In Vorbereitung auf das 21: Jahrhundert: Lateinamerikas Entwicklungserfahrungen und -perspektiven 9783964563293

Der Sammelband diskutiert die zukünftige Entwicklung, die Lernprozesse der Vergangenheit und die Chancen und Risiken der

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German Pages 136 [138] Year 2000

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Inhaltsverzeichnis
Einführung
Erfolge und Grenzen lateinamerikanischer Entwicklung. Ein partieller Vergleich mit Ost- und Südostasien
Lateinamerikanische Entwicklungsvorstellungen zwischen Nachahmung und Eigenständigkeit: Historische Erfahrungen und künftige Perspektiven
Über den Neoliberalismus hinaus. Vier Thesen zur aktuellen Debatte um Entwicklungstheorie und -praxis in Lateinamerika
Die politische Konstituierung von Märkten aus ordoliberaler Perspektive
Einflusschancen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika
Externe Bestimmungsfaktoren der Entwicklung Lateinamerikas: Von der Weltwirtschaftskrise zur Globalisierung
Einige Wahrheiten über den MERCOSUR
Autoren
Literatur
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In Vorbereitung auf das 21: Jahrhundert: Lateinamerikas Entwicklungserfahrungen und -perspektiven
 9783964563293

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Manfred Mols, Rainer Öhlschläger (Hrsg.) In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert: Lateinamerikas Entwicklungserfahrungen und -perspektiven

Politik in der Gegenwart Band 4 Herausgegeben von Manfred Mols

Manfred Mols, Rainer Öhlschläger (Hrsg.)

In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert: Lateinamerikas Entwicklungserfahrungen und -perspektiven

Verlag Vervuert • Frankfurt am Main 2000

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert: Lateinamerikas Entwicklungserfahrungen und -perspektiven / Manfred Mols ; Rainer Öhlschläger (Hrsg.). - Frankfurt am Main : Vervuert, 2000 (Politik in der Gegenwart ; Bd. 4) ISBN 3-89354-484-4

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2000 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Stephan Schelenz Gedruckt auf säure- und chlorfrei gebleichtem, alterungsbeständigem Papier Printed in Germany: Rosch-Druck, Scheßlitz

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Inhalt

Inhaltsverzeichnis Manfred Mols/Rainer Öhlschläger Einführung

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Manfred Mols Erfolge und Grenzen lateinamerikanischer Entwicklung. Ein partieller Vergleich mit Ost- und Südostasien

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Andreas Boeckh Lateinamerikanische Entwicklungsvorstellungen zwischen Nachahmung und Eigenständigkeit: Historische Erfahrungen und künftige Perspektiven

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Harald Barrios Über den Neoliberalismus hinaus. Vier Thesen zur aktuellen Debatte um Entwicklungstheorie und -praxis in Lateinamerika

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Jörg Faust Die politische Konstituierung von Märkten in Lateinamerika aus ordoliberaler Perspektive

65

Hartmut Sangmeister Einflusschancen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika

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Wolf Grabendorff Externe Bestimmungsfaktoren der Entwicklung Lateinamerikas: Von der Weltwirtschaftskrise zur Globalisierung

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Vamireh Chacon Einige Wahrheiten über den MERCOSUR

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Autoren

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Literatur

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Einführung

MANFRED MOLS/ RAINER ÖHLSCHLÄGER

Einfuhrung

Mit »In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert« war das fünfte Weingartener Lateinamerika-Gespräch überschrieben, das vom 8.-10. Januar 1999 als Veranstaltung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten (Oberschwaben) stattfand - wiederum mit namhaften Referenten aus Deutschland und (diesmal) aus Brasilien und ein weiteres Mal mit mehr als 80 Teilnehmern aus vielen Teilen der Bundesrepublik. Wie immer gab es lebhafte Diskussionen, Debatten, Kontroversen - und natürlich auch übereinstimmende Beurteilungen der lateinamerikanischen (Entwicklungs-)Situation. »In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert« hat im Klartext und konkret geheißen, sich mit Lateinamerikas Entwicklungserfahrungen, Entwicklungsperspektiven, mit Entwicklungshilfe, mit künftigen Entwicklungschancen und mit dem internationalen Kontext zu beschäftigen, der all dieses in Vergangenheit, in unserer Gegenwart des beginnenden 21. Jahrhunderts und auch weiterhin ermöglicht, behindert, jedenfalls maßgeblich mit-konditioniert und nicht selten sogar zu determinieren scheint. Was verstehen die Menschen Lateinamerikas selbst unter Entwicklung? Was steckt mit Blick auf die Entwicklungsproblematik in ihrem kollektiven Gedächtnis? Welche positiven und negativen Erfahrungen in der Vergangenheit haben sich für heute und für morgen handlungsleitend und vielleicht auch handlungslähmend eingeprägt? Welche Handlungsräume für Entwicklung werden von der internationalen Gemeinschaft abgesteckt, insbesondere von Europa und von den USA? Welches sind die Such- und Lernprozesse, die Entwicklung für Lateinamerika mit sich gebracht hat und weiterhin mit sich bringt? - Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt der Vortrags- und Gesprächsrunden. Dass hier unerhört wesentliche Fragen für die Beurteilung und für die Zukunft des Subkontinentes angesprochen werden, liegt ebenso auf der Hand wie das Eingeständnis, dass man nicht zu jedem der angeschnittenen Probleme bündige Antworten erwarten darf. Das Thema selbst ist aktuell und zeitlos zugleich. Unsere Diskussionen reihten sich ein in seit weit mehr als einem Jahrhundert angestellte Überlegungen in Lateinamerika selbst, wie man den Sprung in eine (vom Westen ausgehende und später globale) Moderne schaffen könne. Zugleich war uns immer präsent, dass eine solche Moderne in den seit dem frühen 19. Jahrhundert unabhängigen Republiken südlich des Rio Grande weder durch Unabhängigkeitsbeschlüsse noch de facto in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und trotz vieler Avancen in Teilbereichen nirgendwo Wirklichkeit wurde. Um mit einem bekannten Goethe-Wort zu spielen: Die in Lateinamerika erreichten Entwicklungsniveaus sind fast immer ererbt (sprich von außen transferiert oder schlicht kopiert) gewesen, sie wurden kaum je erworben, um Besitz zu werden als eigene Verfügungsmasse an ausreichender Autonomie und Souveränität.

