGH, GRUR 1975, 36, 38; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.133. 42

178 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung behauptung nach allgemeinem Äußerungsdeliktsrecht deshalb auch ohne Beweisaufnahme wie eine unwahre behandelt werden darf, weil sie eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darstellt und deshalb nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt. Bei einer im Zeitpunkt der Äußerung ungeklärten Sachlage begründen die fehlenden Belegtatsachen danach die Bösgläubigkeit des Erklärenden. Diese wiederum macht seine objektiv ungewisse Behauptung zu einer subjektiv unwahren. Dem entsprechen vereinzelt gebliebene Stimmen aus der Rechtsprechung, denen zufolge die nicht durch Belegtatsachen untermauerte Tatsachenbehauptung bereits nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG falle.46 Schließlich rechtfertigt es das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz, mithilfe der fehlenden Belegtatsachen der Fallgruppe der lediglich bewusst unwahren Tatsachenbehauptung einen selbständigen Anwendungsbereich gegenüber der erwiesen unwahren Tatsachenbehauptung zu verleihen: Bei haltlosen Behauptungen hat nämlich der Schutz der Meinungsfreiheit hinter den Persönlichkeitsschutz zurückzutreten.47

C. Die Umsetzung dieser Methoden I: Die Station des Erklärenden Damit ist die eingangs aufgestellte Hypothese bestätigt: Im allgemeinen Äußerungsdeliktsrecht findet sich ein Haftungstatbestand der bewusst unwahren Tatsachenbehauptung, der verwirklicht ist, ohne dass Feststellungen zum objektiven Wahrheitsgehalt der Äußerung zu treffen wären. Zu klären bleibt freilich, wie die bislang nur abstrakt beschriebene Methode, die Behauptung wegen fehlender Belegtatsachen als subjektiv unwahr zu behandeln, konkret umzusetzen ist. Dafür ist maßgeblich, welche Belegtatsachen von dem Erklärenden zu fordern sind, damit er seine Behauptung für wahr halten darf und dadurch in der äußerungsdeliktischen Auseinandersetzung einen Anspruch auf Überprüfung ihres objektiven Wahrheitsgehalts erwirbt.

I. Hintergrund: Die informationelle Selbstbestimmung und der sog. Ehrschutz Dabei sind zwei Punkte zu beachten. Zunächst geht es um den Schutz der informationellen Selbstbestimmung des Betroffenen. Ein pauschaler Vorwurf soll ihn weder dazu zwingen, sich ins Blaue hinein verteidigen zu müssen, 46 47

1291.

OLG Braunschweig, NJW-RR 2004, 1634. BVerfGE 99, 185, 198 f.; BVerfG, NJW-RR 2000, 1209, 1210; Seyfarth, NJW 1999, 1287,

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht 179

noch ihn vor die Wahl stellen, entweder Umstände und Geschehnisse aus seinem gegenüber der Öffentlichkeit abgeschirmten Bereich zu Verteidigungszwecken zu offenbaren oder die Behauptung unwidersprochen bestehen zu lassen.48 Darüber hinaus spielt der Schutz der persönlichen Ehre des Betroffenen eine Rolle, und zwar insoweit, als die Forderung nach Belegtatsachen sich auf die Sorgfaltspflichten des Erklärenden bei der Tatsachenrecherche und Tatsachenpräsentation bezieht.49 Es handelt sich dabei um eine materiellrechtliche50 Verkehrspflicht zum Schutz des fremden Persönlichkeitsrechts, mit dem Inhalt, alles Zumutbare zu unternehmen, um dessen Beeinträchtigung möglichst zu vermeiden.51

II. Die inhaltlichen Anforderungen Für die inhaltlichen Anforderungen an die Belegtatsachen ergibt sich daraus Folgendes: Tatsachenbehauptungen über andere Personen betreffen deren Persönlichkeitsrechtsrecht und verletzen es, wenn sie unwahr sind.52 Wer sich in tatsächlicher Hinsicht über einen anderen äußert und dabei die Rechtmäßigkeit des eigenen Handelns für sich in Anspruch nimmt, muss die Behauptung zumindest für wahr halten dürfen.53 Die vorzubringenden Belegtatsachen müssen es deshalb erstens sachlich rechtfertigen, dass der Betroffene seine gegenüber der öffentlichen Wahrnehmung abgeschirmte Sphäre zu Verteidigungszwecken öffnet, und zweitens müssen sie diese Öffnung gegenständlich beschränken.54 Mitunter schreibt die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang etwas umständlich vom substantiierten Bestreiten des Vorwurfs der Unwahrheit durch den Erklärenden.55 48 BGHZ 176, 175, 184; BGH, GRUR 1975, 36, 38; MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 315; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.133. 49 BVerfG, NJW-RR 2000, 1209, 1210; BGH, ZUM-RD 2008, 117, 119; OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 1056, 1057; OLG Köln, AfP 2001, 524, 525 f.; OLG Braunschweig, NJW-RR 2004, 1634, 1635; Molle, ZUM 2010, 331, 335. 50 BVerfG, NJW-RR 2000, 1209, 1210. 51 J. Hager, AcP 196 (1996), 167, 194; vgl. auch BVerfG, NJW 2007, 2686, 2687; BGH, NJW 1997, 1148, 1149. 52 Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 124; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Aufl. 1994, § 80 II. 1. a). 53 BGH, GRUR 1975, 36, 38. 54 BGH, NJW 1981, 2062, 2064; OLG Karlsruhe, ZUM 2001, 883, 886; Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts (6. Aufl. 2012), Rn. 44.12; E. Helle, Der Schutz der Persönlichkeit, der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht (2. Aufl. 1969), 59; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse (2003), 319; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291. 55 BGH, NJW 1959, 2011, 2012; GRUR 1975, 89, 92.

180 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Grundlage ist die Vorstellung, dass derjenige, der Vorwürfe gegen einen anderen erhebt, diese nicht frei erfinden darf und daher unschwer in der Lage sein muss, im Streitfall diejenigen Umstände zu benennen, aufgrund derer er seine Behauptungen für zutreffend und daher für rechtmäßig hält.56 Wer etwa behauptet, jemand besteche den Vorsitzenden des Betriebsrats seines Unternehmens, verherrliche Rassendiskriminierung oder habe Hitlers Machtergreifung aktiv unterstützt, muss Einzelheiten zu diesen Vorwürfen beschreiben und Belege präsentieren können.57 Wer über einen anderen verbreitet, er lasse in seinem Betrieb schwere körperliche Arbeit primär von Frauen erledigen, muss wenigstens die Art dieser Arbeiten nennen können.58 Wer die Authentizität eines Buches dergestalt leugnet, dass es weder der als Autor ausgewiesenen Person inhaltlich zuzuschreiben sei noch inhaltlich wahre Begebenheiten schildere, muss dem Beweis zugängliche konkrete Umstände dartun, die diesen Vorwurf tragen können.59 Auch muss der Erklärende seine Behauptung mit konkreten Anhaltspunkten untermauern, der Betroffene habe Dokumente manipuliert, um eine undichte Stelle in den eigenen Reihen auszumachen;60 hier betrifft die Forderung nach Belegtatsachen sowohl den äußeren Vorgang der Manipulation als auch den damit verfolgten Zweck als innere Tatsache.61 Daraus folgt: In seiner ursprünglichen Äußerung darf der Erklärende sich zunächst auf eine Tatsachenbehauptung in Form einer Schlussfolgerung beschränken, die lediglich das Substrat seiner Quellenrecherche wiedergibt („Initialäußerung“).62 Es verhält sich ebenso wie bei dem Sachverständigen, der über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache Auskunft gibt, zu diesem Ergebnis aber erst gelangt, indem er verschiedene andere Feststellungen zusammenfügt und auswertet. Dass der Erklärende seine Quellen und sonstigen Belegtatsachen zunächst verschweigen darf, ist Folge des Umstands, dass die Tatsachenbehauptung grundsätzlich am Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG teilhat. Wenn aber wegen Art. 5 Abs. 1 GG niemand gehalten ist, für seine eigene Meinung Gründe zu benennen,63 dann muss für die Tatsachenbehauptung Entsprechendes gelten. Freilich entbindet das den Erklärenden nicht von der Pflicht, zum Schutz des fremden Persönlichkeitsrechts entsprechende Belegtatsachen zu recherchieren. Er muss sie nur zunächst nicht offenlegen. Offenlegen muss er seine Belegtatsachen vielmehr erst, sobald der Betroffene sich gegen die Behauptung wehrt und es um eine verbindliche Feststel56 BGH, GRUR 1975, 36, 38; E. Helle, Der Schutz der Persönlichkeit, der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht (2. Aufl. 1969), 59. 57 BGH, NJW 1975, 1882, 1883. 58 BGH, GRUR 1975, 36, 38. 59 BGH, NJW 1981, 2062, 2064; GRUR 1975, 89, 92. 60 BGHZ 176, 175, 186. 61 BGHZ 176, 175, 186. 62 Offengelassen von BGH, GRUR 1975, 36, 38. 63 BVerfGE 42, 163, 170; 90, 1, 14; BGH, NJW 1974, 1762, 1763; Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 88; Löffler/Steffen, Presserecht (5. Aufl. 2006), § 6 LPG Rn. 48.

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht 181

lung der Wahrheit oder Unwahrheit der Tatsache geht. Diese Situation tritt typischerweise im Prozess ein. Wenn der Erklärende hier nun seine Belegtatsachen und Quellen benennen muss, dann wird die Beachtung seiner schon zuvor bestehenden Sorgfaltspflichten zu Gunsten des fremden Persönlichkeitsrechts entscheidungserheblich. Ausreichende Belegtatsachen sind deshalb vorgebracht, sofern die Quellen und/oder Hilfstatsachen eigener Nachforschung entstammen64 und zeigen, dass der Erklärende seine Behauptung nicht aufs Geratewohl, sondern aus – nach seiner Einschätzung – berechtigtem Anlass aufgestellt hat, und sie zugleich so konkret sind, dass der Betroffene ersehen kann, wie und in welchem Umfang er ihnen entgegentreten muss, um sie zu entkräften.65

III. Grenzen: Das sog. Laienprivileg und seine Bedeutung Um die berechtigten Interessen des Erklärenden nicht über Gebühr einzuschränken, dürfen die Anforderungen an ausreichende Belegtatsachen jedoch nicht allzu streng formuliert sein.66 So sind bei der Sorgfaltspflicht des Erklärenden zu Gunsten des fremden Persönlichkeitsrechts seine individuellen Erkenntnis- und Recherchemöglichkeiten zu berücksichtigen.67 Folglich ist an den Regelanforderungen dort nicht festzuhalten, wo die behauptete Tatsache nicht dem eigenen Erfahrungsbereich des Erklärenden entstammt und seine eigenen Überprüfungsmöglichkeiten übersteigt.68 In solchen Situationen seien weder Belegtatsachen noch Beweise aus eigener Nachforschung beizubringen, vielmehr genüge etwa der Rückgriff auf unwidersprochen gebliebene Presseberichte oder auf sonstige öffentlich zugängliche Quellen.69 Teile der Literatur70 und Rechtsprechung71 bezeichnen diese Grenze der publizistischen Sorgfaltspflicht als „Laienprivileg.“72 64

BVerfGE 85, 1, 22. Der Sache nach auch OLG Köln, AfP 2001, 524, 526. 66 BVerfGE 85, 1, 21; 99, 185, 198; BGHZ 176, 175, 184; BGH, NJW 1981, 2062, 2064; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.133; Grimm, NJW 1995, 1697, 1702 f. 67 BVerfGE 99, 185, 198; OLG Braunschweig, NJW-RR 2004, 1634, 1635, Grimm, NJW 1995, 1697, 1702 f.; Lettl, WRP 2005, 1045, 1071. 68 BVerfGE 85, 1, 21 f.; Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 122; Kübler, NJW 1999, 1281, 1287. 69 BVerfGE 85, 1, 22; OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 1056, 1057; Kübler, Medien, Menschenrechte und Demokratie (2008), § 34 II. 3. 70 Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.136. 71 KG, MMR 2009, 482; OLG Hamburg, BeckRS 2009, 28267. 72 Konkret entwickelt wurde es anhand der Gegenüberstellung der Recherechemöglichkeiten von Personen, die im Medienbereich professionell tätig sind, und solchen, die als Amateure in diesem Bereich an die Öffentlichkeit gehen und dementsprechend geringere Erfahrung und 65

182 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Das Privileg setzt damit bei den reduzierten eigenen Aufklärungsmöglichkeiten des Erklärenden an. Sie befreit ihn freilich nicht von der Notwendigkeit, Belegtatsachen für die Wahrheit seiner Behauptung zu benennen; der beschränkte eigene Wahrnehmungskreis gestattet es also nicht, aufs Geratewohl Behauptungen über andere zu formulieren. Doch wird auf eigene Nachforschungen verzichtet und dem Erklärenden ausnahmsweise gestattet, sich auf Berichte Dritter zu berufen. Das Privileg scheint sich damit auf die Art der Quelle zu beschränken und keine Abstriche beim Inhalt der geforderten Belegtatsachen zu machen. Doch wäre dieser Schluss voreilig. Denn dass man dem Erklärenden üblicherweise selbst recherchierte Erkenntnisse abverlangt, hat zwei Gründe. Erstens gewährt ein von dritter Seite unüberprüft übernommener Bericht dem Erklärenden keine inhaltliche Verlässlichkeit. Aus diesem Dilemma befreit das Laienprivileg den Erklärenden. Zweitens ist bei der unüberprüften Übernahme von Berichten Dritter deshalb Zurückhaltung angebracht, weil diese häufig eine komprimierte Fassung liefern und dem Übernehmenden weitere Einzelheiten und Hintergründe unbekannt sind.73 Aus diesem zweiten Aspekt folgt, dass das wegen der eigenen Sachverhaltsferne gewährte Laienprivileg auch eine inhaltliche Komponente hat und dem Erklärenden insoweit gewisse Pauschalisierungen gestattet.

D. Die Umsetzung dieser Methoden II: Die Station des Betroffenen I. Die Forderung nach einer qualifizierten Gegenäußerung Wenn der Erklärende die ihm abgeforderten Belegtatsachen für die Wahrheit seiner Behauptung benannt hat, dann verlangt die äußerungsrechtliche Rechtmäßigkeitsprüfung vom Betroffenen eine qualifizierte Gegenäußerung. So dürfe dem von der Tatsachenbehauptung nachteilig in seinem Persönlichkeitsrecht Betroffenen die Möglichkeit, die Unwahrheit im Verfahren geltend zu machen, nicht unter Berufung auf das Vorliegen von Belegtatsachen abgeschnitten werden.74 Aus dem Vorliegen von Belegtatsachen für die Wahrheit der Behauptung folge nicht, dass die Wahrheit oder Unwahrheit unerheblich wäre und der Kläger eines Unterlassungsbegehrens die Unrichtigkeit der Presseberichte seinerseits nicht mehr konkret darlegen und gegebenenfalls unter Beweis stellen dürfte.75 Nur wenn er den Belegtatsachen seinerseits nichts ent73 Ressourcen zur Verfügung haben. Dieses Laienprivileg ist aber keineswegs auf dieses Verhätnis beschränkt. Vielmehr greift es stets, wenn der Erklärende keinen Zugang zur Primärquelle einer Information und auch sonst nur eingeschränkte Recherchemöglichkeiten hat. 73 Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.135; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291. 74 BVerfGE 99, 185, 199; BVerfG, NJW 2004, 592. 75 BVerfGE 99, 185, 199 f.

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht 183

gegenzusetzen habe, könne die Wahrheit der Behauptung des Erklärenden unterstellt werden.76 Das bedeutet: Unterbleibt eine qualifizierte Gegenäußerung als Reaktion auf eine durch Belegtatsachen ausreichend untermauerte Behauptung, findet keine weitere Wahrheitsüberprüfung statt. Umgekehrt wird eine Beweisaufnahme aber dann erforderlich, wenn der Betroffene die belegte Behauptung qualifiziert bestreitet.77

II. Die spiegelbildliche Geltung der an den Erklärenden gestellten Anforderungen Die Gegenäußerung ist qualifiziert, wenn sie ihrerseits mit Belegtatsachen untermauert ist. Hier kommen die für den Erklärenden ermittelten Grundsätze spiegelbildlich zur Anwendung. Genügt die angegriffene Behauptung den Regelanforderungen an die beizubringenden Belegtatsachen, so sind die Voraussetzungen an die Entgegnung verhältnismäßig einfach zu formulieren. Denn wenn der Erklärende Einzelumstände benannt hat, aus denen die Wahrheit seiner Behauptung folgen soll und die den Eindruck einer aufs Geratewohl aufgestellten Behauptung ausschließen, dann ist der Betroffene in der Lage, ebenso konkret auf diese Einlassung zu erwidern. Wirft der Erklärende dem Betroffenen etwa vor, dieser habe an der Indoktrination von DDR-Grenzsoldaten aktiv mitgewirkt und bringt er Belegtatsachen dafür bei, dass der Betroffene eine Stellung bekleidet habe, zu deren Aufgaben typischerweise jene Indoktrination zählte, so muss der Betroffene im Rahmen seiner Entgegnung konkrete Belegtatsachen dafür liefern, dass und weshalb er dennoch an solchen Maßnahmen nicht aktiv teilgenommen habe.78 Freilich müssen auch zu Gunsten des Betroffenen Erleichterungen gelten, wenn die fraglichen Tatsachen oder Belegtatsachen außerhalb seines eigenen Wahrnehmungsbereichs stattfinden. Behauptet etwa der Erklärende, Justizkreise gingen bereits in einem frühen Ermittlungsstadium von einer späteren Anklageerhebung gegen den Betroffenen aus,79 wird man von einer Entgegnung des Betroffenen keine konkreten Einlassungen zur Einschätzung dieser Justizkreise erwarten können. Denn die dafür notwendigen Einblicke in Interna der Justizbehörden hat er nicht. Und folglich wird man ihm kaum eine Verteidigung aufs Geratewohl vorhalten können, wenn er jene Behauptung ohne weitere Konkretisierung in Abrede stellt. 76

BVerfGE 99, 185, 199. Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291. 78 KG, GRUR-RR 2007, 247, 250. 79 Konstellation nach OLG Köln, AfP 2001, 524, wobei dort bereits der Erklärende seine Behauptung nicht mit hinreichenden Belegtatsachen untermauert hatte. 77

184 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung

III. Einfluss des Laienprivilegs auf die qualifizierte Gegenäußerung? Spannender ist freilich die Frage, ob diese Grundsätze auch dort gelten, wo der Erklärende sich auf das Laienprivileg berufen kann, an seine Behauptung also wegen seiner nur eingeschränkten Aufklärungsmöglichkeiten sowohl inhaltlich als auch wegen der Quellenprüfung lediglich reduzierte Anforderungen zu stellen sind. Sind nämlich die Anforderungen an die Konkretisierung von Behauptung und Entgegnung spiegelbildlich zu bestimmen, ist es auf den ersten Blick an sich nur konsequent, sich bei der Entgegnung des Betroffenen stets dann mit einem geringeren Maß an Konkretisierung zu bescheiden, wenn auch an die Behauptung nur reduzierte Anforderungen gestellt werden. Freilich handelt es sich bei dieser Argumentation um eine bloß scheinbare Logik. Auch das Bundesverfassungsgericht beschreitet einen anderen Weg. So lag dem Helnwein-Beschluss80 eine Konstellation zugrunde, in der für die Erklärenden das Laienprivileg stritt. Zwei Vereine, die sich der Bekämpfung von Sekten verschrieben hatten, warfen in einem an Politiker und Medien adressierten Brief dem Künstler Gottfried Helnwein vor, Mitglied der sog. Scientology Church zu sein und dort diverse Funktionen auszuüben. Beide Vereine beriefen sich auf öffentlich zugängliche Texte, unter anderem auch auf solche, die die Scientology Church selbst herausgegeben hatte. Dem Betroffenen – so das Bundesverfassungsgericht – könne in dieser Situation nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden, die objektive Unwahrheit der in Bezug genommenen Texte nachzuweisen. Jedoch müsse er hierzu konkrete Gegenbehauptungen aufstellen und gegebenenfalls entsprechende Beweismittel anbieten.81 Das Laienprivileg zu Gunsten des Erklärenden führt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts also nicht automatisch dazu, dass die Anforderungen an die qualifizierte Entgegnung reduziert werden. Diese Sicht des Bundesverfassungsgerichts überzeugt ohne Einschränkung. Denn wenn man bei der Behauptung des Erklärenden im Hinblick auf seine fehlenden Aufklärungsmöglichkeiten Abstriche hinsichtlich Konkretisierung, Vollständigkeit und Quellenrecherche gestattet, dann bleibt unklar, weshalb dieses Privileg unbesehen und unabhängig von seinen eigenen Aufklärungsmöglichkeiten an den Betroffenen weitergegeben werden sollte. Der Zweck, dem die Forderung nach Belegtatsachen für die Behauptung dient, gebietet dies jedenfalls nicht. Denn die Fragen, ob und inwieweit der Betroffene seine Geheimsphäre zu Verteidigungszwecken öffnen muss und welche Sorgfaltspflichten umgekehrt den Erklärenden treffen, sind einzig im Rahmen der an die Behauptung des Erklärenden zu stellenden Anforderungen berücksichtigungsfähig. Kommt man dort zu dem Ergebnis, die Behauptung sei hinrei80 81

BVerfGE 99, 185. BVerfGE 99, 185, 199 f.

§ 9 Die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung im materiellen Recht 185

chend belegt, besteht kein Anlass, etwaige Privilegien an den Betroffenen durchzureichen. Er hat dann seinerseits mit konkreten Belegtatsachen für die Unwahrheit der Behauptung zu entgegnen. Die Anforderungen an den Beleg der Entgegnung werden erst reduziert, wenn die Aufklärungs- und Erkenntnismöglichkeiten des Betroffenen selbst eingeschränkt sind.

Zwischenergebnis Im allgemeinen Äußerungsdeliktsrecht erkennt das bürgerliche Recht einen Haftungstatbestand der subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung an, der unabhängig von Feststellungen zum objektiven Wahrheitsgehalt verwirklicht ist. Dieser Fall tritt ein, wenn der Erklärende eine im Zeitpunkt der Äußerung unbewiesene Tatsachenbehauptung aufstellt, hinsichtlich deren Wahrheitsgehalt er bösgläubig ist. Bösgläubig in diesem Sinn ist der Erklärende dann, wenn er keine ausreichenden Belegtatsachen benennt, die für die Wahrheit seiner Behauptung streiten. Regelmäßig können Belegtatsachen erst dann die Gutgläubigkeit des Erklärenden begründen, wenn sie es erstens sachlich rechtfertigen, dass der Betroffene seine gegenüber der öffentlichen Wahrnehmung abgeschirmte Sphäre zu Verteidigungszwecken öffnet, und sie zweitens diese Öffnung gegenständlich beschränken. Dabei darf sich der Erklärende in seiner Initialäußerung zunächst auf eine Tatsachenbehauptung in Form einer Schlussfolgerung beschränken, die lediglich das Substrat seiner Quellenrecherche wiedergibt. Die vollständigen Belegtatsachen muss er erst dann offenlegen, wenn der Betroffene die Wahrheit der Behauptung in Abrede stellt, namentlich in der gerichtlichen Auseinandersetzung. Ausnahmsweise sind von den Regelanforderungen an ausreichende Belegtatsachen Abstriche zu machen, und zwar dort, wo die behauptete Tatsache nicht dem eigenen Erfahrungsbereich des Erklärenden entstammt und seine eigenen Überprüfungsmöglichkeiten übersteigt („Laienprivileg“). Hat der Erklärende ausreichende Belegtatsachen benannt, verlangt das allgemeine Äußerungsdeliktsrecht dem Betroffenen eine qualifizierte Gegenäußerung ab. Die Gegenäußerung ist qualifiziert, wenn sie ihrerseits mit Belegtatsachen untermauert ist. Hier kommen die für den Erklärenden ermittelten Grundsätze spiegelbildlich zur Anwendung. Unterliegt die Behauptung des Erklärenden dabei dem Laienprivileg, muss der Betroffene dennoch den Regelanforderungen entsprechende Belegtatsachen für seine Gegenäußerung benennen. Etwas anderes gilt nur, wenn in seiner Person selbst ein Anknüpfungspunkt für das Laienprivileg besteht. Bleibt die Gegenäußerung vollständig aus oder ist sie inhaltlich nicht ausreichend qualifiziert, so wird die Tatsachenbehauptung des Erklärenden ohne Beweisaufnahme als wahr behandelt. Eine Beweisaufnahme über die streitgegenständliche Tatsachenbehaup-

186 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung tung findet nur statt, wenn sowohl diese selbst als auch die Gegenäußerung mit ausreichenden Belegtatsachen untermauert sind.

§ 10 Die Rechtfertigung der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung Das materielle bürgerliche Recht kennt einen Haftungstatbestand der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung. Diese materiellrechtliche Regelung und die dazu entwickelten Methoden kommen womöglich als Vorbilder in Betracht, um Parteivorbringen auf der Vortragsebene als gemäß § 138 Abs. 1 ZPO subjektiv unwahr zu behandeln, ohne dabei eine Beweiswürdigung vornehmen zu müssen. Um dieser Frage sinnvoll nachgehen zu können, muss vorab Klarheit über die Gründe geschaffen werden, die das materiellrechtliche Phänomen der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung rechtfertigen.

A. Das Problem: Die potentielle Wahrheit der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung Die äußerungsrechtliche Güterabwägung mag zu der bereits erwähnten Schlussfolgerung gelangen, dass bei haltlosen Behauptungen der Schutz der Meinungsfreiheit hinter den Persönlichkeitsschutz zurückzutreten habe.82 Doch beschreibt diese Aussage lediglich ein Ergebnis. Was dieses Ergebnis rechtfertigt, liegt demgegenüber wenig klar auf der Hand. Denn auch die pauschale, ohne nähere Anhaltspunkte getätigte Äußerung kann sich im Ergebnis als wahr erweisen, wenn sie nur einen hinreichenden Tatsachenkern hat und damit der Kategorie Tatsachenbehauptung zuordenbar ist.83 Es ist sogar denkbar, dass eine aufs Geratewohl, ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung zufällig einen wahren Kern trifft. Und weiter mag der Erklärende auch auf diesen Zufallstreffer hoffen, womöglich gar darauf vertrauen, so dass ihm eine böse Absicht nicht unterstellt werden kann. Und selbst der in böser Absicht Handelnde mag – dem untauglichen Versuch im Strafrecht vergleichbar – über den Wahrheitsgehalt seiner vermeintlichen Lüge irren und versehentlich die Wahrheit sagen („potentielle beabsichtigte Lüge“).

82 BVerfGE 99, 185, 198 f.; BVerfG, NJW-RR 2000, 1209, 1210; Haltlosigkeit und fehlende Belegtatsache sind in diesem Zusammenhang synonym zu verstehen. 83 Vgl. etwa BVerfG, NJW 2003, 1109; NJW-RR 2004, 1710, 1712; BGH, NJW 2007, 686, 687; 2008, 2110, 2113; NJW-RR 1994, 1246, 1247; GRUR 1973, 550, 551; 1974, 797, 798; 1975, 89, 91.

§ 10 Die Rechtfertigung der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung 187

Wer bei einer im Zeitpunkt der Äußerung ungeklärten Sachlage den Erklärenden allein deshalb für bösgläubig erachtet und seine Behauptung in der Folge als bewusst unwahre behandelt, weil er die von ihm erwartbaren Belegtatsachen nicht benannt hat, der blendet all diese Unwägbarkeiten aus. Das bedeutet: Die nicht durch Belegtatsachen untermauerte Behauptung wird wie eine unwahre behandelt, obwohl der Erklärende potentiell lediglich eine beabsichtigte Lüge tätigte;84 das Gleiche gilt für die Behauptung desjenigen, der sich – innerlich völlig indifferent zum Inhalt seiner Behauptung oder gar im blinden Vertrauen darauf, dass etwas Wahres schon daran sein werde – ins Blaue hinein äußert.85 Es bleibt die Frage nach der Begründung, weshalb eine Beweisaufnahme dennoch unterbleibt und die fehlenden Belegtatsachen zur Bösgläubigkeit des Erklärenden und seine Bösgläubigkeit wiederum zur Behandlung seiner Behauptung als unwahr führen.

B. Der Präventionsgedanke als Lösungsansatz I. Der Präventionsgedanke und Art. 5 Abs. 1 GG Den Einstieg in die Problemlösung liefert der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG in Bezug auf Tatsachenbehauptungen. Das Bundesverfassungsgericht formuliert, dass Tatsachenbehauptungen am Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG teilnehmen, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen seien.86 Daher ende der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zur verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen könnten. Unter diesem Gesichtspunkt sei unrichtige Information kein schützenswertes Gut.87 Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen davon aus, dass die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst ist.88 Die Beschränkung des Schutzbereichs erfolgt also zunächst im Interesse eines funktionierenden, nicht manipulierten öffentlichen Meinungsbildungsprozesses. Damit korrespondiert freilich der individualschützende Aspekt zu 84

Vgl. Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 35 zu § 138 Abs. 1 ZPO. 85 Zur Gleichbehandlung beider Fälle vgl. BVerfG, NVwZ 2008, 416, 417; OLG Frankfurt/ Main, NJW-RR 2003, 37, 38; OLG Hamburg, GRUR-RR 2003, 53, 54. 86 BVerfGE 85, 1, 15; 90, 1, 15; 90, 241, 247; BVerfG, NJW 1993, 916, 917; 1999, 3326, 3327; 2000, 3485; 2000, 199, 200; 2003, 660, 661; 2003, 961, 962; 2004, 354, 355; 2010, 1587, 1588; 2012, 756; 2014, 2777, 2778; NJW-RR 2000, 1209; 2001, 411; 2010, 1195, 1196. 87 BVerfGE 54, 208, 219; 61, 1, 8; 90, 241, 247; siehe auch BerlVerfGH, NJW-RR 2006, 1704, 1706. 88 BVerfGE 54, 208, 219; 61, 1, 8; 85, 1, 15; 90, 241, 247; BVerfG, NJW 1991, 1475, 1476; 1993, 1845; 1999, 3326, 3327; 2000, 199, 200; 2000, 2413, 2414; 2000, 3485; 2003, 660, 661; 2004, 354, 355; 2004, 592; 2007, 2686, 2687; NJW-RR 2000, 1209; 2001, 411; 2010, 470.

188 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Gunsten des Betroffenen, dessen Persönlichkeitsrecht bereits dadurch verletzt wird, dass er in ein falsches Licht gerückt wird.89 Daraus resultiert die Ausgestaltung des § 186 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt,90 der bereits der Gefahr einer in diesem Sinne entstellenden Tatsachenbehauptung präventiv entgegenwirken soll.91

II. Die potentielle beabsichtigte Lüge Vor dem Hintergrund dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist es jedenfalls stimmig, bereits die potentielle beabsichtigte Lüge aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auszunehmen und auf eine aufwendige, objektive Wahrheitsprüfung im Rahmen einer Beweiserhebung und -würdigung zu verzichten. 1. Die beabsichtigte Lüge: Ein marginales Problem Zunächst ist der Fall der lediglich beabsichtigten Lüge ein zahlenmäßig marginales Problem. Denn jedenfalls ist der Erklärende bei der beabsichtigten Lüge von der objektiven Unwahrheit seiner Aussage überzeugt. Diese Überzeugung wird in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle zu Recht bestehen, der Aussageinhalt also nicht nur nach der Vorstellung des Erklärenden, sondern auch objektiv unwahr sein. Die Beweiserhebung diente also lediglich dazu, die wenigen exotischen Fälle herauszufiltern, in denen der Aussageinhalt entgegen der Überzeugung des Erklärenden doch der Wahrheit entspricht. Dennoch bleibt fraglich, was in dieser Situation gegen eine Beweisaufnahme einzuwenden sein sollte, die dann im Regelfall die objektive Unwahrheit doch nur bestätigte. 2. Prozessökonomische Erwägungen Daher ist weiter zu berücksichtigen, dass eine Beweiserhebung – in der die Überprüfung auf die objektive Wahrheit schließlich erfolgen müsste – Kosten, Zeit und Aufwand erfordert. Das mag sich zwar in den Gebührentabellen des GKG und des RVG nicht unbedingt direkt niederschlagen, soweit Gerichts-

89

BGH, NJW 1977, 1288, 1289 (insoweit in BGHZ 68, 331 nicht abgedruckt); GRUR 1980, 1090, 1094 (insoweit in BGHZ 78, 24 nicht abgedruckt); GRUR 1980, 1105, 1107 (insoweit in BGHZ 78, 9 nicht abgedruckt); Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 65; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2 (13. Aufl. 1994), § 80 II. 1. a). 90 Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, StGB (29. Aufl. 2014), § 186 Rn. 17; MünchKomm/ Regge/Pegel, StGB (2. Aufl. 2012), § 186 Rn. 2. 91 Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, in:, StGB (29. Aufl. 2014), § 186 Rn. 1.

§ 10 Die Rechtfertigung der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung 189

und Anwaltsgebühren betroffen sind.92 Doch beansprucht jede Beweisaufnahme Zeit und Arbeitskraft, die an anderer Stelle fehlen. Es kommt hinzu, dass das anwaltliche Honorar sich häufig nach Zeiteinheiten und nicht nach den Gebührensätzen des RVG richtet. Die über die gesetzlichen Gebühren hinausgehenden Kosten müsste der Betroffene aufwenden und bekäme sie mangels Erforderlichkeit auch im Obsiegensfalle nicht ersetzt.93 Folglich spricht schon aus prozessökonomischen Gründen kaum etwas dafür, im Fall der potentiellen beabsichtigten Lüge eine Beweisaufnahme im Hinblick auf die auch objektive Unwahrheit durchzuführen. 3. Der Selbstbestimmungsgedanke des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Prozessökonomische Erwägungen können allein nicht entscheidend sein. Denn die Konsequenz aus dem Verzicht auf eine objektive Wahrheitsprüfung besteht darin, dass der Erklärende selbst dann zu Unterlassung, Widerruf und Schadensersatz verurteilt wird, wenn er eine Lüge zwar beabsichtigt hatte, der Inhalt seiner Aussage aber zufällig dennoch der Wahrheit entspricht. Es ist dann eine Wertungsfrage, ob dies ein sachgerechtes Ergebnis ist. Der erste Aspekt in diesem Zusammenhang betrifft den Selbstbestimmungsgedanken des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Der Einzelne soll grundsätzlich selbst darüber entscheiden können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will, ob und inwieweit von Dritten über seine Persönlichkeit verfügt werden kann.94 Grenzen zieht freilich die wahre Berichterstattung, jedenfalls wenn die Sozial- oder die Öffentlichkeitssphäre betroffen ist.95 Daraus folgt: Wenn erst die wahre Tatsachenbehauptung dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen Grenzen zieht, ist dieses Recht gegenüber jeder Äußerung unterhalb der Schwelle zur erwiesenen Wahrheit schutzwürdig.96 Der Erklärende trägt folglich prinzipiell das Risiko der Nichterweislichkeit seiner Behauptung.97 Abgenommen wird es ihm erst, wenn er darlegen und ge92

Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 358 Rn. 4 f., § 358a Rn. 11. Musielak/Voit/Lackmann, ZPO (13. Aufl. 2016), § 91 Rn. 11. 94 BVerfGE 35, 202, 220; 54, 148, 155; 63, 131, 142; 65, 1, 42; 119, 1, 24; BVerfG, NJW 2001, 503, 505; 2003, 3262, 3263; 2005, 883; 2006, 3406, 3407; BGH, NJW 1991, 1532, 1533; 2004, 762, 763; 2009, 2888, 2891 (insoweit in BGHZ 181, 328 nicht abgedruckt); 2009, 3030; 2012, 767, 769; GRUR 1994, 913, 914; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 5.16. 95 BVerfGE 101, 361, 380 f.; BVerfG, NJW 2001, 503, 506; 2005, 883, 884; 2010, 1587, 1589; ZUM-RD 2010, 657, 661; BGH, NJW 2009, 2888, 2891 (insoweit in BGHZ 181, 328 nicht abgedruckt); 2009, 3030; Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 64; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2 (13. Aufl. 1994), § 80 II. 5. a); vgl. auch BVerfGE 65, 1, 43 f. zur informationellen Selbstbestimmung. 96 Stern, in: FS für Oehler (1985), 473, 477 f.; wohl auch Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 5.17. 97 Stern, in: FS für Oehler (1985), 473, 477 f.; Ossenbühl, JZ 1995, 633, 639. 93

190 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung gebenenfalls beweisen kann, dass er in Wahrnehmung berechtigter Interessen handelte,98 also insbesondere die Sorgfaltspflichten zum Schutz der fremden Persönlichkeit beachtet habe.99 Daran fehlt es freilich, wenn der Erklärende sich – was für die potentielle beabsichtigte Lüge charakteristisch ist – über diese Sorgfaltspflichten sogar vorsätzlich hinweggesetzt hat.100 Es besteht dann kein Anlass, die Unwahrheit im Rahmen einer Beweisaufnahme bestätigen zu lassen. 4. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Der zweite Aspekt betrifft die informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen. Denn wenn die objektive Wahrheit oder Unwahrheit der beabsichtigten Lüge im Verfahren durch eine Beweiserhebung überprüft werden soll, dann muss er sich – sei es wegen seiner eigenen Beweislast oder wegen § 138 Abs. 2 ZPO – an der Sachverhaltsaufklärung beteiligen. Er wird zunächst in eine Verteidigungsposition gedrängt und muss gegen die Vorwürfe des Gegners angehen. Dabei besteht jedenfalls die abstrakte Gefahr, dass er zur zweckgemäßen Verteidigung Umstände offenbaren muss, die er andernfalls hätte geheimhalten können.101 Dass diese erzwungene Öffnung der eigenen Sphäre durch eine Konstellation legitimiert werden sollte, in der der Erklärende selbst von der Unwahrheit seiner Behauptung ausgeht, überzeugt nicht. 5. Der nachfolgende Wahrheitsbeweis Und schließlich bedeutet der Verzicht auf eine objektive Wahrheitsprüfung im Wege der Beweisaufnahme auch keineswegs, dass die Behauptung auch dann nicht wiederholt werden dürfte, wenn sich – auf welchem Wege auch immer – später die Wahrheit der vermeintlichen Lüge erweist. Denn in diesem Fall fehlt es ab dem Zeitpunkt der Erweislichkeit an einer Rechtsverletzung in der Person des Betroffenen,102 es sei denn, die Tatsache dürfte unter dem Gesichtspunkt der informationellen Selbstbestimmung auch im Fall ih98 BVerfG, NJW 1991, 2074, 2075; BGHZ 132, 12, 23; 139, 95, 105; BGH, NJW 1959, 2011, 2013; 1981, 2117, 2120; 1985, 1621, 1622; 1987, 2225, 2226; 1993, 525, 527; 1993, 930, 931; Löffler/Steffen, Presserecht (5. Aufl. 2006), § 6 LPG Rn. 99; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.139. 99 BVerfGE 114, 339, 353; BGHZ 132, 12, 23 f.; BGH, NJW 1985, 2644, 2647; 1987, 2225, 2227; J. Hager, AcP 196 (1996), 168, 194, 200 f.; Rhode, Publizistische Sorgfalt und redaktionelle Rechtspflichten (2004), 17 f. 100 Vgl. allgemein für Verstöße gegen Sorgfaltspflichten BGH, GRUR 1975, 36, 38; Rhode, Publizistische Sorgfalt und redaktionelle Rechtspflichten (2004), 18. 101 BGH, GRUR 1975, 36, 38; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.133. 102 Aus einfachrechtlicher Perspektive des § 186 StGB fehlt es dann an der objektiven Bedingung der Strafbarkeit (vgl. MünchKomm/Regge/Pegel, StGB [2. Aufl. 2012] § 186 Rn. 25).

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rer Wahrheit nicht verbreitet werden.103 Das darf freilich nicht mit einer nachträglichen Rechtfertigung der beabsichtigten Lüge mit Wirkung ex tunc verwechselt werden.

III. Die Tatsachenbehauptung ins Blaue hinein Bei der ins Blaue hinein aufgestellten Tatsachenbehauptung ist die Einstellung des Erklärenden zu Wahrheit oder Unwahrheit seiner Äußerung indifferent. Nach allgemeinem Verständnis behauptet der Erklärende dann etwas ins Blaue hinein, wenn er sich ohne Erkenntnisgrundlage über Tatsachen äußert.104 Die Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 1 GG sieht auch die ins Blaue hinein aufgestellte als einen Unterfall der bewusst unwahren Tatsachenbehauptung an,105 behandelt sie also trotz fehlender Feststellungen zur inneren Tatseite nicht anders als die absichtliche und die potentielle beabsichtigte Lüge. Diese Sichtweise findet zumindest in gewissem Umfang eine Parallele im sonstigen einfachen Recht. Das betrifft namentlich die Fälle, in denen es um vorsätzliche Täuschungen geht, insbesondere bei § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, bei § 444 BGB und § 263 Abs. 1 StGB. Auch dort wird zwischen der direkt vorsätzlichen Täuschung und der Behauptung ins Blaue hinein im Ergebnis nicht differenziert.106 Der wesentliche Unterschied zum äußerungsrechtlichen Vorgehen besteht allerdings darin, dass § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, § 444 BGB und § 263 StGB jeweils die objektive Unwahrheit der Tatsache voraussetzen,107 während das Äußerungsrecht die Behauptung allein deshalb aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG herausnimmt, weil sie ins Blaue hinein aufgestellt ist. Dass das Äußerungsdeliktsrecht auf Feststellungen zum objektiven Wahrheitsgehalt verzichtet, ist in dieser Fallgruppe durch letztlich identische Erwägungen gerechtfertigt wie im Fall der potentiellen beabsichtigten Lüge. Der Zweck, das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu schützen, trifft auf die 103 Zur Unerheblichkeit der Wahrheit oder Unwahrheit im Fall der Verletzung der informationellen Selbstbestimmung des Betroffenen vgl. nur J. Hager, AcP 196 (1996), 168, 191. 104 BGHZ 63, 382, 388; 168, 64, 69; BGH, NJW 1980, 2460, 2461; 1981, 1441, 1442; 1995, 955, 956 (insoweit in BGHZ 128, 307 nicht abgedruckt); 2008, 644, 648; NJW-RR 1986, 700; 1992, 779, 780; 2003, 169, 170; OLG Hamm, NJW-RR 2010, 1643, 1644; BeckOK/Wendtland, BGB (37. Ed. 2015), § 123 Rn. 17; Staudinger/Singer/von Finckenstein, BGB (2012), § 123 Rn. 47. 105 BVerfG, NVwZ 2008, 416, 417; OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 2003, 37, 38; OLG Hamburg, GRUR-RR 2003, 53, 54; differenzierend aber Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 96. 106 BGHZ 168, 64, 69 (zu § 123 BGB); Jauernig/Berger, BGB (16. Aufl. 2015), § 444 Rn. 9; Fischer, StGB (62. Aufl. 2015), § 263 Rn. 180. 107 Staudinger/Singer/von Finckenstein, BGB (2012), § 123 Rn. 6; BGHZ 74, 383, 392 (zu § 444 BGB); Jauernig/Berger, BGB (16. Aufl. 2015), § 444 Rn. 9; Schönke/Schröder/Cramer, StGB (29. Aufl. 2014), § 263 Rn. 6.

192 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Behauptung ins Blaue hinein in gleicher Weise zu wie auf die potentielle beabsichtigte Lüge. Denn der Erklärende gefährdet das fremde Persönlichkeitsrecht bereits dadurch, dass er Tatsachen un- oder nicht ausreichend überprüft als wahr behauptet und es damit dem Zufall überlässt, ob der Angriff sich später als objektiv zutreffend erweist oder nicht. Bereits gegen diese Gefährdung soll das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abgeschirmt werden.108 Damit stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Zwar darf der Erklärende Tatsachen behaupten, deren objektiver Wahrheitsgehalt ungeklärt bleibt oder die sich später als unwahr erweisen, ohne zivilrechtlich auf Schadensersatz, Widerruf oder – gegebenenfalls – auch Unterlassung109 in Anspruch genommen zu werden. Unter Umständen muss es der Betroffene also ertragen, dass der Erklärende womöglich unwahre Behauptungen über ihn aufstellt. Die Kehrseite dieses wegen der Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 GG berechtigten Privilegs besteht aber darin, dass der Erklärende sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten ausschöpft, um das Risiko einer unwahren Behauptung so gering wie möglich zu halten.110 Jedenfalls dann, wenn er solche Recherchemaßnahmen vorsätzlich und vollständig unterlässt, ist er bösgläubig, was den Wahrheitsgehalt seiner Behauptung anbelangt. Dabei offenbart sich die Missachtung der Sorgfaltspflichten zum Schutz des fremden Persönlichkeitsrechts in den fehlenden Belegtatsachen. Dies rechtfertigt es, seine Äußerungen allein aus diesem Grund als unwahr zu behandeln, selbst wenn sie – was unaufgeklärt bleibt – womöglich objektiv doch wahr sein sollten.

C. Die subjektiv unwahre Behauptung in der forensischen Psychologie Jenseits dieser dogmatischen Erwägungen lässt sich der Zusammenhang zwischen der fehlenden Belegtatsache, der Bösgläubigkeit des Erklärenden und der bewussten Unwahrheit seiner Behauptung auch mit Erkenntnissen der forensischen Psychologie aufzeigen, namentlich anhand der Regeln über die Aussageanalyse (auch: „Glaubhaftigkeitslehre“).

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Stern, in: FS für Oehler (1985), 473, 477. Stellt sich die objektive Unwahrheit später heraus, hängt die Begründetheit des Unterlassungsanspruchs davon ab, ob auch nach der Klärung des Sachverhalts eine Wiederholungsgefahr besteht. 110 J. Hager, AcP 196 (1996), 168, 194. 109

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I. Die Beurteilungskriterien der Aussageanalyse 1. Die Undeutsch-Hypothese Die Grundlage der Aussageanalyse ist die sog. Undeutsch-Hypothese: Aussagen über Selbsterlebtes unterscheiden sich in ihrer Qualität von Aussagen über Nichterlebtes.111 Folglich geht es im unmittelbaren Anwendungsbereich aussageanalytischer Regeln um die Feststellung, ob der Erklärende den Gegenstand seiner Aussage tatsächlich selbst erlebt hat („realer Erlebnishintergrund“)112 oder ob es sich um ein Fantasiegebilde handelt.113 Zentrale Erkenntnisquelle ist dabei die Aussage selbst, die anhand bestimmter immanenter Merkmale auf den realen Erlebnishintergrund hin überprüft wird.114 2. Die aussageanalytische Nullhypothese als methodischer Ausgangspunkt Der methodische Ausgangspunkt ist die aussageanalytische Nullhypothese: Es ist zunächst die Unwahrheit der Aussage zu unterstellen und zwar bis zu dem Moment, in dem die Unterstellung der Unwahrheit sich wegen der festgestellten Tatsachen – sog. Realkennzeichen115 (synonym: „Realitätskriterien“116) – nicht mehr aufrechterhalten lässt.117 Die einzelnen Realkennzeichen seien zwar jeweils für sich betrachtet nur von geringem Aussagewert; dieser Aussagewert lasse sich aber steigern, wenn man mehrere Realkennzeichen miteinander kombiniere.118 Jedoch dürfe weder aus einem festgestellten Kennzeichen zwingend auf die Glaubhaftigkeit der Behauptung geschlossen werden noch sei es methodisch zulässig, aus dem Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Merkmalen im Sinne eines Schwellenwertes auf die Qualität einer Aussage zu schließen.119 Nach anderer Ansicht soll zumindest eine Untergrenze bestehen. Danach solle eine Aussage nicht als glaubhaft eingestuft werden, wenn nicht mindestens drei qualitativ wirklich gute Einzelkriterien eindeutig festgestellt seien, die mindestens zwei verschiedenen der sechs Globalkriterien zuordenbar seien.120 111 Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 125 f.; ihm folgend Wegener, Einführung in die forensische Psychologie (1981), 52 f.; Steller/Volbert, in: dies., Psychologie im Strafverfahren (1. Aufl. 1997), 12, 16 f.; Greuel, Wirklichkeit – Erinnerung – Aussage (2001), 317; Bender/ Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 238. 112 BGH, BeckRS 2002, 5106. 113 BGHSt 45, 164, 167 f. 114 Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 126. 115 BGHSt 45, 164, 171; Widmaier/Köhnken, Strafverteidigung (2. Aufl. 2014), § 61 Rn. 52. 116 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (3. Aufl. 2007), Rn. 417. 117 BGHSt 45, 164, 168; OLG Stuttgart, NJW 2006, 3506; LAG Niedersachsen, NZA-RR 2009, 126, 129. 118 BGHSt 45, 164, 171. 119 BGHSt 45, 164, 171. 120 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 504; mit den Globalkriterien sind in diesem Zusammenhang offenbar folgende, im Verlaufe ihres zweiten

194 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung 3. Die Realkennzeichen zur Entkräftung der aussageanalytischen Nullhypothese Die einzelnen Realkennzeichen basieren auf der empirisch belegten Prämisse,121 dass sich die Anforderungen an die geistige Leistung des Erklärenden unterscheiden, je nachdem ob er eine wahre Begebenheit aus dem eigenen Wahrnehmungskreis schildert oder ob er eine bewusst unwahre Behauptung aufstellt.122 Denn im ersten Fall rekonstruiert der Erklärende das Geschehen aus seinem Gedächtnis, während er im zweiten Fall aus seinem gespeicherten Allgemeinwissen ein neues Geschehen erfinden muss.123 Als Hypothese gilt, dass erfundene Geschichten im Vergleich zu tatsächlich erlebten Geschichten wesentlich weniger elaboriert ausfallen, was sich auch mit Mitteln der Inhalts-/Aussageanalyse feststellen lässt.124 Mit dem Bundesgerichtshof ist dabei zunächst die Aussagequalität unter Einschluss der Fehlerquellenanalyse zu ermitteln; es schließt sich die Gegenprobe in Form der Konstanzanalyse an.125 a) Inhalts- und Konstanzanalyse In einem ersten Schritt wird die Aussagequalität durch eine Inhalts- und Konstanzanalyse gemessen. Die Inhaltsanalyse setzt sich mit dem Text der Aussage auseinander und unterzieht sie unterschiedlichen Prüfungsparametern. Der Bundesgerichtshof nennt etwa die logische Konsistenz, den quantitativen Detailreichtum, raum-zeitliche Verknüpfungen, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, Entlastung des Betroffenen und delikts-

121 Kapitels erörterten Indikatoren gemeint: Detail- und Individualitätskriterium, Strukturgleichheit und Nichtsteuerungskriterium, Homogenität und Konstanz. Ob gerade diese Aufzählung für sich Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, ist freilich zweifelhaft. 121 Vgl. dazu etwa Greuel, Wirklichkeit – Erinnerung – Aussage (1. Aufl. 2001), 319. 122 Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 126. 123 Greuel, Wirklichkeit – Erinnerung – Aussage (1. Aufl. 2001), 317 formuliert dies folgendermaßen: „Eine Antwort auf die Frage, warum sich erlebnisgestützte Aussagen von erlebnisfern konstruierten Aussagen unterscheiden ist demnach: Autobiographische Erlebnisse werden auf eine spezifische Art und Weise enkodiert und gedächtnismäßig repräsentiert. Erlebnisse, die nicht als auf das individuelle Selbst bezogen und damit nicht als autonoetisch erfahren werden, können auch nicht als autonoetisch repräsentiert und schließlich reproduziert werden.“ 124 Steller/Volbert, in: dies., Psychologie im Strafverfahren (1. Aufl. 1997), 12, 16; im Anschluss an Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 125 f.: „Die Hypothese lautet: Aussagen über selbst erlebte faktische Begebenheiten müssen sich von Äußerungen über nicht selbst erlebte Vorgänge unterscheiden durch Unmittelbarkeit, Farbigkeit und Lebendigkeit, sachliche Richtigkeit und psychologische Stimmigkeit, Folgerichtigkeit der Abfolge, Wirklichkeitsnähe, Konkretheit, Detailreichtum, Originalität und – entsprechend der Konkretheit jedes Vorfalles und der individuellen Erlebnisweise eines jeden Beteiligten – individuelles Gepräge. Wer etwas erzählt, was er nicht selbst in der Realität erlebt hat, spricht unvermeidlich davon ‚wie der Blinde von den Farben‘.“; kritisch Eisenberg, StPO (9. Aufl. 2015), Rn. 1427; zu diesen Kritikpunkten wiederum Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 167 ff. 125 BGHSt 45, 164, 175; ähnlich LAG Niedersachsen, NZA-RR 2009, 126, 129.

§ 10 Die Rechtfertigung der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung 195

spezifische Aussageelemente.126 Undeutsch zählt als positive Realkennzeichen unter anderem auf, dass die Schilderung des Geschehens ausgezeichnet sei durch Konkretheit, Anschaulichkeit, Originalität und individuelle Durchzeichnung;127 ferner nennt er ebenfalls innere Stimmigkeit und Folgerichtigkeit.128 Die Bandbreite präsentierter Realkennzeichen variiert je nach Publikation, wobei sich einzelne Elemente bestenfalls mit Mühe trennscharf voneinander abgrenzen lassen.129 Doch kehren die im vorliegenden Zusammenhang in erster Linie interessanten Kriterien „logische Konsistenz“ und „Detailreichtum“ konstant wieder. Inhaltliche Konsistenz und Detailreichtum sind dabei grundsätzlich notwendige Bedingungen, um eine Aussage als glaubhaft einstufen zu dürfen.130 Fehlt es an einem dieser Kriterien, dann bleibt die Nullhypothese unwiderlegt und die Behauptung darf ohne Weiteres als bewusst unwahr behandelt werden.131 Inhaltliche Konsistenz einer Aussage bedeutet, dass die Behauptung für den nachdenkenden Empfänger nachvollziehbar sein muss, und dass sie mit den Naturgesetzen in Einklang steht.132 Detailreichtum meint zunächst die rein zahlenmäßige Menge von näheren Einzelheiten rund um den Behauptungsgegenstand.133 Sie können sowohl das rechtlich relevante Kerngeschehen als auch Neben- oder Begleitumstände betreffen, die für den eigentlichen Subsumtionsschluss irrelevant sind.134 Freilich können ausführliche Schilderungen rechtlich irrelevanter Umstände eine Detailarmut im relevanten Kernbereich nicht kompensieren.135 Für die qualitative Bewertung von Details ist insbesondere ihre Originalität entscheidend.136 Das leuchtet ein: Denn Stereotype kann der Erklärende ohne größere geistige Anstrengung aus seinem gespeicherten 126 BGHSt 45, 164, 170 f.; vgl. auch Steller/Volbert, in: dies., Psychologie im Strafverfahren (1. Aufl. 1997), 12, 16. 127 Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 135. 128 Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 138. 129 Greuel, Wirklichkeit – Erinnerung – Aussage (1. Aufl. 2001), 318. 130 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 296. 131 Vgl. BGH, NStZ-RR 2003, 206, 207; OLG Brandenburg, BeckRS 2009, 19418; nach Steller/Volbert, in: dies., Psychologie im Strafverfahren (1. Aufl. 1997), 12, 25 ist zwar jede schematische Verwendung der inhaltlichen Realkennzeichen fehlerhaft. Doch dürfte das nur den umgekehrten Fall betreffen, vom Vorliegen bestimmter Kennzeichen reflexhaft auf die Glaubhaftigkeit rückzuschließen. Dieser Ansatz verbietet es demnach nicht, Mindestbedingungen für die Glaubhaftigkeit einer Aussage zu formulieren, bei deren Fehlen auf Unglaubhaftigkeit geschlossen werden darf. 132 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 299; der Sache nach auch Widmaier/Köhnken, Strafverteidigung (2. Aufl. 2014), § 61 Rn. 54. 133 Widmaier/Köhnken, Strafverteidigung (2. Aufl. 2014), § 61 Rn. 56. 134 BGHSt 46, 93, 102; OLG Stuttgart, BeckRS 2000, 30144164; Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 135. 135 BGH, NStZ-RR 2003, 206, 207. 136 BGH, BeckRS 2002, 5106; Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 138; Widmaier/ Jansen, Strafverteidigung (2. Aufl. 2014), § 35 Rn. 19.

196 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Allgemeinwissen in sein Fantasiegebilde einflechten. Indes müssen bei der Forderung nach Detailschilderungen in bestimmten Konstellationen Abstriche gemacht werden. Die Aussagekraft fehlender Details wider die Glaubhaftigkeit der Aussage ist nämlich an die Erwartbarkeit von Details gekoppelt.137 Das gilt insbesondere für Aussagen über negative Tatsachen.138 b) Die Bewertung der festgestellten Realkennzeichen Wenn erklärungsimmanente Realkennzeichen feststellbar sind, dürfen diese in der Folge nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr hat eine Gesamtschau mit anderen außerhalb der Aussage selbst liegenden Umständen stattzufinden.139 Als solche kommen insbesondere andere Aussagen140 und andere Tatsachen141 in Betracht. Solche anderen Tatsachen können anderweitig feststehende faktische Lebensumstände ebenso sein wie Gesetzmäßigkeiten naturwissenschaftlicher, medizinischer oder psychologischer Art.142 Widerspricht die Aussage feststehenden Tatsachen, streitet dies grundsätzlich entscheidend gegen die Glaubhaftigkeit143 und die Nullhypothese bleibt im Ergebnis unwiderlegt. Die Gesamtschau mehrerer Aussagen kann schließlich selbst dann zur Glaubhaftigkeit der Aussage und des durch sie vermittelten Tatsachengehalts führen, wenn jede Einzelaussage für sich genommen dazu nicht ausreichte.144

II. Aussageanalytische und äußerungsrechtliche Methoden zur Bestimmung subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptungen 1. Die nur eingeschränkte Übertragbarkeit aussageanalytischer Methoden Nun können die Regeln über die Aussageanalyse nicht unbesehen und vor allem nicht uneingeschränkt mit den Methoden des allgemeinen Äußerungsdeliktsrechts zur Bestimmung lediglich subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptungen gleichgesetzt werden. Zu unterschiedlich sind Ziele und Situationen. Denn die Methoden der Aussageanalyse sind in aller Regel vor dem Hintergrund des Strafprozesses zu verstehen, meist in der schwierigen Situation, dass 137

Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 301. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 302. 139 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 494. 140 BGH, BeckRS 2010, 21226; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 513. 141 Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 127; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 514. 142 Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 127. 143 Undeutsch, Forensische Psychologie (1967), 128; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 530, 534 jeweils auch zu den Grenzen einer solchen Gegenprüfung. 144 BGH, BeckRS 2010, 21226. 138

§ 10 Die Rechtfertigung der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung 197

nur ein relevanter Belastungszeuge existiert und seine Aussage gegen die des Beschuldigten oder Angeklagten steht.145 Folglich findet in diesen Situationen eine eingehende Untersuchung mit wissenschaftlichen Methoden statt, deren Ziel es ist, zu einem abschließenden Urteil über die Glaubhaftigkeit der Aussage zu gelangen. Demgegenüber begnügt sich die äußerungsdeliktische Methode mit einer Grobeinschätzung über die Glaubhaftigkeit der Behauptung. Denn hier geht es lediglich darum, noch vor einer Beweiserhebung solche Äußerungen herauszufiltern, die mit einiger Sicherheit unwahr sind. Nur in diesen Fällen wird dem Erklärenden böser Glaube attestiert und seine Aussage als subjektiv unwahr behandelt. Einer definitiven Aussage über Wahrheit oder Unwahrheit der Behauptung bedarf es hingegen nicht. Ist die Behauptung nämlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit als subjektiv unwahr qualifiziert, so wird ihr objektiver Wahrheitsgehalt im Rahmen der Beweisaufnahme überprüft. Dennoch zeichnet die äußerungsrechtliche Methode – wenn auch unter insoweit zulässiger Vergröberung – wesentliche aussageanalytische Erkenntnisse nach. Das führt zu der Schlussfolgerung, dass es sich bei der äußerungsrechtlichen Methode zur Bestimmung bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen letztlich um angewandte Aussageanalyse handelt, die ihrerseits das äußerungsrechtliche Vorgehen rechtfertigt und bestätigt. 2. Behauptungen über selbst erlebte Tatsachen a) Die Nullhypothese zu Gunsten des Betroffenen Im Ausgangspunkt ist die Äußerung zu betrachten. Ihr subjektiver oder gar objektiver Wahrheitsgehalt spielt juristisch keine Rolle, bis es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung hierüber kommt, in der hoheitlich über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Äußerung zu entscheiden ist. Erst in dieser Situation geraten der Erklärende und seine Äußerung unter Rechtfertigungsdruck. Jetzt verlangt die von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht entwickelte Methode dem Erklärenden Belegtatsachen ab, aufgrund derer er seine Behauptung für wahr halten durfte. Liefert er sie nicht, wird die Behauptung als unwahr behandelt.146 Folglich geschieht bei der äußerungsdeliktischen Methode im Ergebnis nichts anderes, als die streitgegenständliche Äußerung der aussageanalytischen 145

Vgl. etwa Maier, NStZ 2005, 246. BGH, GRUR 1975, 36, 38: hier wird eine inhaltliche Aussage über die streitgegenständliche Äußerung getroffen. Es geht nicht lediglich darum, dem Erklärenden das Risiko der Nichterweislichkeit seiner Aussage zuzuweisen (wörtlich: „Solange der Bekl. dieser seiner Darlegungspflicht nicht nachkommt, sind nicht nur seine eigenen Beweisantritte schon nach allgemeinen Grundsätzen unbeachtlich; es kann vielmehr von der Unwahrheit und damit Rechtswidrigkeit der umstrittenen Behauptungen auch insoweit ausgegangen werden, als die Beweispflicht an sich den Kl. trifft.“). 146

198 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Nullhypothese zu unterwerfen, sie also bis zur Präsentation ausreichender Belegtatsachen als unglaubhaft und bewusst unwahr zu behandeln. Stellt das Gericht des Äußerungsprozesses sodann mangels ausreichender Belegtatsachen fest, dass die streitgegenständliche Behauptung wie eine unwahre zu behandeln sei, erfolgt diese Schlussfolgerung allein aufgrund der unwiderlegt gebliebenen Nullhypothese, und nicht etwa deshalb, weil das Fehlen von Realkennzeichen eine positive Aussage über die objektive Unwahrheit zuließe.147 b) Belegtatsachen als Realkennzeichen der Äußerung Folglich ist es nicht die Abwesenheit von Belegtatsachen, die die subjektive Unwahrheit positiv begründet, vielmehr ist es die Präsentation von Belegtatsachen, die die zuvor unterstellte bewusste Unwahrheit zumindest so weit abschwächt, dass der Betroffene zur Gegenäußerung veranlasst wird und gegebenenfalls eine Überprüfung der Äußerung auf ihren objektiven Wahrheitsgehalt mittels Beweises in Betracht kommt. Die Belegtatsachen sind demnach die aussageimmanenten Realkennzeichen der Äußerung. Entsprechend der beschränkten Zwecksetzung der äußerungsrechtlichen Methode zur Ermittlung subjektiv unwahrer Tatsachen gelangen hier wesentlich weniger Realkennzeichen tatsächlich zur Anwendung als die Aussageanalyse zur Verfügung stellt. Letztlich reduzieren sich die Realkennzeichen, die als Belegtatsachen berücksichtigungsfähig sind, daher auf diejenigen Indikatoren, bei deren Fehlen die Nullhypothese aus aussageanalytischer Perspektive mit Sicherheit nicht widerlegt ist. In erster Linie geht es um Konsistenz und Detailreichtum, wobei im Hinblick auf die Details gegebenenfalls noch die Verknüpfung mit objektiven räumlich-zeitlichen Faktoren eine Rolle spielen kann.148 c) Die Gegenäußerung als Realkennzeichen für die Tatsachenbehauptung Die Aussageanalyse führt den Einfluss anderer Aussagen meist nicht unter dem Oberbegriff des Realkennzeichens auf, sondern behandelt ihn im Rahmen der Gesamtschau. Doch hat die Entgegnung des Betroffenen wesentliche Bedeutung für die Glaubhaftigkeit der Äußerung des Erklärenden, so dass man für die Zwecke der äußerungsrechtlichen Methode durchaus von der Entgegnung als Realkennzeichen der Äußerung sprechen kann. Freilich handelt es sich dabei um eine untechnische Begriffswahl. Im Einzelnen verbirgt sich dahinter folgender Gedankengang: Sofern es dem Erklärenden gelingt, als Realkennzeichen so viele Belegtatsachen beizubringen, dass seine Äußerung jedenfalls nicht von vornherein als unglaubhaft einzustufen ist, ist der Betroffene zur Gegenäußerung veranlasst. Widerspricht er nicht oder widerspricht er inhaltlich nicht ausreichend – liefert er also keine 147 148

Greuel, Wirklichkeit – Erinnerung – Aussage (1. Aufl. 2001), 315. Vgl. BGHSt 46, 93, 102.

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Realkennzeichen für die Glaubhaftigkeit seiner Entgegnung –, so ist dies ein entscheidender Indikator für die Wahrheit der Tatsachenbehauptung. Dieser Indikator wird im Äußerungsprozess dann auch deshalb nicht weiter hinterfragt, weil die Auseinandersetzung allein das Verhältnis des Erklärenden und des Betroffenen zueinander angeht. Das findet seine Entsprechung im außerprozessualen Bereich. Stellt der Erklärende eine Tatsachenbehauptung selbst ohne jede Belegtatsache auf und tritt der Betroffene ihr nicht entgegen, kommt es gar nicht erst zur äußerungsrechtlichen Auseinandersetzung und die Behauptung gerät nicht unter Rechtfertigungsdruck. d) Realkennzeichen wider die Unglaubhaftigkeit der Gegenäußerung Zu betrachten bleiben diejenigen Belegtatsachen, die der Betroffene zu benennen hat, damit seine Gegenäußerung erheblich ist. Das Äußerungsrecht verlangt eine konkrete Entgegnung, die inhaltlich nicht notwendig auf eine Stellungnahme zu den Belegtatsachen für die Äußerung beschränkt ist. Auch dieses äußerungsrechtliche Vorgehen findet seine Entsprechung in der Aussageanalyse. So wird dort jede Aussage isoliert betrachtet und auf das Vorliegen von Realkennzeichen überprüft.149 Daraus, dass die Äußerung und die Entgegnung zunächst isoliert betrachtet und im Übrigen gleich behandelt werden, folgt weiter, dass hinsichtlich Konsistenz und Detailreichtum an die Entgegnung dieselben Anforderungen zu stellen sind wie an die Äußerung. 3. Behauptungen über nicht selbst erlebte Tatsachen Gerade in äußerungsrechtlichen Fällen geht es jedoch sehr häufig um Konstellationen, in denen von vornherein nicht zur Debatte steht, dass der Erklärende den Gegenstand seiner Äußerung selbst erlebt hat. Vielmehr steht fest, dass er das Berichtete aus einer Fülle von Belegtatsachen rekonstruiert, die sich allesamt außerhalb seines eigenen Wahrnehmungsbereichs abgespielt haben. Das betrifft nicht nur weite Bereiche journalistischer Tätigkeit, sondern auch – wie etwa das Beispiel der kritischen Bayer-Aktionäre150 zeigt – Laien, die die Ergebnisse der Recherchen anderer weiterverbreiten. Die Undeutsch-Hypothese ist auf diese Fälle von vornherein ebenso wenig zugeschnitten wie zahlreiche auf ihr basierende Regeln der Aussageanalyse. Denn im Kern suchen die dort angelegten Kriterien danach, ob der Erklärende das von ihm Berichtete tatsächlich selbst erlebt hat.151 149 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 513, die anderes für die Erwiderung im Zivilprozess gelten lassen wollen, hierfür aber keine Begründung liefern (Rn. 309). 150 BVerfGE 85, 1. 151 Siehe nur BGHSt 45, 164, 167 f.

200 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Dennoch können aussageanalytische Erkenntnisse für diese Konstellationen nutzbar gemacht werden. Denn auch hier geht es um die Abgrenzung zwischen einem geschehenen und einem frei erfundenen Lebenssachverhalt. Ob der Erklärende den Sachverhalt aber unmittelbar selbst erlebt oder anhand objektiver Quellen rekonstruiert hat, bedeutet für die Analyse der Äußerung mittels aussageimmanenter Merkmale lediglich einen graduellen Unterschied. Das zeigt etwa die verfahrensrechtliche Parallele des Zeugen vom Hörensagen. Dieser ist ein grundsätzlich anerkanntes, wegen seiner abstrakt-generell zu befürchtenden Unzuverlässigkeit jedoch weniger belastbares Erkenntnismittel.152 Zwar berichtet der Zeuge vom Hörensagen ebenfalls von eigenen konkreten Wahrnehmungen.153 Doch beschränken sich seine Wahrnehmungen und sein Bericht auf sekundäre Quellen, so dass der Zeuge vom Hörensagen lediglich mitteilen kann, was ein Dritter ihm aus eigener Wahrnehmung über das Beweisthema mitgeteilt hat.154 Lässt man Aussagen vom Hörensagen aber dem Grunde nach zu, so müssen auch Mechanismen zur Glaubhaftigkeitsabschätzung zur Verfügung stehen.155 Wenn feststellbare Realkennzeichen dafür sprechen, dass der Erklärende über Selbsterlebtes berichtet,156 ist dieser Satz für den Zeugen vom Hörensagen dahin zu erweitern, dass er die behauptete Begegnung mit dem unmittelbaren Zeugen selbst erlebt hat und sich in diesem Zusammenhang an die Umstände erinnert, von denen er nun berichtet. Für die entsprechende Glaubhaftigkeitsschätzung sind dann wieder insbesondere die Kriterien Konsistenz und Detailreichtum heranzuziehen.157 Wenn außerdem mögliche Fehler in der Wahrnehmung des unmittelbaren Zeugen als Fehlerquelle für die Aussage des Zeugen vom Hörensagen Berücksichtigung finden sollen,158 dann betrifft das die Frage nach der objektiven Wahrheit und nicht diejenige nach der bloßen Glaubhaftigkeit der Aussage. Diese Erkenntnisse über den Zeugen vom Hörensagen sind folgendermaßen auf den äußerungsrechtlichen Erklärenden übertragbar: Der Zeuge vom Hörensagen verfügt im Hinblick auf den Beweisgegenstand ebenso wenig über originäres Eigenwissen wie der Erklärende bei Äußerungen über recherchierte und rekonstruierte Begebenheiten. Der einzige Unterschied besteht darin, dass als Quelle des Zeugen vom Hörensagen lediglich eine andere Person in Betracht kommt, nämlich derjenige, der den fraglichen Sachverhalt 152 BVerfG, NJW 1992, 168; 1996, 448, 449; BGH, NStZ 2004, 50; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 120 Rn. 58. 153 BGHZ 168, 79, 84; KK/Senge, StPO (7. Aufl. 2013), Vorb. Rn. 5. 154 BeckOK/Eschelbach, StPO (23. Ed. 2015), § 261 Rn. 52; Rebmann, NStZ 1982, 315; Detter, NStZ 2003, 1; vgl. auch BVerfG, NJW 1992, 168; 1996, 448, 449: Eine Form des „mittelbaren Beweises“. 155 Detter, NStZ 2003, 1, 6. 156 Steller/Volbert, in: dies., Psychologie im Strafverfahren (1. Aufl. 1997), 12, 24. 157 Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 373 Rn. 17. 158 BGHZ 168, 79, 84; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 373 Rn. 17.

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selbst unmittelbar wahrgenommen hat. Demgegenüber kann der äußerungsrechtliche Erklärende prinzipiell aus sämtlichen zur Verfügung stehenden Informationsquellen berichten. Für die Glaubhaftigkeitsprüfung bedeutet das aber keinen wesentlichen Unterschied. Übertragen auf die äußerungsrechtliche Methode fungieren in den Recherchekonstellationen die üblichen Realkennzeichen – in erster Linie also inhaltliche Konsistenz und Detailreichtum – dahin, dass der Erklärende objektive Quellen kennt, die den Schluss auf die behauptete Tatsache zulassen, und dass er diese selbst wahrgenommen hat.

D. Der Unterschied zur vorweggenommenen Beweiswürdigung Wenn das Gericht des Äußerungsprozesses die streitgegenständliche Behauptung infolge fehlender Belegtatsachen ohne Beweisaufnahme als eine bewusst unwahre behandelt, nimmt es auch keine verbotene vorweggenommene Beweiswürdigung vor. Zunächst ist der Unterschied rein formaler Natur. So betrifft die Beweiswürdigung allein die Prüfung der objektiven Wahrheit, die innere Einstellung der Parteien zu ihrem eigenen Vortrag spielt auf der Beweisebene hingegen keine Rolle mehr.159 Eine etwaige bewusste Unwahrheit ist vielmehr nur auf der Vortragsebene relevant, also im Vorfeld einer möglichen Beweiswürdigung.160 Es kommt hinzu, dass auch die aussageanalytischen Methoden sich lediglich zur bewussten Wahrheit oder Unwahrheit aus Perspektive des Erklärenden verhalten können, jedoch etwa Irrtümer nicht herausfiltern können, ohne äußere Faktoren hinzuzuziehen.161 Darüber hinaus besteht aber auch ein wesentlicher inhaltlicher Unterschied. Denn wenn es bei der Aussonderung nicht durch Belegtatsachen untermauerter Behauptungen um eine vorweggenommene Beweiswürdigung ginge, dann müsste diese in beide Richtungen funktionieren. Das heißt, es dürfte nicht nur beim Fehlen von Belegtatsachen die Unwahrheit als feststehend angesehen werden, es müsste auch aus dem Vorliegen von Belegtatsachen auf die Wahrheit zu schließen sein. Das ist aber nicht der Fall. Zunächst geht es bei der Forderung nach Belegtatsachen ausschließlich um eine Negativauslese, um eine Mindestbedingung, deren Erfüllung die richterliche Überzeugung in keiner 159 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 183; Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 37; ähnlich Blomeyer, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1985), 174. 160 AK-ZPO/E. Schmidt (1987) § 138, Rn. 21; Wiezcorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 13; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht (11. Aufl. 2009), Rn. 203. 161 Wegener, Einführung in die forensische Psychologie (1981), 45: „Viele falsche Angaben werden als subjektiv sicher reproduziert. Auch beim Wiedererkennen ist die subjektive Gewißheit kein reliabler Prediktor für die Genauigkeit.“; vgl. auch Steller/Volbert, in: dies., Psychologie im Strafverfahren (1. Aufl. 1997), 12, 13.

202 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Weise determiniert.162 Vielmehr kann der Betroffene auch im Fall beigebrachter Belegtatsachen die Unwahrheit der Behauptung nachweisen.163 Das Fehlen jeglicher Realkennzeichen in Form von Belegtatsachen bedeutet in diesem Zusammenhang somit lediglich, dass keine Anhaltspunkte für die Wahrheit sprechen, so dass sie rechtlich behandelt werden darf, als sei sie (subjektiv) unwahr. Nachdem aussageanalytische Erkenntnisse belegen, dass Aussagen ohne Realkennzeichen in aller Regel Fantasieprodukte darstellen, ist dieses Vorgehen nicht nur gerechtfertigt, sondern im Hinblick auf den Schutz der fremden Persönlichkeit aus Präventionsgründen sogar geboten.

Zwischenergebnis Wenn der äußerungsrechtliche Erklärende seine unbewiesene Tatsachenbehauptung nicht mit Belegtatsachen untermauert, ist sie nach äußerungsrechtlichen Kriterien selbst dann als unwahr zu behandeln, wenn der Erklärende sie lediglich für unwahr hält, obwohl sie objektiv zutreffen sollte („potentielle beabsichtigte Lüge“). Gleiches gilt für Aussagen ins Blaue hinein, bei denen der Erklärende entweder eine völlig indifferente Haltung zum Wahrheitsgehalt einnimmt oder sogar darauf hofft, wenigstens einen wahren Kern zu treffen. Der präventive Schutz der fremden Persönlichkeit rechtfertigt es dogmatisch, auch in diesen Konstellationen allein infolge der fehlenden Belegtatsachen den Erklärenden als bösgläubig und somit seine Behauptung als subjektiv unwahr einzuordnen. Außerdem ist es dem Betroffenen nicht zuzumuten, sich unter Öffnung seiner gegenüber der Öffentlichkeit abgeschirmten Sphäre gegen Behauptungen zu verteidigen, für deren Wahrheit der Erklärende keine Belegtatsachen benennt. Im Übrigen findet das äußerungsrechtliche Vorgehen zur Ermittlung (lediglich) subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptungen Vorbild und Rechtfertigung in den aussageanalytischen Methoden zur Glaubhaftigkeitsprüfung. So gilt im Sinne der aussageanalytischen Nullhypothese zunächst jede Tatsachenbehauptung als in bösem Glauben aufgestellt und damit als jedenfalls subjektiv unwahr. An der so beschriebenen Nullhypothese ist erst dann nicht mehr festzuhalten, wenn der Erklärende ausreichende Realkennzeichen benennt. Dieses Vorgehen zeichnet das äußerungsdeliktische Vorgehen nach, wenn danach eine Behauptung als subjektiv unwahr zu behandeln ist, die nicht mit den erwartbaren Belegtatsachen untermauert ist. Die Aussageanalyse unterwirft die Aussage und die Gegenaussage gleichermaßen der Nullhypothese und den Anforderungen an ihre Entkräftung. Dem162 Vgl. der Sache nach auch Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 123, wenngleich vor dem Hintergrund einer anderen Konstruktion. 163 BVerfGE 99, 185, 199; BVerfG, NJW 2004, 592.

§ 11 Gemeinsamkeiten von Tatsachenbehauptung und dem Parteivorbringen

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entsprechend betrifft im äußerungsdeliktischen Konflikt die Forderung nach erwartbaren Belegtatsachen nicht nur die Tatsachenbehauptung selbst, sondern auch die Entgegnung des Betroffenen.

§ 11 Gemeinsamkeiten von lediglich subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptung und dem Parteivorbringen A. Das Problem: Übertragbarkeit äußerungsdeliktischer Erkenntnisse auf den Prozess Nach der Analyse des materiellrechtlichen Haftungstatbestands der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung, geht es nun um die Frage, ob und gegebenenfalls wie die dort angewandten Methoden zur Ermittlung der subjektiven Unwahrheit auf das tatsächliche Vorbringen der Parteien des Zivilprozesses übertragbar sind. Zu einfach machte es sich dabei, wer unter Hinweis auf die allseitige Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO all diese Grundsätze kurzerhand für vollständig anwendbar erklärte, und zwar sowohl auf die Behauptungen der risikobelasteten Partei als auch auf das gegnerische Bestreiten. Eine solche Sichtweise überginge nämlich den Konflikt mit den Regeln über die Behauptungslasten, den eine solch voreilige Übertragung äußerungsrechtlicher Ermittlungsmethoden auf den Zivilprozess produzierte. Denn danach ist der Gegner der risikobelasteten Partei gerade nicht ohne Weiteres dazu gehalten, sein Bestreiten mit vollständigen Belegtatsachen zu unterlegen.164 Dementsprechend kann es auch nicht unmittelbar der aussageanalytischen Nullhypothese unterliegen.165 Jede Übertragung äußerungsrechtlicher Regeln über die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung und ihre Ermittlung auf das Parteivorbringen im Zivilprozess bedarf folglich sorgfältiger Abstimmung auf ebendiese Behauptungslasten. Diese Abstimmung setzt zuallererst einen sachlichen Zusammenhang zwischen den Regelungskomplexen über die innerprozessuale und die außerprozessuale Tatsachenbehauptung voraus.166 Dieser Zusammen164 BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015) § 138 Rn. 15; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 24; Heinze, in: FS für Beys (2003), 515, 532 f.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 138; der Sache nach auch BGH, NJW 1958, 1491, 1492; 1964, 1414; 1990, 3151; 1997, 128, 129; 2000, 1108, 1109; 2007, 155, 156; NZI 2008, 240, 241; BAG, NJW 2004, 2848, 2851; BB 2005, 1168, 1169; OLG Dresden, BKR 2007, 372, 374; OLG Frankfurt/Main, BeckRS 2005, 1731; 2007, 1566; OLG Düsseldorf, BeckRS 2007, 5070; OLG Hamm, BeckRS 2008, 20167; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 138 Rn. 16; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 20; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 26. 165 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (4. Aufl. 2014), Rn. 309. 166 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre (2. Aufl. 1991), 454.

204 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung hang ist gegeben, wenn die innerprozessuale Tatsachenbehauptung alle Merkmale eines äußerungsdeliktischen Konflikts begründet. Für diese Art von Konflikt ist das Aufeinanderprallen von Belangen der Meinungsfreiheit und des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts kennzeichnend.167

B. Das Parteivorbringen und Art. 5 Abs. 1 GG I. Die begriffliche Ebene Art. 5 Abs. 1 GG regelt die Äußerungsfreiheit letztlich umfassend. Wie bereits erwähnt, genießen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung grundsätzlich gleichermaßen den Schutz des Art 5 Abs. 1 GG. Zwar mag den bewusst (subjektiv) und den erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen der Schutz dieses Grundrechts versagt sein. Doch ist mit dieser Entscheidung gegen die grundrechtliche Schutzwürdigkeit zugleich das Urteil über ihre Rechtswidrigkeit gesprochen. Begrifflich gilt dabei prozess- wie äußerungsrechtlich ein identischer Tatsachenbegriff:168 Tatsachen sind danach konkrete, nach Raum und Zeit bestimmte, der Vergangenheit oder Gegenwart angehörende Zustände der Außenwelt und des menschlichen Seelenlebens,169 die beobachtbar, erforschbar 167 BVerfGE 30, 173, 193; 34, 269, 282; 35, 202, 223 f.; 75, 369, 379; 85, 1, 16; 86, 1, 10 f.; 101, 361, 388; 119, 1, 23 f.; 119, 309, 322 f.; 120, 180, 197; BVerfG, NJW 1988, 328; 1990, 1980; 1991, 1475, 1476; 1991, 2339; 1993, 1463, 1464; 1993, 1845, 1846; 1994, 1784, 1785; 1995, 184, 185; 1995, 1015; 1997, 2669, 2670; 1999, 2358, 2359; 1999, 3326, 3327; 2000, 1859, 1860; 2000, 2189; 2000, 2190; 2000, 2193; 2000, 2194; 2000, 2413, 2414; 2000, 3196, 3197; 2001, 61, 62 f.; 2001, 1921, 1922; 2002, 3267 f.; 2003, 1109, 1110 f.; 2003, 1856; 2003, 3262, 3263; 2003, 3760; 2004, 589 f.; 2004, 590, 591; 2004, 592; 2006, 2836, 2837; 2006, 3266, 3267; 2006, 3406, 3407; 2006, 3769, 3771; 2007, 2686, 2687; 2008, 1654, 1656; 2009, 749; 2009, 3016, 3017; 2009, 3357 f.; 2010, 1587, 1589; 2011, 47, 48; NJW-RR 2001, 411; 2007, 1191, 1193; 2007, 1340, 1341; 2010, 470, 471; 2010, 1195, 1196; MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 168; Staudinger/ J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 89; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Einl. Rn. 21. 168 BGH, NJW 1998, 1223, 1224; LAG Baden-Württemberg, BeckRS 2001, 30790478; 2001, 30863904; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 138 Rn. 13; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015) § 284 Rn. 2; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2013), § 284 Rn. 13; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 284 Rn. 9; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 524; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 49 Rn. 27; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 260; Paulus, Zivilprozessrecht (5. Aufl. 2013), Rn. 364; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 331a; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 111 Rn. 3; Schellhammer, Zivilprozess (14. Aufl. 2012), Rn. 342; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 475; vgl. auch Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 284 Rn. 2. 169 KG, BeckRS 1999, 7604; OLG Düsseldorf, VersR 2003, 984; OLG München, ZUM 2004, 491, 492; OLG Hamburg, NJOZ 2010, 1212, 1215; LG Bonn, NJW 2002, 3260, 3261; BeckOK/ Spindler, BGB (11/2013), § 824 Rn. 6; Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 73; Löff-

§ 11 Gemeinsamkeiten von Tatsachenbehauptung und dem Parteivorbringen

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und messbar sind170 und deshalb mit Mitteln des Beweises auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden können.171

II. Art. 5 Abs. 1 GG und konkurrierende Grundrechtspositionen Wenn der Sachvortrag der Parteien des Zivilprozesses begrifflich eine Tatsachenbehauptung im äußerungsrechtlichen Sinn ist, dann liegt es mehr als nur nahe, diese Behauptung auch dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG zu unterstellen. Zweifel können freilich aus der Zwecksetzung des Art. 5 Abs. 1 GG entstehen. So geht es dort in erster Linie um den Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage.172 Wer eine Tatsache in einen Zivilprozess einbringt, nimmt jedoch keinen Einfluss auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess, sondern versucht, seine subjektiven Interessen gegen die andere Partei durchzusetzen. Für die im Prozess geäußerte Tatsachenbehauptung könnten daher das rechtliche Gehör oder der effektive Rechtsschutz die sachnäheren Grundrechtspositionen sein. Jenseits des Prozesses als dem Kontext, in dem die Tatsachenbehauptung fällt, spricht jedoch kaum etwas dafür, statt Art. 5 Abs. 1 GG die Justizgrundrechte zu Gunsten der erklärenden Partei anzuführen. So richten sich die Justizgrundrechte als Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols gegen den Staat und verpflichten diesen, Mindeststandards beim Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz und bei der Ausgestaltung der Verfahren zu beachten.173 Hingegen sagen sie für das Verhältnis der Parteien untereinander unmittelbar nichts darüber aus, was die um Rechtsschutz ersuchende Partei zum Zwecke der Rechtsverfolgung über die andere vorbringen darf. Dieses Verhältnis ist – wie außerhalb des Prozesses auch – maßgeblich durch Art. 5 Abs. 1 GG geprägt.174 Mit der Begründung, dass den Parteien alle Äußerungen gestattet sein müssen, 170 ler/Sedelmeier, Presserecht (5. Aufl. 2006), § 11 LPG Rn. 89; Seitz/Schmidt, Gegendarstellungsanspruch (4. Aufl. 2010), Rn. VI. 4; mit geringfügig abweichender Formulierung auch Soergel/Beater, BGB (13. Aufl. 2005) § 824 Rn. 9. 170 MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 176. 171 BVerfGE 90, 241, 247; 94, 1, 8; BVerfG, NJW 1999, 483, 484; 1999, 2262, 2263; 1999, 3326, 3327; 2001, 2957, 2959; 2003, 277, 278; 2003, 1109, 1110; 2004, 1235; 2008, 358, 359; NJWRR 2001, 411; NJOZ 2008, 151, 153; BGHZ 3, 270, 273; 132, 13, 21; 139, 95, 102; BGH, NJW 1978, 751; 1987, 2225, 2227; 1993, 930, 931; 1994, 2614, 2615; 1999, 2736; 2004, 598, 599; 2005, 279, 281; 2008, 2110, 2114; 2008, 2262, 2263 (insoweit in BGHZ 176, 75 nicht abgedruckt); NJW-RR 2008, 913, 915; GRUR 1974, 797, 798; 1976, 210 f.; OLG München, ZUM 2004, 491, 492; Soergel/Beater, BGB (13. Aufl. 2005) § 824 Rn. 9; Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 73; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 4.43; Ossenbühl, ZUM 1999, 505, 509; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1289. 172 Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Einl. Rn. 1. 173 Uhle, in: HGR V (2013), § 129 Rn. 1. 174 J. Hager, AcP 196 (1996), 168, 177 f.

206 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung die zur Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen im Prozess zählen, mag man den Justizgrundrechten jedoch eine den Art. 5 Abs. 1 GG flankierende Wirkung zusprechen.175 Im Ergebnis besteht kein ernsthafter Zweifel daran, dass Tatsachenvorbringen im Zivilprozess und in anderen rechtlich geordneten Verfahren grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt.176

C. Das Parteivorbringen und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Damit die innerprozessuale Tatsachenbehauptung sämtliche Merkmale eines äußerungsdeliktischen Konflikts begründet, muss sie sodann das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Partei betreffen. Gemeint ist eine individuelle Betroffenheit. Für diese lässt es die h.M. ausreichen, dass die Behauptung sich in individueller, seine Interessensphäre berührender Weise auf den Betroffenen bezieht.177 Insbesondere muss die Äußerung nicht negativen Inhalts sein.178 Trotz dieses großzügigen Maßstabs bereitet die individuelle Betroffenheit der jeweiligen Partei einige Schwierigkeiten, wenn die Äußerung in einem Zivilprozess oder in einem sonstigen rechtlich geordneten Verfahren erfolgt.

I. Behauptungen über Verhaltensweisen der jeweils anderen Partei Diese Probleme entstehen dort noch nicht, wo die erklärende Partei sich über Taten, sonstige Verhaltensweisen oder Zustände des Gegners auslässt. Im Falle der Unwahrheit wird dieser als Person in ein falsches Licht gerückt, so dass er im äußerungsdeliktischen Sinn individuell betroffen ist.179 Häufig wird hier die objektiv behauptungsbelastete Partei eine Tatsache über den Gegner vorbringen, bei deren Vorliegen eine ihr günstige Rechtsfolge

175 BVerfG, NJW-RR 2007, 840, 841; BGHZ 183, 309, 313 f.; BGH, NJW 2005, 279, 280 f.; 2012, 1659; GRUR 2013, 305, 306; 2013, 647, 648; OLG Celle, NJW-RR 1992, 1467, 1468; OLG Frankfurt/Main, NZI 2013, 978; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG (33. Aufl. 2015), § 4 Rn. 8.25. 176 BVerfG, NJW 1991, 2074, 2075; NJW-RR 2007, 840, 841; BGHZ 183, 309, 313 f.; BGH, NJW 2005, 279, 280 f.; 2012, 1659; GRUR 2013, 305, 306; 2013, 647, 648; OLG Celle, NJW-RR 1992, 1467, 1468; OLG Frankfurt/Main, NZI 2013, 978; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG (33. Aufl. 2015), § 4 Rn. 8.25. 177 Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 11.77; vgl. auch Löffler/Sedelmeier, Presserecht (5. Aufl. 2006), § 11 LPG Rn. 54; Seitz/ Schmidt, Gegendarstellungsanspruch (4. Aufl. 2010), Rn. 4.6. 178 BayObLGZ 1958, 189, 192; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2 (13. Aufl. 1994), § 80 II. 1. a); Seitz/Schmidt, Gegendarstellungsanspruch (4. Aufl. 2010), Rn. 4.8; J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171. 179 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2 (13. Aufl. 1994), § 80 II. 1. a).

§ 11 Gemeinsamkeiten von Tatsachenbehauptung und dem Parteivorbringen

207

eintritt.180 So liegt jedenfalls eine persönlichkeitsrelevante Äußerung vor, wenn der Beklagte sich gegen eine Forderung mit der Einwendung des § 134 BGB wendet und dem Kläger insoweit Umgehungsgeschäfte zur Kaschierung von Steuerhinterziehung vorwirft,181 ebenso wenn der Kläger rabattwidriges Geschäftsgebaren des Beklagten182 oder im Patenterteilungsverfahren Nachteile eines marktgängigen Konkurrenzprodukts behauptet.183

II. Behauptungen über andere Umstände Schwieriger liegt es jedoch, wenn eine Partei sie selbst betreffende Umstände, objektive Gegebenheiten oder Taten und sonstige Verhaltensweisen außerhalb des Prozesses stehender Dritter vorträgt. In solchen Konstellationen drängt sich die individuelle Betroffenheit der gegnerischen Partei jedenfalls nicht unmittelbar auf. Freilich lassen Rechtsprechung und h.M. einen äußerungsdeliktischen Anspruch kaum jemals an der fehlenden individuellen Betroffenheit scheitern. Insbesondere die Fallgruppe der Kontextverzerrung, die direkt auf die Interessensphäre des Betroffenen durchschlage,184 ist Beleg für den außerordentlich großzügigen Umgang mit diesem Tatbestandsmerkmal. So hatten ein Versicherungsverein und eine Versicherungsgesellschaft in einem Rundschreiben verlautbart, sie würden bei der Schadensregulierung in näher bezeichneten Situationen künftig auf ein Gutachten von Kfz-Sachverständigen verzichten und dementsprechend Kosten für trotzdem eingeholte Gutachten nicht ersetzen.185 Drei Kfz-Sachverständige machten hiergegen einen Widerrufsanspruch geltend, den sie auf § 824 Abs. 1 BGB stützten. Selbstverständlich rückte das angegriffene Rundschreiben die Kläger weder als konkrete Individuen noch als Angehörige einer Gruppe in ein falsches Licht. Jedoch widersprachen die Ausführungen der Versicherer der bei der Schadensregulierung allgemein geübten Praxis. Vor diesem Hintergrund begründete das OLG Nürnberg die individuelle Betroffenheit der klagenden Sachverständigen mit der Erwägung, dass die Äußerung Geschädigte oder Kraftfahrzeugbetriebe davon abhalten

180 Vgl. BGH, NJW 1962, 243, 244: „Die meisten Erklärungen, deren Widerruf mit der Klage verlangt wird, hat der Bekl. in den beiden Zivilprozessen abgegeben, die er als Prozeßbevollmächtigter des H. geführt hat. Sie standen in engem Zusammenhang mit dem Gegenstand dieser Prozesse und waren dazu bestimmt und geeignet, den Standpunkt seiner Partei darzulegen und zu rechtfertigen.“ 181 Konstellation nach BGH, GRUR 1971, 175, wo der solchermaßen Angegriffene indes nicht selbst Kläger, sondern gesetzlicher Vertreter der Klagepartei war. 182 BGH, NJW 1987, 3138. 183 BGHZ 183, 309. 184 Vgl. Löffler/Sedelmeier, Presserecht (5. Aufl. 2006), § 11 LPG Rn. 56. 185 BGH, NJW 1998, 1223.

208 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung könne, bei Schäden in der umstrittenen Größenordnung Kfz-Sachverständige zu beauftragen.186 Legt man dies zugrunde, führt jeder entscheidungserhebliche Sachvortrag der einen Partei zwingend zu einer individuellen Betroffenheit der jeweils anderen Partei. Sollte der Sachvortrag nämlich unwahr sein, verzerrt er den Kontext, über den die gerichtliche Entscheidung ergeht. Spätestens dann, wenn die unwahr vortragende Partei obsiegt, schlägt diese Kontextverzerrung direkt auf die Interessensphäre der anderen Partei durch.

III. Die Lehre vom beschränkten Aussagegehalt der Prozessäußerung Gegen die Eignung des Tatsachenvorbringens der Prozessparteien, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der jeweils anderen Partei negativ zu betreffen, ließe sich schließlich eine bis zur Einführung des § 138 Abs. 1 ZPO prominent vertretene These anführen: Danach treffen die Parteien mit ihrem Sachvortrag keinerlei Aussage über den Wahrheitsgehalt.187 Ist die Tatsache aber nicht als wahr behauptet, kann sie auch nicht als unwahre Behauptung äußerungsrechtlich angegriffen werden. Doch ist diese Argumentation nur im historischen Kontext zu verstehen, als über die Existenz einer Rechtspflicht der Parteien zum wahren Vortrag noch gestritten wurde. Mit Einführung des § 138 Abs. 1 ZPO ist diesem Streit die Grundlage entzogen. Es ist eben nicht das gute Recht der Parteien, für ihre eigenen prozessualen Zwecke Unwahrheiten zu behaupten und dem Gegner deren Nachweis zu überlassen.188

D. Die Rollenverteilung im innerprozessualen äußerungsdeliktischen Konflikt I. Der Regelfall Der Sachvortrag der Parteien des Zivilprozesses begründet danach sämtliche Merkmale eines äußerungsdeliktischen Konflikts. Die Rollen als Erklärender und als Betroffener sind dabei regelmäßig unproblematisch zuzuweisen. So entspricht die prozessrechtlich behauptungsbelastete Partei dem äußerungsrechtlichen Erklärenden, weil üblicherweise sie eine Tatsache erstmals in den Prozess einführt. Das gegnerische Bestreiten ist dann die Entgegnung (syno186 OLG Nürnberg, ZfS 1996, 333; insoweit vom Bundesgerichtshof unbeanstandet (BGH, NJW 1998, 1223, 1224). 187 Wach, Grundlagen und Reform des Zivilprozesses (1914), 34. 188 Wieczorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 94; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 5.

§ 11 Gemeinsamkeiten von Tatsachenbehauptung und dem Parteivorbringen

209

nym: Gegenäußerung). Nach Maßgabe dieser Rollenzuweisung kann die subjektive Unwahrheit der Behauptung oder des Bestreitens unter Anwendung der beschriebenen äußerungsdeliktischen Methoden ermittelt werden.

II. Gegenbehauptung und Gegenbeweis Sobald sich im Prozess die Situation einstellt, dass eine Partei ihre Tatsachenbehauptung – etwa durch Anscheinsbeweis – vorläufig zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen hat, ist es die Aufgabe des Gegners, den Gegenbeweis zu führen und die entsprechenden Behauptungen aufzustellen. Tut er dies, so kann man wegen der dem Gegenbeweis zugrunde liegenden Behauptungen nicht mehr von einer bloßen Gegenäußerung sprechen. Das folgt daraus, dass die erste Behauptung ein selbständiges Beweisthema begründete, das nunmehr seinen – vorläufigen – Abschluss gefunden hat.189 Die mit der Führung des Gegenbeweises belastete Partei wird demgemäß zum äußerungsrechtlichen Erklärenden, wenn sie die entsprechenden Tatsachen behauptet. Somit ist festzustellen, dass in dem äußerungsdeliktischen Konflikt, den der Sachvortrag der Parteien des Zivilprozesses begründet, die risikobelastete Partei die Rolle des Erklärenden einnimmt und der Gegner diejenige des Betroffenen, von dem die Gegenäußerung stammt.

III. Erstmalige Tatsachenbehauptung durch den Gegner der risikobelasteten Partei Es bleibt noch die Rollenverteilung in den Fällen zu klären, in denen ausnahmsweise der Gegner der risikobelasteten Partei als erster zu einem Tatbestandsmerkmal vorträgt. 1. Das antizipierte Bestreiten Zunächst mag man an Konstellationen denken, in denen der Gegner einen Verteidigungsvortrag zu einem Tatbestandsmerkmal liefert, zu dem die risikobelastete Partei selbst noch nichts vorgebracht hat. So liegt es etwa, wenn er positive Angaben zu seinem guten Glauben im Sinne des § 932 Abs. 2 BGB macht, obwohl die risikobelastete Partei noch keine Umstände dargetan hat, die auf seine Bösgläubigkeit schließen ließen. Untechnisch kann man von einem antizipierten Bestreiten sprechen. Wenn Bestreiten im technischen Sinn jedoch das Verlangen des Gegners ist, erheblichen Vortrag der risikobelasteten Partei zum Gegenstand einer Beweisauf189

MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 99.

210 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung nahme zu machen,190 dann ist antizipiertes Bestreiten tatsächlich kein Bestreiten, sondern zunächst unerheblich. Bleibt auch in der Folge der der risikobelasteten Partei obliegende Vortrag aus, ergeht eine Entscheidung nach der objektiven Behauptungslast. Wirkung entfaltet das sog. antizipierte Bestreiten erst, sobald die risikobelastete Partei den vorläufig versäumten Sachvortrag nachholt. In diesem Fall ist man jedoch wieder bei der bislang vorgenommenen Rollenverteilung angelangt. Dieser Ablauf entspricht damit demjenigen auf der Beweisebene, wie er sich aus den Grundsätzen über die subjektive Beweislast ergibt. Denn ein Gegenbeweisantritt der nicht subjektiv beweisbelasteten Partei ist so lange unbeachtlich, als der beweisführungsbelastete Gegner nicht seinerseits Beweis für die Wahrheit seiner Behauptung angeboten hat.191 2. Sachvortrag zu Gunsten des risikobelasteten Gegners In den restlichen Konstellationen trägt der Gegner zu Gunsten der risikobelasteten Partei vor, nachdem diese die ihr obliegenden Behauptungen zuvor schuldig geblieben ist. Auch hier erlangt der Gegner in keiner denkbaren Variante eine Position, die ihn dem äußerungsrechtlichen Erklärenden entsprechen ließe. Die risikobelastete Partei mag die Wahrheit des ihr günstigen gegnerischen Vorbringens in Abrede stellen. Das Prozessgericht kann sich über diese Einlassung dann nicht hinwegsetzen.192 Ist die risikobelastete Partei zugleich objektiv behauptungsbelastet, so liegt nicht etwa eine bestrittene Behauptung vor. Vielmehr hat sie den ihr obliegenden Sachvortrag nicht geleistet und es ergeht Entscheidung nach der objektiven Behauptungslast.193 Anders kann es unter der Voraussetzung liegen, dass die risikobelastete Partei in einer solchen Konstellation mit der Führung des Gegenbeweises belastet ist. Hier ist es unerheblich, wenn sie dem ihr günstigen gegnerischen Vortrag entgegentritt. Denn der nach wie vor mit der Führung des Hauptbeweises belastete Gegner entzieht hierdurch seiner eigenen ihm günstigen und bereits vorläufig bewiesenen Aussage womöglich die Grundlage. Sein ursprüngliches Vorbringen mag auf diese Weise im Nachhinein unschlüssig werden. Erklärungen über einen möglichen Gegenbeweis werden dadurch obsolet. 190 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 12; der Sache nach auch Musielak, ZZP 103 (1990), 220, 223. 191 Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 33; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 98; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 286 Rn. 51; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 423; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 5; Weber, NJW 1972, 896 f.; Born, JZ 1981, 775, 776; a.A. Walther, NJW 1972, 237, 238. 192 BGH, NJW 1989, 2756; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 103 Rn. 20. 193 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 11.

§ 12 Materiellrechtliche Methoden zur Bestimmung des Parteivorbringens

211

Üblicherweise wird die risikobelastete Partei sich das ihr günstige Vorbringen ihres Gegners aber zu eigen machen. Dadurch wird dieses Vorbringen rechtlich jedoch ein solches der risikobelasteten Partei. In diesem Fall ist sie Behauptende im prozessrechtlichen und Erklärende im äußerungsrechtlichen Sinn.

Zwischenergebnis Der Sachvortrag der Parteien des Zivilprozesses begründet sämtliche Merkmale eines äußerungsdeliktischen Konflikts nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts. Die risikobelastete Partei entspricht dem äußerungsrechtlichen Erklärenden, ihr Gegner dem Betroffenen. Auf diese Weise besteht ein sachlicher Zusammenhang zwischen den Regelungskomplexen über die innerprozessuale und die außerprozessuale Tatsachenbehauptung. Es ist somit denkbar, subjektiv unwahres Behaupten oder Bestreiten unter Rückgriff auf die entsprechenden äußerungsdeliktischen Methoden für die Äußerung und die Gegenäußerung zu bestimmen.

§ 12 Materiellrechtliche Methoden zur Bestimmung des lediglich subjektiv unwahren Parteivorbringens A. Das Problem: Gewährung oder Versagung von Rechtsschutz gegen die Prozessäußerung? Begrifflich beschreibt das Tatsachenvorbringen der Parteien des Zivilprozesses sämtliche Merkmale eines äußerungsdeliktischen Konflikts.194 Folglich haben die Äußerungsdelikte gemäß §§ 823 Abs. 1, 824 Abs. 1 BGB, §§ 823 Abs. 2 BGB, 186 StGB und die prozessrechtliche Verhaltenspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO dort eine Schnittmenge, wo es um die lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptung geht.195 Doch folgt daraus nicht zwingend, dass der Parteivortrag anhand äußerungsdeliktischer Methoden auf seine subjektive Unwahrheit untersucht und gegebenenfalls gemäß § 138 Abs. 1 ZPO als unbeachtlich behandelt werden dürfte. Im Zivilprozessrecht bestimmen vielmehr die Regeln über die konkrete Behauptungs- und die subjektive Beweislast darüber, welche Partei ihren Vortrag wann und mit welchen Konsequenzen mit Belegtatsachen bzw. Beweismitteln untermauern muss. Anstelle dieser Regeln oder zu ihrer Ergänzung können äußerungsdeliktische Ermittlungsmethoden über die lediglich subjektive Unwahrheit nur dann zur Anwendung kommen, 194 195

Fleck, JR 2008, 441. Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 39.

212 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung wenn die Regeln über die konkrete Behauptungs- und die subjektive Beweislast zu Ergebnissen führen, die für die Prozessäußerung der praktischen Konkordanz zwischen Art. 5 Abs. 1 GG des Erklärenden und dem Allgemeinen Prsönlichkeitsrecht des Betroffenen widersprechen. Ein möglicher Widerspruch ist allerdings unerheblich, wenn der Betroffene gegen die Prozessäußerung selbständigen Rechtsschutz erhält. So bildet der äußerungsrechtliche Konflikt, den der Sachvortrag der Parteien eines jeden Zivilprozesses („Erstprozess“) jedenfalls latent in sich trägt, einen eigenen Streitgegenstand für einen hypothetischen selbständigen Äußerungsprozess („äußerungsdeliktischer Zweitprozess“). Will der Betroffene also eine Überprüfung der gegnerischen Behauptung nach äußerungsdeliktischen Regeln, dann mag er versuchen, die im Prozess aufgestellte Behauptung in einem solchen Zweitprozess überprüfen lassen. Den grundrechtlichen Vorgaben zur Abwägung von Äußerungsfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht ist genügt, wenn sie im äußerungsrechtlichen Zweitprozess Geltung erlangen. Der Erstprozess könnte im Hinblick auf die Sachverhaltsaufklärung weiter seinen herkömmlichen Regeln folgen. Die prozessrechtlichen Behauptungs- und subjektiven Beweislasten können somit nur dann in Konflikt mit den Ergebnissen der Grundrechtsabwägung geraten, wenn sie selbst das Verhältnis von Äußerungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht nicht sachgerecht erfassen und dem Betroffenen Rechtsschutz im äußerungsdeliktischen Zweitprozess versagt bleibt.

B. Die Auswirkungen eines hypothetischen äußerungsdeliktischen Zweitprozesses Lediglich als Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen sei zunächst unterstellt, dass jede Partei gegen im Erstprozess gefallene Äußerungen ihres Gegners selbständigen Rechtsschutz in einem äußerungsrechtlichen Zweitprozess erlangen kann. Es sei weiter unterstellt, dass für diesen Zweitprozess das gesamte äußerungsdeliktische Rechtsschutzinstrumentarium zur Verfügung steht.

I. Vor Rechtshängigkeit des Erstprozesses Bei Geltung dieser Prämissen hat freilich jede Partei die Möglichkeit, über den Umweg des äußerungsrechtlichen Zweitprozesses den sachgerechten Ablauf des Erstprozesses sabotieren. So kann der Betroffene bereits Rechtsschutz gegen Tatsachenbehauptungen der prospektiv risikobelasteten Partei erlangen, noch ehe diese den Erstprozess rechtshängig gemacht hat. Denn aus der vorprozessualen Korrespondenz wird dem Betroffenen regelmäßig bekannt sein,

§ 12 Materiellrechtliche Methoden zur Bestimmung des Parteivorbringens

213

welche Behauptungen der Gegner im bevorstehenden Prozess aufstellen wird. Liegen die äußerungsdeliktischen Voraussetzungen vor, kann er eine einstweilige Verfügung erwirken, mittels derer er dem Gegner untersagen lässt, die jeweilige Behauptung zu wiederholen. Dieses Verbot würde dann auch für den geplanten Erstprozess gelten.

II. Während der Rechtshängigkeit des Erstprozesses Ist der Erstprozess bereits rechtshängig, kann der Betroffene ebenfalls eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der seitens der risikobelasteten Partei aufgestellten Tatsachenbehauptung erwirken.196 Hat die risikobelastete Partei ihre Behauptung zunächst schriftsätzlich vorgebracht, kann sie – sofern ihr die Untersagungsverfügung rechtzeitig zugestellt wird – die Behauptung in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholen,197 ohne gegen den Unterlassungstitel zu verstoßen. Neben dem vorläufigen Rechtsschutz kann der Betroffene auch ein äußerungsrechtliches Hauptsacheverfahren betreiben, das ihm hier unter Umständen strategische Vorteile für den Erstprozess eröffnet. So liegt es namentlich, wenn er in diesem Hauptsacheverfahren einen vollstreckbaren Titel auf Unterlassung und Widerruf einer im Erstprozess aufgestellten Tatsachenbehauptung erstreitet, bevor der Erstprozess rechtskräftig abgeschlossen ist. Auf diese Weise kann der risikobelasteten Partei in der schwebenden ersten Instanz das Aufrechterhalten einer ihr Rechtsschutzbegehren stützenden Tatsachenbehauptung untersagt werden. Auch ist es theoretisch möglich, dass sie in der zweiten Instanz eine Behauptung widerrufen muss, die in der ersten Instanz noch eine Entscheidung zu seinen Gunsten trug. Dieser Widerruf begründet dann im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen.

III. Nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses Auch nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses kann der Betroffene versuchen, der in diesem Prozess risikobelasteten Partei die Wiederholung ihrer Behauptungen untersagen zu lassen. Theoretisch mag sogar eine erfolgreiche Widerrufsklage in Betracht kommen. Auf den abgeschlossenen Erstprozess haben solche Entscheidungen unmittelbar jedoch keinen Einfluss

196

Vgl. BGH, NJW 1962, 243, 244; Piekenbrock, JZ 2006, 586, 589. Erst in durch den Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung werden die Tatsachenbehauptungen der Parteien als Prozesshandlungen wirksam (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht [17. Aufl. 2010], § 79 Rn. 2). 197

214 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung mehr. Dessen Ergebnis kann der Betroffene nur nach Maßgabe der Regeln über die Restitution und Wiederaufnahme antasten. Dem Grunde nach mag der Betroffene die vormals risikobelastete Partei wegen der Prozessäußerung auch auf Schadensersatz in Anspruch nehmen können. Doch bestehen Schwierigkeiten, einen nach §§ 249 ff. BGB fassbaren Schaden zu ermitteln. Fehl geht jedenfalls der intuitiv nahe liegende Gedanke, insoweit auf die Vermögensverluste wegen des verlorenen Erstprozesses abzustellen. Trägt nämlich eine Tatsachenfeststellung ein formell rechtskräftiges Urteil, dann kann der Unterlegene grundsätzlich bereits wegen § 322 ZPO nicht den aufgrund des Urteils erlittenen Verlust als Schadensersatz mit der Begründung zurückverlangen, der Gegner habe im Prozess unwahr vorgetragen.

IV. Die sog. Untersagung der Gegenschlagsäußerung Mit umgekehrten Vorzeichen stehen diese Möglichkeiten auch dem Erklärenden zu. Er kann – was äußerungsrechtlich nach den Grundsätzen über die sog. „Untersagung der Gegenschlagsäußerung“ für zulässig erachtet wird – gegen das Verteidigungsvorbringen des Betroffenen vorgehen.198 Für die Situation der Prozessäußerung bedeutet das, dass der Erklärende – also die risikobelastete Partei – Rechtsschutz mit dem Ziel beantragen könnte, das gegnerische Bestreiten zu untersagen oder dessen Widerruf anzuordnen.

C. Die grundsätzliche Unzulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses I. Bedenken gegen den äußerungsdeliktischen Zweitprozesses Es zeigt sich, dass die Parteien mittels eines äußerungsdeliktischen Zweitverfahrens einander die Möglichkeit nehmen können, im Erstprozess Behauptungen aufzustellen oder aufrechtzuerhalten. Die Bedenken gegen die Zulässigkeit solcher Ergebnisse liegen auf der Hand. So würde der äußerungsdeliktische Zweitprozess nicht nur Belangen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Geltung verschaffen, sondern den Parteien auch die Verfolgung der eigenen 198

OLG Köln, AfP 1991, 438, 439; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.139 („Eine Ausnahme gilt allerdings, wenn Streitgegenstand der Vorwurf des Kritikers ist, die Verteidigung des Kritisierten sei unwahr.“); einschränkend OLG Hamburg, AfP 1973, 385, 386; die materiellrechtliche Rollenverteilung zwischen Erklärendem und Betroffenem bleibt in diesen Fällen unverändert, es übernimmt lediglich der Erklärende die Rolle des Klägers. Die Klage auf Unterlassung der „Gegenschlagsäußerung“ ähnelt daher sehr stark der negativen Feststellungsklage des allgemeinen Zivilprozesses.