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Einführung

Die Diskussion um diese Phänomene beherrscht ganz Lateinamerika und nicht nur einzelne Länder spätestens seit dem berühmten »Manifiesto Latinoamericano« der UN-Wirtschaftskommission, mit dem sie ab 1950 eine Art Generaloffensive für Entwicklung zu starten begann. Und sie hat seit Jahrzehnten in der lateinamerikanischen wie in der internationalen Lateinamerikanistik ihren Ort gefunden. Sie hatte ihre dependenz-theoretischen und häufig auch liberal-politökonomischen und modernisierungstheoretischen Phasen, wurde hier pragmatischer und dort ideologisch aufgeladener geführt, hatte ihren starken, vielleicht etwas überproportionalen Anteil von Ökonomen, doch stets nahmen an ihr auch Historiker, Theologen, Soziologen, Ethnologen, Kommunikationswissenschaftler, Philosophen und gelegentlich auch Literaturwissenschaftler und nicht zuletzt Politologen teil, die übrigens heute, in einem Klima des internationalen Ringens um »good governance« und um eine angemessenere Rolle des Staates (wie dies im Wejtbankbericht von 1997 zum Ausdruck kam1), leichter Gehör finden als früher. Auch Lateinamerikas prodemokratische Wende (die im Augenblick Risse zeigt) spielt hier hinein. Vielleicht ist dies das Kennzeichen des Weingartener Lateinamerika-Gespräches 1999 gewesen: Politologen und Ökonomen sind verwobener aufeinander zugegangen als vor Jahren. Unverkennbar blieb auch, dass ein Teil der heutigen Entwicklungsdiskussion technisch raffinierter abläuft als in den ersten Jahren oder sogar Jahrzehnten der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Unterentwicklung und Entwicklung. Heute ablaufende Gespräche zu Lateinamerikas Entwicklung setzen ungleich mehr Expertise voraus als früher - auch wenn wir weiterhin der Meinung sind, dass gebildeter common sense ein unverzichtbar fundamentales Kriterium in Entwicklungsfragen bleiben sollte. Eine andere Schwierigkeit jeder zeitgenössischen Reflexion über Lateinamerika heißt: Wenn es früher zu den Eröffiiungsritualen fast jeder Lateinamerika-Konferenz gehörte, sich darüber zu streiten, ob man denn wirklich von »Lateinamerika« als einer kulturellen oder politischen oder wirtschaftlich einigermaßen in sich vergleichbaren Einheit ausgehen könne oder nicht, leben wir heute eindeutiger in einer Zeit der Disaggregation des Subkontinentes. Südamerika, Zentralamerika und Mexiko, das sich ob der Zugehörigkeit zur Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA auf einer Identitätswelle mit den USA sieht, zeigen unterschiedliche Orientierungsrichtungen und Zukunftsvorstellungen. Es ist dies gleichzeitig die Stunde eines erheblich revitalisierten Subregionalismus. Dies bei einem gleichzeitigen Flirt mit der Idee, doch noch zur Realität einer Einheit der Amerikas zu finden. Dies bei einem weiteren gleichzeitigen Flirt mit Diversifizierungsanstrengungen in Richtung Asien-Pazifik in Chile, Peru, Mexiko, Kolumbien, selbst Argentinien und Brasilien. Es muss hier offen bleiben, ob wir es bei all dem mit eines Tages wieder abklingenden Moden oder mit unumkehrbaren Trends (wofür manches spricht) zu tun haben. Wir sind glücklich darüber, den größten Teil der Vorträge in einer überarbeiteten Form einer interessierten Öffentlichkeit und natürlich den Teilnehmern selbst von »Weingarten 1999« öffentlich zur Verfügung stellen zu können. Dass das Vgl. Internationale Bank filr Wiederaufbau und Entwicklung/Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1997. Der Staat in einer sich ändernden Welt, Bonn 1997.

Einführung

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komplexe Entwicklungsthema nicht erschöpfend behandelt werden konnte, ist genauso selbstverständlich wie der unterschiedliche Duktus des Vorgetragenen bzw. Vorgelegten. Mit beachtlicher historischer Tiefe angestellte Überlegungen stehen neben solchen, die eher Grundsätzen einer analytischen Logik verhaftet sind. Dann wiederum gibt es Positionsanmeldungen, die mit ihrem Anspruch des politischen Auftretens auch dort für sich selbst sprechen, wo eher »claims« abgesteckt werden, als dass ein abgesicherter wissenschaftlicher Disput sichtbar wird. Prof. Manfred Mols begann seinen einleitenden Beitrag mit dem Hinweis, dass Lateinamerika entwicklungspolitisch ein Kontinent sei, der zwischen Fortschritt und Beharrung schwanke, zwischen Moderne und Rückstand. Sehe man Lateinamerikas Entwicklung im internationalen Vergleich, besonders angesichts der Entwicklungsdurchbrüche in Fernost, bleibe manches, gewiss nicht alles, bescheiden. Lateinamerikas Entwicklungskapital seien nicht seine Entwicklungserfolge, sondern seine (in Lateinamerika selbst immer wieder diskutierten) Entwicklungserfahrungen, wie sie in der regionalen und nationalen Entwicklungsdiskussion zwischen Mexiko und Feuerland zum Ausdruck komme, in der von einem erheblichen diskursiven Unterbau begleiteten lateinamerikanischen Demokratiebewegung, in einem sich in vielen Hinsichten ausweisenden, praktizierten Multilateralismus und in einer Befähigung zum Krisenmanagement, die andernorts, z.B. in Asien, schwächere Profile zeige. Die Lateinamerikaner stellten auch ihre internationalen Rahmenbedingungen - anders als dies für Ost- und Südostasien gelte deutlicher zur Diskussion. Bezüglich künftiger Entwicklungschancen sei vieles in Bewegung geraten, so dass platte Rückfälle in frühere Zustände weder politisch noch wirtschaftlich noch psychologisch noch wissenschaftlich-kulturell wahrscheinlich seien. Es fehle aber an einer ausreichenden Menge grundlegender ordnungspolitischer Debatten über die eigene Zukunft - für die wir in Deutschland und vielleicht auch aus Anlass von »Weingarten« eine internationale Mitverantwortung trügen. Prof. Andreas Boeckh ging auf das Spannungsverhältnis zwischen lateinamerikanischer Entwicklung als Nachahmung und künftigen Perspektiven ein. Liberalismus und Positivismus, die Chancen autozentrierter Entwicklung im 19. Jahrhundert, Entwicklung als Abgrenzung gegen die USA, Marxismus, Populismus und auch die Dependencia-Strömungen gehören zu den von Boeckh vorgestellten Paradigmen lateinamerikanischer Entwicklungsversuche. »Zusammenfassend läßt sich die These vertreten,« - so Boeckh - »daß in Lateinamerika die soziale Entwicklung weit hinter der wirtschaftlichen Entwicklung und die wirtschaftliche Entwicklung weit hinter den wirtschaftlichen Möglichkeiten zurückgeblieben sind, und dass beides sehr viel damit zu tun hat, dass es nicht gelungen ist, die von außen importierten Entwicklungskonzepte in Einklang mit den gesellschaftlichen und kulturellen Besonderheiten des Subkontinents zu bringen.« Die Zeit sei vorüber, in der man es mit Teilbereichsmodernisierungen versuchen wollte. Es gehe heute um Einordnungen in eine teils liberalistisch, teils sozialdemokratisch zu definierende kapitalistische, internationale Welt. Dr. Harald Barrios spielte einleitend mit einem klassischen Satz von Karl Marx: »Ein Gespenst geht um in Lateinamerika, der Neoliberalismus.« Es sei an