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Interessen im Erstprozess letztlich unmöglich machen und auf diese Weise dessen Ergebnis vorwegnehmen.199 An sich sollen die Beteiligten eines rechtlich geordneten Verfahrens aber alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird („Verfahrensprivileg“).200 Jenseits dieser inhaltlichen Fragen ergeben sich weitere Schwierigkeiten. So würde erstens über eine Tatsachenfrage, deren unmittelbare Bedeutung im Erstprozess liegt, mehrfach gestritten. Das führt zu einer an sich unerwünschten Vervielfachung der Prozesse.201 Wird in Gestalt unterschiedlicher Streitgegenstände über ein und dieselbe Sachfrage vor verschiedenen Gerichten gestritten und geurteilt, kann dies außerdem zu inhaltlich widersprüchlichen Entscheidungen führen, etwa weil die verschiedenen Gerichte im Rahmen der Beweiswürdigung zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Auch diese Folge ist allgemein unerwünscht, weil sie dem Rechtsfrieden abträglich ist.202

II. Die Prozessäußerung und die Lehre vom materiellrechtlichen Anspruchsausschluss Nach Meinung mancher ist es deshalb von vornherein ausgeschlossen, dass eine in einem rechtlich geordneten Verfahren gefallene Tatsachenbehauptung oder sonstige Äußerung das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der gegnerischen Partei, ihres Vertreters oder eines Dritten betrifft.203 Die drohenden externen Einflüsse auf den Erstprozess seien in jedem Fall zu vermeiden. Dieser Auffassung zufolge überlagern deshalb die Regeln, die das jeweilige Verfahrensrecht für die Sachverhaltsaufklärung aufstellt, den allgemeinen äußerungsrechtlichen Konflikt.204 Diese Lehre vom materiellen Ausschluss persönlichkeitsrechtlicher Ansprüche wegen in einem rechtlich geordneten Verfahren gefallener Äußerungen überzeugt jedoch nicht. Zwar ist es ein nachvollziehbares Anliegen, das laufende Verfahren gegen Einflussnahmen von außen abzuschirmen. Der Umstand allein, dass eine Äußerung in einem rechtlich geordneten Verfahren gefallen ist, kann es jedoch nicht rechtfertigen, ihr von vornherein die Eignung 199 BVerfG, NJW-RR 2007, 840, 841; BGHZ 183, 309, 313 f.; BGH, NJW 1992, 1314, 1315; Soergel/Beater, BGB (13. Aufl. 2005), § 823 Anh. IV Rn. 172; E. Helle, NJW 1958, 1524, 1525. 200 BGH, NJW 1988, 1016; 1992, 1314, 1315; 2008, 996, 997; 2012, 1659; OLG Frankfurt/ Main, NJOZ 2013, 79, 80; MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 225; J. Helle, GRUR 1982, 207, 208. 201 J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 175. 202 Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche, Handbuch des Wettbewerbsrechts (4. Aufl. 2010), § 79 Rn. 93; J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 175. 203 J. Helle, GRUR 1982, 207, 213; i. Erg. auch Fleck, 2008, 441, 444. 204 J. Helle, GRUR 1982, 207, 213; Fleck, JR 2008, 441, 444.

216 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung zur Verletzung fremder Persönlichkeitsrechte abzusprechen.205 Ein solch umfassend verstandenes Privileg der Prozessäußerung müsste konsequenterweise nämlich auch den Fall erfassen, dass der Erklärende die Aussage außerhalb des Prozesses wiederholt. So weit möchte aber auch die Lehre vom materiellrechtlichen Anspruchsausschluss offenbar nicht gehen.206 Folgerichtig ist es daher, die Eignung solcher Prozessäußerungen zur Persönlichkeitsverletzung im Grundsatz zu bejahen und das Anliegen, Störungen des Verfahrens zu vermeiden, auf anderem Wege zu realisieren. Im Übrigen gilt, dass es eine allzu einseitige Bevorzugung des Erklärenden darstellte, wenn man ihm mit Rücksicht auf den Rechtsverfolgungszweck die volle Äußerungsfreiheit gewährte, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht durch solche Äußerungen jedoch als nicht verletzbar ansähe.207

III. Äußerungsdeliktischer Zweitprozess und § 193 StGB Manche halten den äußerungsdeliktischen Zweitprozess dennoch für unproblematisch. So sei es als Konsequenz aus den engen Grenzen der materiellen Rechtskraft hinzunehmen, dass in mehreren Verfahren zu ein und derselben Tatsachenfrage mehrfach Feststellungen mit gegebenenfalls unterschiedlichen Ergebnissen getroffen würden.208 Nicht wesentlich anders liege es hinsichtlich einer möglichen inhaltlichen Beeinflussung des Erstprozesses durch Entscheidungen im äußerungsdeliktischen Zweitprozess. Diese sei dem engen Streitgegenstandsbegriff des deutschen Zivilprozessrechts geschuldet und folglich ebenfalls zu akzeptieren.209 Widersprüche zum Verfahrensprivileg der Parteien werden über § 193 StGB vermieden.210 Stellt eine redliche Partei zum Zwecke der Prozessführung Tatsachenbehauptungen auf, ist dieses Vorbringen jedenfalls im Zeitpunkt der Äußerung gerechtfertigt. Man mag den äußerungsrechtlichen Zweitprozess in diesen Fällen dann zulassen. Das entsprechende Begehren ist jedoch als unbegründet abzulehnen.211 Weiter heißt es: Wenn die im Erstprozess vortragende Partei unredlich sei oder ihre Behauptungen außerhalb ihrer 205

Walter, JZ 1986, 614, 617. Vgl. J. Helle, GRUR 1982, 207, 221. 207 Piekenbrock, JZ 2006, 586, 590. 208 Piekenbrock, JZ 2006, 586, 590 f.; ähnlich bereits Walter, JZ 1986, 614, 617. 209 Piekenbrock, JZ 2006, 586, 591. 210 Piekenbrock, JZ 2006, 586, 590; für eine Lösung über § 193 StGB auch RGZ 140, 392, 397; 142, 116, 121; ebenso etwa BVerfG, NJW 1991, 29; 1991, 2074, 2075; Baumgärtel, in: FS für Schima (1969), 41, 56; Klaka, GRUR 1973, 515, 516; Walchshöfer, MDR 1975, 11, 12 f.; Fleck, Die Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozess (2003), 40. 211 Vgl. Klaka, GRUR 1975, 515, 517. 206

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Rechtsverfolgung stünden, sei die Gewährung eines Verfahrensprivilegs ohnehin unangemessen. Doch kann § 193 StGB allein die negative Einflussnahme des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses auf die Rechtsverfolgung im Erstprozess nicht vermeiden. Sobald § 193 StGB zur Anwendung kommt, ergeht eine Entscheidung zur Sache. Folglich erhebt das Gericht des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses auch Beweis über die angebliche Unwahrheit der im Erstprozess aufgestellten Behauptung.212 Gelangt das Gericht des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses zu der Überzeugung, dass die Tatsache unwahr sei, dann entfällt der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB und das Gericht wird die begehrte Rechtsfolge aussprechen.213 Ungeachtet ihrer ursprünglichen Redlichkeit ist die verurteilte Partei nun gehindert, die betroffene Tatsachenbehauptung im Erstprozess aufrechtzuerhalten.

IV. Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis für den äußerungsdeliktischen Zweitprozess Deshalb hält die heute h.M. den äußerungsdeliktischen Zweitprozess über in einem rechtlich geordneten Verfahren gefallene Äußerungen bereits für unzulässig. Es fehle hierfür das Rechtsschutzbedürfnis.214 Dem von der Prozessäußerung Betroffenen wird der Weg in den selbständigen äußerungsdeliktischen Rechtsschutz also bereits formal abgeschnitten.215 Dem ist zunächst jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Wenn man es gestattete, dass die Parteien einander wechselseitig das für ihre Rechtsverfolgung notwendige Vorbringen untersagen lassen, würde nicht nur deren individueller Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verkürzt, sondern auch der ungehinderte Ablauf des Erstprozesses und die Funktionsfähigkeit der Rechts212

J. Helle, GRUR 1982, 207, 209; a.A. wohl Fleck, JR 2008, 441, 444. BGH, NJW 1971, 284, 285; Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 135; E. Helle, NJW 1958, 1524, 1525; J. Helle, GRUR 1982, 207, 209; a.A. Fleck, JR 2008, 441, 444. 214 BGHZ 183, 309, 313; BGH, NJW 1987, 3138, 3139; 1988, 1016; 1992, 1314, 1315; 1998, 1399, 1401; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 22; Soergel/Beater, BGB (13. Aufl. 2005), § 823 Anh. IV Rn. 172; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG (33. Aufl. 2015), § 4 Rn. 8.25; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 10.29. 215 BGHZ 183, 309, 313; BGH, NJW 1986, 2502, 2503; 1987, 3138, 3139; 1988, 1016; 1992, 1314, 1315; 1995, 397; 1998, 1399, 1400 f.; 2008, 996, 997; GRUR 2013, 305, 306; 2013, 647, 648; MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 224; Soergel/Beater, BGB (13. Aufl. 2005), § 823 Anh. IV Rn. 172; Ohly/Sosnitza/Ohly, UWG (6. Aufl. 2014), § 8 Rn. 170; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG (33. Aufl. 2015), § 4 Rn. 8.25; Harte-Bavendamm/ Henning-Bodewig/Keller, UWG (3. Aufl. 2013), § 2 Rn. 80; E. Helle, NJW 1958, 1524, 1525; Walter, JZ 1986, 614, 618; ders., JZ 1986, 1058, 1059; ders., NJW 1987, 3140; J. Helle, NJW 1987, 233; ders., JZ 1999, 628, 631; i. Erg. auch Weitnauer, JZ 1962, 489, 490; a.A. Walchshöfer, MDR 1975, 11, 12; Piekenbrock, JZ 2006, 586, 593. 213

218 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung pflege insgesamt in Frage gestellt.216 Es kommt hinzu, dass das Gericht des Erstprozesses die für die Entscheidung über seinen Streitgegenstand erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen hat; ein schrankenlos zulässiger äußerungsdeliktischer Rechtsschutz gegen Prozessäußerungen beschnitte diese Kompetenz des Gerichts des Erstprozesses.217 Und auch gegen die Verortung beim Rechtsschutzbedürfnis bestehen keine durchgreifenden Bedenken. So fehlt ganz allgemein das Bedürfnis, staatliche Rechtsschutzeinrichtungen in Anspruch zu nehmen, wenn es dafür keinen plausiblen Grund gibt.218 Ob die jeweilige Tatsachenbehauptung wahr und erheblich ist, wird dabei bereits in dem Verfahren überprüft, in dem sie gefallen ist.219 Zwar mag die Rechtskraft der im Erstprozess ergehenden Entscheidung die getroffenen oder nicht getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht erfassen.220 Angesichts der drohenden Folgen rechtfertigt dieser Umstand allein jedoch keinen selbständigen äußerungsdeliktischen Zweitprozess. Will nämlich eine Partei ihr Vorbringen nach rechtskräftigem Abschluss des Prozesses wiederholen, obwohl das Prozessgericht diesem nicht folgte, muss sie auf diese Sichtweise des Prozessgerichts hinweisen.221 Andernfalls verstößt sie gegen die materiellrechtliche Wahrheitspflicht in der Alternative der Vollständigkeitspflicht.222

D. Die Reichweite der Unzulässigkeit Zu klären bleibt, ob und gegebenenfalls welche Ausnahmen es von dieser grundsätzlichen Unzulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses gibt. 216 BGHZ 183, 309, 313 f.; BGH, NJW 1986, 2502, 2503; 1987, 3138, 3139; 1988, 1016; 1992, 1314, 1315; 1995, 397; 1998, 1399, 1401; 2008, 996, 997; GRUR 2013, 305, 306; 2013, 647, 648; OLG Stuttgart, BeckRS 2011, 3888; OLG Nürnberg, BeckRS 2013, 2280; 2013, 20092; Ohly/ Sosnitza/Ohly, UWG (6. Aufl. 2014), § 8 Rn. 170; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wortund Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 10.32; Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche, Handbuch des Wettbewerbsrecht (4. Aufl. 2010), § 79 Rn. 93; J. Helle, GRUR 1982, 207 f.; der Sache nach auch BVerfG, NJW 1991, 29; 1991, 2074, 2075; BGH, NJW 2006, 1432; Baumgärtel, in: FS für Schima (1969), 41, 55. 217 BGH, NJW 2008, 996, 997; GRUR 2013, 305, 306; 2013, 647, 648. 218 BGHZ 98, 127, 128; BGH, NJW 1994, 1351, 1352; 1996, 2035, 2036; NJW-RR 1989, 263, 264; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Vor § 253 Rn. 26; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 89 Rn. 30; Schönke, AcP 150 (1949), 216, 218; Brehm, in: FG 50 Jahre BGH (2000), Bd. III, 89. 219 BVerfG, NJW-RR 2007, 840, 841; BGHZ 183, 309, 314; BGH, NJW 1986, 2502, 2503; 1988, 1016; 1992, 1314, 1315; 1995, 397; 2008, 996, 997; GRUR 2013, 305, 306; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 22; MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 224. 220 MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 322 Rn. 98. 221 Vgl. BGH, NJW 1997, 1148, 1149. 222 Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 6.144.

§ 12 Materiellrechtliche Methoden zur Bestimmung des Parteivorbringens

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I. Die gegenständliche Reichweite der Unzulässigkeit 1. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen So wollen Teile der Literatur die Sperrwirkung des Erstprozesses nicht für bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen gelten lassen und folglich den Weg in den parallelen bzw. den vor- oder nachgelagerten Äußerungsprozess eröffnen.223 Auch das Bundesverfassungsgericht tendiert in diese Richtung.224 Andere Teile der Literatur hingegen erkennen dem Erstprozess auch für die bewusst unwahre Tatsachenbehauptung einer Partei die volle Sperrwirkung zu.225 Der Bundesgerichtshof legt sich nicht fest.226 Diejenigen, die für einen äußerungsdeliktischen Zweitprozess über bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen plädieren, orientieren sich offenbar an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der zufolge bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst sind. Das Bundesverfassungsgericht stellt diesen Bezug selbst her.227 Doch werden dabei zwei voneinander zu trennende Fragen miteinander vermengt. Denn dass der Betroffene eine bewusst unwahre Behauptung nicht hinzunehmen braucht, steht außer Frage. Problematisch ist lediglich, in welchem Verfahren dies zu prüfen ist. Demgegenüber haben die Gründe, aus denen die h.M. den äußerungsdeliktischen Zweitprozess für grundsätzlich unzulässig hält, bestenfalls am Rande etwas mit dem sachlichen Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG zu tun. Sie betreffen die erwünschte Kanalisierung des Streits im Sinne einer funktionsfähigen Rechtspflege. Öffnet man den äußerungsdeliktischen Zweitprozess in Fällen bewusst unwahren Sachvortrags, so muss außerdem das zu diesem Zweck angerufene Gericht bereits dann in der Sache entscheiden, wenn der Kläger dieses Prozesses bewusst unwahres Vorbringen lediglich behauptet. Wiederum drohen inhaltlich divergierende Einschätzungen und damit ein Übergriff des Gerichts des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses in die Kompetenzen des Erstgerichts.228 Folglich kann es auch über (vermeintlich) bewusst 223 Soergel/Beater, BGB (13. Aufl. 2005), § 823 Anh. IV Rn. 172; J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 174. 224 BVerfG, NJW 1991, 1475, 1476. 225 MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 227; E. Helle, NJW 1958, 233, 234; J. Helle, GRUR 1982, 207, 218. 226 BGH, NJW 1998, 1399, 1401 f.; in der Entscheidung BGH, NJW 1965, 1803, sprach er sich freilich noch für eine grundsätzliche Sperrwirkung des Erstverfahrens auch im Fall vermeintlich bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen aus; ebenso OLG Hamburg, MDR 1969, 142, 143; OLG Düsseldorf, NJW 1971, 1250, 1251; in BGHZ 183, 309, 315; BGH, NJW 2008, 996, 997; GRUR 2013, 305, 306; deutet er demgegenüber die Möglichkeit einer selbständigen Äußerungsklage für verfahrensfremde Dritte an; auch bei BVerfG, NJW-RR 2007, 840, 841 bleibt die Frage letztlich unentschieden. 227 BVerfG, NJW 1991, 1475, 1476. 228 OLG Hamburg, MDR 1969, 142, 143; OLG Düsseldorf, NJW 1974, 1250, 1251; J. Helle, GRUR 1982, 207, 218.

220 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung unwahre Prozessäußerungen keinen zulässigen äußerungsdeliktischen Zweitprozess geben. 2. Die (fehlende) Eignung und Erforderlichkeit zur Rechtsverfolgung Manche wollen die grundsätzliche Unzulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses auf solchen Sachvortrag beschränken, der mit Blick auf die konkrete Prozesssituation zur Rechtswahrung geeignet und erforderlich erscheint sowie der Rechts- und Pflichtenlage angemessen ist.229 Immerhin wäre auf diese Weise der Gefahr begegnet, dass eine Partei unter dem Deckmantel der Prozessäußerung Verleumdungen gegen ihren Gegner oder Dritte kundtut, ohne hierfür selbständig äußerungsdeliktisch belangt zu werden. Da das fragliche Vorbringen für die Entscheidung des Erstprozesses unerheblich ist, kann eine stattgebende Entscheidung im Zweitprozess die Prozessführung im Erstprozess auch nicht beeinträchtigen. Dennoch ist hier Zurückhaltung geboten. Denn bereits die Entscheidung, ob ein Sachvortrag erheblich ist, fällt in die Kompetenz des Erstgerichts.230 Und dies aus gutem Grund. Man denke etwa an den Fall, dass ein angerufenes Zweitgericht den Indizwert eines Vorbringens im Gegensatz zum Gericht des Erstprozesses verneint. Aus diesem Grund würde es seine Zuständigkeit bejahen und gegebenenfalls negatorischen Rechtsschutz gegen dieses Vorbringen gewähren. Der Grundsatz der Unzulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses soll aber gerade auch solche Divergenzen vermeiden.231 Allenfalls könnte man eine Ausnahme von der Sperrwirkung dort erwägen, wo dem Vorbringen offensichtlich jeder Bezug zum Streitgegenstand des Erstprozesses fehlt.232 Doch mangelt es auch dann an einem griffigen Abgrenzungskriterium.233 Mit der Begründung, das angegriffene Vorbringen sei zur Rechtsverfolgung im Erstprozess weder geeignet noch erforderlich, lässt sich eine ausnahmsweise Zulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses nicht rechtfertigen.

229 BVerfG, NJW 1991, 2074, 2075; ähnlich BGH, NJW-RR 1999, 1251, 1253; J. Helle, GRUR 1982, 207, 216; Walter, JZ 1986, 614, 618. 230 BGHZ 183, 309, 314; BGH, NJW 1971, 284, 285; 1998, 1399, 1401; GRUR 2013, 305, 306. 231 BGH, NJW 1971, 284, 285; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 10.32. 232 MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 227; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 10.32. 233 Ähnlich J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 177 f.

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3. Der äußerungsdeliktische Zweitprozess im selben Forum Schließlich bleiben äußerungsdeliktische Zweitprozesse zu betrachten, die in demselben Forum wie der Erstprozess angestrengt werden. So liegt es, wenn der Kläger des Erstprozesses seine Klage auf äußerungsrechtliche Streitgegenstände erweitert oder der Beklagte eine äußerungsrechtliche Widerklage erhebt. Folgende Konstellationen sind auf Klägerseite denkbar: Er kann mittels objektiver Klagenhäufung zum einen Unterlassung und/oder Widerruf derjenigen Behauptungen geltend machen, für die der Beklagte die objektive Behauptungslast trägt. Zum anderen kann er aber auch Unterlassung und/oder Widerruf des gegnerischen Bestreitens verlangen. Das wäre die Situation, in der der äußerungsrechtliche Erklärende negatorischen Rechtsschutz gegen die Entgegnung des Betroffenen begehrt.234 Entsprechendes gilt auf Seiten des Beklagten für dessen Widerklagebegehren. Die Unzulässigkeit solcher äußerungsdeliktischer Zweitprozesse lässt sich weder mit Erwägungen zur Vervielfachung der Prozesse noch zur Gefahr widersprechender Entscheidungen rechtfertigen.235 Auch droht hier kein Zweitgericht sich die Kompetenzen des Erstgerichts anzumaßen.236 Dennoch verneint der Bundesgerichtshof das Rechtsschutzbedürfnis für die äußerungsrechtliche Widerklage und behandelt sie als unzulässig.237 Die Begründung hierfür fällt freilich spärlich aus. Es finden stereotyp lediglich diejenigen Grundsätze Erwähnung, die für die Unzulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses in einem fremden Forum sprechen.238 Konsequent muss diese Sichtweise des Bundesgerichtshofs dann auch für die objektive Klagenhäufung gelten. Jedoch sprechen die besseren Gründe dafür, die im selben Forum erhobene Äußerungsklage zuzulassen. So ist das grundsätzliche Interesse der Parteien daran, eine rechtskräftige Entscheidung über die Wahrheit einer Behauptung oder einer Erwiderung zu erhalten, unleugbar.239 Denn andernfalls kann der Erklärende nach rechtskräftigem Abschluss des Erstprozesses seine Äußerung wiederholen und der Betroffene muss hiergegen gesondert vorgehen.240 Hier übernimmt die im selben Forum erhobene Äußerungsklage damit die Funk234

„Untersagung der Gegenschlagsäußerung“; vgl. dazu Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.139; aus der Rechtsprechung OLG Hamburg, AfP 1973, 385, 386; OLG Köln, AfP 1991, 438, 439. 235 Vgl. J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 175. 236 Vgl. J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 175. 237 BGH, NJW 1987, 3138, 3139. 238 Tatsächlich war in dem zugrunde liegenden Fall die Widerklage jedoch bereits wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig, weil der Widerkläger negatorischen Rechtsschutz gegen die mit dem Unterlassungsantrag des Erstprozesses erhobene Tatsachenbehauptung begehrte (siehe Walter, NJW 1987, 3140). 239 Baumgärtel, in: FS für Schima (1969), 41, 55; J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 176. 240 Baumgärtel, in: FS für Schima (1969), 41, 55.

222 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung tion der Zwischenfeststellungsklage.241 Für die Grundregel über die Unzulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses lässt man dieses Interesse nur wegen übergeordneter Belange einer funktionsfähigen Rechtspflege zurücktreten. Dazu besteht aber dann kein Anlass mehr, wenn – wie hier – der äußerungsdeliktische Zweitprozess diese Belange von vornherein nicht berührt.

II. Die zeitliche Reichweite der Unzulässigkeit 1. Der rechtshängige Erstprozess In zeitlicher Hinsicht ist die Gefahr, dass der äußerungsdeliktische Zweitprozess inhaltlichen Einfluss auf den Erstprozess nimmt, offenkundig besonders groß, solange der Erstprozess rechtshängig ist. Natürlich ist der äußerungsdeliktische Zweitprozess während dieser Zeit unzulässig.242 2. Die Zeit vor der Rechtshängigkeit des Erstprozesses Schwieriger liegt es, wenn der Betroffene um äußerungsdeliktischen Rechtsschutz ersucht, noch ehe der „Erstprozess“ rechtshängig ist. Zwar leuchtet es intuitiv ein, dass solche äußerungsdeliktischen Präventivschläge gegen einen bevorstehenden Prozess die Rechtsverfolgung des Gegners sachwidrig erschweren. Deshalb geht die h.M. auch in diesen Fällen von der Unzulässigkeit des selbständigen äußerungsdeliktischen Rechtsschutzes aus: Die Rechtsordnung dürfe keinen vorbeugenden zivilrechtlichen Schutz gegen Äußerungen zur Verfügung stellen, die in einem rechtlich geordneten Verfahren erst vorgetragen werden sollen.243 Doch ist diese Sichtweise aus zwei Gründen problematisch. So ist bereits der von der h.M. gewählte Begriff der vorprozessualen Äußerung wenig glücklich. Definitionsgemäß fällt die vorprozessuale Äußerung außerhalb eines Prozesses. Ob es sich bei einer solchen Äußerung letztlich um eine vorprozessuale handelt, stellt sich erst später heraus; nämlich dann, wenn in der Folge tatsächlich ein Prozess eingeleitet und die Behauptung dort erneut getätigt wird, um ein Rechtsschutzziel zu stützen. Für den Betroffenen stellt sich 241

J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 175; ähnlich Piekenbrock, JZ 2006, 586, 591. Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 141; Walter, JZ 1986, 614, 617. 243 OLG Köln, NJW 1972, 293, 294; MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 225; Soergel/Beater, BGB (13. Aufl. 2005), § 823 Anh. IV Rn. 173; J. Helle, JZ 1999, 628, 631; BGH, NJW 1995, 397 deutet dies an: „Der Ausschluß der Ehrenschutzklage ist nämlich eine einschneidende Beschränkung des Ehrenschutzes, die nur mit der besonderen Interessenlage anläßlich oder im Hinblick auf ein bevorstehendes [Hervorhebung durch den Verfasser] gerichtliches oder behördliches Verfahren gerechtfertigt werden kann.“; a.A. Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 141; Walter, JZ 1986, 614, 617. 242

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die Frage, ob er gegen den Erklärenden äußerungsrechtlich vorgeht, aber bereits im Zeitpunkt der Äußerung. Man steht also vor folgendem Problem: Einerseits soll ein vorab eingeleiteter Äußerungsprozess einen gegebenenfalls nachfolgenden anderen Prozess nicht beeinflussen, andererseits ist im Zeitpunkt der Erhebung der Äußerungsklage noch nicht absehbar, ob dieser Konflikt zweier Prozesse eintreten wird. Eine sachliche Rechtfertigung, dem Betroffenen allein im Hinblick auf einen potentiellen Konflikt zweier Prozesse den äußerungsrechtlichen Schutz zu versagen, gibt es nicht.244 Ergänzend wird gegen die h.M. vorgebracht, dass die Unterlassungs- und/oder Widerrufsklage gegen vorprozessuale Äußerungen schon deshalb zulässig sein müsse, weil andernfalls Beleidigungen und unwahre Tatsachenbehauptungen unter dem Vorwand von Prozessführungsabsichten im Zweifel sanktionslos erhoben werden könnten.245 Solange das äußerungsrechtliche Verfahren schwebt, mag man sich insoweit noch mit einer Parallele zur nachträglich unzulässigen negativen Feststellungsklage behelfen. Dort entfällt grundsätzlich das besondere Interesse an der negativen Feststellung, sobald der Gegner Leistungsklage erhebt und sie nicht mehr einseitig zurücknehmen kann.246 Entsprechend würde das Rechtsschutzbedürfnis des Äußerungsklägers entfallen, sobald der „Erstprozess“ rechtshängig wird. Zwar muss der Äußerungskläger nach diesen Grundsätzen die Möglichkeit erhalten, seine Äußerungsklage einseitig für erledigt zu erklären.247 Die Gefahr mehrerer Prozesse mit womöglich divergierenden Ergebnissen lässt sich auf diese Weise also nicht bannen. Da der Kläger in dem für ihn günstigsten Fall aber lediglich ein Feststellungsurteil erstreitet, ist immerhin eine sachwidrige Beeinflussung des „Erstprozesses“ durch den äußerungsdeliktischen Zweitprozess vermieden. Allerdings hilft diese Parallele nicht weiter, wenn der äußerungsrechtlich Betroffene im Zeitpunkt der gegnerischen Klageerhebung bereits eine Untersagungsverfügung erwirkt hat. Hier wird der Kläger des bevorstehenden „Erstprozesses“ gegen die Verfügung Widerspruch gemäß §§ 924 Abs. 1, 936 ZPO einlegen. Die Wirkungen der Verfügung kann er mittels einstweiliger Anordnung nach §§ 707 Abs. 1, 924 Abs. 3 ZPO beseitigen lassen.248 Macht er sodann den Erstprozess rechtshängig, wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig, weil entweder der Verfügungsgrund oder das Rechts244

Walter, JZ 1986, 614, 617. Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 141; i. Erg. auch Walter, JZ 1986, 614, 617. 246 RGZ 71, 68, 73; BGHZ 99, 340, 342; 165, 305, 309; BGH, NJW 1973, 1500; 1999, 2516, 2517; NJW-RR 1990, 1532; GRUR 1985, 41, 44; 1994, 846, 847 f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 256 Rn. 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 90 Rn. 27. 247 Vgl. für den Fall der der negativen Feststellungsklage nachfolgenden Leistungsklage des Gläubigers BGH, NJW 1999, 2516, 2517; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 256 Rn. 7d; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 256 Rn. 93. 248 Berger/Heiderhoff, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht (2006), Rn. 8.25. 245

224 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung schutzbedürfnis entfällt. So lässt sich auch in dieser Konstellation vermeiden, dass der äußerungsdeliktische Zweitprozess den Erstprozess sachwidrig beeinflusst. 3. Die Zeit nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses Ersucht eine Partei nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses um Rechtsschutz gegen dort erfolgten Sachvortrag, so kann das Ergebnis eines solchen äußerungsdeliktischen Zweitprozesses die Prozessführung im Erstprozess naturgemäß nicht mehr beeinträchtigen.249 Deshalb sei die nachfolgende Äußerungsklage selbstverständlich zulässig.250 Gleichwohl besteht nach wohl h.M. auch hier kein Rechtsschutzbedürfnis für den äußerungsdeliktischen Zweitprozess.251 Für sie spricht eine Parallele zum Recht der Feststellungsklage. Denn nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über eine Leistungsklage besteht grundsätzlich kein rechtliches Interesse daran, im Nachhinein eine isolierte Feststellungsklage über das präjudizielle Rechtsverhältnis zu erheben.252 Tatsächlich fallen die Unterschiede zwischen den beiden Positionen aber deutlich geringer aus als es auf den ersten Blick den Anschein hat. So besteht zunächst Einigkeit darüber, dass das Rechtsschutzbedürfnis dann zu bejahen ist, wenn eine der Parteien später ein Vorbringen wiederholt, mit dem sie im Erstprozess nicht durchdringen konnte.253 Außerdem erkennen diejenigen, die sich für eine generelle Zulässigkeit des äußerungsdeliktischen Zweitprozesses nach rechtskräftigem Abschluss des Erstprozesses aussprechen, an, dass der Sachvortrag im Erstprozess keine Wiederholungsgefahr begründe.254 Die nachfolgende isolierte Äußerungsklage wird demnach als unbegründet abgewiesen.255 Gegen den Sachvortrag als solchen gibt es folglich auch nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstprozesses keinen selbständigen äußerungsdeliktischen Rechtsschutz.

249

Walter, JZ 1986, 614, 617. Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 141. 251 MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 225 unter Hinweis auf BGH, GRUR 1969, 236, 237. 252 BGHZ 109, 127, 128. 253 Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 141; vgl. auch MünchKomm/Rixecker, BGB (7. Aufl. 2015), Anh. § 12 Rn. 225. 254 Staudinger/J. Hager, BGB (1999), § 823 Rn. C 141. 255 Das folgt aus der materiellrechtlichen Einordnung der Begehungs- und Wiederholungsgefahr, siehe BGH, NJW-RR 2006, 566 f.; Jauernig/Berger, BGB (16. Aufl. 2015), § 1004 Rn. 11; Staudinger/Gursky, BGB (2012), § 1004 Rn. 216; vgl. auch BGH, GRUR 1969, 236, 237 f. 250

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III. Die persönliche Reichweite der Unzulässigkeit Besondere Schwierigkeiten entstehen schließlich, wenn das vermeintlich unwahre Vorbringen einer Partei nicht den Gegner, sondern einen Dritten betrifft. Ersucht der Dritte erfolgreich um selbständigen äußerungsrechtlichen Rechtsschutz, darf die Partei die fraglichen Tatsachen nicht mehr vorbringen und ihre Prozessführung im Erstprozess wird beeinträchtigt. Aus diesem Grund hält die h.M. auch den äußerungsdeliktischen Zweitprozess eines außerhalb des Prozesses oder sonstigen Verfahrens stehenden Dritten für unzulässig.256 Für den Dritten ist dabei problematisch, dass er an dem Erstprozess nicht beteiligt ist, die dort erfolgende Wahrheitsprüfung der ihn betreffenden Tatsachenbehauptung folglich nicht beeinflussen kann. Wenn die h.M. ihm dennoch selbständigen Rechtsschutz versagt, so verlangt sie ihm gewissermaßen ein Sonderopfer im Interesse der übergeordneten Belange einer funktionierenden Rechtspflege ab.257 Jedoch sei dann im Erstprozess besonders sorgfältig zu prüfen, ob der Dritte die Äußerung hinnehmen müsse.258 Im Ergebnis kann damit auch ein betroffener Dritter keinen selbständigen äußerungsdeliktischen Rechtsschutz gegen eine Prozessäußerung erlangen. Auch seine persönlichkeitsrechtlichen Interessen müssen folglich im Erstprozess angemessene Berücksichtigung finden.

E. Die ungenügende Wahrheitsprüfung im Erstprozess und die Konsequenzen Nach dem bislang Gesagten begründet der Sachvortrag der Parteien des Zivilprozesses zwar grundsätzlich einen äußerungsdeliktischen Konflikt. Jedoch kann der Betroffene allenfalls in sehr beschränktem Umfang selbständigen äußerungsrechtlichen Rechtsschutz erlangen. Nun gilt es, die Konsequenzen aufzuzeigen, die sich daraus für die Sachverhaltsaufklärung im Erstprozess ergeben. Dies soll anhand zweier unterschiedlicher Prämissen geschehen. Die erste dieser beiden Prämissen besteht in der Sichtweise der h.M., wonach ein äußerungsdeliktischer Zweitprozess stets ausgeschlossen ist. Die zweite greift diejenige Mindermeinung auf, die diesen Zweitprozess immerhin dann zulässt, wenn er im Forum des Erstprozesses angestrengt wird.

256 BGHZ 183, 309, 314; BGH, NJW 1998, 996, 997; GRUR 1973, 550, 551; 2013, 305, 306; J. Helle, GRUR 1982, 207, 214; ders., NJW 1987, 233, freilich vor dem Hintergrund seines eigenen, materiellrechtlichen Ausgangspunkts; Walter, JZ 1986, 614, 617; stark einschränkend J. Hager, in: FS für Medicus (2009), 171, 177 f. 257 BGHZ 183, 309, 315; BGH, NJW 2008, 996, 998; GRUR 2013, 305, 306; 2013, 647, 648. 258 BGHZ 183, 309, 314; BGH, NJW 2008, 996, 998; GRUR 2013, 305, 306; 2013, 647, 648.

226 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung

I. Prämisse I: Der ausgeschlossene äußerungsdeliktische Zweitprozess 1. Die Schutzfunktion des Erstprozesses Der selbständige äußerungsdeliktische Zweitprozess über Prozessäußerungen wird deshalb für verzichtbar erachtet, weil der Wahrheitsgehalt des Sachvortrags im Erstprozess überprüft wird. Der Erstprozess zieht also die Entscheidungskompetenz über den äußerungsrechtlichen Konflikt an sich. Diese beiläufige Mitentscheidung über den äußerungsrechtlichen Konflikt ist folglich die Kompensation dafür, dass der Betroffene insoweit keinen selbständigen Rechtsschutz erhält. Diese Funktion kann der Erstprozess jedoch nur erfüllen, wenn die Standards seiner Wahrheitsprüfung im Interesse beider Parteien den äußerungsrechtlichen Standards gleichwertig sind. Bleiben sie dahinter zurück, ist es nicht gerechtfertigt, den äußerungsrechtlichen Zweitprozess unter Hinweis auf die kompensatorische Wahrheitsprüfung im Erstprozess zu verweigern. 2. Funktionelle Gleichwertigkeit der zivilprozessrechtlichen Wahrheitsprüfung? Funktionell gleichwertig ist das zivilprozessrechtliche Modell zur Wahrheitsüberprüfung des Parteivorbringens nur unter der Voraussetzung, dass es eine Behauptung des Erklärenden, die sich im selbständigen Äußerungsprozess als wahr erwiese, ebenfalls für wahr erkennt. Umgekehrt darf es Behauptungen des Erklärenden nicht als wahr behandeln, die nach äußerungsdeliktischen Maßstäben unwahr sind. a) Beispiel nach BGH, NJW 1990, 3151 Ob das zivilprozessrechtliche Aufklärungsmodell danach den äußerungsrechtlichen Konflikt der Parteien funktionell gleichwertig behandelt wie ein selbständiges äußerungsrechtliches Verfahren, sei anhand eines Beispiels aus der Rechtsprechung überprüft: Zwei Personen stritten über Gesellschaftsgewinne. Früher waren sie Gesellschafter einer OHG. Nachdem über das Privatvermögen des Klägers der Konkurs eröffnet war, traf der Beklagte mit dem Verwalter eine Vereinbarung, in deren Folge er das Unternehmen allein fortführte. Diese Vereinbarung erwies sich indes als von Anfang an nichtig. Der Bundesgerichtshof stellte in der entsprechenden Entscheidung fest, dass der Beklagte dem Kläger für die gesamte Zwischenzeit die gezogenen Gewinne anteilig herausgeben müsse. Bei der Abwicklung argwöhnte der Kläger, dass der Beklagte der niemals beendeten Gesellschaft Gewinne treuwidrig entzogen und diese auf zwei Konkurrenzunternehmen verlagert habe, die der Beklagte allein kontrolliere. Wegen dieser –

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vom Bundesgerichtshof so bezeichneten – treuwidrigen Gewinnverlagerung verlangte der Kläger vom Beklagten Schadensersatz. In der konkreten Prozesssituation verfügte der Kläger über einige Indizien, die seine Klage schlüssig machten. Er war aber außerstande, seine Ausführungen weiter zu konkretisieren oder gar direkte Beweismittel für die Wahrheit seiner Behauptungen beizubringen. Die entsprechenden Dokumente, anhand derer etwaige treuwidrige Gewinnverlagerungen nachvollziehbar gewesen wären, befanden sich sämtlich im alleinigen Zugriffsbereich des Beklagten. b) Die äußerungsrechtliche Wahrheitsprüfung Nach äußerungsrechtlichen Grundsätzen ist die risikobelastete Partei gehalten, Belegtatsachen für die Wahrheit ihrer Behauptung zu benennen, der Gegner habe Gewinne treuwidrig verlagert. Das gilt insoweit, als solche Belegtatsachen von ihr erwartbar sind. Benennt sie solche Tatsachen nicht, wird ihre Behauptung äußerungsdeliktisch wie eine unwahre behandelt. Zwar mögen die Indizien als Belegtatsachen objektiv eher schwach ausfallen und hinter den Regelanforderungen zurückbleiben. Jedoch entsprechen sie demjenigen, was nach den beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Klägers erwartbar ist. An der vorläufigen Unterstellung, die Behauptung sei subjektiv unwahr, kann in diesem Fall nicht mehr festgehalten werden. Folglich ist es nun an dem Beklagten, auf den glaubhaften Vorwurf treuwidriger Gewinnverlagerung zu entgegnen. Er hat hierzu sämtliche von ihm erwartbaren Belegtatsachen für die Wahrheit seines Bestreitens zu offenbaren. Denn, wie gesehen, unterliegt auch die Entgegnung in vollem Umfang den Regeln zur Bestimmung lediglich subjektiv unwahrer Tatsachenaussagen. Wenn der Beklagte also die Inhalte seiner Firmenbücher zurückhält, bleibt die Vermutung für die subjektive Unwahrheit seiner Entgegnung bestehen. Damit stünde zugleich fest, dass der Kläger den Vorwurf der treuwidrigen Gewinnverlagerung zu Recht erhoben hat. c) Die prozessrechtliche Wahrheitsprüfung Nach prozessrechtlichen Grundsätzen muss der Vortrag so viele tatsächliche Elemente enthalten, damit er in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet ist, das geltend gemachte Recht in der Person der risikobelasteten Partei als entstanden erscheinen zu lassen.259 Insoweit ergeben sich keine prinzipiellen Unterschiede zwischen der allgemein zivilprozessrechtlichen und der äußerungsdeliktischen Vorgehensweise. Im Beispielsfall reichen die vorgetragenen Indizien nach den Feststellungen der mit der Sache befassten Gerichte aus, um prozessrechtlich einen schlüssigen Sachvortrag zu begründen. Allerdings gerät der schlüssige Vortrag insge259

Siehe nur Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Vorbem § 253 Rn. 38.

228 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung samt reichlich pauschal, da dem Kläger nur sehr wenige konkrete Informationen zur Verfügung stehen. Im Prozess gilt dabei herkömmlich die Regel, dass das Bestreiten gemäß § 138 Abs. 2 ZPO nicht detaillierter zu erfolgen braucht als die Behauptungen der risikobelasteten Partei.260 Demgemäß konnte der Beklagte des Beispielsfalls sich auf ein einfaches Bestreiten zurückziehen und insbesondere die Firmenbücher der von ihm kontrollierten Unternehmen zurückhalten.261 d) Fazit Der Vergleich dieser beiden Modelle zeigt Folgendes: Prozessrechtlich muss die Entgegnung weniger strenge Anforderungen erfüllen, um als subjektiv wahr anerkannt zu werden. In gleichem Maße, wie es dem Gegner bzw. dem Betroffenen erleichtert wird, eine subjektiv wahre Entgegnung zu formulieren, wird es umgekehrt der risikobelasteten Partei erschwert, ihre Behauptung als wahr bestätigt zu bekommen. Soweit die Möglichkeit einer subjektiv unwahren Entgegnung entfällt, kommt sie als Gegnerverhalten, das die Wahrheit der Behauptung bestätigt, nämlich nicht mehr in Betracht. Das Aufklärungsmodell des Zivilprozesses erweist sich somit als nicht funktionell gleichwertig mit einem selbständigen äußerungsrechtlichen Verfahren. Die Ursache liegt in dem prozessrechtlichen Manko in Bezug auf § 138 Abs. 1 ZPO: Zwar erkennt das allgemeine zivilprozessrechtliche Aufklärungsmodell dort das Phänomen der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung ebenfalls an. Jedoch verfügt es anders als das materielle Äußerungsdeliktsrecht über keine Methode, Tatsachen ohne Beweiswürdigung als (lediglich) subjektiv unwahr zu qualifizieren.

II. Prämisse II: Zulässige Äußerungsklage im Forum des Erstprozesses Verändert man die Prämisse und lässt mit der Mindermeinung den äußerungsdeliktischen Zweitprozess – sei es als objektive Klagenhäufung des Klägers des Erstprozesses, sei es als Widerklage des Beklagten – im Forum des Erstprozes-

260 BGH, NJW 1999, 1404, 1405; 1999, 1859, 1860; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 8a; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 36; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 506; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 530; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 219; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 349; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 7; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 411. 261 Etwas anderes ergibt sich teilweise nach den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast. Diese Grundsätze zählen jedoch nicht zu den herkömmlichen Regeln über die Behauptungslast und bleiben deshalb an dieser Stelle außer Betracht.

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ses zu, so wird das soeben gefundene Ergebnis bestätigt. Verdeutlicht sei dies abermals anhand von BGH, NJW 1990, 3151. 1. Die Widerklage des Gegners der risikobelasteten Partei Es soll wiederum der Kläger unter Nennung vager, jedoch immerhin schlüssiger Indizien behauptet haben, dass der Beklagte Gewinne aus der gemeinsamen Gesellschaft auf zwei von ihm, dem Beklagten, betriebene konkurrierende Gesellschaften verlagert habe. Der Beklagte bestreitet einfach und erhebt Widerklage auf Unterlassung dieser die Schadensersatzklage stützenden Behauptung. Die äußerungsdeliktische Widerklage unterliegt äußerungsdeliktischen Regeln. Ob die Behauptung des Erklärenden oder die Entgegnung des Betroffenen lediglich subjektiv unwahr ist, wird anhand der hierfür entwickelten äußerungsdeliktischen Methoden bestimmt. Da es hier nicht um öffentliche Interessen geht, trägt der Kläger und Widerbeklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB die objektive Behauptungslast für die Wahrheit seiner Behauptung. Er hat die von ihm erwartbaren Belegtatsachen benannt. Damit kann die vorläufig unterstellte subjektive Unwahrheit nicht aufrechterhalten werden. Hier unterliegt jedoch auch die Gegenäußerung des Beklagten und Widerklägers uneingeschränkt den äußerungsdeliktischen Regeln. Benennt er weiterhin keine Belegtatsachen für die Wahrheit seiner Entgegnung, so bleibt die vorläufige Unterstellung subjektiver Unwahrheit bestehen und das Gericht weist die Widerklage ab. Wendet man auf die gleichzeitig verhandelte Erstklage die herkömmlichen Regeln über die zivilprozessrechtliche Sachverhaltsaufklärung an, so wird der Beklagte und Widerkläger die risikobelastete Partei durch einfaches Bestreiten in Beweisnot treiben und eine Beweislastentscheidung zu seinen Gunsten erstreiten. Folgendes Ergebnis stellt sich also ein: In der Hauptklage obsiegt der Beklagte und Widerkläger, da der Kläger die zentrale, seine Klage stützende Behauptung nicht beweisen konnte. In der äußerungsdeliktischen Widerklage unterliegt der Beklagte und Widerkläger jedoch, weil sein Bestreiten desselben klägerischen Vortrags als lediglich subjektiv unwahr zu behandeln ist. Dieser innere Widerspruch ist nicht hinnehmbar. 2. Die objektive Klagenhäufung der risikobelasteten Partei Der Fall lässt sich weiterdenken. Bei im Übrigen identischer Ausgangssituation soll nicht der Beklagte die Widerklage erheben, sondern der Kläger zusätzlich das Unterlassen des gegnerischen Bestreitens verlangen.262 Wieder 262

Es handelte sich somit um eine Klage auf „Untersagung der Gegenschlagsäußerung“. Diese ist äußerungsrechtlich zwar im Grundsatz anerkannt, jedoch sind ihre Voraussetzungen

230 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung müssten für die Schadensersatzklage die herkömmlichen Grundsätze über die Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozess gelten, für die Unterlassungsklage jedoch die äußerungsdeliktischen Regeln. Entsprechend den soeben erzielten Erkenntnissen wird der Kläger im Leistungsantrag unterliegen, im Unterlassungsantrag jedoch obsiegen. Er kann also ein Unterlassungsurteil für das Bestreiten erzielen, obwohl dieses Bestreiten den Sieg des Gegners im Erstprozess ermöglichte.

III. Die Konsequenzen Damit ist an sich festzuhalten: Die herkömmlichen Regeln über die Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozess bringen in Bezug auf die Wahrheit von Tatsachenbehauptungen andere Ergebnisse hervor als die entsprechenden äußerungsdeliktischen Regeln. Dafür ist im Wesentlichen ursächlich, dass das Zivilprozessrecht die Kategorie der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung oder Entgegnung zwar in § 138 Abs. 1 ZPO anerkennt, jedoch außerstande ist, einen solchen Sachvortrag zu ermitteln. Daher wird der verlorene äußerungsrechtliche Zweitprozess nicht durch die Wahrheitsprüfung im Erstprozess funktionell gleichwertig kompensiert. Der Ausgang des äußerungsrechtlichen Konflikts ist freilich grundgesetzlich determiniert. Ihn gibt die praktische Konkordanz zwischen Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG vor. Die Regeln des einfachen Prozessrechts können sich diesem Ergebnis nicht widersetzen. Vielmehr sind sie – im Rahmen der methodischen Möglichkeiten – so zu interpretieren, dass sie den grundgesetzlichen Vorgaben genügen. Deshalb ist lediglich subjektiv unwahres Vorbringen im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO unter Rückgriff auf die entsprechenden Methoden des materiellen Äußerungsdeliktsrechts zu bestimmen. Die entsprechende Erklärungslast des Gegners der risikobelasteten Partei gemäß § 138 Abs. 2 ZPO ist in diesem Sinn auszulegen. Dadurch erhält § 138 Abs. 1 ZPO schließlich einen gegenüber § 286 Abs. 1 ZPO eigenständigen Anwendungsbereich.

IV. Rechtfertigung unterschiedlicher Maßstäbe der Wahrheitsprüfung? Die beschriebenen Konsequenzen sind allerdings nicht zu ziehen, wenn die herkömmlichen Regeln über die zivilprozessrechtliche Sachverhaltsaufklärung ihrerseits das einfachrechtliche Resultat eines übergeordneten Prinzips von Verfassungsrang sind. im Einzelnen wenig erforscht. Es sei unterstellt, dass diese – handelte es sich nicht um eine nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohnehin unzulässige äußerungsrechtliche Zweitklage – im vorliegenden Fall zulässig ist.

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1. Die informationelle Selbstbestimmung des Gegners der risikobelasteten Partei In Betracht kommen zunächst Belange des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Immerhin schützt das zivilprozessrechtliche Aufklärungsmodell die informationelle Selbstbestimmung des Gegners der risikobelasteten Partei in größerem Umfang als es bei selbständiger äußerungsdeliktischer Prüfung der Fall wäre.263 Jedoch wird hierdurch lediglich ein Phänomen beschrieben. Tatsächlich kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung keinen eigenständigen Rechtfertigungsgrund dafür bilden, dass im Prozessrecht andere Standards der Wahrheitsprüfung gelten als im parallelen materiellen Äußerungsdeliktsrecht. In das Ergebnis der äußerungsrechtlichen praktischen Konkordanz zwischen Art. 5 Abs. 1 GG einerseits und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG andererseits sind nämlich bereits sämtliche Belange des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingeflossen. 2. Die Privatautonomie Im Übrigen heißt es häufig, dass der Beibringungsgrundsatz und die aus ihm abgeleiteten herkömmlichen Regeln zur Sachverhaltsaufklärung die prozessrechtliche Fortsetzung der Privatautonomie seien.264 Auch im materiell-bürgerlichrechtlichen Zusammenhang findet sich die Aussage, dass – als Folge der Privatautonomie – jede Partei eines Rechtsgeschäfts sich selbst um die erforderlichen Informationen kümmern müsse und keine umfängliche Aufklärung durch den Geschäftsgegner erwarten dürfe.265 Doch steht der Zusammenhang zwischen Zivilprozess und Privatautonomie den soeben unter III. beschriebenen Konsequenzen nicht entgegen. Spricht man in Zusammenhang mit dem einzelnen Rechtssubjekt von Privatautonomie, sind insbesondere seine Ausübungs- und Wahrnehmungsfreiheit in Bezug auf bestimmte Rechte gemeint.266 Stets setzen diese Freiheiten eine 263 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 8; mit teils stärkerer Inbezugnahme der betrieblichen Geheimsphäre auch Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 380; Ahrens, NJW 1983, 2609, 2610; Wagner, ZEuP 2001, 441, 473 f.; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129, 3131; Peukert/Kur, GRURInt 2006, 292, 301; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 266; allgemein zur informationellen Selbstbestimmung im Zivilprozessrecht etwa MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 299 Rn. 30; Zuck, NJW 2010, 2913, 2915. 264 BVerfGE 52, 131, 153; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), vor § 128 Rn. 148; MünchKomm/Säcker, BGB (7. Aufl. 2015), Einl. Rn. 7; Leipold, in: FS für Fasching (1988), 329, 340; ders., JZ 1982, 441, 442; Pawlowski, DRiZ 1988, 334; Katzenmeier, JZ 2002, 533, 536; Saenger, ZZP 121 (2008), 139, 143; vgl. auch Becker-Eberhard, in: Yildirim, Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen (2001), 15, 27. 265 Vgl. etwa MünchKomm/Kramer, BGB (6. Aufl. 2012), § 241 Rn. 138. 266 Larenz/Wolf, BGB AT (9. Aufl. 2004), § 1 Rn. 2.

232 4. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung I: Dogmatische Herleitung Auswahl zwischen mindestens zwei Handlungsalternativen voraus,267 mögen sich diese auch auf Tun und Unterlassen beschränken. Vor diesem Hintergrund stehen Dispositionsakte über den Streitgegenstand – also Klageerhebung, Verzicht, Anerkenntnis, Vergleich etc. – in engem Zusammenhang mit dem materiellrechtlichen Verständnis von privatautonomem Verhalten.268 Ähnliches gilt grundsätzlich auch in Zusammenhang mit der Einführung von Tatsachen in den Prozess, etwa bei § 288 ZPO oder aber stets bei der Auswahl dessen, was man dem Prozessgericht zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form präsentieren möchte. Von einer privatautonomen Wahrnehmung eigener Rechte oder Gestaltungsmöglichkeiten kann aber keine Rede sein, soweit das Informationsproblem das Handeln einer Person vorherbestimmt. Verfügt eine Partei nicht über die Information, die das einfache Prozessrecht ihr abfordert, so trifft sie keine Auswahl unter mehreren Handlungsoptionen, wenn sie die betreffende Information schuldig bleibt. Auch verfehlt der Hinweis auf die materiellrechtliche Obliegenheit der Rechtssubjekte, sich die für den Abschluss eines Rechtsgeschäfts erforderlichen Informationen selbst zu besorgen, den Kern des Problems. Sieht sich dort das Rechtssubjekt nämlich als nicht ausreichend informiert an, so bleibt ihm die Option, das fragliche Rechtsgeschäft nicht abzuschließen. Es erleidet hierdurch keinen Verlust. Der Kläger hingegen, der sein Begehren schlüssig vorbringt und nur aufgrund eines bewusst unwahren Bestreitens weitere Informationen beibringen soll, auf die er keinen Zugriff hat, kann auf die Klageerhebung zwar auch verzichten. Doch bedeutet es für ihn die Aufgabe seines Rechts.269

Zwischenergebnis Das Parteivorbringen eines jeden Zivilprozesses („Erstprozess“) begründet einen jedenfalls latenten äußerungsdeliktischen Konflikt. Dennoch findet ein äußerungsdeliktischer Zweitprozess, in dem Behauptungen und Bestreiten auf ihren jeweiligen Wahrheitsgehalt überprüft werden, nicht statt. Konkurrierende Prozesse drohten einander wechselseitig zu beeinflussen, die Prozess267 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff (2001), 28 f.; im Kontext mit der Bestimmung des Begriffs der Freiwilligkeit. 268 Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), Einf. Rn. 66; Wieczorek/Schütze/Prütting, ZPO (3. Aufl. 1994), Einl. Rn. 73; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 24 Rn. 1; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, (17. Aufl. 2010), § 76 Rn. 1; Unberath, ZEV 2008, 465, 466. 269 Spiegelbildlich gilt das auch für den Beklagten, der seine Einwendung nur erheblich behaupten aber nicht weiter belegen kann. Formal hat auch er die Option, den gegen ihn erhobenen Anspruch zu erfüllen. Doch bedeutet auch dies natürlich den Verlust seiner rechtlichen Position.

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führung der Parteien im Erstprozess zu beeinträchtigen und letztlich eine funktionsfähige Rechtspflege insgesamt infrage zu stellen. Die äußerungsdeliktischen Belange der Parteien des Erstprozesses werden dadurch nicht obsolet. Ihnen ist im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung des Erstprozesses Rechnung zu tragen. Die herkömmlichen Regeln über die Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozess enthalten keine Möglichkeit, lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptungen im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO zu bestimmen. Dieser Verlust beim Schutz äußerungsdeliktischer Belange wird auch nicht funktionell gleichwertig kompensiert. Der Ausgleich zwischen Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ist jedoch grundgesetzlich determiniert und somit vorrangig gegenüber den einfachrechtlichen Regeln über die prozessrechtliche Sachverhaltsaufklärung. Folglich ist die äußerungsdeliktische Methode, mit der Behauptung und Entgegnung als lediglich subjektiv unwahr qualifiziert werden können, auch auf das Behaupten und Bestreiten im Zivilprozess anzuwenden. § 138 Abs. 2 ZPO ist in diesem Sinn zu interpretieren. Dadurch erhält § 138 Abs. 1 ZPO einen gegenüber § 286 Abs. 1 ZPO eigenständigen Anwendungsbereich.

5. Kapitel

Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Für ein prozessrechtliches Aufklärungsmodell, das neben dem Parteiegoismus und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen auch der Wahrheitspflicht der Parteien gemäß § 138 Abs. 1 ZPO Rechnung trägt, ergibt sich danach zunächst ein grobes Raster: Der lediglich subjektiv unwahre Sachvortrag begründet einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO. Ob eine Tatsachenbehauptung oder das zugehörige Bestreiten in diesem Sinne lediglich subjektiv unwahr ist, ist unter Rückgriff auf die entsprechenden äußerungsdeliktischen Methoden zu bestimmen. Korrespondierend mit der aussageanalytischen Nullhypothese wird der Sachvortrag jeder Partei so lange als subjektiv unwahr unterstellt, bis sie so viele Realkennzeichen für die Wahrheit ihres Vorbringens beigebracht hat, dass an dieser Unterstellung nicht mehr festgehalten werden kann.1 Zu den entsprechenden Realkennzeichen zählen dabei insbesondere die von der behauptenden oder entgegnenden Partei jeweils erwartbaren Belegtatsachen. In erster Linie geht es dabei um den Vortrag weiterer konsistenter Einzelheiten zum rechtlich relevanten Kernbereich, unter Umständen aber auch um Beweismittel. Selbstverständlich bedarf dieses zunächst grobe Raster der Konkretisierung. Herauszuarbeiten ist, in welcher Phase des Prozesses welche der beiden Parteien welche Realkennzeichen/Belegtatsachen zu benennen hat, um die Unterstellung, ihr Vorbringen sei subjektiv unwahr, zu entkräften.

§ 13 Die Initialbehauptung A. Das Problem: Die inhaltlichen Anforderungen Die risikobelastete Partei initiiert das Wechselspiel von Rede und Gegenrede mit der erstmaligen Behauptung einer entscheidungserheblichen Tatsache. Genügt diese Initialbehauptung den an sie gestellten inhaltlichen Anforderungen, löst sie die gegnerische Erwiderungslast nach § 138 Abs. 2 ZPO aus. Bleibt sie dahinter zurück, hat es mit dem Vorgehen entsprechend der aussageanalyti1

Diese Einschätzung entspricht übrigens einer sehr klassischen Sichtweise auf den Parteivortrag, vgl. bereits Wach, Grundfragen und Reform des Zivilprozesses (1914), 33

§ 13 Die Initialbehauptung

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schen Nullhypothese sein Bewenden: Mangels erwartbarer Belegtatsachen für die Wahrheit der Behauptung („Realkennzeichen“) ist sie als subjektiv unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO zu behandeln und daher prozessrechtlich unbeachtlich. Entscheidend ist also zunächst, welche inhaltlichen Anforderungen an die Initialbehauptung der risikobelasteten Partei zu stellen sind. Mit anderen Worten: Welche Belegtatsachen hat sie in dieser Phase des Prozesses zu benennen, um der Unterstellung, dass ihre Behauptung bewusst unwahr sei, die Grundlage zu entziehen? Natürlich ist dieser Punkt von allgemeiner Natur. Besondere Probleme wirft er aber in den eingangs geschilderten Fallgruppen des Informationsproblems auf. So stellt sich insbesondere die Frage, ob es der risikobelasteten Partei an dieser Stelle gestattet sein sollte, Tatsachen aus einem fremden Wahrnehmungskreis in Form schlussfolgernder Zusammenfassungen vorzutragen. Um eine taugliche Initialbehauptung aufzustellen, könnte dann etwa der durch keinerlei weitere Fakten untermauerte Vortrag ausreichen, dass der Gegner mit Dritten einen wettbewerbsbeschränkenden Vertrag zu Lasten des Vortragenden geschlossen habe,2 dass er den geschützten PHP-Quellcode eines Telemediendienstes des Vortragenden rechtswidrig übernommen habe,3 dass er ein geschütztes Verfahren entgegen § 9 Nr. 2 PatG nutze4 oder aber dass er im Zuge der Vertragsverhandlungen über einen Immobilienkauf unwahre Angaben über die in der Vergangenheit tatsächlich erzielten Nettokaltmieten gemacht habe.5 Ähnliche Erwägungen ergeben sich in den weiteren Fallgruppen: Negative Tatsachen könnten durch die einfache Verneinung einer bestehenden Tatsache ausreichend behauptet sein, etwa dass das in einer Likörwerbung in Bezug genommene alte Familienrezept in Wahrheit nicht existiere.6 Für innere Tatsachen könnte die schlichte Wiederholung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals – z.B. Kenntnis, Vorsatz, Wille von bzw. zu etwas – genügen, etwa die fehlende Selbstnutzungsabsicht im Zeitpunkt der Mietvertragskündigung7 oder die arglistige Täuschung über objektiv unzutreffende Umstände.8 Und schließlich seien die nur sachverständig feststellbaren Tatsachen erwähnt. Auch hier stellt sich die Frage, ob man von dem Vortragenden an dieser Stelle mehr verlangen soll als – im Arzthaftungsprozess – die Schilderung der eigenen Symptome verbunden mit der bloßen Behauptung eines Behandlungsfehlers oder – im Baumängelprozess – die Schilderung eines Mangelsymptoms unter Verzicht auf weitere Hinweise auf die Tätigkeit des Unternehmers. 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544 (2007). Vgl. LG Köln, MMR 2009, 640. Vgl. RGZ 88, 437. Vgl. BGH, NJW 2007, 155. Vgl. Vgl. BGH, GRUR 1963, 270. Vgl. BGH, NJW 2005, 2395. Vgl. BGH, NJW 2011, 1279.

236 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung

B. Denkbar: Umfassende objektive Belegtatsachen I. Strenge Anforderungen an den Initialvortrag 1. Die äußerungsdeliktische Parallele Eine gesetzliche Regelung über den an die Initialbehauptung anzulegenden Maßstab gibt es nicht. Es erscheint aber naheliegend, von der risikobelasteten Partei bereits für die ordnungsgemäße Initialbehauptung sämtliche erwartbaren Belegtatsachen zu fordern. Dies gewährleistete eine bestmögliche Glaubwürdigkeitsprüfung und käme Forderungen nach einer im Vorfeld der Beweisaufnahme liegenden Plausibilitätskontrolle, die hinter der Forderung nach der Substantiierung des anspruchs- oder einwendungsbegründenden Vortrags stehe,9 ebenfalls bestmöglich entgegen. Wohl gedient wäre bei einem solchen Vorgehen auch den Persönlichkeitsinteressen des Gegners als dem äußerungsdeliktisch Betroffenen. Denn zum einen würde seinem Anspruch, haltlose Behauptungen nicht hinnehmen zu müssen,10 Rechnung getragen. Zum anderen würde der Gegner erst dann zu einer Reaktion veranlasst, wenn die risikobelastete Partei ihre Behauptung im Einzelnen dargelegt hat, was wiederum seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entgegenkäme.11 2. Der Wortlaut des § 138 Abs. 1 ZPO Und schließlich wird man bei der Suche nach Argumenten für eine solch strenge Handhabung der Anforderungen an die Initialbehauptung vermeintlich auch im Prozessrecht selbst fündig. Denn immerhin verlangt § 138 Abs. 1 ZPO, dass die Parteien – also auch und gerade die risikobelastete Partei – ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abgeben. Betrachtet man allein den Wortlaut dieser Vorschrift, so lässt sich die Forderung nach umfassenden Belegtatsachen bereits für die Initialbehauptung zwanglos aus diesem Vollständigkeitsgebot ableiten.12

9 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 119; Berkowsky, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht (3. Aufl. 2009), § 132 Rn. 95; Meyke, NJW 2000, 2230, 2231; enger ist wohl der von Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch bei Verfolgung privater Rechte (1966), 9 und E. Peters, Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß (1966), 63 f. verwendete Begriff der „Beweiserheblichkeit“ zu verstehen. 10 Vgl. BVerfGE 99, 185, 198 f.; BVerfG, NJW-RR 2000, 1209, 1210; OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.2.2005 – I-15 U 167/04, 15 U 167/04 [juris]; LG Köln, Urt. v. 21.7.2010 – 28 O 146/10 [juris]; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291. 11 Vgl. BGH, GRUR 1975, 36, 38. 12 Vgl. E. Peters, Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß (1966), 68 f.

§ 13 Die Initialbehauptung

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3. Die Konsequenzen einer solchen Lösung Schließt man sich dem an und fordert umfassende objektive Belegtatsachen für die Wahrheit bereits bei der Initialbehauptung, ergibt sich auf den ersten Blick Folgendes: Wenn für die risikobelastete Partei kein Informationsproblem besteht, dann sind sämtliche nach ihrem Kenntnisstand erwartbaren objektiven Belegtatsachen bereits bei der Initialbehauptung anzuführen. Umgekehrt sind von der nur unzureichend informierten Partei entsprechend wenige objektive Belegtatsachen erwartbar. Für sie könnte es daher mit einer bloß pauschalen Initialbehauptung sein Bewenden haben. Doch mag es unangemessen erscheinen, an die Initialbehauptung der informierten Partei äußerst strenge Anforderungen zu stellen, bei der nicht informierten Partei hingegen Großzügigkeit walten zu lassen. Folglich könnte die weitere Konsequenz einer strengen Sichtweise bei der informierten Partei in der amerikanischen Lösung gemäß Twombly und Iqbal liegen: darin nämlich, dass eine Behauptung, für welche die sie aufstellende Partei keine weiteren Belegtatsachen benennen kann, von vornherein unbeachtlich ist. Für die eingangs dieses Abschnitts genannten Beispiele bedeutete das: Sämtliche ohne begleitende objektive Belegtatsachen aufgestellten Initialbehauptungen wären als subjektiv unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO zu behandeln.

II. Die Untauglichkeit eines solch strengen Maßstabs Die Argumente für strenge Anforderungen an die Initialbehauptung überzeugen jedoch nicht. 1. Geständnis und Geständnisfiktion als Realkennzeichen Das gilt zunächst aus prozessrechtlichen Gründen. So kommen als Realkennzeichen für die Wahrheit einer Behauptung nicht nur die vorgetragenen Belegtatsachen der risikobelasteten Partei in Betracht. Vielmehr spielt insoweit auch das Gegnerverhalten eine bedeutende Rolle. Das Zivilprozessrecht selbst erkennt dies für die Fälle des Geständnisses gemäß § 288 Abs. 1 ZPO sowie der Geständnisfiktionen gemäß §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3 ZPO und § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO an. Wenn das Prozessrecht nämlich anordnet, dass eine Initialbehauptung als wahr zu behandeln ist, sofern der Gegner sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugesteht, ihr nicht widerspricht oder zur mündlichen Verhandlung gar nicht erst erscheint, ist es nicht mehr erforderlich, die Initialbehauptung aus sich selbst heraus als bewusst wahr oder unwahr zu beurteilen. Diese im Hinblick auf § 138 Abs. 1 ZPO zu treffende Entscheidung ist dem Gericht durch das bestätigende Gegnerverhalten abgenommen. Geständnis und Geständnisfiktion sind daher – mit Ausnahme allenfalls der Of-

238 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung fenkundigkeit gemäß § 291 ZPO – die stärksten von der ZPO anerkannten Realkennzeichen für die Wahrheit einer Behauptung.13 Daraus folgt: Solange der Gegner auf die Initialbehauptung noch nicht reagiert hat, ist es möglich, dass er ihre Wahrheit bestätigen werde. Bevor diese Reaktion erfolgt ist, besteht keine Notwendigkeit, sämtliche erwartbaren Belegtatsachen einzufordern, um die Initialbehauptung darauf zu überprüfen, ob an der zunächst unterstellten subjektiven Unwahrheit festzuhalten ist oder nicht.14 2. Die äußerungsdeliktische Parallele und der Wortlaut des § 138 Abs. 1 ZPO Und auch die weiteren Argumente stützen eine Forderung nach umfassenden objektiven Belegtatsachen für die Initialbehauptung nicht. So ist die Tatsachenbehauptung auch nach äußerungsdeliktischen Grundsätzen erst dann zwingend mit objektiven Belegtatsachen zu untermauern, wenn der Betroffene ihre Wahrheit in Abrede stellt.15 Der Wortlaut des § 138 Abs. 1 ZPO sagt letztlich nicht mehr, als dass die risikobelastete Partei sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig zu erklären habe.16 Wenn aber eine Tatsache infolge eines Geständnisses oder einer Geständnisfiktion als wahr zu behandeln ist, sind weitere objektive Belegtatsachen nicht mehr entscheidungserheblich.17 3. Schlussfolgerung Aus alledem folgt unmittelbar jedoch nur, dass die informierte Partei – diejenige also, die über objektive Belegtatsachen für die Wahrheit ihres Vortrags verfügt – nicht alle ihre Belegtatsachen vorbringen muss, um eine ausreichende Initialbehauptung zu erheben. Ob und welche Belegtatsachen für eine ausreichende Initialbehauptung erforderlich sind, bleibt für die informierte Partei 13

Vgl. in diese Richtung bereits Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1962), 128 f. Wirksam wird eine Erwiderung als Reaktion auf die Initialbehauptung zwar erst in der mündlichen Verhandlung. Im Anwaltsprozess besteht jedoch gemäß § 129 ZPO die Pflicht zur schriftsätzlichen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. Kommt eine Partei dieser Pflicht nicht nach, kann dies ggf. eine Präklusion weiteren Vorbringens nach § 296 Abs. 2 ZPO nach sich ziehen (Sanger/Wöstmann, ZPO [6. Aufl. 2015], § 129 Rn. 1). Hat der Gegner in einem vorbereiteten Schriftsatz angekündigt, eine pauschal gehaltene Initialbehauptung zu bestreiten, kann die behauptungsbelastete Partei ggf. bereits vor der mündlichen Verhandlung zu einer Konkretisierung ihrer Ausführungen mit weiteren Belegtatsachen gehalten sein. 15 BGH, GRUR 1975, 36, 38. 16 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 5. 17 Der Sache nach Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 7b; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 5. 14

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einstweilen unklar. Erst recht gilt dieser Befund für diejenige Partei, die im Hinblick auf den ihr obliegenden Sachvortrag einem Informationsproblem unterliegt.

C. Denkbar: Subsumierbarkeit als Maßstab I. Ausgangspunkt Mit Blick auf die Belegtatsachenfunktion von Geständnis und Geständnisfiktion mag man sich auf den Standpunkt zurückziehen, dass solches Gegnerverhalten jede noch so pauschale Initialbehauptung zur zwingend zu beachtenden Urteilsgrundlage machen könnte. Irgendwelche Anforderungen an die Bestimmtheit der Initialbehauptung bestünden danach nicht. Im Extremfall würde die Behauptung einer vorsätzlichen und gegen die guten Sitten verstoßenden Schadenszufügung genügen, um eine Schadensersatzklage nach § 826 BGB zu begründen. Zu ergänzen wäre dieser Vortrag lediglich um solche Informationen, welche die Abgrenzung zu anderen Streitgegenständen ermöglichen. Doch lässt eine solche Argumentation außer Acht, dass nicht jede Initialbehauptung eine Reaktion des Gegners veranlasst. Im Hinblick auf die Geständnisfiktion der §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3 ZPO und § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO gilt deshalb: Dort, wo das Prozessrecht keine Entgegnung einfordert, kann ihr Ausbleiben auch keine geständnisgleiche Wirkung haben.18 Entsprechendes ist aber auch für den Fall des ausdrücklichen Geständnisses gemäß § 288 Abs. 1 ZPO festzustellen. Dieses allein kann nämlich einen unschlüssigen oder unerheblichen Vortrag der risikobelasteten Partei nicht vervollständigen.19 Das bedeutet: Die Initialbehauptung ist ausreichend konkretisiert, wenn sie geständnisfähig ist und umgekehrt. Folglich bedarf es eines Maßstabs, anhand dessen sich ermitteln lässt, ob eine Tatsachenbehauptung ausreichend konkret behauptet ist, um eine Reaktion des Gegners zu veranlassen. Wenn Rechtsanwendung im Ausgangspunkt die Subsumtion von Tatsachen unter bestimmte Rechtsnormen ist, dann drängt sich dieser Maßstab geradezu auf: Maßgeblich müsste an sich die Subsumierbarkeit der behaupteten Tatsache sein.20 Viel gewonnen ist mit dieser Erkenntnis jedoch nicht. Sie führt für sich betrachtet auch nicht weiter als der Schlüssigkeitsbegriff der h.M.: Die Partei muss Tatsachen vortragen, die in 18 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 8; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 18; siehe auch M. Huber, in: FS für Gerhardt (2004), 379, 386. 19 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 253 Rn. 23: Liefert der Gegner seinerseits Tatsachenvortrag, muss die behauptungs- und feststellungsbelastete Partei sich diesen zu Eigen machen. 20 Brögelmann, JR 2005, 309, 310; Mertins, NJ 2009, 441, 442.

240 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen.21

II. Der sog. Justizsyllogismus Doch ist der formallogische Syllogismus mit dem Subsumtionsvorgang eng verbunden.22 Dabei wird aus einem Obersatz und einem Untersatz ein Schlusssatz gebildet. Übertragen auf die Rechtsanwendung beschreibt die gesetzliche Norm den Obersatz. Der die eigentliche Subsumtion bildende Untersatz23 drückt aus, dass der zu beurteilende Sachverhalt ein Fall des Obersatzes ist. Schließlich besagt der Schlusssatz im Wege einer Evidenzbehauptung,24 dass für den Sachverhalt die im Obersatz angeordnete Rechtsfolge zutrifft.25 Bei dieser Betrachtung ist die Initialbehauptung also ausreichend konkretisiert vorgetragen, wenn sie einen vollständigen Untersatz darstellt, dessen Zugehörigkeit zur Teilmenge des Obersatzes feststellbar ist. Tatsächlich ist dieser sog. Justizsyllogismus jedoch ungeeignet, die inhaltlichen Anforderungen an eine hinreichende Initialbehauptung näher zu bestimmen. Das zeigt bereits das Beispiel eines einfachen Kaufvertragsschlusses. Auf Basis des Justizsyllogismus ist dieser sicherlich ausreichend vorgetragen, wenn die risikobelastete Partei den genauen Inhalt beider Äußerungen, die in ihrer rechtlichen Wertung die vertragskonstituierenden Willenserklärungen bilden sollen, einschließlich der Umstände wiedergibt, die jeweils Abgabe und Zugang begründen.26 Sollte ein derart präziser Vortrag aber auch erforderlich sein, um das Geständnis einer gegnerischen Partei, die den Vertragsschluss als solchen in keiner Weise anzweifelt, erst zu ermöglichen?27 Oder sollte es für die Fälle des 21 BGH, NJW 1984, 2888, 2889; 1995, 2627, 2628; 1996, 1826, 1827; 1998, 2967, 2968; 2000, 3286, 3287; 2001, 144, 145; 2002, 3632, 3634; 2005, 2710, 2711; 2008, 3361, 3362; 2009, 2598; 2009, 2137; 2011, 844, 847; 2012, 217, 221; 2012, 3035; 2013, 3180; NJW-RR 1996, 783, 786; 1998, 1409; 1999, 361; 2001, 768, 769; 2005, 840, 841; 2007, 541, 543; 2007, 1409, 1410; 2008, 1311; 2010, 246, 247; 2010, 1038, 1039 f.; NZG 2005, 890, 891; NJWE-FER 2000, 209 f.; sachlich nichts anderes bedeutet die Formulierung, die Klage sei schlüssig, wenn ihr Tatsachenvortrag – seine Wahrheit unterstellt – geeignet sei, den Klageantrag sachlich zu rechtfertigen (Zöller/Greger, ZPO [31. Aufl. 2016], Vor § 253 Rn. 23; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO [22. Aufl. 2006], § 331 Rn. 12). 22 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 271; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre (1982), 14; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie (8. Aufl. 2015), Rn. 681 f.; Engisch, in: FS Ruperto Carola (1986), 3, 5; R. Walter, in: FG für Opaek (1993), 347; kritisch J. Schneider, Information und Entscheidung des Richters (1980), 55 f. 23 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 271; Engisch, in: FS Ruperto Carola (1986), 3, 5. 24 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie (8. Aufl. 2015), Rn. 686. 25 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 271: „Syllogismus der Rechtsfolgenbestimmung.“ 26 Palandt/Weidenkaff, BGB (75. Aufl. 2016), § 433 Rn. 56. 27 Dafür Brose, MDR 2008, 1315, 1316.

§ 13 Die Initialbehauptung

241

Geständnisses und der Geständnisfiktion insoweit ausreichen, dass die essentialia des Vertrags genannt und der übereinstimmende Rechtsfolgenwille behauptet sind? Diese Fragen lassen sich mit dem Justizsyllogismus allein nicht beantworten. Damit scheitert der Versuch, den notwendigen Konkretisierungsgrad der Initialbehauptung anhand ihrer Subsumierbarkeit zu bestimmen.

D. Notice pleading als geeigneter Maßstab für die Initialbehauptung im deutschen Prozessrecht Mit dogmatischen Mitteln allein lässt sich der zu beachtende Mindeststandard einer tauglichen Initialbehauptung nicht bestimmen. Das bringt die Rechtsvergleichung ins Spiel. Wie gesehen, unternimmt das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht des Bundes weit größere Anstrengungen, die Maßstäbe für einen ausreichenden Sachvortrag zu präzisieren, als es im deutschen Prozessrecht der Fall ist. Greift man auf die dort gewonnenen Erkenntnisse zurück, so zeigt sich, dass der Standard des notice pleading für die Initialbehauptung im deutschen Zivilprozessrecht sachgerecht ist.

I. Der Standard des notice pleading 1. Die positive Beschreibung Inhaltlich war für den Standard des notice pleading gemäß der Entscheidung Conley v. Gibson an früherer Stelle dieser Untersuchung festzustellen, dass der Kläger danach die tatsächliche Grundlage seines vermeintlichen Anspruchs nur in kurzen und einfachen Worten zu schildern hat. Er hat den Beklagten lediglich in groben Zügen darüber in Kenntnis zu setzen, welcher Art der erhobene Anspruch ist und auf welchen Umständen er gründet. Dabei wird nicht nur auf eine in die Einzelheiten gehende Schilderung der tatsächlichen Ereignisse verzichtet. Vielmehr kommt eine Abweisung wegen unzureichenden tatsächlichen Vorbringens nur in Betracht, sofern das Gericht überzeugt ist, dass der Kläger keinen Sachverhalt wird beweisen können, der den geltend gemachten Anspruch rechtfertigt. Das Gericht, das darüber zu befinden hat, ob eine Initialbehauptung dem Standard des notice pleading entspricht, hat in einem ersten Schritt sämtliche Aussagen als wahr zu unterstellen und sodann in einer für die behauptende Partei günstigen Weise zu interpretieren.28 Führt auch nur eine der theoretisch 28 Barr v. Clinton, 370 F.3d 1196, 1199 (C.A.D.C.,2004); Thomas v. Principi, 394 F.3d 970, 972 (C.A.D.C.,2005); Reynolds v. United States Department of Justice, F.Supp.2d, 2014 WL 220679 (D.D.C., 2014): „In deciding the motion, the Court must accept the plaintiff’s factual allegations as true and construe the complaint liberally, granting plaintiff the benefit of all inferences that can be derived from the facts alleged.”

242 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung denkbaren Interpretationen zu einem Ergebnis, das eine für die behauptende Partei günstige Rechtsfolge auslöst, ist den Anforderungen des notice pleading genügt, wobei es auf den Wahrscheinlichkeitsgrad nicht ankommt.29 2. Abgrenzungen Verharrt man zunächst auf dieser abstrakten Ebene, bleiben die Abgrenzungsformeln zu den oberhalb und unterhalb des notice pleading liegenden Konkretisierungsstandards nachzuzeichnen. a) Nach unten: notice pleading und conclusory allegations Auf den ersten Blick scheint das notice pleading die Ebene des Sachvortrags für die größtmögliche Unbestimmtheit zu öffnen. Denn je offener die gewählte Formulierung ist, desto größer ist auch die Chance, in der anschließenden discovery etwas Passendes zu finden. Letztlich scheint die Beschreibung des notice pleading gemäß Conley v. Gibson darauf hinauszulaufen, dem Kläger die bloße Wiederholung des anspruchsbegründenden Tatbestandes zu gestatten.30 Doch ist das nicht der Fall. Unterhalb des notice pleadings finden sich noch unbestimmtere Äußerungen, die meist – unscharf – als conclusory allegations bezeichnet werden.31 Insoweit heißt es, dass bloße rechtliche Schlussfolgerungen keine ausreichende Initialbehauptung darstellten.32 Das bloße Schlagwort von der rechtlichen Schlussfolgerung hilft freilich nicht viel weiter. Auf dem Weg zum finalen Subsumtionsschluss in Bezug auf ein Tatbestandsmerkmal nimmt – insoweit gilt im amerikanischen Recht nichts anderes als im deutschen – der Rechtsanwender in der Regel zahlreiche Schlussfolgerungen vor.33 So muss das Tatbestandsmerkmal einer Rechtsregel in mehreren Schritten so lange ausgelegt werden, bis die vorgebrachte Tatsache eindeutig als einem Tatbestandsmerkmal zugehörig erkannt werden kann.34 Diese schrittweise Konkretisierung vollzieht sich theoretisch bis zu dem Punkt, an dem eine noch 29 Scheuer v. Rhodes, 416 U.S. 232, 236 (1974); Hoover v. Ronwin, 466 U.S. 558, 588 (1984); Swierkiewicz v. Sorema N. A., 534 U.S. 506, 515 (2002): „Indeed it may appear on the face of the pleadings that a recovery is very remote and unlikely but that is not the test.” 30 Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 434. 31 Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 989. 32 Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 999: „A pleading that merely states a legal conclusion as a claim is subject to dismissal.“ 33 Huhn, 42 Santa Clara Law Review (2002), 813, 835: „But on closer inspectation it becomes apparent that this is not at all true; the reasoning of the court in any particular case is not a single argument of logic as the form of a brief would suggest, but many arguments or syllogisms. A case brief is in fact a chain of logical arguments, proceeding from the root premises of the court to ist final decision.“; siehe auch Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 460, der negligence als Beispiel anführt. 34 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre (1982), 24 f.

§ 13 Die Initialbehauptung

243

weiter gehende Konkretisierung nur noch durch eine Einzelaufzählung sämtlicher Anwendungsfälle erfolgen könnte.35 Jedoch erfolgt jede dieser Konkretisierungsstufen durch eine rechtliche Schlussfolgerung. Die buchstäblich genommene Aussage, rechtliche Schlussfolgerungen könnten kein hinreichendes notice pleading darstellen, würde folglich sämtliche dieser Zwischenschritte aus einem tauglichen notice pleading herausnehmen. In einem derart strengen Sinn ist die Abgrenzung zu den conclusory allegations zu keinem Zeitpunkt verstanden worden.36 Vielmehr ist in der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zum notice pleading anerkannt, dass es durchaus conclusory allegations gibt, die den an das notice pleading zu stellenden Anforderungen genügen.37 Für die Abgrenzung kommt es daher entscheidend auf den Zweck des notice pleading an. Dieses soll den Gegner in die Lage versetzen, sich angemessen gegen die Behauptung zu verteidigen.38 Außerdem muss das Gericht den Fall gegen andere Streitgegenstände abgrenzen können.39 Danach kann auch eine Schlussfolgerung eine Initialbehauptung am Maßstab des notice pleading begründen, wenn sie nur gleichzeitig ausreichende Informationen transportiert, die die Verteidigung – oder eben das Geständnis – und eine Identifizierung des Streitgegenstands ermöglichen.40 Beides ist aber erst bei solchen schlussfolgernden Aussagen nicht mehr gewährleistet, die kein abgrenzbares Geschehen mehr beschreiben. So liegt es etwa bei klägerischen Aussagen, der Beklagte habe ihn am Körper verletzt, sein Eigentum beschädigt, ihn vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, gegen das UWG verstoßen, etc.41 b) Nach oben: plausibility und heightened pleading Zu erörtern bleibt noch noch die Abgrenzung nach oben. Auf der Konkretisierungsskala schloss sich an den Standard des notice pleading ursprünglich 35

Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie (8. Aufl. 2015), Rn. 685. Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 438. 37 Vgl. etwa Yazoo County Industrial Development Corporation v. Suthoff, 454 U.S. 1157, 1158 f. (1982): „Had the Court of Appeals been content to end its opinion at that point, this case would be one among hundreds where busy federal appellate courts decide whether ‘conclusory allegations’ made under the ‘notice pleading’ premise of the Federal Rules of Civil Procedure do or do not properly invoke federal jurisdiction.“ 38 Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 452; ders., 76 Texas Law Review (1998), 1749, 1755 f.; Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 999. 39 Clark, 12 Wyoming Law Journal (1958), 177, 183; Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 999. 40 Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 1001. 41 Vgl. Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 999 f.: „If a complaint stated a broad, conclusory allegation such as, ‘I want you to answer in tort’, the defendant would not have enough information to form a response. (…) There are contemporary instances oft he drafters’ hypothetical. For example, a complaint that alleges that defendant’s actions ‘embodied violations of the Act’ or ‘violated the Act in other ways’ is a conclusory allegation failing to provide notice of violation of a consumer protection statute.“ 36

244 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung unmittelbar derjenige des heightened pleading an.42 Mit seinen Entscheidungen in den Fällen Twombly und Iqbal hat der U.S. Supreme Court mittlerweile den plausibility-Standard als Zwischenstufe etabliert. Wie bereits erläutert, erfolgt die Überprüfung des klägerischen Vorbringens im Hinblick auf plausibility anhand eines zweistufigen Verfahrens. Die erste Stufe erklärt sämtliche Schlussfolgerungen einschließlich der bloßen Wiederholung tatsachenbezogener Voraussetzungen des anspruchsbegründenden Tatbestandes für unerheblich. Auf der zweiten Stufe entscheidet das Gericht innerhalb seines eigenen Einschätzungsspielraums, ob das verbliebene Tatsachengerüst die Fortsetzung des Verfahrens mit der discovery rechtfertigt. Von einer schlussfolgernden Aussage, die nicht mit einer objektiven Belegtatsache unterlegt ist, verbleibt folglich nichts, was auf der zweiten Stufe Gegenstand der Überprüfung auf plausibility sein könnte. Das heightened pleading sieht FRCP 9 (b) für die Fälle von fraud und mistake – Betrug und Irrtum – vor. Hier muss die behauptende Partei die genauen Umstände benennen, auf denen fraud und mistake beruhen. Lediglich zugehörige subjektive Elemente in der Person des Gegners darf sie allgemein behaupten. Die Rechtsprechung stellt hier im Allgemeinen strenge Anforderungen. So müsse der Kläger im Einzelnen vortragen, wer und gegebenenfalls mit wem, wann, wo und auf welche Weise etwas getan oder unterlassen habe und weshalb genau dieses Verhalten betrügerischer Natur sei.43 Begründet wird diese strenge Sichtweise mit den Besonderheiten, die fraud und mistake gegenüber anderen Streitgegenständen aufwiesen.44 42

Fairman, 45 Arizona Law Review (2003), 987, 1002. Williams v. WMX Technologies, Inc., 112 F.3d 175, 177 (C.A.5 [Tex.], 1997); Nathenson v. Zonagen Inc., 267 F.3d 400, 412 (C.A.5 [Tex.], 2001); ABC Arbitrage Plaintiffs Group v. Tchuruk, 291 F.3d 336, 350 (C.A.5 [Tex.], 2002); Abrams v. Baker Hughes Inc., 292 F.3d 424, 431 (C.A.5 [Tex.], 2002); Herrmann Holdings Ltd. v. Lucent Technologies Inc., 302 F.3d 552, 564 f. (C.A.5 [Tex.], 2002); Southland Securities Corp. v. INSpire Ins. Solutions, Inc., 365 F.3d 353, 362 (C.A.5 [Tex.], 2004); Barrie v. Intervoice-Brite, Inc., 397 F.3d 249, 256 (C.A.5 [Tex.], 2005); R2 Investments LDC v. Phillips, 401 F.3d 638, 641 (C.A.5 [Tex.], 2005); Central Laborers’ Pension Fund v. Integrated Elec. Services Inc., 497 F.3d 546, 550 (C.A.5 [Tex.], 2007); Dorsey v. Portfolio Equities, Inc., 540 F.3d 333, 339 (C.A.5 [Tex.], 2008); Rodriguez v. Ocwen Loan Servicing, LLC, 306 Fed.Appx. 854, 857 (C.A.5 [Tex.], 2009); Flaherty & Crumrine Preferred Income Fund, Inc. v. TXU Corp., 565 F.3d 200, 207 (C.A.5 [Tex.], 2009); Institutional Investors Group v. Avaya, Inc., 564 F.3d 242, 253 (C.A.3 [N.J.], 2009); Sullivan v. Leor Energy, LLC, 600 F.3d 542, 551 (C.A.5 [Tex.], 2010); KLLM Transport Services v. Marsh USA, Inc., 450 Fed.Appx. 406, 411 (C.A.5 [Miss.], 2011); Pollett v. Aurora Loan Services, 455 Fed.Appx. 413, 415 (C.A.5 [Tex.],2011); Murray v. General Motors, L.L.C., 478 Fed.Appx. 175, 180 (C.A.5 [Miss.], 2012); McCrimmon v. Wells Fargo Bank, N.A., 516 Fed.Appx. 372, 375 (C.A.5 [Tex.], 2013); James v. Wells Fargo Bank, N.A., 533 Fed.Appx. 444, 446 (C.A.5 [Tex.], 2013); Massey v. EMC Mortg. Corp., Fed.Appx., 2013 WL 5913753 (C.A.5 [Tex.]): „To avoid dismissal under Rule 9 (b), a complaint must specify the statements contended to be fraudulent, identify the speaker, state when and where the statements were made, and explain why the statements were fraudulent.“ 44 New York, N.H. & H.R. Co. v. New England Forwarding Co., 119 F.Supp. 380, 382 (D.C.R.I. 1953), wobei freilich offenbleibt, welche dies sind. 43

§ 13 Die Initialbehauptung

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II. Die Übertragung auf das deutsche Prozessrecht 1. Die Initialbehauptung der informierten Partei am Beispiel des Kaufvertrags Wann aber ist etwa die Initialbehauptung, zwischen den Parteien sei ein Kaufvertrag zustande gekommen, hinreichend konkret aufgestellt, wenn man die Grundsätze über das notice pleading heranzieht? Entscheidend kommt es darauf an, in welchem Kontext der Kaufvertrag eine Rolle spielt. Fordert der Kläger die Primärleistung ein, genügt es, dass er den Abschluss eines Kaufvertrags unter Bezeichnung der essentialia negotii behauptet und weiter dartut, dass er die ihm obliegende Gegenleistung in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten hat. Über die essentialia ist der Streitgegenstand abgrenzbar definiert. Vollständig verteidigt hat der Gegner sich, wenn er daraufhin entweder den Inhalt oder die Einigung als solche bestreitet. Weitere Informationen, insbesondere die genauen Wortlaute der Erklärungen sowie die Umstände von Abgabe und Zugang, benötigt er zu Verteidigungszwecken nicht. Über diese mag zwar gestritten werden, sofern der Gegner sich dahin einlässt, ihm sei eine Annahmeerklärung nie zugegangen, er habe ein Angebot nicht abgegeben, den ausgetauschten Erklärungen fehle jeder Rechtsbindungswille o.ä. Für die hinreichende Konkretisierung der Initialbehauptung spielt all das aber keine Rolle. Noch allgemeiner darf die Partei es in Bezug auf den Kaufvertrag halten, wenn sie Sachmängelhaftungsansprüche geltend macht. Insoweit genügt es dann, wenn sie die Kaufsache bezeichnet und den Vertragsschluss behauptet. Auf den Kaufpreis als essentiale kommt es für die begehrte Rechtsfolge hingegen nicht an.45 Um sich gegen den jeweils geltend gemachten Anspruch zu wehren, muss der Verkäufer auch weder das fehlende essentiale noch die näheren Umstände des Vertragsschlusses kennen. Das zeigt: Der Begriff „Kaufvertrag“ mag als solcher zwar ein rechtlicher Terminus und damit eine Schlussfolgerung sein. Dennoch begründet er einen ausreichenden Sachvortrag, jedenfalls dann, wenn man den Maßstab des notice pleading anlegt. 2. Die Initialbehauptung im Fall eines Informationsproblems Das Beispiel des Kaufvertrags zeigt, dass die informierte Partei eine ausreichende Initialbehauptung bei der Geltung von notice pleading gegebenenfalls aufstellen kann und darf, indem sie ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal als Schlussfolgerung wiederholt. Dasselbe gilt selbstverständlich, wenn die risikobelastete Partei an einem Informationsproblem leidet.

45

Es sei denn, der Käufer begehrt Rückzahlung des von ihm geleisteten Kaufpreises nach Rücktritt oder Minderung.

246 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Argwöhnt die vortragende Partei also, dass der Beklagte und ein Dritter46 eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung im Sinne des § 1 GWB zu ihren Lasten geschlossen haben, so reicht es für die Initialbehauptung aus, wenn sie die Wirkungen, denen sie bei den geschäftlichen Beziehungen mit dem Beklagten oder dem Dritten ausgesetzt ist (Preise, Konditionen, Abschluss), objektiv beschreibt.47 Darüber hinaus muss sie lediglich die allgemeine Behauptung aufstellen, dass der Beklagte oder der Dritte sich ihr gegenüber deshalb nicht anders verhalten kann, weil er eine entsprechende Vereinbarung mit dem jeweils anderen geschlossen hat. Die essentialia einer vermeintlichen wettbewerbsbeschränkenden Abrede sind damit vorgebracht. Der Gegner benötigt keine weiteren Informationen, um dem Vorwurf – so er unberechtigt ist – effektiv zu begegnen. Ist der Vorwurf demgegenüber berechtigt, besteht aus Sicht des notice pleading kein Anlass, ihn von der aus § 138 Abs. 1 ZPO folgenden Pflicht zu entbinden, die Geständnisfiktion gemäß §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3 ZPO gegen sich gelten zu lassen. Strukturell nicht anders liegt es in den weiteren Konstellationen, in denen entscheidungserhebliche Tatsachen außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der risikobelasteten Partei liegen. Zur rechtswidrigen Nutzung des PHP-Quellcodes seines Telemediendienstes durch den Beklagten stellt der Kläger bereits dadurch eine ausreichende Initialbehauptung auf, dass er beide Dienste in ihren wesentlichen Merkmalen beschreibt, die ganz oder teilweise Identität der zugrundeliegenden PHP-Quellcodes behauptet und die Urheberschaft hieran für sich reklamiert. Im verwandten Fall der rechtswidrigen Anwendung seines nach § 9 Nr. 2 PatG geschützten Verfahrens durch den Gegner behauptet der Inhaber den Rechtsverstoß erstmalig bereits dann hinreichend, wenn er sein eigenes Patent darlegt, die Identität des verfahrensgemäßen Erfolgs vorträgt und sodann allgemein vorbringt, dass der Beklagte sämtliche Verfahrensschritte eigenhändig anwende.48, 49 Für die Initialbehauptung einer objektiven Täuschung über in der Vergangenheit erzielte Nettokaltmieten bei einer Immobilie muss der Käufer unter dem Regime von notice pleading schließlich nicht mehr tun, als die Angaben aus dem Vertrag oder den Vertragsverhandlungen zu benennen und deren Wahrheit in Abrede zu stellen. Bei den noch verbleibenden Fallgruppen des Informationsproblems gelangt man schließlich zu keinen abweichenden Ergebnissen. Die Unwahrheit der Werbeaussage, wonach ein Honiglikör nach einem alten ostpreußischen Familienrezept hergestellt sei, ist als negative Tatsache schon allein dadurch hinreichend behauptet, dass der auf Grundlage von §§ 3, 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG klagende Konkurrent die Existenz eines solchen Rezepts bestreitet. Dass die 46 47 48 49

Oder mehrere Beklagte im Fall der Streitgenossenschaft auf der Beklagtenseite. Siehe Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann, (2. Aufl. 2009), § 1 Rn. 100. Schulte/Rinken/Kühnen, PatG (9. Aufl. 2014), § 9 Rn. 73. Enger wohl das Verständnis von RGZ 88, 437, 438 f.

§ 13 Die Initialbehauptung

247

Unwahrheit Tatbestandsmerkmal des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist, ändert daran nichts. Was innere Tatsachen anbelangt, so genügt ebenfalls deren schlichte Behauptung, mögen diese auch als solche Tatbestandsmerkmal sein.50 Dieselben großzügigen Maßstäbe gelten in den Fällen lediglich sachverständig feststellbarer Tatsachen. Die Initialbehauptung erfordert hier keineswegs die Vorlage eines Privatgutachtens. Ein ärztlicher Behandlungsfehler ist vielmehr bereits dann hinreichend dargetan, wenn der Patient seine Beschwerden sowie den Umstand vorbringt, bei dem gegnerischen Arzt in Behandlung gewesen zu sein. Entsprechendes gilt im Baumängelprozess. Hier reicht es tatsächlich aus, neben dem Vertragsverhältnis lediglich das Mangelsymptom zu beschreiben. 3. Die Initialbehauptung und der unbestimmte Rechtsbegriff Damit liefert das U.S.-amerikanische Vorbild des notice pleading einen tragfähigen Ansatz, um in zahlreichen Fällen den notwendigen Konkretisierungsgrad für die Initialbehauptung einer entscheidungserheblichen Tatsache zu ermitteln. Klärungsbedürftige Schwierigkeiten wirft in diesem Zusammenhang aber noch der Umgang mit dem unbestimmten Rechtsbegriff auf. Beschränkt sich das initiierende Vorbringen nämlich auf die Wiederholung von Termini wie „sittenwidrig“, „wider Treu und Glauben“, „Körperverletzung“, etc. sind weder eine Abgrenzung der Streitgegenstände noch eine angemessene Verteidigung möglich.51 Die Wiederholung des unbestimmten Rechtsbegriffs als solchem kann demnach keine ausreichende Initialbehauptung der entscheidungserheblichen Tatsache darstellen. Doch hilft der risikobelasteten Partei an dieser Stelle die Technik des Subsumtionsvorgangs über ihre Schwierigkeiten hinweg. So geschieht die Subsumtion dadurch, dass zwischen einem Tatbestandsmerkmal und einem tatsächlichen Ereignis eine Beziehung hergestellt wird.52 Dies er50

Malveaux, 57 New York Law School Law Report (2012), 719, 720 f. Den Zusammenhang zwischen Verteidigungsmöglichkeit und Identifizierbarkeit des Streitgegenstands schätzt Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 452 zu gering ein, wenn er meint, dass der Konkretisierungsgrad eines Vorbringens die Erwiderungsmöglichkeiten schon deshalb nicht beeinflusse, weil ein allgemeines Bestreiten stets möglich sei. Man denke aber etwa an den Fall eines Arztes, der einen Patienten erfolgreich und aufgrund wirksamer Einwilligung operierte, und wenige Wochen später mit demselben Patienten in eine Schlägerei auf dem örtlichen Volksfest gerät. Wie soll der Arzt reagieren, wenn der Patient ihn verklagt und zur Begründung lediglich auf eine Körperverletzung abstellt? Bestreiten kann er diesen offenen Vortrag nicht, weil der operative Eingriff eine Körperverletzung darstellt. Bestreitet er im Hinblick hierauf die Körperverletzung nicht, so droht er verurteilt zu werden, obwohl der ärztliche Eingriff gerechtfertigt war. Die Lösung, in der Erwiderung den ärztlichen Heileingriff zu schildern, ist ihm schließlich deshalb verwehrt, weil nach § 308 ZPO der Kläger den Streitgegenstand definiert (Saenger, ZPO [6. Aufl. 2015], Einführung Rn. 99). 52 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie (8. Aufl. 2015), Rn. 683. 51

248 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung folgt dadurch, dass das Tatbestandsmerkmal schrittweise im Hinblick auf das in Rede stehende tatsächliche Ereignis konkretisiert wird.53 Irgendwann im Verlauf dieses Vorgehens ist dann ein Punkt erreicht, an dem eine schlussfolgernde Aussage genügt, um dem Gegner eine geeignete Verteidigung zu ermöglichen und – sofern dies eine Rolle spielt – mögliche Streitgegenstände gegeneinander abzugrenzen. Wer einen missliebigen Arbeitnehmer loswerden will, kann folglich nicht eine Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB aussprechen und im anschließenden Kündigungsschutzprozess zum wichtigen Grund eine ausreichende Initialbehauptung durch den Vortrag aufstellen,54 es lägen Tatsachen vor, aufgrund derer ihm unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Der Arbeitgeber kann also nicht in der Hoffnung, dass irgendwelche ihm unbekannte Tatsachen verwirklicht sein werden, durch Wiederholung des unbestimmten Rechtsbegriffs eine geständnisfähige Initialbehauptung aufstellen. Auch die Behauptung, der Arbeitnehmer habe „etwas“ gestohlen, genügt allein noch nicht. Vielmehr ist der notwendige Konkretisierungsgrad erst dann erreicht, wenn der Arbeitgeber gegenüber anderen Diebstahlsereignissen abgrenzbar bezeichnet, was Gegenstand des behaupteten Diebstahls gewesen sein soll.

III. Die Rechtfertigung der Anwendung von notice pleading unter der Geltung der ZPO Im Ergebnis entspricht der Konkretisierungsgrad des notice pleading mindestens regelmäßig demjenigen, was bei § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO verlangt wird, um den Grund des erhobenen Anspruchs anzugeben. Obwohl die Grenzziehung im Einzelnen unklar bleibt, besteht dennoch weitgehend Einigkeit, dass der Konkretisierungsgrad bei § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO hinter demjenigen schlüssigen Vorbringens zurückbleibe.55 Schlüssigkeit ist aber der 53

Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie (8. Aufl. 2015), Rn. 684. Zur Behauptungslast in diesem Fall siehe nur MünchKomm/Henssler, BGB (6. Aufl. 2012), § 626 Rn. 342. 55 BGH, NJW 2000, 3492, 3493; NJW-RR 2004, 639, 640; OLG Hamm, BeckRS 2009, 25394; NJOZ 2012, 928, 930; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 253 Rn. 25; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 253 Rn. 12a; Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 253 Rn. 25; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 253 Rn. 63; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 253 Rn. 54; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 95 Rn. 19; Schellhammer, Zivilprozess (14. Aufl. 2012), Rn. 63; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 208; a.A. Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 253 Rn. 32. 54

§ 13 Die Initialbehauptung

249

Maßstab, an dem eine klägerische Behauptung gemessen wird.56 Das graduell identische Konkretisierungserfordernis gilt für den erheblichen Vortrag einer Einwendung des Beklagten. Die Anwendung von notice pleading im deutschen Zivilprozessrecht bedeutet daher – jedenfalls rein theoretisch betrachtet – eine Absenkung des für die Initialbehauptung geforderten Konkretisierungsstandards. Dies bedarf der Rechtfertigung, die nicht allein durch den Hinweis darauf erfolgt, dass dieser Standard im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht des Bundes bekannt ist. Der Rechtfertigungsbedarf besteht umso mehr, als der U.S. Supreme Court den Standard des notice pleading in Zivilprozessen nicht mehr anwendet, sondern mittlerweile strengere Anforderungen stellt. Dass der Standard des notice pleading das sachgerechte Konkretisierungsmaß für die Initialbehauptung im deutschen Zivilprozess darstellt, tritt aber dann zu Tage, wenn man die Rechtsfolgen einer genügenden Initialbehauptung und die Wirkungen einer wegen ungenügender Initialbehauptung abweisenden Entscheidung in beiden Prozessrechtssystemen miteinander vergleicht. 1. Rechtsfolgen eines ausreichenden pleadings im U.S.-amerikanischen Zivilprozess a) Der Übertritt in die discovery Ausreichendes pleading begründet im U.S.-amerikanischen Zivilprozess das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien57 und eröffnet, sofern der Sachverhalt streitig bleibt, unmittelbar und in vollem Umfang die pre trial discovery.58 Der Übertritt in diese Verfahrensphase bringt für den Gegner, konkret ist regelmäßig der Beklagte hauptsächlich betroffen, erhebliche Belastungen mit sich. So besteht einer der wesentlichen Zwecke der discovery gerade darin, den Parteien diejenigen Informationen einschließlich der zugehörigen Beweismittel zu verschaffen, die sie in der Hauptverhandlung benötigen werden, um ihre Position in dem Rechtsstreit durchfechten zu können.59 Abermals gilt: Keine Partei soll den Prozess deshalb verlieren, weil sie keinen Zugang zu entschei56 Siehe etwa Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 253 Rn. 25; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 253 Rn. 63; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 95 Rn. 19. 57 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 318. 58 Hazard/Tarufo, American Civil Procedure (1993), 115; Schack, Einführung in das USamerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 110; Paulus, ZZP 104 (1991), 397, 399; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 46. 59 Babcock/Massaro/Spalding, Civil Procedure (3. Aufl. 2006), 407; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 398; Glannon, Civil Procedure (5. Auflage 2006), 361 f.; Yeazell, Civil Procedure (6. Aufl. 2004), 407.

250 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung dungserheblichen Informationen hatte.60 Ist die Hürde des pleading erst einmal genommen, soll es kein weiteres Informationsproblem der risikobelasteten Partei mehr geben. Entsprechend weit reicht der Geltungs- und Anwendungsbereich der discovery.61 So ist die Tatsachen- und Beweisermittlung im Rahmen der discovery nicht auf solche Informationen beschränkt, die unmittelbar mit dem durch die pleadings umrissenen Sachverhalt zusammenhängen.62 Vielmehr können die Parteien Zugang zu sämtlichen Informationen verlangen, die nur in irgendeiner Weise mit dem Rechtsstreit in Zusammenhang stehen könnten.63 Dabei hat nach FRCP 26 jede Partei der anderen von sich aus sämtliche Informationen und Beweismittel zu nennen und bereitzustellen, die – gleichviel für welche der einander gegenüberstehenden Positionen – für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sein könnten.64 b) Die Lasten der discovery Die Folge einer derartigen wechselseitigen Parteiausforschung besteht zunächst darin, dass Betriebs- und Privatgeheimnisse der Parteien in der discovery nur noch den sehr eingeschränkten Schutz von FRCP 26 (c) genießen. Danach kann eine protective order zwar gerade dann ergehen, wenn eine Partei die discovery missbrauchen will, um gegnerische Geheimnisse auszuspähen, die mit dem Fall in keinem direkten Zusammenhang stehen.65 Freilich sollen strenge Anforderungen zu stellen sein, wenn die discovery mit Rücksicht auf Geheimhaltungsinteressen einer Partei beschränkt oder gar vollständig untersagt werden soll.66 Für den Regelfall bleibt es demnach dabei, dass die Beseitigung von Informationsasymmetrien dem Geheimnisschutz vorgeht.67 Über die weitgehende Schutzlosstellung der eigenen Geheimnisse hinaus löst die discovery einen beträchtlichen Aufwand an Zeit und Kosten aus,68 den jede Partei – grundsätzlich unabhängig vom weiteren Fortgang des Verfahrens – selbst zu tragen hat.69

60 Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 439; Fairman, 45 Arizona Law Review (2003) 987, 990; Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 726. 61 Hazard/Tarufo, American Civil Procedure (1993), 115. 62 Paulus, ZZP 104 (1991), 397, 399; Reimann, IPrax 1994, 152. 63 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 111; Paulus, ZZP 104 (1991), 397, 399; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 47. 64 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 393; Reimann, IPrax 1994, 152 f. 65 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 444. 66 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure (4. Aufl. 2005), 444; vgl. auch Intel Corp. v. Advanced Micro Devices, Inc., 542 U.S. 241, 266 (2004). 67 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 111; S. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35, 47. 68 Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 362; Kraayvanger/Richter, RIW 2007, 177 f. 69 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 418; Schack, Einführung in das USamerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 113.

§ 13 Die Initialbehauptung

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Unter der Geltung von notice pleading kann eine Partei ihren Gegner folglich schon unter äußerst geringen Voraussetzungen mit den Nachteilen der discovery überziehen. Sie kann sich in den pleadings darauf beschränken, allgemein gehaltene Mutmaßungen über anspruchsbegründende Tatsachen aufzustellen, um dann – in der Hoffnung, dass irgendetwas sich schon finden werde – beim Gegner eine discovery bei dessen weitgehender Kostenbeteiligung durchzuführen.70 Dies mag durchaus mit redlichen Absichten geschehen.71 Die gesamte Konstruktion lädt jedoch zu Missbrauch geradezu ein. Entsprechend mögen unredliche Kläger darauf spekulieren, entweder Geheimnisse zu ihrem eigenen geschäftlichen Vorteil auszuforschen oder aber, trotz sehr wahrscheinlicher Aussichtslosigkeit des eigenen Begehrens, dem Gegner gewissermaßen als Lästigkeitsprämie eine Vergleichszahlung abzutrotzen.72 c) Das Verständnis von Twombly und Iqbal vor diesem Hintergrund Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Gefahr eines Missbrauchs der discovery, die der großzügige Standard des notice pleading noch verstärkte, müssen – wie es die Entscheidungsgründe selbst überaus deutlich herausstellen – die verschärften Anforderungen an das ordnungsgemäße pleading nach Twombly und Iqbal verstanden werden.73 Wenn das klägerische Vorbringen nichts weiter darlege als die bloß theoretische Möglichkeit, dass ein zu Gunsten des Klägers wirkender Tatbestand erfüllt sei, dann sei das Verfahren mit dem geringstmöglichen Aufwand zu beenden.74 Insbesondere müsse der Beklagte in solchen Fällen vor einer langwierigen und kostspieligen discovery bewahrt werden.75 Mit dem plausibility70

Marcus, 86 Columbia Law Review (1986), 433, 443. Malveaux, 57 New York Law School Law Report (2012), 719, 726 f. 72 Kraayvanger/Richter, RIW 2007, 177 f. 73 Gelbach, 121 Yale Law Yournal (2012), 2270, 2286 f.; Moore, 59 American University Law Review (2012), 553, 571. 74 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 558 (2007); unter Hinweis auf Daves v. Hawaiian Dredging Co., 114 F.Supp. 643, 645 (D.C.Hawaii 1953). 75 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 558 (2007); dem folgend Robbins v. Oklahoma, 519 F.3d 1242, 1248 (C.A.10 [Okla.], 2008); Starr v. Baca, 652 F.3d 1202, 1214 (C.A.9 [Cal.], 2011); Whitney v. Guys, Inc., 700 F.3d 1118, 1129 (C.A.8 [Minn.], 2012); Kregler v. City of New York, 608 F.Supp.2d 465, 472 (S.D.N.Y., 2009); Shinew v. Wszola, 2009 WL 1076279 (E.D.Mich., 2009), unter *4; Covert v. Stryker Corp., 2009 WL 2424559 (M.D.N.C., 2009), unter *10; In re Hawaiian & Guamanian Cabotage Antitrust Litigation, 647 F.Supp.2d 1250, 1256 (W.D.Wash., 2009); Slocum v. City of Claremore, 2009 WL 2835399 (N.D.Okla., 2009), unter *4; West Penn Allegheny Health System, Inc. v. UPMC, 2009 WL 3601600 (W.D.Pa., 2009), unter *18; Myung Ga, Inc. v. Myung Ga of MD, Inc., 2011 WL 3476828 (D.Md., 2011), unter *3; Williams v. Global Payments Check Services, Inc., 2011 WL 6262528 (N.D.Tex., 2011), unter *6; Ali v. Allergan USA, Inc., 2012 WL 3692396 (E.D.Va., 2012), unter *13; In re Waldrup Photography, Inc., 2012 WL 4471561 (Bkrtcy. N.D.Ala., 2012), unter *3; In re Lithium Ion Batteries Antitrust Litigation, 2013 WL 2237887 (N.D.Cal., 2013), unter *2; Dodson v. Strategic Re71

252 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Standard gibt der U.S. Supreme Court den Gerichten folglich ein Instrument an die Hand, um ihre Aufgabe, die missbräuchliche discovery zu vermeiden,76 effektiv erfüllen zu können.77 2. Rechtsfolgen einer ausreichenden Initialbehauptung in der ZPO Auslösendes Moment für die discovery im US-amerikanischen Zivilprozess ist das pleading als die Initialbehauptung des Klägers. Die Initialbehauptung selbst begründet damit den erheblichen Aufwand an Zeit und Kosten, den die discovery mit sich bringt, und gefährdet die legitimen privaten und betrieblichen Geheimnisse des Beklagten. Diese Folgen der Initialbehauptung im USamerikanischen Zivilprozess nach den FRCP rechtfertigen es, die notwendige Konkretisierung am Maßstab der plausibility und nicht lediglich des notice pleading zu beurteilen. Im deutschen Zivilprozessrecht hat die taugliche Initialbehauptung der risikobelasteten Partei keine auch nur annähernd vergleichbar belastende Wirkung für den Gegner. So liegt ihre wesentliche Wirkung darin, dass sie den Gegner nach § 138 Abs. 2 ZPO dazu veranlasst, Stellung zu nehmen.78 Für die Stellungnahme genügt es, dass er die vorgetragene Behauptung bestreitet. Konkrete Details zu den streitgegenständlichen Ereignissen werden ihm auf der Vortragsebene – legt man die h.M. mit all ihren inneren Widersprüchen einmal zugrunde – lediglich im Rahmen der sekundären Behauptungslast abverlangt. Auf der Beweisebene muss er seinen abgeschirmten Bereich nur insoweit öffnen, als andernfalls die Grundsätze über die Beweisvereitelung zu seinen Lasten wirken. Beides reicht in Ausmaß und Tiefe keinesfalls so weit wie die discovery nach Maßgabe der FRCP 26 ff. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn das unter Rückgriff auf die äußerungsdeliktische Ermittlung der lediglich subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung konzipierte Aufklärungsmodell die genannten Regeln der h.M. modifiziert. Denn die entscheidende Beschränkung gegenüber den FRCP 26 ff. ist schon dadurch gewährleistet, dass die ZPO einen Einblick in des Gegners Sphäre nur in Bezug auf einzelne 76 staurants Acquisition Co. II, LLC, 289 F.R.D. 595, 602 (E.D.Cal., 2013); Ball v. Takeda Pharmaceuticals America, Inc., F.Supp.2d, 2013 WL 4040395 (E.D.Va., 2013), unter *8; In re Online Travel Co. (OTC) Hotel Booking Antitrust Litigation, F.Supp.2d, 2014 WL 626555 (N.D.Tex., 2014), unter *6; siehe auch Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 685 f. (2009), jedoch mit besonderem Bezug auf die offiziellen Funktionen der Beklagten. 76 Cuomo v. Clearing House Ass’n, L.L.C., 557 U.S. 519, 531 (2009): „Judges are trusted to prevent ‘fishing expeditions’ or an undirected rummaging through bank books and records for evidence of some unknown wrongdoing.“ 77 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 559 (2007): „Probably, then, it is only by taking care to require allegations that reach the level suggesting conspiracy that we can hope to avoid the potentially enormous expense of discovery in cases with no ‘reasonably founded hope that the [discovery] process will reveal relevant evidence’ to support a § 1 claim.“ 78 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 18.