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Einführung

der Zeit, für Lateinamerika genauere Unterscheidungen darüber zu treffen, wo und ob man überhaupt in einem wissenschaftlich konzisen Diskurs über Neoliberalismus sprechen könne oder wo und ob man es mit pragmatisch ausgesuchten wirtschaftsstrategischen Versatzstücken zu tun habe. Ohnehin müsse klargestellt werden, dass der Neoliberalismus als solcher keine Entwicklungsstrategie, sondern ein Ordnungskonzept sei, das in seinen operativen Details erhebliche Varianzen aufweise. Wenn heutzutage vielfach sogenannte neoliberale Reformen mit Blick auf verursachte ökonomische und vor allem soziale Kosten der Kritik ausgesetzt seien, dann müsse man zunächst an die vorausgehende relative Schwäche des lateinamerikanischen Staates und die früheren und problematischen binnenmarktzentrierten und staatsinterventionistischen Entwicklungsstrategien erinnern. Was heute in Lateinamerika passiere, sei ein policy-mix aus orthodoxen und neoliberalen Maßnahmen. Wo er kostenintensiv werde, lässt sich die häufige Behauptung, die neuen Anpassungsprozesse erodierten »die Legitimitätsbasis der demokratischen Systeme«, empirisch nicht überzeugend nachweisen. Im übrigen sei der Neoliberalismus im heutigen Lateinamerika keinesfalls die einzige mögliche Entwicklungsoption. Dr. Jörg Faust widmete sich der Frage nach der politischen Konstituierung von Märkten aus der Perspektive ordoliberalen Denkens. Faust ist skeptisch gegenüber vielen gängigen Thesen zur politischen Ökonomie Lateinamerikas, die u.a. in einer überzogenen Renten-Mentalität die Ursache sozioökonomischer Stagnation und/oder Verzerrung oder umgekehrt in superliberalen Auffassungen von Marktwirtschaft bzw. in den (früheren) staatsinterventionistischen Entwicklungsprogrammen greifende Korrektive sehen. Er stellt stattdessen Wettbewerb »als ein über die Zeit wirkender Prozess der kreativen Zerstörung« (Schumpeter) und den Staat als den Wettbewerb garantierende und immer wieder auch regulierende Instanz im Sinne der bekannten ordoliberalen Positionen in den Vordergrund seiner Überlegungen. Wo der Staat dies nicht leisten könne oder gar noch auf defizitäre Formen von Demokratie stoße (wie sie z.B. von Guillermo O'Donnel oder von Wolfgang Merkel und Aurel Croissont typisiert worden seien), werde die wirtschaftliche wie die politische Sicherung von Wettbewerb unterlaufen. Prof. Dr. Hartmut Sangmeister analysierte die »Einflusschancen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika«. In den Anfangsjahren der deutschen Entwicklungshilfe habe es keine »regionenspezifische deutsche Entwicklungspolitik für und mit Lateinamerika« gegeben. Im Zusammenhang mit der Verschuldungskrise der 80er Jahre sei deutlich geworden, dass die Entwicklungsstrategie nachholender Industrialisierung kein geeignetes Konzept sein konnte, aber erst 1995 tauche Lateinamerika als eigenständige Zielgröße auch für Entwicklungspolitik im ressortübergreifenden »Lateinamerika-Konzept« der Bundesregierung auf. Insgesamt habe ein Ressourcentransfer von 17 Milliarden DM im Rahmen der bilateralen Entwicklungshilfe nach Lateinamerika stattgefunden, wobei viele der EZ-Projekte als durchaus erfolgreich eingestuft werden konnten. Sangmeister geht zugleich auch auf Ursachen gescheiterter entwicklungspolitischer Maßnahmen in Lateinamerika ein. Für die Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika mache es Sinn, weniger in Pro-

Einführung

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jekt- als in Systemzusammenhängen zu denken. »Die Notwendigkeit, Modernisierungshemmnisse der lateinamerikanischen Regionalkultur anzugehen, ist eine der entwicklungspolitischen Konsequenzen aus dem Globalisierungsanspruch, dessen Herausforderungen sich auch die lateinamerikanischen Gesellschaften stellen müssen.« Sangmeister schließt mit der nicht unberechtigten Frage: »Welche Entwicklung wollen die Menschen in Lateinamerika?« Dr. Wolf Grabendorff hat wesentliche »externe Bestimmungsfaktoren der Entwicklung Lateinamerikas« zusammengestellt. Es ging ihm nicht nur um von außen kommende konzeptuelle Vorstellungen, sondern auch um wirtschaftliche wie politische »Ereignisse und Störungen«, die ihre Spuren auf dem Entwicklungsweg Lateinamerikas hinterlassen haben. Dabei wird zugleich eine Warnung ausgesprochen: Angesichts der extremen Außenorientierung der lateinamerikanischen Eliten seien »externe Einflussfaktoren häufig a priori in interne verwandelt worden«. Im Einzelnen kreist der Beitrag um eine ganze Liste von Ideen, Disküssionsbündeln und von außen hereinbrechenden »Großwetterlagen« wirtschaftlicher wie politischer Art, die von der frühen Weltwirtschaftskrise der späten 20er und frühen 30er Jahre über Modernisierungs- und Dependenztheorien bis hin zu den Impulsen reichen, die von der europäischen Integrationsbewegung (deren jüngstes und konkretes Kind die auch von Grabendorff erwähnte Schaffung der gemeinsamen Währung Euro ist) auf Lateinamerika ausgestrahlt haben. Unter Gesichtspunkten der Entwicklungsbeurteilung entsteht so das Bild einer ungebrochenen und sich aus verschiedensten Quellen speisenden Vulnerabilität des Subkontinentes, die vor allem - so auch Grabendorff - durch kulturelle und kultur- bzw. wissenschaftspolitische Weichenstellungen und durch teils zu intensivierende, teils zu verändernde Allianzen aufgefangen werden könnte. Prof. Vamireh Chacon stellte in dem letzten hier veröffentlichten Beitrag »Einige Wahrheiten über den MERCOSUR« vor. Dies geschieht unter dem Vorzeichen einer Welt des 21. Jahrhunderts, in dem auf der internationalen Bühne große Blöcke eine immer prägendere Rolle spielen. Chacon geht ausführlich auf das Gewicht und die Interessen gerade seines eigenen Landes Brasilien im MERCOSUR ein, aber auch auf bandwagoning-Effekte Dritter, z.B. Paraguays. Augenfällig ist die durchgehende Auseinandersetzung mit dem Gewicht bzw. dem »Ärgernis« USA. Sehr deutlich kommt abermals die Vulnerabilität des Subkontinentes zum Ausdruck. Der »Teufelskreis alter Feindschaften im Inneren« werde »von außen genutzt«. Wehren könne sich Lateinamerika vor allem durch Blockbildungen, die der Verfasser als Integrationsstufungen auffasst in der Reihenfolge Südamerika - Lateinamerika - der gesamte amerikanische Kontinent. Wenn es so etwas wie eine übergreifende Zusammenfassung für alle Beiträge gibt, dann könnte sie so lauten: Lateinamerikas Entwicklung war in einem unverhältnismäßig hohen Maße von außen, nämlich von Europa und den USA, geprägt. Dabei hat sich ein gewisser Erfahrungsschatz in Bezug auf Entwicklung angesammelt, der viele Züge negativer Abhängigkeit bis hin zur Außensteuerung zeigt, aber auch eine Reihe von Handlungspotentialen, die es auszunutzen gilt.

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Einführung

Ein in Deutschland habilitierter chinesischer Kollege2 hat in diesen Tagen im Verlag Oldenbourg ein lesenswertes Einführungsbuch in die Theorien der Internationalen Beziehungen vorgelegt. So sehr Gu auch auf die üblichen Schulen in diesem Zweig der Politikwissenschaft eingeht, so sehr überrascht zunächst die gliederungsmäßige Grundstruktur seines Buches in optimistische, pessimistische und neutrale Ansätze. - Wie könnte man in solcher Referenz die Weingartener Lateinamerika-Tagung 1999 und die hier zusammengestellten Beiträge verorten? Habent sua fata libelli, hat es seit Generationen zu Recht geheißen, d.h. die Leser werden wahrscheinlich nach der Lektüre unterschiedliche Eindrücke zurückbehalten. Per saldo neutral kann ein solcher Sammelband schon deshalb nicht sein, weil wir allesamt auf Lateinamerika in dem Bewusstsein zugegangen sind, gerade unter Entwicklungsgesichtspunkten dringlichsten res gerendae ausgesetzt zu sein. Die res gestae, so durchwachsen sie von Land zu Land sein mögen, stimmen durchgehend nicht optimistisch, zumal Außenorientierungen, Außenanstöße und Außenbehinderungen so gut wie nirgendwo den Eindruck einer bewundernswerten Zielautonomie in Entwicklungsfragen aufkommen lassen. Und doch: Bleiben nicht Erfahrungen im Umgang mit Entwicklung, Erfahrungen im Umgang mit internationalen Einbindungen, Selbst-Erfahrungen im Sinne eines immer wieder aufgekommenen Leistungsbewusstseins, die einen verhaltenen Optimismus erlauben? Wir bedanken uns sehr herzlich bei allen, die wiederum oder erstmalig als Vortragende und im Plenum zu einem guten Gelingen von Weingarten 1999 beigetragen haben und ihre Manuskripte zum Abdruck zur Verfügung stellen. Herzlichen Dank an Andreas Reutter, Student der Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz, der an der Akademie sein Praktikum ableistet. Er hat dieses Buch druckfertig gemacht.

XUEWU GU, Theorien der internationalen Beziehungen. Eine Einführung, München und Wien 2000.

Erfolge und Grenzen lateinamerikanischer Entwicklung

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MANFRED MOLS

Erfolge und Grenzen lateinamerikanischer Entwicklung. Ein partieller Vergleich mit Ost- und Südostasien

Lateinamerika ist entwicklungspolitisch ein Kontinent, der zwischen Fortschritt und Beharrung schwankt, zwischen Dynamik und Stagnation, zwischen Bewegung und Stillstand, zwischen Moderne und traditioneller Verhaftung. Ungleich deutlicher als in Europa trifft man auf eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Historische Abläufe lösen nur bedingt einander ab, sondern schieben sich, tektonischen Platten und ihren Verwerfungen gleichend, oft genug ineinander. Der bolivianische Politologe Felipe Mansilla1 hat solche Verwobenheiten noch kürzlich unter dem Gegensatzpaar »Gesellschaftliche Kohäsion und Protestpotential« zusammengestellt. Modernisierung ist regelmäßiger partielle Modernisierung als Durchbruch zu einer relativen Zielsetzungsautonomie, die auch im Zeitalter von dichter Interdependenz und Globalisierung die eigentliche Grundqualität von Entwicklung bleibt. Denn das Gegenteil heißt, bei aller erwünschten Akkulturation, schlicht Fremdbestimmimg. Eine Erfolgsbilanz Lateinamerikas anzudeuten, bedeutet daher nicht a priori, einen durchgehend positiven Saldo vorstellen zu können, genauso wie es im Umkehrverhältnis keine klare Negativbilanz gibt. Die von mir zu behandelnden geschichteten Fragen heißen daher schlicht: Ist Lateinamerika in seiner bisherigen Entwicklung erfolgreich gewesen und wenn ja, in welcher Hinsicht? Wo sind Defizite zu vermelden? Gab es behindernde oder begünstigende internationale Rahmenbedingungen? Wo und in welcher Hinsicht müssen künftige Entwicklungschancen gesehen werden? Diese Fragen geben zugleich die Gliederung meines Beitrags an. Ich werde an etlichen Stellen komparativ arbeiten, vor allem mit Blick auf Ost- und Südostasien, und das nicht in erster Linie deshalb, weil dies meinem aktuellen Forschungsinteresse entspricht,2 sondern weil solche Vergleiche auch seit einigen Jah-

Siehe H.C.F. MANSILLA, Politische Gewalt in Lateinamerika. - Partielle Modernisierung, Anomiephänomen und Protestpotential in Peru und Kolumbien in: Zeitschrift für Politik 45/2, 1998, 182-204. Vgl. MANFRED MOLS, Integration und Kooperation in zwei Kontinenten. Das Streben nach Einheit in Lateinamerika und in Südostasien, Stuttgart 1996; MANFRED MOLS/PETER BIRLE (Hrsg.), Entwicklungsdiskussion und Entwicklungspraxis in Lateinamerika, Südostasien und Indien, Münster und Hamburg 2. Aufl. 1993.