§ 13 Die Initialbehauptung

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entscheidungserhebliche Tatsachen oder Tatsachenkomplexe zulässt, während die discovery eine solche Grenze im Interesse einer umfassenden Wahrheitsermittlung gerade nicht zieht.79 Diese umfängliche Beschränkung der Tatsachenerforschung im deutschen Zivilprozess setzt in der Folge auch dem für sie zu treibenden Aufwand Grenzen. Schließlich fällt im deutschen Zivilprozess auch das Kostenargument nicht ins Gewicht. So hat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die unterliegende Partei die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Hier entfaltet bereits die drohende Kostentragungslast für den gesamten Prozess eine effektive Abschreckung gegen willkürlich erhobene Klagen.80 Nachdem die Initialbehauptung im deutschen Zivilprozess für den Gegner keine vergleichbar belastenden Wirkungen wie im Prozess nach den FRCP hat, entfällt hier das Bedürfnis, strengere Voraussetzungen als das notice pleading für eine hinreichende Initialbehauptung zu fordern. 3. Die Wirkungen einer Abweisung aufgrund mangelnden Klägervortrags Der These von notice pleading als maßgeblichem Standard für die Initialbehauptung mag man entgegnen, dass der Rechtsvergleich mit den FRCP diesen zwar rechtfertige, nicht aber erzwinge. Dieser Einwand ist allerdings rechtspolitischer Natur. Insoweit ist deshalb zu berücksichtigen, dass die ZPO keine eindeutige rechtspolitische Festlegung darüber enthält, welches Grades an Konkretisierung die Initialbehauptung bedarf. Dass die ZPO jedoch in dem Sinne auszulegen ist, dass notice pleading der entscheidende Maßstab für die Konkretisierung der Initialbehauptung ist, findet weitere Unterstützung, wenn man die Wirkungen einer Klageabweisung aufgrund zu wenig konkreter Begründung nach den FRCP einerseits und der ZPO andererseits miteinander vergleicht. Wie gesehen, kann das Gericht einem Antrag auf Klageabweisung nach FRCP 12 (b) (6) without prejudice bzw. with leave to amend stattgeben.81 In diesem Fall hat die Entscheidung keine dem § 322 ZPO vergleichbare Rechtskraftwirkung. Vielmehr kann der Kläger seinen Antrag nachbessern, sobald er die für ein hinreichendes pleading erforderliche Information später erlangt.82 Eine Klage wegen eines Informationsdefizits des Klägers abzuweisen, ist mit dieser Entscheidungswirkung weniger rechtfertigungsbedürftig als wenn ein

79

Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2011), Rn. 111. Vgl. etwa MünchKomm/Schulz, ZPO (4. Aufl. 2013), Vor §§ 91 ff. Rn. 1. 81 § 6 B. I. 82 Hatamyar Moore, 59 American University Law Review (2010), 553, 596 f.; dies., 46 University of Richmond Law Review (2012), 603, 604; Malveaux, 57 New York Law School Law Review (2012), 719, 737. 80

254 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung materiell rechtskraftfähiges Endurteil in der Sache erginge.83 Entsprechend ist die Anzahl der erfolgreichen Anträge gemäß FRCP 12 (b) (6) seit der Rechtsprechungsänderung durch Twombly und Iqbal statistisch merklich angestiegen, jedenfalls was die Klageabweisung with leave to amend anbelangt.84 Diese Gerichte versuchen offenbar also nicht, durch großzügige Handhabung der neuen Formeln den status quo ante aus Gerechtigkeitsgründen mehr oder weniger aufrechtzuerhalten. Abhilfe erlangt die nicht informierte Partei freilich nicht verfahrensförmig nach den FRCP. Das Informationsdefizit im Hinblick auf das unzureichende pleading wird vielmehr vollständig aus dem Verfahrensgeschehen ausgelagert. Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis gelangt im deutschen Prozessrecht, wer an die klagebegründenden Initialbehauptungen den notice pleading-Standard anlegt. Dieser Standard entspricht mindestens im Regelfall demjenigen, was § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO für die ordnungsgemäße Klagebegründung fordert. Bleiben notwendige Initialbehauptungen hinter diesem Standard zurück, wird die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen.85 Zwar wirkt dieses Prozessurteil Rechtskraft im Sinne des § 322 ZPO.86 Doch ist die Rechtskraftwirkung eines Prozessurteils nur sehr beschränkt. Sie erstreckt sich nach h.M. nur auf den jeweils behandelten verfahrensrechtlichen Punkt und nicht auf den materiell-rechtlichen Streitgegenstand.87 Ein Kläger, der in einem ersten Versuch den Standard des notice pleading nicht erreichte, kann deshalb abermals klagen, wenn er die für das Erreichen dieses Standards notwendige Information später erhält.88 Die Unterschiede zum dismissal with leave to amend sind dann lediglich noch rein technischer Natur. Anders liegt es hingegen, wenn man – wie es die h.M. unter dem Schlagwort der Schlüssigkeit zumindest im theoretischen Ausgangspunkt tut – für eine taugliche Initialbehauptung mehr als notice pleading verlangt, der Kläger aber lediglich notice pleading vorbringt. Den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ist in diesem Fall gleichwohl genügt. Die Klage wird also nicht 83 Legt man die eingangs definierten Begrifflichkeiten zugrunde, liegt bei Abweisung with leave to amend streng genommen noch nicht einmal ein Informationsproblem vor, weil der Anspruch nicht mit Rechtskraftwirkung aberkannt wird. 84 Hatamyar Moore, 46 University of Richmond Law Review (2012), 603, 604. 85 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 253 Rn. 10; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 253 Rn. 31; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 253 Rn. 23; Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 253 Rn. 28. 86 BGH, NJW 1985, 1985, 2535; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 322 Rn. 6; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 153 Rn. 4. 87 BGH, NJW 1991, 1116, 1117; OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 1735, 1736; Thomas/ Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 322 Rn. 3; Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), § 322 Rn. 44; BeckOK/Gruber, ZPO (19. Ed. 2015) § 322 Rn. 35; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 153 Rn. 6. 88 Vgl. BGH, NJW 1991, 1116, 1117; MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 322 Rn. 169.

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durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen. Vielmehr werden die über § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO hinausgehenden Anforderungen an die taugliche Initialbehauptung der Begründetheit der Klage zugeschlagen.89 Daraus folgt: Erfüllt die Klage die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO, verfehlt aber diejenigen, die weiter gehend in der Sache an die Initialbehauptung gestellt werden, wird die Klage durch Sachurteil als unbegründet abgewiesen.90 Erhält der unterlegene Kläger in diesem Fall später die benötigte Information, so kann er die Klage – sofern zwischenzeitlich formelle Rechtskraft eingetreten ist – nicht abermals erheben. Da nämlich die Abweisung durch Sachurteil erfolgte, steht nun die Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft einem neuerlichen Rechtsstreit über den identischen Streitgegenstand entgegen.91 Das zeigt: Geht man in der ZPO den amerikanischen Weg und verlangt für die Initialbehauptung ein höheres Maß an Konkretisierung als es dem Standard des notice pleading entspricht, hat dies für die nicht informierte Partei schwerwiegendere Folgen als nach den FRCP. Unklar bleibt dabei, was dies in der Sache rechtfertigen sollte.

IV. Notice pleading als Phänomen des gegenwärtigen deutschen Zivilprozessrechts Für den Standard des notice pleading als maßgeblichem Konkretisierungsgrad für die Initialbehauptung sprechen danach entscheidend rechtsvergleichende Erwägungen. Wenn man darüber hinaus die Rechtsprechungspraxis untersucht, stellt man fest, dass der Standard des notice pleading für die Initialbehauptung im deutschen Zivilprozessrecht faktisch bereits sehr weitgehend anerkannt ist. So lässt es die Rechtsprechung als ausreichende Initialbehauptung gelten, dass die risikobelastete Partei in ihrem Vorbringen lediglich ein Tatbestandsmerkmal oder, bei unbestimmten Rechtsbegriffen, eine seiner nachfolgenden Konkretisierungsstufen wiederholt.92 Dies geschieht mit Blick auf das mögli-

89 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 253 Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 253 Rn. 12a; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO (4. Aufl. 2013), § 253 Rn. 78; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 95 Rn. 19. 90 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 253 Rn. 23. 91 Siehe nur Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 322 Rn. 36; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 155 Rn. 5. 92 Sehr kritisch zu dieser Haltung der Rechtsprechung Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 1a; ihr tendenziell zustimmend hingegen Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 288 Rn. 1; Musielak/Voit/M. Huber, (13. Aufl. 2016), § 288 Rn. 4; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 17; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 4.

256 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung che Zugeständnis des Gegners.93 Zwar könnten die Parteien nicht durch ein Geständnis von Rechtsverhältnissen oder durch übereinstimmende Kundgabe von Rechtsansichten eine eigene rechtliche Beurteilung durch das Gericht ausschließen.94 Allerdings könnten tatsächliche Behauptungen in Rechtsbegriffe eingekleidet sein.95 Das sei jedenfalls dann der Fall, wenn die jeweiligen Rechtsbegriffe einfach und allgemein bekannt seien.96 Vor diesem Hintergrund wird die Behauptung, die Parteien hätten einen Vertrag bestimmten Inhalts geschlossen, als ausreichend angesehen, ohne dass es auf die Umstände von Abgabe und Zugang der beiden Willenserklärungen ankäme.97 Geht es um ein mögliches Eigengeschäft der handelnden Person, genügt der Vortrag, der Betroffene habe den Vertrag im eigenen Namen geschlossen.98 Für die ausreichende Initialbehauptung einer Übereignung im Sinne des § 929 Satz 1 BGB sollen Ausführungen des Inhalts ausreichen, eine bestimmte Person habe innerhalb eines gewissen Zeitfensters die Sache der vortragenden Partei übergeben, wobei beide sich einig darüber gewesen seien, dass das Eigentum an der Sache auf die vortragende Partei übergehen solle.99 Auch der Begriff der Abnahme gemäß § 640 BGB stelle als solcher einen genügend bestimmten Sachvortrag dar;100 das Gleiche wird für die Rechtsnachfolge angenommen.101 Trotz der sprachlichen Fokussierung auf vermeintlich einfache Rechtsbegriffe verfährt die Rechtsprechung auch bei komplexen Tatbestandsmerkmalen in identischer Weise. Das zeigt etwa das Beispiel des schutzfähigen Computerprogramms im Sinne des § 69a Abs. 3 UrhG. Um die notwendige geistige Schöpfung darzutun, wäre es an sich erforderlich, das Programm in seiner Funktionsweise im Einzelnen zu beschreiben und gleichzeitig die Entwick93 BGH, NJW 1958, 1968; NJW-RR 2003, 1578, 1579; 2005, 494, 495; 2006, 281, 282; 2007, 1563, 1565; Rosenberg, Die Beweislast (5. Aufl. 1965), 167; Brehm, Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung (1982), 98; anders aber KG, BeckRS 2006, 2940, das sich der lediglich gesetzeswiederholenden Qualität des Sachvortrags in diesem Fall aber offenbar nicht bewusst ist. 94 BGH, NJW 1958, 1968. 95 BGHZ 129, 136, 155; 135, 92, 95; 197, 100, 109 f.; BGH, NJW 1958, 1968; 2010, 3576, 3577; 2011, 2130, 2131; NJW-RR 2003, 1578, 1579; 2005, 494, 495; 2006, 281, 282; 2007, 1563, 1565; BeckRS 2008, 23051; OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 1994, 530, 531; LAG Mainz, BeckRS 2010, 65455; Musielak/Voit/M. Huber, (13. Aufl. 2016), § 288 Rn. 4; MünchKomm/ Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 17; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 6; auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 4 („gefärbt“). 96 BGH, NJW 1958, 1968; NJW-RR 1987, 416; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 288 Rn. 1. 97 BGH, NJW-RR 2006, 281, 282; 2005, 494, 495; WM 1980, 193, 194; BeckRS 2008, 23051; LAG Mainz, BeckRS 2010, 65455. 98 BGH, NJW-RR 2003, 1578, 1579. 99 KG, BeckRS 2006, 2940. 100 OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 1994, 530, 531. 101 BGHZ 135, 92, 95; OLG Hamm, OLGR 2005, 50.

§ 13 Die Initialbehauptung

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lungsdokumentation vorzulegen.102 Von diesem strengen Standard abweichend begnügt man sich allerdings mit der Behauptung, es handele sich um eine über längere Zeit entwickelte komplexe Software mit nicht unerheblichem Marktwert. Bleibe diese Behauptung unstreitig, liege eine hinreichende Feststellung zu § 69a Abs. 3 UrhG vor.103 Jedenfalls im Normalfall genüge daher eine globale, pauschale Beschreibung des Programms, aus der hervorgehe, dass es sich nicht um eine völlig banale Gestaltung handele und es nicht lediglich das Programm eines anderen nachahme.104

V. Das Problem der Geständnisfähigkeit präjudizieller Rechtsverhältnisse Die These, dass notice pleading der geeignete Standard für die Initialbehauptung im deutschen Zivilprozessrecht ist, lässt sich danach theoretisch schlüssig begründen und entspricht – gegenteiligen Beteuerungen in Zusammenhang mit § 253 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 ZPO zum Trotz – weithin geübter Praxis. Ihr lässt sich schließlich auch nicht entgegenhalten, dass präjudizielle Rechtsverhältnisse schlechthin nicht geständnisfähig seien. Weder die Regel iura novit curia noch die Bewährung zwingenden Rechts rechtfertigen diesen Einwand. 1. Schlussfolgernde Behauptung und iura novit curia Teile der Literatur lehnen es wegen der Regel iura novit curia ab, dass die Parteien präjudizielle Rechtsverhältnisse durch ihr übereinstimmendes Vorbringen mit Bindungswirkung für das Gericht in den Prozess einführen könnten.105 So könnten die Parteien dem Gericht durch ein Geständnis von einzelnen Rechtsfragen nicht die rechtlichen Grundlagen seiner Prüfung aufzwingen.106 Die Verwendung von Rechtsbegriffen enthalte aber stets eine rechtliche Wertung 102

Zu den wesentlichen Vorgängen bei der Softwareerstellung vgl. Karger, CR 2001, 357 f. BGH, GRUR 2005, 860, 861, der bei Computerprogrammen einer gewissen Komplexität eine tatsächliche Vermutung für die ausreichende Schöpfungshöhe annimmt; insoweit zustimmend Dreier/Schulze/Dreier, UrhG (5. Aufl. 2015), § 69a Rn. 29; Spindler/Schuster/ Wiebe, Recht der elektronischen Medien (3. Aufl. 2015), § 69a UrhG Rn. 21; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, Urheberrecht (4. Aufl. 2014), § 69a Rn. 37; Fromm/Nordemann/Czychowski, Urheberrecht (10. Aufl. 2008), Vor §§ 69a ff. Rn. 15; Dreier, GRUR 1993, 781, 789. 104 OLG München, ZUM-RD 1999, 445, 447; Dreier/Schulze/Dreier, UrhG (5. Aufl. 2015), § 69a Rn. 29; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, Urheberrecht (4. Aufl. 2010), § 69a Rn. 22; vgl. bereits RegBegr § 69a UrhG, BT-Drucks. 12/4022, S. 9 f.; ähnlich jetzt auch HK-UrhR/ Kotthoff (2. Aufl. 2009), § 69a Rn. 21. 105 Etwa MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO (4. Auf. 2013), Vor §§ 253 ff. Rn. 39; Häsemeyer, ZZP 85 (1972), 207, 228; der Sache nach auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 9 („keine Beschränkung der Subsumtion durch übereinstimmendes Vorbringen“). 106 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 9. 103

258 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung und könne deshalb keinen ausreichenden Sachvortrag darstellen.107 Eine rechtliche Beurteilung könne auch bei einfachen Rechtsbegriffen von Rechtsirrtum beeinflusst sein, so dass die entsprechende Prüfung dem Gericht vorbehalten bleiben müsse.108 Diese Argumentation kann indes schwerlich überzeugen. So kann jede der Parteien über ein vorgreifliches Rechtsverhältnis eine Zwischenfeststellungsklage nach Maßgabe von § 256 Abs. 2 ZPO erheben. Im Anschluss erkennt der Gegner, mit oder ohne vorherige Absprache, den mit der Zwischenfeststellungsklage geltend gemachten Anspruch an. Das Gericht ist in diesem Fall verpflichtet, das Anerkenntnisurteil ohne weitere tatsächliche oder rechtliche Prüfung zu erlassen.109 Das Anerkenntnisurteil über die Zwischenfeststellungsklage bindet dann das Gericht hinsichtlich des festgestellten Rechtsverhältnisses.110 Auf diese Weise können die Parteien anerkanntermaßen durch übereinstimmendes Verhalten das Gericht an das Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses binden, ohne dass die Regel iura novit curia hieran etwas ändern könnte.111 Dass den Parteien eine Bindung des Gerichts exklusiv auf diesem Wege ermöglicht sein sollte, ist nicht ersichtlich. So ist es gerade nicht die Besonderheit der Zwischenfeststellungsklage, das Gericht innerprozessual an ein präjudizielles Rechtsverhältnis zu binden, sondern allein darin, eine rechtskräftige Entscheidung über solch ein Rechtsverhältnis mit Wirkung für andere Prozesse zu erhalten.112 Liegt die entscheidende Bedeutung der Zwischenfeststellungsklage aber nicht darin, dass die Parteien überhaupt über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses disponieren dürfen, kann es ihnen auch nicht verwehrt sein, das identische Ergebnis auf anderem Wege, namentlich durch übereinstimmend vorgetragene Rechtsbegriffe, herbeizuführen.113 Außerdem überschätzt die Gegenauffassung die Bedeutung und Reichweite von iura novit curia. So besagt dieser Grundsatz aus § 293 ZPO ersichtlich zunächst lediglich, dass Rechtssätze keines Beweises bedürfen.114 Der Richter hat jedenfalls das im Inland geltende Recht selbst zu kennen.115 Für das Verhältnis zu den Parteibefugnissen bedeutet das zum einen, dass die Parteien auch durch 107

Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 1a. Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 1a. 109 Siehe nur Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), § 307 Rn. 15. 110 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO (4. Aufl. 2013), § 256 Rn. 87. 111 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 12. 112 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 256 Rn. 26; MünchKomm/BeckerEberhard, ZPO (4. Aufl. 2013), § 256 Rn. 75. 113 BGH, NJW-RR 2003, 1578, 1579; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 288 Rn. 1; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 288 Rn. 6; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 288 Rn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 12; i. Erg. genauso MünchKomm/ Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 18; 114 F. Baur, in: FS für Bötticher (1969), 1, 4; Häsemeyer, ZZP 85 (1972), 207, 209. 115 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 293 Rn. 4. 108

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übereinstimmenden Vortrag keine Rechtsfolgen auslösen können, die das anwendbare Recht gewiss nicht oder womöglich nicht hat.116 Zum anderen folgt daraus, dass die Parteien dem Prozessgericht nicht vorschreiben können, zu welchem Ergebnis es bei der Subsumtion vorgetragener Tatsachen zu kommen hat.117 Den weiteren Schluss, dass es den Parteien auch verwehrt sei, in ihren Tatsachenvortrag bereits rechtliche Wertungen einfließen zu lassen und damit die syllogistische Schlusskette abzukürzen, trägt der Grundsatz iura novit curia jedoch nicht.118 2. Schlussfolgernde Initialbehauptung und zwingendes Recht Wiederum andere wenden gegen eine erleichterte Initialbehauptung nach dem Maßstab des notice pleading ein, dass die Parteien zwingendes materielles Recht außer Kraft setzen könnten, wenn man ihnen übereinstimmenden pauschalen und in Teilen gesetzeswiederholenden Vortrag gestattete.119 So könne etwa ein formnichtiger Kaufvertrag nicht dadurch im Prozess als wirksam behandelt werden, dass die Parteien übereinstimmend lediglich die Existenz des Kaufvertrags vortragen, ohne eine Prüfung auf etwaige Formmängel hin zu ermöglichen.120 Nun mag es zwar die innere Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung fördern, wenn zwingendes materielles Recht sich auch im Prozess bewährt. In diesem Sinne steht beispielsweise auch das Anerkenntnisurteil unter dem Vorbehalt materiellrechtlicher Wirksamkeit des mit der Klage geltend gemachten Rechts.121 Dennoch lässt sich aus diesem Ansatz kein Argument gegen die Zulässigkeit einer Initialbehauptung gewinnen, die in ihrer Konkretisierung nicht über den Grad des notice pleading hinauskommt. Man denke an den Fall eines Kaufvertrags über ein Grundstück, der als Schwarzkauf gemäß §§ 311b Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1 BGB unwirksam ist. Heilung sei zwischenzeitlich nicht eingetreten. Wird das Zustandekommen dieses Vertrags in einem Rechtsstreit unter Geltung der ZPO entscheidungserheblich, so wird das Prozessgericht seine Wirksamkeit schon dann nicht in Frage stellen, wenn die Parteien ihren von der Urkunde abweichenden inneren Willen verschweigen.122 Und selbstverständlich wäre jeder Vortrag im Hinblick auf die Konkretisierung ausreichend, der in einer Urkunde enthaltene Erklärungen wiedergäbe, 116 BGH, VersR 1978, 643: Rechtsnachfolge und Haftungsübernahme öffentlich-rechtlicher Körperschaften nach einer Gebietsreform. 117 BGH, WM 1969, 165, 166; a.A. F. Baur, in: FS für Bötticher (1969), 1, 4. 118 Weiter gehend F. Baur, in: FS für Bötticher (1969), 1, 4. 119 Cahn, AcP 198 (1998), 34, 66; a.A. Häsemeyer, ZZP 85 (1972), 207, 209. 120 Cahn, AcP 198 (1998), 34, 61 f. 121 Siehe nur MünchKomm/Musielak, ZPO (4. Aufl. 2013), § 307 Rn. 22. 122 Allenfalls mag man erwägen, dass hier eventuell ein Verstoß beider Parteien gegen § 138 Abs. 1 ZPO vorliegt. Richtigerweise ist auch dies zu verneinen. Siehe dazu im Einzelnen § 20.

260 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung mag diese Urkunde in Wahrheit auch nicht existieren. Wer in solchen Konstellationen die unbedingte Bewährung der gesetzlichen Formvorschriften einfordert, muss auch im Falle des Nichtbestreitens die richterliche Vernehmung der Parteien auf ihren wahren inneren Willen bzw. die Vorlage der Urkunde fordern. Hierfür bietet die ZPO indes schon deshalb keine Rechtsgrundlage, weil es eine Beweiserhebung wegen unstreitiger Tatsachen nur dort gibt, wo das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären hat,123 etwa beim Mangel der Prozess- oder Parteifähigkeit.124 So zeigt sich, dass ein Verbot pauschalen und teilweise gesetzeswiederholenden Vortrags nach Art des notice pleading von vornherein kein effektives Instrument zur Durchsetzung zwingenden materiellen Rechts im Zivilprozess darstellen kann. Und schon dieser Befund belegt, dass es einen absoluten Durchsetzungsanspruch der materiellen Rechtsordnung gegen prozessrechtliche Gestaltungsspielräume der Parteien nicht gibt. Existierte solch ein absoluter Durchsetzungsanspruch nämlich, so dürften die Parteien konsequenterweise keine Möglichkeit haben, die entscheidungserheblichen Tatsachen durch übereinstimmenden Vortrag zu gestalten.125 Wenn das Gesetz aber übereinstimmendem Parteiverhalten – sei es in Form des echten Geständnisses oder der Geständnisfiktionen – einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsgrundlagen einräumt, folgt daraus, dass den Parteien auch die Abkürzung der syllogistischen Schlusskette durch ihre jeweiligen Vorträge gestattet ist. Eine Initialbehauptung ist also schon dann hinreichend konkret und damit geständnisfähig, wenn sie den Maßstäben des notice pleading genügt.

Zwischenergebnis Bei der Formulierung ihrer Initialbehauptung muss die risikobelastete Partei noch nicht sämtliche von ihr erwartbaren Belegtatsachen beibringen. So spielt auch die Reaktion des Gegners als Realkennzeichen für die Wahrheit der Initialbehauptung eine bedeutende Rolle. In den Fällen des Geständnisses gemäß § 288 Abs. 1 ZPO sowie den Geständnisfiktionen gemäß §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3 ZPO und § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO besteht kraft gesetzlicher Anordnung kein Raum, an der zunächst unterstellten subjektiven Unwahrheit festzuhalten. Hier erübrigt sich eine Forderung nach ergänzenden Belegtatsachen. Belegtatsachen für die Wahrheit der Initialbehauptung sind so lange verzichtbar, wie die Reaktion der gegnerischen Partei noch aussteht. Erst sobald der Gegner die Initialbehauptung wirksam bestritten hat, besteht für die risikobelastete Partei Anlass, die von ihr erwartbaren Belegtatsachen beizubrin123 124 125

BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 284 Rn. 8. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 44. Häsemeyer, ZZP 85 (1972), 207, 209.

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens

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gen, damit an der unterstellten subjektiven Unwahrheit nicht weiter festgehalten werden kann. Die Initialbehauptung ist danach hinreichend konkretisiert, wenn sie dem Standard des notice pleading aus dem U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht des Bundes entspricht. Diesen Anforderungen ist genügt, wenn der Vortrag der risikobelasteten Partei ausreichende Informationen transportiert, die eine Erwiderung und eine Identifizierung des Streitgegenstands ermöglichen. Dahinter bleiben nur solche schlussfolgernden Aussagen zurück, die kein abgrenzbares Geschehen mehr beschreiben. Im Ergebnis entspricht das mindestens weitgehend demjenigen, was bei § 253 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 ZPO für die ordnungsgemäße Klageerhebung zu fordern ist.

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens A. Das Initialbestreiten des Gegners Erreicht die Initialbehauptung einen Konkretisierungsgrad, der dem U.S.amerikanischen Standard des notice pleading entspricht,126 so hat der Gegner rein faktisch verschiedene Möglichkeiten, zu reagieren: Er kann den Gegenstand der Initialbehauptung gemäß § 288 ZPO förmlich zugestehen, er kann schweigen und damit die Geständnisfiktion der §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO auslösen, als Beklagter kann er die Verteidigungsbereitschaft nicht anzeigen oder nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen und damit die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO herbeiführen, er kann den pauschal gehaltenen Vortrag ebenso pauschal bestreiten oder bereits zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Gegendarstellung liefern. Zweckmäßigerweise wird der Gegner die Behauptung zunächst bestreiten. Dafür genügt an dieser Stelle des Erkenntnisverfahrens das einfache Bestreiten; der Gegner muss die pauschale Behauptung lediglich pauschal in Abrede stellen. Das folgt zunächst aus dem Spiegelbildgedanken: Wenn die Initialbe126 In der Prozesspraxis gehorchen die Schriftsätze und das mündliche Vorbringen der Parteien selten einem einheitlichen Schema. So lässt sich das erstmalige Vorbringen der risikobelasteten Partei kaum jemals einem der Pole „notice pleading“ oder „Präsentation sämtlicher erwartbarer Belegtatsachen“ zuordnen. Regelmäßig entspricht das Vorbringen vielmehr einer der dazwischen liegenden Varianten. Eine theoretische Beschreibung des Parteivorbringens als Abfolge von Rede und Gegenrede zur Ermittlung solchen Vortrags, der als bewusst unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO zu behandelt ist, als Modell zur Ermittlung von Mitwirkungslasten der Parteien im Zivilprozess kann diese tatsächlichen Gegebenheiten nicht im Einzelnen nachvollziehen. Sie muss sich darauf beschränken, Fixpunkte zu benennen. So liegt der Erörterung des Parteivorbringens im weiteren Verlauf des Verfahrens die Annahme zugrunde, dass die risikobelastete Partei mit ihrer Initialbehauptung lediglich dem notice pleading entsprechend vorgetragen hat, also das Minimum dessen vorgebracht hat, was einen schlüssigen bzw. erheblichen Sachvortrag ausmacht.

262 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung hauptung nicht als subjektiv unwahr unterstellt wird, dann kann für das Initialbestreiten nichts anderes gelten. Denn dieses Bestreiten verfolgt zunächst einmal keinen weiteren Zweck, als von der risikobelasteten Partei die erwartbaren Belegtatsachen für die Wahrheit ihrer pauschalen Initialbehauptung zu verlangen.127 Es handelt sich um die prozessrechtliche Entsprechung des äußerungsdeliktischen In-Abrede-Stellens der behaupteten Tatsache, welches den Erklärenden erstmals dazu nötigt, seine Behauptung mit Belegtatsachen zu untermauern.128

B. Die erwartbaren Belegtatsachen der risikobelasteten Partei I. Die Situation der risikobelasteten Partei Das Bestreiten erledigt die Möglichkeit, dass bestätigendes Gegnerverhalten Belegtatsachen für die Initialbehauptung obsolet macht. Ab dem Wirksamwerden des Bestreitens unterliegt die Initialbehauptung der Unterstellung, sie sei in bösem Glauben aufgestellt und somit unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO. Liefert die risikobelastete Partei die von ihr erwartbaren Belegtatsachen nicht, so bleibt es bei der Unterstellung subjektiver Unwahrheit und das Prozessgericht lässt die Initialbehauptung unberücksichtigt.129

II. Die an die informierte Partei gerichteten Regelanforderungen Im äußerungsdeliktischen Zusammenhang entziehen regelmäßig erst solche Belegtatsachen der Unterstellung subjektiver Unwahrheit die Grundlage, die es sachlich rechtfertigen, dass der Betroffene seine gegenüber der öffentlichen Wahrnehmung abgeschirmte Sphäre zu Verteidigungszwecken öffnet. Dem ist genügt, sobald das Vorbringen durch Konsistenz und Detailreichtum im rechtlich relevanten Kernbereich Glaubwürdigkeit vermittelt. Darüber hinaus muss ausreichendes Vorbringen die Öffnung der gegnerischen Sphäre gegenständlich beschränken. Ist danach das mündliche Zustandekommen eines Vertrags streitig, sind die einzelnen Erklärungen vorzutragen, die als Einigung im Sinne der §§ 145, 147 BGB zu interpretieren sein sollen.130 Die Klausel eines schriftlichen Vertrags ist wiederzugeben, gegebenenfalls durch Beifügen der Urkunde als Anlage 127 Das entspricht dem allgemeinen Verständnis, wonach der Gegner der risikobelasteten Partei mit seinem Bestreiten die Wahrheit der Tatsachenbehauptung in Frage stellt (Schilken, Zivilprozessrecht [7. Aufl. 2014], Rn. 410). 128 BGH, GRUR 1975, 36, 38. 129 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 14. 130 Staudinger/Bork, BGB (2015), § 145 Rn. 38.

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens

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und Bezugnahme.131 Wer geltend macht, selbst Partei eines Vertrags und vom unmittelbar Handelnden vertreten worden zu sein, muss darlegen, dass und wie der Vertretungswille gegenüber dem Geschäftsgegner ausgedrückt wurde.132 Wer Werklohn geltend macht, hat im Hinblick auf die Fälligkeit darzutun, wann und mit welchem Inhalt er dem Gegner eine Schlussrechnung erteilt hat.133 Fehlt es an einer förmlichen Abnahme, dann ist im Einzelnen aufzuschlüsseln, welche Personen zu welchem Zeitpunkt das Werk besichtigten, und aus welchen Aussagen oder Verhaltensweisen des Bestellers sich die Billigung als im Wesentlichen vertragsgerecht ergeben soll.134 Wer Schadensersatz wegen der Beschädigung einer beweglichen Sache verlangt, hat den Schadenszeitpunkt zumindest einzugrenzen und darüber hinaus genaue Angaben zum Schadensort und insbesondere zur Art und zum Umfang der behaupteten Schäden zu machen.135 Verstöße gegen § 3a UWG in Verbindung mit der Verhaltensnorm erfordern Angaben zu Ort, Zeit und Umständen des behaupteten gegnerischen Fehlverhaltens.136 Ein Werktitel im Sinne von § 5 Abs. 1 Alt. 2 MarkenG als Grundlage markenrechtlicher Schadensersatzansprüche ist nur ordnungsgemäß vorgetragen, wenn der Anspruchsteller im Einzelnen darlegt, wann er die Benutzung welches unterscheidungskräftigen Titels im geschäftlichen Verkehr im Inland aufgenommen hat.137 Die Beispiele zeigen, dass die risikobelastete Partei als äußerungsrechtlich Erklärender einige Belegtatsachen beizubringen hat, um den Regelanforderungen an ihren Sachvortrag zu genügen. Im Ergebnis gelten wenigstens sehr ähnliche Maßstäbe wie dort, wo Rechtsprechung und Literatur auf Basis der h.M. strenge Anforderungen an die Erfüllung der konkreten Behauptungslast stellen. Benennt die risikobelastete Partei solche Belegtatsachen, darf ihr nicht mehr unterstellt werden, subjektiv unwahr vorgetragen zu haben.

III. Die Erleichterungen zu Gunsten der nicht informierten Partei 1. Die Notwendigkeit von Erleichterungen Belässt man es bei den so beschriebenen Regelanforderungen an die erwartbaren Belegtatsachen, so ergeben sich wiederum zahlreiche Konstellationen, in denen es der risikobelasteten Partei im Ergebnis unmöglich wäre, der Unterstellung, sie habe subjektiv unwahr vorgetragen, die Grundlage zu entziehen.

131 132 133 134 135 136 137

OLG München, NJW-RR 2001, 66. OLG Karlsruhe, NJOZ 2008, 49, 50. OLG Köln, NJW-RR 2001, 1724. OLG Düsseldorf, NZBau 2002, 446, 447. OLG Hamm, NJW 2003, 2543. OLG Hamm, GRUR 1979, 326, 327; OLG Koblenz, BeckRS 2010, 29407. BGH, GRUR 2010, 642, 644.

264 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung So wird eine Partei, zu deren Lasten andere eine Vereinbarung nach § 1 GWB geschlossen haben, den genauen Inhalt der Willenserklärungen und die Umstände ihres Wirksamwerdens kaum jemals im Einzelnen aufzeigen können.138 Nimmt ein Insolvenzverwalter die Gesellschafter einer GmbH wegen Unterbilanzhaftung in Anspruch, so kann er die an sich erforderliche bilanzielle Ermittlung und Darstellung dieses Anspruchs139 dann nicht liefern, wenn weder eine Eröffnungsbilanz noch sonst ordnungsgemäß dokumentierte Buchungsvorgänge vorliegen. Auch wer einem Mitbewerber Irreführung bei der Kopplung eines Absatzgeschäfts mit Versprechen einer Sponsoringleistung für ein Umweltschutzprojekt vorwirft, wird die Regelanforderungen an erwartbare Belegtatsachen praktisch niemals erfüllen können. Denn erforderlich wären Ausführungen dazu, welche Art und welchen Umfang von Engagement für das Projekt der Verkehr nach der Werbung erwartet und in welcher Weise das tatsächliche Engagement hiervon abweicht.140 Und schließlich sei die Partei erwähnt, die nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB i.V.m. §§ 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 2 GWB, 134 BGB die Rückzahlung von Netznutzungsentgelten mit der Begründung verlangt, dass der marktbeherrschende Gegner diese missbräuchlich überhöht festgesetzt habe. Den Regelanforderungen genügende Belegtatsachen hat die risikobelastete Partei hier erst beigebracht, sobald sie die sachlich nicht gerechtfertigte Überschreitung des wettbewerbsanalogen Preises141 anhand der gegnerischen Kostenstruktur erläutert.142 Mangels Kenntnis von dieser Kostenstruktur wird sie an dieser Aufgabe regelmäßig scheitern. In anderen Fällen mögen den Regelerwartungen genügende Belegtatsachen zwar nicht unerreichbar, wohl aber nur mit einiger Mühe zu bekommen sein. So liegt es etwa im Arzthaftungsprozess. Selbstverständlich könnte der Patient unter Rückgriff auf Sachverständigengutachten den fachärztlichen Standard zum Zeitpunkt der Behandlungsmaßnahme dartun, die konkret getroffene Maßnahme im Einzelnen schildern und deren Zurückbleiben hinter dem Standard ausführen.143 Den notwendigen Sachverstand, um diese komplexe Materie prozessrechtlich aufzuarbeiten, muss der Patient freilich einkaufen. Ganz ähnlich verhält es sich im Baumängelprozess. Auch hier könnte der Besteller ein konkretes Fehlerbild dartun, das sich bereits zu den Ursachen der be-

138 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann, Kartellrecht (2. Aufl. 2009), § 1 GWB Rn. 261. 139 Scholz/K. Schmidt, GmbHG (11. Aufl. 2012), § 11 Rn. 144. 140 BGH, GRUR 2007, 251, 253. 141 So die Beschreibung des Missbrauchstatbestandes bei Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Götting, Kartellrecht (2. Aufl. 2009), § 19 GWB Rn. 79. 142 OLG Düsseldorf, BeckRS 2009, 2336. 143 Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 392: „(…) Klagevorbringen so zu substantiieren, daß bereits dieses den fachlichen Kernbereich des Falles erfassen und vorstrukturieren könnte.“

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens

265

schriebenen Erscheinung äußert,144 sofern er bereit ist, den Aufwand für das erforderliche Sachverständigengutachten zu finanzieren. 2. Die Umsetzung der Erleichterungen in § 138 Abs. 1 ZPO a) Der Grundsatz Wird nach äußerungsdeliktischen Regeln geprüft, ob eine Tatsachenbehauptung auch ohne Beweisaufnahme als unwahr zu behandeln ist, darf die Forderung nach erwartbaren Belegtatsachen die Äußerungsfreiheit des Erklärenden nicht über Gebühr beschränken. Denn an der Unterstellung, der Erklärende habe eine subjektiv unwahre Tatsache behauptet, kann nur dort festgehalten werden, wo er nach Lage der Dinge Details zum Kernbereich seiner Aussage kennen müsste, solche aber nicht mitteilt.145 Im Fall nur begrenzter Erkenntnismöglichkeiten kann der Erklärende sich auf den Bericht seiner ebenso begrenzten Belegtatsachen beschränken, ohne weiter die Unterstellung subjektiver Unwahrheit gegen sich gelten lassen zu müssen.146 Maßgeblich ist demnach die Erwartbarkeit nach den jeweiligen Erkenntnismöglichkeiten des Erklärenden. Bei Übertragung dieser Grundsätze auf die Überprüfung des Parteivorbringens am Maßstab des § 138 Abs. 1 ZPO kann das im Extremfall sogar dazu führen, dass von der Partei über das notice pleading hinaus keine weiteren Belegtatsachen verlangt werden können. b) Tatsachen außerhalb des eigenen Wahrnehmungsbereichs der Partei In den beschriebenen Konstellationen gilt danach: Das vermeintliche Opfer einer nach § 1 GWB verbotenen Verabredung trägt zum Vertragsschluss bereits dann sämtliche erwartbaren Belegtatsachen vor, wenn es negative Effekte eines gleichgerichteten Verhaltens der vermeintlichen Vertragsparteien für sich selbst beschreibt und irgendwelche Indizien vorbringt, die sich etwa aus der Marktstruktur ergeben können.147 Zum genauen Inhalt der Willenserklärungen und den Umständen ihres Wirksamwerdens durch Abgabe und Zugang sind keine Detailkenntnisse erwartbar.148 Der Insolvenzverwalter kann zur Unterbilanzhaftung der Gesellschafter anhand sonstiger Dokumente oder Verdachtsmomente vortragen, auch 144

Vgl. AG Halle/Saale, NJW-RR 2010, 25, 26. Vgl. BGH, GRUR 1976, 36, 38. 146 BVerfGE 85, 1, 21 f.; 99, 185, 1999; OLG Stuttgart, NJW-RR 1993, 733, 734, LG Saarbrücken, NJW-RR 1993, 730, 731; LG Berlin, MMR 2009, 62, 63; Kübler, NJW 1999, 1281, 1287; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291. 147 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann, Kartellrecht (2. Aufl. 2009), § 1 GWB Rn. 61. 148 Vgl. BGH, NJW 2009, 2137. 145

266 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung wenn diese den Anforderungen an eine bilanzielle Darstellung nicht genügen.149 Der Mitbewerber, der die Irreführung über den Umfang der Förderung eines Umweltprojekts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 UWG behauptet, liefert bereits dadurch sämtliche erwartbaren Belegtatsachen, dass er etwa anhand von Berichten aus der Allgemeinpresse dartut, dass lediglich ein Sponsoring in geringem Umfang stattfindet.150 Der Vorwurf missbräuchlich überhöhter Netznutzungsentgelte kann bereits dann nicht mehr als bewusst unwahr erhoben behandelt werden, wenn die rückfordernde Partei Anhaltspunkte aus allgemein zugänglichen Quellen vorträgt, die auf einen entsprechenden Missbrauch hindeuten.151 Dort, wo die risikobelastete Partei also außerhalb des Geschehens steht, das direkt den Tatbestand der sie begünstigenden Norm bildet, kann sie mittels – unter Umständen sehr vager – Indizien ausreichende Belegtatsachen benennen, die es in der Folge unmöglich machen, ihren Sachvortrag als subjektiv unwahr zu qualifizieren. c) Innere Tatsachen Dieser Gedanke gilt in gleicher Weise für die weiteren neuralgischen Fallgruppen des Informationsproblems. Insbesondere sind über die inneren Tatsachen einer anderen Person häufig keine Detailkenntnisse zu erwarten. Beispielsweise genügt es, wenn der Mieter im Prozess über Schadensersatz wegen unberechtigter Eigenbedarfskündigung aufzeigt, dass der Vermieter den Eigenbedarf nicht realisiert hat, und im Übrigen behauptet, der Vermieter habe im Zeitpunkt der Kündigung die Nutzung der Wohnung nicht ernsthaft beabsichtigt.152 d) Negative Tatsachen Nur wenige Detailinformationen sind überdies im Fall negativer Tatsachen erwartbar. Ein bekanntes Beispiel ist der fehlende Rechtsgrund in § 812 Abs. 1 BGB. Ihre Behauptung, dass der Gegner ohne Rechtsgrund bereichert sei, untermauert die risikobelastete Partei, indem sie diejenigen Umstände widerlegt, die für die Existenz eines Rechtsgrundes sprechen.153 Doch weiß sie nicht notwendig, welcher konkrete Rechtsgrund für die umstrittene Zuwendung in Betracht kommt. So liegt es etwa, wenn der Testamentsvollstrecker eine 149

BGHZ 165, 391, 398; BGH, NZG 2003, 393, 394; MünchKomm/Merkt, GmbHG (2. Aufl. 2015), § 11 Rn. 166. 150 BGH, GRUR 2007, 251, 253. 151 OLG Düsseldorf, BeckRS 2009, 2336. 152 BGH, NJW 2005, 2395, 2397; zu Vortragserleichterungen bei inneren Tatsachen allgemein siehe Mes, GRUR 2000, 934, 937. 153 BGH, NJW 2003, 1039.

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens

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Vermögensverschiebung vom Erblasser zum Gegner feststellt, ohne deren Hintergründe zu kennen. In diesen Fällen genügt es bereits, dass der Bereicherungsgläubiger seine Recherchebemühungen im Hinblick auf den Rechtsgrund erläutert und im Übrigen das Fehlen des Rechtsgrundes behauptet.154 Sehr ähnlich verhält es sich bei der markenrechtlichen Löschungsklage nach § 55 MarkenG, die der Kläger auf den Verfall wegen Nichtbenutzung gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 MarkenG stützt. Dass der Kläger die Nichtbenutzung bewusst unwahr behauptet hätte, darf bereits ab dem Zeitpunkt nicht mehr unterstellt werden, in dem er die Ergebnisse einer Markenrecherche wiedergibt, bei der eine ernsthafte Benutzung der fraglichen Marke für die vom Löschungsbegehren erfassten Waren und Dienstleistungen nicht feststellbar war.155 e) Lange zurückliegende Ereignisse Die eindeutige Erinnerung an Details von Ereignissen nimmt ab, je länger sie zeitlich zurückliegen. Mit dem Zeitablauf sinkt damit auch die Erwartbarkeit von Belegtatsachen in der Aussage der risikobelasteten Partei.156 Folglich ist auch hier – im Verhältnis zu den Regelanforderungen an die Erwartbarkeit von Belegtatsachen – schneller von der Unterstellung subjektiv unwahren Parteivorbringens Abstand zu nehmen. Diese Erwägung liegt offenbar einigen Entscheidungen zugrunde, in denen der Insolvenzverwalter mit den Gesellschaftern über die Erfüllung der Einlagenschuld stritt, die teils mehr als 20 Jahre vor Klageerhebung entstanden und über deren Erfüllung keine Belege mehr vorhanden waren.157 Für die Praxis ist das Problem entschärft, seit der Gesetzgeber die Verjährung der Einlagenschuld durch § 19 Abs. 6 Satz 1 GmbHG auf zehn Jahre verkürzt und damit an die Aufbewahrungsfristen für die Buchungsbelege gemäß § 257 Abs. 4 HGB i.V.m. §§ 13 Abs. 3 GmbHG, 6 Abs. 1 HGB angepasst hat.158 Das Problem mag indes noch vereinzelt auftreten können, wenn der Insolvenzverwalter nach Ablauf der Verjährungs- und der Aufbewahrungsfrist einen Geschäftsführer nach § 43 Abs. 1 GmbHG in Anspruch nimmt, weil er die vermeintlich ungetilgte Einlagenschuld habe verjähren lassen.159 Konkret geht es in diesen Fällen um die Erfüllung der Einlagenschuld nach § 362 Abs. 1 BGB. Die Behauptung des entsprechend belasteten Gesellschaf154

Vgl. BGH, NJW 1999, 2887, 2888. OLG Köln, GRUR 1987, 530, 532; Kochendörfer, WRP 2007, 258, 260. 156 Vgl. BGH, NJW 2002, 1488. 157 Vgl. BGH, DStR 2004, 2112; 2005, 297; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2006, 1188; OLG Jena, NZG 2010, 68. 158 Vgl. Thiessen, ZHR 168 (2004), 503, 516 f.; Goette, DStR 2004, 2113. 159 Vgl. Michalski/Ebbing, GmbHG (2. Aufl. 2010), § 19 Rn. 192. 155

268 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung ters,160 er habe seine Einlagenschuld erfüllt, entspringt dem eigenen Wahrnehmungsbereich. Folglich liefert er erwartbare Belegtatsachen für die Wahrheit dieser Einlassung grundsätzlich nur durch die Schilderung eines einzelnen Lebensvorgangs, dem aus Rechtsgründen ein Erlöschen der geltend gemachten Forderung zu entnehmen ist.161 Sind aber die Buchungsbelege wegen Ablaufs der Aufbewahrungsfrist nicht mehr greifbar, erweist sich die geforderte konkrete Rekonstruktion der einzelnen Leistungsvorgänge nach langer Zeit im Regelfall als mindestens außerordentlich schwierig.162 Daher sollen mit zunehmendem Zeitablauf die Anforderungen an den Detailreichtum von Belegtatsachen schwinden. Mehr als der Vortrag, die Einlage sei in nahem zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags auf das Konto der Gesellschaft eingezahlt worden163 und die Bilanzen hätten die Einlage als eingezahlt ausgewiesen, ist nach der Rechtsprechung an Belegtatsachen nicht erwartbar.164 f) Sachverständig feststellbare Tatsachen Für den Erklärenden können sich Einschränkungen seiner Äußerungsfreiheit nicht nur aus der Eigenart der Information als solcher oder aus seinen nur beschränkten Erkenntnisquellen ergeben. Erheblicher Aufwand, den er treiben müsste, um einen seiner Meinung nach begründeten Verdacht zu äußern, stellt ein ebenso großes Hindernis für die Wahrnehmung seiner Freiheit dar. Deshalb gelten hier Zumutbarkeitsgrenzen. Dieser Gedanke kommt im Prozess erst recht zum Tragen. Namentlich betrifft das die Fälle der lediglich sachverständig feststellbaren Tatsache, hier repräsentiert durch den Arzthaftungsprozess zum einen und den Baumängelprozess zum anderen. Damit kostspielige Privatgutachten im Vorfeld des Prozesses den Patienten bzw. den Besteller nicht davon abhalten, den vermeintlichen Anspruch gerichtlich überprüfen zu lassen, entgehen auch sie der Unterstellung, sie hätten den Behandlungsfehler oder den Mangel subjektiv unwahr behauptet, bereits mit verhältnismäßig gering ausgeprägten Belegtatsachen. Demnach ist der ärztliche Behandlungsfehler ausreichend konkret vorgetragen, wenn der Patient auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen seiner Gesundheitsbeeinträchtigung und der ärztlichen Behandlung hinweist und im Übrigen einen Ursachenzusammenhang zwischen beiden sowie die Fehlerhaftigkeit des ärztlichen Handelns behauptet.165 Im Ergebnis nicht an160 BGH, NJW 2007, 3067; OLG Naumburg, NJW-RR 1999, 1641, 1642; Goette, DStR 2004, 2113; a.A. Voßen, DStR 2004, 1299, 1303. 161 BGH, NJW 1997, 128, 129. 162 Vgl. OLG Naumburg, NJW-RR 1999, 1641, 1642, dort stellte sich noch nicht einmal die Frage nach dem Zeitablauf; weitere Schwierigkeiten schildert Voßen, DStR 2004, 1299, 1303. 163 BGH, DStR 2005, 297 f. 164 Vgl. BGH, DStR 2004, 2112, 2113; Goette, DStR 2004, 2113. 165 Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 392.

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens

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ders liegt es bei den behaupteten Baumängeln. Hier reicht es in Einklang mit der sog. Symptomrechtsprechung aus, das tatsächliche Erscheinungsbild des Mangels zu beschreiben.166

C. Die erwartbaren Belegtatsachen für das weitere Bestreiten I. Die Situation des Gegners der risikobelasteten Partei Für den Gegner der risikobelasteten Partei ergibt sich nunmehr folgende Situation: Auf den im Sinne von notice pleading pauschalen Initialvortrag hat er mit einem einfachen Bestreiten reagiert. In der Folge war die Initialbehauptung als subjektiv unwahr zu behandeln, bis die risikobelastete Partei dieser Unterstellung durch das Vorbringen der von ihr erwartbaren Belegtatsachen die Grundlage entzog. Nun trifft den Gegner der risikobelasteten Partei die Unterstellung, er habe im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO subjektiv unwahr bestritten. Dieser Unterstellung hat er nun seinerseits ein Ende zu setzen, indem er die für sein Bestreiten erwartbaren Belegtatsachen benennt. Kommt er dieser Aufgabe nicht nach, bleibt sein Bestreiten wegen des unterstellten Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt.167 In der Folge greift die Geständnisfiktion gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO zu Gunsten der risikobelasteten Partei.

II. Die spiegelbildliche Bestimmung der erwartbaren Belegtatsachen Äußerungsdeliktischen Regeln entsprechend ist die Entgegnung des Betroffenen in gleicher Weise auf ihre subjektive Unwahrheit hin zu überprüfen wie die Behauptung des Erklärenden. Welche Belegtatsachen vom Betroffenen erwartbar sind, bestimmt sich deshalb unabhängig davon, was vom Erklärenden zu erwarten war. Greift zu dessen Gunsten das äußerungsrechtliche „Laienprivileg“, so hat der Betroffene dennoch die Regelanforderungen an die Erwartbarkeit zu erfüllen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn in seiner Person selbst ein Privilegierungstatbestand verwirklicht ist. Da § 138 Abs. 1 ZPO unter Rückgriff auf diese äußerungsdeliktischen Regeln zu interpretieren ist, gilt Entsprechendes für das Bestreiten im Zivilprozess. Insbesondere kommt § 138 Abs. 2 ZPO keine entsprechende Beschränkung dahingehend zu, dass der Gegner sein Bestreiten nur insoweit mit Belegtatsachen zu untermauern hätte, als die risikobelastete Partei ihrerseits hierzu in der Lage gewesen ist. 166 167

Staudinger/Bub, BGB (2005), § 21 WEG Rn. 293a. Vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 14.

270 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung

III. Zusammenwirken von Behauptung und Bestreiten bei der Sachverhaltsaufklärung Bringen beide Parteien die von ihnen jeweils erwartbaren Belegtatsachen bei, so ergibt sich in den neuralgischen Fallgruppen des Informationsproblems für die Sachverhaltsaufklärung folgendes Wechselspiel von Behauptung und Bestreiten: 1. Der Wahrnehmungskreis der Parteien Handelt es sich bei der behaupteten Tatsache um ein Ereignis, das außerhalb des eigenen Wahrnehmungskreises der risikobelasteten Partei, aber innerhalb desjenigen des Gegners stattfindet oder stattgefunden hat, hat konsequenterweise die gegnerische Partei sämtliche Belegtatsachen beizubringen, die aufgrund ihrer eigenen Wahrnehmung der maßgeblichen Geschehnisse erwartbar sind. So haben die vermeintlichen Parteien einer gemäß § 1 GWB verbotenen Verabredung alternative Begründungen dafür abzugeben, weshalb ihr Marktverhalten objektiv gleichgerichtet ist. Die wegen Unterbilanzhaftung in Anspruch genommenen Gesellschafter haben Vermögensverhältnisse zu beschreiben, nach denen entgegen dem Vortrag des Anspruchstellers eine Unterbilanz nicht vorlag.168 Zum ausreichenden Bestreiten des Irreführungsvorwurfs nach § 5 Abs. 1 Alt. 2 Nr. 4 UWG bei der Kopplung eines Absatzgeschäfts mit dem Versprechen einer Sponsoringleistung für ein Regenwaldprojekt gehört es, dass der Werbende seine Sponsoringleistungen im Einzelnen beschreibt.169 Soweit der Vorwurf des Marktmissbrauchs in Zusammenhang mit der Rückzahlung von Netznutzungsentgelten gemäß §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB i.V.m. §§ 19 Abs. 1 Nr. 4 GWB, 134 BGB von der Kostenstruktur des in Anspruch Genommenen abhängt, hat dieser seine Kostenstruktur und ihren Einfluss auf die Preisbildung mitzuteilen.170 Wer sich schließlich des substantiiert vorgebrachten Vorwurfs der rechtswidrigen Übernahme eines fremden, geschützten Quellcodes hinreichend erwehren will, muss die Eigenständigkeit seiner Programmierung konkret beschreiben. 2. Innere Tatsachen Entsprechendes ergibt sich für die entscheidungserheblichen inneren Tatsachen. 168

BGH, NZG 2003, 393, 394. Unklar BGH, GRUR 2007, 251, 253. 170 OLG Düsseldorf, BeckRS 2009, 2336; zur Rückforderung auf Basis von §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 315 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB i. Erg. ebenso BGHZ 154, 5, 9 f.; OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 1715. 169

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens

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So hat der Vermieter im Schadensersatzprozess wegen vorgeschobenen Eigenbedarfs auf die schlichte Behauptung des Mieters hin im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen er den in der Kündigung geltend gemachten Eigenbedarf später nicht realisierte.171 Aus denselben Erwägungen muss der Versicherungsnehmer, der gegenüber dem Versicherer objektiv unzutreffende Angaben gemacht hat, für ein beachtliches Bestreiten des Arglistvorwurfs nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG konkret darlegen, wie es zu dem vermeintlichen Versehen gekommen ist.172 Schwierigkeiten entstehen bei diesem Wechselspiel freilich dort, wo für jede der Parteien reduzierte Anforderungen an die erwartbaren Belegtatsachen gelten. Diese Situation stellt sich insbesondere bei negativen inneren Tatsachen ein. So liegt es etwa im Fall des § 10 Nr. 1 TMG. Unabhängig davon, wie man bei dieser Norm zur Verteilung der objektiven Beweislast bezüglich der fehlenden Kenntnis steht, liegt in der Person des Diensteanbieters eine negative Tatsache vor und in der Person des Anspruchstellers eine innere Tatsache aus einem fremden Wahrnehmungskreis. Beiderseits ist die Unterstellung, bewusst unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO vorgetragen zu haben, rasch ausgeräumt. Entsprechend niedrig ist in der Konsequenz die Schwelle für den Übertritt auf die Beweisebene. Dort sind dann die feststellbaren Indizien der Würdigung nach § 286 ZPO zu unterziehen. Gelangt das Prozessgericht dabei zu keiner Überzeugungsbildung, entscheidet es nach der objektiven Beweislast. 3. Negative Tatsachen Der Gegner bestreitet die von der risikobelasteten Partei vorgetragene negative Tatsache, indem er eine kontradiktorische positive Tatsache benennt. Danach hat der vermeintliche Kondiktionsschuldner im Einzelnen über den Rechtsgrund vorzutragen, der seinen Erwerb beständig machen soll. Insbesondere sind der Inhalt der ausgetauschten Erklärungen und die Umstände ihres Wirksamwerdens mitzuteilen. Stehen konkludente Erklärungen in Rede, so erstrecken sich die erwartbaren Belegtatsachen auf die Einzelheiten zu den maßgeblichen Verhaltensweisen und auf die für die Auslegung maßgeblichen Umstände.173 In der Auseinandersetzung um die ernsthafte Benutzung einer Marke im Sinne von § 26 MarkenG verlangt ein ausreichendes Bestreiten der vorgetragenen Nichtbenutzung, dass der Inhaber die konkreten Produkte und Dienstleistungen ebenso benennt wie die Art und Weise, in der die Benutzung im Sinne des § 26 MarkenG geschieht.174 171

BGH, NJW 2005, 2395, 2397. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch, VVG (3. Aufl. 2015), § 28 Rn. 81; vgl. zu § 123 BGB auch OLG Oldenburg, r+s 1988, 31, 32; OLG Frankfurt/Main, RuS 2001, 401. 173 Unzutreffend deshalb BGH, NJW 1999, 2887, 2888. 174 Vgl. BGH, NJW-RR 2009, 53, 54. 172

272 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung 4. Lange zurückliegende und lediglich sachverständig feststellbare Tatsachen Für die Darlegung zeitlich lange zurückliegender oder lediglich sachverständig feststellbarer Begebenheiten sind nur geringe Belegtatsachen erwartbar. Auf diese Privilegierung können sich die risikobelastete Partei und ihr Gegner gleichermaßen berufen. Für die Fälle lediglich sachverständig feststellbarer Tatsachen gilt sie auch dann, wenn die Partei selbst über entsprechenden Sachverstand verfügt.175 Wiederum können beide Parteien die Unterstellung eines Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 ZPO mühelos ausräumen und es kommt zum Übertritt auf die Beweisebene.

D. Dem Gegenbeweis zugrunde liegende Tatsachen I. Unkenntnis als Problem Ist es der behauptungsbelasteten Partei – was namentlich in den Fällen des Anscheinsbeweises praktisch relevant wird – gelungen, das Prozessgericht vorläufig von der Wahrheit ihres Vorbringens zu überzeugen, fällt dem Gegner die Aufgabe zu, Gegenbehauptungen aufzustellen und Gegenbeweise zu liefern, um diese Überzeugungsbildung zu erschüttern. Konkret geht es darum, eine ernsthaft in Betracht kommende Alternative zu dem typischen Geschehensablauf aufzuzeigen.176 Unproblematisch ist das in solchen Fällen, in denen die mit der Führung des Gegenbeweises belastete Partei wenigstens eine Initialbehauptung aufstellen kann. So liegt es etwa, wenn im Schadensersatzprozess wegen der Beschädigung von Transportgut eine Pflichtverletzung des beklagten Transportunternehmers feststeht, die grundsätzlich geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen, der Beklagte jedoch die konkrete Möglichkeit benennen kann, dass der Kläger später selbst unsorgsam mit dem Transportgut verfahren ist und somit eine weitere mögliche Schadensursache setzte.177 Hier ist in der beschriebenen Art und Weise vorzugehen. Welche Auswirkungen es dann auf den vorläufig erfolgreich geführten Hauptbeweis hat, wenn die insoweit erfolgreiche Partei dem Vorbringen zum Gegenbeweis nicht ausreichend entgegentritt, ist jedoch auf der Beweisebene zu ermitteln. Schwierigkeiten entstehen allerdings, sofern die mit der Führung des Gegenbeweises belastete Partei von jeder Information abgeschnitten ist, die ihrer Prozessführung dienlich wäre. So bejaht die Rechtsprechung einen Anscheinsbeweis für Hartlötarbeiten in einem hölzernen Wochenendhaus als 175 Vgl. Kniffka/Koeble/Kniffka, Kompendium des Baurechts (4. Aufl. 2014), Rn. 18.7; Terbille, Medizinrecht (2. Aufl. 2013), § 1 Rn. 186; unklar BGH, NJW 2003, 1400. 176 Siehe nur MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 65. 177 Vgl. BGH, NJW 1998, 79, 81.

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens

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Brandursache, auch wenn der Brand erst sechs Stunden nach Beendigung der Arbeiten wahrgenommen und gemeldet wird.178 Geht man davon aus, dass sich in dem Haus nach dem Wissen des auf Schadensersatz klagenden Eigentümers ein potentiell brandursächlicher defekter Heizlüfter befand, und legt weiter zugrunde, dass die Untersuchung des Brandes den Heizlüfter nicht erwähnt und die Hartlötarbeiten lediglich als wahrscheinliche Ursache ausweist,179 stellt sich die Frage, wie die mit der Führung des Gegenbeweises belastete Partei den defekten Heizlüfter als denkbare Alternativursache in den Prozess einbringen kann. Sie selbst hat von diesem keine Kenntnis.

II. Lösungsmöglichkeiten auf Basis des § 138 Abs. 1 ZPO Mit der hier vertretenen Interpretation des § 138 Abs. 1 ZPO sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Zunächst geht es um den Fall, dass die behauptungsbelastete Partei positiv weiß, dass sich tatsächlich nicht der typische, sondern der alternative Geschehensablauf zugetragen hat. Bringt sie zur Begründung ihres Anspruchs dennoch den typischen Geschehensablauf vor, liegt hierin selbstverständlich ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO.180 Dass die Lüge aufgrund der konkreten Situation mit mehr oder weniger hoher Wahrscheinlichkeit unentdeckt bleibt, ist kein rechtliches, sondern ein tatsächliches Problem. Sodann sind die Situationen zu betrachten, in denen die behauptungs- und objektiv beweisbelastete Partei zwar um einen möglichen alternativen Geschehensablauf weiß, jedoch selbst keine Gewissheit hat, welcher der beiden sich wirklich ereignet hat. Womöglich ist sie vom typischen Geschehensablauf sogar überzeugt und sieht den alternativen als lediglich theoretisch denkbares, aber vernachlässigbares Szenario an. Dennoch bedeutet es einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO, nicht auf die mögliche Alternativursache hinzuweisen. Zwar kennt sie die Unwahrheit der zu ihren Gunsten sprechenden Geschehensalternative nicht. Gegen das Lügeverbot des § 138 Abs. 1 ZPO verstößt sie demnach nicht. Zur prozessrechtlichen Wahrheitspflicht zählt jedoch darüber hinaus, dass die Parteien ihre Tatsachen vollständig erklären. Nimmt man das insoweit herrschende Verständnis vom Verbot der Halbwahrheit181 ernst, 178 OLG Hamm, NJW-RR 2000, 837, 838; zum Anscheinsbeweis bei Brandursachen siehe zuletzt BGH, NJW 2010, 1072. 179 Auch in dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall benannte der Gutachter Wahrscheinlichkeiten, bezeichnete die Hartlötarbeiten aber nicht als eindeutig ermittelte Brandursache. 180 Wieczorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 51. 181 Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 138 Rn. 18; Keidel/Sternal, FamFG (18. Aufl. 2014), § 27 Rn. 10; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 26 Rn. 10; zust. Wieczorek/Schütze/Borck, ZPO (3. Aufl. 2007), § 138 Rn. 52; der Sache nach auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 65 Rn. 58.

274 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung wonach die vortragende Partei keine relevanten Tatsachen182 – also solche, bei deren Berücksichtigung die Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal anders ausfallen kann als bei deren Nichtbeachtung183 – unterdrücken darf, kann an ihrer Pflicht, auch die denkbare Alternativursache zu nennen, kein vernünftiger Zweifel bestehen. Denn der Tatsachenkomplex, zu dem sie sich vollständig zu äußern hat, wird nicht durch ein mögliches, in sich geschlossenes Geschehen, sondern von dem Tatbestandsmerkmal her definiert, auf den der Sachvortrag sich bezieht.184

E. Der Vergleich mit dem Lösungsansatz der h.M. Gegen den hier unterbreiteten Vorschlag mag man einwenden, dass er auf der Vortragsebene zu Ergebnissen gelange, die teils sehr weitgehend mit denjenigen der h.M. übereinstimmen. Tatsächlich ergeben sich jedoch einige wesentliche Unterschiede. So benennt die h.M. keinen Maßstab, ja nicht einmal Leitlinien, anhand derer zu überprüfen wäre, ob die risikobelastete Partei ihrer subjektiven Behauptungslast nachgekommen ist. Allzu vieles ist hier der Einzelfallentscheidung übertragen. Dabei gilt: Je strengere Anforderungen das Prozessgericht im Einzelfall annimmt, desto eher wird die risikobelastete Partei den Prozess wegen eines Informationsproblems verlieren. Diese Unsicherheiten bestehen dann nicht mehr, wenn man als Initialbehauptung einen Vortrag genügen lässt, der lediglich den Anforderungen an ein notice pleading entspricht. Damit steht zugleich fest, bis zu welchem Punkt der Gegner der risikobelasteten Partei sich auf nemo tenetur edere contra se berufen darf. Nur unter der Voraussetzung, dass die Initialbehauptung der risikobelasteten Partei sogar hinter dem großzügigen Maßstab von notice pleading zurückbleibt, darf der Gegner sich jeder Reaktion enthalten. Auch die h.M. geht davon aus, dass es im Anschluss an die – wie von ihr auch immer bemessene – schlüssige Initialbehauptung ein Bedürfnis geben könne, diese weiter zu substantiieren. In diesen Fällen soll das zunächst schlüssige Vorbringen nachträglich unschlüssig geworden sein. Wie diese nachträgliche Unschlüssigkeit dogmatisch zu erklären sein soll und unter welchen Voraussetzungen sie eintritt, bleibt dabei allerdings unklar. Demgegenüber schafft das hier vorgeschlagene Aufklärungsmodell klare tatbestandliche Regeln darüber, aus welchem Grund, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang eine Partei ihre Initialbehauptung im Verlauf des Verfahrens 182

Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 7b. Vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 5: „Der Lebenssachverhalt ist vielmehr in allen voraussichtlich für die Entscheidung wesentlichen Punkten darzustellen, die den anspruchsbegründenden materiellen Normen zu entnehmen sind.“ 184 Vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 5. 183

§ 14 Das Parteivorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens

275

weiter zu konkretisieren hat. Auch auf Rechtsfolgenseite erübrigt sich der Rückgriff auf eine dogmatisch nicht erklärbare nachträgliche Unschlüssigkeit. Vielmehr gilt: Untermauert die Partei ihre Initialbehauptung nicht mit den erforderlichen und erwartbaren Belegtatsachen, so bleibt es bei der unterstellten bewussten Unwahrheit gemäß § 138 Abs. 1 ZPO. Ihre Initialbehauptung ist dann unbeachtlich und ihr Vorbringen aus diesem Grund unschlüssig. Auf der Vortragsebene erzielt man beim Austarieren von Parteiegoismus, Wahrheitspflicht und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen den größten Fortschritt, wenn man den Gegner der risikobelasteten Partei dazu nötigt, auch dann detailliert zu bestreiten, wenn die risikobelastete Partei lediglich zu einem pauschalen Vorbringen imstande war. Das hier vorgeschlagene Vorgehen gewährleistet dies. Die h.M. erzielt auf dem Weg über die sekundäre Behauptungslast zwar ähnliche Ergebnisse. Doch handelt es sich bei der sekundären Behauptungslast um eine systemwidrige und lediglich auf vage Gerechtigkeitspostulate gestützte Umkehr der subjektiven Behauptungslast. Diese fehlende dogmatische Grundlage führt in der Folge zu erheblichen Schwierigkeiten, insbesondere bei der Bestimmung des Tatbestandes und der Rechtsfolgen der Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast. Demgegenüber ist das qualifizierte Bestreiten des Gegners absolut systemkonform, wenn man die Aufklärungsbeiträge der Parteien mit dem hier vorgeschlagenen Modell an § 138 Abs. 1 ZPO orientiert. Tatbestand und Rechtsfolgen des erforderlichen qualifizierten Bestreitens lassen sich auf diese Weise ebenfalls systemkonform bestimmen. Schließlich gelingt es mit dem hier vorgeschlagenen Vorgehen, § 138 Abs. 1 ZPO dem Status einer „folgenlosen Dekorationsnorm“ zu entheben.

Zwischenergebnis Das Initialbestreiten des Gegners dient lediglich dazu, der risikobelasteten Partei die erwartbaren Belegtatsachen für die Wahrheit ihrer zunächst nur pauschal im Sinne von notice pleading vorgebrachten Initialbehauptung abzuverlangen. Ab dem Wirksamwerden dieses Bestreitens wird unterstellt, dass die risikobelastete Partei ihre Initialbehauptung subjektiv unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO aufgestellt habe. Dieser Unterstellung entzieht die risikobelastete Partei die Grundlage, indem sie die von ihr erwartbaren Belegtatsachen beibringt. Welche Belegtatsachen von der risikobelasteten Partei erwartbar sind, hängt davon ab, welche unmittelbar eigenen Erkenntnismöglichkeiten sie über den Gegenstand ihrer Behauptung hat und ob sie diese mit zumutbarem Aufwand ausschöpfen kann. Sobald sie ihre Initialbehauptung mit denjenigen Details versehen hat, die sie nach Lage der Dinge kennen musste, hat die Unterstellung, ihre Behauptung sei ein subjektiv unwahres Fantasieprodukt, keinen Bestand. Das

276 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Vorbringen der risikobelasteten Partei kann nicht mehr gemäß § 138 Abs. 1 ZPO aus dem Prozess ausgeschieden werden. Sobald die risikobelastete Partei wirksam die von ihr erwartbaren Belegtatsachen vorgebracht hat, wird unterstellt, dass der Gegner im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO subjektiv unwahr bestritten habe. Nun hat er die von ihm erwartbaren Belegtatsachen beizubringen, um diese Unterstellung auszuräumen. Welche Belegtatsachen der Gegner der risikobelasteten Partei zu diesem Zweck beizubringen hat, ist selbständig und spiegelbildlich zu ermitteln. Folglich ist es systemkonform, wenn der Gegner unter Umständen sein Bestreiten stärker konkretisieren muss als die risikobelastete Partei ihre Behauptung. Der Übertritt auf die Beweisebene erfolgt erst, wenn beide Parteien die von ihnen jeweils erwartbaren Belegtatsachen benannt haben.

§ 15 Die Beweisebene A. Das fortbestehende Informationsproblem Die Belegtatsachen, die der Gegner im Rahmen seines Bestreitens mitteilt, erleichtern der risikobelasteten Partei in einigen Fällen die im Anschluss erforderliche Beweisführung. Hier stellt sich derselbe Effekt ein wie bei den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast. Nachdem etwa der Inhaber konkrete Produkte und Dienstleistungen genannt und die Art und Weise beschrieben hat, in der die Markennutzung hierfür erfolgt, kann der Löschungskläger des § 26 MarkenG diese Angaben am Markt überprüfen.185 Erweisen sich die Angaben als unzutreffend, wird er mit seiner Löschungsklage erfolgreich sein. In zahlreichen anderen Konstellationen hilft es der risikobelasteten Partei allerdings im Ergebnis nur wenig weiter, dass sie auf der Vortragsebene Zugang zu den gegnerischen Belegtatsachen erhalten hat. Denn häufig fehlt ihr der Zugriff auf die Beweismittel, die notwendig sind, um zu klären, welche der beiden vorgetragenen Sachverhaltsversionen objektiv zutrifft.186 So mag der Immobilienverkäufer, der sich dem Vorwurf der arglistigen Täuschung ausgesetzt sieht, schriftsätzlich Kalkulationen und Aufstellungen geliefert haben, die seine Angaben über die in der Vergangenheit erzielten Mieterlöse bestätigen. Die originalen Buchhaltungs- und Kontenunterlagen, aufgrund derer er diese schriftsätzlichen Angaben erstellt hat, will er der risikobelasteten Partei jedoch nicht vorlegen. Ebenso mag der wegen Irreführung gemäß § 5 Abs. 1 Alt. 2 Nr. 4 UWG Beklagte Sponsoringleistungen vortragen, eine Überprü185 186

Kochendörfer, WRP 2007, 258, 260. Kiethe, MDR 2003, 781.

§ 15 Die Beweisebene

277

fung anhand seiner internen betrieblichen Unterlagen jedoch nicht zulassen. Und schließlich mag der Marktbeherrscher eine fiktive Kostenkalkulation benennen, die – wenn sie zuträfe – die Behauptung missbräuchlich überhöhter Netznutzungsentgelte ausräumte. Die Beispiele zeigen, dass das Informationsproblem der risikobelasteten Partei sich auf der Beweisebene fortsetzt. Auch verfügt ihr Gegner nach wie vor über die Möglichkeit, durch unwahres Vorbringen und das Zurückhalten von Informationsträgern die Entscheidungsgrundlagen zu seinen Gunsten zu manipulieren. Um Abhilfe gegen diese Situation zu schaffen, muss man § 138 Abs. 1 ZPO auch auf der Beweisebene zum Durchbruch verhelfen. Freilich kann man an dieser Stelle nicht kurzerhand die Unterstellung, die Parteien hätten subjektiv unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO vorgetragen, so lange aufrechterhalten, bis die Parteien Beweismittel für die Wahrheit ihres jeweiligen Vortrags beigebracht haben. Sobald das Prozessgericht nämlich die Vorlage von Beweismitteln verlangt, hält es die Überprüfung des Parteivorbringens mittels Beweisaufnahme für erforderlich. Es wäre widersprüchlich, wenn ebendieses Vorbringen gleichzeitig noch als bewusst unwahr unterstellt würde, mit der Folge, dass das Prozessgericht es ohne Beweisaufnahme nach § 138 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt lassen dürfte.

B. § 138 Abs. 1 ZPO und die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung Dennoch sind § 138 Abs. 1 ZPO auch auf der Beweisebene die entscheidenden Wertungen zu entnehmen, wenn man das Informationsproblem der risikobelasteten Partei mildern will. So erlegen §§ 371 Abs. 3, 427, 441 Abs. 3, 444, 446, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO dem Gegner der risikobelasteten Partei beweisrechtliche Nachteile auf, obwohl er nicht beweisführungsbelastet ist. Ihrem Grundgedanken nach ziehen diese Vorschriften damit die beweisrechtliche Konsequenz aus einem subjektiv unwahren Bestreiten im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO auf der Vortragsebene.

I. Die prozessuale Situation Zur Verdeutlichung rufe man sich zunächst die prozessuale Situation in Erinnerung, in der die gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung relevant werden: Beide Parteien haben zu einer entscheidungserheblichen Tatsache ihren jeweiligen Sachvortrag unter Nennung ihrer jeweiligen Belegtatsachen geleistet. Gegebenenfalls hat die objektiv beweisbelastete Partei bereits den ihr obliegenden Hauptbeweis vorläufig erfolgreich geführt. Somit ist das Beweisthema definiert.

278 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Über die Existenz von Beweismitteln beim Gegner der risikobelasteten Partei kann nun in verschiedener Hinsicht Streit bestehen. Womöglich ist man sich einig, dass der Gegner ein Beweismittel in Besitz hat. Er selbst wird – wenigstens konkludent – erklären, dass dieses Beweismittel sein Bestreiten bestätige, während die risikobelastete Partei vom Gegenteil ausgeht. In anderen Fällen mag das Beweismittel zwischenzeitlich verloren oder untergegangen sein. Abermals werden die Parteien einen für sich jeweils günstigen Aussagewert reklamieren. Schließlich mag die Existenz eines solchen Beweismittels beim Gegner umstritten sein oder aber feststehen, dass als Beweismittel geeignete Informationsträger (pflichtwidrig) niemals erstellt wurden. Für den Zusammenhang zwischen § 138 Abs. 1 ZPO und der Anwendung der gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung sind hier zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden:187 Der Aussagegehalt des vereitelten Beweismittels zum einen und die Bedeutung dieses Aussagegehalts für das Beweisthema zum anderen.

II. § 138 Abs. 1 ZPO und der Aussagegehalt des vereitelten Beweises 1. Die absichtliche Beweisvereitelung gemäß § 444 ZPO § 444 ZPO zieht die Konsequenz aus einem offensichtlichen Verstoß der nicht risikobelasteten Partei gegen § 138 Abs. 1 ZPO. Erfasst sind Fälle, in denen der Gegner aufgrund § 422 ZPO i.V.m. einer bürgerlichrechtlichen Vorschrift oder nach § 423 ZPO verpflichtet ist, das Beweismittel gegenüber der risikobelasteten Partei zu offenbaren.188 Obwohl der Gegner der risikobelasteten Partei nicht beweisführungsbelastet ist, werden die bei ihm lagernden Beweismittel nach Maßgabe der §§ 422, 423 ZPO gewissermaßen zu erwartbaren Belegtatsachen erklärt, auf die die risikobelastete Partei Zugriff erhalten soll. Dabei ist das Beweismittel nicht nur erwartbare Belegtatsache für das Vorbringen des Gegners zum Beweisthema. Vielmehr geht es auch darum, seine Angaben zum Aussagegehalt des Beweismittels überprüfen zu können. Wenn der nach §§ 422, 423 ZPO vorlegungspflichtige Gegner das bei ihm befindliche Beweismittel beseitigt oder zur Benutzung untauglich macht, um es der Benutzung durch die risikobelastete Partei zu entziehen, dann kann das Prozessgericht die Behauptungen der risikobelasteten Partei über den Inhalt und die Beschaffenheit des Beweismittels als bewiesen ansehen. In aller Regel gelangt das Prozessgericht hier zu einem der risikobelasteten Partei 187 Zur Geltung des § 138 ZPO auf Beweisebene siehe statt aller Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 138 Rn. 2. 188 Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 444 Rn. 2; Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 444 Rn. 2; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 444 Rn. 2; Stein/ Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 444 Rn. 1.

§ 15 Die Beweisebene

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günstigen Ergebnis,189 sei es als Resultat einer Beweiswürdigung190 oder als prozessrechtliche Sanktion zu Lasten des Gegners.191 Das leuchtet ein. Die beschriebene zielgerichtete Zerstörung des Beweismittels ergibt aus der Perspektive des Gegners nur Sinn, wenn sein Inhalt die Position der risikobelasteten Partei stärkt.192 Folglich verstößt er in dem Moment, in dem er einen solchen Aussagegehalt des Beweismittels in Abrede stellt, gegen § 138 Abs. 1 ZPO. Seine Angaben zum angeblichen Inhalt des zerstörten Beweismittels sind somit unbeachtlich. Selbst in der theoretisch denkbaren, jedoch einigermaßen absurden Konstellation, dass der Gegner über den Informationsgehalt des Beweismittels unsicher ist und es – ohne vorherige Vergewisserung über seinen Inhalt – vorsorglich vernichtet, ergibt sich nichts anderes. Denn in diesem Fall sind die Aussagen über den Inhalt des vernichteten Beweismittels ins Blaue hinein aufgestellt und widersprechen damit ebenfalls § 138 Abs. 1 ZPO. 2. Die nicht absichtliche Beweisvereitelung gemäß §§ 371 Abs. 2 und 3, 427 ZPO Aber auch in den Fällen der nicht absichtlichen Beweisvereitelung gemäß §§ 371 Abs. 2 und 3 ZPO ist es allein sinnvoll, die Angaben der risikobelasteten Partei über den Inhalt des Beweismittels als erwiesen anzusehen. Auch hier ist das vereitelnde Verhalten des Gegners regelmäßig nur durch einen vorhergehenden Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO plausibel erklärbar. a) Das unterdrückte Beweismittel In der Unterkategorie des unterdrückten Beweismittels hat der Gegner der risikobelasteten Partei Zugriff auf das nach wie vor brauchbare Beweismittel. Bei unklarer Motivlage leistet der Gegner der Vorlegungsanordnung gemäß § 425 ZPO i.V.m. §§ 422, 423 ZPO nicht Folge, besteht aber gleichzeitig darauf, dass das Beweismittel die von ihm vorgebrachte Variante des tatsächlichen Geschehens stütze. 189

BeckOK/Krafka, ZPO (19. Ed. 2015), § 444 Rn. 4; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 92; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 444 Rn. 15; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 444 Rn. 3; vgl. auch BGH, NJW 1986, 59, 61; 1986, 2371, 2372; 2005, 3773, 3774; NJW-RR 2004, 1503, 1504; OLG Stuttgart, NJW-RR 1986, 1448; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1991, 937, 938; OLG Koblenz, RuS 2008, 124, 125; Musielak/ Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 219 Rn. 3; E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 205; Gerhardt, AcP 169 (1969), 289, 311; Lepa, NZV 1992, 129, 135; Dötsch, DS 2008, 20, 24. 190 Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 444 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 444 Rn. 5. 191 Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 444 Rn. 15; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 444 Rn. 3. 192 Vgl. Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 444 Rn. 15.

280 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Gemäß § 427 Satz 2 Alt. 1 ZPO kann das Prozessgericht wiederum die Behauptungen der risikobelasteten Partei über den Inhalt des Beweismittels als erwiesen ansehen.193 Zwar ist hier die Nachteilszufügungsabsicht nicht positiv nachgewiesen. Dennoch wird die gerichtliche Entscheidung aufgrund von § 427 Satz 1 ZPO jedenfalls regelmäßig zu Gunsten der risikobelasteten Partei ausfallen.194 So ist auch hier das Beweismittel als erwartbare Belegtatsache dafür definiert, dass die Aussagen des Gegners über seinen Inhalt und seine Beschaffenheit zutreffen. Diese Belegtatsache hält der Gegner jedoch zurück. Legitime Weigerungsgründe, die dieses Verhalten erklären könnten, gibt es nicht. Bestünden solche nämlich, wäre gemäß §§ 422, 424 Nr. 5 ZPO bereits die Vorlegungsanordnung nicht ergangen.195 Plausibel erklärt ist das Verhalten des Gegners regelmäßig folglich einzig dadurch, dass er das Beweismittel deshalb unterdrückt, weil andernfalls offenbar würde, dass er über seinen Inhalt bewusst unwahre Angaben gemacht hat. b) Der ungewisse Verbleib des Beweismittels Doch werden die Feststellungen nicht stets ein Vorgehen nach § 444 ZPO oder nach § 427 Satz 2 Alt. 1 ZPO tragen. Häufig wird es um Konstellationen gehen, in denen beim Gegner typischerweise ein Beweismittel existieren müsste, etwa weil bestimmte Vorgänge zu dokumentieren sind oder üblicherweise dokumentiert werden. Gegen die drohende Vorlegungsanordnung ist dann mit der Verteidigung zu rechnen, dass das Beweismittel entweder verloren oder – ohne dass die weiteren Voraussetzungen des § 444 ZPO erfüllt wären – untergegangen sei. In solchen Situationen schafft allein noch § 427 Satz 2 Alt. 2 ZPO Abhilfe. Zwar kann danach das Prozessgericht die Angaben der risikobelasteten Partei über den Inhalt des Beweismittels als bewiesen ansehen, wenn nach seiner Überzeugung der Gegner über den Verbleib des Beweismittels nicht sorgfältig geforscht hat.196 Freilich sind damit einige tatbestandliche Einschränkungen verbunden. So muss das Beweismittel zunächst körperlich existiert und sich 193 Gemäß § 427 Satz 1 ZPO gilt das erst recht, wenn die risikobelastete Partei eine Abschrift der zurückgehaltenen Urkunde vorlegt. 194 Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 427 Rn. 2; zurückhaltender jedoch Thomas/ Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 427 Rn. 2; Saenger/Eichele, ZPO (6. Aufl. 2015), § 427 Rn. 2; BeckOK/Krafka, ZPO (19. Ed. 2015), § 427 Rn. 3; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 427 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 427 Rn. 10; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 427 Rn. 9; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast/Grundlagen (2. Aufl. 2009), § 11 Rn. 21. 195 Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 422 Rn. 14. 196 Wenn demgegenüber feststeht, dass der Gegner der risikobelasteten Partei ohne gleichzeitiges Vorliegen des § 444 ZPO keinen aktuellen Besitz an dem Beweismittel mehr hat (BGH, ZUM 2011, 337, 339), oder wenn trotz sorgfältigen Nachforschens der Verbleib unklar geblieben ist (OLG Schleswig, NVwZ 2000, 234, 235), kommen beweisrechtliche Konsequenzen gegen ihn nicht in Betracht.

§ 15 Die Beweisebene

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im Besitz des Gegners befunden haben.197 Nur dann ergibt es Sinn, den Verbleib des Beweismittels aufzuklären und den Gegner der risikobelasteten Partei mit entsprechenden Nachforschungspflichten zu belegen.198 Im Anwendungsbereich von § 427 Satz 2 Alt. 2 ZPO folgt aus dem sich aufdrängenden Verstoß des Gegners gegen § 138 Abs. 1 ZPO allerdings wiederum, dass die Behauptungen der risikobelasteten Partei über den Inhalt des Beweismittels als bewiesen anzusehen sind.199 Schlüssig ist dieses nachlässige Verhalten des Gegners nämlich nur, wenn er die Offenbarung eines Beweismittels verhindern möchte, das eine andere, ihm nachteilige, Information enthält als er selbst behauptet. Träfen seine Aussagen zu, so stärkte die Vorlegung dieses Beweismittels seine prozessrechtliche Situation und er sollte größere Anstrengungen unternehmen, das Beweismittel herbeizuschaffen. Diese Erwägungen gelten entsprechend für § 441 Abs. 3 Satz 3 ZPO.

III. § 138 Abs. 1 ZPO und der Beweiswert des vereitelten Beweises 1. Die selbständige Würdigung des vereitelten Beweises Die unmittelbare Folge der §§ 371 Abs. 2 und 3, 427, 441 Abs. 3 Satz 3, 444 ZPO besteht lediglich darin, dass die Behauptungen der risikobelasteten Partei über den Inhalt und/oder die Beschaffenheit des Beweismittels als bewiesen gelten können. Damit steht lediglich fest, welche Information dieses Beweismittel dem Prozessgericht zur Kenntnis gebracht hätte, wenn der Gegner seiner Vorlegungspflicht nachgekommen wäre. Dass mithilfe dieser Information auch der Haupt- oder Gegenbeweis erfolgreich geführt wäre, ist damit noch nicht gesagt. Insoweit hat das Prozessgericht vielmehr eine selbständige Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO vorzunehmen.200 Freilich dienen §§ 422, 423 ZPO nicht in erster Linie dazu, die Aussagen des Gegners über den Inhalt des Beweismittels zu verifizieren, sondern dazu, den Beweis der erheblichen Tatsache zu führen. Soweit ein Beweismittel nach §§ 422, 423 ZPO vorlegungspflichtig ist, lässt es sich daher auch als gesetzlich anerkannte Belegtatsache für die Wahrheit des gegnerischen Bestreitens begreifen. Fraglich bleibt, ob das Zurückhalten einer solchen Belegtatsache direkt den Nachweis des Beweisthemas erbringen kann.

197 RGZ 92, 222, 225; Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 426 Rn. 1; MünchKomm/ Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 426 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 426 Rn. 2. 198 MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 426 Rn. 3. 199 Vgl. Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 427 Rn. 2. 200 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 427 Rn. 2; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 427 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 427 Rn. 10.

282 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung 2. Tatbestandsbeweismittel Das ist unproblematisch zu bejahen, wenn die Beschaffenheit oder der Inhalt des Beweismittels mit der zu beweisenden Tatsache identisch ist201 („Tatbestandsbeweismittel“).202 3. Zeugnisbeweismittel Eine selbständige Würdigung des vereitelten Beweises in Bezug auf das Beweisthema ist aber dann unumgänglich, wenn das Beweismittel lediglich Zeugnis über andere, außerhalb seiner selbst liegende Umstände ablegt.203 Das folgt in erster Linie daraus, dass die in dem Beweismittel enthaltene Information selbst unzutreffend sein kann. Das Problem, dass der vereitelte Beweis womöglich nur einen geringen Indiz- oder gar keinerlei Beweiswert gehabt haben mag, besteht bei den gesetzlichen Regelungen über die Beweisvereitelung im Vergleich etwa zur U.S.-amerikanischen spoliation inference jedoch nur in deutlich reduziertem Ausmaß. So erlässt das Prozessgericht eine Vorlegungsanordnung nur unter der Voraussetzung, dass es nach § 425 ZPO das vorzulegende Beweismittel für entscheidungserheblich hält. Konsequenterweise kommt dem Zeugnisbeweismittel im Hinblick auf den in ihm verkörperten Inhalt eine mehr oder minder starke Indizwirkung zu.204 Wenig spricht dafür, den Indizwert gerade in den Fällen vereitelnden Verhaltens zu reduzieren. Wenn nämlich der Gegner den Beweis in der beschriebenen Weise vereitelt, dann tut er dies kaum jemals, um zu vermeiden, dass die risikobelastete Partei ein inhaltlich unzutreffendes Beweismittel an die Hand bekommt. In aller Regel wird es ihm vielmehr darum gehen, der risikobelasteten Partei einen Beweis für die Wahrheit ihres Sachvortrags zu entziehen. Verhält es sich aber so, hätte der Gegner auf der Vortragsebene gemäß § 138 Abs. 1 ZPO bereits nicht bestreiten dürfen. Folglich sind für den Regelfall der §§ 371 Abs. 2 und 3, 427, 441 Abs. 3, Satz 3, 444 ZPO nicht nur die Angaben der risikobelasteten Partei zu Inhalt und Beschaffenheit des Beweismittels als bewiesen anzusehen, sondern auch der ihr obliegende Beweis als geführt. Insoweit ergibt sich eine Parallele zur U.S.-amerikanischen spoliation inference.

201

Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 427 Rn. 10. In Verallgemeinerung von Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 416 Rn. 25, der für den Urkundenbeweis den Begriff der „Tatbestandsurkunde“ verwendet. 203 MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 416 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 416 Rn. 25. 204 MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2013), § 416 Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 416 Rn. 25; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 416 Rn. 13. 202

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IV. § 138 Abs. 1 ZPO und die Verweigerung von Vernehmung und Beeidigung Anders als §§ 371 Abs. 3, 427, 444 ZPO trennen §§ 446, 453 Abs. 2 ZPO über die Verweigerung von Vernehmung und Eidesleistung nicht zwischen dem Inhalt des Beweismittels und dessen Bedeutung für das Beweisthema. Vielmehr kann das Prozessgericht hier ohne gedanklichen Zwischenschritt aus der Verweigerung von Vernehmung oder Eidesleistung schlussfolgern, dass das Vorbringen der risikobelasteten Partei zum Beweisthema wahr sei. 1. Die grundlose Verweigerung der Vernehmung Findet gemäß § 450 ZPO die Vernehmung des Gegners statt, so muss er in diesem Rahmen zunächst sein Bestreiten mitsamt den zugehörigen Belegtatsachen wiederholen, hierzu im Zusammenhang aussagen und sich den Fragen des Prozessgerichts und der risikobelasteten Partei stellen.205 In dieser Situation mag nun der Gegner jede Aussage ausdrücklich verweigern, schweigen oder gemäß § 454 Abs. 1 Alt. 1 ZPO unentschuldigt fernbleiben. Als Konsequenz kann das Prozessgericht nach freier Beweiswürdigung entscheiden, ob es die behauptete Tatsache als erwiesen ansehen will. Auch hier kann das Prozessgericht regelmäßig sinnvoll nur zu Gunsten der risikobelasteten Partei entscheiden.206 So weigert sich der Gegner dasjenige, was er auf der Vortragsebene vorbracht hat, auf der Beweisebene zu wiederholen. Auf der Vortragsebene hätte diese Verweigerungshaltung gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO die Feststellung dieser Tatsache als zugestanden zur Folge gehabt. Dem entspricht es, wenn die identische Haltung auf der Beweisebene zur Feststellung der Tatsache als bewiesen führt. Darüber hinaus lässt sich die Verweigerung des Gegners plausibel nur mit der Erwägung erklären, dass er entweder sein bisheriges wahrheitswidriges Bestreiten einräumen oder dieses selbst unter dem Druck richterlicher Vernehmung aufrechterhalten müsste, zu beidem aber nicht bereit ist. Folglich ist es abermals der mehr als nur naheliegende gegnerische Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO auf der Vortragsebene, der auf der Beweisebene eine Entscheidung im Sinne der risikobelasteten Partei rechtfertigt.

205 Wieczorek/Schütze/Völzmann-Stickelbrock, ZPO (4. Aufl. 2014), § 451 Rn. 5; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 451 Rn. 4; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 56 Rn. 11; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 314; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 123 Rn. 31 i.V.m. § 120 Rn. 46. 206 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 446 Rn. 1; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 446 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Völzmann-Stickelbrock, ZPO (4. Aufl. 2014), § 446 Rn. 5; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 446 Rn. 7; wohl auch BeckOK/Bechteler, ZPO (19. Ed. 2015), § 446 Rn. 5.

284 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung 2. Die begründete Verweigerung der Vernehmung Doch mag es auch vorkommen, dass der Gegner für seine fehlende Bereitschaft, vernommen zu werden, eine Begründung liefert. Seien die genannten Gründe legitim und nachvollziehbar, soll die verweigerte Vernehmung nicht ohne Weiteres beweisrechtliche Nachteile für den Gegner nach sich ziehen.207 Was dabei achtenswert sei, könne in Anlehnung an die Zeugnisverweigerungsrechte bestimmt werden; insbesondere sollen Geheimhaltungsinteressen persönlicher wie betrieblicher Natur, Furcht vor außerprozessualen Nachteilen, etc. für den Gegner zu werten sein.208 Freilich stehen derlei Hinderungsgründe bereits seinem qualifizierten Bestreiten auf der Vortragsebene entgegen. Sind die Hinderungsgründe legitim und beschränken sie die an seine Mitwirkung gestellten Anforderungen, ohne dass zugleich Folgen gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO einträten, so setzt sich diese Wertung auf der Beweisebene fort. Hat der Gegner auf der Vortragsebene aber qualifiziert bestritten und hält er dieses aufrecht, so leuchtet nicht ein, weshalb er eine Vernehmung zu identischen Sachfragen nun beweisrechtlich folgenlos verweigern dürfen sollte. 3. Die Eidesverweigerung Schließlich geht es um die Konstellation, dass der Gegner der risikobelasteten Partei zur Vernehmung erscheint und zum Beweisthema aussagt. Fallen die Angaben zu seinen Gunsten aus und hat das Prozessgericht Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit, so kann es gemäß § 452 Abs. 1 Satz 1 ZPO seine Beeidigung anordnen.209 Für den Fall, dass er die angeordnete Eidesleistung oder eidesgleiche Bekräftigung (§ 484 ZPO) verweigert, steht es dem Gericht nach Maßgabe der §§ 446, 453 Abs. 2 Alt. 2 ZPO offen, die Behauptung der risikobelasteten Partei als bewiesen ansehen. Die hierzu h.M. geht davon aus, dass das Prozessgericht die Aussage des Gegners nicht zu seinen Gunsten werten darf.210 Das bedeutet zugleich, dass der Hauptbeweis der risikobelasteten Partei erfolgreich geführt ist. Nachdem 207 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 446 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 446 Rn. 1; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 446 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Völzmann-Stickelbrock, ZPO (4. Aufl. 2014), § 446 Rn. 4; zurückhaltend Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 446 Rn. 7 ff. 208 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 446 Rn. 1; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 446 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 446 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Völzmann-Stickelbrock, ZPO (4. Aufl. 2014), § 446 Rn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 446 Rn. 8. 209 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 452 Rn. 5. 210 Saenger/Pukall, ZPO (6. Aufl. 2015), § 453 Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 453 Rn. 2; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 453 Rn. 4; MünchKomm/ Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 453 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Völzmann-Stickelbrock, ZPO (4. Aufl. 2014), § 453 Rn. 7; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 453 Rn. 6.

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der Gegner nämlich nichts zu beweisen hat, läge eine Aussagewürdigung zu seinen Gunsten bereits dann vor, wenn man infolge seiner Aussage Zweifel an der Wahrheit der Behauptung der risikobelasteten Partei aufrechterhielte. Diese Wertung zu Gunsten der risikobelasteten Partei leuchtet auch ein. Die fehlende Bereitschaft des Gegners, seine Aussage zu beeiden, ist nachvollziehbar nämlich nur mit seiner Erwägung zu begründen, dem Meineid entgehen zu wollen. Das bedeutet zugleich, dass er im Rahmen der Vernehmung bewusst unwahre Aussagen gemacht hat. Da diese Aussagen im Kern sein Bestreiten von der Vortragsebene wiederholen, sind somit auch diese als unwahr entlarvt. Folglich ist auch in dieser letzten Konstellation der gesetzlich geregelten Beweisvereitelung der gegnerische Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO der entscheidende Gesichtspunkt bei der Würdigung des vereitelten Beweises.

C. Die Fortbildung dieser Beweisvereitelung anhand von § 138 Abs. 1 ZPO I. Die beschränkte Reichweite der Regeln über die Beweisvereitelung Wie bereits in § 5 dieser Arbeit festgestellt wurde, setzt das deutsche Zivilprozessrecht den Gedanken der Beweisvereitelung und die daraus zu ziehenden Konsequenzen nur bruchstückhaft um. So ist es dem geschriebenen Prozessrecht zufolge keine Beweisvereitelung, wenn der Gegner der risikobelasteten Partei einen nur ihm bekannten Zeugen nicht mitteilt oder einen Zeugen nicht von der Verschwiegenheitspflicht befreit. Das Gleiche gilt, wenn er entgegen gesetzlichen Bestimmungen Urkunden oder sonstige Dokumente nicht erstellt, zu deren Vorlegung er der risikobelasteten Partei aber verpflichtet wäre. Auch derjenige, der ein offenbarungspflichtiges Beweismittel zerstört, ohne dass seine Nachteilzufügungsabsicht gegenüber der risikobelasteten Partei prozessrechtlich festgestellt würde, vereitelt keinen Beweis. Und schließlich kommt eine Anwendung der §§ 427, 444 ZPO von vornherein nur dort in Betracht, wo der Gegner gemäß § 422 ZPO i.V.m. einer bürgerlichrechtlichen Vorschrift oder gemäß § 423 ZPO zur Vorlegung des Beweismittels verpflichtet ist. Unter der hier vertretenen Prämisse, dass die Regeln über die Beweisvereitelung ihrem Grundgedanken nach die beweisrechtliche Konsequenz aus einem im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO unwahren Bestreiten auf der Vortragsebene darstellen, ist es inkonsequent, sie nur mit den beschriebenen Einschränkungen in Geltung zu setzen. Wenn etwa die Parteien darüber streiten, ob die eine die andere beim Vertragsschluss über bestimmte Umstände ordnungsgemäß aufgeklärt hat, und sodann der Gegner der risikobelasteten Partei den beurkundenden Notar nicht von seiner Schweigepflicht entbinden will, liegt es nahe, dass er deshalb so handelt, weil er weiß, dass die wahrheitsgemäße Aus-

286 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung sage des Notars ein für ihn ungünstiges Ergebnis liefern werde.211 Auch der arglistig täuschende Immobilienverkäufer, der mit Umweltsponsoring irreführend Werbende sowie der missbräuchlich überhöhte Netznutzungsentgelte festsetzende Marktbeherrscher können jeweils – sogar mit voller Nachteilszufügungsabsicht – die für den Beweis des Gegners erforderlichen Unterlagen entweder vernichten oder schlicht zurückhalten. Solange sie nicht kraft bürgerlichen Rechts oder gemäß § 423 ZPO zur Herausgabe an die risikobelastete Partei verpflichtet sind, liegt keine Beweisvereitelung vor. Der auf der Vortragsebene unentdeckt gebliebene subjektiv unwahre Vortrag, wird dem Gegner der risikobelasteten Partei dann zum Prozesssieg verhelfen. Um derlei Widersprüche zu beseitigen, bedürfen die gesetzlichen Regelungen über die Beweisvereitelung einer Fortentwicklung zu einem einheitlichen Institut. Nur so lässt sich einem Informationsproblem der risikobelasteten Partei, das erst durch bewusst wahrheitswidriges Bestreiten ihres Gegners entstanden ist, auch auf der Beweisebene effektiv begegnen. Die h.M. hat diesen Weg im Ergebnis bereits beschritten, allerdings mit den bereits beschriebenen Unzulänglichkeiten.212

II. § 138 Abs. 1 ZPO als dogmatischer Ansatz 1. Die gleiche Behandlung von wesentlich Gleichem Aus dem bislang Gesagten folgt, dass die prozessrechtliche Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO den dogmatischen Ansatzpunkt liefern muss, um die gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung zu einem allgemeinen Grundsatz des Beweisrechts fortzuentwickeln. So kann ein in sich stimmiges Prozessrecht den Parteien nicht einerseits untersagen, bewusst unwahr vorzutragen, ihnen aber andererseits gestatten, diejenigen Informationsträger zurückzuhalten, mit deren Hilfe sich die Beachtung dieser Pflichten überprüfen ließe. Erst recht kann es nicht in einigen Fällen beweisrechtliche Konsequenzen an das vereitelnde Verhalten knüpfen, hingegen in anderen, wertungsmäßig gleich liegenden Konstellationen auf solche Konsequenzen verzichten. Dies bedeutete eine ungleiche Behandlung von wesentlich Gleichem. 2. Verteilung der subjektiven Beweislast als sachliche Differenzierung? a) Denkbar: Subjektive Beweislast und Ausforschungsschutz Freilich mag man erwägen, der Verteilung der subjektiven Beweislast einen sachlichen Differenzierungsgrund zwischen den gesetzlich geregelten und den 211 A.A. BGH, NJW-RR 1996, 1534, der die Furcht vor einer Falschaussage des Notars als billigenswertes Motiv erachtet. 212 Siehe oben § 5 D.

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gesetzlich nicht geregelten Fällen beweisvereitelnden Verhaltens zu entnehmen. So könnte man meinen, dass derjenige, der im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitsgemäß bestritten habe, über die Regeln der subjektiven Beweislast davor geschützt werden soll, auf der Beweisebene ausgeforscht zu werden. Folglich würden die gesetzlich geregelten Fälle der Beweisvereitelung diesen Ausforschungsschutz durchbrechen. Sie wären somit die rechtfertigungsbedürftigen Ausnahmen von der Regel. Dies könnte einer Rechtsfortbildung entgegenstehen. b) Der anderweitig verwirklichte Ausforschungsschutz Jedoch dient die Verteilung der subjektiven Beweislast nicht dem Schutz des Gegner der risikobelasteten Partei vor illegitimer Ausforschung. So gibt es von vornherein nur zwei Konstellationen, in denen der Gegner der risikobelasteten Partei Zugriff auf ein Beweismittel hat, dieses nicht vorzulegen bereit ist und dennoch im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitsgemäß bestreitet: In der ersten Konstellation hält der Gegner den ihn bestätigenden Informationsträger wegen legitimer Geheimhaltungsinteressen zurück. Insbesondere in Prozessen wegen Schutzrechtsverletzungen sind solche gegnerischen Interessen nicht von vornherein von der Hand zu weisen. So wird derjenige, dem die risikobelastete Partei objektiv unberechtigt vorwirft, den Quellcode ihres Computerprogramms übernommen zu haben, alles daran setzen, seinen eigenen Quellcode nicht zu Verteidigungszwecken offenbaren zu müssen. Ähnlich liegt es bei der vermeintlichen Verletzung eines Verfahrenspatents. Weiß der in Anspruch Genommene, dass er ein eigenes Verfahren verwendet, das zudem unterschiedliche Erzeugnisse hervorbringt (vgl. § 139 Abs. 3 PatG), wird auch er sein Know-how kaum freiwillig offenbaren. An der Wahrheit seines Bestreitens ändert das nichts. Das Prozessgericht berücksichtigt solche Geheimhaltungsinteressen jedoch stets und selbständig, und zwar im Rahmen der Entscheidung über die Vorlegung §§ 422, 424 ZPO.213 Dieser von der subjektiven Beweislast unabhängige Schutzmechanismus beansprucht natürlich auch insoweit Geltung, als man die gesetzlich geregelten Fälle der Beweisvereitelung auf Grundlage des § 138 Abs. 1 ZPO fortentwickelt. Nach dem gleichen Schema ist die zweite Konstellation zu behandeln. Hier weiß der Gegner nicht, ob die Behauptung der risikobelasteten Partei wahr ist. Obwohl sich bei ihm ein zur Aufklärung geeigneter Informationsträger befindet, kann er selbst nicht oder nicht mit zumutbarem Aufwand ermitteln, ob dieser die Behauptung der risikobelasteten Partei bestätigen werde. Man denke insoweit wieder an denjenigen, der das Computerprogramm und alle Rechte hieran von einem Dritten erworben hat.214 Zwar könnte in diesem Fall 213 BeckOK/Krafka, ZPO (19. Ed. 2015), § 422 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 422 Rn. 16; i.Erg. auch Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 422 Rn. 4. 214 Siehe oben § 2 B. II. 3.

288 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung die Regel nemo tenetur edere contra se dem Gegner prinzipiell gestatten, Beweismittel zurückzuhalten. Doch kann diese Situation natürlich auch dort auftreten, wo er kraft Gesetzes zur Offenbarung verpflichtet ist. Gerade im Beispiel des Computerprogramms ist ein Besichtigungsanspruch der risikobelasteten Partei gemäß § 809 BGB jedenfalls grundsätzlich möglich.215 Da ihn dem Grunde nach eine gesetzliche Offenbarungspflicht trifft, sind die Geheimhaltungsinteressen des Gegners der risikobelasteten Partei auch in dieser zweiten Konstellation nur geschützt, soweit dies unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten ausnahmsweise geboten ist. Dieser Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen behält wiederum seine Geltung, wenn man die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung zu einem allgemeinen Prinzip fortentwickelt. 3. Gegenschluss zu den gesetzlichen Bestimmungen als sachliche Differenzierung? Erneut wird man sich mit einem Gegenschluss des Inhalts konfrontiert sehen, dass der Gegner der risikobelasteten Partei nur dort Beweismittel zur Verfügung stellen müsse, wo dies gesetzlich geregelt sei.216 Das Schweigen des Gesetzes soll also in dem Sinn beredt sein, dass in anderen Fällen jede Mitwirkung des Gegners ausgeschlossen sei. Insoweit kann die ausbleibende Mitwirkung konsequenterweise auch keine negativen beweisrechtlichen Konsequenzen im Sinne einer Beweisvereitelung haben. Diese Argumentation überzeugte bereits nicht, als es darum ging, das Verhältnis von nemo tenetur edere contra se zu § 138 Abs. 1 ZPO zu bestimmen.217 Sie greift auch an dieser Stelle zu kurz. Bei einer formalen Betrachtung liefert der Befund, dass bestimmte Normen für bestimmte Situationen gelten, den Ausgangspunkt sowohl für die Rechtsfortbildung als auch für den Gegenschluss, der eine solche Fortbildung gerade unterbinden soll. Entscheidend ist die Teleologie. Insoweit wurde bereits gezeigt, dass § 138 Abs. 1 ZPO dem Gegner der risikobelasteten Partei das bewusst unwahre Vorbringen auch dann untersagt, wenn ihn keine spezialgesetzliche Pflicht zur Herausgabe von Informationen und ihren Trägern trifft. Dort, wo eine solche Pflicht festgeschrieben ist, besteht freilich ein Ansatz, um über §§ 427, 444 ZPO die Folgen 215 BGHZ 150, 377, 382; BGH, NJW-RR 2013, 878 f.; Schulze, BGB (8. Aufl. 2014), § 809 Rn. 2; BeckOK/Gehrlein, BGB (37. Ed. 2015), § 809 Rn. 4; MünchKomm/Habersack, BGB (6. Aufl. 2013), § 809 Rn. 6; Staudinger/Marburger, BGB (2015), § 809 Rn. 7; Tinnefeld, CR 2013, 417, 419. 216 Vgl. BGH, NJW 1990, 3151; 1997, 128, 129; LAG Hessen, BeckRS 1994, 30901867; LAG Rheinland-Pfalz, BeckRS 2009, 61426; 2011, 75303; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 27; der Sache nach auch Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 26; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 510; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 23. 217 Siehe oben § 3 E.

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eines auf der Vortragsebene gleichwohl begangenen Wahrheitsverstoßes zu korrigieren. Vor diesem Hintergrund wäre es allerdings nicht folgerichtig, auf diese Korrekturmöglichkeit stets zu verzichten, sofern eine geschriebene Informationspflicht des Gegners nicht besteht oder diese bestimmte Informationsträger nicht erfasst. Das gilt umso mehr, als die gegnerische Mitwirkung nach §§ 445 ff. ZPO ebenfalls keinen solchen Differenzierungen unterliegt. Hinzu kommt, dass die gesetzlichen Offenbarungspflichten über § 242 BGB eine stetige Ausweitung erfahren.218 Überzeugende Einwände gegen die Fortentwicklung der gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung existieren demnach nicht. Dem Grunde nach ist die h.M. damit jedenfalls im Ergebnis bestätigt, wenn sie die Einzelbestimmungen über die Beweisvereitelung zu einem allgemeinen prozessrechtlichen Institut fortentwickelt hat.

III. Die Ermittlung der subjektiven Unwahrheit in äußerungsdeliktischer Parallele 1. Die Bedeutung des § 138 Abs. 1 ZPO auf der Beweisebene Damit bleibt noch zu klären, welchen Tatbestand ein allgemeiner beweisrechtlicher Grundsatz der Beweisvereitelung haben sollte. Wenn die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung deshalb zu einer Beweiswürdigung wider den Gegner der risikobelasteten Partei führen, weil das vereitelnde Verhalten in aller Regel darauf hinweist, dass der Gegner bereits auf der Vortragsebene bewusst unwahr vorgetragen hat, dann muss die Ausgestaltung eines allgemeinen Tatbestandes der Beweisvereitelung sich wiederum an § 138 Abs. 1 ZPO orientieren. Das legt es nahe, sich auch auf der Beweisebene an den äußerungsdeliktischen Grundsätzen zu orientieren, die es gestatten, eine Tatsache auch ohne Beweisaufnahme als bewusst unwahr zu behandeln. Entscheidend kommt es also darauf an, ob der Gegner der risikobelasteten Partei Belegtatsachen in Form von Beweismitteln zurückhält, über die er verfügt oder nach Lage der Dinge verfügen müsste.