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Manfred Mols

ren in Lateinamerika selbst3 und im übrigen im internationalen Rahmen - z.B. durch die Weltbank4 - angestellt werden.

LATEINAMERIKAS ENTWICKLUNG IM INTERNATIONALEN VERGLEICH Das moderne Mexiko fängt in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Benito Juárez an. Mit ihm und unter Porfirio Díaz wird Mexiko zu einem geachteten Mitglied der internationalen Völkerfamilie. Wenn um 1880 oder 1890 die Rede von Lateinamerika aufkam, dachten die politischen Eliten der internationalen Welt an Mexiko, Brasilien und wahrscheinlich auch an Chile, das nach dem gewonnenen Pazifischen Krieg sein Ansehen erheblich verstärken konnte. Argentinien erschien als ein aufsteigender Stern am lateinamerikanischen Himmel. Die spätere Position zeichnete sich ab, auch wenn sie noch nicht so offen zutage kam wie nach der Jahrhundertwende. In dichter zeitlicher Parallele zu der Juárez-Porfirio Diaz-Zeit Mexikos stieg in Fernost, fast von heute auf morgen, ein weiterer Staat in die internationale Völkerfamilie auf: Japan. Das 1854 durch den nordamerikanischen Commodore Perry mit seinen »schwarzen Schiffen« geöffnete Land restaurierte 1868 unter der MeijiDynastie das Kaisertum, suchte, in Anlehnung an europäische und nordamerikanische Vorbilder, Staat, Gesellschaft und Wirtschaft radikal zu modernisieren und eignete sich innerhalb weniger Jahre eine geostrategisch pazifische Perspektive an, die Nippon zu keiner Zeit seiner der Meiji-Restauration vorausgehenden Geschichte besessen hatte. Und hier kommt Mexiko bzw. Lateinamerika ins Spiel. Die Japaner wie auch die Mexikaner betrachteten mit wachsender Sorge die zunehmende Präsenz der USA im Pazifischen Becken. Aus solchen Überlegungen kam es ab 1882 zu japanisch-mexikanischen Verhandlungen (bezeichnenderweise in Washington), die wenige Jahre später, 1889, zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen fuhren sollten.5 Mexiko war damals neben Peru der erste Staat des Westens, der das eben erst dem Mittelalter entwachsene Japan diplomatisch anerkannte. Der weitsichtige mexikanische Verhandlungsführer Matías Romero, nach dem heute die Diplomatenakademie seines Landes benannt ist, setzte auf künftigen Austausch mit Fernost. Für Japan bestand der Reiz der neuen diplomatischen Verbindimg darin, formell Anschluss an ein Mitgliedsland des Westens gefunden zu haben. Mexiko war offenbar aus damaliger Sicht entwickelt genug, um 3

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Vgl. Comisión Económica para América Latina y el Caribe (CEPAL), Transformación productiva con equidad, Santiago de Chile 1990; MANFRED MOLS/MAÍVFRED WILHELMY/HERNÁN GUTIÉRREZ (eds.), América Latina y el Sudeste Asiático: perfiles de cooperación regional, Santiago de Chile 1995. Sehr massiv in: Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1997. Der Staat in einer sich ändernden Welt, deutsche Ausgabe Bonn 1997. Vg. MARÍA ELENA OTA MISHIMA, Las relaciones de México y Japón: historia de un esfuerzo binacional, in: comercio exterior vol. 48 No. 1, 1998, 21-28.

Erfolge und Grenzen lateinamerikanischer Entwicklung

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international als Prestigegröße ernst genommen zu werden. (Ich wurde daran noch einmal ausdrücklich im Oktober 1998 im japanischen Außenministerium erinnert.) Wie die Geschichte für rund 100 Jahre weitergehen sollte, wissen wir. Lateinamerika hat zwischen 1890 und unseren Jahren erhebliche Entwicklungsdurchbrüche erlebt, wobei neben den erwähnten Fällen Mexiko, Brasilien, Chile und Argentinien und dem Aufstieg Uruguays auch Peru, Venezuela und Costa Rica zu nennen sind. Im ganzen gehörte jedoch der Subkontinent zu den eindeutigen Verlierern einer ordnungspolitisch-ideologischen und industriewirtschaftlich-technologischen Modernisierung, die seit den frühen 50er Jahren unseres Jahrhunderts zur Aufspaltung der Welt in eine erste, zweite und dritte führte. Die verbreitete tercermundismo-Bewegang der 60er und 70er Jahre und die fast zeitgleichen Dependenztheorien mit ihrer Betonung der asymmetrischen Situation von Metropolen und Satelliten waren Resignation und Korrekturversuch in einem. Zu letzterem zählt auf der internationalen Bühne die mit breiter Mehrheit in den Vereinten Nationen durchgesetzte »Charta der ökonomischen Rechte und Pflichten der Staaten« im Jahre 1974. Die große Mehrheit bei ihrer Verabschiedung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie angesichts der Verweigerungshaltung der Industriestaaten im damaligen Nord-Süd-Dialog nie über ein deklaratorisches Anliegen hinauskam. Die Entwicklung in Fernost ist partiell anders verlaufen. Dem 1868 restaurierten Japan gelang es rund eine Generation später, dass zum ersten Mal in der neueren Geschichte eine asiatische Macht eine europäische Macht besiegte - gemeint ist der japanische Seesieg über Russland im Jahre 1904, über dessen entscheidende Schlacht bei Tsushima kein geringerer als Frank Thieß 1936 einen beachteten Roman geschrieben hat. Rund zwei Generationen nach der Öffnung war Japan auf der Washingtoner Seemächtekonferenz von 1922 anerkannter Verhandlungspartner der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Der übrige Ferne Osten hat sich nicht völlig in Analogie zu Japan entwickelt, aber doch in der zweiten Hälfte unseres ausgehenden Jahrhunderts im Schnitt eine andere Modernisierung erfahren als der lateinamerikanische Durchschnitt. Einzelne ost- und südostasiatische Länder wie Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong erlebten wirtschaftliche und administrative Entwicklungsdurchbrüche, die ein neues Entwicklungsprädikat rechtfertigten: »little dragons« oder »Tigerstaaten«. Ein neues Modell internationaler Entwicklungsvernetzung auf regionaler Basis schien sich durchzusetzen: das sogenannte Fluggänse-Modell. Und wenn auch für lange Zeit Japan die fuhrende Fluggans blieb, so konnten doch viele Länder in den Flugverband als ganzem aufrücken: Singapur, Thailand, Malaysia, Indonesien, mit gewissen Schwierigkeiten auch die Philippinen, dann mehr und mehr chinesische Küstenprovinzen und seit Jahren im Anflug des Aufholens selbst Vietnam.6 Um es etwas vereinfachend zusammenzufassen: Vielleicht haben die Dependenztheorien immer mehr sensibilisiert, als dass sie realweltlich im Sinne von dem zutrafen, was man in der empirischen Sozialforschung als Validität bezeichnet. Historisch gehaltvolle Erfahrungen fingen sie ohnehin nur selektiv ein. 6

Vgl. CARLOS J. MONETA (compilador), Vietnam. Doi Moi. Del socialismo al mercado?, Buenos Aires 1995.

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Manfred Mols

In jedem Fall wird man sagen dürfen, dass der überwiegend globale Anspruch der Dependenztheorien, die sich ja auf angeblich generalisierbare lateinamerikanische Erfahrungen beriefen, in Fernost widerlegt worden ist. Hat Lateinamerika in diesem Jahrhundert etwas grundlegend falsch gemacht? Und hat Fernost etwas grundlegend richtig gemacht? Ich neige dazu, die Doppelfrage mit einem verhaltenen Ja zu beantworten, verhalten deshalb, weil man in beiden Großregionen bei genauerem Hinsehen erheblichst nach Ländern differenzieren müsste - es gibt ebenso wenig das lateinamerikanische Entwicklungsprofil des XX. Jahrhunderts, wie es auch nicht das ost- und südostasiatische Entwicklungsprofil gibt.7 Zweitens sind bei allen Notenzuweisungen die internationalen Rahmenbedingungen nicht identisch gewesen (worauf noch eingegangen wird). Und drittens ist - im längerfristigen Vergleich und heute in Ansehung der Asienkrise - nicht alles in Lateinamerika negativer verlaufen. Mit Blick auf das vor uns liegende XXI. Jahrhundert verfügt Lateinamerika im ganzen über ein erhebliches Kapital an Entwicklungserfahrungen, die sich gerade im Vergleich mit Asien durchaus sehen lassen können. Ich nenne deren vier: •



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Lateinamerika hat sich im Laufe der letzten Jahre einen Bestand an regionaler, aber international ausgerichteter Diskussionskultur erworben, die lange in die Anfange unseres Jahrhunderts zurückreicht (Rodó; Mariátegui u.a.), durch Raúl Prebisch und den Cepalismo, durch die dann folgenden Dependenztheorien und die Theologie der Befreiung einen erheblichen Auftrieb bekam und die man heute am Niveau von Globalisierungsdebatten erkennt, wie sie u.a. im Umkreis des Lateinamerikanischen Wirtschaftssystems SELA oder im Colegio de México, in Brasilien und anderswo geführt werden.8 Eine mehr binnengerichtete Spielform dieser Diskussionskultur ist die seit den 80er Jahren auf breiter Front einsetzende Demokratiebewegung. In ihrem intellektuellen Teil wurden und werden sehr sorgfaltig eigene Erfahrungen, Impulse aus den USA und Europa und staatstheoretische Erwägungen ineinander verwoben. Zu ihren praktischen Teilen gehört u.a. das Aufkommen authentischer zivilgesellschaftlicher Potentiale, die wir in Deutlichkeit im zeitgenössischen