218 Siehe nur Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB (2015), § 242 Rn. 601: „Gleichwohl hat die Rspr einen Auskunftsanspruch unter Berufung auf § 242 gewährt, wenn eine ‚besondere rechtliche Beziehung zwischen dem Auskunftsfordernden und dem Inanspruchgenommenen‘ besteht und es das ‚Wesen des Rechtsverhältnisses mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seiner Rechte im Ungewissen, der Inanspruchgenommene aber in der Lage ist, die verlangte Auskunft unschwer zu erteilen (…)‘.“

290 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung 2. Die Regelanforderungen an den Erklärenden und an die risikobelastete Partei a) Die äußerungsdeliktischen Regeln Wenn der Erklärende keine Belegtatsachen für die Wahrheit seiner Äußerung benennt, wird sie wie eine unwahre behandelt.219 Diese Folge tritt unabhängig davon ein, ob der Erklärende für die Wahrheit seiner Aussage objektiv beweisbelastet ist oder nicht. Dabei sind diese Belegtatsachen zunächst bloße Konkretisierungen seiner Kernaussage, die er auf der Vortragsebene mitteilt.220 Unter der Voraussetzung, dass der Erklärende dort seine Belegtatsachen benannt und der Betroffene die Äußerung hinreichend bestritten hat, ermittelt das Gericht eines Äußerungsprozesses ihre Wahrheit oder Unwahrheit durch Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO. Das betrifft nicht nur die objektive, sondern – jedenfalls dort, wo es für den zivilrechtlichen Rechtsfolgenausspruch darauf ankommt – auch die subjektive Unwahrheit der Tatsachenbehauptung.221 Hier wird erheblich, dass Belegtatsachen nicht notwendig nur konkretisierende Erklärungen auf der Vortragsebene sein müssen, sondern etwa auch in amtlichen Dokumenten oder sonstigen Urkunden bestehen können,222 mithin in als Beweismittel geeigneten, objektiven Informationsträgern. Ist die Beweisebene erreicht, hat der Erklärende dort auch solche Beweismittel als Belegtatsachen beizubringen, und zwar unabhängig davon, ob er in der konkreten Situation objektiv beweis- oder auch nur beweisführungsbelastet ist. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, entspricht aber doch der äußerungsdeliktischen Logik, nach der in Bezug auf Wahrheit oder Unwahrheit der Tatsachenbehauptung eine schematische Verteilung der Beweis- und Behauptungslasten oftmals ausscheidet.223 So besteht das primäre Ziel der äußerungsdeliktischen 219 BVerfG, NJW 2007, 2686, 2688; NJW-RR 2000, 1209, 1210; 2007, 1194, 1195; BGHZ 176, 175, 184; BGH, NJW 2009, 915, 916; BeckOK/Schemmer, GG (27. Ed. 2015), Art. 5 Rn. 129; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291. 220 BVerfGE 99, 185, 199; BVerfG, NJW-RR 2000, 1209, 1210; 2007, 1194, 1195; BGH, GRUR 1975, 36, 38; ZUM-RD 2007, 117, 119; OLG Braunschweig, NJW-RR 2004, 1634; OLG Frankfurt/Main, BeckRS 2010, 13467; LG Berlin, MMR 2009, 62; NJW-RR 2013, 1309, 1310; BeckOK/Schemmer, GG (27. Ed. 2015), Art. 5 Rn. 129. 221 BVerfG, NJW 2004, 592. Dort heißt es unmittelbar zwar lediglich, dass eine Tatsachenbehauptung trotz des Vorliegens von Belegtatsachen außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 GG liegen könne. Neben der subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung könnte somit auch die im Zeitpunkt der Äußerung erwiesenermaßen unwahre Tatsachenbehauptung gemeint sein. Diese zuletzt genannte Gruppe außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 GG liegender Tatsachenbehauptungen setzt aber voraus, dass die objektive Unwahrheit entweder allgemeinkundig ist oder in einem Vorprozess festgestellt wurde (siehe oben § 9 B. I.). In diesen Fällen kommt es auf das Vorhandensein oder Fehlen von Belegtatsachen jedoch gar nicht erst an. 222 Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291. 223 Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.140.

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Beweisführung darin, Wahrheit oder Unwahrheit der streitgegenständlichen Behauptung nachzuweisen. Wird dieses Ziel verfehlt, müssen die Nachteile dieses non liquet einer der beiden Parteien zugewiesen werden. Hierfür ist maßgeblich, ob der Erklärende in Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB handelte oder nicht.224 Für die Voraussetzungen seines Handelns in Wahrnehmung berechtigter Interessen ist der Erklärende aber in jedem Fall objektiv wie subjektiv beweisbelastet.225 Erfüllt sind sie, wenn zur Überzeugung des Prozessgerichts dargetan ist, dass der Erklärende sämtliche ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht mit einer unwahren Tatsachenbehauptung zu verletzen. Diesen Nachweis führt der Erklärende, indem er Belegtatsachen, aufgrund derer er an die Wahrheit seiner Behauptung glauben durfte, nicht nur auf der Vortragsebene benennt, sondern in Form von Beweismitteln auf der Beweisebene zur Verfügung stellt. Daraus folgt: Es mag der Erklärende von der Beweislast für die Wahrheit seiner Behauptung zwar befreit sein, doch hat er auch auf der Beweisebene die für deren Wahrheit sprechenden Belegtatsachen jedenfalls wegen seiner Beweislast bezüglich § 193 StGB beizubringen.226 Liefert der Erklärende in dieser Situation keinen objektiven Beleg für die Wahrheit seiner Behauptung, obwohl er nach Lage der Dinge über einen solchen verfügen müsste, wird seine Behauptung im äußerungsrechtlichen Prozess konsequenterweise als (subjektiv) unwahr behandelt.227 b) Die prozessrechtliche Entsprechung Im Prozess entspricht die risikobelastete Partei dem äußerungsrechtlichen Erklärenden. Die beschriebene materiellrechtliche Wertung, wonach der Erklärende unabhängig von seiner Beweislast erwartbare Belagtatsachen für die Wahrheit seiner Behauptung sowohl auf der Vortrags- als auch auf der Beweisebene beizubringen hat, um eine Behandlung seiner Behauptung als (subjektiv) unwahr zu vermeiden, findet in den herkömmlichen Regeln über die Verteilung der Beweislast eine sehr weitgehende prozessrechtliche Entsprechung. Sobald nämlich auf der Vortragsebene sämtliche erwartbaren Belegtatsachen für die unterschiedlichen Positionen der Parteien ausgetauscht sind, erfolgt der Übertritt auf die Beweisebene. Ist die risikobelastete Partei außerstande, ein Beweismittel zu benennen, tritt non liquet ein und die Entschei224

BGHZ 132, 13, 23; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.139; a.A. BeckOK/Spindler, BGB (11/2013), § 824 Rn. 48. 225 Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl. 2003), Rn. 12.139. 226 HHKomm/Breutz/Weyhe, Medienrecht (2. Aufl. 2012), Rn. 39.22 verwenden statt der Belegtatsachen von vornherein den Begriff der Beweistatsachen. 227 I.Erg. auch BVerfG, NJW 2007, 2686, 2687, 2688.

292 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung dung geht zu ihren Lasten. Geht es um die Führung des Gegenbeweises, verliert die insoweit risikobelastete Partei den Prozess, weil der vorläufig erfolgreich geführte Hauptbeweis ihres Gegners unangetastet bleibt. Der einzige Unterschied zur materiellrechtlichen Wertung des Äußerungsdeliktsrechts besteht darin, dass kein Ausspruch über die Wahrheit oder Unwahrheit der im Prozess aufgestellten Behauptung erfolgt. Das freilich resultiert allein daraus, dass die Wahrheit einer Parteibehauptung im allgemeinen Prozess nicht Streitgegenstand, sondern lediglich Vorfrage ist. 3. Die Erleichterungen für den Erklärenden und für die risikobelastete Partei a) Die äußerungsdeliktischen Regeln Doch gilt auch auf der Beweisebene, dass objektive Belegtatsachen im Sinne von Beweismitteln nur insoweit verlangt werden dürfen, als sie aus der konkreten Situation des Erklärenden erwartbar sind.228 Dementsprechend ist es an dieser Stelle häufig Angelegenheit des Betroffenen, der noch unbewiesenen Tatsachenbehauptung des Erklärenden aktiv mit Beweismitteln für die Wahrheit seiner Erwiderung entgegenzutreten.229 Auch für den Betroffenen gilt dies unabhängig von seiner Beweislast. Denn wenn im Äußerungsdeliktsrecht eine schematische Verteilung der Beweislasten oftmals nicht möglich ist, betrifft dies den Erklärenden und den Betroffenen gleichermaßen. Folglich hat der Betroffene solche Informationsträger beizubringen, die die Wahrheit seiner Erwiderung bzw. die Unwahrheit der Behauptung belegen oder zu belegen helfen können, sofern er über sie verfügt oder nach Lage der Dinge wenigstens verfügen müsste. Aus der Nichtvorlage der demnach von dem Betroffenen erwartbaren Informationsträger folgt, dass solche Informationsträger entweder nicht existieren, obwohl sie es müssten, oder dass sie existieren, jedoch einen anderen Aussagegehalt haben, als vom Betroffenen wenigstens insinuiert. Nach allgemeinen äußerungsdeliktischen Regeln ist es in beiden Fällen nicht gerechtfertigt, zu Lasten des Erklärenden von der Unwahrheit der streitgegenständlichen Behauptung auszugehen. Die Entscheidung ergeht sodann zu Lasten des Betroffenen. b) Die nur eingeschränkte prozessrechtliche Entsprechung Fänden die beschriebenen äußerungsdeliktischen Regelungen auch auf den (wenigstens) latenten äußerungsdeliktischen Konflikt Anwendung, den jede Behauptung einer Partei im Zivilprozess begründet, könnte der Gegner der ri228 229

Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1291. Vgl. BVerfGE 99, 185, 199 f.

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sikobelasteten Partei solche Informationsträger, über die er verfügt oder über die er verfügen müsste, nicht mehr zurückhalten, ohne daraus prozessrechtliche Nachteile zu erleiden. Die entsprechende Wertung des materiellen Äußerungsdeliktsrechts findet im herkömmlichen Aufklärungsmodell der ZPO jedoch nur eingeschränkt Niederschlag. Das folgt daraus, dass außerhalb des äußerungsrechtlichen Prozesses die Beweislasten klar verteilt sind. Sie weisen stets einer der beiden Parteien die Aufgabe zu, Beweismittel für ihren Standpunkt beizubringen, und regeln die Folgen für den Fall, dass die belastete Partei ihre Aufgabe nicht erfüllt. Der Grundgedanke des materiellen Äußerungsdeliktsrechts ist im allgemeinen Prozessrecht folglich nur dort umgesetzt, wo die risikobelastete Partei auf beim Gegner befindliche Informationen zugreifen darf, um den ihr obliegenden Beweis zu führen. Das ist lediglich in den Fällen der §§ 422, 423 ZPO und der §§ 445 ff. ZPO der Fall. Gelingt es, die äußerungsdeliktische Regel, dass auf der Beweisebene auch der Betroffene unabhängig von seiner Beweislast sämtliche Belegtatsachen beizubringen hat, die von ihm in der konkreten Situation für die Wahrheit seiner Entgegnung erwartbar sind, im Zivilprozess über §§ 422, 423 ZPO und §§ 445 ff. ZPO hinaus zu verallgemeinern, so ist ein allgemeines und auf § 138 Abs. 1 ZPO abgestimmtes Institut der Beweisvereitelung geschaffen. 4. Die gebotene Verallgemeinerung der äußerungsdeliktischen Regeln Die vollständige Übertragung des beschriebenen äußerungsdeliktischen Gedankens ist auf der Beweisebene aus ganz ähnlichen Erwägungen geboten, wie sie bereits zur Vortragsebene anzustellen waren. Prämisse sei wiederum die Sperrwirkung des Erstprozesses gegenüber einem hypothetischen äußerungsdeliktischen Zweitprozess. Der Erstprozess erledigt den äußerungsdeliktischen Konflikt mit. Verfügt die risikobelastete Partei als der äußerungsrechtliche Erklärende über keine Beweismittel für die Wahrheit ihrer Behauptung und sind solche von ihr auch nicht erwartbar, so darf sie auf die beim Gegner befindlichen Beweismittel dennoch nur nach Maßgabe der §§ 422, 423 ZPO, §§ 445 ff. ZPO zugreifen. Wäre dieselbe Tatsachenbehauptung hingegen Streitgegenstand eines äußerungsdeliktischen Zweitprozesses, so müsste der Gegner nach den originären äußerungsdeliktischen Regeln sämtliche von ihm nach Lage der Dinge erwartbaren Belegtatsachen und Belege beibringen, ohne dass es auf §§ 422, 423 ZPO, §§ 445 ff. ZPO ankäme. Die für den Erstprozess geltenden Beweisregeln verschieben das Abwägungsergebnis zwischen Äußerungsfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht folglich zum Nachteil des Erklärenden. Mit dieser Maßgabe ist der Erstprozess kein funktionelles Äquivalent für den äußerungsrechtlichen Zweitprozess und beschränkt die Äußerungsfreiheit des Erklärenden unverhältnismäßig.

294 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Wenn man die Prämisse abwandelt und den äußerungsdeliktischen Zweitprozess zulässt, dann bewirkten die unterschiedlichen beweisrechtlichen Regelungen unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich des Nachweises der bestrittenen Tatsachenbehauptung. Entsprechendes gilt auch hier, wenn der äußerungsdeliktische Zweitprozess im Forum des Erstprozesses stattfindet. Solche Ergebnisse sind auf der Beweisebene ebenso wenig hinnehmbar wie auf der Vortragsebene.

D. Die Konkretisierung der Wahrheitspflicht auf der Beweisebene Das Zurückhalten eines erwartbaren Beweismittels begründet folglich eine Beweisvereitelung des Gegners zum Nachteil der risikobelasteten Partei. In diesen Fällen ist regelmäßig die Schlussfolgerung gestattet, dass er das Beweismittel mit dem Zweck zurückhält, sein bewusst wahrheitswidriges Bestreiten auf der Vortragsebene zu verschleiern. Folglich ist dann ebenso regelmäßig eine Beweiswürdigung wider den Gegner möglich, wenn nicht gar logisch geboten. Eine solche Handhabung der Beweisvereitelung entspricht im Wesentlichen der spoliation inference des U.S.-amerikanischen Zivilprozessrechts. Es bleibt zu konkretisieren, in welchen Konstellationen der Gegner ein erwartbares Beweismittel zurückhält.

I. Das Zurückhalten vorhandener Beweismittel Als verhältnismäßig unproblematisch erweisen sich dabei diejenigen Fälle, in denen feststeht, dass der Gegner Beweismittel zurückhält, obwohl sie existieren und er Zugriff auf sie hat.230 Präsenz und Zugriffsmöglichkeit begründen hier die Erwartbarkeit, dass der Gegner den Informationsträger zur Verfügung stellen werde. §§ 371 Abs. 3, 427 Satz 1 Alt. 1, 441 Abs. 3 Satz 3 Alt. 1, 446, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO betreffen diese Situation. Eine Erweiterung ist lediglich um die Fälle des Verfügbarmachens von Zeugen, des Erstellens einer zur Vergleichsprobe geeigneten Schriftprobe231 sowie der fehlenden bürgerlichrechtlichen Herausgabepflicht erforderlich. Bestreitet etwa ein Versicherer im Prozess um die temporäre Arbeitsunfähigkeit seines Versicherungsnehmers eine vorliegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, so vereitelt der Versicherungsnehmer den Beweis des risikobelasteten Versicherers, wenn er nicht sämtliche ihn behandelnden Ärzte von der 230 Vgl. etwa BGH, NJW 1999, 3485, 3486; 2002, 825, 827; 2011, 778, 780; NJW-RR 1996, 316, 317; OLG Stuttgart, NJW-RR 1986, 1448. 231 BGH, NJW 2004, 222; dazu, dass dieser Fall nicht von § 441 Abs. 3 ZPO erfasst ist, siehe Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 441 Rn. 3.

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Schweigepflicht entbindet.232 Gleiches gilt für Notare und andere der Schweigepflicht unterliegende Personen, sofern sie als Zeugen für die zwischen den Parteien streitigen Tatsachen in Betracht kommen.233 Allgemein hat der Gegner der risikobelasteten Partei die für eine Ladung erforderlichen Kontaktdaten eines nur ihm bekannten Zeugen zu nennen.234 Wenn sich der Anschlussinhaber gegen den Vorwurf einer Rechtsverletzung nach § 19a UrhG mit dem Hinweis verteidigt, die unmittelbare Verletzungshandlung habe eine andere Person über seinen Anschluss vorgenommen, muss er diese Person benennen.235 Der insoweit nicht risikolastete Verkäufer, der den Käufer beim Abschluss des Kaufvertrags über die mit einer Immobilie erzielbare Nettokaltmiete arglistig getäuscht haben soll, hat seine sämtlichen diesbezüglichen Unterlagen vorzulegen.236 Dem Vorwurf der Beweisvereitelung entgeht der Gegner hier nur unter der Voraussetzung, dass er dem erwartbaren Aufklärungsbeitrag den Einwand berechtigter Geheimhaltungsinteressen entgegenhalten kann.237

II. Die unterlassene Dokumentation 1. Konstellationen und Problemlagen Dem Vorwurf, als Beweismittel geeignete Informationsträger zurückzuhalten, setzt sich der Gegner der risikobelasteten Partei von vornherein nicht aus, wenn er solche Informationsträger gar nicht erst erstellt. Hier geht es um Fragen der unterlassenen Dokumentation. Phänomenologisch sind zwei Erscheinungsformen dieser Fallgruppe feststellbar. In der ersten sieht der Gegner der risikobelasteten Partei von jeder Dokumentation bestimmter Geschehnisse ab. So liegt es, wenn ein Arzt keinerlei Aufzeichnungen über seine Behandlung anfertigt,238 ein Kaufmann jede Buchführung unterlässt,239 eine veterinärmedizinische Forschungsanstalt keine Tierversuchsbücher führt240 oder wenn der Auftraggeber eines Transportunternehmens nach einem Unfall die Überprüfung des Transportguts 232

BGH, NJW-RR 1992, 412. Unzutreffend daher BGH, NJW-RR 1996, 1534. 234 Zu eng BGH, NJW 2008, 982, 985. 235 BGHZ 185, 330, 333; BGH, NJW 2014, 2360, 2361; OLG Frankfurt/Main, GRUR-RR 2008, 73, 74; OLG Köln, GRUR-RR 2010, 173; LG Mannheim, NJOZ 2007, 5791, 5794; LG Düsseldorf, MMR 2011, 111; AG Frankfurt/Main, MMR 2010, 262. 236 Vgl. die BGH, NJW 2007, 155 zugrunde liegende Konstellation. 237 Dazu sogleich § 16. 238 Siehe dazu BeckOK/Spindler, BGB (11/2013), § 823 Rn. 738; Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 76. 239 BGHZ 165, 391, 398; BGH, NZG 2003, 393, 394; MünchKomm/Merkt, GmbHG (2. Aufl. 2015), § 11 Rn. 166. 240 BGH, NJW 1989, 2947 liegt ein ähnlicher Fall zugrunde. 233

296 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung durch einen Havariekommissar verhindert.241 Daneben stehen die sicherlich häufigeren Fälle, in denen die Dokumentation lediglich einzelner Ereignisse unterbleibt. Ein Arzt dokumentiert eine Fehlmedikation oder aber die Vornahme einer indizierten Heilmaßnahme nicht, in den Handelsbüchern fehlen einzelne Buchungen, Tierversuchsbücher sind für einzelne Versuchsreihen lückenhaft, etc. In Bezug auf die streitige Tatsache ergeben sich dabei stets zwei Probleme. So kann die Tatsache zum einen deshalb nicht dokumentiert sein, weil ein derartiges Ereignis niemals stattgefunden hat. Selbst wenn ein derartiges Ereignis aber stattgefunden haben sollte, so ist immer noch unsicher, ob seine Dokumentation die Sachverhaltsvariante der risikobelasteten Partei oder diejenige ihres Gegners bestätigt hätte. Da sich im Fall unterbliebener Dokumentationen folglich vieles im spekulativen Bereich befindet, fällt es schwer, hier ohne Weiteres auf die Verschleierung des eigenen bewusst unwahren Sachvortrags durch den Gegner der risikobelasteten Partei zu schlussfolgern. Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, mit diesem Problem umzugehen. Das deutsche Recht schafft für den Fall der pflichtwidrig unterlassenen Dokumentation teils eine Umkehr der objektiven Beweislast. So verfährt der deutsche Gesetzgeber für die unterbliebene oder unvollständige ärztliche Dokumentation. Dort wird gemäß § 630h Abs. 3 BGB vermutet, dass der Arzt eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme nicht getroffen hat, wenn er sie oder ihr Ergebnis nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder die Patientenakte nicht ordnungsgemäß aufbewahrt hat. Das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht verfolgt den Ansatz, die dem Gegner nachteilige beweisrechtliche Konsequenz daran zu knüpfen, dass er zurechenbar und vorwerfbar gegen eine Bereithaltungspflicht verstoßen hat („duty to preserve“).242 Ähnlich verfährt die h.M. zu den allgemeinen Grundsätzen über die Beweisvereitelung. Dort rechtfertigt ein doppeltes Verschulden der nicht risikobelasteten Partei beweisrechtliche Konsequenzen zu ihren Ungunsten.243 Dieses verschuldensbasierte Vorgehen ist freilich deshalb nicht ganz unproblematisch, weil es 241

Vgl. BGH, NJW 1998, 79, 80. Wood v. Pittsford Central School Dist., 2008 WL 5120494 (C.A.2 [N.Y.], 2008), unter *2; Consolidated Edison Co. of New York, Inc. v. U.S., 90 Fed.Cl. 228, 249 (Fed.Cl., 2009); Beaven v. U.S. Dept. of Justice, 622 F.3d 540, 554 (C.A.6 [Ky.], 2010); Norman-Nunnery v. Madison Area Technical College, 625 F.3d 422, 428 (C.A.7 [Wis.], 2010); Gerlich v. U.S. Dept. of Justice, 711 F.3d 161, 168 (C.A.D.C., 2013); Peterson v. Attorney General Pennsylvania, Fed.Appx., 2014 WL 44030 (C.A.3 [Pa.], 2014), unter *1; Sanofi-Aventis Deutschland GmbH v. Glenmark Pharmaceuticals Inc., USA, F.3d, 2014 WL 1552167 (C.A.Fed. [N.J.], 2014), unter *6; Turner v. U.S., 736 F.3d 274, 281 (C.A.4 [N.C.], 2013); Babcock/Massaro/Spaulding, Civil Procedure (3. Aufl. 2006), 451; Dropkin, 51 Duke Law Journal (2002), 1803, 1807; Erickson, 60 Drake Law Review (2012), 887, 889; Norton/Woodard/Cleveland, 64 South Carolina Law Review (2013), 459, 464. 243 BGH, NJW 2004, 222; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 286 Rn. 17; Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 65; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 83; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 20. 242

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nicht in jedem Fall zu dem Grundgedanken passt, wonach die Beweisvereitelung mögliche Wahrheitsverstöße auf der Vortragsebene korrigieren soll. Das betrifft namentlich den Fall des bloß fahrlässigen Verstoßes gegen eine solche Bereithaltungspflicht.244 2. Erwartbarkeit und Dokumentationsobliegenheit Wenn man die verschiedenen Fallgruppen der unterlassenen Dokumentation mit dem hier vertretenen Ansatz im Ausgangspunkt als eine Nichtvorlegung erwartbarer Belegtatsachen begreift, dann kommt man um die Konstruktion wenigstens einer Dokumentationsobliegenheit nicht herum. Per se erwartbar ist nämlich nur die Bereitstellung vorhandener Beweismittel. In einer Situation, in welcher der als Beweismittel taugliche Informationsträger hingegen nicht existiert, gelangt man zu seiner Erwartbarkeit nur unter der Annahme, dass der Gegner der risikobelasteten Partei ihn an sich hätte anfertigen müssen. Freilich gibt es weder eine allgemeine Erwartung noch gar eine allgemeine Verpflichtung, Ereignisse und Handlungen in irgendeiner Weise zu dokumentieren oder den Zugriff auf etwaige Zeugen durch Sicherung ihrer Kontaktdaten zu ermöglichen.245 In der Literatur geht man folglich davon aus, dass vom Gegner der risikobelasteten Partei nur dort die Sicherung von als Beweismitteln tauglichen Informationsträgern erwartet werden könne, wo diesen eine gesetzliche, vertragliche oder quasivertragliche Dokumentationspflicht treffe.246 Unproblematisch sind damit diejenigen Fälle, in denen den Gegner eine Rechenschaftspflicht gegenüber der risikobelasteten Partei trifft. Nach dem Vorbild des § 666 BGB besteht hier stets die Pflicht, eine vollständige und nachvollziehbare Abrechnung zu erstellen.247 Auch die kaufmännische Buchführungspflicht nach § 238 Abs. 1 HGB verpflichtet dazu, Urkunden im prozessrechtlichen Sinn zu erstellen,248 die einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln können.249 Die bürgerlichrechtliche Pflicht des Arztes, die wesentlichen Vorgänge der Behandlung zu dokumentieren, ist mittlerweile in § 630f BGB kodifiziert. Darüber hinaus kann die Vertragsparteien auf Grundlage von § 241 Abs. 2 BGB eine Pflicht zur Doku244

Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 63. Vgl. BGH, NJW 1986, 59, 61; E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 207; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 162 f. 246 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 162 f.; Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess (2007), 339 ff. 247 MünchKomm/Seiler, BGB (6. Aufl. 2012), § 666 Rn. 9. 248 Baumbach/Hopt/Merkt, HGB (36. Aufl. 2014), § 238 Rn. 3. 249 Baumbach/Hopt/Merkt, HGB (36. Aufl. 2014), § 238 Rn. 14. 245

298 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung mentation der für die Vertragsabwicklung wichtigen Vorgänge als leistungssichernde Nebenpflicht treffen.250 Doch erfasst man mit diesen Pflichten nicht alle Fälle, in denen von einer verständigen Partei vernünftigerweise zu erwarten wäre, dass sie bestimmte Ereignisse dokumentiert, um ihre eigene Position in einer etwaigen späteren Auseinandersetzung zu sichern. Man denke etwa an den bereits erwähnten Auftraggeber des später beklagten Transportunternehmens, der nach einem Unfall die Überprüfung des Transportguts durch einen Havariekommissar verhindert.251 Denn in dem Moment, in dem der Auftraggeber von dem Unfall erfährt, steht eine nachfolgende juristische Auseinandersetzung über etwaige Transportschäden einigermaßen wahrscheinlich bevor. Damit entsteht zugleich die Notwendigkeit, mögliche Beweissicherungsmaßnahmen zu ergreifen.252 Ähnlich liegt es im Fall des Sicherungspflichtigen, der den von ihm beherrschten Verkehr – etwa Straßenbäume – zu überwachen hat. Da ein gefahrträchtiger Verkehr juristische Auseinandersetzungen zumindest latent stets befürchten lässt, trifft den Verkehrspflichtigen hier jedenfalls die Obliegenheit, seine Sicherungsmaßnahmen zu dokumentieren.253 Soweit keine gesetzlichen oder spezifisch vertraglichen Dokumentationspflichten gegenüber dem anderen Teil existieren, entsteht für die prospektive Prozesspartei eine Dokumentationsobliegenheit dann, wenn ein verständiger Dritter in dieser Situation erkennen würde, dass die entsprechende Information für eine möglicherweise bevorstehende juristische Auseinandersetzung entscheidungserheblich sein könnte. Dies entspricht den Gegebenheiten, die im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht eine duty to preserve auslösen. 3. Die Missachtung der Dokumentationspflicht/-obliegenheit a) Die Bedeutung für das Informationsproblem Solche Dokumentationspflichten helfen der risikobelasteten Partei freilich nicht über ihr Informationsproblem hinweg, wenn der Gegner sie missachtet und dies ohne beweisrechtliche Konsequenzen bleibt. Denn in diesem Fall könnte der Gegner auf die Dokumentation ihm nachteiliger Fakten gezielt verzichten, sodann im Prozess bewusst unwahr zu seinen Gunsten vortragen und schließlich die Beweislastregeln für sich wirken lassen. Solange die Beweislastverteilung für ihn streitet, könnte er folglich auch jede Dokumentation ohne prozessrechtliche Nachteile unterlassen. 250

BeckOK/Sutschet, BGB (37. Ed. 2015), § 241 Rn. 76. Da zwischen den handelnden Personen schuldrechtliche Beziehungen bestehen, fällt es in diesem Fall an sich zwar nicht schwer, eine entsprechende Pflicht kurzerhand aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB abzuleiten. Allerdings ist es prinzipiell nicht der Transportgläubiger, den insoweit eine leistungssichernde Nebenpflicht trifft. 252 BGH, NJW 1998, 79, 80; BeckOK/Sutschet, BGB (37. Ed. 2015), § 241 Rn. 67. 253 Vgl. Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. E 72. 251

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b) Pflichten-/Obliegenheitsmissachtung mit Nachteilszufügungsabsicht Hier ist zu differenzieren. Unproblematisch wird der fehlenden erwartbaren Dokumentation ein bewusst unwahrer Sachvortrag dort zugrunde liegen, wo der Gegner die Dokumentation mit Nachteilszufügungsabsicht entsprechend § 444 ZPO unterlassen hat. So liegt es zum einen, wenn der Dokumentationspflichtige erkennt, dass die zu dokumentierende Tatsache in einem Prozess zu seinem Nachteil wirken wird, und von der Dokumentation deshalb absieht. Man wird das zum anderen aber auch dann annehmen müssen, wenn der Dokumentationspflichtige seinen Pflichten „sicherheitshalber“ nicht nachkommt, um Vorteile in möglichen späteren Prozessen nicht zu gefährden. Hier darf das Prozessgericht seine Beweiswürdigung auf die Annahme stützen, dass der Sachvortrag jedenfalls ins Blaue hinein erfolgte. Das betrifft etwa den Auftraggeber des Transportunternehmens, der Feststellungen des Havariekommissars ohne vorherige Vergewisserung verhindert, um seinen Anscheinsbeweis nicht zu gefährden.254 Gleiches gilt für die dem Verdacht der Unterbilanzhaftung ausgesetzten Gesellschafter, die eine Buchführung von vornherein unterlassen. Dieses Vorgehen entspricht der Wertung des § 444 ZPO. Nicht anders ist zu verfahren, wenn die Dokumentation vorsätzlich unterbleibt, ohne dass eine Nachteilszufügungsabsicht feststellbar wäre.255 Zu berücksichtigen ist aber, dass die Schlussfolgerung wider den Gegner der risikobelasteten Partei ebenso wie im direkten Anwendungsbereich der §§ 372 Abs. 2 und 3, 427, 444 ZPO unter dem Vorbehalt steht, dass sie nicht durch weitere Tatsachenfeststellungen entkräftet wird. c) Pflichten-/Obliegenheitsmissachtung ohne Nachteilszufügungsabsicht Allerdings sind solche Fälle selten. In der Regel wird der Gegner der risikobelasteten Partei sich unwiderlegt dahingehend einlassen, dass er die Dokumentation fahrlässig versäumt habe. Doch bleibt die unterlassene Dokumentation auch in diesem Fall nicht notwendig ohne beweisrechtliche Konsequenzen. Man denke an den Fall einer Studentin der Tiermedizin, die eine schwere Leptospirose erlitt. Für die Infektion macht sie ihre Hochschule verantwortlich und nimmt diese auf Schadensersatz in Anspruch.256 Es sei unterstellt, dass die Hochschule nicht bestreitet, im maßgeblichen Zeitraum Experimente mit Leptospiren durchgeführt zu haben. Den unter Verkehrssicherungsaspekten einwandfreien Umgang mit den Erregern kann sie jedoch nicht belegen, da die entsprechende Dokumentation wegen einer fahrlässigen Organisationsverwirrung unvollständig geblieben ist. Beweisrechtlich ergibt sich hier eine für 254 255 256

Vgl. die Konstellation bei BGH, NJW 1998, 79. E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 218. BGH, NJW 1989, 2947.

300 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung die Erkrankte ungünstige Lage. So ist sie für den gegnerischen Pflichtenverstoß nach allgemeinen Regeln objektiv beweisbelastet.257 In der beschriebenen Situation steht freilich nicht einmal die objektiv verkehrswidrige Lage fest. Die fahrlässig unterbliebene Dokumentation kann sich in diesem Fall nur bei der Würdigung der übrigen Indizien auswirken. So sind Dokumentationen stets nur Beweismittel, die über Umstände außerhalb ihrer selbst Zeugnis ablegen. Für die entscheidungserhebliche Haupttatsache haben sie lediglich Indizwirkung. Selbst wenn also die vorhandene Dokumentation hypothetisch dem Vorbringen der Hochschule entsprechen würde, hätte dies keineswegs einen vollen Beweiswert dafür, dass die Hochschule mit den Leptospiren tatsächlich stets vorschriftsmäßig verfahren wäre. In der Gesamtschau sind vielmehr sämtliche Indizien – etwa Inkubationszeit nach einem möglichen Kontakt, plausible andere Infektionswege, etc.258 – zu würdigen. Innerhalb dieser Gesamtschau kann das Prozessgericht dann den Beweiswert, den die fehlende Dokumentation im Fall ihres Vorliegens zu Gunsten der Hochschule hätte, relativ zu den anderen Indizien abschwächen.259 Das bedeutet letztlich nichts anderes als das, was die h.M. in solchen Fällen als Beweiserleichterungen infolge der fahrlässigen Beweisvereitelung bezeichnet. d) Zweifel am dokumentationsbedürftigen Umstand Bislang ging es stets um Konstellationen, in denen ein dokumentationsbedürftiger Umstand sich zugetragen hat, jedoch Unsicherheit darüber besteht, was genau geschehen ist. Doch mag es vorkommen, dass bereits der dokumentationsbedürftige Vorgang als solcher in Zweifel steht. So mag im Beispiel der an Leptospirose erkrankten Studentin die Hochschule bestreiten, dass es im maßgeblichen Zeitraum Versuche mit Leptospiren gegeben habe. Die Tierversuchsbücher liegen vollständig vor und enthalten keinen Hinweis auf Leptospiren-Versuche. Hier kann der fehlende Hinweis zweierlei Bedeutung haben. Entweder hat die Hochschule Sicherheitsverstöße beim Umgang mit diesen Bakterien vertuscht oder aber es haben tatsächlich keine entsprechenden Versuche stattgefunden. Ein objektiv beweisvereitelndes Verhalten des Gegners der risikobelasteten Partei steht hier gerade nicht fest. Vielmehr liefert er genau das, was im Falle der Wahrheit seines Bestreitens an Beweismitteln zu erwarten wäre. Hier kann das Prozessgericht lediglich nach allgemeinen Regeln verfahren und den Beweiswert der Tierversuchsbücher gegen die übrigen Indizien abwägen.

257 MünchKomm/Wagner, BGB (6. Aufl. 2013), § 823 Rn. 438; Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. E 72. 258 Vgl. im Einzelnen BGH, NJW 1989, 2947 f. 259 I. Erg. ebenso bereits E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 219.

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III. Das untergegangene oder abhandengekommene Beweismittel 1. Konstellationen und Problemlagen Verhältnismäßig häufig gehen als Beweismittel geeignete Informationsträger unter oder kommen abhanden, bevor eine Partei sie im Prozess vorlegen kann. So liegt es etwa bei der Vernichtung von Dokumenten nach Ablauf gesetzlicher Aufbewahrungsfristen,260 bei Originalurkunden, die aus Rationalisierungsgründen im Anschluss an ihre Mikroverfilmung vernichtet werden,261 bei Röntgenaufnahmen, die im Zuge der Kommunikation mit einem anderen Krankenhaus aus einer Behandlungsakte verloren gehen262 oder auch bei einem bei der Erstoperation zurückgebliebenen Tupfer, der nach seiner Entfernung als Abfall entsorgt wird, obwohl es im anschließenden Arzthaftungsprozess auf seine Art und Größe ankommt.263 Ähnlich verhält es sich, wenn eine Werkstatt im Auftrag des Käufers Teile an einem vorgeblich mangelhaften Kfz austauscht und sodann entsorgt, was dem Verkäufer die Möglichkeit des Gegenteilsbeweises nach § 476 BGB abschneidet.264 Es stellen sich ähnliche Fragen wie bei der unterbliebenen Dokumentation. Zwar mag hier feststehen, dass ein als Beweismittel tauglicher Informationsträger vormals existierte. Doch besteht Ungewissheit darüber, welchen der widerstreitenden Sachvorträge er unterstützt hätte. Jedenfalls kann das Prozessgericht auch aus dem Untergang oder dem Abhandenkommen des Informationsträgers nicht ohne Weiteres den Schluss ziehen, der Gegner der risikobelasteten Partei habe ihn beseitigt, um seinen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO zu kaschieren. So können Untergang und Abhandenkommen nicht nur das Resultat fahrlässigen Verhaltens des Gegners selbst sein. Vielmehr kommen hier Zufall265 und eigenverantwortlich handelnde Dritte266 als weitere Ursachen für den Verlust des Beweismittels in Betracht. 2. Erwartbarkeit und Aufbewahrungsobliegenheit Ähnlich wie bei der unterlassenen Dokumentation gilt auch hier, dass die Erwartbarkeit eines Beweismittels als Belegtatsache nur aus gesetzlichen Aufbewahrungspflichten oder wenigstens Aufbewahrungsobliegenheiten mit Blick auf einen Rechtsstreit herleitbar ist. Denn ebenso wenig, wie es eine allgemeine Pflicht gibt, Ereignisse und Handlungen zu dokumentieren, gibt es eine 260 Vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1997, 217, 219; VersR 2005, 412, 414; OLG Nürnberg, BeckRS 2008, 18763; Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 72. 261 BGH, NJW-RR 2000, 1471, 1472. 262 BGH, NJW 1996, 779, 780. 263 BGH, LM Nr. 2 zu § 282 ZPO (1955). 264 BGH, NJW 2006, 434, 436 – obiter dictum. 265 MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 427 Rn. 2. 266 Vgl. BGH, NJW 1994, 1594, 1595.

302 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung allgemeine Pflicht, Informationsträger zu konservieren, weil sie in einem (vorläufig) hypothetischen Rechtsstreit von Bedeutung für die Sachverhaltsaufklärung sein könnten.267 In den Fällen, in denen das Gesetz Dokumentationspflichten benennt, benennt es häufig auch konkrete Fristen, während derer die angefertigte Dokumentation aufzubewahren ist. Für die ärztliche Dokumentation gilt gemäß § 630f Abs. 3 BGB die Zehn-Jahres-Frist, gerechnet ab dem Ende der Behandlung.268 Für Handelsbücher ist § 257 HGB maßgeblich. Wenn eine Person gegenüber einer anderen nach dem Vorbild des § 666 BGB rechenschaftspflichtig ist, muss die vollständige Dokumentation bis zur Erfüllung oder zur Verjährung des Rechnungslegungsanspruchs jederzeit zur Vorlegung innerhalb angemessener Frist vorgehalten werden. Weiter kann sich die Pflicht, einen als Beweismittel tauglichen Informationsträger aufzubewahren, auch hier als vertragliche Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB ergeben. Soweit der Gegner der risikobelasteten Partei danach verpflichtet ist, als Beweismittel geeignete Informationsträger aufzubewahren und verfügbar zu halten, ist die Vorlegung im Prozess erwartbar.269 Daraus folgt zugleich, dass nach Ablauf dieser Fristen eine Vorlegung des Informationsträgers nicht mehr erwartbar ist. Sind sie zwischenzeitlich vernichtet, kann dies grundsätzlich keine negativen beweisrechtlichen Konsequenzen für den Gegner der risikobelasteten Partei haben.270 Sofern gesetzliche oder vertragliche Aufbewahrungspflichten hingegen nicht bestehen, ist es sinnvoll, die Aufbewahrungsobliegenheit nach den gleichen Maßstäben herzuleiten wie die Dokumentationsobliegenheit. Danach entsteht die Aufbewahrungsobliegenheit in dem Moment, in dem aus der Sicht eines verständigen Dritten an der Stelle der späteren Prozesspartei vorhersehbar und wahrscheinlich ist, dass es zu einer juristischen Auseinandersetzung kommen wird, in welcher der Informationsträger für die Sachverhaltsermittlung erheblich wird.271 Eine Aufbewahrungsobliegenheit besteht danach jedenfalls für sämtliche als Beweismittel geeigneten Informationsträger, die bei Zustellung der Klage oder des vorangehenden anwaltlichen Anspruchsschreibens vorhanden sind. Aber auch unabhängig davon kann sich eine Aufbewahrungsobliegenheit aus den gebotenen eigenen Schlussfolgerungen der prospektiven Partei ergeben. Lässt sie etwa einen Mangel im Wege der zulässigen Selbstvornahme beseitigen, steht aus ihrer Sicht fest, dass sie die Kosten wahr267

E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 218. Geht die Dokumentation während dieser Frist ganz oder teilweise verloren oder wird sie sonst unbrauchbar, greift die Beweislastumkehr gemäß § 630h Abs. 3 BGB zu Lasten des Arztes. 269 E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 219; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 165. 270 OLG Hamm, NJW-RR 1997, 217, 219; Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 72; Bender, MedR 2007, 533, 535. 271 Vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski/Schimansky, Bankrechts-Handbuch (3. Aufl. 2007), § 47 Rn. 85. 268

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scheinlich wird erstreiten müssen. Dann aber hat sie auch sämtliche aufklärungssichernden Maßnahmen zu ergreifen, mögen diese in dem bevorstehenden Prozess auch zu Gunsten ihres risikobelasteten Gegners wirken. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass es eine Aufbewahrungsobliegenheit ausnahmsweise auch noch nach Ablauf gesetzlicher Aufbewahrungsfristen geben kann. So liegt es namentlich, wenn der Gegner der risikobelasteten Partei noch vor Ablauf der Frist oder vor der tatsächlichen Vernichtung der Informationsträger Kenntnis von einem rechtshängigen oder bevorstehenden Prozess erlangt hat oder verständigerweise erlangt haben müsste.272 3. Die Missachtung der Aufbewahrungsobliegenheit Ebenso wie bei der Missachtung von Dokumentationspflichten oder -obliegenheiten stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls welche beweisrechtlichen Konsequenzen es hat, wenn eine Partei diese Aufbewahrungspflicht oder -obliegenheit missachtet. Gesetzlich geregelt ist durch § 444 ZPO insoweit nur die Missachtung dieser Pflicht mit Nachteilszufügungsabsicht gegen die risikobelastete Partei. Zu klären bleibt der Umgang mit den übrigen Fällen. a) Die vorsätzliche Missachtung In dieser Fallgruppe kann man nur dann davon ausgehen, dass der Gegner der risikobelasteten Partei sein wahrheitswidriges Vorbringen auf der Vortragsebene verschleiern möchte, wenn er den Informationsträger zu einem Zeitpunkt vorsätzlich zerstört, beseitigt oder sonst für die Sachverhaltsaufklärung unbrauchbar macht, in dem er weiß, dass dieser Informationsträger in einem rechtshängigen oder in einem sich abzeichnenden Prozess für die Sachverhaltsaufklärung bedeutsam ist bzw. sein wird.273 Gleiches gilt, wenn er einen Dritten veranlasst, solchermaßen mit dem Informationsträger zu verfahren.274 In solchen Konstellationen ist es in der Tat schwer vorstellbar, dass etwas anderes als die Manipulation der Entscheidungsgrundlagen den Gegner der risikobelasteten Partei zu seinem Verhalten veranlassen könnte. Enthielte der Träger nämlich Informationen, die sich für den Gegner der risikobelasteten Partei positiv auswirkten, so würde er ihn kaum für die prozessrechtliche Sachverhaltsaufklärung unbrauchbar machen.275 Auf diese Weise wird letztlich § 444 ZPO dahingehend erweitert, dass die Nachteilszufügungsabsicht wider die risikobelastete Partei durch die vorsätzliche Unbrauchbarmachung im maßgeblichen Zeitraum ersetzt wird. 272 OLG Hamm, NJW-RR 1997, 217, 219; OLG München, BeckRS 2009, 26427; vgl. auch Kapp/Schlump, BB 2008, 2478, 2486. 273 Vgl. E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 218. 274 Stein/Jonas/C. Berger, ZPO (22. Aufl. 2006), § 371 Rn. 37. 275 Ordemann, NJW 1962, 1902, 1903.

304 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung b) Fahrlässigkeit und Zufall Geht der Informationsträger jedoch infolge von Zufall, Fahrlässigkeit oder dem Verhalten eines Dritten, den der Gegner hierzu nicht angestiftet hat, verloren, so ist dieser Rückschluss nicht mehr möglich.276 Für die risikobelastete Partei mag dieser Befund zwar misslich sein. Denn nun kann ihr Gegner die bei ihm befindliche smoking gun beseitigen und auf den Vorlegungsantrag nach § 424 ZPO entgegnen, der fragliche Informationsträger sei versehentlich zerstört worden. In den Genuss der Folgen des Informationsproblems, das er auf diese Weise erst selbst herbeimanipuliert hat, kommt der Gegner der risikobelasteten Partei allerdings nicht allein aufgrund dieser schlichten Behauptung. Vielmehr vernimmt ihn das Prozessgericht gemäß § 426 ZPO zum Verbleib des Informationsträgers. Ist es von seinen Einlassungen nicht überzeugt, kann es gegebenenfalls nach § 427 Satz 2 Alt. 2 ZPO oder aber nach § 444 ZPO vorgehen.277 Ansonsten kommt in diesen Fällen lediglich eine Würdigung der übrigen greifbaren Indizien in Betracht, die gegebenenfalls die Bedeutung des verloren gegangenen Beweismittels für eine optimale Beweisführung relativieren kann. Es gelten also die zur fahrlässig unterbliebenen Dokumentation entwickelten Grundsätze entsprechend. So mag die Behauptung, der Arzt habe während der Operation einen weiteren Gallenstein im Gallengang übersehen, obwohl er auf den während der Operation gefertigten Röntgenbildern sichtbar gewesen sei, bereits dadurch als erwiesen gelten, dass ein wenige Tage nach der Operation angefertigtes Röntgenbild diesen Gallenstein zeigt.278 Die Rechtsprechung geht dabei teils sogar so weit, dass sie eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine volle Überzeugungsbildung ausreichen lässt.279 So lag es im Fall des Käufers, der einen vermeintlich defekten Turbolader austauschen ließ, diesen aber fahrlässig nicht als Beweismittel für den anstehenden Schadensersatzprozess sicherte. Nach den Feststellungen des Sachverständigen war der in Rede stehende Sachmangel die weniger wahrscheinliche Ursache für den defekten Turbolader. Dem Bundesgerichtshof zufolge sollte dies aus276

E. Peters, ZZP 82 (1969), 200, 218. Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 444 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 444 Rn. 2. 278 I. Erg. auch BGH, NJW 1996, 779, 780; vgl. auch Jungmann, ZZP 120 (2007), 459, 464 f. 279 Man mag dieses Vorgehen mit einer Parallele zum Schadensersatzrecht rechtfertigen. Geht man von einer Pflicht des Gegners aus, der risikobelasteten Partei den entsprechenden Informationsträger zur Verfügung zu stellen, so mag ihn im Fall seiner fahrlässigen Zerstörung dem Grunde nach eine Schadensersatzpflicht aus § 280 Abs. 1 BGB treffen. Die risikobelastete Partei kann verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn ihr der Informationsträger vorgelegen hätte. Natürlich wird der Gegner einwenden, dass er den Prozess auch dann gewonnen hätte, wenn der Informationsträger in den Prozess Eingang gefunden hätte. Der Sache nach handelt es sich dabei freilich um den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens. Hierfür ist nach allgemeinen Regeln wiederum derjenige beweisbelastet, der sich darauf beruft (siehe nur MünchKomm/Oetker, BGB [7. Aufl. 2016], § 249 Rn. 224). 277

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reichen, um den Gegenteilsbeweis (§ 476 BGB) des Verkäufers als geführt anzusehen.280 Nicht mehr gestattet sei dieses methodische Vorgehen jedoch dann, wenn das Beweismittel zufällig untergegangen oder abhandengekommen sei.281

IV. Das unklare Schicksal des Beweismittels Schließlich mag man sich noch solchen Fällen zuwenden, in denen ungewiss ist, ob ein als Beweismittel tauglicher Informationsträger jemals existierte oder welches Schicksal ein solcher Informationsträger später genommen hat. §§ 371 Abs. 3, 427 Alt. 2, 441 Abs. 3 Satz 3 Alt. 2 ZPO betreffen solche Konstellationen. Es ist umstritten, wie Zweifel an der ursprünglichen Existenz eines solchen Informationsträgers im Rahmen dieser gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung zu behandeln sind. Einige wollen eine Vernehmung des Gegners nach § 426 ZPO zulassen, wenn die risikobelastete Partei die ursprüngliche Existenz schlüssig behauptet habe.282 Andere verweisen auf den Wortlaut „Verbleib“ und gestatten die Vernehmung gemäß § 426 ZPO dementsprechend nur dann, wenn wenigstens die ursprüngliche Existenz des Beweismittels zur Überzeugung des Prozessgerichts feststehe.283 Sinn ergibt diese Meinungsverschiedenheit freilich nur dann, wenn man die unterbliebene Dokumentation folgenlos stellt. So liegt es im Fall der geschriebenen Regeln über die Beweisvereitelung. Anders verhält es sich jedoch, nachdem man diese Regeln zu einem allgemeinen Institut fortentwickelt hat, das auch in der unterbliebenen Dokumentation eine potentielle Beweisvereitelung erkennt. So kommt es in einem ersten Schritt darauf an, ob der Gegner im Falle der Wahrheit seiner Behauptung, keine Urkunde erstellt zu haben, wenigstens eine Dokumentationsobliegenheit missachtet hat. Wenn das der Fall ist, kommt es für die Rechtsfolgen maßgeblich auf die innere Tatseite an. Hierzu ist jedenfalls entsprechend § 426 ZPO vorzugehen. Soweit entscheidungserheblich, kann der Gegner dann auch darüber vernommen werden, ob er die Dokumentation tatsächlich unterlassen hat. Bringt die risikobelastete Partei demgegenüber vor, dass der Gegner über seine Obliegenheiten hinaus Dokumentationen erstellt habe, so besteht kein Anlass, auf den diesbezüglichen Vollbeweis zu ver-

280

BGH, NJW 2006, 434, 436. BGH, NJW 1994, 1594, 1595. 282 RGZ 92, 222, 224 f.; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 426 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 426 Rn. 6; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 424 Rn. 2. 283 Zöller/Geimer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 426 Rn. 1; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 426 Rn. 1; MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 426 Rn. 2. 281

306 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung zichten. Gleiches gilt, wenn die risikobelastete Partei vorbringt, der Gegner besitze ein von einem Dritten erstelltes Beweismittel. Die Ungewissheit über das weitere Schicksal eines Beweismittels als zweite Alternative dieser letzten Fallgruppe kann von vornherein folglich nur dort eine Rolle spielen, wo die ursprüngliche Existenz des Beweismittels feststeht. Auch hier findet eine Vernehmung gemäß § 426 ZPO statt. Modellcharakter hat § 427 Alt. 2 ZPO. Gelangt das Prozessgericht zu der Überzeugung, dass der Gegner nach dem Beweismittel nicht sorgfältig geforscht habe, führt dies regelmäßig zu einer Tatsachenfeststellung im Sinne der risikobelasteten Partei. Im Übrigen kommen beweisrechtliche Konsequenzen im Sinne einer Beweisvereitelung nicht in Betracht.

E. Der Vergleich mit dem Lösungsansatz der h.M. Im Ergebnis mögen einige Ähnlichkeiten zwischen dem hier unterbreiteten Vorschlag eines prozessrechtlichen Aufklärungsmodells und den Grundsätzen über die Beweisvereitelung gemäß der h.M. feststellbar sein. Doch bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Lösungswegen. Diese liegen zunächst in der dogmatischen Begründung. So legt die h.M. zwar als selbstverständlich zugrunde, dass der Gegner auch jenseits von §§ 422, 423 ZPO und bürgerlichrechtlichen Herausgabepflichten dazu angehalten sei, in seinem Zugriffsbereich befindliche Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Hier bleibt allerdings nicht nur der Ursprung einer solchen allgemeinen Mitwirkungsobliegenheit unklar, vielmehr dürfte es eine solche gar nicht erst geben – jedenfalls dann nicht, wenn man mit der h.M. nemo tenetur edere contra se als umfassende Wertungsentscheidung anerkennt. Legt man mit dem hier unterbreiteten Vorschlag jedoch zugrunde, dass die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung sämtlich Konstellationen betreffen, in denen der Wahrheitsverstoß des Gegners der risikobelasteten Partei auf der Beweisebene korrigiert werden soll, hat man einen eigenständigen Grundgedanken dieser Normengruppe ermittelt. Dieser Grundgedanke ist im Beweisrecht der ZPO systemwidrig nur bruchstückhaft umgesetzt. Er macht daher eine Rechtsfortbildung erforderlich. Zugleich rechtfertigt er eine Obliegenheit des Gegners der risikobelasteten Partei, auch jenseits seiner subjektiven Beweislast und über die gesetzlichen Regeln hinaus an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken. Der Tatbestand lässt sich in Fortsetzung des für die Vortragsebene entwickelten Erwartbarkeitskriteriums definieren. Damit erübrigen sich Rückgriffe auf § 242 BGB und allgemeine Gerechtigkeitspostulate. Dieser einheitliche dogmatische Grundgedanke setzt sich auf der Rechtsfolgenseite fort. Die h.M. operiert hier mit der wenig klaren Formel von den Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast. Wenn die Beweisvereitelung als allgemeines beweisrechtliches Institut dazu dient, die Folgen

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wahrheitswidrigen Sachvortrags zu korrigieren, liegt die regelmäßige Rechtsfolge eines Tatbestands der Beweisvereitelung klar auf der Hand: Hier darf das Prozessgericht im Rahmen des § 286 Abs. 1 ZPO davon ausgehen, dass die vereitelnde Partei bereits bewusst unwahr vorgetragen hat. Deshalb erfolgt eine Tatsachenfeststellung zu Gunsten der risikobelasteten Partei. Der Annahme irgendwelcher Beweiserleichterungen bedarf es ebenso wenig wie der Umkehr der objektiven Beweislast. Damit sind zugleich die Schwierigkeiten beseitigt, die der h.M. der Umgang mit dem vereitelten Gegenbeweis bereitet. Für sog. Beweiserleichterungen kann danach nur dort Raum verbleiben, wo eine objektive Sachverhaltsaufklärung prinzipiell möglich gewesen wäre, jedoch vom Gegner der risikobelasteten Partei fahrlässig vereitelt wurde. Systemkonform können diese Beweiserleichterungen allerdings nur als Erinnerung daran verstanden werden, dass das Prozessgericht aus dem Fehlen eines womöglich optimalen Beweismittels nicht schematisch zu Lasten der risikobelasteten Partei entscheiden darf. Vielmehr sind auch andere Wege der Überzeugungsbildung zu beachten. Bei dieser Betrachtung besteht aber auch kein Unterschied mehr zwischen dem fahrlässigen und dem zufälligen Verlust eines als Beweismittel geeigneten Informationsträgers.

Zwischenergebnis Auch auf der Beweisebene ist das Informationsproblem der risikobelasteten Partei mithilfe der Wahrheitspflicht zu lösen. So betreffen die gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung Konstellationen, in denen der Gegner der risikobelasteten Partei auf der Vortragsebene regelmäßig gegen § 138 Abs. 1 ZPO verstoßen hat. Folglich führt die Würdigung des gegnerischen vereitelnden Verhaltens gemäß § 286 Abs. 1 ZPO ebenso regelmäßig dazu, dass der Beweis der risikobelasteten Partei erfolgreich geführt ist. Die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung bezwecken demnach, die Folgen unwahren Sachvortrags auf der Beweisebene zu korrigieren. So wirken sie dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei entgegen. Das Beweisrecht der ZPO setzt diese Zwecksetzung jedoch nur in den gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung und damit lückenhaft um. Um nicht wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln, ist aus den gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung ein allgemeines beweisrechtliches Institut zu entwickeln, das sämtliche wertungsmäßig gleich liegenden Konstellationen mit umfasst. Danach vereitelt der Gegner den Beweis der risikobelasteten Partei, wenn er ein erwartbares Beweismittel nicht zur Verfügung stellt. Eine solche Beweisvereitelung liegt danach vor, wenn der Gegner der risikobelasteten Partei Beweismittel trotz Präsenz und Zugriffsmöglichkeit nicht offenbart. Nicht anders liegt es, wenn der Gegner es vorsätzlich unterlässt, be-

308 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung stimmte Ereignisse zu dokumentieren, obwohl ihn mindestens eine Obliegenheit zur Dokumentation trifft. Gleiches gilt schließlich, wenn er einen als Beweismittel geeigneten Informationsträger wenigstens vorsätzlich fortgibt, vernichtet oder sonst unbrauchbar macht, obwohl ihm die Aufbewahrung dieses Informationsträgers mindestens obliegt.

§ 16 Zumutbarkeitsgrenzen Der Parteiegoismus, die Wahrheitspflicht der Parteien und der Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen beeinflussen das Informationsproblem der risikobelasteten Partei maßgeblich. Die h.M. räumt dem Parteiegoismus dabei jedenfalls in ihrem theoretischen Ausgangspunkt eine allzu bedeutende Rolle ein. Die bisherige Untersuchung war darauf gerichtet, das Verhältnis von Egoismus und Wahrheitspflicht der Parteien in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. Nun folgt die einstweilen aufgeschobene Analyse nach, wie sich der Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen284 in das hier vorgeschlagene Aufklärungsmodell einfügt.

A. Das Problem: Praktische Konkordanz widerstreitender Interessen Im hier vorgeschlagenen Aufklärungsmodell ist jede Partei gehalten, ihr Sachvorbringen mit erwartbaren aussageimmanenten Belegtatsachen zu untermauern und gegebenenfalls Beweismittel zur Verfügung zu stellen, um eine Aufklärung der objektiven Sachlage zu ermöglichen. Dahinter steht der Gedanke, dass kontroverser Sachvortrag im Prozess zugleich stets einen (wenigstens latenten) äußerungsdeliktischen Konflikt begründet, so dass die Wahrheitsprüfung äußerungsdeliktischen Anforderungen genügen muss. Folglich findet eine Abwägung zwischen der Äußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG oder 284 In Betracht kommen sowohl unternehmerische als auch private Geheimnisse. Das unternehmerische Geheimnis beschreibt BVerfGE 115, 205, 230 f.: „Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können.“; der Begriff des persönlichen Geheimnisses erfasst zwar insbesondere die Privat- und die Intimsphäre, ist aber nicht von vornherein darauf beschränkt (Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, StGB [29. Aufl. 2014], § 203 Rn. 10).

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aber – im unternehmerischen Bereich – mit Art. 12 Abs. 1 GG und gegebenenfalls Art. 14 Abs. 1 GG285 statt, wobei die Äußerungsfreiheit noch durch den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz flankiert wird. Allerdings kann es bei der Auflösung dieses äußerungsdeliktischen Konflikts nicht nur um die Wahrheitsprüfung gehen, vielmehr sind auch und gerade im Prozess legitime Geheimhaltungsinteressen nach Maßgabe des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung angemessen zu berücksichtigen.286 Hier sind unterschiedliche Konfliktlagen denkbar. Klassisch sind die Fälle, in denen man dem Gegner der risikobelasteten Partei Informationen zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung abverlangt. So liegt es etwa, wenn er seinen eigenen Quellcode offenlegen muss, um den vom Gegner erhobenen Vorwurf einer Urheberrechtsverletzung nach § 69c Nr. 1 UrhG zu entkräften. Gleichzeitig verdeutlicht diese Konstellation die bedrohten Geheimhaltungsinteressen auch der risikobelasteten Partei. Will sie ihre Ansprüche aus §§ 97, 69c Nr. 1 UrhG durchsetzen, kommt sie im Zweifel nicht umhin, ihren eigenen Quellcode im Verfahren zu offenbaren.287 Ähnlich liegt es bei betriebswirtschaftlichen Kalkulationen, die etwa Energieversorger zugänglich machen müssten, wenn sie gegenüber ihren Abnehmern einseitige Preiserhöhungen durchsetzen und diese im Rahmen einer Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB verteidigen wollen.288 Schließlich können für eine Partei datenschutzrechtliche Konflikte entstehen, wenn sie im Prozess Informationen über Dritte veröffentlichen soll. Die Situation tritt etwa ein, wenn eine Gewerkschaft Zugang zum Betrieb nach § 2 Abs. 2 BetrVG verlangt und zum Zwecke des Nachweises ihrer Vertretung im Betrieb Mitglieder benennen muss.289 Nicht anders verhält es sich, wenn ein Arbeitgeber zur Abwehr einer Diskriminierungsklage nach § 15 AGG zu erläutern hat, ob und gegebenenfalls nach welchen Kriterien ein Mitbewerber eingestellt worden ist.290

285

Siehe dazu etwa Wolff, NJW 1997, 98, 99 f. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 109 Rn. 9; zum Problem der Selbstbezichtigung siehe oben § 3 B; i. Erg. ebenso Bornkamm, in: FS für Ullmann (2006), 893, 897. 287 Schneider, Handbuch des EDV-Rechts (4. Aufl. 2009), Rn. P 143. 288 BGHZ 41, 271, 279; 97, 212, 223; 154, 5, 8; 178, 362, 374; BGH, NJW 1969, 1809 f.; 1976, 892; 1981, 571, 572; NJW-RR 2003, 1355, 1356; 2009, 2894, 2895: behauptungs- und objektiv beweisbelastet ist derjenige, der die Billigkeit für sich in Anspruch nimmt. 289 BVerfG, NJW 1994, 2347; insoweit hat die Gewerkschaft den Hauptbeweis zu führen, dass sie im Betrieb vertreten ist (Richardi, BetrVG [15. Aufl. 2016], § 2 Rn. 71). Soweit sie hierzu ihre Mitglieder namentlich benennen muss, kollidiert dies mit dem Recht des jeweiligen Arbeitnehmers, seine Mitgliedschaft gegenüber dem Arbeitgeber geheim zu halten (vgl. Staudinger/Singer, BGB [2012], § 123 Rn. 36). 290 EuGH, NJW 2012, 2497, 2498 f., verneint zwar einen Anspruch der angeblich diskriminierten Partei auf Zugang zu diesen Informationen, will aber gleichwohl eine Beweiswürdigung gegen den Arbeitgeber gemäß § 286 ZPO zulassen, wenn er diese Information nicht transparent macht. 286

310 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Die Lasten der Parteien, Beiträge zur Sachverhaltsaufklärung zu leisten, werden im Konzept der h.M. über ein selbständig zu prüfendes Zumutbarkeitskriterium begrenzt. So jedenfalls verfährt die h.M. bei der sekundären Behauptungslast,291 bei der Beweisvereitelung,292 bei der Vollständigkeitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO293 und bei bürgerlichrechtlichen Auskunftsansprüchen.294 Für das hier vorgeschlagene Aufklärungsmodell gilt dabei: Wenn es einer Partei unzumutbar ist, eine bestimmte Information zu offenbaren, dann ist diese Information keine erwartbare Belegtatsache. Was zumutbar ist und was nicht, ist anhand praktischer Konkordanz der widerstreitenden Interessen zu ermitteln. Einige grobe Leitlinien, die im Rahmen dieser praktischen Konkordanz zu berücksichtigen sind, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner „Telekom“-Entscheidung festgehalten:295 Praktische Konkordanz lasse sich dann herstellen, wenn etwa das Geheimhaltungsinteresse ohne erhebliches Gewicht sei, so dass es gerechtfertigt sei, es hinter das Interesse an effektivem Rechtsschutz zurücktreten zu lassen.296 Das komme etwa dann in Betracht, wenn der Detaillierungsgrad der zu offenbarenden Information sehr gering sei oder sie wegen ihres Alters keinen aktuell substantiellen Wert im Wettbewerb mehr habe.297

B. Das Geheimnis des Gegners der risikobelasteten Partei I. Der Vorrang des Geheimnisses Prallen die Ansprüche auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes und auf Achtung der eigenen Geheimsphäre aufeinander, so hat nach dem bislang Gesagten stets eine Abwägung der widerstreitenden Interessen298 anhand sub291 BGHZ 86, 23, 29; 100, 196, 197; 140, 156, 159; 163, 209, 214; 164, 11, 19; 184, 209, 233; BGH, NJW 1990, 3151 f.; 1999, 2887, 2888; 1999, 3485, 3486; 2003, 1039, 1040; 2005, 2395, 2397; 2007, 211, 213; 2008, 982, 984; 2009, 2894, 2895; 2010, 3363, 3365; NJW-RR 2002, 1309, 1310; 2004, 556; 2009, 1142, 1144; 2011, 90, 91; BeckOK/Wendehorst, BGB (37. Ed. 2015), § 812 Rn. 272a. 292 BGH, NJW 1993, 1391, 1392; 1998, 79, 81; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 284 Rn. 90.3, in Zusammenhang mit dem Verschuldenserfordernis. 293 BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 138 Rn. 10. 294 Siehe nur MünchKomm/Habersack, BGB (6. Aufl. 2013), § 809 Rn. 7. 295 In dem zugrunde liegenden Verfahren hatten Telekommunikationsunternehmen Bescheide der heutigen Bundesnetzagentur angefochten, mit denen diese Entgelte genehmigt hatte, die die Deutsche Telekom AG den klagenden Unternehmen für die Nutzung ihrer Netzinfrastruktur in Rechnung stellte. Die Kläger forderten von der Bundesnetzagentur, im Prozess die vollständigen Akten des Genehmigungsverfahrens – insbesondere auch die betriebswirtschaftlichen Kalkulationen der Deutschen Telekom AG – vorzulegen, um die Rechtswidrigkeit der genehmigten Netznutzungsentgelte dartun zu können. 296 BVerfGE 115, 205, 240. 297 BVerfGE 115, 205, 248. 298 BVerfGE 115, 205, 240.

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stantieller Kriterien stattzufinden.299 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien beschrieben, bei deren Vorliegen das Geheimnis nachrangig gegenüber effektivem Rechtsschutz und rechtlichem Gehör ist. Doch kann umgekehrt auch das Geheimnis Vorrang gegenüber dem Anspruch auf Justizgewähr haben. So liegt es namentlich, wenn das Geheimnis bzw. der es enthaltende Informationsträger ungeeignet ist, Beweis über die bestrittene Behauptung zu erbringen. Räumt man mit dieser Begründung dem Geheimnis Vorrang gegenüber dem effektiven Rechtsschutz ein, so liegt darin auch kein der verbotenen vorweggenommen Beweiswürdigung vergleichbarer Fall.300 Denn das Prozessgericht kann auch den Antrag nach § 424 ZPO wegen fehlender Beweiseignung des vorzulegenden Gegenstands ablehnen, um eine illegitime Ausforschung des Gegners zu vermeiden.301 Ein bekanntes Beispiel hierfür liefert die „Bärenfang“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Dort verlangte ein Spirituosenhersteller von einem Konkurrenten aufgrund von §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 UWG, es zu unterlassen, seinen Bärenfang-Likör mit der Aussage zu bewerben, dieser werde nach einem alten ostpreußischen Familienrezept hergestellt. Der Bundesgerichtshof sah den Beklagten gemäß den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast als gehalten an, an der Aufklärung der Wahrheit seiner Werbebehauptung aktiv mitzuwirken.302 Vor diesem Hintergrund diskutieren Teile der Literatur, ob es dem Beklagten zumutbar sei, seine Rezeptur im Prozess sachverständig untersuchen zu lassen.303 Dabei stellt eine solche Rezeptur je nach den Möglichkeiten ihrer chemischen Aufschlüsselung ein Betriebsgeheimnis dar.304 Doch bleibt die Frage, was in diesem Fall mit der sachverständigen Untersuchung für die Wahrheit der Werbebehauptung zu gewinnen sein soll. Schließlich besagt der konkrete Inhalt der Rezeptur selbst nichts über ihre Herkunft. Folglich kann dieser auch nicht entscheidungserheblich sein. Die Mitwirkung des insoweit nicht risikobelasteten Beklagten kann sich daher nur auf die Darlegung beziehen, wie im Einzelnen er zu einem ostpreußischen Familienrezept für diesen Likör gekommen sein will und woraus er die Originalität dieses Rezepts meint ableiten zu können.305 Insoweit kann die Offenbarung den Zweck des betrieblichen Geheimnisschutzes, nämlich die

299

BVerfGE 115, 205, 246. Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 116 Rn. 9. 301 BGH, NJW 1989, 717, 718; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 424 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 424 Rn. 8. 302 BGH, NJW 1962, 2149, 2150. 303 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm, Handbuch des Wettbewerbsrechts (4. Aufl. 2010), § 59 Rn. 191; vgl. auch Harmsen, GRUR 1969, 251, 258; Fritze, GRUR 1975, 61, 62; Stadler, NJW 1989, 1202, 1203. 304 Vgl. Gloy/Loschelder/Erdmann/Harte-Bavendamm, Handbuch des Wettbewerbsrechts (4. Aufl. 2010), § 77 Rn. 10. 305 I. Erg. BGH, NJW 1962, 2149, 2150. 300

312 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Grundlagen der Tätigkeit am Markt zu bewahren,306 von vornherein schon deshalb nicht vereiteln, weil der Hersteller selbst mit der vorgeblichen Originalität seiner Rezeptur an die Öffentlichkeit getreten ist.

II. Der Vorrang des effektiven Rechtsschutzes 1. Undetaillierte Angaben über Betriebsinterna Das Bundesverfassungsgericht hält das Betriebsgeheimnis des Gegners der risikobelasteten Partei für nachrangig gegenüber dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, wenn bereits die Offenbarung wenig detaillierter Interna sein Vorbringen als glaubwürdig bestätigt.307 Dem ist beizupflichten. Dort, wo die verlangten Informationen nämlich zu unkonkret sind, um den Wettbewerb der risikobelasteten Partei zum Nachteil des offenbarungspflichtigen Gegners zu fördern, stellt die Offenbarung den Zweck des Betriebsgeheimnisses nicht in Frage. Das ist in allen Fällen zu bejahen, in denen der Gegner bereits mit Auszügen aus Gesamtvorgängen oder geschwärzten Versionen von Informationsträgern ausreichende Belegtatsachen gegen die lediglich subjektive Unwahrheit seines Vortrags beibringen kann. Bei der markenrechtlichen Löschungsklage nach §§ 49 Abs. 1, 26 Abs. 1 Satz 1 MarkenG kann sich der Inhaber folglich der Forderung nach Belegtatsachen für seine ernsthafte Markennutzung nicht unter Hinweis auf den Schutz seiner betrieblichen Geheimsphäre entziehen. Zwar erlegt § 26 MarkenG dem Löschungskläger gerade deshalb den Hauptbeweis für die Nichtbenutzung auf, damit der Gegner seine – ebenfalls zu den geschützten Betriebsgeheimnissen zählenden308 – Umsatzzahlen, Werbeaufwendungen und anderen Unternehmensinterna über die Markenbenutzung nicht offenlegen muss.309 Doch kann der Markeninhaber die Behauptung der Nichtbenutzung konkret und aussagekräftig bestreiten, ohne detaillierte Angaben über diese Punkte machen zu müssen. Von all seinen Aktivitäten rund um die Marke muss er lediglich das Mindestnotwendige dafür vortragen, dass er die Marke tatsächlich geschäftlich mit dem Zweck verwertet, für die mit ihr gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu sichern oder zu erschließen.310 Dem kann der Inhaber bereits dadurch nachkommen, dass er exemplarisch Preis- und Bestell-Listen, Rechnungen, Werbematerial, etc. vor306

Siehe Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG (34. Aufl. 2016), § 17 Rn. 2. BVerfGE 115, 205, 248. 308 Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG (34. Aufl. 2016), § 17 Rn. 12. 309 OLG Hamburg, GRUR 1999, 339, 341; OLG Braunschweig, BeckRS 2008, 26051. 310 So die Definition der ernsthaften Markennutzung nach EuGH, GRUR 2003, 425, 428; 2006, 582, 584; Fezer, MarkenG (4. Aufl. 2009), § 26 Rn. 9, 11; insoweit gelten auch großzügige Maßstäbe. So ließ EuGH, GRUR 2006, 582, 583 f. die Veräußerung von Waren zu einem Gesamtpreis von 4800 Euro an einen einzigen Kunden innerhalb eines Jahres genügen. 307

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legt, ohne der risikobelasteten Partei Einblick in weitere gegenüber der Öffentlichkeit abgeschirmte Vorgänge zu gewähren.311 2. Die feststehende Rechtswidrigkeit des Geheimnisses Den Aufklärungsbeiträgen, die ihm mit Blick auf § 138 Abs. 1 ZPO obliegen, kann der Gegner der risikobelasteten Partei auch dann keine legitimen Geheimhaltungsinteressen entgegensetzen, wenn die Rechtswidrigkeit seines Geheimnisses von vornherein feststeht. Zwar wird jedenfalls in Zusammenhang mit § 17 UWG überwiegend auch das rechtswidrige Betriebsgeheimnis als schutzwürdig angesehen.312 Selbst bei Zugrundelegung dieser Sichtweise kann solch ein Schutz aber jedenfalls keine Wirkungen gegenüber dem Betroffenen entfalten, wenn feststeht, dass das Geheimnis rechtswidriges Verhalten oder dessen Folgen betrifft. Dementsprechend kann der Betroffene vom Schädiger etwa gemäß §§ 19 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG, 101 Abs. 3 Nr. 2 UrhG, 140b Abs. 3 Nr. 2 PatG Auskunft über die Umsätze verlangen, die dieser mit seinen rechtsverletzenden Handlungen erzielt hat. Danach kann auch der Immobilienverkäufer, der im Verlauf der Vertragsverhandlungen Angaben zu den in der Vergangenheit erzielten Nettomieterlösen gemacht hat, keinen Geheimnisschutz für seine Aufzeichnungen über ebendiese Erlöse reklamieren. Zwar genießen auch Buchhaltungsunterlagen grundsätzlich Geheimnisschutz.313 Sobald der Verkäufer die Ergebnisse seiner Buchführung aber während der Vertragsgespräche mitteilt, besteht insoweit kein Geheimnis mehr. Folglich kann die geheimhaltungsbedürftige vertrauliche Information nur darin bestehen, dass die Inhalte der Buchführung von den Verkäuferangaben abweichen.

III. Vorrang und Wahrscheinlichkeit 1. Grundsatz Häufig wird sich ein solch eindeutiger Vorrang des einen Interesses gegenüber dem anderen jedoch nicht feststellen lassen. §§ 19a Abs. 1 Satz 1 MarkenG, 101a Abs. 1 Satz 1 UrhG, 140c Abs. 1 Satz 1 PatG eröffnen der risikobelasteten Partei zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung dennoch Zugang zur gegnerischen Geheimsphäre, sofern eine Schutzrechtsverletzung hinreichend wahrscheinlich ist. Gleiches gilt für den allgemeinen Besichtigungsanspruch 311

OLG Köln, GRUR 1987, 530, 531. Ohly/Sosnitza/Ohly, UWG (6. Aufl. 2014), § 17 Rn. 12; Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG (34. Aufl. 2016), § 17 Rn. 9; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Harte-Bavendamm, UWG (3. Aufl. 2013), § 17 Rn. 8; Mayer, GRUR 2011, 884, 887; a.A. Rützel, GRUR 1995, 557, 558. 313 MünchKomm/Janssen/Maluga, StGB (2. Aufl. 2015), § 17 UWG Rn. 40. 312

314 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung des § 809 BGB.314 Unter der Voraussetzung, dass die Behauptung der risikobelasteten Partei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zutrifft, hat somit der effektive Rechtsschutz dem Grunde nach Vorrang gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Gegners. Der danach immer noch notwendige Geheimnisschutz wird dabei auf die Art und Weise verlagert, wie der geschuldete Einblick zu gewähren ist.315 Dieses gesetzlich vorgegebene Abwägungsergebnis hat Vorbildcharakter für den gesamten Konflikt zwischen effektivem Rechtsschutz und Geheimnisschutz im zivilprozessualen Beweisrecht. 2. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit a) Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung Teils heißt es, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen sei.316 Doch darf man das schon deshalb nicht im strengen Wortsinn verstehen, weil die Wahrscheinlichkeit keine Tatsache ist, die dem Beweis oder der Glaubhaftmachung zugänglich wäre. Gemeint ist vielmehr, dass das Prozessgericht entsprechend §§ 286, 294 ZPO würdigt, ob aufgrund der ihm unterbreiteten Belegtatsachen der Vortrag der risikobelasteten Partei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zutrifft.317 b) Die Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsgrads aa) Interpretationsvorschläge. Wann ein hinreichender Grad an Wahrscheinlichkeit erreicht ist, ist freilich umstritten. Manche halten am Glaubhaftmachungskriterium aus dem Gesetzentwurf zu §§ 19a MarkenG, 101a UrhG, 140c PatG fest und fordern, dass die zu beweisende Haupttatsache überwiegend wahrscheinlich zutreffe.318 Andere lassen es bereits ausreichen, dass konkrete Anhaltspunkte für die Wahrheit der von der risikobelasteten Partei behaupteten Tatsache bestehen.319 Eine dritte Meinungsgruppe verfährt am großzügigsten. Danach müsse die risikobelastete Partei zwar alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung des Anspruchs vorgelegt haben.320 Jedoch sei der Offenlegungsanspruch konsequenterweise auch dann dem Grunde nach zu gewähren, wenn die risikobelastete Partei noch kei314 BGHZ 93, 191, 207; 150, 377, 385 f.; 169, 30, 41 f.; BGH, NJW-RR 2013, 878, 879; BeckOK/Gehrlein, BGB (37. Ed. 2015), § 809 Rn. 4; MünchKomm/Habersack, BGB (6. Aufl. 2013), § 809 Rn. 4; Staudinger/Marburger, BGB (2015), § 809 Rn. 7; Bork, NJW 1997, 1665, 1668; siehe auch Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 422 Rn. 17. 315 Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 422 Rn. 16. 316 BT-Drucks. 16/5048, 40; Wandtke/Bullinger/Ohst, UrhG (4. Aufl. 2014), § 101a Rn. 13. 317 McGuire, GRURInt 2005, 15, 19; Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387, 392. 318 McGuire, GRURInt 2005, 15, 19. 319 Ingerl/Rohnke, MarkenG (3. Aufl. 2010), § 19a Rn. 8. 320 Fezer, MarkenG (4. Aufl. 2009), § 19a Rn. 19; Wandtke/Bullinger/Ohst, UrhG (4. Aufl. 2014), § 101a Rn. 13.

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nerlei Beweismittel vorlegen könne.321 Jedenfalls für den Bereich der Immaterialgüter genüge es, wenn die risikobelastete Partei Beweismittel bezeichne und substantiiert darlege, dass deren Vorlage zur Anspruchsbegründung erforderlich sei.322 bb) Keine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Bei Erfüllung des Wahrscheinlichkeitskriteriums hat der effektive Rechtsschutz dem Grunde nach Vorrang gegenüber dem Geheimnisschutz. Scheinbar spricht das dafür, eher strenge Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit zu stellen. Zu beachten ist allerdings: Solange die Behauptung der risikobelasteten Partei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wahr ist, kann sich der Gegner der Benennung und Vorlage von Belegtatsachen unter Hinweis auf die Gefährdung eines legitimen Geheimnisses entziehen. Gerade in den neuralgischen Fallgruppen des Informationsproblems lösen strenge Wahrscheinlichkeitsanforderungen für die risikobelastete Partei missliche Folgen aus. Sie selbst wird häufig über keine ausreichenden Informationen verfügen, um ihre Behauptung im Sinne einer Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich wahr darstellen zu können. Gleichzeitig bleibt dem Gegner die Möglichkeit erhalten, bewusst unwahr vorzutragen und das Informationsproblem der risikobelasteten Partei für sich wirken zu lassen. Ein solches Ergebnis widerspricht jedoch dem Sinn und Zweck der Modellvorschriften der §§ 809 BGB, 19a MarkenG, 101a UrhG, 140c PatG, das Informationsproblem der risikobelasteten Partei zu minimieren.323 Danach erweist es sich als nicht sachgerecht, die hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu interpretieren.324 cc) Kein Verzicht auf jede Wahrscheinlichkeit. Umgekehrt geht es zu weit, dem effektiven Rechtsschutz der risikobelasteten Partei bereits dann den Vorrang zu geben, wenn diese lediglich dartut, dass sie einen beim Gegner befindlichen Informationsträger für die Begründung eines potentiellen Anspruchs benötige. Danach wäre jeder abstrakt beweisgeeignete Informationsträger stets vorzulegen und es hätte der effektive Rechtsschutz wenigstens dem Grunde nach stets Vorrang gegenüber dem Schutz der Geheimsphäre. Dies wäre mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht verein321

Fezer, MarkenG (4. Aufl. 2009), § 19a Rn. 20. Fezer, MarkenG (4. Aufl. 2009), § 19a Rn. 20, unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. 323 Der Sache nach Erman/Wilhelmi, BGB (14. Aufl. 2014), Vor § 809 Rn. 1: „Sie normieren einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch, ihrer praktischen Bedeutung nach gehören sie jedoch überwiegend in das Prozessrecht, denn ihr Zweck liegt darin, die Durchsetzung oder Feststellung von Ansprüchen zu erleichtern.“ 324 Ingerl/Rohnke, MarkenG (3. Aufl. 2010), § 19a Rn. 8. 322

316 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung bar:325 Werde exklusives wettbewerbserhebliches Wissen den Konkurrenten zugänglich, mindere dies die Möglichkeit, die Berufsausübung unter Rückgriff auf dieses Wissen erfolgreich zu gestalten. So könnten unternehmerische Strategien durchkreuzt werden. Auch könne ein Anreiz zu innovativem unternehmerischen Handeln entfallen, weil die Investitionskosten nicht eingebracht werden könnten, während gleichzeitig Dritte unter Einsparung solcher Kosten das innovativ erzeugte Wissen zur Grundlage ihres eigenen beruflichen Erfolgs in Konkurrenz mit dem Geheimnisträger nutzten. Schutzmaßnahmen bei der Art und Weise, wie der vorgelegte Informationsträger im Prozess ausgewertet wird, können den dem Grunde nach verloren gegangenen Geheimnisschutz nicht vollständig kompensieren.326 Denn in jedem Fall muss die Offenbarung gegenüber dem Prozessgericht als staatlichem Hoheitsträger erfolgen, worin bereits ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in das Geheimnis liegt.327 Aus Art. 6 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie ergibt sich nichts anderes. So kollidiert dort zunächst das vermeintlich verletzte Schutzrecht der risikobelasteten Partei mit dem potentiell legitimen gegnerischen Geheimnis. Dieses genießt europäischen Grundrechtsschutz gemäß Art. 8, 16 GRC328 und kann schon deshalb nicht als voraussetzungslos nachrangig gegenüber dem effektiven Rechtsschutz angesehen werden. Es kommt hinzu, dass dem vermeintlich verletzten Recht des Anspruchstellers ein potentielles eigenes Schutzrecht des Anspruchsgegners gegenübersteht, wenn dieser sich – etwa im Streit um Quellcodes bei konkurrierenden Softwareprodukten – auf ein eigenes Urheberrecht beruft. Gemäß ihrer Begründungserwägung (2) dient die Durchsetzungsrichtlinie jedoch dem Schutz aller Erfinder und Schöpfer. Deshalb kann Art. 6 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie nicht in einem Sinn interpretiert werden, der dem effektiven Rechtsschutz eines vermeintlich verletzten Schutzrechts des Anspruchstellers stets den Vorrang gegenüber dem potentiell eigenen Schutzrecht des Anspruchsgegners gewährt. dd) Fazit. Danach rechtfertigt das Wahrscheinlichkeitskriterium einen Übergriff in die gegnerische Geheimsphäre bereits, aber auch erst dann, wenn der Vortrag der risikobelasteten Partei ebenso wahrscheinlich wahr wie unwahr ist. Ob das der Fall ist, beurteilt das Prozessgericht anhand einer freien, § 286 Abs. 1 ZPO entsprechenden Würdigung329 aufgrund aller vorgetragenen Belegtatsachen einschließlich etwaiger Beweismittel.

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BVerfGE 115, 205, 230. A.A. Fezer, MarkenG (4. Aufl. 2009), § 19a Rn. 20. 327 BVerfGE 115, 205, 230. 328 Vgl. Calliess/Ruffert/Kingreen, AEUV (4. Aufl. 2011), Art. 8 GRC Rn. 11; Streinz/ Michl, EuZW 2011, 384, 385. 329 BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 294 Rn. 3. 326

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c) Wahrscheinlichkeitsbegründung und Indizienvortrag Die Auseinandersetzung um den Geheimnisschutz betrifft in aller Regel solche Belegtatsachen des Gegners der risikobelasteten Partei, die auf der Vortragsebene direkt unter ein Tatbestandsmerkmal einer anspruchs- oder einwendungsbegründenden Norm subsumierbar sind oder auf der Beweisebene als direkte Beweismittel in Betracht kommen. Folglich kann die hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht aus solchen direkten Tatsachen resultieren, sondern muss sich aus vorgebrachten Indizien ergeben. Der Gegner, der sein Geheimnis unter welchen Modalitäten auch immer nicht offenbaren will, verteidigt sich dadurch, dass er diese Indizien entkräftet. Wenn frühere Mitarbeiter der risikobelasteten Partei als Selbständige kurze Zeit später eine eigene, aber gleichartige Software am Markt präsentieren, dann ist es regelmäßig hinreichend wahrscheinlich, dass sie hierbei eine Urheberrechtsverletzung nach § 69c Nr. 1 UrhG begehen.330 Ebenso liegt es, wenn die risikobelastete Partei konkret aufzeigen kann, wie der Gegner sich rechtswidrig Zutritt zu ihrem Quellcode verschafft haben331 oder wie er vertraglich eingeräumte Lizenzrechte überschritten haben könnte.332 Hingegen genügt es für sich betrachtet nicht, dass das Softwareprodukt der risikobelasteten Partei und dasjenige ihres Gegners lediglich äußerliche Übereinstimmungen aufweisen, etwa bei der Datensatzlänge oder dem Aussehen der Benutzeroberfläche in Aufbau, Schriftbild und Funktionalitäten. Ohne weitere Hinweise auf eine Verletzungshandlung spricht hier die größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Gegner die andere Software zulässigerweise nachprogrammiert hat.333 Dass der Gegner das Verfahrenspatent der risikobelasteten Partei gemäß §§ 9 Satz 2 Nr. 1, 139 Abs. 1 Satz 1 PatG verletzt, ist noch nicht hinreichend wahrscheinlich, wenn er lediglich ebenfalls Erzeugnisse der patentgemäßen Gattung herstellt.334 Vielmehr muss für die Herstellung beider Erzeugnisse das identische technische Problem zu lösen sein. Darüber hinaus müssen objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass für das gegnerische Erzeugnis die fremde patentierte Lehre zur Anwendung kommt.335 Solche Anhaltspunkte kann die risikobelastete Partei etwa aus einer Untersuchung des öffentlich einsehbaren Bereichs einer Maschine mit Rückschlüssen auf die zugrunde liegende Technik gewinnen.336 Ebenso mag sie aufzeigen, dass nach dem Stand der Technik keine anderen Lösungsansätze ersichtlich sind als diejenigen, die zu ihren Gunsten patentiert sind.337 Sein von der patentierten Lehre abweichendes Know-how 330 331 332 333 334 335 336 337

Bork, NJW 1997, 1665, 1668. Vgl. LG Köln, MMR 2009, 640, 641 f. BGH, NJW-RR 2013, 878, 880. LG Köln, MMR 2009, 640, 643. BGHZ 93, 191, 206. BGHZ 93, 191, 207. OLG Düsseldorf, GRUR 1983, 741, 745. Meyer-Dulheuer, GRURInt 1987, 14, 15.

318 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung kann der Gegner dann verteidigen, indem er allgemein einen plausiblen Weg benennt, auf dem eine Fortentwicklung des Stands der Technik denkbar erscheint. d) Wahrscheinlichkeit und Gegenbeweis Besonderheiten ergeben sich beim Gegenbeweis. Dieser ist erfolgreich, wenn er den vorläufig erfolgreich geführten Hauptbeweis in Zweifel zieht.338 Sobald das Prozessgericht mit einer Wahrscheinlichkeit von ½ davon ausgeht, dass der Vortrag der mit der Führung des Gegenbeweises belasteten Partei zutrifft, ist der Gegenbeweis selbstverständlich gelungen. Das ist allerdings bereits bei einer sehr viel niedrigeren Wahrscheinlichkeit der Fall. Der Sache nach geht es hier dann nicht um die Frage, wann die mit der Führung des Gegenbeweises belastete Partei Zugriff auf geheime Belegtatsachen inklusive Beweismittel ihres Gegners erhält, um von Informationsproblemen in Bezug auf ihren Gegenbeweis entlastet zu werden. Vielmehr geht es darum, inwieweit die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei dazu angehalten ist, im Interesse des eigenen Prozesserfolgs Geheimnisse zu offenbaren.339 3. Die Rechtsfolge Dass der Vortrag der risikobelasteten Partei hinreichend wahrscheinlich zutrifft, lässt die Schutzwürdigkeit des gegnerischen Geheimnisses nicht entfallen. Denn immerhin besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass das gegnerische Geheimnis legitim und die Behauptung der risikobelasteten Partei objektiv unwahr ist. Um dieser Möglichkeit Rechnung zu tragen, soll folglich nur ein möglichst schonender Eingriff in das Geheimnis stattfinden. Einfachgesetzlichen Niederschlag hat das in §§ 19a Abs. 1 Satz 3 MarkenG, 101a Abs. 1 Satz 3 UrhG, 140c Abs. 1 Satz 3 PatG gefunden.340 In Betracht kommt etwa die Vorlegung geschwärzter Informationsträger.341 Außerdem kann das Prozessgericht etwa nach § 172 Abs. 2 GVG die Öffentlichkeit ausschließen und gemäß § 174 Abs. 3 GVG die Geheimhaltung der verhandelten Tatsachen anordnen.342 338 BGHZ 147, 203, 2011; BGH, NJW 1983, 1740; NJW-RR 1988, 881; 1997, 1285; 2007, 351, 352; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 284 Rn. 29; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 13. 339 Dazu sogleich C. 340 Diese Vorschriften lauten übereinstimmend: „Soweit der vermeintliche Verletzer geltend macht, dass es sich um vertrauliche Informationen handelt, trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz zu gewährleisten.“ 341 Ingerl/Rohnke, MarkenG (3. Aufl. 2010), § 19a Rn. 19; Mes, PatG (3. Aufl. 2011), § 140c Rn. 45; Stürner, JZ 1985, 453, 458; Frank/Wiegand, CR 2007, 481, 486; Kitz, NJW 2008, 2374, 2376; vgl. auch LG München I, Beschl. v. 1.12.2010 – 21 OH 7432/10 [juris]. 342 Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 422 Rn. 16.

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C. Das Geheimnis der risikobelasteten Partei Auch die risikobelastete Partei kann sich im Zivilprozess grundsätzlich auf den Schutz ihrer legitimen Geheimhaltungsinteressen berufen.343 Sie verliert ihren Geheimnisschutz also nicht allein deshalb, weil die geheime Information im Prozess zu ihren Gunsten wirkt.344 Vielmehr gelten auch hier die Grundsätze über die praktische Konkordanz.345

I. Vorrang des Geheimnisses Parallel zum Geheimnisschutz der nicht risikobelasteten Partei gibt es auch hier Fälle, in denen das Geheimnis zunächst nur scheinbar entscheidungserheblich ist. Das betrifft namentlich interne betriebswirtschaftliche Kalkulationen des Anspruchstellers. 1. Die abstrakte Schadensberechnung gemäß § 252 Satz 2 BGB Ein einfaches Beispiel liefert die Berechnung des entgangenen Gewinns gemäß §§ 249 Abs. 1, 252 Satz 1 BGB. Geht es um den entgangenen Verdienst aus selbständiger Arbeit, so ist die Gewinnminderung konkret festzustellen.346 Dabei hat der Geschädigte die Tatsachen, die seine Gewinnerwartung begründen, im Einzelnen darzulegen und notfalls zu beweisen.347 Diese Formulierungen legen die Annahme nahe, dass der Geschädigte seine vollständige Kostenkalkulation offenlegen muss. Doch gestattet § 252 Satz 2 BGB gerade eine typisierte Schadensberechnung, die dem Anspruchsteller den Nachweis seines konkreten Schadens erleichtert.348 In diesem Zusammenhang kann das Prozessgericht bei der Ermittlung des Nettogewinns etwa die ersparten Aufwendungen branchenspezifisch pauschal in Abzug bringen, ohne dass eine Offenlegung der konkreten Kostenkalkulation erforderlich wäre (sog. abstrakte Schadensberechnung).349 2. Die Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB Manche Instanzgerichte legten in Zusammenhang mit der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB strengere Maßstäbe an. So sollte die risikobelastete Partei konkret und im Einzelnen zu ihrer Kostenstruktur vortragen, darüber 343 344 345 346 347 348 349

BGHZ 178, 362, 382; BGH, NJW 2009, 2894, 2896. Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 276. BVerfGE 115, 205, 235; BGHZ 178, 362, 382; BGH, NJW 2009, 2894, 2896. Palandt/Grüneberg, BGB (75. Aufl. 2016), § 252 Rn. 14. BGHZ 54, 45, 55; BGH, NJW 1964, 661, 662; 1988, 3016, 3017; NJW-RR 1992, 997, 998. BGHZ 74, 221, 224; 100, 36, 49. MünchKomm/Oetker, BGB (7. Aufl. 2016), § 252 Rn. 12.

320 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung hinaus dazu, welcher Gewinn mit dem einzelnen Endkunden erzielt werden solle, um Rücklagen zu bilden, Investitionen zu finanzieren oder aufgenommenes Kapital zu verzinsen.350 Die konkret kalkulierte Gewinnmarge sollte einer Angemessenheitsprüfung unterzogen werden, ebenso der Gesamtarbeitspreis.351 Insoweit müsse der Energieversorger seine Bezugsverträge vorlegen, erläutern, wie und weshalb Bezugspreise gestiegen seien, dartun, welche Maßnahmen er zur Vermeidung von Bezugspreissteigerungen ergriffen habe, und die Gesamtkosten seines Rohstoffbezugs mitteilen.352 Hier forderte die Rechtsprechung im Ergebnis nicht weniger, als die öffentliche Preisgabe der gesamten Unternehmensplanung der risikobelasteten Partei. Würde die Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB ihr tatsächlich solch detaillierte Unternehmensinterna abfordern, müssten konkrete Maßnahmen zu deren Schutz vor Veröffentlichung getroffen werden.353 Letztlich überspannte die erwähnte Instanzrechtsprechung jedoch ihre eigene Prüfungskompetenz ebenso wie die Anforderungen an das Vorbringen der risikobelasteten Partei.354 So kontrolliert das Prozessgericht bei einer einseitigen Preisanpassung in Dauerschuldverhältnissen lediglich, ob sie das ursprünglich vereinbarte Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Interesse beider Parteien aufrechterhalte.355 Die entsprechenden Tatsachen hierfür liefert die risikobelastete Partei bereits dadurch, dass sie die Steigerung ihres Bezugspreises konkret angibt und dieses Vorbringen etwa durch Wirtschaftsprüfertestate weiter untermauert.356 Auf diese Weise erreichen die erforderlichen Angaben der risikobelasteten Partei einen Abstraktionsgrad, der ihren Wettbewerb nicht mehr gefährdet. Weiter reichende Einblicke in ihre betriebswirtschaftlichen Daten sind bereits nicht entscheidungserheblich.

II. Der Aktivprozess der risikobelasteten Partei im Übrigen Doch lässt sich der Schutz geheimhaltungsbedürftiger Informationen der risikobelasteten Partei nicht stets über das materiellrechtliche Entscheidungsprogramm gewährleisten. In ihren übrigen Aktivprozessen kommt ein Schutz ihrer geheimen Belange wenigstens in aller Regel lediglich über die Art und Weise der Offenbarung im Prozess in Betracht. So hat sich ein Geheimhaltungsinteresse der risikobelasteten Partei gegenüber ihrem Gegner jedenfalls dort erledigt, wo dieser es aufgrund des zwi350 351 352 353 354 355 356

LG Duisburg, Urt. v. 10.5.2007 – 5 S 76/06 [juris]. LG Duisburg, Urt. v. 10.5.2007 – 5 S 76/06 [juris]. LG Duisburg, Urt. v. 10.5.2007 – 5 S 76/06 [juris]. BGHZ 178, 362, 381 f. BGHZ 178, 362, 374. BGHZ 178, 362, 375. BGHZ 178, 362, 376 f.

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schen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses ohnehin bereits kennt. Das gilt namentlich für den Haftungsprozess gegen den behandelnden Arzt. Keinen Geheimnisschutz kann es in diesen Fällen auch gegenüber etwaigen Drittbeteiligten wie Streitgenossen oder Nebenintervenienten geben. Das folgt daraus, dass der Kreis dieser möglicherweise am Prozess Beteiligten prozessrechtlich auf solche Personen beschränkt ist, die einen engen Bezug zum Streitgegenstand bzw. ein berechtigtes eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens haben.357 Je nach Gestaltung des einzelnen Falls kommen hier lediglich Schutzmaßnahmen gemäß §§ 172 ff. GVG in Betracht.358 Aber auch die Kenntnis des Gegners vom anspruchsbegründenden Geheimnis der risikobelasteten Partei muss nicht von vornherein feststehen. Abermals mag das Beispiel der Schadensersatzklage wegen eines vermeintlich nach § 69c Nr. 1 UrhG verletzten Quellcodes zur Veranschaulichung dienen. Hier mutmaßt die risikobelastete Partei lediglich, dass der Gegner mit ihrem Geheimnis bereits vertraut ist; mit Sicherheit erführe sie es lediglich im Rahmen einer sachverständigen Überprüfung beider Codes. Für den Fall, dass sich ihr Verdacht als unbegründet erweist, verliert sie nicht nur den Prozess, sondern offenbart auch ihren zuvor geheimen Code. Es liegt auf der Hand, dass sie dieses Risiko dort tragen muss, wo sie anhand von Indizien lediglich eine Verletzungswahrscheinlichkeit von ½ dartun konnte. Doch auch bei Vorliegen starker Indizien für eine Verletzung – etwa Aussagen gegnerischer Mitarbeiter oder durch reverse engeneering ermittelte Übereinstimmungen in den inneren Strukturen beider Programme359 – wird die risikobelastete Partei kaum jemals umhin kommen, ihren Quellcode zur Anspruchsbegründung vorzulegen. So muss der Gegner beim Prozessgericht lediglich solche Zweifel am anspruchsbegründenden Vorbringen aufrechterhalten, dass es sich von seiner Wahrheit nicht gemäß § 286 Abs. 1 ZPO überzeugen kann. Solange die risikobelastete Partei über ein direktes Beweismittel verfügt, welches sie zur Beweisführung aber nicht vorzulegen bereit ist, wird ihm dies praktisch stets gelingen.

III. Der Passivprozess der risikobelasteten Partei Doch geht es nicht stets nur um Ansprüche der risikobelasteten Partei. Vielmehr kann auch sie vor der Wahl stehen, entweder ihr Geheimnis zu offenbaren oder den Prozess zu verlieren. In dieser Situation befindet sie sich, wenn die Offenbarung des Geheimnisses Bestandteil des Hauptbeweises wider den 357 Für die Streitgenossenschaft siehe MünchKomm/Schultes, ZPO (4. Aufl. 2013), § 59 Rn. 8 f.; für den Nebenintervenienten siehe Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 50 Rn. 12. 358 Siehe dazu MünchKomm/Zimmermann, ZPO (4. Aufl. 2013), Rn. 4, 11. 359 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, UrhG (4. Aufl. 2014), § 69c Rn. 12.

322 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung gegnerischen Anspruch ist. Gleiches gilt, wenn sie nur durch Offenbarung der vertraulichen Information den vorläufig erfolgreich geführten Hauptbeweis ihres Gegners erschüttern kann. 1. Der Hauptbeweis der risikobelasteten Partei Nur selten sind die Fälle, in denen die risikobelastete Partei sich mit dem Hauptbeweis eines gegnerischen Vorwurfs erwehren und hierzu eine vertrauliche Information offenbaren muss. Exemplarisch für diese Fallgruppe steht § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG: Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses, so gilt bis zum Beweis des Gegenteils das gleiche Erzeugnis, das von einem anderen hergestellt worden ist, als nach dem patentierten Verfahren hergestellt. Ebenso wie im Aktivprozess steht die risikobelastete Partei auch hier gegebenenfalls vor der Entscheidung zwischen der Bewahrung ihres Geheimnisses und dem Sieg im Prozess. So liegt es namentlich, wenn sie ihr Erzeugnis nach einem eigenen Verfahren herstellt, das jedoch lediglich als geheimes Know-how rechtlichen Schutz genießt.360 Anders als im Fall ihres Aktivprozesses kann sie hier jedoch nicht steuern, ob es zum Prozess kommt oder nicht. Vorschriften, die es wie § 139 Abs. 3 PatG der risikobelasteten Partei abverlangen, zur Führung des Hauptbeweises wider den gegnerischen Anspruch vertrauliche Informationen zu offenbaren, verkürzen den Geheimnisschutz der risikobelasteten Partei deshalb stark zu Gunsten des effektiven Rechtsschutzes ihres Gegners. Dennoch widerspricht eine solche gesetzgeberische Gestaltung nicht von vornherein den Grundsätzen praktischer Konkordanz. So hat der Gesetzgeber ganz allgemein einen Beurteilungsspielraum, wie er widerstreitende grundrechtliche Interessen zueinander ins Verhältnis setzen möchte.361 Nichts anderes gilt für den Konflikt zwischen Geheimnisschutz und effektivem Rechtsschutz.362 Stärkt er dabei die eine Position beträchtlich auf Kosten der anderen, so müssen die Belange der begünstigten Rechtsposition entsprechend wichtig sein.363 Danach bedarf es besonderer Rechtfertigung, wenn der erfolgreiche Passivprozess der risikobelasteten Partei davon abhängen soll, dass sie ein schutzwürdiges Geheimnis preisgibt. Das mag die Erklärung dafür sein, dass der Gesetzgeber nur selten solche Gestaltungen wählt. In der besonderen Konstellation des § 139 Abs. 3 PatG liegen solche Rechtfertigungsgründe jedoch vor. Zunächst ist § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG die prozessrechtliche Konsequenz daraus, dass das Verfahrenspatent gemäß § 9 Nr. 3 PatG auch die unmittelbar durch das patentierte Verfahren hergestellten Erzeugnisse erfasst.364 360 361 362 363 364

Mes, PatG (3. Aufl. 2011), § 139 Rn. 380; kritisch Stürner, JZ 1985, 453, 459. Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX (3. Aufl. 2011), § 197 Rn. 109. BVerfGE 115, 205, 234. Calliess, in: Merten/Papier, HGR II (2006), § 44 Rn. 34. Benkard/Rogge/Grabinski, PatG (10. Aufl. 2006), § 139 Rn. 120.

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Außerdem ist § 139 Abs. 3 PatG tatbestandlich sehr eng gefasst, so dass bei seiner Verwirklichung bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der in Anspruch Genommene das fremde Verfahrenspatent tatsächlich verletzt. So muss der Anspruchsteller vorbringen und nötigenfalls beweisen, dass das vermeintlich verletzende Erzeugnis von gleicher Beschaffenheit wie das Erzeugnis ist, das aus dem patentierten Verfahren hervorgeht.365 Das wiederum setzt voraus, dass beide Erzeugnisse entweder in stofflicher Zusammensetzung und Eigenschaften identisch sind366 oder etwaige Unterschiede nach der technischen Erfahrung auf eine bloß unterschiedliche Ausführung des patentierten Verfahrens zurückzuführen sind.367 Eine weitere Einschränkung erfährt der Anwendungsbereich des § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG schließlich dadurch, dass er nur solche Verfahren erfasst, die ein im Sinne des § 3 PatG neues Erzeugnis hervorbringen.368 Und weiter kann sich die risikobelastete Partei gegen das Dilemma des § 139 Abs. 3 PatG dadurch schützen, dass sie ihr Verfahren patentrechtlichem Schutz unterstellen lässt. Wenn die gesetzgeberische Entscheidung für eine solche Schwächung des Geheimnisschutzes gegenüber dem effektiven Rechtsschutz dennoch praktische Konkordanz schafft, so ist praktisch kein Fall mehr denkbar, in dem die risikobelastete Partei im Prozess obsiegen und dennoch ihr Geheimnis bewahren kann. Was die notwendige Offenbarung ihres Geheimnisses als eines direkten Beweismittels anbelangt, so gelten dieselben Erwägungen wie für ihren Aktivprozess, bei dem das Geheimnis entscheidungserheblich ist. Schutzvorkehrungen können nur noch hinsichtlich der Art und Weise der Offenbarung geschehen, wiederum etwa durch Maßnahmen nach §§ 172 ff. GVG. Dem entspricht die Regelung des § 139 Abs. 3 Satz 2 PatG. 2. Der Gegenbeweis der risikobelasteten Partei Häufiger mag der Gegner seinen Hauptbeweis erfolgreich geführt haben, so dass der risikobelasteten Partei nun der Gegenbeweis obliegt und sie diesen nur durch Preisgabe einer vertraulichen Information zu führen vermag. Als praktisches Beispiel für diese Konstellation wird regelmäßig der Anscheinsbeweis genannt. Etwa für die patentverletzende Konstruktion einer Maschine soll dieser dann geführt sein, wenn der in Anspruch Genommene ein früherer Lizenznehmer des Patentinhabers ist und die vermeintlich verletzende Maschine nicht nur dieselbe Funktion erfüllt wie diejenige, für deren Arbeits365

BGHZ, 67, 38, 43; LG Düsseldorf, BeckRS 2008, 16495; Mes, PatG (3. Aufl. 2011), § 139 Rn. 379; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG (10. Aufl. 2006), § 139 Rn. 122; Fritze, GRURInt 1997, 143, 146. 366 LG Düsseldorf, BeckRS 2008, 16495. 367 BGHZ 67, 35, 44. 368 So Benkard/Rogge/Grabinski, PatG (10. Aufl. 2006), § 139 Rn. 121; großzügiger Mes, PatG (3. Aufl. 2011), § 139 Rn. 379.

324 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung weise das Patent besteht, sondern mit dieser auch äußerlich übereinstimmt.369 Ebenso soll die Verletzung eines Verfahrens zur Herstellung eines natürlich vorkommenden biochemischen Stoffs prima facie nachgewiesen sein, wenn sämtliche nach dem Stand der Wissenschaft und Technik bekannten Verfahren mit Ausnahme des patentierten nur eine unwirtschaftliche Ausbeute an dem Erzeugnis erlauben370 oder wenn sämtliche nach dem Stand der Wissenschaft und Technik denkbaren Verfahren in der Hand eines Inhabers konzentriert sind. Allerdings hat diese Fallgruppe bestenfalls einen geringen eigenständigen Wert. Betrachtet man die Beispielskonstellationen, so ging es im Ausgangspunkt um den Hauptbeweis des Gegners. Um diesen direkt zu führen, bedürfte er der bei der risikobelasteten Partei liegenden vertraulichen Information. Auf deren Offenlegung hat er nach dem oben Gesagten bereits dann dem Grunde nach einen Anspruch, wenn sein Vorbringen nach freier richterlicher Überzeugung mit einer Wahrscheinlichkeit von ½ zutrifft. Hier freilich ist dem vormals risikobelasteten Gegner mittels indirekter Beweisführung der Hauptbeweis einstweilen gelungen. Weckt die mit Gegenbehauptung und Gegenbeweis belastete Partei mittels Gegenindizien neuerliche Zweifel an der vorläufigen Überzeugung des Gerichts, steht der Gegner abermals vor der Aufgabe, den Hauptbeweis zu führen.371 Nun sind zwei Szenarien denkbar: Entweder ist der Vortrag des Gegners immer noch mit einer Wahrscheinlichkeit von ½ wahr. Dann hat er bereits nach dem bislang Gesagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Offenlegung. Oder der erfolgreiche Gegenbeweis senkt die Wahrscheinlichkeit auf unter ½. Dann hat das Geheimnis der risikobelasteten Partei bereits nach allgemeinen Regeln Vorrang. Einen eigenen Wirkungsbereich hat die Fallgruppe demnach nur in den eher theoretischen Fällen, in denen einerseits der Hauptbeweis mit Indizien und allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgreich ist, andererseits der Gegenbeweis nur durch die vertrauliche Information als direktes Beweismittel erfolgen kann. Da der Gegner der mit dem Gegenbeweis belasteten Partei in dieser Situation unmittelbar vor der Verwirklichung seines Rechtsschutzgesuchs steht, ist es gewiss nicht unverhältnismäßig, für den erfolgreichen Gegenbeweis die Offenbarung des Geheimnisses wenigstens dem Grunde nach zu verlangen. Gegebenenfalls bleibt immer noch die Möglichkeit, den Geheimnisschutz bei der Art und Weise der Offenlegung zu berücksichtigen.

369 370 371

RG, GRUR 1936, 100, 103. Meyer-Dulheuer, GRURInt 1987, 14, 15. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 286 Rn. 13.

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D. Die Geheimnisse Dritter Schließlich bleiben die Fälle zu betrachten, in denen die vertrauliche Information nicht einer der Parteien, sondern einem Dritten zugeordnet ist. Hier steht die risikobelastete Partei als des Dritten Geheimnisbewahrer vor der Wahl, ihre Pflicht zur Wahrung des ihr anvertrauten Geheimnisses zu erfüllen oder den Prozess zu verlieren. Das Bundesverfassungsgericht spricht von sog. „mehrpoligen Rechtsverhältnissen“, bei denen ebenfalls durch Abwägung praktische Konkordanz zwischen den widerstreitenden Interessen herzustellen sei.372

I. Die Wertung der §§ 383 ff. ZPO Modellhaft ist das Dreiecksverhältnis zwischen den Parteien und dem dritten Geheimnisträger in §§ 383 ff. ZPO geregelt. Es liegt nahe, die entsprechenden gesetzlichen Wertungen zur Lösung der hier bestehenden Konfliktlage heranzuziehen. So mag man hieraus zunächst ableiten, dass der dritte Geheimnisträger dann, wenn er als Zeuge die vertrauliche Information zurückhalten dürfte, auch deren Preisgabe durch die Prozesspartei nicht hinnehmen muss. Unternehmerische Geheimnisse des Dritten wären danach über § 384 Nr. 3 ZPO praktisch umfassend geschützt.373, 374 Konsequenterweise muss Gleiches dann gelten, wenn die risikobelastete Partei dem Dritten gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und deshalb in einer hypothetischen Zeugenrolle ihm gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet wäre.

II. Die Anwendung auf die Ausgangsbeispiele Wendet man diese einfachgesetzliche Wertung auf die Ausgangsbeispiele an, dürfte zunächst die auf Zugang nach § 2 Abs. 2 BetrVG klagende Gewerkschaft die Namen ihrer im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter nicht kundtun, 372 BVerfGE 115, 205, 233: „In den hier betroffenen Rechtsverhältnissen können die für bipolare Konfliktlagen entwickelten Regeln zur abwägenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs nicht ohne Anpassung an die Besonderheiten der Mehrpoligkeit, und damit nicht ohne Beachtung der Möglichkeit jeweils unterschiedlicher Beeinträchtigungen und Begünstigungen, angewendet werden.“ 373 Vgl. Stürner, JZ 1985, 453, 460. 374 Die Wertung der § 384 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO ist auf die hier zu beurteilende Konstellation indes nicht übertragbar. Danach darf der Zeuge die Aussage auch dann verweigern, wenn diese ihm unmittelbar einen Vermögensnachteil verursachen bzw. ihn der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzte. Dass damit allerdings kein Anspruch auf strikte Geheimhaltung solcher Informationen verbunden ist, zeigen bereits §§ 19 Abs. 1 MarkenG, 101 Abs. 1 UrhG, 140b Abs. 1 PatG. Das illegitime Geheimnis des Dritten genießt in diesem Zusammenhang folglich ebenso wenig Schutz, wie dasjenige der Prozesspartei selbst.

326 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung weil eine Preisgabe der Information der Wertung des § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO widerspräche.375 Danach hält die Gewerkschaft zwar keine erwartbare Belegtatsache zurück, wenn sie ihre Schweigepflicht beachtet. Das Prozessgericht darf ihren Vortrag daher nicht ohne Weiteres als bewusst unwahr i.S.d. § 138 Abs. 1 ZPO behandeln. Dennoch droht sie den Prozess wegen ihrer objektiven Beweislast zu verlieren. Sachwidrig ist das Ergebnis in diesem Fall nicht. Denn indem ihre Mitglieder die Einwilligung verweigern, im Prozess namentlich genannt zu werden, machen sie zugleich deutlich, dass sie eine Präsenz betriebsfremder Gewerkschaftsmitglieder an ihrem Arbeitsplatz nicht wünschen. Da die gewerkschaftliche Präsenz im Betrieb vornehmlich der Wahrnehmung von Mitgliederinteressen dient, ist diese Haltung auch nicht treuwidrig oder missbräuchlich. Davon unabhängig besteht für die Gewerkschaft stets die Option, ihre Schweigepflicht zu missachten und auf diese Weise den Prozesssieg zu erlangen.376 Auch im Fall der Diskriminierungsklage schuldet der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer die Beachtung arbeitnehmerdatenschutzrechtlicher Bestimmungen. Jedoch resultiert daraus kein Weigerungsrecht gemäß § 383 ZPO. Folglich hat in diesem Fall das Interesse an der Sachverhaltsaufklärung und dem effektiven Rechtsschutz der Parteien Vorrang gegenüber den Geheimhaltungsinteressen des Dritten. Sobald entsprechend detaillierte Informationen entscheidungserheblich werden, ist der Arbeitgeber folglich gehalten, den Arbeitnehmer, mit dem er die ausgeschriebene Stelle besetzt hat, zu benennen und nähere Angaben zum Entscheidungsprozess zu machen. Tut er dies nicht, wird jedenfalls die objektive Beweislast zu einer Entscheidung gegen den Arbeitgeber führen. So lautet jedenfalls die Konsequenz aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.377 Dieses Ergebnis ist aber spätestens dann mindestens bedenklich, wenn im Verfahren mehrere besonders diskriminierungsanfällige Bewerber konkurrierten und der Arbeitgeber etwa einem im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX Schwerbehinderten den Vorzug gab. Jedoch liefert auch hier das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit des Geheimnisses ausreichenden Spielraum, um solche Situationen zu vermeiden. Zum einen wird der Arbeitgeber meist unverdächtige Beweggründe liefern können, die gegen die Anstellung des Diskriminierungsklägers sprechen. Zum anderen sollte man für eine ausreichende Begründung der Diskriminierungs375

Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 383 Rn. 73. Zwar bedeuteten die namentliche Nennung des Mitglieds und die Vorlegung des Mitgliedschaftsantrags o.ä. eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Da jedoch die Gewinnung der beweiserheblichen Information nicht unter Missachtung fremder Persönlichkeitsrechte erfolgte, wird man von einem Beweisverwertungsverbot kaum ausgehen können (vgl. im Einzelnen Musielak/Voit/Foerste, ZPO [11. Aufl. 2014), § 286 Rn. 7 f.). Zu alternativen Möglichkeiten der Beweisführung ohne die Nennung der Mitglieder siehe Richardi, BetrVG (15. Aufl. 2016), § 2 Rn. 71. 377 Dagegen zu Recht kritisch Kock, NJW 2012, 2499. 376

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klage auf der Vortragsebene mehr erwarten als das klägerische Vorbringen, er gehöre zu einer besonders diskriminierungsanfälligen Personengruppe, erfülle die Kriterien der Stellenausschreibung und habe die Stelle dennoch nicht bekommen. Dass hier weiter gehende Belegtatsachen erwartbar sein müssen, folgt schon daraus, dass § 1 AGG besonders diskriminierungsanfällige Personengruppen an sich gerade nicht anerkennen will.378

E. Praktische Konkordanz durch in camera-Verfahren Die bisherigen Bemühungen, praktische Konkordanz zwischen dem legitimen Geheimnisschutz und dem effektiven Rechtsschutz der Parteien herzustellen, laufen für einige Fälle darauf hinaus, Geheimnisschutz nur über die Art und Weise der Offenlegung der vertraulichen Information gewähren zu können. Die Vorlegung lediglich auszugsweiser oder geschwärzter Dokumente, die Beschränkung der Öffentlichkeit gemäß §§ 172 ff. GVG oder die Anordnung der Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG i.V.m. § 353d Nr. 2 und ggf. § 203 Abs. 2 Nr. 5 StGB kommen insoweit als Maßnahmen in Betracht. Doch erweisen sich diese als nicht ausreichend, wenn eine teilweise Schwärzung oder umfangmäßige Beschränkung des Vorlegungsgegenstands nicht in Betracht kommt und ein effektiver Geheimnisschutz gerade die Geheimhaltung gegenüber der gegnerischen Partei erfordert. Besondere praktische Bedeutung erlangt dieses Problem wiederum im Streit um technische Innovationen, deren Wert nicht erst durch die öffentliche Verhandlung, sondern bereits durch die Preisgabe an den Gegner verloren geht. In diesem Zusammenhang stellt sich daher die Frage, ob es möglich und zulässig ist, den Gegenstand nur dem Prozessgericht und gegebenenfalls einem Sachverständigen zu offenbaren379 und den Gegner von diesen Vorgängen auszuschließen380 („in cameraVerfahren“).381 Im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht ist diese Vorgehensweise anerkannt.382

I. Der Ablauf eines in camera-Verfahrens Aus deutscher Perspektive ist das sog. Düsseldorfer Besichtigungsverfahren geradezu der Archetypus eines in camera-Verfahrens. Dort geht es um die Durchsetzung von Ansprüchen aus § 809 BGB, mit denen der Patentinhaber 378

Siehe nur ErfK/Schlachter, Arbeitsrecht (16. Aufl. 2016), § 1 AGG Rn. 1. Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 142 Rn. 7. 380 BeckOK/Bach, ZPO (19. Ed. 2015), § 357 Rn. 11.2. 381 BVerfGE 115, 205, 254 (abw. Meinung Gaier); Stürner, Die Aufklärungspflichten der Parteien des Zivilprozesses (1976), 223; ders., JZ 1985, 453, 458 f.; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 278 f. 382 Siehe oben § 6 D. III. 3. 379

328 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung sich Gewissheit verschaffen will, ob der Gegner das Patent tatsächlich verletzt. Kombiniert werden hier das selbständige Beweisverfahren gemäß §§ 485 ff. ZPO und die einstweilige Verfügung gemäß § 935 ZPO, mit der das Gericht dem Antragsgegner aufgibt, die Besichtigung zu dulden.383 Das Verfahren findet also im Stadium vor dem Verletzungsprozess statt. Ist der Antrag erfolgreich, übernimmt ein gerichtlich bestellter Sachverständiger die Prüfung.384 Währenddessen sind neben dem Antragsgegner lediglich der Sachverständige und der Vertreter des Antragstellers zugegen; die beiden Letzteren werden dabei zur Geheimhaltung gerade gegenüber dem Antragsteller verpflichtet.385 Sodann erstellt der Sachverständige zunächst ein schriftliches Gutachten, das er bei dem anordnenden Gericht hinterlegt.386 Im Anschluss gewährt das Gericht dem Antragsgegner Gelegenheit, seine Geheimhaltungsinteressen vorzutragen, und entscheidet schließlich darüber, ob und in welchem Umfang das Gutachten an den Antragsteller herauszugeben ist.387 Maßgeblich ist, ob und inwieweit das Gutachten eine Verletzungshandlung feststellt.388 So erhält etwa der Urheber Kenntnis von den rechtsverletzenden Teilen des gegnerischen Quellcodes. Gelingt dem in Anspruch Genommenen der Entlastungsbeweis nach § 139 Abs. 3 PatG, erfährt der Patentinhaber demgegenüber keine Inhalte über das alternative Herstellungsverfahren. Im Prinzip ist dieses Verfahren zur vorprozessualen Informationsgewinnung überall dort anwendbar, wo der Anspruchsteller über § 809 BGB oder eine spezialgesetzliche Vorschrift mittels Besichtigung eine vertrauliche Information gewinnen will.389

II. Das in camera-Verfahren und das rechtliche Gehör der Parteien Im vorprozessualen Bereich ist das in camera-Verfahren damit für einige spezifische Bereiche zumindest faktisch akzeptiert und einer Erweiterung auf andere Bereiche steht an sich nichts entgegen. Unter Hinweis auf das rechtliche Gehör der Parteien werden jedoch Bedenken dagegen laut, das in camera-Verfahren auch bei der Sachverhaltsaufklärung im rechtshängigen Prozess anzuwenden. 383

Kühnen, GRUR 2005, 185, 187; von Hartz, ZUM 2005, 376, 380; Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 269; Enchelmaier, GRURInt 2012, 503, 513. 384 Kühnen, GRUR 2005, 185, 187; von Hartz, ZUM 2005, 376, 380; Spindler/Weber, MMR 2006, 711, 712; Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 269; Enchelmaier, GRURInt 2012, 503, 513. 385 BGHZ 183, 153, 163; Kühnen, GRUR 2005, 185, 187; Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 269; Enchelmaier, GRURInt 2012, 503, 513; siehe auch Rausch, Stärkung des Informationsanspruchs (2010), 121. 386 Kühnen, GRUR 2005, 185, 187; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 269. 387 Kühnen, GRUR 2005, 185, 187; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 269. 388 Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 270. 389 Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 271.

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1. Das rechtliche Gehör der risikobelasteten Partei Zunächst ist das rechtliche Gehör der risikobelasteten Partei betroffen. Sie mag über ein in camera-Verfahren zwar Zugriff auf des Gegners vertrauliche Informationen nehmen können. Jedoch erhält sie keine Gelegenheit, unmittelbar selbst zu den Erkenntnissen des Sachverständigen Stellung zu beziehen. Gleiches gilt, soweit vertrauliche Informationen im Vorfeld oder im Nachgang zu einer solchen sachverständigen Untersuchung Gegenstand ausgetauschter Schriftsätze sind. Nach einer verbreitet vertretenen Auffassung verstößt das in camera-Verfahren im rechtshängigen Prozess daher gegen Art. 103 Abs. 1 GG.390 Im vorprozessualen Bereich behilft man sich wegen der verloren gegangenen Partizipationsmöglichkeiten mit einem Verzicht, den die risikobelastete Partei mit der Antragstellung wenigstens konkludent erkläre.391 Dieser Verzichtsgedanke greift in gleicher Weise allerdings auch in der Situation des rechtshängigen Prozesses. So lässt das Bundesverfassungsgericht einen teilweisen Verzicht auf das rechtliche Gehör namentlich dann zu, wenn sich dadurch die Aussicht der verzichtenden Partei auf effektiven Rechtsschutz insgesamt verbessern lässt.392 Ebendieser Effekt stellt sich jedoch ein, falls die vertrauliche Information ohne das in camera-Verfahren mit Rücksicht auf den Geheimnisschutz des Gegners womöglich gar nicht in das Verfahren eingeführt werden könnte.393 Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Vertraulichkeitsschutz nicht nur verfassungsrechtlich geboten ist, sondern in den Sonderregelungen der §§ 809 BGB, 19a MarkenG, 101a UrhG, 140c PatG einfachrechtlichen Niederschlag gefunden hat. Auch hierdurch lassen sich Einschränkungen des rechtlichen Gehörs rechtfertigen.394 Ist der Gegner in einer solchen Situation nicht bereit, sein Geheimnis unter den Bedingungen des in camera-Verfahrens zu offenbaren, hält er eine erwartbare Belegtatsache zurück. Das Prozessgericht darf dann davon ausgehen, dass der Gegner bereits auf der Vortragsebene gegen § 138 Abs. 1 ZPO verstoßen hat, und auf Basis dieser Annahme die Behauptung der risikobelasteten Partei gemäß § 286 Abs. 1 ZPO für wahr erachten.

390 OLG Köln, NJW-RR 1996, 1277; Lachmann, NJW 1987, 2206, 2210; Kürschner, NJW 1992, 1804, 1805; Prütting/Weth, NJW 1993, 576, 577. 391 Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 270 f.; auch das von beiden Seiten erklärte Einverständnis gemäß § 284 Satz 2 ZPO führt zu einem Verzicht auf die Grundsätze der Unmittelbarkeit und der Parteiöffentlichkeit, Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), 359, 374. 392 BVerfGE 101, 106, 129; 115, 205, 239 f.; 115, 205, 255 (abw. Meinung Gaier). 393 BVerfGE 101, 106, 129; 115, 205, 239 f.; 115, 205, 255 (abw. Meinung Gaier); Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 241; i. Erg. ebenso Bornkamm, in: FS für Ullmann (2006), 893, 905. 394 Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 276 f.

330 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung 2. Das rechtliche Gehör des Gegners Umgekehrt ist auch ein Eingriff in das rechtliche Gehör des Gegners denkbar. Dabei geht es nicht um die Konstellation, dass er selbst Vertrauliches offenbaren muss. Insoweit bleibt er in jeder Phase vollständig involviert. Vielmehr sind die Konstellationen gemeint, in denen die risikobelastete Partei Geheimnisse zurückhalten will, die sich zu ihren Gunsten auswirken. So liegt es etwa im Fall des Verletzungsklägers nach §§ 97 Abs. 2, 69c Nr. 1 UrhG, der seinen Quellcode lediglich in camera offenlegen möchte. Auch bei § 139 Abs. 3 PatG wird der in Anspruch Genommene alles daran setzen, sein alternatives Knowhow jedenfalls nicht dem Gegner persönlich unterbreiten zu müssen. An sich müsste die risikobelastete Partei ihr Geheimnis in diesen Fällen schon deshalb ungekürzt vorlegen, weil sie andernfalls den Prozess jedenfalls wegen ihrer objektiven Beweislast verlöre. Wendet man das in camera-Verfahren nun auch hier an, so gewinnt der Gegner nichts hinzu. Er verliert lediglich seine Rechte, auf die Informationsgewinnung Einfluss zu nehmen. Hier wäre es unschlüssig, dem Gegner zu unterstellen, er nehme diese Einschränkungen seines rechtlichen Gehörs freiwillig auf sich.395 Das Bundesverfassungsgericht lässt Einschränkungen des rechtlichen Gehörs allerdings nicht nur aufgrund des Verzichtsgedankens zu. Vielmehr erkennt es allgemein sachliche Gründe als Rechtfertigungsgrund an.396 Hierzu heißt es in Zusammenhang mit den sog. mehrpoligen Verwaltungsstreitigkeiten, dass der Gegner keinen verfassungswidrigen Nachteil erleide, wenn die risikobelastete Partei gegen ihn wirkende Tatsachen in camera in das Verfahren einbringe.397 Das überzeugt. Gestattete man es der risikobelasteten Partei nämlich nicht, ihre vertraulichen Informationen lediglich in camera in das Verfahren einzubringen, so würde sie womöglich zu deren Schutz eine Prozessniederlage in Kauf nehmen und dem Gegner so einen objektiv ungerechtfertigten Erfolg verschaffen. Der Schutz des rechtlichen Gehörs dient indes nicht dazu, dem Gegner der risikobelasteten Partei gerade solche Erfolgsaussichten zu erhalten.398 Da diese Überlegung auf den Verwaltungs- wie auf den Zivilprozess gleichermaßen zutrifft, erweisen sich die Schwierigkeiten, die das rechtliche Gehör dem in camera-Verfahren im rechtshängigen Zivilprozess bereitet, letztlich als überwindbar.

395 Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 276; i. Erg. ebenso Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 242. 396 BVerfGE 81, 123, 129; 101, 106, 129. 397 BVerfGE 115, 205, 255 f. (abw. Meinung Gaier); Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 242. 398 BVerfGE 115, 205, 256 (abw. Meinung Gaier).

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III. Die Rechtsgrundlage für das in camera-Verfahren Mag das Bundesverfassungsgericht die Einschränkungen des rechtlichen Gehörs, die ein in camera-Verfahren mit sich bringt, auch im Grundsatz anerkennen, so betont es doch die Notwendigkeit einer einfachrechtlichen Grundlage.399 Für das Zivilprozessrecht ist eine solche Grundlage erforderlich, um das Verhältnis eines in camera-Verfahrens zu §§ 357 Abs. 1, 285 Abs. 1 ZPO zu bestimmen. Denn danach sind die Parteien nicht nur vorbehaltlos berechtigt, der Beweisaufnahme beizuwohnen, sondern auch dazu angehalten, über das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Darlegung des Streitverhältnisses zu verhandeln. 1. Die materiellrechtlichen Grundlagen Keine Probleme ergeben sich dabei im Anwendungsbereich der §§ 19a Abs. 1 Satz 3 MarkenG, 101a Abs. 1 Satz 3 UrhG, 140c Abs. 1 Satz 3 PatG.400 Denn danach trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Hier mag es sich zwar im Gegensatz zu etwa § 138 Abs. 2 TKG um einen generalklauselartigen Arbeitsauftrag an die Gerichte handeln. Da es an dieser Stelle aber um die Herstellung einer von Grundgesetzes wegen gebotenen praktischen Konkordanz zwischen effektivem Rechtsschutz und Geheimnisschutz geht, müssen diese Bestimmungen jedenfalls in verfassungskonformer Interpretation eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellen. § 139 Abs. 3 Satz 2 PatG ist entsprechend zu verstehen.401 Für § 809 BGB gilt nichts anderes,402 da diese Vorschrift von vornherein unter dem tatbestandsimmanenten Vorbehalt der ausreichenden Beachtung von Geheimhaltungsinteressen steht.403

399 BVerfGE 115, 205, 240; an der Berechtigung dieser Forderung zweifelt Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 277. 400 BGHZ 183, 153, 159 f.; Wandtke/Bullinger/Ohst, Urheberrecht (4. Aufl. 2014), § 101a UrhG Rn. 30; Spindler/Schuster/Spindler, Recht der elektronischen Medien (3. Aufl. 2015), § 101a UrhG Rn. 5; Müller-Stoy, GRUR-RR 2009, 161, 163; i. Erg. auch Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 279; a.A. Fezer, Markenrecht (4. Aufl. 2009), § 19a MarkenG Rn. 38; Kitz, NJW 2008, 2374, 2376. 401 Mes, PatG (3. Aufl. 2011), § 139 Rn. 382. 402 BGHZ 93, 191, 208; 150, 377, 387; OLG Frankfurt/Main, GRUR-RR 2006, 295 f.; MünchKomm/Habersack, BGB (6. Aufl. 2013), § 809 Rn. 16; Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 1015, 1020; von Hartz, ZUM 2005, 376, 381; Spindler/Weber, MMR 2006, 711; Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387. 403 Stauder, GRURInt 1978, 230, 236; Leppin, GRUR 1984, 552, 557; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 271.

332 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung 2. Ihre prozessrechtliche Wirkung Gegen die Eignung der §§ 809 BGB, 19a Abs. 1 Satz 3 MarkenG, 101a Abs. 1 Satz 3 UrhG, 140c Abs. 1 Satz 3 PatG als rechtliche Grundlagen eines in camera-Verfahrens im Zivilprozess lässt sich freilich einwenden, dass es sich um Bestimmungen des materiellen Rechts handelt.404 Zwar mag diese Verortung im Ausgangspunkt zutreffen. Doch haben alle diese Vorschriften über § 422 ZPO eine direkte beweisrechtliche Wirkung. Im Rahmen des § 422 ZPO überprüft das Prozessgericht sowohl, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des materiellrechtlichen Vorlegungsanspruchs erfüllt sind,405 als auch, ob Einwendungen gegen ihn bestehen.406 Wenn danach die Vorlegung auch im Prozess vollständig unter dem Vorbehalt ihrer materiellrechtlichen Bedingungen steht, kann für die Art und Weise der Erfüllung dieses Anspruchs nichts anderes gelten. Damit findet sich das materiellrechtlich anerkannte in cameraVerfahren im Prozess wieder. Verweigert der Gegner der risikobelasteten Partei die Mitwirkung, so trägt dies die Schlussfolgerung, er habe bereits auf der Vortragsebene gegen § 138 Abs. 1 ZPO verstoßen. Die Beweiswürdigung fällt zu Gunsten der risikobelasteten Partei aus. 3. Das Schließen der verbleibenden Lücken Außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 809 BGB, 19a Abs. 1 Satz 3 MarkenG, 101a Abs. 1 Satz 3 UrhG, 140c Abs. 1 Satz 3 PatG bleibt die Frage nach der Rechtsgrundlage allerdings einstweilen unbeantwortet. Doch lässt sich diese Lücke im Wege der Analogie schließen.407 Wie im vorherigen Abschnitt zu zeigen war, vereitelt der Gegner den Beweis der risikobelasteten Partei zunächst dann, wenn er ein erwartbares Beweismittel entgegen § 422 ZPO i.V.m. der bürgerlichrechtlichen Vorlegungspflicht nicht zur Verfügung stellt. Diese Vereitelung führt im Ergebnis zu einer der risikobelasteten Partei günstigen Tatsachenfeststellung. Die Erwartbarkeit des Beweismittels hängt jedoch von der Zumutbarkeit seiner Vorlegung ab. Soweit die Vorlegung unzumutbar ist, gibt es keine Vereitelung und beweisrechtliche Konsequenzen zu Gunsten der risikobelasteten Partei scheiden aus. Über die spezialgesetzlichen Grundlagen i.V.m. § 422 ZPO gelangt nun das in camera-Verfahren in den Zivilprozess und schafft praktische Konkordanz zwischen dem Geheimhaltungsbedürfnis und dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Folglich ist die Mitwirkung am in camera-Verfahren zumutbar und die Vorlegung in diesem Rahmen erwartbar. Bleibt sie aus, ergeben sich 404

Rausch, Stärkung des Informationsanspruchs (2010), 141. Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 422 Rn. 1. 406 BeckOK/Krafka, ZPO (19. Ed. 2015), § 422 Rn. 6. 407 Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 282; i. Erg. ebenso Bornkamm, in: FS für Ullmann (2006), 893, 909 f. 405

§ 16 Zumutbarkeitsgrenzen

333

die genannten beweisrechtlichen Konsequenzen zu Gunsten der risikobelasteten Partei. Das in camera-Verfahren stellt demnach die praktische Wirksamkeit des Beweisvereitelungsgedankens dort sicher, wo er ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Wie allerdings weiter zu zeigen war, ist der Beweisvereitelungsgedanke ein allgemeines zivilprozessrechtliches Institut. Seine Grundidee, dass die Verweigerung erwartbarer Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung regelmäßig auf einen im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitswidrigen Sachvortrag schließen lässt, beansprucht auch in den Fällen Geltung, in denen er nicht spezifisch normiert ist. Folglich muss die praktische Wirksamkeit des Beweisvereitelungsgedankens auch dann sichergestellt werden, wenn ebendiese spezifische Normierung fehlt. Andernfalls ergäbe sich an dieser Stelle eine ungleiche Behandlung von wesentlich Gleichem und dem gegnerseitig treuwidrig verursachten Informationsproblem der risikobelasteten Partei wäre nicht im Rahmen des Möglichen abgeholfen. Demzufolge kommt ein in camera-Verfahren überall dort in Betracht, wo die risikobelastete Partei berechtigterweise Zugang zu einer vertraulichen Information ihres Gegners begehrt und der verfassungsrechtlich gebotene Geheimnisschutz anderweitig nicht hergestellt werden kann. Über § 139 Abs. 3 Satz 2 PatG hinaus fehlt es indes an einer Grundlage für ein in camera-Verfahren zu Gunsten vertraulicher Informationen der risikobelasteten Partei. Da der gebotene Vertraulichkeitsschutz jedoch nicht von der objektiven Beweislast- oder sonstigen Risikoverteilung abhängen darf,408 muss die Analogie auch diese Fälle erfassen.

Zwischenergebnis Wenn es einer Partei unzumutbar ist, eine Information zu offenbaren, die als Privat- oder Geschäftsgeheimnis vertraulich ist, stellt diese Information weder auf der Vortrags- noch auf der Beweisebene eine erwartbare Belegtatsache dar. Um die Grenzen der Zumutbarkeit zu ermitteln, ist praktische Konkordanz zwischen dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und dem Schutzbedürfnis für legitime Geheimhaltungsinteressen herzustellen. Der Geheimnisschutz zu Gunsten des Gegners der risikobelasteten Partei vollzieht sich zunächst über das materiellrechtliche Entscheidungsprogramm. Seine vertrauliche Information ist danach keine erwartbare Belegtatsache, wenn sie für die Entscheidung unerheblich ist. Kann sie hingegen bereits in einer unspezifischen oder unvollständigen Version zur Sachverhaltsaufklärung beitragen, hat der effektive Rechtsschutz der risikobelasteten Partei Vorrang. 408

BVerfGE 115, 205, 235; BGHZ 178, 362, 382; BGH, NJW 2009, 2894, 2896; Stadler, ZZP 123 (2010), 261, 276.

334 5. Kapitel. Wahrheitspflicht und Sachverhaltsaufklärung II: Konkrete Ausgestaltung Gleiches gilt, wenn aufgrund der Parteivorträge feststeht, dass das Geheimnis entscheidungserhebliches gesetzeswidriges Handeln des Gegners betrifft. Dem Grunde nach vorrangig ist der effektive Rechtsschutz der risikobelasteten Partei ferner dann, wenn ihr Vorbringen nach freier richterlicher Überzeugung mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens ½ zutrifft. Jedoch entfällt dadurch der Geheimnisschutz zu Gunsten des Gegners nicht. Er ist bei der Art und Weise der Offenlegung im Verfahren zu berücksichtigen. Die risikobelastete Partei verliert ihren Anspruch auf Geheimnisschutz nicht allein deshalb, weil die geheime Information im Prozess zu ihren Gunsten wirkt. Spiegelbildlich sind auch ihre vertraulichen Informationen keine erwartbaren Belegtatsachen, soweit sie für die Entscheidung verzichtbar sind. Im Übrigen ist das Geheimhaltungsinteresse der risikobelasteten Partei regelmäßig dem Grunde nach nachrangig gegenüber dem effektiven Rechtsschutz des Gegners. Vertraulichkeitsbelange können lediglich noch bei der Art und Weise der Offenlegung Beachtung finden. Das gilt für Aktiv- und Passivprozess gleichermaßen. Inwieweit der effektive Rechtsschutz der Parteien auf Kosten des Geheimnisschutzes Dritter verwirklicht wird, ist anhand der Wertung der §§ 383 ff. ZPO zu beurteilen. Soweit der dritte Geheimnisträger die Preisgabe der vertraulichen Information dulden muss, sind bei der Art und Weise der Offenlegung wiederum geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wo der Geheimnisschutz dem Grunde nach hinter das Interesse an effektivem Rechtsschutz zurücktritt, kommen bei der Art und Weise der Offenlegung als Schutzmaßnahmen in erster Linie die Vorlegung lediglich auszugsweiser oder geschwärzter Dokumente, die Beschränkung der Öffentlichkeit gemäß §§ 172 ff. GVG oder die Anordnung der Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG i.V.m. § 353d Nr. 2 und gg. § 203 Abs. 2 Nr. 5 StGB in Betracht. Wo das Geheimhaltungsbedürfnis gerade gegenüber der anderen Partei besteht, kann das Prozessgericht die Offenbarung im Rahmen eines in cameraVerfahrens anordnen, an dem diese Partei persönlich nicht teilnehmen darf. Inwieweit sie über das Ergebnis unterrichtet wird, hängt davon ab, ob das Geheimnis sich als legitim erwies oder nicht.

Teil 3

Die Rolle des Prozessgerichts

6. Kapitel

Allgemeine Konfliktlagen Gängig ist die Vorstellung, dass Pflichten und Lasten der Parteien in einer Wechselbeziehung mit den richterlichen Befugnissen zur Sachverhaltsaufklärung stehen.1 Vor dem Hintergrund dieser Prämisse bleibt schließlich zu untersuchen, welche Auswirkungen es auf das Verhältnis von Parteifreiheit und Richterherrschaft hat, dass die Parteien wegen § 138 Abs. 1 ZPO auf der Vortrags- wie auf der Beweisebene die von ihnen erwartbaren Belegtatsachen beizubringen haben. Dabei geht es zunächst um die klassischen allgemeinen Konfliktlagen, namentlich: (1.) Offenkundige Tatsachen, (2.) übereinstimmend unwahres Vorbringen, (3.) gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsachen sowie (4.) äquipollentes Vorbringen und vorweggenommenes Geständnis.

§ 17 Offenkundige Tatsachen A. Potentielle Übergriffe in die Parteifreiheit Gemäß § 291 ZPO bedürfen Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises. Herkömmlich wird diese Regelung mit prozessökonomischen Erwägungen begründet.2 Danach stellt das Prozessgericht eine bestrittene Tatsache ohne Beweisaufnahme und -würdigung fest, wenn diese im Sinne des § 291 ZPO offenkundig ist.3 Behauptet die risikobelastete Partei umgekehrt eine offenkundig unwahre Tatsache, die der Gegner bestreitet, so entscheidet das Prozessgericht nach der objektiven Beweislast, ohne dass es zu einer Beweiswürdigung kommt.4 Insoweit gibt es weder Streit noch einen Konflikt zwischen Parteifreiheit und Richtermacht. 1

Etwa Arens, ZZP 96 (1983), 1, 18. Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 291 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 2. 3 BGHZ 31, 43, 45; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 291 Rn. 5; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 2; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 291 Rn. 3; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 291 Rn. 2; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 18; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 18; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 11; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), § 40 II. 3. a); Paulus, Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2010), Rn. 245; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (16. Aufl. 2004), § 111 Rn. 25; Oberheim, JuS 1996, 636, 638. 4 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 2; Nikisch, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1952), 208. 2

§ 17 Offenkundige Tatsachen

337

Anders liegt es aber etwa dann, wenn die Parteien übereinstimmend einen Sachverhalt vortragen, der in Widerspruch zum Offenkundigen steht. Hier erfolgte ein Übergriff des Prozessgerichts in die Parteifreiheit, wenn es statt der übereinstimmend vorgetragenen die offenkundige Tatsache feststellte. Genauso liegt es, wenn eine Partei dem Offenkundigen zuwider vorträgt und der Gegner in der Folge nicht bestreitet oder – als Beklagter – im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint, das Prozessgericht seiner Entscheidung aber dennoch die offenkundige Tatsache zugrunde legt. Schließlich geht es um solche Fälle, in denen eine gemäß § 291 ZPO offenkundige Tatsache entscheidungserheblich ist, die risikobelastete Partei sie jedoch noch nicht vorgetragen hat. Auch dort stellt sich die Frage, ob das Prozessgericht die offenkundige Tatsache von Amts wegen feststellen darf.

B. Begriffsbestimmung und Abgrenzung I. Offenkundigkeit Einigkeit besteht über den Begriff der Offenkundigkeit. Er umfasst die Allgemeinkundigkeit und die Gerichtskundigkeit einer Tatsache.5 Allgemeinkundig ist eine Tatsache dann, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde wahrnehmbar ist.6 So liegt es etwa bei der statistischen monatlichen Indexentwicklung der Lebenshaltungskosten, weil und soweit die Fachpresse sie regelmäßig veröffentlicht.7 Als klassische Beispiele sind ferner geographische Verhältnisse8 oder auch die Berichterstattung in Tageszeitungen über bestimmte Geschehnisse zu erwähnen.9 5 OLG Schleswig, NJW-RR 1991, 715; OLG Köln, NJW-RR 1997, 1491; OLG Düsseldorf, FGPrax 2008, 103, 104; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 4; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 536; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 265; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht (12. Aufl. 2014), Rn. 429. 6 BGH, GRUR 1961, 33, 34; BVerwG, NVwZ 1983, 99; OLG Schleswig, NJW-RR 2001, 715; OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 638; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 291 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 5; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 49 Rn. 34; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 265; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 338. 7 BGH, NJW 1992, 2088; NJW-RR 2004, 649; 2005, 366; BAG, NZA 1997, 155, 156; Zöller/ Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 7. 8 BVerwG, NVwZ 1983, 99; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1; Musielak/ Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 338. 9 RGZ 102, 339, 343 f.: Öffentlicher Aufruhr; BVerwG, NVwZ 1983, 99: Machtübernahme durch das Militär in der Türkei am 12.9.1980; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 49 Rn. 34.

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

Gerichtskundig ist eine Tatsache, wenn der Richter sie aus seiner jetzigen oder früheren amtlichen Tätigkeit kennt.10 Weitere Voraussetzung hierfür ist, dass der Einzelrichter oder die Mehrheit des Kollegialgerichts sich aktuell an die Tatsache erinnern oder ihre frühere eigene Kenntnis durch Akteneinsicht aktualisieren können.11 Auch wenn ein Einzelrichter oder die Mehrheit des Kollegiums sich jahrelang mit Rechtsstreiten eines spezifischen tatsächlichen Bereichs befasst, können die dabei erworbenen Kenntnisse gerichtskundig im Sinne des § 291 ZPO werden. So kann das Prozessgericht etwa die Werbeaussage für ein Vitaminpräparat, nur mittels dieses Präparats könne der Tagesbedarf eines erwachsenen Menschen nach einem bestimmten Vitamin gedeckt werden, als unwahr behandeln, wenn es aufgrund seiner dienstlichen Erfahrungen im Bereich des Arzneimittelwerberechts weiß, dass für diesen Tagesbedarf im Regelfall bereits die normale Ernährung völlig ausreichend ist.12

II. Das private Wissen des Richters Was die Abgrenzung zum privaten Wissen des Richters anbelangt, so ist mit der h.M. zu unterscheiden: Ist das private Wissen des Richters allgemeinkundig, liegt ein Fall des § 291 ZPO vor.13 Hat er sich Sonderwissen in seiner amtlichen Eigenschaft angeeignet, bleibt es bei der Gerichtskundigkeit gemäß § 291 ZPO.14 Sonstiges Privatwissen ist seiner Art nach Zeugenwissen. Das Prozessgericht darf es deshalb nicht von sich aus verwerten.15 Will das jeweilige Mitglied des Spruchkörpers solches Wissen in das Verfahren einbringen, muss es sich für befangen erklären, sein Wissen der begünstigten Partei mitteilen und sich sodann als Zeuge vernehmen lassen.16

10 BVerwG, NVwZ 1990, 571, 572; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1; Stein/ Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 8; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 49 Rn. 36; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 265; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 339; Stackmann, NJW 2010, 1409. 11 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 9. 12 BGH, NJW 1998, 3498, 3499. 13 BGH, NJW 2007, 3211; OLG Zweibrücken, BeckRS 2014, 13307; OLG Hamm, MDR 2013, 1458; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 291 Rn. 3; Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 4. 14 BGH, NJW 2007, 3211; OLG Zweibrücken, BeckRS 2014, 13307; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 291 Rn. 3; Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 4. 15 Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 4; MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einl. Rn. 294; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), Vor § 128 Rn. 153; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 12; Walter, Freie Beweiswürdigung (1979), 284. 16 Keidel/Sternal, FamFG (18. Aufl. 2014), § 29 Rn. 15.

§ 17 Offenkundige Tatsachen

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C. § 291 ZPO und gegenteiliger Parteivortrag Den gravierendsten Eingriff in die Parteifreiheit stellt es sicherlich dar, wenn das Prozessgericht durch § 291 ZPO legitimiert sein sollte, sich bei seiner Entscheidung über ausdrücklich übereinstimmendes Parteivorbringen hinwegzusetzen. So mag es liegen, wenn die Parteien die geographische Lage einer Gemeinde übereinstimmend falsch angeben, mit der Folge, dass der nur räumlich beschränkte Geltungsbereich eines Tarifvertrags sich auf den Ausgang ihres Rechtsstreits nicht mehr auswirkte.17

I. Die h.M. Obwohl es einen starken Eingriff in die Parteiautonomie bedeutet, geht die ganz h.M. davon aus, dass das Prozessgericht das übereinstimmende, jedoch offenkundig unwahre Vorbringen der Parteien nicht verwerten darf.18 Die h.M. geht bei der Bindungswirkung der Offenkundigkeit sogar so weit, dass sie auch das Revisionsgericht nicht an Tatsachenfeststellungen bindet, die offenkundig unwahr sind.19 Sie argumentiert mit dem objektiven Richtigkeitsanspruch staatlicher Rechtsprechung20 und dem öffentlichen Interesse an einer wahrheitsgemäßen Rechtspflege.21

II. Wahrheitspflicht und übereinstimmender offenkundig unwahrer Vortrag Der h.M. ist zuzustimmen. Legt man das hier vorgeschlagene Aufklärungsmodell zugrunde, lautet die Begründung für das identische Ergebnis wie folgt: Zunächst ist jeder Parteivortrag – das Behaupten ebenso wie das Bestreiten – unglaubwürdig und damit als unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO anzuse17

Vgl. die Situation bei BAG, NZA 1998, 661, 663. BGH, NJW 1979, 2089; BAG, NZA 1998, 661, 663; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 288 Rn. 6; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 291 Rn. 7; Zöller/ Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 2; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 291 Rn. 9; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 36; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 18; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 18; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 13; Leipold, in: FS für Fasching (1988), 329, 339; a.A. Wieczorek, ZPO (2. Aufl. 1976), § 291 Anm. A. I. b.; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 512; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), 187; Wagner, Prozeßverträge (1998), 628. 19 BAG, NZA 1996, 994, 996; 1997, 155, 156; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 23; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 17; Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz (1975), 216. 20 BAG, NZA 1998, 661, 663. 21 Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz (1975), 217. 18

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

hen. Erst sobald die entsprechenden Realkennzeichen vorliegen, hat das Prozessgericht entweder das Parteivorbringen als wahr zugrunde zu legen oder in die Beweisaufnahme einzutreten. Dabei sind Nichtbestreiten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO, Säumnis des Beklagten gemäß § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO und der ausdrücklich zugestandene gegnerische Vortrag gemäß § 288 Abs. 1 ZPO gesetzlich fixierte Realkennzeichen für die Wahrheit des Vortrags.22 Nichts anderes gilt für § 291 ZPO. Im Konflikt mit Realkennzeichen, die auf übereinstimmendem Parteiverhalten beruhen, muss § 291 ZPO wegen der höheren Richtigkeitsgewähr im Zweifel Vorrang haben. Es bleibt dann dabei, dass der Vortrag der Parteien als unglaubwürdig und unwahr zu behandeln ist. Die so entstandene Lücke im Parteivortrag schließt das Prozessgericht, indem es seiner Entscheidung die offenkundige Tatsache zugrunde legt.23 Folglich bindet das offenkundig unwahre Geständnis gemäß § 288 Abs. 1 ZPO das Prozessgericht nicht. Erst recht gilt das für die Geständnisfiktionen der §§ 138 Abs. 3, 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO.24 Ein ungerechtfertigter Übergriff in die Parteifreiheit liegt hier letztlich auch deshalb nicht vor, weil die Parteien nach wie vor im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis über den Streitgegenstand verfügen können.

D. § 291 ZPO und fehlender Parteivortrag Ob das Prozessgericht eine entscheidungserhebliche Tatsache wegen ihrer Offenkundigkeit auch dann seiner Entscheidung zugrunde legen darf, wenn die risikobelastete Partei sie nicht einmal als Initialbehauptung in den Prozess eingeführt hat, ist wohl die zentrale Streitfrage in Zusammenhang mit § 291 ZPO.25 Man denke etwa an ein Gericht, das in identischer Besetzung bereits mit zahlreichen Anlegerschutzprozessen wegen ein und desselben Produkts beschäftigt war und dabei bestimmte Tatsachenangaben im Prospekt als objektiv unzutreffend identifiziert hat. Bringt der Kläger nun zur Unwahrheit ebendieser Angaben nichts vor, steht das Prozessgericht vor den Alternativen, die gerichtskundige Unwahrheit von entscheidungserheblichen Prospektangaben über § 291 ZPO in den Prozess einzuführen oder die Klage nach der objektiven Behauptungslast abzuweisen.

22 23 24 25

Siehe oben § 13 B. II. 1. Vgl. Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz (1975), 214. Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 18. MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 2.

§ 17 Offenkundige Tatsachen

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I. § 291 ZPO, die Behauptungslast und der Beibringungsgrundsatz Nicht wenige interpretieren § 291 ZPO in einem strikten Wortsinn. Danach regelt § 291 ZPO lediglich den Verzicht auf einen nach den sonstigen allgemeinen Regeln an sich erforderlichen Beweis. Die Frage nach der Beweisbedürftigkeit kann sich aber streng genommen erst stellen, sobald die risikobelastete Partei die Tatsache behauptet und der Gegner sie erheblich bestritten hat.26 Im Übrigen soll § 291 ZPO den Grundsatz unberührt lassen, dass es allein Sache der Parteien sei, was in das Verfahren eingeführt werde und was nicht.27 Hat die risikobelastete Partei eine Tatsache nicht behauptet, kann das Prozessgericht sie ihrer Entscheidung folglich selbst dann nicht zugrunde legen, wenn sie gerichts- oder gar allgemeinkundig ist.28 Die h.M. folgt diesem Ansatz nicht.29 Ihre Vertreter verweisen abermals auf das öffentliche Interesse an einer wahrheitsgemäßen Rechtspflege.30 Deshalb soll es auch in der Revisionsinstanz zulässig sein, offenkundige Tatsachen ausnahmsweise als neue Tatsachen erstmals zu berücksichtigen.31 Zusätzlich wird zuweilen mit dem Verhältnis von Behauptungs- und Beweislast argumentiert. So seien Behauptungs- und Beweislast in aller Regel nach Gegenstand und Umfang deckungsgleich.32 Diese Kongruenz würde aber entfallen, wenn offenkundige Tatsachen zwar nicht beweis-, wohl aber behauptungsbedürftig wären.33 Der Hinweis, dass § 291 ZPO seinem Wortlaut nach eben nur die Beweisbedürftigkeit regele, reiche nicht aus, um dem Prozessgericht die Berück26

Siehe nur Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 264. Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 291 Rn. 7; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), S. 418 f.; Pörnbacher/Suchomel, NJW 2010, 3202, 3204. 28 RG, JW 1889, 452 Nr. 4; BAG, NJW 1977, 695; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts (2. Aufl. 1974), S. 419; Störmer, JuS 1994, 238, 239; i.Erg. ebenso Wieczorek, ZPO (2. Aufl. 1976), Anm. A. I. a. zu § 291; stark vertreten wird diese Auffassung in älteren Schriften zum deutschen Zivilprozessrecht, etwa Wilmowski/Levy, CPO (7. Aufl. 1895), Anm. 1 zu § 264; Freudenthal, CPO (2. Aufl. 1905), Anm. 4 zu § 291; von Seuffert/Walsmann, ZPO (12. Aufl. 1932), Anm. 3 zu § 291. 29 BAG, NZA 1998, 661, 663; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 2; MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einl. Rn. 294; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 13; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 18; Jauernig/ Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 49 Rn. 39; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 265; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 25; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 470; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 46; Hahn, JA 1991, 319, 323 f.; Möller, JA 2010, 47, 49; Bischoff, JA 2010, 532; jedenfalls für allgemeinkundige Tatsachen RG, JW 1899, 71, 73; aus der älteren Literatur Struckmann/ Koch, ZPO (9. Aufl. 1910), Anm. 1 zu § 291; Endemann, Beweislehre (1860), 79. 30 BAG, NZA 1998, 661, 663; Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz (1975), 217. 31 OLG Düsseldorf, NJW-RR 2007, 1606, 1607; BAG, NJOZ 2010, 1825, 1827; Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz (1975), 217. 32 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 115 Rn. 38. 33 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 46. 27

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

sichtigung einer nicht vorgetragenen offenkundigen Behauptung zu untersagen. Denn in den allermeisten Fällen treffe der Gesetzgeber, wie etwa bei § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, eine ausdrückliche Regelung allein über die Beweislast, die dann wegen der regelmäßigen Kongruenz auch die Behauptungslast miterfasse. Folglich sei eine bewusst unterschiedliche Regelung zwischen Behauptungslast und Beweislast nur dort anzunehmen, wo der Gesetzgeber beide Lasten ausdrücklich unterschiedlich ausgestalte.34

II. Offenkundigkeit und erweiterter Streitgegenstand Ohne Fundamentalkritik an ihnen zu üben, wird angesichts dieser Überlegungen der h.M. in der Literatur zuweilen ein gewisses Missbehagen dagegen offenbar, dem Prozessgericht die amtswegige Berücksichtigung von Tatsachen zu gestatten. Das Resultat besteht in differenzierenden Lösungsansätzen. Die erste dieser Thesen differenziert danach, ob die offenkundige Tatsache den Streitgegenstand erweitere.35 Nur wenn dies nicht der Fall sei, soll die Berücksichtigung von Amts wegen zulässig sein. Hingegen dürften aus offenkundigen Tatsachen keine Rechtsfolgen abgeleitet werden, auf welche die Parteien sich nicht berufen wollten.36 So liege es etwa, wenn der wegen eines Deliktes auf Schadensersatz in Anspruch Genommene sich erfolgreich auf § 827 Satz 1 BGB berufe, gerichtskundig und dem Anspruchsteller unbekannt indes der Umstand sei, dass der in Anspruch Genommene über ein erhebliches Vermögen verfüge, so dass die Voraussetzungen der Billigkeitshaftung nach § 829 BGB erfüllt seien. Es laufe auf eine Klageänderung hinaus, wenn das Prozessgericht in dieser Situation das gerichtskundige Vermögen des in Anspruch Genommenen von Amts wegen berücksichtige und dem Anspruchsteller den begehrten Schadensersatz auf Grundlage von § 829 BGB zuspreche.37 Es ist allerdings zweifelhaft, ob diese Differenzierung einen eigenständigen Aussagegehalt hat. So kommt eine amtswegige Berücksichtigung offenkundiger Tatsachen von vornherein nur dort in Betracht, wo sie für die Entscheidung über den Streitgegenstand erheblich ist. Andernfalls liegt bereits ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO vor, weil das Prozessgericht dann etwas anderes zuspricht, als der Kläger beantragt hat.38 Gemäß der herrschenden Konzeption 34

Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 46. Brüggemann, Judex statutor und judex investigator (1968), 341 f.; Stackmann, NJW 2010, 1409, 1410. 36 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 18; Brüggemann, Judex statutor und judex investigator (1968), 341 f. 37 Brüggemann, Judex statutor und judex investigator (1968), 342. 38 BGHZ 154, 342, 348; BGH, GRUR 2005, 854, 855; OLG Dresden, NZBau 2008, 650; KG, ZUM 2011, 59, 60; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 308 Rn. 10; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 308 Rn. 10; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 132 Rn. 6. 35

§ 17 Offenkundige Tatsachen

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bilden dabei der Antrag und der zugrunde liegende Lebenssachverhalt den Streitgegenstand.39 Der Wertung des § 767 Abs. 2 ZPO entsprechend zählen zu diesem Lebenssachverhalt alle Tatsachen, die bei natürlicher, vom Standpunkt der Parteien ausgehender, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassender Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören oder bei lückenhaftem Vortrag zur Substantiierung gehört hätten.40 Anders gewendet gehören sämtliche Tatsachen, die der Kläger nach § 264 Nr. 1 ZPO vorbringen könnte, noch zu dem zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt. Handelt es sich um offenkundige Tatsachen, kann das Prozessgericht sie folglich auch bei dieser differenzierenden Betrachtungsweise von Amts wegen berücksichtigen. Eine selbständige Begrenzungsfunktion kommt dieser Differenzierung dann aber nicht zu. Folglich änderten sich im Beispiel der Deliktshaftung nach § 829 BGB auch lediglich die Anspruchsgrundlage und die rechtliche Beurteilung. Eine entsprechende Entscheidung erfolgt aber immer noch über den ursprünglich zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt.41 Nachdem es der Kläger ist, der den Streitgegenstand definiert,42 liefert diese differenzierende Lösung auch keine Antwort auf die Frage, wie mit offenkundigen Tatsachen zu verfahren ist, die für den Beklagten wirken. Folglich ist es insgesamt nicht sinnvoll, für die zulässige amtswegige Berücksichtigung offenkundiger Tatsachen danach zu unterscheiden, ob diese den Streitgegenstand änderten oder nicht. Denn hierbei handelt es sich systematisch um ein Problem des § 308 ZPO und nicht um eines des § 291 ZPO.

III. Offenkundigkeit und anspruchsbegründende Tatsachen Einer weiteren differenzierenden These zufolge darf das Prozessgericht offenkundige Tatsachen ohne Parteibehauptung berücksichtigen, wenn sie eine 39 Etwa BGHZ 117, 1, 5; 154, 342, 348; 180, 77, 82; 189, 56, 58; 194, 314, 320; BGH, NJW 2001, 157, 158; 2007, 2560, 2561; 2009, 56; 2011, 929, 930; 2012, 1449, 1450; 2012, 2180, 2182; 2013, 540, 541; 2014, 314, 315; 2014, 1534; NJW-RR 2002, 1073, 1074; 2009, 790; 2009, 1130, 1135; 2012, 1146, 1148; 2013, 1321, 1322; GRUR 1992, 552, 554; 2001, 755, 756; 2007, 691; 2007, 1066, 1070; 2007, 1071, 1075; 2010, 545; 2011, 831, 835; 2011, 1043, 1044; 2012, 180, 181; 2012, 1145, 1146; 2014, 91, 92; 2013, 397, 398; 2014, 785, 787; Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), Einleitung Rn. 63; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 316; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 162; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 92 Rn. 23; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 229. 40 BGH, NJW 2007, 2560, 2561; 2009, 56; 2010, 522, 523; 2010, 1522, 1525; 2012, 2180, 2182; NJW-RR 2009, 790; 2012, 849, 850; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Einl II Rn. 30. 41 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 308 Rn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 308 Rn. 10. 42 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Einl II Rn. 14; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), Einführung Rn. 99.

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

Einwendung begründen; begründeten sie hingegen einen Anspruch, sei es unzulässig, sie von Amts wegen zum Prozessstoff zu machen.43 So trage ein staatlicher Befehl zur Leistung den Stempel des Absurden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen einer Einwendung offenkundig erfüllt seien; für die Klageabweisung trotz offenkundigen Vorliegens aller klagebegründenden Tatsachen gelte das nicht.44 Der Sache nach geht es den Vertretern dieser These vor allem um das Versäumnisurteil gegen den Beklagten. Es soll auf Basis offenkundiger Tatsachen gegen ihn nicht ergehen können,45 ohne dass er zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Diese Differenzierung überzeugt im Ergebnis jedenfalls deshalb nicht, weil sie in einigen Fällen nicht zwischen Gläubigerstellung und Parteirolle zu trennen vermag. Das liegt daran, dass offenkundige Tatsachen gleichzeitig anspruchsbegründend und rechtsvernichtend wirken können. Man denke an den Fall, dass der Gläubiger eines Schadensersatzanspruchs vom Schuldner in einer anderen Angelegenheit verklagt wird. Im Prozess erklärt er die Aufrechnung mit seinem Schadensersatzanspruch. Sein Vorbringen lässt indes eine anspruchsbegründende Tatsache aus, die aber im Sinne des § 291 ZPO offenkundig ist. Soll es nun darauf ankommen, dass das Prozessgericht offenkundige, anspruchsbegründende Tatsachen nicht von sich aus berücksichtigen darf, muss der Schadensersatzgläubiger verurteilt werden. Soll demgegenüber maßgeblich sein, dass eine Verurteilung zur Leistung wider offenkundige Tatsachen nicht erfolgen dürfe, ist die offenkundige Tatsache der Sachentscheidung zugrunde zu legen. Dieses Problem kann in gleicher Weise auftreten, wenn man den gegen die Klageforderung aufrechnenden Schadensersatzgläubiger säumig sein lässt. Zwar ist Grundlage des Versäumnisurteils gemäß § 331 Abs. 2 Hs. 1 ZPO lediglich das als zugestanden fingierte Klägervorbringen.46 In der Regel spielen deshalb die Aufrechnung und die tatsächlichen Voraussetzungen der Gegenforderung an dieser Stelle auch keine Rolle. Sehr wohl wird die Gegenforderung des Beklagten aber dann relevant, wenn der im Termin erschienene Kläger selbst die gegnerische Aufrechnung erwähnt und zu den Grundlagen der Gegenforderung vorträgt.47 Fehlt Vortrag zu einem Tatbestandsmerkmal, ist die zugehörige Tatsache aber offenkundig, so ergibt sich abermals das Problem: Berücksichtigt das Prozessgericht die offenkundige Tatsache, so legt es von Amts wegen eine anspruchsbegründende Tatsache zugrunde. Lässt es sie hingegen außer Acht, so verurteilt es den Beklagten, obgleich die Voraussetzungen einer rechtsvernichtenden Einwendung offenkundig verwirklicht sind. 43 Hellwig, System des deutschen Zivilprozessrechts/I (1912), 674; grundsätzlich zust. Brüggemann, Judex statutor und judex investigator (1968), 340. 44 Brüggemann, Judex statutor und judex investigator (1968), 340. 45 Brüggemann, Judex statutor und judex investigator (1968), 340. 46 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 331 Rn. 12. 47 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 331 Rn. 17.

§ 17 Offenkundige Tatsachen

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Natürlich ist der Grundgedanke dieser Differenzierung, den Beklagten vor einer überraschenden Säumnisentscheidung zu bewahren, richtig und legitim. Doch muss dieses Problem an anderer Stelle gelöst werden.

IV. § 291 ZPO, der fehlende Parteivortrag und die Wahrheitspflicht Im Ergebnis ist der h.M. zuzustimmen. Das Prozessgericht hat offenkundige Tatsachen seiner Entscheidung auch dann zugrunde zu legen, wenn die entsprechend belastete Partei sie nicht einmal als Initialbehauptung vorgebracht hat. Das hier vorgeschlagene Aufklärungsmodell liefert für dieses Ergebnis einen Erklärungsansatz, der auf einen Erst-recht-Schluss zur Situation beim übereinstimmenden, aber offenkundig unwahren Sachvortrag hinausläuft. So liegt in dieser Konstellation ein vollständiger Sachvortrag zu sämtlichen entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmalen vor. Dort, wo dieser Vortrag offenkundigen Tatsachen widerspricht, gebietet § 291 ZPO dem Prozessgericht, sich über ihn hinwegzusetzen. Dies ist die Konsequenz daraus, dass die Offenkundigkeit im Verhältnis zum übereinstimmenden Vorbringen das aussagekräftigere Realkennzeichen darstellt. Indem das Prozessgericht sich dem Normbefehl des § 291 ZPO fügt und den übereinstimmenden offenkundig unwahren Sachvortrag ignoriert, schafft es freilich eine Lücke. Der vormals vollständige Parteivortrag ist nun zu einem Tatbestandsmerkmal lückenhaft. In diesem Schaffen einer Lücke im Parteivorbringen liegt die besondere Schwere des Eingriffs in die Parteifreiheit. Aufgrund dieser Lücke müsste an sich eine Entscheidung aufgrund der objektiven Behauptungslast ergehen. Doch geht der Normbefehl des § 291 ZPO noch einen Schritt weiter. Er gebietet dem Prozessgericht nämlich zugleich, die geschaffene Lücke durch die offenkundige Tatsache zu schließen.48 Wenn die Parteien diese Lücke jedoch von Anfang entstehen lassen, weil sie die offenkundige Tatsache nicht behaupten, dann muss § 291 ZPO dem Prozessgericht erst recht gebieten, auch diese Lücke auf dem entsprechenden Weg zu schließen.

E. Haupt- und Gegenbeweis wider die Offenkundigkeit Die ganz h.M. eröffnet der jeweils benachteiligten Partei die Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt des Offenkundigen zu entkräften.49 Diese Einschätzung liegt 48

Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz (1975), 217. BGHZ 156, 250, 253; BGH, GRUR 1961, 33; NJW-RR 1990, 1376; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 291 Rn. 3; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 291 Rn. 8; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 19; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 12; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 49

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

auf einer Linie mit dem hier vorgeschlagenen Aufklärungsmodell. So ist die Offenkundigkeit zwar ein gesetzlich anerkanntes, aussagekräftiges Realkennzeichen, das sich selbst gegen einen übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien durchsetzt. Gleichwohl fingiert § 291 ZPO nicht die Wahrheit der offenkundigen Tatsache. Folglich kann die durch die Offenkundigkeit benachteiligte Partei den Beweis führen, dass die angenommene offenkundige Wahrheit auf einem anfänglichen Irrtum beruht50 oder zwischenzeitlich überholt ist. Auch kann sie versuchen, die Annahme der Offenkundigkeit als solche zu erschüttern, ohne dass dies jedoch einer Beweisführung zugänglich wäre.51 Zu klären bleibt, ob die durch die Offenkundigkeit benachteiligte Partei den Gegenbeweis oder den Beweis des Gegenteils zu führen hat, um eine ihr günstige Prozesslage herbeizuführen. Insoweit wird man zu differenzieren haben. Zunächst seien die Fälle betrachtet, in denen die behauptete Tatsache offenkundig unwahr ist. Hier sind Feststellungen zu dem zugehörigen Tatbestandsmerkmal nicht möglich. Folglich hat die objektiv beweisbelastete Partei nach wie vor den Hauptbeweis zu führen. Ist eine Tatsache hingegen offenkundig wahr, stellt sich eine Situation ein, die derjenigen des erfolgreich geführten Hauptbeweises vergleichbar ist. In diesem Fall hat dann die gegnerische Partei den Gegenbeweis zu führen, also die angenommene Wahrheit der offenkundigen Tatsache zu erschüttern.52

F. Der Anspruch auf rechtliches Gehör Zwar hat das Prozessgericht offenkundige Tatsachen gemäß § 291 ZPO danach stets und unabhängig vom Parteivorbringen von Amts wegen zu berücksichtigen. Den Anspruch der Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs verkürzt dieser Umstand jedoch nicht. Folglich muss das Prozessgericht sie in der mündlichen Verhandlung oder noch davor gemäß § 139 ZPO auf die offenkundige Tatsache und seine Absicht hinweisen, diese bei seiner Entscheidung zu verwerten.53 Rn.5029; Oberheim, JuS 1996, 636, 639; Bornkamm, WRP 2000, 830, 833; a.A. Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 4; Walter, Freie Beweiswürdigung (1979), 275; Pantle, MDR 1993, 1166, 1168. 50 Vgl. dazu etwa BVerfGE 48, 206, 209. 51 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 12; a.A. MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 19. 52 BGH, NJW 1998, 3498, 3499; OLG München, BeckRS 2009, 27912; BayVerfGH, FamRZ 2011, 655, 656; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 291 Rn. 3; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 291 Rn. 8; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 291 Rn. 12; siehe auch BPatG, GRUR-RR 2013, 59, 61; 2014, 115, 116; BeckRS 2013, 19302; der Sache nach auch MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 19. 53 BVerfGE 10, 177, 183; 48, 206, 209; BGH, NJW 2007, 3211; 2009, 3787, 3790; NJW-RR 1993, 1122, 1123; BPatG, BeckRS 2009, 15273; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016),

§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen

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So erledigt sich auch die Befürchtung, es könne gegen den Beklagten ein überraschendes Versäumnisurteil ergehen, wenn man dem Prozessgericht gestattete, nicht vorgetragene offenkundige Tatsachen von Amts wegen zu berücksichtigen. Hat das Prozessgericht im Vorfeld keinen Hinweis auf die offenkundige Tatsache und seine Verwertungsabsicht erteilt, ist § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entsprechend heranzuziehen. Die offenkundige Tatsache wird also wie neuer Vortrag des Klägers behandelt, so dass die Säumnisfolgen nicht eintreten können. Rechtsfolge ist die Vertagung der mündlichen Verhandlung.54

Zwischenergebnis Die Offenkundigkeit gemäß § 291 ZPO ist das aussagekräftigste gesetzlich anerkannte Realkennzeichen für die Wahrheit des Parteivortrags. Sie legitimiert es, zugestandene oder als zugestanden fingierte Behauptungen, die dem im Sinne der Vorschrift Offenkundigen widersprechen, zu ignorieren und von Amts wegen durch die offenkundige Tatsache zu ersetzen. Erst recht darf das Prozessgericht die offenkundige Tatsache von Amts wegen berücksichtigen, wenn die behauptungsbelastete Partei sie bereits nicht vorgetragen hat. Will das Prozessgericht nach § 291 ZPO eine Tatsache von Amts wegen berücksichtigen, hat es den Parteien einen entsprechenden Hinweis zu erteilen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren. Offenkundigkeit bedeutet jedoch keine unwiderlegliche Wahrheitsfiktion. Die von der offenkundig unwahren oder wahren Tatsache nachteilig betroffene Partei kann demnach durch Führung des Gegenteils- bzw. des Gegenbeweises eine für sie günstige Prozesslage herstellen.

§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen A. Konstellationen des übereinstimmend unwahren Vorbringens Im vorangegangenen Abschnitt war unter anderem festzustellen, dass ein offenkundig unwahrer Sachverhalt für das Prozessgericht auch dann nicht verbindlich ist, wenn die Parteien ihn übereinstimmend vorbringen. Sollten die Parteien dem Prozessgericht durch übereinstimmenden Sachvortrag eine unwahre Tatsachengrundlage zur Entscheidung unterbreiten, wird dieser Umstand in den allermeisten Fällen jedoch keineswegs offenkundig im Sinne des § 291 ZPO sein. 54 § 291 Rn. 4; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 291 Rn. 10; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 14; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 25. 54 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 335 Rn. 9.

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

Übereinstimmend unwahres Vorbringen erscheint zunächst in der Variante, dass die Parteien sich entsprechend verabreden, etwa um die Gerichtsfestigkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu testen oder sich zu Lasten Dritter Vorteile zu verschaffen. Weiter ist es denkbar, dass die risikobelastete Partei bewusst wahrheitswidrig eine Tatsache behauptet, die dann der Gegner in Kenntnis der Unwahrheit nach § 288 Abs. 1 ZPO gesteht, ohne dass dem eine Verabredung zwischen den Parteien zugrunde läge. Auch die umgekehrte Situation des vorweggenommenen Geständnisses ist denkbar. Hier mag der Gegner subjektiv wahrhaftig, aber objektiv wahrheitswidrig eine Tatsache vortragen, die die risikobelastete Partei sich dann in Kenntnis der objektiven Unwahrheit zu eigen macht. Doch muss es nicht stets um Geständnisse gehen. So liegt ein übereinstimmend unwahrer Vortrag auch dann vor, wenn die risikobelastete Partei bewusst wahrheitswidrig eine Tatsache behauptet und der Gegner bewusst oder infolge von Nachlässigkeit das rechtzeitige Bestreiten oder den Termin zur mündlichen Verhandlung versäumt, so dass zu seinen Lasten § 138 Abs. 3 ZPO bzw. § 331 Abs. 1 ZPO eintritt. In allen diesen Fällen verstößt wenigstens eine Partei gegen § 138 Abs. 1 ZPO. Zu klären ist, ob die Rechtsfolgen der §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3, 331 Abs. 1 ZPO dennoch eintreten oder ob § 138 Abs. 1 ZPO insoweit der Vorrang gebührt.

B. Das bewusst unwahre Geständnis im Zwei-Personen-Verhältnis I. Die These vom Vorrang des § 138 Abs. 1 ZPO Teile der Literatur sehen § 138 Abs. 1 ZPO als die gegenüber § 288 Abs. 1 ZPO vorrangige Vorschrift an.55 Danach ist das bewusst unwahre Geständnis von vornherein unwirksam.56 Manche begründen dies mit der Funktion der Wahrheitspflicht, materielle Gerechtigkeit zu sichern und die außerprozessuale Rechtslage zu bewähren.57 Darin soll ein überindividueller Zweck des Zivilprozesses zum Ausdruck kommen, der Allgemeininteressen in Bezug nehme. Mit diesem Zweck sei die verbindliche Wirkung des bewusst unwahren Geständnisses unvereinbar.58 Andere Vertreter dieser Meinungsgruppe stellen den unerwünschten Institutionenmissbrauch in den Vordergrund, der 55 Etwa AK/E. Schmidt, ZPO (1987), § 138 Rn. 65; Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 9, 25; ders., JZ 1963, 245, 246; Olzen, ZZP 98 (1985), 403, 416 f.; Hahn, JA 1991, 319, 326; Scherer, DRiZ 1998, 58, 61. 56 Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 290 Rn. 6. 57 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 9, 25; ders., JZ 1963, 245, 247. 58 Scherer, DRiZ 1996, 58, 61 f.

§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen

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in dem Führen fingierter Prozesse („Scheinprozess“) liege.59 Sie legen zugrunde, dass das, was eine Partei sich aufgrund eines verabredeten unwahren Geständnisses zusprechen lasse, in Wirklichkeit nicht prozessual erstritten, sondern kraft Parteivereinbarung zugewendet sei.60 In dem umständlichen Umweg über den Zivilprozess mit bewusst unwahrem Geständnis sehen sie nur dann einen Sinn, wenn der bezweckte Erfolg materiellrechtlich verboten sei.61 So mag es etwa liegen, wenn ein Arbeitgeber und ein Arbeitnehmer sich ein Streitszenario mit dem alleinigen Zweck ausdenken und übereinstimmend vorbringen, den Weg in eine anderweitig nicht begründbare Befristung gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 8 TzBfG zu ebnen.62 Innerhalb dieser Meinungsgruppe ist man sich darüber einig, dass das bewusst unwahre Geständnis bedeutungslos ist. Wegen der weiteren Rechtsfolgen wird differenziert. Sofern das Prozessgericht aufgrund des bewusst unwahren Geständnisses und des übrigen Tatsachenstoffs feststellt, dass die Parteien den gesamten Prozess nur zum Schein führten, soll es die Klage durch Prozessurteil als mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig abzuweisen haben.63 Wo diese Feststellung nicht möglich ist, bleibt es bei der Klageabweisung durch Sachurteil.64 Freilich soll das bewusst unwahre Geständnis ein derart starker Missbrauchsindikator sein, dass, sobald es ermittelt sei, das Prozessgericht weitere Ermittlungen im Hinblick auf einen bloßen Scheinprozess von Amts wegen führen dürfe.65 Konsequenterweise wird für die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO Entsprechendes vorgebracht. So soll das Nichtbestreiten den Verstoß der risikobelasteten Partei gegen § 138 Abs. 1 ZPO nicht heilen können.66

II. § 138 Abs. 1 ZPO als Grundlage gerichtlicher Ermittlungsbefugnisse? 1. Begründung der Ermittlungsbefugnis Die These vom Vorrang des § 138 Abs. 1 ZPO mutet zunächst eher abstrakttheoretisch an. Wo kein Fall des § 291 ZPO vorliegt, weiß das mit einem Ge59

von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess (1939), 74 f.; zustimmend Bernhardt, in FS für Rosenberg (1949), 9, 31; ähnlich Ventsch, Die materielle Prozessleitung (2005), 89. 60 von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess (1939), 72. 61 von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess (1939), 73; Pohle, in: FS für Lent (1957), 195, 217. 62 Vgl. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 3. Mai 2005 – 22 Sa 84/04 [juris]. 63 Zeiss, Die arglistige Prozesspartei (1967), 48; i. Erg. auch Schönke, AcP 150 (1949), 216, 220. 64 Pohle, in: FS für Lent (1957), 195, 217; Zeiss, Die arglistige Prozesspartei (1967), 49. 65 Pohle, in: FS für Lent (1957), 195, 217. 66 Herr, DRiZ 1988, 57.

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ständnis oder einer nicht bestrittenen Behauptung konfrontierte Prozessgericht nichts von einem etwaigen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO.67 Soll die These nicht vollständig leerlaufen, muss es Instrumente geben, mittels derer das Prozessgericht die entsprechende Kenntnis erlangt. Der Sache nach läuft das Problem der Bindungswirkung übereinstimmend unwahren Vorbringens daher auf die Frage hinaus, ob § 138 Abs. 1 ZPO das Prozessgericht legitimiert, eigene Ermittlungen hinsichtlich der Achtung der Wahrheitspflicht anzustellen. Konsequenterweise eröffnen diejenigen, die § 138 Abs. 1 ZPO gegenüber § 288 Abs. 1 ZPO für vorrangig halten, dem Prozessgericht in allen Fällen übereinstimmenden oder unstreitigen Parteivorbringens regelmäßig eine eigenverantwortliche Überprüfungsmöglichkeit. Das Gericht könne nicht gezwungen sein, seiner Entscheidung einen unstreitigen Parteivortrag zugrunde zu legen, an dessen Wahrheit es zweifele.68 Hier müsse es gestattet sein, von den Parteien zu verlangen, dass sie das Prozessgericht etwa im Wege einer Beweisaufnahme von der Wahrheit ihres unstreitigen Vorbringens überzeugen.69 Dass eine Beweisaufnahme auch über gestandene oder unstreitige Tatsachen zulässig ist, entnehmen die Vertreter dieser Auffassung dem Wortlaut des § 288 Abs. 1 ZPO. Dieser erkläre den Beweis über die gestandene Tatsache nämlich lediglich für nicht erforderlich, verbiete ihn jedoch nicht.70 Dementsprechend soll das Geständnis die Beweiswürdigung des Prozessgerichts auch lediglich erleichtern und keineswegs ersetzen.71 2. Die Fortentwicklung zum Amtsermittlungsgrundsatz Die verschiedenen Konzepte zur Sachverhaltsaufklärung im gerichtlichen Verfahren weisen die Verantwortung für die Tatsachenermittlung entweder den Beteiligten oder dem Gericht zu. Auch mag es in besonders begründeten Konstellationen Mischformen geben, wie etwa §§ 127, 177 FamFG zeigen. Mit der bislang gegebenen Beschreibung ihres Inhalts stellt die Befugnis des Prozessgerichts zur Ermittlung bewusst unwahrer Geständnisse ebenfalls eine Mischform dar. So liegt die Verantwortung für die Tatsachenbeschaffung grundsätzlich bei den Parteien des Zivilprozesses. Erst ab dem Moment, in dem die Parteien eine Tatsache übereinstimmend vortragen oder eine behaup67 M. Wolf, in: FS für Nakamura (1996), 685, 687 f.; Becker-Eberhard, in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen (2001), 15, 25 f. 68 Scherer, DRiZ 1996, 58, 61. 69 Scherer, DRiZ 1996, 58, 61 f.; ähnlich Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 122, der dem Gericht bei Zweifeln an der Wahrhaftigkeit des Parteivorbringens die Nachfrage aufgrund von § 139 ZPO gestattet. 70 E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 60; Scherer, DRiZ 1996, 58, 59; Cahn, AcP 198 (1998), 35, 38; i. Erg. zustimmend Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess (2013), 121. 71 E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 60.

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tete Tatsache unbestritten bleibt, liegt danach die Verantwortung für die Tatsachenbeschaffung beim Prozessgericht. Es ist systematisch nicht folgerichtig, die Ermittlungsbefugnisse des Prozessgerichts darauf zu beschränken, zugestandenes oder unbestrittenes Tatsachenvorbringen zu verifizieren. Das gilt jedenfalls dann, wenn man § 138 Abs. 1 ZPO zur Begründung solcher Befugnisse heranzieht. Denn es ist beim streitigen Sachvortrag ebenso möglich, die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen zu manipulieren. So liegt es namentlich stets, wenn eine Partei bewusst unwahr vorträgt, um aus dem Informationsproblem des Gegners einen Vorteil zu ziehen. Wer mit § 138 Abs. 1 ZPO argumentiert, muss das Prozessgericht folglich auch über streitige Tatsachen eigenständig ermitteln lassen. Selbst in Fällen, in denen – man denke etwa an einwendungsbegründende Tatsachen – die Parteien zu potentiell entscheidungserheblichen Vorgängen nichts mitgeteilt haben, müsste das Prozessgericht mit Blick auf § 138 Abs. 1 ZPO eigeninitiativ ermitteln dürfen. Denn immerhin verlangt die prozessrechtliche Wahrheitspflicht nach einem vollständigen Sachvortrag. Das zeigt: Eigenverantwortliche Ermittlungsbefugnisse des Prozessgerichts lassen sich nicht widerspruchsfrei auf die Suche nach bewusst wahrheitswidrigen Geständnissen beschränken. Die Vertreter der These vom Vorrang des § 138 Abs. 1 ZPO ziehen daraus ihre Konsequenz. Im Ergebnis gestatten sie dem Prozessgericht eine allgemeine, eigeninitiative Ermittlungsbefugnis nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen.72 Damit erlangt das Prozessgericht die vollständige Verantwortung für die Tatsachenbeschaffung. Hinter der These vom Vorrang des § 138 Abs. 1 ZPO gegenüber § 288 Abs. 1 ZPO verbirgt sich daher die Einführung des Amtsermittlungsgrundsatzes in den Zivilprozess. 3. Der systematische Widerspruch zwischen Amtsermittlung und Zivilprozess Natürlich ist die Einführung des Amtsermittlungsgrundsatzes in den Zivilprozess an dieser Stelle ebenso abzulehnen, wie es bereits bei der Auseinandersetzung mit dem sozialen Zivilprozess und seinen verwandten Erscheinungsformen der Fall gewesen ist. So ist es systematisch nicht zu rechtfertigen, dem Prozessgericht allein aufgrund des § 138 Abs. 1 ZPO die Verantwortung für die Tatsachenbeschaffung zuzuweisen und die zugehörigen Ermittlungsbefugnisse zu verschaffen. § 138 Abs. 1 ZPO ist im Gegensatz zu § 26 FamFG ein solcher Aussagegehalt unmittelbar nicht zu entnehmen. In Betracht käme allenfalls eine Annexkompetenz kraft Natur der Sache. Dies anzunehmen, hielte allerdings bereits dem Vergleich mit den parallelen Bestimmungen des FamFG nicht stand. So ordnet § 27 Abs. 2 FamFG eine § 138 Abs. 1 ZPO entspre72

Pohle, in: FS für Lent (1957), 195, 217; wohl auch E. Schmidt, DRiZ 1988, 59, 60; Scherer, DRiZ 1996, 58, 61 f.

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chende Wahrheitspflicht an. Dennoch sind Aufgaben- und Befugniszuweisung in § 26 FamFG gesondert geregelt. Dies wäre überflüssig, wenn beides bereits über die Wahrheitspflicht der Beteiligten mitgeregelt wäre.

III. Der Vorrang des § 288 Abs. 1 ZPO Die These vom Vorrang des § 138 Abs. 1 ZPO überzeugt danach nicht. Jedenfalls im Zwei-Personen-Verhältnis zwischen den Parteien bleibt es dabei, dass das bewusst unwahre Geständnis und ebenso die unbestrittene bewusst unwahre Tatsachenbehauptung für das Prozessgericht gemäß § 288 Abs. 1 ZPO verbindlich sind. Dabei ist die Verbindlichkeit des bewusst unwahren Geständnisses auch nicht lediglich eine unerwünschte Nebenfolge der weitgehenden Parteiautonomie im Zivilprozess. Denn in diesem Fall bestünde ein gewisser Korrekturbedarf. Vielmehr ist der Vorrang des § 288 Abs. 1 ZPO wertungsgerecht und mit der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen. 1. Die wertungskonforme Bindungswirkung bewusst unwahren Vorbringens Diejenigen, die das bewusst unwahre Geständnis wegen § 138 Abs. 1 ZPO für unwirksam halten, nehmen die prozessrechtliche Wahrheitspflicht für ein überindividuelles Gerechtigkeitsempfinden in Anspruch. Dieses Verständnis geht an der tatsächlichen Bedeutung des § 138 Abs. 1 ZPO vorbei. Ebenso wie der einzelne Zivilprozess73 ist sie zunächst individualschützend, und zwar zugunsten der jeweils risikobelasteten Partei.74 Sie soll verhindern, dass unwahres Vorbringen in den Prozess gelangt, das dann zu einem Urteil auf unzutreffender Sachgrundlage zu führen droht.75 Mit anderen Worten ist § 138 Abs. 1 ZPO primär eine Schutzvorkehrung dagegen, dass die risikobelastete Partei ihren Prozess wegen eines Informationsproblems verliert, das bei redlichem Gegnerverhalten gar nicht erst entstanden wäre. Dass eine effektive Geltung des § 138 Abs. 1 ZPO letztlich auch zur Bewährung der Rechtsordnung führt, ist ein Nebenprodukt dieses individualschützenden Ansatzes, mag dieses Nebenprodukt auch zwingend und erwünscht sein.76 73 Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 13; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 1 Rn. 3; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 1; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 1 Rn. 5; M. Schwab, Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2012), Rn. 1. 74 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 6; ähnlich Kawano, in: FS für Henckel (1995), 411, 415. 75 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 65 Rn. 67. 76 Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 1 Rn. 9; der Sache nach auch Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 4.

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Wo die Parteien einvernehmlich vortragen oder gegnerische Behauptungen nicht in Frage stellen, ist das nach § 291 ZPO aussagekräftigste Realkennzeichen für die Wahrheit dieses Vorbringens verwirklicht. Hier besteht von vornherein kein Raum für Informationsprobleme. Man befindet sich außerhalb des Schutzzwecks von § 138 Abs. 1 ZPO. Diesem Verständnis von der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht entspricht es, das Geständnis selbst für den Fall als bindend zu erachten, dass es im Bewusstsein seiner objektiven Unwahrheit abgegeben wurde. 2. Die Bestätigung durch § 290 ZPO Einfachrechtlich bestätigt wird dieses Ergebnis durch § 290 ZPO. Diese Vorschrift regelt den Fall des inhaltlich unwahren Geständnisses. Danach kann der Gegner der risikobelasteten Partei sein Geständnis nur dann wirksam widerrufen, wenn er beweist, dass er irrtümlich unwahr gestanden hat. Daraus folgt, dass der unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO Gestehende nicht zum Widerruf berechtigt ist.77 Der Verlust des Widerrufsrechts soll dabei zugleich Sanktion für die Nichtbeachtung der prozessrechtlichen Wahrheitspflicht sein.78 Dementsprechend sieht die h.M. das bewusst unwahre Geständnis ganz allgemein als für das Prozessgericht verbindlich an. Damit sind §§ 288 Abs. 1, 290 Satz 1 ZPO hinsichtlich der Rechtsfolgen vorrangig gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO.79 3. Die Parallele zur materiellrechtlichen Privatautonomie Geläufig ist ferner das Argument, dass der Dispositions- und der Beibringungsgrundsatz die prozessrechtliche Fortsetzung der materiellrechtlichen 77 BGHZ 37, 154, 155; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 290 Rn. 2; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 290 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 290 Rn. 3; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 290 Rn. 2; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 290 Rn. 7; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 290 Rn. 6; Wieczorek/ Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 290 Rn. 15; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 290 Rn. 4; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 44 Rn. 9; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2010), Rn. 4; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 345; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 422; ders., in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen (2001), 36, 48. 78 BGHZ 37, 154, 155; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 290 Rn. 3; MünchKomm/ Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 290 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 290 Rn. 15; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 44 Rn. 9; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2010), Rn. 4. 79 BGHZ 37, 154, 155; 129, 108, 111; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 290 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 290 Rn. 15; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 290 Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 15; i. Erg. auch Schöpflin, Beweiserhebung von Amts wegen (1992), 165; Kawano, in: FS für Henckel (1995), 411, 414 f.

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Privatautonomie seien.80 Es ergänzt die Argumentation für die Verbindlichkeit des bewusst unwahren Geständnisses. So wäre es in der Tat widersprüchlich, den Parteien im materiellen Privatrecht einen weiten Spielraum zu eröffnen, um ihre rechtlichen Beziehungen zu ordnen und zu gestalten, ihnen einen solchen Spielraum im Prozess jedoch zu verwehren, obwohl dieser als Institution dazu bestimmt ist, die Folgen aus ebendiesen rechtlichen Beziehungen durchzusetzen.81 Als Prozesshandlung wirkt das Geständnis gemäß § 288 Abs. 1 ZPO gestaltend auf den Prozess ein.82 Es handelt sich daher um die Entsprechung einer materiellrechtlichen Willenserklärung.83 Im Fall des Nichtbestreitens gemäß § 138 Abs. 3 ZPO fehlt zwar zunächst jeder erkennbare, bewusste Willensakt, der auf Zustimmung zur Behauptung gerichtet ist. Doch hat das Prozessgericht die Partei gemäß § 139 Abs. 1 ZPO auf ein möglicherweise versehentlich unterbliebenes Bestreiten hinzuweisen. Schweigt der Gegner der risikobelasteten Partei auch im Anschluss an solch einen Hinweis, lässt sich § 138 Abs. 3 ZPO als prozessrechtliche Entsprechung des Schweigens mit Erklärungswirkung begreifen. Die Parallele zur materiellrechtlichen Privatautonomie ist daher jedenfalls für §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO bruchlos konstruierbar. Manche wenden dennoch ein, dass eine Disposition der Parteien über Tatsachen schon begrifflich ausgeschlossen sei.84 Möglichkeiten autonomer Verfahrensgestaltung verblieben den Parteien somit lediglich, soweit sie über den Streitgegenstand verfügen dürfen.85 Doch lässt sich diese Trennung zwischen zulässiger Disposition über den Streitgegenstand und unzulässiger Disposition über die Tatsachenbasis nicht durchhalten.86 Sie führt insbesondere bei den sog. Rechtsbegriffen mit tatsächlichem Einschlag, wie etwa Kaufvertrag, Mietvertrag, Übereignung, etc.,87 in die Irre. Über das Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen Rechtsverhältnisses können die Parteien im Wege des Aner80 Etwa Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Einl I Rn. 5; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), Einführung Rn. 64; MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einleitung Rn. 290; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 3; Costede, ZZP 82 (1969), 438, 444 f.; Prütting, NJW 1980, 361, 362; Pawlowski, DRiZ 1988, 334; Cahn, AcP 198 (1998), 35, 40; Unberath, ZEV 2008, 465, 466; Fritzsche-Brandt, JA 2009, 625, 628; Gaier, NJW 2013, 2871, 2872; zustimmend nur im Hinblick auf den Dispositionsgrundsatz Schöpflin, Beweiserhebung von Amts wegen (1992), 54. 81 Leipold, in: FS für Fasching (1988), 329, 340; M. Wolf, in: FS für Nakamura (1996), 685, 687; Sarbach, ZJBV 136 (2000), 685, 690; i Erg. auch Wagner, Prozeßverträge (1998), 628; a.A. Cahn, AcP 198 (1998), 35, 40. 82 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 63 Rn. 1. 83 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 512. 84 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 9, 15; Weyers, in: FS für Esser (1975), 193, 203; E. Schmidt, DRiZ 1988, 59; differenzierend Stürner, in: FS für Baur (1981), 647, 658. 85 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 9, 15; Weyers, in: FS für Esser (1975), 193, 203; Cahn, AcP 198 (1998), 25, 40. 86 Häsemeyer, ZZP 85 (1972), 207, 209; Wagner, Prozeßverträge (1998), 617. 87 Siehe dazu oben § 13 D. IV.

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kenntnisses des mit der Haupt- oder Zwischenfeststellungsklage geltend gemachten Anspruchs disponieren. Als Begriffe der Alltagssprache können sie jedoch auch Gegenstand zulässigen Sachvortrags und damit geständnisfähig sein. Darüber hinaus kann schließlich der Beklagte einer Urkundenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 1 Alt. 4 ZPO diesen geltend gemachten prozessualen Anspruch nach § 307 Satz 1 ZPO anerkennen88 und damit unmittelbar über eine Tatsache disponieren. 4. Drohende Umgehung materiellen Rechts? Schließlich spricht auch keine vermeintlich drohende Umgehung materiellrechtlicher Beschränkungen und Gebote gegen die Verbindlichkeit des bewusst unwahren Geständnisses. So können die Parteien auf dem Umweg etwa über Verzicht und Anerkenntnis ebenfalls Ergebnisse herbeiführen, die materiellrechtlich womöglich unwirksam wären. Jedenfalls zählt es nicht zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen gemäß § 307 ZPO, dass die anerkannte Rechtsfolge der wahren Rechtslage entspricht.89 Beispielsweise ist das Anerkenntnis eines Anspruchs aus einem formnichtigen Rechtsgeschäft ohne Weiteres wirksam.90 Wertungsmäßig nicht anders liegt es aber, wenn die Parteien übereinstimmend unwahr vortragen, sie hätten die Willenserklärungen in der gesetzlich geforderten Form abgegeben. Eine Grenze ist erst dort erreicht, wo der Inhalt des Anerkenntnisses erkennbar gegen ein gesetzliches Verbot, gegen die guten Sitten oder gegen den ordre public verstößt.91 Aus dem Kriterium der Erkennbarkeit folgt jedoch, dass solch ein Verstoß sich aus dem Prozessstoff ergeben muss.92 Eigene Ermittlungen im Hinblick auf etwaige Verletzungen von §§ 134, 138 BGB darf das Prozessgericht folglich nicht anstellen. Geht der Verstoß aus dem Prozessstoff nicht unmittelbar hervor, erlässt das Prozessgericht das beantragte Anerkenntnisurteil folglich ohne Weiteres. Nichts anderes ergibt sich im Fall des § 288 Abs. 1 ZPO. Ist der geltend gemachte Anspruch bereits gesetzes-, sittenoder ordre public-widrig, weist ihn das Prozessgericht unabhängig vom bewusst unwahren Geständnis zurück. Ist der Verstoß hingegen nicht offenbar, so entfaltet das bewusst unwahre Geständnis seine volle Wirkung gemäß § 288 Abs. 1 ZPO. Somit zeigt sich, dass die Hoheit der Parteien über den Streitgegenstand und über die zugrunde liegenden Tatsachen sie durchaus in die Lage versetzt, im 88

Vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 307 Rn. 2. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 307 Rn. 7; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 47 Rn. 8; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 512. 90 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 132 Rn. 48. 91 Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 307 Rn. 7; Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 307 Rn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 307 Rn. 34. 92 Vgl. OLG München, NJOZ 2011, 412, 413. 89

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Verfahren Ergebnisse zu erzielen, die den Vorgaben des materiellen Rechts nicht entsprechen. Ein Widerspruch ergibt sich daraus nicht. Vielmehr handelt es sich um die wertungskonforme Folge aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Parteien des Zivilprozesses einen Gestaltungsspielraum über die Tatsachenbasis zubilligt, den Beteiligten anderer Verfahren, in denen die Gesichtspunkte öffentlicher Interessen und hoheitlicher Fürsorge stärker ausgeprägt sind, einen solchen Spielraum jedoch verweigert.93

C. Das bewusst unwahre Geständnis zu Lasten Dritter Ebenso wie die Vertreter der h.M. das bewusst unwahre Geständnis inter partes für verbindlich erachten, halten sie es für unwirksam, wenn die Parteien hierbei kollusiv zu Lasten eines außerhalb des Prozesses stehenden Dritten handeln.94 Auch in diesen Fällen kennt das Prozessgericht die bewusste Unwahrheit des zugestandenen oder nicht bestrittenen Vortrags nicht. Nimmt man die Formel der h.M. ernst, so erhält das Prozessgericht im Ergebnis stets dann eine Befugnis zur eigeninitiativen Ermittlung, wenn eine zugestandene oder nicht bestrittene Tatsache rechtliche Interessen eines Dritten potentiell negativ betrifft. Dafür mag immerhin die Parallele zur materiellrechtlichen Privatautonomie sprechen, denn diese gestattet gerade keine Geschäfte zu Lasten Dritter.95 Wegen der nur beschränkten Reichweite der Urteilswirkungen kommt eine solche Drittbelastung allerdings nur selten in Betracht.96 Denkbar sind insbesondere Entscheidungen mit Wirkung erga omnes sowie Fälle der Rechtskrafterstreckung und der Interventionswirkung. Trotz der klaren Position der h.M. bleibt zu bedenken, dass der Wortlaut der §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO eine Befugnis zur Amtsermittlung gerade für Fälle der Drittbetroffenheit nicht zwingend nahelegt. Auch führt das bewusst unwahre Geständnis zu Lasten Dritter zu keinem Informationsproblem der risikobelasteten Partei. Über die Parallele zum verbotenen Vertrag zu Lasten Dritter hinaus bedarf es 93

Costede, ZZP 82 (1969), 438, 441. BGHZ 37, 154, 156; BGH, NJW 1978, 2154, 2157 (insoweit in BGHZ 71, 339 nicht abgedruckt); VersR 1970, 826, 827; OLG Frankfurt/Main, VersR 1978, 260; OLG Düsseldorf, NJWRR 1998, 606; OLG Schleswig, NJW-RR 2000, 356, 357; OLG Celle, BeckRS 2001, 30223439; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 7; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 288 Rn. 15; Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 288 Rn. 10; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 35; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 34; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 13; Wagner, Prozeßverträge (1998), 628; Piech, Prozeßbetrug im Zivilprozeß (1998), 136; wohl auch OLG Brandenburg, NJW-RR 2009, 1256; kritisch MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einl. Rn. 300; M. Wolf, in: FS für Nakamura (1996), 685, 690. 95 Wagner, Prozeßverträge (1998), 628. 96 Vgl. Costede, ZZP 82 (1969), 438, 459. 94

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folglich teleologischer Gründe, § 138 Abs. 1 ZPO Drittschutz zuzuerkennen, um mit diesem Argument die grundsätzliche Verbindlichkeit gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO durchbrechen zu können. Solche Gründe setzen freilich voraus, dass der Dritte nicht anderweitig angemessenen Schutz gegen Manipulationen der Prozessparteien genießt.

I. Kollusion und Entscheidungswirkung erga omnes Gestaltungentscheidungen wirken über das Verhältnis der Prozessparteien hinaus. Bekanntermaßen gestalten sie das streitgegenständliche Rechtsverhältnis ab Eintritt der formellen Rechtskraft mit Wirkung für und gegen jedermann („erga omnes“).97 1. Die Anfechtungsklage gemäß § 246 AktG Man denke etwa an Urteile, die Beschlüsse der Hauptversammlung gemäß § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG für nichtig erklären. Kollusion mag hier etwa in Betracht kommen, wenn Vorstand und Aufsichtsrat einen ihnen missliebigen Beschluss der Hauptversammlung einvernehmlich beseitigen wollen. Hierzu mag der Vorstand gemäß §§ 245 Nr. 4, 246 Abs. 1 AktG Anfechtungsklage erheben und diese auf erfundene Gründe im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG stützen. Der Aufsichtsrat kann sodann in Vertretung der Gesellschaft gemäß § 246 Abs. 2 Satz 3 AktG die Wahrheit der den Anfechtungsgrund liefernden Tatsachen ausdrücklich zugestehen oder diese nicht bestreiten. Solchen und ähnlichen Manipulationen beugt jedoch § 246 Abs. 4 Satz 1 AktG vor. Danach hat der Vorstand die Erhebung der Klage und den Termin zur mündlichen Verhandlung unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. Diese Pflicht bezweckt zunächst, die Aktionäre und die Öffentlichkeit über den fraglichen Bestand des Beschlusses zu informieren.98 Sie soll aber auch dem Aktionär die tatsächliche Möglichkeit verschaffen, als Nebenintervenient die Gesellschaft gegen die Klage zu unterstützen.99 Damit sind ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen, dass Vorstand und Aufsichtsrat die Rechte der Aktionäre durch kollusives Vortragen und Gestehen im Prozess vereiteln. Einer Befugnis des Prozessgerichts, zum Schutz der Aktionäre von Amts wegen zu ermitteln, ob das übereinstimmend Vorgebrachte der Wahrheit entspricht, bedarf es folglich nicht. Die Verbindlichkeit des übereinstimmend Vorgetragenen bleibt also auch hier unangetastet. 97

Siehe nur Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 347. Spindler/Stilz/Dörr, AktG (3. Aufl. 2015), § 246 Rn. 52; MünchKomm/Hüffer/Schäfer, AktG (4. Aufl. 2016), § 246 Rn. 77. 99 Spindler/Stilz/Dörr, AktG (3. Aufl. 2015), § 246 Rn. 52; MünchKomm/Hüffer/Schäfer, AktG (4. Aufl. 2016), § 246 Rn. 77. 98

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

2. Die Erbunwürdigkeitsklage gemäß § 2342 BGB Doch gibt es auch Gestaltungsklagen, bei denen keine § 246 Abs. 4 Satz 1 AktG vergleichbaren Regelungen zur Information und zum Schutz betroffener Dritter existieren. Prominentes Beispiel für diese Fallgruppe ist die Erbunwürdigkeitsklage gemäß § 2342 BGB. Hier kommen Verabredungen zum Nachteil der Nachlassgläubiger in Betracht.100 So mag ein mittelloser Berechtigter gegen den Erben eine Klage gemäß §§ 2341, 2342 BGB erheben und zur Begründung frei erfundene Unwürdigkeitsgründe nach § 2339 BGB vortragen. Da das gesamte Verfahren lediglich dazu dient, den Nachlassgläubigern das private Vermögen des Erben zu entziehen, gesteht dieser den klägerischen Sachvortrag zu und entgeht so der Haftung für die Nachlassverbindlichkeiten.101 Um die Nachlassgläubiger vor derartigen Verfahrensgestaltungen zu bewahren, plädieren Teile der Literatur dafür, das Verfahren der Erbunwürdigkeitsklage dem Amtsermittlungsgrundsatz zu unterwerfen.102 Der Umstand, dass die Erbunwürdigkeit der rechtsgeschäftlichen Gestaltung durch die Parteien entzogen ist, dient zur Bestätigung dieser These.103 Als Beispiel für eine mögliche Kollusion der Parteien zum Nachteil des Dritten ist die Erbunwürdigkeitsklage indes denkbar ungeeignet. Denn immerhin müsste der Beklagte gerichtsöffentlich erklären, den Tatbestand eines Erbunwürdigkeitsgrunds nach § 2339 Abs. 1 BGB verwirklicht zu haben. Die Konstellationen freilich, in denen sich der Erbe freiwillig solch ein Stigma zuzieht, allein um den Nachlassforderungen zu entgehen, dürften einigermaßen exotisch sein.104 Auch trifft es nur bedingt zu, dass die Parteien die Wirkungen der Erbunwürdigkeit nicht durch Rechtsgeschäft herbeiführen könnten. Immerhin handelt es sich bei der Anfechtung um ein Rechtsgeschäft, dessen Wirkung von der Rechtskraft des Urteils abhängt105 und über dessen Vornahme der Berechtigte selbst entscheidet. Außerdem kann der Berechtigte wirksam auf sein Anfechtungsrecht verzichten.106 Schließlich bestehen ernste Zweifel daran, dass das Unwürdigkeitsurteil den Nachlassgläubiger in einem schützenswerten rechtlichen Interesse trifft.107 So entsteht für den Nachlassgläubiger bereits mit Eintritt des Erbfalls ein abstrakt 100

MünchKomm/Helms, BGB (6. Aufl. 2013), § 2342 Rn. 7; Schack, NJW 1988, 865, 866; Muscheler, ZEV 2009, 101, 102. 101 Blomeyer, ZZP 75 (1962), 1, 17. 102 AK/Teubner, BGB (1990), § 2342 Rn. 9; MünchKomm/Helms, BGB (6. Aufl. 2013), § 2342 Rn. 8; Blomeyer, ZZP 75 (1962), 1, 17; Unberath, ZEV 2008, 465, 466; siehe auch Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile (1966), 187; differenzierend KG, NJW-RR 1988, 455, 456; offengelassen von BGH, NJW-RR 2013, 9. 103 MünchKomm/Helms, BGB (6. Aufl. 2013), § 2342 Rn. 8; Unberath, ZEV 2008, 465, 466. 104 Ähnlich Muscheler, ZEV 2009, 101, 105. 105 Muscheler, ZEV 2009, 101, 105. 106 Burandt/Rojahn/Müller, Erbrecht (2. Aufl. 2014), § 2342 Rn. 13. 107 NK/Kroiß, BGB (4. Aufl. 2014), § 2342 Rn.11.

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gesteigertes Bonitätsrisiko.108 Über welches Eigenvermögen und über welche Eigengläubiger der Rechtsnachfolger verfügt, ist aus Sicht des Nachlassgläubigers dem Zufall überlassen. Für seine Forderung kann er immerhin den Nachlass sichern, indem er nach § 1981 Abs. 2 Satz 1 BGB die Nachlassverwaltung beantragt.109 Umgekehrt kann auch der Erbe die Nachlassverwaltung nach § 1981 Abs. 1 BGB veranlassen und so sein Eigenvermögen dem Zugriff der Nachlassgläubiger entziehen.110 Das zeigt, dass ein rechtlich anerkanntes Interesse des Nachlassgläubigers am Erbgang an sich nur im Hinblick auf den Nachlass selbst besteht.111 Damit besteht auch kein Anlass, die durch §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO angeordnete Bindungswirkung unstreitigen Vorbringens in diesen Fällen zu durchbrechen.

II. Kollusion und Rechtskrafterstreckung 1. Die Fälle der Einzelrechtsnachfolge Kollusives Zusammenwirken der Parteien zu Lasten eines Dritten kommt auch im Fall der Rechtskrafterstreckung auf den Einzelrechtsnachfolger gemäß § 325 Abs. 1 ZPO in Betracht. Dabei wird die Einzelrechtsnachfolge definiert als jeder wirksame Übergang des Streitgegenstands oder die Erlangung einer minderen Rechtsstellung an ihm durch Rechtsgeschäft oder Staatsakt, auf abgeleitete oder ursprüngliche Weise.112 Mit der anderen Partei kann der Vorgänger die Entscheidungsgrundlage deshalb kollusiv zum Nachteil des Nachfolgers manipulieren, weil er den Prozess gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO als dessen Prozessstandschafter fortführt.113 Verlangt er etwa die Erfüllung einer Forderung, so mag er bewusst wahrheitswidrig Einwendungen zugestehen. Ist er umgekehrt auf Herausgabe einer Sache verklagt, mag er anspruchsbegründenden Vortrag zugestehen oder unstreitig werden lassen. Allerdings sichert das Prozessrecht die Interessen des Rechtsnachfolgers ausreichend, so dass es auch hier nicht veranlasst ist, zu dessen Schutz von der Verbindlichkeit der §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO abzugehen. Hier ist zu108

Brox/Walker, Erbrecht (26. Aufl. 2014), Rn. 644. Brox/Walker, Erbrecht (26. Aufl. 2014), Rn. 644. 110 Brox/Walker, Erbrecht (26. Aufl. 2014), Rn. 648. 111 NK/Kroiß, BGB (4. Aufl. 2014), § 2342 Rn. 11; a.A. Schack, NJW 1988, 865, 866, der das Eigenvermögen des Erben, der seine Möglichkeit zur Haftungsbeschränkung verloren hat, als schutzwürdiges Haftungssubstrat zugunsten der Nachlassgläubiger anerkennt. 112 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 156 Rn. 8. 113 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 265 Rn. 12; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 265 Rn. 6; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 310; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 176; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 249. 109

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nächst § 325 Abs. 2 ZPO zu beachten. Die Vorschrift betrifft Konstellationen, in denen der Rechtsnachfolger nach Eintritt der Rechtshängigkeit von einer Partei ein Recht erwirbt, deren Nichtberechtigung in dem Rechtsstreit festgestellt wird.114 Ist er hier gutgläubig sowohl im Hinblick auf seinen Erwerb als auch im Hinblick auf die fehlende Rechtshängigkeit, tritt bereits keine Rechtskrafterstreckung ein.115 Freilich sind damit nur sehr wenige Fälle der Rechtskrafterstreckung auf den Einzelrechtsnachfolger erfasst. Schon dort, wo das Prozessgericht etwa die Zahlungsklage des Rechtsvorgängers abweist, weil die Forderung wegen einer rechtshindernden oder einer rechtsvernichtenden Einwendung nicht besteht, verhindert § 325 Abs. 2 ZPO die Rechtskrafterstreckung nicht. Problematisch kann das für den Rechtsnachfolger des vermeintlich bestehenden Rechts jedoch von vornherein nur dann sein, wenn er von dem rechtshängigen Prozess nichts weiß. Weiß er nämlich davon, kann er seine Rechte im Wege der Nebenintervention sichern. In den übrigen Fällen hat er gegen den Rechtsvorgänger immerhin einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung. Wenn die Rechtsnachfolge erfolgte, bevor der Prozess über die abgetretene Forderung rechtshängig wurde, scheidet ein kollusives Zusammenwirken zwischen dem Zedenten und dem Zessionar zu Lasten des Schuldners hingegen von vornherein aus. Zwar wirkt ein Urteil, das der Schuldner gegen den Zedenten erstreitet, gemäß § 407 Abs. 2 BGB auch gegen den Zessionar.116 Das gilt jedoch nur, wenn der Schuldner von der Abtretung nichts wusste. Kollusives Zusammenwirken mit dem Zedenten zum Nachteil des Zessionars und Unkenntnis von der Zession schließen sich jedoch gegenseitig aus. 2. Die Fälle der Prozessstandschaft Über §§ 265 Abs. 2, 325 Abs. 1 ZPO hinaus findet in zahlreichen Fällen der Prozessstandschaft eine Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsträger statt.117 Es könnten also wiederum der Prozessstandschafter und die gegnerische Partei für den Rechtsträger nachteilige und verbindliche Entscheidungen erwirken, indem sie bewusst unwahres Vorbringen unstreitig werden lassen.

114

So Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), § 325 Rn. 26. Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 325 Rn. 45; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 325 Rn. 39; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 176; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 711. 116 BGHZ 52, 150, 152 f.; Palandt/Grüneberg, BGB (75. Aufl. 2016), § 407 Rn. 11; MünchKomm/G. Roth/Kieninger, BGB (7. Aufl. 2016), § 407 Rn. 24; Staudinger/Busche, BGB (2012), § 407 Rn. 20; M. Huber, JuS 2010, 582, 583. 117 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 951; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 156 Rn. 20; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 1039. 115

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a) Die gewillkürte Prozessstandschaft Eine Rechtskrafterstreckung erfolgt stets bei der gewillkürten Prozessstandschaft.118 Da der Rechtsträger sich hier der Gefahr eines kollusiven Zusammenwirkens der Parteien zu seinem Nachteil durch seine autonom getroffene Entscheidung selbst ausgesetzt hat, besteht keine Notwendigkeit, zu seinen Gunsten die Verbindlichkeit des übereinstimmenden Vorbringens gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO zu durchbrechen. Außerdem kann der Rechtsträger die Prozessführung durch den Prozessstandschafter überwachen, nötigenfalls seine Einwilligung in die Prozessführung zumindest nach h.M. widerrufen119 und sodann den Prozess selbst weiterführen.120 b) Die gesetzliche Prozessstandschaft Die gesetzliche Prozessstandschaft ist für den Rechtsträger abstrakt deutlich gefährlicher als die gewillkürte Prozessstandschaft. Hier trifft er die Entscheidung über die fremde Prozessführung nicht autonom. Vielmehr wird sie ihm vom Gesetz oktroyiert. Eine einheitliche Regelung über die Rechtskrafterstreckung existiert hier nicht. Herkömmlich differenziert man nach der Interessenlage. Führt der Prozessstandschafter den Rechtsstreit in Wahrnehmung seiner eigenen Interessen – wie etwa bei § 8 Abs. 2 Satz 3 UrhG121 –, findet eine Rechtskrafterstreckung auf den Inhaber nicht statt.122 Etwaige Manipulationen der Prozessparteien wirken sich auf den dritten Rechtsinhaber folglich nicht aus. Zur Rechtskrafterstreckung kommt es jedoch, wenn der Prozessstandschafter den Rechtsstreit führt, um Interessen des Rechtsinhabers wahrzunehmen.123 So liege es, wenn der Prozessstandschafter ausschließlich zur Prozessführung über das fremde Recht befugt sei, sowie dann, wenn er auch materiellrechtlich über das fremde Recht verfügen könne.124 Das ist namentlich der Fall, wenn der Prozessstandschafter Partei kraft Amtes ist, also Insolvenz-, 118 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 953; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 156 Rn. 20. 119 BGH, NJW 1989, 1932, 1933; NJW-RR 1986, 159 („jederzeit“); Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO (37. Aufl. 2016), § 51 Rn. 38; Musielak/Voit/Weth, ZPO (13. Aufl. 2016), § 51 Rn. 26; wohl auch Stein/Jonas/Bork, ZPO (22. Aufl. 2004), vor § 50 Rn. 60; a.A. Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 50 Rn. 45; BeckOK/Hübsch, ZPO (19. Ed. 2015), § 51 Rn. 48; MünchKomm/Lindacher, ZPO (4. Aufl. 2013), Vorbem. zu §§ 50 ff. Rn. 56; Wiezcorek/Schütze/Hausmann, ZPO (3. Aufl. 1994), Vor § 50 Rn. 75: Nur bis Klageerhebung; unklar BGH, NJW 1995, 3187, 3188. 120 Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO (37. Aufl. 2016), § 51 Rn. 38. 121 Wandtke/Bullinger/Thum, Urheberrecht (4. Aufl. 2014), § 8 UrhG Rn. 38. 122 MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 325 Rn. 46. 123 MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 325 Rn. 46; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 325 Rn. 55. 124 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 952; MünchKomm/Gottwald, ZPO (3. Aufl. 2008), § 325 Rn. 46; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 325 Rn. 55.

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

Nachlass-, Zwangsverwalter oder Testamentsvollstrecker (§ 327 ZPO).125 Dass der Rechtsinhaber in diesen Fällen die Rechtskraftwirkungen aus dem fremden Prozess gegen sich gelten lassen muss, ist die Konsequenz aus dem Verlust seiner Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis.126 Da der Verlust dieser Befugnisse an der vermögensrechtlichen Zuordnung nichts ändert,127 würde kollusives Zusammenwirken zwischen der Partei kraft Amtes und dem Gegner den dritten Rechtsinhaber unmittelbar betreffen. Allerdings kann der dritte Rechtsinhaber seine Interessen wahren, indem er der Partei kraft Amtes als Nebenintervenient beitritt.128 Schon deshalb besteht keine Notwendigkeit, zu seinem Schutz dem Prozessgericht Amtsermittlungsbefugnisse zu gewähren, um über die gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO bindende Wirkung übereinstimmenden Vorbringens hinwegzukommen. Im Übrigen folgt aus den sehr weitreichenden materiellrechtlichen Befugnissen der Parteien kraft Amtes, dass Missbrauchsrisiken nicht nur und nicht einmal spezifisch darin bestehen, dass im Prozess übereinstimmend unwahres Vorbringen in kollusiver Absicht zu Lasten des Rechtsinhabers vorgebracht wird. Auf diese Bedrohungslage reagiert die Rechtsordnung mit einem breiten Haftungsansatz. Auch im Hinblick auf dieses Konzept ist es zum Schutz des dritten Rechtsinhabers überflüssig, Ausnahmen von der Bindungswirkung übereinstimmenden Vorbringens gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO zu konstruieren. Exemplarisch zeigt das die Situation in der Insolvenz. Über die Aufnahme rechtshängiger Aktiv- und Passivprozesse gemäß §§ 85 InsO bzw. 86 InsO entscheidet der Verwalter nach pflichtgemäßem Ermessen.129 Etwaige Manipulationen wird der Insolvenzverwalter folglich im Rahmen dieser Ermessensentscheidung vornehmen.130 Ebenso verhält es sich, wenn der Insolvenzverwalter über eine Klageerhebung nachdenkt oder sich einem drohenden Aussonderungsrechtsstreit nach § 47 InsO131 bzw. einer Pfandklage nach

125

MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 325 Rn. 48; Schack, NJW 1988, 465,

467. 126

Schack, NJW 1988, 865, 867. MünchKomm/Küpper, BGB (6. Aufl. 2013), § 1985 Rn. 2; MünchKomm/Ott/Vuia, InsO (3. Aufl. 2013), § 80 Rn. 11. 128 Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO (37. Aufl. 2016), § 66 Rn. 3; Saenger/Bendtsen, ZPO (6. Aufl. 2015), § 66 Rn. 4; Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 66 Rn. 5; Musielak/ Voit/Weth, ZPO (13. Aufl. 2016), § 66 Rn. 4; BeckOK/Dressler, ZPO (19. Ed. 2015), § 66 Rn. 5; MünchKomm/Schultes, ZPO (4. Aufl. 2013), § 66 Rn. 4; Stein/Jonas/Bork, ZPO (22. Aufl. 2004), § 66 Rn. 8. 129 Andres/Leithaus/Leithaus, InsO (3. Aufl. 2014), § 86 Rn. 6. 130 Nimmt er die Manipulation hingegen erst im aufgenommenen Prozess dadurch vor, dass er in Abstimmung mit dem Gegner bewusst unwahres Vorbringen bewusst unwahr zugesteht oder wenigstens nicht bestreitet und wegen dieser Tatsachenbasis den Prozess verliert, erweist sich entweder bereits die Entscheidung über die Aufnahme als ermessensfehlerhaft oder Prozessführung als nachlässig, so dass er auf diese Weise der Haftung ausgesetzt wäre. 131 Braun/Bäuerle, InsO (6. Aufl. 2014), § 47 Rn. 95. 127

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§ 49 InsO gegenüber sieht.132 Will er in Abstimmung mit dem anderen Teil Manipulationen zu Lasten der Masse und des Rechtsträgers vornehmen, wird er es erst gar nicht zum Prozess kommen lassen. Das Instrument, mit dem die Rechtsordnung solchen etwaigen Manipulationen des Insolvenzverwalters entgegenwirkt, ist die Haftung nach §§ 60 ff. InsO.133 Auch für die weiteren klassischen Fälle der gesetzlichen Prozessstandschaft mit Rechtskrafterstreckung auf den Inhaber besteht kein Anlass für eine abweichende Beurteilung. Denn sowohl bei der ehelichen Gütergemeinschaft,134 bei Unterhaltsansprüchen des Kindes135 oder auch der Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche nach § 10 Abs. 2 UrhG136 besteht zwischen dem Inhaber und dem Prozessstandschafter eine schuldrechtliche Sonderbeziehung, kraft derer der Prozessstandschafter dem Inhaber auf Schadensersatz haftet, wenn er den Prozess über das fremde Recht schuldhaft nachlässig führt. Unabhängig von der Möglichkeit, die eigenen Interessen im Wege der Nebenintervention zu verfolgen, verbleibt beim Rechtsinhaber somit lediglich das Insolvenzrisiko seines Prozessstandschafters. Dies rechtfertigt es aber nicht, die einfachgesetzlich angeordnete Bindungswirkung der §§ 138 Abs. 3, 288 ZPO zu korrigieren. 3. Die Fälle der materiellrechtlichen Abhängigkeit In Zusammenhang mit der Rechtskrafterstreckung auf Dritte verbleiben noch die Fälle der sog. materiellrechtlichen Abhängigkeit. Damit sind Konstellationen gemeint, in denen das materielle Recht die Rechtsstellung eines Dritten in weitreichende Abhängigkeit von einer Partei eines Vorprozesses gebracht hat.137 In diesem Zusammenhang wird häufig § 124 VVG erwähnt.138 Doch wirkt diese Rechtskrafterstreckung nur zu Gunsten des Dritten.139 Sachverhaltsmanipulationen der Parteien zu Lasten eines betroffenen Außenstehenden kommen hier also von vornherein nicht in Betracht. 132

MünchKomm/Ganter, InsO (3. Aufl. 2013), § 49 Rn. 84. Uhlenbruck/Sinz, InsO (14. Aufl. 2015), § 60 Rn. 1; zur vergleichbaren Stellung des Nachlassverwalters vgl. Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 241 Rn. 7; für die Haftung vgl. Scherer/Wiester, Erbrecht (4. Aufl. 2014), § 24 Rn. 73; für den Zwangsverwalter Böttcher/Keller, ZVG (6. Aufl. 2016), § 154 Rn. 1; für den Testamentsvollstrecker Staudinger/Reimann, BGB (2012), § 2219 Rn. 1. 134 MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 325 Rn. 52. 135 NK/Kaiser, BGB (3. Aufl. 2014), § 1629 Rn. 51. 136 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG (5. Aufl. 2015), § 10 Rn. 28; Wandtke/Bullinger/Thum, UrhG (4. Aufl. 2014), § 10 Rn. 45. 137 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 156 Rn. 23. 138 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 949; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 156 Rn. 25; Schack, NJW 1988, 865, 867 zur Vorgängervorschrift § 3 Nr. 8 PflVG. 139 Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG (3. Aufl. 2015), § 124 Rn. 2; MünchKomm/Schneider, VVG (1. Aufl. 2011), § 124 Rn. 10; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 949. 133

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Als exponierter Repräsentant dieser Gruppe bleibt § 129 HGB.140 Aus dieser Vorschrift folgt insbesondere, dass ein Gesellschafter im Prozess wegen seiner persönlichen Haftung keine Einwendungen gegen die Gesellschaftsschuld mehr erheben kann, die gegen die Gesellschaft bereits rechtskräftig festgestellt wurde.141 Hier müssten im Vorprozess also die Gesellschaft und der vermeintliche Gesellschaftsgläubiger kollusiv zu Lasten eines außerhalb des Prozesses stehenden Gesellschafters den Sachverhalt manipulieren. Ersichtlich kann auch diese Konstellation keinen fürsorglichen und §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO negierenden Aufklärungseingriff des Prozessgerichts zu Gunsten des unbeteiligten Gesellschafters begründen. Schließlich handelt im Prozess gegen die Gesellschaft nach §§ 125 Abs. 1, 126 Abs. 1 HGB ebenfalls ein persönlich haftender Gesellschafter der vom Einwendungsverlust dann in gleicher Weise betroffen wäre. Man mag unterstellen, dass der vermeintliche Gesellschaftsgläubiger sich an die mit dem im Prozess handelnden Gesellschafter getroffene Verabredung hält, nur den dritten Gesellschafter in Anspruch zu nehmen. In der Folge nimmt der solchermaßen übervorteilte dritte Gesellschafter Regress. Da der im Vorprozess kollusiv handelnde Gesellschafter den Einwendungsverlust der Gesellschaft zu vertreten hat, haftet er im Innenverhältnis vollständig.142 Somit fällt bereits bei der einfachrechtlichen Konstruktion das kollusive Verhalten letztlich auf den unredlichen Gesellschafter zurück. Effektiver – insbesondere im Hinblick auf das Insolvenzrisiko – verfährt die h.M., indem sie § 129 Abs. 1 HGB in solchen Fällen kollusiven Zusammenwirkens durchbricht.143

III. Kollusion und Interventionswirkung Ergebnisse des Prozesses können auch über die Interventionswirkung des § 68 ZPO Wirkung gegenüber Dritten entfalten. Danach wird der Nebenintervenient im Folgeprozess nicht mit dem Einwand gehört, der Erstprozess sei zu seinen Lasten falsch entschieden worden.144 Das Ergebnis des Erstprozesses ent-

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Dessen Einordnung als Fall der echten Rechtskrafterstreckung mag zwar umstritten sein. Dafür Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 156 Rn. 24; dagegen Schack, NJW 1988, 865, 867; offengelassen von BGH, NJW 2011, 2048, 2049; OLG Schleswig, BeckRS 1998, 9708. Doch kommt es auf diese Einordnung letztlich nicht an. Die Alternative zur Rechtskrafterstreckung besteht nämlich in einer § 767 Abs. 2 BGB vergleichbaren Präklusionswirkung. Das führt letztlich zu keinen unterschiedlichen Ergebnissen (Weber, JA 2014, 870, 873). 141 MünchKomm/K. Schmidt, HGB (3. Aufl. 2011), § 129 Rn. 1. 142 Koller/Kindler/Roth/Morck/Kindler, HGB (8. Aufl. 2015), § 129 Rn. 10; Baumbach/ Hopt/Roth, HGB (36. Aufl. 2014), § 129 Rn. 6. 143 Röhricht/von Westphalen/Haas/Haas, HGB (4. Aufl. 2014), § 129 Rn. 6. 144 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 50 Rn. 57.