Diese Differenzierung, so wünschbar sie ist, kann in einem kurzen Einleitungsaufsatz wie diesem nicht fallweise durchgehalten werden. Der Hinweis auf ihre Notwendigkeit muss genügen. Vgl. aber für Lateinamerika: HOWARD WIARDA/HARVEY F. KLINE (eds.), Latin American Politics and Development. Boulder et al. 3rd ed. 1990; WILHELM HOFMEISTER/JOSEF THESING (Hrsg.), Der Wandel politischer Systeme in Lateinamerika, Frankfurt a.M. 1996; für Ost- bzw. Südostasien: JÜRGEN RÜLAND, Politische Systeme in Südostasien. Eine Einführung, Landsberg am Lech 1998; WILHELM BURKLIN, Die vier kleinen Tiger. Die pazifische Herausforderung. Hongkong, Singapur, Taiwan, Südkorea, München 1993; STEVEN SCHLOSSSTEIN, Asia's New Little Dragons. The Dynamic Emergence of Indonesia, Thailand, and Malaysia, Chicago 1991. Vgl. Secretaría Permanente del Sistema Económico Latinoamericano (SELA) (ed.), Dinámica de las relaciones externas de América Latina y el Caribe, Buenos Aires 1998; VÍCTOR L. URQUIDI, México en la globalización. Condiciones y requisitos de un desarrollo sustentable y equitativo, México 1996; CANDIDO MENDES/LUIZ E. SOARES (eds.), Cultural Pluralism, Identity, and Globalization, Rio de Janeiro 1996.

Erfolge und Grenzen lateinamerikanischer Entwicklung

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Asien nur in Ausnahmefallen (Indien, Philippinen) oder in statu nascendi (Indonesien, Malaysia, Thailand) antreffen.9 • Auch wenn man für Asien multilaterale Unternehmungen wie die ASEAN oder das ASEAN Regional Forum und eine Reihe transpazifischer Unternehmungen unter asiatischer Mehrheitsbeteiligung wie z.B. die APEC im ganzen als eine Erfolgsstory bezeichnen wird, ist der lateinamerikanische Multilateralismus älter, erfahrungsgesättigter, historisch und kulturell tiefer angelegt und nicht zuletzt integrationsgerichteter (hier verstanden als Tendenz zur partiellen Aufgabe nationaler Souveränität).10 Zur Entwicklung hat in diesem Jahrhundert immer wieder auch die Fähigkeit zu einem schnellen und effektiven Krisenmanagement gehört. Lateinamerika braucht sich hier - gleichgültig, ob man sich den Aufstieg aus der »verlorenen Dekade« vorstellt oder die Bewältigung der »Tequila«-Krise Ende 1994 und Anfang 1995 wahrlich nicht zu verstecken. Dem Leser wird bei all dem nicht entgangen sein, dass Entwicklung in solchen Hinweisen weniger oder gar nicht als Summe von »achievements« gesehen wird, sondern als Bündelung von sich national wie mit Blick auf das internationale Umfeld auswirkenden Handlungskapazitäten. FEHLER IN DER LATEINAMERIKANISCHEN ENTWICKLUNG Nach meinem Dafürhalten hat Lateinamerika unter Entwicklungsgesichtspunkten drei elementare Fehler gemacht: Staat und Gesellschaft sind nicht einander angeglichen worden; das ökonomische Entwicklungsmodell war binnenorientiert und protektionistisch; Autonomie-Überlegungen - falls sie überhaupt angestellt worden sind - haben zu keinen signifikanten Eigenanstrengungen in Forschung und Entwicklung gefuhrt. Damit bleibt die lateinamerikanische Entwicklung mit Blick auf die voranschreitende Globalisierung von Wirtschaft, Kommunikation, Gesellschaftsstrukturen und Technologie eine abhängige Variable von Trends, Ereignissen, Strukturen und Entscheidungen, die von außen kommen, jedenfalls nicht in Lateinamerika selbst initiiert sind und von dort auch nicht geprägt werden. Den ersten Punkt hatte vor Jahren Victor Alba11 in seinem unvergessenen Buch »Die Lateinamerikaner« thematisiert. Er schrieb: »Ein Charakteristikum der Geschichte Lateinamerikas im 19. Jahrhundert ist die Bemühung, einen modernen Staat zu schaffen, ohne gleichzeitig die Gesellschaft zu modernisieren. Die offensichtliche Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens, das soziologisch gesehen einfach absurd ist, hatte zur Folge, daß Lateinamerika nach eineinhalb Jahrhunderten der Unabhängigkeit sich nicht wesentlich vom Lateinamerika der Jahre 1810— 9 10

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Vgl. statt vieler WILHELM HOFMEISTER/JOSEF THESING (Hrsg.), Der Wandel politischer Systeme in Lateinamerika, Frankfurt a.M. 1996. Vgl. Lit.-Angaben Fußnote 2. VICTOR ALBA, Die Lateinamerikaner. Ein Kontinent zwischen Stillstand und Revolution, Zürich 1973.

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Manfred Mols

1820 unterschied ...