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faltet also in gewisser Reichweite eine Bindungswirkung für den Zweitprozess zwischen dem Intervenienten und der Hauptpartei.145 Kollusives Handeln der Hauptpartei und ihres Gegners zu Lasten des Dritten ist dabei auf zweierlei Weise denkbar. So darf der Nebenintervenient nach § 67 Hs. 2 ZPO zwar Angriffs- und Verteidigungsmittel selbständig geltend machen und alle Prozesshandlungen wirksam vornehmen; er darf sich aber nicht in Widerspruch zum Handeln der Hauptpartei setzen. Danach geht etwa ein Geständnis der Partei dem Bestreiten des Intervenienten vor.146 Im Erstprozess hat der Intervenient folglich keine Möglichkeit, sich gegen abgestimmtes Handeln der Parteien zu seinen Lasten effektiv zu wehren. Ähnlich liegt es, wenn der Streitverkündete dem Rechtsstreit nicht beitritt. Ihn trifft die Interventionswirkung über die Verweisung des § 74 Abs. 3 ZPO. In diesen Fällen folgt bereits aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör, dass die Interventionswirkung nicht weiter reichen kann als die Möglichkeit des Intervenienten, auf den Ausgang des Erstprozesses Einfluss zu nehmen.147 Dementsprechend schränkt § 68 Hs. 2 ZPO die Interventionswirkung ein, wenn der Streitverkündete wegen vorrangigen Parteihandelns keine effektiven Prozesshandlungen vornehmen konnte.148 Da die Folgen abgestimmten Parteihandelns den Streitverkündeten in diesen Fällen nicht treffen, besteht auch keine Notwendigkeit, die Bindungswirkung der §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO zu durchbrechen. Tritt der Streitverkündete dem Rechtsstreit jedoch nicht bei, so ist ihm der Einwand des § 68 Hs. 2 ZPO grundsätzlich abgeschnitten.149 Das ist logisch und hinnehmbar. Denn hier hindert ihn nicht erst das Parteiverhalten daran, den Prozess zu beeinflussen, sondern bereits sein eigenverantworteter Nichtbeitritt. Anders liegt es nur dann, wenn im Zeitpunkt seines möglichen Beitritts die Prozesshandlungen des Streitverkünders bereits verbindlich waren, so dass eine sachgerechte Prozessführung für den Streitverkündeten nicht mehr möglich war.150 Hier bleibt ihm trotz seines Nichtbeitritts die Einrede der mangelhaften Prozessführung gemäß § 68 Hs. 2 ZPO erhalten. Auch die Situation des nicht beitretenden Streitverkündeten rechtfertigt es danach nicht, die Bindungswirkungen der §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3 ZPO im Hinblick auf ein mögliches übereinstimmend unwahres Vorbringen zu durchbrechen.

145

Haertlein, JA 2007, 10, 13. OLG Hamm, NJW-RR 1998, 679, 680; OLG Schleswig, NJW-RR 2000, 356 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO (22. Aufl. 2004), § 67 Rn. 11; vgl. auch OLG Köln, r+s 1998, 191, 192; BeckOK/ Dressler, ZPO (19. Ed. 2015), § 67 Rn. 17; MünchKomm/Schultes, ZPO (4. Aufl. 2013), § 67 Rn. 11. 147 BGH, NJW 1976, 292, 294; Haertlein, JA 2007, 10, 13. 148 Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO (37. Aufl. 2016), § 68 Rn. 10. 149 OLG Saarbrücken, BeckRS 2007, 1481; Lent, NJW 1955, 875. 150 Stein/Jonas/Bork, ZPO (22. Aufl. 2004), § 74 Rn. 4; Lent, NJW 1955, 875. 146

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

IV. Kollusion und versicherungsrechtliche Bindungswirkung 1. Die versicherungsrechtliche Bindungswirkung Die wichtigste Fallgruppe, in der kollusives Zusammenwirken zwischen den Prozessparteien zu Lasten eines Dritten in Betracht kommt, betrifft sie sog. Bindungswirkung der Feststellungen des Haftpflichtprozesses für den nachfolgenden Deckungsprozess im Bereich der Haftpflichtversicherung.151 Danach gilt, dass aufgrund der Besonderheiten des Haftpflichtversicherungsverhältnisses die Feststellungen zum Haftungstatbestand, die im Haftpflichtprozess zwischen dem versicherten Schädiger und dem Geschädigten getroffen wurden, das Prozessgericht des nachfolgenden Deckungsprozesses zwischen dem versicherten Schädiger und dem Versicherer binden;152 das gelte unabhängig davon, ob der Versicherer am Haftpflichtprozess beteiligt gewesen sei oder nicht.153 Wenn diese versicherungsrechtliche Bindungswirkung inhaltlich dahin beschrieben wird, dass der Versicherer im Deckungsprozess nicht einwenden könne, der Haftpflichtprozess sei unrichtig entschieden worden,154 offenbart dies eine gewisse begriffliche Nähe zur Interventionswirkung des § 68 Hs. 1 ZPO. Abgeleitet wird sie freilich weder aus einer Parallele zu Nebenintervention, Streitverkündung oder zur Rechtskrafterstreckung, sondern aus den Besonderheiten des Versicherungsverhältnisses.155 Ihre Grundlage sieht die h.M. in dem materiellen Leistungsversprechen des Versicherers, wie es sich aus dem Versicherungsvertrag ergibt.156 Dementsprechend tritt die Bindungswirkung auch unabhängig davon ein, ob der Versicherer als Nebenintervenient auftritt oder nicht. 2. Die Alternativen kollusiven Verhaltens Hier ist es keineswegs abwegig anzunehmen, dass zwei Parteien einen fingierten Haftpflichtprozess über einen gegebenenfalls ebenso fingierten Unfall im Straßenverkehr führen, um auf diese Weise eine Versicherungsleistung zu er151 Römer/Langheid/Langheid, VVG (4. Aufl. 2014), § 100 Rn. 33; es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Fall der Rechtskrafterstreckung. 152 RGZ 3, 21, 25; 167, 243, 246; BGHZ 28, 137, 139; 117, 345, 350; 119, 276, 278; 139, 52, 54; BGH, NJW 1992, 1509, 1510; NJW-RR 2001, 1311, 1312; 2002, 1539; 2004, 676; 2007, 827, 828; NZBau 2006, 254, 255; OLG Celle, NJW-RR 2009, 1259, 1261; KG, DStR 2009, 1778, 1779; Prölss/Martin/Voit/Knappmann, VVG (27. Aufl. 2004), § 149 Rn. 29; Krämer, r+s 2001, 177, 178; a.A. Römer/Langheid, VVG (4. Aufl. 2014), § 100 Rn. 35. 153 BGHZ 139, 52, 54 (zur Vertrauensschadenversicherung des Notars); Prölss/Martin/ Lücke, VVG (28. Aufl. 2010), § 100 Rn. 59; Krämer, r+s 2001, 177, 178. 154 Vgl. etwa Krämer, r+s 2001, 177, 179. 155 Biersack, Versicherungsbetrug im deutschen und US-amerikanischen Zivil- und Zivilprozessrecht (2009), 176. 156 BGHZ 119, 276, 280; Krämer, r+s 2001, 177, 178.

§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen

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schleichen.157 Allgemein ist kollusives Zusammenwirken der Parteien des Haftpflichtprozesses zu Lasten des Versicherers durch übereinstimmend unwahren Vortrag in verschiedenen Konstellationen vorstellbar. So mag man zunächst an Fälle denken, in denen der Versicherer aufgrund von § 25.5 AHB158 die Prozessführung für den Schädiger übernimmt. Hier stellt der Versicherer den Rechtsanwalt und lässt den Schädiger, der freilich selbst Partei bleibt, den Prozess nach seinen Weisungen führen159 (sog. „Prozessmuntschaft“).160 Probleme entstehen hier, wenn der Schädiger ungeachtet der Prozessmuntschaft den von der Versicherung gestellten Rechtsanwalt bewusst unwahres Vorbringen des vermeintlich Geschädigten zugestehen lässt, um diesem zum Prozesserfolg zu verhelfen.161 Auch mag er als Partei im Rahmen von § 137 Abs. 4 ZPO oder von § 141 ZPO das gegnerische Vorbringen bestätigen, obwohl sein Anwalt es bestreitet. Wesentlich einfacher fällt dem Versicherten die Tatsachenmanipulation jedoch dann, wenn er dem Versicherer den Prozess entgegen §§ 25.1 AHB, 104 VVG gar nicht erst anzeigt. Auf diese Weise vereitelt er die Prozessmuntschaft. Der Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses steht dieses Verhalten des Versicherungsnehmers dennoch nicht von vornherein entgegen.162 3. Der Schutz des Versicherers Freilich steht der Versicherer der kollusiven Sachverhaltsmanipulation seines Versicherungsnehmers und eines Dritten nicht schutzlos gegenüber. Somit muss im Ergebnis auch hier das Erkenntnisverfahren des Haftungsprozesses keine gerichtlichen Befugnisse bereithalten, um nach §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO übereinstimmendes Sachvorbringen auf seinen tatsächlichen Wahrheitsgehalt hin überprüfen zu können. Bestreitet der Anwalt des Versicherungsnehmers in Wahrnehmung seiner Prozessmuntschaft den Vortrag des vermeintlich Geschädigten, soll dieses Bestreiten Vorrang gegenüber den Erklärungen der Partei haben, mit denen diese im Rahmen von §§ 137 Abs. 4, 141 oder 445 ZPO den Vortrag des Geschädig157 Vgl. etwa BGHZ 129, 108, 111; OLG München, NZV 1991, 428, 429; Meiendresch, r+s 2005, 50. 158 Diese Klausel der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) lautet: „Wird gegen den Versicherungsnehmer ein Haftpflichtanspruch gerichtlich geltend gemacht, hat er die Führung des Verfahrens dem Versicherer zu überlassen. Der Versicherer beauftragt im Namen des Versicherungsnemers einen Rechtsanwalt. Der Versicherungsnehmer muss dem Rechtsanwalt Vollmacht sowie alle erforderlichen Auskünfte erteilen und die angeforderten Unterlagen zur Verfügung stellen.“ 159 Bayer, NVersZ 1998, 9, 10. 160 Hagen, DNotZ 2000, 809, 817; Krämer, r+s 2001, 177, 178. 161 Krämer, r+s 2001, 177, 179. 162 Krämer, r+s 2001, 177, 180; a.A. Hagen, NVersZ 2001, 341, 342; Römer/Langheid, VVG (4. Aufl. 2014), § 100 Rn. 34.

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ten inhaltlich bestätigt.163 Folgt man dem, kann der kollusiv mit dem Gegner kooperierende Versicherungsnehmer von vornherein keine für den Versicherer verbindliche Tatsachenfeststellung herbeiführen. Doch auch wenn man sich der Gegenauffassung anschließt, begründet das bewusst wahrheitswidrige Zugeständnis des Versicherungsnehmers eine Einwendung aus dem Versicherungsverhältnis, die der Versicherer im Deckungsprozess geltend machen kann.164 Gleiches gilt für den Fall, dass der Versicherungsnehmer den in Prozessmuntschaft handelnden Rechtsanwalt zu einem wahrheitswidrigen Geständnis veranlasst.165 Mit ähnlichen Erwägungen sind auch die Fälle der vom Versicherungsnehmer vereitelten Prozessmuntschaft zu lösen.166 Natürlich muss der Versicherer im Deckungsprozess mit dem Einwand kollusiver Prozessführung des Versicherungsnehmers auch dann gehört werden, wenn er keine Prozessmuntschaft ausüben konnte. Denn die Pflichtverletzung, die diese Einwendung gegen den Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers erst begründet, bleibt identisch. Es kommt hinzu, dass die unterlassene Anzeige des Haftungsfalls und des Haftungsprozesses einen Verstoß gegen die Vertragspflicht gemäß §§ 25 AHB, 104 VVG begründet. Handelt der Versicherungsnehmer – wie bei der Kollusion stets – vorsätzlich oder grob fahrlässig, so führt dies gemäß § 26.2 Abs. 1 AHB zum Verlust bzw. zur Minderung des Deckungsanspruchs.

V. Die sog. kollusive Gläubigerbenachteiligung 1. Beschreibung der Fallgruppe Um eher faktische Wirkungen kollusiv abgestimmten Tatsachenvortrags geht es schließlich in der Fallgruppe, die in diesem Zusammenhang zuweilen unter dem Sammelbegriff „kollusive Gläubigerbenachteiligung“ präsentiert wird.167 In der Regel ergeht hier verabredungsgemäß ein Titel gegen einen vermeintlichen Schuldner zu Gunsten eines vermeintlichen Gläubigers. Aufgrund des erwirkten Titels soll der vermeintliche Gläubiger Zugriff auf bestimmte Teile des Vermögens des vermeintlichen Schuldners nehmen, um legitimen Gläubigern den Zugriff hierauf zu entziehen. Später soll dann der Vermögenswert an den vermeintlichen Schuldner zurückfließen. 163 BGH, NJW-RR 2006, 672, 673; 2009, 1272, 1273; zust. Musielak/Voit/Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 288 Rn. 6; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 141 Rn. 4; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 3; offengelassen von BGH, NJW 1995, 1432, 1433; a.A. E. Schneider, MDR 1991, 297, 299; M. Wolf, in: FS für Nakamura (1996), 685, 689; Bayer, NVersZ 1998, 9, 10. 164 Krämer, r+s 2001, 177, 179. 165 Krämer, r+s 2001, 177, 179. 166 Vgl. Krämer, r+s 2001, 177, 180. 167 Costede, ZZP 82 (1969), 438, 454.

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Hier geht es zunächst um eine zivilrechtliche Entscheidung des Reichsgerichts.168 Wie zuvor zwischen den Parteien vereinbart, ließ sich der Beklagte zur Zahlung aus Wechseln verurteilen, obschon er die Verbindlichkeit längst getilgt hatte. Der Kläger und frühere Wechselgläubiger hatte den Beklagten gebeten, ihm die Wechsel zurückzugeben, damit er sie einklagen und einen vollstreckbaren Schuldtitel für das Zwangsvollstreckungsverfahren erlangen könne, welches damals über das Hotelgrundstück des Beklagten eingeleitet war. Der Kläger nahm das dort befindliche Hotelmobiliar für sich in Anspruch.169 In dem entschiedenen Verfahren – es ging um die abermalige Rückgabe der Wechsel an den Beklagten durch den Gesamtrechtsnachfolger des früheren Klägers – führte das Reichsgericht aus, dass das ergangene rechtskräftige Wechseljudikat nach seiner rechtlichen Natur nicht geeignet gewesen sei, das vertragsmäßig zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis in ein anderes umzuwandeln und Rechte zu begründen, die nach dem Willen der Parteien nicht entstehen sollten.170 Eine ähnliche Konstellation dokumentiert eine strafrechtliche Entscheidung des Reichsgerichts.171 Hier lebte ein Ehepaar in Gütergemeinschaft und hatte ein Landgut als Bestandteil des gemeinschaftlichen Vermögens. Nachdem die Ehefrau die Scheidung beantragt und auf Aufhebung der Gütergemeinschaft geklagt hatte, verabredete der Ehemann mit einem Komplizen, sich den Vermögenswert des Anteils seiner Noch-Ehefrau einzuverleiben. Sein Komplize erwirkte hierzu aufgrund einer erdichteten wechselmäßigen Darlehensforderung gegen den Ehemann einen Zahlungs- und Vollstreckungsbefehl und beantragte beim zuständigen Amtsgericht die Zwangsversteigerung des gemeinschaftlichen Landguts.172 Diese Versteigerung fand indes niemals statt, weil der zugrunde liegende Sachverhalt bekannt wurde und der Komplize daraufhin den Antrag auf Zwangsversteigerung zurücknahm. 2. Der Schutz des dritten Gläubigers Es liegt auf der Hand, dass es zum Schutz des dritten Gläubigers ein denkbar ungeeignetes Mittel darstellte, im Prozess zwischen den kollusiv handelnden Parteien auf die Bindungswirkung übereinstimmenden Sachvortrags gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 BGB zu verzichten. So würde dieses Schutzinstrument stets dort versagen, wo der vermeintliche Gläubiger einen anderen Titel als ein rechtskräftiges Endurteil nach vollständigem Durchlaufen eines Erkenntnisverfahrens erhält. Man denke etwa nur an den Vollstreckungsbe168

RGZ 36, 249; siehe dazu etwa Zeiss, Die arglistige Prozesspartei (1967), 47 f. RGZ 36, 249, 250, die weiteren Zwecke bleiben in den Ausführungen des Reichsgerichts verborgen. 170 RGZ 36, 249, 251. 171 RGSt 59, 104; siehe auch dazu Zeiss, Die arglistige Prozesspartei (1967), 48. 172 RGSt 59, 104, 105. 169

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scheid, vor dessen Ergehen keinerlei Sach- oder Schlüssigkeitsprüfung stattfindet. Dementsprechend hält die Rechtsordnung selbständige Schutzinstrumente gegen die zielgerichtete Benachteiligung von Gläubigern bereit. Außerhalb des Insolvenzverfahrens fällt diese Aufgabe den Bestimmungen des Anfechtungsgesetzes zu.173 Ansatzpunkt ist der weite Begriff der Rechtshandlung des § 1 AnfG,174 der jedes Handeln erfasst, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Gläubiger verändern kann.175 Darunter werden neben Willenserklärungen und geschäftsähnlichen Handlungen auch Prozesshandlungen gefasst, insbesondere Anerkenntnis, Verzicht und Geständnis.176 Unter der Voraussetzung – die bei der Kollusion, um die es hier allein geht, freilich stets erfüllt ist –, dass ein prozessrechtlich relevantes Unterlassen in Form der Versäumung oder der Säumnis von einem entsprechenden Willen getragen ist, fällt auch dieses unter den weiten Begriff der Rechtshandlung.177 Auch die Vollstreckungsmaßnahmen, die aufgrund eines solchermaßen entstandenen Titels erfolgen, sind nach § 1 AnfG anfechtbar.178 In Insolvenzverfahren übernehmen die Anfechtungsregeln der §§ 129 ff. InsO den gebotenen Drittschutz, wobei der Begriff der Rechtshandlung mit der gleichen Bedeutung verwendet wird, wie in §§ 1 ff. AnfG.179 Folglich erlangt der dritte Gläubiger keinen Schutz, indem von vornherein die Bindungswirkung des Geständnisses oder des Nichtbestreitens verneint wird. Vielmehr sind die aus der Anfechtbarkeit resultierenden Ansprüche in einem selbständigen Verfahren geltend zu machen.

D. Der vermeintliche Sonderfall des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO Nach wohl h.M. darf die Säumnisfolge des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht eintreten, wenn das Prozessgericht die klägerische Behauptung als im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO unwahr erkennt.180 Der Gedanke des § 290 ZPO, die be173 Anfechtungsgesetz (AnfG) vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2911), das zuletzt durch Artikel 16 des Gesetzes vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1900) geändert worden ist. 174 Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Haertlein, Zwangsvollstreckung (3. Aufl. 2015), § 1 AnfG Rn. 3. 175 BGH, NJW-RR 2004, 983. 176 Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Haertlein, Zwangsvollstreckung (3. Aufl. 2015), § 1 AnfG Rn. 4. 177 Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Haertlein, Zwangsvollstreckung (3. Aufl. 2015), § 1 AnfG Rn. 6. 178 MünchKomm/Kirchhof, AnfG (1. Aufl. 2012), § 1 Rn. 32. 179 Vgl. nur MünchKomm/Kayser, InsO (3. Aufl. 2013), § 129 Rn. 6 Fn. 5. 180 OLG Brandenburg, NJW-RR 1995, 1471; AK/Rüßmann, ZPO (1987), § 370 Rn. 3; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 138 Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Lindner, ZPO (6. Aufl. 2014), § 370 Rn. 6; BeckOK/Bach, ZPO (19. Ed. 2015), § 370 Rn. 9; MünchKomm/ C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 17; MünchKomm/Heinrich, ZPO (4. Aufl. 2012),

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wusst unwahr gestehende Partei aus Sanktionsgründen an ihr Geständnis zu binden,181 könne hier nicht eingreifen, weil bei § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO die bewusst unwahr vortragende Partei von der Bindungswirkung profitiere.182 Das Prozessgericht müsse den klägerischen Vortrag als Lüge erkennen; Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Klägers genügten nicht.183 Ergäben sich etwa aufgrund einer zuvor eingereichten Urkunde des Beklagten erhebliche Zweifel an der Wahrheitsgemäßheit des Tatsachenvorbringens des Klägers, dürfe im Hinblick auf die Wahrheitspflicht, das Gerechtigkeitsgebot und das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes kein Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergehen.184 Auf den ersten Blick besteht die Besonderheit des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO darin, dass das Prozessgericht die tatsächliche Haltung des säumigen Beklagten zum gegnerischen Sachvortrag kennt. Ist er im ersten Termin säumig, liegt dem Prozessgericht regelmäßig die Erwiderung als vorbereitender Schriftsatz vor.185 Hier mögen im Vorgriff auf eine womöglich notwendige Gegenbeweisführung bereits Dokumente beigefügt sein, die auf die Unwahrheit des klägerischen Vorbringens schließen lassen. In anderen Fällen mag der Beklagte erst in einem späteren Termin säumig sein, nachdem eine Beweisaufnahme den klägerischen Vortrag nicht bestätigen konnte oder aber den Gegenteilsbeweis des Beklagten erbrachte. Diese Erkenntnisse sind beim Prozessgericht tatsächlich vorhanden. Es darf sie lediglich aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.186 Hier entstehen scheinbar Wertungswidersprüche und Unbilligkeiten, wenn man das Prozessgericht infolge der Geständnisfiktion dazu veranlasst, aufgrund eines Sachverhalts zu entscheiden, von dessen objektiver oder gar subjektiver Unwahrheit es überzeugt ist. Bei näherer Betrachtung stellt es jedoch keine Besonderheit gegenüber den Fällen der §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO dar, dass das Prozessgericht im bisherigen Verlauf des Verfahrens womöglich Informationen erhalten hat, die über das Geständnis oder das Nichtbestreiten hinausgehen. So ist für die gerichtliche Endentscheidung der Sachstand im Zeitpunkt der letzten mündli181 § 370 Rn. 5; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 15; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO (22. Aufl. 2008), § 331 Rn. 5; Henckel, JZ 1992, 645, 649; wohl auch Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 370 Rn. 1; a.A. Saenger/Eichele, ZPO (6. Aufl. 2015), § 370 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 370 Rn. 12; Stein/Jonas/Berger, ZPO (22. Aufl. 2006), § 370 Rn. 1; offengelassen von Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 370 Rn. 3. 181 BGHZ 37, 154, 155. 182 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 17. 183 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 138 Rn. 15. 184 OLG Brandenburg, NJW-RR 1995, 1471. 185 Vgl. MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 129 Rn. 5 f. 186 BeckOK/Toussaint, ZPO (19. Ed. 2015), § 331 Rn. 9; MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 331 Rn. 12; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 373.

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chen Verhandlung maßgeblich.187 Dabei unterliegt der Sachstand im gesamten Verlauf des Verfahrens einem steten Wechsel. So kann eine Partei das gegnerische Vorbringen zunächst bestreiten und erst zu einem späteren Zeitpunkt ein Geständnis im Sinne des § 288 Abs. 1 ZPO ablegen.188 Das kann gegebenenfalls auch erst nach einer Beweisaufnahme geschehen, die zugunsten der nicht risikobelasteten Partei ausgegangen ist.189 Auch kann der Gegner der risikobelasteten Partei sein ursprüngliches Bestreiten später widerrufen und so die Wirkungen der §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO auslösen.190 Das folgt jedenfalls daraus, dass das Bestreiten als Verteidigungsmittel eine Erwirkungshandlung ist,191 aus der dem Gegner kein Vorteil erwächst.192 Folglich spielt es auch hier keine Rolle, ob zwischenzeitlich eine Beweisaufnahme stattgefunden und welches Ergebnis sie zutage gefördert hat. Unter denjenigen, die §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO eine für das Prozessgericht verbindliche Wirkung zuerkennen, besteht in allen diesen zuletzt genannten Fällen Einigkeit darüber, dass diese Verbindlichkeit auch dann gilt, wenn die nicht risikobelastete Partei die jeweilige Tatsache erst später außer Streit stellt. Auf der Wertungsebene kann das Ergebnis bei § 331 Abs. 1 ZPO nicht anders ausfallen. Gegen die Gleichbehandlung mit dem späteren Geständnis und dem späteren Widerruf des Bestreitens mag man zwar einwenden, dass der Säumnis nicht notwendig ein bewusster Dispositionsakt zugrunde liegt, sondern sie vielmehr regelmäßig auf reiner Nachlässigkeit beruht. Doch kann die betroffene Partei die Folgen der Säumnis über § 338 ZPO sehr einfach beseitigen. Unterbleibt dies, ist es gerechtfertigt, dieses Unterlassen wie einen bewussten Dispositionsakt über die als zugestanden fingierte Tatsache zu behandeln.

E. Unstreitiges unwahres Vorbringen und die Frage nach dem Prozessbetrug Der übereinstimmende bewusst unwahre Tatsachenvortrag ist ohne eine bewusst unwahre Initialbehauptung der risikobelasteten Partei nicht denkbar. Diese Behauptung wirft freilich stets die Frage nach dem Prozessbetrug auf. Womöglich begründet es einen Widerspruch, wenn man das übereinstim187

Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 300 Rn. 3. MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 25. 189 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 23; vgl. auch Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (3. Aufl. 2008), § 288 Rn. 51. 190 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 64 Rn. 10. 191 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 64 Rn. 11; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 127. 192 Vgl. Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 128 Rn. 23; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 215. 188

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mende bewusst unwahre Vorbringen für wirksam und unüberprüfbar verbindlich erachtet, obwohl das Gesamtgeschehen einen strafrechtlichen Vorwurf gegen die risikobelastete Partei begründet und gegebenenfalls gar über § 580 Nr. 4 ZPO den Weg in die Restitution eröffnet.

I. Dogmatische Konstruktion und Eingrenzung der Problemfälle Die Strafrechtsdogmatik behandelt den Prozessbetrug als Dreiecksbetrug:193 Durch unwahre Behauptungen veranlasse der Täter einen Richter oder ein anderes Rechtspflegeorgan zu einer das Vermögen des Gegners schädigenden Entscheidung.194 Der Betrug erfolgt daher durch Täuschung gegenüber dem Prozessgericht und zu Lasten des Gegners.195 Tragen die Parteien aufgrund ihrer Verabredung übereinstimmend unwahr vor, scheidet ein Prozessbetrug von vornherein aus. Soweit die Entscheidung nur inter partes wirkt, ist die vermeintliche Täuschungshandlung durch die risikobelastete Partei und ihren Gegner als dem prospektiv Geschädigten nämlich gemeinschaftlich bewirkt. Soll die solchermaßen „erstrittene“ Entscheidung letztlich zu Lasten eines Dritten wirken, sind die unter C. erörterten Sicherungsmechanismen zu dessen Gunsten zu berücksichtigen. Sie lassen die Unmittelbarkeit als Merkmal der Vermögensverfügung196 entfallen. Damit verbleiben nur solche Fälle, in denen der Gegner das bewusst unwahre Vorbringen der risikobelasteten Partei bestätigt oder jedenfalls nicht erheblich angreift, ohne dass dies auf einer Verabredung der beiden beruhte. Hier sind unterschiedliche Varianten denkbar. So mag die risikobelastete Partei bewusst eine unwahre Tatsache behaupten, die dann der Gegner aufgrund eines Irrtums zugesteht, den die risikobelastete Partei nicht vorhersehen konnte und der nicht durch den Vortrag selbst veranlasst ist. Auch die Behandlung des umgekehrten Falls wirft Fragen auf, wenn nämlich die risikobelastete Partei sich eine gegnerische Behauptung zu eigen macht, von der sie selbst weiß, dass sie unwahr ist. Und schließlich ist an die Fälle zu denken, in denen die nicht risikobelastete Partei durch nachlässige Versäumung oder Versäumnis den erlogenen Sachvortrag des Gegners unstreitig werden lässt. Gemeinsam ist all diesen Konstellationen, dass die risikobelastete Partei von ihrem Gegner ein Geschenk erhält, indem er unerwartet eine ihm ungünstige Tatsache nicht oder nicht wirksam bestreitet.

193 Zu unterscheiden ist diese Konstellation von derjenigen des Betrugs im Prozess, bei der eine Partei die andere durch Täuschung veranlasst, eine ihr nachteilige Prozesshandlung vorzunehmen, vgl. dazu Seier, ZStW 102 (1990), 563, 564. 194 Seier, ZStW 102 (1990), 563, 564. 195 Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2 (38. Aufl. 2015), Rn. 587. 196 Vgl. dazu nur Lackner/Kühl/Lackner, StGB (28. Aufl. 2014), § 263 Rn. 22.

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II. Der vollendete Prozessbetrug Aus der dogmatischen Konstruktion folgt zunächst: Wenn unstreitiges Vorbringen Bindungswirkung für das Prozessgericht entfaltet, dann scheidet jedenfalls ein vollendeter Prozessbetrug aus.197 So irrt grundsätzlich nur derjenige, der sich eine positive Vorstellung von einem Gegenstand macht.198 Wegen der kraft Gesetzes bestehenden Bindungswirkung hat das Prozessgericht allerdings keinen eigenen Beurteilungsspielraum und keine beachtliche Vorstellung darüber, ob das unstreitige Vorbringen auch der außerprozessualen Wirklichkeit entspricht oder nicht. Folglich kommt ein Irrtum hierüber nicht in Betracht.

III. Der versuchte Prozessbetrug Damit ist indes noch nichts über einen möglichen versuchten Prozessbetrug gesagt. Die herrschende strafrechtliche Sichtweise geht hier sehr weit. Sie sieht bereits unwahre Parteibehauptungen ohne Angabe von Beweismitteln als taugliche Tathandlung eines Prozessbetrugs an.199 Selbst unsubstantiierter, unschlüssiger oder unerheblicher Vortrag soll ausreichen, um den versuchten Prozessbetrug zu begründen.200 Folgte man dem, so müsste man in der Tat jede nicht mit dem Gegner verabredete bewusst unwahre Initialbehauptung der risikobelasteten Partei als versuchten Prozessbetrug begreifen. 1. Der versuchte Prozessbetrug im Standardablauf der Sachverhaltsaufklärung Diese strenge strafrechtliche Sicht ist mit dem hier vertretenen Verständnis vom Ablauf der Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozess indes nicht zu vereinbaren. So ist jeder Initialvortrag der risikobelasteten Partei zunächst schlicht unglaubwürdig,201 das Prozessgericht darf gerade nicht auf die Achtung des § 138 Abs. 1 ZPO vertrauen.202 Seine Prozesshandlungen nimmt das Prozessgericht 197 Energisch dagegen Seier, ZStW 102 (1990), 563, 584: „Soll etwa ein Prozeßbetrug mangels Täuschung ausscheiden, wenn in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit der Beklagte die unwahren Angaben unbestritten läßt, mit der Folge, daß sich ein Beweis erübrigt? Doch sicher nicht!“ 198 MünchKomm/Hefendehl, StGB (2. Aufl. 2014), § 263 Rn. 229. 199 Lackner/Kühl/Lackner, StGB (28. Aufl. 2014), § 263 Rn. 17; Schönke/Schröder/Perron, StGB (28. Aufl. 2010), § 263 Rn. 70. 200 Vgl. Schönke/Schröder/Perron, StGB (29. Aufl. 2014), § 263 Rn. 71; Piech, Prozeßbetrug im Zivilprozeß (1998), 39. 201 Wach, Grundfragen und Reform des Zivilprozesses (1914), 33. 202 Anders Seier, ZStW 102 (1990), 563, 592.

§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen

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dementsprechend auch nicht etwa aufgrund angenommener,203 sondern lediglich aufgrund hypothetischer Korrektheit des Sachvortrags vor. Die erste und isolierte Prüfung der Initialbehauptung der risikobelasteten Partei im Hinblick auf seine Schlüssigkeit bzw. Erheblichkeit dient allein der Antwort auf die Frage, ob eine Erwiderung des Gegners veranlasst ist. Wird dieses Vorbringen nach §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 oder 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO unstreitig, findet abermals keine Wahrheitsprüfung statt. Vielmehr beruht die der risikobelasteten Partei günstige Tatsachenfeststellung allein auf einem normativen Befehl. Ob das Prozessgericht daran glaubt oder nicht, dass die Ereignisse sich auch tatsächlich so zugetragen haben, ist für die rechtliche Folge in jeder Hinsicht unbeachtlich. Daran ändert sich auch nichts, wenn das Prozessgericht die Behauptung der risikobelasteten Partei im nächsten Gedankenschritt auf ihre Substantiierung überprüft. Mangelt es an erwartbaren Belegtatsachen, bleibt es bei der Behandlung des Vortrags als unglaubwürdig und er wird aufgrund von § 138 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen. Sind die erwartbaren Belegtatsachen demgegenüber vorhanden, besteht die Rechtsfolge nicht etwa darin, dass der Sachvortrag nun positiv als glaubwürdig zu behandeln wäre. Es ist lediglich die Grundlage entfallen, ihn ohne Weiteres zurückweisen zu dürfen; er veranlasst lediglich zu einer weiteren Entgegnung. Diese Entgegnung kann abermals dazu führen, dass der nun substantiierte Vortrag der risikobelasteten Partei gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO oder – falls es einen weiteren Termin gibt – § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO unstreitig wird. Tritt dies ein, stellt das Prozessgericht die behauptete Tatsache wiederum aufgrund normativer Anordnung und nicht aufgrund eigener Überzeugung von der Wahrheit fest.204 Erst dann, wenn diese gedankliche Prüfung abgeschlossen und eine richterliche Überzeugungsbildung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlich wird, ist das Stadium der straflosen Vorbereitungshandlungen abgeschlossen und kommt ein Prozessbetrug in Betracht. 2. Versuchter Prozessbetrug und späteres Geständnis Fraglich bleibt jedoch, ob die Argumentation mit diesem Standardablauf der Sachverhaltsaufklärung auch dann funktioniert, wenn der Gegner der risikobelasteten Partei eine Tatsache erst später gesteht, das heißt erst nach einer etwaigen Beweisaufnahme oder gar erst am Ende der letzten mündlichen Verhandlung.205 Es kann sich theoretisch also die Situation einstellen, dass die risikobelastete Partei mit manipulierten Beweismitteln das Prozessgericht – 203

So aber Seier, ZStW 102 (1990), 563, 591. Es gilt in diesem Zusammenhang der Feststellungsbegriff der §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 559 Abs. 2 ZPO. 205 Zur Zulässigkeit des Gestehens in diesem Zeitpunkt Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 23. 204

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womöglich gar erfolgreich – bei der Überzeugungsbildung über die Wahrheit ihrer Behauptung zu beeinflussen versucht hat, es zu einem späteren Zeitpunkt aber zu einem Geständnis kommt. In der Logik der vorangestellten Überlegungen müsste es liegen, in dieser Situation einen versuchten Prozessbetrug der risikobelasteten Partei zu bejahen. Doch trifft diese Schlussfolgerung nur zu, sofern man das hier zugrunde gelegte Vorgehen bei der Sachverhaltsaufklärung als starre Abfolge von Ereignissen auf dem Zeitstrahl begreift. Damit erläge man freilich einem Missverständnis. So mag die risikobelastete Partei bereits in ihrem ersten Schriftsatz sämtlichen Ansprüchen an die weitere Substantiierung genügen und gegebenenfalls Beweisangebote unterbreiten. Dennoch beeinflusst sie zu diesem Zeitpunkt nicht die Überzeugungsbildung des Prozessgerichts von der Wahrheit ihres Vorbringens. Vielmehr zergliedert das Prozessgericht diesen faktisch einheitlichen Vorgang in seine einzelnen Bestandteile. Sodann setzt es diese zu den jeweils entsprechenden Bestandteilen des gegnerischen Vortrags in Bezug. Gesteht der Gegner nun das Vorbringen der risikobelasteten Partei zu oder bestreitet es endgültig nicht, spielt es für die gerichtliche Tatsachenfeststellung folglich keine Rolle mehr, ob der Vortrag der risikobelasteten Partei aus sich heraus hinreichend konkretisiert war, um nicht mehr als unglaubwürdig nach § 138 Abs. 1 ZPO verworfen werden zu können. Erst recht sind die Beweisangebote unerheblich. Gleichgültig bei alledem ist, wie bereits erwähnt, zu welchem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Gegner das Geständnis vornimmt. Folglich lässt sich das zeitlich nach einer etwaigen Beweisaufnahme liegende Geständnis bruchlos in das hier zugrunde gelegte Verständnis vom Vorgehen bei der Sachverhaltsaufklärung integrieren, wenn man es von seinen Wirkungen her betrachtet. Das Geständnis bindet das Prozessgericht und macht eine Wahrheitsprüfung nicht nur überflüssig, sondern schließt sie aus.206 Das bedeutet, dass etwaige Beweiserhebungen oder sonstige Erkenntnisse aus der Gesamtheit der Verhandlungen die bindende Wirkung eines Geständnisses nicht in Frage stellen können,207 und zwar auch dann nicht, wenn das Geständnis erst im Anschluss an eine Beweisaufnahme erfolgt und einen von der richterlichen Überzeugung abweichenden Inhalt hat.208 Das spätere Geständnis beseitigt also die rechtlichen Wirkungen sämtlicher Aufklärungsmaßnahmen, die die Vorstellung des Prozessgerichts von der Wahrheit der Tatsachenbehauptung betreffen. Dann aber ist es nur konsequent, wenn man auch diese Beseitigungsfolge des Geständnisses umfassend wirken lässt und Handlungen, 206 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 30; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 13. 207 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 36; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 33. 208 BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 288 Rn. 14.

§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen

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die bei Maßgeblichkeit der richterlichen Überzeugungsbildung von der Wahrheit geeignete Tathandlungen eines Prozessbetrugs gewesen wären, auch insoweit als aufgrund des Geständnisses irrelevant und damit nicht existent wertet. Nichts anderes kann gelten, wenn der Gegner die Geständniswirkung nicht durch spätere Erklärung nach § 288 Abs. 1 ZPO herbeiführt, sondern durch einen späteren Widerruf seines Bestreitens oder durch eine spätere Säumnis.

IV. Der Sonderfall des vorweggenommenen Geständnisses Offen bleibt damit noch, wie der Sonderfall des vorweggenommenen Geständnisses zu behandeln ist. Der Begriff beschreibt die Situation, in der die insoweit nicht risikobelastete Partei eine ihr ungünstige Tatsache ausführt, die sich der Gegner sodann zu eigen macht.209 Unter Gesichtspunkten des Prozessbetrugs wird diese Situation zum Problem, wenn der Gegner sich über die Wahrheit seiner Aussage irrt, die risikobelastste Partei dies erkennt und sich die Aussage dennoch zu eigen macht. Hier kann die Tathandlung eines Betrugs dergestalt verwirklicht sein, dass die risikobelastete Partei den Irrtum des Gegners über Tatsachen aufrechterhält. In terminologischer Hinsicht ist dabei klarzustellen, dass es sich hierbei nicht um einen Prozessbetrug, sondern um einen sog. Betrug im Prozess handelt. Denn auch beim vorweggenommenen Geständnis treten die normalen Folgen des § 288 Abs. 1 ZPO ein,210 so dass die Tatsachenfeststellung nicht auf einer Vorstellung des Prozessgerichts über deren Wahrheit beruht, sondern auf der bindenden Wirkung des § 288 Abs. 1 ZPO. Täuschung und Irrtum erfolgen vielmehr in der Person der gestehenden Partei. Nach einem Vergleich des vorweggenommenen Geständnisses mit der umgekehrten Konstellation kommt man indes nicht umhin, hierin lediglich ein strafloses Ausnutzen eines bereits vorhandenen Irrtums zu erblicken.211 So steht beim vorweggenommenen Geständnis zunächst außer Frage, dass der Irrtum bereits vorhanden ist. Weiter liegen im umgekehrten Fall, wenn also die risikobelastete Partei bewusst eine unwahre Tatsache behauptet, die der Gegner irrtümlich gesteht, ohne dass der Irrtum durch die Behauptung verursacht worden wäre, weder ein Prozessbetrug noch ein Betrug im Prozess vor. Ist das Geständnis einmal erfolgt, spielt auch die Verletzung der Wahrheitspflicht durch die risikobelastete Partei keine Rolle mehr. Gewissermaßen schafft das Geständnis eine neue und für das Prozessgericht jedenfalls verbindliche Wahrheit. 209

MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 24. Musielak/Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 288 Rn. 5; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 24. 211 Vgl. dazu Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2 (38. Aufl. 2015), Rn. 514. 210

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Es wäre unter Wertungsgesichtspunkten zumindest eigentümlich, wenn man in der Konstellation des vorweggenommenen Geständnisses zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangte. Allein der Umstand, dass die nicht risikobelastete Partei ihren Irrtum zuerst verlautbart hat, kann eine unterschiedliche Behandlung nicht tragen. Ein als Tathandlung relevantes Aufrechterhalten oder Unterhalten des Irrtums setzt im Gegenteil voraus, dass der Täter die Fehlvorstellung des anderen in ihrer Intensität bestärkt oder die Aufklärungsmöglichkeiten des Irrenden aktiv vereitelt oder wenigstens erschwert.212 Das schlichte Aufgreifen des gegnerischen Irrtums durch die risikobelastete Partei reicht hierfür aber nicht aus. Folglich ist es mit der Dogmatik des § 263 StGB ohne Weiteres zu vereinbaren, beim vorweggenommenen Geständnis den Betrug im Prozess auch dort zu verneinen, wo die risikobelastete Partei den gegnerischen Irrtum erkennt und für ihre prozessualen Zwecke ausnutzt.

V. Die Bestätigung dieser Thesen durch die Wertungen des Restitutionsrechts Die Regeln über die Wiederaufnahme des Verfahrens in Form der Restitutionsklage bestätigen das hier vertretene Verhältnis vom übereinstimmenden bewusst unwahren Parteivorbringen zu den Fragen des Prozessbetrugs. Wesentliche Bestimmungen in diesem Zusammenhang sind §§ 580 Nr. 4 und 582 ZPO. Danach findet die Restitutionsklage statt, wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist. Dies ist jedoch nur unter der weiteren Voraussetzung erfolgversprechend, dass die auf Restitution drängende Partei außerstande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen. Die auf § 580 Nr. 4 ZPO gestützte Restitutionsklage erfordert zunächst, dass die Straftat ursächlich für das ergangene Urteil geworden ist.213 Im Fall übereinstimmenden Vorbringens beruht das Urteil allerdings darauf, dass die nicht risikobelastete Partei die ihr nachteilige Tatsache unstreitig werden ließ. Selbst wenn man im Vorbringen der risikobelasteten Partei den Versuch eines Prozessbetrugs erblicken wollte, müsste diese Tat für die Restitution schon deshalb außer Betracht bleiben, weil die nicht vollendete Tat keine Ursache für den späteren Erfolg begründet. Als Ansatz für eine auf § 580 Nr. 4 ZPO gestützte Klage kommt demnach allenfalls ein vollendeter Betrug im Prozess in Betracht. Freilich gelangt man beim übereinstimmenden bewusst unwahren Sachvortrag auch über diesen Ansatz nicht zu einer erfolgreichen Restitution. So müsste hierzu die risikobe212 213

LK/Tiedemann, StGB (11. Aufl. 1999), § 263 Rn. 95. MünchKomm/Braun, ZPO (4. Aufl. 2012), § 580 Rn. 17.

§ 18 Das übereinstimmend unwahre Vorbringen

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lastete Partei den Gegner durch Täuschung dazu veranlasst haben, die ihm nachteilige Tatsache unstreitig werden zu lassen. Der bewusst unwahre Vortrag der risikobelasteten Partei scheidet dabei als Täuschungshandlung aus. So erfolgt der Sachvortrag nicht mit dem Zweck, den Gegner von dessen Wahrheit zu überzeugen. Diesen Zweck verfolgt die risikobelastete Partei allenfalls gegenüber dem Prozessgericht, und auch dies erst in Verbindung mit angebotenen Beweismitteln ab dem Beginn der Beweiswürdigung. Dies entspricht der Wertung des § 582 ZPO, wonach die nicht risikobelastete Partei – solange und soweit sie nicht durch außerhalb des Prozesses liegende Erkenntnisse von der Wahrheit des gegnerischen Vorbringens überzeugt ist – sich durch Bestreiten zur Wehr setzen kann. Eine Restitutionsklage nach § 580 Nr. 4 ZPO lässt sich demnach nur auf solche Täuschungen und Nötigungen der risikobelasteten Partei stützen, die sie anders als durch Prozesshandlungen mit dem Zweck unternimmt, das Geständnis oder das endgültige Nichtbestreiten des Gegners zu erschwindeln oder ihm abzupressen. Dennoch ist das Prozessgericht im Erstprozess auch unter diesen Begleitumständen an das unstreitige Vorbringen gebunden. Ein Einfalltor für eine richterliche Tatsachenermittlung liefert die abstrakte Gefahr doloser Einflussnahme auf den Gegner damit nicht. Eine Korrektur solcherweise erschlichener Urteile findet vielmehr grundsätzlich erst auf dem Weg des Wiederaufnahmeverfahrens in Form der Restitutionsklage statt. Im Erstprozess kann solches Verhalten lediglich unter dem Gesichtspunkt des vorweggenommenen Restitutionsgrunds Berücksichtigung finden. Will der Gegner der risikobelasteten Partei den Betrug oder die Nötigung im Prozess geltend machen, so muss er hiermit nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens warten. Praktisch bedeutsam wird das, wenn nur so die Bindungswirkung nach § 290 ZPO aufgehoben oder die Zurückweisung des verspäteten Bestreitens nach § 296 ZPO vermieden werden können.214

Zwischenergebnis Bewusst unwahres Parteivorbringen beider Parteien ist für das Prozessgericht verbindlich. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Geständniswirkung aus einer Erklärung gemäß § 288 Abs. 1 ZPO ergibt oder aus einer Fiktion gemäß §§ 138 Abs. 3, 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Ebenso unerheblich ist es, ob die Parteien sich zum übereinstimmend unwahren Vortrag verabredet haben oder ob dieser sich zufällig einstellt. Diese Regel erfährt auch keine Einschränkung im Hinblick darauf, dass der übereinstimmend unwahre Vortrag sich womöglich zu Lasten Dritter auswirkt. Straftaten in Form des Prozessbetrugs oder des 214

Für die Säumnis soll dieser Gedanke demgegenüber nicht eingreifen: BGH, NJW-RR 2011, 1692 f.

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Betrugs im Prozess sind mit übereinstimmend unwahrem Parteivorbringen nicht verbunden. Das gilt auch und gerade dann, wenn die risikobelastete Partei zu ihren eigenen Gunsten bewusst unwahr vorträgt, ohne dass dies mit dem Gegner verabredet wäre. Dementsprechend führt der übereinstimmend unwahre Parteivortrag als solcher auch nicht zu Restitutionsgründen.

§ 19 Gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsachen A. Die Konstellationen dieses Problemkreises Das Verhältnis der Parteien zum Prozessgericht steht auch in solchen Fällen zur Debatte, in denen Tatsachen nicht durch Vortrag zur Kenntnis des Prozessgerichts gelangen, sondern gelegentlich einer Beweisaufnahme.215 Hier sind verschiedene Konstellationen denkbar. So mag die Beweisaufnahme einen anderen Sachverhalt zutage fördern als denjenigen, den die risikobelastete Partei vorgebracht hat; dennoch trägt dieser den geltend gemachten Anspruch oder die geltend gemachte Einrede in gleicher Weise.216 Diese Situation tritt etwa dann ein, wenn die Beweisaufnahme ergibt, dass die Wundinfektion eines Patienten nicht – wie von ihm behauptet – auf Nasskeime, sondern auf einen menschlichen Keimträger während der Operation zurückzuführen ist.217 Nicht anders liegt es, wenn der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn getreten, während der Zeuge aussagt, der Beklagte habe dem Kläger Faustschläge versetzt.218 Schließlich mögen die Zweifel, die die mit dem Gegenbeweis belastete Partei zu begründen versucht, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus anderen als den vorgetragenen Ursachen herrühren. Weiter sind die Konstellationen zu betrachten, in denen der durch die Beweisaufnahme sich ergebende Sachverhalt zu günstigeren Rechtsfolgen führt als der zunächst vorgetragene. Das ist etwa dann der Fall, wenn die durch die Beweisaufnahme ermittelbare Art und Weise eines tätlichen Angriffs zu einer höheren Schmerzensgeldforderung führte.219 Und schließlich mag die Beweisaufnahme zu neuen Ansprüchen oder Einwendungen der begünstigten Partei führen, die sie bislang noch nicht einmal angedeutet hat. So kann es liegen, wenn der medizinische Sachverständige Ausführungen macht, die geeignet sind, den Einwand der hypothetischen Einwilligung zu begründen.220 Prinzipiell können sämtliche Beweismittel gelegentlich der Beweisaufnahme Tatsachen offenbaren, die bislang von keiner Partei vorgebracht sind. 215 216 217 218 219 220

Weyers, in: FS für Esser (1975), 193, 208. Vgl. Blomeyer, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1985), S. 95. BGH, NJW 1991, 1541, 1542. BGH, NJW 2001, 2177, 2178. Vgl. OLG Celle, NZS 2004, 216. Vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 19. März 2014 – 5 U 1/12 [juris].

§ 19 Gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsachen

381

Die häufigsten Fälle werden freilich den Zeugen- und den Sachverständigenbeweis betreffen. Im kommunikativen Prozess der Vernehmung ist es außerdem durchaus vorstellbar, dass eine solche Konstellation bei der Beweisaufnahme in Form der Parteivernehmung eintritt. Aber auch bei den objektivierten Beweismitteln, also bei Urkunden und Augenscheinsobjekten, kann solches vorkommen. Ordnet das Prozessgericht etwa die Vorlage von Urkunden nach §§ 142 bzw. 425 ZPO oder die Vorlegung von Augenscheinsobjekten nach §§ 144 bzw. 425, 371 Abs. 2 Satz 2 ZPO an, kann der Gegenstand der Vorlegung weitere Informationen enthalten, die die begünstigte Partei bislang nicht vorgebracht hat. Stets geht es hier um die Frage, ob das Prozessgericht diese Tatsachen seiner Entscheidung zugrunde legen darf, obwohl die begünstigte Partei sie nicht durch ihren Vortrag in den Prozess eingebracht hat. Die h.M. vertritt hierzu: Zwar dürfe das Prozessgericht solche Tatsachen nur dann verwenden, wenn die begünstigte Partei sie sich wenigstens konkludent zu eigen gemacht habe.221 Es entspreche dabei aber einem allgemeinen Grundsatz, dass sich eine Partei die bei einer Beweisaufnahme zutage tretenden Umstände jedenfalls hilfsweise zu eigen mache, wenn sie ihr günstig seien.222 Eine Mindermeinung lehnt diesen Ansatz demgegenüber vollständig ab, weil er einen in Wahrheit nicht vorhandenen oder wenigstens nicht feststellbaren Parteiwillen fingiere.223 Folglich soll das Prozessgericht befugt sein, gelegentlich der Beweisaufnahme aufgetretene Erkenntnisse ohne Rücksicht auf die Parteien von Amts wegen zu beachten.224

B. Der Streitgegenstand als Grenze Zunächst sind hier die Fälle zu betrachten, in denen die Berücksichtigung der gelegentlich der Beweisaufnahme offenbar gewordenen Tatsache über den ursprünglich rechtshängigen Streitgegenstand hinausgeht. So liegt es namentlich dann, wenn über den rechtshängigen Anspruch hinaus Anhaltspunkte für weitere Ansprüche des Klägers auftauchen. Gleiches gilt, wenn die entdeckte In-

221 OLG Celle, NZS 2004, 216, 217; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), Vor § 128 Rn. 10; MünchKomm/Rauscher, ZPO (4. Aufl. 2013), Einl. Rn. 299; Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht (1969), 24; Blomeyer, Zivilprozeßrecht (2. Aufl. 1985), 95. 222 BGH, NJW 1991, 1541, 1542; 2001, 2177, 2178; NJW-RR 2010, 495; 2011, 428, 429; 2014, 1147, 1149; BeckRS 2013, 1098; OLG Zweibrücken, r+s 2004, 339, 340; KG, BeckRS 2010, 18014; OLG Hamm, Urt. 12. September 2012 – 11 U 94/11 [juris]; OLG Koblenz, Beschl. v. 19. Dezember 2013 – 5 U 950/12 [juris]; OLG Oldenburg, Urt. v. 19. März 2014 – 5 U 1/12 [juris]; Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 285 Rn. 3; MünchKomm/Rimmelspacher, ZPO (4. Aufl. 2012), § 529 Rn. 18. 223 Weyers, in: FS für Esser (1975), 193, 209. 224 Weyers, in: FS für Esser (1975), 193, 209.

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formation erkennen lässt, dass der tatsächliche Anspruch innerhalb desselben Streitgegenstandes höher ausfällt als vom Kläger beantragt.225 Auf den ersten Blick scheint es hier schon aufgrund von § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ausgeschlossen zu sein, solche Tatsachen ohne entsprechenden Parteivortrag zu berücksichtigen.

I. Tatsachen jenseits des Streitgegenstands und die Mindermeinung Die erwähnte Mindermeinung berücksichtigt jenseits des Streitgegenstands liegende Tatsachen nicht. Zwar gestattet sie es dem Prozessgericht, gelegentlich der Beweisaufnahme bekannt gewordene Tatsachen seiner Entscheidung von Amts wegen zugrunde legen. Allerdings gilt diese Befugnis nur für Entscheidungen, die über den rechtshängigen Streitgegenstand ergehen.226 Danach ist das Prozessgericht nicht befugt, von Amts wegen den Antrag einer Partei über § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinaus auszuweiten. Im Ergebnis gilt Gleiches, wenn gelegentlich der Beweisaufnahme Tatsachen auftauchen, die eine zur Aufrechnung berechtigende Gegenforderung begründen.227 Freilich geht es hier nicht um die durch § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO gezogenen Grenzen. Zwar entscheidet das Prozessgericht gemäß § 322 Abs. 2 ZPO mit Rechtskraft über die Gegenforderung. Jedoch begehrt die aufrechnende Partei keine selbständige Entscheidung über die Gegenforderung, weshalb diese auch nicht rechtshängig wird.228 Entscheidend ist daher, dass die Prozessaufrechnung einen Doppeltatbestand aus Prozesshandlung und materiellrechtlicher Gestaltungserklärung bildet.229 Hier darf das Prozessgericht der Partei jedenfalls nicht die Entscheidung darüber abnehmen, ob sie von dem Gestaltungsrecht im Zuge des Prozesses Gebrauch machen will oder nicht.

225

Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 308 Rn. 2. Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), § 308 Rn. 2. 227 Freilich kann diese Prozessaufrechnung erst dann relevant werden, wenn die geltend gemachte Forderung als solche unstreitig ist oder die erhobenen Einwendungen zur Überzeugung des Prozessgerichts ausgeräumt sind („Beweiserhebungstheorie“). Die sog. Klageabweisungstheorie, die eine frühere Berücksichtigung der Aufrechnung ermöglichen wollte, wird heute nicht mehr vertreten (Lüke, Zivilprozessrecht [10. Aufl. 2011), Rn. 228; Pohlmann, Zivilprozessrecht [3. Aufl. 2014], Rn. 525; Schwab, Zivilprozessrecht [4. Aufl. 2012], Rn. G 556). 228 Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 404; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 231; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 528; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 103 Rn. 25. 229 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 45 Rn. 2; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 207; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 433. 226

§ 19 Gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsachen

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II. Tatsachen jenseits des Streitgegenstands und die h.M. Legt man für die gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckten und jenseits des Streitgegenstands liegenden Tatsachen hingegen die h.M. zugrunde, hilft der Hinweis auf § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO womöglich nicht mehr weiter. Denn danach soll die Auslegung ihrer Prozesshandlungen ergeben, dass die begünstigte Partei die gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckten Tatsachen zum Gegenstand ihres Sachvorbringens mache, soweit sie ihr günstig seien. Folglich sind die Prozesshandlungen einer Partei auf Basis der h.M. stets in dem Sinn zu interpretieren, dass sie jeden für die Partei günstigen Umstand aus der Beweisaufnahme mit umfassen. Etwas anderes kann nur gelten, sofern ein entgegenstehender Wille der Partei klar zum Ausdruck kommt. Nimmt man den in dieser These der h.M. zum Ausdruck kommenden Gedanken ernst, dass die Prozesshandlungen einer Partei stets in dem Sinn zu interpretieren seien, der das beste Ergebnis für die Partei realisiert, müsste an sich auch der Klageantrag dieser Maxime folgen. Zu Verstößen gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO könnte es dann gar nicht erst kommen: So dürfte das Prozessgericht im Wege der Auslegung stets den für die Partei günstigeren Antrag als gestellt ansehen. Gleiches müsste man konsequenterweise für die Überwindung des § 388 BGB annehmen. Jedoch will selbst die h.M. so weit nicht gehen. Ihr zufolge soll das Günstigkeitsprinzip bei der Auslegung von Prozesshandlungen nur insoweit gelten, als es um das zu eigen Machen von Tatsachen und durch eine spezielle Sachkunde ermöglichte Schlussfolgerungen oder Wertungen gehe,230 nicht aber in Bezug auf die Anträge oder die Aufrechnung als Verteidigungsmittel. Die h.M. macht diese Einschränkung zu Recht, ist sie doch ein Gebot des Dispositionsgrundsatzes. So ist es dem Prozessgericht nicht gestattet, der Partei aus objektivierten Günstigkeitserwägungen die Herrschaft über den Streitgegenstand zu entziehen. Um den Antrag zu ändern, bedarf es vielmehr einer Klageänderungserklärung gemäß § 263 ZPO in der Form entweder des § 253 Abs. 2 ZPO oder des § 261 Abs. 2 ZPO. Ebenso wenig darf es sich der Entscheidung darüber ermächtigen, ob die Partei das Gestaltungsrecht nach § 388 BGB im Prozess ausübt oder nicht. Für gelegentlich der Beweisaufnahme bekannt gewordene und jenseits des Streitgegenstands liegende Tatsachen gilt somit auf Basis sowohl der h.M. als auch der Mindermeinung: Solange die begünstigte Partei nicht klar zum Ausdruck gebracht hat, dass sie Umstände, die gelegentlich der Beweisaufnahme neu aufgetaucht sind und den Streitgegenstand ändern, in ihr eigenes klagebegründendes Vorbringen einbeziehe, ist es dem Prozessgericht wegen § 308

230

OLG Oldenburg, Urt. v. 19. März 2014 – 5 U 1/12 [juris].

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

Abs. 1 Satz 1 ZPO untersagt, der klagenden Partei diese Umstände im Wege der Auslegung zuzurechnen. Entsprechendes gilt für die Prozessaufrechnung und § 388 BGB.

C. Tatsachen innerhalb des Beweisthemas I. Der Grundsatz Sehr rasch fallen sodann diejenigen bei der Beweisaufnahme ermittelten Tatsachen aus dem Problemkreis heraus, die noch Bestandteil des Beweisthemas sind, also Bestandteil der zum Beweis bestimmten Behauptung.231 Hier geht es letztlich nicht um Fälle, in denen die Beweisaufnahme andere Tatsachen offenbart als diejenigen, die an sich hätten bewiesen werden sollen. Vielmehr konkretisieren die in der Beweisaufnahme ermittelten Tatsachen lediglich das im Verhältnis zu ihnen pauschaler formulierte Beweisthema. Wo eine pauschale Formulierung des Beweisthemas zulässig ist, darf der Vortrag von Einzeltatsachen nach ganz h.M. generell nicht verlangt werden; vielmehr ist es Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach allen Einzelheiten zu fragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen.232 Nachdem die jeweils risikobelastete Partei das Beweisthema formuliert, kommt es hier zu keinem Konflikt zwischen den Befugnissen des Prozessgerichts und der Parteiherrschaft. Damit das Prozessgericht die das allgemein gehaltene Beweisthema konkretisierenden Tatsachen berücksichtigen kann, bedarf es folglich weder eines konkludenten zu eigen Machens seitens der risikobelasteten Partei noch einer besonderen Rechtsmacht des Prozessgerichts, diese Tatsachen von Amts wegen zu berücksichtigen. Man geht davon aus, dass die zulässige allgemeine Tatsachenbehauptung gewissermaßen sämtliche konkreten Varianten ihrer selbst mit umfasst.

II. Die Reichweite dieses Grundsatzes Für die Frage, wann die in der Beweisaufnahme neu aufgedeckten Tatsachen eine zulässige Konkretisierung des allgemeinen Beweisthemas darstellen, ist entscheidend, in welcher Situation des Prozesses die risikobelastete Partei wie konkret vorzutragen hat. Nach den bislang erzielten Ergebnissen gilt hier, dass 231 Zum Begriff des Beweisthemas siehe Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 541; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 29. 232 BGH, NJW 2001, 144, 145; 2008, 3361, 3362; NJW-RR 1998, 1409; 2007, 541, 543; 2007, 1409, 1410; 2008, 1311; 2010, 246, 247; 2010, 1217, 1219; 2010, 1039 f.; 2013, 296; NJWE-FER 2000, 209 f.; BeckRS 2010, 30437; OLG Köln, NJW-RR 1999, 1155.

§ 19 Gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsachen

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die risikobelastete Partei lediglich in ihrem Initialvortrag reichlich pauschal bleiben darf. Sobald der Gegner diesen Initialvortrag bestreitet, hat sie als Realkennzeichen sämtliche von ihr erwartbaren Belegtatsachen vorzubringen. Gegebenenfalls hat sie das konkretisierte Bestreiten des Gegners zu verwenden, um ihrerseits ihr Beweisthema zu konkretisieren.233 Zu einer weiten Formulierung des Beweisthemas gelangt man folglich nur dann, wenn weder von der einen noch von der anderen Partei Realkennzeichen in Form von Belegtatsachen erwartbar sind, sei es, weil die fragliche Tatsache außerhalb beider Wahrnehmungskreise liegt, sei es, weil die fragliche Tatsache sehr lange Zeit zurückliegt, oder sei es, weil die fragliche Tatsache im rechtlich relevanten Kernbereich nur sachverständig feststellbar ist. Daraus folgt: Sofern und soweit von der mit der Führung des Haupt- oder des Gegenbeweises belasteten Partei eine Präzisierung ihres Beweisthemas deshalb nicht erwartet werden kann, weil sie keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu den ihr Vorbringen konkretisierenden Belegtatsachen hat, kann das Prozessgericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung jede bei der Beweisaufnahme festgestellte Einzelheit berücksichtigen und seiner Entscheidung zugrunde legen, die sich als Konkretisierung des weit gefassten Beweisthemas erweist. Verdeutlichen lässt sich das etwa anhand des Beweisangebots im Arzthaftungs- oder auch im Baumängelprozess. Der Patient kann aus eigener Wahrnehmung lediglich die Symptome seiner Gesundheitsbeeinträchtigung und die Koinzidenz mit der ärztlichen Behandlung wahrnehmen, was die Anforderungen an die Konkretisierung seines Vortrags entsprechend reduziert.234 Gleiches gilt für den Vortrag betreffend den Werkmangel im Bauprozess, bei dem die Beschreibung der Mangelsymptome die volle Substantiierung begründet.235 Konsequenz dieser Erleichterungen für den Patienten bzw. den Besteller ist es, dass der Vortrag des Symptoms jeden fachlichen Einzelvorgang erfasst, der das vorgetragene Symptom auslöst.236 Dann muss das Prozessgericht aber auch jede im Zuge der Beweisaufnahme festgestellte Einzelheit seiner Entscheidung zugrunde legen können, ohne dass die begünstigte Partei sie sich zusätzlich zu eigen machen müsste. Das muss auch dann gelten, wenn die risikobelastete Partei den überobligationsmäßigen Versuch unternimmt, ihr Beweisthema selbst zu konkretisieren.237 Denn die besondere Anstrengung kann der Partei nicht zum Nachteil gereichen. Stellt sich in einem solchen Fall während der Beweisaufnahme also heraus, dass dem beschriebenen Symptom eine andere als die vom Beweisfüh233

Vgl. BGH, NJW 1999, 2887, 2888. Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 48; Laufs/Kern/Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts (4. Aufl. 2010), § 114 Rn. 5. 235 Staudinger/Bub, BGB (2005), § 21 WEG Rn. 293a. 236 BGH, NJW 2008, 576, 577; Sonntag, NJW 2009, 3634, 3635. 237 BGH, NJW 2008, 576, 577; Büchting/Heussen/Locher, in:, Rechtsanwalts-Handbuch (10. Aufl. 2011), § 23 Rn. 65. 234

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

rer vorgetragene Ursache zugrunde liegt, kann das Prozessgericht diese andere Ursache bei seiner Entscheidung beachten. Auf ein zu eigen Machen seitens der begünstigten risikobelasteten Partei kommt es nicht an. Danach bezog auch in BGH, NJW 1991, 1541 die Behauptung einer durch Hygienemängel hervorgerufenen Wundinfektion als Ursachen sowohl den technisch-apparativen Bereich als auch einen menschlichen Keimträger mit ein. Das gilt unabhängig davon, dass der Patient sich zuvor auf den technisch-apparativen Bereich als Quelle festgelegt hatte.

D. Die Behandlung der verbleibenden Fälle I. Charakteristika der verbleibenden Fälle Die eingangs geschilderte Sachfrage stellt sich danach nur in den folgenden Konstellationen: (1.) Wegen erwartbarer Belegtatsachen ist das Beweisthema eng gefasst, wobei die Beweisaufnahme ein vom Vortrag abweichendes Ergebnis liefert, das dem Beweisführer gleichwohl günstig ist und dieselben Rechtsfolgen auslöst wie der ursprüngliche Vortrag. (2.) Die gelegentlich der Beweisaufnahme neu entdeckten Tatsachen ändern die Rechtsfolgen, bei deren Ausspruch das Prozessgericht einen Ermessensspielraum hat, namentlich also dann, wenn das Ergebnis der Beweisaufnahme zu einem höheren Schmerzensgeld führt als der ursprüngliche Vortrag der begünstigten Partei. (3.) Die Beweisaufnahme ergibt eine andere als die von der risikobelasteten Partei vorgetragene Variante des tatsächlichen Geschehens, die deren Rechtsschutzziel aber in gleicher Weise trägt wie ihr eigener Vortrag. Hierher gehört etwa der Fall, dass die risikobelastete Partei eine Verletzungshandlung in Form von Faustschlägen behauptet, die Beweisaufnahme jedoch eine Verletzungshandlung in Form von Fußtritten ergibt.238

II. Das tatsächliche zu eigen Machen Innerhalb der Grenzen des § 296 ZPO kann jede Partei ihr Vorbringen bis zum Ende der mündlichen Verhandlung ändern und ergänzen.239 In den verbliebenen Konstellationen ist es der Partei danach unbenommen, das ihr günstige Ergebnis der Beweisaufnahme bei der Verhandlung nach § 285 Abs. 1 ZPO aufzugreifen und zum Gegenstand des eigenen Vorbringens zu ma238 Anders liegt es nur dann, wenn die risikobelastete Partei nach Lage der Dinge sich auf den Vortrag beschränken durfte, der Gegner habe ihr, durch welche Handlung auch immer, eine bestimmte Körperverletzung beigebracht. 239 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 28 Rn. 12; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 300.

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chen.240 Natürlich kann sie dies ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten tun. Sofern Zweifel darüber bestehen, wie die begünstigte Partei sich zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme verhält, wird das Prozessgericht einen Hinweis nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO geben müssen, und zwar schon deshalb, weil die begünstigte Partei nicht selten davon ausgehen wird, ihr günstige Ergebnisse der Beweisaufnahme würden ohne Weiteres zur Entscheidungsgrundlage.241 Sodann hat die risikobelastete Partei sich zu erklären. Unterbleibt ein hinreichend deutliches zu eigen Machen, kann das Prozessgericht ein solches nicht kurzerhand unterstellen.

III. Das unterbliebene zu eigen Machen 1. Die Nichtbeachtung der gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckten Tatsache Reagiert die durch die gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsache begünstigte risikobelastete Partei nicht auf den richterlichen Hinweis, stehen dem Prozessgericht aus der Gesamtheit der Verhandlungen drei Sachverhaltsvarianten zur Verfügung: Diejenige, die die risikobelastete Partei vorgebracht hat, die Entgegnung der anderen Partei sowie schließlich diejenige, die sich zufällig aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme ergeben hat. Letztlich fehlt es hier für jede der drei Varianten an belastbaren Realkennzeichen, anhand derer das Prozessgericht seine Überzeugung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO gewinnen könnte. So waren die Parteivorträge mit ausreichenden Belegtatsachen untermauert und konnten deshalb nicht mehr als subjektiv unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO behandelt werden. Auf der sich deshalb anschließenden Beweisebene hat sich jedoch die objektive Wahrheit weder des einen noch des anderen Vortrags erwiesen. Die Wahrheit des auf der Beweisebene zufällig ermittelten Sachverhalts will hingegen nicht einmal die dadurch begünstigte risikobelastete Partei behaupten. Es ist praktisch nicht vorstellbar, dass ein Prozessgericht das Gebot sachgemäßer Beweiswürdigung242 befolgt, wenn es vor diesem Hintergrund im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO zu der Überzeugung gelangt, die gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte Tatsache sei wahr. Folglich darf das Prozessgericht in solchen Fällen die fragliche Tatsache weder von Amts wegen seiner Entscheidung zugrunde legen noch sie als Bestandteil des Sachvortrags der begünstigten Partei fingieren. Vielmehr muss hier die Entscheidung anhand der gesetz240

BGH, NJW-RR 2005, 1297, 1298; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), 433. Siehe etwa OLG Brandenburg, Urt. v. 19. März 2014 – 5 U1/12. 242 Dazu BGH, NJW 1992, 1966; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 12; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 736; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 268; Pantle, NJW 1991, 1279, 1280. 241

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lichen Risikoverteilung bzw. – wenn der risikobelasteten Partei der Gegenbeweis obliegt – des bisherigen Beweisergebnisses ergehen. 2. Die Bestätigung dieser These durch Widerruf und Änderung von Parteivorbringen Wertungsmäßig verhält es sich ebenso, wenn eine Partei ihr Vorbringen zu ihrem Nachteil widerruft oder ändert, nachdem eine vorherige Beweisaufnahme zu ihren Gunsten ausgegangen ist. So sind die eigenen Angriffs- und Verteidigungsmittel einer Partei jedenfalls deshalb bis zum Ende der mündlichen Verhandlung frei widerruflich oder inhaltlich abänderbar, weil sie den Gegner nicht begünstigen.243 Folglich ist es denkbar, dass eine Partei die Behauptung des Gegners im Sinne des § 288 Abs. 1 ZPO mit verbindlicher Wirkung gesteht, obwohl eine vorangegangene Beweisaufnahme zu einem anderen Ergebnis führte.244 Nicht anders liegt es, wenn die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei ihre bereits zur Überzeugung des Prozessgerichts feststehende Behauptung später widerruft. Auch hier darf das Prozessgericht den Beweis der widerrufenen Tatsachenbehauptung nicht berücksichtigen.245 Wird danach das Ergebnis der Beweisaufnahme unerheblich, sobald die risikobelastete Partei die zu ihren Gunsten bewiesene Tatsache später widerruft, kann nichts anderes gelten, wenn sie eine entsprechende Behauptung gar nicht erst aufstellt. Gegen diesen Vergleich mag man einwenden, dass der Widerruf eine unmissverständlich formulierte Prozesshandlung sei, wohingegen die schweigende Partei sich zu der gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckten Tatsache indifferent verhalte. Jedoch verhält sich die säumige Partei durch Nichterscheinen oder Nichtverhandeln im Termin zur mündlichen Verhandlung inhaltlich nicht minder indifferent zu bis dahin erzielten Beweisergebnissen. Dennoch gehen ihr allein aufgrund ihrer inhaltlich indifferenten Säumnis jegliche Beweisergebnisse verloren, die früher zu ihrem Vorteil erzielt wurden. Für den Kläger folgt dies unmittelbar aus § 330 ZPO, wo es neben der Säumnis auf inhaltliche Fragen gar nicht erst ankommt.246 Für die Säumnis des Beklagten nach § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Nichtberücksichtigung der vorangegangenen Beweisaufnahme die Konsequenz daraus, dass – wie § 332 ZPO verdeutlicht – in jedem Termin der gesamte Streitstoff 243 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Einl III Rn. 22; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), vor § 128 Rn. 23; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), Vor § 128 Rn. 283; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 215. 244 LG Berlin, NJW 1978, 1061; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 288 Rn. 14; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 288 Rn. 36; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 30. 245 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 64 Rn. 11. 246 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 105 Rn. 27.

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auch dann verhandelt wird, wenn über einzelne Tatsachen zuvor eine Beweisaufnahme stattgefunden hat.247 3. Kein Widerspruch zu § 291 ZPO Die hier vertretene These von der Unbeachtlichkeit gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckter Tatsachen widerspricht schließlich auch nicht der Wertung des § 291 ZPO. Zwar sind gerichtsnotorisch jedenfalls sämtliche Tatsachen, die das erkennende Gericht in amtlicher Eigenschaft selbst wahrgenommen hat.248 Diese Begriffsbildung schließt nicht von vornherein die Annahme aus, dass jedes Ergebnis einer Beweisaufnahme zumindest für das aktuelle Verfahren unmittelbar gerichtsbekannt würde. Träfe dies zu, so behielte das Ergebnis der Beweisaufnahme selbst dann seine Geltung, wenn eine Partei ein widersprechendes Geständnis ablegte.249 Weiter hätte das Prozessgericht die notorische Tatsache auch dann seiner Entscheidung zugrunde legen, wenn die begünstigte Partei sie nicht vortragen250 oder ihr gar ausdrücklich widersprechen würde.251 Tatsächlich ist es systematisch ausgeschlossen, jede richterliche Überzeugungsbildung sofort und jedenfalls für das rechtshängige Verfahren, in dem diese stattfand, als gerichtskundige Tatsache zu begreifen. Ein gegenteiliges Ergebnis wäre nämlich jedenfalls mit den Regeln über das Versäumnisurteil gegen den Beklagten nach §§ 331 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 332 ZPO nicht zu vereinbaren. So darf gegen den Beklagten kein Versäumnisurteil ergehen, das in Widerspruch zu ihm günstigen und offenkundigen Tatsachen steht.252 Würde das Ergebnis einer früheren Beweisaufnahme solchermaßen offenkundig, so bliebe es dem begünstigten Beklagten über § 291 ZPO auch im Fall seiner Säumnis erhalten. Dies widerspräche dem Grundsatz, dass in jedem Termin der gesamte Streitstoff zur Verhandlung steht. Die einem vollen Beweis ihrer Wahrheit entsprechende Wirkung folgt bei der notorischen Tatsache im Übrigen gerade nicht aus einer Überzeugungsbildung des Prozessgerichts in dem aktuell rechtshängigen Verfahren selbst, sondern vielmehr aus anderen, außerhalb dieses Verfahrens liegenden Gründen.253 Andernfalls ergäbe die Formulierung, dass offenkundige Tatsachen keines Beweises bedürften, keinen Sinn. 247

MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 331 Rn. 14. MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 9; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 536; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 265. 249 BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 291 Rn. 1; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 13. 250 Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 265. 251 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), Rn. 13; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 18. 252 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 331 Rn. 20. 253 Vgl. MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 291 Rn. 18. 248

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Zwischenergebnis Werden während der Beweisaufnahme Umstände offenbar, die außerhalb des rechtshängigen Streitgegenstands liegen, darf das Prozessgericht diese nicht von sich aus seiner Entscheidung zugrunde legen. Weder hat es die Befugnis, solche Umstände von Amts wegen zu berücksichtigen, noch darf es die Prozesshandlungen der Parteien ohne tragfähigen Anhaltspunkt dahingehend interpretieren, dass diese sich im Zweifel sämtliche ihnen günstigen Umstände wenigstens hilfsweise zu eigen machen. Gleiches gilt für solche gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckten Umstände, die der begünstigten Partei eine Gegenforderung ermöglichten. Umgekehrt darf das Prozessgericht ohne Weiteres sämtliche Beweisergebnisse berücksichtigen, die lediglich eine Konkretisierung des allgemeiner formulierten Beweisthemas darstellen. Wenn gelegentlich der Beweisaufnahme Tatsachen offenbar werden, die innerhalb des rechtshängigen Streitgegenstands, aber außerhalb des Beweisthemas liegen, dann darf das Prozessgericht sie seiner Entscheidung so lange nicht zugrunde legen, bis die begünstigte Partei durch späteres eigenes Verhalten hinreichend klar zum Ausdruck gebracht hat, dass sie diese Tatsache zum Gegenstand ihres Vorbringens machen will. Für Befugnisse zur Berücksichtigung solcher Tatsachen von Amts wegen besteht ebenso wenig Raum wie für Auslegungsregeln, die sich allein daran orientieren, ob die jeweilige Tatsache der risikobelasteten Partei nutzt.

§ 20 Der äquipollente Gegnervortrag A. Die Konstellation des äquipollenten Vortrags Klassisch umstritten ist das Verhältnis zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht schließlich in den Fällen des sog. gleichwertigen („äquipollenten“) Vortrags. Die so bezeichnete Situation stellt sich nach anerkannter Definition ein, wenn beide Parteien unterschiedliche Varianten des streitgegenständlichen Geschehens vortragen, jede der beiden Varianten letztlich aber dieselbe Rechtsfolge auslöst.254 Unterschiedliche Situationen lassen sich unter diese recht weit formulierte Definition des äquipollenten Vortrags fassen. Zunächst mag man an Fälle denken, in denen der Kläger eine Forderung geltend macht. Diese bestreitet der 254 BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 288 Rn. 18; Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), Einl. Rn. 42; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 511; Weyers, in: FS für Esser (1975), 193, 211; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 336; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 417; Musielak, ZZP 103 (1990), 220; Jauernig, in: FS für Schwab (1990), 247; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 143.

§ 20 Der äquipollente Gegnervortrag

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Beklagte und räumt gleichzeitig das Bestehen einer anderen, im Umfang gleichen Forderung ein. Unter die gängige Definition des äquipollenten Parteivortrags fällt es auch, wenn der Gegner einen alternativen Sachvortrag liefert, der gleichermaßen unter dasselbe Tatbestandsmerkmal zu subsumieren ist wie die von der risikobelasteten Partei vorgebrachte Variante. So liegt es etwa, wenn der Beklagte meint, er habe dem Kläger die streitgegenständlichen Verletzungen nicht durch Faustschläge, sondern durch Fußtritte beigebracht. Als repräsentativ für die gesamte Konstellation werden in der Literatur schließlich solche Fälle präsentiert, in denen der Gegner das anspruchsbegründende Vorbringen der risikobelasteten Partei in Abrede stellt, soweit es sich auf eine Anspruchsgrundlage bezieht. Gleichzeitig verwirklicht sein Verteidigungsvorbringen eine alternative Anspruchsgrundlage, die das Begehren der risikobelasteten Partei ebenso rechtfertigt.255 So liege es namentlich, wenn der Kläger Schadensersatz wegen Eigentumsverletzung aus § 823 Abs. 1 BGB verlange und der Beklagte hiergegen § 904 Satz 1 BGB einwende.256 Dann nämlich schuldet der Beklagte gemäß § 904 Satz 2 BGB257 dem Kläger in gleicher Weise Schadensersatz, wie wenn § 823 Abs. 1 BGB verwirklicht wäre.258 Die h.M. sieht sich außerstande, in dieser Konstellation ohne Weiteres aufgrund eines unstreitigen Sachverhalts zu entscheiden.259 So sei das, was die risikobelastete Partei vorbringe, erheblich bestritten; allerdings sei das, was der Gegner zu Gunsten der risikobelasteten Partei erwidert habe, nicht behauptet. Folglich soll das Prozessgericht die der risikobelasteten Partei günstigen Ausführungen des Gegners erst dann als unstreitig zugrunde legen, wenn diese sie sich wenigstens hilfsweise zu eigen gemacht hat.260 Von einem solchen zu eigen 255

Braun, Zivilprozessrecht (2014), 511; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 336. 256 Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), Einl. Rn. 42; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 30; Weyers, in: FS für Esser (1975), 193, 211. 257 Als Schuldner des Anspruchs aus § 904 Satz 2 BGB sehen Rechtsprechung und h.M. den Einwirkenden an, und zwar auch dann, wenn er und der durch den Eingriff Begünstigte personenverschieden sind (etwa RGZ 113, 301, 303; Jauernig/Berger, BGB [16. Aufl. 2015], § 904 Rn. 5; BeckOK/Fritzsche, BGB [37. Ed. 2015], § 904 Rn. 20; a.A. MünchKomm/Säcker, BGB [6. Aufl. 2013], § 904 Rn. 17). 258 Die Gleichwertigkeit beider Vorträge im hier verstandenen Sinn steht auch nicht dadurch in Frage, dass der deliktische Anspruch teils weiter gehende Rechtsfolgen auslöst als andere Ansprüche. Dies wird etwa bei §§ 393 BGB, 850 ff. ZPO oder teils auch § 302 Nr. 1 InsO relevant. Jedoch hat die Qualifikation eines Anspruchs als deliktisch nicht an der materiellen Rechtskraft teil (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht [17. Aufl. 2010], § 153 Rn. 21; H. Roth, ZZP 124 (2011), 3, 7). Anders liegt es freilich dann, wenn der Kläger etwa zur Vorbereitung der Vollstreckung beantragt, die deliktische Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruchs festzustellen (siehe Künzl, JR 1991, 91, 95). 259 BGH, NJW 2000, 1641, 1642; Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), Einl. Rn. 42; Braun, Zivilprozessrecht (2014), 511; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 336; Musielak, ZZP 103 (1990), 220, 222. 260 BGH, NJW 2000, 1641, 1642; NJW-RR 1994, 1405; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 138 Rn. 6; Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), Einl. Rn. 42; Braun, Zivilpro-

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Machen soll aber auch in diesem Zusammenhang bereits auszugehen sein, wenn die risikobelastete Partei nicht ausdrücklich widerspreche.261 Spätestens an dieser Stelle werden die Ähnlichkeiten dieses Problemkreises mit dem soeben unter § 19 erörterten deutlich. Der maßgebliche Unterschied besteht indes darin, dass die neue Information nicht von einer Erkenntnisquelle der Beweisaufnahme stammt; vielmehr liefert sie der Gegner der risikobelasteten Partei selbst, und zwar im Rahmen seiner Verteidigung. Folglich stehen dem Prozessgericht auch lediglich zwei Sachverhaltsvarianten zur Auswahl.262 Unabhängig davon ist für eine sachgerechte Lösung abermals zu differenzieren.

B. Der Streitgegenstand als Grenze Zunächst fallen auch hier diejenigen Tatsachen aus dem Problemkomplex heraus, bei deren Berücksichtigung sich der Streitgegenstand änderte.263 Da allein der Kläger den Streitgegenstand bestimmt,264 spielt es keine Rolle, ob die jenseits liegende Information im Rahmen der Beweisaufnahme oder bereits auf der Vortragsebene zutage tritt. Wer dort annimmt, dass eine Partei mangels klar erkennbaren gegenteiligen Verhaltens die ihr günstigen Umstände konkludent in ihr Vorbringen mit aufnehme, dem fällt es auch hier schwer, die Grenze zum Streitgegenstand exakt zu erfassen. Der Sache nach ergeben sich keine anderen Überlegungen als im vorangegangenen § 19. Gleiches gilt für den Fall, dass der gleichwertige Vortrag des Gegners das Bestehen einer aufrechenbaren Gegenforderung offenbart. Überschritten war die Streitgegenstandsgrenze etwa in einem Fall, in dem der Kläger den Beklagten als Bürgen für eine Forderung in Anspruch nahm, die ein Dritter an den Kläger abgetreten hatte. Aus dem Verteidigungsvorbringen des Beklagten ging sodann hervor, dass er als Bürge für eine andere und umfangsgleiche Forderung des Klägers haftete, die diesem jedoch aus eigenem 261 zessrecht (2014), 511; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 336; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 102 Rn. 20; siehe auch BGH, NJW 1985, 1841, 1842. 261 BGH, NJW-RR 1995, 684, 685; Musielak, ZPO (13. Aufl. 2016), Einl. Rn. 42; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 102 Rn. 20; siehe auch BVerfG, NJW-RR 2009, 1141, 1142 („Denn in der zivilprozessualen Rechtsprechung ist geklärt, dass sich eine Partei das ihr günstige Vorbringen des Gegners jedenfalls hilfsweise zu eigen macht […].“). 262 OLG Zweibrücken, NJWE-VHR 1998, 210, 211. 263 RGZ 103, 419, 422; Jauernig, in: FS für Schwab (1990), 247 f.; ähnlich Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 417. 264 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Einl II Rn. 14; Zöller/Vollkommer, ZPO (31. Aufl. 2016), Einleitung Rn. 63; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 317; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 305; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 219.

§ 20 Der äquipollente Gegnervortrag

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Recht zustand. Hier folgt schon aus der Verschiedenheit der diskutierten Bürgschaftsforderungen, dass sie keinen identischen Streitgegenstand bilden können.265 Will der Kläger seiner Klage den vom Beklagten präsentierten alternativen Streitgegenstand zugrunde legen, so steht hierfür nur die Klageänderung gemäß § 263 ZPO zu Verfügung. Hier setzen bereits §§ 253, 261 Abs. 2 ZPO der Annahme stillschweigender Klageänderungen Grenzen.

C. Im Entscheidungsprogramm identisches Vorbringen Schwieriger sind sodann diejenigen Fälle zu lösen, in denen die Entgegnung innerhalb desselben Entscheidungsprogramms von den Behauptungen der risikobelasteten Partei abweicht.266 Hier bedarf es im Ergebnis keines Rückgriffs auf die Figur des zu eigen Machens, um einen unstreitigen Sachverhalt annehmen zu können.

I. Tatsachen außerhalb der Tatbestandsmerkmale Das leuchtet dort unmittelbar ein, wo die Abweichung nur solche Tatsachen betrifft, die außerhalb der erheblichen Tatbestandsmerkmale liegen. So verhält es sich etwa, wenn die Parteien um Kaufpreiszahlung streiten und dabei über den Abschluss eines Kaufvertrags, den Kaufgegenstand und den vereinbarten Kaufpreis übereinstimmend vortragen. Hier verfiele niemand ernsthaft auf den Gedanken, ein erhebliches Bestreiten etwa deshalb anzunehmen, weil für die Sachentscheidung nicht erhebliche Details – wie etwa die Motivlage zum Abschluss dieses Vertrags oder die Wetterlage am Tage des Abschlusses – voneinander abweichen.267 Das folgt daraus, dass der Zahlungskläger auch ohne diese Details schlüssig vorträgt. Folglich spielt es auch keine Rolle, ob beide Parteien hierzu Identisches oder Unterschiedliches vorbringen. Um der Zahlungsklage stattzugeben, genügt es vielmehr, dass die essentialia des Vertrags unstreitig und Einwendungen nicht erhoben sind.

II. Unterschiedliche Konkretisierungen desselben Lebenssachverhalts Unter dem Vorbehalt, dass bei beiden vorgetragenen Varianten sowohl der Streitgegenstand als auch die Rechtsfolgen identisch bleiben, wird man eine unerhebliche Entgegnung darüber hinaus auch dann annehmen müssen, wenn 265 266 267

RGZ 151, 93, 98. Weyers, in: FS für Esser (1975), 727, 728. Vgl. auch E. Schneider, MDR 1970, 727, 728.

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6. Kapitel. Allgemeine Konfliktlagen

das Verteidigungsvorbringen dasselbe Tatbestandsmerkmal erfüllt wie die Behauptung der risikobelasteten Partei. Hier geht es namentlich um den Fall, dass der Beklagte erwidert, er habe den Kläger entgegen dessen Schilderung nicht durch Faustschläge, sondern durch Fußtritte verletzt. Hier mögen Abweichungen im Detail vorliegen. Trotz der Unterschiede in den Details zur haftungsbegründend kausalen Verletzungshandlung kann das Prozessgericht auch hier aufgrund eines unstreitigen Sachverhalts entscheiden. Das ergibt sich aus Folgendem: Im Ausgangspunkt reduziere man den Vortrag der risikobelasteten Partei, sie sei vom Gegner mit Fäusten geschlagen worden, auf das für einen Initialvortrag notwendige Mindestmaß. Danach gilt der Maßstab des notice pleading. Die risikobelastete Partei müsste folglich keine im Einzelnen konkrete Verletzungshandlung benennen. Vielmehr wären die Beschreibung der Körperverletzung und die Behauptung irgendeiner nach Zeit und Raum bestimmten haftungsbegründend kausalen und dem Gegner zurechenbaren Verletzungshandlung ausreichend.268 Räumte der Gegner einen solchen, auf das notwendige Mindestmaß reduzierten Vortrag ein, wäre dieser nach § 288 Abs. 1 ZPO ggf. i.V.m. § 138 Abs. 3 ZPO der Entscheidung zugrunde zu legen. Nichts anderes kann im nächsten Schritt gelten, wenn der Gegner nicht vorbehaltlos zugesteht, sondern darüber hinaus ausführt, durch welche konkreten Handungen er der risikobelasteten Partei die streitgegenständlichen Verletzungen beigebracht habe. Und schließlich muss das Ergebnis identisch sein, wenn beide Parteien darin übereinstimmen, dass der Gegner der risikobelasteten Partei die beschriebenen Verletzungen beigebracht habe, und lediglich die konkrete Ausführung voneinander abweichend beschreiben. Denn diejenigen Bestandteile des Vorbringens der risikobelasteten Partei, die das notwendige Mindestmaß ihres Initialvortrags ausmachen, namentlich dass der Gegner die streitgegenständlichen Verletzungen zurechenbar durch irgendeine nach Zeit und Raum bestimmte haftungsbegründend kausale Verletzungshandlung verursacht habe, stehen außer Streit.269 Nichts anderes ist in dieser Konstellation aber entscheidend.270 Es kommt hinzu, dass kaum überwindbare Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen, wenn man in solchen Fällen einen erheblich bestrittenen Sachvor268 Vgl. Stephens, 24 Hastings International and Comparative Law Review (2001), 401, 412: „The notice pleading system permits plaintiffs to file claims with bare bones allegations, without providing all of the details of the underlying facts.“ 269 Es ist konsequent, dass das Prozessgericht hier einen unbestrittenen Sachvortrag zugrunde zu legen hat, während es dieselbe Information nicht ohne Weiteres bei seiner Überzeugungsbildung verwenden darf, wenn sie gelegentlich der Beweisaufnahme offenbar wird. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Fallgruppen besteht darin, dass hier eine Übereinstimmung wenigstens im Initialvortrag gegeben ist, während der Initialvortrag dort nach wie vor erheblich bestritten ist. 270 I. Erg. auch Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 417.

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trag annimmt. Man denke etwa an den Vertragsschluss. So liegen auch dort unterschiedliche Vorträge zu ein und demselben Tatbestandsmerkmal vor, wenn die Parteien abweichende Zeitpunkte des Zugangs etwa der Annahmeerklärung behaupten. Wenn gleichwohl Einigkeit besteht, dass der Vertrag zustande gekommen und die betreffende Willenserklärung jedenfalls rechtzeitig zugegangen ist, lässt es sich nicht rechtfertigen, mit Blick auf ein unerhebliches Detail einen beweisbedürftigen Sachverhalt anzunehmen. Freilich bedarf es in dieser Untergruppe des äquipollenten Vortrags stets sorgfältiger Prüfung, ob beide Varianten tatsächlich identische Rechtsfolgen auslösen und denselben Streitgegenstand betreffen.

III. Konkretisierung anhand eines Rechtsprechungsbeispiels Manche Fälle, für die die Rechtsprechung auf die Formel vom zu eigen Machen zurückgreift, lassen sich bereits mit diesem Gedankengang lösen. Das zeigt ein Beispiel aus dem Arzthaftungsrecht. Einer Patientin wurde eine Standardhüftgelenksprothese eingesetzt, obwohl sie – was der behandelnde Arzt wusste – eine Sonderanfertigung benötigte. Hierzu trug die Geschädigte weiter vor, der Arzt habe die Beschaffung der notwendigen Sonderprothese unterlassen. Dieser entgegnete, dass sich an der von ihm beschafften Sonderanfertigung erst in der Operation ein Verarbeitungsfehler gezeigt habe, aufgrund dessen sie nicht habe eingesetzt werden können. So sei eine Notlage entstanden, die die Verwendung des Standardmodells als das geringere Übel erscheinen ließ. Dem mit dem Fall befassten OLG Zweibrücken zufolge beschrieben die Vorträge beider Parteien jeweils eigenständige Behandlungsfehler: Die unterlassene Beschaffung der benötigten Prothese bzw. die unterlassene Vorkehrung gegen das Entstehen einer solchen Notlage. Da die Geschädigte sich das Vorbringen des Arztes zu eigen gemacht hatte, konnte eine Entscheidung anhand der herrschenden Grundsätze über den äquipollenten Sachvortrag ergehen.271 Tatsächlich gelangt man auf einfacherer Grundlage zu einer Verurteilung des Arztes aufgrund unstreitigen Vortrags. So ist für die Haftung des behandelnden Arztes allein entscheidungserheblich, ob ihm ein Behandlungsfehler unterlaufen ist. Dies ist der Fall, wenn er diejenigen Maßnahmen nicht ergriffen hat, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden können.272 Alles weitere ist eine bloße Frage „kasuistischer Konkretisierung“.273 Danach war bei dem vorliegenden Kenntnisstand bereits das Einsetzen einer 271 272 273

OLG Zweibrücken, NJWE-VHR 1998, 210, 212. Staudinger/J. Hager, BGB (2009), § 823 Rn. I 18a. MünchKomm/Wagner, BGB (6. Aufl. 2013), § 823 Rn. 797.

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Standardprothese jedenfalls objektiv pflichtwidrig.274 Insoweit ist das Vorbringen der risikobelasteten Partei aber unbestritten. Der Einwand des Arztes, er habe aufgrund einer Notlage nicht anders handeln können, betrifft demgegenüber die sog. innere Sorgfalt, die systematisch dem Vertretenmüssen zuzuordnen ist.275 Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB ist insoweit freilich der Arzt risikobelastet. Nur wenn ihm der Vortrag und der Nachweis gelingen, dass er das Entstehen der beschriebenen Notsituation nicht zu vertreten habe, ist ihm das objektiv pflichtwidrige Vorgehen subjektiv nicht vorwerfbar, so dass er von der Haftung frei wird.

D. Der doppelrelevante äquipollente Parteivortrag I. Die Charakteristika des doppelrelevanten Parteivortrags Obgleich die vorerwähnten Fallgruppen ohne Weiteres in den Geltungsbereich der Definition fallen, sind sie kaum jemals Gegenstand der Diskussion, wenn in Rechtsprechung und Literatur vom äquipollenten Parteivortrag die Rede ist. In aller Regel geht es vielmehr um solche Fälle, in denen man plakativ von einem doppelrelevanten Parteivortrag des Gegners der risikobelasteten Partei sprechen mag. Für sie ist charakteristisch, dass der Gegner eine Einwendung, einen Rechtfertigungsgrund o.ä. gegen das geltend gemachte Begehren behauptet. Unterstellt man dieses Verteidigungsvorbringen als wahr, räumt dieses zwar die materiellrechtliche Anspruchsgrundlage aus, zu der die risikobelastete Partei zunächst vorgetragen hat. Gleichwertig wird solch ein Verteidigungsvorbringen jedoch dadurch, dass die Einwendung oder der Rechtfertigungsgrund unmittelbar selbst eine neue Anspruchsgrundlage eröffnet, die das Begehren des Anspruchstellers in gleicher Weise trägt. Besonders repräsentativ für diese Unterfallgruppe des äquipollenten Parteivorbringens ist der Vortrag zum Rechtfertigungsgrund aus § 904 Satz 1 BGB, der § 823 Abs. 1 BGB zwar ausschließt, jedoch den Anspruch aus § 904 Satz 2 BGB begründet.276 Die Rechtsprechung dokumentiert u.a. eine arbeitsrechtliche Konstellation.277 Dort machte ein Arbeitnehmer die Unwirksamkeit seiner Kündigung gemäß §§ 15 KSchG, 103 BetrVG geltend, weil er im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs Mitglied des Betriebsrats gewesen sei. Der Ar274 Vgl. Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2535: „Die äußere Komponente entspricht dem äußerlich sachgemäßen Verhalten, und zwar im Sinne eines Höchstmaßes an Sorgfalt, und wäre identisch mit der Pflichtverletzung des § 280 I BGB.“ 275 Staudinger/Otto, BGB (2009), § 280 Rn. F 61; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt (2. Aufl. 1995), 473; Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 188; Kohler, ZZP 118 (2005), 25, 34 f.; einschränkend Spickhoff, Medizinrecht (2. Aufl. 2014), § 280 BGB Rn. 9. 276 Siehe u.a. Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 30. 277 LAG Hamburg, BeckRS 1985, 30459446.

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beitgeber bestritt diese Mitgliedschaft. Unterstellt man dieses Bestreiten als zutreffend, wird für den Arbeitnehmer des Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG erforderlich. Der Arbeitgeber hatte den Betriebsrat nach eigenen Angaben jedoch in keiner Weise an der Kündigung beteiligt. Ein weiteres Beispiel entstammt dem Recht der Personengesellschaften.278 Hier verlangte der zwischenzeitlich aus der Gesellschaft ausgeschiedene Kläger Freistellung nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Beklagte wandte ein, dass der Kläger später wieder Mitglied der Gesellschaft geworden sei. Dieser Einwendung hielt der Kläger seinerseits entgegen, dass zu dem vom Beklagten vorgebrachten Zeitpunkt des Wiedereintritts keine Gesellschaft mehr bestanden habe. Aus diesem Vortrag ergab sich jedoch, dass der Kläger jedenfalls mit der Folge des § 28 HGB in ein einzelkaufmännisches Unternehmen eingetreten ist.

II. Das zugestandene doppelrelevante äquipollente Vorbringen Entgegen der h.M. kommt es zunächst im klassischen Beispiel der §§ 823 Abs. 1, 904 Satz 2 BGB auf ein zu eigen Machen des gegnerischen gleichwertigen Vortrags nicht an. Man betrachte zunächst die Situation nach dem Austausch von Angriffsund Verteidigungsvorbringen: Der Geschädigte trägt zu § 823 Abs. 1 BGB die Verletzung seines Eigentums durch ein haftungsbegründend kausales Verhalten des Gegners sowie Umstände zu dessen Verschulden vor. Zur Rechtswidrigkeit schweigt er, weil diese durch den tatbestandsmäßigen Erfolg indiziert wird.279 Hier setzt vielmehr die Verteidigung des Gegners an. Seiner Beweislast280 folgend hat er zu sämtlichen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 904 Satz 1 BGB Einzeltatsachen benannt. Mit seinem Vortrag zur Einwirkung auf die im Eigentum des Schädigers stehende Sache stellt er zugleich dessen Vortrag zum Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB unstreitig.281 An dieser Stelle der Sachverhaltsaufklärung kann das Prozessgericht in Bezug auf § 823 Abs. 1 BGB lediglich zur Rechtswidrigkeit noch keine Feststellungen treffen. Insoweit kommt es entscheidend darauf an, wie der Geschädigte sich in seiner Replik zu den weiteren Voraussetzungen des § 904 Satz 2 BGB verhält. Da der Gegner insoweit objektiv beweisbelastet ist, kann der Geschädigte dieses Vorbringen gemäß § 288 Abs. 1 ZPO gestehen.282 Tut er dies, stehen sämtliche Voraussetzungen des § 904 Satz 1 BGB für das Prozessgericht verbindlich fest und der Geschädigte kann ohne Weiteres Schadensersatz auf Grundlage von 278

BGH, NJW 2000, 1641. Objektive Behauptungs- und objektive Beweislast des Schädigers, siehe Palandt/Sprau, BGB (75. Aufl. 2016), § 823 Rn. 80. 280 BeckOK/Fritzsche, BGB (37. Ed. 2015), § 904 Rn. 25. 281 Vgl. Staudinger/Althammer, BGB (2016), § 904 Rn. 43. 282 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 13. 279

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§ 904 Satz 2 BGB verlangen.283 Denselben Effekt kann der Geschädigte gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO freilich auch dadurch herbeiführen, dass er zu dem Verteidigungsvorbringen des Gegners schweigt. Hier spielt es also von vornherein keine Rolle, ob der Geschädigte sich das äquipollente gegnerische Vorbringen zu eigen macht oder nicht.

III. Das bestrittene doppelrelevante Vorbringen Bleibt man im Beispiel der §§ 823 Abs. 1, 904 Satz 2 BGB, so kommt eine Entscheidung aufgrund unstreitigen Sachvortrags folglich nur dort nicht in Betracht, wo der Geschädigte die gegnerischen Behauptungen zu den weiteren Voraussetzungen des § 904 Satz 1 BGB bestreitet. Auch hier ergibt die Forderung nach einem zu eigen Machen keinen Sinn. An sich müsste vielmehr Beweis zu den weiteren Voraussetzungen des § 904 Satz 1 BGB erhoben werden. Es bleibt die Frage, welchen Zweck solch eine Beweisaufnahme haben sollte. Denn wenn sie erfolgreich ist, dann stehen in Verbindung mit dem im Übrigen unstreitigen Vortrag des Geschädigten sämtliche Voraussetzungen beider Sätze des § 904 BGB fest. Im Ergebnis erweist sich das doppelrelevante äquipollente Vorbringen des Gegners damit als unerheblich.284 Ist danach das Verteidigungsvorbringen auch im Fall seines Nachweises im Rahmen der Beweisaufnahme nicht geeignet, den erhobenen Anspruch abzuwehren, stellt sich die Frage, wie das Prozessgericht weiter zu verfahren hat. Zunächst ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, in Übertragung des Rechtsgedankens des § 244 Abs. 3 StPO das Verteidigungsvorbringen als wahr zu unterstellen und auf Basis des als wahr unterstellten Sachverhalts zu entscheiden.285 Problematisch ist daran freilich, dass das Verteidigungsvorbringen nur im Ergebnis unerheblich ist, im Übrigen aber nicht feststeht, welcher Sachverhalt sich tatsächlich zugetragen hat. Es kommt hinzu, dass manche der Übertragung des Gedankens des § 244 Abs. 3 StPO in das Zivilprozessrecht deshalb skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, weil die Wahrunterstellung im Strafprozess lediglich erhebliche Tatsachen betreffe.286 Vorzugswürdig ist es daher, in diesen Fällen aufgrund einer Wahlfeststellung zu entscheiden, also einen Rechtsfolgenausspruch zugunsten der risikobelasteten Partei aufgrund alternativer Sachverhalte vorzunehmen.287 Diese 283

Staudinger/Althammer, BGB (2016), § 904 Rn. 43. Jauernig, in: FS für Schwab (1990), 247, 251; i. Erg. auch Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 417 285 Vgl. dazu MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 284 Rn. 101; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 284 Rn. 79. 286 E. Schneider, ZZP 75 (1962), 173, 208; vgl. auch BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 284 Rn. 57.1. 287 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 143 f. 284

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ebenfalls dem Strafrecht entlehnte Figur setzt voraus, dass jedenfalls einer der beiden Sachverhalte sich mit Sicherheit zugetragen hat und nur unklar ist, welcher von beiden dies ist.288 Ebendiese Situation tritt hier ein. Nachdem das Prozessgericht nur diejenigen Tatsachen berücksichtigen darf, die die Parteien vorgetragen haben, kommt eine dritte Variante, in der das geltend gemachte Begehren unberechtigt ist, nicht in Betracht. Folglich hat eine Entscheidung zugunsten des Geschädigten aufgrund alternativer Sachverhalte und ohne Beweisaufnahme zu erfolgen.

IV. Das doppelrelevante äquipollente Vorbringen als Bestandteil des gegnerischen Bestreitens gemäß § 138 Abs. 2 ZPO Darüber hinaus kann das Prozessgericht auch dort ohne Beweisaufnahme aufgrund alternativer Sachverhalte zu Lasten des Gegners der risikobelasteten Partei entscheiden, wo das doppelrelevante äquipollente Vorbringen Bestandteil seines notwendigen Bestreitens gemäß § 138 Abs. 2 ZPO ist. So liegt es im Fall des Gesellschafters, der Freistellung nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB begehrt. Nach dem Vorbringen des verklagten und insoweit risikobelasteten früheren Mitgesellschafters war dieser Freistellungsanspruch deshalb obsolet, weil der Kläger später wieder in die Gesellschaft eingetreten sei. Der Kläger replizierte auf diese Einwendung, dass zu der Zeit, die als sein Wiedereintritt behauptet war, tatsächlich keine Gesellschaft mehr bestanden habe. Vielmehr habe es sich lediglich noch um ein einzelkaufmännisches Unternehmen gehandelt. Wenn man dieses Bestreiten des Klägers als wahr unterstellt, ergibt sich gegen seinen geltend gemachten Freistellungsanspruch aus § 28 HGB die im Ergebnis identische Einwendung wie diejenige, mit der der Beklagte sich verteidigt hatte. An dieser Stelle lässt sich für den Verzicht auf die Beweisaufnahme jedoch nicht allein damit argumentieren, dass diese selbst in jedem Fall einen Sachverhalt aufdecken werde, der den Anspruch des Freistellungsklägers ausschließe. So ist der Freistellungsbeklagte risikobelastet für die Voraussetzungen der erhobenen Einwendung. Scheitert seine Beweisführung, so stellt das Prozessgericht seine entsprechenden Behauptungen lediglich nicht fest. Hingegen ist es kein Ergebnis der gescheiterten Beweisaufnahme, dass die seitens des Gegners im Rahmen von § 138 Abs. 2 ZPO aufgestellten Behauptungen erwiesen wären, die die wirkungsidentische Einwendung aus § 28 HGB begründen. Dennoch berücksichtigt das Prozessgericht diese Ausführungen zu Lasten des Freistellungsklägers, ohne dass der Beklagte sich diese zu eigen machen müsste. Sie waren nämlich nach § 138 Abs. 2 ZPO notwendiges Bestreiten eines schlüssigen Vorbringens und sind somit beachtlicher Prozessstoff ge288

MünchKomm/Schmitz, StGB (2. Aufl. 2011), Anh. zu § 1 Rn. 1.

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worden. Jedenfalls hierfür gilt der Grundsatz, dass jede Partei ihr Vorbringen unter Unterstellung seiner Wahrheit gegen sich gelten lassen muss.289 Somit kommt es für die Sachentscheidung auf das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht an. Dies rechtfertigt es, aufgrund alternativer Sachverhalte zu entscheiden.290 Nicht wesentlich anders liegt schließlich die Konstellation des gekündigten vermeintlichen Betriebsratsmitglieds. Zwar enthält das Bestreiten der Mitgliedschaft seitens des Arbeitgebers keinen vollständigen Alternativsachverhalt, bei dessen Wahrheit die Kündigung gleichermaßen unwirksam wäre. Unterstellt man sein Bestreiten jedoch als wahr, so muss der Arbeitgeber eine allgemeine Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG vorbringen,291 was unterblieben ist. Wiederum ist folglich das Ergebnis der Beweisaufnahme unerheblich für den Inhalt der Sachentscheidung. Abermals ist eine Entscheidung durch Wahlfeststellung aufgrund alternativer Sachverhalte gerechtfertigt.

E. Restanwendungsbereich für das zu eigen Machen äquipollenten Vorbringens? Nach alledem ergibt sich die Frage, ob ein Restanwendungsbereich für die Forderung der h.M. verbleibt, wonach die durch den äquipollenten Gegnervortrag begünstigte Partei sich diesen zu eigen machen muss, damit das Prozessgericht ohne Beweisaufnahme zu ihren Gunsten entscheiden kann.

I. Charakteristika denkbarer Fälle Nach dem bislang Gesagten müssten denkbare Fälle folgende Merkmale aufweisen: Zunächst muss das Verteidigungsvorbringen im Fall seiner Wahrheit die seitens der risikobelasteten Partei vorgebrachte Rechtsgrundlage entkräften. Außerdem muss es die tatsächlichen Voraussetzungen einer weiteren Anspruchsgrundlage enthalten, die in gleicher Weise zugunsten der risikobelasteten Partei wirkt. Doch muss der solchermaßen äquipollente Gegnervortrag gewissermaßen überschüssig sein, weil er weder Bestandteil des eigenen selb289 Vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), vor § 128 Rn. 156; Orfanides, in: FS für Baumgärtel (1990), 427, 432. 290 Nach diesem Muster ist auch der verschiedentlich erwähnte Fall zu lösen, in dem der Kläger Zahlung aus einem Kaufvertrag begehrt, der Beklagte den Austausch von Willenserklärungen dieses Inhalts bestreitet, seine positive Beschreibung des Sachverhalts aber den Abschluss eines Kommissionsgeschäfts mit für ihn identischen Zahlungspflichten ergibt (dazu RG, Das Recht 1918, 113; Rosenberg, Die Beweislast [5. Aufl. 1965], 282; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast [1983], 144). 291 Zur objektiven Behauptungs- und Beweislast siehe nur ErfK/Kania, Arbeitsrecht (16. Aufl. 2016), § 102 BetrVG Rn. 30.

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ständigen Verteidigungsvorbringens ist noch sich auf das durch die risikobelastete Partei definierte Entscheidungsprogramm bezieht. So liegt es nur dann, wenn die den alternativen Anspruch begründenden Tatsachen weder Bestandteil einer eigenen Behauptungs- und Beweislast noch eines nach § 138 Abs. 2 ZPO notwendigen Bestreitens des Gegners sind. Nur unter diesen Bedingungen hat der Gegner die zu seinen Lasten wirkenden Tatsachen nicht schon selbst zum Prozessstoff gemacht. Es ist zweifelhaft, ob solche Konstellationen noch der Fallgruppe des äquipollenten Gegnervortrags zugeordnet werden können. Wenigstens befinden sie sich an der Schwelle zu den Situationen des sog. vorweggenommenen („antizipierten“) Geständnisses. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass die risikobelastete Partei ihren Anspruch oder ihre Einwendung unschlüssig bzw. unerheblich vorgetragen hat; sodann liefert der Gegner die ergänzenden Informationen, um das Vorbringen der risikobelasteten Partei zu vervollständigen. Auch dort bringt der Gegner der risikobelasteten Partei eine neue Tatsache in den Prozess ein, die schon deshalb überschüssig ist, weil die risikobelastete Partei ihr Pflichtprogramm zuvor lediglich unschlüssig bzw. unerheblich vorgetragen hatte. Wegen dieser entscheidenden Gemeinsamkeit sind beide Gruppen von Konstellationen jedenfalls im Ergebnis gleich zu behandeln.

II. Die Probleme bei der Wahlfeststellung Festzuhalten ist zunächst, dass in diesen Fällen eine Entscheidung durch Wahlfeststellung aufgrund alternativer Sachverhalte ausscheiden muss. Ersichtlich ist dies beim vorweggenommenen Geständnis. Hier hat die risikobelastete Partei einen Vortrag präsentiert, auf dessen Grundlage sie den Prozess verlöre. Hier sind es also nicht zwei alternative Sachverhaltsvarianten, die gleichermaßen zum Erfolg der risikobelasteten Partei führen. Vielmehr kann ausschließlich das Vorbringen des Gegners diese Folge auslösen. Im Ergebnis nichts anderes ergibt sich in den Grenzfällen zum äquipollenten Gegnervortrag. Das gilt jedenfalls dann, wenn man die bisherigen Überlegungen zu dieser Konstellation insoweit fortschreibt. So benennt die risikobelastete Partei einen ihr Begehren tragenden Sachverhalt, der aber erheblich bestritten ist. Zwar liefert der Gegner alternative Tatsachen, die in Verbindung mit einer Rechtsnorm ebendieses Begehren ebenso rechtfertigen. Jedoch trägt der Gegner für diese Tatsachen weder – wie bei § 904 Satz 1 BGB – die objektive Behauptungs- und Beweislast noch sind sie Bestandteil seines nach § 138 Abs. 2 ZPO notwendigen Bestreitens. Folglich wird die alternative, das Begehren der risikobelasteten Partei tragende Sachverhaltsvariante nicht bereits dadurch Prozessstoff, dass der Gegner sie vorbringt.

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III. Die h.M. zum Umgang mit dem vorweggenommenen Geständnis In den Grenzfällen zum äquipollenten Gegnervortrag müssen die Möglichkeiten zur Wahlfeststellung aber womöglich anders beurteilt werden, wenn man die h.M. zum Umgang mit dem vorweggenommenen Geständnis betrachtet. Zwar verlangt die h.M., dass die risikobelastete Partei sich die gegnerische Behauptung zu eigen macht. Jedoch sei dies nur für den Eintritt der Bindungswirkung gemäß § 288 Abs. 1 ZPO von Bedeutung.292 Für den Fall, dass die risikobelastete Partei sich die ihr günstige Aussage des Gegners nicht zu eigen macht, sondern hierzu schweigt, soll das Prozessgericht dennoch gehalten sein, diese Aussage zu berücksichtigen.293 Dies soll auf Grundlage von Treu und Glauben294 entweder bei der Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO295 oder auch als unstreitiger Sachverhalt möglich sein.296

IV. Die Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtung Diese zuletzt genannten Thesen der h.M. sind prozessrechtsdogmatisch kaum zu begründen. Das gilt zunächst für die Annahme, dass das Prozessgericht die einseitig gebliebene Aussage des Gegners bei der Beweiswürdigung zu verwerten habe. So bezieht sich die Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO nur auf beweisbedürftige Tatsachen, auf solche also, die schlüssig vorgetragen und erheblich bestritten sind. Wenn die risikobelastete Partei aber zu der Aussage ihres Gegners schweigt, dann bleibt diese einseitig. Ein Anlass zur Beweiswürdigung entsteht hier von vornherein nicht. Nicht anders verhält es sich bei dem weiteren Vorschlag, die einseitig gebliebene Aussage des Gegners den unstreitigen Tatsachen zuzuschlagen. So wird Parteivorbringen zum einen dadurch unstreitig und zur Entscheidungsgrund292 BGH, NJOZ 2001, 638, 639; BeckRS 1966 30404166; OLG Zweibrücken, BeckRS 1979, 1793; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 288 Rn. 3; Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 288 Rn. 8; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 288 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 3a; Musielak/Voit/Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 288 Rn. 5; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 288 Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO (3. Aufl. 2008), § 288 Rn. 41; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 417; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 223; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 6; siehe auch OLG Bamberg, BeckRS 2013, 4992. 293 Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 288 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 3a; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 417; vgl. auch BAG, NJOZ 2004, 769, 771, wobei es sich hier um eine besondere Fallgestaltung handelt; a.A. wohl BGH, NJW-RR 1994, 1405 f. 294 Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 288 Rn. 4. 295 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 3a; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 417. 296 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 6.

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lage, dass es ausdrücklich übereinstimmt (§ 288 Abs. 1 ZPO). Zum anderen wird es dies dadurch, dass eine Aussage zwar einseitig bleibt, das Gesetz dem inhaltlich indifferenten Verhalten aber eine Geständniswirkung beimisst. Solche Geständnisfiktionen sind im Geltungsbereich der ZPO freilich nur in §§ 138 Abs. 3, 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgesehen und betreffen das Nichtbestreiten und die Säumnis des Gegners der risikobelasteten Partei bzw. des Beklagten. Für den umgekehrten Fall, dass die risikobelastete Partei eine für sie selbst günstige Aussage ihres Gegners nicht angreift, begründen diese Vorschriften jedoch gerade kein unstreitiges Parteivorbringen. Da die Aussage einseitig geblieben ist und gerade nicht von der Partei stammt, die sie in den Prozess hätte einbringen müssen, handelt es sich letztlich um ein prozessrechtliches Nullum.297 Folglich kann ein vorweggenommenes Geständnis des Gegners nur dann zum (unstreitigen) Prozessstoff werden, wenn die risikobelastete es wenigstens konkludent zum Gegenstand ihres Vortrags macht. Identisches gilt auch für die Grenzfälle zum äquipollenten Gegnervortrag. Eine Ausnahme ist freilich zuzulassen, wenn der Leistungskläger selbst eine gegnerische Einwendung gegen den erhobenen Anspruch in sein Vorbringen aufnimmt.298 Diese Ausnahme ist deshalb zwingend, weil der Kläger mit solch einem Vorbringen kein Versäumnisurteil gemäß § 331 Abs. 2 Hs. 1 ZPO erzielen kann.299 Das folgt freilich nicht daraus, dass das Prozessgericht von Amts wegen die Aussagen der gegnerischen Einwendung zu berücksichtigen hätte. Vielmehr nimmt die eingestandene Einwendung dem Vortrag des Klägers die Schlüssigkeit.300 Wegen der Wertung des Säumnisverfahrens muss unabhängig von der Beweislastverteilung Entsprechendes auch dann gelten, wenn der negative Feststellungskläger das Bestehen des Anspruchs und das Fehlen und Einwendungen jeder Art vorträgt.

Zwischenergebnis Wenn der Gegner das Vorbringen der risikobelasteten Partei bestreitet und dabei im Rahmen seiner Erwiderung Tatsachen unterbreitet, die das Begehren der risikobelasteten Partei gleichermaßen tragen („gleichwertiger Gegnervortrag“), darf das Prozessgericht diese Tatsachen nicht von sich aus seiner Entscheidung zugrunde legen, soweit sie außerhalb des rechtshängigen Streitgegenstands liegen. Ebenso ist es dem Prozessgericht dann verwehrt, die Prozesshandlungen der risikobelasteten Partei ohne Weiteres dahingehend zu 297

I. Erg. auch Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 28. Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 27; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 112 Rn. 6. 299 Siehe nur MünchKomm/Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 331 Rn. 12. 300 Vgl. Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 84; in diese Richtung tendieren auch die Ausführungen von Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 288 Rn. 3a. 298

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interpretieren, dass sie sich das für sie günstige Vorbringen des Gegners im Zweifel zu eigen mache. Entsprechendes gilt, wenn der gleichwertige Gegnervortrag eine aufrechenbare Gegenforderung der begünstigten Partei offenbart. Hier muss die begünstigte Partei das gegnerische Vorbringen in der entsprechenden Form erkennbar aufgreifen. Weichen die Vorbringen der risikobelasteten Partei und ihres Gegners lediglich außerhalb des für die Sachentscheidung relevanten Kernbereichs voneinander ab, kommt es auf ein Aufgreifen der Abweichung der Parteien von vornherein nicht an. So liegt es zum einen dann, wenn die Abweichungen jenseits der entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmale liegen, zum anderen auch dann, wenn sie innerhalb desselben Streitgegenstands lediglich unterschiedliche Konkretisierungen desselben Tatbestandsmerkmals beschreiben. In beiden Fällen ist auf Basis eindeutigen und unstreitigen Sachvortrags zu entscheiden. Eine Partei muss sich den gleichwertigen Gegnervortrag auch dann nicht zu eigen machen, wenn der Gegner für die entsprechenden Tatsachen objektiv behauptungs- und beweisbelastet ist oder diese Tatsachen Bestandteil seines nach § 138 Abs. 2 ZPO notwendigen Bestreitens sind. Hier ergeht die Entscheidung anhand einer Wahlfeststellung aufgrund alternativer Sachverhalte. Für die herrschende Forderung danach, dass die begünstigte Partei sich den gleichwertigen Gegnervortrag zu eigen machen muss, ist nur in wenigen Konstellationen Raum. Erfasst sind namentlich nur solche Fälle, in denen die gleichwertigen Tatsachen weder Bestandteil einer eigenen Behauptungs- und Beweislast noch eines nach § 138 Abs. 2 ZPO notwendigen Bestreitens des Gegners sind und dennoch innerhalb des rechtshängigen Streitgegenstands liegen.

7. Kapitel

Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO Im abschließenden siebten Kapitel bleibt zu untersuchen, wie das hier vorgeschlagene zivilprozessrechtliche Aufklärungsmodell die in §§ 139 ff. ZPO beschriebenen richterlichen Befugnisse beeinflusst. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der allgemeinen materiellen Prozessleitungsbefugnis gemäß § 139 ZPO und den Befugnissen der §§ 141 ff. ZPO, gegenüber beiden Parteien zur Tatsachenermittlung geeignete Beiträge anzuordnen.

§ 21 Allgemeine Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ZPO A. Prozessleitung als Befugnisnorm zur eigeninitiativen Sachverhaltsaufklärung? Über die im vorangegangenen sechsten Kapitel erörterten klassischen Streitpunkte hinaus hat die ZPO-Reform der Jahre 2001/20021 das Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht bei der Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich in Frage gestellt. So besteht eines der wesentlichen Resultate dieser Reform darin, der Berufungsinstanz ihre Eigenschaft als zweite vollständige Tatsacheninstanz genommen zu haben.2 Dem gesetzgeberischen Konzept zufolge soll eine Stärkung der ersten Instanz diese verlorene zweite Tatsacheninstanz kompensieren.3 Bestandteil dieses Gedankens der Stärkung der ersten Instanz ist es, dort Qualitätssicherungsmechanismen dafür einzurichten, dass der Sachverhalt verfahrensrechtlich korrekt und in dem durch das Verfahrensrecht gesteckten Rahmen vollständig aufgeklärt wird.4 Die materielle Prozessleitung des Prozessgerichts gemäß § 139 ZPO ist dabei als der zentrale Mechanismus dieser Qualitätssicherung vorgesehen.5 Diese generalklauselartige 1 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG) vom 27. Juli 2001, BGBl. I, 1887. 2 BT-Drucks. 14/4722, 61. 3 BT-Drucks. 14/4722, 59, 61; Drenckhahn, Urkundenvorlagepflichten im Zivilprozess (2007), 77; ähnlich Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 109; Ventsch, Die materielle Prozessleitung (2005), 77. 4 BT-Drucks. 14/4722, 59. 5 BT-Drucks. 14/4722, 59; vgl. bereits Greger, in: Symposium für Schwab (2000), 77, 83.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

Norm soll die Mitverantwortung des Prozessgerichts für eine umfassende tatsächliche und rechtliche Klärung des Streitstoffs hervorheben.6 Nachdem der Gesetzgeber aber keine Einzelbefugnisse definiert hat,7 welche diese neue Funktionsbeschreibung des § 139 Abs. 1 ZPO nach sich ziehen würde, stellt sich die Frage, ob und inwieweit die materielle Prozessleitung im Zivilprozess nunmehr inquisitorische Elemente beinhaltet8 und somit den Weg in die kompensatorische Verhandlungsführung nach Art des sozialen Zivilprozesses eröffnet. Wenn man es allgemein formuliert, lautet die Frage, welche Maßnahmen das Prozessgericht vor diesem Hintergrund in welcher Phase des Prozesses ergreifen darf und in welchem Bezug diese Maßnahmen zum vorangegangenen Parteiverhalten stehen müssen. Konkreter gesprochen geht es zum einen darum, ob das Prozessgericht den Parteien auf Grundlage von § 139 Abs. 1 ZPO Aufklärungsbeiträge abverlangen darf, die sich aus dem bislang skizzierten Aufklärungsmodell nicht oder jedenfalls nicht so ergeben. Zum anderen geht es um die in Zusammenhang mit § 139 Abs. 1 ZPO von jeher umstrittene Frage, ob und inwieweit das Prozessgericht einer Partei eine Klageänderung, das Erheben einer Einwendung oder das Ausüben eines Gestaltungsrechts empfehlen darf, wenn der bekannte Sachverhalt ein solches Vorgehen als ratsam erscheinen lässt.

B. § 139 ZPO und die richterliche Inquisition Für die Antwort auf diese Fragen ist zunächst wichtig, § 139 ZPO dogmatisch korrekt zu erfassen.9 Je stärker diese generalklauselartige Vorschrift dabei als Befugnisnorm für das Prozessgericht ausgestaltet ist, desto ausgeprägter sind seine Möglichkeiten, gestalterisch auf das Prozessrechtsverhältnis einzuwirken und in diesem Zusammenhang den Prozessstoff von sich aus zu ermitteln. Insoweit betonen viele, dass § 139 ZPO in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Verhandlungsgrundsatz stehe,10 genauer: zu denjenigen prozessrecht6

BT-Drucks. 14/4722, 77; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 139 Rn. 1. BT-Drucks. 14/4722, 77: „Der Entwurf sieht jedoch davon ab, den Gerichten inhaltlich engere oder detailliertere Vorgaben als das bisherige Recht zu machen.“ 8 Vgl. zu diesem Punkt etwa Greger, JZ 2000, 842, 846; Foerste, NJW 2001, 3103, 3105; Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 89; Borth, FamRZ 2007, 1925, 1934. 9 Manche verorten § 139 ZPO im Prozessrechtsverhältnis (Greger, in: FS Symposium für Schwab [2000], 77, 78). Dem mag man sich anschließen. Für die konkrete Frage, welche Befugnisse zur eigeninitiativen Sachverhaltsermittlung § 139 ZPO dem Prozessgericht einräumt, folgt daraus jedoch nichts. 10 Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 8; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), vor § 128 Rn. 150; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 21 f.; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 74; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses (1994), 147; Ventsch, Die materielle Prozessleitung (2005), 90; F. Baur, in: Sum 7

§ 21 Allgemeine Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ZPO

407

lichen Regeln, die unter dem beschreibenden Begriff „Beibringungsgrundsatz“ zusammengefasst werden.11

I. § 139 ZPO als Ausdruck der Fürsorge für die schwächere Partei? Die weitestreichende Befugnis nehmen dabei diejenigen an, die § 139 ZPO als eine Bestimmung zum Schutz der schwächeren Partei begreifen. So habe das Prozessgericht im Rahmen des § 139 ZPO darauf zu achten, dass auch die weniger erfahrene oder die weniger gut vertretene Partei ihre Rechte effektiv wahrnehmen könne.12 Allgemeiner formuliert heißt es gar, nicht mehr die Bewahrung des Rechtsfriedens, die Konfliktbewältigung unter (fiktiv) Gleichen sei die zentrale Aufgabe der Gerichte, sondern es stehe der Schutz der Minderheiten, der Schwachen, der Freiheit des Individuums gegen übermächtige Institutionen im Mittelpunkt der Tätigkeit der Gerichte.13 Dieser Fürsorgegedanke überzeugte schon in Zusammenhang mit der Idee vom sozialen Zivilprozess nicht und hat auch durch die ZPO-Reform 2001/ 2002 keine Stärkung erfahren. Aus einem solchermaßen formulierten Fürsorgegedanken folgt nämlich zugleich, dass das Prozessgericht der (vermeintlich) erfahreneren oder besser vertretenen Partei keinen Hinweis erteilen dürfte, mag ihr auch in concreto eine Nachlässigkeit unterlaufen sein. Für eine solche Differenzierung liefert § 139 ZPO indes keinen Anhaltspunkt.14 Im Übrigen bleibt unklar, wie das Prozessgericht die Schutzwürdigkeit der einen zu Lasten der anderen Partei verfahrensförmig feststellen sollte, welche Maßstäbe dabei gelten sollten und welche Konsequenzen sich ergeben, wenn es hierbei irrt. 11 mum Ius Summa Iniuria (1963), 97, 110; Hermisson, NJW 1985, 2558, 2560 f.; Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 102; Prütting, in: FS für Musielak (2004), 397 f.; der Sache nach auch Braun, Zivilprozessrecht (2014), 599. 11 Dass der Begriff „Beibringungsgrundsatz“ über seine Eigenschaft als Sammelbezeichnung hinaus keine eigenständige Aussage trifft, hat etwa E. Schneider, MDR 1970, 727, 729 eindringlich hervorgehoben: „Es genügt der Hinweis, daß dabei schon der methodische Ansatz verfehlt wird. Prozessuale Lagen lassen sich nur von der Interessenlage und nicht vom Prozeßzweck her verstehen und meistern, nicht mit Hilfe theoretischer Maximen. Diese sind ja vielmehr ihrerseits erst die abstrahierende Zusammenfassung einer Fülle von Einzeleinsichten. Nur was man vorher gedanklich in die „Maximen“ hineingepackt hat, kann man nachträglich aus ihnen herausfolgern.“; ähnlich formulierte bereits Henckel, Prozessrecht und materielles Recht (1970), 118: „Denn wir verwenden die Begriffe der Dispositionsmaxime und Verhandlungsmaxime nicht, um aus ihnen Lösungen für prozeßrechtliche Probleme abzuleiten, sondern nur als Mittel zur Darstellung unseres geltenden Prozeßrechts.“; a.A. etwa Greger, in: Symposium für Schwab (2000), 77, 81. 12 Danach sei § 139 ZPO Ausdruck eines richterlichen Fürsorgegedankens, vgl. Stein/Jonas/ Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), vor § 128 Rn. 150; Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht (1999), 36; ähnlich F. Baur, in: Summum Ius Summa Iniuria (1963), 97, 106; skeptisch Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 2. 13 Bender, ZRP 1974, 235, 236. 14 Prütting, in: FS für Musielak (2004), 397, 409.

408

7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

II. § 139 ZPO als Mittel zur Akzeptanzförderung und Befriedungswirkung? Andere meinen, dass das Prozessgericht infolge des Wegfalls der zweiten Tatsacheninstanz die Aufgabe habe, „streitgegenstandsimmanente Nichtakzeptanzfaktoren zu eliminieren.“15 Damit gingen erhöhte richterliche Aufklärungspflichten einher, die ihren Ursprung in § 139 Abs. 1 ZPO hätten. Mit der Sache nach identischer Stoßrichtung heißt es andernorts, die aufklärende Prozessleitung sei eine Forderung des richterlichen Ethos, das den Rechtsfrieden zwischen den Parteien zum Ziel habe.16 Hier ist bereits die Prämisse verfehlt. So mag die Vorstellung, dass die richterliche Tätigkeit den Konflikt zwischen den Parteien nicht nur erledigt, sondern darüber hinaus mit einer positiven psychologischen Wirkung befriedet, u.U. dort zutreffen, wo das Prozessgericht erfolgreich auf eine gütliche Beilegung hinwirkt. Wo das Prozessgericht den Konflikt demgegenüber durch streitiges Endurteil bewältigt, besteht – jedenfalls wenn man es abstrakt-generell betrachtet – der maßgebliche psychologische Nichtakzeptanzfaktor darin, dass die unterlegene Partei den Prozess verloren hat.17 Hier kann die richterliche Tätigkeit regelmäßig nicht mehr sein als ein Beitrag zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.18 So tritt der Anspruch der Parteien auf eine streitige Endentscheidung an die Stelle der Selbsthilfe.19 Der Erlass des streitigen Endurteils ist damit wahrgenommenes staatliches Gewaltmonopol und Ausübung hoheitlicher Befugnisse im Über- und Unterordnungsverhältnis.20 Die streitige Entscheidung zu akzeptieren, bedeutet danach für die unterlegene Partei, sich ihr zu fügen. Diese Akzeptanz wird allerdings nicht durch richterliche Sachverhaltsaufklärung auf Basis von § 139 ZPO sichergestellt, sondern entweder durch die Zwangsvollstreckung und die Drohung mit ihr21 15 So Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 109 f.; ähnlich BT-Drucks. 17/4722, 59; Mertins, NJ 2010, 355, 356. 16 Henke, JZ 2005, 1028, 1034. 17 Henke, JZ 2005, 1028, 1029. 18 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 1 Rn. 2; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 1 Rn. 10. 19 Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 1; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 1 Rn. 2; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 1; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 1 Rn. 7; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 6. 20 Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 3; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht (13. Aufl. 2006), Rn. 1.1; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 3. 21 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht (13. Aufl. 2006), Rn. 1.2; siehe auch Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 5; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 10.

§ 21 Allgemeine Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ZPO

409

oder durch die staatlichen Sicherheitsbehörden, die dafür Sorge tragen, dass die mit ihrem Begehren abgewiesene Partei dasselbe nun nicht doch noch mittels Selbsthilfe durchzusetzen versucht.

III. § 139 ZPO als Konkretisierung des Amtsermittlungsgrundsatzes? Schließlich mag man den Versuch unternehmen, den inquisitorischen Charakter des § 139 ZPO technisch zu begründen. So finden sich § 139 Abs. 1 ZPO entsprechende Vorschriften etwa in § 28 FamFG, § 86 Abs. 3 VwGO, § 106 Abs. 1 SGG oder auch in § 76 Abs. 2 FGO. Dort meinen manche, dass die richterliche Hinweispflicht den in diesen Verfahrensordnungen geltenden Amtsermittlungsgrundsatz ergänze22 oder aber eine konkrete Einzelausprägung dieses Grundsatzes sei.23 Rechtfertigen lässt sich diese These über das Verständnis von § 28 FamFG u.a. allenfalls über den systematischen Zusammenhang mit dem Amtsermittlungsgrundsatz, der in all jenen Verfahren ausdrücklich vorgeschrieben ist (etwa §§ 26 FamFG, 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VwGO). Den Regeln über den streitigen Zivilprozess fehlt aber dieser systematische Bezugspunkt. Schon deshalb muss eine identische Interpretation des § 139 Abs. 1 ZPO ausscheiden.24 Davon unabhängig haben die Hinweispflicht und der Amtsermittlungsgrundsatz jedoch allgemein nichts miteinander zu tun.25 Vielmehr steht die richterliche Hinweispflicht selbständig neben dem Amtsermittlungsgrundsatz. Das zeigt bereits der Umstand, dass die Hinweispflicht in den vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten Verfahren eine selbständige Regelung erfahren hat. Hier eine doppelte Befugnisgrundlage anzunehmen, ergibt keinen Sinn. Auch ließe sich nicht schlüssig erklären, weshalb dieser spezielle Unterfall des Amtsermittlungsgrundsatzes sich im streitigen Zivilprozess wiederfindet, dort aber eine völlig andere Bedeutung haben soll.26

22

Keidel/Sternal, FamFG (18. Aufl. 2014), § 28 Rn. 1. BVerwGE 36, 264, 267; Musielak/Voit/Borth/Grandel, FamFG (4. Aufl. 2013), § 28 Rn. 5; BeckOK/Burschel, FamFG (17. Ed. 2015), § 28 Rn. 3; MünchKomm/Ulrici, FamFG (2. Aufl. 2013), § 28 Rn. 2; siehe auch BT-Drucks. 16/6308, 187. 24 Bork/Jacoby/Schwab/Jacoby, FamFG (2. Aufl. 2013), § 28 Rn. 5; MünchKomm/Ulrici, FamFG (2. Aufl. 2013), § 28 Rn. 2. 25 Prütting/Helms/Prütting, FamFG (3. Aufl. 2014), § 28 Rn. 2. 26 Prütting/Helms/Prütting, FamFG (3. Aufl. 2014), § 28 Rn. 2; Schoch/Schneider/Bier/ Dawin, VwGO (29. EL 2015), § 86 Rn. 131 Fn. 256. 23

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

C. § 139 ZPO und das rechtliche Gehör I. § 139 ZPO, rechtliches Gehör und iura novit curia Tatsächlich ist die richterliche Hinweispflicht in allen diesen Verfahren Bestandteil der Gehörsgewähr.27 In Verbindung mit dem Grundsatz iura novit curia lässt sich sodann ermitteln, wann das Prozessgericht welche Hinweise zum Zwecke der weiteren Sachverhaltsaufklärung erteilen darf und muss. Es geht folglich nicht mehr um die Frage, ob das Prozessgericht aufgrund von § 139 ZPO in Befugnisse und Lasten übergreifen darf, die den Parteien zugewiesen bzw. auferlegt sind, sondern darum, ihnen Einblick in seinen genuin eigenen Aufgabenkreis zu gewähren, damit diese ihr Prozessverhalten entsprechend einrichten können.28 In diese Richtung weisen verschiedene Formulierungen in der Literatur. Danach unterstütze § 139 ZPO die prozessuale Waffengleichheit und die Verwirklichung des materiellen Rechts.29 Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht seien deshalb untrennbar miteinander verbunden, weil das Prozessgericht den Parteien Hinweise geben müsse, damit es sich verwirkliche.30 Ob Anlass für einen richterlichen Hinweis bestehe, beurteile sich danach, welche Anforderungen das Prozessgericht nach seiner Auffassung an Antragstellung, Tatsachenvortrag, etc. stelle.31 Und auch die Aussage, das Prozessgericht habe seine aktive Verfahrensgestaltung am Ziel der gerechten Entscheidung auszurichten, ist jedenfalls systematisch dem Grundsatz iura novit curia zuzuordnen, wenn der Kontext klarstellt, dass damit das Hinwirken auf das Schließen von Lücken im Vorbringen, die optimale Nutzung der Erkenntnisquellen und die Begrenzung auf die relevanten Fragen gemeint ist.32 Dann 27 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 139 Rn. 1; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 139 Rn. 1; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 139 Rn. 1; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 14; Schoch/Schneider/Bier/Dawin, VwGO (29. EL 2015), § 86 Rn. 131; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 42; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 72; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 354; Ott, Verfassungsrecht und zivilrichterliche Aufklärungspflichten (2004), 88; Ventsch, Die materielle Prozessleitung (2005), 195; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), 427; Liu, Die richterliche Hinweispflicht (2009), 56; Fellner, MDR 2004, 728, 729; Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 153. 28 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 1; Ott, Verfassungsrecht und zivilrichterliche Aufklärungspflichten (2004), 88 f.; Triltsch, Verstöße gegen die materielle Prozessleitung (2008), 51; Deubner, in: FS für Schiedermair (1976), 79, 80; Greger, in: Symposium für Schwab (2000), 77, 79; vgl. auch BGH, NJW-RR 1997, 441. 29 Prütting, in: FS für Musielak (2004), 397, 409. 30 Schumann, in: FS für Leipold (2009), 175, 182; der Sache nach bereits Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht (1999), 38. 31 Schoch/SchneiderBier/Dawin, VwGO (29. EL 2015), § 86 Rn. 134; Rimmelspacher, ZRP 1999, 177, 178. 32 Greger, JZ 2000, 842, 845.

§ 21 Allgemeine Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ZPO

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nämlich bedeutet die gerechte Entscheidung nichts anderes als die dem materiellen Recht entsprechende Entscheidung.

II. Rechtsanwendung und rechtliches Gehör Womöglich lässt sich gegen diesen Zusammenhang von § 139 ZPO, der richterlichen Rechtsanwendung und der Gewähr rechtlichen Gehörs aber der Umstand anführen, dass es richterliche Rechtsanwendung auch ohne eine Pflicht zum Erteilen von Hinweisen an die Parteien geben kann.33 So ermittelt das Prozessgericht im Zuge seiner Rechtsanwendung zunächst diejenigen Normen, die die mit der Klage geltend gemachte Rechtsfolge auslösen.34 Sodann überprüft es, ob es die ihm unterbreiteten Tatsachen unter den Tatbestand subsumieren kann.35 Im Verlauf dieses Prüfungsvorgangs mag das Prozessgericht nun zu dem Ergebnis gelangen, dass die risikobelastete Partei diejenigen Tatsachen, die ihr Begehren rechtfertigen können, entweder schon nicht behauptet oder nicht zu seiner, des Prozessgerichts, Überzeugung nachgewiesen hat. Ohne Weiteres ist hier eine Verfahrensgestaltung denkbar, in der das Prozessgericht nun ohne vorherigen Hinweis anhand der Behauptungsbzw. der Beweislast in der Sache entscheidet. Spiegelbildliches gilt gemäß §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO, wenn der Gegner der risikobelasteten Partei das Bestreiten versäumt oder sein Gegenvortrag unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 138 Abs. 2 ZPO bleibt. Eine Verfahrensgestaltung aber, in der das Prozessgericht das Vorbringen beider Parteien rein passiv entgegennimmt und im Zweifel ohne Weiteres zu Lasten der nachlässigen Partei entscheidet, entspräche nicht den Geboten des Art. 103 Abs. 1 GG. Denn das rechtliche Gehör gebietet nicht nur, die Parteien formal in gleicher Weise anzuhören, vielmehr muss die Gehörsgewähr bestimmten materiellen Qualitätsanforderungen genügen.36 Das Prozessgericht hat danach die Parteien grundsätzlich im gesamten Verlauf des dynamischen Prozesses der Tatsachenfeststellung und Rechtserkenntnis37 darüber zu informieren, wie der gegenwärtige Stand der prozess- und der materiellrechtlichen Dinge sich zu ihren jeweiligen Begehren verhält.38 § 139 Abs. 1 ZPO liefert in diesem Zusammenhang die Rechtsgrundlage und den rechtlichen 33 34

Vgl. F. Baur, in: Summum Ius Summa Iniuria (1963), 97, 101. Looschelders/Roth, Juristische Methodenlehre im Prozeß der Rechtsanwendung (1996),

86. 35

Looschelders/Roth, Juristische Methodenlehre im Prozeß der Rechtsanwendung (1996),

86 f. 36

Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, GG (75. EL 2015), Art. 103 Rn. 10. Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung (1996), 87: „(…) Prozeß der wechselseitigen Zuordnung von Sachverhalt und Norm (…).“ 38 So der Sache nach Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht (1999), 52. 37

412

7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

Rahmen, auf der und innerhalb dessen das Prozessgericht mit den Parteien über den Stand des Verfahrens kommuniziert. Dieser enge Zusammenhang zwischen der richterlichen Hinweispflicht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO, dem Gebot rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und dem Grundsatz iura novit curia hat auch im Wortlaut des § 139 Abs. 1 ZPO deutlichen Niederschlag gefunden. So bezeichnet namentlich das Streitverhältnis im Sinne dieser Vorschrift den dynamischen Prozess der Tatsachenerkenntnis und ihrer jeweiligen Wechselwirkung mit dem auf die Streitfrage anzuwendenden Recht.39 Auch verlangt § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO, dass das Prozessgericht seine Hinweise möglichst frühzeitig erteilt. Dieses Gebot verdeutlicht, dass die Parteien in jeder Phase über den Fortgang dieses sich stetig entwickelnden Prozesses und die Konsequenzen für ihre jeweiligen Prozessziele zu unterrichten sind. Schließlich stellen § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO und das Verbot der Überraschungsentscheidung nach § 139 Abs. 2 ZPO klar, dass die Hinweise den Parteien die Möglichkeit verschaffen sollen, auf die Rechtsanwendung durch das Prozessgericht zu reagieren und diese durch eigenen ergänzenden Sachvortrag oder Beweisangebote zu beeinflussen.

III. Die Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung im Einzelnen Damit ist der Zweck von Maßnahmen nach § 139 ZPO darauf beschränkt, den Parteien Einblick in den gerichtsinternen Bereich der Rechtsanwendung zu gewähren, damit diese ihr weiteres Prozessverhalten darauf einrichten können. Demnach eröffnet § 139 Abs. 1 ZPO dem Prozessgericht keine Befugnis, selbst Tatsachen oder Beweismittel zu ermitteln, sei es von den Parteien, sei es von Dritten.40 Davon ausgehend lässt sich konkretisieren, in welchem Stadium der Sachverhaltsaufklärung das Prozessgericht den Parteien welche Hinweise erteilen muss und darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt für den notwendigen Inhalt dabei die allgemeine Regel, dass das Prozessgericht seiner Hinweispflicht nur dann genügt, wenn es die Parteien auf den fehlenden Sachvortrag, der von seinem rechtlichen Standpunkt aus gesehen entscheidungserheblich ist, unmissverständlich hinweist und der Adressatenpartei die Möglichkeit eröffnet, ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen.41

39

Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 139 Rn. 16. Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 47; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 354. 41 BGHZ 127, 254, 260; BGH, NJW 1999, 418, 421; 2003, 3626, 3628; Schaefer, NJW 2002, 849, 851; der Sache nach auch Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 139 Rn. 12a. 40

§ 21 Allgemeine Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ZPO

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1. Pauschaler Initialvortrag und pauschales Bestreiten Am Anfang des hier vorgeschlagenen Vorgehens bei der Sachverhaltsaufklärung steht der lediglich mit dem Maß des notice pleading konkretisierte Initialvortrag der risikobelasteten Partei. Ein Hinweis hat hier nur dann zu erfolgen, wenn das Parteivorbringen dieses Mindestmaß an Konkretisierung nicht erreicht. Die zuweilen vertretene These, wonach sich in einem solchen Fall ein Hinweis erübrige,42 vermag nicht zu überzeugen.43 Denn es ist auch für den Vortragenden keineswegs ohne Weiteres ersichtlich, wann ein Vorbringen zu pauschal ist, als dass seine fehlende Konkretisierung im Einzelnen nicht durch ein Geständnis oder eine Geständnisfiktion überwindbar wäre.44 Das zeigt bereits die Diskussion darüber, ob und in welchem Umfang Rechtsbegriffe mit Tatsachenkern einem Geständnis zugänglich sind.45 Erfüllt der Initialvortrag der risikobelasteten Partei demgegenüber die Voraussetzungen des notice pleading als das Mindestmaß an Schlüssigkeit bzw. an Erheblichkeit, so genügt im Ausgangspunkt das einfache Bestreiten des Gegners. Eine Hinweispflicht kommt hier nur dann in Betracht, wenn die gegnerische Partei versäumt hat, den Vortrag der risikobelasteten Partei zu bestreiten, sei es aus Nachlässigkeit, sei es, weil sie irrtümlich von der fehlenden Schlüssigkeit bzw. Erheblichkeit dieses Vortrags ausging. 2. Hinweispflicht und erwartbare Belegtatsachen auf der Vortragsebene Sobald der Gegner diesen Initialvortrag erheblich bestritten hat, obliegt es der risikobelasteten Partei, Realkennzeichen für ihr Vorbringen mitzuteilen. Als solche dienen sämtliche von ihr erwartbaren Belegtatsachen, die ihren zunächst pauschalen Initialvortrag zu konkretisieren geeignet sind. Benennt sie solche Tatsachen nicht oder nicht in ausreichendem Maß, so hält das Prozessgericht an der zunächst unterstellten Unglaubwürdigkeit des Initialvortrags fest und behandelt ihn als unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO. Zuvor hat es die risikobelastete Partei jedoch gemäß § 139 Abs. 1 und 2 ZPO darauf hin42 BGH, NJW 1982, 1708, 1710 (insoweit in BGHZ 83, 371 nicht abgedruckt); OLG Düsseldorf, NJW 1993, 2543; NJW-RR 1995, 636; OLG Brandenburg, NZBau 2011, 690, 691; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 25; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 139 Rn. 35; Liu, Die richterliche Hinweispflicht (2009), 298; i. Erg. auch Ventsch, Die materielle Prozessleitung (2005), 131. 43 Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß (1982), Rn. 61; Deubner, NJW 1982, 1710, 1711; Piekenbrock, NJW 1999, 1360, 1362; Mertins, NJ 2010, 355, 357; Triltsch, Verstöße gegen die materielle Prozessleitung (2008), 70. 44 Ähnlich Piekenbrock, NJW 1999, 1360, 1362: „Da nämlich auch die Unterscheidung zwischen ergänzungsbedürftigem und substanzlosem Vortrag nicht eindeutig ist, müßte das Gericht außer in Evidenzfällen auf diese von der Partei vermutlich verkannte Auffassung ebenfalls hinweisen.“ 45 Vgl. dazu nur Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 288 Rn. 5 ff.

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zuweisen, welche weiteren Belegtatsachen es erwartet, um von der unterstellten subjektiven Unwahrheit abzurücken und in die Beweisaufnahme überzutreten. Die risikobelastete Partei kann daraufhin entweder entsprechende Tatsachen beibringen oder dartun, weshalb das Prozessgericht zu hohe Erwartungen an die bei ihr verfügbaren Belegtatsachen habe. Kommt die risikobelastete Partei dieser weiter gehenden Mitwirkungslast auf der Vortragsebene nach, gilt im Anschluss – auch bezüglich der Hinweispflicht des Prozessgerichts – Spiegelbildliches für den Gegner. Entsprechend ist in den Konstellationen zu verfahren, in denen nach dem vorgetragenen Sachverhältnis von der risikobelasteten Partei weitere Belegtatsachen nicht zu erwarten sind, von der gegnerischen hingegen schon. Gerade in solchen Fällen wird häufig ein Hinweis erforderlich sein, um der gegnerischen Partei klarzumachen, dass es an ihr sei, bei Meidung der Rechtsfolge der §§ 138 Abs. 1 und 3, 288 Abs. 1 ZPO Belegtatsachen für die Glaubwürdigkeit ihres Bestreitens zu benennen. Sind weder von der einen noch von der anderen Partei weitere Belegtatsachen zu erwarten, sind weitere Hinweise überflüssig. Hier ist entweder in das Stadium der Beweisaufnahme überzugehen oder – falls Beweismittel nicht greifbar sind – nach der gesetzlichen Risikoverteilung zu entscheiden. 3. Hinweispflicht und erwartbare Belegtatsachen auf der Beweisebene Übersieht die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei diese Last oder bietet sie lediglich ein ungeeignetes Beweismittel an, bezeichnet sie es ungenau oder fehlt ein erforderlicher Beweisantritt, hat nach § 139 Abs. 1 ZPO ein entsprechender Hinweis zu ergehen.46 Befindet sich das Beweismittel beim Gegner, hat das Prozessgericht – gegebenenfalls neben oder alternativ zu Maßnahmen nach §§ 142, 144 ZPO – diesen auf die Folgen für die Tatsachenfeststellung hinzuweisen, wenn er das Beweismittel nicht zur Verfügung stellt. Umstritten ist in diesem Zusammenhang schließlich noch die Frage, ob das Prozessgericht den Gegner darauf hinweisen muss, dass der Hauptbeweis vorläufig geführt ist, mit der weiteren Folge, dass der Gegenbeweis erforderlich werde. Das wird zuweilen verneint.47 Im größeren Zusammenhang steht dabei die Frage, ob das Prozessgericht die Parteien generell darüber aufzuklären habe, ob es einen Hauptbeweis oder Gegenbeweis als geführt ansehe. Eine verbreitete Auffassung lehnt eine entsprechende Hinweispflicht mit der Begründung ab, dass jede Beweisaufnahme in dem Sinne offen sei, dass sich die Parteien nicht darauf verlassen könnten, das Gericht werde sich diese oder 46 BGH, NJW 1998, 155, 156; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 139 Rn. 14; Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 128. 47 BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 29; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 139 Rn. 42.

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jene Überzeugung bilden.48 Diese These steht dem Sinn und Zweck der Hinweispflicht des § 139 ZPO freilich diametral entgegen. Denn die freie Überzeugungsbildung des Prozessgerichts von der Wahrheit oder Nichtwahrheit einer Tatsachenbehauptung zählt zum Kernbereich der genuin eigenen Aufgaben des Prozessgerichts. Ein entsprechender Hinweis über die eigene Überzeugungsbildung ist damit im Rahmen der Verhandlung nach §§ 279 Abs. 3, 285 Abs. 1 ZPO zu erteilen.49

IV. Rechtliches Gehör und Erforderlichkeit des Hinweises Der Zweck der Hinweispflicht nach § 139 ZPO begründet zugleich deren Grenzen. Normativer Anknüpfungspunkt ist der Erforderlichkeitsvorbehalt in § 139 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Danach bedarf es keines Hinweises des Prozessgerichts an die Partei, sofern diese aus der maßgeblichen Sicht des Prozessgerichts den Status der Tatsachenfeststellung und Rechtserkenntnis positiv kennt und deshalb ohne Hinweis die zur erfolgreichen Verfolgung ihres Begehrens nötige Reaktion tätigen kann.50 Allein anhand dieses Maßstabs sind auch die in diesem Zusammenhang häufig diskutierten Fälle zu beurteilen, ob im Anwaltsprozess verminderte Anforderungen an die Hinweispflicht zu stellen sind oder ob der Vortrag des jeweiligen Gegners einen gerichtlichen Hinweis ersetzen kann. 1. Der erforderliche Hinweis im Anwaltsprozess Verbreitet ist die Auffassung, dass gegenüber einer anwaltlich vertretenen Partei nur eine verminderte oder wenigstens modifizierte Hinweispflicht bestehe. Danach darf das Prozessgericht grundsätzlich davon ausgehen, dass der rechtskundige Vertreter einer Partei wisse, welche rechtlichen Grundlagen das Begehren seines Mandanten tragen sowie welcher Sachvortrag und gegebenenfalls welche Beweisführung notwendig sind, um die gewünschte Rechtsfolge zu erzielen.51 Genügt der Sachvortrag einer rechtskundig vertretenen Partei den jeweiligen Anforderungen nicht, so soll deshalb folglich nicht automatisch ein Hinweis erforderlich werden. Anders liege es ausnahmsweise aber dann, wenn der Rechtsanwalt in einer ansonsten ordnungsgemäßen Klage 48 BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 29; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 46. 49 Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 135. 50 Vgl. Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 139 Rn. 3; Piekenbrock, NJW 1999, 1360, 1362. 51 BGH, NJW 1984, 310 f.; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 45; Ott, Verfassungsrecht und zivilrichterliche Aufklärungspflichten (2004), 162 f.; Greger, NJW 1987, 1182; der Sache nach auch Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 139 Rn. 6.

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über einen bestimmten Punkt hinweggesehen oder ihn zu wenig konkretisiert habe.52 Eine Hinweispflicht gegenüber der anwaltlich vertretenen Partei bestehe darüber hinaus dann, wenn der Rechtsanwalt ersichtlich darauf vertraue, dass sein Vortrag ausreiche,53 oder wenn er die Rechtslage ersichtlich falsch beurteile.54 Freilich könne und werde die bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzende Rechtskunde häufig dazu führen, dass für das Gericht nicht erkennbar sei, dass er die Rechtslage verkenne.55 Nach dem hier vertretenen Ansatz sind diese Differenzierungen zu kleinteilig. Die Hinweispflicht dient dazu, den Parteien Einblick in den gerichtsinternen Bereich der Anwendung von Prozess- und materiellem Recht zu gewähren, damit diese ihr weiteres Prozessverhalten darauf einrichten können. Danach entfällt eine Hinweispflicht lediglich dann, wenn der Adressat den aktuellen Status der gerichtlichen Rechtsanwendung positiv kennt und gleichzeitig das Prozessgericht um diese positive Kenntnis weiß. Unter diesen Voraussetzungen ist die Einschränkung jedoch rein theoretischer Natur. Denn für das Prozessgericht ist vor der Erteilung eines Hinweises lediglich ersichtlich, dass die entsprechend belastete Partei eine Information nicht beigebracht hat, die es selbst für erforderlich erachtet. Mit welchem Kenntnisstand und welcher Motivation dieses Unterlassen erfolgte, kann das Prozessgericht den ihm zugänglichen Erkenntnisquellen hingegen nicht entnehmen. Zwar mag es sein, dass in einigen Fällen offensichtlich ist, dass ein Prozesserfolg nur durch die Beibringung weiterer Tatsachen oder Beweismittel möglich ist. Doch verbleibt immer die Möglichkeit, dass der Rechtsanwalt diese Einschätzung nachlässig übersehen hat. Dass der Rechtsanwalt eine entscheidungserhebliche Information in voller Kenntnis ihrer Erheblichkeit nicht beigebracht hat, darf das Prozessgericht dabei schon deshalb nicht unterstellen, weil die Grenze der Erforderlichkeit in § 139 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf kein Verschuldenselement Bezug nimmt.56 Folglich besteht die Hinweispflicht nach § 139 ZPO ungekürzt auch gegenüber der anwaltlich vertretenen Partei.57 52

Greger, NJW 1987, 1182. BGHZ 127, 254, 260; BGH, NJW 2001, 2548, 2549; 2007, 2414, 2417; NJW-RR 1994, 1085, 1087; NJOZ 2008, 3057, 3060; OLG Brandenburg, BeckRS 2009, 5921; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 139 Rn. 12. 54 BGH, NJW 2001, 1652, 1653; 2008, 298, 299; NJW-RR 1990, 340, 341; BeckRS 2013, 845; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 139 Rn. 12; der Sache auch OLG Frankfurt/ Main, NJOZ 2007, 1715, 1717. 55 BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 17. 56 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 6. 57 Rensen, MDR 2002, 1175, 177; Reiter, JA 2004, 226, 227; Burbulla, JA 2004, 905, 907; Stöber, NJW 2005, 3601, 3603; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), 429; i. Erg. auch Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 139 Rn. 2; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 4, 7; Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 36; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 139 Rn. 26, die lediglich die konkrete Beurteilung im einzelnen Fall für eine Differenzierung öffnen. 53

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2. Der erforderliche Hinweis und das gegnerische Vorbringen Auch die These, dass das gegnerische Vorbringen in gewissem Umfang einen gerichtlichen Hinweis ersetzen könne, findet einige Anhänger.58 So könne vor allem im Anwaltsprozess ein Hinweis des Prozessgerichts zunächst unterbleiben, wenn der Gegner auf Lücken im Vorbringen aufmerksam gemacht habe.59 Diese Begrenzung der Hinweispflicht kann nach dem hier vertretenen Ansatz ebenfalls nicht aufrechterhalten werden. Die Hinweispflicht des § 139 ZPO ist direkte Folge der richterlichen Rechtsanwendung. Schon wegen der Arbeitsteilung zwischen den Parteien und dem Prozessgericht kann der gegnerische Vortrag danach den richterlichen Hinweis aus systematischen Gründen nicht ersetzen. Es kommt hinzu, dass der gegnerische Vortrag keine objektive Sicht auf die Rechtslage darstellt, sondern subjektiv vom eigenen Interesse am Prozessausgang geprägt ist. Zwar mag es auch hier eindeutig zu beurteilende Fälle geben, in denen das Prozessgericht die Einlassungen der Gegenpartei inhaltlich in vollem Umfang teilt. Doch ist auch dann ein entsprechender Hinweis erforderlich, um den Erfordernissen des § 139 ZPO Genüge zu tun.60

D. Hinweispflicht jenseits des Sachverhältnisses i.S.d. § 139 Abs. 1 ZPO I. Die denkbaren Konstellationen Nach den bisherigen Feststellungen definiert das Sachverhältnis im Sinne des § 139 Abs. 1 ZPO die Grenzen, innerhalb derer das Prozessgericht Hinweise erteilen muss und darf. Unter dem Sachverhältnis sind dabei die tatsächlichen Beziehungen zu verstehen, die die Parteien zum Gegenstand der Klage gemacht haben.61 Teile der Literatur nehmen darüber hinaus an, dass das Prozessgericht nach § 139 Abs. 1 und 2 ZPO ausnahmsweise zu Aufklärung und Hinweiserteilung verpflichtet sein könne, obwohl der Gegenstand von Hin58 BGH, NJW 1969, 1293, 1295; 1980, 223, 224; 1988, 696, 697; NJW-RR 2008, 581, 582; 2010, 70 f.; BeckRS 2009, 87279; OLG Köln, BeckRS 2010, 13628; OLG Koblenz, BeckRS 2013, 15293; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 139 Rn. 2; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 19. 59 Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 139 Rn. 7; vgl. auch BGH, NJW 1984, 310, 311; stark einschränkend Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 139 Rn. 6a; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 19; Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß (1982), Rn. 62. 60 I. Erg. ebenso Fellner, MDR 2004, 728. 61 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 139 Rn. 16. Der Begriff weist große Schnittmengen mit dem Streitgegenstand auf. Der Unterschied besteht darin, dass der Streitgegenstand allein durch den Kläger bestimmt wird, wohingegen das Sachverhältnis den Vortrag beider Parteien einbezieht, also auch eine etwaige Prozessaufrechnung.

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weis und Aufklärung bislang noch von keiner Partei auch nur angedeutet sei.62 Das sei namentlich der Fall, wenn der Schutzzweck zwingenden Rechts solche Hinweise gebiete.63 Ähnlich liegt es, wenn andere fordern, das Prozessgericht müsse eine Klageänderung anregen, wenn nur auf diese Weise das Rechtsschutzziel zu erreichen sei.64 Eine Klage abzuweisen, und dadurch einen neuen Prozess zu provozieren, der durch eine Klageänderung hätte vermieden werden können, erscheine unter dem Aspekt der Befriedungsfunktion des Prozesses widersinnig.65

II. Hinweispflicht und Klageänderung Klageänderungen anzuregen, kann schon aufgrund der Formulierung des § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht von vornherein aus dem Bereich der richterlichen Hinweispflichten herausfallen.66 Ein solcher Hinweis allein stellt jedenfalls keinen Übergriff in die Dispositionsbefugnis der Parteien über den Streitgegenstand dar. Diese Grenze wäre erst dort überschritten, wo das Prozessgericht selbst den prozessualen Anspruch durch hoheitlichen Eingriff änderte.67 Dennoch sind solche Hinweise nicht stets zulässig. Vielmehr ist zu differenzieren. 1. Hinweis auf die Änderung des Antrags Zunächst geht es um die Klageänderung in Form der Änderung des Antrags.68 Hier erteilt das Prozessgericht den Hinweis, dass der Kläger in Anbetracht der vorgetragenen Tatsachen seinen Antrag anpassen müsse. Völlig unproblematisch sind solche Hinweise, wenn die Antragsänderung den Streitgegenstand unberührt lässt. So liegt es namentlich dann, wenn der Kläger sein Begehren lediglich präzisiert, also etwa seinem Unterlassungsantrag schärfere Konturen verleiht.69 Demgegenüber handelt es sich etwa dann um eine qualitative Änderung des Streitgegenstands auf Basis unveränderter Tatsachen, wenn nicht mehr der Wi62

Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht (1999), 52. Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht (1999), 52. 64 Deubner, in: FS für Schiedermair (1976), 79, 83; vgl. auch MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 26. 65 Deubner, in: FS für Schiedermair (1976), 79, 83. 66 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 26. 67 Deubner, in: FS für Schiedermair (1976), 79, 86. 68 Eine Klageänderung gemäß § 263 ZPO kann auf zweierlei Weise erfolgen: Entweder durch Änderung des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts oder durch eine Änderung des Antrags (Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht [30. Aufl. 2011], § 41 Rn. 1; Lüke, Zivilprozessrecht [10. Aufl. 2011], Rn. 170; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht [17. Aufl. 2010], § 99 Rn. 1; Schilken, Zivilprozessrecht [7. Aufl. 2014], Rn. 746). 69 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO (4. Aufl. 2013), § 263 Rn. 9. 63

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derruf einer Äußerung, sondern ihre Unterlassung für die Zukunft begehrt wird.70 Ein entsprechender Hinweis, dass eine solche Umstellung für den Klageerfolg notwendig sei, kommt namentlich unter der Voraussetzung in Betracht, dass das Prozessgericht die beanstandete Äußerung im Gegensatz zum Kläger nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinungsäußerung behandelt. Dieser Hinweis folgte einerseits aus dem Grundsatz iura novit curia, er wäre andererseits nach § 264 Nr. 2 ZPO auch ohne Rücksicht auf Sachdienlichkeit oder Einverständnis des jeweiligen Gegners zu berücksichtigen.71 Auch auf solche notwendigen qualitativen Änderungen darf das Prozessgericht hinweisen. Fraglich bleibt, ob diese Einschätzung auch auf den Fall der quantitativen Erweiterung des Antrags gilt. Das mag einmal der Fall sein bei der Erhöhung der Klagesumme, bei der Erweiterung eines Unterlassungsantrags auf kerngleiche Verletzungshandlungen oder bei dem Begehren nach Unterlassung zusätzlich zu einem bereits rechtshängigen Widerruf. Geht man mit der hier vertretenen These davon aus, dass § 139 ZPO den Sachvortrag der Parteien und die Rechtsanwendung des Prozessgerichts aufeinander abstimmen soll, dann ist in keinem dieser Fälle ein Hinweis geboten.72 Denn das zur Entscheidung gestellte Begehren wird das Prozessgericht nicht ablehnen; es bildet lediglich nicht alle denkbaren Rechtsschutzziele ab, die der Kläger ausgehend von dem Sachverhalt geltend machen könnte. 2. Hinweis auf die Veränderung der Tatsachenbasis In Fällen, bei denen die Klageänderung aus einer Änderung der dem klägerischen Begehren zugrunde liegenden Tatsachen resultierte, besteht im Ergebnis kein Raum für einen dahingehenden richterlichen Hinweis. So stellt sich zunächst die Frage, woher das Prozessgericht von solchen alternativen tatsächlichen Begründungsansätzen für das klägerische Begehren erfahren haben könnte. Zwar mag der Richter unter Umständen entsprechendes Wissen aus seinem privaten Umfeld haben. Doch darf er solches Wissen als Richter nicht in gleichsam zeugenartiger Funktion in den Prozess einführen,73 auch nicht in Form eines Hinweises nach § 139 Abs. 1 und 2 ZPO. Etwas anderes gilt nur, wenn die entsprechenden Tatsachen offenkundig sind.74 Somit 70

MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO (4. Aufl. 2013), § 263 Rn. 10. Vgl. Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 263 Rn. 4. 72 Vgl. allgemein Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 139 Rn. 12: Klageerweiterungen müssen von der Partei selbst ausgehen; dagegen Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007), 430; Liu, Die richterliche Hinweispflicht (2009), 291. 73 BGH, NJW 1987, 1021; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1b; BeckOK/Bacher, ZPO (19. Ed. 2015), § 291 Rn. 6; Lipp, Das private Wissen des Richters (1995), 65. 74 BGH, NJW 2007, 3211; Musielak/Voit/Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 291 Rn. 1; unklar Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 12. 71

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verbleiben lediglich solche Konstellationen, in denen gelegentlich der Beweisaufnahme oder im gegnerischen Vorbringen alternative Sachverhalte aufgetaucht sind, die das Begehren des Klägers in gleicher Weise rechtfertigen. Freilich gilt, dass für die Bestimmung des Streitgegenstands nicht der vorgetragene Lebenssachverhalt maßgeblich ist, sondern derjenige, der sich tatsächlich abgespielt hat.75 Mit Blick auf § 264 Nr. 1 ZPO gilt hier ein großzügiger Maßstab, so dass die Klageänderung des Streitgegenstands durch die Auswechslung der zugrunde liegenden Tatsachen bei § 263 ZPO nur eine sehr geringe Rolle spielt.76 Als solche streitgegenstandsändernden Tatsachen kommen danach von vornherein nur solche in Betracht, die im Kern einen neuen Sachverhalt begründen. Auf eine im Hinblick auf solche Tatsachen theoretisch denkbare Klageänderung ist aber schon wegen fehlender Sachdienlichkeit nicht hinzuweisen.77

III. Hinweispflicht und zwingendes materielles Recht Es bleibt zu klären, ob § 139 Abs. 1 und 2 ZPO über die Grenzen des Sachverhältnisses hinaus eine Hinweis- und Aufklärungspflicht begründen, um die Geltung zwingenden materiellen Rechts sicherzustellen. Abermals ist zu differenzieren. Zunächst geht es um die Fälle, in denen das Vorbringen der Parteien die Möglichkeit erkennen lässt, dass zwingendes Recht auf den Streitgegenstand Anwendung finden könnte, die Voraussetzungen des jeweiligen Tatbestands jedoch noch nicht vollständig Prozessstoff geworden sind. So mag es etwa liegen, wenn ein Vorgang im Hinblick auf die Umstandssittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB anrüchig erscheint, eine endgültige Beurteilung jedoch noch nicht möglich ist. Es fällt nicht schwer, hier eine Hinweispflicht des Prozessgerichts zu begründen. Denn zwingendes materielles Recht ist von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn und soweit prozessrechtlich verwertbare Tatsachen einen solchen Tatbestand erfüllen.78 Folglich sind Tatsachen, die zu einem Tatbestand zwingenden materiellen Rechts zählen, auch stets entscheidungserheblich im Sinne des § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Dementsprechend hat das Prozessgericht die durch den jeweiligen Tatbestand begünstigte Partei darauf hinzuweisen, dass die Verwirklichung eines sie schützenden Tatbestands zwingenden materiellen Rechts in Betracht komme. Nachdem zwingendes 75

Siehe etwa BGHZ 117, 1, 6; 123, 137, 140; BGH, NJW 1999, 1407; 2004, 1805, 1806; 2007, 2560, 2561; 2012, 2180, 2182; 2013, 540, 541; 2014, 314, 315; NJW-RR 2001, 310; 2002, 1073, 1074; 2004, 167; 2012, 849, 850; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Einl II Rn. 30. 76 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO (22. Aufl. 2008), § 263 Rn. 4. 77 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 29; wohl auch Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 139 Rn. 6. 78 Statt aller BeckOK/Wendtland, BGB (35. Ed. 2015), § 138 Rn. 30.

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materielles Recht anders als etwa Gestaltungsrechte nicht von einem Ausübungswillen des Begünstigten abhängig sind, lässt sich auch diese Hinweispflicht direkt auf den Grundsatz iura novit curia zurückführen. Die zweite Fallgruppe betrifft die Konstellationen, in denen der von den Parteien unterbreitete Sachverhalt keinen Anhaltspunkt dafür enthält, dass möglicherweise eine Norm zwingenden materiellen Rechts verletzt sein könnte. Auch hier fordern manche eine Pflicht zum richterlichen Hinweis.79 Dem kann nicht gefolgt werden. Zunächst führte die Umsetzung dieser These zu dem eigentümlichen Ergebnis, dass das Prozessgericht etwa bei jedem Kaufvertrag stereotyp auf die theoretische Möglichkeit einer Umstandssittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB, des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB oder der Hehlerei nach § 259 StGB i.V.m. § 134 BGB hinweisen müsste. Wer dies vermeiden möchte, muss dem Prozessgericht Befugnisse zur eigenständigen Sachverhaltsermittlung einräumen. Dafür gibt das geltende Prozessrecht jedoch nichts her.80 Es kommt hinzu, dass sich ein gewisser Wertungswiderspruch ergäbe, wenn das Prozessgericht beim Schweigen beider Parteien eine Wächterfunktion für die Beachtung zwingenden materiellen Rechts hätte, an den gemäß § 288 Abs. 1 ZPO übereinstimmenden Parteivortrag jedoch unbedingt gebunden ist. Hier wie dort muss folglich dieselbe Wertung gelten: Soweit ein Verstoß gegen zwingende Vorgaben des materiellen Rechts sich nicht aus dem Prozessstoff ergibt, ist das Prozessgericht an übereinstimmendes Parteivorbringen gebunden. Daraus folgt für § 139 Abs. 1 und 2 ZPO, dass Hinweise und Aufklärungsgespräche zu unterbleiben haben, soweit ein möglicher Gesetzesverstoß im Parteivorbringen zum Streitgegenstand nicht wenigstens andeutungsweise enthalten ist.

E. Hinweise auf Einreden und Gestaltungsrechte? I. Das Problem und die Lösungsansätze Nachgerade klassischen Diskussionsstoff in Zusammenhang mit § 139 ZPO liefert das Problem, ob diese Vorschrift es gestattet oder womöglich gar gebietet, die begünstigte Partei auf eine ihr mögliche Einrede oder eine erst nach Ausübung eines Gestaltungsrechts zu beachtende Einwendung hinzuweisen. Beispielhaft seien in diesem Zusammenhang die Einrede der Verjährung,81 das

79 Vgl. Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht (1999), 47: „Das Gebot der materiellrechtsfreundlichen Auslegung des Prozeßrechts legt es dann nahe, auch ohne Andeutung auf Normen und die zu ihrer Anwendung erforderlichen Tatsachen hinzuweisen, sofern die Normen zwingenden Charakter haben (…).“ 80 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 25 Rn. 33. 81 OLG Hamburg, NJW 1984, 2710.

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Verweigerungsrecht wegen Unzumutbarkeit gemäß § 275 Abs. 2 BGB82 sowie die Möglichkeit einer weiter gehenden Aufrechnung83 genannt. Die wohl h.M. nimmt an, dass seine Neutralitätspflicht es dem Prozessgericht untersage, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.84 Einen konträren Standpunkt nehmen diejenigen ein, die das Prozessgericht zur Fürsorge und Beratung derjenigen Partei verpflichtet sehen, die ihrem Begehren durch Erheben einer Einrede oder durch Ausübung eines Gestaltungsrechts zum Durchbruch verhelfen könnte, dies bislang aber nicht getan hat.85 Und schließlich sind die vermittelnden Auffassungen zu nennen. Habe der in Anspruch Genommene die Einwendung bereits angedeutet, sei das Prozessgericht gehalten, auf Erläuterung zu dringen.86 Fehle hingegen jede Andeutung, habe das Prozessgericht auch keinen Anlass, theoretisch mögliche Einwendungen aufs Geratewohl zu prüfen.87 Der angedeuteten, aber noch nicht durch Gestaltungserklärung geschaffenen materiellen Einwendung stehe die in ihren tatsächlichen Voraussetzungen vorgetragene, aber noch nicht geltend gemachte materielle Einrede gleich.88

II. Die Auslegung des Parteivorbringens In zahlreichen der in diesen Problemkreis fallenden Konstellationen wird die Auslegung der Prozesshandlungen der Partei bereits ergeben, dass sie ihre Einrede erhoben oder ihr Gestaltungsrecht ausgeübt hat. Auf diese Auslegungslösung läuft auch die vermittelnde These von der wenigstens angedeuteten Einrede oder Gestaltungserklärung hinaus. So ist zwar in Voraussetzungen und Wirkungen zwischen der Prozesshandlung und der materiellrechtlichen Erklärung zu unterscheiden; das ändert aber nichts daran, dass beide als Doppeltatbestand zusammentreffen können.89 Das 82

Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 83. BGH, NJW 1999, 2890, 2892; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 9. 84 OLG Hamburg, NJW 1984, 2710; OLG Bremen, NJW 1986, 999; OLG Rostock, NJWRR 2002, 576; OLG Saarbrücken, BeckRS 2011, 17414; OLG Hamm, BeckRS 2013, 6437; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 139 Rn 6; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 139 Rn. 2; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 139 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/ Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 186; i.Erg. auch Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 139 Rn. 8; siehe auch BGHZ 156, 269, 273. 85 Hermisson, NJW 1985, 2558, 2562. 86 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 35; Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß (1982), Rn. 76; Burbulla, JA 2004, 905. 87 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 35. 88 MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 139 Rn. 38. 89 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 30 Rn. 17; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 207; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 279; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 63 Rn. 21; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 123. 83

§ 21 Allgemeine Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ZPO

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gilt zum einen für Erklärungen, die in den Ausführungen zum Klagegrund oder zur Abwehr des gegnerischen Begehrens enthalten sind.90 Rechtsgeschäftliche Bedeutung können aber auch die Erhebung der Klage selbst und der Antrag haben, diese abzuweisen. Das zeigt das Beispiel der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers, die für den Fall der späteren Rücknahme der Kündigung durch den Arbeitgeber verbreitet als Angebot zum Abschluss eines Rücknahmevertrags über die Kündigungserklärung interpretiert wird.91 Auch die Gestaltungserklärung nach § 263 Abs. 1 BGB kann schlüssig durch Erhebung der Klage auf eine bestimmte Leistung erfolgen.92 Vor diesem Hintergrund ist in einem ersten Schritt stets die Frage zu stellen, ob nicht die jeweilige Partei bereits durch ihren Sachantrag eine Einrede erhoben oder ein Gestaltungsrecht ausgeübt hat. Für die Auslegung ihres Verhaltens ist dabei auf ihr Vorbringen zur Sache zurückzugreifen. Wenn sich etwa (1.) eine Partei gegen die Inanspruchnahme seitens des Gegners wehrt, (2.) zum Prozessstoff Tatsachen zählen, die im Falle ihrer Wahrheit die Einrede der Verjährung begründen, und (3.) die in Anspruch genommene Partei einen Zusammenhang zwischen dem Zeitablauf und ihrem Verteidigungsbegehren herstellt, dann liegt in dem auf Verteidigung gegen den Anspruch gerichteten Sachantrag zugleich die Erhebung der Einrede.93 Das lässt sich für sonstige Einreden und rechtsvernichtende Einwendungen, die der Geltendmachung durch Gestaltungserklärung bedürfen, verallgemeinern. Bei sachgerechter Auslegung kann der Fall, dass die begünstigte Partei die Einrede nicht erhebt oder die Gestaltungserklärung nicht abgibt, obwohl einredebzw. einwendungsbegründende Tatsachen vorliegen und die Partei sich gegen den Anspruch unter Bezugnahme auf diese Tatsachen verteidigt, demnach nicht eintreten.94 Bestehen Zweifel, ob die Verteidigung sich auch auf die die Einrede oder die rechtsvernichtende Einwendung begründenden Tatsachen beziehen soll, hat das Prozessgericht darauf hinzuweisen und die Partei nach § 139 ZPO zu befragen. Hinzuweisen und zu fragen hat das Prozessgericht 90

Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 63 Rn. 21. Vgl. Wank, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht (3. Aufl. 2009), § 96 Rn. 30, der sich diesem Auslegungsergebnis indes nicht anschließt. Dieses Auslegungsergebnis mag auch mit guten Gründen angreifbar sein. Doch kommt es an dieser Stelle lediglich darauf an, dass auch die Anträge der Parteien im Hinblick auf etwaige materiellrechtliche Wirkungen auslegungsfähig sind. 92 RGZ 154, 58, 62; BeckOK/S. Lorenz, BGB (37. Ed. 2015), § 263 Rn. 1; MünchKomm/ Krüger, BGB (7. Aufl. 2016), § 263 Rn. 3; Staudinger/Bittner, BGB (2014), § 263 Rn. 3. 93 Die notwendigen inhaltlichen Anforderungen an die Erhebung der Einrede der Verjährung – Kundgabe, die Leistung endgültig verweigern zu wollen, und zwar unter Berufung auf den Zeitablauf (Staudinger/Peters/Jacoby, BGB [2014], § 214 Rn. 8) – sind in diesem Fall erfüllt. 94 A.A. etwa Reischl, ZZP 116 (2003), 81, 111: „Vielmehr setzt die Hinweispflicht erst ein, wenn der Beklagte zu erkennen gibt, sich insoweit verteidigen zu wollen. Dies ist zu bejahen, wenn er zum Beispiel auf den langen Zeitraum seit dem Vertragsschluß hinweist, es aber versäumt, diesen Umstand zumindest konkludent als Grund für die Nichterfüllung des Klageanspruchs anzuführen.“ 91

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

außerdem dann, wenn die sachliche Bezugnahme erkennbar ist, bei der Erklärung selbst aber Zweifel bestehen, etwa im Hinblick auf die Bestimmtheit. Das Problem ist nicht notwendig auf Parteien beschränkt, die sich eines gegnerischen Anspruchs erwehren. Es kann sich etwa auch für den Herausgabekläger stellen, der einen Vertrag rückabwickeln will, sich zu diesem Zweck aber allein auf ein vertragliches Rücktrittsrecht beruft, dessen Voraussetzungen im Einzelnen streitig sind. Zählen zum Prozessstoff weitere Tatsachen, die eine arglistige Täuschung durch den Gegner ergeben, kommt es wieder darauf an, ob der Kläger möglicherweise einen Zusammenhang zwischen dem Willensmangel und seinem Herausgabeverlangen herstellt. Auch in diesem Fall muss das Prozessgericht gemäß § 139 ZPO nachfragen. Nur wenn dies nach der Auslegung eindeutig zu verneinen ist, stellt sich die Frage, ob das Prozessgericht von sich aus erstmalig auf die Möglichkeit der Einrede oder des Gestaltungsrechts hinweisen darf.

III. Die verbleibenden Fälle Die verbleibenden Fälle sind also dadurch gekennzeichnet, dass nach dem Prozessstoff zwar die Voraussetzungen einer Einrede oder eines Gestaltungsrechts vorliegen, die begünstigte Partei ihr durch den Sachantrag konkretisiertes Begehren hiermit jedoch eindeutig nicht in Verbindung bringen will oder es noch gar nicht konnte.95 So liegt es etwa, wenn das Prozessgericht den Beklagten zugleich mit der Zustellung der Klageschrift darauf hinweist, dass die geltend gemachte Forderung verjährt sei, wenn dieser die Einrede der Verjährung erhebe.96 Auch mögen Fälle denkbar sein, in denen sich aus den geschilderten Rahmenbedingungen oder vorgelegten Unterlagen die mögliche Verjährung ergibt, der in Anspruch Genommene jedoch lediglich die Anspruchsentstehung leugnet.97 Dass in diesen Fällen ein Hinweis auf die Verjährung – nicht anders liegt es bei möglichen Gestaltungsrechten – zu unterbleiben hat,98 folgt aus dem Zweck des § 139 ZPO. Dieser besteht darin, den Parteien Einblick in den gerichtsinternen Bereich der Anwendung von Prozess- und materiellem Recht zu gewähren, damit diese ihr weiteres Prozessverhalten darauf einrichten können. Das bedeutet: Nur unter der Voraussetzung, dass das Vorbringen der jeweiligen Partei nicht hinreicht, um ihrem prozessualen Begehren zum Erfolg zu verhelfen, hat das Prozessgericht auf diesen Umstand und die Gründe hierfür hinzuweisen. Ein Hinweis, dass dieses Begehren durch das Schaffen neuer 95 Der Sache nach ähnlich Hermisson, NJW 1985, 2558, 2559; Liu, Die richterliche Hinweispflicht (2009), 323. 96 Vgl. BGHZ 156, 269. 97 Vgl. etwa Staudinger/Peters/Jacoby, BGB (2009), § 214 Rn. 5. 98 Mertins, NJ 2010, 355, 358; i. Erg. auch Liu, Die richterliche Hinweispflicht (2009), 323.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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Tatsachen – also dem Erheben einer Einrede oder der Ausübung eines Gestaltungsrechts – erfolgreich sein könnte, erübrigt sich. Denn das Prozessgericht kann und darf nur Hinweis zu fehlenden Tatsachen geben, die für seine Rechtsanwendung relevant sind. Ist aber unstreitig, dass eine Einrede oder ein Gestaltungsrecht weder vorprozessual noch im Prozess erhoben bzw. ausgeübt wurde, ist nicht eine für die Rechtsanwendung erhebliche Tatsache nicht vorgetragen, vielmehr existiert diese Tatsache nicht und kann aus diesem Grund auch nicht erheblich im Sinne des § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO sein. Es können sich in dieser Situation auch von vornherein keine Zweifel im Hinblick auf die Rechtsanwendung ergeben.99

Zwischenergebnis Der Zweck von Maßnahmen nach § 139 ZPO besteht darin, den Parteien Einblick in den gerichtsinternen Bereich der Rechtsanwendung zu gewähren, damit diese ihr weiteres Prozessverhalten darauf einrichten können. Namentlich weist das Prozessgericht die Parteien nötigenfalls auf Defizite ihres Initialvortrags sowie darauf hin, dass von ihnen weitere Realkennzeichen in Form von Belegtatsachen erwartbar seien, um die vorläufig unterstellte Unwahrheit ihres Vorbringens im Sinne von § 138 Abs. 1 ZPO auszuräumen. Demgegenüber eröffnet § 139 Abs. 1 ZPO dem Prozessgericht keine Befugnis, selbst Tatsachen oder Beweismittel zu ermitteln, sei es von den Parteien, sei es von Dritten. Von dieser Regel gilt auch zur Durchsetzung zwingenden materiellen Rechts keine Ausnahme.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien A. §§ 141 ff. ZPO als Befugnisnormen zur eigeninitiativen Sachverhaltsaufklärung? Durch §§ 141 ff. ZPO soll das Prozessgericht die Möglichkeit erhalten, sich im Interesse der Sachaufklärung möglichst früh einen umfassenden Überblick über den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt zu verschaffen.100 Auch diese Bestimmungen sind folglich im Gesamtzusammenhang mit der sog. Stärkung der ersten Instanz zu lesen.101 Jedenfalls Teile dieser Normengruppe werden gern unter dem Schlagwort „Beweiserhebung von Amts we99

I. Erg. auch BGHZ 156, 269, 272; a.A. noch KG, NJW 2002, 1732. BT-Drucks. 17/4722, 78. 101 Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 142 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 142 Rn. 1: Ergänzung des § 139 ZPO; siehe auch Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 142 Rn. 1: Maßnahme der materiellen Prozessleitung. 100

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

gen“ erörtert.102 Wenn das Prozessgericht danach von Amts wegen Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung ergreifen können soll, führt das zu verschiedenen Konflikten mit dem Grundsatz, dass die ZPO die Präsentation der entscheidungserheblichen Tatsachen an sich den Parteien als Aufgabe und Befugnis zuweist. So geht es zunächst darum, ob das Prozessgericht Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO ergreifen darf, obwohl die fragliche Tatsache entweder im Sinne des § 288 Abs. 1 ZPO zugestanden ist oder gemäß §§ 138 Abs. 3, 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO als zugestanden gilt. Sodann stellt sich die Frage, ob das Prozessgericht auf der Vortragsebene Maßnahmen gemäß §§ 141 ff. ZPO ergreifen darf, um bislang noch nicht vorgetragene Tatsachen zu ermitteln und so zum Prozessstoff zu machen. Schließlich könnten §§ 141 ff. ZPO dem Prozessgericht gestatten, Beweise zu ermitteln, die die risikobelastete Partei bislang noch nicht angetreten hat.

B. §§ 141 ff. ZPO und das unstreitige Vorbringen I. Die These Teile der Literatur entgehen diesem Konflikt zwischen den richterlichen Aufklärungsbefugnissen und der Parteiherrschaft über die Sachverhaltsaufklärung dadurch, dass sie §§ 141 ff. ZPO für allein auf den unstreitigen Vortrag anwendbar erklären.103 So soll sich das Prozessgericht über die §§ 142, 144 ZPO Gewissheit über Unklarheiten und Unschärfen im Sachvortrag verschaffen können.104 Komme der Adressat der Anordnung nicht nach, könne das Prozessgericht je nach Lage des Einzelfalls die Klage als unschlüssig oder den Vortrag als unsubstantiiert ansehen.105

II. Die zwingenden beweisrechtlichen Elemente der §§ 141 ff. ZPO Tatsächlich ergeben Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO jedoch nur dort Sinn, wo es um die Aufklärung streitigen Vorbringens geht. Grundsätzlich dienen 102 OLG Frankfurt, BeckRS 2005, 1731; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 142 Rn. 15.1; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 144 Rn. 2; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 51 Rn. 2; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 283; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 77 Rn. 36, 38; Kraayvanger/Hilgard, NJ 2003, 572; Stackmann, NJW 2007, 3521, 3523; Möllers, NZG 2008, 330, 331 Fn. 8; der Sache nach auch Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 142 Rn. 1. 103 Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 314; teilweise zustimmend Drenckhahn, Urkundsvorlagepflichten im Zivilprozess (2007), 83, die allerdings eine doppelte Zwecksetzung der §§ 142, 144 ZPO annimmt. 104 Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 314. 105 Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 332.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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die aufgrund dieser Bestimmungen ergehenden Anordnungen also der Beweisgewinnung. Zunächst sind solche Aufklärungsmaßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO zwingend auf der Beweisebene zu verorten, die nach der gesetzlichen Konzeption allein auf die Beschaffung von Beweismitteln gerichtet sein können. Dies anzunehmen liegt generell bei Anordnungen nahe, Urkunden und Augenscheinsobjekte gemäß §§ 142, 144 ZPO vorzulegen. Zwar müssen diese Gegenstände nicht notwendig als Beweismittel vorgelegt werden. Hier ist es immerhin denkbar, sie im Rahmen des zulässigen Verweises auf die Anlagen106 noch als Bestandteil des bloßen Parteivortrags zu begreifen. Anders liegt es jedoch, wenn das Prozessgericht gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO anordnet, dass die vorzulegenden Gegenstände sachverständig zu begutachten seien. Hierzu verweist § 144 Abs. 3 Alt. 2 ZPO auf §§ 402 ff. ZPO, das heißt, dass der Sachverständige auch im Fall des § 144 ZPO Berater des Gerichts ist.107 Schon diese Funktion des Sachverständigen macht es unmöglich, seine Ausführungen als Sachvortrag einer der Parteien anzusehen.108

III. §§ 141 ff. ZPO und der zugestandene Vortrag der risikobelasteten Partei Entscheidend ist jedoch, dass §§ 141 ff. ZPO in Bezug auf das unstreitige Vorbringen keinen eigenständigen Anwendungsbereich haben. So mag die risikobelastete Partei ihren Vortrag zunächst auf das für die Schlüssigkeit notwendige Maß des notice pleading beschränken, also etwa für den Primäranspruch schlicht den Abschluss eines Kaufvertrags mit dem Gegner über eine bestimmte Sache zu einem bestimmten Preis sowie die Erfüllung seiner eigenen Leistungspflicht behaupten.109 Gesteht der Gegner diesen Vortrag nun nach § 288 Abs. 1 ZPO zu oder greift eine Geständnisfiktion gemäß §§ 138 Abs. 3, 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein, ist er der Entscheidung ohne Weiteres zugrunde zu

106 Vgl. OLG Frankfurt/Main, WM 2010, 1405, 1407; KG, BeckRS 2006, 12508; OLG München, BeckRS 2009, 12844; OLG Nürnberg, BeckRS 2009, 20976; OLG Karlsruhe, BeckRS 2012, 3265; OLG Celle, BeckRS 2014, 06767; Gremmer, MDR 2007, 1172, 1173. 107 BGHZ 62, 54, 59; 168, 380, 383; BGH, NJW 1976, 1154, 1155; 1998, 3355, 3356; BeckRS 1961, 31188488; OLG Celle, BeckRS 2010, 16896; Musielak/Voit/Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 402 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 402 Rn. 1; BeckOK/Scheuch, ZPO (19. Ed. 2015), § 402 Rn. 2; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 54 Rn. 8; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 304; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 121 Rn. 1; Hellmer, NJW 1974, 556, 557. 108 Siehe auch Wagner, JZ 2007, 706, 710. 109 Dafür, dass solches Vorbringen für die Schlüssigkeit ausreicht, siehe etwa MünchKomm/ Gottwald, ZPO (4. Aufl. 2013), § 331 Rn. 11; Gremmer, MDR 2007, 1172; Stackmann, NJW 2012, 1249.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

legen. Das Wissen um nähere Einzelheiten ist für die Sachentscheidung unerheblich.110 Will man dem Prozessgericht in dieser Situation Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gestatten, damit es den unstreitigen Vortrag besser verstehe, kann dies folglich nur einen sinnvollen Zweck haben: Es soll von der Bindung an das übereinstimmende Parteivorbringen frei werden, wenn seine eigenen Ermittlungen aufgrund von §§ 141 ff. ZPO einen anderen Sachverhalt ergeben. Freilich muss ein solches Verständnis von den §§ 141 ff. ZPO schon deshalb ausscheiden, weil §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1, 331 Abs. 1 ZPO die Bindungswirkung unwidersprochenen Parteivorbringens speziell regeln. §§ 141 ff. ZPO als demgegenüber allgemeinere Vorschriften können diese Bindungswirkung nicht in Frage stellen.111 Wenn man §§ 141 ff. ZPO zur weiteren Aufklärung unstreitigen Vorbringens heranziehen will, ergeben sich allerdings noch zusätzliche Konsequenzen. So soll gemäß den Vertretern dieses Verständnisses von §§ 141 ff. ZPO das Vorbringen der risikobelasteten Partei als unschlüssig zu behandeln sein, wenn sie einer Anordnung zur Vorlage von Urkunden oder Augenscheinsobjekten gemäß §§ 142, 144 ZPO nicht nachkommt.112 In der Folge wäre anhand der objektiven Behauptungslast zu ihrem Nachteil zu entscheiden, obwohl ihr ursprünglich schlüssiger Vortrag unstreitig ist. Die Bindungswirkung des Prozessgerichts an den unstreitigen Parteivortrag würde also nicht erst dann entfallen, wenn es aufgrund von §§ 141 ff. ZPO einen anderen Geschehenshergang ermittelt hat, sondern bereits dann, wenn es eine Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO erlässt. Nichts ist ersichtlich, was eine solch weitgehende Wirkung der §§ 142, 144 ZPO gegenüber §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1, 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO rechtfertigen könnte.

IV. Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO im Vorfeld der gegnerischen Erwiderung 1. Die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Dass §§ 141 ff. ZPO zumindest auch auf den unstreitigen Vortrag anwendbar seien, soll sich allerdings daraus ergeben, dass das Prozessgericht gemäß § 273 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 ZPO das persönliche Erscheinen sowie die Vorlegung von Urkunden und Augenscheinsobjekten als Maßnahmen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zulassen.113 So treffe das Prozessgericht seine vorbe110

Brose, MDR 2008, 1315, 1319. Vgl. Saenger, ZZP 121 (2008), 139, 153; i.Erg. auch BGH, NJW 2014, 3312, 3313; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 142 Rn. 2. 112 Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 332. 113 E. Schneider, MDR 2004, 1; der Sache nach wohl auch Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 142 Rn. 1. 111

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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reitenden Maßnahmen oftmals zu einem Zeitpunkt, in dem der Gegner sich noch nicht zu den Behauptungen der risikobelasteten Partei geäußert habe.114 Von einem streitigen Sachvortrag könne in solchen Fällen keine Rede sein.115 Gemeint sind dabei in erster Linie Konstellationen, in denen der Aussagegehalt des Parteivortrags für das Prozessgericht nicht verständlich („Klarstellung“) oder nicht hinreichend („Ergänzung“) ist.116 Diese Punkte stellen indes nicht in Frage, dass §§ 141 ff. ZPO auf den unstreitigen Vortrag nicht anwendbar sind. So mag es zwar zutreffen, dass vorbereitende Maßnahmen nach § 273 ZPO oftmals ergehen, noch ehe der Gegner bestritten hat. Das liegt freilich darin begründet, dass der Gegner sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zu den Ausführungen der risikobelasteten Partei eingelassen hat. Auch deren Ausführungen werden, sieht man von §§ 128 Abs. 2, 276 ZPO ab, streng genommen erst durch Wiederholung oder Bezugnahme (§ 137 Abs. 3 ZPO) in der mündlichen Verhandlung wirksam.117 In dieser Lage des Prozesses ist der klägerische Sachvortrag deshalb weder streitig noch unstreitig. Verfügungen nach § 273 Abs. 2 Nrn. 3 und/oder 5 ZPO ergehen somit auch nicht im Hinblick auf unstreitiges Vorbringen. Vielmehr geht es um Tatsachen, von denen das Prozessgericht erwartet, dass sie im weiteren Verlauf des Prozesses streitig werden. Wenn der Gegner die Behauptungen der risikobelasteten Partei sodann wider Erwarten unstreitig stellt, werden die über § 273 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 ZPO angeordneten Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenstandslos. 2. Der ergänzungsbedürftige Initialvortrag Ferner liegen auch dort keine unstreitigen Tatsachen vor, wo das Prozessgericht den Initialvortrag der risikobelasteten Partei für ergänzungsbedürftig hält. So ist das Vorbringen der risikobelasteten Partei nur ergänzungsbedürftig, wenn der Initialvortrag unschlüssig ist, also hinter den Anforderungen des notice pleading zurückbleibt. Tatsächlich besteht in solchen Fällen für den Gegner noch keinerlei Erwiderungslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO.118 Folglich liegt noch gar kein Vortrag der risikobelasteten Partei vor. Nicht anders liegt es, wenn ihr Vorbringen klarstellungsbedürftig, also mehrdeutig oder gar widersprüchlich ist.119 114

E. Schneider, MDR 2004, 1. E. Schneider, MDR 2004, 1. 116 Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 142 Rn. 1; Schilken, ZZP 126 (2013), 403, 423; wohl auch BGH, NJW 2014, 3312, 3313. 117 Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 122; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 364. 118 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 138 Rn. 24; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 529. 119 Vgl. Brose, MDR 2008, 1315, 1316. 115

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

Man mag erwägen, §§ 141 ff. ZPO dennoch auf das ergänzungsbedürftige Vorbringen der risikobelasteten Partei anzuwenden und insoweit den Begriff des unstreitigen Vorbringens großzügiger zu handhaben. Durchhaltbar ist diese Idee jedoch nicht. Das gilt jedenfalls dann, wenn man die Nichtbefolgung – wie es diejenigen vorschlagen, die §§ 142, 144 ZPO nur auf den unstreitigen Vortrag anwenden wollen – mit der Sanktion belegt, das zunächst schlüssige Vorbringen des Adressaten als unschlüssig zu behandeln.120 Sofern nämlich der Initialvortrag der risikobelasteten Partei unbeachtlich ist, weil er zu vage, mehrdeutig oder in sich widersprüchlich ist, erteilt das Prozessgericht der risikobelasteten Partei einen Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO und ordnet gegebenenfalls ihr persönliches Erscheinen gemäß § 141 ZPO an. Nach allgemeinen Regeln ist es dann der Partei selbst überlassen, wie sie ihren Vortrag präzisiert. Sie mag also entweder den Inhalt etwaig vorhandener Informationsträger mit eigenen Worten wiedergeben oder diese vorlegen und im Rahmen des Zulässigen durch Verweis zum Gegenstand ihres Sachvortrags machen. Diese Wahlmöglichkeit nimmt man der risikobelasteten Partei jedoch, wenn man dem Prozessgericht gestattet, in dieser Phase des Prozesses verbindliche Anordnungen nach §§ 142, 144 ZPO zu treffen. Präzisierte die risikobelastete Partei ihren Vortrag nämlich allein mit eigenen Worten, so wäre ihr Vortrag dennoch als unschlüssig zu behandeln, wenn sie nur der Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO nicht Folge leistete. Konsequenterweise wäre auch der Gegner von jeder Last zur Entgegnung befreit, solange der geforderte Gegenstand nicht vorgelegt ist. Solch ein Ergebnis ist freilich mit § 138 Abs. 2 ZPO unvereinbar, wonach die Erwiderungslast allein infolge der Tatsachenbehauptung entsteht,121 und zwar unabhängig davon, ob sie bereits mit Informationsträgern unterlegt ist oder nicht.122

C. Funktion und Reichweite der Parteianhörung gemäß § 141 ZPO Nach den bisherigen Ergebnissen ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens gemäß § 141 ZPO irrelevant, wenn eine Tatsache als unstreitig feststeht. Gegenüber der risikobelasteten Partei ist eine solche Anordnung aber bereits dann möglich, wenn sie ihre Initialbehauptungen inhaltlich nicht ausreichend dargetan hat.123 Auch in Bezug auf den streitigen Sachvortrag kann 120

Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 332. Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 138 Rn. 8; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 344; siehe auch Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 219. 122 Vgl. Brose, MDR 2008, 1315, 1319; zur insoweit spiegelbildlichen Erwiderungslast des Gegners der risikobelasteten Partei auch BGHZ 173, 23, 29 f. 123 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 141 Rn. 3; Lange, NJW 2002, 476, 480; Schilken, ZZP 126 (2013), 403, 423. 121

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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das Prozessgericht nach § 141 ZPO vorgehen. Hier ergeben sich keine Probleme, wenn die Parteien bislang lediglich Initialvortrag und einfaches Bestreiten ausgetauscht haben. Hier geht es darum, ausreichende Realkennzeichen in Form von Belegtatsachen beizubringen, damit die Behauptung und/oder das Bestreiten nicht mehr als unglaubwürdig und damit unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO behandelt werden dürfen. Schwieriger zu beurteilen ist freilich die Frage, ob und wie die Ergebnisse einer Anhörung nach § 141 ZPO für die Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO verwendet werden können und dürfen.

I. Die Parteianhörung als förmliches Beweismittel? Zur beweisrechtlichen Bedeutung des § 141 ZPO herrscht die Auffassung vor, dass die Parteianhörung nach § 141 ZPO nicht mit der förmlichen Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO gleichgesetzt werden dürfe.124 Dem ist im Ausgangspunkt zuzustimmen. Wenn nämlich Parteianhörung und Parteivernehmung funktionell in jeder Hinsicht identisch sein sollten, wäre nicht zu erklären, weshalb für beide deutlich unterschiedliche Voraussetzungen gelten. Diese Unterschiede offenbart zunächst die Parteivernehmung von Amts wegen gemäß § 448 ZPO. Nach h.M. zählt zu den Voraussetzungen dieser Norm, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Wahrheit der zu beweisenden Tatsachenbehauptung besteht.125 Für § 141 ZPO gilt diese Einschränkung nicht.126 Auch ist § 448 ZPO im Gegensatz zu § 141 ZPO hinsichtlich all seiner Voraussetzungen voll revisibel;127 für § 141 ZPO wird das neben § 139 ZPO wohl überwiegend abgelehnt.128 Ferner ist anders als für eine Anhörung 124 BGH, NJW-RR 1988, 394, 395; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), Vor § 445 Rn. 2; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 141 Rn. 1; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 141 Rn. 2; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 141 Rn. 1; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 1; Pohlmann, Zivilprozessrecht (3. Aufl. 2014), Rn. 398; Schilken, ZZP 126 (2013), 403, 423; Greger, MDR 2014, 313, 314; a.A. Schöpflin, NJW 1996, 2134, 2135; wohl auch Noethen, NJW 2008, 334, 336. 125 BGHZ 110, 363, 366; 150, 334, 342; BGH, NJW 1994, 320, 321, 2013, 1299, 1301; NJWRR 1988, 962, 964; 1991, 983, 984; 1992, 920, 921; NZM 1998, 449; BeckRS 2012, 19868; 2014, 20508; BAG, NJW 2014, 1326, 1327; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 44 Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 448 Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 123 Rn. 20. 126 Vgl. BGH, NJW-RR 1991, 983, 984. 127 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 448 Rn. 7; siehe auch BGH, NJW-RR 1994, 636; Musielak/Voit/Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 448 Rn. 5; in Bezug auf das Ermessen findet freilich nur eine Missbrauchskontrolle statt. 128 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 141 Rn. 2; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 141 Rn. 3; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 141 Rn. 7; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 141 Rn. 56; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 9; a.A. Wieczorek/Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 38; differenzierend Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 141 Rn. 3.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

nach § 141 ZPO eine Parteivernehmung über den Gegenbeweis betreffende Tatsachen nach § 445 Abs. 2 ZPO gesetzlich ausgeschlossen.129 Im Gegensatz zur Parteivernehmung, bei der es zentral auf die persönliche Glaubwürdigkeit der vernommenen Partei ankommt, kann sich der Adressat der Anordnung nach § 141 ZPO gemäß Abs. 3 Satz 2 dieser Vorschrift im Termin vertreten lassen.130 Und schließlich sieht § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO ein Ordnungsgeld für den Fall vor, dass die adressierte Partei die Anordnung ihres persönlichen Erscheinens nicht befolgt. Demgegenüber knüpfen §§ 446, 454 Abs. 1 ZPO an die durch Fernbleiben verweigerte Parteivernehmung lediglich die Möglichkeit, dieses im Zuge der Beweiswürdigung gegen die Partei zu verwenden.

II. Die Parteianhörung als Gegenstand der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO Aus der fehlenden Gleichbehandlung mit der Parteivernehmung folgt indes nicht zwingend, dass die Ergebnisse einer Parteianhörung beweisrechtlich unbeachtlich sind.131 So ist gemäß § 286 Abs. 1 ZPO nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme Gegenstand der Beweiswürdigung, sondern der gesamte Inhalt der Verhandlungen. Dementsprechend heißt es in der Rechtsprechung, dass der Tatrichter im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben der Partei bei deren Anhörung gemäß § 141 ZPO folgen und darauf seine Überzeugung gründen könne, sofern die Partei glaubwürdig sei.132 Das Prozessgericht sei nicht gehindert, einer solchen Parteierklärung den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben.133 Dennoch sei zu beachten, dass diese Angaben nur im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet werden dürften, nicht aber als Beweismittel.134 Die Würdigung einer Parteianhörung als Parteivernehmung begründe einen Rechtsfehler.135 129

Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 448 Rn. 4; siehe auch BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 141 Rn. 3. 130 Schilken, ZZP 126 (2013), 403, 423. 131 BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 141 Rn. 3; Stackmann, NJW 2012, 1249, 1252 f.; dagegen wohl Schilken, ZZP 126 (2013), 403, 423: Was die Partei im Rahmen einer Anhörung aussagt, ist Streitstoff und nicht Beweisstoff. 132 BGH, NJW-RR 1997, 663; der Sache nach auch BGHZ 122, 115, 121; BGH, NJW 1992, 1558, 1559; 1997, 1988; 1999, 363, 364; 2014, 2348, 2349 f.; NJW-RR 1990, 1061, 1063; 1991, 983, 984; 2006, 61, 63; 2006, 672, 673; 2008, 1086, 1087; 2011, 1364; GRUR 1975, 434, 436; vgl. auch BGH, NJW 2011, 2889, 2890: „Da es sich dabei um ein Vier-Augen-Gespräch der Parteien handelt, wird das BerGer. zum Zwecke der Beweiserhebung eine Anhörung beider Parteien entweder auf der Grundlage des § 141 ZPO oder des § 448 ZPO vorzunehmen haben (…).“; siehe auch F. Stein, Richterliche Prozessleitung (2005), 33 f. 133 BGHZ 122, 115, 121; BGH, NJW 1998, 306, 307; 1999, 363, 364; 2003, 3636; NJW-RR 1990, 1061, 1063. 134 BGH, NJW 1992 1558, 1559; NJW-RR 1990, 1061, 1063. 135 BGH, NJW-RR 1988, 394, 395.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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Im Ergebnis nicht fundamental anders äußert sich auch diejenige Literatur, die den Thesen des Bundesgerichtshofs von der beweisrechtlichen Verwertung der Anhörung an sich kritisch gegenübersteht. § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO erlaube es zwar, die Äußerungen einer Partei bei ihrer Anhörung wie auch sonst im Parteivortrag bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Trotzdem sei es nicht gestattet, schlicht danach zu entscheiden, welche Parteibehauptungen dem Prozessgericht mehr oder weniger glaubwürdig erschienen.136

III. Die funktionelle Identität von Parteianhörung und Parteivernehmung bei der Beweiswürdigung Wenn Rechtsprechung und Literatur danach zwischen der Würdigung des Inhalts der Verhandlung einerseits und der Würdigung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme in Form der förmlichen Parteivernehmung andererseits differenzieren, führt das unweigerlich zu der Frage, welcher substantielle Unterschied zwischen beiden im Rahmen des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO besteht.137 1. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung Diesen Unterschied zu benennen fällt deshalb nicht leicht, weil die freie richterliche Beweiswürdigung sich gerade dadurch auszeichnet, keinen Beweisregeln unterworfen zu sein.138 Dem entspricht es, dass § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO den Inhalt der Verhandlungen und das Ergebnis der Beweisaufnahme gleichrangig nebeneinander stellt.139 Und ebenfalls zählt es zur freien Beweiswürdigung, dass das Prozessgericht den Beweiswert jeder zugelassenen Erkenntnisquelle selbst bemisst.140 Einen schematischen Gegensatz zwischen Parteianhörung und Parteivernehmung kann es bei der freien Beweiswürdigung danach nicht geben.

136 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 141 Rn. 3; der Sache nach ebenso Musielak/ Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 141 Rn. 2; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 4; Lange, NJW 2002, 476, 480 f. 137 Bernhardt, in: FS für Rosenberg (1949), 23, 41. 138 Braun, Zivilprozessrecht (2014), 730; Grunsky/Jacoby, Zivilprozessrecht (14. Aufl. 2014), Rn. 548; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht (30. Aufl. 2011), § 50 Rn. 18; Lüke, Zivilprozessrecht (10. Aufl. 2011), Rn. 267; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 113 Rn. 1; Schilken, Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2014), Rn. 392. 139 MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 7; Brehm, Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung (1982), 248; a.A. Polygozopoulos, Parteianhörung und Parteivernehmung in ihrem gegenseitigen Verhältnis (1976), 113. 140 Musielak/Voit/Foerste, ZPO (13. Aufl. 2016), § 286 Rn. 9; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 113 Rn. 1.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

2. Keine Abgrenzung nach dem Beweiswert Ungeachtet des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung unterscheiden manche die Parteianhörung von der Parteivernehmung anhand ihres jeweiligen Beweiswerts. So sollen Ausführungen einer Partei nur dann vollen Beweiswert erlangen, wenn sie in einer förmlichen Parteivernehmung erfolgen.141 Diese These muss nicht notwendig in Widerspruch zur freien Beweiswürdigung stehen. Denn bei aller Freiheit bleibt das Prozessgericht doch an Denk-, Erfahrungs- und Naturgesetze gebunden.142 Die Abgrenzung nach dem Beweiswert ist folglich dann mit § 286 Abs. 1 ZPO vereinbar, wenn ein Denkgesetz oder ein Erfahrungssatz existiert, der bzw. das eine unterschiedliche Behandlung der Parteianhörung und der förmlichen Parteivernehmung gebietet. Doch ist nichts dafür ersichtlich, was einen allgemeinen Erfahrungssatz dieses Inhalts begründen könnte.143 So ist der Unterschied zwischen der Anhörung und der Vernehmung einer Partei eine rein rechtliche Definitionssache, so dass – sollten sich unterschiedliche Erfahrungssätze an sie knüpfen – diese ebenfalls gesetzlichen Niederschlag gefunden haben müssten. Solches ist aber nicht feststellbar. Beide Aussageformen sind gleichermaßen frei zu würdigen. Es kommt hinzu, dass § 153 StGB die Falschaussage weder im Fall der Anhörung noch im Fall der Vernehmung unter Strafe stellt.144 Auch das spricht dafür, dass das Prozessrecht keinen Erfahrungswert zugrunde legt, dem zufolge die förmliche Parteivernehmung gemäß §§ 445 ff. ZPO abstrakt einen höheren Beweiswert hätte als die Parteianhörung gemäß § 141 ZPO. 3. Keine Abgrenzung nach dem Beweisgrund a) Begriff und Abgrenzungskonzept Andere unterscheiden schließlich nach dem Beweisgrund. Als Beweisgrund werden allgemein die Argumente beschrieben, aus deren Verknüpfung sich die richterliche Tatsachenfeststellung als Folgerung im Rahmen eines formgerechten Schlusses darstellt.145 Für die Abgrenzung nach diesem Kriterium soll maßgeblich sein, dass es bei der Anhörung der Partei auf den Inhalt der Aussage ankomme, bei der Vernehmung hingegen auf ihre persönliche Glaubwür141 Gehrlein, ZZP 110 (1997), 451, 473, das soll jedenfalls dann gelten, wenn andere förmliche Beweismittel mit gegenläufigem Aussagegehalt vorliegen, insbesondere Zeugenaussagen. 142 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 113 Rn. 3; Assmann, in: Summum ius, summa iniuria (1994), 183, 185; Leipold, in: FS für Nakamura (1996), 301, 310. 143 Brehm, Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung (1982), 247. 144 Freilich bleibt es bei der möglichen Strafbarkeit nach § 263 StGB. 145 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 27; der Sache nach ebenso Saenger, ZPO (6. Aufl. 2015), § 284 Rn. 1.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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digkeit.146 Konkret wird aus dem Unterschied zwischen Inhalt des Vortrags und persönlicher Glaubwürdigkeit gefolgert, dass der Parteivortrag nur insoweit zur Beweiswürdigung herangezogen werden könne, als er unstreitig sei.147 Anders gewendet: Der unstreitige Sachvortrag soll den Kontext liefern, anhand dessen die Ergebnisse einer Beweisaufnahme über eine streitige Tatsachenbehauptung interpretiert werden können; er kann in der freien Beweiswürdigung lediglich als Hilfstatsache des Beweises148 oder als Indiz eine Rolle spielen. Insbesondere dürfe das Prozessgericht danach die innere Wahrscheinlichkeit des Parteivorbringens – sofern sie sich aus dem im Übrigen unstreitigen Vorbringen ableitet – berücksichtigen, weil diese allein auf den sachlichen Inhalt der Aussage abstelle, nicht aber auf die persönliche Glaubwürdigkeit der aussagenden Partei.149 Sei aber der Inhalt der Parteiaussage über eine Tatsache selbst streitig, müsse mangels Greifbarkeit eines förmlichen Beweismittels diese Tatsache als unaufklärbar behandelt und nach der objektiven Beweislast entschieden werden.150 b) Die Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme gemäß § 285 ZPO Dieses Konzept ermöglicht es, die Parteianhörung und die Parteivernehmung beweisrechtlich stimmig voneinander abzugrenzen. Dennoch überzeugt es nicht, produziert es im Übrigen doch allzu eigentümliche Ergebnisse. Zunächst kann der Abgrenzungsmechanismus nicht auf die Anhörung der Partei nach § 141 ZPO beschränkt sein, er muss jegliche persönliche Einlassung der Partei außerhalb ihrer förmlichen Vernehmung umfassen. Nimmt sie im Rahmen der Verhandlung nach § 285 Abs. 1 ZPO etwa über eine Zeugenvernehmung aus eigener Anschauung Stellung, so bezieht ihre Stellungnahme sich auf streitiges Vorbringen und dürfte folglich bei der Beweisaufnahme nicht herangezogen werden. Ein solches Ergebnis stellte den Sinn der Verhandlung über das Beweisergebnis grundsätzlich in Frage.151

146 Brehm, Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung (1982), 250; ihm folgend MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 4. 147 Brehm, Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung (1982), 251; ihm folgend MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 4. 148 Zum Begriff Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 110 Rn. 15: „(…) Hilfstatsachen des Beweises, die (…) die Beweiskraft eines Beweismittels treffen.“ 149 Brehm, Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung (1982), 252; ihm folgend MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 4; ebenso Oberhammer, ZZP 113 (2000), 295, 321; a.A. BGH, NJW-RR 1997, 663. 150 Brehm, Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung (1982), 251. 151 Stackmann, NJW 2012, 1249, 1253.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

c) Die Vier-Augen-Fälle Schwierigkeiten verursacht dieses Abgrenzungskonzept auch in den sog. VierAugen-Situationen. Man denke an den klassischen Fall: Eine Partei hat der anderen unstreitig einen bestimmten Geldbetrag zugewandt und verlangt nun Rückzahlung mit der Begründung, es habe ein Darlehen zugrunde gelegen, dessen Rückzahlung zwischenzeitlich auch fällig sei. Der Gegner meint, es habe sich um eine Schenkung gehandelt. Aufzeichnungen irgendwelcher Art oder Zeugen für die getroffenen Absprachen existieren nicht. Für die These von der Abgrenzung nach dem Beweisgrund kommt eine beweisrechtlich verwertbare Anhörung des vermeintlichen Darlehensgebers nicht in Betracht, weil sie den Inhalt der Parteiabrede als streitige Tatsache betrifft. Eine förmliche Vernehmung als Partei scheidet deshalb aus, weil die nach § 448 ZPO erforderliche Anfangswahrscheinlichkeit für die beweisbedürftige Tatsache fehlt. Entschieden würde nach der objektiven Beweislast. Dieses Ergebnis verstieße bereits gegen das Gebot der Waffengleichheit im Prozess.152 Diesem Verstoß gegen höherrangiges Recht wollen einige mit einem Verzicht auf die sog. Anfangswahrscheinlichkeit bei § 448 ZPO begegnen.153 Man mag solchermaßen verfahren. Freilich wird in diesem Fall einer der wesentlichen Gründe obsolet, weshalb §§ 445 ff. ZPO und § 141 ZPO so streng voneinander zu unterscheiden seien. Zumindest was ihre Würdigung anbelangt, bliebe letztlich eine rein semantische Differenzierung zwischen beiden Kategorien der Parteiaussage bestehen. Dann aber ist es konsequenter, § 141 ZPO und §§ 445 ZPO – ist die Beweisebene erst einmal erreicht – als bei der Beweiswürdigung funktionell identisch anzuerkennen154 und die Abgrenzung nach dem Beweisgrund zu verwerfen. 4. Die Beeidigungsfähigkeit der Parteivernehmung als maßgeblicher Unterschied Somit ist festzuhalten: Soweit es um die freie Beweiswürdigung geht, sind Parteianhörung gemäß § 141 ZPO und Parteivernehmung gemäß §§ 445 ff. ZPO funktionell identisch. Das Gesetz knüpft an beide lediglich deshalb unterschiedliche Voraussetzungen, weil die im Rahmen der Vernehmung gemachte Aussage beeidigungsfähig ist, die im Rahmen einer bloßen Parteianhörung gemachte Aussage hingegen nicht.

152

Vgl. EGMR, NJW 1995, 1413, 141; BVerfG, NJW 2001, 2531. Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 141 Rn. 6; Schlosser, NJW 1995, 1404, 1405; Gehrlein, ZZP 110 (1997), 451, 474; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), 269, 291; Oberhammer, ZZP 113 (2000), 295, 315. 154 BGH, NJW-RR 2003, 1002, 1003; Noethen, NJW 2008, 334, 335; ähnlich F. Stein, Richterliche Prozessleitung (2005), 33 f. 153

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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a) Die Situationen der Eidesleistung Die Beeidigung nach § 452 Abs. 1 Satz 1 ZPO setzt dabei voraus, dass das Ergebnis der Aussage der unbeeidigten Partei nicht ausreicht, um sich von der Wahrheit der streitigen Tatsachenbehauptung zu überzeugen.155 Daraus folgt, dass eine Beeidigung der Partei ausscheidet, sofern das Prozessgericht im Anschluss an ihre Aussage von der Wahrheit der streitigen Tatsachenbehauptung überzeugt ist.156 Somit kommt eine Beeidigung der Partei zum einen in Konstellationen in Betracht, in denen auch nach ihrer Aussage die Situation des non liquet über den Hauptbeweis fortbesteht. Zum anderen kann die Beeidigung aber auch bei der Parteivernehmung zum indirekten Gegenbeweis eingreifen,157 nämlich dann, wenn die Aussage das Prozessgericht von der Wahrheit der beweisgegenständlichen Indiztatsache noch nicht überzeugen konnte,158 bei deren Nachweis der Hauptbeweis des Gegners aber erschüttert wäre. Danach greift die Beeidigung stets nur zu Gunsten des Beweisführers ein und darüber hinaus stets nur dort, wo die Beweisaufnahme über die streitige Tatsachenbehauptung an sich gescheitert ist. Dient die Beeidigung vor diesem Hintergrund dazu, eine an sich gescheiterte gerichtliche Überzeugungsbildung doch noch herbeizuführen, lässt sie sich als Privileg zu Gunsten der beweisführungsbelasteten Partei bezeichnen, das das Gesetz ausschließlich für den Fall der förmlichen Parteivernehmung vorsieht.

155 Die Überzeugung von der Unwahrheit ist demgegenüber eine unscharfe Formulierung. Um eine streitige Tatsache nicht festzustellen, muss das Prozessgericht nicht von ihrer Unwahrheit überzeugt sein (Hohlweck, JuS 2001, 584, 587). Soll die Subsumtion unterbleiben, muss das Prozessgericht demgegenüber nicht von der Unwahrheit der aufgestellten Behauptung überzeugt sein, es genügt – was beim erfolgreich geführten Gegenbeweis besonders deutlich wird – die fehlende Überzeugung von der Wahrheit. Gemeint ist daher der sichere Erkenntnisstand des Gerichts, dass es zu einer Überzeugung von der Wahrheit der streitigen Tatsachenbehauptung nicht mehr kommen werde. Allenfalls dann, wenn das Beweisthema die Unwahrheit einer anderen Tatsache betrifft – etwa die Unwahrheit einer Berichterstattung bei § 824 Abs. 1 BGB oder die Unwahrheit des Vorbringens, das der aus § 812 Abs. 1 BGB in Anspruch Genommene dem Kondiktionsgläubiger zum Rechtsgrund entgegenhält –, kann von der Überzeugung von der Unwahrheit gesprochen werden. Doch ist das materiellrechtlich vorgegeben. Prozessrechtlich überzeugt sich – oder auch nicht – das Gericht von der Wahrheit der Behauptung des Beweisführers, die Berichterstattung des Gegners entspreche nicht den Tatsachen oder die zum Rechtsgrund vorgetragenen Tatsachen träfen nicht zu. 156 MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 452 Rn. 1. 157 Zur Zulässigkeit der Parteivernehmung über den indirekten Gegenbeweis vgl. Musielak/ Voit/M. Huber, ZPO (13. Aufl. 2016), § 445 Rn. 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 123 Rn. 8. 158 Beim indirekten Gegenbeweis ist das Indiz selbständiger Beweisgegenstand (Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht [17. Aufl. 2010], § 110 Rn. 17) und muss zur vollen Überzeugung des Prozessgerichts nachgewiesen sein (Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast [1983], 15 f.).

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

b) Der Zweck der einschränkenden Voraussetzungen gemäß §§ 445 ff. ZPO So gesehen dienen die strengen Voraussetzungen, denen die förmliche Parteivernehmung im Gegensatz zur Parteianhörung unterliegt, allein dazu, die Einschränkungen zu definieren, unter denen die Beeidigung der Parteiaussage als zusätzliches Aufklärungsinstrument zur Anwendung kommt. Das zeigt zunächst die nach h.M. erforderliche Anfangswahrscheinlichkeit für die Wahrheit der zu beweisenden Tatsache.159 So kommt die Beeidigung der Aussage gerade in Betracht, wenn das Prozessgericht die zu beweisende Tatsache für überwiegend wahrscheinlich wahr hält. Durch die Beeidigung der risikobelasteten Partei wird der Beweiswert ihrer Aussage vervollständigt.160 Auch wenn im umgekehrten Fall der Vernehmung des Gegners Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Aussage bestehen, ist es allein die für das Gegenteil sprechende – und bereits dargetane – Wahrscheinlichkeit, die es rechtfertigt, ihn zu vereidigen und damit der Strafdrohung des § 154 StGB auszusetzen, um ihn zur Korrektur zu veranlassen161 oder die mögliche Eidesverweigerung zu Gunsten der risikobelasteten Partei werten zu können.162 Das Privileg der Vereidigungsmöglichkeit erklärt auch die gegenüber der Parteianhörung höhere Nachprüfungsdichte in der Revisionsinstanz. Sind nämlich mit Ausnahme des Ermessens sämtliche Voraussetzungen des § 448 ZPO in der Revision nachprüfbar, so ist gewährleistet, dass nur solche – dann aber auch alle – beweisführungsbelasteten Parteien in den Genuss des Privilegs kommen, für die es gesetzlich vorgesehen ist.163 c) Die weiteren Unterschiede: § 445 Abs. 2 ZPO und § 141 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 ZPO Bei der soeben angestellten Betrachtung sind die weiteren Unterschiede in der Ausgestaltung von Parteivernehmung und Parteianhörung jedoch unberücksichtigt geblieben. Sie mögen zwar in keinem direkten Zusammenhang mit der späteren Beeidigungsfähigkeit der Parteivernehmung stehen, rechtfertigen es aber dennoch nicht, beide Formen der Parteiaussage im Rahmen von § 286 ZPO unterschiedlich zu würdigen.

159

Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 123 Rn. 8. Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 452 Rn. 5; bestätigt hingegen der vernommene Gegner die zu seinen Ungunsten wirkende Tatsache, scheidet eine Beeidigung aus (Stein/ Jonas/Leipold, ZPO [22. Aufl. 2006], § 452 Rn. 4). 161 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 452 Rn. 5. 162 Vgl. MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 286 Rn. 7. 163 Zwar besteht ein Rechtsfehler auch dann, wenn das Prozessgericht eine Parteivernehmung vornimmt, ohne dass die Voraussetzungen vorlagen, die Vereidigung aber unterblieben ist. In diesem Fall wirkt sich der Rechtsfehler aber nicht auf das Ergebnis aus, weil die unbeeidigt gebliebene Parteivernehmung und die Parteianhörung funktionsidentisch sind. Im Übrigen bleibt lediglich die Nachprüfung in dem Umfang, den § 286 ZPO zulässt. 160

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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Das betrifft zunächst den direkten Gegenbeweis, über den eine Parteivernehmung gemäß § 445 Abs. 2 ZPO nicht stattfinden kann, eine Parteianhörung hingegen schon. Tatsächlich ist dieser Unterschied aber logisch begründet und keineswegs Ausdruck einer unterschiedlichen Qualität beider Aussageformen, die sich in die Beweiswürdigung fortsetzen würde. So ergibt sich die Notwendigkeit, den Gegenbeweis zu führen, nur dann, wenn der Hauptbeweis wenigstens vorläufig geführt worden ist.164 In den entsprechenden Beweiswürdigungsprozess müssen die Aussagen der nicht mit der Führung des Hauptbeweises belasteten Partei eingeflossen sein, ganz gleichgültig, ob sie diese im Rahmen einer persönlichen Anhörung, einer förmlichen Vernehmung, nach § 285 Abs. 1 ZPO oder sonst in den Prozess eingebracht hat. Dass dieselben Erwägungen nun nochmals im Rahmen einer Vernehmung über den Gegenbeweis wiederholt werden und nun ein anderes Beweiswürdigungsergebnis hervorrufen können sollten, ist jedenfalls dann logisch ausgeschlossen, wenn man Mindestanforderungen an die Stringenz der Beweiswürdigung stellt. § 445 Abs. 2 ZPO ist folglich wenig mehr als eine deklaratorische Vorschrift. Im Übrigen gilt: Dass die anzuhörende Partei wegen Unzumutbarkeit nach § 141 Abs. 1 Satz 2 ZPO vom persönlichen Erscheinen verschont werden, nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO einen sachverhaltskundigen Vertreter entsenden und als Sanktion für ihr Nichterscheinen ein Ordnungsgeld erhalten kann, bezeichnet zwar Unterschiede zur förmlichen Vernehmung, jedoch folgt daraus keineswegs, dass das Ergebnis einer Anhörung nicht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO verwertet werden dürfte.

IV. Die Anordnung persönlichen Erscheinens § 141 ZPO steht in einem engen sachlichen Zusammenhang mit § 139 ZPO. Ein ausreichender gerichtlicher Hinweis im Sinne des § 139 Abs. 1 ZPO erfordert, dass das Prozessgericht die Parteien auf den fehlenden Sachvortrag, der von seinem rechtlichen Standpunkt aus gesehen entscheidungserheblich ist, hinweist und dem jeweiligen Adressaten die Möglichkeit eröffnet, den Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen.165 Die Anordnung nach § 141 ZPO flankiert diesen Hinweis dahingehend, dass die Partei zur mündlichen Verhandlung erscheinen und dort ihre Ausführungen persönlich machen solle. Für die Voraussetzungen, den Inhalt und den Adressaten einer solchen Maßnahme gilt folglich das zu § 139 Abs. 1 ZPO Ausgeführte entsprechend. Über die zusätzliche Anordnung des persönlichen Erscheinens entscheidet das Prozessgericht

164 165

Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 15. BGHZ 127, 254, 260.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

nach pflichtgemäßem Ermessen. Maßgeblich ist die Zweckmäßigkeit einer persönlichen Aussage.166

V. Die Rechtsfolgen von Nichterscheinen und Aussageverweigerung Bislang war festzustellen, dass die Aussagen einer Partei, die ladungsgemäß erschienen ist, nach § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO als Bestandteil der Verhandlungen zum Gegenstand der Beweiswürdigung werden. Zu erörtern bleiben die Auswirkungen auf die Entscheidung, wenn die geladene Partei nicht erscheint oder die erschienene Partei die Aussage verweigert. 1. Das vollständig verweigerte (weitere) Vorbringen Auszuklammern sind dabei freilich diejenigen Fälle, in denen nicht nur die Partei selbst nicht erscheint oder nicht aussagt, sondern ihren Vortrag auch nicht über einen Prozessvertreter ergänzen lässt. Hier knüpfen weder an das Nichterscheinen noch an die Nichtaussage selbständige Rechtsfolgen. Vielmehr ist eine erwartbare Belegtatsache trotz Hinweises nicht beigebracht, so dass das Prozessgericht an der unterstellten Unwahrheit gemäß § 138 Abs. 1 ZPO festhält. Das Gleiche gilt, wenn die geladene Partei einen Vertreter entsendet, der nicht zugleich ihr Prozessvertreter ist und sich am Maßstab des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO als nicht ausreichend informiert erweist. 2. § 141 ZPO und der Sachvortrag durch den Prozessvertreter Demnach betrifft die Frage nach den beweisrechtlichen Folgen einer verweigerten Anhörung gemäß § 141 ZPO nur solche Fälle, in denen die Partei selbst nicht erscheint oder nicht aussagt, die erforderlichen Tatsachen aber vollständig durch einen Prozessvertreter vortragen lässt.167 In den Erläuterungen zu § 141 ZPO heißt es in diesem Zusammenhang häufig, dass das Nichterscheinen oder die Nichtaussage prozessuale Nachteile nach sich ziehe, namentlich der Fortbestand nicht behobener Substantiierungsmängel, die Nichtberück-

166 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 141 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 141 Rn. 20. 167 Keineswegs muss die Konstellation zu § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO führen. Zum einen soll die Anwendung dieser Vorschrift in der Regel dann ausfallen, wenn die geladene Partei den Vertreter nur zum Zweck der Anhörung erst informieren muss (Stein/Jonas/Leipold, ZPO [22. Aufl. 2005], § 141 Rn. 42). Zum anderen genügt der Prozessbevollmächtigte den Anforderungen des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO auch dann nicht, wenn die Partei ihm gegenüber vorab keine Zustimmung zum Vergleichsschluss erteilt hat (Stein/Jonas/Leipold, ZPO [22. Aufl. 2005], § 141 Rn. 45).

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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sichtigung späteren Vorbringens, etc.168 In dieser Allgemeinheit lässt sich die These allerdings nur halten, wenn man infolge einer Maßnahme nach § 141 ZPO den Sachvortrag des Prozessvertreters für unbeachtlich hält. Angesichts des § 85 ZPO ist freilich unklar, was es rechtfertigen könnte, das Vorbringen des Prozessvertreters hier zu ignorieren. Allzu oberflächlich geriete der Hinweis, dass die Anhörung als solche jedenfalls grundsätzlich169 höchstpersönlicher Natur sei.170 Denn entscheidend ist nicht, ob die geladene Partei sich bei der Anhörung auch außerhalb des § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO wirksam vertreten lassen kann. Maßgeblich kommt es vielmehr darauf an, ob der Beschluss, in dem das Prozessgericht das persönliche Erscheinen nach § 141 ZPO anordnet, als weitere Folge nach sich zieht, dass nur noch solches Vorbringen prozessrechtlich beachtlich wäre, das die Partei im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung selbst vorbringt. Das würde den Prozessbevollmächtigten jedoch aus einem zentralen Bereich des Erkenntnisverfahrens weitgehend ausschließen, was zugleich das Recht der Partei, sich im Prozess vertreten zu lassen,171 grundlegend in Frage stellte. Für eine derart weitreichende Wirkung sind § 141 ZPO keine tragfähigen Anhaltspunkte zu entnehmen. Vielmehr ist anerkannt, dass die persönliche Anhörung als weitere Erkenntnisquelle neben die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten tritt, wenn diese missverständlich oder mehrdeutig sind.172 Liefert der Prozessbevollmächtigte also die notwendigen Tatsachen in der mündlichen Verhandlung, so sind diese auch dann quantitativ und qualitativ vollumfänglich zu berücksichtigen, wenn die Partei trotz einer Ladung nach § 141 ZPO nicht erscheint oder nicht aussagt. 3. Die verweigerte persönliche Anhörung in der Beweiswürdigung Trotz der umfänglichen Verwertbarkeit des Vertretervorbringens heißt es praktisch durchgängig, dass das Prozessgericht die verweigerte Anhörung im Rahmen von § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO frei würdige.173 Das trifft zu168 OLG München, NJW-RR 1996, 59, 60; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 141 Rn. 11; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (3. Aufl. 2013), § 141 Rn. 19; auf die Möglichkeit, dass der Prozessvertreter die erforderlichen Belegtatsachen beibringen könnte, wird kaum jemals eingegangen (vgl. aber Stein/Jonas/Leipold, ZPO [22. Aufl. 2005], § 141 Rn. 48). 169 § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO bildet die Ausnahme. 170 Zur Höchstpersönlichkeit der Anhörung im parallelen Fall des § 33 FamFG vgl. Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit (4. Aufl. 2009), § 9 Rn. 12. 171 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 141 Rn. 20. 172 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 141 Rn. 1. 173 OLG München, NJW-RR 1996, 59, 60; OLG Frankfurt, NJW-RR 2000, 1344; Thomas/ Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 141 Rn. 5; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 141 Rn. 6; Baumbach/Hartmann, ZPO (74. Aufl. 2016), § 141 Rn. 33; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 141 Rn. 11; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 141 Rn. 13; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 141 Rn. 19, 24; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 141 Rn. 48.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

nächst jedenfalls insoweit zu, als es dem Prozessgericht darum geht, sich einen persönlichen Eindruck von der Partei und der Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen zu machen. Einen solchen Eindruck kann es nicht gewinnen, wenn die Partei nicht kooperiert. Auch in der dogmatischen Konstruktion bereitet die entsprechende Würdigung letztlich keine allzu gravierenden Schwierigkeiten. So handelt es sich bei der Aussageverweigerung um das Spiegelbild zur getätigten Aussage, die bei § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO ebenfalls zu berücksichtigen ist.174 Auch zählen nicht nur das Tun, sondern auch die Unterlassungen der Parteien zum Inhalt der Verhandlungen im Sinne von § 286 Abs. 1 ZPO.175 Unproblematisch ist schließlich, dass für die Aussageverweigerung keine §§ 446, 453 Abs. 2, 454 ZPO entsprechende Bestimmung existiert, die ihre freie Würdigung anordnete. Entsprechende Bestimmungen sind für die Aussageverweigerung schon deshalb überflüssig, weil sie als Inhalt der Verhandlung ohnehin von § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO erfasst ist. Für die verweigerte Vernehmung gilt das nicht. Sie fällt als Bestandteil der Beweisaufnahme unter § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO. Auch liefert sie als solche kein würdigungsfähiges Ergebnis der Beweisaufnahme. Verweigert die Partei die Vernehmung, so bleibt an sich nämlich das non liquet bestehen. Das Prozessgericht müsste nach der objektiven Beweislast entscheiden. §§ 446, 453 Abs. 2, 454 ZPO sind i.V.m. mit dem Gedanken der Beweisvereitelung und dem in diesem Zusammenhang häufig übergangenen § 138 Abs. 1 ZPO Voraussetzung dafür, die Bindung an das non liquet zu überwinden. Anders als bei der verweigerten Vernehmung kann das Prozessgericht bei der verweigerten Aussage jedoch nicht davon ausgehen, dass die Partei die persönliche Aussage nur deshalb verweigert, weil anderenfalls ihr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitswidriger Vortrag offenbar würde. Doch bedeutet dies keinen Widerspruch. Zwar sind in beiden Fällen auf der Vortragsebene sämtliche Realkennzeichen in Form erwartbarer Belegtatsachen beigebracht. Auch vereitelt die Partei in beiden Varianten der Aussageverweigerung die Möglichkeit, dass das Prozessgericht sich einen persönlichen Eindruck von ihr machen kann. Trotz dieser äußeren Übereinstimmungen setzt das Prozessrecht beide Aussageformen nicht gleich. So gilt die Beweisvereitelungsvorschrift des § 446 ZPO auch für den Fall, dass die zur Vernehmung geladene Partei erscheint, um sodann zu erklären, sie werde nach § 141 ZPO persönlich aussagen, sich jedoch nicht förmlich vernehmen lassen. Der Unterschied, den 174

BGH, NJW-RR 1997, 663; der Sache auch BGHZ 122, 115, 121; BGH, NJW 1992, 1558, 1559; 1997, 1988; 1999, 363, 364; NJW-RR 1990, 1061, 1063; 1991, 983, 984; 2006, 61, 63; 2008, 1086, 1087; GRUR 1975, 434, 436; vgl. auch BGH, NJW 2011, 2889, 2890: „Da es sich dabei um ein Vier-Augen-Gespräch der Parteien handelt, wird das BerGer. zum Zwecke der Beweiserhebung eine Anhörung beider Parteien entweder auf der Grundlage des § 141 ZPO oder des § 448 ZPO vorzunehmen haben (…).“ 175 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2008), § 286 Rn. 15.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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das Prozessrecht wegen der Verweigerung zwischen beiden Aussageformen trifft, lässt sich letztlich – ebenso wie die besonderen Voraussetzungen der förmlichen Vernehmung – wieder nur mit der Beeidigungsfähigkeit erklären. So verlangt die Beeidigung einer Aussage gemäß § 452 Abs. 1 ZPO, dass das Prozessgericht die Partei zuvor ordnungsgemäß vernommen hat.176 Setzt das Prozessgericht nun die Partei darüber in Kenntnis, dass es sie zu vernehmen plant, und stellt die Partei daraufhin klar, dass sie die Aussage verweigere, können die Voraussetzungen einer Beeidigung nicht mehr eintreten. Die Verweigerung der Vernehmung kann folglich als vorweggenommene Eidesverweigerung verstanden werden. Die Verweigerung der persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO hingegen hat mit der Beeidigung nichts zu tun.

D. Funktion und Reichweite der §§ 142, 144 ZPO bei der Sachverhaltsaufklärung Nach den bis hierher erzielten Ergebnissen sind Maßnahmen nach §§ 142, 144 ZPO irrelevant, sobald eine Tatsache als unstreitig feststeht. Auch was das Beibringen weiterer Realkennzeichen in Form von erwartbaren Belegtatsachen anbelangt, kann das Prozessgericht die Parteien nicht auf die Vorlage von Urkunden oder Augenscheinsobjekten verpflichten. Sinn ergeben Maßnahmen nach §§ 142, 144 ZPO folglich nur dort, wo es um die Beschaffung von Beweisen zu streitigen Behauptungen geht.177 In diesem Zusammenhang ergeben sich im Wesentlichen zwei Probleme. Erstens geht es um einen vermeintlichen Wertungswiderspruch. So ist der Gegner der risikobelasteten Partei im unmittelbaren Anwendungsbereich der §§ 423, 424 ggf. i.V.m. 371 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur dann gehalten, einen in seinen Händen befindlichen Informationsträger im Prozess vorzulegen, wenn er hierzu nach materiellem Recht verpflichtet ist oder in seinem Vorbringen selbst darauf Bezug genommen hat. Diesen Einschränkungen unterliegen Maßnahmen nach §§ 142, 144 ZPO jedoch nicht.178 Zweitens geht es um die Konsequenzen aus diesem vermeintlichen Widerspruch. Kritiker der gesetzli176

MünchKomm/Schreiber, ZPO (4. Aufl. 2012), § 452 Rn. 1. Einen jedenfalls auch beweisrechtlichen Zweck nehmen an: BGH, NJW 2007, 155; 2014, 3312, 3313; OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 2010, 936; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO (37. Aufl. 2016), § 142 Rn. 1; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 142 Rn. 1; Musielak/ Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 142 Rn. 1; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 142 Rn. 1; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), § 142–144 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/ Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 142 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO(22. Aufl. 2005), § 142 Rn. 1; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten (2008), 165; Prütting, in: FS für Bartenbach (2005), 417, 420; der Sache nach auch BGHZ 169, 30, 40; 173, 23, 32. 178 BGHZ 173, 23, 31; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 142 Rn. 20; Gruber/ Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 311. 177

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

chen Regel sehen hier nämlich ein Einfallstor für eine mehr oder weniger willkürliche Ausforschung zu Lasten des Gegners der risikobelasteten Partei.179

I. Der vermeintliche Widerspruch zwischen §§ 422, 423 ZPO und §§ 142, 144 ZPO Der von manchen angenommene Wertungswiderspruch zwischen §§ 422, 423 ZPO einerseits und §§ 142, 144 ZPO andererseits besteht tatsächlich nicht. So ist der Gegner der risikobelasteten Partei bereits nach § 138 Abs. 1 ZPO dazu gehalten, für sein Bestreiten Realkennzeichen in Form von erwartbaren Belegtatsachen beizubringen. Solche Belegtatsachen können auf der Beweisebene durchaus auch Beweismittel in Form körperlicher Informationsträger sein. Diese aus § 138 Abs. 1 ZPO abgeleitete Last besteht unabhängig von etwaigen materiellrechtlichen Informationspflichten. Doch selbst wenn man diese Bedeutung des § 138 Abs. 1 ZPO ignoriert, hält die These vom Wertungswiderspruch zwischen §§ 422, 423 ZPO und §§ 142, 144 ZPO einer näheren Überprüfung nicht stand. Das folgt aus § 371 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 ZPO, der auf § 144 ZPO Bezug nimmt und der risikobelasteten Partei so einen gegenüber §§ 422, 423 ZPO erweiterten Zugriff auf beim Gegner befindliche Augenscheinsobjekte verschafft.180 Dadurch stellt das Prozessrecht selbst einen Gleichlauf zwischen der Beweiserhebung von Amts wegen und derjenigen auf Antrag der risikobelasteten Partei her. Für den Urkundenbeweis mag dies nach der lex scripta zwar nicht gelten, weil insoweit §§ 428 Alt. 2, 429 Satz 2 ZPO lediglich auf die Vorlegungsanordnung gegen Dritte nach § 142 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO verweisen. Doch kann das nicht entscheidend sein. Wenn nämlich die risikobelastete Partei vom Gegner nach §§ 144, 371 Abs. 2 Satz 1 ZPO verlangen kann, dass er etwaig vorhandene Scans von Urkunden auf Datenträger als Augenscheinsobjekte181 vorlege, ergibt es keinen Sinn, ihr den Zugriff auf das Original zu verwehren. Wegen der Zufälligkeit der Ergebnisse kann es für den Zugriff auf die auf dem Träger befindliche Information auch nicht entscheidend darauf ankommen, ob der Gegner Scans von der Urkunde angefertigt hat oder nicht. Ebenso wie bei § 139 ZPO gilt aber auch für §§ 142, 144 ZPO, dass das Prozessgericht nicht in die Befugnisse der Parteien bei der Beschaffung des entscheidungserheblichen Tatsachenstoffs übergreifen darf.182 Wie bereits ausge179

Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 314; vgl. auch Lüpke/Müller, NZI 2002, 588, 589; Konrad, NJW 2004, 710 f.; Becker, MDR 2008, 1309. 180 MünchKomm/Zimmermann, ZPO (4. Aufl. 2012), § 371 Rn. 16; Stein/Jonas/Berger, ZPO (22. Aufl. 2006), § 371 Rn. 7; i.Erg. auch Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 371 Rn. 39. 181 Vgl. BeckOK/Krafka, ZPO (19. Ed. 2015), § 415 Rn. 3. 182 Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO (4. Aufl. 2014), § 371 Rn. 40.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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führt, kommt eine Vorlegungsanordnung gemäß §§ 142, 144 ZPO über unstreitige Tatsachen schon deshalb nicht in Betracht, weil §§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1, 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO die spezielleren Vorschriften sind. Im Übrigen darf das Prozessgericht nur die Vorlage solcher Beweismittel verlangen, die die Parteien in ihrem Verhältnis zueinander vorzulegen gehalten sind, um die unterstellte subjektive Unwahrheit gemäß § 138 Abs. 1 ZPO hinsichtlich ihres Vorbringens auszuräumen. Dies zieht dem durch §§ 142, 144 ZPO dem Prozessgericht eingeräumten Ermessen Grenzen.

II. Der Adressat einer Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO Adressat einer Vorlegungsanordnung auf der Basis von §§ 142, 144 ZPO ist diejenige Partei, die in der konkreten prozessualen Situation als Realkennzeichen erwartbare Belegtatsachen in Form von Informationsträgern vorzulegen hat, um der Unterstellung zu entgehen, sie halte diese Erkenntnisquellen nur deshalb zurück, um ihren auf der Vortragsebene begangenen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO zu verschleiern. Gegenüber der risikobelasteten Partei werden §§ 142, 144 ZPO eine lediglich untergeordnete Rolle spielen. Handelt sie redlich, wird sie bereits ihr Interesse am erfolgreichen Prozessausgang dazu anhalten, die in ihren Händen befindlichen Informationsträger vorzulegen, und zwar um die Wahrheit ihrer Behauptungen nicht nur im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO, sondern auch im Sinne des § 286 ZPO darzutun. Verkennt die risikobelastete Partei dabei die beweisrechtliche Situation, genügt ein Hinweis nach § 139 ZPO. Einer Vorlegungsanordnung bedarf es hier nicht. Anders liegt es aber dann, wenn die risikobelastete Partei – wie etwa im Fall des § 139 Abs. 3 PatG – gegen die Vorlage ihres Informationsträgers Geheimnisschutzbelange einwendet. Zwar mag abermals ein Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO hinreichen, wenn das Prozessgericht diesen Einwand für unberechtigt hält. Praktisch relevant werden §§ 142, 144 ZPO aber jedenfalls, wenn das Prozessgericht die Vorlage des Informationsträgers für erforderlich erachtet, gleichzeitig aber die legitimen Geheimhaltungsinteressen der Partei im Verfahren schützen muss. Dann nämlich bedarf es besonderer Schutzmaßnahmen im Verfahren der Beweisaufnahme, die das Prozessgericht anzuordnen hat.183 Häufiger wird sich die Frage nach einer Anordnung auf Basis der §§ 142, 144 ZPO gegenüber der nicht risikobelasteten Partei stellen. Ihr fehlt die Anreizwirkung, um ihr Bestreiten auch auf der Beweisebene mit ihr verfügbaren Informationsträgern zu untermauern, denn schließlich streitet die gesetzliche Risikoverteilung für sie. Jedoch genügt auch hier in aller Regel ein Hinweis 183

Ingerl/Rohnke, MarkenG (3. Aufl. 2010), § 19a Rn. 18 f.; Fezer, Markenrecht (4. Aufl. 2009), § 19a MarkenG Rn. 34.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

des Prozessgerichts nach § 139 ZPO darauf, dass es von ihr die Vorlage verfügbarer Informationen erwarte, widrigenfalls es nach § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung davon ausgehen müsse, sie habe auf der Vortragsebene subjektiv unwahr bestritten. Der einfache Hinweis genügt aber auch hier nicht mehr, wenn es darum geht, durch eine besondere Durchführung der Beweisaufnahme praktische Konkordanz zwischen dem effektiven Rechtsschutz der risikobelasteten Partei und legitimen Geheimhaltungsinteressen des vorlegungspflichtigen Gegners herzustellen.

III. Der Gegenstand einer Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO Eine Vorlegungsanordnung gemäß §§ 142, 144 ZPO kommt unproblematisch für solche Informationsträger in Betracht, deren Existenz nach den bisherigen Erkenntnissen des Verfahrens feststeht und auf die sich eine Partei berufen hat. Im Gegensatz zu § 423 ZPO ist es hier gleichgültig, welche Partei auf den Informationsträger Bezug genommen hat.184 Das folgt bereits aus dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 ZPO.185 Allzu große praktische Bedeutung hat dieser vermeintliche Widerspruch zwischen § 423 ZPO und § 142 Abs. 1 ZPO allerdings nicht. Ob eine Partei Informationsträger vorzulegen hat, um prozessrechtliche Nachteile zu vermeiden, hängt nicht unmittelbar von der Bezugnahme im Prozess ab, sondern davon, ob er im Rahmen von § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung eine erwartbare Belegtatsache darstellt. Schwieriger ist es, wenn die Parteien darüber streiten, ob bei ihnen ein Träger mit Informationen über entscheidungserhebliche Tatsachen existiert oder nicht. Hier ist die Partei, die tauglicher Adressat einer Anordnung nach §§ 142, 144 ZPO ist, entsprechend § 426 ZPO darüber zu vernehmen, ob der Informationsträger sich in ihrem Besitz befindet. Wenn das Prozessgericht dabei zu der Überzeugung gelangt, dass der Informationsträger beim Adressaten existiert, verfügt es über einen prozessrechtlich hinreichenden Bezugspunkt und kann dessen Vorlage nach §§ 142, 144 ZPO anordnen. Die entsprechende Anwendung des § 426 ZPO folgt dabei nicht nur aus der Sachnähe dieser verfahrensrechtlichen Gestaltung. Vielmehr ordnet § 371 Abs. 2 Satz 2 ZPO an, dass §§ 422 bis 432 ZPO entsprechend anzuwenden sind, wenn das Prozessgericht gemäß § 144 Abs. 1 ZPO die Vorlage eines Augenscheinobjekts anordnet. Sachliche Gründe dafür, bei der nach § 142 Abs. 1 ZPO angeordneten Urkundenvorlegung gegenüber einer Partei anders zu verfahren, gibt es nicht. 184 BGHZ 173, 23, 31; BGH, WM 2010, 1448, 1451; Reiter, JA 2004, 226, 229; Wagner, JZ 2007, 407, 410; Willer, NJW 2014, 22; a.A. Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 142 Rn. 20 f. 185 BGHZ 173, 23, 31.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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Wenn man mit einer verbreiteten Meinung verlangt, dass der vorzulegende Informationsträger mindestens genau genug bezeichnet sein müsse, um ihn eindeutig zu identifizieren,186 werden sich zahlreiche der zuletzt genannten Fälle freilich erledigen. Doch darf man keine allzu strengen Anforderungen an die Bezeichnung der Urkunde oder des Augenscheinobjekts stellen. Maßgeblich ist wiederum allein, welche Informationsträger von welcher Partei als erwartbare Belegtatsachen zu verlangen sind. Diesem Maßstab kann durchaus auch eine nur gattungsmäßige Bestimmung üblicherweise vorhandener Informationsträger genügen. Ebenfalls nach der Erwartbarkeit bestimmt sich, wie konkret der Sachvortrag der Parteien auf der vorgelagerten Ebene sein muss, ehe eine Vorlage von Beweismitteln gemäß §§ 142, 144 ZPO in Betracht kommt.

IV. §§ 142, 144 ZPO als Ermessensvorschriften Gemäß §§ 142, 144 ZPO „kann“ das Prozessgericht die Vorlegung von Urkunden bzw. Augenscheinsobjekten anordnen. Laut ganz h.M. hat das Prozessgericht danach ein echtes Ermessen darüber, ob es die Aufklärungsmaßnahme ergreift oder nicht.187 Versteht man auch in diesem Zusammenhang unter Ermessen die Wahl zwischen mehreren gleichermaßen gesetzmäßigen Rechtsfolgen,188 so ist eine Maßnahme nach §§ 142, 144 ZPO selbst dann nicht geboten, wenn feststeht, dass bei einer der Parteien ein Informationsträger vorhanden ist, der weitere Aufklärung bringen kann. Auf den ersten Blick erstaunt dies aus zwei Gründen: Erstens sind die verwandten Bestimmungen der §§ 425, 426 ZPO als gebundene Entscheidungen ausgestaltet.189 Zweitens haben die Parteien grundsätzlich ein Recht darauf, dass vorhandene Beweise erhoben werden.190

186 OLG Celle, BeckRS 2011, 18978; OLG München, BeckRS 2011, 24361; Musielak/Voit/ Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 142 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 142 Rn. 4; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 142 Rn. 10; Kraayvanger/Hilgard, NJ 2003, 572, 573. 187 BGHZ 173, 23, 31; OLG München, NJOZ 2006, 4541, 4543; OLG Braunschweig, BeckRS 2009, 87886; OLG Köln, BeckRS 2011, 58; OLG Schleswig, BeckRS 2011, 16047; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 142 Rn. 15; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 142 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 142 Rn. 8; MünchKomm/C. Wagner, ZPO (4. Aufl. 2013), §§ 142–144 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 142 Rn. 6; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129; Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 310; Konrad, NJW 2004, 710; McGuire, GRUR Int 2005, 15, 20; Greger, DStR 2005, 479, 482 f.; Wagner, JZ 2007, 706, 715; Stackmann, NJW 2007, 3521, 3523; Fest, NJW 2012, 428, 430. 188 BeckOK/Aschke, VwVfG (30. Ed. 2016), § 40 Rn. 4. 189 Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2006), § 425 Rn. 3. 190 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 116 Rn. 1; Baumgärtel, in FS für Matscher (1993), 29, 33.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

Tatsächlich verursacht die Ausgestaltung der §§ 142, 144 ZPO als Ermessensvorschriften jedoch keinerlei Probleme. Dass der potentielle Adressat einer Maßnahme nach §§ 142, 144 ZPO gehalten ist, den in seinem Zugriffsbereich befindlichen Informationsträger vorzulegen, folgt nämlich nicht aus der prozessgerichtlichen Anordnung, sondern aus § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung. Erkennt die betroffene Partei dies nicht, so hat das Prozessgericht einen entsprechenden Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO zu erteilen. Ob es in diesem Zusammenhang darüber hinaus die Vorlage des Informationsträgers oder die Erstellung eines Sachverständigengutachtens förmlich anordnet, kann folglich ohne Weiteres in das Ermessen des Prozessgerichts gestellt werden. Es gilt auch in diesem Zusammenhang, dass das Prozessgericht die zwischen den Parteien bestehenden Mitwirkungslasten lediglich anwendet, nicht aber weiter gehende Lasten begründen oder bestehende Lasten mindern kann.191 Etwas anderes ist freilich dort anzunehmen, wo das Prozessgericht legitime Belange des Geheimnisschutzes zu berücksichtigen hat.192 Hier spielen die Gegebenheiten des einzelnen Falls – insbesondere die Eigenart des vorzulegenden oder zu begutachtenden Gegenstands – eine wichtige Rolle, auf die das Prozessgericht im Rahmen des Beweisbeschlusses eingehen können muss. Während dies bei § 425 ZPO anhand der über § 422 ZPO in Bezug genommenen Bestimmung des materiellen Rechts geschieht, müssen §§ 142, 144 ZPO – da diese nicht auf materielle Auskunfts-, Vorlage- und Besichtigungsansprüche zurückgreifen – dem Prozessgericht insoweit jedenfalls ein Auswahlermessen einräumen.193 Regelmäßig bleibt an dieser Stelle jedoch kein Raum für ein Entschließungsermessen.

E. Der Sonderfall des § 143 ZPO Die Anordnung der Aktenübermittlung gemäß § 143 ZPO ist ein Sonderfall innerhalb der §§ 141 ff. ZPO. An sich mag man erwarten, dass sämtliche in §§ 141 bis 144 ZPO zusammengefassten Vorschriften in einem systematischen Zusammenhang stehen194 und somit die Sachverhaltsaufklärung betreffen. Gelegentlich hat das Bundesarbeitsgericht den § 143 ZPO in diese Richtung in191 BGHZ 173, 23, 31 f.; BGH, NJW 2014, 3312, 3313; NJW-RR 2007, 1393, 1394; 2008, 1008, 1011; 2009, 772, 774; BeckRS 2010, 2985; Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 142 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 142 Rn. 1; BeckOK/von Selle, ZPO (19. Ed. 2015), § 142 Rn. 1; Lüpke/Müller, NZI 2002, 588, 589; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129, 3130; Wagner, JZ 2007, 706, 713; Willer, NJW 2014, 22; weiter gehend wohl Schöpflin, Beweiserhebung von Amts wegen (1992), 165. 192 Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 142 Rn. 8; Kiethe, JZ 2005, 1034, 1036. 193 I. Erg. ebenso Rausch, Stärkung des Informationsanspruchs (2010), 142 f.; Kiethe, JZ 2005, 1034, 1035. 194 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 326.

§ 22 Maßnahmen nach §§ 141 ff. ZPO gegenüber den Parteien

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terpretiert, wenn es auf dieser Grundlage die Übermittlung von Personalakten angeordnet hat.195 Akte im Sinne des § 143 ZPO müsste dann jede Sammlung von Unterlagen zu einem streitentscheidungserheblichen Umstand sein. Bei einer solchen Interpretation hätte § 143 ZPO allerdings keinen gegenüber §§ 142, 144 ZPO selbständigen Anwendungsbereich. Denn alles, was Bestandteil der Akte ist, ist zugleich entweder Urkunde oder Augenscheinsobjekt. Tatsächlich geht es bei § 143 ZPO weder um die Sachverhaltsaufklärung noch auch nur um die materielle Prozessleitung. Vielmehr betrifft § 143 ZPO allein die Wiederherstellung unvollständig gewordener Prozessakten.196 Dabei verwendet das Zivilprozessrecht den Aktenbegriff zentral in § 299 Abs. 1 ZPO. Gemeint sind die Akten, die bei einem Prozessgericht für einen Rechtsstreit anzulegen und zu führen sind.197 Zu ihren Bestandteilen zählen die bei Gericht eingereichten Schriftsätze einschließlich der Anlagen, die gerichtlichen Protokolle, die Urschriften der Beschlüsse und Urteile, die Urschriften der Verfügungen, die Urkunden über die Zustellungen und amtlichen Schriftstücke.198 Für den Gegenstand des § 143 ZPO bedeutet das, dass die Parteien das Spiegelbild der Prozessakte vorzulegen haben, also dasjenige, was ihnen im Rahmen des Prozessbetriebs aus der gerichtlichen Prozessakte übermittelt wurde oder was sie an das Prozessgericht übermittelt haben. So erhält § 143 ZPO einen konsistenten zivilprozessrechtlichen Inhalt und einen gegenüber §§ 142, 144 ZPO selbständigen Anwendungsbereich. Am ehesten wird man § 143 ZPO als Ausprägung der aus dem Prozessrechtsverhältnis resultierenden Pflicht der Parteien begreifen können, den Prozess anständig, förderlich, sachgemäß und sorgfältig zu führen.199 Zwar bilden §§ 141 ff. ZPO bei einem solchen Verständnis keine homogene Normengruppe mehr. Doch ist das methodisch unproblematisch. Allgemein darf die äußere Einkleidung von Normen als systematisches Argument nicht überschätzt werden.200 So regeln etwa §§ 987 ff. BGB ein gesetzliches Schuldverhältnis, obwohl sie im dritten Buch des BGB angesiedelt sind.201

195 BAG, Urt. v. 13.2.1974 – 4 AZR 192/73 [juris]; Urt. v. 29.7.1981 – 4 AZR 34/79 [juris]; Urt. v. 28.11.1984 – 4 AZR 5/83 [juris]. 196 Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 143 Rn. 1; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 143 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 143 Rn. 1; Wieczorek/ Schütze/Smid, ZPO (4. Aufl. 2013), § 143 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 143 Rn. 1; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses (1994), 166. 197 OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 1454, 1455; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 299 Rn. 4. 198 OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 1454, 1455; MünchKomm/Prütting, ZPO (4. Aufl. 2013), § 299 Rn. 4; für die Parallelbestimmung des § 13 Abs. 1 FamFG gilt das identische Begriffsverständnis, vgl. Keidel/Sternal, FamFG (18. Aufl. 2014), § 13 Rn. 48. 199 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (17. Aufl. 2010), § 2 Rn. 14. 200 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 326. 201 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), 326.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

Zwischenergebnis §§ 141 ff. ZPO bilden eine heterogene Normengruppe. Während es bei § 143 ZPO allein um die Wiederherstellung unvollständig gewordener Prozessakten geht, betreffen §§ 141, 142, 144 ZPO die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Welche konkreten Belegtatsachen die Parteien auf der Vortragsebene zu benennen und auf der Beweisebene beizubringen haben, beurteilt sich auch im Zusammenhang der §§ 141 ff. ZPO danach, was von ihnen erwartbar ist, um die negativen Folgen gemäß § 138 Abs. 1 ZPO bzw. § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung abzuwehren. §§ 141, 142, 144 ZPO ermächtigen das Prozessgericht nicht dazu, diese Mitwirkungslasten der Parteien auszudehnen oder zu beschränken. Das persönliche Erscheinen einer Partei kommt in Betracht, um ihren bislang unzureichenden Initialvortrag zu ergänzen. In Bezug auf das streitige Vorbringen sind die Mitteilung von erwartbaren Belegtatsachen und die Parteiaussage zu beweisrechtlichen Zwecken möglich. Im letzteren Fall ist die Anhörung als Verhandlungsergebnis im Sinne von § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO beweisrechtlich verwertbar. Funktionelle Unterschiede zur Würdigung des Ergebnisses einer förmlichen Parteivernehmung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO bestehen insoweit nicht. Anhörung und Vernehmung hängen deshalb von unterschiedlichen Voraussetzungen ab, weil allein die Vernehmung in eine beeidigungsfähige Aussage mündet. Verweigert die Partei die Vernehmung und damit eine beeidigungsfähige Aussage, so kann das Prozessgericht davon ausgehen, dass sie dies nur deshalb tut, weil anderenfalls ihr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitswidriger Vortrag offenbar würde. Mangels Beeidigungsfähigkeit trägt die verweigerte einfache Anhörung diesen Schluss nicht. Vorlegungsanordnungen aufgrund von §§ 142, 144 ZPO dienen allein der Beweisgewinnung. Sie kommen unabhängig von materiellrechtlichen Informationspflichten in Betracht, wenn eine der Parteien den vorzulegenden Gegenstand in Bezug genommen hat. Ein Widerspruch zu §§ 422, 423 ZPO folgt daraus nicht. Adressat einer Vorlegungsanordnung auf der Basis von §§ 142, 144 ZPO ist diejenige Partei, die in der konkreten prozessualen Situation als Realkennzeichen erwartbare Belegtatsachen in Form von Informationsträgern vorzulegen hat, um der Unterstellung zu entgehen, sie halte diese Erkenntnisquellen nur deshalb zurück, um ihren auf der Vortragsebene begangenen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO zu verschleiern. Das Ermessen des Prozessgerichts wird in erster Linie dann praktisch relevant, wenn es um die besondere Ausgestaltung der Vorlegung geht, um legitimen Geheimhaltungsinteressen der vorlegungspflichtigen Partei Rechnung zu tragen.

§ 23 Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten

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§ 23 Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten A. Das Problem: Die Folgen der Vorlegungsverweigerung durch den Dritten Der erhebliche Informationsträger, der Aufklärung über den umstrittenen Sachverhalt bringen könnte, befindet sich allerdings nicht stets im unmittelbaren Besitz derjenigen Partei, die ihn an sich als Realkennzeichen in Form einer erwartbaren Belegtatsache vorlegen sollte. Nicht selten ist vielmehr ein Dritter202 der unmittelbare Besitzer. Dabei sind verschiedene Konstellationen denkbar: So mag die Partei den Informationsträger früher selbst unmittelbar besessen haben und diesen Besitz sodann dem Dritten überlassen haben. Das kann vorübergehend aufgrund von Verwahrungs-, Treuhand- oder Gebrauchsüberlassungsverträgen geschehen sein. Denkbar ist aber auch ein dauerhafter Verlust des unmittelbaren Besitzes, etwa durch Übereignung in Vollzug eines Kaufvertrags. Wenn die Partei auch niemals selbst unmittelbare Besitzerin gewesen ist, so kann sie doch einen Anspruch auf Einsicht in den Informationsträger und gegebenenfalls auf Erstellung von Duplikaten haben. Hierfür kommen insbesondere Dienstleistungsverhältnisse in Betracht, in deren Vollzug der Dritte den Informationsträger erstellt. Beispiele sind die Behandlungsunterlagen des Arztes oder die Handakten des Rechtsanwalts. Schließlich bleiben die Situationen, in denen die Partei niemals Besitzerin des fraglichen Informationsträgers gewesen ist und gegen den Dritten keinen Anspruch auf Einsicht in den oder auf Vervielfältigung des Informationsträgers hat. Im Grundsatz gestatten es §§ 142 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO dem Prozessgericht in allen diesen Konstellationen, eine Vorlegungsanordnung gegenüber dem Dritten zu erlassen. Zwar stellen §§ 142 Abs. 2, 144 Abs. 2 ZPO die Vorlagepflicht unter die Vorbehalte der Zumutbarkeit und des fehlenden Verweigerungsrechts entsprechend §§ 386 bis 390 ZPO. Doch sind diese Vorbehalte im hier interessierenden Kontext nicht unmittelbar relevant.203 Hier geht es allein um die Frage, wann es anzusehen ist, 202

Dritter in diesem Sinn ist jede Person, die nicht Partei des Rechtsstreits ist (Wagner, in: FS für Leipold [2009], 801, 802; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten [2008], 169). 203 Teils wird es zwar schon für unzulässig gehalten, dem Dritten die Vorlegung anzuordnen, wenn er ein Zeugnisverweigerungsrecht hat oder ihm die Vorlegung unzumutbar ist (Stein/Jonas/Berger, ZPO [22. Aufl. 2006], § 371 Rn. 15). Dagegen sprechen freilich bereits prozessökonomische Erwägungen (MünchKomm/Damrau, ZPO [2. Aufl. 2002 Aktualisierungsband], § 371 Rn. 20). Im Übrigen muss der Dritte das Zeugnisverweigerungsrecht ausüben und die Unzumutbarkeit einwenden (Stein/Jonas/Leipold, ZPO [22. Aufl. 2005], § 142 Rn. 28). Beides setzt indes voraus, dass eine Anordnung zuvor erfolgte. Allenfalls bei der Ermessensausübung kann das Prozessgericht die absehbare Unzumutbarkeit und das Zeugnisverweigerungsrecht berücksichtigen. Die Folge besteht dann freilich darin, dass es der Partei selbst die Beschaffung des Informationsträgers auferlegen muss.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

als habe die Partei selbst ein Realkennzeichen in Form einer erwartbaren Belegtatsache zurückgehalten, wenn der Dritte sich weigert, der Vorlegungsanordnung Folge zu leisten. Die Antwort auf diese Frage hängt nicht notwendig davon ab, ob der Dritte nach §§ 142 Abs. 2, 144 Abs. 2 ZPO zur Verweigerung berechtigt ist.

B. Vorlagepflicht des Dritten und Besitzverschaffungsanspruch der Partei Zunächst sind diejenigen Fälle zu betrachten, in denen die Partei auf den beim Dritten lagernden Informationsträger direkt zugreifen kann.

I. Fälliger und durchsetzbarer Herausgabeanspruch Das betrifft zum einen den fälligen und durchsetzbaren Herausgabeanspruch der Partei gegen den Dritten. In dieser Konstellation ist die Partei mittelbarer Besitzer, der den als Belegtatsache benötigten Informationsträger jederzeit an sich ziehen kann. Dieser Umstand macht die Partei ebenso zum tauglichen Adressaten einer Maßnahme nach §§ 142 Abs. 1, 144 Abs. 1 ZPO wie den dritten Besitzer.204 Bei den zugrunde liegenden Rechtsverhältnissen zwischen der Partei und dem Dritten wird es sich in erster Linie um Verwahrungs- und treugebernützige Treuhandverhältnisse handeln. Da aber allein die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit maßgeblich ist, kommen auch andere Gestaltungen in Betracht, wegen § 604 Abs. 3 BGB etwa auch die Leihe. Die Möglichkeit jederzeitigen Zugriffs macht den Informationsträger zu einem Realkennzeichen, dessen Beibringung von der Partei erwartbar ist.205 Nimmt die Partei ihren Besitzverschaffungsanspruch nicht wahr, sondern verweist im Prozess auf den unmittelbaren Besitz des Dritten, so kann das Prozessgericht seine Beweiswürdigung regelmäßig auf die Schlussfolgerung stützen, dass sie ihren Besitzverschaffungsanspruch nicht wahrnehme, um ihren Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO auf der Vortragsebene zu verschleiern. Die Strategie einer Partei, einen ihrem Vorbringen widersprechenden Informationsträger durch zeitweilige Überlassung an einen Dritten nachteilslos aus dem Verfahren heraushalten zu können, funktioniert danach bereits nach allgemei204

Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 142 Rn. 4; Musielak/Voit/Stadler, ZPO (13. Aufl. 2016), § 142 Rn. 3; BeckOK/von Selle, (15. Ed. 2015), § 142 Rn. 8; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO (22. Aufl. 2005), § 142 Rn. 16; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129, 3130 [Fn. 9]; Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 316; Berger, NJW 2005, 1016, 1018; Rühl, ZZP 125 (2012), 25, 32. 205 Ähnlich Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 317; Schlosser, in: FS für Sonnenberger (2004), 135, 144.

§ 23 Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten

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nen Regeln nicht.206 Dementsprechend gering ist die eigenständige Bedeutung der §§ 142 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO in diesen Fällen. Dennoch weist das Prozessrecht der Partei hier nicht die alleinige Verantwortung für die Informationsträgerbeschaffung zu. Unter der Voraussetzung der Bezugnahme kann das Prozessgericht auch dem Dritten direkt die Vorlegung oder andere Zugänglichmachung des Informationsträgers aufgeben. Dies mag das Verfahren beschleunigen, insbesondere dann, wenn zwischen der Partei und dem dritten Besitzer Uneinigkeit über den Herausgabeanspruch besteht. Verweigert der Dritte die Vorlegung dennoch, hat die Partei immer noch die Möglichkeit, ihren Zugriffsanspruch durchzusetzen und so den Informationsträger als von ihr erwartbares Realkennzeichen in den Prozess einzubringen. Wenn die Partei im Anschluss an die Weigerung des Dritten von dieser Möglichkeit freilich keinen Gebrauch macht, dann rechtfertigt ihr Unterlassen es nach § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung, eine Beweiswürdigung zu ihren Lasten vorzunehmen.

II. Ansprüche auf Informationserteilung Ebenso verhält es sich, wenn die Partei einen Anspruch auf Informationserteilung hat, von dem Dritten also Auskunft, Rechenschaft, Einsichtnahme, Besichtigung, etc. verlangen kann. Gegenstand des Anspruchs ist hier zwar nicht der verkörperte Informationsträger, sondern vielmehr die Information als solche. Doch verpflichten manche dieser Ansprüche, insbesondere im Fall des § 259 BGB, den Schuldner dazu, den Informationsträger zu erstellen. Andere berechtigen den Gläubiger, Vervielfältigungen von der Urkunde oder dem Augenscheinsobjekt herzustellen,207 so dass die berechtigte Partei auch dann einen als Beweismittel tauglichen Informationsträger erhält. Wo die Eigenart des jeweiligen Informationsträgers es nicht zulässt, dass er vervielfältigt wird, hat der Gläubiger immer noch einen Anspruch auf Einsichtnahme und Besichtigung, der es ihm gestattet, den Informationsträger auch dem Prozessgericht inklusive etwaiger Sachverständiger zugänglich zu machen. Soweit die Partei danach aufgrund ihres materiellrechtlichen Anspruchs auf Auskunft, Rechnungslegung, etc. gegen den Dritten selbst in der Lage ist, einen Informationsträger als Beweismittel zu beschaffen, sind sie und der dritte Besitzer wiederum gleichermaßen taugliche Adressaten einer Anordnung nach §§ 142 Abs. 1, 144 Abs. 1 ZPO.208

206

Vgl. Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 317. Siehe dazu MünchKomm/Habersack, BGB (6. Aufl. 2013), § 810 Rn. 13. 208 Baumbach/Hartmann, ZPO (73. Aufl. 2015), § 142 Rn. 8; Schlosser, in: FS für Sonnenberger (2004), 135, 144. 207

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

III. Weigerungsrechte des Dritten gemäß §§ 142 Abs. 2, 144 Abs. 2 ZPO In Konstellationen, in denen die Partei aufgrund ihres Besitzverschaffungsoder Informationserteilungsanspruchs selbst tauglicher Adressat einer Vorlegungsanordnung gemäß §§ 142 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO ist, ist es gleichgültig, ob der Dritte die Vorlegung gegenüber dem Gericht gemäß §§ 142 Abs. 2, 144 Abs. 2 ZPO verweigern darf. Gelangt der Informationsträger nicht in den Prozess, soll regelmäßig der Wahrheitsverstoß auf der Vortragsebene unentdeckt bleiben. Daraus zieht das Prozessgericht bei § 286 Abs. 1 ZPO ebenso regelmäßig seine Konsequenzen zu Lasten der vorlagepflichtigen Partei. 1. Die Situation der risikobelasteten Partei Dieses Vorgehen ist unproblematisch, wenn die risikobelastete Partei Gläubigerin des Informationserteilungsanspruchs ist. Um sie geht es etwa dann, wenn ein Patient den Träger des erstbehandelnden Krankenhauses auf Schadensersatz in Anspruch nimmt und für den Nachweis des Behandlungsfehlers die Krankenunterlagen des zweitbehandelnden Krankenhauses benötigt.209 Der entsprechende Auskunftsanspruch des Patienten ergibt sich mittlerweile unmittelbar aus § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB. Inhaltlich erstreckt er sich jedenfalls auf die objektiven Feststellungen über seine körperliche Befindlichkeit und die Aufzeichnungen über die Umstände und den Verlauf der Behandlung.210 In diesem Fall kann das Prozessgericht dem zweitbehandelnden Arzt gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO aufgeben, die Patientenakte vorzulegen. Die Ärzte sind nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt und gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zum Schweigen über Krankheit und Behandlung der Partei verpflichtet. Ohne Befreiung von der Schweigepflicht ist es dem Arzt untersagt, die Krankenunterlagen dem Prozessgericht zur Verfügung zu stellen. Befreit der risikobelastete Patient den Adressaten der Vorlegungsanordnung nun nicht von der Schweigepflicht, so gelangen die Unterlagen aufgrund rechtmäßiger Weigerung des Arztes gemäß §§ 142 Abs. 2 Satz 2, 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht in den Prozess. Ursache hierfür ist freilich die Verweigerungshaltung der Partei. Deshalb ist die berechtigte Nichtvorlage des Arztes der Partei als ihre eigene Weigerung zuzurechnen, die Patientenakte als ein von ihr erwartbares Realkennzeichen vorzulegen. Abermals gilt: Die Offenbarung eigener Angelegenheiten ist der angemessene Preis der eigenen Rechtsverfolgung. 209 210

OLG Saarbrücken, MDR 2003, 1250. BGHZ 85, 327, 332; Palandt/Weidenkaff, BGB (75. Aufl. 2016), § 630g Rn. 3.

§ 23 Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten

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Zu bedenken bleiben die Fälle, in denen die Partei die Befreiung erteilt und der Arzt die Unterlagen dennoch zurückbehält,211 etwa damit seine eigenen Fehler bei der weiteren Behandlung nicht offenbar werden. Setzt die Partei ihren Anspruch aus § 630g Abs. 1 BGB hier nicht durch und bleiben ihre Behauptungen über den Behandlungsfehler im erstbehandelnden Krankenhaus auch im Übrigen unbestätigt, ergeht gegen sie eine Entscheidung nach der gesetzlichen Risikoverteilung. 2. Die Situation des Gegners der risikobelasteten Partei a) Die These von der Entlastungsfunktion des Weigerungsrechts des Dritten Weniger eindeutig ist die Situation des Gegners der risikobelasteten Partei. Er betreibt keine eigene Rechtsverfolgung. Deshalb wird hier vertreten, dass der Dritte Informationsträger unter Umständen auch dann zurückhalten dürfe, wenn er der Partei uneingeschränkt zu Auskunft, Rechenschaft, etc. verpflichtet ist.212 Bekannte und wichtige Beispiele liefern Informationsträger, die dem Berufsgeheimnis des Rechtsanwalts oder des Steuerberaters unterfallen.213 So ist die nicht risikobelastete Partei etwa betroffen, wenn bei einer gegen eine GmbH gerichteten Löschungsklage der Kläger vorträgt, der frühere und zwischenzeitlich verstorbene Geschäftsführer der Beklagten habe im Sinne des § 892 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 Alt. 2 BGB positive Kenntnis von der Unrichtigkeit der Voreintragung gehabt. Der Rechtsanwalt der GmbH habe dieses Ergebnis seiner rechtlichen Prüfung dem früheren Geschäftsführer in einem Telefonat mitgeteilt. Ein Aktenvermerk über das Prüfungsergebnis und eine Notiz über das erfolgte Telefonat befänden sich in den Handakten. Dass der Mandant Einsicht in die Handakten seines Rechtsanwalts nehmen darf, ergibt sich aus §§ 810, 811 BGB.214 Mangels Befreiung von der Schweigepflicht sind der Rechtsanwalt und andere Berufsträger nach §§ 383 Abs. 1 Nr. 6, 142 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 ZPO berechtigt, die Vorlage zu verweigern. Profitieren soll aber auch die Partei: Was dem Berufsgeheimnis des Dritten unterliegt, soll auch sie – ohne Nachteile für ihre Prozessführung – nicht vorlegen müssen.215 Die Beklagte des Beispielsfalls könnte danach die Behauptung positiver Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs ebenso mit Nichtwissen bestreiten wie die Existenz des Aktenvermerks.

211

So lag es etwa bei OLG Saarbrücken, VersR 2003, 234. Zweifelnd Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305, 330; Leipold, in: FS für Gerhardt (2004), 563, 577. 213 Rühl, ZZP 125 (2012), 25, 38. 214 Moll/Altenburg, Arbeitsrecht (3. Aufl. 2012), § 2 Rn. 51. 215 Rühl, ZZP 125 (2012), 25, 38, 40; wohl auch Zöller/Greger, ZPO (31. Aufl. 2016), § 142 Rn. 8. 212

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

b) Die Grenzen dieser These Es liegt auf der Hand, dass diese These einigermaßen rasch an Grenzen stoßen muss. Anderenfalls könnte jede Partei selbst darüber entscheiden, welche Informationsträger bei ihrer Prozessführung von ihr erwartbar sind und welche nicht. Um einen inhaltlich ungünstigen Informationsträger aus dem Prozess herauszuhalten, müsste die Partei lediglich eine Kopie an ihren Rechtsanwalt senden. Dadurch erhielte insbesondere der Gegner der risikobelasteten Partei eine sehr einseitige Gestaltungsmöglichkeit, um den von ihm vorzulegenden Prozessstoff zu selektieren.216 Der Ausgangspunkt für die Grenzziehung ist klar: Wenn die Partei den Geheimnisträger nicht von seiner Schweigepflicht befreit, kann dies für sie deshalb nur unter der Voraussetzung ohne Nachteile bleiben, dass die Offenbarung des Informationsträgers auch für sie selbst unzumutbar wäre, und zwar mit der Folge, dass er kein von ihr erwartbares Realkennzeichen mehr darstellt. Eine solche Unzumutbarkeit lässt sich nur mit der Erwägung begründen, dass manche Vertrauensverhältnisse institutionell dermaßen schutzwürdig sind, dass keiner der daran Beteiligten gehalten sein kann, Inhalte dieses Vertrauensverhältnisses im Prozess zu offenbaren.217 Für das Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten gilt das deshalb, weil ohne freie Kommunikation eine effektive Interessenvertretung für den Mandanten unmöglich wäre.218 Dieses problematische Spannungsverhältnis zwischen der freien Anwaltskommunikation und der missbräuchlichen Selektierung der offenzulegenden und damit erwartbaren Belegtatsachen existiert im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht in gleicher Weise. Dort löst man es, indem der Vertraulichkeitsschutz allein auf den Kommunikationsakt als solchen bezogen wird.219 Tatsachen und andere Informationsträger, auf die sich dieser Kommunikationsakt bezieht, darf die Partei demgegenüber nicht ohne prozessrechtliche Nachteile zurückhalten.220 Dieser Gedanke lässt sich auf §§ 142 Abs. 1, 144 Abs. 1 ZPO übertragen. Für das Beispiel der positiven Kenntnis von der Unrichtigkeit der Voreintragung folgt daraus: Der Rechtsanwalt ist gemäß § 383 Nr. 6 ZPO umfassend über alle Tatsachen, die ihm kraft seiner Vertrauensstellung gegenüber dem Mandanten anvertraut sind, zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Partei selbst darf Inhalte der Anwaltskommunikation jedoch nur insoweit ohne prozessrechtliche Nachteile aus dem Prozess heraushalten, als sie den Kommuni216 Rühl, ZZP 125 (2012), 25, 40 will diesem Problem über das Verbot missbräuchlichen Verhaltens begegnen. 217 Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 364. 218 Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 364. 219 Upjohn Co. v. United States, 449 U.S. 383, 395 (1981); Yoo, 27 Georgetown Journal of Legal Ethics (2014), 1006, 1018. 220 Upjohn Co. v. United States, 449 U.S. 383, 395 (1981); Glannon, Civil Procedure (5. Aufl. 2006), 380.

§ 23 Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten

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kationsakt mit dem Anwalt selbst betreffen. Die behauptete telefonische Auskunft und die zugehörige Telefonnotiz sind demnach keine Realkennzeichen, deren Vorlage im Prozess von der Beklagten erwartbar wäre. Folglich darf das Prozessgericht auch dann keine auf § 138 Abs. 1 ZPO gründende Beweiswürdigung vornehmen, wenn sowohl die Beklagte als auch ihr Rechtsanwalt die Vorlage der Telefonnotiz verweigern.

C. Der fehlende Bezug der Partei zum Informationsträger I. Die Konstellation Anders liegt es zunächst in den Konstellationen, in denen die Partei zu keinem Zeitpunkt unmittelbare Besitzerin des entscheidungserheblichen Informationsträgers gewesen ist oder durch einen Herausgabe-, Auskunfts- oder ähnlichen Anspruch darauf hätte zugreifen können. Diese Situation tritt etwa ein, wenn eine Insolvenzgläubigerin den Geschäftsführer der Schuldnerin auf die Feststellung verklagt, dass eine bestimmte angemeldete Forderung einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Beklagten entstammt, und zum Nachweis vom Insolvenzverwalter der Schuldnerin die Vorlage sämtlicher in seinem Besitz befindlicher Unterlagen verlangt.221 Ebenfalls dem Insolvenzrecht entstammt folgender Fall:222 Der Insolvenzverwalter einer Gesellschaft klagt gegen die Mieterin wegen rückständigen Mietzinses. Der Mieterin sollten laut Mietvertrag frühere werterhöhende Maßnahmen der Vormieterin anspruchsmindernd zugutekommen. Der Insolvenzverwalter bestreitet, dass die Vormieterin solche Maßnahmen ergriffen habe. Die beklagte Mieterin verlangt vom Insolvenzverwalter der Vormieterin, dass er die Unterlagen über dieses Mietverhältnis vorlege. Man mag in diesen Fällen vom fehlenden Bezug der Partei zum Informationsträger sprechen.

II. Grundsatz: Entscheidung nach der gesetzlichen Risikoverteilung Verweigert der dritte Besitzer in diesen Fällen die Vorlage des Informationsträgers, so entscheidet das Prozessgericht im Regelfall anhand der gesetzlichen Risikoverteilung. Das gilt unabhängig davon, ob die Verweigerung berechtigt ist oder nicht. Solange die Partei keinen Anspruch auf Besitzverschaffung oder Informationserteilung hat, ist der beim Dritten befindliche Informationsträger kein Realkennzeichen, dessen Beibringung von ihr zu erwarten wäre. Deshalb ist sie 221 222

OLG Saarbrücken, NZI 2008, 40. LG Ingolstadt, ZinsO 2002, 990.

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

auch keine taugliche weitere Adressatin einer Vorlegungsanordnung nach §§ 142 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO. Auch kann ihr die Vorlageverweigerung durch den Dritten grundsätzlich nicht als eigenes Verhalten zuzurechnen sein, und zwar selbst dann nicht, wenn die Unterlassung des Dritten rechtswidrig ist. Es gilt: Wenn der Dritte gegenüber dem Gegner der risikobelasteten Partei nicht vorlagepflichtig ist, dann darf das Prozessgericht keine auf § 138 Abs. 1 ZPO gründende Beweiswürdigung vornehmen, soweit der Dritte sich weigert, der Vorlegungsanordnung Folge zu leisten.

III. Verabredung und einseitige Unterstützung als Ausnahmen von diesem Grundsatz Anders verhält es sich freilich, wenn der Dritte und die durch die Nichtvorlegung begünstigte Partei verabredet haben, dass der Dritte den Informationsträger zurückhalten werde. Das Gleiche gilt auch dann, wenn der dritte Besitzer den Informationsträger ohne entsprechende Verabredung mit der Partei zurückhält, um deren Erfolgsaussichten zu erhöhen.223 Geht es dem dritten Besitzer nämlich darum, die sachlich legitime Rechtsverfolgung bzw. Verteidigung der Partei zu unterstützen, gelingt ihm dies effektiv gerade dadurch, dass er den Informationsträger vorlegt. Geschieht dies nicht, so liegt der unterstützende Beitrag regelmäßig darin, die Unwahrheit der vorgetragenen Tatsachen verborgen zu halten und die aktuell bestehende Risikoverteilung zugunsten der Partei wirken zu lassen. Das eigentliche Problem besteht in diesen denkbaren Ausnahmekonstellationen freilich darin, wie das Prozessgericht zu der Erkenntnis gelangen sollte, dass die Zurückhaltung des Informationsträgers mit der Partei verabredet ist oder zur Förderung ihrer Prozessführung erfolgt. Als theoretisch mögliche Erkenntnisquelle kommt allein der Zwischenstreit224 über die Berechtigung zur Vorlageverweigerung in Betracht. Allzu viel Spielraum, sich eigene Informationen darüber zu beschaffen, aus welchem Grund der Dritte ein bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht oder die Unzumutbarkeit der Vorlegung gel223

Eine ähnliche Konstellation lag LG Aachen, MedR 2007, 734 zugrunde. Zwei Ärzte stritten um einen Gesamtschuldnerausgleich wegen eines Behandlungsfehlers in möglicher Nebentäterschaft. Die Rechtsnachfolger des verstorbenen Patienten hatten im Haftungsprozess nur den erstbehandelnden Arzt in Anspruch genommen, auch aus Rücksicht auf das gute persönliche Verhältnis zum zweitbehandelnden Arzt. Im Prozess über den Gesamtschuldnerausgleich sollte nach §§ 142, 144 ZPO der zweitbehandelnde Arzt an sich seine Behandlungsunterlagen über den Patienten vorlegen. Dies konnte er deshalb nicht, weil die Rechtsnachfolger sich – wiederum aus Rücksichtnahme auf den zweitbehandelnden Arzt – mit der Vorlegung nicht einverstanden erklärten. Ohne deren Einverständnis durfte der Arzt im Rahmen seiner eigenen Ermessensentscheidung (Bartsch, NJW 2001, 861, 862 f.) nach Ansicht des Gerichts die Unterlagen im Prozess nicht preisgeben (LG Aachen, MedR 2007, 734, 736). 224 Saenger/Wöstmann, ZPO (6. Aufl. 2015), § 142 Rn. 6.

§ 23 Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten

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tend macht, hat das Prozessgericht freilich nicht. Zwar muss der Dritte die zugrunde liegenden Tatsachen so detailliert liefern, dass das Prozessgericht sich ein Urteil über das Bestehen des Verweigerungsrechts bilden kann.225 Die Motivation, aufgrund welcher der Dritte von seinem Recht Gebrauch gemacht, geht darüber allerdings hinaus. Regelmäßig wird es in solchen Fällen daher bei der Entscheidung nach der gesetzlichen Risikoverteilung oder dem aktuellen Überzeugungsstand verbleiben.

D. Der entäußerte Informationsträger I. Die Konstellationen Anders verhält es sich zunächst in den Fällen, die man unter der Bezeichnung „Preisgabe des Informationsträgers“ zusammenfassen könnte. Damit ist gemeint, dass die Partei – sei es die risikobelastete oder ihr Gegner – den Informationsträger früher in ihrem eigenen Besitz hatte, den Besitz aber restlos auf einen Dritten übertragen hat. So liegt es etwa, wenn bei einer relativen Fixschuld der Käufer den Kaufpreis nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB mindert und sodann die vorgeblich mangelhafte Kaufsache weiterveräußert.226 Auch gehören solche Fälle hierher, in denen die Partei zwar mittelbare Besitzerin eines entscheidungserheblichen Informationsträgers geblieben ist, aber keinen durchsetzbaren Herausgabeanspruch gegen den unmittelbaren Besitzer hat. Ähnlich stellt sich schließlich auch die Situation dar, wenn zwei Ärzte über den Gesamtschuldnerregress wegen ihrer möglichen Nebentäterschaft streiten und entscheidungserhebliche Röntgenaufnahmen lediglich noch beim Patienten vorhanden sind.227

II. Verabredung und einseitige Unterstützung Zunächst kann auch hier der dritte Besitzer mit der durch die Nichtvorlegung begünstigten Partei eine Verabredung darüber treffen, dass er den Informationsträger zurückhalten werde. Ebenso kann er sich einseitig für eine solche Maßnahme entscheiden. Insoweit bestehen keine Unterschiede zu den zuvor erörterten Konstellationen.

225 226 227

Stein/Jonas/Berger, ZPO (22. Aufl. 2006), § 386 Rn. 1. RGZ 20, 5, 6. OLG Braunschweig, Urt. v. 5.11.2008 – 1 W 64/08 [juris].

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7. Kapitel. Die richterlichen Aufklärungsbefugnisse gemäß §§ 139 ff. ZPO

III. Die Bedeutung des Parteiverhaltens Die Umstände, unter denen die durch die Nichtvorlegung begünstigte Partei den Informationsträger weggegeben hat, können nach Maßgabe der in § 15 D. III. aufgestellten Grundsätze freilich auch eine Beweisvereitelung im Verhältnis der Parteien zueinander darstellen.

Zwischenergebnis Für den Problemkreis von Informationsproblem und Wahrheitspflicht geht es bei den Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten gemäß §§ 142 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO allein um die Frage, wann die Vorlageverweigerung des Dritten anzusehen ist, als habe die Partei selbst ein Realkennzeichen in Form einer erwartbaren Belegtatsache zurückgehalten. Wenn eine Partei einen fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf Herausgabe des Informationsträgers gegen den Dritten hat, dann ist sie ebenso wie der dritte Besitzer tauglicher Adressat einer Anordnung gemäß §§ 142 Abs. 1, 144 Abs. 1 ZPO. Sofern der Dritte die Vorlage verweigert und die Partei ihren Herausgabeanspruch nicht durchsetzt, würdigt das Prozessgericht dieses Parteiverhalten gemäß § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung zu ihren Lasten. Gleiches gilt, wenn die Partei einen Anspruch auf Informationserteilung gegen den Dritten hat. Grundsätzlich ist es in diesen Fällen unerheblich, ob der Dritte die Offenbarung der Information und Vorlegung ihres Trägers verweigern darf. Eine Ausnahme gilt nur dort, wo auch die Partei wegen der besonderen Eigenart der Vertrauensbeziehung zu dem Dritten ohne prozessrechtliche Nachteile berechtigt ist, den Informationsträger zurückzuhalten. In Konstellationen, in denen die Partei niemals Besitzerin des Informationsträgers gewesen ist und weder einen Herausgabe- noch einen Anspruch auf Informationserteilung hat, ist grundsätzlich nach der gesetzlichen Risikoverteilung oder dem bisherigen Überzeugungsstand zu entscheiden, wenn der Dritte die Vorlegungsanordnung nicht befolgt. Abermals ist unerheblich, ob die Weigerung rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dort, wo entweder die Partei und der Dritte die Vorlageverweigerung verabredet haben oder der Dritte die Vorlage als einseitige Unterstützungsmaßnahme unterlässt. Es bestehen jedoch kaum prozessrechtliche Instrumente, mit denen diese Ausnahmekonstellationen offenbar werden könnten.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse A. I. 1. Ein Informationsproblem im Sinne dieser Arbeit liegt nach alledem vor, wenn die risikobelastete Partei durch rechtskräftiges Sachurteil deshalb einen endgültigen Rechts- oder Einwendungsverlust erleidet, weil sie eine Information – sei es in Form einer hinreichend substantiierten Tatsachenbehauptung, sei es in Form eines Beweismittels –, die sie für eine ihr günstige Tatsachenfeststellung benötigte, mangels Kenntnis oder Zugriff nicht in den Prozess einführen konnte. 2. Informationsprobleme der risikobelasteten Partei entstehen vielfach erst dadurch, dass der Gegner Tatsachen unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO behauptet oder bestreitet. Wenn § 138 Abs. 1 ZPO dem Gegner solches Verhalten untersagt, hat dies mit einer unzumutbaren Unterstützung fremder Prozessführung nichts zu tun. Die herkömmlichen Aufklärungsmodelle berücksichtigen diese Zusammenhänge nicht oder jedenfalls nicht in ausreichendem Maß.

B. I. 1. Die Regel nemo tenetur edere contra se ist gerechtfertigt, wenn der vermeintliche Anspruchsinhaber nicht über ausreichende Informationen verfügt, um seinen Antrag entsprechend den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu formulieren. Zur Offenlegung ist der Gegner nur im Rahmen der materiellrechtlichen Auskunftsansprüche verpflichtet. Jedoch liegen diese Probleme im Vorfeld der prozessrechtlichen Sachverhaltsaufklärung. Zu einem Konflikt mit § 138 Abs. 1 ZPO kann es von vornherein nicht kommen. Auf der Vortragsebene ist nemo tenetur edere contra se dort gerechtfertigt, wo der vermeintliche Anspruchsinhaber über keine ausreichenden Informationen verfügt, um seinen Anspruch schlüssig darzutun. Hier ist der Gegner zur Erwiderung nicht veranlasst. Ein Konflikt mit § 138 Abs. 1 ZPO kann nicht

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entstehen. Inwieweit der vermeintliche Anspruchsinhaber Zugriff auf beim Gegner befindliche Informationen erhält, bemisst sich abermals ausschließlich anhand entsprechender materiellrechtlicher Ansprüche. Die effektive Reichweite von nemo tenetur edere contra se hängt in diesen Fällen davon ab, welche inhaltlichen Anforderungen an das schlüssige Vorbringen zu stellen sind. Die h.M. definiert dabei keine dogmatisch fassbaren Kriterien, anhand derer der für die Schlüssigkeit erforderliche Konkretisierungsgrad im konkreten Fall zu bestimmen wäre. Auf der Beweisebene gerät nemo tenetur edere contra se nur dort nicht in Konflikt mit § 138 Abs. 1 ZPO, wo der Gegner nicht weiß, dass die Behauptung der risikobelasteten Partei wahr ist, und er mit zumutbarem Aufwand auch nicht ermitteln kann, dass der in seinem Zugriffsbereich befindliche Informationsträger die Wahrheit dieser Behauptung erweisen werde. Hat der Gegner Kenntnis von dem für seine Prozessführung schädlichen Inhalt des fraglichen Informationsträgers oder kann er sie sich zumutbar verschaffen, so verstößt er gegen § 138 Abs. 1 ZPO, wenn er dennoch bestreitet. Weiß er hingegen darum, dass der Informationsträger sein eigenes Vorbringen unterstützen wird, bedeutet die Offenlegung keine Unterstützung des Gegners, ist mithin kein edere contra se. Soweit die h.M. nemo tenetur edere contra se auf der Beweisebene darüber hinaus anwendet und der Regel Vorrang gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO einräumt, fehlt diesem Vorgehen die dogmatische Rechtfertigung. 2. Die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast sind systematisch auf der Vortragsebene verortet. Sie wirken dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei mit zwei Ansatzpunkten entgegen. Auf der Vortragsebene geschieht dies, indem sie einen lediglich pauschalen Initialvortrag für ausreichend erklären. Wenigstens für den Anwendungsbereich der sekundären Behauptungslast räumt die h.M. damit die Ungewissheiten aus, die sie bei der Formulierung der allgemeinen Anforderungen an das schlüssige Parteivorbringen belassen hat. Indem die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast darüber hinaus den Gegner dazu anhalten, auf pauschales Vorbringen konkret und gegebenenfalls detailliert zu erwidern, kehren sie die subjektive Behauptungslast um. Dies dient im Ergebnis dazu, das Informationsproblem der risikobelasteten Partei auf der Beweisebene abzumildern. Insoweit besteht das dogmatische Dilemma der h.M. darin, dass dieses Bestreben mit ihrem Verständnis von nemo tenetur edere contra se unvereinbar ist. Auch im Übrigen machen Unklarheiten in Tatbestand, Rechtsfolge und Konkurrenzen die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast zu einem schwer prognostizierbaren Institut des Zivilprozessrechts. 3. Im Gegensatz zur sekundären Behauptungslast wirken die Grundsätze über die Beweisvereitelung nicht nur auf der Beweisebene, sondern sind auch systematisch dort verortet. Für sie existieren immerhin Vorbilder im geschriebenen Gesetzesrecht, namentlich in §§ 427, 441 Abs. 3 Satz 3, 444, 446, 453

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Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO. Die Fortentwicklung zu einem allgemeinen beweisrechtlichen Institut geht aber deutlich über die geregelten Fälle hinaus. Das betrifft insbesondere den Verzicht auf die von § 422 ZPO an sich geforderte materiellrechtliche Pflicht zur Offenbarung von Urkunden und Augenscheinsobjekten. Die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung bleiben mit „Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast“ sehr vage. Die Vorschläge zur Konkretisierung dieser Formel lassen sich sämtlich nicht bruchlos in die bestehende beweisrechtliche Dogmatik integrieren. Schließlich ergibt sich derselbe Widerspruch zu nemo tenetur edere contra se wie bei der sekundären Behauptungslast.

II. 1. Das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht ist von der Vorstellung beherrscht, dass Informationsdefizite der Parteien nicht über Sieg und Niederlage im Prozess entscheiden sollen. Eine nemo tenetur edere contra se vergleichbare Regel kennt der U.S.-amerikanische Zivilprozess nicht. Dennoch entstehen für den Kläger auf der Vortragsebene Informationsprobleme, wenn er keine ausreichenden Tatsachen benennen kann, die der Plausibilitätsprüfung anhand des Zwei-Stufen-Tests gemäß Twombly und Iqbal standhalten. Solchen Informationsproblemen wirken die FRCP nicht entgegen. Vielmehr verwarf der U.S.-Supreme Court gezielt den großzügigeren Standard des notice pleading. Im Gegensatz zum deutschen Prozessrecht existieren für die FRCP fassbare Kriterien, anhand derer die Anforderungen an einen schlüssigen Klägervortrag einheitlich zu messen sind. Bei direktem Übertritt von den pleadings ins trial würden sich – lässt man das unterschiedliche Beweismaß außer Betracht – identische Informationsprobleme entwickeln wie im deutschen Zivilprozessrecht auf der Beweisebene. Hier jedoch dringt der Grundgedanke durch, wonach die Wahrheitsermittlung sowie die Prüfung und Bewährung des Rechts es jedem abverlangen, seine entscheidungserheblichen Informationen zu offenbaren. Rechtstechnisch umgesetzt ist diese umfassende Offenbarungspflicht in den Regeln über die pre trial discovery. Kommt eine Partei ihrer Offenbarungspflicht nicht ordentlich nach, so hält das U.S.-amerikanische Prozessrecht Maßnahmen bereit, die im Ergebnis den Grundsätzen über die Beweisvereitelung ähneln. 2. Die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses kann die Gemengelage zwischen Parteiegoismus, Wahrheitspflicht und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen ebenso wenig überzeugend austarieren wie die h.M. Soweit sie an der Behauptungslast festhält, ist sie ein adversielles Aufklärungsmodell mit wechselseitiger Offenbarungspflicht der Parteien. Das

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grundgesetzliche Gebot einer umfassenden prozessualen Wahrheitsermittlung, welches das dogmatische Fundament einer dahingehenden Rechtsfortbildung darstellte, hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht bestätigt. Belastbare Belege dafür, dass diese Lehre gegenüber dem herrschenden Aufklärungsmodell ohne Aufklärungspflicht Vorteile unter Gesichtspunkten der Effizienz böte, finden sich nicht. Die Umkehr der objektiven Beweislast als Regelrechtsfolge des Verstoßes einer Partei gegen ihre allgemeine Aufklärungspflicht verträgt sich nicht mit dem Befund, dass die Beweislastverteilung durch die streitentscheidende Norm selbst erfolgt. Sie stellt weiter die mit der Führung des Hauptbeweises belastete Partei besser, wenn der Gegner gegen seine Aufklärungspflicht verstößt, als wenn sie den Hauptbeweis erfolgreich führt. Schließlich hilft dieses Aufklärungsmodell nicht über das Informationsproblem der mit der Führung des Gegenbeweises belasteten Partei hinweg. Soweit die Lehre von der allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses auf eine Behauptungslast der Parteien verzichtet, ist sie ein inquisitorisches Aufklärungsmodell und mit dem geltenden Zivilprozessrecht unvereinbar. 3. Die Lehre vom sozialen Zivilprozess sieht für den Zivilprozess ein inquisitorisches Aufklärungsmodell vor. Sie löst die Gemengelage zwischen Parteiegoismus, Wahrheitspflicht und dem Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen auf, indem sie den Parteiegoismus als entscheidenden Faktor eliminiert. Damit etabliert sie den Amtsermittlungsgrundsatz in die streitige Zivilgerichtsbarkeit. Deshalb widerspricht sie dem geltenden Zivilprozessrecht aus den gleichen Gründen wie die allgemeine voraussetzungslose Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses. Das grundgesetzliche Sozialstaatsgebot fordert keine dahingehende Fortbildung des § 139 ZPO. Unter Effizienzgesichtspunkten sind keine spürbaren Vorteile zu verzeichnen, wenn man bürgerlich-rechtliche Positionen zwischen Privatrechtssubjekten mit inquisitorischen Modellen aufklärt.

III. 1. Im allgemeinen Äußerungsdeliktsrecht erkennt das bürgerliche Recht einen Haftungstatbestand der subjektiv unwahren Tatsachenbehauptung an, der unabhängig von Feststellungen zum objektiven Wahrheitsgehalt verwirklicht ist. Dieser Fall tritt ein, wenn der Erklärende eine im Zeitpunkt der Äußerung unbewiesene Tatsachenbehauptung aufstellt, hinsichtlich deren Wahrheitsgehalt er bösgläubig ist. Bösgläubig in diesem Sinn ist der Erklärende dann, wenn er keine ausreichenden Belegtatsachen benennt, die für die Wahrheit seiner Behauptung streiten.

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Regelmäßig können Belegtatsachen erst dann die Gutgläubigkeit des Erklärenden begründen, wenn sie es erstens sachlich rechtfertigen, dass der Betroffene seine gegenüber der öffentlichen Wahrnehmung abgeschirmte Sphäre zu Verteidigungszwecken öffnet, und sie zweitens diese Öffnung gegenständlich beschränken. Dabei darf sich der Erklärende in seiner Initialäußerung zunächst auf eine Tatsachenbehauptung in Form einer Schlussfolgerung beschränken, die lediglich das Substrat seiner Quellenrecherche wiedergibt. Die vollständigen Belegtatsachen muss er erst dann offenlegen, wenn der Betroffene die Wahrheit der Behauptung in Abrede stellt, namentlich in der gerichtlichen Auseinandersetzung. Ausnahmsweise sind von den Regelanforderungen an ausreichende Belegtatsachen Abstriche zu machen, und zwar dort, wo die behauptete Tatsache nicht dem eigenen Erfahrungsbereich des Erklärenden entstammt und seine eigenen Überprüfungsmöglichkeiten übersteigt („Laienprivileg“). Hat der Erklärende ausreichende Belegtatsachen benannt, verlangt das allgemeine Äußerungsdeliktsrecht dem Betroffenen eine qualifizierte Gegenäußerung ab. Die Gegenäußerung ist qualifiziert, wenn sie ihrerseits mit Belegtatsachen untermauert ist. Hier kommen die für den Erklärenden ermittelten Grundsätze spiegelbildlich zur Anwendung. Unterliegt die Behauptung des Erklärenden dabei dem Laienprivileg, muss der Betroffene dennoch den Regelanforderungen entsprechende Belegtatsachen für seine Gegenäußerung benennen. Etwas anderes gilt nur, wenn in seiner Person selbst ein Anknüpfungspunkt für das Laienprivileg besteht. Bleibt die Gegenäußerung vollständig aus oder ist sie inhaltlich nicht ausreichend qualifiziert, so wird die Tatsachenbehauptung des Erklärenden ohne Beweisaufnahme als wahr behandelt. Eine Beweisaufnahme über die streitgegenständliche Tatsachenbehauptung findet nur statt, wenn sowohl diese selbst als auch die Gegenäußerung mit ausreichenden Belegtatsachen untermauert sind. 2. Wenn der äußerungsrechtliche Erklärende seine unbewiesene Tatsachenbehauptung nicht mit Belegtatsachen untermauert, ist sie nach äußerungsrechtlichen Kriterien selbst dann als unwahr zu behandeln, wenn der Erklärende sie lediglich für unwahr hält, obwohl sie objektiv zutreffen sollte („potentielle beabsichtigte Lüge“). Gleiches gilt für Aussagen ins Blaue hinein, bei denen der Erklärende entweder eine völlig indifferente Haltung zum Wahrheitsgehalt einnimmt oder sogar darauf hofft, wenigstens einen wahren Kern zu treffen. Der präventive Schutz der fremden Persönlichkeit rechtfertigt es dogmatisch, auch in diesen Konstellationen allein infolge der fehlenden Belegtatsachen den Erklärenden als bösgläubig und somit seine Behauptung als subjektiv unwahr einzuordnen. Außerdem ist es dem Betroffenen nicht zuzumuten, sich unter Öffnung seiner gegenüber der Öffentlichkeit abgeschirmten Sphäre gegen Behauptungen zu verteidigen, für deren Wahrheit der Erklärende keine Belegtatsachen benennt. Im Übrigen findet das äußerungsrechtliche Vorgehen zur Ermittlung (lediglich) subjektiv unwahrer Tatsachenbehauptungen Vorbild und Rechtfertigung

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in den aussageanalytischen Methoden zur Glaubhaftigkeitsprüfung. So gilt im Sinne der aussageanalytischen Nullhypothese zunächst jede Tatsachenbehauptung als in bösem Glauben aufgestellt und damit als jedenfalls subjektiv unwahr. An der so beschriebenen Nullhypothese ist erst dann nicht mehr festzuhalten, wenn der Erklärende ausreichende Realkennzeichen benennt. Dieses Vorgehen zeichnet das äußerungsdeliktische Vorgehen nach, wenn danach eine Behauptung als subjektiv unwahr zu behandeln ist, die nicht mit den erwartbaren Belegtatsachen untermauert ist. Die Aussageanalyse unterwirft die Aussage und die Gegenaussage gleichermaßen der Nullhypothese und den Anforderungen an ihre Entkräftung. Dementsprechend betrifft im äußerungsdeliktischen Konflikt die Forderung nach erwartbaren Belegtatsachen nicht nur die Tatsachenbehauptung selbst, sondern auch die Entgegnung des Betroffenen. 3. Der Sachvortrag der Parteien des Zivilprozesses begründet sämtliche Merkmale eines äußerungsdeliktischen Konflikts nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts. Die risikobelastete Partei entspricht dem äußerungsrechtlichen Erklärenden, ihr Gegner dem Betroffenen. Auf diese Weise besteht ein sachlicher Zusammenhang zwischen den Regelungskomplexen über die innerprozessuale und die außerprozessuale Tatsachenbehauptung. Es ist somit denkbar, subjektiv unwahres Behaupten oder Bestreiten unter Rückgriff auf die entsprechenden äußerungsdeliktischen Methoden für die Äußerung und die Gegenäußerung zu bestimmen. 4. Das Parteivorbringen eines jeden Zivilprozesses („Erstprozess“) begründet einen jedenfalls latenten äußerungsdeliktischen Konflikt. Dennoch findet ein äußerungsdeliktischer Zweitprozess, in dem Behauptungen und Bestreiten auf ihren jeweiligen Wahrheitsgehalt überprüft werden, nicht statt. Konkurrierende Prozesse drohten einander wechselseitig zu beeinflussen, die Prozessführung der Parteien im Erstprozess zu beeinträchtigen und letztlich eine funktionsfähige Rechtspflege insgesamt infrage zu stellen. Die äußerungsdeliktischen Belange der Parteien des Erstprozesses werden dadurch nicht obsolet. Ihnen ist im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung des Erstprozesses Rechnung zu tragen. Die herkömmlichen Regeln über die Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozess enthalten keine Möglichkeit, lediglich subjektiv unwahre Tatsachenbehauptungen im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO zu bestimmen. Dieser Verlust beim Schutz äußerungsdeliktischer Belange wird auch nicht funktionell gleichwertig kompensiert. Der Ausgleich zwischen Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ist jedoch grundgesetzlich determiniert und somit vorrangig gegenüber den einfachrechtlichen Regeln über die prozessrechtliche Sachverhaltsaufklärung. Folglich ist die äußerungsdeliktische Methode, mit der Behauptung und Entgegnung als lediglich subjektiv unwahr qualifiziert werden können, auch auf das Behaupten und Bestreiten im Zivilprozess anzuwenden. § 138 Abs. 2 ZPO ist in diesem Sinn zu interpretieren. Dadurch erhält

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§ 138 Abs. 1 ZPO einen gegenüber § 286 Abs. 1 ZPO eigenständigen Anwendungsbereich.

IV. 1. Bei der Formulierung ihrer Initialbehauptung muss die risikobelastete Partei noch nicht sämtliche von ihr erwartbaren Belegtatsachen beibringen. So spielt auch die Reaktion des Gegners als Realkennzeichen für die Wahrheit der Initialbehauptung eine bedeutende Rolle. In den Fällen des Geständnisses gemäß § 288 Abs. 1 ZPO sowie den Geständnisfiktionen gemäß §§ 288 Abs. 1, 138 Abs. 3 ZPO und § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO besteht kraft gesetzlicher Anordnung kein Raum, an der zunächst unterstellten subjektiven Unwahrheit festzuhalten. Hier erübrigt sich eine Forderung nach ergänzenden Belegtatsachen. Belegtatsachen für die Wahrheit der Initialbehauptung sind so lange verzichtbar, wie die Reaktion der gegnerischen Partei noch aussteht. Erst sobald der Gegner die Initialbehauptung wirksam bestritten hat, besteht für die risikobelastete Partei Anlass, die von ihr erwartbaren Belegtatsachen beizubringen, damit an der unterstellten subjektiven Unwahrheit nicht weiter festgehalten werden kann. Die Initialbehauptung ist danach hinreichend konkretisiert, wenn sie dem Standard des notice pleading aus dem U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht des Bundes entspricht. Diesen Anforderungen ist genügt, wenn der Vortrag der risikobelasteten Partei ausreichende Informationen transportiert, die eine Erwiderung und eine Identifizierung des Streitgegenstands ermöglichen. Dahinter bleiben nur solche schlussfolgernden Aussagen zurück, die kein abgrenzbares Geschehen mehr beschreiben. Im Ergebnis entspricht das mindestens weitgehend demjenigen, was bei § 253 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 ZPO für die ordnungsgemäße Klageerhebung zu fordern ist. 2. Das Initialbestreiten des Gegners dient lediglich dazu, der risikobelasteten Partei die erwartbaren Belegtatsachen für die Wahrheit ihrer zunächst nur pauschal im Sinne von notice pleading vorgebrachten Initialbehauptung abzuverlangen. Ab dem Wirksamwerden dieses Bestreitens wird unterstellt, dass die risikobelastete Partei ihre Initialbehauptung subjektiv unwahr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO aufgestellt habe. Dieser Unterstellung entzieht die risikobelastete Partei die Grundlage, indem sie die von ihr erwartbaren Belegtatsachen beibringt. Welche Belegtatsachen von der risikobelasteten Partei erwartbar sind, hängt davon ab, welche unmittelbar eigenen Erkenntnismöglichkeiten sie über den Gegenstand ihrer Behauptung hat und ob sie diese mit zumutbarem Aufwand ausschöpfen kann. Sobald sie ihre Initialbehauptung mit denjenigen Details versehen hat, die sie nach Lage der Dinge kennen musste, hat die Unterstellung, ihre Be-

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hauptung sei ein subjektiv unwahres Fantasieprodukt, keinen Bestand. Das Vorbringen der risikobelasteten Partei kann nicht mehr gemäß § 138 Abs. 1 ZPO aus dem Prozess ausgeschieden werden. Sobald die risikobelastete Partei wirksam die von ihr erwartbaren Belegtatsachen vorgebracht hat, wird unterstellt, dass der Gegner im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO subjektiv unwahr bestritten habe. Nun hat er die von ihm erwartbaren Belegtatsachen beizubringen, um diese Unterstellung auszuräumen. Welche Belegtatsachen der Gegner der risikobelasteten Partei zu diesem Zweck beizubringen hat, ist selbständig und spiegelbildlich zu ermitteln. Folglich ist es systemkonform, wenn der Gegner unter Umständen sein Bestreiten stärker konkretisieren muss als die risikobelastete Partei ihre Behauptung. Der Übertritt auf die Beweisebene erfolgt erst, wenn beide Parteien die von ihnen jeweils erwartbaren Belegtatsachen benannt haben. 3. Auch auf der Beweisebene ist das Informationsproblem der risikobelasteten Partei mithilfe der Wahrheitspflicht zu lösen. So betreffen die gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung Konstellationen, in denen der Gegner der risikobelasteten Partei auf der Vortragsebene regelmäßig gegen § 138 Abs. 1 ZPO verstoßen hat. Folglich führt die Würdigung des gegnerischen vereitelnden Verhaltens gemäß § 286 Abs. 1 ZPO ebenso regelmäßig dazu, dass der Beweis der risikobelasteten Partei erfolgreich geführt ist. Die gesetzlichen Regeln über die Beweisvereitelung bezwecken demnach, die Folgen unwahren Sachvortrags auf der Beweisebene zu korrigieren. So wirken sie dem Informationsproblem der risikobelasteten Partei entgegen. Das Beweisrecht der ZPO setzt diese Zwecksetzung jedoch nur in den gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung und damit lückenhaft um. Um nicht wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln, ist aus den gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisvereitelung ein allgemeines beweisrechtliches Institut zu entwickeln, das sämtliche wertungsmäßig gleich liegenden Konstellationen mit umfasst. Danach vereitelt der Gegner den Beweis der risikobelasteten Partei, wenn er ein erwartbares Beweismittel nicht zur Verfügung stellt. Eine solche Beweisvereitelung liegt danach vor, wenn der Gegner der risikobelasteten Partei Beweismittel trotz Präsenz und Zugriffsmöglichkeit nicht offenbart. Nicht anders liegt es, wenn der Gegner es vorsätzlich unterlässt, bestimmte Ereignisse zu dokumentieren, obwohl ihn mindestens eine Obliegenheit zur Dokumentation trifft. Gleiches gilt schließlich, wenn er einen als Beweismittel geeigneten Informationsträger wenigstens vorsätzlich fortgibt, vernichtet oder sonst unbrauchbar macht, obwohl ihm die Aufbewahrung dieses Informationsträgers mindestens obliegt. 4. Wenn es einer Partei unzumutbar ist, eine Information zu offenbaren, die als Privat- oder Geschäftsgeheimnis vertraulich ist, stellt diese Information weder auf der Vortrags- noch auf der Beweisebene eine erwartbare Belegtatsache dar. Um die Grenzen der Zumutbarkeit zu ermitteln, ist praktische Kon-

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kordanz zwischen dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und dem Schutzbedürfnis für legitime Geheimhaltungsinteressen herzustellen. Der Geheimnisschutz zu Gunsten des Gegners der risikobelasteten Partei vollzieht sich zunächst über das materiellrechtliche Entscheidungsprogramm. Seine vertrauliche Information ist danach keine erwartbare Belegtatsache, wenn sie für die Entscheidung unerheblich ist. Kann sie hingegen bereits in einer unspezifischen oder unvollständigen Version zur Sachverhaltsaufklärung beitragen, hat der effektive Rechtsschutz der risikobelasteten Partei Vorrang. Gleiches gilt, wenn aufgrund der Parteivorträge feststeht, dass das Geheimnis entscheidungserhebliches gesetzeswidriges Handeln des Gegners betrifft. Dem Grunde nach vorrangig ist der effektive Rechtsschutz der risikobelasteten Partei ferner dann, wenn ihr Vorbringen nach freier richterlicher Überzeugung mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens ½ zutrifft. Jedoch entfällt dadurch der Geheimnisschutz zu Gunsten des Gegners nicht. Er ist bei der Art und Weise der Offenlegung im Verfahren zu berücksichtigen. Die risikobelastete Partei verliert ihren Anspruch auf Geheimnisschutz nicht allein deshalb, weil die geheime Information im Prozess zu ihren Gunsten wirkt. Spiegelbildlich sind auch ihre vertraulichen Informationen keine erwartbaren Belegtatsachen, soweit sie für die Entscheidung verzichtbar sind. Im Übrigen ist das Geheimhaltungsinteresse der risikobelasteten Partei regelmäßig dem Grunde nach nachrangig gegenüber dem effektiven Rechtsschutz des Gegners. Vertraulichkeitsbelange können lediglich noch bei der Art und Weise der Offenlegung Beachtung finden. Das gilt für Aktiv- und Passivprozess gleichermaßen. Inwieweit der effektive Rechtsschutz der Parteien auf Kosten des Geheimnisschutzes Dritter verwirklicht wird, ist anhand der Wertung der §§ 383 ff. ZPO zu beurteilen. Soweit der dritte Geheimnisträger die Preisgabe der vertraulichen Information dulden muss, sind bei der Art und Weise der Offenlegung wiederum geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wo der Geheimnisschutz dem Grunde nach hinter das Interesse an effektivem Rechtsschutz zurücktritt, kommen bei der Art und Weise der Offenlegung als Schutzmaßnahmen in erster Linie die Vorlegung lediglich auszugsweiser oder geschwärzter Dokumente, die Beschränkung der Öffentlichkeit gemäß §§ 172 ff. GVG oder die Anordnung der Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG i.V.m. § 353d Nr. 2 und gg. § 203 Abs. 2 Nr. 5 StGB in Betracht. Wo das Geheimhaltungsbedürfnis gerade gegenüber der anderen Partei besteht, kann das Prozessgericht die Offenbarung im Rahmen eines in cameraVerfahrens anordnen, an dem diese Partei persönlich nicht teilnehmen darf. Inwieweit sie über das Ergebnis unterrichtet wird, hängt davon ab, ob das Geheimnis sich als legitim erwies oder nicht.

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C. I. 1. Die Offenkundigkeit gemäß § 291 ZPO ist das aussagekräftigste gesetzlich anerkannte Realkennzeichen für die Wahrheit des Parteivortrags. Sie legitimiert es, zugestandene oder als zugestanden fingierte Behauptungen, die dem im Sinne der Vorschrift Offenkundigen widersprechen, zu ignorieren und von Amts wegen durch die offenkundige Tatsache zu ersetzen. Erst recht darf das Prozessgericht die offenkundige Tatsache von Amts wegen berücksichtigen, wenn die behauptungsbelastete Partei sie bereits nicht vorgetragen hat. Will das Prozessgericht nach § 291 ZPO eine Tatsache von Amts wegen berücksichtigen, hat es den Parteien einen entsprechenden Hinweis zu erteilen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren. Offenkundigkeit bedeutet jedoch keine unwiderlegliche Wahrheitsfiktion. Die von der offenkundig unwahren oder wahren Tatsache nachteilig betroffene Partei kann demnach durch Führung des Gegenteils- bzw. des Gegenbeweises eine für sie günstige Prozesslage herstellen. 2. Bewusst unwahres Parteivorbringen beider Parteien ist für das Prozessgericht verbindlich. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Geständniswirkung aus einer Erklärung gemäß § 288 Abs. 1 ZPO ergibt oder aus einer Fiktion gemäß §§ 138 Abs. 3, 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Ebenso unerheblich ist es, ob die Parteien sich zum übereinstimmend unwahren Vortrag verabredet haben oder ob dieser sich zufällig einstellt. Diese Regel erfährt auch keine Einschränkung im Hinblick darauf, dass der übereinstimmend unwahre Vortrag sich womöglich zu Lasten Dritter auswirkt. Straftaten in Form des Prozessbetrugs oder des Betrugs im Prozess sind mit übereinstimmend unwahrem Parteivorbringen nicht verbunden. Das gilt auch und gerade dann, wenn die risikobelastete Partei zu ihren eigenen Gunsten bewusst unwahr vorträgt, ohne dass dies mit dem Gegner verabredet wäre. Dementsprechend führt der übereinstimmend unwahre Parteivortrag als solcher auch nicht zu Restitutionsgründen. 3. Werden während der Beweisaufnahme Umstände offenbar, die außerhalb des rechtshängigen Streitgegenstands liegen, darf das Prozessgericht diese nicht von sich aus seiner Entscheidung zugrunde legen. Weder hat es die Befugnis, solche Umstände von Amts wegen zu berücksichtigen, noch darf es die Prozesshandlungen der Parteien ohne tragfähigen Anhaltspunkt dahingehend interpretieren, dass diese sich im Zweifel sämtliche ihnen günstigen Umstände wenigstens hilfsweise zu eigen machen. Gleiches gilt für solche gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckten Umstände, die der begünstigten Partei eine Gegenforderung ermöglichten. Umgekehrt darf das Prozessgericht ohne Weiteres sämtliche Beweisergebnisse berücksichtigen, die lediglich eine Konkretisierung des allgemeiner formulierten Beweisthemas darstellen.

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Wenn gelegentlich der Beweisaufnahme Tatsachen offenbar werden, die innerhalb des rechtshängigen Streitgegenstands, aber außerhalb des Beweisthemas liegen, dann darf das Prozessgericht sie seiner Entscheidung so lange nicht zugrunde legen, bis die begünstigte Partei durch späteres eigenes Verhalten hinreichend klar zum Ausdruck gebracht hat, dass sie diese Tatsache zum Gegenstand ihres Vorbringens machen will. Für Befugnisse zur Berücksichtigung solcher Tatsachen von Amts wegen besteht ebenso wenig Raum wie für Auslegungsregeln, die sich allein daran orientieren, ob die jeweilige Tatsache der risikobelasteten Partei nutzt. 4. Wenn der Gegner das Vorbringen der risikobelasteten Partei bestreitet und dabei im Rahmen seiner Erwiderung Tatsachen unterbreitet, die das Begehren der risikobelasteten Partei gleichermaßen tragen („gleichwertiger Gegnervortrag“), darf das Prozessgericht diese Tatsachen nicht von sich aus seiner Entscheidung zugrunde legen, soweit sie außerhalb des rechtshängigen Streitgegenstands liegen. Ebenso ist es dem Prozessgericht dann verwehrt, die Prozesshandlungen der risikobelasteten Partei ohne Weiteres dahingehend zu interpretieren, dass sie sich das für sie günstige Vorbringen des Gegners im Zweifel zu eigen mache. Entsprechendes gilt, wenn der gleichwertige Gegnervortrag eine aufrechenbare Gegenforderung der begünstigten Partei offenbart. Hier muss die begünstigte Partei das gegnerische Vorbringen in der entsprechenden Form erkennbar aufgreifen. Weichen die Vorbringen der risikobelasteten Partei und ihres Gegners lediglich außerhalb des für die Sachentscheidung relevanten Kernbereichs voneinander ab, kommt es auf ein Aufgreifen der Abweichung der Parteien von vornherein nicht an. So liegt es zum einen dann, wenn die Abweichungen jenseits der entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmale liegen, zum anderen auch dann, wenn sie innerhalb desselben Streitgegenstands lediglich unterschiedliche Konkretisierungen desselben Tatbestandsmerkmals beschreiben. In beiden Fällen ist auf Basis eindeutigen und unstreitigen Sachvortrags zu entscheiden. Eine Partei muss sich den gleichwertigen Gegnervortrag auch dann nicht zu eigen machen, wenn der Gegner für die entsprechenden Tatsachen objektiv behauptungs- und beweisbelastet ist oder diese Tatsachen Bestandteil seines nach § 138 Abs. 2 ZPO notwendigen Bestreitens sind. Hier ergeht die Entscheidung anhand einer Wahlfeststellung aufgrund alternativer Sachverhalte. Für die herrschende Forderung danach, dass die begünstigte Partei sich den gleichwertigen Gegnervortrag zu eigen machen muss, ist nur in wenigen Konstellationen Raum. Erfasst sind namentlich nur solche Fälle, in denen die gleichwertigen Tatsachen weder Bestandteil einer eigenen Behauptungs- und Beweislast noch eines nach § 138 Abs. 2 ZPO notwendigen Bestreitens des Gegners sind und dennoch innerhalb des rechtshängigen Streitgegenstands liegen.

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Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

II. 1. Der Zweck von Maßnahmen nach § 139 ZPO besteht darin, den Parteien Einblick in den gerichtsinternen Bereich der Rechtsanwendung zu gewähren, damit diese ihr weiteres Prozessverhalten darauf einrichten können. Namentlich weist das Prozessgericht die Parteien nötigenfalls auf Defizite ihres Initialvortrags sowie darauf hin, dass von ihnen weitere Realkennzeichen in Form von Belegtatsachen erwartbar seien, um die vorläufig unterstellte Unwahrheit ihres Vorbringens im Sinne von § 138 Abs. 1 ZPO auszuräumen. Demgegenüber eröffnet § 139 Abs. 1 ZPO dem Prozessgericht keine Befugnis, selbst Tatsachen oder Beweismittel zu ermitteln, sei es von den Parteien, sei es von Dritten. Von dieser Regel gilt auch zur Durchsetzung zwingenden materiellen Rechts keine Ausnahme. 2. §§ 141 ff. ZPO bilden eine heterogene Normengruppe. Während es bei § 143 ZPO allein um die Wiederherstellung unvollständig gewordener Prozessakten geht, betreffen §§ 141, 142, 144 ZPO die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Welche konkreten Belegtatsachen die Parteien auf der Vortragsebene zu benennen und auf der Beweisebene beizubringen haben, beurteilt sich auch im Zusammenhang der §§ 141 ff. ZPO danach, was von ihnen erwartbar ist, um die negativen Folgen gemäß § 138 Abs. 1 ZPO bzw. § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung abzuwehren. §§ 141, 142, 144 ZPO ermächtigen das Prozessgericht nicht dazu, diese Mitwirkungslasten der Parteien auszudehnen oder zu beschränken. Das persönliche Erscheinen einer Partei kommt in Betracht, um ihren bislang unzureichenden Initialvortrag zu ergänzen. In Bezug auf das streitige Vorbringen sind die Mitteilung von erwartbaren Belegtatsachen und die Parteiaussage zu beweisrechtlichen Zwecken möglich. Im letzteren Fall ist die Anhörung als Verhandlungsergebnis im Sinne von § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO beweisrechtlich verwertbar. Funktionelle Unterschiede zur Würdigung des Ergebnisses einer förmlichen Parteivernehmung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO bestehen insoweit nicht. Anhörung und Vernehmung hängen deshalb von unterschiedlichen Voraussetzungen ab, weil allein die Vernehmung in eine beeidigungsfähige Aussage mündet. Verweigert die Partei die Vernehmung und damit eine beeidigungsfähige Aussage, so kann das Prozessgericht davon ausgehen, dass sie dies nur deshalb tut, weil anderenfalls ihr im Sinne des § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitswidriger Vortrag offenbar würde. Mangels Beeidigungsfähigkeit trägt die verweigerte einfache Anhörung diesen Schluss nicht. Vorlegungsanordnungen aufgrund von §§ 142, 144 ZPO dienen allein der Beweisgewinnung. Sie kommen unabhängig von materiellrechtlichen Informationspflichten in Betracht, wenn eine der Parteien den vorzulegenden Gegenstand in Bezug genommen hat. Ein Widerspruch zu §§ 422, 423 ZPO folgt daraus nicht. Adressat einer Vorlegungsanordnung auf der Basis von §§ 142,

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144 ZPO ist diejenige Partei, die in der konkreten prozessualen Situation als Realkennzeichen erwartbare Belegtatsachen in Form von Informationsträgern vorzulegen hat, um der Unterstellung zu entgehen, sie halte diese Erkenntnisquellen nur deshalb zurück, um ihren auf der Vortragsebene begangenen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO zu verschleiern. Das Ermessen des Prozessgerichts wird in erster Linie dann praktisch relevant, wenn es um die besondere Ausgestaltung der Vorlegung geht, um legitimen Geheimhaltungsinteressen der vorlegungspflichtigen Partei Rechnung zu tragen. 3. Für den Problemkreis von Informationsproblem und Wahrheitspflicht geht es bei den Aufklärungsmaßnahmen gegenüber Dritten gemäß §§ 142 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO allein um die Frage, wann die Vorlageverweigerung des Dritten anzusehen ist, als habe die Partei selbst ein Realkennzeichen in Form einer erwartbaren Belegtatsache zurückgehalten. Wenn eine Partei einen fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf Herausgabe des Informationsträgers gegen den Dritten hat, dann ist sie ebenso wie der dritte Besitzer tauglicher Adressat einer Anordnung gemäß §§ 142 Abs. 1, 144 Abs. 1 ZPO. Sofern der Dritte die Vorlage verweigert und die Partei ihren Herausgabeanspruch nicht durchsetzt, würdigt das Prozessgericht dieses Parteiverhalten gemäß § 138 Abs. 1 ZPO i.V.m. dem Gedanken der Beweisvereitelung zu ihren Lasten. Gleiches gilt, wenn die Partei einen Anspruch auf Informationserteilung gegen den Dritten hat. Grundsätzlich ist es in diesen Fällen unerheblich, ob der Dritte die Offenbarung der Information und Vorlegung ihres Trägers verweigern darf. Eine Ausnahme gilt nur dort, wo auch die Partei wegen der besonderen Eigenart der Vertrauensbeziehung zu dem Dritten ohne prozessrechtliche Nachteile berechtigt ist, den Informationsträger zurückzuhalten. In Konstellationen, in denen die Partei niemals Besitzerin des Informationsträgers gewesen ist und weder einen Herausgabe- noch einen Anspruch auf Informationserteilung hat, ist grundsätzlich nach der gesetzlichen Risikoverteilung oder dem bisherigen Überzeugungsstand zu entscheiden, wenn der Dritte die Vorlegungsanordnung nicht befolgt. Abermals ist unerheblich, ob die Weigerung rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dort, wo entweder die Partei und der Dritte die Vorlageverweigerung verabredet haben oder der Dritte die Vorlage als einseitige Unterstützungsmaßnahme unterlässt. Es bestehen jedoch kaum prozessrechtliche Instrumente, mit denen diese Ausnahmekonstellationen offenbar werden könnten.

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Stichwortverzeichnis Adversielles Aufklärungsmodell 93 Aequipollentes Parteivorbringen 390 ff. Äußerungsdeliktischer Zweitprozess 212 Anerkenntnis 258, 259, 355 Affirmative defenses 112 ff. Amtsermittlung 150, 159, 350 ff., 409 Anfechtungsklage 357 f. Anordnung der Aktenübermittlung 448 f. Anordnung persönlichen Erscheinens 439 ff. Anscheinsbeweis 145, 272 f., 323 f. Antizipiertes Bestreiten 209 f. Arzthaftungsprozess – Beweisnot 90 f. – Dokumentation 80 f. – Sachvortrag 12, 57, 235, 247, 385 Aufklärungspflicht der Parteien – anlassbezogene 142 ff. – dogmatische Grundlage 143, 148 – voraussetzungslose 146 ff. Ausforschung 287, 444 Auskunftsanspruch 46, 79 ff., 313 ff. Aussageanalyse 192 ff. Bärenfang-Entscheidung 311 Baumängelprozess 12, 58, 83, 235, 247, 385 Beeidigung 436 ff. Behauptungslast – Begriff 41 – objektive 41 f. – subjektive 43 ff. Beibringungsgrundsatz – Begriff 4 f. – und Behauptungslast 148 ff. – und nemo tenetur edere contra se 35 ff.

Belegtatsachen – Begriff 174 – auf der Beweisebene 278, 280, 281, 289 ff. – dogmatische Einordnung 174 ff. – im materiellen Recht 173 ff. – des materiellrechtlich Betroffenen 182 ff. – des materiellrechtlich Erklärenden 178 ff. – im Prozessrecht 234 ff. – der risikobelasteten Partei 236 ff., 262 ff. – der nicht risikobelasteten Partei 269 ff. Besichtigungsanspruch 313 ff. Bestreiten 42 f., 109 f. Bestreiten ins Blaue hinein 19, 279 Betriebsgeheimnis, rechtswidriges 313 Betrug im Prozess 377 f. Beweisantritt 39 f. Beweisbedürftigkeit 5, 149, 341 Beweiserhebung von Amts wegen 425 f., 443 ff. Beweisgrund 434 f. Beweislast – objektive 38 – subjektive 39 Beweismittel – absichtlich unterdrückte 278 f., 294 f. – Aufbewahrungsobliegenheit 301 ff. – nicht absichtlich unterdrückte 279 f. – Tatbestandsbeweismittel 282 – verschollene 280 f. – Zeugnisbeweismittel 282 Beweisthema 277, 384 ff. Beweisvereitelung – absichtliche 74 f., 278 f.

504

Stichwortverzeichnis

– Begriff 67 f. – dogmatische Grundlage 88 ff., 277 ff. – fahrlässige 304 f. – gesetzliche Regelungen 69 f. – Rechtsfolgen 84 ff. – Verschulden 76 ff. – Vorlegungsanspruch 75 – Zeugenbeweis 75 f. – Zufall 304 f. Beweiswert 281 ff., 434 Beweiswürdigung 299 ff., 332, 387, 402, 432 ff. Bindungswirkung, versicherungsrechtliche 366 ff. Conclusory allegations 242 f. Disclosure 118 f. Discovery sanctions 123 ff. Diskriminierungsklage 326 f. Dispositionsgrundsatz 34 ff., 383 Dokumentation, unterlassene 295 ff. Düsseldorfer Besichtigungsverfahren 327 f. Durchsetzungsrichtlinie 316 Duty to preserve 128 ff., 296 Effektiver Rechtsschutz 148, 150 f., 312 f., 329 Eidesverweigerung 284 f. Einlagenschuld 267 f. Erbunwürdigkeitsklage 358 f. Gegenschlagsäußerung, Untersagung der 214, 221, 229 f. Gegenbeweis 112, 145 f., 272 ff., 318, 323 f., 346 Gegenteilsbeweis 301, 305, 322 f. Geheimhaltungsinteressen 308 ff., 445, 448 Geheimnisse Dritter 325 ff. Geständnis 117, 149, 237 f., 239, 340, 372, 402 f. Geständnis, bewusst unwahres 348 ff. Geständnis, irrtümliches 353 Geständnis, zu Lasten Dritter 356 ff. Geständnis, vorweggenommenes 377 f., 401 ff.

Geständnisfiktion 18, 237 f., 340, 349, 403 Gestaltungsentscheidungen 357 ff. Gläubigerbenachteiligung, kollusive 368 f. Günstigkeitsprinzip 383 Heightened pleading 103 f., 243 f. Hinweispflicht, richterliche – Anwaltsprozess 415 f. – Beweisführung 414 f. – Gegnervortrag 417 – Klageänderung 418 ff. – pauschales Vorbringen 413 – Gestaltungsrechte 421 ff. – Grenzen 415 – Substantiierung 413 f. – Verjährung 421 ff. – Zweck 406 ff. – Zwingendes Recht 420 f. In camera Verfahren – Ablauf 327 f. – rechtliches Gehör 328 ff. – Rechtsgrundlage 331 ff. – U.S.-amerikanischer Zivilprozess 140 f. Indizien 300, 317 f. Informationelle Selbstbestimmung 178 f., 190, 231 Informationsproblem 17 Inherent power doctrine 124 f. Initialbehauptung 234 ff. Initialbestreiten 261 f. Inquisitorisches Aufklärungsmodell 93 Interventionswirkung 364 ff. Iura novit curia 257 f., 410 ff. Judgment on the pleadings 97 ff. Justizsyllogismus 240 ff. Kollusion 357 ff. Löschungsklage, markenrechtliche 55, 267, 271, 276, 312 Negative defenses 111 f. Nemo tenetur edere contra se

Stichwortverzeichnis

– Begriff 19, 24, 31 – dogmatische Grundlage 31 ff. – und sekundäre Behauptungslast 66 Notice pleading 100 ff., 241 ff. Nullhypothese, aussageanalytische 193, 234 Ökonomische Analyse 152 ff., 163 ff. Offenkundige Tatsachen 336 ff., 389 Offenkundige Tatsachen, nicht vorgetragene 340 ff. Parteianhörung 430 ff. Parteivernehmung 431 ff. Plausibility standard 102 ff., 243 f. Präjudizielle Rechtsverhältnisse 257 ff. Praktische Konkordanz 309 ff., 319, 325 Preisanpassungsklauseln 319 f. Pre trial discovery 117 ff., 249 f. Privatautonomie 150 f., 231 f., 353 ff. Privates Wissen des Richters 338, 419 Protective order 138 ff. Prozessäußerung – und Art. 5 GG 205 f. – und Persönlichkeitsrecht 206 ff., 215 ff. – Rechtsschutz gegen die 212 ff. – Wahrnehmung berechtigter Interessen 216 f. Prozessaufrechnung 382 Prozessbetrug 372 ff. Prozessleitung 162 f. Prozessmuntschaft 367 f. Prozessstandschaft 360 ff. Prozesszweck 3 f., 157 f., 348 Realkennzeichen, aussageanalytische 194 ff. Realkennzeichen, prozessrechtliche 237 f., 340, 346, 353 Rechtliches Gehör 328 ff., 346 f., 410 ff. Rechtsfortbildung 96 Rechtskrafterstreckung 359 ff. Rechtsschutzbedürfnis 217 f. Restitutionsklage 377 f. Risikobelastete Partei, Begriff 6 Schadensberechnung, abstrakte 319 Scheinprozess 349

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Schlüssigkeit der Klage 17, 234 ff. Sekundäre Behauptungslast – Auskunftsanspruch 63 – Begriff 50 – dogmatische Einordnung 59 – Fallgruppen 52 ff. – Rechtsfolgen 63 f. Selbstbezichtigung 31 ff. Selbsthilfe 408 f. Software, Verletzungsprozess 9 f., 317, 321, 328, 330 Sozialer Zivilprozess – Begriff 157 f., 407 – dogmatische Grundlage 160 f. – Funktionsweise 158 f. Sozialstaatsprinzip 161 f. Spoliation inference 123 ff. Stärkung der ersten Instanz 405 Streitgegenstand 342 f., 381 ff., 392 f. Stufenklage 47 Substantiierung 43 ff. – der Behauptung 262 ff. – des Bestreitens 269 ff. Summary Judgment 97 Tatsachen – aus einem fremden Wahrnehmungsbereich 9, 52 ff., 107 f., 235, 246, 265 f., 270 – Begriff 204 f. – Disponibilität 354 f. – gelegentlich der Beweisaufnahme entdeckte 380 ff. – innere 11, 56, 108 f., 234, 247, 266, 270 f. – lange zurückliegende 13, 54 f., 267 f., 272 – lediglich sachverständig aufklärbare 12, 57, 235, 247, 268 f., 272 – negative 10, 246, 266 f., 271 Tatsachenbehauptung ins Blaue hinein 191 f., 299 Tatsachenbehauptung, lediglich subjektiv unwahre – Begriff 167 f. – im materiellen Recht 169 ff. – materiellrechtliche Feststellung 173 ff.

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Stichwortverzeichnis

– materiellrechtliche Rechtfertigung 186 ff. – im Prozessrecht 234 ff. – prozessrechtliche Feststellung 234 ff. – prozessrechtliche Rechtfertigung 225 ff. Tatsachenbehauptung, offenkundig unwahre 336, 339 ff. Tatsachenbehauptung, übereinstimmend unwahre 347 ff. Telekom-Beschluss 310 Überraschungsentscheidung 412 Unbestimmter Rechtsbegriff 247 f. Undeutsch-Hypothese 193 Unterbilanzhaftung 265 f., 270, 299 Urkundenfeststellungsklage 355 Verfahrenspatent 322 f., 328, 330 Verfahrensprivileg 215 Vernehmungsverweigerung 283 f.

Versäumnisurteil 149 f., 344, 347, 370 ff., 388 f., 389 Vollständigkeitsgebot 273 f. Vorgeschobener Eigenbedarf 266, 270 Vorlagepflichten – Beweisgewinnung 426 ff., 444 ff. – Dritter 451 ff. – unstreitiges Vorbringen 426 – Vorbereitung der mündlichen Verhandlung 428 f. Vorweggenommene Beweiswürdigung 311 Waffengleichheit 151, 436 Wahlfeststellung 398 ff. Wahrheitspflicht – Inhalt 19 – Zweck 25, 352 Zwingendes Recht 259 f., 355 f., 420 f. Zwischenfeststellungsklage 258, 355